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German Pages 706 [708] Year 2008
Deutsches Fremdwörterbuch Band 6
Deutsches Fremdwörterbuch Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler 2. Auflage, völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache
Band 6: Gag — Gynäkologie von Gerhard Strauß f (Leitung/Redaktion bis 2006), Herbert Schmidt (Leitung seit 2006), Dominik Brückner, Isolde Nortmeyer, Oda Vietze
unter Mitarbeit von Heidrun Kämper
w DE
G Walter de Gruyter · Berlin · New York
l Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-019457-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliograpfische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Copyright 2008 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Systems GmbH, Wustermark Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin Druck: Mercedes-Druck GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Th. Fuhrmann KG, Berlin
Vorwort Am 18. März 2006 verstarb der Initiator der Neubearbeitung des Deutschen Fremdwörterbuchs Gerhard Strauß. Für das Projekt und seine Mitarbeiter bedeutet der Tod des langjährigen Leiters einen empfindlichen Verlust. Gerhard Strauß hat am Institut für Deutsche Sprache in der Planungsphase des Projekts seit 1989 die Konzeption der Neubearbeitung entwickelt, verfasste selbst zahlreiche Wortartikel und zeichnet vor allem für die Gesamtredaktion der seit 1995 erschienenen Bände 1—5 (Buchstaben A—F) verantwortlich. Auch für den vorliegenden 6. Band (Buchstabe G) hat er noch, solange es ihm seine schwere Krankheit erlaubte, bereits geschriebene Wortartikel redigiert und etliche verfasst. Sein Fachwissen, seine lexikographische Erfahrung und seine unerschöpfliche Energie haben maßgeblich dazu beigetragen, dem Deutschen Fremdwörterbuch den Rang zu sichern, den es in der heutigen Wörterbuchlandschaft innehat. Die hohen Maßstäbe, die Gerhard Strauß gesetzt hat, sind denen, die sein Werk fortführen, Ansporn und Verpflichtung; der Verlust des Menschen und Kollegen bleibt schmerzlich. In den zwei Jahren, die seither vergangen sind, hat sich gezeigt, dass die bisherige Struktur der Arbeitsabläufe am Fremdwörterbuch nicht auf allen Ebenen unverändert beizubehalten war. Gerade im Bereich der Redaktionsarbeit mussten manche Routinen umorganisiert werden. Die wohl wichtigste Neuerung besteht darin, dass die sehr intensiven und meist mehrfachen Redaktionsgänge im Anschluss an die Erstellung der Erstfassung eines Wortartikels nun durchweg auf mehrere Projektmitarbeiter verteilt wurden, sodass die solcherart zustandegekommene Endfassung des Artikels in deutlich höherem Maße als früher eine Gemeinschaftsleistung mehrerer Bearbeiter darstellt. Um diesem Umstand auch nach außen hin Rechnung zu tragen, hat sich das Mitarbeiterteam des Deutschen Fremdwörterbuchs entschlossen, im vorliegenden Band auf die Kennzeichnung der Artikel durch Namenkürzel der Autoren zu verzichten. Die digitale Verfügbarkeit gerade historischer Primärquellen hat in den zurückliegenden Jahren enorm zugenommen. Über die projekteigene Schulz/Baslersche Belegzettelsammlung und die elektronischen Korpora des IDS hinaus hatte bereits das Aufkommen immer umfangreicherer Anthologien auf CD-ROM und DVD dem Deutschen Fremdwörterbuch eine Fülle neuer Quellen und Recherchemöglichkeiten erschlossen, die seit etwa sechs Jahren auch systematisch zur Schließung von Beleglücken genutzt wurden (vgl. das Verzeichnis der auf CD-ROM vorliegenden digitalen Textsammlungen unten S. XIV). In jüngster Zeit hat sich die Bereitstellung extensiv digitalisierter Bücher des 16. bis 20. Jahrhunderts im Internet für die Quellensituation der historischen (Fremdwort-)Lexikographie in quantitativer und qualitativer Hinsicht als immenser Fortschritt erwiesen. Seit etwa einem Jahr wird das täglich weiter wachsende Angebot online verfügbarer Primärquellen für die Arbeit am
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Vorwort
Fremdwörterbuch intensiv genutzt. In zahlreichen Fällen konnte dadurch wertvolles zusätzliches Belegmaterial gewonnen werden, das noch exaktere Aussagen beispielsweise über Zeitpunkt und Ablauf von Entlehnungsvorgängen oder über die Verbreitung und Textsortenspezifik einzelner Ableitungen erlaubte. Eine weitere Neuerung im vorliegenden Band soll dem oft beklagten Umstand abhelfen, dass der komplette lexikographisch bearbeitete Wortbestand des Deutschen Fremdwörterbuchs erst mit Erscheinen des alphabetischen Gesamtregisters im letzten Band erschlossen und damit gezielt durchsuchbar sein wird. Die nestalphabetische Gruppierung ganzer etymologischer Wortfamilien um ein Hauptlemma herum führt bekanntlich dazu, dass viele Lexeme als Sublemmata in Wortartikeln beschrieben werden, in denen sie der Benutzer nicht unbedingt suchen würde (etwa Gloriole unter Glorie oder Galionsfigur unter Galeere). Um dem Benutzer des Deutschen Fremdwörterbuchs schon jetzt eine Sichtung des lexikalischen Gesamtbestands von Band 6 und das schnelle Auffinden bestimmter Wörter zu ermöglichen, wird diesem (wie auch allen künftigen) ein alphabetisches Bandregister beigegeben, das sämtliche Sublemmata auflistet und ihrem jeweiligen Hauptlemma zuordnet. Ein ähnliches alphabetisches Register für den Lemmabestand der Bände 1—5 steht zudem seit kurzem auf der Projektwebsite (http://www.ids-mannheim.de/ll/fremdwort/) zur Verfügung. Dort finden sich auch weitere Hilfs- und Orientierungsmittel für den Wörterbuchbenutzer wie z. B. eine Liste der geplanten Wortartikel bis zum Buchstaben Q (zu der ab sofort über die Projektwebsite Ergänzungsvorschläge eingereicht werden können), ein fortlaufend aktualisiertes Verzeichnis der neu benutzten Quellen, eine Sammlung einschlägiger Links. Das vollständige Quellenverzeichnis und die alphabetisch, rückläufig, chronologisch, nach Herkunftssprachen und Wortklassen sortierten Gesamtregister bleiben indessen dem abschließenden Registerband vorbehalten. Auch der vorliegende Band des Deutschen Fremdwörterbuchs hätte nicht fertiggestellt werden können ohne die Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen außerhalb unserer Projektgruppe. Unser Dank gilt wie immer den vielen in- und ausländischen Bibliotheken, die uns bei der Suche nach Belegkontexten auch in sehr seltenen und alten Texten mit großem Engagement und bewährter Sorgfalt behilflich waren. Wir danken auch einer Reihe von Institutskollegen für mancherlei Unterstützung; namentlich genannt seien die Kollegen des Frühneuhochdeutschen Wörterbuchs, Oliver Pfefferkorn sowie Elisabeth Link, die uns bereits bei der Bearbeitung des Buchstabens F in großzügiger Weise Belegmaterial und Artikelentwürfe (für die Lemmata Fabel, Fabrik, Faktor, Fakultät) zur Verfügung gestellt hat, und besonders die scheidende Leiterin der Bibliothek des IDS, Eva Teubert, die viele Jahre lang auf die Ausleih- und Anschaffungswünsche des Projekts wohlwollend und unbürokratisch eingegangen ist. Dem Verlag Walter de Gruyter danken wir in Gestalt seines Cheflektors für Sprach- und Literaturwissenschaft Heiko Hartmann herzlich für sein Verständnis und seine Geduld. Mannheim, im April 2008 Für die Mitarbeiter
Herbert Schmidt
Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur AHD.WB: Althochdeutsches Wörterbuch auf Grund der von Elias Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. u. hrsg. v. Elisabeth Karg-Gasterstädt u. Theodor Frings, ab Bd. 2 hrsg. v. Rudolf Große. Bd. l ff. Berlin 1968 ff. AWB: Anglizismenwörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, begr. v. Broder Carstensen, fortgeführt v. Ulrich Busse. Bd. 1—3. Berlin/New York 1993-96. BARTELS: Bartels, Karl: Veni Vidi Vici. Geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen. Zürich/München 1989. BBWB: Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch. Hrsg. v. der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Begründet und angelegt v. Anneliese Bretschneider unter Einschluß der Sammlungen v. Hermann Teuchert, bearb. unter der Leitung v. Gerhard Ising (ab Bd. 2, Lfg. 5 unter der Leitung v. Joachim Wiese). Bd. l ff. Berlin 1976 ff. BENECKE/MÜLLER/ZARNCKE: Benecke, Georg Friedrich, Wilhelm Müller, Friedrich Zarncke: Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Reprograf. Nachdr. der Ausg. Leipzig 1854. Bd. 1-3. Hildesheim 1963. BERNING: Berning, Cornelia: Vom „Abstammungsnachweis" zum „Zuchtwart". Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1964. BIELFELDT: Bielfeldt, Hans Holm: Die slawischen Wörter im Deutschen. Leipzig 1982. BRUNNER/CONZE/KOSELLECK: Geschichtliche Grundbegriffe - Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Stuttgart 1972 ff. BRUNT: Brunt, Richard James: The Influence of the French Language on the German Vocabulary (1649-1735). (= Studia Linguistica Germanica 18). Berlin/New York 1983. BÜCHMANN: Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Berlin 1972. CAMPE: Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Braunschweig 2. Aufl. 1813. CARMESIN: Carmesin, Dagmar: Das Fremdwort bei Johann Beer. Ein Beitrag zur deutschen Wort- und Sprachgeschichte. München 1992. CARSTENSEN: Carstensen, Broder: Englische Einflüsse auf die deutsche Sprache nach 1945. Heidelberg 1965. CARSTENSEN/GALINSKY: Carstensen, Broder, Hans Galinsky: Amerikanismen der deutschen Gegenwartssprache. Entlehnungsvorgänge und ihre stilistischen Aspekte. Heidelberg 1963. CHOLINUS/FRISIUS: Cholinus, Petrus, Johannes Frisius: Dictionarivm latinogermanicvm. Zürich 1541. CORVINUS: Corvinus, Andreas: Föns latinitatis. Lipsiae 1623.
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Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur
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Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur
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STROINIGG: Stroinigg, Dieter: Zum Fremdwortgebrauch in Deutschordensdenkmälern. In: Semasia 4 (1977), S. 15-24. SUOLAHTI 1901: Suolahti (= Palander), Hugo: Der französische Einfluß auf die deutsche Sprache im 12. Jh. (= Sonderabdr. aus den Memoires de la Societe Neo-philologique de Helsingfors III). Helsingfors 1901. SUOLAHTI: Suolahti (= Palander), Hugo: Der französische Einfluß auf die deutsche Sprache im 13. Jahrhundert. (= Sonderabdr. aus den Memoires de la Societe de Helsingfors VIII). Helsinki 1929. TELLING: Telling, Rudolf: Französisches im deutschen Wortschatz. Lehn- und Fremdwörter aus acht Jahrhunderten. Berlin 1987. THURAU: Thurau, Eise: „Galant", ein Beitrag zur französischen Wort- und Kulturgeschichte. (= Frankfurter Quellen und Forschungen 12). Hildesheim 1975. TRESOR: Tresor De La Langue Franchise. Dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siecle. Bd. 1-16. Paris 1971 ff. TRÜBNER: Trübners Deutsches Wörterbuch. Hrsg. v. Alfred Goetze. Berlin 1939 ff. VALLI: Valli, Erki: Über den Fremdwortgebrauch in der mittelalterlichen Bibelverdeutschung. In: Festschrift für E. Öhmann, S. 629-642. Helsinki 1954. VIERECK: Studien zum Einfluß der englischen Sprache auf das Deutsche — Studies on the Influence of the English Language on German. Hrsg. v. Wolfgang Viereck. Tübingen 1980. VOLLAND: Volland, Birgit: Französische Entlehnungen im Deutschen. Transferenz und Integration auf phonologischer, morphologischer und lexikalisch-semantischer Ebene. Tübingen 1986. WÄCHTLER: Wächtler, Johann Christian: Commodes Manual, Oder Hand-Buch. Leipzig 1709. WALDE/HOFMANN: Walde, Alois, Johann Baptist Hofmann: Lateinisches Etymologisches Wörterbuch. Heidelberg 3. Aufl. 1954. WARNKE: Warnke, Ingo: Wörterbuch zu Thomas Müntzers deutschen Schriften und Briefen. Tübingen 1993. WB RHETORIK: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. v. Gert Ueding. Bd. 1: ABib, Tübingen 1992, Bd. 2: Bie-Eul, Tübingen 1994, Bd. 3: Eup-Hör 1996, Bd. 4: HuK 1998, Bd. 5: L-Musi 2001, Bd. 6: Must-Pop 2003, Bd. 7: Pos-Rhet 2005, Bd. 8: Rhet-St 2007. WDG: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. v. Ruth Klappenbach, Wolfgang Steinitz. Bd. 1-6. Berlin 1964-77. WEBER: Weber, Johann Adam: Lexicon Encyclion, Oder kurtzgefaßtes Lateinisch-Teutsches und Teutsch-Lateinisches Universal Wörter-Buch. T. 1—2. Chemnitz 1734. WEIGAND: Weigand, Friedrich Ludwig Karl: Deutsches Wörterbuch, vollständig neu bearb. v. Karl v. Bahder, Hermann Hirt u. Karl Kant, hrsg. v. Hermann Hirt. Photomechan. Nachdr. der 5. Aufl. Gießen 1909-10. Bd. 1-2. Berlin 1968. WEIMANN 1963: Weimann, Karl-Heinz: Paracelsus und der deutsche Wortschatz. In: L. E. Schmitt (Hrsg.): Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen II. Gießen 1963, S. 360 ff. WEIMANN 1981: Weimann, Karl-Heinz: Paracelsus-Lexikographie in vier Jahrhunderten. In: Medizinhist. Journal 16 (1981), S. 167-195. WIS: Wis, Marjetta: Ricerche sopra gli italianismi nella lingua tedesca. Dalla meta del secolo XIV alia fine del secolo XVI. Helsinki 1955.
XIV
Verzeichnis der verwendeten Textsammlungen auf CD-ROM und DVD
WOYT: Woyt, Johann Jacob: Gazophylacium medico-physicum oder Schatzkammer medicinisch- und natürlicher Dinge. Leipzig 1709. WÜLFING: Wülfing, Wulf: Schlagworte des Jungen Deutschland. Mit einer Einführung in die Schlagwortforschung. (= Philologische Studien und Quellen 106). Berlin 1982. ZEDLER: Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 1-64 u. Suppl. 1-4. Leipzig/Halle 1732-54. ZETKIN/SCHALDACH: Zetkin, Maxim, Herbert Schaldach: Wörterbuch der Medizin in drei Bänden. 5., überarb. u. erw. Aufl. Hrsg. v. Herbert Schaldach. Stuttgart 1974. ZINDLER: Zindler, Horst: Anglizismen in der deutschen Pressesprache nach 1945. Diss. Kiel 1959. ZIRKER: Zirker, Otto: Die Bereicherung des deutschen Wortschatzes durch die spätmittelalterliche Mystik. Jena 1923. ZED W: Zeitschrift für deutsche Wortforschung. Hrsg. v. Friedrich Kluge. Bd. I-XV, Straßburg 1901-1914.
Verzeichnis der digitalen Textsammlungen
DiBi DiBi DiBi DiBi
1: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. (= Digitale Bibliothek Bd. 1). Berlin 1997. 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche. (= Digitale Bibliothek Bd. 2). Berlin 2000. 3: Geschichte der Philosophie. (= Digitale Bibliothek Bd. 3). Berlin 2000. 15: Tucholsky, Kurt. Werke - Briefe - Materialien. (= Digitale Bibliothek Bd. 15). Berlin 1999. DiBi 45: Deutsche Literatur von Frauen. Von Catharina von Greiffenberg bis Franziska von Reventlow. (= Digitale Bibliothek Bd. 45). Berlin 2001. DiBi 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke. (= Digitale Bibliothek Bd. 75). Berlin 2002. DiBi 113: Deutsche Komponisten von Bach bis Wagner. (= Digitale Bibliothek Bd. 113). Berlin 2004. DiBi 118: Damen Conversations Lexikon. (= Digitale Bibliothek Bd. 118). Berlin 2005. DiBi 125: Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky. (= Digitale Bibliothek Bd. 125). Berlin 2005. DWDS: Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jh. (http://www.dwds.de)
Gag M. (-s; -s), in den 30er Jahren des 20. Jhs. mit Bezug auf amerikan. Filmproduktionen entlehnt aus gleichbed. amerikan.-engl. gag, theaterspr. (etwa Mitte 19. Jh.) für 'vom Schauspieler eingefügte Bemerkung, die nicht im vorgeschriebenen Text steht, improvisierter Einschub; Scherz, Witz, humorvolle Bemerkung, komische Improvisation (innerhalb eines Stücks)' (zu to gag 'beim Schauspiel etwas einfügen, das nicht im Text steht, improvisieren', eventuell zurückgehend auf gag in seiner Bed. 'Stopfen, Knebel' bzw. to gag 'knebeln, (ver-)stopfen; Husten oder Würgen verursachen', weitere Herkunft unsicher, im übertragenen Sinne also zunächst eigentlich 'Eingeschobenes, stopfendes Füllsel, Einschiebsel, Einschub'; vgl. eine ähnliche Bedeutungsübertragung auch bei —» Farce). a Zunächst bes. in Film, Theater (Lustspiel) und Kabarett in der Bed. 'pointiert gesetzte, kurze (und meist mit einem Überraschungseffekt verbundene), witzige Bemerkung, auch spontaner oder extemporierter Einfall, der in Situationskomik, —* Groteske, Bild- und Wortpointen oder -witzen zum Ausdruck kommt und die Zuschauer zum Lachen bringt, humoristische Einlage, Improvisation' (—» Pointe), in Wendungen wie das Stück enthält zahlreiche (zwerchfellerschütternde) Gags, eine Fülle origineller Gags, ein Gag jagt den ändern, kleine, heitere, kluge, optische, mimische, kabarettistische, verblüffende, ironische, alberne, müde Gags und bes. in der (aus dem Engl. übernommenen) festen Verbindung running gag, auch Running Gag, 'Witz, der sich mehrfach wiederholt oder variiert wie ein roter Faden durch ein Werk, Genre, Medium zieht oder innerhalb der (Alltags-)Kommunikation (einer Gruppe) eine ähnliche Rolle spielt' (s. Belege 1976, 1998, 2005), als Grundwort in Zss. wie Medien-, Film-/TV-/Theater-, Einstiegs-/Schluss-, Vegetariergag 'Witz über Vegetarier', Faschings-, Monty-Python-Gag und als Bestimmungswort in der (engl. gag-writer nachgebildeten) Berufsbezeichnung Gagschreiber/-in 'jmd., der berufsmäßig im Vorfeld von Veranstaltungen/Redeauftritten die Aufgabe hat, Gags zu erfinden und in das Programm/den Redetext einzubauen', gleichbed. mit vereinzelt nachgewiesenem Gagman bzw. Gagger (nach engl. gagman und gagger); gelegentlich auch allgemeiner (oft ironisch oder kritisch) verwendet (s. Belege 1962, 1983, 1989, 1995), vgl. Wendungen und Zss. wie der Parteivorstand hat sich einen Gag einfallen lassen, sprachliche Gags, viele Gags machen; Karnevals-, Party-, PR-, Wahl(kampf-)gag. b Seit den 50er Jahren (abweichend vom Engl.) ausgeweitet auf 'etwas (Gegenstand, Sachverhalt), das einen bes. Überraschungseffekt besitzt/darstellt', oft leicht abwertend (s. Belege 1962, 1967, 1983, 1984, 2004), bes. mit Bezug auf eine zusätzliche (und als überflüssig angesehene) Ausstattung technischer Geräte für 'ungewöhnliche, auffällige, effektvolle Besonderheit oder Neuerung, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen soll, aber für die Grundfunktion des Geräts nicht notwendig ist' (s. Belege 1962, 1977, 1982, 1988; vgl. Extra, -> extra, —· Finesse, Gadget, Gimmick,
Gag
—» Raffinesse, ugs. Schnickschnack) sowie (auch kritisch) mit Bezug auf das Design von Kleidung, Accessoires in der Bed. Origineller, Effekt haschender, allgemeine Aufmerksamkeit und Aufsehen erregender, auf Wirkung oder Sensation bedachter (raffinierter) Einfall' (s. Belege 1954, 1967, 1979, 1983), z.B. neuester Gag ist .., ein besonderer/der besondere Gag, ein Auto mit vielen technischen Gags, modische, stilistische, technische, aktuelle Gags; James-Bond-Gag, Design(er)-, Mode-, Dekorations-, Marketing-, Werbe-, Reklame-, Verkaufs-, Publicity-, Touristengag. Dazu seit den 70er Jahren die adj. Ableitung gagig 'mit Gags versehen, Gags enthaltend; spaßig, witzig', z.B. gagige Sketche, Einlagen, eine gagige Show, gagiger Stil (zu a) bzw. 'ungewöhnlich, effektvoll, ausgefallen, originell, überraschend' (vgl. frappant, —» frappieren), in Wendungen wie gagige Effekte, eine gagige Idee, eine gagig aufgemachte Zeitungsnotiz, ein gagiges Möbel (zu b) sowie die seltenen adj. Präfixbildungen vergagt 'übermäßig/zu viele Gags enthaltend', z.B. eine vergagte Krimikomödie (zu a) und aufgegagt '(technisch/modisch) effektvoll aufgemotzt', z.B. der modisch aufgegagte Trainingsanzug (zu b). Gag a: Pekrun 1933 Wort 255 Gag . . Einfall bei der Filmherstellung; Welt am Montag 4. 7. 1934 Der Regisseur Monty Banks, der in der Stummfilmzeit ein populärer Filmkomilcer war, hat die schmale Handlung vollkommen auf den „Gag" hin inszeniert, den komischen Situationseinfall, der sich . . auf die Mitwirkung der Requisiten stützt; Münch. N. N. 8. 4. 1941 Mit einem geschickten Einfall, einem „gag", wie die Filmleute sagen, kann man in .. Amerika allerhand erreichen; Spiegel 22. 2. 1947 Die Aufführung mit einer Fülle von leckeren und lockeren Gags schnurrte ab wie eine Filmgroteske (AWB); Süddtsch. Ztg. 1. 8. 1952 Ein lockeres Lustspiel mit graziösen Gags; Zeit 5. 1. 1956 Die . . Spitzbubengeschichte strotzt von einer Fülle origineller und treffsicherer „gags", die nicht aus dem Schmunzeln herauskommen lassen (AWB); Spiegel 7. 2, 1962 Die Freude am Stilistischen, am sprachlichen Gag . . treibt dem deutschen Nachrichten-Magazin . . eine große Zahl von Lesern zu (AWB); Zeit 10. 4. 1964 Ein Gag ist ein lustiger, die Situation und den Charakter des in der Situation befindlichen Menschen schlagartig und unvermutet erleuchtender Einfall. Und als solcher ist er aus der Filmbranche längst herübergewechselt, auch in kulturell viel ältere Metiers (AWB); Spiegel 3. 4. 1967 die . . BBC, die ihn 1949 . . als Schreiber, Sänger, Sprecher und Gagman von Show- und Thrillerstücken einstellte (AWB); Mannh. Morgen 22. 7. 1973 Vasil, der genialische . . Gagman des deutschen Theaters; Spiegel 9. 8. 1976 die Erkenntnis, daß ein „running gag" nicht aus Wiederholungen, sondern aus Variationen besteht (AWB); Westfäl. Volksbl. 12. W. 1979 Zanders „Horror Show" — Schwarzer Humor, Tricks und Gecks [!] im Musikladen (Überseht.) (AWB); Stern 14.4.1983 Dann stutzte er, räusperte sich und überlegte, ob man ihm das als Gag abkaufen
würde (AWB); Spiegel 2.1.1989 „Atomverzicht ins Grundgesetz!" Nur ein „Gag", wie SPD-Veteran Egon Bahr meint? (AWB); 1995 FAZ o. Nr. Die Ausgabensperre war ein Wahlkampfgag des bisherigen Amtsinhabers; Kleine Ztg. 11.1. 1998 Der Running-Gag, die zwei Alten (Muppets) führen mit Witz und Mimik durchs Programm; Berl. Ztg. 15.12. 2001 diese amerikanischen Dauerserien, in denen nie wirklich etwas geschieht und die Witze meist platt sind, dafür aber ein müder Gag den anderen jagt; Spitzmüller 2005 Metasprachdiskurse 120 die Anekdote, das Wort [„Handy"] leite sich etymologisch aus der Frage eines Schwaben . . her: „Hän die denn koi Schnur", wurde bald zum Running Gag. gagig: Westfäl. Volksbl. 24.11.1981 Jürgen von der Lippe . . h a t . . seine gagigen Sketche nicht verloren (AWB); Berl. Ztg. 21. 10. 1997 Holtz als babyäugiger Puck und Grashof als Zettel sind zwar die sehr charmanten Effekte dieses Abends, aber ihre gagige Mimerei wird nur nicht zur Kasperei, weil die beiden von der lakonischen Ernsthaftigkeit der Jungen quasi am Boden gehalten werden. vergagt: Frankf. Rundsch. 13. 5. 1969 Dieser Prise Politik folgt sauberer Sex a la „Playboy" ebenso klinisch steril, . . bisserl bayrisch vergagt (AWB); Spiegel 16. 5. 1977 Die vergagte Agenten-Komödie von und mit Peter Ustinov (AWB); taz 28. 3. 1994 Die zentrale Stelle der Beschreibung der grauenvollen Zersetzung der Körper König Kreons und dessen Tochter spielt er als vergagte Hampelei; Züricher Tagesanz. 28.1.2000 Seine Inszenierung wirkte nämlich in Wien noch ziemlich vergagt und zerfleddert.
Gage Gag b: Süddtsch. Ztg. 9. L 1954 Das unverlierbare Portemonnaie hat ein Pariser Salon als praktischen Gag an seinen Röcken angebracht; Spiegel 28, 3. 1962 Technisch voll ausgereift, verkörpert diese weltberühmte Kamera zeitlose Modernität ohne modische Gags (AWB); FAZ 28. 9. 7963 Natürlich nahmen Werbeleute das Management in die Hand und neben der Konkurrenz der Qualitäten und Preise gibt es die der Marken- und Gütezeichen, der Graphiken und Dekorationen, der Werbegags und Reklamefolgen (AWB); Welt 21.9. 1967 Die Jagd nach modischen Gags hat . . stark nachgelassen. Ruhige Brauntöne beherrschen das Bild (AWB); Spiegel 7.11.1977 Neuester Gag ist das Bild im Bild: In das laufende Farbprogramm läßt sich ein . . Schwarz-Weiß-Bildchen einblenden, das die Sendung eines anderen Kanals übermittelt (AWB); 1979 Bravo XV 64 Anette trägt einen besonderen Gag: Ihr 'Latzhosen-Shirt' (AWB); 1982 Opel-Fahrer HI o. S. Besonderer Gag: Ein Kleinkassettengerät ist so eingebaut, daß es nach dem Parken entnommen und im Kopfhörerbetrieb getragen werden kann (AWB); FAZ 5. 2. 1983 Nicht Gags und Sensationen werden auf dem Laufsteg vorgeführt, sondern das Feinste vom Feinen (AWB); Spiegel 30. 4. 1984 Etwa zwei Jahre später merkte Manns Konkurrenz, daß die Markenlosen mehr sind als ein simpler Verkaufsgag (AWB); FAZ 15.11.1988 Der [Tennisschläger] Dunlop 400i . . ist ein grundsolides Schlaggerät . ., das auf techni-
sche Gags verzichtet (AWB); Züricher Tagesanz. 7.5. 1998 Vom alten Käfer [Auto] ist im Innern nur gerade die Blumenvase übernommen worden, ein Design-Gag; Mannh. Morgen 20. 1.2004 Der leicht spleenig wirkende PR-Gag, Sponsoren, Geschäftspartner und rund 200 Journalisten für vier Stunden per Flugzeug nach Mallorca zu verfrachten, wo die Präsentation des T-Mobile-Teams in einem stillgelegten Bergwerksstollen über die Bühne ging, erschien angesichts von so viel Vertrautem fast etwas unangemessen. aufgegagt: Spiegel 14.2. 1972 Sie haben in einer ihrer elektronisch aufgegagten Revue-Mischungen das „Ministerium für komische Gangarten" erfunden (AWB); Süddtsch. Ztg. 15./16.9.1979 der gute alte Trainingsanzug — modisch etwas aufgegagt — firmiert als Jogging-Suit (AWB). gagig: Arnold 1971 Literaturbetrieb 242 Schließlich fehlte ein „Mythos des Alltags" fast in keiner Nummer: das Auto — im gagigen „Twen"-Ton vermenschlicht als „Dame Döschewo — Dyane, die Blechgöttin"; Zeit 19. 7. 1985 Kultur wird da gerne als Entertainment verkauft, flott, gagig, zum alsbaldigen Verzehr bestimmt; Weber 2004 Fotopraktikum 105 So gagig die Resultate mit Effektfiltern oder Tricklinsen auch sein mögen, die eigene Bildidee ersetzen sie nicht,
Gage F. (-; -n), im frühen 17. Jh. entlehnt aus frz. gages PI. 'Besoldung, Löhnung, Sold, Gehalt' (zu gage '(Unter-) Pf and, Bürgschaft; Spieleinsatz' < altfrz. gage, auch wage 'Pfand, Sold, Löhnung', zurückgehend auf westfränk. *wadi, german. *wadja-, in der Rechtssprache 'Pfand, Einsatz'; verw. mit Wette; vgl. engagieren, —» Engagement), anfangs in phonetischen Schreibungen wie Ga(s)chi, Gasi(e), Gagi(e). Zunächst v. a. im militärischen und seemännischen Bereich in der Bed. 'Besoldung; Sold, Lohn für Soldaten und Seeleute' (vgl. Heuer), speziell und heute nur noch österr. für 'Gehalt eines Offiziers' (s. Belege 1683, 1780, 1860, 1932, 1996), z.B. der Soldat bezog nur eine schmale, schäbige Gage, Offiziers-, Leutnants-, Generalsgage; Gagekarenz 'Soldabzug, -ausfall', seit Anfang 18. Jh. auch allgemeiner auf die Bezahlung verschiedener Arten von Dienstleistungen bezogen (s. Belege 1705, 1717, 1718, 1753, 1843—45; vgl. Dotierung, —» dotieren, —»· Honorar, —» Salär), seit späterem 18. Jh. zunehmend und heute überwiegend in der Bed. 'Bezahlung für Künstler (zunächst bes. Schauspieler), Geldbetrag, den Künstler für einzelne Leistungen erhalten, Künstlerhonorar' (s. Belege 1775, 1789, 1800, 1804, 1863, 1882, 1896, 1914, 1954, 1985, 2001), in Wendungen und Zss. wie eine angemessene, bescheidene Gage, die Gagen der Stars sind schwindelerregend, sie erhält eine hohe Gage für diesen Auftritt, für einen wohltätigen Zweck ohne Gage auftreten, spielen, bei einer solchen Gage kann man sich das leisten, die Gage erhöhen, jmdm. die Gage kürzen, streichen, eine stattliche Gage kassieren; Wochen-, Jahres-, Abend-, Antritts-, Brutto-, Extra-, Fix-, Mindest-, Rekord-, Saison-, Schauspieler-, Künstler-, Höchst-, Spit-
Gage
zen-, Traum-, Millionengage, Gagenerhöhung, -forderung, -höhe, -niveau, -stopp, -verzieht, -abzug, -etat, in neuerer Zeit (oft ironisierend) ausgedehnt auf Showbusiness, Wirtschaft, Politik und bes. Sport (s. Belege 1967, 1970, 1998, 2002), vgl. Zss. wie Trainer-, Spieler-, Präsidenten-, Politikergage. Dazu seit späterem 19. Jh. vereinzelt das aus gleichbed. frz. gager entlehnte V. trans. gagieren 'jmdn. mit einer bestimmten Gage versehen, gegen Gage anstellen; die Gage für jmdn. festsetzen' (vgl. engagieren), in Wendungen wie er wurde niedrig gagiert, mit dem schon seit früherem 19. Jh. belegten seltenen Verbalsubst. Gagierung F. (-; -en) 'Bezahlung eines Staatsbeamten, Künstlers oder Offiziers mittels einer Gage; Vergütung, Besoldung'; dazu etwa gleichzeitig die aus gleichbed. frz. gagiste entlehnte, heute veraltete Personenbezeichnung Gagist M. (-en; -en), auch moviert Gagistin F. (-; -nen), 'BezieherAin einer festen (Theater-)Gage', dann bes. regional (österr.) 'ranghöherer Angehöriger des Militärs, der keine Löhnung, sondern eine Gage bezieht', in Wendungen wie aktive, beurlaubte, wehrpflichtige Gagisten, Gagisten und Mannschaften, die Ernennung zum Gagisten, Einberufung der Gagisten und Zss. wie Gagistenrang; Militär-, Reservegagist. Gage: Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Gage, Der Solt; Aldenburgk 1627 West-lnd. Reiße Mlb verfertigten einen request an Printzen Heinrico von Nassaw . . von wegen der gachi, darauff vns guter Bescheyd erfolgete (KLUGE, Seemannssprache); Rist 1642 Rettung B8a die ordentliche Bezalung [heißt] Gage; Schotte! 1648 Friedens Sieg 71 seine Gasi und Servis geven (JONES); Lauremberg 1652 Scherzgedichte 42 Se geven eren Knechten Lohn, und gantz keine gasie; Grimmeishausen 1669 Simpl. (W. l 34) Da war eine Fähnrichin unter den Weibern, die hatte ihre Gage wie ein Gefreiter (DiBi 125); Weise 1673 Erznarren 39f. Endlich übergab sich die Stadt, damit war der Krieg zu Ende, keine Beute wurde gemacht, die Gage blieb zurücke, und ich war ein stattlicher Cavallier; Stieler 1683 Auditeur 317 Nachdem auch die Services, gleich wie bey ändern Officiren, unter der Gage und Tractament begriffen; Gruber 1697 KriegsDisziplin l 14 [ein Fähnrich] hat 4. Mund- und 2. Pferdt-Portiones zur Gage; 1705 Auserles. Anmerk. II 31 daß Grotius . . den Mantel nach dem Winde hängen muste/ wolte er anders seine Gage behalten; Marperger 1717 Beschr. d. Banken 55 Der frembde Angeber aber/ welcher als Author noch in grösserer Gage gestanden; Elis. Chart. 1718 Br. Ill 227 Ein kutscher hatt seinen herrn mit insolentz seine gagen gefordert; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 272 Gage, die Bestallung, Sold, Besoldung; Zedler 1735 Universallex. X 888 Es ist eine Compagnie zu Pferde, welche aus 200. Mann bestehet . . Es bestehet ihre Gage in 680. Pfund und ihr Capitain ist der König selbst; 1753 GleimRamlerll 55 Die Stelle ist jetzt. . völlig caßiret und die Arbeit und die Gage unter einige Profeßoren vertheilet worden; 1762 RUSS. Kriegs-Regl. 147 Die Doctores und Chirurgi sind schuldig, alle, so sich
bey der Armee (kranck) befinden, von dem höchsten bis zum niedrigsten ohne Bezahlung zu heilen, denn dafür bekommen sie ihre Gage; Schmid 1775 Chronologie d. dtsch. Theaters o. S. Seine Garderobbe [!] war sehr prächtig und seine Gagen groß; Schlettwein 1780 Archiv II 346 Erstens in baarer Löhnung für die Soldaten, . . Zweytens in Gage für die Generalität und die sämmtlichen Officiers; 1789 Journal d. Moden IV 66 die Gagen der Schauspieler; Berenhorst 1798 Kriegskunst H 60 Bey den Oesterreichern hat der Oberste Inhaber . . eine monatliche Gage bey der Infanterie von 316 Gulden; Iffland 1798 Theatral. Laufbahn 48 Wochengage; Schütze 1800 Handivb. f. Schauspieler 69 Gage, Gehalt der Schauspielglieder, wird gewöhnlich wöchentlich vom Direkteur oder Cassirer . . ausgezahlt; Goethe 1804 Br. (WA IV 17,137) wird die Gage des gut einschlagenden Hofschauspielers Wolff von fünf auf/ Sechs Thaler/ wöchentlich erhöht; Nettelbeck 1821 Lebensbeschr. I 23 Du sollst Steuermanns-junge seyn und monatlich sechs Gulden Gage haben (KLUGE, Seemannssprache); Jäger 1835 F. Schnabel 161 da jene Geschöpfe [Statistinnen] unmöglich von ihrem Monatlichen, d. h. von zwanzig Gulden Gage leben könnten; Marx 1843-45 MEGA IV 2,460 Gagen eines Lakais; Schneider 1860 Bayer. Militär-Ökonomie l 1,106 Die . . Besoldung der Offiziere und in Offiziers-Achtung stehenden Militär-Beamten wird Gage (gages) im Gegensatze zur Löhnung oder Bezahlung der Unteroffiziere und Soldaten . . genannt; Holtet 1863 Letzte Komödiant II 329 hört es ihr Musen! . . um . . einige Thaler Zulage auf meine Wochengage zu erspielen; Kompert 1882 Spieler (Ges. Sehr. VII 296) in jenem Anzüge, wie er vagirenden Aktricen eigen zu sein pflegt, denen in späteren Jahren das Glück — Anstellung und
Gala Gage verweigert; Fontäne 1895 — 96 l'oggenpuhls (Romane u. Erz. Vll 351) wo ich ein blutjunger Leutnant war, so wie Leo jetzt, nur schmalere Gage (DiBi 125); Kerr 1896 Br. a. d. Reichshauptst. 116 die Gagen an Spezialitätenbühnen sind . . dreifach größer als an dreifach vornehmeren Theatern; Selbitz 1906 Weiss-Blau 60 Bei der geradezu schwindelhaft hohen Löhnung — zu deutsch Gage! — die Ihr [Soldaten] erhaltet; 1914 Stimmen d. Zeit LXXXVH 181 Die Summen, die sie ihnen [Schauspielern] zahlen, übertreffen die Gagen an den größten Theatern; Th. Mann 1920 Nachtr. (W. Xlll 565) alles dreht sich um den Chor. Er bekommt zuerst die Gage, indes die Solisten warten; Voss. Zig. 27. 1. 1931 Die OpernHöchstgage [für die Bühnen Wien und München]; Roth 1932 Radetzkymarsch 134 Der Hauptmann verfluchte seine Gage. Sie war so schäbig, dass sie ihm nicht erlaubte, „menschenwürdig" zu spielen (DUDEN 1999); Berl. lllustr. Nachtausg. 26. 1. 1933 Von diesen . . Gagenkürzungen mußten . . insbesondere die Bühnenkünstler schwer betroffen werden; Welt 13. 12. 1949 um dieser Gage willen produzierten sich etliche, froh, daß sie so etwas wie ein komödiantisches . . Talcntchcn besaßen; Neues Deutschi. 25. 8. 1954 nachdem die Leitung des Theaters ihre Forderung auf höhere Gagen abgelehnt hatte; Offenburger Tagebl. 10. 3. 1960 Die . . von deutschen Filmverlcihern und Filmproduzenten festgelegte „Gagenliste" umfaßt . . 51 Namen [von Filmschauspielern]; Welt 27. 7. 1965 Orchestermusiker verdienen Gagen, vor denen sich die Opcrndirektoren verstecken können; Bildztg. 20. 3. 1967 Karl Mildenberger hat seinen Europatitel schon an Billy Walker verkauft . . für knapp 300000 D-Mark: die höchste Gage seiner Laufbahn; Offenburger Tagebl. 24. 1.1970 Die Zeit der Traumgagen der Trainer [in der Bundesliga] ist vorbei (Überschr.); Zeit 2. 8. 1985 jene Virtuosität . ., die den berühmtesten Kastraten des 17., 18. und 19. Jahrhunderts . . in schwindelnde Höhen preschende Gagen einbrachte; Mannh. Morgen 31. 3. 1988 den Musikern wurde eine Gagenkürzung angedroht; Presse 2.2.1993 Eine Millionengage dürfte auch den Superstar [Clinton | darüber hinweg getröstet haben, diesmal nur Pausenfüller gewesen zu sein; Kleine Ztg. 14. 11. 1996 Es gibt noch was jenseits von Freude am Soldatenleben und Lust an hoher Auslandsgage, das den Auslands-
umsatz zur Ehre Österreichs lohnt; Salzburger Nachr. 30. 9. 1998 Seit Inkrafttreten des neuen Bezügegesetzes im Jahr 1997 richtet sich die Erhöhung der Politikergagen nicht mehr nach jener der Bcamtengehälter, sondern nach der durchschnittlichen Lohnentwicklung des Vorjahres; taz 21. 7. 2001 Kommerz ist bei der [Musik-]Veranstaltung nicht im Spiel — weder Gagen noch Eintritt werden bezahlt; Berl. Ztg. 10. 12.2002 Michalczewski, WBO-Champion im Halbschwergewicht, soll eine Gage von vier Millionen Euro gefordert haben. gagieren: Sanders 1871 Fremdwb. l 419 gagieren . . s. engagieren; Genius 1933 Fremdwb. 353 gagieren . . besolden; Bergengruen 1956 Flamme 168 Seiner untergeordneten Stellung gemäß wurde Mortimer niedrig gagiert. An den geringen Rollen, die man ihm zuwies, war nicht viel zu memorieren. Gagierung: Heyse 1838 Fremdwb. I 438 Gagirung . . die Besoldung; Mommsen 1876 Reden u. Aufs. 240 Und dann diese Gagierung! .. selbst bei dieser Finanzlage kann ich nicht zurückhalten, daß für diese Abtcilungsassistenten endlich etwas geschehen müsse; Glasenapp 1905 Wagner 261 Fußn. Charakteristisch für die damals gebräuchliche Abschätzung des Wertes der Tätigkeit eines musikalischen Dirigenten . . ist das Verhältnis der damaligen Gagierung Wagners zu derjenigen seiner mitangestellten Zeitgenossen (DiBi 113). Gagist: Heyse 1838 Fremdwb. l 438 Gagist . . ein Besoldeter, Söldling, der in eines Ändern Solde steht; 1884 Brockhaus Vll 450 Gagist, einer, der Gage, festes Gehalt bezieht; Drastich 1904 Leitfaden l 50 Eine Beurlaubung wird bei Gagisten dann in Frage kommen, wenn nach abgelaufener Geistesstörung eine längere Schonung und Erholung notwendig erscheint; 1911 Brockhaus Kl. Konv.Lex. l 637 Gagisten, in Österreich die G[age] beziehenden Personen (Offiziere, Ärzte, etc.), im Gegensatz zu den Löhnungsempfängern (DiBi 50); 1920 (Außenpolit. Dokum. Österr. 1918-1938 HI 362) ebenso . . die Personen, welche am zehnten Tage nach der Unterfertigung dieses Vertrages in der Wehrmacht eines der beiden Staaten als Gagisten oder Unteroffiziere Dienste leisten.
Gala F. (-; -s), im späten 17. Jh. wohl über das am Wiener Hof Kaiser Leopolds I. geltende span. Hofzeremoniell (vermutlich zuerst in der Zs. Galakleid, lehnübersetzt aus span, vestido di gala, s. u.) entlehnt aus span, gala 'Staatskleidung; Kleiderpracht, Putz, Zierde; vollendetes Benehmen; Hoffestlichkeit' (wahrscheinlich zurückgehend auf alt-/mittelfrz. gale 'Lustbarkeit, Freude, Vergnügen', zu galer 'sich
Gala
vergnügen, amüsieren, ein lustiges Leben führen', unsicherer, eventuell german. Herkunft; —>· Galan, —> galant), früher auch in der phonetischen Schreibung Galla. a Zunächst als Ausdruck des Hofzeremoniells für 'höfische Prunk- und Prachtkleidung, festliche Hoftracht' (—> Etikette), z.B. sich in schönster Gala einfinden, in voller, großer Gala (vgl. frz. en grand gala) 'in vollem Schmuck, in etikettenmäßiger Hoftracht, bes. festlich gekleidet', anfangs v. a. als Bestimmungswort in veralteten Zss. wie pleonastischem Galakleid, -tracht, vgl. auch Galalivree, -degen, -schuh, und bes. (nach span, dia de gala) Galatag 'Tag bei Hofe, an dem Gala angelegt wird; zum Anlegen entsprechender Kleidung verpflichtender Fest- oder Feiertag (des Reichs, eines Hofes)', seltener als Grundwort in Ordens-, Tafel-, Groß-, Trauergala; öfter bildlich und übertragen gebraucht (s. Belege 1710, 1769, 1772, 1795, 1797, 1889, 1904); dann weiterentwickelt zu der heutigen Bed. c für einen besonderen Anlass vorgeschriebene festliche Kleidung; großer Gesellschaftsanzug', z. B. die Premierenbesucher waren/kamen in (großer) Gala, zum Diner in Gala erscheinen, in Gala und Zylinder begaben sie sich zum Empfang, beim Staatsbankett war Gala vorgeschrieben und bes. in der ugs. Wendung sich in Gala werfen (vgl. sich in Schale werfen/schmeißen) 'sich für einen bestimmten Anlass bes. festlich/fein anziehen', als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Galaanzug, -dress, -robe, -uniform 'Paradeuniform'; Fest-, Abendgala. b Von daher seit frühem 18. Jh. zunächst 'prachtvolles Fest, Hoffest' (—» Bankett), vgl. das veraltete Syntagma zu Ehren des Kaisers Gala halten (s. Beleg 1719); im Laufe des 19. Jhs. erweitert zu der dominanten Bed. 'in festlichem Rahmen stattfindende Theater-, Opern-, Ballettaufführung, Konzertveranstaltung, künstlerische Vorstellung, Darbietung zu Ehren hoher, prominenter Persönlichkeiten (bei offiziellen Anlässen), Preisverleihung, Wohltätigkeitsveranstaltung', auch 'festliche Pracht, Festlichkeit' (—> Festivität, —> Festival), in Wendungen wie eine Gala zugunsten der Armen veranstalten, zu einer Gala geladen sein, für die ausländischen Gäste wurde eine Gala gegeben und Zss. wie Galaabend 'festliche Abendveranstaltung', -nacht, -diner, -konzert, -tafel, -empfang, -Veranstaltung und (bes. verdeutlichendes) Galaaufführung bzw. -Vorstellung; Benefiz-, Wohltätigkeits-, Silvester-, Eröffnungs-, Opern-, Verdi-, Film-, Johann-Strauß-Konzert-, Sport-, Abschieds-, ZDF-Gala; selten bildlich (s. Belege 1783, 1916) und in neuerer Zeit gelegentlich übertragen, bes. in Sport und Politik, für 'prachtvolle, glanzvolle Tat, Glanzleistung' (s. Belege 1984, 1986, 1995). Gala a: Abr. a S. Clara 1689 Judas II 58 ein Kirchenklayd, ein Rathklayd, ein Hochzeitklayd, ein Galaklayd; Stieler 1695 Zeitungs Lust 201 Galla, bedeutet einen Aufzug in schönen Kleidern/ einem großen Herrn/ auf seinen Geburts-Tag oder Freuden-Fest zu Ehren; Simpert 1701 Diarium 47 Gallakleidung; Chilemont 1705 Kriegs- u. Staatsrat II 3 als sich alle convocirte Adsessores in schönster Galla zur ersten Intrade bereiteten; 1708 Leopold d. Große l 113 Die Augen vergehen den Anschauenden, wenn man an einem hohen Gala-Tage die goldene Gala sieht; Mencke 1710 Gedichte 290 Er schaut der Blumen Heer in schönster Gala stehn; Lünig 1719 Theatrum cerem. I 295a Wenn er [Leopold L] in Gala gieng, so war dies entweder
die schwartze oder die goldene Gala; ebd. l 296a Weil das Wort Gala zum öfftern vorkommen, so ist zu wissen, daß diß ein Gala-Tag, wenn man wegen Geburth, Nahmens-Tag, oder anderer fröhlichen Begebenheit bey Hofe in Putz erscheinet; 1736 Karlsbad 96 Herren Ministres, Dames und Cavalliers in höchster Galla; Rabener um 1755 Satiren V 24 für den Prinzen ein besondres Galakleid; Klamer-Schmidt 1769 Gedichte 27 Schon suchet die Natur ihr Galakleid; Lenz 1772 Br. an Salzmann (I 59) Wenn sie [Gedanken] wahr sind, werden sie ihnen auch alsdann besser gefallen als falsche in Galakleidern (SCHEID); Jean Paul 1795 Hesperus (W. II 86) Welch' eine Paradenacht voll Sterne und Träume war das! und welch ein Galatag
Galan der Natur kam auf sie!; Wieland 1797 Ausgew. Br. IV 149 Die Natur hat uns mit der Witterung seit unserem Aufenthalt auf dem Lande keine große Gala gemacht (SCHEID); Hauff um 1826 Moden 279 Aber die Galaperücke mußte blond sein (SCHEID); Steinmann 1843 Mefistofeles III 136 Offizieren in Gala-Uniformen; 1861 Gartenlaube 250 Wir hatten Nachmittags keinen Schulunterricht und durften in Galla . . derartige Festlichkeiten immer mitmachen; Dincklage 1870 Gesch. II 347 Die glänzende Galalivree schlotterte faltenreich . . um seinen abgemagerten Körper; Eckstein 1889 Camilla 17 Die Worte gehen da in großer Gala; T/?. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 288) schon am dritten Tage meines Hierseins mußte ich mich in Gala werfen, um einem Diner bei meinem ehemaligen Prinzipale . . beizuwohnen; Döring 1904 Seemann 88 Flaggengala 'festlicher Flaggenschmuck eines Schiffes' (KLUGE, Seemannssprache); 1908 Zukunft LXV 109 Die spanische Hofetiquette hat manche Spuren in den höfischen Galaerscheinungen . . hinterlassen; Ruederer 1916 Erwachen 99 Galaequipage des höchsten Paares; Brecht 1928 Dreigroschenoper (Ges. W. 17 467) An diesem Tage muß ich mir meine Galauniform anziehen; Werfel 1939 Himmel 215 Berauscht von seiner hohen Notwendigkeit. . warf er sich in Gala und befestigte die fünf Orden an seinem Frack; Feuchtivanger 1951 Goya 323 Alle trugen sie Gala, das wirkte seltsam in der Helle des Vormittags; Hartmann 1954 Begegnungen 44 stand er vom Teetisch auf, . . kam nach fünf Minuten in großer Gala mit seinen Orden wieder herein; Fussenegger 1960 Zeit 85 Der Mann im Galadress bewegte sich würdevoll-federnden Schrittes (DUDEN 1999); taz 20.11. 1990 Im Glitzer-Gala muntert so das WestEntertainer-Pärchen . . die ehemaligen DDRler zu moderater Unterwürfigkeit auf; ebd. 8. 2. 1992 Pausenlos strömen junge Leute ins Foyer, einige in Abend-Gala; St. Galler Tagbl. 14. 1. 2000 Im Kreise Gleichgesinnter genossen die Mitglieder . . zur Neujahrsbegrüßung in Gala-Robe ein Gala-Diner. Gala b: Lünig 1719 Theatrum cerem. l 296a da . . denen Ministern von dem Hof-Fourir angesagt wird, was es nach proportion für eine Gala sey, damit sie in behörigen Kleidern erscheinen. Es ist dabey merkwürdig, daß, wenn des Kaysers Leopoldi wegen Gala gehalten ward, als daß man etwa seinen Geburths-Tag celebrirte, gieng er gantz schlecht, das gantze Kayserliche Hauß aber . . in
Pracht; und also thun alle Kayserl. Personen, derentwegen Gala gehalten wird; um 1726 Schmotther U 636 galla, prächtige anstalten an freudentagen bei hofe (DWB); Sperander 1727 A la ModeSprach 272 Gala, und Galla, ein Freuden-Fest; Boie 1778 Br. an Bürger II 211 morgen ist Galla wegen des Geburtstages der Königin (SCHEID); Schiller 1783 Fiesco II 14 der Tod giebt übermorgen prächtige galla, und hat zwölf genuesische fürsten geladen (DWB); Musäus 1787-88 Märchen I 47 Der glückliche Tag schwand unter dem Gepränge einer bunten Hofgala (DiBi 125); Campe 1813 Fremdwb. 330 f. Gala . . 2) für einen Festtag am Hofe, wobei die Gäste in Prachtkleidern erscheinen; £. T. A. Hoffmann 1815-16 Elixiere (S. W. // 166) In wenigen Tagen haben wir große Gala; Heyse 1838 Fremdwb. l 438 Gala . . Hoffeierlichkeit, das Hoffest; Nordau 1881 Kreml H 129 Es gehört dann für Prinzen . . zum guten Ton, ihre Galadiners . . mit der herrschenden Berufsschönheit zu schmücken; Roberts 1891 Mitleid 35 Nach den ersten feierlichen Galatoasten; Senden 1900 Tänzerin 126 Galavorstellung [im Zirkus]; Philippi 1916 Hagedorn 9 gab die Sonne heute eine Galavorstellung; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 266) am Sonntage ein Gala-, Lust- und Parademahl; Rundt 1929 Revue-Girl 127 Im Apollotheater ist alles vollauf mit den Vorbereitungen zur morgigen Gala-Eröffnungsvorstellung beschäftigt; Berl. lllustr. Nachtausg. 10.6.1933 Galavorstellungen in der Oper; Feuchtwanger 1951 Goya 252 Sie erklärte, es sei wichtig, den Bürger Guillemardet bei Laune zu erhalten, sie wolle ihm eine Galatafel geben; Offenburger Tagebl. 6.2.1970 Der Turnverein hatte mit der Ankündigung seiner „Galavorstellung" nicht zuviel versprochen; ebd. 28. 4. 1971 ein Gala-Empfang zu Ehren der Gäste; Norddtsch. Neueste Nachr. 29.6. 1984 Dass der neue Europameister im Endspiel nicht noch einmal eine Galavorstellung bot (DUDEN 1999); Zeit 9. 5. 1986 Viel Routine, wenig Gala. In der Wirtschafts- und Währungspolitik kamen die Sieben über gute Vorsätze nicht hinaus; Presse 16. 11. 1991 bei einer Benefizgala mit den Wiener Symphonikern im Konzerthaus; Neue Kronen-Ztg. 30. 4. 1995 Zwölf Minuten später traf Pürk nach idealem Kühbauer-Paß im zweiten Versuch. Sehenswert bei der grün-weißen Gala . . auch Guggis Solo zum 3:0; Mannh. Morgen 5. 4. 2004 Sage und schreibe sechs Pas de Deux in Folge bot die bestens reputierte Compagnie [bei Ballettaufführung] in anachronistischer Gala-Manier vor der Pause.
Galan M. (-s; -e, früher auch -en, -(e)s und -i), früher vereinzelt auch Galanin F. (-; -nen), Anfang 17. Jh. entlehnt aus span, galan 'eleganter, höflicher Mann von besten Manieren, Höfling; Liebhaber' (Subst. zu galan Adj., auch galano 'stattlich,
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Galan
hübsch, gutaussehend; elegant, geschmackvoll gekleidet; wohlerzogen, artig', zu gala, —» Gala; ins Span, entlehnt aus mittelfrz. galant 'lebhaft, munter, tüchtig', Part. Präs, von alt-/mittelfrz. galer 'sich vergnügen, ein lustiges Leben führen', —»· galant), im 17. Jh. öfter in den (z.T. phonetischen) Schreibungen Gal(l)än, Gallan. a Zunächst und bis ins späte 17. Jh. im höfischen Bereich selten in der veralteten Bed. 'elegant, nach der (neuesten) Mode gekleideter Höfling' (eigentlich 'in Gala gekleideter Mann'; vgl. Alamodist, —> a Präp., Elegant, —> elegant) und eher negativ konnotiert mit „eitel, Stutzer-, geckenhaft" (s. Belege 1642.2, 1658, 1672; —»· Dandy), z. B. ein reicher, vornehmer Galan, die Galane der Alamodezeit, Galane und Kavaliere, Galane und Stutzer; Alamode-Galane. b Gleichzeitig häufig als Modewort v. a. mit Bezug auf Umgangsformen von adligen (dann auch bürgerlichen) Männern und bes. deren Verhaltensweisen gegenüber Frauen in der Bed. 'weltgewandt und vornehm auftretender Verehrer, Kavalier', (s. Belege 1601, 1624, 1998), dann zunehmend abgeflacht für '(herausgeputzter) Mann, der sich (mit besonderer Höflichkeit und Zuvorkommenheit) um eine Frau bemüht' (s. Belege 1746, 1781, 1808, 1829, 1872), seit dem 19. Jh., heute v. a. ugs. auch (z. T. spöttisch bis leicht abwertend) scherzhaft-archaisierend für 'Liebhaber, Begleiter, fester Freund, Liebster eines Mädchens' (s. Belege 1836, um 1880, 1887, 1931, 1975, 1980; vgl. ugs. Kavalier), in Wendungen wie den Galan machen, heute abend trifft sie wieder ihren Galan, sie ist mit ihrem Galan ausgegangen, sie hat schon wieder einen neuen Galan und Zss. wie Ballgalan, von Anfang an auch häufig mit dem Nebensinn des Frivolen, Liederlichen und Vulgären für 'Liebhaber, Buhler, Intimfreund, Geliebter', dann 'Verführer, Schürzenjäger' (s. Belege 1610, 1682, 1685, 1775, 1901, 1903, 1985, 1991, 1996, 1997, 2004; -> Casanova, -* Don Juan, -» Gigolo, —» Lover, vgl. Galanthomme, —> galant b), dabei selten in der (auf geil anspielenden) Form Gailan (s. Belege 1689, 1691), in Wendungen wie ein leichtfertiger, lüsterner, eifersüchtiger Galan, Buhler/Verführer und Galane und Zss. wie Jungfern-, Spaß-, Halbwelt-, Kurzzeit-, Provinzgalan. Dazu gleichzeitig die bereits Anfang 19. Jh. veraltete verbale Ableitung galanisieren V. intrans. (vgl. frz. galantiser), gelegentlich auch in den Schreibungen gallanisieren, galanesieren, galonisiren und, mit Anschluss an —» galant, in der Form galantisieren, in der Bed. 'als Galan auftreten, hofieren; einer Dame (als Liebhaber, Verehrer) den Hof machen, sie umwerben, sich mit besonderer Zuvorkommenheit um sie bemühen', meist eher moralisch leicht abwertend 'ein Liebesverhältnis, eine Liebschaft, ein amouröses Abenteuer haben' (—»· flirten, —* poussieren, vgl. veraltet karessieren; buhlen, kosen), z.B. buhlen und galanisieren, mit einer Dame, mit schönen Frauen galanisieren, vereinzelt in der entstellten Form gailanisieren (s. Belege 1686, 1708, s.o. Gailan). Galan a: Hock 1601 Blumenfeld 6 Daselbst seyt jhr allbereit zu Hoff,/ Wohl vnder den Galänen; Zangius 1611 Lieder XIV 4 Dann warumb wolt ein Cavallier, und höfflicher Gailan, Handeln hierin wieder Gebühr (SCHRAMM); Mengering 1642 Gewissensrüge 858 Nun kommen zum examine die braven Galänen und Allmodo-Männer; ebd. 1511 man macht ein Almode Manchen vnd Galan-Eselchen aus ihm; Schach 1658 Comödia 79 Der vierdte [Student] weil er ein vornehmer Galan und Stutzer gewesen; Grimmeishausen 1672 Vogel-
nest 64 ein schöner junger Kerl, außgebutzt und staffirt/ wie reiche Alamode-Galanen jetziger Zeit zu seyn pflegen. Galan b: Hock 1601 Blumenfeld 90 Der Cammerjung hat mehr Platz im Frawenzimmer als der Gallän; ebd. bin . . ich,/ Ein Cortegian auch worden,/ vnd Gailan, vnd gesellet mich/ Zun Damen Edler sordten; Guarinonius 1610 Greuel 376 Denen gleich seyn nicht wenig Galani unnd Jungfrawen diener oder Cortesierer; ebd. 884 sonderlich die
Galan Hoffleuth vnnd die Buler, oder die Galani; ebd. 954 die überreden jhre Männer, damit sie umh die Fruchtbarkeit zu bekommen in die Wildtbäder gelassen werden, dahin jhre Galänen oder Bulschafften kommen; Zangius 1611 Lieder XII l Manche Vasall Cupidinis, Gallanen sonst genent (SCHRAMM); Seile 1624 Concertatio Castaltdum III l Amor die heisse Liebesflamm hat newlich angezündt Ein hitzigs fcwr bey eim Gallan (SCHRAMM); ebd. Ill 3 Köm kom und hilff drum edle Dam, dem Gallan thu verbinden Sein wunden groß, die er zusam von Amorn empfunden (SCHRAMM); Ehrenhold 1640 Liebesgedanken L4b Ich wurde newlich hin geschicket zum Gallan vor eine Lieberey; Dürer 1668 Lauf d. Welt 34 ich halte [glaube]/ sie werde gleich einen ändern galanen [als mich] bey ihr gehabt haben; Freud 1682 Alamode-Teuffel 146 Leichtfertigkeit und Alfantzerey ists bey den Galänen; Geilheit bei den Damen; Grillandus 1683 Polit. H äsen-Kop ff 283 des Kammer-Mägdeleins Löffel-Knecht und Courtcsier-Galan; Pickelhäring 1685 Kleideraffe 228 die junge Gal(genh)äne; Abr. a S. Clara 1689 Judas 88 Wann die Mutter mit Galänen, vnd Gailanen [!]/ mit Buelern und Schuelern vmbgeht; Stieler 1691 Stammbaum 619 Galan/ quasi Gailan/ propr. flagitator; Wächtler 1709 Manual 143 Galan, Liebhaber/ Courtisan, z. E. es ist ihr Galan; Menantes 1710 Satyr. Roman l 28 Das mir gethanc Unrecht rühret ihr so weit das Hertz, das sie weinet; Und da solches ihr neuer Galan siehet, wird er gleichsam so grossmüthig; Sperander 1727 A la ModeSprach 272 f. ein Galan, Buhler, Liebhaber eines Frauenzimmers, welcher sich denselben auf alle Weise gefällig zu machen suchet; Geliert 1746 Fabeln (I 230) Vor kurzem kam ein hübscher Jüngling an;/ Du da in deinen schwarzen Haaren,/ War dieses etwan dein Galan?; 2769 Harzmagazin 517 Spass- und Spielgalan; Adelung 1775 Grammat.krit. Wb. II 386 Galan, . . im gemeinen Leben, ein Buhler, Liebhaber; Schiller 1781 Räuber (H. l 353) nachdem er zuvor die Tochter eines reichen Banquiers allhier entjungfert und ihren Galan, einen braven jungen Mann von Stand, im Duell auf den Tod verwundet; Moritz 1794 Grammat. Wb. II 189 Galan .. So allgemein bekannt dieser ausländische Ausdruck ist, so entbehrlich ist er uns; zumahl da wir den Begriff in Ehren und Unehren ausdrücken können: Liebhaber, Buhler; Goethe 1808 Faust I (WA l 14,145) [Meph.:] Ihr wäret werth, gleich in die Eh zu treten:/ Ihr seid ein liebenswürdig Kind. [Gretchen:] Ach nein, das geht jetzt noch nicht an. [Meph.:] Ist's nicht ein [Ehe-]Mann, sei's derweil' ein Galan; Campe 1813 Premdwb. 331 Galan, der Liebhaber, und mit dem Nebenbegriffc der Liederlichkeit, Buhler; Heine 1829 Bäder v. Lucca (W. u. Br. III 287) Signora Lätitia, eine fünfzigjährige
junge Rose, lag im Bette und trillerte und schwatzte mit ihren beiden Galans, wovon der eine auf einem niedrigen Schemel vor ihr saß und der andre, in einem großen Sessel lehnend, die Gitarre spielte (DiBi 125); Bauer 1836 Überscbw. I 146 Das Dämchen . . fuhr zusammen, als hätte sie der Donner gerührt, und kein Bitten und Renommieren des Galans vermochte sie, länger an einem Orte zu bleiben, wo, wie sie meinte, der Teufel auf dem Fagott phantasiere; Freytag 1847 Waldemar I 339 Zu seiner Liebsten wollte er schleichen, zu einer fremden Dame, die auch nicht besser sein mag, als er; — und der ihm auflauerte, war gewiß ein Nebenbuhler, ein eifersüchtiger Galan war's; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. I 306) Dazu sollte ich als angeblicher Galan meine Schöne bedienen; Rodenberg 1872 In dtsch. Landen 130 „Mädchen für alles" mit flatternden Hutbändern und ihre braven Galane mit schwarzen Tuchröcken und hellblauen Krawatten (SCHEID); Nordau um 1880 Kreml II 369 An der Seite der Wagenkolonnen fluthet ein Strom von Spaziergängerinnen, die oft von Galans, selten von Gatten oder Vätern begleitet sind; 1887 Salon II 591 Rußiger Galanthommc (Überseht·.) Dirnlein, sieh ihn gnädig an/ Deinen schmachtenden Galan!/ Ist er auch von Kopf zu Fuß/ Schwarz und rauh von Rauch und Ruß/ . . Ist sein Herz doch treu und rein!; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 647) während droben seine schöne Frau mit ihrem Galan musizierte und nicht nur musizierte; Liliencron 1903 Bunte Beute (S. W. X 118) Ein Mädchenjäger und Galan; Frankf. Nachr. 14.8. 1931 Die Braut, eine Hausangestellte, machte Augen, als sie später hörte, daß ihr Galan sich mit ihrer Kusine eingelassen habe (SCHEID); Süddtsch. Ztg. 17. 10. 1950 Nur wenige Mädchen gingen auf russische Werbungen [in russ. Zivilgefangenenlagern] ein. Ihre Absonderung von der Gemeinschaft ergab sich . . dadurch, daß sie etwa ein Kleid trugen, ein Galanen-Geschenk, das einer anderen weggenommen worden war; Kühn 1975 Zeit 192 sie ging, was er so gehört hatte, auch schon länger mit ihrem Galan (DUDEN 1999); Strauß 1980 Rumor 15 plötzlich aus heiterem Himmel . . stößt sie einen Feuerschwall von Bosheit über den geduckten Rücken ihres Galans; Mannh. Morgen 23. 4. 1985 nicht den Galan und Verführer Don Juan präsentiert Moliere [in einer FernsehaufzeichnungJ; Presse 20.11.1991 Wie konnte Zelia . . auf einen Provinzgalan wie Bernardo Cabral hereinfallen?; Mannh. Morgen 5. 3. 1996 Michael Davidson mußte es hinnehmen, daß seine Interpretation als heimtückisch lauernder Galan [in Puccini-Oper] unter den lakonisch trockenen Donnerschlägen verblaßte und daß er vom Orchester mehrfach übertönt wurde; Tiroler Tagesztg. 16. 6. 1997 Veronika Stemberger ist [im
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galant
Film] eine überkandidelte . . Politadelige, Christoph Sailer ihr schmieriger Galan und Mafiapate; Salzb. Nachr. 6. S. 1998 Er [Stewart Granger] war der Galan, dem Frauenherzen nur so zuflogen; Mannh. Morgen 13. 1. 2004 Stereotypen. So kennt der Amerikaner sich mit Trinkgeldern und FrancScheinen nicht aus, während der gallische Galan die Gespielin mit intimen Diners und Dior-Täschchen verwöhnt. galanisieren: Hock 1601 Blumenfeld 59 Buelen vnd Galanisiren; ebd. 78 Wens Glück dem Bueler singt,/ Da ist gut Kinder wiegen,/ Galanisieren vnd lieben; Zangius 1611 Lieder H 4 [die Dame gibt den Galan einen Korb als Antwort] Er sollte drein Sich setzen fein/ Und drin galanisiren; ebd. VI 5 Drumb wil nun ich gantz fleissiglich Venus Schul visitieren, ob ich möcht doch erlernen noch höfflich gallanisieren (SCHRAMM); Wallhausen 1616 Ritterkunst 59 mit schönen Frawen galanisiren vnd conuersiren; Altert 1627 Tageb. 63 am Ringe bei einer Wittfrau, mit der die Burschen aufn Abend wie auch ihrer Tochter Jungfer Susanne ziemlich galanisirt (SCHRAMM); um 1640 (Weimar. Jahrb. l 298) Wann ich der Damae hab hoffiert Oder mit ihr galonisirt (SCHRAMM); Schach 1658 Comödia 69 nach gehaltener Mahlzeit wird eine Dame
herzu geschlept, mit welcher die Putsche trefflich galanisiren und tantzen (SCHRAMM); Grillandus 1683 Polit. Hasen-Kopff12 Die Klug-sinnige Winter-Nächts- und Abendliche Galanisir- oder VexierLiebe/ welche .. nur nach verborgener Heimlichkeit trachtet; Abr. a S. Clara 1686 Judas l 161 Mit Unzüchtigen lehrnet man auch Galanisiren, hält bald gesagt Gailänisiren; um 1700 Bergliederbüchl. 12 mit Jungfern schertzen kann ich nicht/ auch nicht galanisiren/ bey Frauen-Zimmer bin ich nicht/ mein Thun will nicht gefallen; Prambhofer 1708 Hönig-Fl. 53 galanisiren, oder gailanisiren; Marperger um 1720 Reisen 24 wie der a la modische Politicus . . dafür hält, daß mit Fechten, Tantzen und Exercitiis, Sprachen, Complimentiren und Galanisiren, mehr als mit dem gantzen Jure Publico Germanico, oder mit allen dem, was man rechtschaffene Erudition . . heisset, ausgerichtet sey; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 272 Galanisiren, auf die Courtoisie gehen, z. E. er hält viel vom galanisiren; 1769 Harzmagazin 513 Gespräch von Galanisiren; Arnim 1808 Wunderhorn 111 44 Wenns Glück das Fähnlein schwingt,/ Da giebts gut Beut und Kriegen,/ Wenns Glück dem Buhler singt,/ Da ist gut Kinder wiegen,/ Galanisieren und Lieben.
galant Adj., im späteren 17. Jh. wohl über ital. galante/span. galante, älter galano, galan 'elegant gekleidet, modisch, fein' (—» Gala) entlehnt aus frz. galant 'hübsch, geschmackvoll, elegant, von feiner Lebensart' und 'liebenswürdig, höflich und zuvorkommend gegenüber Frauen; zu Liebesabenteuern aufgelegt, verliebt' (< mittelfrz. galant 'lebhaft, munter, tüchtig', Part. Präs, von mittel-/altfrz. galer 'sich vergnügen, ein lustiges Leben führen'; —> Galan). Beliebtes Modewort der sog. „galanten Zeit" und des Rokoko (ca. 1680—1750) in der allgemeinen Bed. 'elegant, von feiner, kultivierter Lebensart (zeugend), dem Geschmack der feinen, vornehmen Gesellschaft entsprechend' (gleichbed. mit alamodisch, —> a Präp.), bezogen auf (nur) äußerliche höfische Formkultur und aristokratische Eleganz und deren bildungs-/salonbürgerliches Gegenstück, einen (nur) modisch-konventionellen Stil insbes. des Benehmens, Umgangs und geselligen Verkehrs sowie der künstlerischen Artikulation; dabei bereits von sprachkritischen Zeitgenossen (Thomasius, Gottsched) sowohl beim Bezug auf das gesellschaftliche Verhalten (vgl. a) als auch auf (Kleider-)Mode (vgl. b) als übermäßig häufig und unspezifisch für alle möglichen Dinge gebrauchtes Wort gelegentlich getadelt. a Unter dem Einfluss des (frz.) Salons meist mit Bezug auf männliche Personen zunächst höfischer, dann auch bürgerlicher Kreise als Ausdruck einer auf Sorgfalt und Perfektion in Erscheinung und (öffentlichem) Auftreten, ausgesucht höfliches Benehmen und angenehme, gefällige Umgangsformen gerichteten geselligen Lebensart sowie der entsprechenden Geisteshaltung und Handlungsweise für 'dem Verhaltenskodex der feinen, guten (Hof-)Gesellschaft entsprechend; auf das Einhalten (modisch-)vornehmer Formen bedacht, sie gewandt beherrschend', in z. T. veralteten
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Wendungen wie die galante Gesellschaft, Welt; das galante Leipzig, unsere galanten Nachbarn 'die Franzosen' bzw. 'Frankreich/Paris als Zentrum der galanten, aristokratisch geprägten Zivilität und Geselligkeitskultur', galante Kunst, Wissenschaften 'die Gesamtheit aller Fähigkeiten des Galanthomme, wie Reiten, Fechten, Konversation etc.' (s.u. Galanthomme) und veraltetes galante Konduite 'die weltmännische Kenntnis feinen, modischen Benehmens'; dann im Verlaufe des 18. Jhs. zunehmend, eventuell ausgehend von der Vorstellung des frz. galanthomme, auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern bzw. das (Liebes-) Verhalten männlicher Personen bezogen in der bis heute gebräuchlichen Bed. '(in ausgesuchter, gewinnender Weise) höflich, zuvorkommend, liebenswürdig, aufmerksam, rücksichts-, taktvoll, mit Anstand, ritterlich, kavaliersmäßig (gegenüber Damen/Frauen/Mädchen); artig, nett' (s. Belege 1718, 1764, 1832, 1910.1, 1910.2, 1989; -» elegant b, — gentil l, -» honett; vgl. chevaleresk, Ggs. ungalant), gelegentlich kritisch oder leicht negativ konnotiert mit „äußerlich (allzu) glatt, geschliffen; geziert, gekünstelt, nur gespielt, unecht, unverbindlich" (s. Beleg 1970), in Wendungen wie galantes Betragen, sich galant benehmen, er küsste ihr galant die Hand, bot ihr galant den Arm, sich galant verbeugen, ein Geschenk galant überreichen, in galanter französischer Manier den Hof machen, galante Manieren, Komplimente, Redensarten, ein galanter Verehrer, Kavalier, Herr, Skilehrer, Student, Bursche, charmant, elegant und galant, auch subst., z.B. den Galanten spielen (nach frz. faire le galant); vgl. hierzu aus frz. galanthomme/ita\. galantuomo) im späten 17. Jh. übernommenes, heute noch archaisierend gebrauchtes Galanthomme M. (-s; -s), zunächst und bis ins spätere 19. Jh. auch in den (ital. beeinflussten) Formen Galanthomo, Galant(h)uomo und in Getrenntschreibung Galant komme bzw. Galant huomo, als Bezeichnung für die Idealfigur der (damaligen) Zeit im Sinne von 'Ehrenmann, Mann von Charakter' (vgl. frz. honnete homme), und bes. 'Mann von Welt und feiner Lebensart' (vgl. Gentilhomme, -—> gentil l, —»· Gentleman, —> Kavalier). Vereinzelt schon im späteren 17. Jh., v. a. auch dem Bereich erotischer Beziehungen in ihrer kulturellen Situierung und Stilisierung zugeordnet, bes. mit Bezug auf das Liebesverhalten weiblicher Personen für 'erotisch gefällig, anziehend, einschmeichelnd, erotische Gefühle erregend (und amouröse Erwartungen erfüllend)', insbes. 'verliebt, Liebeshändel betreffend, zu Liebeserlebnissen/-affären aufgelegt' (s. Belege 1723, 1751, 1799, 1903, 1952;^ erotisch, —>· frivol; vgl. amourös, —» Amouren), z. B. galante Verhältnisse, Gespräche, ein galantes Briefchen, in galanter Gesellschaft, ein galantes Rendezvous, jmdn. beim galanten Tete-a-Tete überraschen, galante und spröde Frauenzimmer, die galante Lady Milford und bes. heute noch galantes Abenteuer, galante Beziehungen, sowie v. a. (aus frz. dame/femme galante lehnübersetztes, heute nur noch historisierend verwendetes) galante Dame/Frau, eigentlich 'Frau von Welt, mit Geist und Bildung' (als Pendant zum Galanthomme, s.u.), meist jedoch pejorativ bzw. euphemistisch für 'Frau mit lockeren Sitten, Kokotte, Halbweltdame, Dirne, Hure' (s. Belege 1660, 1871, 1892; —* Dame le, —» Hetäre, —» Konkubine, —> Kurtisane, —> Mätresse), z. B. das Paradebett einer galanten Dame; häufig auch für 'die Liebe, das Verliebtsein betreffend, Erotisches oder Amouröses im Sinn, zum Gegenstand habend, thematisierend' (s. Belege 1711, 1880, 1947, 2001), insbes. im Bereich der Literatur und Poesie, z. B. galante Gedichte 'verliebte Gedichte' zur Bezeichnung eines Genres zweideutig-geistreicher, pikanter Rokokoliteratur und bes. galante Dichtung als Bezeichnung für die am frz. Vorbild des Preziösen orientierte Salon-
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und Gesellschaftsdichtung (1680—1720), die durch witzige und geistreich-frivole Behandlung erotischer Motive gekennzeichnet ist und neben Roman und Opernpoesie v. a. die poetische Kleinkunst bevorzugte (s. Belege 1721 — 22, 1967), vgl. auch höfisch-galanter Roman, galante Lyrik, galante Dichter, Briefsteller, Sonette, Epigramme, in der I.Hälfte des 18. Jhs. häufig in Buchtiteln (s. Beleg 1707); schon früh öfter auch (stark) pejorativ 'untreu, flatterhaft; verbuhlt, sexuell (ver-)lockend, liederlich, ausschweifend, anzüglich, schlüpfrig, frivol, obszön' (s. Belege 1701.3, 1748, 1828, 1861, 1924), z.B. galante Spiele, Zoten, galante Kurtisane und bes. galante Krankheit 'Geschlechtskrankheit' (s. Belege 1792, 1854, 1929); dazu die adv. Ableitung galanterweise 'aus Höflichkeit, Rücksicht (bes. Frauen gegenüber)', auch 'im Rahmen einer Liebesaffäre' (s. Beleg 1953). b Seit spätem 17. Jh. mit Bezug auf die phänotypische, äußere Erscheinung von Personen und die äußerliche Gestaltung ihrer Lebenswelt in der vereinzelt bis ins 20. Jh. belegten Bed. 'elegant, fein gekleidet, herausgeputzt, schön' (vgl. chic, —» Chic, —» elegant b; —» Gala a), z.B. galant gekleidet, geputzt, ein galantes Kleid, Tuch, galante Frisur, galante Erscheinung, eine schöne galante Person, im galanten Neglige, ein galanter Alamode-Offizier und auf Einrichtungsgegenstände bezogen 'elegant, geschmackvoll (aussehend, ausgestattet, eingerichtet)' (s. Belege 1696, 1767), z.B. galantes Bett, Zimmer, ein galant eingerichteter Salon, galant möbliert, dann auch allgemeiner (und gleichbed. alamodisch verdrängend, vgl. ä la mode) für 'fein, sehr modisch, gefällig' (s. Belege 1699, 1721-22, 1995), gelegentlich mit Bezug auf die (ästhetische, künstlerische) Gestaltung und Präsentation oder das Aussehen von etwas im Sinne von 'reizvoll, ansprechend dargeboten, graziös, anmutig, hübsch, reizend', selten auch 'geistreich-gefällig' (s. Belege 1744, 1812, 1816—17, 1830) und allgemeiner 'stilvoll, kunstfertig, formal/äußerlich glatt, technisch vollkommen, formvollendet; geschickt, gewandt' (weitgehend gleichbed. mit —> elegant a, s. Belege 1986, 2000), z.B. etwas galant präsentieren, behandeln, galant gearbeitet/geschnitten, eine galant aufgestellte, angelegte Sammlung, eine galante Darstellung; etwas in galanter Weise erledigen, bereinigen, (in paradoxer Umkehrung:) etwas galant umgehen, vermeiden und seit Anfang 18. Jh. speziell im Bereich der Musik bezogen auf eine leichte, freie und elegante Kompositionsweise für 'wenigöder freistimmig, solistisch (individuell) ornamentiert, zierlich im Ausdruck, verziert, schmuckvoll, stilisiert' (s. Belege 1700, 1721, 1816, 1838, 1871, 1987, 2001), häufig im Syntagma galanter Stil, galantes Rokoko '(weltliche) musikalische Stilrichtung der Vorklassik, die sich v. a. vom strengen, kontrapunktischen (geistlichen/ kirchlichen) Stil des Hochbarock absetzt und Qualitäten wie Grazie, Intimität, Zierlichkeit, Leichtigkeit, Gefälligkeit, Anmut, Kantabilität und starke Neigung zur Ornamentik betont', in Wendungen wie galante Miniaturen in pikanten Klangfarben, galante Konzerte, Komponisten, eine galante Sonate. Vgl. daneben im frühen 17. Jh. die aus gleichbed. frz. galant (ital. galante, engl. gallant) übernommene, seltene Personenbezeichnung Galant M. (-s; -s, auch -en), weitgehend gleichbed. mit —·· Galan (zu a) und —>· Beau, —»· Dandy (zu b). galant a: Schupp 1660 Corinna 25 Im Franckreich, da die rechte Schule der Civilität und Höflichkeit ist, nennet man sie [Hure] eine Maistresse oder eine Galante Dame; Grimmeishausen 1669 Simpl. 157 so dan keine politische Alamode Cavalliers
und gallante Dames, sondern nur . . langweilige Mönche, melancholische Pfaffen; 1684 Der Hof 16 [dass der König] bey dem Frauen-Zimmer galant, höflich vnd liebreich erschiene; Philologus 1685 Wider d. Deutschverderber 39 Ein galanter
galant Mensch ist eine aus viel Vortreffligkeiten zusammen gesetzte Person, als aus ich wciss nicht was, oder einer angebohrncn Anmuthigkeit, aus einer Hof-manir von guten Verstande, . . von Höflichkeit . . und von muntern Gemüht; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 359 galant und artig; ebd. 574 daß er ein Feind von der Hurercy sey/ und nur gerne mit Frauen-Volck umgehe/ polit und galant zu werden; 1701 Indianerin 26 ein galantes Weih von Adel, das ist die Schandhure, die man die geile Grete nennt; Menantes 1707 Die allerneueste Art zur einen und galanten Poesie zu gelangen (Titel); Conlin 1709 Närrinnen l 138 Dieser Samson wäre allzeit gallant geblieben, wann er kein Gallan wäre gewesen; Stranitzky 1711 Ollapatrida 291 Ich hätte nicht gemeinet/ daß sie schon so lüstern wäre/ 3. Tage lang kein galantes Wort von seinem Liebsten zu hören/ ist was grausames; Woltereck 1712 Holsteinische Musen 151 So macht es die galante Welt/ Mit den Lippen freundlich schertzcn/Wenn die Untreu in dem Herzen/ Schon vergnügte Tafel hält; 1718 Abentheuerl. Welt l 27 Man sitzet ietzt nicht mehr so müssig und still,/ Wann man das Praedicat: Galant [beim Umgang mit Frauen] verdienen will; 1721—22 Discourse d. Mahlern 42 Ich habe noch nichts gerühmt von ihrem Geist, sie hat ihn von der Art, welche trefflich gut ist ein Compliment zu schneiden, einen Roman oder Menantens verliebte und galante Gedichte zulesen; Wahl 1723 Poesie 9 Das Frauenzimmer hat immer gerne etwas lustiges und galantes, und bey Leuten, so nicht Studiret haben, abstrahirte man billig von allen gelehrten Grillen; Bertram 1728 Einl. 13 unter dem Namen der freyen Künste und schönen Studien, wie auch galanten Wissenschaften auszudrücken pflegen; Gottsched 1742 Versuch 475 habe ich mich genöthiget gesehen, zu der menantischcn galanten Poesie meine Zuflucht zu nehmen; Zachariä 1744 Renommist IV 23 zu scufzern ungewöhnt, fremd in galanter kunst,/ bewerb ich [Raufbold] mich um eines mädchens gunst? (DWB); Geliert 1748 Lustsp. 301 hr. Simon: ich sage es ihnen, wenn ich eine frau kriege, welche die gesellschaften nicht liebt, so will ich zwo maitrcssen ihr zum possen halten, frau Dämon: eine zu halten wäre schon galant genug (DWB); Rabener 1751 Mißbrauch d. Satiren 52 die Madame . . ist vorzeiten verbuhlt und fast ein wenig allzu galant gewesen; Kant 1764 Vorkrit. Sehr. H (Ges. Sehr. I 2,247) Im Alter singt der Franzose . . noch lustige Lieder und ist, so viel er kann, auch galant gegen das Frauenzimmer; Beckmann 1790-92 Erfindungen 111 465 Dieß ist das letzte Stück einer Encyclopädie der ehemals so genanten galanten Wissenschaften [vom Anfang des 18. Jhs.] . . Man wollte dadurch solchen Personen, die zu vornehm oder zu bequem sind, etwas mit einiger Mühe zu erlernen, wenigstens so viel
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von einigen nützlichen Wissenschaften beybringen, als nöthig ist, um wenigstens in Gesellschaft davon schwatzen zu können; Knesebeck 1792 Er. an Gleim (Pröhle 1889 Goethe 208) galante Krankheit [Syphilis beim Zug nach Frankreich]; Kortum 1799 Jobsiade 125 Auch zog sie noch manche heimliche Gewinnste/ Durch ihr schönes Gesicht und galante Künste/ Wenn etwa eine verliebte reiche Partie/ Sich besondcrlich bewarb um sie; Goethe 1800 Weiber (WA l 18,309) weil die Frauen sowohl bei uns, als bei unsern galanten Nachbarn, einer löblichen Freiheit genießen; Seume 1803 Spaziergang (W. l 411) Beim Abschied . . bat er sich noch eine Unze zum Geschenk . . aus: ich ungalanter Kerl zog mürrisch die Börse; Schlabrendorf 1804 Napoleon 207 Im Ameublemcnt herrscht ein solcher Luxus, daß das Paradebette einer galanten Dame jetzt oft mcht kostet, als ehedem das elegante Ameublement eines ganzen Apartements; Brun 1806 Episoden I 212 Dieser galante Ton (laß mich das veraltete Wort brauchen, da wir es im Deutschen nicht haben, wo auch die Sache immer seltner wird) mit den Frauen; Westenrieder 1828 München U 114 galante (zu deutsch schlüpfrige und schmutzige) Reden führen; Marianus 1832 Köm. Scenen 147 Ganz anders war Paul im Verkehre mit Damen,/ Da war er honorig, ja äusserst galant; Wolff 1841 Gesch. d. Romans 177 Frankreich war . . das Vorbild und das Galante das Höchste des Lebens; Droysen 1854 Yorks Leben I 339 da eine galante krankheit ihn [Bachelu] übel mitnahm (DWB); 1861 Allg. Mil.-Enc. IV 170 Er war ohne Kenntnisse, ausschweifend und fortwährend in zahllosen galanten Verwicklungen mit Frauen; Holtet 1863 Letzte Komödiant I 32 War es nicht die allerliebste galante Schauspielerin, die . . mich im Sturm und Brand eroberte? 1871 Grundzüge d. Gesellschaftswiss. 268 femmes galantes . . meist unterhaltene Maitressen, die andere Liebhaber zulassen, um ihre Einnahmen zu vermehren; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 71 Maria machte . . mit neuen Bekannten Ausflüge, die sie durch kleine „Flirts" würzte. Diese englische Erfindung war ihr äußerst sympathisch. Man wurde von galanten Aufmerksamkeiten umgeben, zeichnete irgend einen internationalen Kavalier aus; Proelß 1891 Modelle 15 Der Ankömmling . . verbeugte sich galant vor dem Fräulein; Harden 1892 Apostata N. F. 43 die . . Favoritin Chali in ihrer keuschen Perversität und alle die ändern galanten Dämchen der vorurtheillosen Maupassant-Welt; Schönaich-Carolath 1903 Dichtungen 4 Und Frankreichs Sohn spricht unverblümt pikant/ Von Aventüren, die meist sehr galant; Bierbaum 1910 Reife Früchte 64 der Herr . . ergriff das zarte Gewebe und überreichte es Madame mit einer Verbeugung, die zugleich ritterlich und galant, die beste Welt verriet; Wassermann
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1910 Masken 386 Er küßte ihr dankend und galant die Hand; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 811) Sie würden .. die Sache gesellschaftlich-leidenschaftlich gestalten, kurz hahnenmäßig. Das wäre gewiß sehr männlich . . und galant; Gründet 1929 Menschheit 159 an einer „galanten" Krankheit zu laborieren; Heilborn 1929 Revolutionen H 108 die Prostituierte als solche verliert ihr abstoßendes Ansehn und Betragen; sie unterscheidet sich, äußerlich betrachtet, in Kleidung und Benehmen nicht gar so sehr von der Dame; sie paßt sich dem Typ der „Freundin" galanter Zeitalter an, wird auch als „Freundin" bezeichnet; Lokal-Anz. 31. 8. 1931 ein Stück von Augier [wird] beanstandet . ., dessen Heldin der „galanten Welt" angehörte .. ein Frauenzimmer, das sich . . weit vom Pfad der Tugend entfernt [hat]; Gebauer 1932 Kulturgesch. 137 die . . weltmännisch Gebildeten, „Galanten" . . innerhalb des Bürgertums . . ahmten in der äußeren Lebensweise dem Adel nach; ebd. 142 f. „Galant" wurde das Hauptschlagwort der Gesellschaftsmenschen dieser Periode; es wurde von den allerverschiedensten Dingen gebraucht, denn es bezeichnete damals nicht nur das liebenswürdige Benehmen gegen Damen, sondern das Weltmännische und Moderne schlechthin, aber auch das Erotische und sexuell Lockende; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 197) Wenn man sich ihn in einer galanten [erotisch verfänglichen] Situation überhaupt nicht vorstellen konnte . ., so lag das an dem Harnisch von Reinheit, Keuschheit . ., der ihn umgab; Thieß 1952 Frühling l eine Frau der Münchner Gesellschaft . ., zu der er . . in galanten Beziehungen stand (DUDEN 1999); Böschenstein 1967 Idylle 35 Als Inbegriff höfisch-galanter, von der Natur bewußt sich distanzierender Poesie galten die Eklogen von Fontenelle; Bertololy 1970 Schrei o. S. korrekte Worte, verbindliche Phrasen, ohne je die Grenzen galanter Höflichkeit zu überschreiten; Danella 1989 Hotel 102 er war unterhaltsam und liebenswürdig, galant zu den Damen; taz 6. 5. 1994 Frauen über vierzig als „ältere Damen" zu bezeichnen, ist schlichtweg ungalant; Berl. Zig 12. 11. 2001 Der Holländer hat einen Wohnwagen. Der Franzose ist ein galanter Liebhaber, der Japaner fotografiert.
Shakespeare (S. Ill, 399) Doch ich denke, es sei alles eitel, so ein Held ist auch ein rauhes Ding. In jener Welt gilt nach meinen Ideen weder Held noch Gelehrt, weder Kaufmann noch Galant (DiBi 125); 1803 Br. f. d. Univ. 26 grosser Saal, angefüllt von Damen und Herren, Galants und Nongalants; Hillebrand 1876 England 242 Unter der Restauration . . hatte sich der Typus des bramarbasirenden Galants in Epauletten, wie er unterm ersten Kaiserreich geglänzt, Redouten und Weiberherzen erobert, einigermaßen verloren; Heine 1828 Reisebilder (W. u. Br. Ill 419) Der Engländer liebt die Freiheit wie sein rechtmäßiges Weib, er besitzt sie, . . und wehe dem rotgeröckten Burschen, der sich in ihr heiliges Schlafgemach drängt — sei es als Galant oder als Scherge; Zeit 19. 7. 1985 Ein delikates Bildrätsel voll ungeklärter Beziehungen und drängender Erotik. Eine Allegorie des venezianischen Hedonismus im frühen 16. Jahrhundert und zugleich die Inkunabel einer ganzen Gattung: Der Galant, der da vor den unbekleideten Damen die Laute zupft, wird 200 Jahre später, vorzugsweise im Komödiantenhabit, auf Watteaus Bildbühne wiedererscheinen; Mannh. Morgen 31.12.2003 Claudia Baier als kess-aufmüpfige Adoptivtochter. Die liebt . . nicht den reichen alten Heiratswerber Otto, ein trottelig-naiver Galant, von Christian Spratte meisterhaft gespielt. galanterweise: Zechlin 1935 Diplomatie 213 da diplomatische Pässe im allgemeinen galanterweise das Alter der Familienangehörigen nicht angeben; Süddtsch. Ztg. 18.4.1953 Eines schönen Tages wird sie dir galanterweise entführt werden; Zeit 29. 3. 1996 eine kleine Abfindung, die er ihr nach der Scheidung galanterweise anbot; Neue KronenZtg. 7. 4. 1998 Zu meiner Zeit hat es auch starke Frauen gegeben, aber die hat man galanterweise als „mollert" bezeichnet.
Galanthomme/Galant(h)uomo: Gryphius 1663 Horribilicribrifax 34 Coelestina. So muß mein Herz eines ziemlichen Alters seyn/ weil dieselbe Victori noch vor unser Großväter Zeiten erhalten ist? Horribilicribrifax. Ey es ist so lange nicht/ ich bin noch Assai Giovane e Galant huomo gagliardo, robusto e di buona natura, um sie meinen Galant: Henisch 1616 Teutsche Sprach 1340 Ga- Engel zu bedienen! (DiBi 125); Thomasius 1688 land/ homo scitus . . lepidus, bellus; Hille 1647 Monats-Gespräche 462 daß Aristoteles damahlen Palmenbaum 127 Wir Galanten, und bey den Daangefangen ein wenig der Pedanterey des Platons mes hoch meritirte Courtisanen (JONES); Stieler überdrüßig zuwerden/ und also mit aller Gewalt 1681 SekretariatKunst o. S. gallant . . Liebhaber/ ein galant homme seyn wollen; Abr. a S. Clara Betrieger; Volck v. Wertheim 1711 Brieff-Steller o. 1695 Judas VI143 das Kleid war von Sammet und S. galand ein Courtisan, Buhler; 1711 Neue Biblio- Seide, ein Lagei, aufs wenigst einer folgte ihm auf thek XV 397 das ist/ ein junger starcker und wohl- dem Fuß nach, der beste Klepper im Stall war ihm gewachsener galant, welcher an Schönheit der Sta- allezit zu Diensten, in Summa, als ein Galanthomo tue deß Apollinis nichts nachgegeben; Bräker 1780 konnte er bei allen Gesellschaften erscheinen (DiBi
galant 125); Mattheson 1713 Das Neu-eröffnete Orchestre, oder Universelle und gründliche Anleitung wie ein Galant Homnte einen vollkommenen Begriff von der Hoheit und Würde der edlen Music erlangen möge (Titel); Marperger um 1720 Reisen 27 sie könten in Teutschland dasjenige nicht lernen . ., was einem sogenannten galant homme qui a vu le monde, der die Welt gesehen hat, . . zu wissen nöthig ist/ es bestehen aber solche Künste, Wissenschafften und Exercitia in der Frantzösischen und Italiänischen Sprach, im Tantzen, Fechten, Reiten/ Voltigiren . . ferner in guter Conversation, und der Kunst zu complimentiren, mit Leuten höflich umzugehen, den Leib geschickt zu machen, die neuesten Moden und Lebens-Manieren wohl zu observiren; Rohr 1728 Zeremoniellwiss. l 4 wer sich in das Ceremoniel-Wesen wohl zu schicken weiß, wird als ein galant homme, ein politisch- und manierlicher Mensch gerühmt; Seume 1803 Spaziergang (Prosaschr. 272) Die Wirtin machte die Erklärung, man habe mich für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität logiert würde . . ein Galantuomo wie ich müsse mit Anstand bedient werden (DiBi 125); E. T. A. Hoffmann 1814 Fantasiestücke (Poet. W. / 424) Laß ab von mir! - ich will artig sein! ich will glauben, der Teufel sei ein Galanthuomo von den feinsten Sitten! (DiBi 125); Francois 1857 D. Posten d. Frau (Ges. W. IV 204) Sie machte lächelnd eine leichte, ihr Eheherr, gleichfalls lächelnd, eine tiefe Verbeugung gegen den Galanthomme, als der Kammerdiener eintrat und die bereithaltende Sänfte der Frau Gräfin ankündigte (DiBi 125); Heyse 1862 Andrea Delfin (W. 367) Ihr seht aus wie ein Galantuomo; aber wer ist noch rechtschaffen heutzutage? Von tausend einer, von hundert keiner (DiBi 125); 1928 HZ CXXXVH 105 der Zufall, welcher nach einem bekannten Wort oft ein „galant homme" ist; Buelow/Marx 1983 New Mattheson studies 204 Wende vom Leitbild des musikalisch interessierten Galanthomme zum Ideal des Musicus eruditus; Weimer/Jacobi 1991 Gesch. d. Pädagogik 89 Sein [Leibniz] Bildungsideal war das neue des zeitgemäß gebildeten Welt- und Hofmannes, der Galanthomme, wie man ihn in Frankreich nannte und wie ihn die absolut gewordenen Fürsten im Hofdienst, der Staatsverwaltung und im Heere brauchten. galant b: Pickelhäring 1685 Kleideraffe 181 diese war trefflich galant geputzet; Philologus 1685 Wider d. Deutschverderber 39 Das ist merklich, daß unsere Leute nur diejenigen gemeinglich galant nennen, so schone [!] nette Kleider tragen; Thotnasius 1687 Nachahmung 10 Aber ad propos was ist galant und ein galanter Mensch? Dieses dürffte uns in Wahrheit mehr zuthun machen als alles vorige, zumahlen da dieses Wort bey uns Teutschen so ge-
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mein und so sehr gemißbrauchet worden, daß es von Hund und Katzen, von Pantoffeln, von Tisch und Bäncken, von Feder und Dinten, und ich weiß endlich nicht, ob nicht auch von Aepffel und Birn zum öfftern gesagt wird; Stieler 1691 Stammbaum 619 Galant . . ornatus, comtus .. elegans; Abr. a S. Clara 1695 Judas IV 130 gschwind schafft der Herr Vater, daß man das beste Kleid herbey bringt. . . Wie nun der edle Junker also sauber und gallant aufgeputzt war, da ist ihm erst erlaubt worden zu der Tafel, und zu diesem köstlich angestellten Panquet zu gehen (DiBi 125); Reuter 1696 Schelmuffsky 17 eine . . schöne Stube .., worinnen ein über allemassen galantes Bette stund, und alles sehr wohl . . aufgeputzt war; 1699 (Marperger 1716 Beschr. d. Banken 285) galante Zeuge und dergleichen Waaren/ so wegen der Moden sehr veränderlich (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 78 galanten Concerten; Mattheson 1721 Orchestre 276 die allerberühmtesten und galantesten Componisten; 1721 — 22 Discourse d. Mahlern 42 suchet eine die andere an Geschicklichkeit zuübersteigen, um zehen oder zwanzig Faden so lange durch einander zuzeuhen, und zuverstricken, biß sie eine gewisse Forme kriegen, welcher man den galanten Titel der Spitzen ertheilt hat; . . eine galante Mode, die bey uns noch nicht gesehen worden; Gottsched 1725 Tadlerinnen I 73 Jenes [Wort galant] hat unsern heutigen Sprachmischern so wohl angestanden, dass sie es zu einem rechtem [!] Scherwenzel gemachet, der überall gelten muß. Man hört unter uns nicht nur von galanten Mannspersonen und galanten Frauenzimmer, sondern von galanten Hunden, Pferden, Katzen und Affen. Ein galantes Paar Stiefel ist unsern jungen Herren nichts neues; Zachariä 1744 Renommist III 407 es lege sich dein Haar in zierliche frisur . ./ doch zieh die stiefeln aus. Ist köpf und fuss galant,/ so siegt die miene leicht [in der Liebeswerbung] im massigen gewand (DWB); Hönn 1747 Lex. topogr. Vorr. o. S. Es regieret die Mode, und derselben Veränderung, in der gelehrten nicht weniger als in der so betitulten galanten Welt; Lessing 1767 Minna (W. l 2) Das Zimmer ist doch sonst galant und tapeziert; Beckmann 1784— 88 Erfindungen II o. S. Wenn einer Französischen Hofdame einfält, sich durch eine Art Parfüm auszuzeichnen, so riechen bald alle Damen de bon ton wie sie; — so kleidete sich das ganze galante Europa vor einigen Jahren couleur de Pompadour; Goethe 1812 Br. (WA IV 22,370) [die drei Reliefs des Tänzerin-Grabes in Cumä] so galant, gewandt und humoristisch erfunden und componirt; Türk 1816 Generalbaßspielen 70 In der freyen (galanten) Schreibart befolgt der Tonsetzer die grammatischen Regeln nicht immer so strenge; Goethe 1816-17 Italien. Reise (WA I 31,191) in seiner
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Galanteric
[des Professors] reichen, sehr galant aufgestellten [Vulkangestein-jSammlung; ders. 1830 Er. (WA IV 47,111) ist die Terrasse glücklich und galant-wissenschaftlich angelegt; Heyse 1838 Fremdwb. I 459 galanter Stil, Tonkfunst] . . weltlicher, entg. dem geistlichen od. kirchlichen; Wehl 1843 Berl. Wespen I 15 ein galanter Mensch mit Glaceehandschuhen und Manschetten (SCHEID); Sanders 1871 Fremdwb. l 420 Der galante Stil in der Musik, der leichte, ungebundne, gefällige — im Ggstz. zum streng gebundnen (der Kirchenmusik . .); Bierbaum 1910 Reife Früchte 57 f. Betten . . mit alten Meißner Figürchen umgeben, kleinen Kunstwerken, auf die das Wort einer galanten Kultur . . zutraf; T/7. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 151) herrje, die Damen! Bunt wie die Paradiesvögel . . und mächtig galant; Welt 23. 5. 1964 er ist mittelgroß, stets elegant gekleidet, und in dieser Eleganz ist etwas von der galanten Epoche vor dem zweiten Weltkrieg zu spüren; Mannh. Morgen 11.4. 1986 hat der . . Picasso-Intimus . . eine Blütenlese der
schönsten . . Blätter getroffen, indem er seine persönlichen Beziehungen zu Sammlern und Museen in aller Welt spielen ließ und deren konservatorische Bedenken galant zerstreute; ebd. 19. 3. 1987 vom Klavier aus leitete Susanne Stelzenbach das kleine Orchester. Filigrane Klänge in der Art des galanten Rokoko korrespondierten mit spätromantischer Elegie; 1995 FAZ o. Nr. Wenn er sich dabei [in der Bibliothek] seine galante Garderobe nicht beschmutzte . ., so war dies allein das Verdienst eines kleinen Hofbeamten; Berl. Ztg. 22. 9. 2000 kann man sich am Roulettetisch galant-elegant das Geld aus der Tasche ziehen lassen; Mannh. Morgen 30. 7. 2001 Die höfisch galanten Miniaturen in pikanten Klangfarben bildeten einen reizvollen Kontrast zum Bach-Koloss. Galant: Henisch 1616 Teutsche Sprach 1340 Galand/ homo . . elegans; Frisch 1719 Frz.-Dtsch. Wb. I 808 ein galant, der sich dem frauenzimmer zu gefallen immer zierlich heraus butzt (DWB).
Galanterie F. (-; -n), Ende 16. Jh. eventuell über ital. galanteria/span. galanteria entlehnt aus gleichbed. frz. galanterie (zu galant, —> galant), anfangs selten auch in der eindeutschenden Form Galanterey. a Im Bereich der aristokratisch geprägten, höfischen Geselligkeitskultur des Barock und Rokoko zunächst v. a. 'dem Kodex der vornehmen Gesellschaft entsprechender, von feinem Geschmack zeugender eleganter Lebensstil mit der Kultivierung alles Modischen (vgl. b), des urbanen gesellschaftlichen Lebens der höfischen (galanten) Welt, mit all ihren der Zerstreuung oder der Eitelkeit/Gefallsucht dienenden Amüsements (oberflächlich-unverbindliche, geistreich-witzige, komplimentierende Unterhaltung, Tändeleien und gezierte, frivole Liebesspiele usw.)' (vgl. Eleganz, —* elegant b) und insbes. in der heute üblichen Bed. 'sich in gefälligen Umgangsformen/ Manieren ausdrückendes, höfliches, zuvorkommendes Verhalten, galantes Benehmen, aufmerksames, rücksichtsvolles, kavaliersmäßiges Betragen, Liebenswürdigkeit (bes. gegenüber dem weiblichen Geschlecht); Wesen und Handeln des Galanthomme' (—» galant a, —» Politesse, —> Courtoisie), z.B. Galanterie und Artigkeit, seine Galanterie verbot ihm, das Alter der Dame zu verraten, er verbeugte sich mit weltmännischer Galanterie, auch 'Vornehmheit; Vornehmtuerei', gelegentlich negativ konnotiert mit „(übertrieben) affektiert, geziert; eitel, nichtssagend" (s. Belege 1687.2, 1898); speziell im Pl. bezogen auf einzelne Handlungen oder Äußerungen auch für '(ritualisierte) galante Gesten und Gebärden, Komplimente, Aufmerksamkeiten, höfliche Floskeln, Schmeicheleien (auch als Annäherungsversuch)' (s. Belege 1748, 1816-17, 1860, 1887, 1951, 1990), z.B. einer Frau Galanterien sagen, sich Galanterien herausnehmen, k(l)eine Galanterien wagen, leere, fade Galanterien, er näherte sich mit übertriebenen Galanterien, mit Galanterien glänzen, aufwarten, und ebenfalls meist im Pl. häufiger für 'amouröses Abenteuer, Liebschaft, Liebeshändel' (s. Beleg 1834, 1915, 1998), oft eher pejorativ 'Buhlerei, Hurerei, Ehebruch, Prostitution' (vgl. Koketterie; s. Belege 1688, 1702, 1731, 1750), z.B. er war stets auf Galanterien aus, die Galanterien der Könige von Frankreich, Galanterien und
Galanterie
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Buhlereien, Galanterien, Abenteuer und Liebschaften, die Galanterien Wiens; Weibergalanterie; Galanterieschwester, -fräulein 'Dirne'; daneben etwa gleichzeitig euphemistisch bzw. abwertend für 'Geschlechtskrankheit' (vgl. galante Krankheit; s. Belege 1684, 1713, 1715, um 1805), auch in der pleonastischen Zs. Galanteriekrankheit. b Etwa gleichzeitig mit Bezug auf die materielle Kultur und höfische Lebenswelt bes. der Alamode-Zeit in der Bed. "gepflegtes, modisches äußeres Erscheinungsbild, vornehme Aufmachung; feines, vornehmes Auftreten, Gebaren' (—> galant b, —+ Gala, vgl. Eleganz, —f elegant b), z.B. die Galanterie (in) seiner Garderobe, (in) seiner Konversation (zeigen), auch im künstlerisch-ästhetischen Bereich 'eleganter Stil, geistreich-gefällige Machart, Kunstfertigkeit' (s. Beleg 1797) und (bes. in der Kochkunst) 'geschmackvolles Beiwerk, kunstvolle, künstliche Verzierung; prunkvolle Dekoration, hübsches Arrangement' (s. Belege 1652, 1719, 1729.1, 1809), z.B. mit Galanterien geschmückt/verziert; Galanterie-Speisen, auch '(literarische, bildliche) Darstellung einer frivolen, pikant-erotischen Situation oder Szene' (s. Belege 1682, 1801, 1995); selten übertragen auf Abstrakteres, vereinzelt auf Sprache bezogen für 'Ausdruckskraft, Wohlgeformtheit, (Rede-)Schmuck' (s. Beleg 1693) und bis heute in der Musik 'melodische Zierfigur, Ornamentik; Zierlichkeit des (musikalischen) Ausdrucks' (s. Belege 1713, 1988), sowie für entsprechende kleine Musikstücke (Klavierstücke, Tänze, Menuette) selbst (s. Belege um 1730, 2000), z. B. ornamentale Galanterien komponieren; Galanteriestück. Seit spätem 17. Jh. als kollektiver Sing. bzw. meist im Pl. bezogen auf Gegenstände, die zur Mode und feinen Lebensart gehören, für 'Mode-, Putz- und Schmuckware(n), Zierrate, Nippsachen (z.B. als Geschenk eines Kavaliers, Liebesgabe); modisches Zubehör (zur Kleidung)' (-* Accessoires; s. Belege 1681, 1683, 1691, 1699, 1707, 1729.2, 1768), häufig als Bestimmungswort in (meist veralteten) Zss. wie Galanteriearbeit, -kram, Galanteriedegen 'zur Gala gehörender kleiner, kurzer Zierdegen', -wagen, -boutique/-bude/ -laden/-geschäft, -Handel, -händler/-krämer und bes. in verdeutlichendem Galanterieware(n), vgl. mehrgliedrige Zss. wie Galanteriewarenhandlung, -handler, -bude. Galanterie a: Albertinus 1599 Sendtschreiben 72a Item wann das Tantzen . . auß Hoffart vnd zur erzeigung der Galanteria vnd Geschicklichkeit . . geschieht; Hock 1601 Blumenfeld 132 Frawenzimmer zart,/ Reden Waelsch vnd Latein nach art,/ Deutsch zur Galantercy,/ Nicht kleckt wie gutt es sey; Borne 1641 Consultant) Gla [dass] ja hand und fuß gekiisset wird, .. welches vor eine grosse galanterie . . gehalten wird; Riemer 1684 Passagier o. S. an der Frantzösischcn galanterie [Syphilis] gestorben; ebd. 250 mit einer geldsüchtigen Galanterie-Schwester [Dirne]; Nehring 1687 Manuale o. S. gallanterie . . Arthligkeit/ . . Hoefligkeit (JONES); Thomasius 1687 Nachahmung 33 jedoch es mangelt bey dem Frauenzimmer auch nicht an vielfältig affectirter Galanterey; ders. 1688 Monats-Gespräche 26 in denen Romanen theils honnete LiebesGeschichten/ theils auch scheltens würdige Galanterien; ders. 1696 Ausübung d. Sittenlehre 203 ein Philosophus urtheilet nicht nach der galanterey des Hofes/ und denen gemeinen Vorurthcilcn; Cile-
mont 1702 Kriegs- u. Staatsrat I 216 diese Galanterie (oder wie man es in Teutschland nennet/ öffentlicher Ehebruch); Elis. Chart. 1713 Br. II 350 Wen Ewer neuveu nur die kleine gallanterie hatt, were es beßer, als brustwehe; aber hatt er die große, ist es . . sehr gefahrlich vor daß leben; dies. 1715 Br. H 512 dießer ambassadeur hatt zu Marseillen mit seiner gallanterie die pocken bekommen, ist also gar frantzösch in Franckrcich worden; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 48 Ist das galant, Tobac zu rauchen? Sie verachtet ihn dergestalt/ und glaubt/ es sey blosserdings eine Soldaten-Übung/ und nicht eine Studenten-Galanteric; Rohr 1729 Zeremonielliviss. II 383 es fehlt ihm aber an einen oder ändern Hof-Manieren, an der Politesse und Galanterie; Biantes 1731 Historicus 2 in Galanterie gezeuget [außerehelich]; Geliert 1748 Lustsp. 294 ich habe . . eben diese galanterie gegen eine marquisinn in Paris gebraucht (DWB); Bodmer 1749 Neue krit. Br. 377 Galanterie . . [ist] die Kunst den Frauenspersonen aus bloßer Höflichkeit zu verste-
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Galanterie
hen zu geben, daß man gewisse Empfindungen geLande der Galanterie par excellence; Werfel 1931 gen sie hat, welche man nicht verspürt; 1750 Voss. Geschwister 323 Er half ihr mit umsichtiger GalanZtg. Nr. 14 Da nun eine gewisse Kupplerin ein terie in den Waggon; Feuchtwanger 1951 Goya 27 Mädgen von 12 Jahren weggecapert, und zur Gadaß die Aufmerksamkeiten, die er der schönen Lulanterie angewiesen, so wurde dieselbe gefänglich cia sagte .., zuweilen mehr waren als die üblichen eingezogen (SCHEID); 1769 Harzmagazin 529 Galanterien; Strittmatter 1983 Laden 18 hineinfährt [das Frauenzimmer] fort über den Galan . . krabbeln in den Wagen muß sie ohne Hilfe; soweit entzückt zu seyn, zu hüpfen und ferner seinen geht die Galanterie meines Großvaters nicht; taz Thorheiten die Hände zu bieten, so ist sie ganz 7. 3. 1990 nach einigen poetischen Galanterien, die gewis auf der ersten Stufe zum Eingange eine Gaich ihr .. gemacht; Mannh. Morgen 31.7.1998 lanterieschwester zu werden; Goethe 1795—96 Mark McClain läßt Casanova in anmutiger ChoLehrjahre (WA / 21,305) da er seiner Natur nach reographie . . Scherpen und spitze Büstenhalter lövon aller leeren Galanterie weit entfernt war; Her- sen, Galanterie mit Leidenschaft verbinden. der vor 1803 S. W. XXI115 Politesse oder Galanterie (KEHREIN); um 1805 Modenmagazin I 384 Galanterie b: Wallhausen 1617 Picquenhandlung praktisches Handbuch der medicinischen Galante13 So jhm dann gefaeilig einige gallanterie oder riekrankheiten; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. Toure zuthun (JONES); 1652 Trincir-Buch 210 Die (WA I 27,60) Alle Galanterie freilich, wenn sie Schüsseln waren/ wie auch in den ändern Gängen/ nicht als Blüthe einer großen und weiten Lebensregaliret und aufs herrlichste mit Blumen und derweise . . hervortritt, muß beschränkt, stationär gleichen Galanterien umbstecket und bestreuet; und . . albern erscheinen; E. T. A. Hoffmann Stieler 1681 SekretariatKunst o. S. gallanterie . . 1815-16 (S. W. II136) indem ich mich oft in ihren Baender und ander Spielwerk (JONES); Morhof [den Hofdamen der Fürstin] Kreisen bewegte, ge1682 Unterricht 773 Carmina, deren jedes Wort lang es mir bald, diejenige wunderliche Weltbilvon einem Buchstab anfanget/ welche Sandius . . dung zu erhalten, welche man Galanterie nennt, vor unmöglich hält/ die aber dennoch von vielen und die in nichts anderm besteht, als die äußere gemacht/ und andere Münchgalantereyen/ sein Sakörperliche Geschmeidigkeit . . auch in die Unterchen die man vor die lange weile bißweilen lieset/ haltung zu übertragen. Es ist die sonderbare Gabe, darin aber eine schlechte Kunst stecket; 1683 Leierüber Nichts mit bedeutenden Worten zu schwatmann 105 [eine Frau hat einen Galan] Der Mann zen, und so den Weibern ein gewisses Wohlbehafragte . ., woher sie die stattlichen Galanterien gen zu erregen; Goethe 1816—17 Italien. Reise [Geschenke wie Schmuck, Kleider] bekäme?; Fer(WA l 32,254) Auch kommen die Quacqueri zu ber 1686 Reisebeschr. (Paris. Bibl. CXLVII 213a) Schaaren, um ihre Galanterien [übertriebene, beAuff dem umgange der Börse werden allerhand gaflissene Gesten] freier anzubringen. Sie haben ein lanterien verkaufft (SCHEID); Stieler 1691 StammManöver, welches jeden zu lachen macht; Lamobaum 619 Galanterey/ elegantia, ornatus, res luthe-Langon 1834 Galanterien, Abentheuer und dicrae, bellaria . . Galantereyen . . donationes reLiebschaften einer jungen Dame vom Stande rum minutarum, elegantium; Weise 1693 Curiöse (Übers.) (Titel) (SCHEID); Mahler 1860 Milit. BilGedanken II 57 wir sehen es, was in Italien vor derbuch 18 Komische Muse, danke dem Vater Zusammenkünfte fast in allen Städten gehalten Zeus, daß Du ein Weib bist, und wenn auch nicht werden, darinne man vornehmlich um die galanteauf viele, so doch einige Galanterien der Herren rie der spräche bekümmert ist (DWB); Gerber Kritiker rechnen kannst; Hillebrand 1874 Frank1699 Unerk. Sünden 579 galanterien, spitzen, putz reich 50 f. Auch die Galanterie der Franzosen trägt und andere hoffartsstücken (DWB); Chilemont zum Reiz des gesellschaftlichen Lebens bei; Rolef 1707 Kriegs- u. Staatsrat III173 die schönsten Galanterien, . . die . . mit allerhand Edelgesteinen ver1887 Reisebr. 95 Wer dieses Ballgespräch . . durchsetzten Uhren; Marperger 1711 Beschr. d. Messen liest, findet darin nur gewöhnliche, fade Galantel 386 Galanterie-Händler; ebd. 394 kurtze und Garieen, die ein Spanier einer Dame macht; Kerr 1898 lanterie-Waaren (SCHIRMER, KaufmannsspraBr. a. d. Reichshauptstadt 389 Die Galanterie, das che); Mattheson 1713 Neu-Eröffnete Orchestre heißt diesmal die ängstliche, verhätschelnde Rück173 Galanterien [melodische Zierfiguren in der sicht, hat fortzubleiben; zur Megede 1911 Quitt 33 Musik]; Hagger 1719 N. Saltzb. Kochb. II 83 Er küßte mit altmodischer Galanterie Frau Donat die Hand; Schmilz 1911 Brevier 141 Der Ausdruck Fisch- und Fasten-Sultz/ von allerhand Farben/ und Galanderie-Speisen; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II der Ritterlichkeit ist die Galanterie; Th. Mann 103 Die Galanterie-Speisen oder Figuren stellen 1915 Reden u. Aufs. (W. X 91) folglich der Kronprinz in seinen Galanterien mehr einen eitlen bißweilen allerhand Götter aus dem Heydenthum vor, die sich zu jedem Festin schicken, sie sind zu Ruhm sucht als eine sündliche Neigung; ders. 1925 Zeiten einige Schuh hoch, und werden unter die Reden u. Aufs. (W. X 196) in Frankreich, dem
Galaxie Confecturen mit gesetzt; ebd. 149 die MorgenGabe [Hochzeit] . . bestehet . . in den allerkostbarsten Galanterien, Kleinodien und Jubelen; ], S. Bach um 1730 (Musik in Gesch. u. Gegenw. Ill 988) Ciavier-Übung . . Praeludien, Allemanden . . Sarabanden, Giguen, Menuetten, und andere Galanterien; Weisse 1768 Eeytrag (III 309) dass ich ihn zum Vertrauten von einer solchen kleinen Galanterie [Geschenk als Liebeszeichen] mache; 1786 Journal d. Moden l 360 mit dem Tross der Galanteriehändler, Modenschneider, Friseurs und Putzmacherinnen; Goethe 1797 Cain (WA I 47,95) Kunstwerke, die durch Verstand, Witz, Galanterie brilliren; Schütze 1800 Handwb. f. Schauspieler 27 Auch kann hier [am Theater] Kunst die Natur ersetzen mit Hülfe der Galanteriehändler, welche tüchtige aber falsche und künstliche Lenden und Waden [für die Schauspieler] feil haben; Goethe 1801 Br. (WA IV 15,170) Das kleine Drama .. nebst einer englischen Übersetzung desselben . . und dem Kupfer . . hätte, in eins gefaßt, und splendid gedruckt und mit einigen Scherzen und Galanterien noch verziert, einen artigen Artikel gegeben; 1809 Hatnb. Kochb. 319 kleine Pasteten oder andere Galanterien, womit man die Schüssel belegt;
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Sternberg 1836 Galathee 69 ein Mann, der schon mit dem Galanteriedegen an der Seite, dem Hut unterm Arm zur Welt gekommen ist; Schmidt 1878 Lenz 76 Sie [Dichter] führen als Waffe statt des Galanteriedegens das plumpe Brotmesser; Tb. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 417) Ratsdiener, . . welche in Gala, mit Dreispitz, weißen Reithosen, gelben Stulpen und Galanteriedegen erschienen; Werfet 1924 Verdi 238 Fabriken, die all die tausend kosmetischen Artikel herstellen, die Galanteriewaren, diesen unsinnigsten Zweig der Wirtschaft; Tb. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1266) warf er beim Absteigen von seinem Galanteriegefährt die gewohnten Fragen hin; Bad. Ztg. 20. 11. 1965 In den Schaufenstern waren „Galanteriewaaren" ausgestellt; taz 14.9.1988 Das flott musizierte Trio W. F. Bachs ergießt sich in zeittypischer „Galanterie"; 1995 FAZ o. Nr. Hier finden sich Chinoiserien mit blauen Blumenornamenten unter der Glasur oder Galanterien wie der Mönch, der ein Mädchen . . ins Kloster schmuggelt; Berl. Ztg. 29. 5. 2000 Wilhelm Friedemann Bachs delikat ornamentierte Galanterien bildeten den Schlusspunkt des Konzertes.
Galaxie F. (-; -n), seit Anfang 15. Jh. selten, erst im Zusammenhang mit dem Fortschritt von Astronomie und Astronautik sowie der Erforschung des Weltalls seit der 2. Hälfte des 20. Jhs. kontinuierlich bezeugte gelehrte Entlehnung aus mlat. galaxia(s) 'Milchstraße' (< lat. g Manschette, sofern Gamasche kurz für Handgamasche steht). Seit Mitte 19. Jh. gelegentlich die veraltete subst. Ableitung Gamaschentum N. (-s; ohne PL) 'Pedanterie (im Soldatenwesen); Militarismus' und die adj. Ableitung gamaschenartig. Gamasche: Messerschmid 1615 Spelta's Narrheit U 157 als dann legen sie Gammachen, oder zugeschnierte wüllin Strimpff darüber; Martin 1637 Parlement 331 Gamaschen; 1742 (1852 Zs. d. hist. Ver. f. Mieders. 203) Ein Winterkleid aus Rock, Camisohl und Hose bestehend . . nebst ein Paar Castornen Camachen, wobei l Paar englische seidene Strümpfe; König 1745 Ged. 201 Hier war ein schwarzer Hut, hier wählte man Kamaschen,/ Mit Silber den bebrämt, und diese weiß gewaschen; Eisenberg 1746 Reitschule 9 Camaschen, Afterstie-
feln, Stiefeletten . . sind eine Art von Stiefeln, deren man sich auch zum Reiten bedienet, und darin unterschieden, dass der Schaft und die Stulpe an einer Seite offen sind, und durch Haftel oder Knöpfe wieder zusammen gezogen werden, . . und dass kein Schuh daran ist; Heppe 1779 Jäger 118 müssen selbige [Holzbauern] derohalben starke lederne Handschuhe und Camaschen anhaben; Frank 1783 System d. medicin. Polizei III 775 Die allzuengen Kamaschen, und besonders die Faschinen, oder falschen Waden . . sind der Gesundheit sehr schäd-
Gang lieh; 1792 Journal v. u. f. Deutschland II 638 Stiefeletten, die man noch an einigen Orten Camaschen nennt; Knigge 1792 Reise 288 Dieser war ganz ein Mann nach des Herzogs Wunsche; strenge, pedantisch, ein Gamaschenheld, der von untenauf gedient hatte, und seine Untergebenen wie Sklaven behandelte; Fischer 1804 Bergreisen I 47 einem Paar Camaschen von Tuch oder Leder; Seume 1805 Er. a. Böttiger (Planer u. Reißmann 534) und unseretwegen wird sich sodann schwerlich ein Gamaschenknopf in Bewegung setzen (SCHÖPFE); 1813 Knaffl-Hs. 159 grob gestrikte wollene Kamoschen; Görres 1819 Teutschland 166 als sich bald ergeben, daß derselbe Mechanism, in dem die Verfassung erstarrt, auch in nichtigem Kamaschendienst und eiteln Paradekünsten Geist und Muth verkrüppelte; Zimmermann 1834 Harzgebirge 9 Dazu gehören kurze Gamaschen, am besten von gutem leichten ungeschwärztem Kalbleder, damit Rollstein, Grand und Sand nicht in die Schuhe fallen. Eine kühlere Fußbekleidung gewähren leinene Gamaschen, und ich empfehle sie allen, welche beim Gehen leicht an Erhitzung und Brennen der Füße leiden; 1836 Album d. Boudoirs 22 kastanienbraune Kamaschen mit Sohlen; Heine 1844 Wintermärchen (W. u. Er. I 478) Das Mittelalter, immerhin,/ Das wahre, wie es gewesen,/ Ich will es ertragen — erlöse uns nur/ Von jenem Zwitterwesen,/ Von jenem Kamaschenrittertum,/ Das ekelhaft ein Gemisch ist/ Von gotischem Wahn und modernem Lug,/ Das weder Fleisch noch Fisch ist (DiBi 125); Lubojatzky 1854 Amselpfiff 41 Obwohl ich, sprichwörtlich zu reden, vor dem Generale höllische Gamaschen hatte (SANDERS DWB); Beitzke 1854—55 Freiheitskriege l 513 Im preuß. Heere hat . . eine unverhältnismäßige Werthlegung auf Gleichförmigkeit u. Straffheit . ., mit einem Worte eine gewaltige Kamasche geherrscht (SANDERS 1871); Kossak 1855 Stereoskopen 72 der Mangel aller Gamaschenknechtschaft; 1861 Allg. Militär-Enc. IV 394 Die Uniformirung . . besteht aus Turban, Jacke, Gamaschen und kurzen . . Ho-
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sen; Derblich 1895 Militärarzt I 114 ein Anhänger des damals noch in der Blüthe gestandenen Gamaschendienstes zu sein; Th. Mann 1900 Erz. (W. VIII 191) er trug ein buntes Hemd und eine graue Jacke darüber, Sportgamaschen und das keckste Mützchen der Welt; Höcker 1910 Sonne 85 Er hatte ein Taschentuch im reinen Schnee gewälzt, legte es als Umschlag um den Knöchel und benutzte dann die Wickelgamasche als Bandage; Dombrowski 1925 System IV 175 junge Leute in kurzen Sammethosen und Wollgamaschen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 527) gekleidet in wohlgebügelten englischen Flanell mit hellen Gamaschen über den Lackstiefeln; Lenz 1985 Exerzierplatz (W. X 645) der Mann in der grünen Uniform nickte mir zu, er trug Wickelgamaschen und geflochtene Schulterstücke; Presse 25. 1. 2000 Skistöcke sind auch mitzubringen, Gamaschen können bei tieferem Schnee von Vorteil sein; Berl. Ztg. 24. 7. 2004 wobei in dieser Saison die weißen Gamaschen zu bewundern sind, die übrigens ausgezeichnet mit den weißen Kragenschleifen harmonieren; Hamb. Morgenpost 8. 4. 2006 Die Anzüge . . kosten um die 450 Euro, alle Hemden 90 Euro. Dazu gibt es einen Fundus todschikker Accessoires: Manschetten, Krawattennadeln, Tücher und Gamaschen. Gamaschentum: 1860 Leipziger Ztg. 5268a wie denn überhaupt im sardinischen heere alles unnütze kamaschenthum sehr vermieden wird (DWB); Frankf. Ztg. 12. 4. 1864 [die preußischen] Armeereglements . . sind nämlich vortrefflich für den Exercierplatz und die Kaserne, aber nur nicht für den Kriegsfall berechnet. . . Es rächt sich jetzt an der preußischen Armee das ihr durch die Junker aufgezwängte Kamaschenthum; Fontäne 1882 Wanderungen (S. W. XII 392) Naturen, die man als doppellebig, als eine Verquickung von Derbheit und Schönheit, von Gamaschentum und Faltenwurf, von preußischem Militarismus und klassischem Idealismus ansehen kann. (DiBi 125); Huret 1909 Berlin 237 das preussischc Gamaschentum.
Gang F., auch M. (-; -s), im späten 19. Jh. vereinzelt, seit Anfang 20. Jh. kontinuierlich bezeugte Entlehnung aus gleichbed. amerikan.-engl. gang (< mitteWaltengl. gang, eigentlich 'das Gehen, Art und Weise des Gehens, Gang', vgl. nhd. Gang, dann übertragen 'gemeinsamer Weg zu einem bestimmten Zweck; das gemeinsame Handeln einer (organisierten) Gruppe; Trupp, Arbeitskolonne'), gelegentlich auch in der engl. Kleinschreibung. a Zunächst oft noch auf amerikan. Verhältnisse bezogen, dann allgemeiner in der Bed. Organisierter Zusammenschluss, Ring von Verbrechern, Kriminellen' (—»· Bande 1 , —·· Clique, —» Clan b, vgl. Syndikat), in Wendungen wie er hat Beziehungen zu einer Gang in Chicago, Mitglieder einer Gang hatten ihn entführt, als Grund-
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Gang
und Bestimmungswort konkurrierend mit -bände/Banden- in Zss. wie Auto-, Großstadt-, LKW-, RAF-, Rauschgift-, Straßenräuber-, Terroristen-, Verbrecher-Gang; Gangkriminalität, -krieg, -milieu, -mitglied, -morde, -razzien, -rivalitäten, -schießereien, -Schlägereien und (aus engl. gang-leader übernommenes) Gangleader/GangLeader, dafür auch teillehnübersetztes Gangführer und Gangchef 'Anführer einer Gang' (vgl. auch b); seit den 50er/60er Jahren des 20. Jhs. häufiger auch '(klein-)kriminelle Straftaten, bes. Diebstähle verübende Bande Jugendlicher' (s. Belege 1963.1, 1963.2, 1990, 1997, vgl. Kindergang) und speziell '(Rand-)Gruppe, Bande von (verwahrlosten) Jugendlichen, die sich von der Gesellschaft nicht akzeptiert oder ausgestoßen fühlen, sich aus ihr zurückziehen und (daher) sozial abweichendes Verhalten entwickeln und häufig (in Horden) gewalttätig und straffällig werden' (s. Belege 1957, 1958, 1975), z.B. eine Gang von Rockern zerschlagen, die Gang hatte regelmäßig Schülern auf dem Heimweg aufgelauert; Halbstarken-, Kiez-, Motorrad-, Rocker-, Skinhead-, Street-/Straßen(-kinder)-Gang. Dazu seit Anfang 20. Jh. aus gleichbed. amerikan.-engl. gangster entlehntes Gangster M. (-s; -, früher auch -s), oft auf amerikan. Verhältnisse bezogen, zunächst vereinzelt 'Schmuggler' (s. Belege 1933, 1935), dann v. a. 'Mitglied einer organisierten Bande von (Schwer-)Verbrechern' (s. Belege 1947, 2004), aber schon früh auch 'krimineller Einzeltäter' (s. Beleg 1934; —> Bandit, —»· Ganove), z. B. ein berüchtigter Gangster, schwerbewaffnete Gangster, Gangster sind in die Bank eingebrochen, haben den Geldtransporter überfallen, diese Gangster sind zu allem imstande, mit Gangstern und Banditen verkehren; Gangsterbande, -boss-, -braut, -chef, -film, -kämpf, -krieg, -könig, -limousine, -methode, -ring, -stück 'üble, schurkische Tat, Handlung', -Syndikat, -trio, -unwesen; Auto-, Drogen-/Rauschgift-, Geisel-, Gentleman-, Italo-, Kinder-, Klein-, Mafia-, Möchtegern-, Nobel-, Ober-, Profi-, Syndikats-, Taxi-, Tunnel-, U-Bahn-, Untergrund-, Vorstadt-, Zwanziger-Jahre-Gangster; auch übertragen verwendet mit polemischem Bezug auf einzelne (führende) Persönlichkeiten v. a. in Politik und Wirtschaft, denen zusammen mit Gewissenlosigkeit und Gerissenheit verbrecherische Methoden und Ziele unterstellt werden (s. Belege 1937, 1942, 1946, 1959; — Ganove, — Halunke, vgl. Gauner, Schurke], z.B. Aktionärs-, Business-, Finanz-, Gewerkschafts-, Polit-, Umwelt-, Wallstreet-, Wirtschaftsgangster. Daneben in jüngster Zeit Gangster (-Rap), meist in der selbstbewusst-provokanten (mangelnde Bildung oder nur Gruppenzugehörigkeit zur Schau stellenden) Fehlschreibung Gangsta(-Rap), als Bezeichnung für ein Subgenre des Hip-Hop, das Gewalt, Drogen und Diskriminierung im Leben einer Gang oder eines Gangsters thematisiert, in Zss. wie (Hardcore-Techno-)Gangsta-Rapper/-Rappa, -groove, -szene, -Look, -mutze; Hip-Hop-, Rapp(er)-, Techno-, Wannabe-Gangsta/Gangster. Dazu seit früherem 20. Jh. die subst. Ableitung Gangstertum N. (-s; ohne PL) 'Verbreitung, Vorkommen von Gangstern (in Ländern, Städten); das Tun und Treiben von Gangstern, Gangsterunwesen, Verbrechertum' und vereinzelt Gangsterei F. 'krimineller Akt, Straftat, Verbrechen; Schurkerei, Gaunerei; Betrug'. b Seit den 50er Jahren des 20. Jhs. unter Rückbezug auf die ursprüngliche, etymologische Bedeutung auch allgemeiner und oft konnotiert mit „rau, hart, zwielichtig, verbrecherisch" in der Bed. '(organisierter) Zusammenschluß, verschworene Zweckgemeinschaft, Gruppe von Personen (bes. Musiker, Sportler, Politiker, ethnische, weltanschauliche u.a. Interessengruppen), die zusammen auftreten, arbeiten oder
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gemeinsame Interessen vertreten' (—» Clan b, —» Clique), z.B. eine Show der amerikanischen Beat-Gang; Basketball-, Biker-, Blues-, Bush-, Joschka-Fischer-, Kicker-, Kultur-, Kunst-, Nazi-, Polen-, Rap(per)-, Rentner-, Rumänen-, Skater-Gang; GangPlatte, -Produzent, -Lieder, (engl.) Gangsystem 'Form der organisierten Arbeit in der Landwirtschaft' und Gangleader 'Kopf einer Band; Wortführer, Sprecher einer Gruppe' (vgl. auch a). Gang a: Brentano 1883 Christi.-soziale Bewegung 39 es zeigte sich, daß das System [Ausbeutung weiblicher Arbeitskräfte durch Hungerlöhne und Prostitution] in jegliche Art von Erwerbsarbeit im Land Eingang fand. Selbst auf den Ackerbau fand es in dem „Gang-system" Anwendung; Duimchen 1902 Mittel 35 [dass er] in anderthalb Jahren in Wallstreet sein ganzes Geld wieder verlor und bald darauf als bezahlter Wahlagitator Tweeds bei einem Zusammenstoß mit einem [!] feindlichen 'gang' erschossen wurde; White 1913 Sieben große Staatsmänner (Übers.) 264 wurden in manchen Gegenden zu Banditen, die sich ihrer Gewalttaten und Morde rühmten, wie es die „Banden" (gangs) in einigen unserer grossen heutigen amerikanischen Städte tun; Prange 1915 Deutschlands Volkswirtschaft 15 Die „Scheußlichkeit" (Jentsch) der „Gangs" war 1860 noch nicht abgestellt. Am furchtbarsten waren die Kindergangs; Heberle 1929 Mobilität 198 in der Tat sind gerade die mächtigen Gangs, z. B. in Chicago, um einen Kern sehr seßhafter Bürger gruppiert. Dieses organisierte Verbrechertum wächst . . häufig aus Spielkameradschaft; Berl. Illustr. Nachtausg. 3. 1. 1935 sind die Vernichtung der Gangs von Dillinger, Floyd, Bailey und Nelson vorübergehende Erscheinungen . . Jawohl, John Dillinger, dieser Hauptvertreter der Unterwelt, ist tot; Münch. N. N. 27. 10. 1944 Seine Jagd auf die Gangster . . trug ihm den Namen eines „Gangbuster" ein; Spiegel 4. 1. 1947 Ein besonders regierungsfeindlicher [!] Auto-Gang in Westdeutschland stahl eine ganze Reihe von prächtigen Ministerwagen (AWB); Bauer 1957 Verbrechen 32 Von 1000 zukünftigen Jugendlichen, die sich einem „Gang" anschließen, werden nach dem „statistischen Gesetz" voraussichtlich 800 zu Verbrechern . . Es bleibt . . offen, ob der soziale Organismus eines „Gang" die Kriminalität schafft (soziologische, sozialpsychologische Erklärung), oder ob der Anschluß an einen „Gang" einen seelischen Habitus voraussetzt und enthüllt, der seinerseits die Wurzel der Kriminalität ist (individualpsychologische Erklärung); Süddtsch. Ztg. W. 4. 1958 Denn nachts gehören alle öffentlichen Parks den „Gangs", den Banden der Jugendlichen; Welt 7. 9. 1963 Die Jugend der großen Städte schafft sich in 'Gangs' ihre Bosse; ebd. halb krimineller Jugendlicher, die nur auf den Tag warten, da sie einen feindlich gesinnten [!] 'Gang'
anderer Jungen zerschlagen können; Zeit 7. 2. 1975 Eine . . Rockerstudie . . empfiehlt, Rocker aufzuspüren und die Gang gleich zu zerschlagen; Prodöhl 1977 Tod 246 eine Gang krimineller Giftmülltransporteure; taz 28.2.1990 Unter dem Gang-Namen „Fighter" hatten sich die Jugendlichen im Alter von 15 bis 18 Jahren . . aufs Autoknacken . . spezialisiert; Frankf. Rundsch. 5. 2. 1997 Matt Dillon spielte hier den kriminellen Gangchef Moody, der von seinen Mitschülern Schutzgelder erpreßt; Berl. Ztg. 17. 4. 2003 Insgesamt soll die Gang 36 Überfälle auf Lokale, Zeitungskioske und einen Getränkemarkt begangen haben, sagte die Polizei. Gangster: 1903 Neues Hochland 287 Der amerikanische Gangster, der französische Truand, der deutsche Ganove findet keine Entsprechung in . . der kommunistischen Gesellschaft; 1907 Jahrb. d. öffentlichen Rechts 479 Unterdrückung, Spaltung und Fesselung der oppositionellen Kräfte durch Einsatz der Polizei, arbeitsloser Asozialer und selbst berufsmäßiger Gangster; Tempo 5.5. 1930 Wir gehen in den Gemeinschaftsraum der Detektive . ., wo früher der Polizeiarzt Notverbände anlegte. Viele Gangsters haben in diesem Zimmer ihren letzten Seufzer getan; ebd. 23. 6. 1933 Chikagos Gangster stellen sich um (Überschr.) Das größte Geschäft der amerikanischen Alkoholschmuggler war bekanntlich der Bierschmuggel; Berl. Illustr. Nachtausg. 9. 3. 1934 Strachan war ein Gangster, erst 21 Jahre alt, aber so stolz auf seine Taten wie einst der Präriebandit Jesse James; .. Was er machte, machte er allein; ß. N. 21.5.1935 Die französischen Matrosen und die amerikanischen Gangsters . . Die Verhafteten wurden dieser Tage abgeurtheilt. Einer von ihnen erhielt . . 40 Jahre wegen Rauschgiftschmuggels; Münch. N. N. 2. 10.1937 der englische LabourAbgeordnete . ., der . . sich soeben zu der unglaublichen Unverschämtheit verstieg, die Führer des deutschen und italienischen Volkes . . als Gangster zu bezeichnen; ebd. 17. 7. 1942 habe Hüll Hitler und Mussolini als „gewissenlose Banditen und internationale Gangster" bezeichnet; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XU 738) hätte Rohm die Überhand gewonnen, so hätte Goring gemeinsame Sache mit ihm gemacht. Es sind Gangster unterster Sorte; Spiegel 1. 2. 1947 Capone . . wurde . . unge-
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krönter König von 6000 Gangstern in Chicago; Arbeitgeber 28. 1. 1959 das Vordringen der staatlichen Sozialpolitik, das Prof. Salin in . . Zusammenhang mit jenen „Gangstern" von Unternehmern stellte, die auf der Schwelle des Übergangs vom Früh- zum Hochkapitalismus ein Eingreifen des Staates herausgefordert hätten; Quick 9. 2. 1978 Gangster, die in Häuser einbrechen oder Autos knacken, „arbeiten" in der Bundesrepublik (fast) ohne jedes Risiko (AWB); taz 29. 1.1992 das Gangster-Epos Bonnie und Clyde; Zeit 22. 8. 1997 [in Frankfurt,] wo es in Hochhausangelegenheiten zugeht wie im Gangsterkrieg von Chicago, nur daß es keine Toten gibt; taz 24. 6. 2004 Ein eiskalter Killer, der seinem Gangsterboss viel Geld gestohlen hat . . sodass beide von Gangstern und Polizisten gejagt werden. Gangsterei: Munch. N. N. 15. 5. 1938 Aus dieser tollen Gangsterei [Gangsterfilm mit Verbrecherjagd] hat nach dem Buch von Hans Ritter die Zirkusregie . . eine gewaltige Ausstattungsschau gemacht; Muckermann 1943 Mensch 178 dieses ewigen Refrains der vitalen Gangsterei in Lebensräumen des Rausches und der Verbrechen; St. Galler Tagbl. 16. 3. 1998 Martin Scorsese . . Regisseur von Action-Filmen wie „Casino" oder „Cape Fear": Bei ihm dürfte nach diesem „seriösen" Sujet als nächstes wieder irgendeine Gangsterei angesagt sein; Berl. Ztg. 31. 5. 2003 Unten auf dem Umschlag stand noch das lockende Wort „Antiques". Dem erlag ich. Ich ging zur Kasse und zahlte. . . Ich ging in die Küche, fand ein Messer, öffnete das Buch und war wütend. . . 192 leere Seiten. Ich war einer Gangsterei aufgesessen. Gangstertum: Prager Zeit 21.1. 1936 Das Gangstertum; Münch. N. N. 29. 9. 1942 Gangstertum, Kindeskriminalität, Slums und Wohnungsnot, das ist das Paradies, das Roosevelt in seiner . . Rede an die Jugend der Welt . . zu bieten hatte; Süddtsch. Ztg. 6. 7. 1950 die Kunde von den Taten Giulianos wird . . in der Welt romantisch weiterleben. Allerdings nur als die vom letzten großen Räuber, denn das moderne Gangstertum wächst auf anderem Boden und aus anderen moralischen Voraussetzungen; ebd. 28. 2. 1959 Der „Napoleon" des [amerikan.] Gewerkschafts-Gangstertums hat gezeigt, daß öffentliche Verfemung nicht gleichbedeutend mit Machtverlust ist; ebd. 24.4. 1961 erklärte Chruschtschow, die Invasion auf Cuba sei „ein Verbrechen, das die ganze Welt in Aufruhr versetzt" habe. Er sprach dabei von „reinem Gangstertum"; FAZ 25. 1. 1971 New York hätte sich in ein Zentrum des organisierten Verbrechens und Gangstertums verwandelt; Welt 11. 3. 1974 der Staat müsse mehr gegen Verbrechen und Gangster-
tum tun; Spiegel 15. 12. 1993 Untergang des Kommunismus . ., der jahrelang das Alibi für die abenteuerliche Vermischung von Politik, Geschäft und Gangstertum in Italien geliefert hatte; Zeit 5. 1. 1996 lauter Cyber-Schurken. Jetzt haben Bayerns Gesetzeshüter im Kampf gegen das NetzGangstertum . . erstmals medienwirksam zugeschlagen; ebd. 9. 12. 2004 In den Vierteln der Arbeiterklasse, aus denen überwiegend Täter wie Opfer des Konflikts stammen, existiert nach wie vor Gewalt. Politisch motivierter Terrorismus wurde durch professionelles Gangstertum ersetzt. Gangsta: taz 16. 12. 1991 Auch auf ihrer neuen LP bleiben die verschiedenen Realisierungen männlicher Verhaltensmuster in der Dancehall ein zentrales Thema. Lover Men, Rude Boys, Pimps und Gangsta; Presse 18. 7. 1998 Franklin ist ein „Nigger" der sich darin gefällt, den Weißen „Blackness" vorzuspielen . . bei den unpassendsten Gelegenheiten den gossengeprüften „shit-talk" probt und den Gangsta spielt. So souverän ist er dabei, daß er mit dem Theater auch nicht aufhören kann oder mag, als er es mit richtigen Gangstern zu tun bekommt und selbst für einen solchen gehalten wird; taz 4. 1. 2005 Anders als es das Klischee vom GangstaRapper aus der Bronx will, hätten die meisten der Nachwuchs-Musikerinnen in Bremerhaven aber trotz aller Probleme „immer noch ein relativ behütetes Zuhause", sagt Friedrichs. „Es sind aber auch ein paar Hallodris dabei. Der eine oder andere saß durchaus schon mal im Knast."; Pfaff 2006 Jugendkultur u. Politisierung 247 es gibt jetzt einmal dieses richtige Gangsta, diese ganzen deutschen Hip-Hopper sind jetzt Gangsta .. jetzt macht man auf Gangsta, man schreibt härtere Texte und benimmt sich härter. Gang b: FAZ 19. 9. 1959 Hafenarbeiter im Luxusauto (Überschr.) .. Dollarprämien für jede „gang". Ein zäher Kampf an der Wasserfront spielte sich ab . . In periodisch wiederholter Abstimmung mußten die Stauer [Arbeiter auf Frachtschiffen] der Stimme ihres Herrn den Zuschlag geben, der mächtigen Union ihres Berufsstandes, die bestimmte, ob sie Geld verdienen durften oder nicht, die ihnen die Überstunden vorschrieb oder sie . . untersagte; Spiegel 13. 2. 1967 Einen im State Department kursierenden Verdacht — „Die Deutschen wollen Gangleader der atomwaffenfreien Staaten werden" — suchte Brandt sogleich zu zerstreuen: „Wir bilden keine Gang gegen den Vertrag, schon gar nicht spielen wir den Gangleader" (AWB); ebd. 23. 9. 1968 Die Show der kalifornischen Beat-Gang „The Mothers of Invention"; 1973 Sounds XII 11 Paul der Schlagzeuger ist der starke Mann der Gruppe, der härteste Typ in der
Gangway Gang (AWB); Stiege/ 7. 10. 1977 Die im Haushaltausschuß präsente „Weser-Gang" aus Bremen und Umgebung hatte den widerstrebenden Verteidigungsminister Leber zur Anschaffung gezwungen (AWB); ebd. 5. 9. 1988 Doch der Sinn fürs Gemeinsame war unter den tapferen Männern aus den Kunstflug-Gangs schnell wiederhergestellt (AWB); taz 20.8.1990 Die Baath-Partei konkurrierte lange Zeit mit dem Nasserismus um die Füh-
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rung der arabischen Nation. Die panarabische Propaganda einer Wiedergeburt verdeckt nur mühsam die Feindseligkeit der entsprechenden Gang-Leader wie Assad oder Saddam Hussein; ebd. 11.8. 2005 Weil mehrere „Leverkusener" angeblich innerhalb der WASG die Gründung einer neuen Mini-Partei vorbereiten, prüft der Bundesvorstand der Wahlalternative nun Parteiausschlussverfahren gegen Mitglieder der Politgang.
Gangway F., früher vereinzelt auch M. (-; -s), Anfang 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. gangway, eigentlich 'Durchgang, Gehweg' (wohl einer Anglisierung von dän. gangvej bzw. schwed. gangvag·, zurückgehend auf mittelengl. gang (—» Gang) und engl. way; vgl. altengl. gangweg 'Gehweg'). In der Bed. '(mit einem Geländer versehener) beweglicher Laufsteg oder fahrbare Treppe, die das bequeme Betreten und Verlassen eines Schiffs oder Flugzeugs ermöglicht', z.B. die Gangway hinaufsteigen, das Flugzeug über die Gangway verlassen, die Gangways werden herangerollt, von der Gangway zurückwinken, die Gangway ein-, hochziehen, in Zss. wie Flugzeug-, Personal-, Piloten-, Schiffsgangway; Gangwaygeländer, -rampe, -treppe, vereinzelt bildlich (s. Beleg 1993). Bierbaum 1910 Reife Früchte 39 Die Prozedur der Ausbootung, vor der meine Frau auf recht anmutige Art Angst an den Tag legte, während ich nicht ganz so graziös den erfahrenen Gangwaykletterer spielte; Hauser 1928 Brackwasser 24 Er traf auf die Gangway, die von der Mitte des Promenadendecks zum Kai herabführte; Smith 1951 Ruf (Übers.) 138 In diesem Augenblick erkannte sie Miß Spooner, die sich behutsam ihren Weg die Gangwayplanken hinunterstocherte; Welt 16. 4. 1959 setzt man seinen Fuß auf die Gangway einer ehrwürdigen Frachtdakota [Flugzeug]; Remarque 1960 Arc de Iriomphe 380 Dann der [!] Gangway, der langsam eingezogen wurde (AWB); Stuttgarter Ztg. 5. 3. 1960 Langsam rollte die Maschine aus, und auf der Gangway erschienen die schon am Vorabend Zurückerhofften; Welt 25.11.1964 Louk wurde von italienischen Polizeibeamten bis zu dem Flugzeug eskortiert . ., bis er die Gangway hinaufgeklettert und in der Maschine verschwunden war;
Simmel 1971 Stoff 526 Das Flugzeug . . rollte aus und kam genau vor dem Flughafengebäude zum Stehen. Gangways wurden herangerollt; Welt 18. 7. 1977 Sollte es zu einer Notlandung kommen und dabei — natürlich — keine Gangway zur Verfügung stehen, müssen die Passagiere die Maschine über eine Rutsche verlassen; Spiegel 21. 4. 1986 Als die Ersatzmannschaft anrückte, die auf dem Containerschiff . . Dienst tun sollte, ließ [Bootsmann] Spreem einfach die Gangway hochziehen. Niemand konnte mehr an Bord; taz 11. 9. 1993 In der CDU-Werft haben sie zwei Jahre lang die Arbeit weitestgehend ruhen lassen, so daß sich der sogenannte Bürgermeisterkandidat jetzt auch auf der SPD-Gangway anstellen muß; Mannh. Morgen 23. 1. 2003 blieb die Boeing mit dem Vorderfahrwerk . . im Rasen stecken. Die Passagiere der Boeing mussten über Gangway-Treppen die Maschine verlassen.
Ganove M. (-n; -n), seit den 30er Jahren des 20. Jhs. bezeugte, über das Rotwelsch vermittelte singularische Rückbildung aus wjidd. ganowitn, ganowem, ganoven, PL zu gannew, ganeff (< hebr. gannav, gannab 'Dieb', Pl. gannavim, zu ganav, ganab(h) 'stehlen, etwas entziehen'; vgl. seit dem 16. Jh. bezeugtes rotwelsch Ganef(f), Ganf(er) 'Dieb, Spitzbube' und geneffen, genf(f)en, ganfen 'stehlen'), früher auch in jidd. und hebr. beeinflussten Formen wie Ganaw, Gannew, Ganowe. Zunächst gaunerspr., dann allgemeiner verwendetes Schimpfwort für '(oft als seriös getarnter) Angehöriger der Unterwelt, der in betrügerischer Absicht und aus dem Verborgenen versucht, andere zu täuschen, zu schädigen; gerissener Betrüger, Ver-
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Ganove
Brecher, Schurke' (—> Bandit, —» Gangster, vgl. Krimineller), gelegentlich eher abgeflacht und ironisch-verharmlosend für 'Strolch, Spitzbube; Abenteurer' (s. Belege 1986, 1991; —> Halunke, vgl. Gauner) und in neuerer Zeit übertragen aus dem kriminellen Milieu auf den politischen und wirtschaftlichen Bereich (s. Belege 1990, 1992, 2000), in Wendungen wie eiskalter, fieser, maskierter Ganove, der Polizei gelang es, die Ganoven zu schnappen, dingfest zu machen, hinter schwedische Gardinen zu bringen, er hielt den Ganoven fest, bis die Handschellen klickten, die beiden Ganoven sitzen nun in U-Haft, mit Schmuck und Uhren als Beute machten sich die Ganoven aus dem Staub, alle Politiker sind Ganoven, der kleine Ganove hat alle Tricks drauf um an Futter zu kommen und in Zss. wie Ganovenboss, -braut, -duoAtrio, -ehre, -film, -gesicht, -Jagd, -jargon, -kreise, -milieu, -schreck, -Staat, -stück; Berufs-, Klein-, Ober-, Polit-, Schmalspur-, Unterwelt-, Vorstadt-, Wirtschaftsganove, Wild-West-Ganove, gelegentlich (aufgrund der äußeren Erscheinung) in paradoxer Kontrastierung (s. Belege 1981, 2004, 2005), z.B. der elegante, piekfeine Ganove, den Beruf des ehrbaren Ganoven gibt es nicht mehr, Ganove im maßgeschneiderten Zweireiher mit rosa Tuch in der Brusttasche; Edel-, Gentleman-, Nadelstreif-, Weiße-Kragen-Ganove; dazu seit der ersten Hälfte des 20. Jhs. die subst. Ableitung Ganoventum N. (-s; ohne Pl.) und in neuester Zeit die adj. Ableitungen ganovenartig, -haft. Ganove: 1930 Dame am Volant Jan. o. S. Jeder Ganove kennt ihn; Lokal-Anz. 17. 3. 1933 er war von Gustav so schwer beleidigt und mit Flüchen belegt worden, daß sogar ein „Ganove" aus der Ruhe kommen mußte; Singer 1942-44 Gettotag 49 Aber der Älteste hat da nicht mit seinen geliebten Baluter Ganowim gerechnet. Die Kerls haben ihn doch wieder einmal hereingelegt; Benn 1950 Er. 205 Seither hatte die Literatur die naturalistische Treue in der Wiedergabe von Slang, Soldatenjargon, Ganovenrede eingeübt; Süddtsch. Ztg. 9. 6. 1954 Jene jungen Damen .. sind arme Opfer weniger der sozialen Verhältnisse als bösartiger Ganoven . ., von welchen sie erpreßt, tyrannisiert und notfalls kühl ermordet werden; Stuttgarter Ztg. 7. 2. 1959 Gangsterchefin und fünf bis sieben Ganoven entführen bibberndem Millionär mannbare Tochter; Ullrich 1960 Bürger 64 Unter der Last dieser erdrückenden Beweise bricht der Ganove zusammen und legt ein schriftliches Geständnis ab; Lenz 1968 Erz. (W. XV 296) Als hanseatischer Polizist — gediegen und solide — fühlt er sich allen Ganoven und Gesetzesbrechern der Wasserkante gewachsen; Mannh. Morgen 30. 8. 1969 zwei Ganoven, die gerne ungestört aus dem Tresor die Barschaft .. herausgeholt hätten (DUDEN 1999); Offenburger Tagebl. 20. 2.1970 Die Ganoven wendeten weder Gewalt an noch gebrauchten sie Waffen; Lenz 1981 Verlust (W. IX 106) gleich bei ihrem Erscheinen belacht und beklatscht von eleganten Ganoven, Schmugglern und allzu sportlichen Landstreichern [auf einem Maskenball]; Zeit 28. 12. 1984 Auch Ganoven haben ihre „Ehre „ . .
Die Sanktionen gegen ein gebrochenes Ehrenwort können schlimmer sein als die oft doch recht glimpflich ausgehenden Meineidsverfahren vor Gericht; Zeit 15.8.1986 Den Betrachter am Bildschirm erfaßte Entsetzen, nachdem er die Heroisierung von schweren Jungs und kleinen Ganoven, von Gewaltverbrechern und cleveren Abenteurern mit angehört hatte; Mannh. Morgen 26. 3. 1987 Auf einem Selbstbildnis von 1922 sieht er [Otto Dix] aus wie ein Ganove. Die Haare sind eng anliegend zurückgekämmt, als hätte er sie gerade mit Pomade bestrichen, dazu die mächtigen Kinnbacken, die tiefe Nasenfalte und die zum Erschrecken zusammengezogenen Augenbrauen; taz 30. 10. 1990 Baupreise steigen von Jahr zu Jahr (Überschr.) „Diese Ganoven plündern uns aus, und wir sind wehrlos" .. Der Haushaltsansatz des Bausenators garantiert den Berliner Baulöwen auch nächstes Jahr eine goldene Nase; ebd. 19. 1. 1991 Wenn etwa der bestellte Risotto so geschwind aufgetragen wird wie die Suppe der Tischgenossen, so darf der Gast zweifelsohne . . das Personal mit unflätigen Beschimpfungen überziehen . . Weil die Ganoven sich versündigt haben an einer der großen Köstlichkeiten der italienischen Küche; ebd. 24. 8. 1992 Berlin befindet sich in der Hand ökonomischer Ganoven und politischer Phantasten; Mannh. Morgen 8.9. 1995 wurde er [Mario Adorf] im deutschen Film über Jahre auf den Typ des Schurken und Ganoven festgelegt; Berl. Ztg. 6. 5. 2000 Politik interessiere ihn .. nicht, die Politiker sind „alle Ganoven"; taz 28. 12. 2004 Den ehrbaren Beruf des Ganoven gibt es nicht mehr.
Garage Fast alle haben irgendwas mit Drogen zu tun; dpa 3. 9.2006 Auch der perfekteste Überwachungsstaat wird nicht allen Ganoven das Handwerk legen. Ganoventum: „Duden"-Sammlung 1935 ein Ganove, der von seinem Ganoventum geheilt wird; Münch. Abendztg. 3. 7. 1944 Die Spannungen zwischen dem großen Lebensstil, der sicheren Existenz hier und dem polizeiumwitterten Ganoventum dort geben dem Film die Farben; Zeit 1. 11. 1985
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Zweifellos gibt es in dieser Stadt [Frankfurt] ein organisiertes Ganoventum jüdischer Herkunft; Presse 13. 6. 1992 Noch schlimmer wirkt auf eine ernüchterte Bevölkerung die Erfahrung, daß sich aus alter Bürokratie, neuen Demokraten, Ganoventum und ausländischen Interessenten ein undurchdringlicher Filz herausgebildet hat; Neue Kronen-Ztg. 16. 1. 1996 Abgesehen davon, daß die Zöllner einem immer größer werdenden Ganoventum ausgesetzt sind, müssen sie meist mit vorsintflutartigen [!] Geräten arbeiten.
Garage F. (-; -n), Anfang 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. garage, eigentlich 'das Ausweichen, Abstellen (zunächst von Schiffen, Eisenbahnwagen)' (zu garer 'etwas in Obhut nehmen, in eine sichere Verwahrstelle bringen, außerhalb eines Verkehrsweges geschützt unterbringen' < altprovenzal. garar 'achtgeben, schützen, bewahren', unsicherer Herkunft, wahrscheinlich (mit Übergang von w zu g) zurückgehend auf westfränk. *waron 'aufmerken, beachten' (vgl. dtsch. wahren] oder eventuell zu lat. varare 'ausweichen'). In der Bed. 'Schuppen oder Gebäude zum Ein-, Unterstellen, Parken von Kraftfahrzeugen' (vgl. Parkhaus), anfangs neben verdeutschendem Fahrzeug-, Wagenschuppen, vereinzelt auch bildlich (s. Beleg 1948) und in der ersten Hälfte des 20. Jhs. selten 'große Halle zur Unterbringung von Eisenbahnwagen, Bussen, Straßenbahnen, Schiffen' (s. Belege 1930, 1933, 1943; —> Depot, —»· Hangar, vgl. Remise), in Wendungen wie den Wagen in die Garage bringen, stellen, fahren, in der Garage (stehen) lassen, das Auto aus der Garage holen, als Bestimmungswort in Zss. wie Garagenbesitzer, -einfahrt, -flächen, -Ordnung, -tor, -wagen 'Personenkraftwagen, der regelmäßig in der Garage geparkt wird, so Witterungseinflüssen weniger stark ausgesetzt ist und dadurch weniger Karosserieschäden aufweist als ein im Freien geparktes Fahrzeug' und als Grundwort in Auto-, City-, Groß-, Hoch-, Kleinst-, Fait-, Park-, Tief-, Unterflur-, Stockwerks-, Etagen-, Unterseeboot-, Wellblechgarage sowie Laternengarage, scherzhaft für 'Parkplatz an einer Laterne (unter freiem Himmel)'; seit Anfang 20. Jh. (bes. Schweiz., österr.) selten auch ausgeweitet auf 'Auto(reparatur)Werkstatt, Kfz-Werkstatt (auch mit Tankstelle)' (s. Belege 1914.2, 1929, 1934.2), z.B. er besitzt eine kleine Garage am Stadtrand; Garagenmeister; in neuester Zeit gelegentlich 'Auto(ausstellungs-, Verkaufs-)haus, Autovertretung, -handlung' (vgl. Autosalon; s. Belege 1998, 2001), z.B. eine große Garage übernehmen, leiten, die Garage Meier hat für den Golf 4 die Exklusivvertretung übernommen; daneben seit den 60er Jahren auch mit Bezug auf Garagen, die nicht dem Einstellen von Kraftfahrzeugen dienten, sondern zweckentfremdet (als Provisorien) benutzt wurden, z. B. für Büros, kommerzielle Firmenbetriebe bes. der noch jungen Computerbranche (s. Belege 1963, 1994, 2005), z.B. Garagenbetrieb, -firma. Daneben in jüngster Zeit aus engl. garage neuentlehntes Garage, ohne Genus und Flexion, in Anlehnung an die Nutzung von Garagen als Proberäume junger Bands als Bezeichnung für eine einfache, ungeschliffene und amateurhaft-unangepasste Form der Rockmusik kurz für Garage(n)-Rock, -Punk, -Sound (s. Belege 1992, 2002). Dazu seit frühem 20. Jh. die (bes. Schweiz., österr. gebräuchliche) verbale Ableitung garagieren V. trans, 'ein Kraftfahrzeug in die Garage einstellen' (—» parken), selten
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Garage
auch von Flugzeugen, Hubschraubern (s. Belege 1928, 2000), auch allgemeiner 'etwas aufbewahren' (s. Belege 1931, 1992; —»· deponieren la) und vereinzelt übertragen 'etwas Unangenehmes (z. B. ein Problem) auf das Abstellgleis schieben, verdrängen' (s. Beleg 1997), mit dem seit Mitte 20. Jh. nachgewiesenen, selten auch übertragen (s. Beleg 1995) gebrauchten Verbalsubst. Garagierung F. (-; -en), z.B. unterirdische Garagierung; Busgaragierung; seit früherem 20. Jh. die (ebenfalls vorwiegend Schweiz, und österr. übliche) Berufsbezeichnung Garagist M. (-en; -en), auch moviert Garagistin F. (-; -nen) '(selbstständige/-r) Automechaniker/-in, der/die Autos repariert und wartet, Inhaber/-in einer Autoreparaturwerkstätte', in jüngster Zeit auch 'Autohändler/-in, -vertreter/-in' (s. Belege 1996, 1998) und vereinzelt 'jmd., der eine eigene Garage besitzt; Mieter/-in, Pächter/-in einer Garage' (s. Beleg 1971). Garage: 1905 Rad-Wanderer 205 Unsere Frage nach der Garage wurde im üblichen italienischen Superlativ beantwortet: . . Ein leidlich großer Wagenschuppen nahm unseren braven Mercedes auf; Dunger 1909 Engländerei 68 Da der 'Automobilismus' von Frankreich ausgegangen ist, so haben wir besonders französische Ausdrücke dafür, wie . . Garage Wagen-Schuppen; Berl. Tagebl. 3. 3. 1909 ein Automobil in einer Garage brannte; Kafka 1914 Amerika o. S. Das Automobil . . steht weit von hier in einer öffentlichen Garage (DWDS); Kes 1914 Kraftwagenlinien 13 Für die Werkstätten und Gebäudeeinrichtung . . 1000 M. Hierzu kämen die reinen Betriebsausgaben: Für l Garagemeister und 2 Fahrer . . 5.500 M.; 2927 Technik I 390 Eine Hochhaus-Autogarage (Überschr.) In Chikago geht zurzeit ein interessanter Kolossalbau der Vollendung entgegen, nämlich eine vielstöckige Großgarage; Stratz 1929 Lill 198 Orff übergab seinen Wagen seinem an der Straßenecke wartenden Garagemeister; Roth 1930 Panoptikum 37 Mit dem ersten Wagen, der frisch und munter aus der Garage [Straßenbahndepot] kam, fuhr er nach Hause; Genius 1933 Fremdwb. 358 Garage . . Eisenbahnwagenschuppen; Schuppen für Automobile und Fahrräder; Lokal-Anz. 17.3.1934 so kauft man sich eine billige Wellblechgarage und ist alle Garagensorgen los; 1934 Demag-Nachr. 25 Sogar außerhalb der Automobilwerkstätten, im Verkaufs- und Garagenbetrieb, hat der Demagzug sich als praktisch erwiesen; N. Z. Z. 4. 12. 1943 [die] grossen deutschen „Unterseeboot-Garagen" [in Marseille]; Sedlmayr 1948 Verlust 57 Ein Theater kann um 1920 aussehen wie eine Garage. Eine Kirche dieser Stufe wird vom Volkswitz „Seelengarage" genannt. Aber auch sonst wird die Terminologie der Fabrik auf das neue Bauen übertragen; Stuttgarter Ztg. 3. 9. 1963 Keine „Garagen-Fabriken" mehr. Das Baurechtsamt kann zweckentfremdete Garagen Zwangsräumen lassen (Überschr.) FAZ 5. 4. 1970 Wer seinen Kraftwagen im Freien parkt . . stülpt eine Faltgarage aus Plastikfolie darüber . . Aber man kann seinen Wagen auch ruhig
unzugedeckt im Freien stehenlassen . . Unsere modernen, eingebrannten Lacke nehmen eine Laternen-Garage weder im Sommer noch im Winter übel; Mannh. Morgen 30. 1. 1985 die Errichtung von Parkhäusern in den Innenstadtbereichen (er erwähnte ausdrücklich die geplante Tiefgarage in U 2); taz 9. 5. 1992 präsentierte der Gun Club . . die jüngeren Veröffentlichungen, auf denen das Quartett in gesammelter Gemütsverfassung nach den Ursprüngen seines ehemaligen Garagensounds, nach verloren geglaubten Blues- und anderen Wurzeln sucht; Spiegel 29. 8. 1994 Als SAP . . die zweite Generation ihres Softwarepakets auslieferte, bekam die Erfolgsstory jene Konturen, die sonst nur amerikanische Garagenfirmen auszeichnen; Neue Kronen-Ztg. 19. 7. 1997 nahmen sie [Einbrecher] einen in der Garage abgestellten Traktor in Betrieb. Damit beschädigten sie das Garagentor; 5t. Galler Tagbl. 5. 3, 1998 Die Garage Gschwend hat . . für den Golf 4 . . die Exklusivvertretung übernommen; ebd. 28. 9. 2001 Seit der Geburtsstunde von „Suzuki Schweiz" als Vertreter mit dabei ist die Garage Keller in Hemberg. Der Vater des heutigen Inhabers . . eröffnete damals den Betrieb für landwirtschaftliche Maschinen und eben die Suzuki-Garage; taz 12. 9. 2002 Ein . . billig produziertes Zombie-Rock-Abenteuer, das . . seine . . Geschichte um eine dem Garagen-Sound verpflichtete Kultband arrangiert; Süddtsch. Ztg. 23. 8. 2005 Zurück in Gates Garage. Wie der Megakonzern Microsoft versucht, sich wieder ein Hinterhof-Image zu geben (Überschr.) . . Damals verwandelten bleichgesichtige Computer-Hippies mit ein paar hundert Dollar Startkapital ihre [eigenen] Garagen in die ersten Firmensitze von Microsoft. garagieren: Berl. Tagebl. 3. 4. 1928 das drunten garagierte Flugzeug; Colerus 1929 Kaufherr 220 Wir hatten den Cadillac in einer leeren Scheune garagiert und wanderten zu Fuß . . in die Richtung, die uns gewiesen worden war; Schoepflin 1931 Gesund 29 Die Rüstungen werden in einer kleinen Mannschaftsbaracke „garagiert"; Spoerl 1953 Auto 174 Tagsüber garagiert man nicht, man parkt
Garantie [auf der Straße]; 1958 Sprachbrockhaus 226 ich garagiere, österr.: stelle den Kraftwagen ein; Salzb. Nachr. 20. 6. 1992 Die . . Kabinen der . . Sesselbahn . . können im Sommer vom Seil genommen und garagiert werden; ebd. 20. 6. 1997 Nicht zuletzt drängt sich der Verdacht auf, das U-Bahn-Projekt sei ein Ablenkungsmanöver, um konkrete verkehrspolitische Taten [den notwendigen Bau einer Tiefgarage] in der Remise garagieren zu können; Mannh. Morgen 27.11. 1999 Ob der Größe der Verkaufswagen sei für viele Beschicker das Garagieren im angrenzenden Parkhaus nicht möglich; Kleine Zig. 1.4.2000 In Osttirol wurden Bereitstellungszeiten des Hubschraubers so gekürzt, dass im Spätwinter Schilifte noch in Betrieb sind, während die Retter bereits den Hubschrauber im Hangar garagieren müssen. Garagierung: NZ. (Basel) 4. 2. 1950 In der Stadt wird für vermehrte Park- und Garagierungsmöglichkeiten gesorgt werden müssen; Salzb. Nachr. 13. 11. 1993 Gewerbeberechtigung für das Garagierungsgewerbe und den Tankstellenbetrieb; ebd. 12.4. 1995 [mit dem Ziel] der möglichst raschen Qualifizierung und Vermittlung und nicht der Garagierung von Arbeitslosen; Vorarlb. Nachr. 18. 9. 1997 Verkehrslösungen mit unterirdischen Garagierungen; St. Galler Tagbl. 29. 5. 1999 Umorganisation des . . Betriebes betreffend Sicherung aller Gerätschaften, der Busgaragierung, der Betankung . . der Fahrzeuge. Garagist: Sieburg 1935 Gott 122 der Garagist repräsentiert . . die Maschine. Seine . . Werkstatt zeugt von der rastlosen technischen Entwicklung;
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B. N. 12.4.1943 Garagist [Angestellter in einer Autowerkstatt]; Köpke 1946 Civitas 300 fortgesetzt sehen wir, wie sich am Rande neuer technischer Entwicklungen neue Berufe (Garagisten, Auto- und Radiorcparateure usw.) herausbilden, die die Zahl der kleinen selbständigen Existenzen vermehren; NZ. (Basel) 20. 12. 1949 die Polizei . . ersucht nicht nur ihn [Unfallverursacher] und . . Augenzeugen, sondern auch den Garagisten, der über den beschädigten Wagen Angaben machen kann . .; De Man 1951 Vermassung 84 gefährdetes Kulturgut, das in dem Masse verschwindet, wie der Garagist den Dorfschmied, das . . Wochenblatt den Bauernkalender . . verdrängt; Koeppen 1961 Frankreich 58 Im . . römischen Frejus war mein Garagist noch immer mit tiefem Nachdenken beschäftigt . . und mein Wagen war noch immer kaputt, doch von keinem Werkzeug berührt; 1965 auto VIII 2 Ein . . Garagist, der . . auch einen Rollprüfstand . . im Betrieb hat; Offenburger Tagebl. 8.2.1971 Gute Tips für Garagisten: Man fährt vorwärts in die Garage — also mit Auspuff nach hinten — damit der Auspuffqualm sich gar nicht erst festsetzt in der engen Auto-Wohnung; Züricher Tagesanz. 13. 7. 1996 Nachdem die Automobiltechnik praktisch austauschbar geworden ist, müssten sich Garagisten und Importeure vermehrt über Kundendienstleistungen profilieren; St. Galler Tagbl. 15. 4. 1998 Bei der „Autoregio", an der verschiedene Garagisten der Region die Autoneuheiten dieses Frühlings vorstellen; ebd. 15. 12. 2001 Der massive Temperatursturz . . hat auch den Garagisten viel Arbeit beschert. Eingefrorene Türen, Schlösser . . sowie leere Autobatterien waren an der Tagesordnung.
Garantie F. (-; -n), im frühen 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. garantie < altfrz. g(u)arantie/warantie/warandie/warenie 'Bürgschaft, Gewähr, Sicherung, Schutz', zu g(u)arant, warant 'jmd., der bei Gericht Gewähr leistet, Bürge, Zeuge', zu altfrz. ''garir 'gewährleisten, verbürgen' (im Unterschied zum homonymen altfrz. garir 'verteidigen, beschützen; genesen'} < altniederfränk. ''warjan '(etwas) als wahr bezeichnen, die Richtigkeit von etwas verbürgen' (vgl. ahd. (bi)wären 'beweisen, belegen, als wahr dartun; erproben', nhd. Gewähr, bewähren, wahr; vgl. engl. warranty 'Berechtigung, Garantie, Gewähr(-leistung), Zusicherung'Iguarantee 'Bürgschaft, Garantie, Gewähr(-leistung), Sicherheit, Versicherung'), anfangs und selten bis ins 18. Jh. in juristischer Terminologie in latinisierten bzw. lat. flekt. Formen wie Guaranda, Guarande, G(u)arantia, Gueranda, Quarandia, (eingedeutscht) Wahrhand (vgl. Judiciis guarandatn praestire, Jus Garantiae), bis weit ins 18. Jh. auch in der Schreibung Guarantie. In der allgemeinen juristischen Bed. 'Bürgschaft; Gewähr(-leistung); Sicherheit', zunächst v. a. als Fachwort im politisch-diplomatischen Bereich für 'vertragliche Gewähr für einen Anspruch, die Einhaltung einer Abmachung, eines Abkommens; (z. B. einen bestimmten politischen Sachverhalt betreffende) verbindliche Zusage,
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Garantie
vertraglich festgelegte Sicherheit' (s. Belege 1620, 1661, 1669, 1678, 1758, 1941, 1963), speziell im Staatsrecht 'in einer Verfassung niedergelegte Verbürgung gegenüber dem einzelnen hinsichtlich seiner Freiheitssphäre' (s. Beleg 1835) und im Völkerrecht 'von einem oder mehreren Staaten übernommene Verpflichtung, für die Wahrung bestimmter Rechte eines anderen Staates o. Ä., oder für die Erfüllung vertraglicher Abreden einzustehen' (s. Belege 1867, 1887, 1971, 1979); in Wendungen (meist mit Präpositionalobjekt und Präp. wie auf, für, gegen, über oder mit Genitivattribut) wie für etwas Garantie leisten, verfassungsmäßige, institutionelle, völkerrechtliche Garantie, Garantien gegen Freiheitsbeschränkungen verlangen, internationale Garantien fordern, die Garantie des Friedens durch den König, dieser Vertrag stellt eine Garantie dar gegen jeden Überraschungsangriff, für die Einhaltung des Vertrages wurden Garantien angeboten; Kollektiv-, Grundrechts-, Friedens-, Sicherheits-, Verfassungsgarantie; Garantieerklärung, -pakt 'vertragliche Übernahme der Gewähr für einen bestimmten Zustand oder die Einhaltung eines Vertrages', gelegentlich auch schlagwortartig in der politischen Propaganda, z. B. Garantien für die Sicherheit der Arbeitsplätze/Renten, Garantie für Freiheit und Wohlstand; seit Anfang 18. Jh. auch im kaufmännischen und wirtschaftlichen Bereich sowie im Bankwesen bes. mit Bezug auf die Bezahlung von Geldforderungen in der Bed. 'Bürgschaft (z.B. für einen Kredit); Vertrag, durch den sich ein Bürge oder Garant verpflichtet, für die Verbindlichkeiten eines Dritten gegenüber dessen Gläubiger einzustehen' (s. Belege 1716, 1796, 1809, 1844, 1933.1), z.B. Garantie für die richtige Bezahlung der Beträge leisten, Garantie bei Geldgeschäften, dann auch bezogen auf die Güte, Qualität von (verkauften) Waren insbes. 'vom Hersteller schriftlich gegebene Zusicherung, Gewähr, innerhalb eines bestimmten begrenzten Zeitraums auftretende Defekte an einem verkauften Gegenstand kostenlos zu beheben' (s. Belege 1901, 1933.2, 1935; -» Kulanz), z.B. die Garantie auf/für das Gerät ist abgelaufen, die Uhr hat ein Jahr Garantie, das Werk gibt/leistet/gewährt (eine) Garantie, die Reparatur geht noch auf Garantie, fällt noch unter die Garantie, die Garantie erstreckt sich nicht auf Schäden, die durch unsachgemäße Behandlung verursacht werden; Garantieanspruch, -frist, -zeit, -leistung, -pflicht, -schein-, -Urkunde; Bank-, Preis-, Hersteller-, Scheckkartengarantie 'Vertrag, in dem das Kreditinstitut dem Schecknehmer die Einlösung des Schecks bis zu einem bestimmten Höchstbetrag garantiert'; seit der zweiten Hälfte des 18. Jhs. auch allgemeiner verwendet für 'Gewähr, Sicherheit, sicheres Versprechen, Verantwortung, Verbürgung' (s. Belege 1779, 1811, 1861, um 1875, 1897, 1937.1, 1967, 1985), z.B. dafür übernehme ich die volle Garantie, für die Richtigkeit der Angaben können wir keine Garantie übernehmen, wer übernimmt die Garantie für die termingerechte Fertigstellung des Projekts?, bes. in ugs. Wendungen wie darauf gebe ich dir meine Garantie 'ich versichere, dass es so ist; das steht für mich außer Zweifel', ich glaube, er kommt heute, aber ohne Garantie 'ganz genau weiß ich es nicht; ich kann mich nicht dafür verbürgen, es nicht beschwören' und unter Garantie 'mit Sicherheit, gewiss, ganz bestimmt' (gleichbed. mit garantiert, s.u.), z.B. das geht unter Garantie daneben, er kommt unter Garantie wieder zu spät, seltener in eher okkasionellen Zss. wie Garantieabnahme, -auftrage, -kurs, -lohn, -pille, -platz, -spaß, -sparer; Aufführungs-, Flugzeit-, Lehrplatz-, Schönwetter-, Versetzungsgarantie. Dazu seit früherem 17. Jh. die aus gleichbed. frz. garant (< altfrz. g(u)arant, s.o.) entlehnte Personenbezeichnung Garant M. (-en; -en, früher auch -s), auch moviert
Garantie
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Garantin F. (-; -nen), zunächst vereinzelt auch in den Schreibungen Guarant und Garand, mit der im 18. Jh. selten und noch heute vereinzelt nachgewiesenen (französisierenden?) Nebenform Garanteur M. (-s; -s), in der Bed. 'Person (oder Institution), die (durch ihr Ansehen, ihre Autorität usw.) Gewähr für die Sicherung, Erhaltung o. Ä. von etwas bietet; jmd., der die Geltung, Sicherung, den Schutz von etwas gewährleistet, für etwas bürgt; Gewährsmann, Bürge', z. B. der Staat als Garant des Friedens, eine Partei als Garantin für den Fortschritt, die Garanten des Vertrags; Verfassungs-, Friedens-, Sicherheits-, Zukunftsgarant, gelegentlich mit Bezug auf Gegenstände, die etwas gewährleisten (s. Belege 1934, 1986), z. B. eine gute Batterie ist Garant dafür, dass der Wagen anspringt, seit späterem 19. Jh. auch von Abstrakta (s. Belege 1866, 1925, 1937, 1951, 1991), auch als Schlagwort v. a. des Nationalsozialismus (s. Belege 1933.1, 1933.2, 1938, 1945), vgl. Parolen wie der Führer als Garant des Endsieges, die Jugend ist (der) Garant der deutschen Zukunft, aber auch in der politischen Sprache der DDR, z. B. der stärkste Garant des Weltfriedens (vgl. WDG). Dazu vereinzelt bereits seit Anfang 17. Jh. aus gleichbed. frz. garantir (< altfrz. guarantir, zu guarant, s. o.) übernommenes garantieren V. (in)trans., als V. trans, für 'etwas gewährleisten, sicherstellen, sichern' bzw. '(durch Versprechen) zusichern, zusagen, fest versprechen', z.B. den Frieden garantieren, der Verkäufer garantierte (mir) bessere Zahlungsbedingungen, der Arbeitsvertrag garantiert Rechte und Pflichten, (jmdm.) ein festes Einkommen, geregelte Freizeit garantieren, ich garantiere dir, dass so etwas nicht mehr vorkommt, ich kann dir nichts garantieren, als V. intrans., meist mit der Präp. für, in der Bed. 'Gewähr für etwas leisten, übernehmen, haften, (sich ver-)bürgen', z.B. für einen Kredit, einen Geldwert garantieren, ich garantiere (dir) für einen reibungslosen Ablauf, die Firma garantiert für gute Qualität der Ware, ich garantiere für den Erfolg, ich kann für nichts garantieren, in der Part. Perf.-Form garantiert auch im Zustandspassiv '(gesetzlich) gesichert, gewährleistet', z.B. das Briefgeheimnis ist uns garantiert und in neuerer Zeit häufig in adv. Gebrauch abgeflacht für 'mit Sicherheit, bestimmt', z. B. er hat es garantiert vergessen, garantiert echter Silberschmuck, er kommt garantiert wieder zu spät, das gelingt ihm garantiert, mit dem seit Mitte 17. Jh. selten nachgewiesenen Verbalsubst. Garantierung F. Garantie: 1620 Landrecht d. Herzogthumbs Preussen l 68 Inmassen jhm dann hiemit auffcrlegct/ daß er bey vbergebung der Klage die Guerandam/ oder wie es zu teutsch genennet/ die Gewehr/ dem Richter thue; Pastorius 1659 florus l 399 auff die Executions-Ordnung und garantie zu recuperiren (BRUNT); Kurfürst Fnedr. W/7/7. 1661 Verhandlungen u. Aktenst. IX 550 So viel die Garantie über den Olivischen Frieden betrifft; 1669 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 213) daß man kein heimblich Alliantz gemacht/ sondern allein die General-Garantie auffgerichtet hätte/ . . daß Er [König] den Friden noch ein Jahr mit Spanien halten wollte; Schwerin 1678 Br. (Orlich 159) die Garantie des Friedens durch den König (BRUNT); Stieler 1691 Stammbaum 2411 Gvarande/ die . . Wahrhand . . alias Garantie . . Gvarantia . . Guaranda, die Gewährschaft; Wächtler 1709 Manual 144 Garantie, Gewä'hr-
schafft/ Guaranda, z. E. er hat dißfals die Garantie auff sich genommen/ muß die Gewähr leisten; ebd. 149 Guaranda, Garantie, die Gewähr/ z. E. in Judiciis guarandam praestiren/ die Gewähr der Klage angeloben; Marperger 1716 Beschr. d. Banken 114 Eine jede solche Publique-Banco müste unter Versicherung und Garantie der gantzen Bürgerschafft und des Landes bestehen (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 284 Garantie eines Mediatoris oder Mittlers ist, . . demjenigen, welcher die gerechte Sache hat, beyzustehen, und den ändern zu seiner Schuldigkeit zu nöthigen; Zedler 1735 Universallex. X 282 Garantie ist, wenn die in einem corpore politico mit einander stehende Membra sich bey dem Genuß ihrer Freyheit und Gerechtsamen Mutuo vertreten und schützen mögen. Dies Jus Garantiae competiret denen Membris . .; 1758 Abhandlung Hl 79 so
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Garantie
wäre die Garantie des Westphälischen Friedens der Krone Frankreich vergeblich; Michaelis 1776 Räsonnement IV 616 unter der Guarantie eines solchen Creditedicts; Goethe 1779 Br. (WA IV 4,115) noch einige Worte . . eh wir uns tiefer in die Gebürge verlieren in die wir unter Garantie des Herrn de Saussure einen Versuch wagen; Fresse 1796 Ostfrießland l 293 Garantie bei den vorhabenden Geldnegotiationen; Goethe 1809 Br. (WA IV 20,348) Die Erborgung eines solchen Capitals, die Garantie, die Art die Interessen auszuzahlen, selbst die Amortisationsweise . ., das alles hat für beyde Theile mancherley Schwierigkeit; ders. 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 27,122) [Wirkung der Sterbesakramente auf den Menschen] ihm wird da, wo jede irdische Garantie verschwindet, durch eine himmlische . . ein seliges Dasein zugesichert; 1817 ZfBaiern III 268 wahre gegenseitige Gewährleistung (Währschaft, Quarandia [!]) [im alten deutschen Recht]; 1835 Jahrb. d. Gesch. II 344 constitutionelle Garantie der staatsbürgerlichen und politischen Rechte für alle Staatsbürger; Kohl 1844 Brit. Inseln 216 Nur einige erfordern weiter keine Qualification als die eines Gentleman, . . die Bekanntschaft wenigstens mit einem Mitgliede und natürlich der gehörigen Garantie der richtigen Bezahlung der Beiträge; 1861 Allg. Mil.-Enc. III 280 Hier bieten sich die stärksten Garantien für den Erfolg; 1867 Grenzboten III 27 Garantien für den Schutz der Nationalität mitabgetretener deutscher Bezirke; König um 1875 Hum. I 219 wollen Sie mir . . gütigst sagen, welche Garantien Sie mir für die Zukunft meines Kindes bieten können?; 1887 Dtsch. Rundsch. LI 435 Garantieen dafür, daß die Autonomie des Reichslands der Sicherheit des Reichs nicht gefährlich wird; Freud 1897 Br. 58 die Schreiblähmung scheint mir bestellt, um unseren Verkehr zu hemmen. Garantien dafür besitze ich keine, es sind so Gefühle höchst dunkler Natur; 1901 Stimmen d. Zeit XL 360 kann der Händler die persönliche Garantie für die Qualität des Getreides ablehnen, indem er lediglich nach Standardtypen . . handelt; 1918 Deutschland u. Katholizismus V 406 dieses neue Wirtschaftsethos . . trägt. . die sichern Garantien zum sozialen Frieden und zur Völkerverständigung . . in sich; Berl. Illustr. Nachtausg. 15. 1. 1933 Er besitzt kein Eigenkapital, sondern nur ein Garantiekapital . ., das ihm die Wirtschaft auf dem Wege über die Golddiskontbank zur Verfügung stellt; 1933 SiemensZschr. l o. S. Zum Schluß seien noch die Garantiedaten für die Transformatoren angeführt, die bei der Abnahme sämtlich einwandfrei eingehalten wurden; Morgenpost 7. 9. 1935 Eine weitere Frage von allgemeinem Interesse ist die Garantie, die auf Uhren gegeben wird; Rogge 1937 Kollektwsicherheit 167 Unter „Garantie" des Ewigen Friedens
versteht er [Kant] nicht etwa ein Rechtsgebilde nach Art der schon damals recht zweifelhaften Garantieverträge von Bündnischarakter. Vielmehr will Kant als „Garantie" . . gewisse natürliche Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Entwicklungsgeschichte verstanden wissen; Angriff 16.3. 1937 erhielt jeder österreichische Arbeiter von seinem Betrieb einen Garantielohn von 300 Rubel; Frankf. Ztg. 2. 3. 1941 den Briten hat Roosevelt keinen Garantiepakt angeboten, nicht einmal etwas, was einer Garantie ähnlich wäre; Bredel 1953 Söhne 11 als Obmann hättest du dann ausgespielt. Todsicher! Unter Garantie!; Dönhoff 1963 Ära 94 dass beide Seiten gewisse Garantien über . . das Verhalten Gesamtdeutschlands wünschen; Stuttgarter Ztg. 30. 10. 1967 Der Garantie-Sparer-Typ (Überschr.) Er ist der Typ, der allem mißtraut . . Er möchte für alles im Leben eine Garantie. Sparen ist deshalb für ihn ein lebenswichtiger Garantie-Ersatz; FAZ 16. 2. 1971 eine politische Garantieerklärung für den israelischen Staat; Zeit 1. 2. 1985 Wie die Opposition unter Helmut Kohl setzt auch Willy Brandt darauf, den Rückweg zur Macht in den Rathäusern und Landesparlamenten zu beginnen .. Aber es gibt keine Garantie, daß die SPD dabei ähnlich erfolgreich abschneiden könnte wie einst die Union; Saarbr. Ztg. 3. 10. 1997 Weiter fordert er internationale Garantien für den künftigen Status Jerusalems; taz 22. 3. 2003 Einige von ihnen bieten nach Ablauf der Garantiefrist . . Festpreise für die Reparatur bestimmter Gerätemodelle an. Garant: Zeiller 1644 Episteln IV 399 den Verkaufter/ oder Wehrmann [Gewährsmann]/ den die Frantzosen Garant nennen (JONES); 1695 Scheibner o. S. garant, Bürge/ Beschirmer oder Beschützer (BRUNT); Zenner 1701 Br. 222 die Arbitrios und Theilungs-Guarants (BRUNT); Grimarest 1707 Carl I 50 So wurden also die Garands genöthiget . . die Sache mit Gewalt anzugreiffen (BRUNT); 1748 Verzeichn. 64 Garant, Garanteur, ein Bürge (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1758 Irenophili zufällige Gedanken 8 Dass der König von Frankreich sich als rechtmässigen Garant des Westphälischen Friedens aufwerfe; Joseph II. 1778 Br. 23 Karakter eines Garanten des Westphälischen Friedens; Goethe 1799 Amtl. Sehr. (LIII 240) [Vorschlag zur Bildung einer Zensurkommission] jeder, der hier gleichsam zum Garant, zum Zeugen, zum Theilnehmer aufgefordert wird . . wird es [Manuskript] näher beurtheilen, ob es denn auch öffentlich erscheinen kann (GWB); Jacobs 1813-14 Reden 19 [Deutschland] fand Garanten in den größten Mächten Europas; Arnim 1845 Bemerkungen e. Reisenden III 26 von den beiden Garants der deutschen Verfassung; 1856 Monatsschr. Wiss. Ver.
Garantie Zürich 86 Die Republik Krakau hatte . . Grossmächte zu Garanten; Meissner 1866 Schwarzgelb 125 Diese Armee ist . . der Garant einer neuen, zeitgemässen Ordnung; 1887 Dtsch. Rundsch. Ll 76 Garanten des Pariser Friedens; 1916 Deutschland l 93 [dass die Engländer] ihren eigenen Staat für den Garanten und Kontrolleur des natürlichen Rechts in der ganzen Welt erklären; Borries 1925 Romantik 108 der ästhetische Imperativ als Garant der Freiheit; Voss. Ztg. 18. 8. 1928 Über den Einheitssatz [beim Sparen] sollte . . nur da hinausgegangen werden, wo der Garant einer Sparkasse seine Anleihen über diesen Einheitssatz hinaus aufwertete; 1933 Dtsch. Offiziersbund 500 Deutschland als bester Garant des „Friedens"; Berl. lllustr. Nachtausg. 1. 9. 1933 Mein Führer! Sie waren uns als Führer der Partei der Garant des Sieges; 1934 „Duden"-Sammlung o. S. Güte, Verpackung, Bildbeilagen . . 3 Garanten für die Grenzlandzigarette in der Patentpackung; 8-Uhr-Abendbl. 8. 5. 1935 Unsere Jugend ist nicht der Garant, sondern der Bürge der deutschen Zukunft; Edschmid 1937 Liebesengel 26 Schiffe allein waren die Garanten für das Wohl der Völker (DUDEN 1999); Münch. N. N. 7. U. 1938 Die Partei ist der Garant dieser Führung unseres Volkes!; ebd. 24. 8. 1942 [diese Firma ist] Garant guter Arznei-Präparate; ebd. l. 2. 1945 Die Aufrechterhaltung dieser inneren Widerstandskraft [in Nazi-Deutschland] . . ist zugleich der sicherste Garant für den endgültigen Sieg; FAZ 2. 6. 1951 Ein Garant des Wachstums; Süddtsch. Ztg. 5. 7. 1960 lobte die Trachtenvereine als Garanten für die Erhaltung der „ehrlichen bayerischen Art und ihres Brauchtums"; Dönhoff 1963 Ära 80 der Völkerbund war also der Garant des staatsrechtlichen Status; 1965 Durch d. schöne Welt H.1/2 Der beste Garant und ein gutes Qualitätsmerkmal für ein Cafe sind die älteren Damen als Stammpublikum; i9S6 AD AC-Motorwelt XI 107 sind ein intaktes Ladesystem, eine gute Batterie . . Garant dafür, dass der Wagen immer klaglos anspringt (DUDEN 1999); Altner 1991 Naturvergessenheit 104 Gott als der Garant des Lebens bindet sich vertraglich nicht nur an den Menschen, sondern auch an die Mitkreatur des Menschen; Mannh. Morgen 25.5.2001 „Oliver [Kahn] hat eine sensationelle Saison gespielt ...", urteilte Trainer Ottmar Hitzfeld über den Garanten des ersten Bayern-Triumphes im Meister-Wettbewerb. Garanteur: Friedr. Wilh. 1672 (UAS XIII 101) und endlich sollten der Kaiser, England und Schweden Garanteurs der Spanischen Niederlande sein (BRUNT); Hübner 1709 Conversationslex. 598 Garanteur, der eine Bürgschafft über sich nimmt (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Spener 1725 Teutsches ius publicum 104 Der Garanteur eines
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Friedens hat nach seinen Verträgen gleichsam ein Amt übernommen . . Wer hat darbey nöthig, eine Jurisdiction der contrahirenden Partheyen, deren sich der Garanteur unterworffen hätte, zu dichten; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 274 Garanteur, der eine Bürgschafft über sich nimmt; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II 539 Puissancen, die darüber zu Garanteurs gesetzt; Zedler 1735 Universallex. X 282 Garanteurs, werden diejenigen Puissancen genennet, welche sich bey Friedens-Schlüssen, als Unterhändler, . . Bürgen und Gewährs-Leute brauchen lassen; 1748 Verzeichn. 64 Garanteur, ein Bürge (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Martens 1801 Cours diplomatique 525 K. Henr. IV. in England Erklärung wegen der Garanteurs für den Commerz-Tractat; 1871 Archiv f. österr. Gesch. 288 der Pragmatischen Successions-Ordnung umb so praejudicirlicher, als hierdurch alle Puissancen als deren Garanteur sich zu einer fernen Garantie umb so weniger verbunden achten würde; Salzb. Nachr. 28.5.1994 Als staatlicher 'ExportrisikoGaranteur' agiert hierzulande die OEKB. Die ÖKV, die Garant Versicherungs AG und die Prisma Kreditversicherungs AG sind als private Institutionen aktiv; Frankf. Rundsch. 8. 10. 1997 Selbst für die nur in groben Rastern von Einflußsphären denkende US-Politik dürfte Milosevic seit der Wahlschlappe der Sozialisten nicht mehr als Garanteur von Stabilität auf dem Balkan gelten; falls er es denn je war. Milosevic ist nur noch Quell neuer Unruhe(n); Presse 9. 1. 1999 Die Türkei mußte 1974 nach dem Putsch der griechisch-zypriotischen Seite mit dem Ziel der Annexion Zyperns an Griechenland im Rahmen des Völkerrechtes als Garanteurstaat in Zypern intervenieren. garantieren: Hainhofer 1611 Corr. 147 (Exzerpt) allein stehe er an, ob Er diese Sachen E. Fr. Gn. schickhen solle, ehe Er . . sich erkundige, ob E. Fr. Gn. seine alß aines gaistlichen Fürsten kundtschafft nit werde zu wider sein . . darauf . . Ich . . wider garantiert, . . wolle Ich . . versichern, das E. Fr. Gn. seiner . . kundtschafft Ihr auch wol werden belieben lassen, und so stattliche schöne Praesent zu danckh aufnemmen; Friedr. Wilh. 1659 (UAS Vll 201) dass man Sie auch bei der Souverainität in Preussen guarantircn solle (BRUNT); Leibniz 1670 Securitas puhl. (1175) so sehe ich gleichwohl nicht, wie Lothringen zu garantiren, bei gegenwärtigen Zustand muglich sey; i675 Interesse 15 den . . geschlossenen Tractat guarantiren (BRUNT); Ettner 1697 Chymicus 260 Wann mein Patron wegen des Briefs nach Arles mit eingelegten . . mir trauen wolle, können sie innerhalb einer Stunde fortgeschickt werden, ich gvarantire davor; Marperger 1711 Beschr. d. Messen l 262 er wollte ihm guarantiren, daß in Jahr und Tagen kein Pfennig davon
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Garantie
kommen würde; ders. 1716 Beschr. d. Banken 391 Banquiers, die von dem Rath und der Stadt einer von ihr authorisirten und garantirten Banco vorgesetzet waren; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 274 Garantiren, gewähren, dafür stehen, gut sagen vor einen, beschirmen, beschützen; Fassmann 1729 Narr 172 welchen Frieden die Crone Franckreich selber garantiret hat; Berlin. Privilegierte 28. 2. 1736 wenn nur zum voraus abgethan worden, wem die Staaten des Don Carlos, auf dem Fall derselbe den Spanischen Thron bestiege, zu Theil werden sollen, solches alles aber von denen beyden See-Mächten garantiret wird; Callenbach 1761 Genealogia 68 Ich guarantir, Papa; Schneider 1775 Eint. 16 Debit und Credit, welches hier die Hauptsache ist, gehet und stehet richtig; dieses garantire ich, und die Bilanze bezeugen es (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Goethe 1782 Amtl. Sehr. (I 197) Wollte man . . rechts die Zimmer noch dazu nehmen so garantire ich daß die Büttnerische Bibliothek Platz haben soll (GWB); Fichte 1800 Handelsstaat 59 [die Regierung soll den] Preis der Waare festsetzen, und garantiren; Goethe 1809 Br. (WA IV 20,348) Professor Voigt sollte ein Capital von Vierhundert Thaler . . aufnehmen und Durchlaucht wollten es auf zehn Jahre so wie auch die Interessen davon garantiren; Münch. Polit. Ztg. 16. 1. 1819 Tüchern . . in verschiedenen Couleuren, als dunkelblaue, hellblaue, wo für ächte Indigo-Farbe garantirt wird; Hailbronner 1837 Cartons I 171 wie denn in London nur die höhere und garantirte Sicherheit und Solidität der Arbeit mit steigenden Preisen bezahlt wird; Moser 1853 Pauperismus 28 In den mit den Fabrikanten abzuschließenden Verträgen garantirt er den letztern die Leistungen der Kommune; Reichensperger 1872 Phrasen 47 Die Freiheit der Wahlen ist nur da garantirt, wo die liberale Partei allein sich jedes beliebigen Mittels bedienen darf, um Andersdenkende . . aus dem Felde zu schlagen; Proelß 1891 Modelle 121 O, daß Sie mir für mein erstes Plein air-Bild sitzen wollen, das garantirt den Erfolg; Fischer 1897 Soziales Problem 665 Sicherung der Existenz des Individuums durch staatlich garantirte Arbeit; Poppenberg 1913 Rokoko 47 Um wenigstens eine gewisse Einnahme garantiert zu haben, wurden die merkwürdigsten Praktiken angewandt; Lokal-Anz. 18. 1. 1933 soll Oesterreichs Neutralität durch den Völkerbund „garantiert" werden; Kesten 1952 Casanova 181 Darum solle ihm Bragadino eine gute Stellung verschaffen und die zehntausend Dukaten Mitgift garantieren; Dönhoffl 963 Ära 169 Die Ölquellen erschließen Reichtum nur dann, wenn der stetige Verkauf des Öls garantiert ist; i 979 ADACMotorwelt VII 62 Dieser Wettbewerb ist inzwischen sehr populär und garantiert spannenden Motorsport (DUDEN 1999); Strittmatter 1983 Laden
183 was man einen reifen Mann nennt (ich kann nicht garantieren, daß ich es je im landläufigen Sinne sein werde); Spiegel 15.2. 1993 Den Unterhaltungswert, den deutsche Profis nicht mehr bieten können, sollen in der Bundesliga die Chefdenker garantieren; taz 14. 3. 2003 Um so wichtiger war für China ein friedliches Umfeld. Das aber war nach Dengs Logik nur zu garantieren, indem man sich mit dem Westen gut stellte. garantiert: Hartleben 1900 Rosenmontag 221 die echte, garantiert reine Kasernenluft (DiBi 125); Tucholsky 1924 Rudolf Herzog (G. W. Hl 467) ein Notzuchtverbrechen mit garantiert schwarzer Schmach und ha! dem kräftig zupackenden Faustgriff des blonden Retters . .. es ist alles da (DiBi 125); Chlumberg 1931 Wunder 118 Granatsplitter, ausgeschossene Maschinengewehrpatronen, Bajonette, Stahlhelme, durch garantiert echte Kopfschüsse deformiert (DiBi 125); NZ (Basel) 14. 2. 1950 Ich lasse mir — in Spanien — ein harmloses Loch im Zahn zulöten; die Plombe hält garantiert zehn Jahre; aber nach zehn Tagen muss sie wieder heraus; FAZ 24. 10. 1964 Skifahrerin . . würde sich über seinen Brief mit Bild freuen, der garantiert streng vertraulich behandelt wird (Anzeige); Plenzdorf 1973 Leiden 66 Immer nur die eigene Visage sehen, das macht garantiert blöd auf die Dauer (DUDEN 1999); Saarbr. Ztg. U.l 13. 7. 1980 eine Schuhcreme . ., die nach einmaligem Auftragen jede Schuhfarbe in ein garantiert mattes Schwarzbraun verwandelt; Lenz 1980 W. XVII 159 kauf ich mir ein Los, ist es garantiert der Hauptgewinn; Kleine Ztg. 29. 1. 1998 Wobei ihnen nach wie vor der luftig-leichte Teig [des „Killerkipferls"] lieber ist, bei dem die Füllung Völlegefühl garantiert ausschließt; Mannh. Morgen 5. 6. 2003 Angebote für Kinder .. und Senioren . . sollen dafür sorgen, dass garantiert keine Langeweile aufkommt. Garantierung: 1658 (1976 Quellen z. Verfassungsorganismus d. Heil. Rom. Reiches 253) ein Miles per petuus zu Guarantirung des künfftigen ahnhofenden Friedens in dem Reich; Friedr. Wilh. 1677 (UAS XVHI 163) wegen Garantierung des Olivischen Friedens (BRUNT); 1689 Polit. Fliegenwedel II 19 Guarantirung; um 1730 Gründlicher Beweiß, Daß Durch Guarantirung Der Allerdurchlauchtigsten Oesterreichischen Erbfolge Die Allgemeine Wohlfahrt Des Heil. Rom. Reichs vortrefflich befestiget werde (Titel); Marx 1843-44 MEGA I 2,70 die öffentliche, allgemeine Freiheit ist in den ändern Staatsinstitutionen angeblich garantirt; die Stände sind ihre angebliche Selbstgarantirung; Neueste Mittheilungen 3. 3. 1887 neue Verhandlungen über die Erweiterung bezw. Sicherstellung
Garde des Bündnisses zwischen Italien, Deutschland und Oesterreich-Ungarn . . es soll sich hierbei um die gegenseitige Garantirung des Besitzstandes der drei Mächte handeln; Borcbardt 1927-28 Reden 297 der Übergang von Alexander über Cäsar auf Karl und Otto und Heinrich ist eine festgeschlossene Reihe . . Ihre religiöse Garantierung ist im Sinne der neuen Form antiker Weltreligion . . von gleicher Festigkeit, wie die Verbürgung der älteren Perioden gewesen war; Münch. N. N. 27. 5. 1940 die Umsicht und der Takt .., mit denen die deutschen Besatzungsbehörden . . nur soweit ihre Hand auf die innerholländische Führung gelegt haben, als dies zur . . Garantierung der eigenen Belange und Sicherheit notwendig war; Dtsch. Volksztg. 1970 daß viele Staaten noch immer keine Aufnahme in die Vereinten Nationen gefunden haben. Dies gilt
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vor allem für . . die Bundesrepublik und die DDR . . ohne deren aktive Mitarbeit an eine Garantierung der Sicherheit in Europa und in Asien kaum zu denken ist; taz 2. 7. 1993 Vertreter der drei nordamerikanischen Länder verhandeln derzeit über Zusatzverträge zum Umweltschutz und zur Garantierung sozialer Rechte. Sie wollen damit beispielsweise verhindern, daß US-Firmen nach Mexiko gehen, um die dort niedrigeren Löhne und Sozialstandards auszunutzen; Frankf. Rundsch. 8.4. 1999 Entweder man akzeptiert ein größeres (nicht: Groß-) Albanien unter Einschluß von Kosovo, oder man setzt die Anerkennung und internationale Garantierung der souveränen Republik Kosova (die ihrerseits Minderheitenrechte für die verbleibenden Serben sicherstellen muß) auf die internationale Tagesordnung.
Garde F. (-; -n), vereinzelt auch M. (-; -n), im späteren 15. Jh. entlehnt aus frz. garde "Wache, Wachmannschaft' (zu (alt)frz. garder 'bewachen, behüten, schützen, bewahren', zurückgehend auf german. *wardön 'Sorge tragen, auf der Hut sein', vgl. Warte; mit der ebenfalls entlehnten frz. Wendung en garde, eigentlich 'in Deckung', als Kommando, mit dem die Fechter aufgefordert werden, Fechtstellung einzunehmen, sowie im Schachspiel verwendetem Gardez! 'Achtung!', eigentlich 'bewahret, nehmt in acht!'; vgl. auch span./port, guardar, ital. guardare 'aufmerksam ansehen, beaufsichtigen, bewahren' sowie auf das selbe Etymon zurückgehendes Guardian 'Klostervorsteher'; —·· Garderobe, —·· Avantgarde), im 16. und 17. Jh. überwiegend in den von gleichbed. span./ital. guardia beeinflussten Lautformen guardi(a), guardie, quarti, g(e)wardi und gwardey. a Zunächst vereinzelt am Niederrhein als Bezeichnung für die burgundische Kerntruppe im Heer Karls des Kühnen, seit früherem 16. Jh. kontinuierlich in der Bed. 'aus bes. zuverlässigen Soldaten bestehende und meist mit reichen Uniformen ausgestattete militärische Einheit zum persönlichen Schutz eines Monarchen und für den zeremoniellen Ehrendienst, Leibwache' (s. Belege 1539, vor 1551, 1571, 1617, 1690, 1708, 1791, 2005), in Wendungen wie die königliche, kaiserliche Garde, die Garde des Feldherrn, die Garde ist vor dem Schloss aufgezogen, in die (Leib-)Garde aufgenommen werden und Zss. wie Gardeknecht, -reiter, -soldat; Palatin-/Schweizergarde 'aus schweizerischen Söldnern bestehende päpstliche Leibwache im Vatikan' (seit 1506, heute eine reine Repräsentationstruppe), Nobelgarde 'ausschließlich aus Adligen bestehende Leibwache' und (bes. verdeutlichendes) Leibgarde, auch (scherzhaft) übertragen auf den nichtmilitärisch-bürgerlichen Bereich (s. Belege 1828, 1900, 1931) sowie bildlich (s. Belege 1857, 1894), dann auch bezogen auf Truppen, die nicht mehr unmittelbar mit dem Schutz eines Machthabers beauftragt sind in der Bed. 'militärische Einheit, die aus ausgesuchten Mannschaften aus allen Waffengattungen besteht und eine eigene Heeresabteilung bildet, Kerntruppe und letzte Reserve des Heeres, Elitetruppe, -einheit' (s. Belege 1788, 1796, 1814, 1844, 1875, 1891, 1929, 2003), meist konnotiert mit „bes. tapfer, treu, opferbereit, mit höchsten soldatischen Fähigkeiten ausgestattet", in Wendungen wie die Preußische Garde, selbst die Garde wankte, die Alte Garde 'Eliteeinheit im Heer Napoleons', Die
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Garde
Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht! (dem napoleonischen General Pierre Cambronne zugeschriebener Ausspruch, mit dem er die englische Aufforderung zur Kapitulation in der Schlacht bei Waterloo abgelehnt haben soll) und Zss. wie Gardesoldat, -offizier, -leutnant, -regiment, -reiter, -husar, -kürassier, Gardekorps 'Gesamtheit der Garden, Gardetruppe' (speziell auch Bezeichnung für das nach dem Vorbild von Napoleons Garde imperiale 1815 entstandene, 1918 aufgelöste preußische Gardekorps, das seit 1860 die Stärke eines regulären Armeekorps besaß), Gardemaß 'für Gardesoldaten (früher) vorgeschriebene Körpergröße', daher scherzhaft für 'stattliche Körpergröße', Schweizergarde 'aus Schweizer Söldnern bestehende Eliteeinheit an europäischen Fürstenhöfen' (z.B. die von 1616 bis 1792 bestehende Söldnertruppe der Könige von Frankreich), aus frz. Garde nationale entlehntes Nationalgarde als Name für die 1789 in Paris eingeführte Bürgerwehr, die in Frankreich mit Unterbrechungen bis 1871 bestand, heute zur Bezeichnung von Militäreinheiten (auch anderer Staaten), die für den Einsatz im Inneren vorgesehen sind, Elite-, Grenadier-, Kaisergarde, auch allgemeiner verwendet in Zss. wie Bürger-, Ehrengarde, vereinzelt auch ironisch gebraucht (s. Beleg 1697) und seit 20. Jh. abgeflacht in der Bed. 'zur Karnevalszeit in farbenprächtigen (friderizianischen) Uniformen auftretende Gruppe (junger) Frauen und Männer eines Karnevalsvereins', z. B. die Garde der Roten Funken, Funkengarde; daneben auch von Ende 15. bis früherem 16. Jh. allgemein für 'Landsknechts-, Heerhaufen, Truppe' (s. Belege 1499, 1508 — 16, 1522, 1540), in Wendungen wie die welsche Garde, die Garde der Schweizer, und '(in einer Festung stationierte) Wachmannschaft, Garnison' (s. Belege um 1600, 1602); dann auch als Personenbezeichnung für 'Soldat, Angehöriger einer Leibwache' (s. Belege 1536, 1552-53, 1660, 1669.2, 1715, 1811; vgl. Gardist, s.u.), bes. in der Zs. Leibgarde und in Wendungen wie die prächtig gekleideten (Leib-)Garden, jmdm. zwölf Leibgarden mitgeben, bzw. 'Angehöriger einer Eliteeinheit, Elitesoldat' (s. Belege 1729, 1897, 1954), vereinzelt auch abstrakt in der Bed. 'Schutz, Bewachung, Sicherung' (s. Beleg 1630). Vgl. auch im frühen 18. Jh. aus frz. garde du corps 'Leibwache' (gebildet aus garde, s. o., und corps 'Körper, Leib') entlehntes, heute nur noch historisierend verwendetes Garde du Corps N. (-; Gardes du Corps), vereinzelt auch F., auch Garde-du-Corps und eingedeutscht Gardedukorps '(berittene) Leibwache eines Monarchen', speziell Bezeichnung für ein früher in Potsdam stationiertes preußisches Gardekavallerieregiment mit bes. ausgewählter Mannschaft und Pferden, gelegentlich auch als Bezeichnung für einen Soldaten der Leibwache (s. Beleg 1852). b Vom frühen 16. bis ins späte 18., vereinzelt bis ins späte 19. Jh., meist in der Nebenform Gart(e), in der Bed. 'Diebes- und Betteltour umherstreifender, vagabundierender, marodierender herrenloser Landsknechte; Bettelei, Landstreicherei', häufig in Wendungen wie auf der Garte sein, liegen, auf der Gart gehen, laufen, streifen, (umher-)ziehen, Garde gehen, vereinzelt dafür auch Gärtnerei F., nur als Bestimmungswort in (morphologisch oft an dtsch. Garten angelehnten) Zss. wie Gart(en)bruder, -knecht, -krieger, -ganger, -soldat (vgl. Grassator, —» grassieren, Marodebrüder, —* marodieren), im 18.719. Jh. vereinzelt gebucht als Bezeichnung für einen Trupp entlassener, (bettelnd) umherziehender Soldaten' (s. Belege 1741.1, 1808). c Seit früherem 19. Jh. übertragen verwendet in der Bed. 'Gruppe von Menschen, die eine gemeinsame Aufgabe erfüllen, an der gleichen Sache arbeiten, gemeinsame Interessen haben' (—»· Clan, —> Clique, —> Club, —» Gruppe, —·· Team; s. Belege 1920,
Garde
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1969), oft auch '(ausgewählte) Gruppe von Menschen, die sich durch besondere Verdienste, Leistungen, Qualifikationen, Erfahrung auszeichnen' (—> Elite; s. Belege 1836, 1951, 1965, 1984, 2005), auch für 'Gruppe von Vorkämpfern (z.B. für eine (politische) Bewegung)' (—+ Avantgarde b, vgl. Arrieregarde), in Wendungen wie (wohl unter Rückgriff auf die sogenannte Alte Garde Napoleons) alte Garde 'langgediente, in bestimmten Verhältnissen lange heimische Personen', häufig noch (einer) von der alten Garde sein 'ein zuverlässiger Mensch sein, der die althergebrachten Tugenden verkörpert und daran festhält, ein langjähriger Kamerad sein', gelegentlich auch abwertend 'jmd., der einer alten (nicht mehr zeitgemäßen) Denkungsart verpflichtet ist', die junge Garde, zur ersten Garde gehören, als zweite Garde gelten, sich mit einer Garde von Helfern umgeben, eine Garde bester Sachverständiger, die schreibende Garde Amerikas, häufig in Zss. wie Darsteller-, Designer-, Läufer-, Teenie-, Terrorgarde. Dazu die im späten 18. Jh. gebildete Personenbezeichnung Gardist M. (-en; -en), in neuerer Zeit auch moviert Gardistin F. (-; -nen), zunächst 'Leibwächter, Soldat der Garde' (vgl. dagegen frz. garde M. '(Leib-)Wächter, Soldat der Garde'), dann auch 'AngehörigeAr einer ausgewählten (militärischen) Einheit, Soldat/-in einer Elitetruppe', häufig als Grund-, selten als Bestimmungswort in Zss. wie Leib-, Schweizer-, Revolutions-, National-, Ex-, Alt-, Ehren-, Bürger-, Rotgardist 'Kämpfer der von Trotzki zu Beginn des russischen Bürgerkrieges gegründeten Roten Armee', Weißgardist 'Kämpfer der gegen kommunistische Aufstände gerichteten konterrevolutionären „Weißen Armee" (auch „Weiße Garden" genannt) als Gegenpol zur Roten Armee'; Gardistentruppe, -uniform, -Stützpunkt, gelegentlich auch bildlich gebraucht (s. Belege 1985.1, 1997) (zu a), im 18. Jh. vereinzelt 'marodierender, herrenloser Landsknecht' in der sprichwörtlichen Wendung arm wie ein Gardist (zu b); dazu im 20. Jh. die nur gebunden vorkommende adj. Ableitung -gardistisch 'auf Gardisten/eine Garde bezogen', z.B. rot-, weißgardistisch (zu a). Dazu seit frühem 16. Jh. die verbale Ableitung gard(ier)en/gart(ier)en V. intrans. 'umherziehen, um Gaben zu erbetteln oder zu erpressen', z.B. gartende (Lands-)Knechte, das Garten/ Gardieren soll nicht gestattet werden, mit den im 17. Jh. vereinzelt bezeugten Präfixbildungen umhergarten V. intrans. und ergarten V. trans, '(etwas) erbetteln' (zu b), seit 19. Jh. regional (bes. österr.) auch als V. trans, in der Bed. 'bewachen, beschützen' (vgl. eskortieren, —» Eskorte; zu a). Garde a: 1474 (Wierstrait 1855 Neuss 9) item by dem hertzoch in synre garden, mit syns selfs lijve artziers [Leibhartschicren, eig. Bogenschützen] dair inne gerechent, waren dese naegeschreven landsheren [mit ihren Heerhaufen] . . zosamen umbtrint iiij. M. (ungefähr 4000) (DWB); 1499 Volkslied (Liliencron 419) Die welsch gard ist ouch daran,/ hat denen von Bern den schaden tan/ zu Dornach auf der maten; um 1508—16 (Brennwald, Schweizerchronik II 436) es schikt im ouch der prinz ein merklichen reisigen züg, die man die welsch gard nambt; 1522 Volkslied (Liliencron HI 405) Der Schweizer gart die trangen hart,/ im graben thetens ringen; Michael Herr 1536 Sittl. Zuchtbücher 183a Ettwan haben sich yhre [der Tyrannen] eygnen garden wider sy ampört (SCHÖP-
FE); Linck 1539 Bapsts Gespreng Alb [die Kardinale] verordenen und bestellen allda für anderen villerlei gewarde, das conclave zu verwaren (DWB); 1540 Urkunden u. Akten Strassburg U 3,53 das sich ein andere garde, wilche nunmehr bei den tausent stark sein und noch ferrer zulaufen solle, versamble; vor 1551 (Brennwald, Schweizerchronik II 511) begerte also 4000 knechten zuo einer gwardi, die uff sinen lib warten und nüt anders tuon soeltind, da mit er vor untrüw bewart were; Sachs 1552-53 Fastnachtsp. 44,181 Sag, wer mich nur angreiffen wolt!/ Ich hab mein quarti vnd Trabanten/ Vmb mich mein freundt vnd wolbekanten,/ Die mich verwaren nacht vnd tag; Fronsperger 1571 Kriegßbuch l 213b Auff solche folgen zwölff tausent Ganitzeher oder Landsknecht zu
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Garde
Fuß/ welche aber neben vorigen deß Keysers Leib als ein Gwardy verwachen; Fischart 1582 Geschichtklitterung 279 Er kont wie ein Egyptischer Mameluckischer Gwardyknecht eim Gaul inn vollem lauff ein Sattel gürten; Chyträus 1597 Casa's Galateus 92 wenn . . die Lateinische/ oder anderer frembder Sprachen Wörter beynah teutsch worden weren: als armada, ammiral, guardia; 1598 (Font, rer. austr. U 58,371) Es kann vielleicht auch woll sein, das I. Dt. geliebster herr vatter sei. ged. dergleichen bestellende guardien gn. wider abgethan haben; Kiechel um 1600 Reisen 150 hat es zwischen dem gebürrg und dem wasser eine clausa, durch wölche due stras geth, aldo es eine guardia von vönedischer herrschaft hüngeordnet; Kirchhof 1602 Wenduntnuth II 319 ein gwardi nennet man auch bei uns Teutschen nunmehr die anzahl knechte, so etwan in einer festung für und für, ob es gleich fried ist, liegen (DWB); Wallhausen 1617 Corpus militare 95 Einen Platz zu geben deß Feldtherrn Leibquardi; Regkman 1619 Lubeckische Chronik 91 Aber der Garde wolte dar seyn, es meinte auch niemand dasz es vbel gerathen konte, do der Garde wolte vor an zihen (SCHÖPFE); Furttenbach 1630 Architect, mart. 66 darumben wist ihr den Kern vnter dergleichen Stucken herauß zu suchen/ vnd solche zu der guardia der Thoren zugebrauchen (ein guter Vorrath von HandGranaten vnd Sturmkuglen bey sich zuhaben mag in dergleichen Einfallen viel praestieren); Gryphius 1660 Dornrose 57 (100,3) hab ich euch beide zu meinen leibqvärden angenommen (DWB); Birken 1669 Ulysses 59 wie er seine Schweizer und Garde exercirte (BRUNT); Grimmeishausen 1669 Simpl. II 69 Da hatte ich nun wohl Ursache, mich über Seine Majestät zu verwundern, da ich doch weder eine wohlbestellte Hofhaltung noch einziges Gepräng, ja aufs wenigste keinen Kanzler oder geheime Räte, noch einzigen Dolmetschen oder Trabanten und Leibguardi, ja sogar keinen Schalksnarrn, noch Koch, Keller, Page, noch einzigen Favoriten oder Tellerlecker nicht sähe (DiBi 125); 3690 Hochbeehrt. Augsburg 182 Hinter denen Herren von der Stadt seyn . . auch eine gute Anzahl von der Kayserl. Leib-Garde geritten; Ziegler 1697 Staats-Phant. 17 daß er/ .. den Apollo/ welcher ihm auf seiner überirrdischen Leyer ein allzuübelklingendes Menuet gespielet hatte/ vom MusenThrone herunter gestossen haben würde/ wenn nur seine Jesuiter-Garde, die sich gleich Anfangs in guter Ordnung reteriren müsen/ nicht so weit von ihm entfernet gewesen wäre; 1708 Leopold d. Große II 160 Jedoch wurden ihrer neune davon auf dem Landhause von der käyserlichen Garde ertappet; Elis. Charl. 1715 Br. H 499 So hatt sie die königin umb 11 abendts in eine kutzsch gesetzt, ihr nur eine camermagt undt laqueyen mittgeben
undt 12 leibquardt, umb sie wider in Franckreich zu führen; Rohr 1733 Zeremoniellwiss. II 67 Die zur Bewachung der Gebäude und Gemächer gestellten Garden; Bretzner 1788 Leben III 308 Von Figur war unser Raupertus klein und zwergartig, und würde unter der Preußischen Garde sich eben nicht sonderlich ausgenommen haben; Knigge 1791 Noldmann 153 Seine Majestät hätten den anwesenden deutschen Kavalier (mich nämlich) zu Ihrem Baalomaal oder Gentilhomme de la Chambre und Obersten der Leibgarde ernannt (DiBi 125); Hippel 1793-94 Kreuz- u. Querzüge II 61 daß es Menschen Gottes gebe, die sich selbst Religion und Gesetz wären, und die sich völlig ihren Pferden überlassen könnten, ohne einen von der Leibgarde hoher Obern, es sey zu Fuß oder zu Pferde, bemühen zu dürfen (DiBi 125); Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland I 208 die Tochter eines seiner Gardereuter; Seume 1797 Kl. Seh. (W. II 273) Die Garden aus Petersburg mußten mit zu Felde gehen, welches nur in kritischen Lagen zu geschehen pflegt; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 193) man kam vor lauter Sehen, Deuten und Hinweisen gar nicht zu sich selbst, so daß die nicht minder prächtig gekleideten Leibgarden der Kurfürsten kaum beachtet wurden; 1814 Briefe a. Paris 17 Obschon bis hieher die Nationalgarde mehr zum Prunke als zum wirklichen Nuzen [!] gedient hatte, und nicht einmal in den Waffen geübt worden war; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,106) ein Heft . . wo ich, in mehreren Colonnen, meine alten Garden der Naturbeherrschung werde aufmarschiren lassen; Hauff 1828 Märchen-Almanack (S. W. II 194) der Zirkelschmidt wünschte sich zwölf seiner handfesten Kameraden mit Knütteln bewaffnet als Leibgarde (DiBi 125); 1844 Brockhaus V 725 Die größte Berühmtheit erlangte Napoleon's Kaisergarde, bekannt unter dem Namen der Alten Garde. . . Die junge Garde war gleichsam die Vorbereitung; denn nur die bessern Soldaten derselben wurden unter die zwölf Bataillons der Alten Garde aufgenommen, die ihresgleichen nicht fanden; Eichendorff 1857 Gesch. d. poet. Lit. (W. Ill 667) Er stellt sich überall als Märtyrer dar, während ihm doch die gemeine Meinung als sichere Leibgarde beständig zur Seite stand (DiBi 125); Büchner 1875 Dtsch. Gesch. 192 als diese Botschaft nach Paris kam, waren der Louvre und die Tuilerien bereits vom Volke genommen, die Schweizer zogen sich zurück und selbst die Garde wankte (DiBi 125); 1878 Preuss. Jahrbücher 500 um dieselbe Zeit wurden die Prinzen in das Gardecorps aufgenommen; Fontäne 1891 Unwiederbringlich (Romane u. Erz. VI102) überall sah man die glänzenden Uniformen sowohl der Leibgarde zu Pferde wie der Gardehusaren (DiBi 125); Wille 1894 Einsiedler 3 Hervorragende unter seinen Ge-
Garde lehrten setzen ihren höchsten Ehrgeiz darein, nichts zu sein, als eine „geistige Leibgarde der Hohenzollern" (DiBi 125); Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 27 Schutzleute und berittene Munizipalgarden zersprengten die Kundgebenden in drei Angriffen; Kerr 1900 Er. a. d. Reichshauptstadt 594 Diese Jungfrau-Repräsentantinnen [bei den Samoanern] werden streng bewacht, haben eine Garde von Hofdamen, dürfen mitberaten und heiraten höchstens einen Brigadegeneral oder Häuptling, wenn sie einmal heiraten; Colerus 1929 Kaufherr 289 In dieser [Geldaristokratie] herrscht ja gesellschaftlich ein ärgerer Kastengeist als je im preußischen oder russischen Gardekorps; Werfet 1931 Geschwister 82 Durfte ein junges Mädchen, dem bisher das Betreten der Straße ohne geziemende Garde verboten war, plötzlich unbehütet und nur in Gesellschaft eines neunzehnjährigen Bruders auf einem Ball erscheinen?; Welt 10. 9. 1954 er zeigte ihr die Stadt, die Garden mit den roten Röcken und den riesigen schwarzen Bärenmützen, den Buckingham-Palast und die großen Parks; taz 4. 12. 1986 Ohne einen Abschiedsgruß läßt die Queen ihre Subjekte einfach da stehen und tapert hinter ihrer Leibgarde in ihre privaten Gemächer zurück; ebd. 9. 2. 1991 als Saddam Hussein 1979 an die Macht gelangte, wurde die Garde zu dem was sie heute ist: eine auf den Präsidenten persönlich eingeschworene, loyale Kampfeinheit, die nicht länger nur den Staatschef vor Anschlägen und Umsturzbestrebungen schützen soll, sondern auch als Eliteeinheit bei der Verteidigung des Landes eingesetzt wird; Mannh. Morgen 4. 3. 2003 In Köln hatte die Garde der „Roten Funken" prominente Unterstützung beim Werfen der Kamellen; Berl. Ztg. 13.3.2003 Immerhin tragen die 2500 Soldaten die Bärenfelle schon seit 1815 in Erinnerung an den Sieg von Waterloo über Kaiser Napoleons Elitegarde; Mannh. Morgen 7. 10.2005 Im Innenhof des Schlosses beobachteten die Teilnehmer den Wachwechsel der Leibgarde mit den schmucken roten Jacken und den Bärenfellmützen. Garde du Corps: Spei'ander 1727 A la ModeSprach 274 Garde du Corps, ein Leib-Wache, also nennet man diejenigen Soldaten zu Pferd oder zu Fuß, welche zu Beschützung der Person eines Königes oder Fürsten bestellet wird; Keyssler 1729 Reisen (Ausg. 1776) l 215 Die Gardes du Corps bestehen aus drey Compagnien, nämlich der savoyischen, der piemontesischen und der sicilianischen; Zedler 1735 Universallex. X 292 Garde du Corps, heisset überhaupt eine Leib-Wache, sie sey zu Pferde oder zu Fuß, welche zu Beschützung der Person eines Fürsten, Königs oder Kaysers besonders bestellt ist; Müller 1779 Siegfried v. Lindenberg 161 der Staatsminister und Chef von der
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Garde du Korps (DiBi 125); 1813-15 Prinzenbr. 120 Vorher war ungeheure Parade aller Garden. Unsere Gardes du Corps erschienen mit goldnen Cuirassen (französische Beute) göttlich!; Münch. Polit. Ztg. 16. 1. 1819 Eine . . königl. Verordnung enthält verschiedene, die Organisation der Kompagnien der Garde du Corps, um sie in Harmonie mit der bey den ändern Kavalleriekorps eingeführten Beförderungs-Ordnung zu bringen, betreffende Verfügungen; Jäger 1835 F. Schnabel 313 eine neue Abänderung der Rockkragen der Garde du Corps; Alexis 1852 Ruhe 358 „Das war der Vater von dem schönen Mädchen", sagte ein Garde du Corps zu dem Rittmeister (DiBi 125); Lewald 1861-62 Lebensgeschichte (W. Ill 82) Von den überaus prächtigen Uniformen der Garde-du-Corps, bis auf die Hofequipagen und Livreen war Alles glänzender geworden (DiBi 125); Fontäne 1897 Stechlin (W. V1H 130) mit zwölf kam er dann auf die Ritterakademie, mit achtzehn in das Regiment Garde du Corps (DiBi 125); Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 79) er vermehrt die Armee um fünfzehn Bataillone, fünf Schwadronen Husaren (die er nach österreichischem Muster einführt) und eine Schwadron Gardedukorps; Frankf. Rundsch. 4. 12. 1999 Wo heute ihre einstige Mitte mit Leere gähnt, sah die Residenzstadt [Potsdam] früher aus wie ein aufgeräumtes Wohnzimmer, in dem sich Adel und Militär, die Herren vom Garde du Corps und ihre vornehmen Damen verlustierten. gardieren: Petri 1879 Handb. d. Fremdwörter 363 gardiren, fr., bewachen, beschützen; 1929 Fackel H. 800,63 Gespensterhafteres wäre nicht vorstellbar als diese Vertonung des Zeremoniells — hier aus dem Spanischen ins Österreichische greifend — durch das Duo, mit dem im 2. Akt, vom Gefolge gardiert, der Zeremonienmeister und der Präfekt auftreten; Csokor 1958 Erz. aus Österreich 709 Schließlich blieben die Lubienskis überhaupt zu Hause und vertrauten die Fräuleins, wie das um jene Zeit mehr und mehr Sitte wurde, anderen Damen an, und es gab Fälle, in welchen eine einzige Dame zwanzig Mädchen zu gardieren hatte; Kaufmann 1989 Herr im Hause 170 sie wurde von einer strammen Magd erwartet und auf dem Heimweg gardiert. Gardist: Roth 1791 Gemeinnütziges Lex. 329 Man hat auch Noble Garden, darinn die Gemeinen junge Edelleute sind, welche nach und nach als Officiere bey ändern Regimentern angestellet werden. Daher kommt das Wort Gardist; Schlabrendorf 1804 Napoleon 107 Vom zweiten Consul bis zum Gardisten an der Thüre hat bei solchen öffentlichen Audienzen jeder . . seine angewiesene Stelle; Pfister 1814 Criminalfälle l daß der Gardist B. von
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Garde
dem Neuen Thor hereinwärts gegen die Stadt zu . . todtgeschlagen worden seye; Hauff 1827 Bild d. Kaisers (S. W. 697) der Gardist, ein alter, französischer Kriegsgefährte des Generals, der jetzt mehr den Haushofmeister als den Diener spielte (DiBi 125); Kerner 1849 Bilderbuch 92 Einen langen alten Sprach- und Fechtmeister, einen katholischen Franzosen, Namens Martel . . hatte mein Vater mit Sack und Pack ins Haus aufgenommen. Er war einst Leibgardist unter Ludwig XV. (DiBi 125); 1852 Prutz' Museum 246 Heldinnen, welche durch Gardistenmaß und Löwenstimme sich berufen glauben, eine „Jungfrau von Orleans" zum Schrecken der zitternden Coulissen herunter zu spielen; Seyffarth 1855 Paris 138 der Flammentod einer tapfern Schar Municipalgardisten in der Revolution 1848; Köhler 1862 Erinn. l 403 Als er herauskam, wurde von dem flachen Dache der Gardistenkaserne ein Zeichen mit der Fahne gegeben; Wagner 1870-80 Mein Leben 614 Außerdem hatte ich mir sogleich bei meiner Ankunft einen Diener zugelegt, welcher, obwohl ein ziemlich alberner Walliser und früherer päpstlicher Leibgardist, doch bald mit großer Liebe an mir zu hängen schien (DiBi 125); Freud 1909 Kinderneurosen (Studienausg. VIII 40) Am Eingange von Schönbrunn steht ein Leibgardist, von dem ich Hans einmal gesagt habe, der arretiert schlimme Kinder; Klemperer 1925 Tagebücher 104 Hier Gardisten in spanischen Opernuniformen mit Tschakos, weißen Bandoulieren, roten Aufschlägen; Andersch 1952 Kirschen 105 das Prinzip war doch die Freiwilligkeit gewesen, auch wenn die Erscheinung des Soldaten sich langsam wandelte: vom Landsknecht zum Gardisten Friedrichs des Großen; Ball 1963 Clown 218 ich stellte mir meine Audienz beim Papst so genau vor, sah mich da knien und als Ungläubiger um seinen Segen bitten, die Schweizer Gardisten an der Tür; Zeit 15. 2. 1985 die Absage des Apparats an die unsanften „Vorruhestandsregelungen", mit denen Andropows Gardisten den verkalkten und verfilzten Privilegienstaat säubern wollten; ebd. 12. 4. 1985 Kummer befiel die Angehörigen des walisischen Gardisten Stephen Newbury, gefallen bei der Landung in Bluff Cove, Ostfalkland; taz 20.3.1991 Die Gardisten sind eine Elitetruppe, alle haben eine gewisse Bildung; ebd. 5. 10. 1995 Leute wie Innenminister Jerin, Verteidigungsminister Gratschow, Jelzins Leibgardist Korschakow und andere Offiziere sind alle für sich bereit, das Land zu regieren, nach Maßgabe ihres Verständnisses von „Führung"; ebd. 6. 5. 1997 Wird es nun für die Hamburger PDS-Gardisten finanzielle Hilfe geben?; Mannh. Morgen 5. 1. 1998 Elferräte, Büttenredner und Gardisten; Berl. Ztg. 11.7.2002 Wer das Tor passiert und seine Einlasskarte einem der prächtig uniformierten Leibgardisten überge-
ben hat, darf durch den Palast zum Park schreiten; ebd. 11.12.2003 Jedes DDR-Kind sang irgendwann in seiner Schulzeit das Lied vom „Kleinen Trompeter", der von einer Kugel getroffen und in ein Grab gesenkt wurde. Auch wenn niemand so recht wusste, was eigentlich „ein lustiges Rotgardistenblut" war . . — das Lied war traurig; Mannh. Morgen 2. 10. 2004 Mannheims größter und ältester Karnevalsverein beweist damit, vom Präsidium bis zum Gardisten, über die Narretei hinaus gesellschaftliches Engagement für Bürger in Not. -gardistisch: Neues Deutschi. 27. 1. 1949 er [der Schriftsteller Scholochow] malt weder bolschewistische Engel noch weißgardistische Teufel, er malt menschliche Größe und menschliche Unvollkommenheit; taz 22. 2. 1993 Petrograd war von weißgardistischen Truppen belagert; Frankf. Rundsch. 7. 7. 1997 So haben beispielsweise Absprachen des damaligen Sicherheitschefs Kang Sheng mit den Triaden während der Kulturrevolution (1966—76) ein Ausufern der . . rotgardistischen Demonstrationen in Hongkong verhindert; Berl. Ztg. 7. W. 2003 der Sieg der weißgardistischen Armeen im Bürgerkrieg hätte die Vernichtung des russischen Judentums bedeutet. Garde b: 1525 Br. (Schmeller l 940) es sind in den Niderlanden etwas vi oder vii [tausend] niderlendisch knecht auf der gard umbgezogen und dienst begert, so man ir aber nit bedorft . . sind si Frankreich zugeruckt; 1548 Mitt. a. d. Fürstl.-Fürstenberg. Archil/ l Nr. 631 der arm man ist mit den gartknechten so gar überlegt (DRW); Schwartzenbach 1551 Comedi von rechter Treue B8b Der Teuffei bringt solch gartenknecht/ Jch het sie schier bettler gschmecht/ Vileycht thet jch jn nit vnrecht/ Dieweyl sie bey den Bawern dauß/ Herumben ziehen auff der lauß/ Vnd nichts nit wollen dann nur geht/ Fleisch/ ayer/ schmaltz/ vnd was jn gfelt/ Deß stelens achtens wenig sündt/ Sie nemen alles was man findt; i555 (Lünig 1723 Corpus iuris militaris 43) wo einer oder mehr solcher umlauffenden gardenden Knechte . . auf der Garde betreten würde; Schumann 1559 Nachtbüchlein 275 Mancher landtsknecht muoß leyden vil,/ Der auff der gart umbziehen will; 1573 New Reformierte Landsordn. Tirol VII 17 müßiggeends gesind sich auf die gardt legen (DRW); Thurneisser 1583 Onomast. H 86 Innerlich aber seind sie nicht allein Wolffe . . In Summa/ sie seind gesellen/ wie etwan die Geiseler Michelsbrüder/ Gartenbrüder; Jungkhanss v. d. Olssnitz 1590 Krieges Ordnung B4b alß die Bawren sagen/ Ein Wolff vnd ein Gartbruder/ seyn jhr tage nicht irre gangen in der Welt/ vnd müssen der Bewerin Käse vnd Quärge fressen; Kirchhof 1602 Wendunmuth 111 112 Vor kurtzen
Garde jaren . . kam ein gardenbruder oder wurstsamler im ampt Spangenberg vor eines bawren hauß, nicht daß er bettelt, sondern begert etwas mit ihm zu theilen (FRNHD. WB); 1614 Leben Lazaril 66 auff der gart herümb gehen; Wallhausen 1615 Kriegskunst zu Fuß 16 ob nicht . . außdrücklich jedem Bawren befohlen wirt/ jederm Soldaten/ wann er auff der Gart herümb streichet/ ein Heller zu geben; ebd. 17 ein jeder examinire seine Unterthanen/ was er Järlichen ein Jahr in das ander Soldaten für der Thür gibt/ vnd was ein jeden mit allem Schaden die Gartenbrüder kosten; Wagner 1617 Corpus iuris metallic! 652 herrenlose gesinde und gartenknechte (DRW); 2673 (Lünig 1723 Corpus iuris militaris 130) DJeweil Herrnlose, Reisige und Fuß-Knechte, auch Gard-Brüder und andere Lands-Beschädiger an vielen Orten teutscher Nation leichtlich von einem Gebieth in das andere kommen; Riemer 1684 Polit. Passagier 308 dieser zerlumpete Garten Knecht . ., er käme ihm als ein Landstreicher und sonst verdächtiger Bube vor; Leu 1728 Eydgenößisches Stadt- u. Land-Recht II 223 freybeuter, raubgesind . . gartbrüder und herrenlose knecht (DRW); Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 320 Garde, f. abgedanckte Soldaten, die andere Dienste suchten, und im Lande herum bettelten; ebd. Garde, . . Betteley, . . auf der Garde herum lauffen, . . auf der Garde betreten werden; Adelung 1775 Grammat.-krit. Wb. 410 Da sie sich dabey vornehmlich auch auf das Betteln legten, so hieß die Garde, der Gart u. s. f. oft auch so viel als die Betteley. Auf der Garde herum laufen, betteln gehen; 1782 Landstreich er ordn. Straubing o. S. Er zieht beständig auf der Gart und Stellen herümb; Campe 1808 DWB II 224 Ehemahls, da die Soldaten nach geendigtem Kriege abgedankt wurden, hieß auch ein Trupp solcher Soldaten, die unter dem Vorwande, daß sie neue Kriegsdienste suchten, im Lande herumstreiften und mancherlei Gewaltthätigkeiten verübten, eine Garde; Osenbrüggen 1860 Alamann. Strafrecht 311 für das vagirende räuberische Gesindel niederer Art: Gartknechte; Jähns 1885 Heeresverf. 251 Anm. Die Gartbrüder sind Leute, die wirklich oder angeblich auf neue Anwerbung warten. gard(ier)en/gart(ier)en: 1518 Kaiserl. Verordn. (Scherz 472) die laufende knecht understeen sich uf unser und euer arm lüt zu garden und zu legern (DWB); 1548 Chron. Augsb. VIII 359 befelchen euch darumb . . daß ir sollich gardieren mit nichten gestattet (FRNHD. WB); Schwartzenbach 1551 Comedi von rechter Treue Cla Ehe jch mer schlappen wolt erwartn/ Jch wolt ehe als ein petler gartn; Wickram vor 1562 Rollwagenbüchlein 43 und wie er [Landsknecht] also bisz heim garden oder bettlen muost, käme er für eines bauren haus (DWB);
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Wedel um 1600 Hausbuch 380 Eine jedere Stadt oder dorff solte ihre bettler selbst unterhalten und keine unbekandte gelitten werden, so würde den frembden schein-bettlern das umbstreichen und garden benommen; 1583 (Westenrieder 1790 Beyträge HI 93) Mandata . . wegen den gartenden landsknechten; Dilbaum 1605 Dialogus B4b Wo bleibt dein rauben vnd dein beuten?/ Wo bleibt dein betteln vnd dein garten?/ Vnd was du hast mit falschen karten?; Wallhausen 1615 Kriegskunst zu Fuß 16 Ob nicht der Soldat/ so abgedancket/ an bahrem Gelt von den Leuten mehr ergartet in einem Monat/ als er in zweyen Monaten vor dem Feind hat verdienen können; 1640 (Stadelmann 1948 Vorderburg 234) wider Verbot gartende Soldaten gehauset und gehofet; 1675 (Grimm 1869 Weisthümer VI 161) das gartiren durch die landsknecht (DRW); Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 320 garden, . . ungestüm betteln, . . das Garden, sich aufs garden legen, aufs betteln; Koch-Sternfeld 1833 Beyträge III 325 Die brodlosen Banden und gartirenden Knechte belästigten das Land sehr; Richthofen 1839 Haushalt d. Kriegsheere I 428 Anm. Garten, so nannte man das ungestüme Betteln der dienstlosen Landsknechte, welche eine Geißel des Landvolks waren. Sie hießen daher auch gartende Knechte; Osenbrüggen 1860 Alamann. Strafrecht 311 für das vagirende räuberische Gesindel niederer Art: . . gartende Knechte; Ardenne 1880 Landsknechte 176 nicht allein war es wanderndes Gesindel von der Landstraße — wenn auch manch „gartender" Handwerksbursch . . jetzt freudig nach dem Spieß greifen mochte; Jähns 1885 Heeresverf. 251 Eine seiner [des Söldnerwesens] bösesten Folgen bestand darin, daß wenige der entlassenen Knechte Lust zu friedlichem Erwerb heimbrachten, vielmehr durch ihr „Garten", d.h. durch Betteln unter Waffen, die härteste Geißel des Landvolks wurden; Goetze 1912 Landsknechtslieder 4 das Garten, die dienstlose Heischefahrt vom Kriegsschauplatz in die Heimat. Gardist: 1789 (Buchner, D. Neueste IV 89) da man sonst das Sprichwort hat: Er ist so arm wie ein Gardist. Gärtnerei: 1614 Niederösterr. Weisth. H 648 es sei in kriegsleüfen einquarthierung gartnereien oder mehrern ungelegenheiten (FRNHD. WB). Garde c: Devrient 1836 Gunst 183 Bemerken Sie die alte Garde von fernschmachtenden Geheimeräthen, Gelehrten und verdienten Militairs (DiBi 125); Rose 1884 Revanche 136 der künstlerische Nachwuchs fühlt sich kaum minder als die alte Garde von Heirathslust ergriffen; Klemperer 1920
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Garderobe
Tagebücher 214 gestern nachm. interpretierte ich vor meiner winzigen Garde (5 Leutchen) eine Reihe von Petrarcasonetten u. war fast stolz u. glücklich, wie gut mir das glückte; Dublin 1929 Alexanderplatz 384 die beiden jungen Herren, die junge Garde, Assistenzarzt und Medizinalpraktikant; Th. Mann 1951 Reden u. Aufs. (W. XI 519) zu der alten Garde des Hofschauspiels . . gehörte der unvergleichliche Causeur noch nicht; Fay 1960 Revolutionen (Übers.) 182 Andere plünderten weiter, überall aber setzte sich die neue Garde durch und richtete sich ein; Welt 20. 3. 1965 Der Profes-
sor gehört zu der jungen Garde der 30- und 40Jährigen; ebd. 15.9.1969 tandbehangenes Jungvolk aus der Garde der reichen Erben; Zeit 28.12. 1984 Nation ist aufs neue ein Thema. Eine junge Garde von Historikern ist auf den Plan getreten, die ganz neu zu erzählen versteht, was war; taz 10. 9. 1990 dort spielen auch die älteren Männer ihr Spiel, die nicht mehr zur ersten oder zweiten Garde gehören; ebd. 3. 3. 2005 Spätestens seit ihrem Beitrag zur letzten Documenta gehört die Finnin zur ersten Garde internationaler Film- und Videokunst.
Garderobe F. (bis ins späte 17, Jh. M.) (-; -n), seit Mitte 16. Jh. vereinzelt, seit Anfang 17. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung der Alamode-Zeit aus gleichbed. frz. garde-robe (< altfrz. garaerobe '(fürstliche) Kleiderkammer, -schrank; Ankleidezimmer, Toilettenraum', mittelfrz. auch 'Kleidervorrat', aus garde, Imperativform von garder 'bewachen, hüten; bewahren' german. Ursprungs (—» Garde) und robe 'Rock, Gewand, Kleidung' (—» Robe), vgl. ital. roba / provenzal. rauba 'Kleid; Gerät'/ mlat. rauba 'Kriegsbeute, Raub', zurückgehend auf ahd. rouba 'Raub, Beute; (vom gefallenen Gegner erbeutete) Rüstung, Gewand'), anfangs in Formen wie (niederl. beeinflusst) Gardenrobbe und (ital. beeinflusst) Guardarob(b)a, Quarda-Robba, Gardarobba, Garderobbe und mit frz. Pl. Garaerobes. l a Zunächst auf höfische Verhältnisse bezogen in der Bed. 'Verschlag, Schrank; abgetrenntes Neben-, Vorzimmer vor den Privaträumen fürstlicher Personen, Gemach, Kammer in feudalen Haushalten zur Aufbewahrung von (kostbarem) Gerät, Geschirr, Wäsche und insbes. der Kleidungsstücke einer hochgestellten Persönlichkeit; (königliche/fürstliche) Kleiderkammer', vereinzelt bildlich (s. Beleg 1697), und (sofern diese auch als Schlafstätte oder Aufenthaltsraum für Leibdiener benutzt wird) 'Bedienstetenzimmer', daneben vereinzelt euphemistisch für 'Abtritt' (s. Belege 1727, 1779, 1838; vgl. Kabinett, Klosett, Toilette); von Personen auch in der kollektiven Bed. 'für diesen Raum zuständige (Leib-/Kammer-/Haus-)Dienerschaft' (s. Belege 1784, 1792) sowie metonymisch als Bezeichnung für den Aufseher der fürstlichen Kleiderkammer (s. Belege 1550, 1611.1, 1611.2, 1671, 1710, 1735, 1743). b Seit späterem 18. Jh. ausgedehnt auf bürgerliche Verhältnisse in der zunächst verbreiteten allgemeinen Bed. 'Kleiderschrank, -spind (in dem der Kleidervorrat der Bewohner eines Hauses aufbewahrt wird)' (s. Belege 1771, 1777, 1787), auch 'Ankleide(-zimmer)' (s. Beleg 1838), z.B. Garderobenschrank, -kästen, -spind, seit späterem 19. Jh. in Bezug auf öffentliche Gebäude 'Kleiderablage(-raum/-bereich) im Foyer von Museen, Theatern, Konzerthäusern, Ballsälen, Restaurants; abschließbares Kleiderfach in Schwimmbädern, Sporthallen u. Ä. zur Entgegennahme und zeitweisen Verwahrung der Überkleidung (Mäntel, Hüte, Schirme usw.) von Besuchern/ Gästen (gegen Entgelt) während der Dauer des Aufenthaltes' (s. Belege 1870, 1897, 1903, 1910, 1926, 1951), in Wendungen wie er gab Mantel und Hut an der Garderobe ab und erhielt eine Marke, an den Garderoben herrschte dichtes Gewühl, ich ging aus der Sitzung zur Garderobe herunter, um meinen Mantel zu holen, nach dem Schlussapplaus strebten die Zuschauer zur Garderobe und Zss. wie Garderobenanlage/-einrichtung, -benutzung, -diebstahl, -dienst, -foyer, -frau, -gebühr,
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-marke, -personal, -Schließfach, -service; seit frühem 20. Jh. bezogen auf private Haushaltungen eingeengt auf '(im Eingangsbereich, in der Diele eines Hauses oder einer Wohnung befindlicher) kleiner Raum, Nische, meist in Form einer schrankartigen, an der Wand befestigten oder frei stehenden Vorrichtung mit Kleiderhaken/ -Stangen, Fächern, Spiegel usw. zur Ablage und (kurzfristigen) Aufbewahrung der Ausgeh-/Überkleidung von Bewohnern und Gästen' (s. Belege 1925, 1958, 1963, 1969, 1971, 1995), z. B. er hängte Mantel und Hut an die Garderobe; Garderobenablage, -haken/-halter, -regal, -set, -spiegel, -Stange, -Ständer, -tischchen, übertragen und abwertend in der Wendung etwas (z. B. sein Gewissen) an der Garderobe abgeben/(zurück-)lassen 'etwas (vorübergehend) vergessen, verdrängen, hinter sich, unberücksichtigt lassen' (s. Belege 1833, 1987, 2000). c Seit Ende 18. Jh. speziell 'An-/Umkleide-, Schminkraum, in dem sich die Protagonisten während Theater-, Zirkus-, Sportveranstaltungen, Filmaufnahmen u. Ä. aufhalten bzw. auf ihren Auftritt vorbereiten' (vgl. 2b), z.B. Ballett-, Chor-, Damen-/ Herren-, Künstler-, Schauspieler-, Statisten-, Zirkusgarderobe; Garderobeninspektor, -trakt. 2a Seit spätem 17. Jh., zunächst ebenfalls im höfischen Bereich, in der Bed. '(in einem Kleiderzimmer/-schrank aufbewahrter) Kleidervorrat, -bestand eines Fürsten oder Königs', im Laufe des 18. Jhs. zunehmend allgemeiner 'Gesamtheit der einer Person zur Verfügung stehenden Kleidungsstücke, Kleiderausstattung' (s. Belege 1774, 1784, 1811, 1842-43, 1929, 1986, 1994), in Wendungen wie er sollte mehr Wert auf (seine) Garderobe legen, ich vervollständigte meine Garderobe durch ein Leinenjackett, nachdem sie ihre kostbare Garderobe in zwei Koffern verstaut hatte, wenig Geld für Garderobe ausgeben, der Sozialhilfesatz muss reichen für Essen, Wohnen und Garderobe; Garderobenbestand, -vorrat, auch 'für bestimmte Ereignisse, Anlässe oder Personengruppen eigens hergestellte, darauf abgestimmte Zusammenstellung von Kleidungsstücken; (angemessener) An-/Aufzug' (vgl. Toilette], z. B. elegante/festliche, legere/sportliche Garderobe, für die passende Garderobe muss gesorgt werden; Abend-, Ball-, Damen-/Herren-, Frauen-/Männer-, Freizeit-, Reise-, Sommer-/Winter-, Trauergarderobe; Garderobenfrage, -kollektion, -Sünden, -wähl, -Wechsel, -zwang, auch als Bezeichnung für ein einzelnes, zur Oberbekleidung gehörendes Kleidungsstück (Hut, Mantel, Jackett o. Ä.) (s. Belege 1945, 1970), in Wendungen wie als er das Foyer, die Wohnung betrat, nahm eine Bedienstete seine Garderobe entgegen, für abhanden gekommene Garderobe wird keine Haftung übernommen, seltener abgeflacht für '(die auf dem Leib getragenen) Kleider, (Be-) Kleidung; Äußeres, Aufmachung' (s. Belege 1862, 1883; vgl. Outfit), z.B. seine Garderobe bestand aus einem zerschlissenen Mantel und einer geflickten Hose 'er trug einen zerschlissenen Mantel und eine geflickte Hose', die einem so kalten Wintermorgen nicht angemessene Garderobe, vereinzelt auch bildlich (s. Belege 1766, 1789). b Seit späterem 18. Jh. selten im Theaterwesen in der spezifischen Bed. 'Kostümfundus, -vorrat eines Bühnenschauspielers, -ensembles; (zu einem Bühnenstück gehörende) Kostümierung, Kostümbild', z. B. die Garderobe ist Eigentum des Theaters und wird dem Schauspieler gestellt, in historischer Dekoration und Garderobe, und im Sinne von 'Rollenkostüm; Verkleidung' (s. Belege 1954, 2000), z.B. im zweiten Akt trat er in der Garderobe eines Jagdoffiziers auf die Bühne, selten als Bestimmungswort in Zss. wie Garderobenmeister, -geld 'Extragage für die Kostümausga-
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ben von Schauspielern' und als Grundwort mit -kostüm konkurrierend in Bauern-, Militär-, Theatergarderobe (vgl. Ic). Dazu seit spätem 17. Jh. die auf (alt-)frz. garderobier (ursprünglich 'Verwalter der Vorräte an Kleidung und Waffen') zurückgehende Berufsbezeichnung Garderobier M. (-s; -e, auch -s), neben der seit Ende 18. Jh. nachgewiesenen movierten Form Garderobiere F. (-; -n), auch Garderobiere, in der Bed. 'jmd., der die Aufsicht über die Bühnengarderobe eines Theaters trägt, insbes. den Protagonisten während der Veranstaltung die Kostüme bereit hält und beim Aus- und Ankleiden behilflich ist', z.B. Obergarderobier(e) (zu Ic, vgl. 2b), seit Mitte 19. Jh. gebucht für 'Vorsteher/ -in der fürstlichen Kleiderkammer; Leib-, Kammerdiener/Zofe', auch allgemeiner 'Betreuer/-in, PflegerAin' (s. Belege 1853, 1989) (zu la), im 20. Jh. '(meist weibliches) Personal, das für die Entgegennahme und Verwahrung der Oberbekleidung (Mäntel, Hüte, Schirme, Taschen usw.) von Theater-/Kino-/Museumsbesuchern, Restaurantgästen usw. während der Dauer des Aufenthalts (gegen Entgelt) zuständig ist', dafür heute auch Garderobenfrau, seltener -mann (zu Ib, vgl. 2a). Garderobe la: 1550 (1895 Mitt. G Erz'gesch. V 287) Vnnd so dan sein lieb [Erzherzog Carl] zu tisch gesessen sollen hofmaister camrer preceptor zwen camerdiener gwardaroba vnd preceptor zu dem essen geen; 1564—66 Zimmer. Chronik Hl 238 man bewise inen alle ehr. unter anderm füert man sie . . in den gardenrobbe, der am sale stunde, und ließ sie das Silbergeschirr sehen . . es waren in dem gardenrobbe zwo seifen vom boden an biß an die bünen hinauf mit eitelem Silbergeschirr uf schepften überstellt; Hainhof er 1611 Corr. 189 Mein bruder hat mir . . aine listam geschickt, was er mit dem guardarobba aussgesetzt, d[a]uon man . . [Praesente machen möchte]; ders. 1611 Br. 164 der Meister Ist Ihrer dht [Durchlaucht] guarda robba; Pomey 1671 Indiculus univ. 466 Guardarobba/ der die Königlichen Kleider und andere köstliche Sachen verwahrt; 1680 Ordinari Mittwochliche Post Ztg. X 3 Madame de Montenon soll der Charge in der garderobe von dem Dauphin vorstehen (BRUNT); Zigler u. Kliphausen 1697 Staats-Phantasien 317 soll sie [Prinzessin Braut] ihr gewissen dem pere la Chaise, dem pere le Comte und ihrer gesammten societal in Verwahrung geben, weil diese zubrechliche waare nirgends besser, als in der geistlichen garderobbe der löblichen jesuiter-gesellschaft aufgehoben werden kann (DWB); Goldmann 1699 Ausübung Civil-BauKunst 156 An grosser Herren Zimmern gehöret die Garderobbe allein vor den Kammer-Diener/ welcher daselbst des Herren Kleider und Gefässe zu täglichem Gebrauch in Verwahrung und Pflege hat/ auch allezeit bereit seyn muß/ wenn ihn der Herr ruffet zugegen zu seyn/ daher billig die Garderobbe gleich an dem Cabinet seyn muß; Elis. Charl. 1705 Br. I 431 Zu meiner zeit wäre ma tante garderobe gantz nahe bey dero cammer; gestehe, daß ich es auch vor gefahrlich halte, daß die cam-
merweiber so weit sein. Ich schlaffe zwar allein in meiner cammer, aber die erste cammerfraw schlafft im cabinet undt ein camerknecht in der Vorkammer; Beter 1710 Höfe-Handwerker 111 300 Unter dem Obristbanner-Staab sind begriffen . . Leib-Balbier, Quadroba, CammerFourier, Cammer-Heitzer; Sturm 1720 Zucht-Gebäude B2r eine Alcove mit einem mäßigen Cabinet, eine Guarderobb (BRUNT); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 274 Garderobbe, ist eine Kammer, darinnen man die Kleider, Wäsche und Mobilien verwahret . . Garderobbe, heist auch ein Secret, heimlich Gemach; Zedler 1735 Universallex. X 293 Garderobbe, wird an den Hoffen der Ober-Cämmerer genennet, weil er über die Garderobbe Sachen die Aufsicht führet; Hederich 1743 Antiqu.-Lex. 930 Kayserliche Bedienten, welche des Kaysers Kleider in Verwahrung hatten, sie ihm an- und ausziehen halfen, und sodann wieder aufhoben, mithin den Kammer-Diener oder Garderobbes gar gleich kamen; Florin 1749 Hausvater H 381b wo man durch den Haupt-Hof nicht allen und jeden innern Theilen zumahl den Garderobes und Stiegen genügsames Licht zubringen kann; Winckelmann 1764 Gesch. d. Kunst I 47 Es kam dasselbe aber nachher in der Garderobe des Farnesischen Palastes zum Vorschein; 1779 Göttinger Musen-Almanack 113 O weg damit, zur Garderobe! [Abtritt]/ Hinweg, hinweg mit deinem Lobe!; Schiller 1784 Kabale u. Liebe (S. W. I 833) Du, Sophie, befiehlst, daß man anspannen soll, und rufst meine ganze Garderobe in diesen Saal zusammen (DiBi 125); ebd. 849 Er übergibt Seinen Auftrag in der Garderobe einem Kammerdiener (DiBi 125); Goethe 1792 GroßCophta (WA l 17,144) [Marquise:] Das [Geld] erhielt ich vom Domherrn, um die Garderobe der Fürstin mir günstig zu machen; Stieglitz 1794 Baukunst // 262 Die Garderobbe muß neben dem
Garderobe Wohn- oder Schlafzimmer liegen, damit man alle Bequemlichkeiten bey der Hand hat; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (HA VI 471) Sie räumte schnell in ihrer Putzstube, die freilich auch zugleich Garderobe und Vorratskammer war, möglichst zusammen; Jochmann 18.38 Naturgesch. d. Adels 116 Zu den erhabenen Prärogativen dieses Erbamtes gehörte unter Anderm das Recht, dem Könige, wenn er „in seiner Garderobe saß" die nöthigen Stückchen Papier oder Baumwolle zu überreichen; Varnhagen v. Ense 1847 Tagebücher 313 In der Nacht zum 19. März 1848 sagte die Königin, welche mit dem Könige mehrmals die Flucht zu nehmen dachte, zu ihrer Garderobenfrau Schwarz, sie möchte nur ihre beste Habe in einen Bündel zusammenpacken und mitnehmen. Garderobier: Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 106) Klaus Heinrich . . bereitete . . sich zur Repräsentation, umständlich und genau, mit Hilfe des Kammerlakaien Neumann, eines stillen und akkuraten Menschen, der ihm kürzlich als Garderobier und persönlicher Diener zugeteilt worden war; Harden 1927 Versailles 246 dem Mann, den Bismarck „den geschicktesten Garderobier der mittelalterlichen Phantasie des Königs" genannt hat. Garderobiere: 1853 Hofdamen-Br. 332 Ihre Pflegerin, die Garderobiere, sorgt wie früher mit Liebe für die arme Verlassene [erkrankte adelige Dame]; Schtnitz 1928 Essays 94 Eine Morgens wurde Fürstin Pauline im Bett von der Fürstin Malakoff und der Oberstgarderobiere der Kaiserin überrascht; Mannh. Morgen 19. 8. 1989 Rengcrs Begleiterin hat mehr die Aufgabe einer Garderobiere. Wegen ihres Hüftleidens braucht die Vizepräsidentin Hilfe beim Anziehen. Garderobe Ib: Sulzer 1771 Theorie I 26a Zu beyden Seiten des Alcovens werden noch kleinere Verschlage gemacht, die zu Nachtbequemlichkeiten und zu kleinen Garderoben dienen können; Denis 1777 Einl. I 247 Es hat Leute gegeben, die eine Büchersammlung gleich ihrer Garderobe und Gewehrkammer als ein standmäßiges Meuble ansahen; 1787 Journal d. Moden 47 Große Garderoben, oder Wasch- und Kleiderschränke; Lang 1833 Reise XI 58 daß gerade die feinsten und vornehmsten Leute ihren Kopf .. in der Garderobe zurücklassen; Immermann 1838 Oberhof 67 Der [Mutter] Traum führte sie hierauf nach der Garderobe. Dort legte mein Vater Stück vor Stück die prächtige grüne Uniform an; ebd. 68 Sie schellte dem Mädchen, fragte, wo der Herr sei. Dieses . . antwortete zögernd: „In der Garderobe"; Heyse 1870 Fremdwb. 378 Garderobe . . das Zimmer zum Ab-
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legen der Hüte, Überkleider .. bei Gesellschaften u. dgl.; Th. Mann 1897 Erz. (W. VIII 90) er ging, gefolgt von den Klängen der Musik, über den Korridor, ließ sich an der Garderobe seinen Zylinder, seinen hellen Überzieher und seinen Stock geben und schritt die Treppe hinab auf die Straße; ders. 1903 Erz. (W. VIII 268) Es war zwei Uhr am Morgen. Die Korridore lagen verödet, und hinter den langen Tischen der Garderoben nickten schläfrig die Aufseherinnen; Wassermann 1910 Masken 181 dann begab er sich in die Garderobe, warf den Überzieher um die Schultern und, den Hut in der Hand tragend, verließ er das Haus; Th. Mann 1925 Erz. (W. VIII 651) der Professor, der eingetreten ist und seine Sachen in die Garderobe wirft . . Er nimmt die Treppe . . und begibt sich über die obere Diele und noch einen kleinen Flur direkt ins Kinderzimmer; Smithanders 1926 Nordamerika 650 Eine Eigentümlichkeit der Theater [in den USA] ist, daß sie kein Foyer besitzen. Auch Garderoben gibt es nicht; Münch. N. N. 11. 10. 1944 Am nächsten Morgen passiere ich dank meinem Werkausweis schon unauffällig wie alle ändern das Tor. Auch meinen Garderobenschrank im Kellergeschoß finde ich . . unter den hunderten seinesgleichen wieder; Süddtsch. Ztg. 18.8. 1951 Neue Garderoben im Ungererbad (Überschr.) . . wurde . . der restliche Teilabschnitt der zwei neuen Garderobebauten vollendet. Sie bieten . . 7414 Aufbewahrungsmöglichkeiten und beherbergen 92 Wechselkabinen. Für plötzlichen Stoßbetrieb . . wurden außerdem zwei Großumkleideräume geschaffen; Roehler 1958 Würde 83 Nach rechts erweiterte sich der Vorraum zu einer schmalen Garderobe (DUDEN 1999); Böll 1963 Clown 102 Sogar die Garderobe und die Tür zur Besenkammer in der Diele waren rostfarben; ebd. 208 Ich ging achselzuckend in die Diele, nahm meinen Mantel, meinen Hut von der Garderobe; Bad. Ztg. 7. 11. 1969 Anstelle der früher im Mauerwerk angebrachten Garderobenhaken bevorzugt man heute die praktische Garderobenwand; Birkel 1971 Sachkunde f. Sonderschulen II o. S. daß er die Schulmappe einfach neben die Garderobe wirft und, ohne „Guten Tag" zu sagen, in seinem Zimmer verschwindet; taz 15. 5. 1987 Die Herren von der Eibchaussee . . geben für ein Abendessen mit Dohnanyi ihre Gesinnung an der Garderobe ab; Schlink 1995 Vorleser 23 In der Wohnung standen die Türen auf, ich sah es durch das Glas der Eingangstür und erkannte im Flur den Spiegel, die Garderobe und die Uhr; Mannh. Morgen 17.3. 2000 Wenn sie gleich am Anfang ihre Macht durch fünf teilen würde, hätte die CDU ähnlich schnell wie unter Schäuble wieder eine Führungsdiskussion am Bein. Die versprochene Erneuerung könnte sie dann an der Garderobe abgeben.
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Garderobier: Klemperer 1945 Tagebücher 128 Auch der Arbeiter oder kleine Sekretär schüttelte mir die Hand, er war zu meiner Zeit Garderobier im Japanischen Palais gewesen; taz 29. 10. 1988 Nach dem Ausbruch des Krieges und der Okkupation durch die Nazis schlägt er sich als Garderobier eines Cafes und Schieber von Gemälden herum; ebd. 5. 1. 1991 Seit September 1989 arbeitet Günter Przyjemski, 63 Jahre, als Garderobier und Toilettenpächter in den „Offenbach Stuben" am Prenzlauer Berg; Presse 27. 11. 1999 Arbeit fand er wieder als Garderobier, Eintänzer und Saalaufseher in einem übel beleumundeten Tanzschuppen; St. Galler Tagbl. 24. 7. 2001 ein groteskes Hilfspersonal . . die beiden „Türgreise", Türhüter und Garderobier, identisch in weissen Handschuhen, Uniform, Zirkusmütze. Garderobiere: Hammerstein 1916 Februar 220 Die Garderobiere, die sanft eingeschlummert war, fuhr auf und eilte nach den Überkleidern . . Oswald ließ sich Agathens Mantel reichen und half ihr hinein; Lenz 1974 Phantasie (W. XV 578) Da man sie so eilig verlassen hat, verläßt auch sie mit blickloser Eile das Restaurant . . und steigt hinauf zur Garderobe. Die alte Garderobiere, die ihr den Mantel reicht, hat nicht nur Nähzeug, sie hat auch Pflaster bereit; FAZ 16. 3. 2005 erzielte die Anzahl der Garderobieren im Festspielhaus alsbald mit der der Zuhörer Gleichstand. Das Konzert wurde vorzeitig beendet. Garderobe Ic: Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA I 22,183) zwei Theater- und Garderobenfreunde . . Liebhaber, wie sie sich der Künstler in seinem Fache wünscht. Ihre liebste Wanderung war von den Coulissen in's Parterre . . ihr angenehmster Aufenthalt in der Garderobe; Christ um 1800 Schauspielerleben 92 da ich, eben mit dem Tanze fertig, in die Garderobe eilte; Laube 1838 Schauspielerin 137 daß Georges noch gar nicht da gewesen, seine Garderobe leer sey, solchergestalt könne das Stück nicht zu Ende gegeben werden; Wagner-Liszt 1853 Briefw. I 257 Ich sprach sie zuerst in ihrer TheaterGarderobe, wo sie mich freundlichst einladete, sie nach dem Conzert noch auf eine Viertelstunde zu besuchen; Holtet 1863 Letzte Komödiant III 243 Garderobe — heißt beim deutschen Theater das Gemach, in welchem die Akteurs sich ankleiden. Dieser Ausdruck ist umso unpassender, weil die eigentlichen Kleidervorräthe sich gewöhnlich in ändern Räumen befinden, und nur die jedesmaligen Bedürfnisse des Abends herbeigeschleppt werden; Gottschall 1885 Totenkl. 213 Atmosphären . . der weiblichen Garderobezimmer in den Theatern; ebd. 244 Das nächste Kapitel spielt hinter den Coulissen und in den Garderoben; 1911 Grenzbo-
ten LXX 404 Er [Degas] beobachtet die Elevinnen bei ihren langen geisttötenden Übungen . ., belauscht die Mädchen in den Garderoben bei der Toilette; Presber 1912 Von Ihr 223 Garderobe im Zirkus. Eng, schmal, dumpfig. Über dem heißen Zimmerchen liegt ein stark gemischter Duft von Parfüm, Lederzeug, Zigaretten, Pferden; Klemperer 1937 Tagebücher 389 man gibt sechs verschiedene Rollen . . man hat ungeheizte Garderobe, man bekommt 20 M für den Spielabend und muß sich dafür beköstigen; Lenz 1973 Vorbild (W. VII 73) Pundt. . findet den Mut, um eine Auskunft zu bitten: wo es zu den Garderoben geht, zu Herrn Mitchners Garderobe; Zeit 10. 4. 1987 In einem Salzburger Brahms-Abend hatten wir uns gerade auf dem Podium postiert, als Gerald stumm wieder aufstand und sich zurück in die Garderobe begab, denn er hatte — die falschen Noten unter dem Arm; Mannh. Morgen 12. 11. 1994 Julia Best . . und ihre Schwester Sabine, die ebenfalls in der Oper „Der Schaum der Tage" mitspielt, bereiten sich vor dem Spiegel in der Garderobe des Nationaltheaters auf ihren Auftritt vor; St. Galler Tagbl. 13. 3. 2000 die Garderobe der Wettkämpferinnen und Wettkämpfer; Berl. Ztg. 20.4.2000 Viele junge Mädchen bahnten sich den Weg in die Katakomben bis vor die Garderoben der Schauspieler. Garderobier: um 1680 Brudermord (Engl. Komödianten NL XXIII 164) So gehet hin, machet das Theater fertig in dem großen Saal; . . steht euch etwas aus der Rüstkammer an, oder habt ihr nicht Kleider genug, so meldet euch bey den Quatrober [Garderobier] oder Intendanten an, wir wollen, daß euch alles soll gefolgt werden; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,13) Der Garderobier erhält das Verzeichniß der zu jedem neuen Stück erforderlichen Garderobestücke; Holtet 1854 Schneider H 319 Obergarderobier [am Theater]; Gottschall 1885 Totenkl. 261 den Dramatiker . ., der in das Innere herabsteigt und das Aeußere mehr dem Garderobier und Decorationsmaler überläßt; Schöne um 1900 Lehrjahre 93 [Wiener Burgtheater sprach etwa 1863] die Herren „Garderober"; Fischer 1971 Spiele o. S. dazu kommen für den Studiobetrieb Techniker, Beleuchter, Maskenbildner, Garderobiere, Bühnenarbeiter, Kabelhilfen usw. Neben den Mitwirkenden sind etwa 30-50 Mitarbeiter der verschiedensten Berufssparten für eine Fernsehproduktion notwendig; Zeit 3.5. 1985 Bockmayer und sein Freund Rolf Bührmann waren damals, um 1970, in der Kölner Oper Garderobiers; Spiegel 15. 8. 1994 dann jobbt er bei der Staatsoper als Garderobier. Eines Tages wird er vielleicht Pavarotti anziehen. Garderobiere: Iffland 1798 Theatral. Laufbahn 105 Garderobiere; Schütze 1800 Handwb. f.
Garderobe Schauspieler 72 Garderobiere . . Garderobbiere (habilleuse) ein Er oder eine Sie, die über die Garderobbe Aufsicht führen, auch kleiden helfen; Freytag 1846 Valentine (I 174) Hofmarschall . . ich habe die Arbeit, ich muß mit Handwerkern und Garderobieren verkehren; Berdau 1903 Yankeedoodle-Dolly 34 Ich habe schon alle meine schönen Dekolletees an die Garderobiere verschenkt; 1929 Neue Nachr. (Berlin) o. Nr. Garderobieren und andere dienstbare Geister im Atelier können ein wenig erfreuliches Lied über die Launen und Unzuträglichkeiten dieser Diva singen; Th. Mann 1930 Erz. (W. VH1 662) Früher aber, vor ihrer Verheiratung, war unsere neue Wirtin Gesellschafterin, Reisebegleiterin, Garderobiere, ja Freundin der Düse gewesen; Strittmatter 1983 Laden 190 Die Mutter . . vereinnahmt einen Teil vom Applaus für sich, sie ist die Garderobiere des Vortragenden; Mannh. Morgen 2. 2. 1985 Einmal gerieten wir aus Versehen in einen Ankleideraum, wo die Modeleute, die Beleuchter, die Näherinnen, die Fotografen, die Garderobieren durcheinander wuselten. Die Mannequins zogen sich unbekümmert splitternackt aus; taz 16. 3. 1990 Die Ruhe in dem Tumult behielt nur die 63jährige Garderobiere Gudrun S. Sie verzog sich in ihre Garderobe, schloß die Tür und löschte das Licht; Spiegel 10. 4. 1995 Sie trägt eine Zigarette, weiße Unterwäsche und sonst nichts. Ihre Garderobiere schleppt falschen Goldschmuck hinter ihr her; St. Galler Tagbl. 27. 3. 2000 Die Garderobiere für Solistinnen der Oper muss während der Vorstellung im richtigen Augenblick am rechten Platz bereit stehen und blitzschnell das Kostüm der Sängerin wechseln. Garderobe 2a: Abr. a S. Clara 1689 Judas II 57 deine Kästen hangen voller Klayder, vnd ist gleichsamb deß Teuffels sein Quarda Robba; Winckler 1696 Edelmann 690 des grossen Französischen Ludewigs Garderobbe . . sein Kleid, so 5. Millionen Francken gekostet haben soll; 1708 Leopold d. Große l 222 Des Käysers Gardarobba wurde von sechs Jahren zu sechs Jahren gesammelt; 1716 Bert, geschr. Ztg. (Buchner 67) Sie soll eine so kostbare garderobbe und zwar die prätieuseste Kleider . . haben (BRUNT); Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 32 An einigen königlichen und ändern grossen Höfen ist die Ober-Aufsicht über die königliche Garde-Robe eine besondere ansehnliche Charge; 1765 (Wolf 1858 Ho flehen Maria Theresias 272) Sie legte allen Putz, alles Geschmeide ab, vertheilte [verschenkte] ihre Garderobe; Bülau 1766 Nationalgeist 9 seine Haut zu seiner Garderobe gemacht; Goethe 1774 Werther (HA VI 68) Der Baron F. mit der ganzen Garderobe von den Krönungszeiten Franz des Ersten her . . den übel fournierten J. nicht zu vergessen, der die Lücken
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seiner altfränkischen Garderobe mit neumodischen Lappen ausflickt; Schiller 1784 Kabale u. Liebe (S. W. l 830) Ich will diesen Schmuck verkaufen meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen — Dein sei alles (DiBi 125); Knigge 1789 Umgang l 52 [die] ganze Garderobe von äussern Tugenden; Goethe 1795-96 Lehrjahre (HA VII 232) Jedermann erinnerte sich der schönen Kleider aus der Garderobe des Grafen, der Schnallen, Uhren, Dosen, Hüte, welche Melina von dem Kammerdiener so glücklich gehandelt hatte; ders. 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 469) so wurde die Garderobe, der Schmuck, und was die städtischen, französisch gekleideten Nichten besonders auszeichnete, betrachtet und ohne Neid bewundert; Marx 1842 — 43 Publizist. Arbeiten (MEGA 11,237) so empfehle ich die schmutzigen Zeuge, aus denen die Augsburgerin ihre bunte Garderobe zusammenschneidet; 1853 Hofdamen-Br. 333 Wir arrangieren die traurige Teilung der Garderobe meiner teuren Gebieterin unter ihren Frauen, Lewald 1860 Seehof 17 Die Frauengarderobe, die Frauenwäsche war . . kostbar und fast prächtig . . Die Frauentoiletten waren . . getragen worden, das Kinderzeug aber offenbar niemals gebraucht; Suckow 1862 Soldatenleben 53 War das Klima damals milder oder waren die Menschen mehr abgehärtet? . . der Feind war in seiner Garderobe ebenso schlecht bestellt; Lindenberg 1883 Berlin 47 das Schillern der kostbaren Garderoben; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 613) Er sparte in allen Dingen . . nur nicht in betreff seiner Garderobe, . . für deren Erhaltung und Ergänzung er keine Kosten scheute; Schmilz 1911 Brevier 88 f. Frauen, auch solche mit grosser Garderobe, haben bekanntlich sehr häufig „nichts" anzuziehen; Kronberg 1929 Jugend 69 Am Nachmittag macht sich Margit über ihre Garderobe her, um morgen auch richtig angezogen zu sein; Klemperer 1945 Tagebücher (Zeugnis II 826) in einem langen Saal das elegante Musikcafe des Vorkriegs. Weißgedeckte Tische, alle eng besetzt — man gibt die Garderobe draußen ab!; Böll 1963 Clown 73 Norette, das Zweitmädchen, war bei Mutter im Schlafzimmer, servierte ihr das Frühstück und besprach mit ihr Garderobe und Kosmetik; Dorn 1970 D. Tod entrissen (Arzt-Roman Bd. 393 o. S.) Ein Diener führt sie, nachdem er ihnen die Garderobe abgenommen hat, in die festlich erleuchteten Räume; Mannh. Morgen 30. 7. 1986 Der Kleriker muß in der Öffentlichkeit durch seine Kleidung eindeutig als Geistlicher erkennbar sein . . lautet die Bestimmung, die eine seit Jahren besonders von jungen Priestern bevorzugte legere Garderobe in den Kleiderschrank verweist; Presse 20. 12. 1994 man muß . . zugestehen, daß er Geschmack bei der Auswahl seiner Garderobe bewiesen hat.
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Garderobe 2b: Schmid 1775 Chronologie d. dtsch. Theaters o. S. Seine Garderobbe war sehr prächtig und seine Gagen groß; Lessing vor 1781 Br. (S. Sehr. XVIll 206) Auch sind die wenigsten deutschen Schauspieler in der Verfassung, daß sie sich auf einmal in Garderobe setzen können; Riesbeck 1783 Br. l 367 Garderobeinspekteur; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA l 21,234) Melina . ., welcher sich, um die Garderobe und die übrigen Theater-Geräthschaften zu übernehmen, bei Zeiten auf-
gemacht hatte; Holtet 1863 letzte Komödiant l 36 Er lobt ihre Vorstellungen; auch Dekorationen und Garderobe sollen ganz anständig sein; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 284) Oft nämlich . . schickte er einen Ballen voll bunter Garderobe, Perücken und Waffen vor sich her, um sie mir nach Tische nur zum Vergnügen anzuprobieren; Presse 28. 2. 2000 Auf einer steilen Treppe . . posierten Sänger und Tänzer in schwarzer Garderobe — mit grobzackigen Kronen auf den Köpfen.
Gardine F. (-; -n), im späten 15. Jh. in verschiedenen regionalen (niederrhein.) Varianten aufgekommene, im 16 Jh. zunächst ins Mittelniederdtsch. aufgenommene, erst seit Anfang 17. Jh. im gesamten dtsch. Sprachraum (außer Oberdtsch.) verbreitete Entlehnung aus mittelniederl. gor dine, gordijn (< altfrz. co(u)rtine, go(u)rdine, zurückgehend auf spät-/mlat. cortina 'Tempelvorhang' < lat. cortina in seiner Bed. 'Vorhang' als Lehnübersetzung von griech. 'Vorhang (vor dem Zelt)', ursprünglich adj. Weiterbildung von cohors, kontrahiert c(h)ors 'Einzäunung, Hofraum; Viehhof' als Lehnübersetzung von griech. 'umhegter Hofraum, Hof, also eigentlich 'was (als Abschirmung) zum Hofraum gehört', vgl. Kohorte, Garten); anfangs in Formen wie gardyn, gardijn, (niederl. beeinflusstem) gordine, gordyn und (frz. beeinflusstem) Kortine, seit dem 17. Jh. in der (durch —>· Garde bzw. frz. garder 'schützen, bewahren' gestützten) heutigen Form und im 18. Jh. vereinzelt in der (eventuell an ital./span. guardia angelehnten) Schreibung Guardine. Anfangs auf den norddtsch. (niedersächs.) Raum beschränkt, aus dem Frz. übernommenes gleichbed. Courtine allmählich verdrängend und bis heute mit regionalen (süddtsch.) Entsprechungen wie LJmhang und bes. Vorhang konkurrierend, in der Bed. 'vor dem Bett befindlicher, beweglicher Umhang aus Stoff, Bettvorhang', auch bildlich (s. Beleg 1673), z.B. hinter den Gardinen (liegen), metaphorisch für 'im Bett (liegen)', der Säugling lag in seinem halb von einer blauseidenen Gardine umhüllten Bettchen, sie blieb im Bett hinter dicht zugezogenen Gardinen, v. a. in der seit spätem 18. Jh. nachgewiesenen, nach niederl. gordijnpreek (vgl. engl. curtain lecture] geprägten, älteres, bereits Mitte 17. Jh. bezeugtes Gardinenmesse (nach niederl. gordijnmis) verdrängenden Zs. Gardinenpredigt als scherzhaft metaphorischer Bezeichnung für eine (eigentlich hinter dem Bettvorhang, also im Bett gehaltene) nächtliche Straf-/Moralpredigt, mit der die Ehefrau den spät (vom Wirtshaus) heimkommenden Ehemann empfängt, z.B. eine Gardinenpredigt halten/erteilen, anhören/über sich ergehen lassen, der Ehemann ergriff aus Angst vor einer demütigenden Gardinenpredigt die Flucht, seit Mitte 20. Jh. auch allgemeiner für 'Vorwürfe, Vorhaltungen, Tadel, Rüge' (s. Belege 1963, 1970, 1989, 2001; vgl. Standpauke, Philippika], bes. in der Politik (s. Belege 1958, 1994); vgl. auch analog gebildete Zss. wie Gardinendialog, -gespräch, -rede und die Personenbezeichnung Gardinenprediger/-in. Im 18. Jh. vereinzelt (s. Belege 1727, 1735, 1787), im Laufe des 19. Jhs. dann zunehmend in der Bed. 'vor den Fenstern zum Sicht-, Sonnenschutz oder zur Dekoration angebrachter, (durchsichtiger) Vorhang, Fenstervorhang' (vgl. Store), in Wendungen wie die Gardinen auf-/zuziehen, eine luftige, lichtdurchlässige, gestärkte, vergilbte Gardine, schwere, dunkle Gardinen halten die Sonne ab, die Gardine bewegte sich
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leicht, die hohen Fenster waren mit geblümten Gardinen behängt, als Bestimmungswort oft konkurrierend mit Vorhang- in Zss. wie Gardinenband, -bett, -blende, -bordüren, -dessin, -haken, -himmel, -leiste, -ring, -schlitz/-spalt, -schnur/-bommel/ -kordel/-troddel, -Stange, -Stoff, -schiene, -umhang; gardinenbehangen, -verhängt, -weiß, als Grundwort in Fenster-, Halb-, Kaffeehaus-, Küchen-, Scheiben-, Über-, Wohnzimmergardine, (mit Bezeichnungen für Material und Machart) Baumwoll-, Blümchen-, Damast-, Häkel-, Samt-/Seiden-, Spitzen-, Stoff-, Rüschen-, Tüllgardine, auch 'Zwischenvorhang (im Theater), Theatervorhang 1 (s. Belege um 1800, 1843, 1895, 1930, 1939), z.B. Gardinenkulisse; Ankündigungs-, Zwischenakts-Gardine (vgl. Brechtgardine 'auf B. Brecht zurückgehender Gazevorhang auf der Theaterbühne, der je nach Beleuchtung durchsichtig oder undurchsichtig wird und als Leinwand für Projektionen dient'); gelegentlich bildlich verwendet (s. Belege 1723, 1810, 1909, 1994), in Wendungen wie hinter der Gardine 'hinter den Kulissen; heimlich' (s.o. Gardinenpredigt), sowie scherzhaft (gaunerspr.) Schwedische Gardinen (wohl als Erinnerung an schwedische Grausamkeiten im Dreißigjährigen Krieg) 'Eisenstangen, Gitterstäbe vor Gefängnisfenstern', in Wendungen wie er hat viele Jahre seines Lebens hinter schwedischen Gardinen zugebracht, jmdn. hinter schwedische Gardinen schicken und Zss. wie Gardinenfassade, -blick, -frisur, -perücke; Lichter-, Tränen-, Wasser-, Wolkengardine. Gardine: 1477 Teuthonista 58b gardyn cortina (DWB); 1495 Kölner Gemma fid gardyn (WEIGAND); 1511 Kölner Gemma F3a cortina eyn gardijn, est velum depictum, dependens in ecclesia sive ante lectum mulieris in puerperio (DWB); 1511 Lüb. Schulvok. 113 eyn ummehanck effte gardyn (KATARA); Luther 1523 Hl. Schrifft Matth. XXVII 51 de gardine des tempels to schörde in twe stucke; Hoyer 1535 Üb. 4,36 ein arress gordyn vor dat altar (KATARA); Gresbeck nach 1535 Ber. 168 voirden den . . man achter dat gardien (KATARA); ebd. eine Stellinge mit gardinen umbher behangen (KATARA); 1542 Lat.dtscb. Vokabelb. 125 cortina ein gardyn; Chyträus 1597 Casa's Galateus 371 die ringe an den gardynen (DWB); Mutter 1598 Lex. harmonicum 668 Gardine; Henisch 1616 Teutsche Sprach 1357 Gardin/ serg/ tecke/ teppich/ . . kompt her von dem Lateinischen cortina; Martin 1637 Parlement 75 gardinen oder vmbhänge; Olearius 1660 Rosenthal Elb eine Gardin oder Vorhang . . . . und will so viel besagen, Gott macht unsere Sünde, so wir in geheim begehen, nicht stracks offenbar, vnd vns für der ehrbaren Welt zu Schande; Tepel 1673 Lysis 20 die Sonne [lacht] hinter den schwarzen WolkenKortinen [hervor]; Ettner 1697 Chymicus 166 ein kostbares Bett mit weißen Atlassen und mit Gold ausgewirckten gardinen behengt; ders. 1715 Hebamme 673 durch gardinen und Vorhänge; Wahl 1723 Poesie 62 Mond und Sterne/ Stehn von ferne,/ Und ziehn die Guardinen zu; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 274 Gardinen, heissen die Vorhänge vor den Fenstern, Betten und Thüren;
Zedler 173.5 Universallex. X 301 Gardinen, nennet man die Vorhänge vor denen Fenstern, Betten und Thüren; 1741 Begebenheiten 90 ihre 2 Begleiter, so sie zu dem Ende mitgenommen, und in der Kutsche, so mit grünen und undurchsichtigen Gardinen versehen war, verborgen hatte; Richey 1755 Idiot. Hamburg. 69 Gardinen: Vorhänge; 1767 Brem. Wb. II 489 Gardine oder Gordine; Wieland 1778 S. W. XII 45 Sie stritten öfters sich selbst hinter den Gardinen [des Bettes] (SANDERS 1871); Blumauer 1784-94 Virgils Aeneis (Ges. W. l 122) Die alten Urseln, die nicht mehr/ Recht hinter den Gardinen/ Zu brauchen waren, machte er/ Zu Ursulinerinnen; ebd. I 159 So wie wenn sich ein Mädchen schämt/ Bei offenen Gardinen; Schiller 1787 Don Carlos (S. W. H 99) Er löscht die Lichter aus und öffnet eine Fenstergardine (DiBi 125); Christ um 1800 Schauspielerleben 71 daß nach keinem Akte die vordere Gardine durfte niedergelassen werden, weil es nach der Etikette gegen den Respekt vor dem regierenden Herrn war, ihm den Vorhang sozusagen vor der Nase fallen zu lassen; Fr. Wilhelm III. 18W (1926 Leben u. Sterben d. Königin Luise 13) hinter der Gardine wirken; Immermann 1843 Mem. HI 175 Plötzlich ertönt ein Zeichen hinter dem Vorhange . . die Gardine hebt sich, das Stück . . beginnt; 1870 (Lang 1887 Erinn. 154) Also schnell aus den Gardinen! [schnell aufgestanden!]; Glagau vor 1871 Reut. 41 Zum ersten Mal entbehrte sein Gefängnis der eisernen Gardinen (SANDERS 1871); Lindenberg 1883 Berlin 45 hinter den verstaubten Gardinen; Eckstein 1895
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Hartwig 107 Crete .. sollte Gardinen aufmachen. Als sie jetzt . . den Korb mit den Vorhängen auf einen Stuhl gesetzt hatte; Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 17 Brahm ist der Direktor des literarisch vornehmsten deutschen Theaters geworden . . und das Publikum ruft ihn vor die Gardine und applaudiert; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 460) Frau Permaneder trat auf den Zehenspitzen an das Bettchen, lüftete vorsichtig die Gardinen und lugte gebückt in das Gesicht ihres schlafenden Neffen; ders. 1909 Hoheit (W. ü 243) Klaus Heinrich sah auf zu der kleinen Gestalt, die in schillerndem Kleide, behangen von den schwarzen Gardinen ihres Haares, neben ihm stand; Grabein 1913 Wildwasser 71 Tut dir wohl leid, dass das Herrchen da drunten im Kittchen sitzt hinter den schwedischen Gardinen?; Ponten 1926 Siebenquellen 64 oben wurde eine Gardine vorgezogen, und bald war es dunkel; Th. Mann 1930 Erz. (W. Vlll 673) Ein Gongschlag ertönte . . und die Gardine ging auseinander. Sie enthüllte ein Podium; ders. 1939 Lotte (W. // 754) als, nach dem letzten Fallen der Gardine, unter Applaus und Aufbruch, der Bediente .. wieder ehrerbietig bei ihr erschien; Neues Deutschi. 10.3. 1954 Helle Gardinen hängen vor den Fenstern; Kaschnitz 1956 Haus 55 von den halbgeöffneten Fenstern wehten lange weiße Gardinen weit in den schmalen Raum hinein; Offenburger Tagebl. 16. 11. 1961 der das Urteil sofort annahm und hinter „schwedische Gardinen" zurückmarschierte; Zeit 5. 7. 1985 Umzugs- und Renovierungskosten, neue Gardinen; Spiegel 3. 1. 1994 Weil sich in den „Mauern des Todes", die wie gigantische Gardinen durchs Wasser schweben, Seevögel und Delphine verheddern, beschloß die Uno, die Treibnetzfischerei zu verbieten; Frankf. Rundsch. 11. 4. 1998 wurde eine kurze Zwischenkundgebung bei sehr magerer Bürgerbeteiligung gehalten, die Anteilnahme blieb auf den Gardinenblick beschränkt; taz 4. 5. 1999 Nachdem wir uns von der biederbürgerlichen Gardinenfassade . . nicht hatten abschrecken lassen; Berl. Ztg. 9. 8. 2000 zum Fenster zu schauen, um zu sehen, wie viel Tageslicht durch die alten verrauchten Gardinen sickert, die niemand mehr wäscht; taz 30.11.2001 Bei Linzer Torte oder Kaffee mit Schlagobers geben die zartweißen Gardinen den Blick auf die Bäume des Central Parks frei. Gardinenpredigt: Lenz 1777 Sehr. 111119 Hier fand sie es für gut, ihm aus dem Stegereif eine kleine
Gardinenpredigt über das Rauchen, sobald es Gewohnheit wird, zu halten; Lichtenberg 1794 Hogarth I 153 Gardinenpredigt; 1796 Journal d. Moden XI 72 das . . Häuflein . . derjenigen Leser, die . . Geduld genug haben . . jene berühmten Gardinenpredigten anzuhören; Jean Paul 1796 Siebenkäs (W. II 295) Lenette . . hielt . . dem Gatten eine kleine Gardinen- d. h. Gartenbretterwandpredigt, daß er den Vormund vorsätzlich immer heimtückischer mache (DiBi 125); 1800 Hamburger Musenalm. 81 Mädchen werd' ich sehn,/ Artig, jung und schön!/ Der Gardinenpredigt [von der Frau]/ Blieb ich gern entledigt,/ Wenn ich einen KUSS/ Extra geben muss; Grossmann 1847 Gesellschaft 60 Also doch am Ende eine Gardinenpredigt; Willkomm 1857 Ammer 537 Ihr Gemahl würde eine sehr anzügliche und demüthigende Gardinenpredigt zu hören bekommen; Goltz 1869 Weltklugheit i 63 Mit Gardinenpredigt wird der schlimmste Dämon im Ehekrüppel geweckt; Meyer 1885 Essays l 277 voll Angst vor der Gardinenpredigt seines Weibes; Zobeltitz 1902 Papierene Macht U 117 Aber keine Gardinenpredigt . . Ein sehr ernstes Wort; zur Megede 1911 Quitt 17 Meine Alte soll mir nur mit einer Gardinenpredigt kommen!; Philippi 1916 Hagedorn 247 dass das keine Gardinenpredigt gewesen war, sondern eine Generalabrechnung, bei der er der Schuldner blieb; Voss. Ztg. 5. 7. 1929 Frau Katharina von Kardoff . . hat . . einen Band „Gardinenpredigten" herausgegeben. Ein politischer Briefwechsel über die Stellung der Frau . . im Männerstaat; 1932 Allg. Wegweiser Nr. 4 Die umgangene Gardinenpredigt; Offenburger Tagebl. 8.4. 1958 Gardinenpredigt an die Ungarn (Überschr.) Ihr müßt härter werden, sagt Chruschtschow zu den Kommunisten in Budapest; Stuttgarter Ztg. 24. 5. 1963 [der Parksünder zahlt] die berüchtigte Buße von drei Franken . . und hört sich die damit verbundene Gardinenpredigt an; FAZ 30. 11. 1970 Es wäre wohl munter weitergecatcht worden, hätte nicht Ringrichter Wally Thorn .. in einer Gardinenpredigt . . mit Abbruch und Disqualifikation gedroht; taz 29. 5. 1989 Am nächsten Tag bringt F. den Vorfall noch einmal zur Sprache. Eine kurze Gardinenpredigt wird das; Mannh. Morgen 29. 10. 1994 konnte sich Kanzleramtsminister Bohl ruhig mal eine Gardinenpredigt über Arbeitslosigkeit anhören; St. Galler Tagbl. 14.8.2001 Die Jungen nehmen sich diese Gardinenpredigt zu Herzen.
garnieren V. trans., im 15. Jh. selten im Mittelniederdtsch. (KATARA), seit Anfang 17. Jh. häufiger nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. (mittel-)frz. garnir, ursprünglich 'etwas mit (dem erforderlichen, notwendigen) Zubehör (zum Schutz)
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ausstatten, ausrüsten; schmücken' (< altfrz. guarnir 'mit etwas versehen, ausstatten', eigentlich 'verwahren; warnen, sichern, schützen', zurückgehend auf german. *warnjan 'vorsehen, hüten', vgl. ahd. warnön, warnen 'benachrichtigen, warnen; sichern, Sorge tragen' und altsächs. wernian 'vorenthalten, verweigern'; vgl. dtsch. warnen; —» Garnison, —» Garnitur), früher selten in der niederdtsch. Form garneren/ garneeren, im 17. Jh. vereinzelt in der erweiterten Form garnisieren. Zunächst in der Bed. 'etwas mit (dem nötigen) Zubehör, Zutaten, Beiwerk versehen, ausrüsten, ausstatten; (aus-)schmücken, (ver-)zieren, ver-/auskleiden', z.B. im militärischen Bereich 'mit militärischem Schutz, Kriegsgerät u. Ä. versehen, besetzen, bestücken, aus-, aufrüsten; bewaffnen' (s. Belege 1699.1, 1745), oder im Schiffswesen 'den Schiffsboden und die -wände zum Schutz der zu transportierenden Waren vor Nässe und Schmutz mit einer Unterlage (z. B. mit Holzplanken, (Reisig-)Matten, Leinen) ver-/auskleiden, überziehen, versehen' (s. Belege 1821, 1850, 1871, 1879), auch 'Zimmer mit Möbeln usw. ausstatten/möblieren' (s. Belege 1799, 1871), in Wendungen wie die Mauer, den Turm mit Waffen garnieren, die Grenze mit einer Besatzung garnieren, das Schiff/den Schiffsboden (mit Planken) garnieren, die Wände mit Regalen, Schränken, wertvollen Bildern garnieren, dann im Bereich des Dekorativen 'schmücken, zieren, dekorieren' (s. Belege um 1650, 1699.2, 1706, 1771, 1804, 1989), v. a. 'Kleider, Hüte, Schuhe mit (silbernen/goldenen) Tressen, kostbarem Pelz, Spitzen, Borten, Bändern usw. besetzen, einfassen, säumen, verbrämen' (s. Belege 1737, 1787, 1838, 1892, 1901, 1931.1, 1941, 1954; vgl. ausstaffieren, dekorieren,—* Dekor), vereinzelt reflexiv (bildlich) 'sich schmücken' (s. Beleg 1881), in Wendungen wie (sich) mit Pelz/Spitzen/Diamanten garnieren, Hemden, Häubchen, Handschuhe mit Spitzen garnieren, insbes. auch 'Speisen mit dazugehörigen, passenden Beilagen (appetitlich, geschmackvoll, dekorativ) anrichten, servieren; Schüsseln, Teller schmückend be-, umlegen' (s. Belege 1701.2, 1715, 1866, 1931.2, 1990), auch scherzhaft (s. Beleg 1718), z.B. eine Kalbskeule mit Speck garnieren, Braten drumherum mit Zwiebeln, Mohren und Petersilie garnieren, mit Erdbeeren garnierte Torten, in neuerer Zeit vereinzelt scherzhaft bis leicht abwertend übertragen verwendet im Sinne von '(sich) in übermäßiger, übertriebener, allzu aufwendiger Weise ausstatten, verzieren, (aus-)schmücken; lediglich als Dekoration benutzen' (s. Belege 1966, 1978, 1988), z.B. die Festveranstaltung wurde mit salbungsvollen Reden garniert, (zunächst und) v. a. in der adj. verwendeten Part. Perf.-Form garniert, z. B. garnierte (Hand-)Schuhe/Damenhüte, eine rot garnierte Livree, ein mit Früchten garnierter Hut; die mit Zwiebelringen und drei Zitronenscheiben garnierten Heringe, eine garnierte kalte Platte, ein dekorativ garnierter Schweinskopf, mit Gurken garnierte Sülzkoteletts; eine mit literarischen Anspielungen reichlich garnierte Geschichte; dazu im späteren 16. Jh. die vereinzelte Präfixbildung vergarnieren V. trans, 'mit einem (schützenden) Rand einfassen, verzieren' und die seit Ende 19. Jh. bezeugte Berufsbezeichnung Garnierer/-in M./F. 'Person, die (berufsmäßig) Gegenstände (Kleidung, Speisen u. Ä.) dekoriert, verziert, mit modischen Accessoires versieht, dekorativ anordnet' (v. a. in der Gastronomie und in der Porzellan-, Bekleidungs- und Modeindustrie); daneben Ende 18. Jh. aus frz. hotel garni (zu hotel 'Hotel' und garni 'ausgestattet, möbliert', dem Part. Perf. von garnir, s.o.) entlehntes Hotel (Pension, Chambre) garni, auch garnie, zunächst in der Bed. 'möbliertes Hotel/Pension/Zimmer (für einen längeren Aufenthalt, bes. von Studenten)', heute 'Hotel/Pension/Zimmer mit Frühstück', auch elliptisch und substantiviert Garni N.
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garnieren
(-s; -s), in Wendungen wie das Haus wird als Garni/garni der oberen Preisklasse geführt, die beiden betreiben ein kleines Garni, und bes. in Speisebezeichnungen wie Choucroute garni 'mit Fleisch und Wurst serviertes Sauerkrautgericht', auch Bouquet garni 'Gewürzsträußchen, das Suppen, Eintöpfen oder Braten während des Garens beigegeben und danach wieder entfernt wird', gelegentlich bildlich und übertragen (s. Belege 1993, 1999), z.B. Sex garni. Dazu seit dem 15. Jh. das zuerst mittelniederdtsch. bezeugte Verbalsubst. Garnierung F. (-; -en), zunächst und bis heute gebucht als technischer Fachausdruck des Schiffswesens, auch in der niederl. beeinflussten Form Garnier N. (-s; -e) 'an Schiffsboden und -wänden angebrachte, Waren gegen Nässe und Schmutz schützende Verkleidung aus Holz, Planken, Matten O.A., Beplankung des Innenschiffs', seit späterem 18. Jh. gleichbed. mit—* Garnitur a in der Bed. 'Bestückung, Ausstattung, -staffierung, (äußerer) Rahmen; Ausschmückung' (vgl. Dekorierung, —+ Dekoration), z.B. sportliche, lukullische Garnierung; Bandgarnierung; Garnierungsvariation, speziell im militärischen Bereich (s. Beleg 1811), oft übertragen und leicht abwertend '(reine) Zutat, Ergänzung; (nur) schmückendes Beiwerk, (bloße) Zierde' (s. Belege 1911.2, 1964, 1968, 1986, 1990). garnieren: 1472 Hamb. KR Hl 53 to garnerende (KATARA); Hainhofer 1611 Relation 69 Anm. garnisiert; um 1650 Inventarium (Reber, Maximilian l. 31) Ein ganz guldines pfeiffle . . Indianischer arbeit garnisiert [verziert]; Gruber 1699 Politica 12 Die Zughäuser müssen auch mit allerhand Waffen . . garmret seyn (BRUNT); 1699 Staatsspiegel I 36 das Portrait Ihr. Maj. Deß Römischen Königs, mit Diamanten garniret; Glorez 1701 Hauß-Bibliotbec 194 Eine Suppe . . von Hühnern . . garnieret zu machen; ebd. 251 Garniren, Schüssel-Rand zieren und belegen (BRUNT); 1706 (1905 Archiv/. Kulturgesch. Ill 207) die Kunst Kammer [im Berliner Schloss] mit Spiegel [!] garniert; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 45 die SpanSau . . mit Citronen garniret; Marperger 1716 Kücbendict. Titelbl. Grosser Herren Banquets, solenne Festins und Tractirungen . . wohl einzurichten/ die Tafeln zierlich anzuordnen/ zu garniren/ und zu besetzen; 1718 Abentheuerl. Welt l l sind alle Teller rein? Macht dass die Schüsseln nicht mit Staub garniret seyn; 1730 (Steinhausen, Archiv f. Kulturgesch. V 32) Der Strich Land von Böheim . . ist . . mit schönen Güthern u. Schlößern garniret; 1737 Jüd. Baldober 492 Manns-Hemder mit Spitzen garniret; Trenck 1745 Leben 66 Ich kam an die Croatische Grenze, die wegen der Pest-Gefahr wohl mit Wachten garnirt war; Moser 1762 Schreiben 6 ihrer verwöhnten Zunge . . ein Gerichte sehr anziehenden Geschmacks . . zu garniren; 1771 Bibliothek d. Stutzer 203 Anm. Er hatte angeordnet, dass man seinen Sarg garniren sollte; 17S7 Journal d. Moden II 14 Nachthauben, mit Blonden und Spitzen garnirt; Krügelstein 1799 Feuerpolizeywiss. 365 Wer mehr Platz hat, sich lieber bücken als steigen will, garnire
die Wände seines Studirzimmers mit Schränken, deren Höhe 3 Vi Schuh, Tiefe 8-10 Zoll, Breite 2-4 ist; Bory 1804 Kanarien-lnseln (Übers.) 266 Sie [Gitterfenster] sind . . gewöhnlich mit einigen hie und da angebrachten Heiligenbildern garnirt; Kerner 1811 Reiseschatten 168 mit den gewürzreichsten Nürnberger Landwürsten ist er garnirt; Nettelbeck 1821 Lebensbeschr. l 201 Hier vermißte ich denn zunächst 80 Stück eichene Planken, die ich in Königsberg zum Garniren des Schiffsbodens mitgegeben hatte (KLUGE, Seemannssprache); Immermann 1838 Oberhof 377 garnierten Handschuhe; 1850 Verklarung (Altona, Archiv o. S.) die Ladung ward im Schiff gut untergebracht und gehöriger Weise versehen und untergarnirt. — Alles war gehörig garnirt und mit Holz unterschlagen (KLUGE, Seemannssprache); Schandri 1866 Kochb. 35 Die Sardellen werden . . mit hart gekochten gehackten Eiern garnirt und sodann servirt; ebd. 108 Dann legt man sie [Rebhühner] auf eine flache Schüssel heraus, gießt die Sauce darüber und garnirt sie mit Butterteig; Sanders 1871 Fremdwb. I 428 Ein Zimmer garnieren . . meublieren . . Ein Schiff garnieren (od. garneeren), die inwendigen Seiten u. den Raum mit Planken belegen; auch: den Boden des Raums mit Reisern, Holzstücken, Wollsäcken .. belegen; Doornkaat 1879 Ostfries. Wb. l 593 garneren . . auskleiden, belegen, z. B. Schiffe mit Leinen, Matten, Planken zum Schutz der Waren gegen Nässe und Verderb (KLUGE, Seemannssprache); Nordau 1881 Paris l 189 die Kiesgänge und Umfassungsgitter der Gärten garniren sich mit Strohsesseln und Eisenbänken; Eckstein 1892 Dombrowsky I 237 Sie trug ein weißes Batistgewand mit Granatblüthen garnirt; Th. Mann 1901
garnieren Buddenbrooks (W. l 396) der Kopf, der mit einem hellblau garnierten Spitzenhäubchen bedeckt ist; Ebertin um 1910 Alles verstehen 41 Mutter, die gerade eine Schüssel Salat garnierte und ohne aufzusehen nach den Radieschen im Körbchen langte; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 379) die gewaltigen Berghofmahlzeiten, bei denen auf garniertes Rostbeaf gebratene Gänse folgten; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 204 der Reifrock . . ist mit zahlreichen Volants garniert, die selbst wieder mit Rüschen, Bändern, Spitzen besetzt sind; Hauptmann 1931 Spitzhacke 19 um so manchen Hasenrücken, so manche Kalbskeule mit Speck zu garnieren; Th. Mann 1941 Reden u. Aufs. (W. IX 644) wo sie, schon zum Balle angekleidet, in einem weißen, mit rosa Schleifen garnierten Kleide dasteht; ders. 1954 Krull (W. VII 419) eine . . breitrandige und mit Atlas garnierte Kreation auf dem Kopfe; Lenz 1966 W. XIX 137 Bade- und Strandhotels garnieren den Saum der Förde; Neues Deutschi. 25. 2. 1969 Kinokurzfilme . ., die im Grunde nicht mehr darstellen als einen recht und schlecht bebilderten, akustisch garnierten Aufsatz; Gutschick 1971 Forstbetriebsdienst o. S. Gleichmäßiges „Garnieren" des ganzen Gehöftes mit Hochstämmen wirkt meist ebenso unschön wie streng symmetrische Gruppierung der Bepflanzung; Lenz 1978 Heimatmuseum (W. VIII 287) die behäbigen Spaße . ., mit denen er sonst seinen masurischen Geschichtsabriß garnierte; taz S. 9. 1988 [die] Sache der Frauen . . wird hier nur benutzt, um im Trend der Zeit ein großes Spektakel mit pathetischem Zuckerguß zu garnieren; ebd. 5. 6. 1989 eine Reihe von als Blumenkästen garnierten Betonblöcken; ebd. 25.8. 1990 Dressing über Lauch und Orangen geben, mit gehackten, leicht gerösteten Mandelkernen garnieren; Salzb. Nachr. 8. 1.2000 in dem mit zahlreichen Zitaten garnierten Programm. garni: J789 Stats-Anz. XIII 453 Des Dienstes meines Mannes wegen, zogen wir in ein Hotel garni in Versailles; 1799 Br. Schweitz 230 Anm. Chambres garnies; Lady Morgan 1831 Frankreich (Übers.) I 24 dass unser hotel garni vollkommen degarni von allem war was Bequemlichkeit heisst, was die Engländer als nothwendig zum Wohlbefinden zu betrachten gewohnt sind; Kohl 1845 Paris I 140 Hotels garnis . ., wo Etüdiants wohnen; Stahr 1851 Paris 151 Das ist auch bezeichnend für die französischen Zustände. Die Könige lebten seit der Revolution [1792] alle hier nur wie in chambres garnies. Das rechte Bewusstsein der Sicherheit und Dauer gebrach ihnen allen; Brandes 1872—81 Essays II 175 in dem kleinen Hotel garni; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 439) in dem Hotel garni, in dem ich wohnte; Welt 16.4. 1959 Hotel garni
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Forsthaus am Kurpark, Oberstdorf/Allg. das führende Fremdenheim mit allem Komfort (Anzeige); FAZ 7.1.1971 Garni-Hotel Alba .. Das verträumte garni in Lugano-Paradiso (Anzeige); Welt 4. 12. 1974 Hotel garni in Bonn . . auch geeignet f. Bürohaus, Privatklinik usw. von Privat zu verkaufen (Anzeige); Mannh. Morgen 15. 4. 1989 Unsere Hotels zählen zu der oberen Komfortklasse und werden als garni geführt, aber zum Preis der Mittelklasse; taz 15. 12. 1990 Ein Bouquet garni (2 Petersilienstengel, l Lorbeerblatt, l Knoblauchzehe) hineinlegen, zudecken und 15—18 Minuten simmern lassen; ist der Lachs gar, Bouquet garni entfernen und die Soße mit Mehlbutter binden; ebd. 22. 3. 1993 Genug des Geschwätzes . . ich konnte lediglich ein paar bouquets de garni und weitere Fragen anbringen; ebd. 22. 5. 1999 Ressort Bunte; Sex garni (Überschr.); Frankf. Rundsch. 25. 9. 1999 Am Herd steht ein Elsässer, der . . beim Choucroute garni deftige Würste und Schweinefleisch auftürmt; St. Galler Tagbl. 27. 7. 2001 Das unter dem Namen Hotel Motel Garni „zum goldenen Lamm" bekannte Kleinhotel hat neue Besitzer. Garnierer/-in: Halle 1897 Baumwollproduktion 18 so arbeiten Garniererin und Stepperin sich bei Herstellung eleganter Blusen und Schürzen bisweilen in die Hände, und auch Ärmel, Gürtel und Schürzenbänder werden hin und wieder apart in Arbeit gegeben; Rieber 1928 Porzellanindustrie 26 Formgießer, Dreher, Gießer, Garnierer, Verputzer; Münch. N. N. 15. 2. 1944 Garniererin für Herrenhüte . . gesucht (Anzeige); taz 28. 3. 1987 Die Produktion des Hamburgers läuft wie am Fließband, der Mann an der Heizplatte dreht die Patties um, der Garnierer am Salattisch klatscht die Soße, den Käse und das Salatblatt mit immer den gleichen Handgriffen auf das Brötchen. Garnierung/Garnier: 1406 (HR I 5,223) garniringe (KATARA); 1544 Hamb. Bursprakenkonzept 336 ballast vnd garneringe (KATARA); 1561 Dat Daenische See Recht (Westphalen IV 1837) gernering (KATARA); 1787 Journal d. Moden 175 Neueste Garnirung eines Damen-Kleids zum vollen Putze; Engelbrecht 1792 Wohl unterw. Schiffer 130 Wenn der Capitain mit seinem Schiff zu Bergen glücklich angekommen ist, so muß derselbe so viel Steine zu seinem fernerweitigen Ballast, als zu Steifmachung seines Schiffes erforderlich seyn wird, wozu er keinen Sand nehmen darf, auf seine Kosten besorgen, auch das Garnier, so wie es bei dergleichen Reisen gewöhnlich, wenigstens so hoch als sein Kielschwein machen (KLUGE, Seemannssprache); 1793 Journal d. Moden VHI 163 Rock und Kleid uni, ohne alle Garnirung; Blücher 1811 Br. 141 Die Garnierung der Höhen von der Altstadt bis zu den
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[!] Damm [Fachwort der Belagerungstechnik]; 1815 W/'ss. d. Seekrieges 29 Die innere Bekleidung des Gebäudes, die Bewegerung oder die Garnirung zwischen den Verdecken; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. II 126) Garnirung für Frauenmäntel; Masius 1857 Versicherungswesen 23 Der Versicherte ist verbunden, die Vergütung des Schadens an den versicherten Gütern, der durch unzulängliche Garnirung oder nicht gehörige Stauung entstanden ist, von dem Schiffe oder aus dem Schiffe . . zu suchen; Reuleaux 1892 Weltverkehr 207 Die Verkleidung des Innenschiffs geschieht mit dünnen, 10 cm starken Planken, den Waigern oder dem Garnir, welche mit starken Nägeln an die Inhölzer befestigt werden (KLUGE, Seemannssprache); Kluge 1911 Seemannssprache 301 Garnier, Garnierung . . Stücke Holz, Planken, Matten oder andere Gegenstände, welche durch Nässe nicht leiden, und die im Boden, in der Kimm, sowie an den Seiten eines Schiffes angebracht werden, um zu verhindern, daß Wasser mit solchen Gütern in Berührung kommt, welche durch Feuchtigkeit beschädigt werden oder verderben; Fleischer 1911 Wendelin 116 Er war doch ein Städter . . und, was er an den gemütlichen Vororten [Wiens] liebte, war mehr ihre Gelegenheit zu kurzen, unvorbereiteten Ausflügen, die „Garnierung" der Stadt, wie er es einmal nannte, nicht ihr selbständiges Wesen; Heilborn 1929 Revolutionen II 90 Die Garnierung macht, die Figur umkränzend, die Dame breiter; Welt 11. 12. 1964 staunte man gestern im BristolKempinski nicht schlecht über den Auftritt des
vierprankigen Hotelgastes „Radjah", äußerliche Garnierung der Vorbesprechung für „MenschenTiere-Sensationen"; Lenz 1968 Deutschstunde (W. VI 31) Der Prospekt . . ließ das Erlebnis des norddeutschen Horizonts ahnen . . und bevorzugte als vertraute Garnierung des Deiches die gleichen blöden und verzottelten Schafe, die auch meinem Vater und mir nachblickten; Zeit 5. 9. 1986 Worte sind ihm keine Zutat, beiläufige Garnierung, sie sind ihm Atem, Puls; taz 6. 11. 1990 die assoziativen Beilagen — jene Accessoires aus dem Alltag des 20. Jahrhunderts — schiere Garnierung: Mobiliar aus der Gründerzeit steht da im Gegensatz zum „Nutzstil" des Architekten; Frankf. Rundsch. 6. 2. 1999 bei herkömmlichen Anzeigenblättern dienen die Artikel lediglich einer mehr oder weniger umfänglichen „Garnierung" der Werbung; Mannh. Morgen 18. 8. 2001 Ein Erdbeer-Spieß als Garnierung passt gut dazu. vergarnieren: Fischart 1575 Geschichtklitterung 175 Aber wann ihr von stuck zu stuck gesehen hetten das schön gepräm, die Fransen, Karsaminpasament, segment, Bendeln, gestepp, gebord, die stoß daran, und wie es alles gepleiget, gefademet, durchstrickt, unnd durchstickt war: deßgleichen die lustig . . eingestickt, eingeflickt, . . eingeflochten, eingeschenckt, undermischt und eingelatzt Goldarbeit von goldstrimen, Purpurrimen, gülden Schnieren, vergarnirt unnd verkernet: mit guten Edelen Diamanten, . . unnd Persischen Perlin.
Garnison F. (-; -en), im späten 15. Jh. entlehnt aus (alt-)frz. garnison 'Besatzung, zum Schutz stationierte Truppe', und (elliptisch für ville de garnison) 'durch militärische Besatzung geschützte Stadt', altfrz. auch '(Schutz-/Verteidigungs-) Ausrüstung, Befestigung, Ausstattung, Vorrat' (zu garnir in seiner Bed. 'ausstatten, versehen, ausrüsten; mit etwas besetzen', —+ garnieren), früher auch N. und in Schreibungen wie Guarnison, Q(u)arnison, Guarnizoun und Verballhornungen wie Gadeson und, eventuell in (irrtümlicher) Anlehnung an —* Garde, Gardison. Im militärischen Bereich älteres Hut verdrängend für 'Gesamtheit der zur Bewachung oder Verteidigung einer Stadt oder Festung dort stationierten Soldaten, Truppen; militärische (Stadt-/Schloss-)Besatzung, Mannschaft' (—>· Garde a), z. B. die mit neuen/englischen Garnisonen belegte, versehene Stadt, die Einwohner von Utrecht halten stets eine starke Garnison, die hiesige Garnison ist in der Nacht vom 23. zum 24. alarmiert gewesen, seit Anfang 17. Jh. auch 'Standort militärischer Truppen/ Verbände und ihrer Einrichtungen (in Friedenszeiten), Garnisonsstadt, Festung' (s. Belege 1602, 1623, 1638, 1656, 1821, 1850, 1926, 1978; —· Kaserne, -* Zitadelle), heute in dieser Bed. weitgehend durch (Truppen-)Standort ersetzt, in Wendungen wie in Garnison stehen/liegen/ziehen, die Garnison verlassen, im Fall eines Waffenstillstandes hat sich der Mann in seiner Garnison zu melden, oft als Bestimmungswort in Zss. wie Garnison(s)arzt, -ball, -bataillon, -chef, -dienst, -kaserne, -kirche,
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-kommando, -kompanie, -lazarett, -offizier, -ort/-platz, -regiment, -schule, -soldat, -Stadt, -stube, -Stützpunkt, -Verpflegung, seltener als Grundwort in Friedens-, Heimat-, Miliz-, Wintergarnison. Dazu die seit Ende 18. Jh. vereinzelt nachgewiesene, heute nur noch historisierend verwendete verbale Ableitung garnisonieren V. intrans. 'in Besatzung stehen, liegen; seinen Standort haben, stationiert sein', z.B. das in Nürnberg garnisonierende/garnisonierte Kavallerie-Regiment, das dritte Garde-Regiment garnisoniert in Leipzig, auch trans, für 'jmdn. in Garnison legen' (s. Belege 1933, 1951), mit dem Verbalsubst. Garnisonierung F. (-; -en); seit Mitte 17. Jh. die bis ins 20. Jh. vereinzelt bezeugte Personenbezeichnung Garnisoner M. (-s; -), meist in der Form Garnisöner, 'Garnisonssoldat'. Garnison: 1481 (Argovia, ]ahresschr. d. histor. Ges. d. Kantons Aargau VI 343) garnison; Ludwig v. Eyb 1507 Wilwolt v. Schaumburg 142 das er mit der ganzen gadeson [Garnison] zu ros und fues handln solt, damit sie fridlich und unverhindert durchziehen mochten; ebd. 143 nu wern sie wider geschickt, den haubtman und die ganzen gemein in der gardison [Garnison] aufs güetigst zu verhorn; Scheurl 1536 Briefbuch II 168 haben bede thail etlich hauffenn auf die fronthirnn inn Garnison gelegt; Ernstinger 1579—1610 Kaisbuch 145 garnison oder besazung; ebd. 192 Diese statt Blaye hat die dignitet ainer grafschafft, hat darin starckhe guarnison und 3 künigkliche kriegsschiff; Eyzinger 1590 Relationen I 26 solche örter, die von allen Zeiten her garnison gehabt haben; Meurer 1599 Relation 30 auff Mittel gedacht, ein Guarnison in diese Statt zu bringen; Kirchhof 1602 Militaris disciplina 17 der Abwechsel der neuen vnnd immer anderer Soldaten in etlichen Garnisonnen; Lopez 1609 Congo 4 ein Vestung . ., darinn ein Garnison Soldaten ligt; Platter 1612 (Boos 1878 Sittengesch. 245) der sagt uns, er were lang im castel s. Marie, so uf dem berg, . . in der guarnison gwesen; 1622 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 319) ist das Pfältzische volck alles in Quarnison gezogen; 1623 Beschr. d. Schlacht b. Stattloo 3 ausserhalb etlich wenig Compagnien, so inn den Guarnisonen ligendt verblieben; 1629 Bittschr. (Schafstädf 1899 Mülheim a. Rh. 32) handtbiethung und erleichterung des beschwer und continuirlichen guarnizouns demütigst gepetten; Mengering 1638 Soldatenteufel 65 nach Stetin oder die nechst angelegene königl. Guarnisonen; Zeiller 1641 Episteln A4b dass die Spanier gut seyen zur Guarnison; 1656 Brandenb. KriegsRecht A2b in Unsern Lägern, Guarnisonen und Quartiren; ebd. Clb Keine Huren sollen im Lager oder Guarnisonen geduldet werden; Friedrich Wilhelm 1667 Polit. Test. 42 garnisonen, in Friedens vndt Krigszeitten . . nottig; Scheither 1672 Festungs-Baw-Schuel 32 die gantze Guarnison ablösen/ und mit neuem frischem Volck/ und Officirern besetzen; 16S4 Getrost. Europa C4a dieweilen
man dagegen die Kayserliche Völcker könnte aus den Garnisonen nehmen; Stieler 1695 Zeitungs Lust 201 Garnison . . Stadt-Besatzung und SchloßBesatzung; Mercurti Relation 11. 11. 1702 In Ulm werden die Quartier und Baraquen zugerichtet/ umb eine Garnison von 4000. Mann darinn zu logiren; Fassmann 1718 Kriegs- u. Soldatenstand 43 nach einer von der Garnison gethanen . . hartnäckigen Gegenwehr; Wagner 1724 Soldatenbibl. 207 daß in Hospitälern gute Verordnungen seyn, und wie die Krancken zu besuchen, damit keine gefährliche Krankheit unter die Garnison kommt; Berlin. Privilegirte 27. 9. 1725 daß der Marquis von Risbourg die Garnisons von allen Plätzen des Fürstenthums Catalonien auf Königl. Ordre besichtiget; Schnabel 1731 Felsenburg l 38 f. da ein Officier mit 6. Mann von der Guarnison gegen mich kamen, und meine Personalität mit Gewalt in die Festung einführeten; 1743 Reglement Preuss. Cav. . . Wie der Dienst im Felde und in der Guarnison geschehen soll (Titel); Pfau 1757 Angriff 23 Nachdem der commandirende General . . die Liste von denen benöthigten Arbeitern . . empfangen hat, deren Anzahl sich jederzeit . . nach der Stärke der Garnison richtet; Michaelis 1768 Raisonnement I 231 weil man . . die ganze Guarnison aus Mangel an Bewegung und wegen feuchter Luft aussterben oder verzagt werden läßt; Schiller 1781 Räuber (S. W. l 505) Mort de ma vie, da hatten wir dir Respekt wie eine Garnison in einer eroberten Festung (DiBi 125); Danziger Ztg. 6. 1. 1798 die Nachricht, daß . . die schwache Päbstl. Garnison mit den Kriegshonneurs nach Urbino abmarschirt sey; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA I 20,249) Offiziere von entfernteren Garnisonen . . zogen sich herbei; Körner 1812 Hedwig (S. W. II 84) Er drang beim Vater gleich auf schnelle Hochzeit . . So führt' er mich in seine Garnison; Goethe 1821 Wanderjahre (WA l 24,325) daß er sich eiligst aus der Garnison ohne Urlaub entfernte; ebd. 337 Flavio . . sollte . . sich wieder ans Regiment anschließen, welches indessen in eine andere Garnison verlegt worden; Ztg. f. Städte 21. 12. 1836 ein blutiges
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Handgemenge zwischen Husaren der österreichischen Garnison und schweizerischen Artilleristen; Bonner Wochenbl. 7. 4. 1850 Gestern kamen die Cadres von fünf zu reorganisirenden Bataillonen in hiesiger Garnison an; 1862 Hausblätter IV 46 indem er ihm die Stelle eines Platzkommandanten der Garnison übertrug; Roland 1888 Lieutenant 81 von einem Lieutenant, der . . nur Spaßes halber einen Winter in der Garnison mitmachte; Polenz 1898 Grabenhäger H 357 gelegentlich veranstaltete die Garnison einen Tanz, ein Rennen, ein Picknick; 1916 Deutschland l 221 Zu gleicher Zeit hatten die Städte mit der Entstehung des stehenden Heeres fürstliche Garnisonen erhalten; Kasernen existierten noch nicht. Jeder Bürger, jedes Haus erhielt dauernd militärische Einquartierung; Fönten 1926 Siebenquellen 114 Ein Regiment zog aus der Garnison zum Truppenübungsplatze; 1928 Festschr. Kotschau 96 wie ich damals nicht Lust bezeigte, als ein junger Mensch in Garnison müßig zu liegen; Volkmann 1938 Streifen 6 Er . . wurde Offizier. Übermorgen fuhr er in seine Garnison . . Jetzt also begann der Ernst des Lebens; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 206) Gegen Ende August Paris war eingenommen, die deutsche Garnison vertrieben; Siiddtsch. Zig. 6. 5. 2955 Statt Besatzung — Garnison (Überschr.) daß die amerikanischen Truppen in Bayern künftig eine GarnisonTruppe seien, so, als wären sie irgendwo in den Vereinigten Staaten stationiert; Welt 10. 9. 1964 An der Veranstaltung nehmen auch Ehrenformationen der drei alliierten Garnisonen teil; Lenz 1978 Heimatmuseum (W. VHI 166) wo andere längst aufgegeben hätten, verpflichtete ihn seine Besessenheit zur Ausdauer, und die führte uns zur Rückseite der Garnison, zur Rückseite des MilitärLazaretts; Mannh. Morgen 23.8.1985 Wenn im Zuge des erleichterten Grenzverkehrs immer mehr Deutsche nach Westen streben, und Franzosen in pfälzischen Garnisonen ihren Dienst ableisten, so gehört das hier bereits zum Alltag; Presse 12. 5. 1992 Rund 1700 Jungmänner der Wiener Garnison werden heuer bei der großen Frühjahrsangelobung am 15. Mai ihr Treuegelöbnis auf die Republik ablegen; Oberösterr. Nachr. 25. 10. 2000 werden alle Rieder Soldaten- und Traditionsvereine eingeladen, an der Feier der Garnison teilzunehmen. Garnisoner: Bürster 1647 Schwed. Krieg 258 den burgern sowohl alß den guarnisonern beyzuespringen; Rüge 1837 Ästhetik 243 das verschiedenste Interesse an dem Kartenkunststück nach den verschiedenen Charakteren, diese Physiognomieen des Wirthes, des Garnisöners, des Fuhrmannsjungen, die man alle zu kennen glaubt; Schäffer 1864 Soldatenleben 32 unser alter Kerkermeister . . ein so-
genanter Garnisöner [Unteroffizier d. Invaliden]; 1892 (Württemb. Vierteljahrs!,. N. F. / 175) Ulmer Grabenhäuschen und Garnisöner (Überschr.) niedliche und bescheidene Gebäude . ., welche den reichstädtischen Garnisonssoldaten als Wohnung dienten; Peter 1937 Ritt ins Morgenrot 179 Jakobina Katharina Rayer, Tochter des evangelischen „Garnisöners" (wohl Stadtsoldaten) Christoph Raye; Borst 1968 Städte 421 Aber die Garnisöner, das waren denn doch andere Leute; ders. 1986 Stadtkleinode 58 Weil sie Zopf und Puder . . mehr liebt als Garnisöner und Pulverdampf? garnisonieren: Böttiger 1795 Reise n. Hamburg (Literar. Zustände H 96) Hier war den Tag vorher das dort garnisonirende Regiment des Herzogs von Braunschweig aus dem Felde wieder angekommen; Campe 1813 fremdwb. 333 Garnisoniren, in Besatzung liegen; Bonner Wochenbl. 7. 4. 1850 Heute Vormittag empfing Höchstderselbe die Aufwartung sämmtlicher Stabs- und Oberoffiziere der hier garnisonirenden Truppen; Hartmann 1866 Erlebnisse 269 1773 war bei Hannover ein Uebungslager für die übrigen 4 Compagnien, die in Hannover, Hameln und Nienburg garnisonirten; Grabowski 1868 Off. 53 ein Officier der in N. garnisonirenden Cavallerieschwadron war dem Oberst heute noch als Ordonnanzofficier zugetheilt worden; SchmidtWeißenfels 1876 Freiligrath 116 er war eben zur Ableistung seines einjährigen Dienstjahres in ein in Stuttgart garnisonirendes Regiment eingetreten; Winterfeld um 1880 Excellenz 69 herein trat der Oberst und Commandeur des in Blasebalg garnisonirenden Kavallerie-Regiments; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 644) Rene Maria von Throta, aus den Rheinlanden gebürtig, stand als Secondeleutnant bei einem der Infanteriebataillone, die in der Stadt garnisonierten; Berl. Illustr. Nachtausg. 5. 1. 1933 das 153. Infanterieregiment wird auf fünf Bataillone verstärkt, von denen vier in BitschStadt in der Nähe der Befestigungen und eins im Militärlager von Bitsch garnisoniert werden sollen; Feuchtwanger 1951 Jüd. Krieg 248 Zwanzigtausend Mann . . kann Vitell in Rom garnisonieren (WOG); Th. Mann 1953 Erz. (W. VIII 877) hatte Rosalie die Jahre ihrer Ehe, zwanzig an der Zahl, in dem gewerbfleißigen Duisburg verbracht, wo von Tümmler garnisonierte; Berl. Morgenpost 23. 8. 1998 Das in Merseburg garnisonirende Husarenregiment Nr. 12 wird zu der .. silbernen Hochzeitsfeier seines Chefs, des Großfürsten Wladimir von Rußland, nach St. Petersburg eine Deputation entsenden, um Glückwünsche darzubringen. Garnisonierung: Baltz 1822 Aug-Entzündung 105 wegen der Garnisonirung der Infanterie meist in den grössern Städten und häufig in Casernen;
Garnitur Heyne 1843 Napoleon 34 Napoleon war immer noch als Souslieutenant im südöstlichen Frankreich bei seinem Regimente La Fere, dessen Garnisonirung wechselte; Kaeuffer 1859 Ost-Asien 135 Da nämlich die mächtigen . . Hiung-nu nun Herren . , der nordwestlichen Grenzgebiete an China . . geworden waren, so mussten jetzt die Chinesen ernstlich auf Bekämpfung dieses Feindes denken und schoben das obenerwähnte System der Garnisonirung und Colonisirung an der nordwestlichen Einsenkung vor; Amon v. Treuenfest 1879 Hochu. Deutschmeister 478 Baron Lederer, während der Garnisonirung in Neapel . . in der Brigade des Generalen v. Söldenhofen; Gatti 1905 Militär-Akademie 726 Während seiner Garnisonierung in Wien
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besuchte er die Lehranstalt für orientalische Sprachen; Vagts 1935 Deutschi, u. d. Verein. Staaten 1120 Diese Garnisonierung entsprach den Erwartungen des deutschen Handels, berichtete der französische Botschafter aus Berlin; Süddtsch. Ztg. 25. 2. 1960 Die Stadt Greding . . wird nach einer Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung keine Garnison erhalten. Die Ablehnung wurde mit der geographischen Lage . . begründet, die nicht in den für das Bundesgebiet aufgestellten „Garnisonierungsplan" passe; FAZ 12. 1. 1990 Jede Wohnsiedlung der „Freunde", wie schon die Jugendlichen mit eher gleichmütigem Spott die Gäste bezeichnen, offenbart zwischen Ostsee und Erzgebirge diese Problematik einer unerwünschten Garnisonierung.
Garnitur F. (-; -en), im späten 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. garniture (zu garnir, —* garnieren), anfangs in frz. beeinflussten (Schreib-)Formen wie Garniture, Garnitur und Garnetour. 1 Im Zusammenhang mit der Alamode-Bewegung aufgekommen in der Bed. '(dekorative) Einfassung, Umsäumung, Verzierung, Besatz, Beschlag an Uniformen, Kleidungsstücken (z. B. durch Knöpfe, Schnallen, Bänder, Borten, Tressen usw.); Zierrat, Schmuck' (—>· Accessoires, —»· Dekoration, —* Dekor, —» Fasson), als Grundwort in Zss. wie (in Verbindung mit Bezeichnungen für den geschmückten Gegenstand:) Hut-, Kleidergarnitur, (in Verbindung mit Bezeichnungen für das verwendete Material:) Pelz-, Spitzen-, Tüllgarnitur, selten als Bestimmungswort in Garniturputz, -tresse, auch allgemeiner 'Aus-/Verkleidung (z.B. von Wänden und Möbeln durch Holz)'; etwa gleichzeitig und heute v. a. in der Kochkunst 'appetitliche Anrichtungsweise eines Gerichts, Umlegung oder Verzierung von Fleisch- oder Fischgerichten mit frischem Salat, Gemüse oder Krautern; schmückende Zutat, Beilage' (s. Belege 1716, 1989, 1999, 2001; vgl. Arrangement, —> arrangieren, —»· Galanterie a), z.B. Blumen-, Braten-, Früchte-, Gemüse-, Salat-, Tisch-, Tortengarnitur; Garniturgemüse, vereinzelt scherzhaft auf Personen bezogen (s. Beleg 1887) und übertragen und leicht abwertend im Sinne von '(überflüssiger) Zierrat' (s. Beleg 2000). 2 Seit Anfang 18. Jh. in der Bed. '(An-)Sammlung, Zusammenstellung verschiedener oder gleichartiger, zu einem Ganzen gehörender Einzelteile, aus zueinander passenden, aufeinander abgestimmten Einzelstücken bestehende vollständige Reihe, Satz von Gegenständen (einer Warengattung oder derselben Fertigungsart), die gemeinsam eine bestimmte Funktion haben, einem bestimmten Zweck dienen' (—» Ensemble, —» Repertoire, —+ Set, —> Service, —» Sortiment), z.B. eine komplette Garnitur silberner Etuis/seidener Schnallen, Gläser, Pfeifen, eine neue Garnitur Aktenordner bestellen, eine Lok mit einer Garnitur aus drei Waggons, eine zweite Garnitur Schulbücher für zu Hause, eine ausgediente Garnitur gebrauchter Matratzen, (oft mit Bezug auf Kleidung, bes. Unterwäsche:) eine Garnitur Ersatzwäsche im Handgepäck, eine komplette Garnitur silberner spitzenbesetzter Unterwäsche, nur die zweite Garnitur ('die zweitbeste Kleidung, die man besitzt') tragen (s.u.), die etwas abgeschabte Garnitur des Wochentags, als Grundwort in Zss. wie Besteck-, Reifen-, Schmuck-, Schreib-, Toilettengarnitur, auch konkurrierend mit -besteck, -gedeck, -geschirr, -service in Gabel-, Gläser-, Messer-, Koch-, Löffel-, Silber-, Tassen-, Teller-
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Garnitur
garnitur, (für Gruppen von Möbeln und Einrichtungsgegenständen:) Badezimmer-/ Schlafzimmer-/Wohnzimmer-, Bett-, Biedermeier-, Biertisch-, Couch-, (GartenVBüro-)Möbel-, Leder-, Polster-, Sessel-, Sitzgarnitur, (für eine Zusammenstellung von Kleidungs- und Wäschestücken:) Bettwäsche-, Knaben-/Mädchen/Damen-/Herren (-wasche)-, Unterwäsche-, Schuhgarnitur, (für einen Zug zusammengekoppelter Fahrzeuge:) Eisenbahn-, Straßenbahn-, Zug-, Triebwagengarnitur; seltener als Bestimmungswort in Garniturmöbel, -preis, -tisch, Garniturensortiment; speziell im militärischen Bereich 'Gesamtheit der zu einer Truppe gehörenden Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände gleicher Güte' (s. Belege 1884.2, 1930), z.B. Ausgeh-, Dienstgarnitur; daneben seltener (im handwerklichen und technischen Bereich) für 'zur vollständigen Ausstattung, Herstellung, Vollendung eines aus mehreren einzelnen Teilstücken bestehenden Fabrikats notwendiges, funktionelles, komplettierendes Zubehör' (s. Beleg 1727), z.B. Fahrrad-, Mobilphon-, Nähgarnitur, auch 'Gesamtheit der für eine Arbeit erforderlichen Werkzeuge, Werkzeugsatz' (s. Belege 1884.1, 1950, 1987, 2001) und 'Gesamtheit der Ausrüstung, z.B. der Beschläge', speziell beim Gewehr bezogen auf die den Lauf und das Schloss mit dem Schaft verbindenden Teile (s. Belege 1779, 1830ff., 1844.2), z.B. ein Gewehr, ein Koffer mit einer Garnitur aus Messing. Seit frühem 20. Jh. v. a. mit Bezug auf Personengruppen übertragen verwendet bes. in Sport und Politik, meist in festen Verbindungen wie erste, zweite/zweitbeste Garnitur 'die besten, weniger guten Vertreter aus einer Gruppe', im Sinne von 'Mannschaft, Besetzung, Riege; Rang, Klasse, (Aus-)wahl' (s. Belege 1919, 1929, 1931, 1956, 1963, 1985), z.B. zur ersten/besten, alten/neuen Garnitur gerechnet werden/ gehören, eine/die zweite Garnitur kam ins Spiel/zum Zug, wurde eingesetzt/ins Rennen geschickt; in die zweite Garnitur der Bonner Politiker zurückgedrängt, nicht gerade zur allerersten Garnitur gehören; Bundesliga-, DDR-, Führungs-, Minister-, Politiker-, Regierungs-, Sänger-, Star-, Stürmer-, Trainergarnitur. Garnitur 1: 1677 Machiavell. Hocuspocus 529 ihre alamodische Zeuge, garnetouren und andere fafonen willig an- und auffnehmen; Horneck 1684 Österreich 119 ihre Weiber Aufsatz, GarniturenBänder Kätten, Schuh, Strümpff, endlich gar die Hemmter seynd besser, wann sie die Französische Lufft perfumiret hat; Stieler 1695 Zeitungs Lust 201 Garniren, versehen/ ausstafiren. Daher Garnitur, Auszierung/ Ausstafirung/ mit Gold und Silbernen Bosementen/ Band und Spitzwerk; Chilemont 1707 Kriegs- u. Staatsrat 173 die allerzartesten und theuersten Spitzen und Garnituren; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 621 Garniture der Speisen, heißet in denen Küchen alles dasjenige klein gebackene Zeug oder anderes Wesen, wormit die Trachten und Speisen auf dem [!] Schüssel-Rändern umleget, garniret und angeputzet werden; Marperger 1716 Küchendict. 1163 Allerhand Auszierungen und Garnituren in Speiseschüsseln; 1718 Abentheuerl. Welt l 23 Garnitur [zu einem Hut]; Brandes 1802 Lebensgesch. l 290 mir . . eine Garniture [Schnallen] überreichend; Wieland vor 1813 S. W. XLV11 31 Die interessanteste Garnitur für Ihr
Boudoir (KEHREIN); 1836 Album d. Boudoirs W Die Abendroben werden mit langen herunter gehenden Epauletten gemacht, von denen einige Garnituren auf den engen Aermel herabfallen; 1844 Brockhaus V 729 So gehört z. B. der ganze Besatz eines Kleides zur Garnitur, oder Garnirung des Kleides; Rodenberg 1856 Bilderbuch 96 ein einfaches Seidenkleid mit Spitzengarnitur; 1861 Allg, Mil.-Enc. Hl 446 Garnitur, die kleinen . , Schmuckstücke an Geweben; Rose 1884 Revanche 113 Dann melden sich die Weißwaarenhändler mit Brüsseler . . alten Stickereien . ., die zu Manschetten, Halskrausen und Garnituren bestimmt sind; ebd. 116 Spitzen zur Garnitur für zwei Roben; Kretzer 1887 Timpe 293 Kinder, die in den geöffneten Fenstern lagen und bis in das Dach hinauf eine lebende Garnitur an den Häusern bildeten; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 531) In einem Kleidchen, an dessen reichlicher Garnitur mit Atlasschleifen man Frau Permaneders Geschmack erkannte; ders. 1933-43 Joseph (W. IV7V 1097) außer der Perücke und einer Emaillegarnitur von Halskragen und Armringen . . trug er nur einen . .
Garnitur knielangen Doppelschurz um die schmalen Hüften; Welt 31. 12. 1969 erlesene Gemüsegarnitur; ebd. 1. 3. 1974 sehr „accessoiresfreundlich" ist auch der neue Kostümtyp mit Metallgarnitur; taz 25.3. 1989 das Ei . . steckt voller Vitamine, hilft verfeinern, bindet Flüssigkeiten, macht die Speisen lockerer, ist Garnitur und läßt sich garnieren; St. Galler Tagbl. 26. 8. 1999 Petersilie oder kunstvoll drapierte, in den Farben abgestimmte Garnituren; taz 8. 1. 2000 Die Usbeken, demokratisch wenig geübt, haben die Alternative verstanden: die harte, aber gerechte Hand Karimows oder das Chaos. Die Regierung hat in der Präsidialrepublik wenig zu sagen, das Ende Dezember gewählte Parlament ist reine Garnitur; St. Galler Tagbl. 6. 1. 2001 die Garnitur aus Mandelflocken trägt Typisches zu Geschmack und Aussehen bei. Garnitur 2: Francke 1702 Waisenhaus l 36 gantze Garnituren von silbern und güldenen Spitzen; Nemeitz 1718 Sejour 65 eine garniture von . . Knöpffen (BRUNT); 1720 Recueil XVII 7 alle Services und Garnitures zu solchem Getränke; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 275 Garnitur, die Ausstaffirung; oder alles was zu vollständiger Ausmachung einer Sache, die aus vielen Stücken bestehet, gehöret; Zedler 1735 Universallex. X 340 Garniture heist alles, was zu vollständiger Ausmachung einer Sache, die aus vielen Stücken bestehet, gehört. Die Garnitur eines Kleides ist der Oberzeug, das Unterfutter, Seide, Knöpffe, Band, Spittzen . . Die Garnitur eines Bettes, das Spannbette, die Vorhänge, die Matratzen, Pfühle, Küssen, Decken und so weiter. Eine Garnitur von Diamanten, ein vollständiger Diamanten-Schmuck von Spangen, Rosen, Ringen; 1737 Jüd. Baldober 519 eine goldene Garnitour durchbrochene Tressen; Heppe 1779 Jäger 173 Garnitur, oder Beschlag, wird gesagt . . Wenn der Jäger ein reiches Jägerzeug an hat . . Wird alles, was von Meßing, oder Eisen . . an einem Schießgewehr sich befindet, Garnitur, oder Beschlag genennt; 1786 Journal d. Moden I 85 Das Canapee muss . . zur Garniture der ändern Stühle im Zimmer passen; 1790 Origines Backel H 311 meine Garnitur seidene Schnallen; Laukhard 1792 Leben l 260 Ein andermal machte ein Engländer dem Menschen weiss, man trüge jetzt nach der neuesten Mode Halsbinden von bundem [!] Stroh, mit einer Schelle vorn am Hals, stroherne Kokarden und eben solche Röschen hinten auf dem Zopf. Er schenkte ihm sogleich eine solche Garnitur, . . um den Einfaltspinsel anzuführen; Prechtl 1830 ff. Techn. Enc. VI 539 Die jetzt sehr häufig bei Jagdgewehren vorkommenden, mit Garnituren von braunem und schwarzem Holz od. Hörn versehenen Schafte heißen im Handel Kapuziner-Garnituren (SANDERS 1871); 1844 Brockhaus V 729
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Garnitur nennt man . . diejenigen Theile irgend eines Fabrikats, welche, zur Vollendung des Ganzen gehörig, außerdem noch bestimmt sind, demselben als Zierath zu dienen; ebd. Bei den Gewehren nennt man Garnitur alle diejenigen Theile, welche dazu dienen, den Lauf und das Schloß mit dem Schaft zu verbinden, überhaupt die einzelnen Theile zu einem brauchbaren Ganzen zu vereinigen (Kapuzinergarnitur); Hohenlohe-Ingelfingen 1864-70 Leben III 185 erfuhr . . daß sie einen Teil der ausrangierten Hosen und Röcke, die man ihnen als Flickmaterial überweist, nicht verflicken, sondern sammeln und zu einer Garnitur überzähliger Anzüge zusammenstellen; Wickede 1878 Leutnant 65 eine Sammlung kostbarer alter Waffen an der einen und eine Garnitur werthvoller türkischer Pfeifen an der anderen Wand; 1884 Brockhaus VII 548 Garnitur . . eine Anzahl Werkzeuge, die zu derselben Arbeit notwendig sind; ebd. VII 549 Außerdem spricht man im Militär aber auch von einer Garnitur Montierungsstücke, worunter man eine für die Mannschaftsstärke einer Truppenabteilung ausreichende Zahl Montierungsstücke gleicher Güte versteht; Boy-Ed 1892 Malergeschichten 257 vielleicht kann man eine Garnitur kaufen aus einem Umzug . . solche Gelegenheiten kommen vor . . Mama . . hat seit drei Jahren heimlich gespart . . und nun reicht es zu den Küchengeräten; Brandt 1910 Ost-Asien U 363 [Obwohl ich mehrere] Garnituren Unterkleider [gegen die Kälte] angezogen hatte, was ich übrigens für ähnliche Fälle künftigen Reisenden empfohlen haben will; BTB 7. 7.1919 Die beste Garnitur [Pferde] traf sich im Großen Prüfungspreis; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 365) die röhrenförmige Kaffeemühle .. war, wie die ganze Garnitur, wohl eher indischer oder persischer als türkischer Herkunft; Berl. Lokal-Anz. 11.4. 1929 Hertha-B.S.C. tritt mit der altbekannten, stärksten Garnitur . . an; Toller 1930 Feuer 4 Dritte Garnitur blau antreten (WOG); Voss. Ztg. 29. 8. 1931 Deutschlands beste Garnitur hat in Köln eine nicht minder schwere Probe gegen England zu bestehen, das von uns im ersten Länderkampf vor zwei Jahren . . mit 8:4 geschlagen wurde; Dhünen 1939 Spiel 17 Was man täglich anziehen durfte, war ja nur die fünfte Garnitur. Die vierte war für den Kirchgang, die dritte zum Ausgang, die zweite zur Parade bestimmt; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1008) Dieser Krieg wird weitergehen Jahr um Jahr, solange bis das Individuum Hitler, seine greuliche Garnitur und sein ganzes System von der Erdoberfläche vertilgt sind; Süddtsch. Ztg. 25. 7. 1950 daß für den benutzten Schrank nachträglich . . eine zweite Garnitur Schlüssel angefertigt wurde, weil die erste Gar-
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nitur offenbar verloren gegangen war; Brügelmann 1956 Polit. Ökonomie 18 die regierenden Verbrecher [Nazis] durch eine bessere Garnitur abzulösen und so Deutschland vor dem Untergang zu bewahren; Süddtsch. Ztg. 6. 2. 1963 die sozialistische Partei der Arbeit, die mit einer Garnitur befähigter und vor aliem scharf geschulter jüngerer Politiker aufwarten kann; Zeit 17. 5. 1985 um sich nicht nur als junges Mädchen in die erste Garnitur europäi-
scher Klaviervirtuosen zu spielen, sondern sich bis in das hohe Alter in diesem Rang zu behaupten; Mannh. Morgen 6.11.1987 Hersteller von Elektromotoren, Garnituren und Schaltgeräten; Salzb. Nachr. 21.7.1992 Eine Lok hatte den . . Eilzug E 1971 gerammt, worauf drei Waggons der Garnitur aus den Schienen sprangen; St. Galler Tagbl. 21. 2. 2001 mit Schläuchen, Formteilen und Garnituren aus Spezialkunststoff.
Gas N., früher und regional auch M. und F. (-es; -e), im früheren 17. Jh. von dem Brüsseler Arzt und Chemiker J. B. van Helmont geprägte, Anfang 18. Jh. entlehnte, seit spätem 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene gelehrte Neubildung (in Anlehnung an griech. . 'rohe, gestaltlose Masse, aus der das Weltall besteht; leerer Raum, Luftraum', anknüpfend an Paracelsus' Definition von —·· Chaos als 'luftförmiger, subtiler Dampf; Luft'), bis Anfang 19. Jh. auch in der (frz.) Form Gaz. In der Fachsprache der Chemie zunächst für den anlässlich der Herstellung von Kohlensäure entdeckten, durch Kälte erzeugten feinen Wasserdunst (im Unterschied zum durch Wärme erzeugten Dampf), von daher auf andere, von der atmosphärischen Luft unterschiedene Luftarten oder luftförmige, elastische Flüssigkeiten ausgedehnt als Bezeichnung für eine (mit dem Aufkommen der Luftschifffahrt um 1783 und insbes. mit der seit etwa 1826 verbreiteten Verwendung zu Beleuchtungszwecken bekannt gewordene) unsichtbare Materie bzw. für einen Stoff im luftähnlichen Aggregatzustand, der auf natürlichem Wege bei organischen Gär- oder Stoffwechselprozessen entsteht (s. Belege 1712, 1779, 1807), künstlich hergestellt wird, etwa aus Steinkohle (s. Belege 1785, 1844, 1884.1, 1959) oder, in neuerer Zeit, als fossiler Energieträger aus unterirdischen Lagerstätten gewonnen wird (s. Belege 1959, 1969, 1986), bezüglich seiner Einwirkung auf lebende Organismen Forschungsgegenstand von Biologie und Medizin (s. Belege 1839.1, 1858), v. a. aber in verschiedenen naturwissenschaftlichen und technischen Bereichen Verwendung findend: als Auftriebsmittel in der Luftfahrt (s. Belege 1783.1, 1783.2, 1784, 1839.2), als Leuchtstoff (s. Belege 1823, 1842, 1864, 1884.3), seit dem ausgehenden 19. Jh. v. a. als Brennstoff in Haushalt, Gewerbe und Industrie (s. Belege 1884.2, 1942, 1951, 1971, 1985.1, 1987.1, 1999, 2006), in Wendungen wie brennbares, giftiges, übelriechendes, hochexplosives, flüssiges, schwefliges, interstellares, ideales Gas 'bei beliebigen Druckund Temperaturbedingungen mit den grundlegenden Gasgesetzen übereinstimmender, hypothetisch angenommener Gastyp' (Ggs. reales Gas), Gas bildende, erzeugende Stoffe, diese Stadt hat noch kein Gas ('keine Gasbeleuchtung'), die Straßenbeleuchtung durch Gas, das Gas brennt, Gas strömt/tritt aus, entweicht, den Ballon mit Gas aufblasen/füllen, ein Gas erzeugender Hochleistungskessel, mit Gas kochen, die mit Gas betriebene Heizung, das Gas abstellen, anzünden/aufdrehen, den Kochtopf vom Gas (kurz für Gasherd] nehmen, oft im Kontext mit Partnerwörtern, z. B. Gas, Wasser und Strom, Gas und Kohle/Öl, vereinzelt bildlich und übertragen (s. Belege 1793, 1845-46, 1910), bes. auf Personen bezogen (jmdm.) das Gas abdrehen 'jmdm. die Luftzufuhr sperren, ihn (er-)würgen, umbringen', seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. als Treibstoff, bezogen auf das Luft-Kraftstoff-Gemisch beim Ottoschen Verbrennungsmotor (vgl. engl. gas 'Benzin') in der Kraftfahrzeugtechnik, dann 'Treibstoffzufuhr' und '(die damit verbundene) Antriebskraft' (s. Belege 1916, 1936,
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1964, 1985.2), z.B. (kurz für Gaspedal·.} das Gas betätigen, bedienen, den Fuß vom Gas nehmen, vom Gas weggehen, aufs Gas steigen/treten/drücken, Gas wegnehmen ('den Druck aufs Gaspedal verringern und so die Fahrt verlangsamen') und v. a. Gas geben ('durch den Druck aufs Gaspedal die Fahrt in Gang setzen oder beschleunigen'), auch bildlich im Sinne von 'schneller/langsamer gehen, arbeiten' (s. Beleg 1967.2), z. B. gib nicht so viel Gas! 'übertreibe nicht!', dann auch seit etwa 1915 als giftiger Kampfstoff im militärischen Bereich (s. Belege 1919, 1929, 1931.2, 1963) und seit 1940 als Mittel zur (massenhaften) Ermordung bzw. Hinrichtung von Zivilpersonen (s. Beleg 2001), z.B. mit Gas (kurz für Giftgas) angreifen, in Auschwitz wurden die Häftlinge ins Gas (kurz für Gaskammer, s. u.) getrieben/geschickt. Als Bestimmungswort in zahlreichen Zss. zur Bezeichnung naturwissenschaftlicher (physikalischer, biologischer, medizinischer) und technischer Phänomene wie Gasausbruch/-austritt/-emission/-entweichung, -austausch, Gasbad "therapeutische Maßnahme, bei der Patienten in einem mit Kohle-/Schwefelsäuregas angefüllten Kasten eingeschlossen werden', -ballon, Gasbauch 'Blähbauch bei Verdauungsstörungen', -bildung/'entstehung/'entwicklung, -blase, Gasbrand 'schwere Wundinfektion durch Gasbakterien', -druck, -entladung, -eruption, -explosion, -flamme, -gehalt, -gemisch, -geruch, Gashülle ('Atmosphäre der Erde/eines Planeten'), Gaskohle 'gasreiche Steinkohle', -lager, -narkose, Gasnebel 'galaktischer Nebel, in dem das interstellare Gas leuchtet', -Schwaden, -vorkommen, -wölke, (in Verbindung mit Bezeichnungen für Geräte, Vorrichtungen und Anlagen in Industrie und Haushalt zur Erzeugung, Verwendung, Speicherung von Gas:) Gasanschluss, Gas(an-)zünder 'Vorrichtung zum Entflammen eines Gas-Luft-Gemisches', -(back-)ofen, Gasbehälter 'Speicher- und Druckregulierungsbehälter für verdichtete, flüssige oder unter Druck stehende Gase', Gasbeleuchtung '(1784 von J. P. Minckelaers empfohlene, seit 1826 verbreitete) Lichterzeugung mit brennbaren Gasen, Leuchtgas', -boiler, -brenner, -einrichtung, -feuerzeug, Gasflasche 'Druckbehälter aus Stahl zur Aufnahme verdichteter, verflüssigter oder unter Druck stehender Gase', Gashahn 'Regler für die Gaszufuhr zum Gasbrenner', -Heizung, -herd/-kocher, -installation, -lampe/-laterne/-leuchter/-licht, -leitung, -rohr/-röhre, -tank, -turbine, -ventil, (in der Kraftfahrzeugtechnik:) Gasmotor 'Verbrennungsmotor, der mit brennbaren Gasen (Kohlenwasserstoffgase aus Erdgasquellen oder Benzinnebenprodukte) betrieben wird', Gaspedal 'Fußhebel zur Regelung der Gaszufuhr beim Kraftfahrzeug', -zug, (im Zusammenhang mit der Verwertung, Vermarktung und Versorgung:) Gasableser/ -mann, -anstalt, -künde, -rechnung, -(fern-)leitung, -pipeline, -transport, -uhr/-zähler, -verbrauch(er), -Versorgung, -Verteiler, -vertrieb, -(kraft-)werk, -Wirtschaft, (als Schadbzw. Kampfstoff:) Gasabwehr/-angriff, -alarm, -bombe/-geschoss/-granate, -detektor, -katastrophe, Gasmaske 'Atemfilter zum Schutz vor giftigen Gasen, Rauch und Schwebstoffen in der Luft', -vergiftung/-verseuchung und bes. Gaskammer 'Raum zur Tötung bzw. Hinrichtung von Menschen durch Giftgas im nationalsozialistischen Deutschland sowie bis heute im Strafvollzug in den USA', Gaskrieg (Bezeichnung für den (erstmaligen) Einsatz von Giftgas als Kampfstoff im 1. Weltkrieg), -pistole, Gasschutz 'Einrichtung zum Schutz vor Giftgasangriffen' (vgl. Luftschutz), -spürgerät, -tod, -unfall, -unglück, -waffe, -warn(-mess-)gerät; oft im Kontext mit Partnerwörtern, z. B. Gas-/Bremspedal-System, Gas-/Kupplungsspiel, Gas-Luft-Gemisch, Gas-/Dampfgemisch, Gas-/Dampfturbinen, Gas-/Elektrizitätswerk, Gas-/Öl-
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heizung, Gas-/Wasserinstallation und in adj. Zss. wie gasbetrieben, -beheizt, -dicht, -durchlässig, -erzeugend, -fest, -gefüllt, -gekühlt, -haltig, -verarbeitend, -vergiftet. Als Grundwort in Zss. im naturwissenschaftlichen Bereich (Biologie, Chemie, Geophysik usw.) wie Biogas 'bei der sauerstofffreien Vergärung organischen Materials entstehendes Gas (bes. Methan)', Brand-/Brenn-, Chlor-, Edelgas 'in der Luft enthaltenes, färb- und geruchloses, nicht brennbares Gas, das keine chemischen Verbindungen eingeht (z. B. Helium, Neon, Argon)', Erdgas 'in unterirdischen Lagerstätten vorkommendes brennbares Naturgas' (vgl. Erdöl), Faul-, Flüssiggas 'durch Kühlung bzw. Kompression verflüssigtes Gas' (bes. Propan, Butan), Gär-, Grubengas 'beim Untertagebergbau freigesetztes und zur Vermeidung explosiver Konzentrationen aus den Bergwerkstollen abzusaugendes Gas (bes. Methan)', Helium-, Höhlen-, Holz-, Knallgas 'explosionsfähige Mischung von gasförmigem Wasserstoff und Sauerstoff, Kohle-, Leucht-, Methan-, Sauerstoff-/Stickstoff-/Wasserstoff-, Steinkohlengas, (im Bereich der industriellen, medizinischen, militärischen u. a. Verwertung;) Stadt-, Deponie-, Fern-, Heiz-, Leucht-, Treib-, Industrie-, Lachgas 'seit Ende 18. Jh. bekanntes, krampfartiges Lachen auslösendes und seit Mitte 19. Jh. wegen seiner stark schmerzstillenden Wirkung als Narkosemittel (etwa bei Zahnextraktionen) verwendetes Gas (Distickstoffoxid)', Narkose-, Propan-/Butan-, Synthese-, Nerven-/Gift-/ Kampf-, Reiz-/Tränengas 'auf Augen und Schleimhäute reizend wirkende, von Polizeikräften (etwa zur Bekämpfung von Unruhen) eingesetzte gasförmige Substanz', (im Kraftfahrzeug-Bereich:) Auspuff-, Diesel-, Stand-, Zwischen-, v. a. Vollgas 'vollständiges Durchtreten des Gaspedals und die dadurch bewirkte maximale Beschleunigung eines Fahrzeugs', z. B. Vollgas fahren/geben, auch bildlich und übertragen (s. Belege 1987.2, 1993) und ugs. in der Wendung mit Vollgas 'mit höchster Geschwindigkeit, so schnell wie möglich', z. B. mit Vollgas studieren, (in ökologischen Zusammenhängen:) Klima-, Rauch-, Schad-, Treibhausgas, v. a. seit spätem 19. Jh. nachgewiesenes Abgas 'bei einem Verbrennungsprozess (in Kraftfahrzeugen, Kraftwerken, Industrie-, Müllverbrennungsanlagen) entstehendes, schadstoffreiches gasförmiges Abfallprodukt', meist im PL, in Wendungen wie giftige, Krebs erregende, industrielle Abgase, die von Abgasen verpestete Luft und mehrgliedrigen Zss. wie Abgasbelastung, -bestimmung, -emission, -filter, -kontrolle, -norm, -problem, -reinigung, -Vorschrift, -(grenz)wert, -wölke; Auto-, Diesel-, Flugzeug-, Fahrzeug-, Industrieabgas; abgasarm, -belastet, -frei, -geplagt, -geschwängert, -verseucht. Dazu seit Ende 18. Jh. die adj. Ableitungen gasförmig/-artig, gleichbed. mit seit Anfang 19. Jh. vereinzelt nachgewiesenem gasig, früher auch gasisch, 'Form und Eigenschaften von Gas besitzend'; seit Ende 18. Jh. Gasometer M., auch N. (-s; -), auch Gazometer (< gleichbed. frz. gazometre, 1789 von dem Chemiker A. L. Lavoisier geprägte Bildung aus gaz, dem Fugenvokal -o- und -metre 'Messgerät'; vgl. gaso- als initiale Wortbildungseinheit in Kombinationen wie Gasochemie, Gasogen, Gasoskop usw.) als Bezeichnung für ein Gerät zur Gasmessung, dann v. a. für 'Gasbehälter (zur regionalen Versorgung mit Gas)', z.B. Gasometerexplosion, mit der vereinzelt nachgewiesenen adj. Ableitung gasometrisch; seit späterem 19. Jh. aus gleichbed. engl. gasolene, gasoline (gekürzt aus gas, lat. ol(eum) und dem ehem. Suffix -in) übernommenes Gasolin N. (-s; ohne Pl.) 'durch Destillation aus Rohöl gewonnener Treibstoff, Leichtbenzin' (vgl. Äther, Petrol); im späten 19. Jh. vereinzelt die verbale Ableitung gasen V. intrans. 'mit Gas behandeln', seit den 80er Jahren
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des 20. Jhs. fachspr. 'Gas ausströmen lassen' (s. Beleg 1985) und 'nach Gas riechen; (stinkende) Dämpfe ausdünsten; gären' (s. Belege 1995, 1996), mit den (intensivierenden) Präfixbildungen ab-, ausgasen, vgl. auch überwiegend regional (österr.) bezeugtes ab-, an- und losgasen im ugs. Sinne von 'schnell (los-)laufen/fahren/rasen; los-/zulegen (bes. im Sport)' (vgl. ab-/losdüsen}, v. a. seit Anfang 19. Jh. die verbale Ableitung vergasen V. (in)trans. 'einen festen oder flüssigen Brennstoff in Gas umwandeln; sich völlig in Gas auflösen', seit früherem 20. Jh. auch speziell im Zusammenhang mit den Konzentrationslagern im nationalsozialistischen Deutschland in der Bed. 'durch einströmendes Giftgas Menschen (massenhaft) ermorden', in Wendungen wie seine ganze Familie wurde vergast, die SS und ihre Helfer haben Millionen von Juden vergast, mit der seit Ende 19. Jh. nachgewiesenen subst. Ableitung Vergaser M. (-s; -) 'Vorrichtung an Ottomotoren, die durch Zerstäuben des Kraftstoffs das zum Betrieb eines Fahrzeugs notwendige Gemisch aus gasförmigem Treibstoff und Luft erzeugt' und dem seit Anfang 19. Jh. bezeugten Verbalsubst. Vergasung F. (-; -en), sowohl im naturwissenschaftlich-technischen Bereich (s. Belege 1810, 1827, 1883, 1899, 1934, 1993), von daher auch übertragen in der ugs., heute sprachkritisch eingeschränkten Wendung etwas bis zur Vergasung tun 'etwas bis zum Überdruss tun' (s. Belege 1968, 1972), als auch in Bezug auf die Tötungsart (s. Belege 1944, 1949, 1964, 1986, 2000); seit den 70er Jahren des 20. Jhs. die verbale Ableitung begasen V. trans. '(Getreide, Holz, Lagerhallen) zur Schädlingsbekämpfung mit (gasförmigen) Insektenvernichtungsmitteln behandeln; (Dachs-/Fuchsbauten) mit Giftgas ausräuchern; (Obst, Gemüse) mittels bestimmter Gase/Gasgemische künstlich reifen lassen oder haltbarer machen' mit dem Verbalsubst. Begasung F. (-5 -en). Gas: Helmont vor 1644 (1652 Ortus Medicinae 59a) in nominis egestate, halitum illum Gas vocavi, non longe a Chao veterum secretum; ebd. 86b hunc spiritum, incognitum hactenus, novo nomine Gas voco; Hübner 1712 Curieuses Lex. 556 Gas, ein Helmontianischer Terminus, einen subtilen Spiritum oder Dampff bedeutend, dergleichen aus dem gährenden Bier oder Meth heraus gehet; Krünitz 1779 Oec. Enc. XVI 404 das Gas nennen Helmont und andere Chemiker die unsichtbaren flüchtigen Theile, welche von selbst aus gewissen Körpern ausdampfen .. z. E. die Dämpfe der in eine spirituöse oder in eine faulige Gährung gerathenen Materien, tödtliche Dämpfe aus brennenden Kohlen, die Schwaden in Bergwerken; Wieland 1783 Aeropetomanie (XXX 26) da der Gas, dessen sich Herr Montgolfier zu Ladung seiner Maschine bediene, ein ganz und gar neues Fänomen darstelle. Auch lasse sich von dieser erhabenen Entdeckung keine nützliche Anwendung erwarten als mit Hülfe des Gas des Herrn Montgolfier, den er bloß durch Verbrennung nassen Strohs mit einer gewissen Quantität Wolle oder einer ändern animalischen Substanz erhalte; 1783 Merkur IV 75 nachdem sie sich endlich . . 17 cubikfuß brennbarer luft, oder sogenannten gaz verschafft hatten, so wollte ihr böser genius, daß sie zwei tage vor dem experi-
ment alle 17 cubikfuß gaz wieder entwischen ließen (DWB); 1784 ebd. l 74 mit einer 60 fuß hohen und mit 60 000 cubikfuß gaz oder gas angefüllten kugel (DWB); Halle 1785 Zauberkräfte d. Natur 233 Diese Materien geben einen Kubikschuh Gas, welcher . . durch die Wärme in einer Viertelstunde erhalten wird. Dieses Gas verhält sich der Schwere nach zur gemeinen Luft, wie 7 zu 43; Jean Paul 1793 Unsichtb. Loge (W. l 433) Wutz trug seinen mit dem Gas der Liebe aufgefüllten und emporgetriebnen Herzballon freudig ins Alumneum zurück (DiBi 125); Neubeck 1798 Gesundbrunnen 29 Anm. kohlengesäuertes gas, oder fixe luft (DWB); Klaproth 1807 Chem. Wb. 11 395 Gas, Gaz . . Das Wort Gas wurde zuersten von van Helmont gebraucht, um den Dunst zu bezeichnen, der sich aus den Flüssigkeiten der Weingärung entbindet; Campe 1813 Fremdwb. 334 Ich .. glaube aber doch auch, da Gas für die meisten Deutschen ein dunkles Wort ist und immer bleiben wird, daß es nicht schaden könne, ihm einen gleichbedeutenden deutlicheren Ausdruck an die Seite zu setzen; und da scheinen mir die von mir vorgeschlagenen, Luftgeist und Dunstluft, noch immer die brauchbarsten zu sein; Borne 1823 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. 11 137) die [Nachtbeleuchtung] durch Gas breitet sich täglich mehr und mehr aus; Goethe
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1831 Faust U (WA l 15.1,247) Die Teufel [in der Erdtiefe zusammengedrängt] fingen sämmtlich an zu husten,/ Von oben und von unten aus zu pusten./ Die Hölle schwoll von Schwefel-Stank und Säure,/ Das gab ein Gas! Das ging in's Ungeheure,/ So daß gar bald der Länder flache Kruste,/ So dick sie war, zerkrachend bersten mußte; Schincke/ Himmel 1831 Encyklopädie 213 Wenn dagegen die Dampfatmosphäre sich bis zu einer Höhe erstreckt, welche viel geringer ist als die der Gase; Marcet 1839 Chemie 437 von diesen 10 Zoll [Sauerstoff] wird ein Achtel bei einem Durchgange durch die Lungen in kohlensaures Gas verwandelt; Conversationsbl. 27. 4. 2839 war zu Paris . . eine große Anzahl Zuschauer versammelt, um Zeuge der Abfahrt zu sein, als der Ballon in Folge seiner Ueberfüllung mit Gas platzte; Große 1842 Gesch. d. Stadt Leipzig II 670 die beleuchtung der Stadt durch gas, eine einrichtung (DWB); 1844 Brockhaus V 736 Die Gasfabrikation selbst zerfällt in drei Abschnitte, in die Erzeugung des Gases, die Reinigung und die Fortleitung zu den Brennern. Nicht aber alle Steinkohlen sind zur Gasfabrikation gleich geeignet; Marx 1845-46 MEW /// 171 nur die chemischen Spannungen, nur die Gase, die das Christentum im Innern erregte, haben das römische Reich gestürzt; Dittmann 1858 Landw. l 133 daß jener, aus der Atmosphäre in Dunst- und Gasgestalt entnommene, durch den Organismus der Pflanzen in feste Substanz verwandelte Reichthum durch das Unterpflügen desselben eine neue, reine Bereicherung des Bodens werde; 1864 Hausblätter II 141 glänzende Gasbeleuchtung von Londons Strassen; P faff 1870 Wasser 317 die verschiedensten Vermuthungen über die eigentliche Natur eines „Miasma" . . Bald hat man es für ein Gas erklärt, bald für unsichtbare kleine Thierchen, die der Mensch einathme; 1884 Brockhaus VII 569 Als Material für die Gasbereitung dient im großen und ganzen die Steinkohle. Die Verwendung von Braunkohlen, Holz, Torf, Teer, Fetten und Ölen aller Art findet wohl zeitweilig und lokal daneben statt, allein die Steinkohle gibt . . das billigste Gas; Stinde 1884 Farn. Buchholz I 100 Im Lokal war das Gas angezündet und der Kellner stand da und wartete auf Gäste; Röntgen 1896 Strahlen 9 je nach der Verdünnung des im Entladungsapparat enthaltenen Gases; Meyer 1908 Naturkräfte 130 Für atmosphärische Luft ergibt die kinetische Theorie der Gase eine Geschwindigkeit von 280 m unter dem Druck einer Atmosphäre; Bierbaum 1910 Reife Früchte 86 durch Kant bis zur Gasflüssigkeit in reine Vernunft aufgelöst; Unruh 1916 Stücke (Ahnung u. Aufbruch 163) „Ja, was halt! Hier gibt es nun . . kein Halten mehr", gab er [Wagenführer] Gas und ratterte nur noch schneller (PAUL); Toller 1919 Wandlung 40 Die Herren
Chemiker und Ingenieure/ Sie mögen ruhig Waffen schmieden/ Und unerhörte Gase fabrizieren (PAUL); Wallenborn 1929 Westfront 249 Ob nun der Posten bei Tage das Gas sah oder bei Nacht roch, er mußte sofort mit voller Lungenkraft „Gaaaaaas" brüllen. . Jeder, der diesen Ruf hörte, mußte ihn ebenso laut weitergeben, und so entstand ein einziger minutenlanger Notschrei „Gaaaaaaaas", die ganze gefährdete Front entlang; Kisch 1930 Reporter 334 ein Monsterkonzern, dessen Hochleistungskessel . . jährlich 80 Millionen Kubikmeter Gas im Wege der Fernversorgung abgeben (DUDEN 1999); 1932 Archiv G Medizin XXIV 57 Unbestritten bleibt sein [Helmonts] Verdienst um die Kenntnis der Gase (Kohlensäure). Auch der Begriff „Gas" mag bei Paracelsus angelegt, ja ausgesprochen sein, Helmonts rastlose Bemühung hat ihn zur wissenschaftlichen — auch medizinischen — Entität gemacht; Carossa 1931 Arzt Gion 71 In Amerika, hört man, setzen sie jetzt ein Giftgas zusammen; das ist unsichtbar und schwer; Volksgemeinschaft 1.8.1936 machte .. eine Bewegung nach dem Gashebel. Der Wagen rollte davon; Münch. N. N. 9. 12. 1942 „Gasnorm" und „Einheitsgas" (Überschr.) Im Gas- und Wasserfach ist . . die Rationalisierung . . in Angriff genommen worden; Süddtsch. Ztg. 12. 1. 1951 Großbritanniens Brennstoffminister h a t . . die englischen Frauen ermahnt, „die kleine und nicht immer die große Gasflamme" zu brennen; Leip 1958 Klabauterflagge 41 die Taubeninsel . . unfruchtbar, von Erdbeben heimgesucht und von schwefligen Gasen vergiftet (DUDEN 1999); Welt 5.9.1959 Auch für Europa gewinnt das Erdgas immer größere Bedeutung. Bisher beruht die Gasversorgung allerdings noch zu 90 Prozent auf der Steinkohle; 963 Hoffnungen 133 Der Gaskrieg war eine entscheidende moralische Niederlage der Menschheit; Frankenberg 1964 Fahrer 54 dass man . . genau im Voraus wissen muss, mit wie viel Gas ein Wagen am schnellsten anspringt (DUDEN 1999); 2967 Bild d. Wiss. l 70 Ultraviolette Strahlen drangen vor Milliarden von Jahren in viel höherem Maße bis in die untersten Schichten der irdischen Gashülle, weil die Uratmosphäre weder Sauerstoff noch Kohlendioxyd enthielt; Bildztg. 9. 1. 1967 Die Bundesregierung muß jetzt endlich Gas geben! Das forderte Klaus Dieter Arndt, künftiger Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Arndt: Der Straßenbau muß sofort angekurbelt werden, Bahn und Post müssen die Auftragssperre aufheben; Welt 17. 2. 1969 Die norwegische Polarschiffahrtsgesellschaft . . ließ erst vier Bohrungen vornehmen, die schon in geringer Tiefe ein Gasvorkommen anschnitten. Die erste größere Bohrung soll im kommenden Sommer niedergebracht werden; Offenburger Tagebl. 15.9.1971 Laut Stadt-
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werke bin ich . . „Gaskunde". Seit gestern ist unser Bezirk „von Kopf bis Fuß auf Erdgas umgestellt"; Zeit 8. 2. 1985 Am Ende legte sie den Kopf auf die geöffnete Tür des Ofens und drehte das Gas auf; Mannh. Morgen 8.5. 1985 die Prager Straße mit zusätzlichen Zebrastreifen zu versehen und durch bauliche Maßnahmen den Autofahrer zu veranlassen, den Fuß vom Gas zu nehmen; Zeit 17.1. 1986 Die Sowjets sind an japanischer Technik für die Erschließung der Öl- und Gasvorkommen Ostsibiriens und Sachalins interessiert; taz 3. 7. 1987 Saarberg .. verkauft nahezu jeden Energieträger von Steinkohle, Koks, Heizöl, Gas und Öl bis zu Uran; ebd. 18. 7. 1987 Konsumverzicht ist das Gegenteil des „Way of Live", den der rotbackige Greis mit dem letzten Saft noch einmal anheizt: „Vollgas" — Augen zu und durch, heißt Reagans Königsweg, um als donaldistische Nero-Variante ins RuinenKabinett der Weltgeschichte einzugehen; Spiegel 19. 7. 1993 Wie von einem aufstrebenden Banker erwartet wird, hat der Finanzspezialist mit Vollgas studiert; schon mit 23 Jahren legte er sein Diplom in Betriebswirtschaft hin; Salzb. Nachr. 28. 1.1995 Mit diesen Methoden waren in Auschwitz mindestens 2,5 Millionen Menschen (davon über 1,5 Millionen Juden) ermordet worden — „im Gas" oder in der Kriegsindustrie; ebd. 5. 2. 1997 Beim Skifliegen auf dem Kulm bei Bad Mitterndorf wird der Tiroler fehlen. „Ich hab schon in Willingen gespürt, daß mir das Gas ausgeht. Die Saison ist schon ziemlich anstrengend"; Züricher Tagesanz. 14. 12. 1999 Ein Haus wurde vollständig zerstört, als in dessen Keller eine grosse Menge Gas explodierte; FAZ 29. 1.2001 Zu jeder Zeit hätten einzelne etwas tun können und getan, sagte er — und erinnerte an Oskar Schindler, der mehr als tausend Juden vor der Gaskammer gerettet habe; Mannh. Morgen 27. 12. 2006 Fast jede zweite Wohnung wird hierzulande mit Gas beheizt, und Deutschland bezieht ein Drittel seines Gases aus Russland. gasartig: 1788 Mag. Physik u. Naturgesch. V 138 die gasartigen oder solche Winde, die durch gewisse Gährungen und Aufbrausungen, oder durch die Wärme und Feuermaterie in der großen Werkstatt der Natur hervorgebracht werden; Goethe 1808 Farbenlehre (HA XIII 361) ein materielles, mehr oder weniger körperliches, durchsichtiges Mittel, das luft- und gasartig, flüssig oder auch fest sein kann; Schopenhauer 1821 Interessante (Nachlass II 116) Dennoch ist bei dramatischen . . Werken eine Beimischung des Interessanten nothwendig (wie flüchtige, bloß gasartige Substanzen einer materiellen Basis bedürfen, um aufbewahrt und mitgetheilt zu werden); Mannh. Morgen 19. 4. 1989 zwei Ventile, von denen das Einlaßventil das energiespendende Kraftstoffluftgemisch hineinläßt,
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während die gasartigen Verbrennungsrückstände durch das Auslaßventil entweichen; ebd. 9. 12. 2000 man habe einen sehr starken gasartigen Geruch wahrgenommen und bei der Feuerwehr angerufen. gasen: 1878 DWB IV 1.1,1433 Gasen, mit gas behandeln, in der baumwollspinnerei, wo das gespinst mit einer gasflamme angesengt, gegast wird, um es von fäserchen zu befreien; Hamb. Abendbl. 22.5. 1985 Wie jede Deponie wird auch die Georgswcrder Kippe rund 20 Jahre lang gasen (DUDEN 1999); taz 11. 10. 1990 Dann gibt der Drängier in der Tempo-80-Zone seinem Bock die Sporen und gast mit 150 gen Horizont; ebd. 10. 6. 1995 In Bremen wurde jahrelang üppig gegiftet im Magazin, gegen Motten und „Museumskäfer" — was man da rausholt, „gast" noch lange und muß z. T. eingeschweißt werden; Oberösterr. Nachr. 19.10. 1996 Mir scheint, ich habe zu viel Süßmost getrunken, denn in meinem Bauch gärt und gast es wie in einem Mostfaß; ebd. 9. 2. 2000 Der 27-jährige Wiener startet mit seinem Mitsubishi als Klasscnsieger von Monte Carlo. Lechner gast nach Japan. gasförmig: Langsdorf 1792 Salzwerkskunde IV 3 Die sauren Salze erscheinen eigentlich nur in Gasgestalt, und man ist genöthigt, ihre auis"erordentliche Anziehungskraft gegen das Wasser so zu benutzen, daß man den gasförmigen Stoff mit diesem in Verbindung bringt; Halle 1794 Zauberkräfte d. Natur VI 311 Die Kohlen in dem nämlichen Gas verbrannt, erzeugt, statt der wäßrigen, eine gasförmige Flüssigkeit, nähmlich kohlensaures Gas; Goethe 1816 Br. (WA IV 26,349) weil die Veredlung an Form, Durchsichtigkeit, Härte und Farbe . . den Mineralkörpern mehr oder weniger zukommt, sobald sie, gasförmig oder sonst aufgelöst, in Freyheit gesetzt, in den erforderlichen Räumen sich wieder zu verkörpern Gelegenheit finden; Marcel 1839 Chemie 435 Ist diese gasförmige Säure und der wässerige Dunst aus den Lungen ausgeathmet, so hat das Blut seine frühere Reinheit wiedergewonnen; A. v. Humboldt 1845 Kosmos I 35 mittelst des kleinsten Fragments eines Minerals zu erkennen, ob das Licht der Sonne aus einer festen Masse, oder aus einer gasförmigen Umhüllung ausströme; Kohl 1850 Verkehr 36 Die sämmtlichen Elemente, aus denen unser Erdkörper gebaut ist, erscheinen hauptsächlich unter drei verschiedenen Formen, unter gasförmiger, tropfbarflüssiger und fester Form, als Luft, Wasser und Festland; Pfaff 1870 Wasser 257 In fester, flüssiger und gasformiger Natur dient es [Wasser] ihm, und läßt sich nach seinem Bedürfnisse aus einer in die andre dieser Seins-Formen überführen; ebd. 301 die Kälte, wel-
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ehe entsteht, wenn ein Körper aus dem flüssigen in den gasförmigen Zustand übergeht, hat man zur Erzeugung von Eis benutzt; 1885 Gaea XXI 83 Die wenig intensive Strahlung der einstigen „gasförmigen" Sonne; Dtsch. AZ. 11.1. 1935 Anwendung gasförmiger Treibstoffe für den Kraftverkehr; Welt 11. 12. 1954 erfahren in festen, flüssigen und gasförmigen Brennstoffen, Kokereierzeugnissen und Mineralölprodukten; 1967 Bild. d. Wiss. l 70 An gasförmigen Produkten fielen vor allem Cyanwasserstoff und Formaldehyd an; Heller 1970 Physik o. S. Boyle wandte diesen Grundsatz in erster Linie auf die Physik der gasförmigen Stoffe an; Zeit 29. 8. 1986 Darin zerlegt der überschüssige Strom aus der Windmühle pro Stunde etwa einen Liter Wasser in seine gasförmigen Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff; Züricher Tagesanz. 17. 9. 1997 Die Abdichtungssysteme an der Oberfläche einer Mülldeponie sollen nicht nur die gasförmigen Emissionen in die Atmosphäre minimieren; Berl. Ztg. 27. 12. 2006 Unter Plasma versteht man in der Physik den vierten Aggregatzustand, den Materie annehmen kann — nach fest, flüssig, gasförmig. gasig: Oken 1813 Lehrb. d. Naturgesch. l 61 Luftsäure . . Sie wird gasig durch Sauerstoffverlust; I860 Neues Repert. f. Pharmacie IX 500 dass das Chlor und die Untersalpetersäure die beiden gasigen Produkte sind, welche sich verdichtet haben; Heyne 1890 DWB / 1029 Gasig, gasartig, gasförmig; Kempe 1911 Aviatik Vorw. 7 die Aviatik, das Gebiet der Technik, das mit Fahrzeugen „schwerer als die Luft", die gasige Hülle, die unsern Erdball umgibt, zu beherrschen erstrebt. gasisch: Wille 1783 Paris Nov. (Merks Briefsamml. l 412) hier sind jetzt alle köpfe voll gasischer luft (DWB); Brunner 1848 Prinzenschule 103 Man hat den Thieren bisher nur ein Scheinbewußtsein gelten lassen: ich vindicire ihnen ein wirkliches, ein geistiges, d.h. ein gasisches Bewußtsein! Gasolin: Arbeitgeber 12.11. 1869 (Rayhta, Gasolin) liefern in Prima-Qualität; l 884 Brockhaus Vll 568 Gasäther, Gasoline, ist der flüchtigste Teil des rohen Petroleums, welcher aus demselben durch Destillation abgeschieden wird; 1920 Prometheus XXXI Beibl. 62 Gasolin (Petroläther); Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 668) wo das Staatsungeheuer . . seine Orgien ausgefeiert hat, wo seine Matadore sich von ihren Ärzten vergiften und dann mit Gasolin übergießen und anzünden lassen; Welt 24. 4. 1959 Ob Benzinfahrer oder „Super"-Freund, jeder erreicht mit Gasolin oder Gasolin Super für seinen Zweck das Maximum an Leistung und
Wirtschaftlichkeit: Gasolin-Kraftstoffe sind . . dem Motor auf den Leib geschrieben!; Presse 9. 5. 1994 Makabre Ratschläge zur Selbstentleibung (Überschr.) Gasolin oder Kerosin eignen sich am besten; Berl. Ztg. 19.6.2001 Der individuelle Spritpreisrechner zeigt zudem, wie viel Geld für Gasolin monatlich aus des Nutzers Börse entschwindet. Gasometer/Gazometer: 799 Allg. Literaturztg. 291 Das Anblasen der Kohlen geschieht durch Austreibung von Sauerstoffgas aus einem zum Gazometer eingerichteten Recipienten, mittelst eintretenden Wassers; 1804 Br. v. d. Univ. 149 Horkel hat jetzt fast alles: Kondensatoren, Elektrometer, Gasometer etc.; 1818 (1905 Beitr. Gesch. Essen XXVI 29) gewinnt . . Gas und sammelt dasselbe in einen dazu eingerichteten Behälter (Gasometer), dass davon 16 bis 17 Lichter mehrere Stunden . . unterhalten werden können; 1835 Damen-Convers.-Lex. IV 320 Gasometer, Luftmesser, ein von Lavoisier erfundener Apparat, um mittelst desselben den Umfang, das Volumen einer Gas- oder Luftart zu messen (DiBi 118); Pnttwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 609 In der Londoner Indutrieausstellung 1862 befand sich das Modell eines solchen Thurmes . ., der wie ein Gasometer in einem cylindrischen Wasserbecken schwamm; Erdmann 1898 Lehrb. d. anorgan. Chemie 107 Zur Anstellung dieses Versuches benutzt man das Gasometer mit der in Fig. 24 abgebildeten Vorrichtung; LokalAnz. 15.5. 1934 Es besteht die Möglichkeit, daß der Gasometer schadhaft geworden ist und daß das ausströmende Gas sich dann . . entzündet hat; Welt 3. 12. 1954 Travemünde — Gasexplosion (Überschr.) Ein Gasometer des Gaswerks Travemünde explodierte am Donnerstagnachmittag aus bisher noch nicht geklärter Ursache; Böll 1963 Clown 183 Ich hatte das Gefühl, als wäre mein Knie so dick und rund wie ein Gasometer; taz 19. 7. 1988 Die Mauer und der weggesprengte Gasometer, der eine der ersten Bürgerinitiativen in der Hauptstadt auf den Plan rief; Salzb. Nachr. 6. 9. 1991 Geschichte der Gasometer, die 1893 vom Berliner Architekten Theodor Hermann konzipiert und ab 1896 vom Wiener Baumeister Franz Kapaun errichtet wurden. Die vier Rundkörper . . sind von der Wiener Stadtautobahn aus gut zu sehen. Sie stehen unter Denkmalschutz; taz 3. 3. 2001 Von der „Bergstation" des Alpincenters kreist der Blick über Schlote und Gasometer, aufgelassene Industrieareale und Bahnanlagen, Kühltürme und ehemalige Zechenkolonien. Abgas: Zeuner 1887 Techn. Thermodynamik 435 Die mittlere Temperatur der Abgase war 412° C.; Weyl 1896 Handb. d. Hygiene 327 Aus gesundheit-
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lichen Rücksichten ist jedoch die Abführung der Abgase geboten; Stoklasa 1923 Rauchgase xvi Wir wissen auch, daß bereits im Altertum und Mittelalter verschiedene Maßnahmen getroffen wurden, um die giftige Wirkung der Abgase zu paralysieren; We/f 17.10. 1959 Das Phänomen erklärten Physiker und Chemiker als Lichtspiegelung oder Phosphoreszieren, hervorgerufen durch industrielle Abgase und das Kupferdach des Turmes; Lenz 1973 Vorbild (W. VII 126) Hinter Regen und Sott, hinter dem Schleier aus Abgasen entdeckt Heller das Hamburger Funkhaus; Zeit 15.2.1985 Daß der durchschnittliche Europäer heute, belastet durch Industrie- und Autoabgase, 14 Mikrogramm Blei auf 100 Milliliter Blut hat, konnte Gerlinde M. in einem der vielen Umweltbücher nachlesen, die sie seitdem durchgeackert hat; Berl. Ztg. 3. 12. 1997 Zwar spart die Maschine [Flugzeug in 20 km Höhe] dadurch Treibstoff, doch blasen die Turbinen ihre Abgase direkt in die Stratosphäre, in der Schadmoleküle noch stabiler sind als in der oberen Troposphäre; taz 30. 12. 2006 Zur Bekämpfung von gesundheitsschädlichem Feinstaub aus Autoabgasen planen viele deutsche Großstädte, sogenannte Umweltzonen einzuführen. abgasen: Mannh. Morgen 21. 5. 1986 Jod-131 sendet zugleich Gamma- und Beta-Strahlen aus, das vor allem aus Urgesteins-Untergrund und entsprechendem Baumaterial abgasende Radon dagegen Alpha-Strahlen; Salzb. Nachr. 18. 12. 1991 Beim Hausbrand gast gewöhnlich die vierfache, auch fünffache CO-Menge ab; Presse 29. 4. 1995 Konsumtrotteln, die . . im Vertrauen auf „Sicherheitsausrüstungen" wie ABS und Luftsack wie die Irren „abgasen" und bei haarsträubenden Überholmanövern Leute umbringen; Neue Kronen-Ztg. 27. 2. 1998 Dann gast er ab bei gelb. Gewonnen. ausgasen: Mannh. Morgen 22. 7. 1970 Metalle gasen bei so geringen Drücken aus (DUDEN 1999); taz 22. 2. 1988 Seit Jahrzehnten gaste in Ellweiler Radon aus. Erst in den letzten Jahren wurde der Abraum mit Erdreich provisorisch abgedeckt; ebd. 20. 9. 1993 Aus einer defekten Dichtung trat eine wässrige Lösung aus. Dabei gaste das als krebsverdächtig eingestufte Formaldehyd aus; Berl. Ztg. 18. 3. 2003 Im Hinblick auf die derzeitige Klimaveränderung warnen die Forscher davor, dass durch den Temperaturanstieg vermehrt Kohlendioxid aus den Ozeanen ausgasen und die Erwärmung weiter vorantreiben könnte. begasen: Mannh. Morgen 13. 5. 1985 Getreide mit Insektizid begast: Mutter und zwei Kinder starben (Überschr.); taz 4. 12. 1992 Lediglich Bananen aus
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dem -Anbau werden nicht begast, sie reifen deshalb nicht gleichmäßig nach und werden etwas fleckig; Frankf. Rundsch. 15. 4. 1999 Die Tomaten halten deshalb so lange, weil sie unreif geerntet werden, ins Kühllager kommen und anschließend zwecks Rotfärbung begast werden; Berl. Ztg. 6. 12. 2006 Zwei blinde Passagiere aus Kolumbien sind vermutlich im Laderaum eines Bananenfrachters erstickt, weil die Früchte zur besseren Haltbarkeit begast worden waren. Begasung: Mannh. Morgen 8. 12. 1987 Phosphorwasserstoff, ein hochgiftiges Gas lag in der Luft, strömte aus der . . Halle in der Mühlenstraße . ., wo am Samstag eine Begasungsaktion begonnen hatte; 1995 FAZ o. Nr. Seit geraumer Zeit wird gefordert, dieses Schädlingsbekämpfungsmittel, das vor allem zur Begasung von Getreidefeldern und Böden verwendet wird, zu verbieten; Zeit (online) 22. 4. 2004 Durch die Begasung im Container lassen sich Insekten wirksam bekämpfen, ohne dass die Umwelt mit Gift belastet wird. vergasen: Walther 1807 Physiologie 362 Also hat aber auch jeder thierische Leib, der zur planetarischen Einheit seiner Natur gelangt ist, eine Atmosphäre von vergasten Stoffen um sich; 1846 Journ. f. prakt. Chemie XXXIX 53 In sauerstofffreien Luftarten findet das Vergasen des Phosphors . . bis zur Sättigung der eingeschlossenen Luft statt; Schiff 1876 Studium d. Chemie 260 Bei dem Versuch, derartige Verbindungen unter gewöhnlichen Umständen zu vergasen, erleiden sie eine Dissociation; Klemperer 1944 Tagebücher 605 Dann wird man evakuieren und dabei die Mischehen trennen und die jüdischen Teile, wer weiß wo?, vergasen; Neues Deutschi. 13.12. 1949 daß . . der Wassergehalt der einzelnen Teilchen zu hoch blieb und beim Vergasen in den Generatoren die Briketts förmlich gesprengt wurden. Dadurch war es unmöglich, den gesamten Gasgehalt der Kohle herauszuziehen; taz 11. 10. 1986 Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, im angetrunkenen Zustand zu einem ihm unbekannten 45 Jahre alten Kaufmann gesagt zu haben: „Dich haben sie vergessen zu vergasen" und „es müssen noch einige auf die Roste"; ebd. 10. 2. 1993 Haben nicht . . ernsthafte Streiter für Tempo 30 und saubere Luft in der Stadt . . davon gesprochen, daß Autofahrer „Massenmörder" sind, die Kinder „vergasen"? Zack, das war doch ein Medien-Knaller; ebd. 3. 4. 1993 Weder die serbischen Vergewaltigungslager noch die ethnischen „Säuberungen" . . reichen in ihrer Ungeheuerlichkeit an das massenhafte Vergasen von Menschen heran; Berl. Ztg. 6. 3. 2000 Eichmann war . . um praktische, vor allem praktikable Vorschläge zum Deportieren, Erschießen und Vergasen niemals verlegen.
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Vergaser: 1893 (Dtsch. Wortgesch. II 387) Spritzdüsenvergaser (PAUL); 1896 Fortschritte d. Physik 225 Bemerkungen über die Erzeugung von Glühlicht unter Anwendung flüssiger Brennstoffe, insbesondere von Spiritus, und die dabei in Betracht kommenden Vergaser; Klemperer 1936 Tagebücher 301 Der Federzug vom Gashebel zum Vergaser war ausgeleiert und verhakt; ders. 1946 LTI 133 ein junger Autoschlosser, der ganz allein mit einer kniffligen Notreparatur an meinem Vergaser zu Rande gekommen war; 1961 Anweisung f. Fahrer v. Dienstfahrzeugen 24 Ist der Verbrauch pro 100 km höher als normal, so kann ein Fehler an der Zündung, am Vergaser oder an der Kraftstoffleitung vorliegen; 1973 ADAC-Motorwelt VI 57 Ein Großteil aller Beanstandungen ist insbesondere beim Fiat und Opel auf verschmutzte oder verstellte Vergaser zurückzuführen; Zeit 24.5.1985 Während sogar der Vergaser gefilterte Luft schluckt . . atmen Pkw-Insassen Schadstoffe pur; Presse 27. 7. 1993 Mußte 1986 noch bei jedem dritten Fahrzeug ein Fehler bei Zündung oder Vergaser registriert werden, so sind dies heute nur drei Prozent; Tiroler Tagesztg. 29. 2. 2000 Dabei fing das Mofa durch einen technischen Defekt am Vergaser Feuer. Vergasung: 1810 Journ. f. Chemie, Phys., Mineral. IX 436 daß von Wirkungen auf das Electrometer, wo keine Vergasung etc. Statt hat, von Schlag, von Funken, selten oder nie Spuren sich zeigen; Gmelin 1827 Handb. d. theoret. Chemie l 131 Die Vergasung eines Körpers erfolgt da, wo die Bedingungen der Gasbildung vollständig erfüllt sind; 1883 Chem. Technologie 577 Nun wurde mit wenig Wasser bis zur Vergasung des Ammoniaks gekocht und filtrirt; Schattier 1899 Gasmachine 122 Eine Reihe von Konstrukteuren erwärmt den Vergaser nur wenig, so dass keine eigentliche Vergasung
stattfindet; Klemperer 1934 Tagebücher 151 Den ersten Abend hier oben also allein mit zwei Katzen, Kerzenlicht, einem frischgekauften Spirituskocher mit unberechenbarer Vergasung und tückischer Flamme; ders. 1944 Tagebücher 565 Vor einiger Zeit seien viele ältere Juden (dreihundert? dreitausend?) aus Theresienstadt fortgeschafft worden, und danach habe der englische Sender die Vergasung dieses Transports gemeldet; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 508) Folter, Prügel, Vergasung, die sadistische Erniedrigung des Menschen wie in den Nazi-Lagern gebe es dort nicht; Neues Deutschi. 10. 6. 1964 daß Häftlinge, die die Vergasung überlebten . . in die Flammen eines Scheiterhaufens gestoßen wurden, der zur Leichenverbrennung aufgestapelt war; Küpper 1968 Alltagsspr. 431 Vergasung . . etw bis zur V. tun = etw bis zum Überdruß tun. Hergenommen aus der Physik, wo „vergasen" die Bedeutung „sich völlig in Gas auflösen" besitzt . . Der Ausdruck hat — entgegen weitverbreitetem Irrtum — nichts mit den deutschen Konzentrationslagern seit 1933 zu tun . . das Wort taucht zwischen 1920 und 1930 bei Chemiestudenten, auch bei Angehörigen der Reichswehr auf; Wolf 1972 Gedächtnis (W. IV o. S.) die Berichte, Protokolle, Prozeßakten, Erhebungen. Sie haben .. uns Worte gelehrt, denen die Sprache sich hätte verweigern sollen. („Bis zur Vergasung" kann man noch heute in der deutschen Umgangssprache hören.); Zeit 7. 3. 1986 Endruweit bestreite zwar, an der Vergasung unmittelbar mitgewirkt zu haben; taz 10. 7. 1993 Während bei einer Verbrennung knapp 60 Prozent der eingesetzten Energie für Fernwärme oder die Stromproduktion wiedergewonnen werden könnten, erreiche eine Hydrierung oder Vergasung nur einen Wirkungsgrad von 40 Prozent; ebd. 16. 3. 2000 stand in dem Gutachten . ., dass für die Vergasung von Läusen eine siebenmal höhere Dosis als für Menschen erforderlich sei.
gastrisch Adj., im späten 18. Jh. entlehnt aus gelehrtenlat. gastricus (< griech. 'den Magen betreffend', zu - 'Bauch, Unterleib, Magen', —> Gastronomie), in der lat. Form oft in medizinspr. Syntagmen wie febris gastrica, vena gastrica, liquor gastricus, vgl. engl. gastric, frz. gastrique, ital./span. gastrico. Im medizinischen Bereich mit Bezug auf Krankheiten, krankhafte Zustände, Beschwerden für 'den Bauch, Magen, Unterleib, die Verdauung (des Magenbereichs) betreffend, dort befindlich, von dort ausgehend; durch einen verdorbenen Magen verursacht' (vgl. gleichbed. gastral), oft in terminologischen Syntagmen wie gastrische Entzündung (vgl. Gastritis), Krankheit, Krise, Konstitution, gastrisches Fieber 'leichte Typhuserkrankung', Störung, System, Unpässlichkeit; gastrisch-nervös, heute selten oder archaisierend (s. Belege 1993, 2000). Dazu die seit Anfang 19. Jh. selten belegte subst. Ableitung Gastrizismus M., auch in der Schreibung Gastricismus, zunächst als Bezeichnung für eine medizinische
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Theorie, die die Ursachen von Krankheiten hauptsächlich im Unterleib ansiedelte, dessen verunreinigte Säfte nur durch Brechmittel zu kurieren seien, dann auch 'krankhafter Magenzustand, verdorbener Magen; systematische Herleitung von Krankheiten aus dem Magen; Magenüberfüllung' und in dieser Verwendung gleichbed. mit seit früherem 19. Jh. vereinzelt nachgewiesenem, veraltetem Gastrismus; dazu seit Anfang 19. Jh. die selten belegte veraltete Berufsbezeichnung Gastriker/ -in 'Arzt/Ärztin für Magenleiden'. gastrisch: Richter 1786 Wundarzneykunst 320 Es ist bekannt, daß zu gastrischen Krankheiten sich oft Geschwüre an den Lippen gesellen; 1790 ebd. III 202 Gemeiniglich bekommen Kranke, die solche Mittel vor der Operation häufig gebraucht haben, ein wirkliches gastrisches oder gallichtes Fieber; Hufeland 1795 Pathogenie 38 gastrischen Krankheiten; ders. 1797 Leben 588 Je thätiger und offener die Haut ist, desto . . weniger Neigung zu den gastrischen (gallichten und schleimichten) Fiebern; Richter 1814 Epidemie 51 Gastrische Form [des Typhus]; Hufeland 1823 Kl. med. Sehr. II 30 die gastrische . . Krankheitsreizung; ebd. II 60 Gastrische oder gallichte Unreinigkeiten; Rust 1824 Krit. Repertorium II 4 das gastrische System stehe in näherer organischer und sympathischer Verbindung mit der Haut des Rachens und Schlundes als die äußere Haut, daher würde sich die Krankheit, wenn der Entwicklungsherd des Scharlachs im gastrischen Systeme sey, leichter auf die Schiundorgane fortpflanzen; Heller-Ei. 6. 12. 1834 Heutzutage stimmen jedoch die Physiologen darin überein, daß er [Hunger] eine Folge des Reizes ist, den das gastrische Fluidum auf die Häute des Magens ausübt . . einem Fluidum . ., das die Mediciner die gastrische Sauce nennen; Hufeland 1836 Ench. med. 10 allgemeine Disposition . . zu Krankheiten des Verdauungsorgans (gastrische Konstitution.); ebd. 162 gastrische Entzündung; ebd. 300 Der gastrische und Abdominal-Husten; Goeschen 1847 Schmidt's Jahrb. 167 Eine sehr geschwächte Person von 70 J., welche . . seit lange an einem gastrischen Fieber gelitten, welches, vernachlässigt u. gemisshandelt, . . endlich den Tertiantypus angenommen hatte; Reich 1858 Lehrb. d. allg. Aetiologie 483 Nach Martius's . . Angaben über die brasilianischen Eingebornen . . finden sich . . außer erwähnten Leiden, einige gastrische Erkrankungen, Ruhren, Scrophulose, chronische Exantheme; Raabe 1863-64 Hungerpastor (Ausgeiv. W. III 105) Apoplexia spasmodica. Gastrischer, krampfhafter Schlagfluß. Augenblicklich alle Vorsorge getroffen (DiBi 125); Fontäne 1880 Br. I 288 Ich bin auch ein bißchen erkältet, ein bißchen überarbeitet und ein bißchen gastrisch; Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 217) Es gibt hier gastrisch Leidende, wie die Magistratsrätin Spatz, die überdies an den Ohren krankt; 1912 ebd. VIII 499 gedruckte Anschläge,
durch welche die Bevölkerung wegen gewisser Erkrankungen des gastrischen Systems, die bei dieser Witterung an der Tagesordnung seien . ., gewarnt wurde; Zemter 1923 Gesundheit 16 Bei gastrischem Fieber, akuten Brusterkrankungen, Lungenentzündung, bei Asthma und trockenem Husten schleimlösend; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. X 19) Es ist die Grippe, wie sie jetzt umgeht: mit niedrigen Übertemperaturen, langwierigen Affektioncn der Luftwege und gastrischen Störungen; ders. 1954 Krull (W. VII 304) Hatten sich aber gerade ein paar Fälle von Grippe im Städtchen ereignet, so sagte er: „Grippe, beste Frau Krull, und zwar gastrisch betont . ."; i 993 FAZ o. Nr. Daß Dr. John Harvey Kellogg . . ungefähr weitere 75 sellerieimprägnierte und „gastrisch einwandfreie" Nahrungsmittel auf Pflanzenbasis erfand; Salzb. Nachr. 11.10.2000 Zudem will das britische Staatsoberhaupt auch keine . . allzu scharfen Gewürze und nichts Exotisches. Schalentiere sind auch keine Alternative: Die könnten zu peinlichster gastrischer Unpässlichkeit führen und die königliche Verdauung behindern. Gastriker: Hufeland 1807 Journal d. pract. Heilkunde 51 Die Gastriker haben sonst auch reizende und stärkende Mittel gegeben; Puchelt 1826 System d. Med. I 41 dass die manigfaltigsten Bearbeitungsarten [der Medizin] ihre Verehrer und die mehresten Systeme ihre Anhänger unter den Ärzten haben. Rohe Empiriker . . Humoralpathologen und Gastriker, Chemiatriker, Homöopathiker . . machen das ärztliche Publicum aus; Hufeland 1857 Ench. med. 528 dass alle vernünftigen Gastriker weit mehr dynamische als materielle Zwecke bei ihren Ausleerungsmitteln beabsichtigten und erreichten; Hecker 1839 Gesch. d. neueren Heilkunde 516 die starre Einseitigkeit der späteren Gastriker; 1949 Mainfränk. Jahrb. 202 war er vor allem Gastriker und meinte, im Magen und Verdauungskanal den Sitz für die meisten Krankheiten gefunden zu haben. Gastrismus: Feuchtersieben 1845 Lehrb. d. ärztl. Seelenkunde 218 Die Gelegenheitsursachen sind .. andere Krankheiten, als: Menstrualanomalien, Abdominalreize, Würmer, Gastrismen, Hysterie, viel-
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leicht auch manchmal Verh rtung oder Erweichung der Hirnmasse; 1855 Wochenbl. d. Zs. d. Ges. d. Aerzte zu Wien 819 Von Purgantien bei Gastrismen mit Stuhlverstopfung machten wir vorz glich w hrend der Cholera nur usserst selten Gebrauch, indem wir auf jene F lle nicht vergassen, bei welchen ein unvorsichtiger Gebrauch dergleichen Mittel den Ausbruch der Brechruhr beg nstigten; Brugsch 1863 Reise II 486 Es ist wohl zu bemerken, dass jede Erk ltung und Verdauungsbeschwerde nicht als Rheumatismus oder Gastrismus sich ussert, sondern als Wechselfieber. Gastrizismus: Hartes 1803 Fieber 418 Um . . jedem Vorwurf, als wollte ich dem Gastricismus, oder der blos symptomatischen und empirischen Ansicht und Behandlungsart der durch gastrische Zuf lle sich auszeichnenden Fieber das Wort reden, . . geh rig vorzubeugen; Richter 1814 Epidemie 170 Jener Fall des Gastricismus kam am h ufigsten vor, wo die, durch die unmittelbare Einwirkung des Typhusmiasmas . . erzeugten abnormen Mischungen der Materie, eine entschiedene Tendenz hatten,
nach dem Darmkanal zu gehen; Puchelt 1827 System d. Med. H 1,153 Gastrischer Zustand, Gastricismus; Heyse 1838 Fremdwb. I 445 Gastricismus . . die medicinische Ansicht, nach welcher die meisten Krankheiten aus dem Magen herr hren; Sanders 1871 Fremdwb. I 430 Gastricismus . . gastrischer Zustand . . rztliche Ansicht, wonach die meisten Krankheiten gastrisch sind; 1885 Meyers XI 404 Was die praktische M[edizin] betrifft, so kam die alte Humoraltheorie besonders in dem Gastrizismus der Wiener Schule zum Vorschein. Diese Schule .. erreichte ihren H hepunkt aber in Maximilian Stoll aus Schwaben, der . . den Sitz krankhafter Th tigkeit vorzugsweise im Unterleib erblickte, dessen entartete S fte und Unreinigkeiten nur durch Brechmittel zu beseitigen seien; Genius 1933 Fremdwb. 359 Gastrizismus .. krankhafter Magenzustand, verdorbener Magen; Neumann 1957 P li-Kanon H 828 Und der so entstandene Gastrizismus jener Wesen wird dann in Frankes Behandlung zum chronischen Magenkatarrh gesteigert; Kaiser 1988 ]oh. Heinr. Schulze 227 Denkmodelle wie . , der Gastrizismus von Maximilian Stoll (1742-1788).
Gastronomie F. (-; selten -n), im fr hen 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. gastronomie (< griech. γαστρονομία, eigentlich 'Lehre, Vorschrift zur Pflege des Bauches', im Titel eines Lehrgedichtes von Archestratos von Gela um 330 v. Chr., das eine gastronomische Weltreise beschreibt, anstelle des urspr nglichen γαστρολογία im Sinne von 'Kochkunst f r Feinschmecker', aus γάστρο-, zu γαστήρ5 Gen. γαστρός 'Unterleib, Bauch, Magen', —» gastrisch, und -νομία, zu νόμος 'Brauch, Sitte; Ordnung, Vorschrift, Regel, Gesetz', zu νέμΕίν 'aus-, zu-, verteilen'; vgl. die initiale Wortbildungseinheit gastr(o)-, fr her auch gaster(o)-, seltener gastr(i)-/gastr(e)-, mit der Bed. 'auf Nahrungsmittel, Ern hrung bezogen; Magen-; Bauch-' in neoklassischen Kombinationen zur Bezeichnung medizinisch-pathologischer u. a. Ph nomene wie Gastrektomie 'ganze oder teilweise operative Entfernung des Magens', Gastritis 'Magenschleimhautentz ndung', Castro-/Gastrepathie 'Bauchschmerz', Gastrorrhagie 'Magenblutung', -skopie 'Magenspiegelung', -tomie 'Bauch ffnung, -schnitt'; Gastrilogie/Gastrolalie 'Bauchrednerei'). Bildungs- und fachspr. verwendet in der die veralteten Nebenformen Gastrologie und Gastrosophie verdr ngenden (auf antike Verh ltnisse bezogenen) veralteten Bed. 'Lehre von der Ern hrung des Menschen mit bestm glicher Nahrung; Kunst, Tafelfreuden weise zu genie en' (s. Belege 1884, 1920—21), dann eingeengt auf 'verfeinerte Koch- und Tafelkunst (und die Gesamtheit aller Kenntnisse, die sich auf sie beziehen), (Studium der) Tafelgen sse, Gaumenfreuden; Feinschmeckerei' (vgl. Gourmandise, —» Gourmand), auch allgemein, neben im 19. Jh. vereinzelt nachgewiesenem Gastronomik, f r 'Gastgewerbe, Gesamtheit der Gastst ttenbetriebe' (s. Belege 1934, 1944, 1952, 1960, 1968; vgl. Hotellerie, -> Hotel), in neuerer Zeit auch, bes. im PL, und gleichbed. mit der in j ngster Zeit nachgewiesenen Gelegenheitsbildung Gastronomit t, in der Bed. 'GaststatteX-wirtschaft/'betrieb' (s. Belege 1993, 1995, 1998, 2002; vgl. Lokal(it t), —· lokal, -» Restaurant, —· Restauration
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3), in Wendungen wie in der Gastronomie tätig sein/arbeiten, Internationale Schau für Gastronomie und Fremdenverkehr, Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Gastronomie, die Nahrungsmittelindustrie beliefert die Gastronomie, gepflegte, preiswerte Gastronomie, französische Gastronomie, in einer Broschüre werden sämtliche Gastronomien der Stadt aufgezählt, als Bestimmungswort in Zss. wie Gastronomiebereich/-branche, -bedarf, -betreiber/-betrieb, -einrichtung, -erfahrung, -fläche, -führer, -kette, -konzession, -personal, -stand, -tempel, -umsatz (daneben Gastro-/gastro- kurz für Gastronomie in oft eher okkasionellen Zss. wie Gastro-Event, -Führer, -Kritik, -Seminar, -Service, -Tempel, -Zelt, Gastrobereich, -erfahrung, -Journalist, -konzept, -meile, -messe, -technik, -unternehmen; gastro-philosophisch, -politisch), als Grundwort in Ausflugs-, Freiluft-, Bahnhof(s)-/Flughafen-, Kantinen-, Dorint-/McDonald's-, Edel-/ Luxus-/Nobel-/Spitzen-, Erlebnis-/Event-, Groß-, Hotel-, Kaufhaus-, Kongress-, Schnell-, Tages-, Veranstaltungsgastronomie. Dazu etwa gleichzeitig die aus gleichbed. frz. gastronome entlehnte Berufsbezeichnung Gastronom M. (-en; -en), daneben auch vereinzelt bis heute (frz. beeinflusst und regional Schweiz.) Gastronome, auch moviert Gastronomin F. (-; -nen), zunächst in der Bed. 'Liebhaber/-in, Kenner/-in, Freund/-in der (feineren, höheren) Kochkunst; Feinschmecker/-in' (s. Belege 1814, 1825, 1833, 1852, 1863, 1888, 1894, 1918; —>· Gourmet), dann 'Koch/Köchin für Feinschmecker, Kochkünstler/-in; Gastwirt/-in, Hotelier/-e (mit besonderen Fähigkeiten im Bereich der Kochkunst)', selten als Bestimmungswort in Zss. wie Gastronomen-Branche, -Ehepaar, -Familie, -lehrling, -runde, -Sprecher, -verband, -Vereinigung, häufig als Grundwort in Edel-, Erfolgs-, Erlebnis-, Groß-, Hobby-, Jung-, Nobel-, Spitzen-, Star-, Szene-, Topgastronom/-in; gleichzeitig die wohl unter Einfluss von gleichbed. frz. gastronomique aufgekommene adj. Ableitung gastronomisch, neben der im 19. Jh. vereinzelt nachgewiesenen verkürzten Form gastronom, in der Bed. 'auf das Essen, die (gesunde) Ernährung, die feine Kochkunst, das Gaststättengewerbe bezogen' (—» kulinarisch), z. B. gastronomische Kultur, gastronomisches Gewerbe, Handwerk, Talent, gastronomischer Betrieb, Umsatz, gastronomische Feinheiten, Freuden/Genüsse, Spezialitäten, ein großer gastronomischen Komplex in bester Berliner Lage, gastronomische Spezialitäten aus der ganzen Welt, in additiven adj. Zss. wie gastronomisch-alkoholisch, -erotisch, -kulinarisch, -kulturell, -touristisch; in jüngster Zeit die vereinzelt nachgewiesene verbale Ableitung gastronomisieren V. trans, 'gastronomisch erschließen' mit dem Verbalsubst. Gastronomisierung F. (-; -en). Gastronomie: Hammer 1828 Gesch. d. Osman. Reiches III 213 ein Verzeichnis der Speisen und Gerichte, welche bey diesem Beschneidungsfeste aufgetragen wurden, und welches einen reichen Beytrag zur Geschichte türkischer Gastronomie gibt; Pückler-Muskau 1835 Semilasso I 281 Semilasso ist uns als ein zu großer Freund der Gastronomie bekannt; 1835 Europa l 472 selbst das Wort Gastronomie wurde erfunden; der Name für eine halb gemachte Wissenschaft; Vaerst 1851 Gastrosophie l Vorw. VI Ich hatte [mein Buch] . . zuerst Gastronomie genannt; ein geistreicher Freund verwirft aber diesen Titel mit Recht; ich glaube Gastrosophie, so fremd das auch klingt, ist ein richtiger Titel; Szarvady 1852 Paris I 41 die ergötzlichsten Sonder-
barkeiten von der Barbarei der deutschen Gastronomie; 1884 Brockhaus VII 587 Gastronomie ist . . die wissenschaftliche Kenntnis von allem, was zum Menschen, insoweit derselbe sich ernährt, in Beziehung steht . . Gegenstand der G. ist also alles Eßbare; ihr Zweck, über die Erhaltung der Menschen zu wachen und ihnen die möglichst beste Nahrung zu verschaffen. In diesem weiteren Sinne aufgefaßt, steht die G. in nächster Beziehung zum Ackerbau, zur Viehzucht, Jagd und Fischerei, welche die Rohstoffe beschaffen, zur Industrie, welche sie vorbereitet, zum Handel, welcher die Produkte vertreibt, und schließlich zu der Kochkunst . . und zu der Tafelkunst; Wantoch-Rekowski 1914 Kriegstageb. (1870) 62 Geheimnisse der Gastrono-
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mie ergründet; 1920—21 Süddtsch. Monatsh. XVIH 1,169 Gastronomie, d.h. Studium der Tafelgenüsse, und Gastrosophie, d. h. Lehre von den Freuden des Taielns; Der Westen 30. 12. 1934 Der Oktober beginnt im Zeichen der Gastronomie. Gastwirte, Hoteliers, Bäcker und Konditoren zeigen, erstmalig vereint, eine überzeugende Leistungsschau; N. Z. Z. 9. 8. 1944 verdient ein . . Bericht über den Umsatz von verschiedenen Lebensmitteln bei dem bekannten Berliner Gaststättenkonzern Aschinger AG. besondere Beachtung, da er in markanter Weise die Kriegseinwirkungen auf die deutsche Gastronomie wiederspiegelt; Süddtsch. Ztg. 5. 12. 1952 Im Zeichen der Gastronomie (Überschr.) . . der Gesamtorganisation des Internationalen Genfer Verbandes der Hotel- und Gaststättenangestellten; . . Neben vielen namhaften Gastronomen . . auch die Münchner Wirtsmetzger, der Kochverein Bavaria, die Internationale Barkeeper-Union; FAZ 3. 12. 1960 Nur ein in allen Sparten der Gastronomie erfahrener Fachmann . . mit Tätigkeitsnachweis erster Häuser im In-und Ausland (Anzeige); Stuttgarter Ztg. 20. 6. 1968 Rund 2000 Feinschmecker aus 60 Ländern der Erde, Küchenchefs, Hoteliers, Gastronomen [werden] zum V. Weltkongreß der Gastronomie in Jerusalem erwartet . . Arbeitsthemen wie „Gastronomie und Tourismus" oder „Gastronomie unter wissenschaftlichen Aspekten"; FAZ 19. 10. 1970 Die Gastronomie muß aufholen (Überschr.) InterService: Zentrale Belieferung findet mehr Anklang; Zeit 24. 10. 1986 Geschäfte hat sicherlich die Gastronomie gemacht, aber der größte Gewinner war der Bürger, dem ein Fest bereitet wurde; taz 20. 1. 1993 Container für Ausstellungshallen, Studios, Gastronomien und Büros; ebd. 6. 10. 1995 Die genaue Geschmacksrichtung der Gastronomie stehe zwar noch nicht fest, aber „was Gutbürgerliches" könne man sich in der alten Mühle gut vorstellen; Frankf. Rundsch. 23. 7. 1998 Auf den Fußgängerwegen der Einkaufsmeile sind zahlreiche Bänke der anliegenden Gastronomien aufgestellt; Mannh. Morgen 20. 7. 2000 Gesunde Gaumenfreuden (Überschr.) Gastronomie tischt Ökologisches aus der Region auf . . beim bundesweiten Pilotprojekt „Gesunde Ernährung in der Gastronomie"; taz 11. 10. 2002 Auch weiche Standortfaktoren wie der Naherholungswert umliegender Grünflächen, benachbarte Gastronomien und Supermarktfilialen erfüllen hier allenfalls städtischen Substandard. Gastronom: Bertuch 1814 Allg. Geograph. Ephemeriden 453 Die Nachricht von dem, hier Sonntags durch die Neger gehaltenen, Markte müssen wir übergehen und bemerken nur, dass hier Aguti's (hier einheimische Hasen), Landschildkröten,
grosse Eidechsen, sehr dicke grünliche Kröten, denen man den Namen Frösche ertheilt, von den Gastronomen dieser Insel gesucht wurden; Robert 1825 Überbildeten (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele V 230) Gastronom und Lebemann; Heine 1833 Franz. Zustände (W. u. Er. IV 395) Dieser letztere würde sich gewiß, wie Vatel, in sein Schwert stürzen, als ein Brutus der Kochkunst, als der letzte Gastronome! (DiBi 125); Max. v. Mex. 1852 Leben III 34 Als Gastronom war ich höchlichst erfreut, ein ganz vortreffliches Mahl einzunehmen; Banck 1863 Alpenbilder l 39 Die großen Gastronomen würden es nicht ohne Schauder sehen, wenn Rindfleisch mit Gurkensalat . . verzehrt werden sollte; Hohenlohe-Ingelfingen 1864-70 Leben HI 87 Ob andere Gastronomen solche Zusammenstellung wohl schon versucht haben?; Wachenhusen vor 1871 Zig. 22 Er ist eig. mehr Gastromane als Gastronome (SANDERS 1871); Winter 1888 Unbeflügelte Worte 88 Wer feines Essen und Trinken zu würdigen weiss und auf beides viel hält, der ist ein Gastronom; Schack 1894 Erinn. J 167 Besonders waren zwei Gesandte . . als Gastronomen berühmt; dieselben huldigten nicht allein für sich den kulinarischen Genüssen mit einer Art von Leidenschaft, sondern setzten eine Ehre darin, auch Andere sich von der Trefflichkeit ihrer Tafel überzeugen zu lassen; Wohlmuth 1918 Schauspielerleben 154 Da ich kein großer Gastronom bin, mußte ich mich entschuldigen, über das [diesen Aspekt von] Weimar keine Auskunft geben zu können; Berl. IIlustr. Nachtausg. 14. 8. 1933 Die Gastronomen haben eine neue Möglichkeit für ihre Küchenkünste [Entdeckung der Möwe als Leckerbissen]; LokalAnz. 22. 9. 1934 Geburtstag eines Berliner Gastronomen (Überschr.) Einer der bekanntesten Berliner Gastwirte . . Zusammen mit dem bedeutenden Küchenfachmann . . gründete er . . den Eispalast; Süddtsch. Ztg. 18. 5. 1951 der frühere Besitzer dieses Kurhotels . . erfahrener Gastronom und langjähriger Hoteldirektor; Offenburger Tagebl. 20. 1.1959 Gast und Gastronom werden . . eines gemeinsam haben: den verzweifelten Ruf nach dem Kellner . . Gastronomen, die auf der Suche nach tüchtigen Mitarbeitern quer durch Deutschland reisen; Stuttgarter Ztg. 4. 1. 1962 Gastronom Wörwag . . einer der bekanntesten Vertreter des Stuttgarter Hotelund Gaststättengewerbes; Neues Deutschi. 23. 10. 1974 Empfehlenswert für die Gastronomen ist die Angabe des Kaloriengehaltes der Gerichte auf der Speisekarte; Zeit 10. 10. 1986 Die Hotels konnten 61000 Übernachtungen, die Gastronomen 238000 Mahlzeiten verbuchen; Mannh. Morgen 16. 12. 1989 die erfahrene Gastronomin Lilli Achtstetter, die zusammen mit ihrem Mann Jürgen hinter dem Tresen steht und für freundliche Bedienung an den 45 Sitzplätzen sorgt; ebd. 19. 6. 1991 Zu leiden unter dem kühlen Frühling haben vor allem jene
Gaudium Gastronomen, die sich auf Freiluft-Bewirtung spezialisiert haben; St. Galler Tagbl. 21. 8. 1999 Mindestens monatlich einmal will der junge Gastronome ein Live-Konzert bieten; Kleine Ztg. 5. 10. 2000 Ab Ende nächster Woche wartet dort ein Gastronom an sieben Tischen mit Cappuccino, Tee, Getränken und Snacks . . auf. gastronomisch: Lady Morgan 1821 Reisen. Frankreich (Übers.) I 113 die gastronomischen Talente; Heine 1835 Romant. Schule 86 Fr. Schlegel starb im Sommer 1829, wie man sagte, infolge einer gastronomischen Unmäßigkeit; Ztg. f. Städte 31. 5. 1837 Man spricht auch von einem Banket, das der König der großen Pariser Familie in den Galerien des Louvre geben will; 5400 Couverts sollen zu der riesenhaften gastronomischen Fete bestimmt seyn; 1843 Didaskalia I Nr. 17 gastronomische Zeitung; Niendorf 1854 Paris 58 unser Palais Royal ist auch gastronomisches Hauptquartier; Noe 1865 Baier. Seebuch 130 gastronomischen Genüssen; Schlözer 1871 Amerikan. Br. 91 Gestern Diner bei Keudell und Patow . . Heute . . gastronomisches Fest bei Raczinski; Stieler 1886 Krieg 701 72 28 das [badische] Wirtshaus, das nicht nur der gastronomische, sondern auch der kulturhistorische Mittelpunkt des Dorfes ist; Luise v. Kobell 1894 Erinn. 154 gastronomischen Genüssen; Lokal- Anz. 1. 11. 1934 Heute ist ein Zug nach Einfachheit und Gediegenheit im Berliner gastronomischen Gewerbe wieder unverkennbar; Münch. N. N. 8. 10. 1936 Aufmerksamkeit findet auch der
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vom Altmeister der deutschen Kochkunst, Alfred Walterspiel . . erfundene und vorgeführte Bratspieß, der ein kleines Wunderwerk gastronomischer Technik ist; Wiesel 1937 Das neue Osterienbuch. Kulturgeschichte und gastronomischer Führer durch die italienischen Schenken, Osterien und Tavernen (Titel); N. Z. Z. 9. 8. 1944 daß früher für die gastronomischen Betriebe gewissermaßen der Grundsatz galt, daß der Getränkeumsatz „den Gewinn bringt"; Neue Ztg. 9. 9. 1950 der Wein . . ein erfreulicher Begleiter des . . meist sehr reichhaltigen und auch im einfachsten Haushalt mit großer gastronomischer Kultur gekochten Essens; 1966 Durch d. schöne Welt Nr. 9 Gastronomisches (Überschr.) Das älteste europäische Kochbuch stammt aus dem Jahre 1475; Welt 6. 12. 1969 gastronomische Betriebe. Hotel Garni am Neckar; taz 10. 11. 1988 Schottische Grün-Weiß-Menschen .. füllten die gastronomischen Einrichtungen des Viertels, führten zu handgearbeiteter Querflötenmusik Tänze ihrer Heimat auf öffentlichen Plätzen auf; ebd. 15. 6. 1990 Geplant sind, wie die Interhotel AG jetzt verriet, Hotelanlagen mit über 3.000 Betten . . gastronomische Einrichtungen für etwa 2.000 Personen; ebd. 7. 6. 1991 Grund für den gastronomischen Gesinnungs- und Tapetcnwechsel waren, wie so häufig in Berlin, Lärmbelästigungsklagen der Anwohner; Kleine Ztg. 28. 7. 2000 80 Schilling kostet eine Kinonacht unter Sternen. Damit soll gewährleistet werden, dass das CelluloidFest nicht ein gastronomischer, sondern ein cineastischer Höhepunkt wird.
Gaudium N. (-s; ohne PL), im späteren 17. Jh. studentenspr. vermittelte Entlehnung aus lat. gaudium '(stille, innere) Freude, Fröhlichkeit, Lust' (zu gaudere 'sich freuen'), bis heute auch in der lat. (flekt.) Form und in (kirchen-)lat. Syntagmen wie gaudium et spes, coelorum gaudia, unseres Herrn Mertens gaudia (in spätmittelalterlichen Martinsliedern; vgl. gloria), gaudium studenticum. Bildungsspr. in der Bed. '(ausgelassene) Freude, Frohsinn/Fröhlichkeit, Heiterkeit, Ausgelassenheit; Vergnügen, Wonne, Spaß; Erheiterung, Belustigung, Lustbarkeit' (vgl. Fun), oft leicht abwertend und mit der Konnotation der Schadenfreude (s. Belege 1811, 1887, 1893, 1925, 1985, 1996, 2005), z.B. das trug zum allgemeinen, großen Gaudium der Zuschauer bei, das wäre ein Gaudium gewesen/geworden!, das wird/gibt ein Gaudium!, was für ein Gaudium!, es ist ein wahres/besonderes Gaudium, (mehr als) nur ein Gaudium, selten als Grundwort in eher okkasionellen Zss. wie Bauern-, Himmels-, Mords-, Riesen-, Seelengaudium. Daneben seit früherem 19. Jh. die weitgehend gleichbed., überwiegend regional (süddtsch.) gebrauchte ugs. Kurzform Gaudi F. (-; -s), auch (bes. Schweiz.) N. (-s; -s), z. B. das war eine Gaudi!, Sie hatten ihre Gaudi (daran), die Gaudi gehört einfach dazu, die Gaudi am Rodelsport ist ungebrochen, heute ist Gaudi und Stimmung angesagt, der Gaudi wegen, die Gaudi wird großgeschrieben/steht im Vordergrund, im Unterschied zu Gaudium (s.o.) verstärkt im Sinne von 'lustige, vergnügliche,
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Gaudium
übermütige Unternehmung, lärmende Veranstaltung; Volksfest, Schwank' (s. Belege 1932, 1970, 1996, 2000; -» Fez, -» Spektakel, vgl. Komödie), z.B. man muss nicht alle Gaudi mitmachen, eine krachlederne Gaudi aus Anlass des Oktoberfestes, zünftige Gaudi mit Gesang und Blechmusik, die nächtliche Gaudi dauerte bis in die frühen Morgenstunden, oft (leicht abwertend) konnotiert mit „nur zum Spaß (veranstaltet), nicht ernstgemeint, albern, übermütig" (s. Belege 1949, 1951, 1968, 1993; —>· Jux), z.B. (nicht) nur zur/aus Gaudi, solange das nur (eine) Gaudi bleibt, aus der Gaudi ist urplötzlich Ernst geworden, reine/bloße Gaudi, als Grund- und Bestimmungswort z. T. konkurrierend mit -spaß '-vergnügen/'-Vergnügung und Spaß-/ Vergnügungs- in eher okkasionellen Zss. wie Alpen-, Bier(-tisch/-zelt)-, Dorf-, Einkaufs-, Faschings-, Fernseh-, Freizeit-, Fußball-, Geburtstags-/Hochzeits-, Jahrmarkts-, Kinder-, Kultur-, Massen-, Medien-, Messe-, Mords-/Pfunds-, Musik-/ Musikanten-, Polit-, Publikums-, (Ski-)Hütten-, Studenten-, Vatertags-, Verwechslungs-, Wiesengaudi; Gaudiabend, -burschen, -einlage, -express, -fahrt/-partie, -faktor/-pegel, -fest, -kultur, -macher, -musik/-musikanten, -nacht, -parade, -Saison, -Spektakel, -spiel, -stadl, -Stimmung, -theater, -Veranstaltung, auch leicht pejorativ bes. im Sport, z. B. Gaudi-Disziplin, -Elfmeterschießen, -Lauf/-Rennen, -Sport, -Wettbewerb/-Wettkampf, Gaudimatch, -olympiade; vgl. die scherzhafte neoklassische Bildung Gaudimax, gekürzt aus Gaudium und Audimax 'Auditorium maximum', als Name einer großen Faschingsballveranstaltung der Münchner Universität. Dazu das bereits im früheren 16. Jh. aus gleichbed. lat. gaudere (s. o.) entlehnte, heute nur noch selten bezeugte V. trans, und reflex, (sich) gaudieren 'seine Freude haben an etwas, etwas genießen, einer Sache frönen; sich/jmdn. erfreuen, belustigen, ergötzen', oft mit Genitiv- oder präp. Objekt (s. Belege 1670, 1854, 1995), in Wendungen wie ein Recht, ein Privileg, eine Pfründe gaudieren, sich des ewigen Lebens gaudieren, das Buch hat mich gaudiert; vgl. daneben studentenspr. gaudeamus igitur! 'lasst uns also froh/lustig/fröhlich sein', mit aus dem Anfangswort des Studentenliedes substantiviertem Gaudeamus N. (-; ohne PL), z. B. das Gaudeamus anstimmen; in jüngster Zeit die regional (österr.) eingeschränkten adj. Ableitungen gaudig und gaudiös 'lustig, spaßig, unterhaltsam'. Gaudium: 1675 Exorzist 13 Es will ein schlecht gaudium geben!; 1677 Machiavell. Hocuspocus 628 im besten gaudio; Thomasius 1696 Ausübung d. Sittenlehre 49 diesen [Affekten] setzten sie bey einem weisen Manne drey gute Leidenschafften oder Bewegungen entgegen: Den Willen (Voluntatem) das Vergnügen (Gaudium) und die Behutsamkeit; Schink 1778 Marionettentheater 194 Ist ein gar grosses Gaudium mir,/ Kömmt mir ein neues Original für; Klinger 1780 Plimplamplasko 208 so jämmerlich und närrisch töneten in die gross Melody, dass es ein Gaudium war zu hören; Musäus 1781 Physiognom. Reisen 185 war mir [als Schulknaben] ein gross Gaudium, die Meynungen und Grundsäz' des physiognomischen Quackers zu vernehmen; Schiller 1781 Räuber (S. W. / 506) Das war nun mein Seelengaudium, den Hund überall zu necken, wo ich nur konnte, und wollt halb krepieren vor Lachen, wenn mich dann das Luder so
giftig anstierte; ders. 1784 Kabale (S. W. I 847) und da werd ich nun das ganze Gaudium [Beutel mit Goldstücken] wieder herausblechen müssen?; Cramer 1792 Adolph I 273 f. was müßt' das für'n Gaudium geben, wenn es hieß: mit Anmerkungen geziert vom — Eselstreiber; Körner 1811 Nachtwächter (W, IV 54) Kein größeres Gaudium gib's unter dem Himmel,/ Das muß ich aus eigner Erfahrung gestehn,/ Als solch einem alten verliebten Lümmel/ Eine ungeheure Nase zu drehn; PücklerMuskau 1835 Semilasso U 259 lag ich zum großen Gaudium meiner Begleiter der Länge nach im Sande; 1847 (Rhein. Br. H 165) und mein Gaudium würde vollständig sein, wenn, wie einige meinen, es wenig zu arbeiten gäbe; König 1861 Bleistiftfabrik 678 ein wahres Gaudium ist es, wenn das schöne Blei vom glänzendsten Schwarz bis in die feinsten Silbertöne über die weiße Papierfläche fährt und weder den Zeichner noch den Schreiber
Gaudium in ihrem Gedankenfluge hindert; Kretzer 1887 Titnpe 279 Das wäre ein Gaudium für seine Feinde gewesen, wenn sie erfahren hätten, wie es wirklich um ihn stand; Hopfen 1893 Elend II 149 Seien Sie kein Spielverderber und kommen Sie mit [zu einem lustigen Abend]. Wir haben den neuen Stern, Fräulein Fritz gebeten. Ein patentes Mädel voll Humor und so dumm! Sie werden Ihr Gaudium an ihr haben; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 468) Eines Vormittags lag unordentlicherweise ein leerer Getreidesack unter seinem Pult, den er für eine Katze hielt und zum Gaudium des gesamten Personals unter lauten Verwünschungen zu verjagen suchte; 1907 Biogr. Jahrb. 139 Allen Kunststücken, mit denen unsere modernen Zauberer umhergehen, hatte er auf den Grund gesehen und konnte sie ohne Mühe zum großen Gaudium derer, die ihm zusahen und zuhörten, in Gesellschaft vorführen; Graf 1925 Gesicht 99 Ich irre zum Gaudium der ändern mit dem Kind, das immer wahnsinniger brüllt, auf dem Bahnsteig herum; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 290) Klagen über die Verwahrlosung und Entweihung der Schaubühne, ihr Absinken . . in die Rolle eines Gaudiums für wenige und nicht für die Besten; ders. 1939 Lotte (W. II 448) was für ein Gaudium mein Bruder Hans, der mit Goethen immer auf besonders cordialem Fuß gestanden, an dem Werther-Buch hatte; Stuttgarter Ztg. 8. 2. 1966 Picasso-Schülerinnen .. räumten . . ihre „Werke" zum großen Gaudium des Publikums ein; Zeit 19. 4. 1985 einen Spaß verstehen sie, die Bayern. Auf einen Spaß, ein Gaudium, einen hübschen Skandal hatten sich dann wohl auch viele Premierenbesucher eingerichtet; taz 2. 1. 1989 am Cäcilientag . . wird, zu Ehren der Heiligen und zum eignen Gaudium, zuerst in der Kirche inbrünstig gesungen und jubiliert, dann im Wirtshaus brünstig getrunken und geschwoft; Presse 8. 10. 1996 die geschonten Normalverdiener, die sich jetzt entspannt zurücklehnen und sich am schadenfrohen Gaudium der Opferung der „Besserverdiener" delektieren sollen; Kleine Ztg. 30. 5. 2000 Ein beliebtes Spiel, das nicht nur Kindern gefällt, sondern auch bei Hochzeiten oft zum Gaudium beiträgt, ist die „Reise nach Jerusalem"; taz 10. 12. 2005 Das war der Herrenwitz, den Kai Diekmann auf Kosten einer Künstlerin riss, zum Gaudium jener 3,76 Millionen Witzbolde, die werktäglich 50 Cent für die von Bild gewährte gute Aussicht auf Rufschädigungen und entblößte Hinterteile bezahlen. Gaudi: Aurbacher 1835 Volksbüchlein I 163 Dies Spektakel dauerte eine ziemliche Weile, und die Wiedhöpfe auf dem Zaun . . hatten ihre Gaudi an dem Muth und der Geschicklichkeit des Allgäuers; Rolfus 1873 Salpetrer 107 [im Salpetreraufstand
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um 1740 tritt der] Gaudi-Hans [auf]; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 345) a weng kraxeln wermer doch, und a Hetz wermer harn, a Gaudi, a sakrisches; Welti 1911 Br. 273 eine grosse Gaudi [Schulbuben in Bern sperren Leute in den Karzer]; Nora 1932 Am Färbergraben 43 selbst Hausherr und Hausfrau schliefen während der 36 Stunden dauernden „Gaudi" nur flüchtig; Münch. N. N. 7. 2. 1939 In der Instrumentierung erregten besonders Zithern und Mandolinen große Gaudi im Zuschauerraum; Poddel 1940 Humor und Gaudi. Schnaxen aus dem Bayernland (Titel); 1948 Zwiebelturm 23 Dös gibt a Hetz und a Gaudi; Süddtsch. Ztg. 22. 3. 1949 Weiter entfernt von der politischen Gaudi . . befinden sich die Ausführungen . . zur „Bonner Krise"; ebd. 10. 1.1951 Der Faschingszug ist nicht nur eine Gaudi. Er ist auch ein recht wirtschaftlicher Faktor in München; ebd. 7. 7. 1954 In München, der legitimen Hauptstadt Altbayerns, geht halt die Gaudi nie aus. Auch in der Politik nicht; Offenburger Tagebl. 8. 1. 1963 Zum allgemeinen Gaudium gab es als urbayerische Gaudi den „Geisterbräu", einen handfesten Bauernschwank . . mit trinkfesten Mannsbildern und Weiberleuten mit Haaren auf den Zähnen; Welt 21. 5. 1968 Der Aufruhr im Quartier latin besteht aus einer paradoxen Mischung von loderndem, revolutionärem Fanatismus und übermütiger Gaudi; Bad. Ztg. 15. 7. 1970 Happening zwischen Marktfrauen (Überschr.) Das Weinfest auf dem Münsterplatz ist eines der größten Gaudis, die Freiburg in den letzten Jahren erlebt hat; Freisinger Tagebl. 8.19. 9.1973 Für ihn war es halt eine Gaudi, und die sollte es ja auch sein; Zeit 1. 2. 1985 Gaudi vor Gericht: Wie eine Traditionsgaststätte zur Räuberhöhle verkam; taz 7. 12. 1993 die richtigen Läufer und Läuferinnen, also die, die nicht zur Gaudi, sondern für Ruhm . . schwitzen; Züricher Tagesanz. 26. 6. 1996 Angesagt sind Älplerchilbi, Schwingfest (Swiss wrestling), Teil-Theater und Jungfrau-Marathon — die ganze Palette alpiner Gaudis; Oberösterr. Nachr. 19.1. 2000 Machen wir uns eine Gaudi, bitte kommt, denn gemeinsam lachen ist lustiger; taz 13. 11. 2001 Auch ohne profunde Kenntnisse Ciceros vollzieht sich die Lektüre der Ergebnisse magno cum gaudio, ist also auf südostteutonisch eine Mordsgaudi. gaudieren: Paracelsus 1535 S. W. I 9,646 also durch den tot des eitern das jünger entspringt und also einem ietlichen ding sin zil und termin gesezt, in dem es sich gaudiren und exultiren sol; Krafft 1616 Reisen 192 schickh er mir . . Zwayhundertt Ducatten Zu einer Einbuß, dan er wiß wol, wölcher vnder dem Haydnischen Joch gefangen lig, nit geltt hab, mieß vil straich Außhaltten. Dergleichen
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Gavotte
Zu fürkhomen, soll Ichs von seinettwegen Gaudieren vnd wol Anlögen; Furttenbach 1640 Architect, recr. 61 so hat mich nit für vbel gethon angesehen/ diese Ding auff das Kupffer stechen zulassen/ damit es vorangehörter massen alle Liebhaber gaudirn möge; ders. 1641 Architect, priv. X3b damit man den Wandel der vorüber . . reisenden Personen gaudiren/ die Victualien vnd Viucrs, herbey getragen . . geniessen möge; Becher 1670 Bericht 16 das jenige so allsdann gebaut ist/ das bleibt und gaudirt dieser Privilegien insgemein; 1716 (Mon. Boica XV11 93) wehr disen brief mit vnnsern Vorwüssen, vnd guetten willen, innen hat, vnd dieses Urbahrs Zapfenrecht gaudirt; Wening 1723 Bayern i 27 Dermahlen gaudiren es die . . Frau Wittib; ebd. Ill 47 haben . . die hohe Jagdbarkeit, auch noch weiters ausser derselbigen die Schweinhatz vom Strick auss zu gaudieren; Klinger 1776 Sitnsone Grisaldo (Nicolai 1971 Sturm u. Dr. U 1122) Das wird den Malvizino gaudieren (DiBi 125); Stilling 1779 ]ugend 7V 62 er tanzte um den Tisch her, machte Gesichter und zeigte allenthalben, nach seiner Art, wie königlich ihn der Zirkel von Menschen gaudirte; Meyen 1840 Br. a. Rüge (Hegeische Linke 800) Das Buch von Koppen hat mich recht gaudiert, ich habe es gleich gekauft und schon zweimal gelesen; Burckhardt 1846 Br. Hl 22 Gescheidtes steht nichts drin . . Gaudirt Euch dran,
so gut Ihr könnt; Heine 1854 Lutetia (W. u. Br. VI 483) Die Reichen würden weniger hartherzig sein, wenn sie nicht bloß auf Erdenglück angewiesen wären und nicht die Armen beneiden müßten, die einst dort oben in floribus sich des ewigen Lebens gaudieren (DiBi 125); Holland 1862 Dichtkunst i. Bayern 643 Was den Inhalt dieser fliegenden Wandercomödiantenstücke betrifft, so waren sie grösstentheils . . voll Zoten und Unfläterei, ein Thema, von dem unsere Vorfahren die dicksten Quantitäten vertragen konnten und wobei sie sich um so besser gaudirten, je grosser gerade die Schweinerei war; Köster 1906 Jugendlit. l 140 In den Märchenerzählungen gaudieren sich die Berichterstatter nur so daran, alle möglichen grausamen Hinrichtungsarten mit schrecklicher Treue auszumalen; Th. Mann 1953 Betrogene 29 Wenn ich dich ein bißchen gaudiere damit, Kind, soll die einfältigste Theorie mir recht sein; Zeit 13. 10. 1995 Meist sitzen die Steppkes zu zweit vor dem Bildschirm, gaudieren sich über ihre Einfalle, sind stolz über richtige Antworten und kommentieren laut Falschmeldungen; Mannh. Morgen 17.1. 1996 Das Objekt der Zierde gehörte wohl zusammen mit einigen kleineren Stücken zum Tischschmuck, mit dem Karl Theodor bei höfischen Festen seine Gäste gaudierte.
Gavotte F. (-; -n), Anfang 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. gavotte (< provenzal. gavo(t)to, Name eines Volkstanzes der Gavots, Bewohner der provenzalischen Alpen). Historische Bezeichnung für einen aus Frankreich stammenden, zunächst bei Hofe gepflegten, im 19. Jh. zum Gesellschafts- und Modetanz erhobenen, lebhaft-munteren, in kreisförmigen Reihen getanzten Paartanz in gerader Taktart (Zweizweitel oder Vierviertel), mit Zweiviertelauftakt und zwei aus je acht Takten bestehenden Reprisen, auch (seit J.-B. Lully) für das entsprechende, zum Tanzen gemachte Tonstück von fröhlich-beschwingtem Charakter, das in freier behandelter Form in Sonaten, Suiten u. Ä. eingeführt wurde und auch in Ballette und Opern einging (s. Belege 1739, 1754, 1792, 1886, 1932, 1985, 1991; vgl. Allemand, Courant, Gigue, Menuett, Rondeau, Sarabande], vereinzelt übertragen (s. Beleg 1989; vgl. Reigen), in Wendungen wie eine hüpfende, muntere, beschwingte, spritzige Gavotte, sie tanzte eine französische Gavotte, er sucht in der Gavotte seinesgleichen, die Gavotte wird wieder in moderne Suiten eingeführt und Zss. wie Gavottepaar, -rhythmus, -satz, -schritt, -zirkel; Ascot-, Kontrabass-, Stefanie-Gavotte, Prinzengavotte. Praetorius 1612 Terpsichore X eine Gavotte . . Gavotte: Ist ein Landt darinnen eitel Bawren wohnen/ von welchen dieser Dantz erst herkommen (JONES); 1677 Machiavell. Hocuspocus 605 Da uns ein neu courant brandel oder Gavotchen so viel Mühe und Geld kostet; Beer 1683 SommerTage (Winter-Nächte 629) Mancher tanzet heut
auf einer lustigen Hochzeit hüpfende Gavotten, und morgen sitzet er traurig hinter dem Ofen, hält den Kopf in die Hand und kalmeusert mit sich selbst, daß er gestern so viel Geld ad patres gejaget hat (DiBi 125); Thomasius 1701 Kl. Sehr. 83 was für Unterscheid sey zwischen dem Tantzen zu der rechten und lincken Hand; was eine brandel, eine
Gaze gavotte, cine Courante simple . . für Dinger wären; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 275 Gavotte, eine gewisse Art eines Tantzes, welcher im Kreisse geschiehet; Mattheson 1739 Capellmeister 208 bey einer Gavotte [geht der Zweck] auf jauchzende oder ausgelassene Freude; Gottsched 1754 Auszug a. Batteux Schöne Künste 200 nach dem sich die Componisten zu schämen angefangen, daß ihre sogenannten Suiten, nichts als Tänze, d. i. Sarabanden, Bourreen, Gavotten, Allcmanden . . bedeuteten; Sulzer 1792 Theorie 309 Gavotte . . Ein kleines zum Tanzen gemachtes Tonstük von mäßig munterm und angenehmen Charakter; E. T. A. Hoffmann 1822 Kater Murr (Poet. W. V 445) Wäre es nicht für einen ehrsamen Benediktiner unanständig, sich in Hasensprüngen zu erlustieren, ich tanzte sogleich hier auf der Stelle vor Ew. Hochehrwürden Augen einen Matelot oder eine Gavotte oder einen Hopswalzer aus purer Freude, die mich ganz übernimmt, wenn ich nur an Braut und Hochzeit denke (DiBi 125); Heine 1843 Atta Troll (W. u. Br. I 358) Und vom Boden springt er plötzlich,/ Stellt sich auf die Hintertatzen,/ Und wie eh'mals tanzt er wieder/ Seinen Leibtanz, die Gavotte./ Stumm, mit aufgesperrten Schnauzen,/ Schauen zu die Bärenjungen,/ Wie der Vater hin und her springt/ Wunderbar im Mondenscheine (DiBi 125); 1846 Urania 6 ich . . tanzte . . Gavotte, schwang meinen Shawl um Haupt und Schultern und wiegte mich graziös bald rechts bald links; Böhme 1886 Gesch. d. Tanzes I 130 Beispiele der alten Gavotte sind zu finden bei Händel . . Gluck . . In jüngster Zeit ist die Gavotte wieder in moderne Suiten eingeführt und als Salon-Tanzstück, sogar als Konzertstück beliebt geworden; Diringer 1889 Tanzkunst 20 Zu den Tänzen, welche ihren Ursprung aus den französischen Departements herleiten, gehört auch die Gavotte und das Menuett, das sich bis Anfang unseres Jahrhunderts erhalten [hat] und erst durch den Contretanz und die Quadrille ä la cour verdrängt wurde; Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 10 Man tanzte also zwei Menuetten in jeder Gesellschaft . . Dann, im vorigen Winter, kamen Bandour und Gavotte auf . .
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Mit einem nahe/u religiösen Eifer wurden diese Tänze gepflegt, und es tat der Begeisterung keinen Abbruch, daß die Gavotte ausschließlich in reinarischen Gesellschaften getanzt ward, während der Bandour mehr in gemischt-konfessionellen Kreisen Bewunderung weckte; Thurau 1901 Refrain 402 Anm. aber die Gavotte . . verlangte nicht nur den KUSS, sondern auch die Blumengabe; Reibnitz 1928 Gestalten 181 Gavotte und Menuett, von der Hoftanzlehrerin Frau Wolden einstudiert, begannen hier ihren Siegeslauf; Gehauer 1932 Kulturgesch. 146 Alte und neue Tanzweisen, Allemanden, Couranten, Gigues, Gavotten, Menuette und Polonaisen wurden zu einheitlichen Klavierstücken vereinigt; Welt 14. 7. 1949 von Gavotte bis Samba rätselhafte Tanzstunde; Manstein 1958 Soldatenleben 30 Den hübschesten Anblick aber boten zweifellos die . . Prinzengavotte, eine Quadrille oder Francaise. Sie waren für die Hofgesellschaft in sogenannten Gavottezirkeln . . einstudiert und vor dem ersten Hofball auch im weißen Saal durchgeubt worden; Mannh. Morgen 22. 1. 1985 Dessen [Johann Sebastian Bachs] Gavotte, ein sehr bekanntes Stück, erklang mit klarem Profil; ebd. 7. 12. 1989 Gavotte der Gespenster (Überschr.) „Panic Beach", mit seinen schrägen, schlitternden Harmonien, schildert die gespenstische Gavotte gescheiterter Existenzen; taz 17.6.1991 So fügt sich alles, Amor hat gesiegt, das begeisterte Ensemble tanzt Gavotten, Rondeaus und Rigaudons. Rameau hat Les Boreades 1764 geschrieben, in seinem letzten Lebensjahr; Salzb. Nachr. 21. 11. 1991 Gavotten, Chorale, Arien, Duette, Couplets — die ganze Tradition der Opernmusik wird zu einem buntscheckigen Ganzen vereint; Mannh. Morgen 25. 9. 2000 Zwischen der Folge Prelude, Allemande, Courante, Sarabante und der abschließenden Gique [!], sind immer ein Paar leichter, beschwingter Tanzsätze, wie bei der fünften Suite ein Gavotten-Paar, eingeschoben; FAZ 20. 1. 2005 Der burlesken Gavotte folgten im letzten Satz brillant die nur so dahinjagenden Figuren der Violinen und Holzbläser.
Gaze F. (-; -n), Mitte 17. Jh. entlehnt aus frz. gaze 'Schleier' (< span, gaza, gasa 'durchsichtiges, feines Leinen- oder Seidengewebe', wohl zurückgehend auf arab./ pers. qazz 'Roh-, Flockseide'; vgl. mlat. gazzatum; auch mit Gaza·, dem Namen der Hafenstadt in Südpalästina als Handels- und Umschlagplatz während der Kreuzzüge in Verbindung gebracht), bis ins 18. Jh. auch in (der Aussprache angelehnten) Schreibungen wie Gase, Gaße, auch Gage. Im Textilwesen Bezeichnung für ein dünnes, feines, leichtes, durchsichtiges, locker und weitmaschig gewebtes, flor-, schleierartiges Tuch aus feinen Garnen (Seide, Nessel, Leinen oder Baumwolle; —>· Damast, —»· Flor2, vgl. Kattun, Musselin, Organza,
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Gaze
Tüll), das versteift als Stickereigrundstoff (s. Beleg 1715; vgl. Kanvas, Stramin), als Stoff für Kleider, Vorhänge U.A., in der Bildenden Kunst (s. Beleg 2006), zur Bühnendekoration (s. Belege 1929, 1964, 2003), zum Insektenschutz (s. Belege 1848, 1993) und als medizinisches Verbandsmaterial (s. Belege 1924, 1992; vgl. Mull) Verwendung findet, auch für ein netzartiges Gewebe, das zum Durchsieben/-seihen (z. B. Trennung von Mehl und Kleie) oder für technische Zwecke (Sieb-, Filmdruck, Buchbinderei) gebraucht wird (s. Beleg 1984; vgl. Membran), selten auch bildlich (s. Belege 1649, 1868, 1949); in Wendungen wie ein Stück weißer Gaze, mit Gaze bespannt/bekleidet/überzogen, verhängen/verhüllen, die Arme mit weichzeichnender Gaze umhüllt, hauchdünne Vorhänge aus Gaze flattern von der Decke, eine schwarze Gaze spannt sich vor die düstere Szenerie, eine rote Schleife aus Gaze, glatte, geblümte, gemodelte Gaze, als Grundwort in Zss. wie Aluminium-, Bühnen-, Baumwoll-, Draht-, Fliegen-, Fransen-, Glanz-, Industrie-, Mehrschichten-, Metall-, Moskito-, Nylon-, Seiden-, Steif-, Verbands-, Wischgaze, häufiger als Bestimmungswort in Gazeärmel, -beutel, -drapierung, -fenster, -folie, -gardine/-vorhang, -gewebe, -gitter, -handschuhe, -hut, -kleid, -kulissen, -läppchen, -leinen/-leinwand, -maske, -netz, -pilaster, -röckchen, -schirm, -schleier, -Stoff, -streifen, -tuch, -tupfer, -verband, -Vorhang, -windel, -wölken, -zeit; gazebespannt, -bezogen, -überzogen. Dazu die vom früheren 19. bis ins frühere 20. Jh. gebuchte verbale Ableitung gazieren V. trans, 'mit Flor/Gaze überziehen, verschleiern'. Gaze: Spee 1649 Trutz Nachtigal 113 Schaw da waß reines wasser-glas/ Mit frewden kompt gezogen?/ Waß manche fliessend silber-gas?/ Waß bächlein krum gebogen (BRUNT); Savary 1679 Handels-Mann l 187 Die Seidene Tuch/ und allerhand dünne Zeug/ Crispes, Gazes . . genant/ sind unterschiedlicher Breite (BRUNT); Beurs 1693 D. große Welt (Übers.) 11 Materien, die mehr oder weniger weiß seyn, so viel mehr oder weniger sie kleine Löchlein haben, dadurch sie die Lichtstrahlen können lassen durchstrahlen oder nicht, wie dieses augenscheinlich in dem Kammertuch, Gaße und Nesseltuch zu sehen ist; ebd. 33 insonderheit Leinwandt und noch mehr Floret, Gase; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 624 Gaze-Flohr, oder, Gage, Ist ein von weissen zarten Nestel-Garn oder auch Seide dünn und leicht zusammen geschlagenes Gewebe, sehr starr gemacht, woraus die Fontangen verfertiget werden; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 288 mit einer ausdrücklichen darzu verfertigten silbernen Gaze bedeckt; Zedler 1735 Universallex. X 60 ingleichen heissen die Nähterinnen eben Falls dasjenige weitlöcherigte und dünne flächsene Gewebe Gaze, dessen sie sich zur Stuhlund Teppich-Naht bedienen; Halle 1761 Werkstäte d. Künste l 404 Gazen bestehen aus einem seidnen oder leinen Faden. Eigentlich sind es feine Nezze mit weiten Maschen. Sie sind damasziert, geblümt; Wieland 1769 Grazien (Hl 110) Sie tanzen, umschattet von flatternder Gase; Hermes 1778 So-
phiens Reise VI 11 mit wie viel Thränen welkte ich die Gaze und die Rose an meiner Brust; Wieland 1780 Oberen (W. V 362) Die Gaze, die nur, wie ein leichter Schatten/ Auf einem Alabasterbild,/ Sie hier und da umwallet, nicht verhüllt,/ Scheint mit der Nacktheit selbst den Reiz der Scham zu galten (DiBi 125); Alxinger 1784 Poet. Satire 116 Anm. Halsstreiff ist ein Kunstwort unserer Schönen, womit sie den Streiff Spitzen oder Nesseltuchs (Gaze) bezeichnen, der oben an der Schnürbrust befestiget ist; 1793 Journal d. Moden VIII 99 Trägt eine Morgenhaube ä Transparent, von Cambray oder Gaze mit gestickter Bordüre; Dorothea Schlegel 1801 Florentin 118 Juliane trug ein weißes Kleid von der feinsten Gaze, das in leichten Falten bis zu den Füßen herabfiel (DiBi 125); 1810 Fahnenbergs Magazin 283 Das Gewebe, im Jandel unter der Benennung englischer Tülle, Gaze oder Berliner Trikot bekannt; Bonner Nachrichts- u. Anzeigebl. 3. 10. 1813 Einige weiße Strohhüte haben zugleich farbige Gase und weiße Federn zum Besatz; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. U 128) Blumen von Wachs und Gaze sind bekannt; 1834 Damen-Conversations-Lex. IV 333 Die vorzüglichsten Gazen kommen aus Paris, Lyon, Lilie, Metz etc., ferner aus Harlem und Brüssel (DiBi 118); Heine 1836 Florentin. Nächte (W. u. Br. IV 154) Ich kam nämlich hinter eine Dame zu sitzen, die einen Hut von rosaroter Gaze trug, und dieser Hut war so breit, daß er mir die ganze Aussicht auf die Bühne versperrte, daß ich alles,
Gazette was dort tragiert wurde, nur durch die rote Gaze dieses Hutes sah und daß mir also alle Greuel der „Tour de Nesle" im heitersten Rosenlichte erschienen (DiBi 125); Gerstäcker 1848 Flusspiraten I 18 Gazestoff, aus dem das [Fliegen-]Netz bestand; Marlitt 1868 Geheimnis 63 Du bist die kleine Fee . . wenn du auch nicht auf rosa Gazewolken zu mir hereingeflogen bist; Louise Otto 1876 Frauenleben 66 hellfarbige Shawls, vorzugsweise aus himmelblauer, rosa, lachsfarbener, gelber oder weißer Gaze, welche man „Wolken" nannte. Es waren Duft gewordene Boas, die, mochten sie nun auf Spaziergängen im Winde flattern oder im Ballsaal die ausruhende Tänzerin nur wie mit „gewebter Luft" leicht verhüllen . . in der That einen graziösen Effekt hervorbrachten (DiBi 125); Gottschall 1885 Totenkl. 244 [Nana] die sich für ihre Rolle anzieht. . und zuletzt als Resultat dieser Bemühungen nur in einem leichten Gazeschleier erscheint; Kerr 1896 Er. a. d. Reichshauptstadt 129 Märzveilchen in Hülle und Fülle: aus Gaze auf den Hüten der Damen; Senden 1900 Tänzerin 14 Ein rotes Atlasmieder hob ihre knospenden Formen. Unter demselben quollen die weit abstehenden Gazeröcke hervor — welche die herrlichen, nur mit rosa Trikot bekleideten Glieder frei ließen; Kafka 1914-15 Prozeß (G. W. l 157) als sich die Tür des Direktionszimmers öffnete und dort, nicht ganz deutlich, etwa wie hinter einem Gazeschleier, der Direktor-Stellvertreter erschien (DiBi 125); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. 111 435) mit . . der elementaren Widerstandskraft ihrer Rasse-Weiblichkeit, die über das Elend ihres bräunlichen Körpers triumphierte und noch aus dem weißen Gazeverband, den sie aus irgendeinem schlimmen Grunde um den Kopf tragen mußte, ein kleidsames Kostümstück machte; Voss. Ztg. 3. 10. 1929 Die Leinwand hebt sich, es bleibt der Gazevorhang [vor der Bühne]. Undeutlich blickt man in ein Gemach; Th.
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Mann 1947 Faustus (W. VI 190) Esmeralden, wenig gekleidet, durchsichtig gekleidet, in Tüll, Gaze und Glitzerwerk; Welt 17.11.1949 Überm Fluß schwebt weißlicher Dunst, leichter als Gaze; ebd. 14. 7. 1964 Statt das Drama auf der nackten Bühne frei ausatmen zu lassen, ließ er Versatzstücke aus Gaze auffahren, deren Mauer-Ähnlichkeit mit dem Zauberwerk der Basilika kläglich konkurrierte; Zeit 28. 12. 1984 Der Gedanke, ein Apparat aus Blech, Gaze und ein paar Zahnrädern könne das wertvollste Attribut unserer Spezies, die Denkfähigkeit, imitieren, bedrückte die Zeitgenossen [Edgar Allan Poes]; taz 10. 6. 1992 Sie wissen nicht, daß die Hilfsgüter und Lebensmittel, abgesehen von einem Lastwagen mit Medikamenten, Plasma, Gazebinden und chirurgischen Instrumenten, allein für die UNO-Soldaten bestimmt sind; ebd. 4. 8. 1993 Nützlich seien auch eine Abdichtung der Schlaf- und Wohnräume mit Gaze und die Verwendung von Moskitonetzen; St. Galler Tagbl. 4. 10. 1999 Ratsam sei die Verwendung von . . gekochten Kartoffeln, die man in einem Säcklein oder in einer Gaze zerdrückt und sie anschliessend dem Patienten an der kranken Stelle auflegt; Berl. Ztg. 6. 8. 2001 Das ist kein kalter Fotorealismus, sondern angehaltene Lichtprojektion wie durch zarte Gaze; FAZ 28. 5. 2003 Als grotesk vergrößertes Schattenspiel bannt die Regie das Finale hinter Gaze, bei dem am offenen Sarg über der Leiche der von Clavigo endgültig verlassenen Marie die Degen sprechen; Mannh. Morgen 24. 6.2006 Das Auftragen leuchtender Farbschichten auf einem Gaze-Untergrund verleiht den Bildern eine große Lebendigkeit und Transparenz. gazieren: Oertel 1831 fremdwb. 355 Gasiren, mit Gas überziehen, verschleiern; Genius 1933 Fremdwb. 360 gazieren, verschleiern, mit Gaze überziehen.
Gazette F. (-; -n), Anfang 17. Jh. vereinzelt, seit Ende 17. Jh. kontinuierlich bezeugte Entlehnung aus gleichbed. frz. gazette (< gleichbed. ital. gaz(z)etta/venezian. gazeta (de la novita) als Bedeutungsübertragung von venezian. gazeta (Diminutiv von lat. gaza 'Schatz, Vermögen, Geldsumme'), dem volkstümlichen Namen einer Münze von geringem Wert als dem Kaufpreis, für den man im früheren 16. Jh. in Venedig ein handschriftlich verfertigtes, periodisch von der Regierung herausgegebenes Blatt mit aktuellen politischen und militärischen Nachrichten erwerben konnte), früher in phonetischen Schreibungen wie Gazet, Gasette und (ital. beeinflusst) Gasetta. Zunächst in der Bed. 'wöchentlich gedruckte Zeitung, aktuelles (amtliches) Nachrichtenblatt' (vgl. Magazin, Journal, Bulletin, vgl. veraltetes Aviso, Relation), seit neuerer Zeit auf Medien- und Presseprodukte bes. des Unterhaltungs- und Freizeit-
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Gazette
sektors bezogen für 'spezielle Themen oder Gruppen ansprechendes Blatt (mit geringer Verbreitung)', häufig negativ konnotiert mit „sensationsgierig, unseriös, niveaulos" für 'Klatsch-/Revolver-/Groschen-/Käseblatt, Blättchen, Boulevardzeitung' (vgl. Illustrierte), im PL auch im kollektiven Sinne von 'Blätterwald' (s. Beleg 1985; —» Presse, vgl. Journaille), in Wendungen wie auf die Titelseiten/in die Schlagzeilen der Gazetten kommen/geraten, Hamburger, Münchner Gazette, ausländische, deutsche Gazetten, das Ereignis geisterte/ging durch die Gazetten, jmd. wird durch die Gazetten gezogen/gezerrt, will man den Gazetten glauben, diese Gazette erscheint regelmäßig, einschlägige, renommierte, progressive, seriöse Gazette; als Grundwort konkurrierend mit -magazin, -zeitung/-Zeitschrift und (leicht abwertend) -blattl -blätteren,-illustrierte in Zss. (mit Angaben zu Erscheinungsort, -frequenz, Aufmachung u. Ä.) wie Berlin-, Burda-, Springer-, Leser-, Lokal-/Regional-, Edel-, Gratis-, Hochglanz-, Wochengazette, oft in Verbindung mit Bezeichnungen für Zielgruppen bestimmter beruflicher Sparten, bevorzugter gesellschaftlicher Themenstellungen (Sport, Hobby, Film, Musik usw.), z.B. Fach-, Film-, Finanz-, FrauenVHerren-, Fußball-, Gewerkschafts-, Gourmet-, Haus-/Heimat-, Intelligenz-, Jugend-/Kinder-/Studenten-, Katholiken-, Kultur-/Kunst-, Lifestyle-/Zeitgeist-, Links-/Rechts-, Mode-, Musik-, Partei-, Sport-, Teenie-, Trend-, Truppen-, TV-, Werbe-, Wirtschaftsgazette, häufig abwertend in Zss. wie Billig-, Boulevard-, Ekel-, Flimmer-, Hetz-, Klatsch-, Massen-, Propaganda-, Regenbogen-, Schmuddel-, Tittengazette, seltener als Bestimmungswort in Gazetten-Bericht, -Schwachsinn, Gazetteneintopf, -inserat, -konsum, -lektüre, -markt, -Schreiber, -verkauf. Dazu von Ende 17. bis ins späte 19. Jh. die aus gleichbed. frz. gazetier übernommene seltene Berufsbezeichnung Gazettier M. (-s; -s), auch in frz. Schreibung Gazetier 'Verfasser von Zeitungsartikeln, Zeitungsschreiber', auch 'Zeitungsausträger, -Verkäufer' und leicht abwertend 'Schreiberling' (s. Belege 1806 — 07, 1851; vgl. Skribent}. Gazette: 1610 (Stieve 1881 Zeitungen 233 Anm.) Bei diesem werk aber ist generaliter zu observieren, das man allenthalben spargier, auch in die cassetta [Gazette] mit gueter manier einbringe; Stieler 1691 Stammbaum l 595 Gazetten . . Zeitungen/ relationes, nova nuncia; ders. 1695 Zeitungs Lust 25 Wo das Wort: Zeitung: herkomme? heißt auch Avisen: ingleichen Gazetten, und Couranten. Item Relationen . . Wiewol die Avis-Briefe auch nicht selten blosse Bericht-Schreiben von ein und dem ändern Vorgange seyn/ und also auch den Statsleuten und gemeinen Personen zukommen. Auf Französisch , . werden sie auch Gazetten genennet/ entweder von den schriftlichen Gesprächen und Unterredungen/ oder schimpfsweise von Klappern und waschen; ebd. 75 Es kommet auch nicht selten etwas in die Zeitungen/ davon ein bestelter Diener/ entweder nicht geglaubet hätte/ das es berichtens wehrt sey/ oder hält es etwa gefärlich davon zu schreiben: und dieses schöpfen Fürsten viel freyer aus den offenbaren Gazetten/ welche zuweilen gleichsam Lehrmeister der Sitten und Stats-
Klugheit seyn; Elis. Chart. 1698 Br. l 99 Ihr habt mir letztmahl einen rechten gefallen gethan, die Franckforter gazet zu schicken; Stranitzky 1711 Ollapatrida 284 Es ist einmal Zeit, dass die Zeitung-Schreiber von dem braven Fuchs mundi ihre Gazetten anzufüllen haben; Uhse 1715 Musen-Cabinet 1121 Cupido kam unlängst auff der geschwinden Post,/ Er hatte en passant die ganze Welt besehen,/ Und fleissig remarquirt, was hier und da geschehen,/ Er bracht Gazetten mit aus Nord, Süd, West und Ost; Elis. Charl. 1721 Br. VI 219 Die gazetten toden [töten] die leütte gar leicht, ich fürchte also, daß man mich wirdt todt gesagt haben; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) U 1113 Gazette . . Eine von den kleinsten venezianischen Münzen wird Gazetta genennt: und weil diese der Preis war von den gelehrten Zeitungen, die schon im 16. Jh. zu Venedig in einzelnen Blättern . . verkauft wurden . . so haben hernach alle Zeitungen davon den Namen bekommen. Politische Neuigkeiten dürfen auch heut noch nicht zu Tage in Venedig gedruckt werden, sondern diejenigen, so damit handeln und einen Vortheil zu machen suchen,
Gazette dictiren ihre Nachrichten auf einmal und zugleich an dreyssig bis vierzig Copiisten; 1751 (Bergmann 1913 Maschine 52) wie schon Kenner und selbst die Gazettenschreiber [spöttischer Hieb gegen Lessing] ohnschwer bemerket haben; Wezel 1781 Sprache 157 Die Franzosen bildeten sich nach den Italiänern und Spaniern, und es war eine Zeit, wo man spanische und italiänische Wörter, ohne sie zu nationalisiren, unter das Französische mischte: wer sieht es itzo . . gazette an, dass es einmal . . gazzetta war?; Bayreuther Ztgn. 17. 5. 1791 In unserer Gazette erscheint heute folgendes, zweifelsohne unter Authorität . .; Jean Paul 1822 Loge 145 Ich weiß gewiß, . . daß der Doktor eine Zeitung schreibt, die nicht gedruckt wird, nämlich eine geschriebne Gazette oder Nouvellcs ä la main, wie mehre Residenzstädte sie haben (DiBi 125); Borne 1832 Br. a. Paris (S. Sehr. Hl 128) Die Gazette hier, die über jene Unverschämtheit des belgischen Kongresses auf ihre Art spricht und lästert (DiBi 125); Szarvady 1852 Paris 209 Der Name der Gazette war einem ähnlichen Unternehmen entlehnt, das schon einige Jahre früher unter diesem Titel in Venedig zu Stande gekommen war, und Gazctta hieß eine kleine Kupfermünze, welche man in der Lagunenstadt für diese geistige Kost bezahlte; Marx 1860-64 MEW XV 451 Ohne die Eröffnung des Parlaments abzuwarten, gegen alles ministerielle Vorkommen, veröffentlichte er [Russell] sofort in der amtlichen Gazette . . vom 12. Januar seine eigene Korrespondenz mit Lord Lyons; 1870 Staatswb. XI 283 während es nach den jüngsten Forschungen eine Fabel ist, daß dergleichen Wochen- oder Tagesberichte gegen eine kleine Geldmünze, die 1536 zuerst geschlagene Gazetta, öffentlich vorgelesen worden wären, woher der Name Gazette für Zeitungen stammen sollte; Kleinpaul 1892 Sprache 209 Dass die Zeitungen, die Gazetten nach der Elster, italienisch Gazza, genannt worden seien, weil sie wie Elstern plaudern, ist gewiss eine reizende Vermutung; 1912—13 Pan HI 22 das Fenstereinwerfen als Mittel, die ungebärdigen Gazetten zur Raison zu bringen, ist nicht so recht praktisch; Plenge 1921 Propaganda 51 Die Historiker haben . . nachgewiesen, daß er [Polenkönig Sobieski] besonders gute Beziehungen zu den Gazetteschreibern gepflegt hat. Auch das bekannte Wort Friedrichs II. „Gazetten müssen nicht geniert werden", bekommt eine andere Bedeutung, wenn man es auf seinen Propagandawert beurteilt; Volk. Beoh. 1. 9. 1932 Ich will diese überhebliche Art der Kritik kurz „Gazetten-Kritik" nennen, muß aber sogleich bemerken, daß sie keineswegs nur von Juden ausgeübt wird; 2941 Grundformen 287 In Büchern, Gazetten, Essays und Pamphleten; Münch. Stadtanz. 1. 10. 1959 nachdem die Münchner Gazetten den erhöhten Wies'nbierpreis . . mit Schlag-
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zeilen beleuchtet hatten; Welt 20. 5. 1969 So witzig kann uns Kino kommen, wenn Kino weiß, was die Gazette will; Lenz 1973 Diapositive (W. XV 497) Ein mühsamer, ein geduldiger Weg vom Verbot aller Gazetten bis zur Pressefreiheit; Zeit 1 1 . 1 . 1985 Es ist schon hart für einen Politiker, über Jahr und Tag mit höchst ehrenrührigen Vorwürfen durch die Gazetten gezogen zu werden; taz 13. 8. 1987 Die beiden hanseatischen BoulevardGazetten, die offensiv nach oben strebende Morgenpost und Bild-Hamburg, liefern sich erbitterte Kämpfe; 1993 FAZ o. Nr. Frau Gast, nach ihrer Festnahme als „Agentin aus Liebe" durch die Gazetten gezerrt, ist aus Zuneigung zu einem Mann, der sich als Stasi-Offizier entpuppte, zur Spionin geworden; Mannh. Morgen 24. 4. 1998 Es rauscht mächtig im Berliner Blätterwald, nein, es stürmt richtiggehend: Als die Mannheimer Adler gestern zum . . dritten Finalspiel einflogen, schlug ihnen aus den einschlägigen Gazetten die geballte Gemeinheit entgegen, die eine Stadt bereithält, deren Eishockey am größten Traum seiner Geschichte zu scheitern droht; dpa 28. 6. 2006 Die französischen Gazetten überschlugen sich am Mittwoch in ihren begeisterten Lobeshymnen. . . 'Le Parisien' schrieb: „Riesig! Die Blauen sind wieder da". Gazetcier: Zigler u. Kliphausen 1697 Staats-Phantasien 25 so würden die Gazctiers schon wiederum etwas von Louis le grand zu schreiben bekommen; Elis. Chart. 1704 Br. l 342 Ich habe gleich zu dem gazettier geschickt, so sie so trucken lest, umb mich zu erkundigen, wo er die zeittung her hette; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 275 Gazettier, ein Zeitungs-Schreiber; 1736 (Consentius 1904 Berl. Zeitungen 98) daß den Gazettiers injungiret werden möchte, hinführo mehr Vorsichtigkeit zu gebrauchen, und dergleichen Zeitungen ihren Blättern ferner nicht zu inseriren; Seume 1806—07 Apokryphen (Prosaschr. 1336) Unsere Gazettiers und Pamphletiers sind alle Ächsler und Windfähnler. Mahlmann läßt den 1. Januar 1807 bei der Illumination in Leipzig durch alle Straßen „Es lebe der König" rufen (DiBi 125); Schopenhauer 1851 Parerga (S. W. VI 564) so darf es uns nicht wundern, alsbald einen Zeitungsschreiber den „Einzug einer Pension" berichten zu sehn, — womit er ihre Einziehung meint . . Allein was darf man von so einem Gazettier erwarten, wenn sogar die gelehrten Heidelberger Jahrbücher . . vom „Einzug seiner Güter" reden?; Sanders 1871 Fremdwb. l 431 Gazetier . . Zeitungs-Schreiber; -Händler . . Gazetteer . . Zeitungsschreiber . . auch: Zeitungs-Lexikon (Nachschlagebuch für Zeitungsleser); Schweitzer 1882-84 Moliere U 98 Dieser Gönnerin schrieb er einen so interessanten Reisebericht, dass er gleichsam als Gazetier der vornehmen Welt in Aufnahme kam.
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Gel
Gel N. (-s; -e, ugs. auch -s), Anfang 20. Jh. aufgekommene Kurzform zu —»· Gelatine (vgl. gleichbed. engl./frz. gel). a Fachspr. in der Chemie und Mineralogie für 'gallertartig ausgeflockter Niederschlag aus einer fein zerteilten kolloidalen Lösung auf Wasser- oder Ölbasis, bei dem die dispergierten Bestandteile im Dispersionsmittel in unregelmäßigen Gerüsten angeordnet und miteinander verknüpft sind, so dass das System formbeständig wird' (vgl. Dispersion), speziell in Medizin und Gentechnologie bezogen auf eine für mikroskopische, bakterielle, molekulare o. ä. Untersuchungen bestimmte Trägersubstanz, z. B. auf einem Gel isolierte/getrennte Proben, der Röntgenfilm wird auf ein Gel aufgelegt, als Grundwort in Zss. mit fachspr. Wortbestandteilen wie Acrylamid-, Fluor(-id)-, Polymer-, Silikon-Gel und in neoklassischen Kombinationen wie Aero-, Alko-, Hydro-, Xerogel; auch auf andere Bereiche ausgedehnt und allgemeiner verwendet (s. Belege 1996, 1999, 2000), meist als Bestimmungswort in Zss. wie GelBatterie, -Einlage, -Folie, -Formel, -Kerze, -Polster/-Sattel, -Schicht, -Substanz, -Wachs, vereinzelt als Grundwort in Kerzen-Gel. b Seit den 80er Jahren des 20. Jhs. dann v. a. in der Kosmetik- und Arzneimittelbranche in der Bed. 'creme-/salbenähnlicher, fettfreier, durchsichtiger Kosmetik-/ Hygieneartikel, Arzneimittel zum Auftragen auf die Haut oder die Haare, dessen Wirkstoffe dem Schutz, der Strukturverbesserung oder der Heilung dienen' (—> Creme, —»· Lotion, —+ Pomade), z. B. das Gel enthält keinen Alkohol, zieht schnell ein und fettet nicht, ein getöntes, erfrischendes, entspannendes Gel, ein kühlendes Gel gegen Verbrennungen und Insektenstiche, als Grund- und Bestimmungswort, konkurrierend mit -creme/-lotion/-salbe/-schäum bzw. Creme-/Salben-/ Schaum-, in Zss. wie Akne-, Aloe-Vera-, Anti-Falten-, Bleich-, Bräunungs-, Dusch-, Festiger-, Feuchtigkeits-, Glanz-, Haar-, Insekten-, Massage-, Rasier-, Schutz-, Sonnen-, Zahnputz-Gel; Gel-Auflage, -Behandlung, -Emulsion/-Lotion, -Frisur, -Packung, -Pflaster, -Tube, -Zahncreme, in werbespr. Kontext oft in Verbindung mit engl. Wortbestandteilen (vgl. Aftershave-, After-Sun-, Ice-, Styling-, Wet-Gel; GelFluid, -Pad); dazu seit den 90er Jahren die verbale Ableitung gelen V. trans. '(Haare) mit Gel behandeln, stylen', meist in der adj. Part. Perf.-Form gegelt. Dazu seit früherem 20. Jh. die verbale Ableitung gelieren2 im Bereich der Naturwissenschaft (Biologie, Molekularphysik) für 'ein Gel ausbilden', z. B. Geliermittel/ -stoff 'wasserlösliche, quellbare makromolekulare Substanz, die Gele, hochviskose Lösungen oder Suspensionen bildet', mit dem gleichzeitig nachgewiesenen Verbalsubst. Gelierung2 F. (-; -en) 'Zustandsänderung einer kolloidalen Lösung, bei der die flüssige Phase immobilisiert und ein Gel ausgebildet wird, Gallert-, Gelbildung' (vgl. dagegen Gelierung1, —* Gelee) (zu a), daneben in jüngster Zeit regional (österr. und Schweiz.), gleichbed. mit gelen (s.o.), 'Haare mit Gel behandeln, festigen, bändigen, stylen', z.B. gelierte Frisur (zu b) (vgl. dagegen gelieren1, —+ Gelee). Gel a: Vageier 1909 Bodenkunde 15 Sie sind in Gel- oder Koagelform entweder für sich oder zwischen den gröberen Korngrößen gelagert (DWDS); ebd. 35 Ganz besonders ist das im trockenen heißen Klima der Fall, wo der Wasserverlust in dem Gestein vorhandener Gele die Lockerung der Gesteine unterstützt (DWDS); Hammarsten 1922 Lehrb. d. physiol. Chemie 13 Die hydrophilen Kolloide gelatinieren oft beim Abkühlen, das Gel ist
wieder in Wasser löslich; Oppenheimer 1933 Lebensvorgänge 22 Die Hauptvalenzketten bilden „Fransen", die . . bewirken, daß die . . durcheinanderliegenden Micellen ein scheinbar amorphes Gel bilden; Strübel 1971 Mineralogie o. S. Es handelt sich hierbei in den meisten Fällen um eingetrocknete Gele, d. h. kolloidale Lösungen, die im Verlaufe von Jahren bis Jahrmillionen gealtert und fest geworden sind; Hübscher 1982 Gentechnolo-
Gel
gie o. S. Ein 610 Basen langes DNS-Stück . . wurde anschliessend durch Elektrophorese auf einem Agarose-Gel isoliert; Gassen/Köhler 1985 Chem. Synthese o. S. Diese Methode hat den Vorteil, daß 6 — 10 Proben gleichzeitig auf einem Gel getrennt werden können . . In dem als „molekulares Sieb" wirkenden Gel wandern jedoch die kleineren Fragmente weiter als die großen. Anschließend wird ein Röntgenfilm auf das Gel aufgelegt, der von den radioaktiv markierten DNA-Fragmenten geschwärzt wird; 1989 Fachlex. ABC Fossilien 19 Amorphe natürl. Bildungen sind erstarrte . . Gesteins- u. Mineralschmelzen sowie Gele; das sind bei der Entwässerung u. Ausflockung von Lösungen entstehende geleeartige Massen, die bei weiterer Austrocknung breiartig u. fest werden; Salzb. Nachr. 11.10.1991 Zwei italienische Forscher konnten jetzt nachweisen, daß solche Gele schon mit einfachsten Chemikalien herstellbar sind, die bereits den Alchimisten des 14. Jahrhunderts bekannt waren; Tiroler Tagesztg. 31. 10. 1996 Das grüne Gel, das sich amorph über den Boden ausbreitet, verändert seine Form und Konsistenz mit dem Verlust des Wassers. Objekte mit schwarzer oder transluzenter Seife bezeugen die jüngste Obsession des Künstlers; Frankf. Rundsch. 11. 12. 1999 Es gibt sowohl transparentes Kerzen-Gel als auch Gel in verschiedenen Farbtönen, die aber trotzdem transparent wirken. An Stelle des eingefärbten Gels kann man im Hobbyfachhandel auch spezielle Wachspastillen zum Einfärben des transparenten Wachses kaufen; Presse 26. 2. 2000 Tanzende Gele und Wabbel-Maschinen (Überschr.) In Randbereichen der Gel-Technologie gibt es bereits serienreife Produkte: So ist seit 1996 in den USA eine Schuhsohle mit eingeschlossenem Gel auf dem Markt, die bei Umgebungstemperatur weich ist, sich bei Körpertemperatur aber verfestigt. gelieren2: Popov/Gleisberg 1930 Zellstimulattonsforschungen 111 504 [Weil in] allen Versuchs- und Kontrollgläsern die Lösungen gelierten, wurde je 25 ccm Wasser zugefügt und Auflösung und Gelierung wiederholt; taz 9. 4. 1996 Die Arbeiterinnen spritzen oder drücken eine farblose Kunststoffmasse in eine metallene Gußform, die bei 220 Grad Hitze in einem Ofen so lange geschleudert wird, bis die Masse geliert. Gelierung2: 1938 Zs. f. Krebsforschung XLV11 167 Gallertbildung wird gefunden bei Blut von Neugeborenen . . Von anderen Körperflüssigkeiten zeigt stets Eiter Gelierung; Lehmann 1945 Physiolog. Embryologie 86 daß der folgende Teilungsschritt dann unterdrückt werden kann, wenn die Behandlung vor dem Höhepunkt der Gelbildung einsetzt. Zentrifugierungsversuche zeigten zudem, daß die
115 Gelierung der colchicinbehandelten Eier wesentlich geringer ist als die der normalen Eier; 1989 Brockhaus V 254 Gelierung . . Zustandsänderung einer kolloidalen Lösung . . bei der durch Ausbildung eines dreidimensionalen, lockeren Netzwerks aus Geliermittelmolekülen die flüssige Phase immobilisiert und ein Gel ausgebildet wird; Salzb. Nachr. 19.7.1999 Gelatine gegen Ölteppiche (Überschr.) Bei einem auf dem Wasser treibenden Ölfilm wird die Gelierung schwierig . . Diese Anforderungen erfüllt die Duisburger „Ölgelatine". Gel b: Mannh. Morgen 30.4.1982 Abends zum Ausgehen tragen Männer auch immer mehr getönte Gels auf, damit sie neben ihren Damen nicht so blaß aussehen (DUDEN 1999); Zeit 18. 4. 1986 du wirst immer gepflegter oder knallst dir auf einmal wahnsinnig viel Gel ins Haar; Mannh. Morgen 3. 9. 1987 Blend-a-med Gel, Blendax Anti-Belag; taz 18. 5. 1990 Sie zwängt sich in hautenges Leder, schmiert sich Gel ins Haar und vergißt auch den knallroten Lippenstift nicht; ebd. 5. 6. 1992 AfterSun-Gels: Delial Apres Gel und Ambre Solaire Apres Cooling Gel „sehr gut"; Presse 9. 7. 1994 Karies-Prophylaxe mit Zahnpasten und Gels; Mannh. Morgen 13. 9. 1998 Ein Wund- und Desinfektionsmittel sollte ebenso wenig fehlen wie ein Gel bei Verbrennungen, ein antiseptischer Wundpuder und ein Mittel bei Insektenstichen; Sf. Galler Tagbl. 11.4.2001 mit einem unglaublichen Arsenal an Lotions, Cremes, Gels, Moisturizers. gelen: taz 26.5.1994 das hanebüchen Groteske der Cowboy-Präsentation — außerordentlich miese Musik, abartig spitze Schuhe und gegelte Haartollen; Neue Kronen-Ztg. 7. 4. 1998 Das Schöne am Haar ist, man kann so ziemlich alles mit ihm modisch machen: färben, fassonieren, lacken, kräuseln, glätten, pudern, bleichen, fönen, wellen, flechten, frisieren, fetten oder gelen; taz 15. 7. 1998 Der 23jährige trägt seine Haare leicht gegelt, im Ohr einen Ring und das Hemd gerne offen; ebd. 19. 8. 2000 Frisch geduschte, nass gegelte, durchgestylte Mitarbeiter in den klimatisierten Räumen ihres Bürogebäudes aus Glas und Stahl; ebd. 11. 12.2001 flüstert eine Wasserstoffblonde ihrer gegelten Freundin zu; Hamb. Morgenpost 29. 7. 2006 Mit quietschenden Reifen hält der tiefergelegte BMW an der Ampel. Aus den Fenstern hängen lässig die Arme von zwei kaugummikauenden, gegelten Halbstarken. Sie fühlen sich unwiderstehlich. gelieren2: taz 9.6.1995 Langsam tröpfelten gelierte Gestalten ein, der Saal füllte sich sehr zö-
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gernd, der Schlußapplaus war schlapp; Tiroler Tagesztg. 2. 5. 1998 „Hupo" Neuper fährt sich derweilen gelassen durchs gelierte Haar und smalltalkt mit Toni Innauer; Züricher Tagesanz. 6. 6. 1998 und zwei skrupel- und geschmacklosen Mo-
deratoren. Das waren der gelierte Christoph Grissemann und sein bärtiger Kumpan Dirk Stermann; St. Galler Tagbl. 29. 10. 2001 Auch ein paar tiefer gelegte Hosen waren zu sehen und durchaus geschmackvolle Kleidung und gelierte Frisuren.
Gelatine F. (-; vereinzelt -n), seit dem 16. Jh. (PFEIFER) selten (als Alchimistenwort lat. gelatina 'Gallertstoff') nachgewiesene, Anfang 19. Jh. unter Einfluss von frz. gelatine neu aufgekommene gelehrte Bildung nach gleichbed. ital. gelatina bzw. mlat. gelatina (diminutive Weiterbildungen von ital. gelata bzw. lat. gelata, subst. Part. Perf. F. von ital. gelare/lat. gelare 'gefrieren, erstarren (lassen)' zu gelü 'Eis, Frost', —>· Gelee, vgl. Gallert(e)), bis ins 18. Jh. in lat. (fielet.) Formen wie Gelatina, Galatina und in der Form Galatine. Alchimistischer Terminus entsprechend älterem Gallert(e) in der Bed. 'gallertartiger Extrakt, geronnener Dick-, Klebsaft; Sulz' als Bezeichnung für eine aus kollagenen tierischen Bestandteilen (Knochen, Häuten, Knorpel- und Bindegewebe) gewonnene leimartige, färb- und geschmacklose Substanz, die in gereinigter (zu Tafeln getrockneter) fester Form v. a. in der Küche zum Binden und Eindicken von Speisen und Säften (vgl. Grütze, Jus, Sago, —» Gelee) verwendet bzw. in der Nahrungsmittelindustrie den Produkten als Flockungs- und Verdickungsmittel (vgl. Stabilisator, Emulgator) zugesetzt wird, aber auch bei der Herstellung von pharmazeutischen/kosmetischen Produkten (s. Belege 1997, 2001; -> Gel), von Filmmaterial (s. Belege 1989, 2000) u. Ä. als Bindemittel oder Trägerstoff sowie (im ungereinigten Zustand) als Leim/Klebstoff Verwendung findet; in Wendungen wie aus tierischem Gewebe gewonnene Gelatine, zwei Blatt rote Gelatine in kaltem Wasser einweichen und auflösen, Gelatine darf nicht aufkochen und keine Klumpen bilden, Gelatine für Industriezwecke, mit Hilfe von Gelatine aneinander geklebt/voneinander gelöst, mit Gelatine bedeckte Folie, aus zerkleinerter Rinder-/Schweinehaut und -knochen gewonnene, hergestellte Gelatine, chinesische/japanische Gelatine (vgl. Agar-Agar), in Zss. wie Blatt-, Bromsilber-, Chrom-, Fisch-, Rinder-/Schweine-, Silber-, Speise-, Zuckergelatine; Gelatineblatt/-tafel, -block, -bonbon, -erzeugung, -export, -fabrik, -film, -form, -hersteiler, -kapsei 'zur Einnahmeerleichterung mit Gelatine überzogene Tablette, die sich im Magen auflöst und das Medikament freigibt', -kugel, -papier, -präparat, -produkt, -pudding, -schäum, -Schicht, -speise, (in der Fotografie:) Gelatine(-Silber)-Print/-Druck, -Verfahren; gelatinebeschichtet, -gehärtet, -haltig, gelegentlich als Bezeichnung für die damit hergestellte Speise (vgl. Grütze, Pudding, Wackelpeter), z. B. eine erfrischende Gelatine aus Grapefruit und Blaubeeren, bildlich auf Lebewesen (s. Beleg 1913), Substanzen von gelatineartiger Konsistenz (s. Belege 1939, 1968; vgl. Gelatinesprengstoff; Sprenggelatine), künstlerische Darbietungen u. Ä. (s. Beleg 1996.2) bezogen, in jüngster Zeit auch (im Zusammenhang mit der Diskussion um mögliche Verseuchung mit Krankheitserregern; vgl. BSE, Rinderwahnsinn) gelegentlich negativ konnotiert (s. Belege 1994,1996.1), z. B. unappetitlich hergestellte, verunreinigte, gammelige Gelatine, die Befürchtung, sich über Gelatine zu infizieren, Exportverbot für Gelatine, aus Gelatine hergestellte Gummibärchen sind für Moslems tabu; Gelatine-Freigabe. Dazu seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung gelatinös (vgl. frz. gelatineux) 'in der Art von Gelatine, gallertartig'; seit frühem 19. Jh. die verbale Ableitung gelatinieren
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neben heute veraltetem, eventuell frz. beeinflusstem gelatinisieren V. (in)trans., bes. in Chemie und Gentechnologie '(zu Gelatine) erstarren, gerinnen; (eine fein zerteilte Lösung) in Gelatine verwandeln', oft als adj. verwendetes Part. Perf. oder Präs., z. B. gelatinierte Lösung, Oberfläche, gelatinierter Sprengstoff; gelatinierende Substanz; Mitte 20. Jh. vereinzelt bezeugtes Gelat N. (-s; -e) 'durch Gelatinieren entstandenes Produkt'. tine gefertigten Kügelchen; Zeit 4. 1. 1985 die glibGelatine: Henisch 1616 Teutsche Sprach 1340 Galberige Gelatine wird, erkaltend, wie dunkles leren/ Sulz/ gelatina; Stieler 1691 Stammbaum 596 Gummi und läßt sich, das Kunstwerk negativ beGallerte/ Gallerey . . Gallret/ . . Kalbsgallerte/ gewahrend, aus ihrem Gipscontainer lösen. Liefert latina vitulina, Schweinsgallerte/ gelatina suilla; Podagra 1721 Apothekertod 178 die virtutes beste- der Künstler aber ein Gipsmodell an, muß man auf Gelatine verzichten, weil ihre Feuchtigkeit den hen in der gelatina — sieden biß man eine gelatinam zu wege bringet; Steller 1774 Kamtschatka Gipskörper angriffe; taz 10. 9. 1988 Joghurtdessert: 450 Gramm Joghurt, 60 Gramm Zucker, 3 325 Die Kurillen und Einwohner von Lapatka . . Blatt Gelatine, Saft von einer Zitrone, 2 Eigelb; kochen die Haut von Krasna riba unter beständigem Umrühren, so lange, bis sich alles in eine halb ebd. 18. 8. 1989 In seinen Photographien auf Gelatine- und Silber- oder Platinum-Schichten werden durchsichtige Gelatinam aufgelöset, . . giessen es Hände, Schädel und Leiber zu verwitternden Dindarauf in hölzerne Schaalen, und lassen es in der Kälte gerinnen; 1779 Hermet. A. B. C. IV 152 Was- gen; ebd. 8. 1. 1994 Uns droht weit größeres Ungemach als ein . . Bericht über unappetitlich hergeser Fett und Salz machen durch kochen eine gelatinam; Klaproth 1807 Ghent. Wb. U 375 Gelatine, stellte Gelatine; ebd. 26. 3. 1996 Eine Verseuchung Kocht man thierische Substanzen, als Haut, die der eßbaren Tierchen mit Rinderwahnsinnerregern man von den Haaren und dem anhängenden Blute sei ausgeschlossen. Die in Europa angebotenen sorgfältig befreiet hat, kleingestoßene Knochen Weingummiteile würden nur mit aus Schweinen u.s.w. mit reinem Wasser; Berzelius 1827 Lehrb. gewonnener Gelatine hergestellt; Kleine Ztg. d. Chemie (Übers.) III 1,533 Wird dagegen die mit 28. 10. 1996 Gescheites von bedeutenden Köpfen kaustischem Ammoniak und Copal erhaltene Geund überraschend denkbegabten Promis in schluckbarer Gelatine von feiner Musik; öberlatine mit Alkohol vermischt, so löst sie sich augenblicklich zu einer wasserklaren Flüssigkeit österr. Nachr. 10. 4. 1997 bei der Vorbeugung und auf; Heyse 1838 Fremdwb. I 446 Gelatine . . Dick- in der Therapie von Arthrose . . Wasserpolster saft, Gallerte, Geronnenes; 1846 Handwb. d. Phy- statt Gelatine; Berl. Ztg. 15. 9. 1999 Die Gelatine siologie III 1,682 Gelatine (Glutin, Gallert, Leim) stützt die beiden alten Papierschichten, zwischen (Übcrschr.) Es giebt keinen Nahrungsstoff, dessen die ein hauchdünnes Papier eingezogen wird, bevor Beziehungen zur Ernährung man so häufig auf exdie Originalseiten wieder zusammengefügt werperimentellem Wege geprüft hätte, als die Gelatine; den. Danach wird die Gelatine ohne Beschädigung Schandri 1866 Kochb. 334 Die Hausenblase oder des Dokuments entfernt; Frankf. Rundsch. 4. 12. Gelatine kann, wenn man z. B. des Nachmittags 1999 es blubbern Soßen und Fonds, Gelatinen, Kudie Creme bereitet, schon des Morgens gekocht vertüren; Presse 8.1.2000 Die lichtempfindliche werden . . Wenn man die aufgelöste Hauscnblase Schicht eines Filmes besteht aus feinen Silberbroeinmal in die kalte Masse gegeben hat, muß man mid-Kristallen, die in eine Trägerschicht - klasbeständig rühren . ., da namentlich die Gelatine sisch Gelatine, heute Kunststoffe — eingebettet sehr schnell sülzt; Haeckel 1913 Lebenswunder sind; Mannh. Morgen 17.2.2001 Auch Medika181 Gelatin-Coenobien; Barnes 1933 Lebensrnittel- mente gegen Gelenkbeschwerdcn oder Blutersatzlex. 32 f. Cremepulver, bestehend aus Mehl und stoffe basieren auf Gelatine. Stärkemehl mit Fruchtaroma und anderen aromatischen Zusätzen . . sowie Eipulver und Gelatine; Gelat: Süddtsch. Ztg. 3. 8. 1956 hätte die FlüssigDomimk 1939 Land 210 Nicht einfache Bohrlökeit die merkwürdige Eigenschaft, sich im Magen cher hatte man diesmal in das Gestein vorgetriesofort zu einem Gelat zu verdicken und ihn für ben, sondern geräumige Sprengkammern aus dem Stunden zu beschäftigen, so daß kein HungergeFels herausgearbeitet, in die nun Sprenggelatine im fühl aufkommen könne. Gewicht nicht mehr von Kilogrammen, sondern von Tonnen eingebracht wurde; Welt 1.8.1949 gelatin(is)ieren: 1820 Journal f. Chemie u. Physik Gelatine für Industriezwecke; Lenz 1968 DeutschXXX 319 Die Stücke lösten sich . . auf, der größte stunde (W. VI 463) das zufällige Muster der graugrünen, hier und da angequetschten, wie aus Gela- Theil derselben aber wurde von der gelatinirenden
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Kieselerde zurückgehalten, welche dadurch aufschwoll und voller Blasen wurde; 1826 ebd. XLVIl 83 das Zusammenbacken des Pulvers, in Folge der in geringer Menge darin vorhandenen, gelatinisirenden Kieselerde, machte aber die Hülfe der Wärme nöthig; Heyse 1838 Fremdwb. I 446 gelatinisiren, sich in Gallerte verwandeln, gerinnen; A. f. Humboldt 1845-50 Kosmos I 264 Basalt mit Olivin und in Säuren gelatinierenden Bestandteilen; Sanders 1860 DWB I 571 gelatinieren .. zu Gallerte werden; Hammarsten 1922 Lehrb. d. physiol. Chemie 13 Die hydrophilen Kolloide gelatinieren oft beim Abkühlen, das Gel ist wieder in Wasser löslich; Genius 1933 Fremdwb. 360 gelatinisieren . . zu Gallerte werden; Nagl 1987 Gentechnologie o. S. Die Zellen werden entweder wie Bakterien in Flüssigmedien (= Suspensionskulturen) oder auf Nährböden, die durch gelatinierende Substanzen verfestigt wurden, gezogen; Zeit 21. 7. 1995 sorgt das Verfahren dafür, daß Eiweiße gerinnen und Stärke gelatiniert. Rohe Eier werden hart und harte Reiskörner weich, aber nicht matschig, weil der Druck von allen Seiten gleich stark ist; Frankf. Rundsch. 13. 3. 1997 Die Absicht des Fotografen liegt darin, „Dinge und Vorgänge des Alltags aufzuzeichnen", und das so direkt wie möglich. Also traktiert Marco Breuer die gelatinierte Oberfläche mit einem elektrischen Schleifgerät oder mit den haarfeinen Schnitten von Rasierklingen, ohne sie jemals dem Licht auszusetzen; Vorarlb. Nachr. 15.10.1997 Geradezu bescheiden mutet im Vergleich dazu die Menge von 80 Gramm Nitroglyzerin und Nitrozellulose in gelatinierter Form an, mit denen sich der Entschärfungsdienst . . jüngst befaßte. gelatinös: Schmucker 1774 Chirurg. Wahrnehmungen l 53 auf der linken Hemispheric Cerebri eine
weiße, gelatinöse Materie; Hufeland 1797 Kunst 309 Der Genuss gelatinöser, bindender, eisenhaltiger Nahrungsmittel; Schleidan 1844 Archiv, d. Pharmazie 304 Bei verdünnterer Säure wird das Korn allmälig durchsichtig, gelatinös, quillt auf; 1846 Handwb. d. Physiologie III 408 Andere Fasern, welche neben den eigentlichen Nervenfasern im N. sympathicus vorkommen, die s. g. organischen, gelatinösen . . Fasern; Hofmann 1875 Entw. d. ehem. Industrie 651 Die aus Alaun durch Ammoniak gefällte Thonerde ist gelatinös; ebd. 675 die Natriumcarbonatlösung wird so, vollständig durch nachheriges Waschen und ausschleudern, von der Thonerde getrennt, welche, mehr pulverig als gelatinös, zurückbleibt; Wiesner 1892 Elementarstructur 164 mit der Zeit wird die ganze Pilzmasse gelatinös; 1915 Zs. f. anorg. Chemie 260 Der Niederschlag war so gelatinös, dass es schwer hielt, die Chloride völlig auszuwaschen; 1930 Archiv f. klin. Chirurgie 592 Die infiltrierenden Krebsstränge sind mäßig dick, meist adenomatös und vielfach gelatinös entartet; 1969 Chem. Zentralbl. 331 Nachdem diese durch mehrere Stunden auf die Masse gewirkt hat, ist der größte Teil der Kieselsäure abgeschieden, und zwar durch die längere Einwirkung der Säure mehr pulverartig als gelatinös; Zeit 6. 1. 1987 Die einzelligen Grünalgen in der gelatinösen Eihülle erweisen sich als dankbare Untermieter; sie versorgen den Laich des Querzahnmolchs mit Sauerstoff; Mannh. Morgen 12. 11. 2004 Ich wußte, daß die Kantonesen gern gelatinös beschaffene Sachen essen, die für einen europäischen Gaumen praktisch geschmacklos sind. Inzwischen schätze ich diese Küche; taz 4. 2. 2006 Ein Pörkölt braucht Zeit, drei bis vier Stunden mindestens .. Die Fleischbrocken sollen am Ende nicht al dente, sondern aufgeweicht und gelatinös sein.
Gelee N. oder M. (-s; -s, früher auch -n), Mitte 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. gelee (< lat. gelata 'Gefrorenes; Geronnenes, Gallert(e)', subst. Part. Perf. F. von gelare 'ge-frieren (machen), gerinnen (lassen), verdicken, zum Erstarren bringen' (vgl. provenzal. gelada, ital. gelata), zurückgehend auf gelü 'Frost, Kälte; Eis'; vgl. Gallert(e), —»· Gel, —» Gelatine), zunächst F., erst im 19.720. Jh. N. (wohl nach dem Genus von Gefrorenes), anfangs vereinzelt in der Schreibung schelet und bis heute auch in der frz. Schreibung. Als Fachwort der Kochkunst in der Bed. 'durch eigene oder zugesetzte Gelier- und Verdickungsmittel in halbfesten, gallertartigen Zustand versetzter Frucht- oder (seltener) Fleisch-/Knochensaft' (—* Gelatine, vgl. Gallert(e), Gsälz, Sulz), bes. 'als Brotaufstrich, Füllung von Backwaren o. Ä. verwendete Süßspeise aus mit Zucker eingekochtem, eingedicktem Fruchtsaft, der durch Erkalten infolge der enthaltenen Pektinstoffe zu einer Masse von halbfester, durchsichtiger Konsistenz gerät' (—* Konfitüre, —»· Marmelade; vgl. Aspik, Glace, Spiegel, volkstüml. Pudding, Wackelpeter,
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Kompott, Mus), früher vereinzelt auch 'Gefrorenes; Speiseeis' (s. Belege 1793, 1831, 1863), in Wendungen wie Obst entsaften und zu Gelee verarbeiten, Gelee in eine Form einfüllen, fest werden lassen und stürzen, selbst eingekochte Gelees, Hering/ Aal/Schinken in Gelee, zittriges/glibbriges/wabbeliges Gelee, insbes. im frz. Syntagma Gelee Royal(e) (eigentlich 'königlicher Saft') als Bezeichnung für eine vitaminreiche (auch diätetischen oder kosmetischen Produkten zugesetzte) Substanz, mit der die Königinnenlarve eines Bienenvolks aufgezogen wird, auch in Zss. wie Apfel-/Himbeer-/Johannisbeer-/Quitten-, Frucht-/Obst-, Rotwein-, Wabbel-, Zuckergelee; Geleebonbon, -form, -fruchte, -glas, -konfekt, -kügelchen, -masse, -probe 'Verfahren zur Prüfung der Festigkeit bei der Zubereitung von Gelee', -produktion, -schicht, -skulptur, -speise, -Zubereitung; geleeartig, -gebunden, gelegentlich (scherzhaft) bildlich verwendet (s. Belege 1877, 1988, 1989, 1994, 2000), bes. in Zss. wie Gelee-Gesicht; Paragrafengelee 'Sumpf von Paragrafen'; in jüngster Zeit auch, konkurrierend mit —» Gel, im kosmetischen oder medizinischen Sinne (auf Substanzen ähnlicher Konsistenz) übertragen und allgemeiner gebraucht (s. Belege 1993, 1995, 1999; vgl. Glyzerin), z.B. Geleefrisur/-haar, -kerze; Fluorid-, Blut-, Gas-, PlasmaGelee. Dazu die im 19. Jh. gebuchte, im früheren 20. Jh. vereinzelt, erst seit den 80er Jahren häufiger belegte, eventuell über frz. geler 'zum Gefrieren bringen; gefrieren, steif werden' auf lat. gelare (s.o.) zurückgehende verbale Ableitung gelieren1 V. (in-) trans., zunächst gebucht in der etymologischen Bed. 'gefrieren (machen)' (s. Beleg 1863); dann in der Bed. 'zu Gelee erstarren, zu Gelee, halbfest werden; zum Erstarren bringen, verdicken (insbes. in der Lebensmittelverarbeitung)' (vgl. dagegen gelieren2, —» Gel), z.B. Stachelbeeren gelieren hervorragend, sobald das Erdbeerpüree zu gelieren beginnt, soll man die Masse kaltstellen; Gelierkraft, -probe, -zucker 'Zucker mit Zusatz von Pektin, Wein- und Zitronensäure zur Herstellung von Konfitüren und Gelees', gelierfähig; oft als adj. Part. Perf. geliert, z.B. gelierte Schweinszunge/ Pastete, oder Part. Präs, gelierend, z. B. die gelierende Masse, gelierende Pflanzenstoffe; mit dem seit den 40er Jahren des 20. Jhs. nachgewiesenen Verbalsubst. Gelierung 1 F. (-; -en) 'Verdickung von Speisesäften (zu Gelee)' (vgl. dagegen Gelierung2, —»· Gel a). Gelee: Duez 1652 Nomencl. 33 Escorces de citrons & d'oranges confites, eingemachte citronen vnd pomerantzen schelet; ebd. 72 Escorces d'orange ou de citron confutes, eingemachte pomerantzen oder citronenschelet; Elßholtz 1682 Diaeteticon 275 Gelee oder Galret von Citronen (BRUNT); Amaranthes 1715 Frauenzitnmerlex. 641 Gelee, Ist ein gestandener Safft, der aus Fleisch, Elffenbein, Hirschhorn, Hünern, Capaunen, Kälberfüssen und ändern cartilaginösen Theilen der Thieren etc. gekochet, hernach auf vielerley Art und Weise gefärbet und bey ändern Essen mit aufgetragen wird; ebd. 643 Wenn die Gelee nun in völligen kochen ist, dann schüttet den geschlagenen Eyerschnee hinein, rühret solchen im Tiegel wohl um, und lasset die Gelee [!] noch einen Sud thun; Marperger 1716 Küchendict. 358 Galreten, Geleen, oder Sultzen: Diese machet man gemeiniglich von Kälber-
Füssen; Lünig 1720 Theatrum ceretn. II 1458b Gelees von allerhand Couleur; Rohr 1728 Zeremoniellwiss. I 456 ein Frauenzimmer verlangt von ihm, er soll ihr etwas von der Gelee u. s. w. reichen; Zedler 1735 Uniuersallex. X 724 Die also gefärbten Geleen werden bißweilen zur Zierrath auf einander gegossen, welches, man mag sie nun in Porcelain-Gefässe, oder in Gläser bringen wollen, auf folgende Art geschehen muß; Wezel 1776 Tob. Knaut IV 128 So bilde dir doch ein, dass Eicheln nichts schlechter als Geleen und Creme sind; Looft 1781 Niedersächs. Kochb. 55 Gallert oder Gelee; ebd. 57 Mandel-Gelee; Jean Paul 1793 Unsichtb. Loge (W. I 315) Damen, welche . . sowohl die Süßigkeit als die Kälte der Geleen haben (DiBi 125); Kotzebue 1795 Armuth I 4 Ein grosses Fest? . . so kann ich den Kalbsbraten nicht brauchen. Aber ich habe noch einen Auerhahn im Essig liegen . . Da
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Gelee
muss ich Gelee auf die Tafel setzen; Kortutn 1799 Jobsiade 49 Für Citronen, Geleen und Confituren,/ Zur Stärkung kranker und schwacher Naturen; Goethe 1809 Br. (WA IV 21,81) Könntest du mir eine Liebe thun, wenn du mir Kalbsfüße in Gelee, die nicht gar zu sauer wäre, schicktest; ebd. 24,280 allerley gute Fische in Gelee aufbewahren; Oertel 1831 Fremdwb. 356 Gelee 1) eig. Gefrornes, eßbares Eis, s. unten Glace, 2) Gallerte, elastischer od. spannkräftiger Dicksaft, Sülze; Neudecker 1853 Köchin 354 Gelee zu machen; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 315 Gelee . . Gefrornes, Geronnenes; Kürnberger 1877 Herzenssachen 155 Hauffs Roman [„Lichtenstein"] wurde wie Creme und Gelee vernascht, wurde Putzbuch, Cadeaubuch, Mädchenbuch; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 87) demütigte Mademoiselle Popinet mit einem Blicke, wenn diese im Begriffe stand, sich alles Gelee des kalten Kalbsbratens anzueignen; Zemter 1923 Gesundheit 26 Gelee. 20 g Isländische Flechte werden mit 3/4 Liter Wasser l bis 2 Stunden langsam gekocht, dann der Saft einer Apfelsine zugefügt, worauf man es erstarren läßt; Werfet 1928 Abituriententag 147 wenn er vor dem Ladentisch der Confiserie stand und ihm der Geruch von Schokolade, Creme, Fruchtgelee, Butterteig entgegenschlug; Barnes 1933 Lebensmittellex. 67 Gelee, gallertiger Frucht- oder Fleischsaft. Sülze. . . Geleefrüchte . . werden aus Obstgelee und Geliermitteln hergestellt; Munch. N. N. 10. 10. 1936 Absatz von Marmeladen hat nachgelassen . . eine Folge der verhältnismäßig guten Beeren- und Pflaumenernte . . Die Geleeproduktion sei in den meisten Fabriken geringer; Dtsch. AZ. 18. 8. 1955 Früchte, welche kein Gelee geben, sind zu reif. Beim ersten Reifen erhalten sie eine Pectase genannte Substanz, die nach dem Erhitzen beim Erkalten fest wird; Weltwoche 1. 5. 1959 Gelee Royale (auch Milch aus dem Bienenstock genannt); Grass 1962 Blechtrommel 129 Aal in Gelee, Rollmöpse, Bratheringe; Lenz 1978 Heimatmuseum (W. Vlll 167) Das begann mit niederen Wundermitteln wie Salbe gegen wundgelaufene Füße, Gelee gegen den erlaufenen Wolf, Saft gegen Erkältung und Fieber — Arzneien also gegen ganz gewöhnliche Heimsuchungen einer beweglichen Armee; Mannh. Morgen 27. 9. 1985 wurden . . Kinder in richtiger Ernährung, Mundhygiene und dem Einbürsten von Fluoridgelee unterrichtet; taz 30. 6. 1988 Eine halbe Stunde wird heute abend zu hören sein, was junge Leute von Politikern halten, wobei hoffentlich offene Worte nicht wieder in den wabbeligen Gelee von Beschwörungsformeln fallen; ebd. 26. 8. 1989 Beine in Gelee (Überschr.) . . zeugt das Berliner Tanztheater Rubato von der Entdeckung der Langsamkeit. Als wäre der Bühnenraum ein Gelee, in das man sich langsam hineinarbeiten muß; ebd. 16. 7. 1993 Die großen Ge-
winner der Ozonloch-Diskussion sind die Hersteller von Sonnenschutzmitteln. . . Cremes, Gelees und Lotionen, die gegen die gefährlichen UVStrahlen schützen sollen; Presse 27. 4. 1994 Wie in Gelee gepreßte Rock- und Volksmusik; taz 10.8.1995 Das Berliner Kunstblut gibt es in Kissen und Kapseln, als Gelee, zum Aufschäumen mit Speichel im Mund; ebd. 18. 12. 1999 Es gab viel Selbstgebasteltes, Waffeln und komplizierte Kerzen in Gelee in Gläsern mit Figuren drin; taz 12. 10. 2000 Haltlos schräge Puddingvarianten . . Leonid Lipawskis blutig-poetischer Zitter-Gelee im monsun theater; Mannh. Morgen 6.12. 2001 Zitronensäure ist das weltweit am häufigsten verwendete Säuerungs- und Konservierungsmittel. Es wird in alkoholfreien Getränken und Konfitüren, Gelees und Gelatine-Süßspeisen sowie in Frucht- und Gemüsekonserven eingesetzt. gelieren1: Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 315 geliren . . gefrieren machen; gefrieren; 1918 Veröff. Militär-Sanitätswesen XXV 54 Es bestätigt sich also die früher gemachte Behauptung, daß stark gelierende Stoffe weniger schnell einer Gärung ausgesetzt sind. Neben dem Zuckergehalt bedingt also die Festigkeit die Haltbarkeit einer Marmelade; Bames 1933 Lebensmittellex. 67 Gelees nennt man meist eingedickte (gelierte) Auszüge von frischen auch getrockneten (Aprikosen) Früchten mit Zusatz von Zucker und bisweilen Gelierstoffen (Pektin) . . Äpfel und Quitten sind reich an gelierfähigen Stoffen (Pektinstoffen) und werden daher anderen Früchten bisweilen untergemischt; taz 30. 6. 1987 Bisher waren die Temperaturen herabgesetzt, um das Natrium zu gelieren und damit den Austritt zu verhindern; Mannh. Morgen 14. 6. 1989 Woran kann es liegen, wenn Marmelade zu dünn gerät? Die beiden Fachfrauen klärten auf, daß vor allem Früchte mit wenig natürlichem Pektin (wie Kirschen, Erdbeeren oder Pfirsiche) schlecht gelieren; Neue Kronen-Ztg. 2. 7. 1995 Nach spätestens 12 Stunden sollte die Entensuppe geliert haben; taz 13. 7. 1999 Je 500 g rote und schwarze Johannisbeeren . . mit 750 g normalem Zucker 10—12 Minuten unter Rühren kochen — dann geliert die Masse von selbst und wird zum absoluten Marmeladenhit; Mannh. Morgen 23. 8. 2005 Alles mit einem Kilogramm Gelierzucker vermischen und unter Rühren zum Kochen bringen. Vier Minuten sprudelnd kochen lassen — bis die Gelierprobe gelingt (ein aus der Masse entnommener Tropfen muss sofort auf dem Teller stehen bleiben). geliert1: Neue Kronen-Ztg. 23. 2. 1995 Zander in Erdäpfelkruste auf Rosmarin, gelierte Krevettensuppe; taz 26. 8. 2003 gelierte Waldbeeren mit Va-
Gemme nillerahmsauce; Berl. Ztg. 9. 12. 2006 und zum Nachtisch gibt es leicht gelierte Champagnersuppe mit Blutorangensorbet. Gelierung1: Diemair 1941 Haltbarmachung 472 Die Ausbildung der „Marmeladen"-Konsistenz ist
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durch die Gelierung der in den Früchten enthaltenen Pektinstoffe . . [bedingt]; Mannh. Morgen 5. 5. 7996 Geliermittel sind stark quellende Stoffe, die zur Verdickung, Gelierung beitragen — beispielsweise Pektin. Stabilisatoren festigen ein lockeres Gefüge.
Gemme F. (-; -n), bereits im 8. Jh. als ahd. gimma (vgl. mhd. gimme) aufgekommene, zunächst nur vereinzelt bezeugte Entlehnung aus lat. gemma 'Edelstein, Juwel' (ursprünglich 'Knospe, Auge an Rebstöcken, Bäumen'), im 18. Jh. unter Einfluss von gleichbed. ital. gemma (< lat. gemma) wiederbelebt; früher meist in der lat. (flekt.) Form. Zunächst selten in der allgemeinen Bed. '(hell leuchtender, funkelnder) Edelstein, Juwel', im 16.717. Jh. meist in der (bes. als Buchtitel beliebten) lat. Wendung gemma gemmarum, eigentlich 'Edelstein der Edelsteine', dann 'Stein der Weisen' (s. Belege 1575, 1608), im 18. Jh. im Zuge der antiquarischen Wiederentdeckung der italienischen Sammlungen antiker Edelsteingravierungen wiederbelebt als Bezeichnung für (antike) geschnittene Halbedelsteine in der Bed. 'Schmuckstein (z. B. an einem Siegelring, an Gefäßen, als Bestandteil von Broschen und Anhängern) mit vertieft eingravierten (vgl. Intaglio) oder erhaben herausgearbeiteten (vgl. Kamee, Scarabäe) bildlichen Darstellungen (oft Porträts) oder Schriftzügen', in Wendungen wie ein Fingerring mit goldgefasster antiker Gemme, Münzen und Gemmen, Gemmen und Kameen, Gemmen und Edelsteine, die klassische Schönheit einer Gemme, eine Gemme mit vertieftem/erhabenem Relief und Zss. wie Gemmenabdruck, -künde, -ring, -Sammlung, -schneider/-schnitzer, -schnitt; schon früh vereinzelt auch in auf das Material, später auf die feine Art seiner Bearbeitung bezogenen Vergleichen bzw. bildlich (s. Belege 11.-12. Jh., um 1210, 12.-14. Jh., um 1300, 1455, 1696, 1910, 1934, 1938, 1952), z.B. glänzend, schön wie eine Gemme, feingezeichnetes Profil/ feingeschnittenes Gesicht wie eine Gemme; Gemmengesicht, -profil und gelegentlich übertragen verwendet im Sinne von 'kostbar ausgearbeitetes kleines (musikalisches, literarisches o.a.) Kunstwerk, Kostbarkeit, Rarität' (s. Belege 1992, 1994, 1998; —» Juwel, —» Preziose, vgl. Kleinod, Kabinettstück). Dazu seit Mitte 20. Jh. die neoklassische Kombination Gemmologie F. (-; PL ungebr.) (aus Gemme, dem Fugenvokal -o- und -logie 'Lehre, wissenschaftliche Disziplin, (Fach-)Wissenschaft', zurückgehend auf griech $ 'Wort, Rede; Inhalt; Vernunft, Überlegung, Nachdenken') in der Bed. 'Edelsteinkunde, -lehre', mit der Berufsbezeichnung Gemmologe M. (-n; -n), auch Gemmologin F. (-; -nen), und der adj. Ableitung gemmologisch. Gemme: 8. Jh. Cod. paris. (Diut. I 122-126) gimmono [Gen. Pi.], gemmae (Gl.) (GRAFF); Otfrid v. Weißenburg 863—71 Evangelienharmonie I 5,21 Gimma thiu wiza, magad scinenta [Der weiße Edelstein, leuchtende Jungfrau]; 11.—12. Jh. Bücher Mosis 56,17 liuhten sam ein gimme (BENECKE/MÜLLER/ZARNCKE); Gottfried v. Straßburg um 1210 Tristan 4896 ff. die selben gotes gäbe,/ des waren Elicones,/ des oberesten trones,/ von dem diu wort enspringent,/ diu durch
daz ore clingent/ und in daz herze lachent,/ die rede durchliuhtec machent/ als eine erweite gimme; 12. —14. Jh. Minnesinger 27 Ob allem golde gimme ist ir vil werder lip; ebd. II 168b vor aller vrouwen gimme ein sunne; um 1300 Dietr. 23 swaz man uns von tugende ie gesagte maere, des was der erbaere ein gimme und ein adamant (LEXER); Anfang 14. Jh. Lucidarius (1836 Altdtsch. Blätter l 326) Diz buch ist genant aurca gemma/ Daz kit [bedeutet] guldine gimme/ Bezeiget vns hie
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Gemme
bi/ wie ture [kostbar] diz buch si; Baldemann um 1350 V. d. romschen riebe 123 Dor inne lag manig diamant,/ Smaragde, sardin, gimmen (FRNHD.WB); 1387 St. Geärgerter Prediger 91 daz hymelrich ist gesetzet uff guldin quaderstaine und ist gezieret mit golde und mit edlen gimmen (FRNHD.WB); Hermann v. Sachsenheim 1455 Gold. Tempel 157 Pollier mir min gemuet,/ Du [Maria] werde gottes gymm!; Melber 1481 Voc. o. S. Gemma edel gestein; Schöpper 1550 Synonyma 86 Gemma; Paracelsus 1570 Archidoxa da Demnach die Stain vnd Gemmen/ die da dergleichen mit einem sonderlichen wesen sollen jre Elementa erzaigen; Fischart 1575 Geschichtklitterung 57 Derhalben wolt ihr eweren Vorfahren recht nachschlagen, vnd erweisen was inn aller Edelgestein Großmuter Gemma gemmarum stehet; Meisner 1608 Gemma gemmarum alchimistamm. Oder Erleuterung der Parabolischen und Philosophischen Schrifften fratris Basilij Valentini (Titel); Goldmann 1696 Anw. Civil Bau-Kunst 62 eine Arth Sandes . . welchen Vitruvius Carbunckel nennet, andere nennen ihn auch Gemmam, dass er gleichsam funckelt; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) II 1236 Unter den raren Gemmis dieser Schatzkammer . . Gemmae oder geschnittene Edelgesteine; Lessing 1768 Br. antiquar. Inh. (S. Sehr. X 307) Doch von dieser concaven oder convexen Form der alten Gemmen, einmal in einem besonderen Briefe; Christ 1776 Lit. u. Kunstwerke 263 Die Liebe zu den Gemmen war überhaupt bei den Alten so groß, und der Gebrauch derselben so allgemein, daß . . selten eine Person gefunden wurde, die nicht wenigstens eine eingeschnittene Gemme hätte haben sollen; Musäus 1781 Physiognom. Reisen II 210 Gemmenliebhaberey; Matthisson 1789 Bernhardsherg (Sehr. II 218) Gemmenbilder; Goethe 1787 Italien. Reise (WA I 31,35) Was von Münzen, Gemmen, Vasen einzeln . . nach Norden kommt, sieht in Masse hier ganz anders aus, da, wo diese Schätze einheimisch sind; ders. 1795 — 96 Lehrjahre (WA I 21,276) Die Sammlungen antiker Statuen, Gemmen und Münzen; ders. 1822 Campagne (WA I 33,254) die größte Anzahl dieser geschnittenen Steine . . deren Darstellung mit ändern antiken Gemmen zusammentraf, die aber deswegen immer noch für echt gelten konnten; ebd. 257 Großartiger und lebenvoller haben wir nie menschliche Gestalt auf dem kleinen Raum einer Gemme dargestellt gesehen; 1832 Eleg. Welt f. Damen Nr. 46 der Gürtel ist vornen mit einer Gemme geschmückt; Schlözer 1870 Amerikan. Br. 176 Cameen . . Gemmen; 1884 Brockhaus VII 740 Gemme . . bezeichnet zunächst jeden Edelstein . . mit vertieft oder erhaben gearbeiteten Verzierungen; Meerheimb 1910 Modell 11 Er sah auf das ihm zugewandte, reizende Profil — feingeschnitten
wie eine griechische Gemme; Lokal-Anz. 24. 7. 1934 Dort hinten . . war jetzt die schmale Mondsichel sichtbar, scharf geschnitten gleich einer Gemme; Volkmann 1938 Streifen 157 Alexandra hielt den Kopf zum Feuer gewandt, ihr Profil war von der klassischen Schönheit einer Gemme; Süddtsch. Ztg. 11. 8. 1952 mit . . dem durchsichtigen Teint, dem schmalen, leicht geschminkten Mund und dem zarten Gemmenprofil . . eine hübsche Erscheinung; Grass 1962 Blechtrommel 106 Ein Ring, der eine so zierliche Gemme hielt, daß man ihm ansah, er würde die Hände ähnlich zierlicher Frauen verbrauchen, selbst immer zierlicher werden und jenen Grad der Unsterblichkeit erlangen, der wohl nur dem Schmuck vorbehalten ist; Metz 1964 Steine 168 Hier schufen sie [röm. Steinschneider] — vor allem aus Amethyst, Karneol, Chalcedon, Hyazinth - eine unübersehbare Fülle köstlichster Kameen (Gemmen mit erhabenem Relief) und Intaglios (Gemmen mit eingeschnittenen Darstellungen); Zazoff 1970 Antike Gemmen in deutschen Sammlungen (Titel); ebd. o. S. Motiv für weibliche Figuren nicht ungewöhnlich auf hellenistischen Gemmen, für Nike aber anscheinend singular. Römische Gemmen der späten Republik. Bräunlichgrauer Jaspis, beiderseits flach, nach hinten abgeschrägt, blank poliert; Mannh. Morgen 23. 1. 1989 die vielen Kleinfunde von Schmuckblättchen, von Ringen, Perlen, Fibeln in Tierformen oder Blattranken, die Gemmen und so anmutig wirkenden Glasphiolen; Salzb. Nachr. 29. 11. 1991 Die Kunst der Steingravur erreichte einen prächtigen Höhepunkt in der klassischen Antike, und Glas war ideal, um die hochgeschätzten gravierten Kameen oder Gemmen zu imitieren; taz 7. 1. 1992 diese Gemmen der deutschen Lichtspielkunst, diese wertvollen zeitgeschichtlichen Zeugnisse; Spiegel 2. 5. 1994 Beim Lesen des ersten Romanteils hatte ich nie die Befürchtung, Dal könnte sich in dieser Fülle der Schnurren, Gemmen und Ikonen verlieren; Frankf. Rundsch. 4.4. 1998 Selbst eine reichlich betagte und mit Patina bedeckte Folk-Gemme wie Freight Train vermag es, unter solchermaßen beseeltem Handwerk aus der Meisterwerkstatt . . in völlig neuem Glanz zu erstrahlen; Salzb. Nachr. 15.4.2000 Im späten 11. Jahrhundert von der ungarischen Königin Adelheid zur Aufnahme eines Kreuzpartikels gestiftet, wurden zum Schmuck neben Edel- und Halbedelsteinen auch antike Gemmen und Skarabäen verwendet, an deren heidnischen Ursprung keinerlei Anstoß genommen wurde. Gemmologe/Gemmologin: Chudoba 1953 Schmuck- u. edelsteinkundl. Taschenb. 110 [Für den] Gemmologen aber sind sie in erster Linie von überragender Bedeutung für die Unterscheidung
Gen
zwischen echten Edelsteinen, synthetischen Steinen und anderen Nachahmungen; Stöver 1968 Schmuck 91 Noch heute kommt es vor, daß unrichtige Bezeichnungen gebraucht werden Darum wurde von Gemmologen und Fachleuten eine international verbindliche Nomenklatur erarbeitet; Lernet-Holenia 1969 Hexen 89 Um . . halb acht ging sie hinunter in den Speisesaal, wo der Gemmologe schon auf sie wartete; Neue KronenZtg. 14. 6. 1994 Ausstaffiert waren die Edelsteine mit Expertisen eines umstrittenen deutschen Gemmologen, der den Wert der Saphire auf knapp neun Millionen S bezifferte; Berl. Ztg. 14. 5. 2003 Ihre Juwelen verleiht sie gerne, das merkt man der gelernten Gemmologin an. Gemmologie: 1952 Brockhaus V 476 Gemmologie, Edelsteinkunde . . befaßt sich mit der Lehre, Erfor-
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schung, Erkennung und Unterscheidung der Edelsteine sowie synthetischen Steinen und Nachahmungen, der kommerziellen und ästhetischen Verwertung der Edelsteine sowie der Herstellung eigener gemmologischer Instrumente; Eppler 1973 Praktische Gemmologie (Titel); Oberösterr. Nachr. 28. 8. 1997 die älteste Tochter . . hat eine Ausbildung als Gemmologin (Gemmologie: Edelsteinkunde). gemmologisch: 1952 Brockhaus V 476 Gemmologie, Edelsteinkunde . . befaßt sich mit . . der Herstellung eigener gemmologischer Instrumente; Salzb. Nachr. 19. 1. 1993 Der durchschnittliche Preis liege derzeit bei mehr als 5120 S je Schmuckstück, erklärte der Pressesprecher der Österreichischen Gemmologischen Gesellschaft.
Gen N. (-s; -e, vereinzelt -en), Anfang 20. Jh. aufgekommene gelehrte Bildung (zu griech. $ 'Geschlecht, Abstammung, Gattung; Art'; —» Genus), die von dem dänischen Botaniker W. L. Johannsen 1909 in seiner deutschsprachigen Schrift 'Elemente der exacten Erblichkeitslehre' eingeführt wurde. Meist plur. verwendeter Terminus der Molekularbiologie in der Bed. 'ursprünglich rein formal definierte Einheit der Vererbung eines Merkmals von einer Generation auf die nächste, Erbeinheit, -anläge, -merkmal, -faktor', dann präzisiert auf den in den Chromosomen angesiedelten Träger einer Erbanlage 'molekular definierte Einheit der Vererbung, Erbgutträger', z. B. defektes, mutiertes Gen, dominantes/rezessives Gen, Gene steuern die Entwicklung aller Lebewesen, Erbkrankheiten lassen sich im Gen lokalisieren, ein zusätzliches Gen in die Zellen einschleusen, homogenes/ heterogenes Gen; Genaktivierung, -anteil, -bibliothek/-bank, -familie, -food, -forschung, -lebensmittel, -ort, -manipulation, -mais, -molekül, -mutation, -soja, -Struktur, -technik/-technologie 'Teilgebiet der Molekularbiologie und Biotechnologie, das theoretische Aspekte und praktische Methoden umfasst', -therapie, -tomate; genmanipuliert, -verändert; Regulator-, Struktur-Gen, vereinzelt übertragen verwendet (s. Beleg 1991). Dazu die im frühen 20. Jh. vereinzelt, seit den 70er Jahren kontinuierlich nachgewiesene, aus Gen und (Chromos)om kontrahierte Kurzbildung Genom N. (-s; -e), fachspr. Bezeichnung für ein Chromosomenbündel, die Summe aller (darin befindlichen) Gene, das gesamte Erbmaterial/-gut, das neben Umwelteinflüssen für die Ausbildung eines bestimmten phänotypischen Merkmals (Erbanlage, -faktor) verantwortlich ist, z. B. Genomanalyse, -daten(-bank), -entschlüsselung, -forschung, -karte, -organisation, -pass, -programm/-projekt, -sequenz, -stück, -Zentrum, mit der bereits seit Anfang 20. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitung genomisch (weitgehend gleichbed. mit—» genetisch), in Wendungen wie genomische Bibliothek, Datenmenge, Diagnostik, Instabilität, genomisches Material, Medikament, seit den 90er Jahren die subst. Ableitung Genomik F. (-; ohne Pl.) 'Genforschung' (—» Genetik) mit der vereinzelten Berufsbezeichnung Genomiker M. (-s; -), auch moviert Genomikerin F. (-; -nen) (vgl. Genetiker/-in, —* Genetik), sowie die okkasionelle Bildung Genomisie-
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Gen
rung F. (-; -en) 'einseitige Betrachtung und Erklärung der Entwicklung organischen Lebens unter dem genetischen Aspekt'. Gen: Gruber 1916 Aufgaben 23 Diese Erbmasse ist . . ein Mosaik von zahllosen einzelnen Anlagen oder „Genen"; 1920 Ehrengabe 840 Die Gene (Erbfaktoren) des Mendelismus sind die aktiven causae secundae der gesamten Zielstrebigkeit in der ganzen lebenden Welt in ihrer ganzen stammesgeschichtlichen Entwicklung; 1920—21 Jahresber. d. österr. Musealvereins LXX/X 52 daß ein Großteil der Eigenschaften des voll entwickelten Individuums bereits in der befruchteten oder entwicklungsfähigen Eizelle durch substanzielle Faktoren oder Gene . . ihre Ursache haben . . Als Sitz der Gene selbst erwies sich der Zellkern; 1932—33 Schweizer. Rundsch. XXII 2,868 auch im Seelischen [ist] eine Zeugung, eine erste durch die indirekte, in den körperlichen Anlagen, in den Genen, erfolgende Vererbung; Nachtheim 1936 Wildtier 13 Erbanlagen, Erbfaktoren oder Gene; Münch. N. N. 22. 2. 1944 dem harmonischen Zusammenspiel des im Kern lokalisierten Erbgutträger- oder Genkollektivs mit den im Plasma angesammelten Stoffen und Kräften; Dtsch. AZ. 4. 6. 1944 ist dieses Genkollektiv bei Anwendung sehr starker Vergrößerungen so gut sichtbar zu machen, daß sich eine dreidimensionale Gefügekette seines Gesamtbestandes anfertigen läßt. Die einzelnen Gene erscheinen darin als dunkle Körnchen; 1950 Neue Rundsch. 286 Durch die Entdeckung der „Genen" [!] sind wir imstande, „neue Rassen, neue Lebewesen zu schaffen"; Mezger 1951 Kriminologie 108 indem wir vom „Gen" als der Grundlage der Anlage und von der „Umwelt" als gegebenen Faktoren ausgehen; Hellpach 1952 Psychologie 11 Die Gene des Genius [Goethe] . . Goethes Gene, die Erbanlagen seines Wesens; Stuttgarter Ztg. 6. 2. 1959 fand bei Arbeiten an Maispflanzen, daß die „permanente Veränderung eines Gens" durch bestimmte Genen [!] möglich ist; Wolf 1968 Besuch (W. IV o. S.) Sehnen wir uns nach dem Tag, an dem Biologen die Eigenschaften unserer Nachkommen durch Manipulationen an der Struktur der Gene beeinflussen werden?; ebd. Das Gen ist eine — übrigens ziemlich kleine — Einheit der lebenden Substanz, die sich fortpflanzen, sich also selber abbilden kann; Bad. Ztg. 3. 1.1970 Neue GEN-Eigenschaften entdeckt (Überschr.) Wissenschaftler in Großbritannien haben neue Einzelheiten über den Aufbau von Genen, den Bauteilen der Erbmasse, gefunden; Klingholz 1988 Gentechnik o. S. Bald erkannten die Biologen — genau wie Mendel es gedacht hatte —, daß bei der Befruchtung einer Zelle jeder Elternteil die Hälfte eines Chromosomenpaares beisteuert. Die von Mendel beschriebenen „Merkmale", nunmehr als Gene be-
zeichnet, mußten also irgendwo in den Chromosomen verankert sein. Die Wissenschaftler vermuteten dort Tausende von Genen; Mannh. Morgen 17.1. 1991 Der Tiefgaragenschlüssel erweist sich als der magnetisch Stärkere und tilgt die magnetischen Gene der Scheckkarte; Berl. Ztg. 27. 6. 2000 Wie die Gene funktionieren und zusammenspielen, kann nun aus den Buchstabenfolgen des Erbstrangs herausgelesen werden; taz 27. 8. 2001 Herr Johannsen hat . . das Kunstwort 'GEN' geprägt, 1909, er wollte damit die Diskussion über die materielle Existenz merkmalbestimmender Einheiten und 'Erbanlagen' versachlichen. Genom: Winkler 1920 Parthenogenesis 165 Ich schlage vor, für den haploiden Chromosomensatz, der im Verein mit dem zugehörigen Protoplasma die materielle Grundlage der systematischen Einheit darstellt, den Ausdruck: das Genom zu verwenden und Kerne, Zellen und Organismen, in denen ein gleichartiges Genom mehr als einmal in jedem Kern vorhanden ist, homogenomatisch zu nennen, solche dagegen, die verschiedenartige Genome im Kern führen, heterogenomatisch: Individuen, die dieselben Genome besitzen, sollen isogenomatisch, solche, deren Genome wesensverschieden sind, anisogenomatisch heißen; 1934 Archil/ G Medizin XXVII 349 es ist weiterhin wahr, daß ein und dasselbe Genom zu ganz anderen Ergebnissen führt . . je nach der spezifischen Umwelt, in die es gestellt ist. Der Phänotypus, das Ergebnis des Zusammenwirkens von Genom (= Meront) und Plasmon (= Umweltqualität), stellt dann den .. Funktionskreis der Embryogenese dar; Klingmüller 1976 Genmanipulation o. S. Der Anreicherungsfaktor für die betreffenden E.coli-Gene nach Aufnahme in das Genom speziell transduzierender Phagen beträgt demnach etwa l : 100; Herbig 1978 Gen-Ingenieure o. S. Das aus wenigen Genen bestehende Genom eines Virus .. ist vollständig entschlüsselt; Lower 1988 Gentechnologie o. S. Da das Erbmaterial von Viren, ihr Genom, im Vergleich zu dem von Bakterien oder von höheren Zellen überschaubar ist, kann es häufig ohne Probleme molekular kloniert werden; taz 2. 1. 1991 Genomanalyse: Alle Macht den Genen (Überschr.) . . das „Human Genome Project", ein Megaforschungsunternehmen, das die Kartierung des gesamten menschlichen Erbguts (Genom) zum Ziel hat; Presse 3. 9. 1994 weil . . die Genome von Vater und Mutter . . bis zu vierundzwanzig Stunden nach der Befruchtung einander „abwartend gegenüberstehen" und noch nach der Verschmelzung das vä-
Gendarm terliche Genom vom mütterlichen quasi „mitgeschleppt" werde; Vorarlb. Nachr. 18. 8. 2000 Forschern ist es gelungen . . das menschliche Genom fast gänzlich zu entschlüsseln. Das damit gelüftete Geheimnis vom Bauplan des menschlichen Lebens wird die Welt nach Aussagen der Wissenschaftler massiv verändern. Genomik: taz 14. 3. 1997 Denn angesichts des Ansturms der start-ups, die von der reinen Genomik — der Entdeckung von Krankheitsgenen — ausgehend die gesamte Forschung über häufig vorkommende Krankheiten zunehmend beherrschen könnten; St. Galler Tagbl. 17.3.1999 Plattform des „nachhaltigen Wachstums" über dem Marktdurchschnitt bilden die Genomik (Gcnforschung) und die darauf basierende Biotechnologie; taz 16.3.2001 In dieser Branche [Pharmaindustrie], die durch neue Entdeckungen auf dem Feld der Genomik, aber auch durch die Globalisierung des Handels fantastische Gewinne verspricht . . Während sich mit der Genomik ungeahnte Möglichkeiten zur Bekämpfung von Krankheiten eröffnen. genomisch: 1908 Dt. Zeitschr. f. Chirurgie XCVlll 342 Eine genauere Beobachtung aller angegebenen
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patho-genomischen Zeichen; Heribert-Nilsson 1953 Synthet. Artbildung 290 In dieser graduellen und grösstenteils quantitativen Spaltungsvariabilität schlägt nur die genomische Blockvariation mit ihren festen Merkmalsgruppen durch; Holzer 1978 Evolution oder Geschichte 174 daß ihre naturhaften Voraussetzungen für die gesellschaftliche Entwicklung aus dem höchsten Stand der tierischen Phylogenese und den darin kumulierten, ausdifferenzierten und genomisch verankerten Fähigkeiten resultieren; Vossius/]aenichen 1985 Patentierung o. S. Als genomische Genbank oder Genbibliothek bezeichnet man eine Population rekombinanter DNA-Moleküle, die das Genom eines bestimmten Organismus repräsentiert; Salzb. Nachr. 26. 11. 1991 Für die Biologen ergibt sich daraus eine . . detaillierte Auskunft über das Verhalten genomischer und anderer biologischer Systeme; Frankf. Rundsch. 15.8.1998 Genomische Instabilität bedeutet, daß Mutationen nicht bei den unmittelbaren Tochterzellen der exponierten Zellen auftreten, sondern erst nach 10 bis 15 Zellteilungen; Berl. Ztg. 23. 5. 2001 Wann wird Schering das erste genomische Medikament auf den Markt bringen — eine Arznei also, bei der die Forschung beim Gen begann?
Gendarm M. (-en und -s; -en, früher auch -(e)s), im frühen 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. gendarme, ursprünglich 'bewaffneter Reiter', einer Singularbildung zu (mittel)frz. gens d'armes PL, also eigentlich 'Leute der Waffen, bewaffnete Leute, Waffenträger' als Bezeichnung für die Mitglieder der unter Karl VII. Mitte des 15. Jhs. in Frankreich eingeführten, schwer bewaffneten, gepanzerten Kavallerie (vgl. Kürassier), speziell auch für die aus Edelleuten bestehende königliche Schirm-/ Leibwache, -garde (—» Garde a; s.u. Gendarmerie), und nach der Französischen Revolution für die Angehörigen des damals neugegründeten Straßenpolizeikorps beim Heer (aus gens PL, altfrz. genz PL 'Leute, Bediente, (Kriegs-) Volk' < lat. gentes PL, gens Sing. 'Geschlecht, Sippe, Volksstamm' (—> gentil) und d'armes, Gen. PL zu arme 'Waffe' < gleichbed. lat. arma N. Pl./spätlat. arma F. Sing.; vgl. lat. gens armata 'bewaffnetes Volk'; —* Armee), zunächst nur im PL, erst seit Anfang 19. Jh. im Sing., bis in die 2. Hälfte des 19. Jhs. noch in frz. (beeinflussten) Formen wie Gensd'armes, Gensdarm, Gendarme, eindeutschend Schandarm und (ugs.) kurz Schandi. Zunächst auf französische Verhältnisse bezogen (s. Belege 1617, 1670), dann (in Anlehnung an den frz. Gebrauch) als Name eines preußischen Kürassierregiments (s. Belege 1715, 1770, 1780), als Bestimmungswort meist in der Form Gendarmenin Zss. wie Gendarmenheer, -kommando, -mutze, -oberst, -regiment, -truppe und Gendarmenmarkt (Name eines nach dem preußischen Regiment benannten Platzes in Berlin, s. Beleg 1770); von daher seit Anfang 19. Jh. mit der Einrichtung des dtsch. Gendarmerie-/Polizeiwesens in der Bed. 'berittener Polizeisoldat, Polizeireiter, bewaffneter, überwiegend auf dem Land eingesetzter Polizist/Schutzmann für die öffentliche/innere Sicherheit; Landjäger; Militärpolizist' (s. Belege 1806, 1812, 1828,
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Gendarm
1848, 1869, 1936, 1957), heute nur noch in Redewendungen und regional (bes. österr.) gebraucht (s. Beleg 1993), historisierend auf preußische und nationalsozialistische Verhältnisse und aktuell bes. auf französischsprachige Länder bezogen; in Wendungen wie Gendarmen griffen den Vagabunden auf, die Fabriken waren mit Gendarmen umstellt, der Gendarm setzte ein Protokoll auf, Räuber und Gendarm (spielen), und als Bestimmungswort, alternierend mit Polizei-, in Zss. wie Gendarmbeamter, -Wachtmeister, Gendarmenauto, -dienst, -funktion, -politik, -rock, -schütz, -uniform, Räuber-und-Gendarmspiel, als Grundwort alternierend mit -polizist in Autobahn-, Dorf-, Feld-, Fuß-, Gebirgs-, Gemeinde-, Grenz-, Hilfs-, Landes-/Land-, Leib-, Markt-, NS-, Parade-, Pisten-, Verkehrsgendarm; seit Mitte 19. Jh. auch übertragen gebraucht im Sinne von 'Aufpasser, Wächter, Ordnungshüter' (s. Belege 1847, 1871, 1928; vgl. (Hilfs-)Sheriff), in Wendungen wie jeder Preuße trägt seinen Gendarmen in der Brust/kommt mit einem inneren Gendarmen auf die Welt, v. a. den Gendarmen (für jmdn.) geben/machen/spielen und in Zss. wie Gendarmenantlitz, -kritik, -rolle; Dichter-, Kunst-, Papp-/Plastikgendarm; im 20. Jh. oft bildlich mit Bezug auf Nationen (s. Belege 1937, 1949, 1988, 1991), in Wendungen wie Frankreich wird zum Gendarm des Völkerbundes, Israel ist der amerikanische Gendarm im Nahen Osten und Zss. wie Weltgendarm. Dazu schon seit Ende 16. Jh. aus gleichbed. frz. gendarmerie entlehntes Gendarmerie F. (-; -n), früher auch Gensdarmerie, Gensd'armerie, Schandarmerie, zunächst meist auf französische Verhältnisse bezogen 'berittene Kriegsschar, -korps; Kriegs-, Fußvolk' (s. Belege 1592, 1616, 1687, 1724; vgl. Infanterie, Kavallerie), speziell '(aus Adligen bestehende) Leibkompanie des französischen Königs, Dauphins' (s. Belege 1695, 1719, 1757, 1778); seit frühem 19. Jh. und heute überwiegend österr. gebraucht bzw. auf Länder mit sprachlich und/oder politisch französisch orientiertem Hintergrund bezogen in der Bed. '(kasernierte) Landreiterei, Landjägerkorps; Polizeimiliz/-truppe; (militärisch organisierte) Einheit der staatlichen Polizei bes. in ländlichen Bezirken, Land-, Militärpolizei', z. B. die Gendarmerie in Bayern, berittene Gendarmerie, mehrere ungeklärte Diebstähle beschäftigen die örtliche Gendarmerie, die regierungstreue Gendarmerie nahm Massenverhaftungen vor, den Fall der Gendarmerie übergeben, die Gendarmerie verständigen, durch Gendarmerie verstärkter Polizeieinsatz, motorisierte Gendarmerie 'bis 1945 zur Bewachung der Autobahnen und Landstraßen eingesetzte, kasernierte Polizei'; alternierend mit Polizei-/'-polizei in Zss. wie Gendarmeriebeamter, -bezirk, -dienst(-stelle), -einsatz(-kommando), -ermittlungen, -fahrzeug, -general/-major, -(grenz-)kontrolle, -Inspektor, -kaserne, -korps, -(musik-)kapelle, -offizier, -patrouille, -posten, -streife, -stube, -uniform; Alpin-, Autobahn-, Bundes-, Dorf-, EU-, Feld-, Fuß-, Grenz-, Landes-/ Land-, Pisten-, Verkehrs-, Zoll-Gendarmerie, speziell auch 'Einrichtung, Posten/Station der (Land-)Polizei, Polizeiwache' (s. Belege 1882, 1945, 1986), z.B. auf die Gendarmerie gebracht werden, vereinzelt auch scherzhaft als Bezeichnung für den einzelnen (Land-)Polizisten (s. Belege 1835-50, 1957) und bildlich (s. Beleg 1932). Gendarm: Wallhausen 1617 Militia 72 Die Gendarmes hinder deß Generals Quartir (JONES); 1670 Ordinari-Wochenztg. o. S. Auß Franckreich . . Gestern hat unser König . . Cassaken [Soldatenröcke]/ welche die Gensdarmes brauchen/ außgetheilet (BRUNT); 1674 Nord. Mercurius 144 Gen-
darmes/ geharnischte Reiter (BRUNT); Gruber 1699 Politica 43 Die cavallerie wird heute zu Tage meistentheils eingetheilet in Reuter oder Corassiers/ in Dragoner und Gend d'armes [!] (BRUNT); 1725 Berl. geschr. Ztg. o. S. Die Preußischen Gens d'Armes wurden beordert, denen Schweden nach-
Gendarm zusetzen (BRUNT); Sperander 1727 A la ModeSprach 276 Gens d'Armes, heissen in genere ein Edelmann, Ritter oder Reuter, der mit gehörigen Waffen vollkommen versehen ist; in specie aber ist es eine Compagnie zu Pferd von 200. Edelleuten von der Königlichen Garde in Franckreich, welche einander alle Viertel-Jahr in den Diensten ablösen, und ist der König selbst ihr Capitain; Zedler 1735 Unwersailex. X 888 In der alten Frantzösischen Historic ist nichts so berühmt unter denen Trouppen, als diese Gens d'armes, und bestunden solche auch damahls in lauter vornehmen Edelleuten; Eggers 1757 Kriegs-Lex. l 1010 Gendarmes de la Garde, eine von Heinrich dem IV aufgerichtete Compagnie der Französischen Königlichen HausTrouppen; 1770 Voss. Ztg. Nr. 130 Der Schauplatz ist auf dem Gens d'Armenmarkt in der großen Bude daselbst (KLUGE 1975); Lessing 1780 Br. (S. Sehr. XVIII 364) der Feldprediger bey den Gens d'armes in Berlin; Heuberger 1806 Handwb. 272 Gendarme (nicht Gensd'armes) Landreiter, Polizeigardist; Harl 1812 Kriegs-Polizei-Wiss. 252 Gensd'armen oder Polizei-Soldaten; Feuerbach 1828 Merkw. Verbrechen I 360 Am l ten September 1818 machte der Gensdarme . . dem Landgericht von dieser Äusserung . . Anzeige; Pückler-Muskau 1840 Bildersaal 174 Der vorderste der Gens d'armes .. ich habe vernommen, daß vermöge eines baierischen Rescripts .. das obige Wort in Zukunft „Gendarm" bei namhafter Strafe geschrieben werden muß, weil unnütze Witzlinge die Mitglieder des respectabeln Corps durch die Benennung „Gänsdarme" . . schwer gekränkt hätten; Marx/ Engels 1845-46 Dtsch. Ideologie (MEW III 244) Jeder Preuße trägt seinen Gendarmen in der Brust . . muß . . heißen: den Gendarmen des Königs, nur der mit sich einige Egoist trägt seine eignen Gendarmen in der Brust; Varnhagen v. Ense 1847 Tagebücher 261 Es gab noch einige Wechselreden, dann trennte man sich. Er liebt es den Gendarm zu machen; Neue Rhein. Ztg. 5. 7. 1848 Was ist aus unserm Bürger geworden? Ein Mittelding zwischen einem preußischen Gendarmen und einem englischen Konstabler . . Für alle seine Verluste tröstet ihn das Dienstreglement und das Bewußtsein, Ordre zu parieren; Colmarer Ztg. 29. 4. 1869 ein durch den Lärm herbeigezogener Gendarme, der sie vergebens zur Ruhe ermahnte, führte sie in's Gefängniß; Kronprinz v. Sachsen 1871 Br. an Mottke (Hollehen 1897 Pariser Kommune 154) für Herrn Thiers den Gendarmen zu spielen; Eckstein 1892 Dombrowsky l 187 Lieber noch war's ihm, er würde Schandarm! Das setzt mehr in Respekt, als die Waldhüterei; Kalkschmidt 1928 Freiheit 84 Sein [Glaßbrenners] Wort, daß jeder Preuße mit einem inneren Gendarmen auf die Welt komme, lief geflügelt von Mund zu Mund; Wahlendorf 1936
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Erinn. 177 als alle 100 bis 200 Meter ein oder mehrere Soldaten oder Polizisten, einmal sogar ein ganzes Detachement berittener Gendarme Front machten; Kogge 1937 Kollektivsicherkeit 406 Frankreich zum „Gendarm des Völkerbundes" [gemacht]; Neues Deutschi. 3. 12. 1949 Adenauer läßt den „alliierten Gendarm" vor den Geldschrank der Millionäre stellen; Strittmatter 1957 Wundertäter I 75 Der Gendarm setzte den Tschako ab und pustete den Landstraßenstaub vom Deckel . . tastete nach seinem Schleppsäbel; Welt 21.3.1969 Sie sind eine schmutzige Prozession von hohlen Narren und Verrätern. Von Leuten, die Räuber und Gendarm spielen, um ihrem Leben etwas Reiz zu geben; taz 22.4. 1988 Israel kann nicht auf die Dauer als „unsinkbarer Flugzeugträger der USA im Nahen Osten" (Walter Mondale, ehemaliger Vizepräsident der USA), als amerikanischer Gendarm fungieren; ebd. 26. 11. 1991 Der Krieg wurde letztlich dazu benutzt, die Militarisierung der Gesellschaft zu rechtfertigen. Damit zusammen hängt die Selbstdefinition Sloweniens als „Gendarm des europäischen Hauses", einem Wachhund an der Tür nach Süden und Osten; Salzb. Nachr. 24.5. 1993 Eine grauenhafte Entdeckung machte Sonntag mittag ein Tiroler Gendarm bei einer privaten Bergtour im Wilden Kaiser; Mannh. Morgen 6. 5. 2000 Für französische Gendarme gibt es dieses Wochenende viel zu tun. Das Verkehrsministerium hat strenge Kontrollen im ganzen Land angekündigt; taz 6. 6. 2001 Die Jugendlichen rissen die Mauern der Kaserne [in Algier] nieder . . Ein toter Gendarm und fünf schwer Verletzte waren die Folge. Gendarmerie: Rathgeb 1592 Kriegssachen 280 die Gensdarmerye vnd Infanterie (daß ist das Kriegsvolck gantz gewapnet zu Pferdt/ als Kürisser/ vnd dann Fußvolck); ebd. 282 hernach die Gendarmerye instituirt/ vnnd vnderhalten worden; ebd. 302 weil der König die Schätzung oder Steur . . auff den Vnderthanen erheben last/ die gendarmerie damit zu besolden; Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Gendarmerie, Kriegß oder Fußvolck; Nehring 1687 Manuale o. S. Gendarmerie . . die Kürisser/ schwere Reuterey (JONES); Stieler 1695 Zeitungs Lust 201 Gendarmerie, heissen in Frankreich die Leib-Kompagnien/ Musketierer des Königes/ der Königin/ seines Sohns und Bruders/ so allen vorgehen und Edelleute seyn; 1706 Erlöstes Brabant 6 diejenige Gendarmerie, die sich selbst den hochredenden Titel der Unüberwindlichen zugeeignet, das hiess der Kern aller Französischen KriegsHeere; Fassmann 1719 Gespr. VI 879 denn sobald sie [die unüberlegten Worte des frz. Königs] aus dem Munde gegangen waren, fiel die Gendarmerie, nebst ändern Troupen/ auf die Genueser und metzelten soviel von ihnen nieder als sie kunten; Wag-
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Genealogie
ner 1724 Soldatenbibl. 26 die unterschiedlichen Corps aus welchen eine Armee besteht/ die Infanterie, die Cavalerie, die Gendarmerie; Eggers 1757 Kriegs-Lex. l 1011 f. Gendarmerie; dieses Corps ist das erste von der Cavallerie der Französischen Armeen nach den Trouppen des Königlichen Hauses . . Anitzo besteht es aus 16 Compagnien; ebd. II 438 brachten fünfzehnhundert ausgesuchte, und hierzu abgerichtete Archebusierer oder Büchsenschützen die Französische Gendarmerie zu Falle; Schlözer 1778 Briefw. bistor. Inh. 1166 Neuste Einrichtung der Gendarmerie in Frankreich . . Der König, um dem Corps Seiner Gendarmerie eine dem Besten Seines Dienstes vorteilhaftere Einrichtung zu geben, befielet folgendes . .; Schlabrendorf 1804 Napoleon 99 daß der erste Consul von dem Gouverneur des Pallastes, den kommandirenden Generalen der Consulargarde, den Generalinspectoren der Gendarmerie, der Artillerie und des Ingenieurcorps dicht umringt war; Hart 1812 Kriegs-PolizeiWiss. 227 Von der Errichtung der Legion königlicher Gend'armerie; Lancrin 1820 Militairökonomie II 127 Man . . lässt zur Sicherheit . . Stadtwächter etc. fortbestehen; zuweilen auch die Gensdarmerie des Landes; Glaßbrenner 1835—50 Berlin I 21 un wir liejen ooch jar nich lange, so kommt ein Gend'armerie un fragt: „Kroopzeug! was macht Ihr da?" — „Entschuld'jen Se, Herr Gend'armerie!" sagte ich, „ich bin kein Kroopzeug! Des hier unten is mein Freund, un ich habe ihm was zu sagen." Un der Gend'armerie verzieht sich und verschwind't; 1844 Brockbaus V 55 Die Franzosen nachahmend, wurden auch seit 1808 in Preußen, Baiern, Sachsen und anderwärts Gendarmerien errichtet, die theils zu Fuß, theils beritten, hauptsächlich auf dem platten Lande und in kleinen Städten den Policeidienst versehen; Marx 1864-70 MEW XVI 350 daß der durchaus rechtmäßige Strike . . nur in eine Erneute verwandelt wurde durch eine starke Abteilung Kavallerie und Gendarmerie, die plötzlich auf den Platz geworfen wurde, um das Volk zu provozieren; Hillebrand 1882 Zeitgenossen 193 In der Nacht . . wurde das Haus von Gendarmen und Polizeidienern umstellt, die . . den jungen Vater auf die Gendarmerie brachten; Eckstein 1892 Dombrowsky I 189 Schandarmerie; Allg. Ztg. d. Judentums 23. 5. 1919 Erst um
Mittag griff die Miliz und Gendarmerie ein, die die Ordnung wiederherstellte . . Die Polizei trat den Räubereien und Schlägereien nicht entgegen, die Gendarmerie hinwieder eiferte zu Mißhandlungen der Juden an; Gebauer 1932 Kulturgesch. 339 Erst Napoleon verlieh aus politischen Gründen dem Papsttum und dem Klerus, den er als „geistliche Gendarmerie" gegen die ihm unbequemen Freiheitsbestrebungen des Volkes benutzen wollte, wieder Macht und Ansehen; Klemperer 1945 Tagebücher (Zeugnis II 739) Gehen's zur Gendarmerie, das Haus am ändern Längsende des Platzes, sagen's in meinem Auftrag dem Polizeimeister, was ist; Strittmatter 1957 Wundertäter 76 Der Gendarm erhob sich und kam auf ihn zu. Die Langstiefel des Oberwachtmeisters knarrten. Er fuhr dem Kuchenträumer mit der blauroten Hand über den Wirrschopf . . Stanislaus schüttelte sich unwillig. Das Streicheln der Gendarmerie war ihm lästig und nicht geheuer; Welt 30. 12. 1974 Frankreich hat seine Position verstärkt, 5000 Mann Marineinfanterie, Kolonialartillerie, Fremdenlegion und Gendarmerie . . stehen in und um Djibouti; taz 4. 9. 1986 daß jeder, der abends nach elf noch draußen „herumstreicht", festgenommen und erst einmal auf der Gendarmerie traktiert wird; ebd. 1. 8. 1989 80 Menschen sind einer vorläufigen Bilanz der französischen Gendarmerie zufolge am Wochenende bei insgesamt 666 Verkehrsunfällen ums Leben gekommen; Salzb. Nachr. 27. 4. 1993 Dort sollen etwa Dienststellen der Polizei und Gendarmerie samt den jeweiligen Schulen einziehen; taz 23. 9. 2003 Die Bewohner des Dorfes Bekamba im Süden des Tschad schlugen zurück . . Kantonschef Yadji Madjitoloum fühlte sich machtlos . . schickte einen Boten, um die Gendarmerie zu holen. Der Gendarmerieposten war aber 56 Kilometer weit weg; Berl. Ztg. 6. 10. 2003 begrüßten die Minister den französischen Vorschlag, ein europäisches Gendarmerie-Korps zu gründen. Das Korps solle sich am Vorbild der französischen Gendarmerie oder der italienischen Carabinieri orientieren . . Die etwa tausend Mann umfassende Einheit solle dann eingesetzt werden, wenn eine militärische Präsenz nicht notwendig, ein Polizeieinsatz jedoch nicht ausreichend sei.
Genealogie F. (-; -n), im 14. Jh. entlehnt aus lat. genealogia 'Geschlechterkunde, Geschlechtsregister' (< griech. , aus 'Geschlecht, Geburt, Abstammung' und 'Wissenschaft, Lehre', zu 'Wort, Rede'), anfangs in der Form genealogy(e) und in lat. (flekt.) Formen. Zunächst vereinzelt, seit früherem 16. Jh. kontinuierlich belegt, nur im Sing, in der Bed. 'Forschungsgebiet, das sich mit der Herkunft und den Verwandtschaftsverhältnissen von (bes. geschichtlich bedeutenden) Personen, Familien, Sippen befasst, Wis-
Genealogie
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senschaft von Ursprung, Folge und Verwandtschaft der Geschlechter (und den sich daraus ergebenden gesellschaftlichen, rechtlichen u.a. Beziehungen); Geschlechterkunde, Sippen-, Familiengeschichts-, Ahnenforschung', dann auch '(Darstellung der) Abstammung einer Person, Herkunft, Geschlechterfolge einer Familie, Sippe; Geschlechtsregister' (s. Belege 1548, 1579, 1695, 1901, 1934), z.B. die Genealogie eines Adelsgeschlechts, diesem Stammbaum kann man die Genealogie seiner Familie entnehmen, dieses Buch enthält Genealogien europäischer Königshäuser, Familiengenealogie; seit Mitte 18. Jh. in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte übertragen verwendet zur Bezeichnung einer Methode, die die Herkunft, Ableitung; Entstehungsgeschichte eines Begriffes, Sachverhalts, einer Vorstellung, Idee (vgl. F. Nietzsches Streitschrift „Genealogie der Moral", 1887) erforscht und analysiert (s. Belege 1748, 1772, 1883, 1905, 1924, 1997), in Wendungen wie die Genealogie eines Wortes, einer Sprache, eines Begriffes untersuchen. Dazu seit spätem 17. Jh. (aus gleichbed. griech. entlehntes) genealogisch Adj. und Adv. 'Verwandtschafts-, Abstammungsverhältnisse betreffend, auf sie ausgerichtet; Verwandtschaftsverhältnisse erforschend, archivierend, darstellend/ abbildend, sippenkundlich', auch 'zur Wissenschaft der Genealogie gehörig, auf ihr beruhend, mit ihrer Hilfe erforscht' und vereinzelt 'genetisch (verwandt)' (s. Beleg 1987), z.B. genealogische Daten, Tabellen, Tafeln, genealogische Methode 'völkerkundliche Forschungsmethode, die den Gesellschaftsaufbau bei Naturvölkern durch Klärung der Verwandtschaft von Einzelpersonen, ihrer Verwandtschaftsbezeichnungen und der sich daraus ergebenden sozialen Beziehungen untereinander aufhellt und so in das Gefüge ihrer Kultur eindringt', genealogisches Taschenbuch 'Verzeichnis des Personenstands und der genealogischen Abkunft politisch oder gesellschaftlich interessant erscheinender Geschlechter und Familiengruppen', auch übertragen verwendet 'die Herkunft, Entwicklung (einer Idee, Institution u. Ä.) betreffend' (s. Belege 1793 — 95, 2001; vgl. diachron, historisch, —» Historic); von Anfang 18. bis Mitte 19. Jh. die aus gleichbed. frz. genealogiste entlehnte veraltete Personenbezeichnung Genealogist M. (-en; -en), zunächst auch Genealogiste, gleichbed. mit seit früherem 18. Jh. nachgewiesenem, seit 19. Jh. vorwiegend gebrauchtem (über lat. genealogus auf griech. zurückgehendem) Genealoge M. (-n; -n), anfangs auch Genealogus und Genealog, auch moviert Genealogin 'Person, die auf dem Gebiet der Genealogie forscht, Ahnenforscher(-in), Person, die ein Geschlechtsregister anfertigt', sowie seit späterem 18. Jh. selten die verbale Ableitung genealogisieren 'Ahnenforschung betreiben, Ahnentafeln erstellen', auch übertragen 'die Herkunft einer Sache feststellen und einordnen' (s. Beleg 1772). Genealogie: Bruder Hans 14. ]h. Marienlieder 789 genealogye (WEIGAND); Melker 1481 Voc, o. S. Genelogia geburt, geschlecht; Paracelsus 1536 Wundartzney lila genealogi der menschen; Pranck 1538 Chronik d. Teutschen 75b Genealogy (WEIGAND); Stumpf 1548 Chronick l 73a Genealogy oder Geburttafel der Künigen von Behems; Thym 1558 Wallmoden 5 Dies ist der vrsprung vnd Genealogia des alten löblichen Geschlechts der von Walmoden; Fischart 1575 Geschichtklitterung 179 Königs Etzels auß Vngarn hochgeadelt vnglückschwerd, dessen genealogy . . die Manßfeldisch
Chronic beschreibt; Golius 1579 Onomasticon 99 Genealogia . . geschlecht register/ Stammbuch; Ayrer 1599 Reim-Chronik 29 wiewol vil gelehrter leut, Der Genealogj fehlen weit; Grammann 1621 Wildschützen-Latein 39 Genealogiam vnd Fürstl. Hohenstammen vnd Ankunfft; Perez 1626 Landstörtzerin l 96 Von der Genealogia vnnd Vorfahrn lustinae auff der Mutter seyten; Zeiller 1641 Episteln H 308 Vnd hat Daniel Zepken in der Vorrede vber sein Buch/ das Schlesische Frawen-Zimmer intitulirt, Ursachen gesetzt/ warumben die Genealogia; so vngewiß seyen; Stieler 1695 Zeitungs
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Genealogie
Lust 133 Man könne die Genealogie oder Abstammung grosser Herren nicht besser/ als aus den Zeitungen/ erlernen; Vischer 1709 Informator 212 Wann die Historic Schwestern hat, so ist die Genealogie die älteste; Lucae 1711 Helicon 694 die Genealogie, oder das Geburts-Register derer Kayserlichen . . Häuser gehöret ebenmässig zum Studio eines jungen Edelmanns; Crusius 1722 Portrait aller Wiss. 77 Die Genealogie oder das Geschlechts-Register [ist] ein nahmentliches Verzeichnis derjenigen Personen, so von einem Stamm entsprossen sind, und ein Geschlecht ausmachen; Biantes 1731 Historicus 17 Wenn wir in unserer Genealogie biss zu dem Paradiess hinauf steigen wollen sind wir freylich alle gleich; 1748 Vergnügte Abendstunden I 115 dass ein rechter Kenner der griechischen und lateinischen Schäzze sich entschlösse, eine Genealogie des Wizzes und der Gelehrtheit zu schreiben, darin gezeiget würde, bei wem sich ein Wiz, oder andere Wahrheiten, zuerst entwikkelt, hernach bei wem es zur Reife gekommen, wie sichs vermehret, und wie ofte es wieder gebrauchet worden; Bertram 1764 Entwurf l 396 Die Genealogie oder die Kenntniss der Geschlechtsregister grosser Fürsten; Michaelis 1768 Räsonnement l 240 Chronologie, und Genealogie, in so fern sie noch eine besondere Lehrstunde erfodern, Diplomatik u. s. f. sind ihnen entbehrlich, und zu ununterhaltend; 1772 Frankf. gel. Anz. 251 Genealogie der Ideen; Schlegel 1798 Kunstlehre 108 Genealogie der Götter; Goethe 1803 Br. (WA IV 16,264) In der griechischen Tragödie zeigt sich der Chor in vier Epochen. In der ersten treten zwischen dem Gesang, in welchem Götter und Helden erhoben, Genealogien, große Thaten, ungeheure Schicksale vor die Phantasie gebracht werden, wenige Personen auf; Beck 1812 Mittelalter 24 Anm. Genealogie der Völker; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 6 Genealogie der Götter; Menzel 1835 Geist 56 Völker-Genealogien; Haeckel 1866 Generelle Morphologie I 29 organische Verwandtschaftslehre oder Genealogie; ebd. I 30 Genealogie der Organismen; Hornberger 1883 Selbstgespr. 43 Genealogie des Bösen: die Eltern heissen Hochmut und Lüge, das Kind Prätention; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 160) sie blätterte zurück bis ans Ende des großen Heftes, wo auf einem rauhen Foliobogen die ganze Genealogie der Buddenbrooks mit Klammern und Rubriken in übersichtlichen Daten von des Konsuls Hand resümiert worden war; Sckmarsow 1905 Grundbegriffe 343 Genealogie der Künste; Haeckel 1913 Lebenswunder 107 Genealogie der Species; Wätzold 1924 Kunsthistoriker 130 Genealogie der Motive in Aszendenz und Deszendenz; Kolb 1934 Schaukel 117
Wer kennt den Menschen ganz? Was ahnt er selbst von seiner unerforschlichen Genealogie? (DUDEN 1999); Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 32) ohne daß die erfaßbare Genealogie eine Handhabe zur Annahme römischen Bluteinschlages böte; taz 20. 8. 1988 Für einige Stätten wie zum Beispiel Tikal wurde die gesamte Genealogie entziffert; Presse 25. 2. 1997 Raoul Ruiz . ., dessen surreale Komödie 'Genealogien eines Verbrechens' Thriller, Psychoanalyse und Kunstgewerbe zu verbinden wußte; taz 20. 12. 2001 Hatte er [Nietzsche] doch in seiner Genealogie der Moral Geschichtsschreibung als ständigen Kampf um einen Anspruch auf Macht beschrieben, bei dem es darum geht, welche Interpretation vom Kräfteverhältnis zwischen Gut und Böse privilegiert wird; Berl. Ztg. 7. 2. 2003 der 1869 gegründete Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin. Genealoge/Genealogin: Weber 1734 Enc. I 559 Genealogus . . Geschlecht-Register-Schreiber; Heynatz 1797 Antibarbarus II 40 Geschlechtsforscher, nicht sowohl für Genealog, als vielmehr für Genealogist gebraucht der Uebersetzer von Friedrichs II. altern Werken sehr gut gleich im Anfange der Brandenburgischen Denkwürdigkeiten; Heyse 1838 Fremdwb. I 447 Genealog . . ein Geschlechtskundiger, Geschlechtsforscher, Geschlechtsbeschreiber; Sanders 1860 DWB l 577 Genealog . . Einer, der sich mit Genealogie beschäftigt; Gruppe 1887 Die griech. Gülte u. Mythen 164 es war gewiss nur eine verhältnismässig kleine Leistung der Genealogen in der Kunst, Geschlechtstafeln zu verbinden, wenn sie den Stammvater ihrer Fürsten mit den alten einheimischen Göttern verbanden; Heusler 1937 Br. an Thalbitzer 177 Hör mal, solltest du nicht vom Ulfhidr Olafs dottir ens helga stammen? Setz eure Genealogen in Trab!; Bergengruen 1954 Rittmeisterin 138 Von Genealogen und Biologen darf man sich nicht beirren lassen:" mir bleibt es gewiß, daß der Mensch auch von seinen Tanten abstammt, unter Umständen sogar von den angeheirateten; Mannh. Morgen 23.11.1989 Grace Kelly habe in ihrer Ahnentafel, die von den Genealogen Georg Schenk und Ernst Löslein 1966 aufgestellt worden sei, in mehreren Linien die Berg als Vorfahren; ebd. 15. 6. 1999 Die Familie Chrysler wurzelt in Worms. Genealogin ortet die familiären Ursprünge des späteren Autokonzerns im Stadtteil Herrnsheim; St. Galler Tagbl. 25. 3. 2000 die Isländer sind geradezu leidenschaftliche Genealogen, die ihre Herkunft oft über Jahrhunderte zurückzuverfolgen vermögen; Berl. Ztg. 13.11.2002 Mit Hilfe von Pathologen, Genealogen und Archäolo-
Genealogie gen durchkämmte sie jeden Fingerabdruck und jede Blutspur auf den Gegenständen aus Sickerts Nachlass. genealogisch: 1677 Schaubühne o. S. Kurtze genealogische Beschreibung; 1709 Neue Bibliothek I 11 Die genealogische Tabellen geben sowohl die stamm-Taffeln aus der neuen/ als alten historic; Wening 1721 Bayern Gz dass dieses Werck für keine Genealogisch: sondern Topographische Beschreibung hervor gegeben würde; Fleming 1726 Soldat 38 Sie bilden sich ein wenn sie eine HauptPassion entdecket, so wüsten sie alle die übrigen Neigungen, und verfertigen gleichsam moralische genealogische Tabellen; 1731—38 Der genealogische Archivarius (Titel); 7772 Frankf. gel. Anz. 83 König Heinrich kann immer, wann er einmal in die Liste der Chronologischen und Genealogischen Stifte und Merkstäbchen eingetragen ist, ohne Schaden aus dem Kopfe jedes denkenden und fühlenden Menschen wegbleiben; Gatterer 1777 Abriss d. Chronologie 77 Beyde Arten des Verfahrens lassen sich, mit geringer Veränderung, auch auf Genealogische Deduktionen und Stammtafeln anwenden; i7S7 Götting. Histor. Magazin 1,68 die genealogische Hoffnung, die man noch damals von dem zu Urach regierenden Vetter . . hatte; Herder 1793-95 Br. XVII 320 Noch seltner werden in ihr [der Geschichte] dergleichen herrschende Meinungen und Grundsätze in ihrer Abstammung und Fortpflanzung genealogisch verfolgt; Stuttgartische Ztg. 5. 6. 1806 Nach Angabe der genealogischen Handbücher ist der Kardinal Josef Fesch . . den 3. Jan. 1763 geboren; Goethe 1828 Br. (WA IV 44,221) genealogische Tabellen und Landcharten; Jochmann 1838 Naturgeschichte d. Adels 131 wenn ihm nichts, als sein genealogisches Verdienst geblieben war; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre l 31 der Erbe einer geistlichen Dynastie, die ihren Ursprung in gerader Linie bis in die Reformationszeit zurückführen konnte und deren genealogische Tabellen in den eigenhändig geführten Kirchenbüchern . . bestanden; Holtet 1860 Eselsfresser H 41 genealogisches Taschenbuch; Gottschall 1885 Totenkl. 262 Genealogisches Taschenbuch; Kerr 1897 Br. a. d. Reichshauptstadt 273 daß diese Hingabe mit ziemlicher Sicherheit gewisse genealogische Komplikationen nach sich zieht, scheint sie in ihrer Ahnungslosigkeit nicht gewußt zu haben; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 523) [er] ließ seine Augen noch einmal über das ganze genealogische Gewimmel hingleiten; ders. 1939 Lotte (W. // 491) obgleich ich aus naheliegenden Gründen mich viel mit der Geschichte unserer Familie beschäftigt, recht emsig genealogische Studien betrieben und
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manche einschlägige Urkunden gesammelt habe; Stengel 1960 Gesch. d. Reichsabtei Fulda 167 Die genealogische Forschung hat sich von jeher auf dem bis heute so unsicheren Boden der eberhardischen Auszüge getummelt; Zeit 8. 5. 1987 die gesamte DNA der Mitochondrien, den „Kraftwerken" der menschlichen Zellen, stamme von einer einzigen genealogischen Mutter, die vermutlich zwischen 280000 und 140000 Jahren irgendwo in Afrika gelebt hat; taz 10. 12. 2001 In seinem genealogischen Parforceritt durch die 600-jährige Geschichte der Bürokratie seit Philipp II. zeigte Siegert vor allem eines; Mannh. Morgen 12.2. 2003 Einen weiteren Schritt haben die Heimatforscher nunmehr mit dem Aufbau einer genealogischen Sammlung getan. genealogisieren: 1772 Frankf. gel. Anz. 263 wenn man alle diese Dinge weiß, . . so kann man sogar . . die Capricen des Wunderlichsten unter allen Sterblichen, in Claßen bringen und genealogisiren; Stnollet 1785 P. (Übers.) l 6 Grosse und Angesehenheit ihrer Familie . ., die . . zwei Generationen zurück, durch alle vielvermögende Hülfe der Wappenkunde und der mündlichen Überlieferung sich nicht genealogisiren lies; Müller 1825 Prolegomena zu einer wiss. Mythologie 178 Ein Bestreben, welches durch die ganze griechische Geschichte geht, und niemals ganz ausstarb, ist das zu genealogisiren. Es bestand in der Zeit der pragmatischen Historic durch die Meinung fort, jeder Ort und jedes Thal habe von irgend einem alten Scheik und Kaziken den Namen erhalten; Preller 1846 Aufs. 184 die Zeit, in welcher sich dem eigentlichen Epos, dem heroischen, . ., die Afterbildung des genealogisirenden Epos angeschlossen hat, welches die reflectirende Begründung zu all den Grossthaten der heroischen Vorzeit enthält, nämlich weil diese mit den Göttern so nahe verwandt gewesen, aber zugleich die Adelskette so zu sagen aufstellt, an welcher die Verbindung der heroischen Vorzeit mit der menschlichen Jetztzeit fortläuft; Goldziher 1876 D. Mythos bei den Hebräern 14 Bunsen hat die Religion vom Mythos nicht getrennt, und er erblickt demnach das, was er Gottesbewusstsein nennt, in der genealogisirten und schematisirten Mythologie; Sellschopp 1934 Stilist. Untersuchungen zu Hesiod 20 Ich glaube vielmehr, Hesiod hat möglichst weitgehend die Namen der übermenschlichen Wesen in der Ilias erfassen wollen und sie auf seine Weise genealogisiert; Trey 2007 D. Rassentheorie d. Grafen Joseph Arthur de Gobineau 10 Andererseits konnte man dieses Wort [Rasse] auch verwenden, um zu genealogisieren. Verwandte man das Wort „Rasse" in diesem Kontext, so konnte man es gleichsetzen mit Abstammung, Herkunft oder Wurzel.
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Genealogist: 1704 Auserles. Anm. I 9 weil uns die Historic! und Genealogisten mit einem Munde berichten/ daß derselbe A. C. 1614. gebohren worden; Wächtler 1709 Manual 145 Genealogiste/ der die Geschlecht-Register beschreibet; Dewerdeck 1711 Silesia numismat. 474 denn hier stehet der 6te Decembr. und ist also wohl kein Kummer bey der Sache/ wenn die accuraten Genealogisten den 26. Nov. beniemen; Marperger 1726 Anl. 27 Ein Genealogiste hat zum öfftern die in denen Avisen vorkommende und notificirte Geburts- und SterbeTage . . seinen Tabulis Genealogicis einzuverleiben; Hübner 1729 BibL Gen. Vorr. 5b Es hat bishero in Deutschland von Genealogisten gleichsam gewimmelt; Schöttgen 1745 Gesch. Conrads d.
Großen 90 daß I. einige Genealogisten die Ordnung derer Söhne ändern; Rabener 1755 Satiren 144 Johann Ulrich Matz . . behauptet Trotz allen Genealogisten, daß sein Vater ein Hurkind von dem Cardinal Mazarin gewesen sey; Heynatz 1797 Antibarbarus II 40 Geschlechtsforscher, nicht sowohl für Genealog, als vielmehr für Genealogist gebraucht der Uebersetzer von Friedrichs II. altern Werken sehr gut gleich im Anfange der Brandenburgischen Denkwürdigkeiten; Wieland vor 1813 S. W. V 77 Herr Rodrigo, der ein starker Genealogist war (KEHREIN); Campe 1813 Fremdwb. 335 Genealogist, ein Geschlechtskundiger oder Geschlechtsforscher; Sanders 1860 DWB I 577 Genealogist.
general Adj. und Adv., seit späterem 15. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus (m)lat. generalis 'das Allgemeine betreffend, allgemein', eigentlich 'zur (ganzen) Gattung, zum Geschlecht gehörig, diese(s) betreffend' (im Unterschied zu specialis, —» Spezial-, spezial-), zu genus 'Geschlecht, Gattung'; vgl. frz. general; —* Genus, —» General, —» generell), früher auch in lat. (flekt.) Formen und bis heute auch in lat. Syntagmen, bis ins 19. Jh. vereinzelt auch in der Form general. Zunächst meist als unflekt. Attribut (vgl. General-/general- als Bestimmungswort, s. u.) 'das Ganze, die Summe betreffend, umfassend, gesamt; übergreifend; überblicksartig; allgemein(-gültig); hauptsächlich', in dieser Bed. seit 18. Jh. zunehmend vom Adj. —> generell verdrängt (—» total, —* universal; Ggs. aktuell, konkret, singular, spezial/spezifisch, detailliert), z.B. generale Mittel, Prinzipien, generaler Unterricht, vereinzelt auch adv. gebraucht für 'verallgemeinert; unspezifisch; vage' (s. Beleg 1705), heute selten und überwiegend bildungsspr. auch in lat. (flekt.) Syntagmen wie Schola/Regula generalis, Privilegium/Studium generale (s. Belege 1682, 1888, 1915, 1956, 1970.2; -> Studium 2); daneben bis ins 20. Jh. überwiegend gebucht in spezifizierter Verwendung für 'das (einem Besonderen, einem Einzelfall, einem konkreten Phänomen) übergeordnete Allgemeine, die Gattung/das Genus (proximum) betreffend, dazu gehörig, dafür gültig, typisch; mit einer allgemeinen, das konkrete Einzelne übergreifenden Funktion ausgestattet; ranghöher' (s. Belege 1721-22.2, 1767-68, 1870, 1933; —> abstrakt, —> universal; Ggs. individual, partikulär, —» spezial). Schon früh, und oft schwer vom unflektierten Adj. zu trennen (16. Jh.), häufig und seit dem 19. Jh. überwiegend als Bestimmungswort General-, general- überaus produktiv mit Bezug auf höherstehende, übergeordnete, ranghöhere Personen in der Bed. OberVober-, oberster; Haupt-/haupt-' (vgl. bestimmte kirchliche, militärische u.a. Titel, Rang- und Amtsbezeichnungen, bei denen das adj. Bestimmungswort vom Subst. —> General oft nur schwer zu trennen ist, bes. Generalfeldherr, -feldmarschall, -gouverneur, -Stabsarzt, -hauptmann), in Zss. wie Generalbischof, -bundesanwalt, -dekan, -direktor 'anderen Direktoren übergeordnete Führungsperson, oberster Geschäftsführer, Vorstand, Chef, in größeren Institutionen wie Unternehmen, Hotels, Museen, Theatern, Opernhäusern oder in der Verwaltung', -Ingenieur, -inspekteur/-inspektor, -Intendant 'militärischer Befehlshaber', auch 'Schauspiel-, Theaterleiter', -konsul, -postmeister, -sekretär, -Staatsanwalt, -superintendent, -vi-
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kar, in neuerer Zeit im politischen, wirtschaftlichen und journalistischen Jargon vereinzelt auch kurz dafür, vgl. CDU-/SPD-General, Bank-, Bundesbahn-, Casino-, Hilton-, KGB-, ÖTV-, Raiffeisen-, Sparkassen-, VW-General (s. Beleg 1998); daneben auch mit Bezug auf Gegenstände und Vorgänge meist aus den Bereichen des Rechts, der Verwaltung und der Kirche in der Bed. 'von allgemeiner, übergeordneter Art; gesamt, das Ganze umfassend, die Summe betreffend; alle angehend, alle(s) betreffend' in (oft aus dem Lat.) (teil-)lehnübersetzten Zss. wie Generalabrechnung, -absolution, -akte, -amnestie 'Erlass aller Strafen für eine Gruppe von Straftätern (bis zu einer bestimmten Schwere der Tat)', -angriff, -bereinigung, -debatte, -ermächtigung/-genehmigung, -instanz, -klausei, -kommando (im Ggs. zu Generalskommando —* General), -kommitee, -konferenz, -konzil/-synode (nach mlat. concilium generate) 'große, allgemeine Kirchenversammlung, Synode', -lösung, -mandat, -marsch 'Aufbruch des gesamten Heeres in den Krieg', -mobilmachung, -nenner 'das kleinste gemeinsame Vielfache der einzelnen Nenner mehrerer Brüche (in der Mathematik)', -plan, -regel, -Schlüssel, -thema/-these, -Überschrift, -Versammlung 'Voll-, Hauptversammlung (von Vertretern) aller Mitglieder eines Vereins, einer Genossenschaft, eines Unternehmens (AG, GmbH), einer Stiftung oder ähnlichen sonstigen Organisation, die als beschlussfähiges Gremium das höchste Organ dieser Organisation ist', -vertrag, -Vertretung, -vertrieb, -Verwaltung, -vollmacht 'umfassende Vollmacht für alle rechtlichen Stellvertretungen, die gesetzlich (oder gemäß einer bestimmten Satzung) möglich sind', -zensur, v. a. in (auch übertragen verwendetem) Generalbeichte (nach mlat. confessio generalis) und Generalstreik 'umfassender Ausstand der gesamten Arbeiterschaft o. Ä. eines ganzen Landes(-teils)', sowie bereits lexikalisiert Generalbass (nach ital. basso generale/principale, vgl. basso continuo) 'durchgehende Basslinie mit den dazu passenden Akkorden, die für die Barockmusik charakteristisch ist', Generalprobe 'letzte Probe vor der Premiere eines Theaterstücks, einer Oper, Operette, eines Konzerts oder einer Revue/Show', oft auch übertragen 'letzter Probelauf vor einem wichtigen Ereignis, einer Veranstaltung (z.B. einem vorzuführenden Experiment), letzter Trainingsdurchgang im Sport, letzte Übung von Sicherheitskräften vor einer (Groß-)Veranstaltung u. Ä.' (s. Belege 1897, 1970) und Generalstaaten (aus niederl. Staten-Generaal) 'Gesamtheit der von den Provinzen bzw. Städten in die allgemeine Ständeversammlung der Niederlande entsandten Abgeordneten' (vgl. gleichbed. Generalstände), seit 1814 auch mit Bezug auf die beiden Kammern des niederländischen Parlaments; seit früherem 20. Jh. auch in verbalen (meist in der infiniten oder Part. Perf.-Form gebrauchten) Zss. für 'von Grund auf, gründlich, komplett', z.B. generalinstandsetzen, -reinigen, -renovieren, -sanieren, -überholen, -untersuchen, attr. verwendet in generalgereinigt, -mobilisiert, -saniert und v. a. generalüberholt, mit den entsprechenden Verbalsubst.; seit Anfang 20. Jh. auch in dem vom juristischen Terminus Generalprävention 'auf Vorbeugung oder Abschreckung der Allgemeinheit ausgerichtete (bes. harte, unnachgiebige) Gesetzgebung, Rechtsprechung' (im Ggs. zu Spezialprävention) abgeleiteten Adj. generalpräventiv 'die Allgemeinheit abschreckend; auf die Abschreckung der Allgemeinheit ausgerichtet'. Daneben vom 16. bis ins 19. Jh. die adv. gebrauchten Syntagmen (lat.) in general(i) und (frz.) en general, gleichbed. mit seit früherem 16. Jh. vereinzelt (bildungsspr.) nachgewiesenem (aus dem Lat. übernommenen) generaliter und seit früherem
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17. Jh. belegtem generatim in der Bed. 'allgemein, im Allgemeinen, im Ganzen, überhaupt', vgl. —>· generell. Dazu seit späterem 16. Jh. die aus (flekt. Form von) gleichbed. lat. generalitas entlehnte subst. Ableitung Generalität1 F. (-; selten -en) 'Allgemeinheit, Allgemeingültigkeit', auch abwertend 'Gemeinplatz' (s. Beleg 1772; vgl. Banalität), daneben bezogen auf die Niederlande im Sinne von 'Stadt, Gegend, Provinz, die von den Generalstaaten (s. o.) verwaltet wird, unter deren Hoheit steht' (s. Beleg 1785), z. B. Generalitätslande; von Ende 16. Jh. bis vereinzelt in die jüngste Zeit nachgewiesenes, eventuell aus Syntagmen wie regula/thesis generalis verkürztes General(e) N. (-s; Generalien, früher auch Generalia), als Juristen- und kanzleispr. Terminus in der Bed. 'allgemein gültige, verbindliche rechtliche Verfahrens-, Rechtsordnung, (Landes-) Gesetz/Verordnung' (s. Belege 1615.1, 1615.2, 1776, 1779.1, 1785, 1813, 1817; vgl. per generalia), dann 'allgemeine Daten (zur Person), die am Beginn einer Rechts-/Verwaltungssache relevant sind, ihr als Grundlage, Ausgangspunkt dienen' (s. Belege 1871, 1884, 1999; vgl. Formuliert, —» formal, Personalien), auch abgeflacht 'das Allgemeine betreffende, grundlegende Tatsache, Regel, (nur formale) Angelegenheit' (s. Belege 1615.3, 1661, 1779.2, 1812, um 1855, 1876, 1877, 1884, 1911, 1933, 1978; —> Prinzip, —* Universalien a); seit späterem 18. Jh. die eventuell aus frz. generaliser (zu general 'allgemein') entlehnte verbale Ableitung generalisieren V. trans, 'ins Allgemeingültige erheben, auf Vergleichbares übertragen, verallgemeinern' (vgl. abstrahieren, typisieren; Ggs. differenzieren, individualisieren, spezifizieren), vereinzelt auch reflex, (s. Beleg 1918), oft im negativen Sinne von '(voreilig, unzulässig) vergröbern, zum Allgemeinplatz machen' (s. Belege 1923, 1939, 2000.2; vgl. pauschalieren, globalisieren, —> global a), häufig subst. (s. Belege 1834.1, 1859.1, 1859.2, 1880, 1931, 1949) sowie adj. gebraucht in der Part. Präs.-Form generalisierend und in der Part. Perf.-Form generalisiert, auch in der medizinischen Bed. 'sich im Körper ausbreitend, manifest geworden; über den ganzen Körper verbreitet' (s. Belege 1970.1, 1994.3, vgl. chronisch), mit dem Ende 18. Jh. aufgekommenen Verbalsubst. Generalisierung F. (-; -en), gleichbed. mit im früheren 19. Jh. aufgekommenem Generalisation F. (-; -en), in der Bed. 'Verallgemeinerung, übertragene Anwendung, Übertragung' (—» Abstraktion); seit spätem 18. Jh. vereinzelt, seit den 70er Jahren des 20. Jhs. häufiger die Personenbezeichnung Generalist M. (-en; -en), auch moviert Generalistin F. (-; -nen), zunächst selten für 'Christ, der keiner der bestehenden Konfessionen angehören will' (s. Belege 1838, 1871, 1911), dann v. a. 'jmd., der über eine breitgefächerte Ausbildung verfügt, nicht auf ein bestimmtes Gebiet fixiert ist, sondern auf vielen Gebieten Fähigkeiten, Erfahrungen, Kenntnisse und Begabungen hat' (Ggs. Spezialist), z.B. reine Spezialisten haben weniger Berufschancen als Generalisten; Generalistenausbildung, -berufe, -parlament, -programm, -wissen, mit seit früherem 20. Jh. nachgewiesenem generalistisch Adj. general: 1473 (Kentenich 1915 Trier 273) ein generaelle Studium zu Trier sal uffgericht und angestalt werden; Adelphus 1513 Historia v. Khodis (Ausgew. Sehr. 242) ein general und gemein capitel [halten]; Sleidan 1544 Reden 239 weder General noch National Concili; 552 (Hähnle, Fürstenkrieg 32) ain gemain general christenlich concilium; Spangenberg 1562 Siben B4a Vnd wie kann das ein General allgemein Christlich Concilium heissen;
Wasserleiter 1590 Logica la Die Logici halten logicam vnd Dialecticam für eben eine general Kunst, die allen Menschen . . gemein ist; ebd. 123a Das einfeltige Axioma ist entweder General oder Special; ebd. 125b General/ Es ist ein general Axioma, wenn das furgehende Theil ist in der Grammatica ein Nomen appelativum; Bapst 1596 Arzneibuch 122a als ein general namen; 1599 Orientalisch Indien III 40 welchen Wind die Portugalesen den ge-
general neral oder gemeinen Windt nennen; Albertinus 1599 Sendtschreiben III 34 Dann/ wo fern ihr den general und gemeinen Nutz suchet; Erard de Ear le Due 1604 Fortif. (Übers.) 10 Die Verschantzung in einem belagerten Ort ist Particular oder General . . General . . wirdt sie genannt/ wann sie vmb die gantze Gegend/ da der Feindt ligt/ wirdt herumb gezogen; Carolus 1614 Relation 25b soll auch die general Musterung gehalten/ vnd das Volck [Soldaten] an die Grentzen gesand werden; Wallhausen 1617 Corpus militare 9 general oder gemein; Winkkelmann 1649 Bedencken 85 zu gewisser Jahreszeit General Schulvisitation; Becher 1668 Methodus b2b da doch das Wort Obrigkeit gantz general ist; Steiner 1682 Kriegs-Bau-Kunst 78 ist diese Regula generalis zu beobachten; Mercurii Relation 9. 1.1700 Der . . Bischoff von Segovia / hat als Inquisiteur General von Spanien heut den Eyd abgelegt; 1704 Auserles. Anm. I Vorr. Sa daß alle dasjenige genau in acht genommen werden müsse/ was in der generalen Vorrede über die lateinischen Obseruationes ist erinnert worden; 1705 Auserlesene Anm. II 172 daß sie sich durch die Laster/ oder/ (daß ich nicht zu general rede) durch dieses oder jenes Fürhaben in die äusserste Gefahr und Unglück stürzten; Vischer 1709 Informator 17 Um aber wieder auff die generale, einen Informator anweisende Übung der Gottseligkeit zu kommen; 1711 Fama VII 511 alte und neue Commentarii über die Bücher der Heil. Schrifft/ so wohl generales als speciales, aus denen Lutheranern/ Papisten und Calvinisten; Marperger 1711 Beschr. d. Messen I 6 sintemal das Wort Mahl . . bey denen alten Sachsen eine öffentliche generale und auch particulare Zusammenkunft, wichtige Sachen abzuhandeln bedeutet hat; ebd. i 405 auf dem Contoir aber bringt mans in den specialen oder generalen Waaren-Rescontro; Prambhofer 1712 TraumGes. 32b Die Ehrsucht ist ein General und allgemeine Pest/ die alle ansteckt/ und durch die gantze Welt grassirt; Marperger um 1720 Reisen 26 durch ein generales Verbot in allen Teutschen Provintzien und Republiquen; 1721—22 Discourse d. Mahlern 12 Man kann in der That eine generale Observation machen, daß eine Person, welche Estime für uns hat, niemals mangeln wird, dieselbe in Affection zu veränderen, so bald ihr das Objectum ihrer Hochachtung eine gleiche Inclination wird mercken lassen; ebd. 43 Die Passion des Frauenzimmers für ein stoltzes Equipage ist general; Zinzendorf 1743 Zugaben l—4 z. Herrnhuter Gesangbuch (Ergänzungsbände II 2106) Also soll es sich in diesem saale (der der saal ist für das generale der Kirchen-sachen) zu uns an die lange tafel machen (DiBi 125); Moser 1759 Herr u. Diener 3 So wenig ein Hausvater zurechte kommen kann, wenn er seine Haushaltung nicht nach einem ge-
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wissen generalen Plane führet; Reinhard 1764 Sehr. V 617 Da nun hiermit eine generale Idee von unserem Weinbaue ist ertheilet worden; Lessing 1767— 68 Dramaturgie (S. Sehr. X 173) Die Komödie macht alle ihre Charaktere general; die Tragödie partikular; Weiss 1820 Süd-Baierns Oberfläche 6 ein generates Bild vom Steigen und Fallen des Terrains längs dem Hochgebirge abstrahiren; Heyse 1870 Fremdwb. 382 general od. gew. generell . . zur Gattung gehörig, die Gattung betreffend . . allgemein, allgemein gültig; Kaufmann 1888 Gesch. d. dtsch. Univ. I 103 Ein Studium ist dann als ein Studium generale anzusehen . . wenn in Gemeinschaft (und nach den Vorschriften der Gemeinschaft) Theologie, Jurisprudenz u. s. w. gelehrt wird . . Darum wurden neben generale, universale, commune auch die attribute solemne und eminentius gebraucht, ja commune und generale erfuhren sogar eine Steigerung in communius und generalius; Piur 1903 Wolff 82 Allgemeinheit, das sich schon bei Schottel belegen läßt, wenn es Stieler auch nicht kennt, begegnet sonst vor Wolff nur äußerst selten und wird vorher stets durch Generalität wie allgemein durch general ersetzt; Nyström 1915 Schulterm. 11 Seit Anfang des 13. Jh. erscheinen in lateinischen Quellen häufig die Ausdrücke Studium generale und scholae generales als Spezialbezeichnungen für Hochschulen; diesen gegenüber werden nicht privilegierte Lehranstalten studia particularia oder scholae particulares . . genannt; Genius 1933 Fremdwb. 362 general . . oder generell, die Gattung betreffend, zu ihr gehörig, allgemein; Heimpel 1956 Kapitulation 90 jede dieser Schulen war ein Studium generale .. Die Prüfungen, die akademischen Grade der damaligen Hochschulen galten in der ganzen Welt; Lammers 1970 Bemerkungen o. S. wie sich in diesem heutigen Lesebuch . . dieses Gesamtbild deutscher Vergangenheit aus der Bestimmung des generalen Erzählthemas und aus den Urteilen zu entscheidenden Stationen aufbaut; Kisch 1970 Rechts- u. Sozialgesch. o. S. in jener Zeit hat der Typus der individuellen Privilegien erst dann eine Erweiterung erfahren, als für eine größere Zahl von Personen in der gleichen Rechtslage durch ein privilegium generale ein Sonderrecht festgesetzt wurde; taz 12.5.1989 Die zwar loyale, aber generale Abrechnung mit der besseren Hälfte läuft hier . . als aufregender Exhibitionismus; ebd. 3. 1. 1990 Und was im ersten Akt bei der Generalprobe schon fast general schief geht, geht im zweiten schon fast general in die Hose. General-: Eberlin v. Günzburg 1524 Ausgew. Sehr. HI 67 General Vnnd Prouinciel Statuten; Sleidan 1531 Briefw. 186 general concili; Schertlin v. Burtenbacb 1532 Br. 6 ein general mandat von königli-
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eher Majestät. . verkündet; Melanchthon 1536 Ep. (HI 134) Denn ob wir uns gleichwohl zu einem ändern Concilio erbieten, so kann doch kein General Concilium anders denn durch den Papst ausgeschrieben werden; 1566 Catalogus (LV. CLXXVI 324) ein offen general mandat in truck verfertiget aussgehen und anschlagen lassen; 1580 Heidelb. Statuten 159 in dieser unserer Stadt Heydelberg ein generalstudium gestiftet; Fischart 1582 Bienenkorb 18 generalbischof aller bischof über die ganze christlich kirch; Lorini 1607 V. Vestung Bauwen (Übers.) 11 eine general Regul [Mathematik]; 1618 Acta Publica 19 general- vnd special-privilegia; 162? (Aretin 1839 Bayerns auswärt. Verh. l 121) ein General Conuent nach Augspurg ausgeschriben; 1635 (Niebier 1938 Oberbefehl (Diss.) 11) General-Commando über die Armee, so Wir anitzo auffzurichten im werck begriffen; ebd. alle Unsere Hohe und Niedere Krieges Officirer, General Commissariat und Proviant Bediente; Winckelmann 1649 Bedencken 85 zu gewisser Jahreszeit General Schulvisitation; 1651 Braunschw. Schulordn. 10 der Special- und General-Superintendens; Grimmelshausen 1670 Courage (111 10) und also werdet ihr euch über mich verwundern/ wann euch die Zeitung von dieser meiner Haupt- oder General Beicht zu Ohren kommt; Fabricius 1675 Eine manuductio zum Generalbaß (Titel); Tentzel 1689 Unterredungen 759 und eine general-Amnestie unter ihnen auffgerichtet worden; Reuter 1696 Schelmuffsky l 126 wie kunte das mensche schöne singen und mit der leyer den general-bass so künstlich darzu spielen (DWB); Vischer 1709 Informator 135 eine General-Repetition alles dessen, was man in allen Lectionen gelernet; ebd. 149 Ein General-Examen und Wiederholung alles dessen was die Woche hindurch .. tractirt und gelernet worden; 1711 Gelehrte Fama 267 ein kurtzes Compendium, welches die gantze Sache in folgende general thesin einschliesset; Weißbach 1732 Kur 18 general-regeln von der diaet vor alle menschen; 1747 Genuesische Merkwürdigkeiten 6b unter Verheissung eines General-Pardons; )usti 1758 Staatswirthschaft l 147 Generalvisitationen [der] Wälder und verdächtigen Häuser; Büsching 1761 Erdbeschr. III 1335 Die Generalsuperintendenten, welche man im gemeinen Leben Generäle nennet; 1765 Titular-Buch 12 An die General-Staaten der vereinigten Niederlande oder die Republik Holland; Goethe 1782 Br. (WA IV 5,264) eine Generalrevision meiner Briefschulden; Immermann 1830 Karneval 181 du sollst deinen Carneval mit einer Generalbeichte erkaufen; Wickede 1854 Soldatenleben III 241 Als ich 1839 eine Generalrevue . . über mein Vermögen abhielt; Mahler 1864 Über d. Eider 28 morgen in aller Frühe stand der Generalmarsch . . bevor; Hartmann 1866 Erlebn. 173 Der Generalvikar wie die
gesamte katholische Geistlichkeit; Walloth 1886 Seelenrätsel 38 der Generalintendant der herzoglichen Schauspiele; Falke 1897 Sie war reizend 70 Im endlichen Besitze eines fast neuen Chapeaus machte ich noch einmal Generalprobe vor dem Spiegel; Philippi 1916 Hagedorn 247 dass das keine Gardinenpredigt gewesen war, sondern eine Generalabrechnung, bei der er der Schuldner blieb; Frankf. Ztg. 28. 10. 1927 Die Todesstrafe erfüllt. . die Funktion der Generalprävention nicht; 1930 Mitt. f. Landesaufnahme 85 Anm. Übersichts- oder Generalkarten; Voss. Ztg. 19. 7. 1931 den Zusammenbruch Mitteleuropas zu verhindern und eine Generalreinigung der politischen und wirtschaftlichen Atmosphäre einzuleiten; Lokal-Anz. 5.3. 1933 Das deutsche Parlament hatte oft eine .. große Ähnlichkeit mit einer Generalversammlung; Berl. Illustr. Nachtausg. 8. 3. 1933 Schlesiens Generalangriff gegen Arbeitslosigkeit (Überschr.); ebd. 9. 8. 1933 In einer von kommunistischen und sozialistischen Gewerkschaften einberufenen Sitzung wird heute abend über die Ausrufung des Generalstreiks beraten; Lokal-Anz. 22. 9. 1934 Entlassung . . des Generalsekretärs des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages; Münch. N. N. 11. 5. 1940 daß der Bundesrat die Generalmobilmachung der schweizerischen Armee . . angeordnet habe; Dtsch. AZ. 19. 10. 1943 Als Generalnenner aber, als Grundbaß . , war überall das gleichmäßige Stampfen der Kriegsmaschine spürbar; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 703) Bei Spengler . . ist der Herrenmensch seines Traumes . . zu dem über Leichen gehenden Raub- und Profitmenschen, zum Geldmagnaten, Rüstungsindustriellen, zum deutschen Generaldirektor geworden, der den Faschismus finanziert; Süddtsch. Ztg. 7.10.1948 daß sich Rußland in unbegreiflicher Weise abgeneigt gezeigt hat, seine „Generallinie" in Europa auf europäische Verhältnisse umzustellen; ebd. 26. 8. 1950 die Gründung des berühmten Generalkommitees . ., aus der später die Einheit der Sozialistischen Partei hervorging; ebd. 1. 2. 1951 Die Generalüberholung einer Dame in mittleren Jahren dauert etwa drei Stunden; Stuttgarter Ztg. 6. 10. 1962 mit der die Bundesregierung durch einstimmigen Beschluß des Parlaments „Generalvollmacht" erhielt, „jede sich bietende Möglichkeit zu ergreifen, um . . zu einer Normalisierung der Beziehungen .. zu kommen"; Köln. Stadt-Anz. 1970 Erstmals in der Turnhalle feierte der Turnverein Wahlscheid sein diesjähriges Stiftungsfest. Da es sich allerdings um das 49. handelte, betrachtete der Turnverein es schon ein wenig als Generalprobe für das kommende „Gold-Jahr"; Süßkind 1981 Kontrabass 56 Über allem schwebt der GMD, der Generalmusikdirektor; Zeit 24. 4. 1987 ein wenig Patriotismus ist auch dabei, wenn Manfred Bött-
general eher 1970 als Leiter der DDR-Delegation zur Generalkonferenz der Siebenten-Tags-Adventistcn . . stolz mit der DDR-Flagge einmarschiert; Spiegel 10. 1. 1994 Die wirtschaftliche, soziale und mentale Vereinigung Deutschlands wurde nicht auf der Basis eines Generalplans eingeleitet, sondern verlief bisher nach dem Verfahren von „Versuch und Irrtum"; Salzb. Nachr. 29. 2. 1998 Walter Rothensteiner, General der Raiffeisen Zentralbank; ebd. 14. 4. 2000 Von der GSWB liegen Kauf-Anbote vor: Im Falle einer Generalsanierung erhielte die Stadt 28 Mill. [Schillinge]. general-: 3937 Soldat d. Luftwaffe 13 [Triebwerke des Flugzeugs werden] generalgereinigt; Welt 26.3.1949 Maschine generalüberholt, zum Taxwert; 1950 Wort u. Wahrheit V 882 der totalitäre Osten hat den Massenhass gegen die „Kriegshetzer" und „Einkreiser" generalmobilisiert; Welt 2.11.1961 Gäste aus aller Welt . . lassen sich alljährlich „generalüberholen" [durch eine Schrotkur]; Martell 1971 Einzelakkord o. S. Sie [Maschinen] werden immer wieder repariert und zusammengeflickt und ab und zu generalüberholt und frisch lackiert; taz 26. 11. 1986 Der Chemiekonzern Bayer AG will als Reaktion auf den Giftunfall bei Sandoz sämtliche Anlagen generalüberprüfen; ebd. 6. 4. 1990 irgendein (begrüntes) Center mit Passagen, Kaufhaus, Gastronomie . . alles generalübernommen von Klingbeil und Konsorten; ebd. 2. 1. 1996 Während in Island die Hausfrauen einen Tag lang generalverweigerten, streikten in Frankreich „les belles du jour et de nuit" wegen zunehmender Gewalt an Prostituierten; Vorarlb. Nachr. 2. 9. 1998 Beide Häuser sind in einem sehr desolaten Zustand und müssen generalsaniert werden; ebd. 15. 11. 2000 So wird jeder Zug einmal täglich „generalgereinigt". Je nach Einsatz erfahren die Waggons mehrfache „Wendereinigungen"; taz 14. 12. 2001 Eine neue Generation hat das Traditionsgenre generalüberholt. generalpräventiv: J9I2 Women's position in the laws of the nations 26 da von einer generalpräventiven Wirkung des Gesetzes heute kaum etwas zu spüren ist; Hohenleitner 1957 Festschr. Rittler 76 Generalpräventive Bedürfnisse werden die Bestrafung von Personen, die zur Tatzeit zurechnungsunfähig waren, nie rechtfertigen; taz 13. 9. 1986 Aus „generalpräventiven Gesichtspunkten" werde die Strafe auch nicht zur Bewährung ausgesetzt. Von dem Urteil müsse eine „abschreckende Wirkung" ausgehen, damit die „Disziplin der Truppe" gewahrt bleibe; Mannh. Morgen, 6.10.2006 Auch wegen der generalpräventiven Wirkung plädierte indes Staatsanwalt Klaus Schultz auf zwei Jahre acht Monate.
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Generale/Generalien: Wallhausen 1615 Kriegskunst zu Fuß 25 Welches Generale alle vnterhabende Kriegsleuth in gemein betrifft vnd obligiret helt; Albertinus 1615 Gustnan v. Alfarche 212 Am ändern/ mustu nit allein die generalia oder vniversalia luris wissen; ebd. 213 daß ein jegliche scientz jhre fürgeschribene Ordnung hat/ vnd daß man von den generalibus vnd vniuersalibus anfahen . . müsse; Lassenius 1661 Tischreden 308 dass das Wort . . ein generate sey, unter welchem alle grosse Fisch verstanden werden, und alle deren Species oder Arten; J722 Historie d. Jahrs 1720 273 daß denen sämtlichen Grund Büchern die Befolgung obiger Generalien nochmahl alles Ernsts eingebunden; v. Mayern 1776 Einl, z. kreisämtl. Wiss. 395 In den Anno 1739 unterm 5 Jänner publicirten Zunfts-Generalien, und den einer jeden Zunft in grösseren Städten insbesondere ertheilten innungsartikeln. Nach den Zunfts-Generalien richten sich alle Zünfte; Goethe 1779 Amtl. Sehr, l 94 [betr. Verlängerung der dreitägigen Aufenthaltsgenehmigung für in fremden Militärdiensten stehende Landsleute| Würden sich aber dergleichen Leute unbrauchbar finden . . sollen sie . . von Euch [Regierung zu Weimar und Eisenach] nach dem Gencrali behandelt werden (GWB); Muller 1779 Siegfried v. Lindenberg 80 Nach einigen Generalien über die Höllenstrafen überhaupt, erklärte das damastne Genie sich wider die gewöhnliche Bedeutung des Worts Ewig, und that einen großen Schritt über die Grenze bis ins Centrum der Philosophey (DiBi 125); Schlettwein 1780 Archiv l 101 Unsere Fürstlichen Beamtungen aber für allezeit per generalia anzuweisen; Sonnenfels 1785 Geschäftsstil 387 Man nennt Generalien in Druck erschienene Gesetze, welche sich auf alle Länder der Monarchie erstrecken; Goethe 1812 Br. (WA IV 22,312) das mitgesendete interessante Verzeichniß aber wurde zu den Generalien und allgemeinen Documenten der [Autographien-]Sammlung hinzugefügt; Campe 1813 Fremdwb. 335 Generale, in der Sächsischen Kanzelleisprache, eine allgemeine Verordnung, eine Landesverordnung; Lang 1817 Reise / 60 Lesen Sie . . die 512 Generalien, welche in Straßenbausachen ergangen sind; Schücking um 1855 Bronckh. II 289 Der Herr Aktuar schreibt zuerst die Generalia nieder (SANDERS 1871); Sanders 1871 Fremdwb. l 433 Generale . . Die Eingangsformeln des Protokolls; Laband 1876 Staatsrecht I 331 Die erste Abtheilung . . bearbeitet die Angelegenheiten der höheren Politik, die kirchlichen Angelegenheiten, die Generalien, Personalien; Kürnberger 1877 Herzenssachen 277 Von dieser Specialität war es denn auch unmöglich, in Generalien zu sprechen; 1884 Brockhaus VH 752 Generalien . . allgemeine Angelegenheiten, im Gegensatz zu Spezialsachen; auch die allgemeinen Fragen
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general
(über Alter, Stand u. s. w.), welche einer Person bei der gerichtlichen Vernehmung zunächst vorgelegt werden, bevor auf die Sache selbst eingegangen wird; Petri 1911 Fremdwb. 363 Generalien, Mz., die allgemeinen Angelegenheiten; Genius 1933 Fremdwb. 362 Generälia oder Generalien, .. allgemeine Angelegenheiten, Allgemeines; Fleischer 1978 Geschichtsprozeß 159 Nach so viel Restriktionen bedarf es einiger Anstrengung, die gleichwohl für das Begreifen von Geschichte in Betracht kommenden Generalien festzuhalten; Oberösterr. Nachr. 9. 4. 1999 Selbst der Richter ist geneigt von der Routine abzurücken und meint, daß man sich die Generalien des Angeklagten eigentlich sparen könne, weil sie ohnehin gerichtsbekannt seien. in general(i)/en general: Philipp v. Cleve Anfang 16. Jh. Kriegsbuch (1839 Mones Anzeiger Vlll 116) Von den bevelchsleuten in general; Eck 1520—27 Vier Sehr. 47 den glauben, den sy vor haben in gmein (in generali), würden sy auch richten in sonderlichen stücken (in speciali seu particulari); Meyer 1672 Geschichts-Erzehlungen XXIV 200 f. daß wir uns treulich um das gantze Rom. Reich so wol in general als in particular verbunden haben; Marperger 1716 Küchendict. Vorr. o. S. Von dem Ceremoniel, welches bey dergleichen hohen Tafeln vorzugehen pfleget/ reden wir nur en general; Fassmann 1729 Narr 26 daß die Leute sich fast über das gesamte gelehrte Wesen en general moquiret; Bergius 1773 Policey- u. Cameral-Magazin VH 76 Im Magdeburgischen setzet man vor die Schweinezucht nur en general etwas an, richtet sich aber dabey nach der Brauerey, und schlaget die Trekern, um mehrerer Accuratesse und Ordnung willen, besonders an; Heyse 1838 Fremdwb. l 448 en ganeral . . überhaupt, im Allgemeinen, im Ganzen; 1855 Archiv d. Pharmacie V 215 f. Dieses aber kann en generale gesaget werden: alle Biere sie seynd weiss oder braun, bestehen . . grössen [!] Theils aus Wasser; Sanders 1871 Fremdwb. l 433 En . . general, im Allgemeinen, im Ganzen, überhaupt. Generalisation: Heyse 1838 Fremdwb. I 448 Generalisation . . Verallgemeinerung, das Verallgemeinen; Fallmerayer 1840 Versuche (HI 3) verwirft . . in Behandlung historischer Gegenstände, besonders in Länder- und Völkerkunde, alle Weitwendigkeit und Generalisation; Lange 1866 Materialismus II 15 Jene rapide und unbedingte Generalisation des einmal Gesehenen; Hartmann 1869 Philosophie 185 jene Thiere . ., deren Bewusstsein zu solchen Generalisationen fähig ist; Dilthey 1883 Einl. (l 33) Das Singulare des Menschendaseins er-
greift eben . . stärker als irgendein anderes Objekt oder irgendeine Generalisation; 1903 Troeltsch (IV 403) Macchiavelli mit seiner psychologischen Analyse, seinen historischen Vergleichungen und seinen durch Empirie gefundenen Generalisationen; Schmidt 1906 Anfänge d. Literatur 4 Durchweg muss trotz dem Wert der Analogieschlüsse eine vorschnelle Generalisation vermieden werden; Rothacker 1927 Logik 18 Generalisationen vom Stoff her; 1989 Brockhaus VIII 283 Generalisierung . . 3) Lernpsychologie: Generalisation, Bez. für das Phänomen, daß Verhaltensweisen, die bei einem Lernprozeß mit einer bestimmten Reizsituation gekoppelt wurden, im folgenden auch durch andere ähnl. Reize hervorgerufen werden können; Züricher Tagesanz. 24. 11. 1997 Sie [Redakteure] befürchten organisatorisch eine Aufblähung der Hierarchie und inhaltlich eine Neuausrichtung auf ein breiteres Publikum, weg vom Fachjournalismus, hin zur Generalisation; Presse 13. 5. 2000 man kann gegenüber der Frage nicht so leicht per Generalisationen, aus denen sich Ausweisungen ans beliebig Private ergeben und Ausweisungen aus dem öffentlich zu Verhandelnden, sich der Affäre entziehen. generalisieren: Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IV 322) ihre Empfindung wird sie auf manchen Handgriff leiten, den noch kein Kritikus zur Regel generalisiret hat; Müller 1773 — 79 Er. 24 generalisierende Wissenschaften; Goethe 1780 Er. (WA IV 5,26) wie wenig kann ich freilich davon mit den abgebrochenen Musterstückchen [Gesteinsproben] und den wieder auf der ändern Seite zu generalisirten Durchschnitten überschicken; Schlözer 1782 Stats-Anzeigen // 464 Anm. Dieser Grundsatz . . verdient, generalisirt, und in das Allgemeine StatsRecht übergetragen zu werden; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 96) keines [der Tiere] hat die Erinnerung je durch eine Handlung bewiesen, daß es für sein ganzes Geschlecht seinen Zustand verbeßert, und Erfahrungen generalisirt hätte; ders. 1791 Vernunft (S. W. II 252) Aus bloßer Läßigkeit sagen wir dann ein so allgemeines Machtwort. Kurz, wir generalisiren immer nur in Absicht zu particularisiren; Klinger 1803 Betr. (XI 168) Wenn auch ein Schriftsteller . . generalisiert, so generalisirt er immer nur nach seinem Individuum; Hufeland 1823 Kl. med. Sehr. 150 mein Hauptgrundsatz in der Praxis [ist] die Krankheit möglichst zu generalisiren, aber den Kranken aufs genaueste und schärfste zu individualisiren; Bronner 1834 Weinbau U 121 Anm. In keiner Sache mag das Generalisiren gefährlicher seyn, als im Weinbau; 1834 (1845 Bibliothek Polit. Reden V 7) Generalisiren der Gesetze; Dingelstedt 1847 Jusqu'ä la mer 161 das den Franzosen im Allgemeinen eigene Talent
general zu generalisiren, zu organisieren; Treitschke 1859 Gesellschaftswiss. 21 Für die Wissenschaft .. ist das Generalisiren örtlicher und zeitlicher Verhältnisse eine Quelle von Irrtümern geworden; ebd. 88 Entstehen doch die meisten irrigen politischen Theorien aus dem Generalisiren zeitlicher und örtlicher Erfahrungen; Scherr 1865 Blücher Hl 26 nirgends hören wir von einer germanischen Nation, — es wäre denn in den generalisierenden und darum schiefen Berichten eines Cäsar oder Tacitus; Rümelin 1875 Reden l 352 muss man sich von einem vagen Generalisiren hüten; Mommsen 1880 Reden u. Aufs. 418 das unvermeidliche . . Generalisieren [im Urteil über fremde Völker] wirkt verstimmend und verbitternd; Lipps 1903 Ästhetik 262 die Stilisierung kann andererseits dasjenige an einem Individuum herausnehmen, was an ihm das . . gattungsmäßig Wesentliche ist . . Diese Stilisierung soll generalisierende heissen; Th. Mann 1908 Reden u. Aufs. (W. X 28) in der Tat verstehen wir von einem wirklichen, lebendigen Menschen nicht viel und generalisieren sehr oberflächlich; 1910 GRM II 259 Anm. eine „generalisierende" Betrachtung, das heisst eine Gewinnung von Begriffen, die durch die Ausscheidung des Individualen gebildet werden; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 243) Die deutsche Nation kann keinen Charakter im Sinne der anderen Nationen haben, da sie sich durch die Literatur, durch Vernunftbildung zu einem Weltvolke generalisiert und geläutert hat; Walther 1919 Wege dtsch. Geistes 22 der Fehler war . . nur der, daß die Lehren der deutschen Geschichte generalisiert wurden; Weber 1922 Aufs. z. Wiss. 127 generalisierenden Kausalbetrachtung; Kletnperer 1923 Tagebücher 719 Es dürfte an seinem Oppositionszustand liegen: er „generalisiert", er „zerpliesert" etwas allzuviel; Rothacker 1927 Logik 24 typisierende und generalisierende Strukturwissenschaften; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 213 jedes allgemeine Urteil sei ein Resümee aus Einzelbeobachtungen, alles Erkennen Generalisieren, das höchste Generalurteil das Kausalgesetz; Dopsch 1939 Herrschaft 77 warnte . . davor, diese Erzählungen zu generalisieren; Klemperer 1949 Tagebücher 633 durch Generalisieren, durch Clicheworte u. durch die Lehre von der ewigen Jugend, von der unmittelbaren Wirkung „zeitloser" Werke; Kesten 1952 Casanova 7 Casanova hat vor allem durch literarische Mittel sich generalisiert und typisiert; Scharzacher 1970 Cytogenetik o. S. In diesen Fällen ist durch Analyse der Fibroblasten der Nachweis zu führen, daß der Proband keine generalisierte angeborene Chromosomenaberration hat; Böckle 1970 Interview o. S. Woher kommt es, daß man in einer sehr undifferenzierten Volksmeinung immer wieder auf das generalisierende Urteil stößt; Krüger-Barvels 1971 Marketing (Absatzwirt-
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schaft V o. S.) weil die Problematik des absatzpolitischen Mitteleinsatzes in allen Ländern im Prinzip dieselbe ist, die Ergebnisse also generalisiert werden können, während der sozio-ökonomische Bezugsrahmen erheblich differiert; Zeit 26. 9. 1986 In der Risikoproduktion hat der entwickelte Industrialismus die Zerstörungskraft des Krieges generalisiert und normalisiert; taz 8. 11. 1986 Männergewalt hat eine generalisierte Formgebung gefunden, die sie unabhängig von dem einzelnen gewalttätigen oder friedlichen Individuum Mann hat werden lassen; Zeit 19. 12. 1986 seiner Figuration, die sich energisch von der generalisierenden und idealisierenden Tendenz in der Kunst des Quattrocento absetzt; Süddtsch. Ztg. 3. 11.1993 dies ist freilich ein voreingenommener, oft generalisierender Blick; Zeit 29. 7. 1994 Sie lehnen also einen derartig generalisierenden Angriff gegen die neue Regierung ab, wollen aber Fundamentalopposition gegen die Minderheitskoalition betreiben; Salzb. Nachr. 16. 8. 1994 Und andererseits scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, daß die Entwicklung in Italien und Schweden nicht zu generalisieren ist; Salzb. Nachr. 11. 11. 1994 Symptome sind generalisierte ziehende Schmerzen, diffuse Taubheit, Steifigkeit und übermäßige Empfindlichkeit an bestimmten Stellen des Körpers; Presse 19. 2. 2000 Die Einstellung sei erfolgt, weil es sich nicht um „generalisierende Äußerungen", sondern um Äußerungen zu einem Einzelfall gehandelt habe; St. Galler Tagbl. 25. 3. 2000 Da wird verunglimpft, was das Zeug hält, es wird generalisiert, angefeindet, lächerlich gemacht, aufgehetzt; taz 19. 10. 2000 Aber wohin kann ein generalisierter Krieg in Westafrika führen, in dem nicht einmal die UNO als schlichtendes Instrument zur Verfügung stünde? Generalisierung: Richter 1793 Stöchiometrie III Vorher. XII Hierzu rechnen wir auch die Generalisierung .. dieses oder jenes Begriffes; Görres 1800 Resultate l 56 Ich werde also meinem Raisonnement jenen Grad von Beschränkung geben, die einerseits vor zu großer Dilatation durch Generalisierung bewahrt, und andrerseits die Conflicte einer durch Individualisierung zu derb gewordenen Masse . . verhindert; Soden 1813 Getraid-Magazin 74 Wenn auch nicht . . die vermehrten Administrazions-Kosten, so wie die erhöhte Schwierigkeit der Uebersicht, die Generalisirung geböten; 1815 Fahnenbergs Magazin VI 77 Generalisirung der Maase und Gewichte; Goldmann 1839 Pentarchie 134 keine andere Herrschaft im Staat, als . . die des Rechts, obschon man durch dessen äußerste Generalisirung und Idealisirung endlich dahin kam,
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kein Recht weder zu besitzen noch anzuerkennen; Hundt v. Hafften 1864 Rechte U 207 Dem Zuge nach Individualisirung soll der entgegengesetzte nach Generalisirung [das Gleichgewicht in der Verfassung darstellen]; Holtzendorff 1869 Principien 13 Nachweis unzulässiger Generalisierung der . . Erfahrungen; Frankf. Zig. 12. 1. 1880 es wird als leitender Gesichtspunkt geltend gemacht, daß soweit der Konventionaltarif nach dessen Generalisirung der Symmetrie ermangelt, durch Ermäßigung der Rohstoffsätze und nicht durch Erhöhung der Zölle auf fertige Erzeugnisse Remedur geschaffen werden soll; 1901 Stimmen d. Zeit LX 362 Das Problem einer Generalisierung der Kreditwürdigkeit; 1916 Festschr. a. Brentano 6 Das Ideal des Sozialismus ist die Gencralisierung des Mediums . . der Ausgleich der Kräfte und der Bedürfnisse; de Vries 1935 Rel'gesch. I 146 Gefahren einer voreiligen Generalisierung; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 537) Sie verabscheuen das Herabsetzende aller Generalisierung, Einreihung, Subsumierung. Sie bestehen auf der Unvergleichlichkeit des persönlichen Falles; Hofer 1956 Gesch. 18 Wenn wir daher von einem deutschen Geschichtsbild überhaupt sinnvoll reden wollen, ohne unerlaubte Generalisierung, dann kann es sich nur um typische Züge handeln, die sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben; Engel 1970 Regeln z. ^Wortstellung (Forschungsber. d. IDS V 55) Es handelt sich nicht um die Anapher für einen Großteil der Comparabilia . . sondern um ein sehr allgemeines und verallgemeinerndes Situativum . . also nicht Spezifikation, sondern Generalisierung; Zeit 4. 10. 1985 Ihre Betrachtungsweise ist von einer intellektuellen Generalisierung geprägt, der eine Unterscheidung zwischen Literatur und Politik, zwischen Kunst und Gesellschaftspolitik fremd ist; Salzb. Nachr. 20. 9. 1994 Nun, die Ansicht, daß bei einem EUBeitritt Österreichs die Autos billiger werden, ist nach Aussage der Autoimporteure zumindest in dieser Generalisierung falsch; Presse 24. 6. 2000 trat ein Sprecher der französischen Bischofskonferenz der „Generalisierung des Verdachts" entgegen. Generalist/-in: Wezel 1790 Hermann u. Ulrike U 263 Mein Sohn ein Generalist; Heyse 1838 Fremdwb. l 448 Generalisten . . Christen, die keiner der bestehenden Religionsparteien angehören wollen; Sanders 1871 Fremdwb. I 433 f. Generalist . . Bekenner des Christenthums im Allgm., der die Verschiedenheiten der Sekten im Besondern als unwesentlich betrachtet; Petri 1911 Fremdwb. 363 Generalisten, Mz., Christen, die sich zu keiner Re-
ligionspartei zählen; Gruhl 1975 Planet 253 dass unsere akademische Tradition beinahe ausschließlich Spezialisten produzierte . . und sich so ein beängstigender Mangel an Generalisten ergab (DUDEN 1999); Zeit 22. 2.1985 denn wenn . . die Umstände gegenwärtig eher so seien, daß für Berufe ausgebildet würde, die keiner recht kenne, seien Generalisten überlebensfähiger als Spezialisten des falschen Zuschnitts; taz 25. 11. 1987 Dr. Helmut Kohl ist Generalist — als Bundeskanzler muß er das sein . . Der Hang des Mannes zum Allgemeinen ist steigerungsfähig; ebd. 6. 6. 1995 Die gelernte Erzieherin . . ist politisch eher Generalistin als Spezialistin, wobei ihr die Sozialpolitik besonders am Herzen liegt; Tiroler Tagesztg. 7. 6. 1997 Unterstützt durch die starke Berücksichtigung fächerübergreifender Belange werden Generalisten für eine Tätigkeit als „Manager von morgen" herangebildet; Kleine Ztg. 3. 10.2000 George W. Bush ist dagegen stolz darauf, ein charmanter Generalist zu sein, der das Ringen um Details und das Verarbeiten derselben lieber anderen Leuten überlässt. generalistisch: Zacher 1934 Geschichtsphilosoph. Skizzen II 24 Erst wenn sich zeigen läßt, daß diese Idee selbst ihre Aporie birgt, kann man dazu übergehen, die sit venia verbo „generalistische" Elementenlehre auf die individuellen Ganzheiten auszudehnen; Lübbe (Hrsg.) 1978 Wozu Philosophie? 37 Im Geflecht der zunehmend unübersehbaren Problemverzahnungen muß heute selbst der Experte — auch und zumal der generalistische Experte, sei es ein Systemanalytiker oder wer immer — „Mut zur Lücke" aufbringen; Zeit 3. 10. 1986 Zwei Formen solcher Buchhaltung stechen hervor: die spezialistische und die generalistische. Die erstere setzt sich auf Daten und Fakten, die letztere schwingt sich auf ins Große und Ganze; ebd. 3. 1. 1997 Das war, ironisch gewendet, eine generalistische Attacke auf den Anspruch, der im Spezialistentum schlummert; Presse 23.4. 1999 Die Schule wird auch im 21. Jahrhundert generalistisch ausgerichtet sein, vor allem im Bereich der Gymnasien, im berufsbildenden Bereich bietet sie ja auch Spezialisierung an; Mannh. Morgen 15. 9. 2000 Für eine Entspannung der Situation könnten eine Reform des Krankenpflegegesetzes und eine „generalistische Ausbildung" sorgen. Generalität': 1561 (1911 Archiv f. Reform'gesch. Vlll 187) generalitet [Allgemeingültigkeit]; Fischart 1572 Practick 30 Man laßt die Sternenkunst gelten stät/ In jrer Generalitet/ Das ein groß nei-
general gung han besunder/ Die ober Cörper zuo den vndern,/ Aber man handelt viel zuo schnöd/ In der particularitet; Wallhausen 1616 Kitterkunst 112 Also hab ich . . auch solches wollen . . in einer Generalitet fürstellen; Francisci 1672 Histor. Rauchfass l 231 Generalität; Brulig 1683 Wien 448 generalität; 1704 Auserles. Anm. l 401 denn zu solchen allen eine solche cachexia wegen ihrer generalität über diß auch unzulänglich ist/ es müßen die specialitatcs der Kranckheiten selbst nicht aus denen Augen gesetzet werden; Haller 1772 Er. (Briefw. Haller-Gemmingen 43) ohne Detail sagt man aber leere, nichts fruchtende Generalitäten; 1785 Gedanken ü. d. Unruhen 63 Seit der Utrechtschen Union hat sich die Republik viele Länder unterworfen, welche . . der gesamten Republik zustehen: man nennet dieses die Generalitätslande . . Man kann auch unter die Generalität diejenigen Städte der österreichischen Niederlande rechnen, welche von den Truppen der Republik zu ihrer Sicherheit besetzt werden [von den niederländischen Generalstaaten verwaltet werden); Laukhard 1794 Feldzug I 182 Diese reden von Generalitäten, Provinzen und Hauptstädten — und wo giebt es hier Generalitäten, Provinzen und Hauptstädte; Kaltschmidt 1863 Premdwb. 316 Generalität . . Allgemeinheit; Kehrein 1876 Fremdwb. 209 Generalität . . Allgemeinheit, Gegensatz zu Spezialität; Piur 1903 Wolff 82 Allgemeinheit, das sich schon bei Schotte! belegen läßt, wenn es Stieler auch nicht kennt, begegnet sonst vor Wolff nur äußerst selten und wird vorher stets durch Generalität . . ersetzt; Genius 1933 fremdwb. 362 Generalität . . Allgemeinheit, Gesamtheit (Ggs. Spezialität). general!ter: Brunfels 1532 Kreüterbuch Vorr. 7 habe ich diese bevorstehende Finsternuß nicht allein generaliter, was den gantzen Erdboden betrifft/ sondern auch in specie . . mit allem Fleiß computirt; Volkslied 1546 (Liliencron IV 389) An diese alle genanten stend, generaliter; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 138 Er gab vnd benente mir keinen eigentlichen dienst noch Besoldung/ sonder ich diente jhm generaliter, vnnd er belohnte mich generaliter; Gryphius 1658 Absurda Comica (W. i 37) Es ist generaliter, das ist in lata significationc geredet (DiBi 125); Bachmeyer 1666 Sonnenfinsternis 7 generaliter und ins gemein; Grimmelshausen 1669 Simplicissimus Teutsch (W. l 171) weil männiglich lieber gedultet, daß die allgemeine Laster generaliter durchgehechelt und gestrafet, als die eigne Untugenden freundlich korrigieret werden (DiBi 125); Weise 1675 Kl. Leute 95 man muß von der Sache so generaliter nicht urtheilen; 1692
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Novellen 232 Nachdem aber solches meist generaliter und durchgehends also practiciret wird; Gichtel 1722 Theosophia 86 Was uns Menschen generaliter betrifft; Weber 1734 Enc. I 559 Generaliter .. insgemein, überall, summarisch, gäntzlich, allgemein; Schlettwein 1781 Archiv III 489 Die fremde einführende Weine . . sollen von jedem Fuder generaliter und durchaus nichts ausgenommen, erlegt und bezahlt werden; Oertel 1831 Fremdwb. 359 Generaliter . . im Allgemeinen, im Ganzen, überhaupt, entg. specialiter; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 316 generaliter . . überhaupt, im Ganzen; Sanders 1871 Fremdwb. l 434 generaliter . . im Allgemeinen, überhaupt; Thoma 1911 Lottchens Geburtstag (Ges. W. 400) Wenngleich die Frage offen bleibt, ob man gcneraliter annehmen darf . . Wann soll die Vermählung stattfinden? (DiBi 125); Genius 1933 Fremdwb. 362 generaliter . . im allgemeinen, überhaupt; Presse 28. 4. 1998 Kann man Spitzensportlern nur deshalb generaliter ein Nahverhältnis zu Rauschgift unterjubeln, weil . . Judoka Schleicher mehr als nur einen Fehltritt als Drogen-Dealer begangen hat? generatim: Forer 1644 Antiquitas Papatus 41 Hat er [Christus] gesagt: Er wolle Petro die Schlüssel zum Himmelreich geben / welches er zu ändern Aposteln also generatim nicht gesaget; Hunold 1707 Allerneueste Art 499 Der Unterscheid [!] wird sich augenscheinlich weisen/ wenn man der Poeten Schriften durchsehet. Ich will doch nur generatim etwas berühren; Krünitz 1785 Oec. Enc. 1 608 Es ist generatim verordnet, daß ein Komödiant pro Tag, an welchem er spielt, an die Kämmerey des Ortes 12 Gr. geben soll; Campe 1813 Fremdwb. 335 Generatim, auch generaliter, überhaupt, in [!] ganzen, in allgemeinen; Oertel 1831 Fremdwb. 359 generatim . . im Allgemeinen, im Ganzen, überhaupt, entg. specialiter; Sanders 1871 Fremdwb. I 434 generatim . . = generaliter [im Allgemeinen, überhaupt]; Borkenau 1934 Weltbild 428 Es gibt Einzelexistenzen und auch generatim existiert etwas. Daß man selbst und eine Außenwelt existiert, das ist ja per se manifestum; Dulckeit 1952 Rom. Rechtsgesch. 145 Nach der antiken Überlieferung ist er der erste gewesen, der das ius civile (in einem Werk von 18 Büchern) nach Arten geordnet (generatim) dargestellt habe; Appold 2004 Orthodoxie 248 Die Religion ist das Mittel, durch welches Menschen geistig „saniert" und zum ewigen Heil geführt werden können. Betrachten dürfe man sie entweder „generatim" oder „speciatim". Diese Disputation befaßt sich mit dem ersten Aspekt, d. h. mit der Religion im allgemeinen.
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General M. (-s; -e und Generäle), in der 1. Hälfte des 13. Jhs. ins Mhd. entlehnt aus kirchenlat. generalis, verkürzend und subst. für generalis abbäs 'Haupt eines Mönchsordens' (vgl. dtsch. Generalabt), zum (m)lat. Adj. generalis 'allgemein' (im Unterschied zu specialis, —>· Spezial-, spezial-), zu genus 'Geschlecht, Gattung'; vgl. frz. general; —* Genus, —>· general, —* generell), früher auch in der lat. (flekt.) Form und in den PL-Formen Generales, Generals, Generalen. a Zunächst und bis heute im Bereich der (katholischen) Kirche in der Bed. 'Vorsteher, Oberhaupt eines Mönchsordens, einer Klostergemeinschaft', als Grundwort in Zss. wie Jesuiten-, Ordensgeneral, als Bestimmungswort (nicht eindeutig vom Adj. —» general in dieser Funktion zu unterscheiden) in Zss. wie Generalabt, -kapitel 'Versammlung der Äbte (und Äbtissinnen) aller Zisterzen', -oberer/-oberin, -superior; daneben auch Oberster Vorsteher der Heilsarmee' (s. Beleg 2000) und mit Bezug auf Vorsteher von (religiösen) Geheimgesellschaften (s. Beleg 1932). b Anfang 16. Jh. unter Einfluss von gleichbed. frz. general (ebenfalls subst. verkürzt aus Verbindungen wie (capitaine/'lieutenant) general) in das Militärwesen übernommen in der Bed. Offizier der höchsten Rangstufe, Oberkommandierender, oberster Befehlshaber eines Heeres, einer Heeresabteilung, Truppengattung' (s. u. Generalissimus, —* Admiral), in Wendungen wie als General kommandieren, ein berühmter, ruhmreicher, tapferer General, der kommandierende General, jmdn. zum General erheben, ernennen, General der Artillerie/Infanterie/Kavallerie, General auf Zeit, General a. D., (als Titel in Verbindung mit Eigennamen:) General Bonaparte/de Gaulle/Wallenstein, General Fürst Esterhazy, selten auch mit Bezug auf Seestreitkräfte (s. Belege 1579—1610, 1908) und personifizierend von nichtmilitärischen Sachverhalten (s. Belege 1642, 1919, 1942, 1954, 1961), z.B. General Frost/Hunger/ Winter/Zeit, der General Tod, schon früh (16.717. Jh.) als Bestimmungswort (oft nicht eindeutig vom Adj. —·· general in dieser Funktion zu unterscheiden) in militärische Rangstufen (nach frz. Vorbild) bezeichnenden Zss. (auch als Kurzform für diese verwendet) wie Generalfeldherr, -feldmarschall, -leutnant, -major (für älteres Generalwachtmeister), -oberst, -hauptmann, -adjutant, -chirurgus (als Titel für einen Militärarzt im Offiziersrang) und Generalstab 'Gesamtheit ausgewählter, bes. ausgebildeter Offiziere, die den obersten Befehlshaber beratend dabei unterstützen, die Aufträge der politischen Führung in militärische Maßnahmen umzusetzen (Ausbildung, Personal-, Streitkräfte-, Mobilmachungs- und Aufmarschplanung, Einsatzführung, Logistik)', oft auch in der Form Generals- in Generalsabzeichen, -epauletten, -familie, -garde, -gattin, -gehalt/-rente, -herrschaft, -junta, -kaste/-kreise/-riege, -mutze/ -rock/-stiefel/-uniform, -pension, -putsch, -rang, -regime, -revoke, -republik, -stern, -witwe, häufig als Grundwort in Zss. wie Alliierten-, Armee-, Brigade-, Divisions-, Drei-Sterne-, Europa-, Flieger-, Gendarmerie-, Heeres-, Husaren-, Junta-, Kriegs-, Luftwaffen-, Nato-, Panzer-, Partisanen-, Polizei-, Putsch-, Rebellen-, Reiter-, Reserve-, US-, Wehrmachts-General, selten auch scherzhaft und allgemeiner, z. B. Mottengeneral (Bezeichnung für den Verwalter der militärischen Garderobe), gelegentlich bildlich (s. Beleg 1910) und übertragen verwendet für '(auf einem bestimmten Gebiet) führende, tonangebende, dominante Persönlichkeit' (s. Belege 1626, 1704), z. B. Bürger-, Feder-, Geistes-, Handwerks-, Maler-, Verwaltungsgeneral. Daneben seit späterem 17. Jh. selten die movierte Form Generalin F. (-; -nen), auch Generälin, zunächst übertragen '(auf einem bestimmten Gebiet) führende, tonange-
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bende, dominante Frau, Anführerin' (s. Belege 1669, 1989, 1993), dann meist 'Ehefrau eines Generals' (s. Belege 1775, 1779, 1780.2, 1871) und in jüngster Zeit Oberbefehlshaberin' (s. Belege 1992, 2000) (zu b); seit späterem 19. Jh. auch 'Vorsteherin eines Nonnenordens, einer Klostergemeinschaft' (s. Beleg 1866) und vorwiegend Oberste Vorsteherin der Heilsarmee' (zu a). Dazu die seit frühem 17. Jh. nachgewiesene lat. (flekt.) Superlativform Generalissimus M. (- und Generalissimi; Generalissimi), vereinzelt auch moviert Generalissima, bes. regional (österr.) gebraucht für Oberster Befehlshaber über das Heer, Heerführer, der gleichzeitig befugt ist, politisch zu handeln', auch für den ranghöchsten einer Reihe von Befehlshabern/Generälen (s. Belege 1772, 1951) und regional für den Generalleutnant (s. Beleg 1794), selten auch mit Bezug auf Seestreitkräfte (s. Beleg 1685), z. B. (mit Eigennamen:) der kaiserliche Generalissimus Wallenstein, Generalissimus Hindenburg, unser Generalissimus Fürst Radziwill, (als attribuierter Beiname:) der Herzog Generalissimus, Generalissimus aller Streitkräfte, gelegentlich übertragen gebraucht (s. Belege 1918, 1928, 1940) (zu b), seit späterem 17. Jh. vereinzelt auch bezogen auf den kirchlichen Bereich für Ordensvorsteher', vereinzelt auch 'Superintendent eines (evangelischen) Kirchenbezirks' (s. Belege 1981, 2004) (zu a). Dazu seit Anfang 17. Jh. die (analog zu Direktorat, Dirigat, Mandat u. Ä. gebildete) subst. Ableitung Generalat N. (-(e)s; -e) in der bis ins spätere 19. Jh. nachgewiesenen Bed. 'Generalsamt, Oberbefehl über militärische Einheiten, Befehlsgewalt; Generalswürde' (—» Kommando), auch mit Bezug auf Seestreitkräfte (s. Belege 1609, 1614) und übertragen verwendet im Sinne von '(Ober-)Herrschaft, Führung, Leitung' (s. Beleg 1796; —> Primat), z. B. jmdm. das Generalat auftragen, anvertrauen; Kriegs-, Reichsgeneralat, daneben seit Ende 18. Jh. in der Bed. 'zu einem Generalkommando gehörender Territorial-, Garnisonsbezirk', meist mit Bezug auf zwischen 1538 und 1878 bestehende Territorien im Grenzbereich Österreich-Ungarns zum Osmanischen Reich (s. Belege 1799, 1810, 1813, 1858, 1993), in Wendungen wie im Generalat Karlovac, das Warasdiner Generalat (zu b), seit früherem 17. Jh. auch bezogen auf administrative kirchliche Einrichtungen, zunächst in der Bed. 'Vorsitz, Amt(sausübung) des Oberhaupts einer Römisch-Katholischen Ordensgemeinschaft, eines Mönchsordens, einer Gemeinschaft von Gläubigen', dann Oberste Verwaltung eines Ordens' (s. Belege 1999, 2000) und 'Amtssitz des Oberhaupts, der obersten Verwaltung eines Ordens' (s. Belege 1992, 1993) (zu a); seit Ende 16. Jh. die auf frz. generalite zurückgehende kollektive Personenbezeichnung Generalität2 F. (-; selten -en), selten in der frz. Form Generalite, 'Gesamtheit der Generäle, Generalschaft; Generalsamt', heute spezifiziert zu 'Gesamtheit der Angehörigen der höchsten Offiziersklasse (vom Brigadegeneral bzw. Flottillenadmiral aufwärts)' (vgl. dagegen Generalität1, —> general; vgl. Admiralität), z.B. der König steht an der Spitze der Generalität, österreichische, russische, hohe Generalität, die Generalität der bayerischen Armee, die Generalität der Luftwaffe; Bundeswehr-, Stasi-, Sowjet-, US-, Wehrmachtsgeneralität, daneben Mottengeneralität 'Verwalter der militärischen Garderobe' (s. Beleg 1860) und übertragen Wirtschaftsgeneralität, im 19. Jh. vereinzelt von Gebäuden und Einrichtungen in der Bed. 'Sitz des Generals/Generalstabs' (s. Beleg 1841) (zu b); daneben seit dem 17. Jh. die seltene subst. Ableitung Generalschaft F. (-; -en) (zu b).
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General a: 13. }h. Klarissen-Regel 18 Ez si oh muzlich dem general der Minnern Bruder, dar in ze gen. mit vier, oder mit fünf Brüdern sines ordens. so er messe singen will, oder predigen; Eike v. Repkowe 1237 Weltchronik lllb 346,10 ein general, der uberste über Parfussen orden (MÖLLER); 1406-76 Speier. Chronik (Mone, QuSamml. l 501) general synes ordens; 1498 (1920 Modern Lang. Notes XXXVI 486) das der landvogt von Dijon mit einem general hie ligt; Adelphus 1513 Historia v. Rhodis (Ausgew. Sehr. // 225 f.) Do kam ein ritter von Hierusalem gon Rhodis .. der uns an stat und in namen des generals und gemeinen procurators/ am hoff zuo Rom/ verkündet und saget/ wie das bapst Sixtus der vierd/ und Ferdinandus künig in Sicilien/ gar vast begerten; Eberlin v. Günzburg 1524 Ausgew. Sehr. Ill 53 Leeret . ., wye seine brüder ayn General Münister über seinen orden haben . . Welche brüder den General erwölen sollen . . Von General vnd Prouincial Capiteln zehalten; Fischart 1582 Bienenkorb 18 generalbischof aller bischof über die ganze christlich kirch; Carolus 1609 Relation 19a die barfüsser Carmelitaner Mönch werden auff Pfingsten Ihr Capitul halten/ vnd einen General erwaehlen; Henisch 1616 Teutsche Sprach 1493 General . . von den minderen Brüdern; 1668 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 150) Man versichert/ daß der Pabst bey etlichen Generalen der Bettel-Orden/ Information nehmen lassen/ wie vile ihre Clöster/ in der Zahl der Mönche/ ohne Ungelegenheit könten reformirt weren; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 275 General, heisset auch das Haupt eines Geistl. Ordens bey den Catholischen, als General der Jesuiten, General der Franciscaner; Kotzebue 1815 Kriegsgefangene 26 Oberhaupt der Jesuiten (ich glaube, man nennt ihn General); 1829 Jahrb. d. Gesch. l 326 der Ordensgeneral der Jesuiten; 1844 Brockhaus V 57 General nennen auch einige geistliche Orden, wie die Dominicaner und Jesuiten, ihren obersten Vorsteher; Sanders 1871 Fremdwb. l 433 General . . Oberhaupt, Bez. eines hohen Rangs, so nam. . . Geistlicher G., Ordens-G., Oberhaupt eines geistlichen Ordens; Baumgarten 1928 Wanderfahrten 169 In Gegenwart der deutschen Bischöfe, kurz nach der Katholikenversammlung von Essen und kurz nachdem ein Deutscher zum General der Gesellschaft Jesu gewählt wurde; Gebauer 1932 Kulturgesch. 235 übertrug Weishaupt die Verfassung des Jesuitenordens auf seine Schöpfung [Geheimorden der Illuminaten] und verlangte unbedingten Gehorsam der Mitglieder gegen den „General" und die sonstigen Oberen; Offenburger Tagebl. 26. 5. 1964 das 120-köpfige Generalkapitel der Kapuziner wählte in Rom einen Niederländer . . zum neuen „Generalminister". Der neue Ordensgeneral . . ist 55 Jahre alt; tat 31. 8. 2000 Bisher war die
Heirat nur unter Offizieren der Heilsarmee erlaubt . . Es sei an der Zeit, die paternalistischen Gepflogenheiten zu reformieren, zitierte die Times Heilsarmee-General John Gowans. Generalat: Forer 1644 Pabstumb 614 Weil nun der H. Petrus sein . . Oberstell . . biß an sein End . . behalten . . wird nothwendig geschlossen/ daß dem jenigen/ der jhme . . nachgefolget/ auch neben dem Römischen Bischofftumb/ das Generalat yber die Allgemeine Kirch mit aller Zugehör seye zukommen; Trenk 1786 Ged. u. Sehr, l 124 Ein freigebiger wollüstiger Sanguiniker wird eben so wenig ein Capuciner-Guardian werden, als ein redlich gutherziger oder blöder Mensch ehmals das Jesuiten Generalat zu ersteigen hoffen konnte; Hetzer 1891 Kirchenlexikon VII 1571 Vincenz und seine Nachfolger im Generalate fuhren fort, neue Missionare in dieses unglückliche Land zu senden; Felder 1904 W/ss. Studien im Franziskanerorden 145 Diese Einteilung fand sich im Jahre 1288 noch vor, nur waren inzwischen unter dem Generalat des hl. Bonaventura . . zwei Provinzen getrennt und dadurch die Zahl auf 34 erhöht worden; Decker 1935 Stellung d. Predigerordens 51 Die Stellung des Ordens zu den Frauenklöstern unter dem Generalat Jordans von Sachsen (1222—37); Salzb. Nachr. 16. 12. 1992 In einem Telefax, das die Schwestern an ihr Generalat nach Rom sandten, hieß es, alle seien wohlauf; ebd. 21. 4. 1993 Beim Generalat der Kongregration in Paris liegt eine Anfrage aus dem Pongau. Auf dem ordcnseigenen Grund sollen Wohnungen gebaut werden; Tiroler Tagesztg. 30. 6. 1999 Nun sind alle behördlichen Erfordernisse erfüllt, und auch das Generalat in Rom stimmte zu, daß die Kapuziner einen Teil ihres weitläufigen Gartens hergeben; Salzb. Nachr. 3. 10. 2000 Der Orden hat seinen Sitz im Salzachgässchen, das Generalat ist in Paris daheim, die endgültigen Entscheidungen über Grundstücksgeschäfte fallen jedoch in Rom. Generalin: 1866 Archiv f. kath. Kirchenrecht XV 415^. Die Zahl der Wählnonnen wird vermehrt im Verhältnisse zur Anzahl der Häuser. . . Das Generalat, welches aus der Generalin und vier Assistentinnen besteht, lässt sich Rechenschaft ablegen von dem Vermögen aller Häuser; Chambon 1944 Puritanismus 247 Catherine Booth, Generalin der Heilsarmee; taz 26. 5. 1990 Eva Burrows, die Generalin der Heilsarmee, die immerhin in über 90 Ländern ihre Mitkämpfer verstreut hat; Frankf. Rundsch. 24. 12. 1998 Ein Jahr nach dem Tod der ersten Generalin, die hochbetagt 1950 starb, begann die Karriere der Australierin Eva Burrows. Generalissimus: Francisci 1681 Trauer-Saal IV 486 habe er den tapffren Kardinal/ als dem damaligen
General Generalissimum/ in diesem Anschlage nicht secundirt; Cuendias 1847 Spanien 23 In den Mauern dieser frommen Stadt [Tolosa] ist . . der ehrwürdige Pater Don Fray Francisco de Tolosa geboren, Generalissimus des Ordens von S. Francisco; Mackowsky 1908 Michelagniolo 169 Fürs erste berief ihn der Papst zu sich nach Rom und verlieh ihm den weißen Kommandostab des Generalissimus der Kirche; 1981 Pietismus u. Neuzeit VI 72 Damals war Gesenius bereits schon über zwei Jahre dort als Hofkaplan und Konsistorialassessor. Als er 1642 Generalissimus wurde, trat auch Daetrius in das Konsistorium ein; Friedrich 2004 Grenzen d. Vernunft 78 Neben diesen familiären Verbindungen ist besonders Hofmanns Verhältnis zu Basilius Sattler, dem zusehends mächtiger werdenden Generalissimus Superintendens des Herzogtums, genauer zu betrachten. Gerade für die Zeit nach 1606 . . geht die Forschung übereinstimmend von einem überragenden Einfluss des Kirchenmannes aus. General b: 1510 (Weller 1872 Ztgn. 17) Er habbe . . den General Ormandie geschickct . . Der obgenant Er Carolus obirstir Capitaneus vnd generall hat; Scheurl 1537 Briefbuch H 193 Auch hat der König durch seinen general vnd obristen . . pitten lassen; Fronsperger 1555 Kriegss Regiment 2h Von Ampt vnd Beuelch deß General Obersten; Ernstinger 1579—1610 Raisbuch 45 alda man den general [Admiral] über die armada erwölt; Kiechel um 1600 Reisen 195 und hat due capitania oder des generals gallera auf yeder seytten 28 banck; ebd. 440 der general oder oberste iber alles Krüegsvolck; Dilich 1608 Kriegsbuch 34 Des Feldmarschalcken oder Generain von der Cavallerie ampt und befelch; Wallhausen 1615 Kriegskunst zu Fuß 14 Dahero kompt es/ . . wann manche Feldherr vnd General so vile Regimenter von so viel tausend starck hat; Perez 1626 Landstörtzerin l 222 Bäwerisch vnd vnhöfliche Bossen. Derowegen wer jrgent mit bösen Exempeln ein Ergernuß gibt/ von demselbigen kann man mit Warheit sagen/ er sey der General etwann vber ein vnhöflich vnd Bäwerisch Gesindlein; Mengering 1633 Siegskrone 22 wie wohl ehemals Generain einer siegreichen Armee . . ritterlich gefallen; Moscherosch 1642 Visiones 168 Vnd der General Todt sprach: Ein jeder rede wan es an seine stell kommet; Bürster 1647 Schwed. Krieg 85 generales und obriste; ebd. 112 erdappte die fürnähmbste häupter und baide general beysammen; die nahmen sie gefangen; Schmidt 1656 Wundarznei 577 Welches allen Feldherrn vnd Generain ein ewiges Lob ist; Neumayr v. Ramssla 1668 Kriegswesen 64 An einem General wird zweyerley erfordert, Wissenschafft und Erkänntniss der Kriegssachen und Tugend, oder besser zu sagen, Tapfferkeit; Grimmeishausen 1670 Spring-
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insfeld (U 249) Generals-Pcrsonen; ebd. Ill 229 die Schwedische Generalen; Stieler 1683 Auditeur 46 ietzo/ da wir Generale und General-Lieutenante/ Generalmajor/ Majoren . . haben; Gruber 1697 Kriegsdtsziplin 49 zu Pferd blasen/ oder blasen zu lassen/ soll sich niemand ohne Expressen Befehl deß commandirenden Generals unterstehen; 1704 (1966 Leibniz 178) [auf die Bibliothek Wolfenbüttel bezogen] Leibniz als General erhalte einen Generalleutnant zu Hilfe [bezogen auf die Bibliotheksaufsicht]; Elis. Charl. 1705 Br. I 388 Die generals undt officirer fangen auch ahn, hir weg zu ziehen; ebd. I 484 Hette die generallen meinem söhn folgen wollen, wer gantz Ittallien deß königs; Musig 1718 Licht d. Weisheit U 16 Also hat . . ein General in Führung des Krieges . . seine eigene und sonderbare Reguln der Klugheit zu beobachten; Keyssler 1729 Reisen (Ausg. 1776 l 214) ET hatte einstmals in Piemont die vornehmsten Generale zu Gast; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. H 91 Andere hingegen lassen auch unterschiedene von ihren Ministris, Generals, und Hof-Cavaliers, mit speisen; Schnabel 1731 Felsenburg I 379 dem Könige, welcher ihn nicht allein zum General bey der Armee, sondern auch zu seinem Geheimbden Etaats-Ministre mit ernennet; Humbert 1745 Vaubans Angriff H 41 Eine Armee ist eine Menge Krieges-Völcker . ., welche unter dem Befehl eines Mannes, den man General nennet, zusammen gebracht sind; Pfau 1757 Angriff 23 Nachdem der commandirende General . . die Liste von den benöthigten Arbeitern . . empfangen hat, deren Anzahl sich . . nach der Stärke der Garnison richtet . . So ertheilt der General die Ordre, um welche Zeit sich die hierzu commandirte Mannschaft versammeln soll; Goethe 1782 Br. (WA IV 5,340) Ohne ein großer General zu seyn, sah ich das traurige Ende vorher das die Maneuvres unsrer Herrschafften heute Abend nehmen würden; ders. 1792 Campagne (WA l 33,59) Auf diese unsichere und unwahrscheinliche Nachricht sei der Herzog von Weimar und der General Heymann, mit eben den Husaren, welche die Unruhe erregt, vorgegangen; Berenhorst 1798 Kriegskunst I 49 Bey allen diesen Stellen und Aemtern, vertauschte der Gebrauch allmählig das Vorwort oberst mit dem Vorworte general. Dasjenige, wozu heutiges Tages die Generalleutnante und Generalmajore gebraucht werden, verrichteten die Obersten; Danziger Ztg. 16.1. 1800 Die vom General Massena errichteten Grenadiere kommen nach Zürich, woselbst auch der General Lecourbe das Hauptquartier behält; Schlabrendorfl804 Napoleon 11 Als Barras, selbst ein geübter General, bald darauf die Richtung der Kanone dieser Batterie tadelt, heißt Bonaparte ihn, sich um seine Repräsentantengeschäfte bekümmern, und ihm die Sorge seiner Batterie allein
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überlassen; Cancrin 1823 Militairökonomie 441 General-Stabsarzt; Ztg. f. Städte 31.5.1837 Der kaiserlich Russische General Baron von Kiel, welcher mit einer Mission des Kaisers nach Schwerin beehrt war, traf hier gestern spät ein; Varnhagen f. Ense 1848 Tagebücher 240 Die Aufforderung zu milden Gaben für die nothleidenden Schlesier, von dem Oberpräsidenten und von dem kommandirenden General unterzeichnet, wird sehr ungehörig gefunden; Bayer. Presse 6. 1. 1851 Die beiden Commissäre, für Preußen General v. Thümen und für Oesterreich General v. Mensdorff-Ponilly, sind hier eingetroffen; Schneider 1860 Bayer. Mil'Oekonomie 168 I l Die von den Generälen nach den bestehenden Vorschriften vorzunehmenden Herbst- und Frühjahrsinspizierungen; 1861 Allg. Mil.-Enc. III 544 Intendant und Generalintendant, in Preussen militärische Würden; Bismarck 1877 (Klemm 1924 Bismarck l 227) Es sei für die übrigen Generale schon schlimm genug, daß die Prinzen ihnen die höheren Kommandostellen und den Ruhm wegnähmen; Bebel 1898 Volkswehr 69 General Lee (der kommandirende General der südstaatlichen Armee, den Scheiben als einen der ersten Feldherren dieses Jahrhunderts bezeichnet) war der Stifter einer neuen Infanterietaktik, die er mit Bravour handhabte . . Jeder tüchtige Feldherr, General, Oberst, wußte sich schnell unbedingten Gehorsam zu erwerben; Rilke 1908 S. W. II 610 als sollte über Nacht der General des Meeres die Galeeren verdoppeln in dem wachen Arsenal; Preisen 1910 Erinn. Ill 287 Wenn nun die Partei . . ihn [Bismarck] verlasse und sogar ihm feindlich entgegentrete, dann sei er ein „General ohne Armee"; Brandes 1919 Miniaturen 20 General Frost . . General Hunger [während Napoleons Feldzug in Russland]; Berl. lllustr. Nachtausg. 19.1.1933 Generäle gibt es in Mexiko wie Sand am Meer . . Jeder Pflanzer, der sich an einer Revolution beteiligt und zweihundertfünfzig Gewehre in den Kampf führt, nennt sich „General"; ebd. 27. 7. 1933 In jeder Stadt bilden sich dann . . örtliche Kampagnenleitungen mit einem männlichen „General" und einem weiblichen „Generalleutnant". Der General ernennt drei Obersten; Munch. N. N. 6. . 1942 Diese Herren haben ja allerdings auf ihrer Seite eine ganze Reihe von „tüchtigen Generalen", die uns zu bekämpfen hatten. Das war der General Winter, der General Sommer, der General Wirrwarr, der General Wüste, der General Kaukasus, der General Hunger usw. Soweit es sich um die Generale Zeit und Raum handelt, sind sie zu uns übergetreten; Süddtsch. Ztg. 13. 2. 1954 Der General Winter hat es mit seinem bisher zwar verhältnismäßig kurzen, aber siegreichen Gastspiel fertiggebracht, binnen vier Wochen fast eine halbe Million Menschen erwerbslos zu machen; Zuckmayer
1958 Des Teufels General (Titel); Stuttgarter Ztg. 9. 2. 1961 Doch „General Schlamm" kümmert sich nicht um solche Maßnahmen der Administration. Nächtliche Regengüsse haben einen Donauübergang der „Angreifer" zum Abenteuer werden lassen [während einer militärischen Übung]; FAZ 2. 7. 1970 die Bildung einer Art außenpolitischen Generalstabs; Welt 2. 1.1974 Die Geschäftsführung wird nach Angaben informierter Kreise in der peruanischen Hauptstadt der General im Ruhestand Victor Miro Güesada übernehmen; taz 14. 11. 1987 Das nur knapp fehlgeschlagene Attentat gegen General Pinochet im September 1986; Frankf. Rundsch. 19.11.1998 Der Kaiser, der Führer oder der General hatten das Schießen befohlen, und sie mußten den Befehl ausführen; Salzb. Nachr. 22. 5. 2001 Nur 39 Prozent der Polen finden laut einer Umfrage . . den jetzigen Prozess gegen Jaruzelski richtig; nur noch jeder Vierte möchte den General wegen der Verhängung des Kriegsrechts vor Gericht sehen. Generalat: Carolas 1609 Relation Ib Weil der Signor . . del Monti das generalat vber die Galleren auffgeben; ders. 1614 Relation 8b dem Alli Bassa were das Generalat per Märe auffgetragen worden; 1621 (Aretin 1839 Bayerns auswärt. Verh. I Urkd. Bd. 119) des generalats; 1634 Bericht v. Friedlands Verrat A4b Fridland am [!] dem Churfürstl. Collegialtag zu Regensburg/ deß Generalats entlassen; Rose 1648 Holofern 36 Von dem Generalat des Obersten Feldherrn Holofernes; Chemnitz 1653 Schwed. Krieg I 8 in welcher Meinung des Hertzogen von Friesland newer Titul, vermöge dessen Er das Generalat des Oceanischen vnd Baltischen Meers sich zuschrieb; Grimmeishausen 1669 Simpl. 369 hingegen ist dir auch genugsam bekannt/ was die verwichene Campagne unter seinem Generalat und Commando vor eine unglückliche Endschafft erreichet; Weingarten 1673 FürstenSpiegel I 98 und Ihme das Generalat in Böhmen anvertrauet worden; Francisci 1687 Trauer-Saal U 1040 Michael Telequessius/ . . welcher/ durch sein tapffres Verhalten/ von einem gemeinem ReuterDienst/ zum Generalat allgemach gestiegen; Ziegler u. Kliphausen 1695 Schau-Platz 144b daß endlich auff dem Churfürst. Collegial-Tag zu Regenspurg 1630 beschlossen wurde/ ihn des Generalats zu erlassen; 1724 Dtsch. Acta Eruditorum XCVI1 196 Der Herzog von Savoyen konte vielweniger denen Französischen Offerten wiederstehen, welche in der Heurath seiner Tochter mit Philippo, in dem Generalat der beyden Kronen in Italien, und einer monatlichen Pension von 50000. Thalern bestunden; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien H 10,112) denn die streitbare Regierung mitten unter den Feinden, PS. 110,2. (wofür
General der Ordinarius von einem Kriegs-Generalat des Vaters redet,) hat ein Ziel bey der endlichen Vertilgung der Feinde; Schiller 1790—92 Gesch. Dreißig. Krieg (H. V/i/ 276) Nach geendigtem böhmischen Kriege wurde ihm das Kommando der ligistischen Truppen und jetzt, nach Wallensteins Abgang, das Generalat über die ganze kaiserliche Armee übertragen; Jean Paul 1796 Siebenkäs 97 ein außerordentlicher Kerl, der nur noch halb da ist, weil seine andere Hälfte . . weggeschossen ist; denn diese Schüsse setzen ihn in Stand, das Primat und Generalat der Krüppel an sich zu reißen und sich überhaupt als einen Halbgott [aufzuführen]; Szechenyi 1799 Cat. Bibl. Hungaricae I 595 Beschreibung des Karlstädter Generalats im Königreiche Kroatien; Haller 1808 Staatenkunde 128 Vermischung dieses Generalats mit der Grundherrschaft (Überschr.); ebd. 129 so wird er ein Fürst und stiftet ein Reich, welches man zum Unterschied von den Patrimonialstaaten das Generalat nennen kann; Zach 1810 Mtl. Conespondenz XXI 255 f. Die erste Abtheilung umfasst die kroatische Militär-Grenze. Diese wird nach ihrer ursprünglichen Entstehung noch gegenwärtig in das Karlstädter Generalat, in die Banat-Grenze und in das Warasdiner Generalat eingetheilt. Der Verfasser schildert die Lage, Grosse, natürliche Beschaffenheit, Bevölkerung und Culturverhältnisse dieser drey MilitärDistricte; Lasius 1813 Kayser-Staat 150 Die Militair-Grenze aber begreift die 3 Generalate: das Carlstädter, die 2 Banat-Regimenter, zwischen den Flüßen Kulpa, Save und Glina, und das Warasdiner Generalat; das Ganze ist also sehr zerstückt; Pahl 1835 Br. (Bacherer, Stellungen l 360) herrscht ein guter, ruhiger, wahrhaft christlicher Geist, wie ich dies namentlich von meinem ganzen Generalat bezeugen konnte; Czoernic 1858 Österr. Neugestaltung 681 In taktischer Beziehung ist die Armee in Brigaden, Divisionen, 13 Armee-Corps und 4 Armeen eingetheilt. Die zur Führung des Befehles über diese Armee-Abtheilungen bestimmten Commanden bilden die Armee-Behörden von vorwiegend militärischem Charakter. Für die höhere Leitung des militärisch-administrativen Dienstes der Armee ist die Monarchie räumlich in 10 Bezirke (Generalate) eingetheilt. Jedem Landes-GeneralCommando steht in seinem Bezirke das militärische Commando und die administrative Gewalt über alle daselbst dislocirten Truppen, Armee-Anstalten und Armee-Behörden zu; 1861 Allg. Mil.Enc. Hl 449 Generalat, Garnisonbezirk eines Generals; Gindely 1886 Waldstein während seines ersten Generalats im Lichte der gleichzeitigen Quellen, 1625-1630 (Titel); Konze 1906 Stärke S Bestand der kaiserlichen Armee vor der Übernahme des zweiten Generalats durch Wallenstein; Schwarz 1937 Wallenstein 7 warum nahm er dann
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schließlich das Generalat wieder an?; Rössler 1956 Europa 483 Tatsächlich begann Karl mit der Errichtung einer Militärgrenze in Kroatien um das Generalat Karlstadt; Mann 1971 Wallenstein 463 Zu Ingermanland, zu Estland, das er schon besaß, hatte der Tyrann im ersten Jahr von Wallensteins Generalat, 1625, das ganze Livland gefügt; FAZ 1993 o. Nr. Vom Territorium Kroatiens . . lag nicht viel weniger als die Hälfte in der Militärgrenze. . . Für die einzelnen Grenzabschnitte, die einzelnen Krajine, kam früh eine zweite Bezeichnung in Gebrauch: Generalat. Das Generalat unterteilte sich wiederum in Regimenter. Diese Benennungen knüpften an die militärische Territorial-Organisation an. Es gab etwa das Warasdiner und das Karlstädter Generalat; . . Eine administrative Einheit im strengen Sinn wurde die Militärgrenze erst im 18. Jahrhundert, als die Habsburger, den absolutistischen Vorstellungen der Zeit gemäß, die gesamte Confin von der Küste bis zu den Karpaten zu einem Sonderterritorium unter zentraler Wiener Leitung zusammenfaßten. Generalin: Grimmeishausen 1669 Simpl. Ill 134 ich wurde [als Zigeunerin] in kürze so perfect, daß ich auch vor eine generalin aller zigeunerinnen hätte passiren mögen (DWB); Weber 1744 Rußland I 229 Die verwittibte Generalin Rönnen ist jetzo Ober-Hof-Meisterin, und die Gräfin Matusof Anno 1720 zu Petersburg gestorben; Adelung 1775 Grammat.-krit. Wb. 555 Der General . . Dessen Gattinn die Generalinn; Goethe 1779 Br. (WA IV 4,89) Bey Neuburg sind wir schon gewesen, es thut mir leid die Generalinn nicht zu sehen, ich schick ihr deinen Brief; La Koche 1780 Herz 225 Setzen Sie mich nur in den Stand, daß ich den Sohn der Frau Generalin Sandoz einem Fürsten . . empfehlen kann; ebd. 353 Ich hatte zwei Monate Generalin von Bischoffswerder im Haus . . Marquis Luchesini, seine Gemahlin und den General Bischoffswerder; Halem 1807 Peter d. Gr. HI 104 Umsonst suchte Katharina Peters Feuereifer, der hier zum letztenmale entbrannte, zu hemmen. Kaum konnte sie für ihre Günstlingin, die Generalin Balk, gewinnen, daß ihre körperliche Strafe gemildert ward; Sanders 1871 Fremdwb. l 433 Generalin . . Gemahlin eines Generals; Curtius 1903 Ernst Curtius 337 Im Schlosse in der Stadt trafen wir in großen altmodischen Zimmern an einem Kaminfeuer Ernst, den General, die Generalin und die Prinzen; Mannh. Morgen 5.7.1989 Anke Flugs, Generalin fürs Saubermachen; Salzb. Nachr. 23. 9. 1992 Sie setzte sich für die Umwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee ein, in der Frauen auch wie in Israel Dienst mit der Waffe tun sollten. Vorausset-
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zung dafür sei aber, daß eine Frau „auch Generalin werden" könne; taz 15. 11. 1993 Minna .. mit Accessoires der Intellektualität ausgestattet, ist da weit mehr Soldat. Als Generälin von Liebeslisten und nützlichen Sophistereien entspricht sie gekonnt dem neuen „starken" Frauentyp der Illustriertenwerbung; Zeit 29.8.1997 Triumph einer Frau in der Männerdomäne der obersten Ränge? „Ich finde das normal" . . kommentiert die künftige „Generalin" sachlich, nicht ohne sich zu amüsieren, daß eine große deutsche Tageszeitung daraus eine „Generälin" gemacht hatte. „Klingt eher wie Rättin, nicht?"; taz 13. 4. 2000 Galina Gulakova, Generälin der Roten Armee. Generalissimus: Wallhausen 1615 Kriegskunst zu Fuß 148 Von der Reverentie, so ein Regiment seinem Obersten vnd Generalissimo erzeigte; 1633 Relationen Lützen (Droysen I 33) der Fürst von Liechtenstein, . . vnd wie man sagen will . . der Käyserl. Generalissimus Hertzog von Friedland Selbsten geschossen vnd verwundet worden; Kose 1648 Holofern 91 Den [!] euch, ohne Zweiffei, bewust, wie viel es auff sich habe, einen Generalissimum, an des Königs Staat, zu agiren, wobey grosse Weisheit und Auffsicht sehr nötig sein wollen!; 1651 Braunschweig. Schulordn. 3 Entbiten allen und jeden, unseren Prälaten, Grafen, Herren, denen von der Ritterschaft, Gerichts-Herren, Generalissimo, General- und Special-Superintendenten. Pastoribus, Amptleuten, Bürgermeistern und Räten in denen Städten; Böckler 1665 Schola militaris 34 Generalissimus oder Feld-Herr; 1685 Türk. Schaubühne 208 Der Admiral oder Generalissimus der Türkischen Schiffs-Armade, heisset Capitain Bassä; 1706 (1905 Archiv f. Kulturgesch. Ill 203) [Wallenstein] der Kayserliche generallissimus; Fassmann 1719 Kriegs- u. Soldätenstand 70 der Moscowitische Generalissimus; Keyssler 1729 Reisen (Ausg. 1776 l 214) Der Herzog von Lothringen, als Generalissimus, ließ . . befehlen, ihm deshalb keine Schwierigkeiten zu machen; 1735 Stolberg. Samml. 3 Dem Verlaut nach ist das Commando am Rhein bereits regulirt und solle der Hertzog von Bourbon Generalißimus dabey werden; Beust 1743 Consiliarius 107 zu . . Generalissimo über dero Armeen declarirt und benennet; Lessing 1767—68 Dramaturgie (S. Sehr. X 8) Die Königinn hatte den Grafen, als ihren Generalissimus, mit einer sehr ansehnlichen Armee gegen den Throne geschickt; 2772 Frankf. gel. Anz. 164 Wenn unter der Heptarchie eine Vereinigung zur allgemeinen Vertheidigung nöthig war, so wählte man einen dieser Könige zum Generalissimus; Moritz 1793 Reisen
265 f. Ein sonderbares Ehrenamt ist noch mit der Würde des römischen Statthalters verknüpft, daß er nemlich auch Generalissimus der päbstlichen Truppen ist, an deren Spitze er mit seinem schwarzen Prälatenhabit, Mantel und Krägelchen und violetnen Strümpfen, steht, und die vor ihm, wo er vorbeifährt, ins Gewehr treten und die Trommel rühren; Cogniaczo 1794 Geständn. II 54 General Lieutenant (das heisst nach der östreichischen Dienstsprache Generalissimus); 1813—15 Prinzenbr. 82 Er ist so eine Art Generalissimus der holländischen Truppen; Gutzkow 1838 Blasedow II 346 Der Obrist war zum Generalissimus der diesseitigen Truppen ernannt worden; ebd. II 353 Der Baron (der also nicht einmal General, aber doch schon Generalissimus war); Frankf. Postztg. 7. 4. 1854 Einer verbürgten Nachricht zufolge soll sich der türkische Generalissimus entschlossen haben, seine Streitkräfte . . in Basardschik zu sammeln; Scherr 1865 Blücher HI 121 Bannerherr und Generalissimus; Bleibtreu 1889 Nap. I. 37 Der Erzherzog Generalissimus war selbst verwundet; Horix 1895 Erlauschtes 23 deren keinem es mehr beschieden war, sich zu einem Generalissimus emporzuschwingen; 1918 Türmer XX 476 Ein weltwirtschaftlicher Generalissimus [der New Yorker Börsenmakler B. M. Bausch]; Friedeil 1928 Kulturgesch. II 14 Ferdinand II. kämpfte für seine „Generalissima, die Mutter Gottes"; Hoffmann 1940 Anker 134 [Hebbel 1858] als Generalissimus der Poesie; Klemperer 1945 Tagebücher (Zw. allen Stühlen I 108) K. wird als Befreier Rußlands u. somit als Vorläufer Generalissimi Stalin gefeiert werden — aber doch als zaristischer Marschall u. Heerführer; Münch. Merkur 19.1. 1951 im Prinzip dürfte wohl keiner der Generale gegen einen König sein. Jedoch man überläßt da dem Generalissimus alle Entscheidung; taz 17.1.1995 Wie sollte sich die Armee, deren Fußvolk noch Fußlappen wickelt, da wohl begeistert in die Schlacht werfen? So etwas können sich nur Generalissimi ausdenken, die im 50. Jahr des Sieges über den Hitler-Faschismus allabendlich im Fernsehsessel sich noch einmal in Berlin einmarschieren sehen. Generalität2: Simon z. Lippe 1591—92 Tagebuch (1906 Mitt. lipp. Gesch. IV 76) Generalitett; 1618 Acta Publica 78 auf Werbung, durchpaßirung, herbergung vnd vnterhaltung an allen orten vnd enden, wo das kriegsvolck von Ihren Rittmeistern vnd befehlichhabern hinbeschieden werden möchte, gerichtet, in Ihrer generalitet alles derogleichen .. begrieffen; 1633 (1892 Württemb. Vierteljahresh. N. F. I 130) die kayserliche Generalität;
General Bürster 1647 Schwed. Krieg 129 Darumben sich Salem und Uberlingen zue underschidlichen mahlen bei dem obristen Merzy und generalität beklagt; Böckler 1665 Schola militaris 34 Hohe Officirer in der Generalität oder unter dem GeneralStab; Francisci 1672 Histor. Rauchfaß I 231 deß übrigen Kriegsheers gesamte Generalität; Brulig 1683 Wien 448 so ist auch zwischen dem könig in Fohlen, vnndt. . der übrigen generalität. . eine solche harmonia vnndt confidentz; Stieler 1695 Zeitungs Lust 81 Und solches kommt vielmals der Generalität zu Ohren/ daß sie Ursach nimmt/ so einem politischen Menschen mehr zutuhn zugeben und sich dessen Verstandes in Verschickungen und Tractaten bey dem Feinde und benachbarten Herren zu gebrauchen; ebd. 202 Generalität/ begreift alle hohe Generals-Personen und Feldherren; 1716 Relation Carlowitz 2 sam den Seinigen, (welche von der Generalität an bis auf die Gemeine, wie die Löwen gefochten); Fleming 1726 Soldat 124 sich hierdurch bey denen Hrn. Officiers, insonderheit aber bey der Generalität in guten Credit setzen; Earth 1734 Tagebuch 182 Den 28., als heute in der Frühe, sind S. D. der Prinz Eugen in Begleitung fast der sämmtlichen hohen Generalität an den Rhein hinausgeritten; Berlin. Nachr. 3. 3. 1742 daß zu folge des Testaments dem gewesenen Regenten zukomme, gemeinschafftlich mit dem Cabinet, Senat und Generalität, einen Reichs-Nachfolger zu erwehlen; 1758 Diarium Belagerung Breslau A3a Sämmtliche Generalität [der österreichischen Armee]; Kreittmayr 1769 Grundriss I (Reg.) Generalität. Vorstellung der Reichsgeneraliät; Becker 1784—86 Reise 123 alle Generalitäten, auch der Due de Crebillon; Blutnauer 1784-94 Virgils Aeneis (Ges. W. I 302) Er [Aeneas] schaut die Stadt von einer Höh',/ Und spricht zur Generalite/ Qua ächter Jakobiner; Danziger Ztg. 10. 2. 1798 am St. Markusplaz aus, wo die Generalität und Stände der vormaligen Venetianischen Republik den Feldzeugmeister Wallis empfiengen und ihn in die Kathedralkirche begleiteten; Bolte 1804 Geschäftsgang in Preußen 10 Die Zusammenhaltung und Bewegung der Armee steht unter der Leitung der Generalität unter dem Oberbefehle des Königs; Roos 1832 Leben 191 Jene beiden Officiere suchten den Weg nach Smolensk, Weiss sein Commando und ich unsere Generalität; Kohl 1841 Petersburg I 16 Nach dem genannten Cadettenkorps sind Häuser erster Größe in Petersburg das taurische Palais, die Admiralität und die Generalität; Frankf. Postztg. 21.4.1854 Der Feldmarschall Graf Radetzky .. wurde im Bahnhof von .. der gesammten hohen Generalität empfangen und bewillkommt; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 10 Die wenigen Kleidungsstücke, die dienstebenmäßig [!] Mottengeneralität mir anvertraute, wurden mir nun aufgepackt und ich ging . . in das zu meiner Aufnahme bestimmte
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Kasernenzimmer; Stein 1872 Heerwesen 68 Das Wort „Generalität" bedeutet . . die Gesammtheit der commandirenden Generäle; Fontäne 1898 Zwanzig 519 unter Generalitäten der Gast des Kriegsministers; Lokal-Anz. 7. 8. 1934 Dann fuhr er [General Goring] zurück und reihte sich in die Generalität ein, die in der Ehreneskorte mitgeht; 1942 Dtsch. Bildung 176 wohin wir durch das Versagen dieser Kreise — vor allem der Generalität — gekommen sind, was alles an wertvollen Menschen, an ehrwürdigen Traditionen, an Werten überhaupt dabei draufgegangen ist; Münch. Merkur 19.1. 1951 Gewiß gibt es unter der Generalität hinsichtlich der monarchistischen Sympathien Schattierungen; Offenburger Tagebl. 6. 7. 1970 [De Maiziere] bestätigte die Kritik des Verteidigungsministers Helmut Schmidt, daß das Durchschnittsalter der Generalität in den letzten Jahren immer höher geworden ist; taz 2. 7. 1988 Auf der einen Seite stehen da der legendäre El Campesino und die Guerilla, die seit Jahren ihren Kampf aus dem Untergrund heraus führen, und auf der anderen Seite die Generalität und eine radikal-reaktionäre Bürgerwehr; Zeit 12. 9. 1997 Ohnehin kannte die Generalität Hitlers Ziel, im Osten Lebensraum für das deutsche Volk zu erobern; Berl. Ztg. 23. 6. 1999 Dann kam die Südostasien-Krise, und in den USA und in Europa lachte sich die Wirtschaftsgeneralität heimlich ins Fäustchen; taz 6. 11. 2001 Mit Hilfe des „Schlieffen-Plans" wollte die deutsche Generalität im Ersten Weltkrieg Frankreich überrennen. Generalschaft: Wallhausen 1615 Kriegskunst zu Fuß 101 Generalschafft; 1840 Magaz. f. d. Lit d. Auslandes XVII 286 Der Oberst glaubte sich in Betracht der von ihm geleisteten Dienste zu Allem berechtigt, als er in einen Zwiespalt mit dem Kriegs-Minister gerieth; seine Generalschaft wurde angefochten . . die Sache kam vor den Staatsrath, wo sie noch schwebt; Scherr 1865 Blücher II 101 Blücher habe sich zur Zeit, wo er in Westphalen befehligte, militärisch oder politisch irgendwie merklich über das Niveau der preußischen Generalschaft von damals emporgehoben; Eulenberg 1913 Münchhausen 257 Nicht weich werden, Kurt, ich bitte dich. Sonst flenne ich mit trotz meiner Generalschaft. — Hast lange auf mich warten müssen. Wir lieben halt bei allem die Langsamkeit in Österreich, selbst beim Siegen; Schmitthenner 1969 Augustus 543 Davon wurde vor allem das Konsulat, ehemals Roms stolzeste öffentliche Würde, in Mitleidenschaft gezogen. Seine Vorzugsstellung, die Generalschaft, entfiel, seitdem es nurmehr Grenzkriege gab. Der militärische Charakter des Amts verkümmerte; Leimgruber 1990 Europäer 74 Von seifen der hohen Offiziers- und Generalschaft.
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Generation F. (-; -en), im frühen 16. Jh. entlehnt aus (fielet. Form von) lat. generatio 'Zeugung(-sfähigkeit); (Menschen-)Geschlecht', spätlat. auch 'Nachkommenschaft' (zu lat. generare '(er-)zeugen, erschaffen, hervorbringen', —» generieren, —* generativ, —* Generator, —» Genese), bis heute auch (bes. fachspr.) in lat. (flekt.) Form. 1 Zunächst als Nomen actionis in der Bed. 'Entstehung, (Heraus-/Heran-)Bildung, Entwicklung; Zeugung, Fortpflanzung' (vgl. Generierung, —·· generieren, —> Reproduktion), z.B. Generationsorgan 'Geschlechtsorgan', bes. als Terminus der Biologie (Vererbungslehre) bezogen auf den Fortpflanzungsmodus von Organismen, v. a. als Bestimmungswort in Zss. wie Generationswechsel 'Wechsel zwischen geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Fortpflanzung bei Pflanzen und wirbellosen Tieren', z. B. der Generationswechsel der Farne; Generationskräfte, -phase, -zeit 'Zeitspanne, in der sich die Zahl der Individuen einer Population von Lebewesen verdoppelt', -zyklus, -theorie 'wissenschaftliche Lehre von der Pflanzenbildung', vgl. lat. Syntagmen wie generatio aequivoca/spontanea 'Urzeugung belebter aus unbelebter Materie', generatio primaria 'ursprüngliche Zeugung', auch von unbelebter Materie (Minerale, Metalle o. Ä.) (s. Belege 1548, 1618) und allgemeiner (s. Beleg 1610); in neuerer Zeit als Terminus der (Kern-)Physik für 'paarweise Erzeugung von Ladungsträgern entgegengesetzter Ladung' (s. Belege 1996, 2005). 2 Gleichzeitig als Nomen acti in der allgemeinen Bed. '(Menschen-)Geschlecht; Geschlechterfolge; Entwicklungsstadium, -stufe; Nachkommenschaft': a In der Bed. '(in Ahnentafeln oder -listen durch römische Zahlen kenntlich gemachte) einzelne Stufe in der Aufeinanderfolge der Geschlechter, bei der (Ur-)Großeltern, Eltern, Kinder, Enkel unterschieden werden; Glied in einer genealogischen oder ethnologischen Einteilung oder geschichtlichen Abfolge' (—* Genealogie), in Wendungen wie die erste Generation ('Generation ) ist die der Eltern, die zweite Generation ('Generation ) die der Großeltern, der Ring wurde von Generation zu Generation weitergegeben, auf dem Foto sind drei weibliche Familienmitglieder dreier Generationen zu sehen, in diesem Haus wohnen drei Generationen ('Vertreter dreier Generationen'), das bleibt von Generation zu Generation gleich, daran haben mehrere Generationen mitgearbeitet, in der Großfamilie leben mehrere Generationen zusammen, das Geschäft in der vierten Generation betreiben, etwas von einer Generation auf die andere vererben, eine Folge von Generationen, in Zss. wie Ahnen-, (Groß-)Eltern-, Enkel-, Nachkommen-, Parental-, Filialgeneration (—»· Filial b) und Generationenroman 'Roman, in dem mehrere Generationen einer Großfamilie dargestellt werden' (z.B. Th. Manns „Buddenbrooks"); selten auf Gegenstände übertragen, z. B. in der Vervielfältigungstechnik als Bezeichnung für alle weiteren, vom Original (1. Generation) eines Films, Magnetbands o. Ä. gezogenen Kopien (s. Beleg 2004); daneben als Terminus der Biologie in der Bed. 'die direkten Nachkommen und Vorläufer eines Lebewesens in der Geschlechterfolge', speziell (bes. in der Botanik) 'in der Entwicklung einer Tier- oder Pflanzenart die zu einem eigenen Fortpflanzungs- oder Wachstumsprozess gehörenden Tiere bzw. Pflanzen', auch 'Gesamtheit der Individuen einer (Tier-, Pflanzen-)Population, die von einem gemeinsamen Ahnen hinsichtlich ihrer Abstammung gleich weit entfernt sind' (s. Belege 1790, 1794, 1799, 1931.1, 1931.2, 1934), z.B. die Merkmale lassen sich bei vier Generationen dieser Züchtung feststellen; Pflanzen-, Wald-, Pferdegeneration; Generationsreihe.
Generation
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b Seit späterem 18. Jh. wohl von daher als Zeitbestimmung in der speziellen Bed. 'Menschenalter, auf einen Mittelwert von ca. 30 Jahren quantifizierter Zeitabschnitt, Dauer des Heranwachsens eines Menschen', in Wendungen wie es wird noch Generationen dauern, daran hat sich seit Generationen nichts geändert, die Spanne einer Generation, nach ein paar Generationen, als Bestimmungswort in Zss. wie Generationen-/Generationsabstand/-spanne 'durchschnittliche Altersdifferenz aller Kinder zu Vater oder Mutter' und bes. in der adj. Zs. generationenlang, seltener auch generationslang 'über Generationen (an-)dauernd, sich über mehrere Generationen hin erstreckend'. c Etwa gleichzeitig in der Bed. 'Geschlecht; Altersstufe' als demographische Bezeichnung für die Gesamtheit der Menschen ungefähr gleichen Alters und geschichtlicher Zusammengehörigkeit, die qualitativ charakterisiert ist durch ähnliche soziale Orientierung und Lebensauffassung, meist im Hinblick auf einen gemeinsamen Bildungs-, Erfahrungshorizont, gleiche Denkweise und Einstellung, oft in Verbindung mit Attributen wie neu, gegenwärtig, jetzig, folgend, nächst, künftig, z.B. die alte, junge, kommende, spätere, jetzige, folgende, künftige, nächste, ältere Generation, meine, unsere Generation, die Generation unserer Großeltern, unter den Mitreisenden befanden sich nur wenige meiner Generation, in neuerer Zeit bes. als Terminus der Soziologie zur Bezeichnung von Gruppen (vgl. Generationseinheiten), die sich an gemeinsamen prägenden und typisierenden Erlebnissen, politisch-psychologischen Grundlagen, am Konsumverhalten o. Ä. orientieren (—»· Gruppe); in Wendungen wie die Generation der Kriegsteilnehmer, der Jugendbewegung, die Generation nach dem Krieg, Generationen von Abiturienten, spezieller auch 'Gruppe von Personen, die sich in einem bestimmten Bereich zeitlich vor oder nach einer anderen Gruppe entwickelt hat und durch bestimmte gemeinsame (Verhaltens-)Merkmale und Konzepte geprägt ist', vgl. attr. Verbindungen wie die dritte Generation der Terroristen, eine weitere, neue Generation von Schülern ist herangewachsen; als Bestimmungswort Generationen-/Generations- 'Alters-, Geschlechter-' in Zss. wie Generationenvertrag 'Art und Weise, in der in der Rentenversicherung jeweils die im Arbeitsleben stehende Generation die Renten für die Generation der Rentner erarbeitet (als Grundlage des Systems der Altersversorgung)' und (vgl. auch 2a) Generationskonflikt, -problem 'Schwierigkeiten und Konflikte, die aus dem Altersunterschied der Generationen und deren unterschiedlichen Auffassungen entstehen', -unterschied 'Unterschied in der Denk- und Lebensweise, der v. a. auf der Zugehörigkeit zu verschiedenen Generationen beruht', -Wechsel 'Ablösung von Angehörigen der älteren (mitsamt ihren Wahrnehmungsmustern und Weltanschauungen) durch Angehörige der jüngeren Generation (z. B. in Organisationen, Führungsgremien)', -frage, -genossen, -Solidarität, -faktor, -pakt, Generationenverhalten, -Verhältnis; generationen-/ -generationsübergreifend, -spezifisch, -bedingt, -typisch, und als Grundwort in Zss. wie Kampf-, Vorkriegs-, Künstler-, Front-, Nachkriegs-, MTV-, Turnschuh-, Erben-, Migrantengeneration. Häufig schlagwortartig, z. B. in der seit frühem 20. Jh. aus gleichbed. (wohl von der amerikan. Schriftstellerin G. Stein, 1874—1946, geprägtem) engl. lost generation lehnübersetzten Wendung Verlorene Generation 'Gruppe von jungen, durch den Ersten Weltkrieg desillusionierten und pessimistisch gestimmten amerikanischen Schriftstellern (G. Stein, E. Hemingway, F. Scott Fitzgerald, J. Dos Passos)' sowie erweitert 'junge amerikanische und europäische Generation nach dem Ersten Weltkrieg', vgl. auch Generation X (geprägt vom Romantitel des ameri-
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kan. Autors D. Coupland) 'Altersgruppe der etwa 1965 bis 1975 Geborenen, die durch Orientierungslosigkeit, Desinteresse an Staat, Politik u. Ä. gekennzeichnet ist', die skeptische Generation (nach dem Titel eines 1957 erschienenen Buches von H. Schelsky) als Bezeichnung für die westdeutsche „Wiederaufbaujugend" des ersten Nachkriegsjahrzehnts, die aus den Enttäuschungen der Nachkriegszeit in die organisierte Welt der industriellen Wohlstandsgesellschaft hineinwuchs, und in der Folgezeit Determinativkomposita wie aus (von J. Kerouac geprägtem) engl.-amerikan. beat generation übernommenes Beatgeneration 'Gruppe amerikanischer Schriftsteller (1955 — 60), die neue Ausdrucksformen suchte, die kommerzialisierte Gesellschaft und alle bürgerlichen Bindungen ablehnte und durch gesteigerte Lebensintensität (Sexualität, Jazz, Drogen) eine Bewusstseinserweiterung und metaphysische Erkenntnisse zu erlangen suchte', No-Future-Generation 'junge Generation ohne Zukunftsaussichten zu Beginn der 80er Jahre in den westeuropäischen Industriestaaten' (—* Futur b), Null-Bock-Generation 'Generation von Jugendlichen (bes. der Achtziger jähre), die durch Unlust und völliges Desinteresse gekennzeichnet ist'; dazu seit früherem 20. Jh. die adj. Ableitungen generationsweise 'eine bestimmte Generationsstufe betreffend, zeitlich mehrere Generationen umfassend, schrittweise, durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation bestimmt' und generationen-/generationsmäßig, z. B. die allein schon generationsmäßig sich ergebenden Probleme, gleichbed. mit seit Mitte 20. Jh. belegtem generationell und jüngerem generational 'eine Generation bzw. verschiedene Generationen betreffend; durch den Wechsel der verschiedenen Generationen bedingt, darauf beruhend' (—» generativ Ib), z.B. der Konflikt ist generationell bedingt, oft in Präfixbildungen wie trans- und intergenerational/ -generationell. d Seit den 60er Jahren des 20. Jhs. (eventuell von 2a her) unter engl. Einfluss übertragen verwendet als Bezeichnung für die in der technischen Entwicklung auf einer deutlich unterscheidbaren, durch eine bestimmte (weiterentwickelte) Art der Konzeption und Konstruktion gekennzeichneten Stufe stehende Gesamtheit von technischen Anlagen, Geräten, Fahrzeugen, Waffen, Gebrauchsgegenständen u. Ä., z. B. die neue Generation nuklearer Waffen, ein Computer der dritten Generation, eine gefährliche Generation von Rauschgiften, Drogen; Auto-, Chip-, Fahrzeug-, Geräte-, Kamera-, Mobilfunk-, Handy-, Motoren-, Reaktor-, Waffengeneration; Generationswechsel 'Übergang von einer (veralteten) Generation technischer Anlagen, Geräte usw. auf eine weiterentwickelte'. Generation 1: Paracelsus 1525-26 S. W. l 2,332 dan es ist gleich so müglich, im regen und aus dem regen solche generaz zu kommen, als aus der erden; ders. 1536 S. W. / 10,295 wie ein ietlich species salis ein besondre art in der formation seines eignen corpus an im hat, aus wölicher auch die form der ofnen scheden vergleichung und erkantnus fürhalt, solchs aber mit bedeutlicher auslegung zu erkennen, folgent hernach eines ietlichen species sonderliche generation; Rivius 1548 Vitruv. 233b generation des marbels; Fischart 1581 Dätnonotnania 370 Aber Weier ist vbel daran/ dz er die Creation oder Schöpffung/ nimpt für die Generation/ vnn die generation für die transmutation; Fuglinus 1586 De Praestigiis Daemonum 225b Die Glieder
so von Gott zu der generation verordnet, hat der Sathan verhindert (SCHÖPFE); Privatus 1598 Remigius Daemonolatria 36 die Niderfarth der Seelen in den Cörper . . dardurch wird sie zugesellet zu dem Werck der Menschwerdung/ generation!, zu der Natur; Guarinonius 1610 Greuel 1026 die wir . . die natürlichen Vrsachen jhrer generation [des Regens, Schnees, Blitzes] oder Wesens nit wissen noch verstehen; Porta 1612 Magia Dia Die vier jtzt gemelten Cörper haben in sich vier Elementarische Qualiteten, welche vntereinander eine in die ander gehen/ Aus welchen alle ding die der generation vnd corruption oder Geburt vnd zustörung vnterworffen seyn; Grassaeus 1618 Kl. Bauer 42 wann man erstlich dess Menschen vnnd der Metal-
Generation len vrsprüngliche Generation betrachtet; Co/eras 1645 Oeconomia I 439 zur Generation faul vnd vntiichtig; Glauber 1655 Op. Min. II 52 Die andere generation aber geschiehet auff ein viel andere Weise/ nemblich ausser dem centralischen vnnd allgemeinen fortgepflantzten Saamen/ sondern auff dem obersten Theil der Erden/ durch Wirkung deß öbern Gestirns/ dardurch der wenigste Theil gebohren wird; Wächtler 1709 Manual 145 Generation, das Zeugen; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 276 Generation, die Zeugung, it. Zeit- oder Geschlechts-Rechnung; Weber 1734 Enc. I 559 Generatio . . Entspriessung, Geburt, Stamm, Zeugung, Fortpflantzung; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 423 Ausgeburten von Geistern. Sie haben sowol Ausflüsse, emanationes, als wirkliche Geburten, generationes behauptet; 1780 Götting. Magazin d. Wiss. 252 Nutrition ist eine allgemeine, aber unmerklich continuirte — , Reproduction hingegen, eine wiederholte aber nur partielle Generation; Goethe 1790 Naturwiss. Sehr. (WA H 6,148 f.) [Er] wünscht seinen Zuhörern einen vollständigen Begriff von der Generation zu geben [149] Er hatte sich schon früher berühmt gemacht, durch eine tief und gründlich gedachte Probeschrift über die Zeugung; Maitnon 1791 Philos. Wb. 206 Die Generatio aequivoca (Erzeugung aus der Fäulniß u. dgl.) ist . . gar nicht so ungereimt, als man gemeiniglich vorgiebt; Dießkau 1794 Gärtnerey 235 Die Blattläuse bringen . . lebendige Junge zur Welt. . . Die letzte Generation im Herbst geschieht durch Eyer, aus denen die Jungen im Frühjahr erst auskriechen; Hufeland 1795 Pathogenic 77 Das Leben ist eine fortgesetzte Generation aus dem Blute; 1796 Archiv Physiologie l 1,79 Generation vollkommener Thiere; Heyse 1838 Fremdwb. I 448 Generation . . die Zeugung, Erzeugung, Entstehung; Valentin 1855 Physiologie 783 Die Urzeugung (Generatio aequivoca . .) sollte darin bestehen, dass sich organische Wesen aus fremdartigen Stoffen bilden; Haeckel 1866 Generelle Morphologie I 174 Urzeugung oder Generatio spontanea; Büchner 1872 Kraft 93 die merkwürdigen Erscheinungen des erst in neuester Zeit genauer erkannten s. g. Generationswechsels der Thiere; Virchow 1877 Freiheit d. Wiss. 19 dass in dem Gegensatze, in den Harvey zu der alten Generatio aequivoca trat, der grösste Fortschritt begründet gewesen ist, den die Wissenschaft auf diesem Gebiete gemacht hat; Ratzel 1897 Polit. Geogr. 49 eine psychische Generatio aequivoca; Haeckel 1913 Lebenswunder 402 spontane Generation; Freud 1916 Charaktertypen (Studienausg. X 240,) Die Thronbesteigung Jakobs I. war wie eine Demonstration des Fluches der Unfruchtbarkeit und der Segnungen der fortlaufenden Generation; Hellpach 1944 Völkerpsych. 6 Es fehlt also
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den Tieren . . offenbar jede Spur von Generationsbewusstsein, auch noch so dumpf gefühlsmässigem; Süddtsch. Ztg. 22. 9. 1950 Wenn man von der Lebenswende der Frau spricht, so meint man damit das Ende ihrer Generationsphase; Bauer 1957 Verbrechen 58 Angelpunkt der Störung sind die biologischen Generationsphasen der Frau; Herbig 1978 Gen-Ingenieure o. S. Ein entscheidendes Problem der Pflanzengenetik ist die lange Generationsdauer. Monate vergehen, bevor eine Pflanze reift und Samen entwickelt; Mannh. Morgen 29. 7. 1989 Die Generationsdauer des Maikäfers beträgt meist drei, kann aber bis zu fünf Jahren dauern; Otter/Honecker 1996 Atome — Moleküle - Kerne II 423 Wir wollen die Größe k genauer beschreiben, indem wir den Ablauf der Prozesse von einer Generation zur nächsten, den sogenannten Generationszyklus, genauer verfolgen; taz 9. 4. 1997 die vor 350 Jahren in Frankfurt geborene Künstlerin und Wissenschaftlerin [Merian], die erstmalig die genaue Generationsfolge der Insekten beschrieb und abbildete; FAZ 10. 11.2003 Er wurde für Forschungen prämiert, mit denen er nachwies, daß die Mutationsraten der DNS im Verlauf der Evolution nicht konstant sind, sondern die molekulare Uhr bei Mäusen fünfmal so schnell läuft wie bei Menschen, also in Abhängigkeit von der Generationszeit tickt; Lohrmann 2005 Hochenergiephysik 2 Diese vier Teilchen bilden die sogenannte erste Generation der elementaren Teilchen. Aber damit nicht genug, folgen diesen Teilchen der ersten Generation zwei weitere Generationen mit je vier analogen Teilchen. Generation 2a: Paracelsus um 1530 S. W. 5 alle heuser und secten, alle generationes und secula werden zergehn; Federmann 1557 Reisen 55 Als sie aber am dritten tag, ainen großen wasserfluß, welcher die Nation von ainer ändern Generation oder völckern, die Guaycarins gehaissen, tauet; Thurneysser 1578 Hist. u. Beschr. 88 Daß aber nicht allein Rechte Natürliche Empfahunge/ sunder auch durch die mancherley Vnnatürlicher Conceptiones Entstanden/ beweysen die vilerley verscheidner/ vnd frembdtgebildeten Generationes/ welche etwan bey den Vor-Elteren/ gesunden worden seindt; Horneck 1684 Österreich 86 daß unserer Vätter zu denen Manufacturen natürlich geeignet gewesener Verstand in ihren Kindern gleich in der ersten generation so mächtig abgeartet; Wächtler 1709 Manual 145 diß Hauß hat viel generationes; von einer generation zur ändern rechnen; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien U 10,247) es war gut Geld unter den Leuten, nach der damaligen Art, es waren der Leute weniger, und die Nationen mehr in ihre eigene Generationes eingeschränkt; Abbt 1781 Port. Geschichte 33 Da
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Generation
es zumal nicht wahr ist, daß sechzehn Generationen von Alphonso an gewesen, wenn man das Wort in seiner ordentlichen Bedeutung nimmt; Goethe 1790 Naturwiss. Sehr. (WA H 7,141) Der Knoten einer Pflanze enthält die künftige Vegetation schon in sich . . An dem Knoten der Weinrebe zeigt sich zuerst ein einfaches Blatt; dieses ist gleichsam das Ende der vorhergehenden Stufe . . Über diesem, als zu der neuen Generation gehörig zeigt sich . . ein völliges Zweiglein mit mehreren Blättern; W. f. Humboldt 1792 Ideen (1140) denkt man sich ein Fortschreiten der ganzen Menschheit von Generation zu Generation; Diesßkau 1794 Gärtnerey 12 weil die Stöcke, wenn beständig frischer gesäet würde, nach einigen Generationen, alle einfach würden; Schleiermacher 1799 Religion (IV 65) wie die vegetabilische Natur durch den Untergang ganzer Gattungen und aus den Trümmern ganzer Pflanzengenerationen neue hervorbringt und ernährt; Goethe 1821 Wanderjahre (WA l 25.1,197) Wir lernen Odoard als den Sprößling eines alten Hauses kennen, auf welchen durch eine Folge von Generationen die edelsten Vorzüge vererbt worden; Ranke 1834 Briefwerk 259 Wir begraben nach und nach die Generation, die vor uns war; ders. 1854 Epochen W.G. IX 2,6 aber vor Gott erscheinen alle Generationen der Menschheit als gleichberechtigt; Liebig 1859 Br. ü. Landwirtschaft 100 Gedeihen zukünftiger Pflanzengenerationen; 1863 Hausblätter I 64 Diese Art der Fortpflanzung hat man Generationswechsel genannt; König um 1875 Hum. U 111 Den Kindern sei's geweiht, der Generation, die nach uns [kommt]; Rieht 1885 Vortr. H 241 wieviel klaren Sinn, wieviel dämmernden Tiefsinn und leider auch wieviel Unsinn hatten Generationen um Generationen aus denselben Sprüchen heraus und in die Sprüche hineingelesen; Th. Mann 1897 Erz. (W. VIII 107) das [alte Patrizierhaus] lag inmitten der Stadt und hatte vier Generationen von vermögenden und angesehenen Kaufleuten überdauert; Welti 1909 Br. II 263 Heutzutage glaubt man auf vielen Gebieten, alles umstürzen zu können, was Generationen und Generationen längst festgelegt haben; Hammerstein 1916 Februar 165 durch drei Generationen dem Haus in Treue und Arbeit ergeben; Voss. Ztg. 17. 12. 1930 Marianne . ., die ein ehemals heilig-magisches Ahnen oder auch generationslanges Wissen zur Empirie einer vergleichenden Wissenschaft erhoben hat; 1931 Die Umschau XXXV 243 ich mußte das Tier leider aus der rationellen Zucht, wo ganze Generationsreihen vom richtigen Moment abhängen, entfernen; Voss. Ztg. 7. 1. 1931 Die Forstwirtschaft rechnet nicht nach einzelnen Jahren, sie zählt nach Waldgenerationen; Lokal-Anz. 15. 6. 1934 Hengst . ., der Urahn eines edlen Geschlechtes rassiger Pferdegenerationen
wurde; Süddtsch. Ztg. 20. 10. 1953 Wir müssen im Interesse der Alten das gemeinsame Dach, die Mehr-Generationen-Familie, anstreben; Trttsch 1954 Erben 312 daß z. B. gewisse Immunisierungen von Bakterien . . gegen Impfstoffe gewöhnlich erst nach einem Jahr auftreten, das heißt nach etwa tausend Generationen von Bakterien. Tausend Menschengenerationen aber würden einem Zeitraum von ungefähr 33000 Jahren entsprechen; Neues Deutschi. 8. 5. 1974 die Dankbarkeit gegenüber unseren Befreiern wird sich von Generation zu Generation fortpflanzen; taz 18. 7. 1988 Wir sind Artisten seit 1622 und da wird eben von Generation zu Generation alles weitergegeben und immer mehr dazugelernt; Berl. Ztg. 3. 5. 2003 Das Fachwissen um die Herstellung ideal zusammenklingender Glocken wurde sorgsam gehütet und von Generation zu Generation weitergegeben; Buhse 2004 Wettbewerbsstrategien 69 Das bei DAT-Geräten eingesetzte Serial Copy Management System (SCMS) ermöglicht z. B. eine unbeschränkte Anzahl digitaler Kopien der ersten Generation, verhindert aber die digitale Kopie (zweite Generation) von einer Kopie. Das MiniDisc-System von Sony stellt sicher, dass Kopien der zweiten Generation nicht die gleiche Ausgangsqualität erreichen. Generation 2b: Süssmilch 1771 — 76 Ordnung H 234 Generation [umfasst] 30 bis 33 Jahre; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 107) Muste mans erst in tausend Generationen einsehen, was Sprache sei?; Moritz 1794 Grammat. Wb. II 204 Generation. Die von einem Stamme zunächst entsprungenen Menschen, auch die Zeit, durch welche sie dauern; Jacobi 1794 Woldemar l 55 wenn das seit verschiedenen Generationen schon so fortgegangen . . ist; Busch 1797 Hamb. Handlung 126 daß ein Falliment . . allererst in Einer Generations-Periode, das ist, in 33 1/3 Jahren, für beendigt erklärt wird; Neueste Weltkunde 26. 7. 1798 Die in Klammern eingeschlossenen Zahlen sind auf die teutsche Nation, deren Bevölkerung zu 24 Millionen angenommen ist, während einer Generation oder 33 1/3 Jahren berechnet; Goethe 1807 Br. (WA IV 19,386) Unter den Badegästen bin ich wohl nun ziemlich Senior. Eine Generation entfernt sich nach der ändern; Nordau 1881 Kreml II 243 Es hat nahezu eines Jahrhunderts bedurft, bis die von der großen Revolution proklamierte Gleichheit aus dem Gesetzbuch ins Nationalbewußtsein gedrungen ist, allein heute, nach drei Generationen, ist dieses Wort wirklich und vollständig zu Fleisch geworden; Pon~ ten 1926 Siebenquellen 239 wenn erst nach zwei Generationen die Gesellschaft Eigentümerin wird; Aschner 1928 Krise d. Medizin 36 diese von der wissenschaftlichen Medizin generationenlang ver-
Generation nachlässigte Möglichkeit; Beri. lllustr. Nachtausg. 18. 1. 1933 Mithin scheidet beide fast genau die Spanne einer Generation; Welt 20.8. 1959 meist sind es Familienbetriebe, die aber oft auf eine generationenlange Tradition zurückschauen; Nossack 1963 Begegnung 314 von dieser ersten Entdeckung bis zu der eindeutigen Feststellung . . muss mindestens eine weitere Generation vergangen sein (DUDEN 1999); Zeit 14.11.1986 generationenlang hatten sich die Mitglieder zweier Familien aus Kleinwanzleben bei Magdeburg auf die Züchtung von Zuckerrüben kapriziert; taz 15. 3. 2002 Deren Bewohner haben immerhin . . gemeinsame Bräuche übernommen und respektieren nach ein paar Generationen die jeweiligen Sitten und fady (Verbote); ebd. 22. 4. 2002 Der Kampf ums „Heilige Land", den die Israeliten vor Jahrtausenden generationenlang im heutigen Palästina/Israel ausfochten. Generation 2c: 1772 Briefw. Haller-Gemmingen 23 eine Generation aufopfern, auf dass die folgende vernünfftig werden möge; Nicolai 1783 Reise I 140 die künftige Generation von Menschen; Archenholz 1787 England III 273 vielleicht dürfte ihn die nächste Generation schon erleben; Goethe 1821 Wanderjahre (WA l 24,224) Gewöhnlich zerstreut der Sohn was der Vater gesammelt hat . . Kann man jedoch den Enkel, die neue Generation abwarten, so kommen dieselben Neigungen, dieselben Ansichten wieder zum Vorschein; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 207 noch ehe die Regimentsschule aufgelöst war, wurde ich aus den Reihen der Krieger . . plötzlich in das Leben civiler Generationen versetzt; Marlitt 1868 Geheimnis 175 das stolze Geschlecht, das in seinen letzten Generationen zu Hobel und Pfrieme hatte greifen müssen; Rose 1884 Revanche 175 von der ganzen noch lebenden Künstlergeneration; 1889 Unsere Zeit l 398 Die Generation von 1850; Zapp 1896 Offizierstöchter II 79 ein Verbrechen gegen die Natur, . . gegen die künftige Generation; Dombrowski 1920 System 111 37 die junge Generation; Tempo 29. 3. 1929 Hier spricht eine ganze Generation, die „verlorene Generation", die noch zu jung war, um ihr Leben bei Kriegsausbruch zu beginnen, und zu alt, zerrissen und vom Kriege gezeichnet, um wieder von neuem anzufangen, als endlich der Friede kam; Berl. lllustr. Nachtausg. 13. 2. 1933 Jahr um Jahr stürmte eine neue Generation von jungen Talenten in das Cafe; Neues Deutschi. 25.8. 1949 allem Gerede und Geseufze um die „verlorene Generation" der Nachkriegszeit zum Trotz entfaltet unsere Jugend eine beachtliche Aktivität im praktischen und kulturellen Leben Berlins und der Zone; Welt 17. 5. 1954 wer diese Anliegen nicht toleriere, trage dazu bei, aus der „verlorenen Generation"
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der zwanziger Jahre eine betrogene Generation zu machen; 1961 Dies Unwersitatis Vlll 91 Der Wissenschaftler selbst ist ja von dem Werthorizont seiner Generation, vom Weltbild seiner Zeit und von der vorherigen geschichtlichen Entwicklung beeinflußt; FAZ 13.5.1970 Grass mahnte, die Partei durch die Generationsprobleme nicht weltanschauliche Farben annehmen zu lassen; Mannh. Morgen 2. 4. 1987 ein Kabinett der No-Future-Generation: Turnschuhe, Kofferradio, Tonband, Bierflaschen auf dem Tisch und die Packung Tabak, aus der „man" seine Zigaretten selbst dreht; taz 29. 1. 1993 Zwei Repräsentanten der vielzitierten „Generation X", die, eher unbewußt in der Nachfolge des Autors Coupland, Geschichten aus dem Alltagslexikon der Neunziger als Comicstrip erzählen; Zeit 20. l. 1995 eine nach materiellem Wohlstand jagende, bis zum Exzeß konsumgeile Generation; Berl. Ztg. 23. 5. 2003 Nachdem sich die Erfolgsmarken Generation X, Generation Golf und Generation Ally verbraucht haben, hat der Komiker .. nun der Yps-Generation nachgespürt. generations-/generationenmäßig: 1931 Geopolitik Vlll 896 daß jene Idee der Einordnung proklamiert und getragen wird von einem anders gearteten Menschentum, das sich, schon rein generationsmäßig, scharf abhebt von der instinktiv und selbstverständlich liberalen Gesinnung der Älteren; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 200) wie ja in der Kunst fast notwendig der Strebende sich auf die handwerkliche Führung durch ein generationsmäßig schon halb entfremdetes Meistertum angewiesen sieht; taz 27. 3. 1987 ein Zeichen der weiteren generationsmäßigen Erneuerung; ebd. 23.2.1994 der im Kooperationsvertrag mit der Statt-Partei vereinbarten „notwendigen generationsmäßigen Durchmischung" der Lehrerkollegien; Presse 24. 12. 1994 Dies verstehe er nicht als Konzentration auf soziale Gesichtspunkte sondern generationenmäßig. „Unsere Interessenten sollen die 30- bis 35jährigen sein."; Frankf. Rundsch. 22. 9. 1999 Bei den Vorgängen der generationsmäßig sich stetig erneuernden Gesellschaft sind immer drei Parteien im Spiel: die, die auftreten, die, die abtreten, und diejenigen, die noch im Hintergrund stehen, aber die Möglichkeit haben, das Skript zu ändern. generationell: Hellpach 1944 Völkerpsych. 120 Mit dem Wort „Erlebnisgeneration" haben wir zugleich die u.E. sachdienlichste Bezeichnungsweise dieser Art von generationeller Gleichheit gefunden; Salzb. Nachr. 31. 12. 1992 am Beispiel Ostdeutschlands . ., wo zunächst nicht nur Arbeitsplätze weggefallen sind, sondern auch Sicherheiten, Orientierungen, gewachsene Arbeits- und Lebensverhältnisse, soziale, familiäre und generationelle Bezie-
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hungen; Frankf. Rundsch. 5. 8. 1997 in den Biographien und generationellen Konflikten der deutschen Bevölkerung; Berl. Ztg. 20. 7. 2000 Die für unser Denken immer noch prägenden Extremerfahrungen des 20. Jahrhunderts können nicht mehr lange von lebenden Menschen bewusst erinnert werden; sie treten aus der Epoche der Mitlebenden, also aus der Zeitgeschichte aus (wenn man den Begriff generationell begreift); taz 15.6.2002 Die generationelle Prägung und die Bildung sind von großer Bedeutung: also je älter und weniger gebildet, umso häufiger das Vorkommen von Antisemitismus. generationsweise: Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. X 440) wie oft . . habe ich die Lebensoffenheit bewundert, die Bereitschaft, Junges, Neues, Gewagtes, und lag es selbst weit außer den Grenzen seiner generationsweise bedingten Persönlichkeit, zu bejahen und zu fördern; ders. 1933—43 Joseph (W. /V/V 128) aber so unmöglich es ist, daß dieser der Vater von Josephs Vater war, den wir am Brunnen beobachteten, so möglich ist es, daß der Isaak, der Abrahams Hirtenstreich imitierte oder in sein persönliches Leben einbezog, sich wenigstens zum Teil mit dem um ein Haar geschlachteten Isaak verwechselte, obgleich er in Wirklichkeit ein viel
späterer Isaak war und von dem Ur-Abiram generationsweise weit abstand; taz 12. 2.1990 Wir leben auf gigantischen Schichten von generationsweise hinterlassenem Müll.; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 56 träfen die . . Klagen über einen stetig fortschreitenden Sprachverfall zu, müßte ein solcher Verschlechterungsprozeß sich natürlich generationsweise vollziehen; Berl. Ztg. 21. 7. 1999 Die Geschichte der Berliner Olympia-Träume könne ihr Haus schon generationsweise dokumentieren, von 1936 bis 2000. Generation 2d: Mannh. Morgen 23. 8. 1969 die neue Generation nuklearer Vergeltungswaffen; FAZ 17.3.1971 Klöckner-Humboldt-Deutz wird nun in den nächsten Jahren für die „Folgegeneration" an Bundeswehrfahrzeugen 50000 bis 60000 Motoren liefern; Zeit 18. 1. 1985 erst die nächste Generation von Lasergeräten wird in der Fertigung optimale Ergebnisse bringen; Salzb. Nachr. 4. 9. 1992 Hayek hatte die rettende Idee, unter dem Namen Swatch zweimal im Jahr eine neue Generation von Armbanduhren anzubieten; Mannh. Morgen 3. 6. 2003 Notwendig wurde der Umbau durch die Beschaffung einer neuen Generation von Außenbordmotoren.
generativ Adj., im früheren 19. Jh. gebildet nach gleichbed. spätlat. generativus (zu lat. generatum, Part. Perf. von generare '(er-)zeugen' (—»· generieren; vgl. regenerativ, degenerativ). la Zunächst als biologischer Terminus in der Bed. 'die Zeugung, geschlechtliche Fortpflanzung betreffend, ihr dienend, auf ihr beruhend, geschlechtlich, keimbildend' (Ggs. —»· vegetativ), m Wendungen wie generative Keimdrüsenfunktion, Entwicklung, Fortschritte, Zellen 'Geschlechtszellen (im Unterschied zu den somatischen Zellen, den Körperzellen)'; seit Mitte 20. Jh. speziell in der Demographic im Syntagma generatives Verhalten '(auf kulturellen Normen beruhendes, durch Zusammenspiel und Wechselwirkungen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Einflüsse bedingtes) Handlungsmuster, das neben biologischen Ursachen auf die Zahl der Kinder, die eine Bevölkerung hervorbringt, Einfluss hat, und damit ein interkulturell vergleichbares Geburtenniveau charakterisiert; Geburten-, Heiratsverhalten' (s. Belege 1953, 1980, 1985). b Im früheren 20. Jh. vereinzelt, seit spätem 20. Jh. häufiger wohl im Sinne einer Ableitung von —> Generation 2c für 'das Verhältnis verschiedener Generationen betreffend, darauf bezogen; zu einer Generation gehörig', z.B. generativer Wandel, der generative Wechsel der Wählerschaft; vgl. die neoklass. Präfixbildung intergenerativ (aus —» inter] und generativ] 'die Beziehungen zwischen den Generationen betreffend' (vgl. intergenerational, —* Generation), in Syntagmen wie intergeneratives Lernen, Treffen, intergenerative Ungerechtigkeit, Umverteilung. 2a In den 70er Jahren des 20. Jhs. unter Einfluss von gleichbed. engl. generative als Terminus der Sprachwissenschaft in der Bed. 'komplexe sprachliche Einheiten (z. B.
generativ
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Sätze) erzeugend, ihre Erzeugung betreffend', meist in der festen Verbindung generative (Transformations-)Grammatik 'die Syntax einer Sprache unter Einbeziehung psychologischer und kognitiver Faktoren beschreibende Theorie, die zu erklären sucht, wie es einem Sprecher möglich ist, aufgrund der unbewussten Beherrschung einer endlichen Menge von Regeln seiner Muttersprache eine unendliche Menge von Sätzen in dieser Sprache zu erzeugen und zu verstehen; über ein System von Transformationsregeln die Beziehungen zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur eines Satzes beschreibendes Grammatikmodell, nach dem sich alle grammatischen Sätze einer Sprache generieren lassen'. Dazu gleichzeitig wohl ebenfalls unter engl. Einfluss die Personenbezeichnung Generativist M. (-en; -en), auch moviert Generativistin F. (-; -nen) 'Vertreter/-in der generativen Grammatik' und die adj. Ableitung generativistisch. Dazu seit späterem 20. Jh. die subst. Ableitung Generativität F. (-; ohne Pl.) 'Fortpflanzungsfähigkeit, Zeugungskraft; Abstammung' (zu la); in jüngster Zeit auch 'Erziehung der nachfolgenden Generation; Streben nach Erhaltung und Pflege der Generationenfolge' (zu Ib) und 'Merkmal des Regelsystems einer Sprache, das auf der Fähigkeit von Sprachbenutzern beruht, eine potentiell unbegrenzte Anzahl von Texten zu produzieren (als Teil der kommunikativen Kompetenz)', z. B. syntaktische Generativität (zu 2a). b In neuerer Zeit in der (etymologischen) Bed. 'erzeugend' (—» Generator 2) als allg. wissenschaftsspr. Begriff in verschiedenen Fachbereichen (Technik, Philosophie u. Ä.), z.B. generative Techniken, Ästhetik 'Methode zur (algoritmisch erfassbaren) Erzeugung ästhetischer Objekte, Ereignisse und Zustände', bes. in der Datenverarbeitung, z.B. generative Programmierung 'automatische Erzeugung von Programmcodes als Grundlage für die Komposition von Softwaresystemen aus abstrakten und konkreten Bausteinen', z.B. generative Software, Computergrafik. generativ la: Heyse 1838 Fremdwb. l 448 generativ, zeugend; Baader 1853 S. W. IV 249 Unsere Seele . . ist darum nach dem Tod überbleibend, weil sie aus dem generativen Grund Gottes . . entstanden, in einer unaufhörlichen Gebärung ihrer unauslöschlichen Lebenskräfte steht, so dass, wenn sie die wahre Idee (Gottes Bild) nicht erreicht, sie nothwcndig aus ihrer generativen Kraft eine falsche Bildung gebiert; Sanders 1871 Fremdwb. l 434 generativ, zeugend, auf Zeugung bezüglich; Schallmayer 1903 Vererbung 175 ebenso dürfte bei solchen Völkern, die zusammenhängende fremde Elemente in ihren politischen Körper aufgenommen haben (Einverleibung eroberter Gebiete und ihrer Bewohner), stets auch eine generative Vermengung stattgefunden haben; Gottl-Ottilienfeld 1934 Wirtschaftslehre l 72 der Lebensstamm des Gebildes, sofern man sie auf ihre „generative" Artung hin sieht; Krieg 1946 Grenzgebiete d. Biologie 47 mit zunehmendem Versiegen zunächst der generativen und später auch der vegetativen Lebensäußerungen bis zum endlichen Absterben der Elemente; Poenicke/Schmidt 1950 Dtsch. Obstbau 65 die generative Verträglichkeit . . erstreckt sich ausschließlich
auf die gegenseitige Befruchtungsfähigkeit der Sorten; Mackenroth 1953 Bevölkerungslehre 227 Es gibt also eine Sterblichkeitsdifferenzierung und eine Fruchtbarkeitsdifferenzierung, die [sich] wieder in die Elemente der generativen Struktur aufspalten; Stuttgarter Ztg. 21. 2. 1969 Das vegetative und generative Wachstum von Apfelbäumen hängt sehr wesentlich von der richtigen Stickstoffversorgung der Gehölze ab; 1973 Feld u. Wald Nr. 32, W diese beiden Frühsorten bleiben kurz und haben, da sie zeitig in die generative Phase eintreten, weniger Blatt bei entsprechend geringeren Erträgen; Institut f. Demographic (Hrsg.) 1980 Kinderwünsche junger Österreicherinnen. Individuelle Präferenzen und gesellschaftliche Bedingungen des generativen Verhaltens (Titel); Zeit 8. 2. 1985 sobald das generative Verhalten der Ausländer sich dem der Deutschen angepaßt hat — und wir wünschen ja die Integration —, entsteht durch den Ausländerzustrom ein neuer Rentnerberg, den zu alimentieren wiederum nicht genügend Nachwuchs vorhanden ist; Spiegel 18. 7. 1994 Es geht darum sicherzustellen, daß die „biologisch-generative Determination" der Frauen von diesen eben nicht
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generativ
„voluntaristisch ausgeschaltet" wird; taz 10.6. 1996 wie es uns die Natur in all ihren generativen Anstrengungen verschwendungsreich und lustvoll vormacht; St. Galler Tagbl. 5.1.2001 zwei Vermehrungsarten: die geschlechtliche oder generative Vermehrung und die Stecklingsvermehrung oder auch vegetative Vermehrung genannt. Generativität: Merleau-Ponty 1966 Phänomenologie d. Wahrnehmung (Übers.) 486 Unsere Geburt — oder . . unsere „Generativität" — gründe: in eins unsere Aktivität oder Individualität und unsere Passivität oder Allgemeinheit; ders. 1973 Vorlesungen 1126 daß die Evolution nicht zuletzt auch geschichtsphilosophische Probleme aufwirft. . und bestimmt nicht als Summe von Tatsachen zoologischer Generativität oder Abstammung angesehen werden darf; Schmidt 1975 Strichjungengespr. 38 wenn die Gesellschaft auf die volle Ausschöpfung der Generativität ihrer Mitglieder angewiesen ist (DUDEN 1999); Zeit 22. 3. 1996 Denn, so die Studie, „aus der Sicht des christlichen Glaubens sind Ehe und Familie die sozialen Leitbilder unter dem Aspekt der Sexualität und Generativität". generativ Ib: Werfel 1931 Geschwister 257 Denn vorerst muß ja die Wertigkeit der Gegenfamilie geprüft werden . . Don Domenico . . forscht nach dem generativen Goldgehalt des ehewerbenden Geschlechts, nach seiner Würde, seinem Alter; Zeit 27. 9. 1985 die Jugendlichen von heute sind keineswegs mehr Bewohner einer Dissenskultur, Minorität also, eine große, generative Randgruppe; ebd. 23. 3. 1992 Neben der Vorliebe für eine außenpolitische Gleichgewichtspolitik spielte in der SPD der 80er noch eine spezielle generative Konstellation eine wichtige Rolle; taz 22. 5. 1995 beim generativen Wechsel der Wählerschaft; Frankf. Rundsch. 27. 8. 1999 Die auf dem Generationenvertrag aufgebaute Rente ist in ihrer Gründungsphase wohl davon ausgegangen, dass sich das generative Verhalten konstant entwickelt; taz 12. 5. 2001 Der generative Wandel in den 60er-Jahren war kein Fluch, sondern ein Glück. Wir sollten die gegenwärtigen Probleme der Rentenversicherung ebenfalls als Chance begreifen. intergenerativ: Zeit 24.4. 1987 in der bekannten Bevölkerungsentwicklung ist jenseits der Jahrtausendgrenze .. mit einem massiven intergenerativen Verteilungskonflikt sowohl in der Rentenversicherung als auch in der gesetzlichen Krankenversicherung zu rechnen; taz 11. 4. 1992 „Alt hilft Jung" dieses Motto ist eine der wichtigsten Grundlagen der Arbeit. Um dem „intergenerativen Ansatz" gerecht zu werden, muß die Expertin, die für den Beratungsdienst tätig wird, bereits aus dem Berufsleben ausgeschieden sein und Distanz haben;
Presse 21. 11. 1998 Bei der zu erwartenden Ausdünnung intergenerativer Hilfe und Pflege darf man nicht übersehen, daß der Anteil der intragenerativen Hilfe (durch Lebenspartner oder andere über 65jährige) bei über einem Drittel der Pflegefälle liegt; Berl. Ztg. 9. 8. 2002 Die Bundesbank lobt im Juli-Bericht den Beitrag der kapitalgedeckten Altervorsorge wegen ihrer „intergenerativen gleichmäßigeren Lastenverteilung". Generativität: Meili-Lüthy 1982 Persönlichkeitsentwicklung als lebenslanger Prozess (Europ. Hochschulschriften VI 96,87) die Generativität, d. h. der Prozess, durch den das Individuum in einem neuen Sinn kreativ wird und die Verpflichtung fühlt, die jüngere Generation zu führen; Frevert 1988 Bürgerinnen u. Bürger52 Darüber hinaus förderte die Identifizierung von Geschlechtsverkehr und Generativität die Tendenz des Staates, den Blick eher auf Frauen als auf Männer zu richten, doch war diese Tendenz keineswegs durchgängig; St. Galler Tagbl. 10. 4. 2001 Mit zunehmender Bildung sind andere Formen von Generativität, das heisst des Einsatzes für nachfolgende Generationen, möglich; ebd. 18. 12. 2001 Erikson hat auch das Wort „Generativität" geprägt und definiert als das „Interesse an der Stiftung und Erziehung der nächsten Generation .." . . „Generativität": das bedeutet nicht nur, Kinder in die Welt zu setzen und aufzuziehen. Es kann auch heissen, Fertigkeiten und Verfahrensweisen zu vermitteln oder kulturelle Werte weiterzugeben . . Generativität ist ein Gegenkonzept zu einer egoistisch verstandenen Selbstverwirklichung. generativ 2a: 1970 Forschungsber. d. IDS IV 128 daß Transformationen — im Gegensatz zur strukturellen, namentlich zur generativen Grammatik — hier grundsätzlich als bedeutungsändernd aufgefaßt werden; Leibfried 1971 Identität o. S. man könnte sagen, man habe die surface structure (die Oberflächenstruktur: wenn die generativen Grammatiker das darunter verstehen sollten); Zeit 8. 3. 1985 ein noch leichter Satz etwa von Chomsky hört sich auf deutsch dann so an: das Kind muß eine generative Grammatik seiner Sprache auf der Grundlage eines relativ restringierten Maßes von Evidenz erwerben; 1988 Brockhaus VII 461 Anwendung formalisierter Sprachen zur Beschreibung natürlicher Sprachen, wie sie v. a. in der generativen Transformationsgrammatik erfolgt; taz 20. 9.2001 Der 73-jährige Linguist [Chomsky], der am renommierten „Massachussets Institute of Technology" (MIT) lehrt, gilt als Begründer der „Theorie der generativen Grammatik". Generativist: Kern 1973 Löwen und Sprachtiger 24 Die Mehrheit der angesehenen Generativisten ver-
Generator tritt dagegen ein anderes Schema: es werden nicht Sätze vorhergesagt, sondern Reaktionen des native speakers . . vorgelegt; Weite 1985 Eng/. Gebrauchsgrammatik 26 dies geschah, als die Strukturalisten gegen die Traditionalisten wetterten, die Generativisten gegen die Strukturalisten und die Pragmatiker gegen die Generativisten; 2000 Metzler-Lex. Sprache 699 Oft wurde von Generativisten Hjelmslevs Hoffnung aufgenommen, es müsse sich aus einer relativ kleinen Zahl derartiger Komponenten der gesamte Bedeutungskosmos natürlichsprachl. Wortschätze konsistent und nicht-zirkulär ableiten lassen; Albrecht 2007 Europ. Strukturalismus 100 In rein sprachwissenschaftlicher Hinsicht unterscheiden sich die Generativisten nicht nur vom Distributionalismus, sondern auch vom europäischen Strukturalismus durch ihre Hinwendung zur grammatica universalis, negativ formuliert durch ihre Abwendung vom Prinzip der Einzelsprachlichkeit. generativistisch: 1970 Forschungsber. d. IDS IV 138 selbst wenn man mit der generativistischen Schule (vgl. z. B. Chomsky, Topics, 62 ff.) auf spezielle Einbettungstransformationen überhaupt verzichtet; Zeit 17. 9. 1998 Mit einer generativistischen Theorie der Sprachproduktion, die sich die Texterzeugung als Prozeß der Verwirklichung vorher vorhandener — zum Beispiel grammatischer — Regeln vorstellt, ist die Spontan-Emission des Partizips Perfekt jedenfalls nicht zu erklären. Generativität: Brinker 2000 Text- u. Gesprächslinguistik 72 Dabei liegt das tertium comparationis
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der beiden begrifflich heterogenen Verwendungen von „Kompetenz" vor allem in den Merkmalen der Universalität und Generativität der Sprach- bzw. Redcfähigkeit. generativ 2b: Nake 1974 Ästhetik als Informationsverarbeitung 181 Wir wollen . . beispielhaft eine Reihe von Computer-Programmen betrachten, die Realisierungen generativer Ästhetiken sind . . Eine generative Ästhetik ist eine Methode zur Erzeugung ästhetischer Objekte und Ereignisse .. diese Methode muß durch einen Algorithmus ausdrückbar sein; Iber 1990 Metaphysik absoluter Relationalität 229 Der generative Charakter der absoluten Negativität hat sich uns in seiner ontologiekritischen Funktion vornehmlich bei der Analyse der Logik der Reflexion gezeigt; Computer Ztg. 4. 11. 1993 Die Vorträge sollen sich mit der Integration der Bildanalyse und generativer Computergraphik in den verschiedensten Anwendungsbereichen befassen; ebd. 20. 3. 1997 Die generative Programmierung legt die Grundlage für die Komposition von Softwaresystemen aus abstrakten und konkreten Bausteinen . . Durch generative Techniken können insbesondere komplexe Softwaresysteme in einer großen Zahl hochangepaßter Varianten automatisch erzeugt werden; Berl. Ztg. 18. 1. 2001 Aber Software ist ebenso in der Lage, „generative Prozesse" auszulösen; Schönsieben 2004 Integrales Logistikmanagement 369 f. Generative Techniken eignen sich für die variantenreiche Produktion, also immer dann, wenn wohl Millionen möglicher Varianten vorliegen, das ganze Variantenspektrum aber von vornherein bestimmt werden kann.
Generator M. (-s; -en), im früheren 18. Jh. entlehnt aus lat. generator 'Erzeuger, Erschaffer' (zu generare, —* generieren). l Zunächst nur gebucht und in neuerer Zeit vereinzelt übertragen (s. Beleg 1977) in der (etymologischen) Bed. 'Stammvater; Schöpfer, Erzeuger'. 2a Seit früherem 19. Jh., eventuell unter Einfluss von älterem engl. generator, bis Mitte 20. Jh. gleichfalls nur gebucht, dann bis heute selten in der Fachsprache der Technik in der Bed. 'einem Schachtofen ähnlicher Apparat zur Erzeugung von Heizund Treibgas aus festen Brennstoffen wie Kohle, Koks, Holz; Gas-, Dampferzeuger', in Zss. wie Generatorgas "Verbrennungs-, Industriegas, das beim Durchblasen von Luft durch glühende Kohlen entsteht', Generatorkohle 'zur Verbrennung im Generator geeignete Kohle', dann v. a. als Terminus der Elektrotechnik in der Bed. 'rotierendes Gerät oder Maschine, in der mechanische in elektrische Energie (Elektrizität) umgewandelt und elektrischer Strom erzeugt wird; Energieerzeuger' (s. Belege 1884.2, 1949, 1988; —> Dynamo, —» Turbine), speziell auch 'Lichtmaschine von Geräten (bes. Kraftfahrzeugen)' (s. Beleg 1999), in Wendungen wie ein Fahrzeug über Generator und Elektromotor antreiben, den Generator anwerfen, ein Generator sichert die Stromversorgung und in Zss. wie 20-Kilowatt-Generator, 50-Hertz-
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Generator
Generator, Atom-, Dampf-, Diesel-, Drehstrom-, Gas-, Sauerstoff-, Solar-, Schiffs-, Turbo-, Windgenerator; Generator(en-)fabrik, -bau, -leistung, -hersteller, -turbine, -aggregat, gelegentlich auch als Bestimmungswort in adj. Zss. wie generatorgetrieben/-betrieben, generatorspezifisch; vereinzelt übertragen verwendet (s. Beleg 2002). 2b Seit spätem 20. Jh. vermutlich ebenfalls unter engl. Einfluss als Terminus der Elektronik 'Gerät oder Schaltung zur Erzeugung von Wechselspannungen, das v. a. in der Mess-, Sende-, Empfangs- und Computertechnik eingesetzt wird', als Grundwort in Zss. wie Funktions-, Rausch-, Ton-, Zufalls-, Bild-, Wellen-, Hall-, Klanggenerator, daneben als Terminus der Datenverarbeitung 'Grundprogramm, das mit Hilfe von in die elektronische Datenverarbeitungsanlage eingegebenen Anweisungen und Parametern ein Benutzerprogramm erzeugt', meist in den Zss. Generatorprogramm, -modus; Programm-, Adress-, Passwortgenerator, auch bildl. (s. Belege 2000, 2003). Generator 1: Weber 1734 Enc. l 559 Generator . . Zeuger, Schöpffer, Vater; Heyse 1838 Fremdwb. l 448 Generator . . der Erzeuger, Stammvater; Genius 1933 Fremdwb. 363 Erzeuger, Stammvater; Schrnid 1977 D. ästhet. Inhalt 62 Welchen semiotischen Status hat das künstlerische Verfahren als Generator neuer kognitiver Inhaltsmomente? Generator 2a: 1823 Jahrbuch d. Chemie u. Physik IX 85 G ist die Röhre, wodurch das Wasser mit der Pumpe h aus dem Reservoir in den Generator eingetrieben wird; 1836 Polytechn. Journal XII 228 Die Bereitungsart der flüssigen Kohlensäure ist dem Principe nach mit Faraday's Methode übereinstimmend; sie besteht darin, Schwefelsäure über doppelt-kohlensaures Natron in einem sehr diken [!] Gefäße (dem Generator) laufen zu lassen, welches mit einem anderen ganz ähnlichen (dem Reservoir) verbunden ist; Heyse 1838 Fremdwb. I 448 Generator . . der Dampferzeuger, ein Dampfkessel beim Dampfgeschütz; 1852 Ausführt. Lehrb. d. Chemie II 679 In der That ist nicht mehr als eine Minute erforderlich, um die flüssige Kohlensäure aus dem Generator in den Recipienten übergehen zu lassen; Sanders 1860 DWB I 577 Generator . . Dampfkessel bei Dampfmaschinen; Meissner 1870 Kraftübertragung l 15 Man verwandelt irgend eine Primärkraft (Dampf, Wassergefälle, Winddruck u. s. w.) mittelst eines Generators (Dynamo-Maschine) in Elektricität; Kehrein 1876 Fremdwb. 209 Generator . . Dampfkessel bei Dampfmaschinen; Ofen zu künstlicher Gasbereitung; 1884 Brockhaus Vll 761 Bei der Gasfeuerung . . nennt man Generatoren diejenigen Apparate, welche zur regelmäßigen Erzeugung von Heizgasen dienen. Es sind dies Schachtöfen, in welchen auf einem Roste die Brennstoffe in sehr hoher Schicht und mit so geringen Luftmengen verbrannt werden, daß als Verbrennungsprodukte nicht Kohlensäure und Wasser, sondern Kohlenoxyd und Kohlenwasserstoffe erhalten werden; ebd. Im eigentlichen Sinne des Wor-
tes können auch die zur Erzeugung des elektrischen Stroms dienenden Maschinen . . als Generatoren bezeichnet werden; Ihering 1907 Gasmaschinen 309 Er gehört somit ebenfalls zu den Generatoren mit sogenannter umgekehrter Verbrennung; Mathesius 1924 Grundlagen d. Eisenhüttenwesens 19 Aus diesem Grunde sind für den Martin-OfenBetrieb erfahrungsgemäß diejenigen Kohlenarten als Beschickungsmaterial für die Generatoren am geeignetsten, deren Gas den größten Gehalt an Kohlenwasserstoffen aufweist; Neues Deutschi. 8. 5. 1949 da von den vier Siemens-Martinöfen zwei außerordentlich anfällig und reparaturbedürftig waren und die Versorgung der Generatorenanlage mit den allein hierfür geeigneten Semmelbriketts nur mangelhaft befriedigt werden konnte; Welt 13.2. 1959 der Atomreaktor ersetzt den Dampfkessel vor Turbine und Generator; Jaeger 1966 Freudenhaus 21 dann kamen die Wagen der elektronischen Anlage, wo die Generatoren summten (DUDEN 1999); Mannh. Morgen 3. 5. 1985 ein Ultraschallgenerator bringt eine stopfnadeldünne Sonde zum Vibrieren; tat 29. 10. 1988 Die Stromversorgung übernimmt ein auf dem Dach angebrachter Solargenerator — eine etwa einen halben Quadratmeter große, flache Platte, auf der Solarzellen angebracht sind; Frankf. Rundsch. 8.5. 1999 BMW wird nun als erster Autohersteller für seine 99er Top-Modelle mit V 8- und V 12-Motoren flüssigkeitsgekühlte Drehstromgeneratoren einbauen; taz 21.10.2002 Die durchaus pragmatischen Finnen und Schweden sehen eine gute Ausbildung als einen Generator für eine erfolgreiche Zukunft; ebd. 1.4.2003 Ingenieure versuchten, mit Generatoren wenigstens sechs Stunden am Tag die Wasseraufbereitungsanlagen in Betrieb zu halten. Generator 2b: Mannh. Morgen 8. 7. 1985 auf dem akustischen Hintergrund eines dumpfen Tongenerators entfalteten die Musiker . . ihre eigenwillige
generell Musik; ebd. 26. 7. 1986 mittels Zufallsgencrator kann auch willkürlich zwischen den Platten hergesprungen werden; taz 29. 9. 1988 der digitale Video-Effektgenerator; ebd. 21.7.1992 Mit den Satzfragmenten einer zuvor schon verknappten Sprache hat er sein Datenverarbeitungssystem gespeist, um per Zufallsgenerator „Modellsätze" des Boulevardjournalismus im Computer zu regenerieren; Computer Ztg. 19. 1. 1995 Den Teams ist es
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erlaubt, jede beliebige Hardware, Programmiersprache sowie den jeweils bevorzugten Programmgenerator zu verwenden; Salzb. Nachr. 12. 8. 2000 Vor kurzem wurde nun mit modernen Bildgebungsverfahren eine bestimmte Region im Gehirn als möglicher „Migräne-Generator" identifiziert, deren Nervenzellen elektrisch instabil sind; Berl. Ztg. 19. 4. 2003 Ein selbst gebastelter Krach-Generator namens „The Buzzerk" rundet das Klangbild.
generell Adj., seit frühem 18. Jh. nachgewiesene französisierende Umbildung (entsprechend kategoriell, kriminell, universell u. Ä.) von älterem —» general. In der Bed. 'allgemein(-gültig), allumfassend, insgesamt, überall (geltend), verbreitet, flächendeckend, prinzipiell, ausnahmslos' (—» pauschal), in Wendungen wie generelle Amnestie für politische Gefangene, generelle Regelungen/Maßnahmen wurden getroffen, etwas generell ablehnen, verbieten, auch 'üblich, gewohnheitsmäßig; auf viele Fälle derselben Art zutreffend, übertragbar, für diese gültig', z.B. das kann man generell für die meisten Menschen mit ähnlichen Voraussetzungen sagen, und 'hauptsächlich, im Großen und Ganzen, Alles in Allem, im Allgemeinen, eigentlich, bei nicht allzu genauer Betrachtung' (—»· global a), z.B. generell macht er einen gesunden Eindruck, aber wenn man genauer hinsieht, merkt man, dass es ihm schlecht geht, im Ggs. zu —» speziell auch 'im Prinzip, grundsätzlich, im Normalfall; undifferenziert' (—» general, vgl. prinzipiell; Ggs. differenziert, individuell)., z.B. generell gilt das, aber in Einzelfällen muss man differenzieren, der Fall ist nicht generell, Einführung in das generelle Prinzip dieser Technik, generell kann man sagen/ gilt, dass ..., speziell '(im Durchschnitt) am häufigsten zutreffend, regelmäßig, oft' (s. Beleg 1788; Ggs. —»universell), häufig im Kontext mit Antonymen wie in generelle und individuelle/spezielle Faktoren; daneben selten auch gleichbed. mit —»· generisch in der Bed. 'auf die Gattung bezogen' (s. Belege 1773, 1804, 1877, 1933), z.B. generelle Namen 'Gattungsnamen'. Wolff 1725 Vermehrung d. Getreydes 39 Und hieraus ist das generelle eckelhafte Praejudicium entstanden, daß, weil die Vermehrung des Getreydes so vielfältig versuchet, niemahls aber zu Stande gebracht worden, nunmehro alle Bemühungen auf nichts hinaus laufen; 1746 Leipziger Samml. HI 268 Ich hoffe, daß dadurch [durch einen darauf applicirten Plan] mehr, als durch eine generelle Nachricht könne praestiret werden; Lichtenberg 1765 Aphorismen i 17 Leute, die . . andere mit Fleiß hintergehen wollen, entdecken uns gemeiniglich das generelle ihrer gantzen Denckungs Art bey der ersten Zusammenkunft; Wezel 1773 Tob. Knaut l 111 Alles [sind] Gattungen von demjenigen Zustande, für welchen ich einen generellen Namen vermisse; Kant 1788 Kritik d. prakt. Vernunft 63 weil jedes Urtheil darüber gar sehr von jedes seiner Mcynung, die noch dazu selbst sehr veränderlich ist, abhängt, so kann es wol generelle, aber niemals universelle Regeln, d. i. solche, die im
Durchschnitte am öftersten zutreffen, nicht aber solche, die jederzeit und nothwendig gültig seyn müssen, geben; Goethe 1804 Gespr. m. Kiemer (He I 955) Nach Goethens sehr treffender Bemerkung kann die Sprache nicht das Individuum . . ausdrücken, das Specifische. Unsre Worte für die species sind doch nur generell (GWB); 1808 Heidelb. Jahrb. Ill 205 Der Verf. hatte anfangs bloß die Absicht einen kurzen Entwurf zu seinen Vorlesungen über generelle und specielle Therapie zu liefern; Goethe um 1810 WA U 3,57 Daß sie generelle Benennungen der Farben statt der speciellen . . setzen; Campe 1813 Fremdwb. 335 Generell, allgemein, in [!] allgemeinen; Puchelt 1826 System d. Med. 111 man unterscheidet gewöhnlich eine allgemeine und besondere, generelle und specielle [Therapie]; Puckler-Musk.au 1834 Landschaftsgärtnerei 89b [dass] für die Bewirthschaftung sowohl als Besichtigung des Parks, noch eine andere generellere Eintheilung angenommen wurde;
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generieren
A. v. Humboldt 1845-50 Kosmos / 23 Generelle Ansichten gewöhnen uns, jeden Organismus als Theil des Ganzen zu betrachten, in der Pflanze und im Thier minder das Individuum oder die abgeschlossene Art, als die mit der Gesammtheit der Bildungen verkettete Naturform zu erkennen; ebd. I 28 In der Mannigfaltigkeit der Gegenstände .. bietet sich von selbst die Frage dar, ob generelle Ansichten der Natur zu einer gewissen Deutlichkeit gebracht werden können ohne ein tiefes und ernstes Studium einzelner Disciplinen; Marx 1846-48 MEW IV 133 In der absoluten Vernunft sind alle diese Ideen . . gleich einfach und generell; 1864 Staats- u. Gesellschaftslex. 765 zum Losungsworte derjenigen . ., denen der periodische Fortschritt von Specialgesetzen zu generellen Gesetzgebungen noch nicht genügt, die vielmehr nur in einem Universal-Codex von exclusiver Gültigkeit das eigentliche Ideal der rechtlichen Ordnung erblicken; Faucher 1877 Culturbilder 353 einen marktartigen Charakter . . bewahrt, der diesen Straßenabschnitten im Volksmund einen generellen Namen — market-street, mart — gegeben hat; Wundt 1885 Essays 193 Wenn wir den Mechanismus der individuellen Gewohnheit . . auf die Uebung zurückführen, so ist nicht abzusehen, wie dies mit jenen „generellen Gewohnheiten" geschehen soll; 1901 Stimmen d. Zeit XL 361 Offenbar ist durch die usancemäßige, generelle Feststellung eines nicht zu hoch gegriffenen Minimal- oder Normalgewichtes pro Hektoliter die Fungibilität des Getreides . . wesentlich erhöht; Haeckel 1913 Lebenswunder 513 Was Goethe betrifft, so habe ich schon 1866 (in der „Generellen Morphologie") mich bemüht, seine historische Bedeutung für unsere moderne Entwicklungslehre . . darzulegen; Simmel 1923 Fragmente 121 das rein Generelle der sexuellen Erotik ist rein egoistisch; und nur insofern wäre dies zu modifizieren, als das ego [!], als individuelles, in diesem Falle ebenso erloschen ist, wie das Du; Genius 1933 Fremdwb. 362 general . . oder generell, die Gattung betreffend, zu ihr gehörig, allgemein; Lokal-Anz. 6. 7. 1934 Wenn jetzt. . viele [Mitglieder der SA] völlig unschuldig von den
allgemeinen Maßnahmen betroffen würden, so könne er durchaus ihren Schmerz verstehen. Es handele sich aber um generelle Maßnahmen; Singer 1942-44 Gettotag 198 Der Verfall war gar nicht so generell; Neues Deutschi. 22.10. 1959 Das Gesetz, mit dem die Bonner Regierung das Zeigen der DDR-Staatsflagge in Westdeutschland generell verbieten will; Welt 29. 12. 1964 wird sogar die Möglichkeit angesprochen, ob die Strompreise nicht generell freigegeben werden könnten; ebd. 1. 3. 1969 Generelle Regelungen will die Direktion für Bagatell- und Spezialisierungskartelle und für Vereinbarungen zu gemeinsamer Forschung und Entwicklung sowie Normung und Typung vorschlagen; ebd. 28.8.1969 Nachdem erfreulicherweise junge Leute in steigender Zahl einen Beruf ergreifen, der auch hier in einer generellen Krise steckt; Ullrich 1971 Umschulung o. S. Die Ausführungen reichen somit von grundsätzlichen Angaben, die die Umschulung generell betreffen . . bis zu Aussagen, die speziell die untersuchten Maßnahmen kennzeichnen; Krüger-Barvels 1971 Marketing (Absatzwirtschaft V o. S.) Aus extern determinierten und intern determinierbaren Bestimmungsfaktoren lassen sich generell wie auch im Einzelfall zunächst alle in Frage kommenden Maßnahmen ableiten; Fleckenstein 1983 Gentechnologie o. S. Nach anfänglichen Schwierigkeiten darf man heute davon ausgehen, daß es künftig generell möglich sein wird, menschliche oder tierische Proteine auf der Basis entsprechend clonierter DNA in Mikroorganismen zu synthetisieren; taz 9. 3. 1990 Viele Mitarbeiterinnen sind mit dem DDR-System zwar generell zufrieden — wünschen sich aber mehr Zeit für individuelle Betreuung; Salzb. Nachr. 30.4.1999 Der generelle Baustopp war allerdings ein unrealistischer Wunsch; ebd. 12. 6. 1999 Schnellfahren sei das generelle Übel auf unseren Straßen; Kleine Ztg. 21.9.2000 Diese Vorgangsweise würde die Almwirtschaft, die durch EU-Ausgleichszahlungen stark im Aufwind sei, generell in Frage stellen; taz 28. 9. 2000 Wir sind nicht generell gegen eine Ökosteuer, sondern für eine Änderung.
generieren V. trans., im späten 15. Jh. entlehnt aus lat. generare '(er-)zeugen, hervorbringen' (zu genus, —» Genus; —» Generation, —>· generativ, —» Generator, —> degenerieren, —+ regenerieren). Zunächst in der veralteten Bed. 'gebären, (er-)zeugen' (s. Belege um 1480, 1709), z. B. viele Kinder generieren; schon früh auch übertragen gebraucht in der fach- und bildungsspr. Bed. 'etwas hervorbringen, (er-)schaffen, erzeugen' (—>· kreieren, vgl. produzieren, —» Produkt), zunächst bezogen auf naturwiss. Phänomene und Gegenstände (bes. Metalle) (s. Belege 1528, 1537-38, 1566, 1581, 1628, 1655, 1672, 1682), in Wendungen wie die Erde generiert die Pflanzen, jeder Planet generiert sein
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eigenes Metall, Mücken und Mäuse werden aus Fäulnis generiert, selten auch reflex. sich generieren 'sich entwickeln, sich zeigen' (s. Belege 1781, 1795), im 20. Jh. (eventuell unter engl. Einfluss) allgemeiner auf Gegenstände und Sachverhalte bezogen, z. B. neue Verhältnisse, soziale Probleme, ein Dilemma generieren, auch im wirtschaftlichen Bereich (s. Belege 1997, 2001.2), z.B. höhere Einnahmen/Ausgaben/ Gewinne generieren, und im späteren 20. Jh. aus engl. generate neu entlehnt in der Sprachwissenschaft in der Bed. 'auf der Basis eines formalen grammatischen Regelsystems (im Sinne der generativen Grammatik) erzeugen, bilden', z. B. einfache und komplexe Sätze generieren (s. Beleg 1999; —»· generativ 2a), speziell auch als Terminus der Datenverarbeitung 'durch ein Verarbeitungsprogramm automatisch erzeugen' (s. Belege 1992, 1996, 2001.1), z.B. ein Inhaltsverzeichnis, eine Grafik, Daten, Makros generieren; häufig in der Part. Perf.-Form generiert in adj. verwendeten Zss. wie computer-, maschinen-, rechner-, medien-, fernseh-, film-, kultur-, nutzer-, selbst-, zufalls-, wohlstandsgeneriert. Dazu das im 16. Jh. vereinzelt, seit Anfang 20. Jh. kontinuierlich belegte Verbalsubst. Generierung F. (-; -en) 'Erzeugung, Schaffung', z. B. Wissens-, Informations-, Ideen-, Theorie-, Wert-, Ertragsgenerierung, auch als (computer-)linguistischer Terminus (s. Beleg 1980), z. B. Generierung komplexer Nominalphrasen, Generierung grammatikalisch korrekter Strukturen, Generierung und abstrakte Darstellung sprachlicher Ausdrücke; Text-, Regelgenerierung und als Terminus der Datenverarbeitung in der Bed. 'Erzeugung von Computerprogramminhalten wie 3-D-Objekten, virtuellen Welten, Klängen u. Ä.', z. B. ein Programm für die Generierung von Handbüchern, Produktkatalogen und Fahrplänen; Formular-, Code-, Bild-, Objekt-, Adressen-, Grafikgenerierung; Generierungsprogramm, -system, -technik (s. Belege 1993, 1994.1). generieren: Folz um 1480 Meisterlieder 84 Dein eingen sün, des vatters bort,/ den er gepirt/ Und generirt; Paracelsus 1528 S. W. I 6,227 so scheidet sich von im das salz und generirt ein tartarum am faß; ders. 1537-38 S. W. I 12,482 der incertus artista aber, der sie braucht, der mag vileicht zu solcher creation, neuer himel und firmament zu generiren nicht geschikt sein; Begardi 1539 Index sanitatis 40b dass die Krafft der natur die jhen sei, die do helff vnnd generier mit der artznei; Paracelsus 1566 S. W. I 13,198 got hat einem ieglichen element sein primam materiam geben, daraus es sol das generiren, das im zustehet, als der erden die plantae; Rof 1571 Diet. 314 Generirn/ Geboren/ schaffen; Hörwart v. Hohenburg 1580 Reitterey 3a wie das Haar erstlichen generiert, die färb an sich nimpt, darauf dieselbig verkört, alteriert vnd hufür wächst; Fischart 1581 Dämonomania 419 die Raupen vnd Mucken inn den Lüfften/ welche auß Verfäulung vnd Corruption gezeugt vnd generirt werden; Thurneisser 1583 Onomasticum 137 generirt oder gezeuget; Porta 1612 Magia A4b Galenus belachet, das sie alle geschrieben, wie zerriebene Basilien schnell Scorpionen generiren sol; Furttenbach 1628 Architect, civ. 35 dergleichen Wunderding/ dem Menschen zur ergötzlichkeit generirt;
Glauber 1655 Op. Min. U 45 dass ein jedweder Planet sein eygen Metall generirte; Prätorius 1665 Rübezahl III 242 Sintemahl berichtet wird/ daß solche Mäuselein bey gutem Wetter/ da gar keine Nässe vorgefallen/ generiret werden (DiBi 125); Ercker 1672 Aula subterranea 3 vom Ursprung der Metallischen Ertz, und wie dieselbige in den Bergen, in den Adern oder Gängen gewachsen, oder noch heutiges Tages generirt werden; Becher 1682 Glücks-Hafen 142 gleich wie die Metallen in der Erden von der Natur generirt werden; ebd. 145 Die Lufft generirt und gebährt den Magnet; Stieler 1695 Zeitungs Lust 202 Generiren/ wirken/ zuwege bringen/ Ursach geben; 1705 Herrschaft d. Männer 31 Das weil GOtt die Evam habe erschaffen müssen/ indem Adam keine Lust gehabt aus sich selbst zu generiren; Wächtler 1709 Manual 145 Generiren/ zeugen/ z. E. er hat viel Kinder generiret; Dahuron 1723 Gartenbau (Übers.) 27 wenn aber ein solcher Saamen nicht generiret und gezeuget wird; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 276 Generiren, gebähren, zeugen, schaffen, würcken, Ursach geben; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 70 eine Thorheit, worin er durch die damals gewöhnliche Meinung, daß die Seelen per traducem generiert würden, noch bestärkt wurde;
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Musäus 1781 Physiognom. Reisen II 110 Wie generirt sich die Intoleranz . .?; Hufeland 1795 Pathogenie 45 Magen, Haut und Lunge sind meistens auch die Punkte, wo sich die ersten Keime der Krankheiten generiren; 1809 Annalen d. Physik IX 187 Dass dieser nun wie andere Donner-Stein im Lufft [!] generirt worden, werde ich mich schwerlich überreden lassen, weil er ein mineralisch Ertz zu haben scheinet; Claudius 1829 W. / 60 der erste von diesen Göttern sey ein Sohn des Chaos gewesen, . . und hernach habe immer ein Gott den folgenden durch Hülfe der über- und unter-himmlischen Elemente auf eine verborgene Weise generirt, bis endlich der siebende, Ifanami, . . die unter Menschen gewöhnliche Art, sein Geschlecht fortzupflanzen, von dem Vogel Ifitataki gelernet habe; Scheible 1846 Schaltjahr 114 Darum unser Gold und Silber, das mit unserer Tinctur tingirt und gemacht wird, viel edler und besser ist zu der Bereitung aller medicinischen Arcanen, denn das natürliche, welches die Natur selbst in Bergwerken generirt, und das vom Erz geschieden wird; Werner 1861 Gesch. d. apologet. u. polem. Lit. l 459 Wie sollte überhaupt aus etwas Intelligenzlosem eine Intelligenz generirt werden können? Würde sie aber aus einer gewissen eigenartigen Mischung jener Seelentheile generirt, so wäre sie, und nicht jene Mischung, die Seele; Gernet 1893 Gesch. d. Estonia 9 es sei . . wohlbekannt, dass nach Zerstörung der Landsmannschaften, welche auch auf hiesiger Universität sich fast mit ihrer Entstehung generierten, und wozu der Keim von anderen Universitäten wohl übertragen wurde, die Studierenden jeder Facultät sich der Leitung eines Seniors untergaben; Arnold 1912 Wechselstromkommutatormaschinen 183 es wird noch eine elektrische Leistung aus dem Netz aufgenommen, und diese sowie die generierte Leistung werden in der Maschine vernichtet, die Maschine wirkt als Bremse; Schmid 1942 Entzauberung d. Welt 82 Ein vornehmer Mann erzählte Cuset von einem Hecht auf dem Luzerner Markt, der sei ganz voll langer dunkler Würmer gewesen, die hätten die Fischer eilends genommen und ins Wasser gesenkt mit der Erklärung, daß solches lauter Aale seien . ., denn diese könnten auch von dem Hecht generiert werden; Deschner 1964 Talente 181 Allerdings generiert Kreuder . . nie ein stilistisches Novum (DUDEN 1999); taz 11. 8. 1988 Die Entwicklung des Dollarkurses und die Restrukturierung der US-amerikanischen Ökonomie generieren für die staatliche Wirtschaftspolitik ganz offensichtlich ein Dilemma; ebd. 10. 6. 1991 Trayle läßt nach komplexen Algorithmen Impulsfolgen generieren; Presse 7. 5. 1992 Anschließend muß nur die gewünschte Konfiguration eingegeben werden, da-
mit das benötigte Steuerprogramm automatisch generiert wird; ebd. 4. 6. 1996 Nun wird . . die generierte Applikation in die Oracle Datenbank geladen; St. Galler Tagbl. 29. 4. 1997 um in den öffentlichen Haushalten höhere Einnahmen zu generieren; ebd. 2. 7. 1999 Sie Hessen die Schüler Sätze des Typs „Ich möchte mit XY (Person) über Z (Sache) reden" generieren, um so die bei Schülerinnen und Schülern bestehenden Informationsbedürfnisse zu klären; taz 11.8. 2001 Passend zum jeweilig ablaufenden Musikstück generiert das Programm eine sich bewegende Grafik; St. Galler Tagbl. 13. 12. 2001 dieses Jahr habe . . eine durch die Zinssenkungen der Notenbank generierte Überschussliquidität die Aktienmärkte immer wieder getrieben; Süddtsch. Ztg. 21.122. 8. 2004 Garfield erscheint im Kino als vollständig computergeneriertes Wesen in Realfilm-Ambiente. Generierung: Bodin 1591 Daemonomania (Übers.) 44 Als da sein die Impressiones des Fewrs inn höchster Religion vnd gegene/ oder die Generierung vnnd erzeugung der vnvollkommen Cörper inn der mittelen Gegend des Luffts: Als wann der Mon Rotfärbig sieht/ bedeuts Wind/ sieht er bleich/ bedeuts Regen/ sieht er hell vnd klar bedeuts schöne zeit; Ihering 1907 Gasmaschinen 305 Hiermit scheint bewiesen zu sein, dass man allgemein Brennstoffe, welche sehr feucht und an sich für die Generierung ungeeignet sind, durch Vermischung mit trockenen Brennstoffen vorzüglich gebrauchen kann; 1948 Bildung u. Erziehung XXIV 533 Einen methodologischen Wert wird man dem Konvergenztheorem am ehesten in der Art eines hermeneutischen Vorverständnisses für Forschungsansätze und in der heuristischen Funktion bei der Generierung von Hypothesen zusprechen dürfen; Wettler 1980 Sprache, Gedächtnis, Verstehen 155 so ist auch bei der Generierung von Sätzen das Verb von größerer Wichtigkeit als die anderen Satzteile; Winter 1986 Gentechnik o. S. Ist wenigstens die Generierung von Risiko- und Nutzeninformationen zu erwarten?; Computer Ztg. 11.2. 1993 Das System Metal (Machine Evaluation and Translation of Natural Language) ist ein Sprachanalyse- und Generierungssystem zur Textübersetzung, mehrsprachigen Kommunikation, Dokumentenverwaltung und für intelligente Recherchen; ebd. 20. 1. 1994 Die Grundgenerierung findet im Hintergrund statt, der erzeugte Code wird teilweise automatisch in das gesamte Programm eingebunden; taz 14. 9. 1994 Die Dissertation fragt nach den sozialen und kognitiven Bedingungen der Generierung von Realität; Presse 30. 5. 1998 die
generös Wissensgenerierung via Fachzeitschriften; Berl. Zig. 10.11.2001 Quellenwissen und damit verbunden das Beherrschen der Technik der Informa-
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tionsgcnerierung; St. Galler Tagbl. 23.11.2001 Auf der anderen Seite ist aber der Generierung neuer Ausgaben dringend Einhalt zu gebieten.
generös Adj., im früheren 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. genereux (< lat. generosus 'edel (von Geburt oder Beschaffenheit); hochherzig, edel-, großmütig', zu genus 'Abstammung, Geschlecht'; —* Genus), zunächst ausschließlich und bis ins frühere 19. Jh. überwiegend in den frz. (beeinflussten) Nebenformen genereux, gene· reus, vom späteren 17. bis Anfang 18. Jh. in der lat. beeinflussten Nebenform generös und im 18. Jh. vereinzelt in phonetischer Schreibung schönerös. Bildungsspr. verwendet mit Bezug auf Personen und ihr Verhalten in der Bed. 'edel-, großmütig (denkend und handelnd); nicht kleinlich, großzügig (im Geben, im Gewähren von etwas); von großherziger Gesinnung (zeugend)' (—» honorig, —> kulant, —» nobel; vgl. spendabel, splendid], in neuerer Zeit auch abwertend für 'allzu freigebig, verschwenderisch' (s. Beleg 1986), z.B. ein generöses Gemüt, eine generöse Geste, ein generöser Vorschuss, generöses Verhalten, jmdn./etwas generös fördern, auf Mahn-/Stornogebühren generös verzichten, er war/zeigte sich sehr generös. Dazu seit späterem 17. Jh. aus gleichbed. frz. generosite (< lat. generositas 'Hochherzigkeit, edle Art') entlehntes Generosität F. (-; ohne PL), anfangs auch (frz. beeinflusst) Generosite und Generosität 'Edelmut, Großherzigkeit, Großmut, Großzügigkeit, Freigebigkeit, Uneigennützigkeit' (—» Kulanz, vgl. Noblesse, —» nobel), z.B. selbstlose, falsche Generosität, in einer Anwandlung von Generosität. generös/generös: Nicolai 1632 Er. (Sonden 47) er ist ein cavalier so genereux und brave (JONES); Seckendorff 1665 Fürstenstaat // 83 Und muß ein sehr großer, reicher und generöser Herr seyn, der den Land-Städten zu ansehnlichem Vermögen und Freyheiten behülfflich ist; Weise 1673 Haupt-Verderber 54 genug daß man das genereuse Gemüth erweiset (BRUNT); Krämer 1681 Leben d. Seehelden 351 Worauf er auch, ohne ferneres Bedenken so genereux war, daß er alsbald den einen [Becher] dem Generalen Draeck verehrete; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 565 [du sollst) von dem Aristotelis sagen, daß er das genereuseste Gemüth hat unter allen in Macedonien; 1690 Hochbeehrtes Augsburg 14 generosse Gemüther, wann sie die lobwürdigen Verrichtungen ihrer Vorfahren sich fürstellig machen, spüren gemeiniglich einen Antrieb der Tugend bei sich; Ziegler 1697 StaatsPhantasien l 17 was er sich gegen einem so tugendhafften und genereusen König unterstanden; Eisenhut 1700 Ehre IV 290 Die Assyrier, welche starcke und generöse Völcker waren; Elis. Charl. 1703 Br. l 325 Ewere reputation ist woll establirt, daß Ihr, liebe Louisse, genereus seydt; Stranitzky 1711 Ollapatrida 108 daß der Herr Doctor ein genereuser Mann seye; Prambhofer 1712 Traum-Ges. 165 Leopoldus, der so generös und Löwenmüthig mit dem feind gefochten; Fleming 1726 Soldat 8 Wie nun Alexandrus Magnus zwar ein tapfferer aber
dabcy genereuser Herr war; 1741 Begebenheiten 167 Wie ihm des Tummingo artige und genereuse Mine mit einmahl so wohl gefallen; Lenz 1774 Menoza (W. u. Sehr. U 135) was sagt dein Herz? Das ist die Frage. Beide Herren sind reich, beide haben sich schönerös gegen mich aufgeführt, beide können dein Glück machen (DiBi 125); Schütze 1800 Handwb. f. Schauspieler 54 Einige genereuse Directeure gewähren sie [freie Entree] allen Fremden; Gotter 1802 Nachlass 229 Sich bei den Ehepakten etwas generöser bezeigen; Puckier-Musk.au 1831 Br. e. Verstorbenen (Br. IV 404) Dabei ist er genereus für seine Umgebung, giebt gerne Feste, sieht gerne Leute (DiBi 125); Szarvady 1852 Paris l 410 Er ist generös bis zum Leichtsinne; Gerstäcker 1872 Gardinenpredigten 8 freigebig und generös; Hornberger 1875 Essays 287 generösesten Erklärungen der Menschenrechte; Rose 1884 Revanche 120 der generöse Gatte; Tb. Mann 1912 Reden u. Aufs. (W. X 557) dieser strebenden, irrenden, taktlos-tatkräftigen, generösen und unseligen Frau; Chamberlain 1914 Br. l 238 das Auge des edlen, temperamentvollen und so wirklich generösen Mannes; Singer 1942—44 Gettotag 73 eine ordentliche Zigarettenration, die man sogar als generös bezeichnen kann; Feuchtwanger 1951 Goya 310 Goya fand die Rechnung nicht generös, aber auch nicht schäbig; Grass 1962 Blechtrommel 463 während die Werbung anlief, lebte ich von einem zwei-
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ten generösen Vorschuß, den mir die Konzertagentur „West" gewährte; taz 31. 10. 1986 Nicht nur durch die Millionenbeute, die einzelne Skandalfiguren aus offiziell abgerechneten Wohnungsbauten ergatterten, ist die Art und Weise, wie die Neubautätigkeit in Berlin mit öffentlichen Geldern generös gefördert wird, in die Kritik geraten; Salzb. Nachr. 3. 8. 1991 ein generöser Fürst, der seinen Hofmusikus Leopold Mozart (den Vater Wolfgangs) von zehn Jahren siebeneinhalb Jahre auf Reisen gehen ließ, der Reisezuschüsse gewährte und dem siebenjährigen Wolfgang Amadeus für ein Geburtstagsständchen einen zwölffachen Dukaten schenkte; Berl. Ztg. 20. 5. 2003 Auf die kürzlich eingeführten Stornogebühren bei einem Nichtantritt einer lange voraus gebuchten Reise wird an den BahnhofSchaltern inzwischen generös verzichtet. Generosität: Weingarten 1673 Fürsten-Spiegel 1122 der feinde wahrnehmend/ hat er . . beyde posten . . angefallen/ dass die Italiäner weichen/ die Teutschen aber jener fähler mit mehr als menschlicher generosität ersetzen müssen; 1675 Rath-Stube Hiijv dieweil wir es aus blosser Generosite und geneigtem Gemüthe . . thun (BRUNT); Lucae 1689 Chronica 1287 ein Herz von ungemeiner generosite (BRUNT); Seckendorff 1691 Reden 302 Von dem Licht Dero von GOtt verliehenen hohen Verstandes/ erwarten wir die gnädigste wohlmeynende Beleuchtung und Erkäntniß unsers Zustandes und Anliegens/ von Dero angebornen Fürstl. Güte/ Generosität und Müdigkeit aber die heilsame Erwartung in dem rauhen Frost unsers mannigfaltigen Elendes; Thomasius 1696 Ausübung d. Sittenlehre 166 Von dem Ehrgeitz ist die vernünfftige Liebe hauptsächlich durch die Gleichmütigkeit und generosität entschieden: In der Verschwiegenheit/ Freygebigkeit/ Mäßigkeit und Sparsamkeit tritt der Ehrgeitz der vernünfftigen Liebe schon etwas näher; Elis. Charl. 1701 Br. l 252 Man muß erste sehen, wie man sich nach seinem standt erhalten kan, ehe man sich auff generositet undt pressenten legt; Menantes 1710 Satyr. Roman l 142 so wäre doch ihre Generosite zu gross gewesen, mich . . zu verbannen; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 97 wo und wem wir unsere Generosität sehen lassen; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,477) Was wird bey denen erfolgen, die nicht so viel Evangelische Generosität und Discretion haben?; Lavater 1781 Verm. Sehr. I I 2 2 Einen Menschen,. . Deßen Frömmigkeit,
deßen Generosität ich zu besitzen wünschte; Iffland 1795 Scheinverdienst (IV 42) nimm den Ring. Er ist 150 Thaler werth, er mag verloren seyn, nur daß Du dem Geschöpf an Generosität nicht nachstehst; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti I I 1 1 5 Es ist ein Vorurtheil, das ich bei solchen Generositätsangelegenheiten mich nie entschließen kann, wechseln zu lassen; Burckhardt 1847 Br. HI 69 das hiesige [Berliner] Theater ist ein reines Finanzinstitut und lässt sich auf Generosität nicht ein; Schlözer 1851 Jugendbr. 167 in einer Anwandlung von Generosität, die ihn recht oft befällt, seinen . . Wiener Flügel geschenkt; Hillebrand 1881 Jahrh. d. Revol. 76 Alle, noch immer in der englischen Nation so unvermittelt nebeneinander lebenden Gegensätze muthigster Wahrhaftigkeit und directester Heuchelei, cynischem Egoismus und edelster Generosität. . leben vor uns in den literarischen Denkmalen jener Zeit; Bleibtreu 1888 Größenwahn 1111 Als sie nun zum Aufbruch rüsteten und Eduard in einer Aufwallung ungesunder Generosität eine Mark Trinkgeld spendirte (DiBi 125); Haarhaus um 1900 Blattschüsse l 71 der vortreffliche französische Sekt. ., den der Baron mit der Generosität eines Mannes, der ein gutes Geschäft gemacht hat, auffahren ließ; Chamberlain 1904 Br. 148 Mile, de Gasparin scheint meine Verteidigung sehr hitzig geführt zu haben, mit der ganzen Generosität und dem Überschwange des Südländers; Th. Mann 1913 Reden u. Aufs. (W. X 66) sein Künstleridealismus verleiht ihm die innere Gebärde der Generosität, mit welcher er das Ehrenhafte gegen das Nützliche beschützt; NZ. (Basel) 30.5.1949 Die Grosszügigkeit Frankreichs, auf Souveränitätsrechte zu verzichten, kann nur als Generosität gewertet werden; Feuchtwanger 1951 Goya 202 Generosität macht sich besser bezahlt als Sparsamkeit; Zeit 9. 5. 1986 auffallend jedoch ist die Generosität, mit der Grosz künstlerisch seine Monstren versieht; Spiegel 8. 2. 1993 ein System [Kapitalismus], das harte Diskrepanzen zwischen Arm und Reich, zwischen Weiß und Schwarz, zwischen Nord und Süd, zwischen Geiz und Generosität verkraftet; taz 21. 3. 2002 Deshalb sollte die Kulturbehörde diese Kongruenz von finanzieller und ideeller Generosität von Hunke, der sich gern als „Mäzen" bezeichnet, deutlich einfordern; FAZ 31.1. 2005 Letztlich hatte Irina Slutskaja ihren Erfolg der Generosität der Preisrichter zu verdanken, die einfach darüber hinwegsahen, daß die Europameisterin durch mehr als die Hälfte ihres fehlerübersäten Programms gestolpert und einmal sogar zu Fall gekommen war.
Genese F. (-; selten -n), im späten 18. Jh. (eventuell unter Einfluss von frz. genese] mit eingedeutschter Endung entlehnt aus lat. genesis/gnech. $ 'Erschaffung, Schöpfung, Geburt, Entstehung, Ursprung, Zeugung', auch 'Nativität, Konstellation
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der Planeten zum Zeitpunkt der Geburt' (Verbalabstraktum zu '(geboren) werden, entstehen', zurückgehend auf den idg. Verbalstamm *gen- 'gebären, erzeugen'; —»· Genus, —»· Generation). In verschiedenen Fach-/Wissenschaftsbereichen und bildungsspr. verwendet in der Bed. 'Erzeugung, Zustandekommen, Entstehung; Werden, Entwicklung(-sgeschichte)', speziell auch 'Herkunft, Ursprung, Anfang (z.B. eines Begriffs, Wortes, einer Sprache)' (s. Beleg 1799) und 'Ursache, Vorgeschichte (einer Krankheit o. Ä.)' (s. Belege 1856, 1863, 1882, 1907, 1918, 1987; vgl. Anamnese], in Wendungen wie die Genese eines Kunstwerks, die Genese des Himmels und der Erde, Kultur in ihrer historischen Genese, Genese einer Sprache, bei Schlafstörungen verschiedener Genese und speziell in der Philosophie und Soziologie normative Genese 'historische Rekonstruktion durch systematische Reflexion und kritische Beurteilung der in der Gesellschaft geltenden Normen und Wissensbestände' (Ggs. faktische Genese 'Prozess der angetroffenen Normierung'), und als Grundwort in Zss. wie Basalt-, Bild-, Berlin-, DDR-, Klang-, Klima-, Krankheits-, Krebs-, Projekt-, Schöpfungs-, Siedlungs-, Stammes-, Technik-, Text-, Werk-, Tumorgenese, bes. in neoklassischen Kombinationen wie Biogenese F. (-; ohne Pl.) (aus —» Bio-, bio2 und -genese], auch Biogenie '(Ansicht, Lehre von der) Weitergabe des Lebens durch bereits existierende Lebensformen bzw. von der Entstehung (sowohl Stammes- als auch Individualentwicklung) biologischer Strukturen oder neuer Organismen aus bereits bestehenden Lebensformen (anstelle der Annahme spontaner Entstehung von Leben aus toter Materie); Bildungsgeschehen in lebenden Körpern, Zellen u. Ä.', Ethnogenese F. (-; ohne Pl.) (aus —» Ethn(o)-, ethn(o)- und -genese) 'Entstehung eines Volkes; Lehre vom Ursprung der Völker (als Teilgebiet der Völkerkunde)', Ontogenese F. (-; ohne Pl.) (aus ont(o)-, zurückgehend auf griech. öv 'Einzelwesen, Individuum', und -genese) 'Entwicklung des Einzelwesens' und Phylogenese F. (-; ohne Pl.) (aus phyl(o)-, zurückgehend auf griech. , 'Stamm', und -genese) 'stammesgeschichtliche Entwicklung', mit den dazugehörigen adj. Ableitungen bio-, ethno-, onto-, phylogenetisch. Daneben bereits seit späterem 13. Jh. zum gleichen Etymon gehörendes Genesis F. (-; ohne Pl.), zunächst und heute häufig in der Bed. 'Schöpfung(-sgeschichte)', z.B. die biblische Genesis, der Sündenfall in der Genesis, am Anfang/Ende der Genesis, und v.a. als Titel für das (u.a. die Schöpfungsgeschichte enthaltende) erste Buch Mose im Alten Testament (s. Belege um 1060, 1296-1313, 1453, 1571, 1616, 1933), z. B. im Buch Genesis findet sich . ./ist die Rede von ..; seit der 2. Hälfte des 18. Jhs. auch in der mit Genese konkurrierenden Bed. 'Ursprung, Entstehung (-sgeschichte); Entwicklung, Werdegang' (s. Belege 1789.1, 1810, 1895, 1908, 1925, 1954, 1971), auch 'Entwicklungs-/Stammesgeschichte (der Lebewesen)' (s. Beleg 1866), z. B. (zur) Genesis einer neuen Gesellschaftsordnung, Genesis des preußischen Staates/der Sozialdemokratie, Genesis der indoeuropäischen Ursprache, Genesis der Ideen Rousseaus, Genesis einer Krankheit ('Krankheitsgeschichte'); Lehrbuch-, Lokal-, Sprach-, Zivilisationsgenesis; Bio-, Organo-, Psychogenesis. Genese: Herder 1773 V. deutscher Art u. Kunst (Sturm u. Drang I 302) Man wird Genese einer Sache durch die andre, aber zugleich Verwandlung sehen, dal? sie gar nicht mehr dieselbe bleibt (DiBi 125); der s. 1774 Philosophie d. Gesch. (Sturm u. Drang I 302) was es [das alte Ägypten] in der Geschichte des menschlichen Geschlechts
geworden? Land, wo ein Teil des Knabenalters der Menschheit an Neigungen und Kenntnissen gebildet werden sollte wie in Orient die Kindheit! Ebenso leicht und unvermerkt als dort die Genese war hier die Metamorphose (DiBi 125); Goethe 1786 Br. (WA IV 8,108) Die Fähigkeit, ähnliche Verhältnisse zu entdecken . . und die Genesen der
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Genese
Dinge aufzuspüren; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 46) Man siehet, wenn man einmal den Punkt der genauen Genese verfehlt, so ist das Feld des Irrtums zu beiden Seiten unermeßlich groß! da ist die Sprache bald so übermenschlich, daß sie Gott erfinden muß, bald so unmenschlich, daß jedes Tier sie erfinden könnte, wenn es sich die Mühe nähme; ders. 1799 Verstand (S. W. XXI 55) Genese des Begriffs der Zeit; Goethe 1808 Farbenlehre (HA XHI 401) Die objektiven Versuche geben uns den Vorteil, daß wir das Werdende des Phänomens, seine sukzessive Genese außer uns darstellen . . können; ders. 1821 Z. Naturwiss. (WA II 9,224) das mittlere Wirken der Welt-Genese sehen wir leidlich klar . . Anfang und Ende dagegen . . werden uns ewig problematisch bleiben; Spring 1838 Naturhist. Begriffe v. Gattung 99 f. Freilich geschieht dieses Wechseln der Gattungen weniger in der Botanik, als in der Zoologie, da man in jener Wissenschaft fast allgemeine Uebereinstimmung in Betreff der Gattungen hat, und da bei der Pflanze überhaupt, als einem nach Außen organisirten (durch eine Exogenese gestalteten) Wesen, die Theile und ihr Sinn, ihr Zusammenhang zum Leben mehr am Tage liegt, als bei Thieren, wo die Organe nach Innen gewendet (durch eine Endogenese entwickelt); 'Wunderlich 1856 Handb. d. Pathologie u. Therapie IV 90 Die Möglichkeit einer spontanen Genese syphilitischer Affectionen wird durch das erstmalige Auftreten der Krankheit im Laufe der Zeit bewiesen; 1863 Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiologie XXVHI 379 wenn nun auch noch nicht alle Controverse in Beziehung auf die Genese und die Bezeichnung dieser Gebilde [Geschwülste] schweigt; Billroth/Winiwarter 1882 Allg. chirurg. Pathologie 399 Gussenbauer hat, gestützt auf . . die klinische Beobachtung, folgende Hypothese über die Genese dieser Affection aufgestellt; Panizza 1895 Illusionismus (Psychopatia 183) Wie die Halluzinazion aus unbekanter, dämonischer Tiefe sich hebt , . sich in die Aussenwelt projzirt, und diese Genese und Entwiklung immer einerlei Richtung hat . . von hinten nach vorn (DiBi 125); Ziegler 1898 Lehrb. d. pathol. Anatomie l 127 Nach ihrer Genese ist die innere Periostlage dem Knochenmarke gleichwerthig und steht auch mit letzterem in ununterbrochenem Zusammenhang; Schwalbe 1906 Morphologie d. Missbildungen d. Menschen I 28 die normale Genese des Embryo (DiBi 125); Freud 1907 Wahn (Studienausg. X 51) die dichterische Darstellung der Genese eines Wahns; ders. 1918 Kinderneurosen (Studienausg. VW 217) Zu erklären sind die auffälligen Symptombildungen durch Aufdeckung ihrer Genese; Cassirer 1923 Philosophie l 126 Auf der einen Seite stehen die hinweisenden, auf der anderen die nachahmenden Gebärden als Klassen, die
sich inhaltlich und ihrer psychologischen Genese nach deutlich gegeneinander abgrenzen lassen; Mackenroth 1953 Bevölkerungslehre 309 Wenn man aber wirklich diesen höchst seltsamen Gleichtakt von Phylogenese und Sozialgeschichte annimmt; Hartmann 1958 V. Neukantianismus z. Ontotogie (Kleinere Sehr. HI 182) die Biologie . . kann nicht vom Äußeren zum Inneren führen, vom Nervenprozeß zum Bewußtseinsvorgang, vom Objekt zum Subjekt. Sie kann es weder am Einzelnen, d.h. am einzelnen phylogenetischen Stadium .. noch auch am Prozeß der Lebensbildung (Biogenese) überhaupt; Krauss 1963 Perspektiven 19 Ansatz einer Genese der literarischen Formen und Gattungen; Walter 1970 Grundriß o. S. diese [Zygote] entwickelt sich durch fortgesetzte Teilung und Differenzierung im Verlauf der pränatalen Ontogenese zum geburtsreifen Neonatus; Strübel 1971 Mineralogie o. S. die Verhältnisse . ., welche bei der natürlichen Entstehung (Genese) dieser Substanzen im Erdinnern geherrscht haben; Zeit 11.4. 1986 Der Sinn des Gesetzes wird gelegentlich in den Satz „die Ontogenese wiederholt die Phylogenese" gefaßt oder in die Schülerversion, daß ein Tier im Laufe seiner Entwicklung „seinen Familienstammbaum hinaufklettert"; taz 21. 3. 1987 im Falle fiebriger Erkrankungen mit unklarer Genese; ebd. 15.2.1995 Vom Alraun bis zum Werwolf wird die Vielfalt innerhalb der Spezies erkundet, um dann die Genese der Gattungen zu untersuchen; Zeit 22. 12. 1995 Damit wird eine Kultur nicht aus ihrer historischen Genese, sondern aus einem genetischen Mythos heraus interpretiert; FAZ 7. 7. 1997 Nach wie vor gibt es die Vorstellung, daß irgendwo im All eine Biogenese stattfindet, die von der irdischen Biogenese unabhängig ist; taz 23. 10. 2001 einen gerafften Überblick über die Vita Bin Ladens . ., die Genese und Grundlagen seines Denkens sowie seine Rolle innerhalb der islamistischen Terrorbewegung. Genesis: um 1060 Ezzolied 16 ff. uon dem rehten anegenge,/ uon den genaden also manechualt,/ di uns zu den buochen sint gezalt,/ uzzer Genesi unt zu libro regum,/ der werlt al ze genaden; Ulrich von Eschenbach 1270-84 Alexander 11134 ff. als unser schepher het erdäht/ die vier element an underscheit/ in einer gestalt wol bereit;/ wie den himel und die erden/ got von erst hiez werden./ als uns Genesis vergiht,/ do was üf der erden niht,/ die man vinster sach bedecken; Hugo v. Trimberg 1296—1313 Renner 169 ff. Sit gewan frouwe Eva kinde vil,/ Von den ich nu niht sagen will:/ Doch sit des von mir gewis:/ Ein buoch daz heizet Genesis,/ Da vindet man geschriben an,/ Swer lesen und versten kann,/ Vo der werlde anegenge; um 1350 Ostdtsch. Apostelgesch. 70 abir do daz ire herren
Genetik irsagen, daz dy hoffenunge iris genisis damite in abegegangen was, do begriffen sy Paulum und Sylam und vurren si uf den markit zu den vursten; Hermann v. Sachsenheim 1453 Marin 5418 Es haut geseczt Herr Moyses/ In süben stuck, als ich es ließ/ In ainem buoch, haist Genesis; Folz um 1480 Meisterlieder 379 f. Im buch des gcschöpfs am dritten rabi Avelyn spricht über das trit capitel Geneß; Gengenbach 1517 Nollhart 78 Als ich find Apocalypsi ston/ In Genesi liß ich ouch das/ Im paradyß deßglichen was; Rot 1571 Diet. 314 Genesis. Das erst buch Mosi/ ist ein Griechisch wort/ heyst auff Teutsch Geburdt oder Schöpfung/ dann solches buch von der schöpffung vnd geburdt der weit am meisten handlet; 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksbücher 76) wie er [Doktor Faustus] Genesis am Ersten Capitel gelesen/ daß es Moyses anders erzehlet; Henisch 1616 Teutsche Sprach 1493 Genesis, das erst buch Mosis; Herder 1789 Urspr. d. Spr. (S. W. V 45) wir reden von der Innern, nothwendigen Genesis eines Worts, als das Merkmal einer deutschen Besinnung; ebd. V 81 was für . . Beweise von der Genesis der Sprache in der Menschlichen Seele . . Was für Beweise von der Fortwanderung der Sprache und der Vernunft, und ihrer Entwicklung aus derselben unter allen Völkern; Schiller vor 1805 S. W. XVIII 74 Dadurch, daß wir die Bestandtheile anzugeben wissen, die in ihrer Vereinigung die Schönheit hervorbringen, ist die Genesis derselben auf keine Weise erklärt; Behr 1810 Staatslehre I 13 Genesis des Staats; Goethe 1814 Gespr. Kanzler Müller (He II 901) Die Stael habe alle seine [Goethes] . . Produktionen abgerissen und isoliert betrachtet, ohne Ahnung ihres innren Zusammenhangs, ihrer Genesis (GWB); Hufeland 1836 Ench. med. 15 Erkenntniss der Krankheit . . wird erhalten aus folgenden Quellen: der Genesis (das Vorhergegangene, die Kenntniß der frühern und gegenwärtigen, innern und äußern krankmachenden Einflüsse), den Phänomenen . . der Analogie und der Reagenz; Hinrichs 1848 Rechts- u. Staatsprincipien l Vorr. X eine Genesis des Wissens; 1852 Prutz' Museum l 352 nicht auf den Inhalt, sondern auf die Genesis der psychischen Krankheit bezogen; Haeckel 1866 Generelle
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Morphologie II 5 dass wir unter Genesis ( $) . . nur den Vorgang der organischen Entwickelung selbst, unter Genie ( ) dagegen die Wissenschaft von demselben, die Entwicklungsgeschichte begreifen wollen. Ontogenesis ist also die Entwicklung der physiologischen Individuen oder Bionten, Ontogenie dagegen die Entwicklungsgeschichte derselben; 1873 Beschr. O A. Brackenheim 80 Genesis der geistigen und leiblichen Entartung; Rieht 1885 Vortr. U 191 die Genesis . . der Menschheit bis in die dunkelste vorgeschichtliche Urzeit hinauf; Eckstein 1895 Hartwig 232 die beide einen stark ausgeprägten Sinn für Familiengeschichten bekundeten und sich die Genesis dieser Brautwerbung ausführlich erörtern ließen; Liliencron 1896 Poggfred (XI 63) Als stund es hier wie seit der Genesis; Unger 1908 Studien I 5 Verständnis der Genesis mächtiger geistiger Bewegungen und Umwälzungen wie etwa des Sturms und Drangs; Dombrowski 1919 System I 42 wenn man nachträglich aus seinen Publikationen eine solche Genesis herstellen will; 1925 ebd. IV 190 die Genesis der Romantik ist . . ein geistesgeschichtliches Problem; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. X 915) ein Wort des Jakobssegens am Ende der Genesis; Ritter 1940 Machtstaat 3 der Anteil humanistischer Staatstheorien der Hochrenaissance an der Genesis modernen politischen Denkens; Herzfeld 1954 Aufs. 65 Genesis der nationalen Idee in Deutschland; Lades 1971 Funktion (in: Politik u. Zeitgesch. VI o. S.) zur Funktion des „entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus" in der DDR . . zur Genesis des Problems; Zeit 29. 3. 1985 Genesis und Exodus werden kurz rekapituliert; Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, Moses und Saul kommen vor; Frankf. Rundsch. 8. 8. 1997 Die Genesis seiner Eltern in der neueren Geschichte bleibt für ihn hingegen ein unbeschriebenes Blatt — denn seine Mutter, die seiner Ansicht nach insgeheim sehr religiös gewesen sei, redet nie über das Erlebte; über das Judentum; Mannh. Morgen 20. 11. 2001 In einem Bild mit Erdbrocken, die warme, helle Ströme durchfließen, wird man an die Genesis erinnert, an die Entstehungsgeschichte der Menschheit.
Genetik F. (-; ohne PL), seit Mitte 19. Jh. nachgewiesene subst. Ableitung zu —» genetisch. Zunächst in der heute veralteten Bed. 'entwicklungsbezogene Betrachtung naturwissenschaftlicher Gegenstände', insbes. als Teilgebiet der Biologie 'Lehre von der Entstehung der Arten, der Organismen; Abstammungs-, Entwicklungslehre, Erforschung der Bedeutung einzelner Populationen und der Faktoren für die Evolution der Organismen (Populationsgenetik)' (s. Belege 1898, 1913, 1931.1; vgl. Evolutionismus, —> Evolution; —> genetisch 1). Seit den 20er Jahren des 20. Jhs. im Sinne
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Genetik
einer Ableitung von —» Gen als Bezeichnung für eine in der Medizin, Kriminologie und Erbforschung angewandte (Methode der) wissenschaftliche(n) Untersuchung von Aufbau und Funktion der Erbanlagen und den Gesetzmäßigkeiten (z. B. Mendelsche Regeln) ihrer Weiter-Vererbung bzw. der Vererbung von phänotypischen Eigenschaften und Merkmalen der Lebewesen, bes. in Bezug auf Chromosomen und deren Anomalien, in der heute dominanten Bed. 'Wissenschaft von der Erforschung der Gene und genetischen Zusammenhänge; Vererbungslehre, Erbforschung, Erbbiologie, Genforschung; Gentechnologie' (s. Belege 1929, 1931.2, 1954, 1964), z.B. klassische, allgemeine, angewandte, molekulare, biochemische Genetik, die Zukunft der Genetik liegt in der Krankheitsverhinderung, oft im Kontext mit verwandten Disziplinen, z. B. Genetik und Gentechnik/-Technologie, Genetik und Bio-/Molekular-/ Zelltechnologie, Genetik und Evolutionsbiologie, als Bestimmungswort in Zss. wie Genetikforscher, -Industrie, -labor, -professor und als Grundwort in Human-, Molekular- ('Beschäftigung mit den grundlegenden Phänomenen der Vererbung im Bereich der Moleküle'), Populations-, Strahlen- und bes. Biogenetik F. (-; ohne PL) (gleichbed. mit Biogenese, —*· Bio-, bio- 2, —» Genese), in neuerer Zeit zunehmend als angstbesetztes Schlagwort kontrovers diskutiert zwischen Technikglaube und Ethik, naturwissenschaftlichem Fortschritt und Skepsis, negativ wertend im Hinblick auf Berührungspunkte mit rassistischen (s. Belege 1979, 2003; vgl. Eugenik, Rassenhygiene), medizinischen (s. Belege 1981, 2001, 2005) und agrarbiologischen/-technologischen Aspekten bes. im Zusammenhang mit gentechnisch modifizierten Lebensund Futtermitteln (s. Belege 1996, 1999; vgl. Zuchtwahl), in Wendungen wie Pervertierung der Genetik im Dritten Reich, Genetik im Dienst des Rassismus, Zusammenhang zwischen Genetik und Faschismus, in Zukunft drohen uns durch die Genetik immense Gefahren, Gesetze müssen den möglichen Missbrauch der Genetik verhindern, Entwicklungen in der Genetik als verdächtig erkennen und stoppen, blinder Biologismus und purer Glaube an Genetik, die fragwürdigen Geschäfte mit der Genetik, Genetik braucht eine Genethik, mit der seit spätem 19. Jh. nachgewiesenen Berufsbezeichnung Genetiker M. (-s; -), moviert Genetikerin F. (-; -nen) 'Wissenschaftler/-in auf dem Gebiet der Genetik, Genforscher/-in', z. B. Human-, Pflanzen-, Molekular-, Populations-, Verhaltensgenetiker/-in; Genetiker-Team, -Kongress, -Tagung (—> genetisch 2). Genetik: 1845 Aug. Zeitschr. f. Psychiatrie // 1,633 Interessant sind und bleiben aber die Sectionsbefunde der Leichen von Epileptischen hier in der Anstalt, und es dürfte wohl in dieser Hinsicht unsere Anstalt noch einmal eine wahre Fundgrube für die Pathologie und die Genetik der Epilepsie werden; Rabus 1868 Logik u. Metaphysik 191 Die Logik zerfällt vorerst in Genetik und Analytik. Erstere hat es zu thun mit der richtigen Darbildung (formatio) des eigenen Denkens; Weltmann 1898 System d. moral. Bewusstseins 23 Die naturwissenschaftliche Genetik ist an sich blind, d. h. ohne Sinn und Ziel; die philosophische Kritik ist an sich leer; Haeckel 1913 Lebenswunder 415 einige der wichtigsten allgemeinen Fragen des Evolutionismus (oder der Genetik) im Lichte der modernen Naturerkenntniß zu betrachten; Kober 1921 Bau
d. Erde 39 So wirkt wieder eine Reihe von Umständen zusammen, um aus den Gesteinsserien auf ihre allgemeine regionale Bedeutung, auf ihre Genetik zu schließen; 1929 Handb. d. Englandkunde U 54 Menschliche Genetik oder Rassenkunde bedeutet die Lehre vom Schicksal menschlicher Erbanlagen, also etwa Erbgeschichte des Menschen; Jollos 1931 Genetik u. Evolutionsproblem (Titel); 2931 Forschungen u. Fortschritte (Nachrichtenblatt d. dtsch. Wissenschaft u. Technik) VH 164 Die experimentelle Vererbungswissenschaft (Genetik) stand bis vor kurzem der übrigen Biologie ziemlich fremd gegenüber, insbesondere der Ökologie, der die Erforschung der Lebensbedingungen und der räumlichen Verteilung der Organismen obliegt; ebd. VII 291 Nachdem die Rassenkunde im Laufe der letzten 6 bis 8 Jahre von der allge-
Genetik meinen Genetik her neue Grundlagen erhalten hat, ist auch die spezielle Rassenforschung in Europa — von den neunziger Jahren bis zum Weltkrieg stark vernachlässigt — wieder in regeren Fluß gekommen; Kronacher 1934 Genetik und Tierzüchtung (Titel); Nachtsheim 1936 Wildtier 8 der seit 1900 zu machtvoller Entfaltung gelangten Vererbungslehre oder Genetik; 3954 Veritas 294 Mehr als andere Disziplinen ist die Genetik [Erbbiologie] zu einer Brückenwissenschaft geworden. Sie hat . . Botanik, Zoologie und Anthropologie . . miteinander verbunden . . Dank der Genetik ist die Biologie auch auf dem Wege, zu einer exakten Wissenschaft zu werden; Neues Deutschi. 25. 11. 1964 Die von der klassischen Genetik, von Mendel und seinen Nachfolgern erforschten Gesetzmäßigkeiten erhielten eine neue biochemische Basis. Schon jetzt ist es möglich, die Ergebnisse der molekularen Genetik in der technischen Mikrobiologie anzuwenden; 1967 Bild d. Wiss. l 10 ordentlicher Professor für Allgemeine Biologie und Genetik und Direktor des Instituts für Genetik der Freien Universität Berlin; Walter 1970 Grundriß o. S. Dank der intensiven Forschungen der biochemischen Genetik war es in den letzten Jahren möglich, Struktur und Funktionsweise der Gene weitgehend zu klären; Horschneider 1979 Eingriff in d. Erbsubstanz o. S. So muß in diesem Zusammenhang die vom Dritten Reich praktizierte „Eugenik" genannt werden. Mit ihr wird die Genetik noch oft und zu Unrecht in einen Topf geworfen; Wickler 1981 Gentechnik o. S. Wer die Frage bejaht, ob die Genetik eine eigene Gen-Ethik braucht . . versucht, den Naturwissenschaften einen schwarzen Peter zuzuschieben . . Gen-Forschung und Gen-Technik haben Fortschritte erzielt, von denen die einen begeistert, andere eher entsetzt sind angesichts der Vorstellung, was sich demnächst alles mit dem Menschen wird machen lassen; Mannh. Morgen 2. 1. 1987 Ebenso kooperiert Bayer mit dem Institut für Genetik der Universität Köln, vor allem auf den Gebieten Molekularbiologie, Immunologie, Virologie, Zellbiologie und Genetik; Presse 3. 7. 1996 Genet(h)ik - unkonventionell gesehen (Überschr.) Genetik [ist] für viele ein angstbesetztes Schlagwort, mit dem man vor allem veränderte Lebensmittel verbindet; Kleine Ztg. 23. 5. 1998 Ein umfassendes Betreuungspaket beginnt nämlich schon bei der Zuchtwahl (Genetik) und reicht von der Haltung . . über das Schutzimpfpaket bis hin zur Fütterungsberatung; Zeit 27. 8. 1998 Genetik, Neurobiologie und Evolutionstheorie entwickeln sich rasch. In den nächsten beiden Jahrzehnten werden die Fachleute die epigenetischen Regeln nachweisen; FAZ 17.11. 1999 So will der NestleKonzern seinen europäischen Schwerpunkt kooperativer universitärer Forschung für die Nahrungs-
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mittelgenetik in Weihenstephan einrichten; St. Galler Tagbl. 5. 10. 2001 einen jungen Wissenschaftler, der sowohl als Biologe als auch als Philosoph in einem hochinteressanten Grenzgebiet arbeitet: Er beschäftigt sich mit der Verbindung von moderner Genetik und Ethik; Berl. Ztg. 28. 2. 2003 In Deutschland hatte das sicher auch mit einem NaziTrauma zu tun, mit der Pervertierung der Genetik im Dritten Reich. Das hat die Forschung hier lange gebremst, bis in die 1980er-Jahre hinein; FAZ 4. 11. 2005 Daß der Nationale Ethikrat seine ganztägige Jahrestagung der Altersdemenz und deren Folgen gewidmet hat, stellt nicht nur eine Abkehr des Gremiums vom allzu engen Pfad der Fragestellungen aus Genetik und Stammzellforschung dar. Genetiker: Cohen 1885 Kants Theorie d. Erfahrung 201 Die verdienstvollsten Genetiker stehen im ausgesprochenen Gegensatz zum Materialismus; Goebel 1898 Organographie d. Pflanzen 723 Wenn Payer und andere „Genetiker" bei entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen betreffs der Placentenbildung zu unhaltbaren Resultaten gekommen sind; Lundegardh 1925 Klima n. Boden 368 Über dieses Problem haben Systematiker, Zytologen und Genetiker viel gestritten, ohne daß noch Klarheit erreicht wurde; Lamprecht 1940 Artgrenze 167 Schon mancher Genetiker hat mit den Achseln gezuckt, wenn er in einer systematischen Arbeit zwei Pflanzen als Arten beschrieben fand, die sich anscheinend nur durch die Blütenfarbe oder eine andere unbedeutende Eigenschaft unterschieden, die auf einem einzigen Genunterschied beruhen könnte; Stuttgarter Ztg. 3. 10. 1962 So ist auch dem Biologen oder besser gesagt dem „Molekulargenetiker" . . längst klar geworden, daß er auch der Beihilfe der mathematischen Kombinatorik und der Informationstheorie bedarf; Neues Deutschi. 25.11.1964 Sicher hat die Molekularbiologie den Biologen und vor allem den Genetikern außerordentlich interessante Aufschlüsse gebracht; Horschneider 1979 Eingriff in d. Erbsubstanz o. S. Heutzutage werden Tierzucht und Pflanzenzucht mit wissenschaftlichen Methoden und von Genetikern betrieben; Ditforth 1980 Genmanipulation o. S. Man glaubt die Argumente und Vorwürfe schon zu hören, die dann zwischen Kulturkritikern, Moraltheologen und Genetikern gewechselt werden; taz 27. 9. 1986 Zypriotische Popen, die sowohl gegen die Abtreibung als auch gegen die Krankheit sind, trauen nur noch Paare, die sich vorher einer genetischen Untersuchung unterzogen haben, berichtet die britische Humangenetikerin Modell; Spiegel 20. 12. 1993 Mit zweifelhaften „Entdeckungen" versuchen Genetiker, den Einfluß der Erbanlagen auf das Verhalten zu belegen; Berl. Ztg. 27. 6. 2001 Mithilfe dieser Ergebnisse
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genetisch
will die Krebs-Genetikerin einen DNA-Chip entwickeln, mit dem man gezielt nach Chromosomenbrüchen in Leukämie-Zellen suchen kann; taz 27. 8. 2001 Wenn Genetiker von 'GENEN' spre-
chen, so bezeichnet das etwas ganz Unterschiedliches, Populations-Biologen benutzen den Terminus anders als Molekulargenetiker oder klinische Genetiker.
genetisch Adj., Mitte 18. Jh. aufgekommene, eventuell über ein gelehrtenlat. geneticus auf griech 'zur Erzeugung gehörend' zurückgehende Ableitung von —» Genese. 1 Im Sinne einer Ableitung von —>· Genese in der allgemeinen, heute nur noch selten nachgewiesenen Bed. 'den Ursprung, die Erzeugung, Entstehung, Entwicklung von etwas betreffend, angebend, verfolgend, wissenschaftlich beschreibend, erklärend, darstellend; entstehungsmäßig, entwicklungsbezogen vorgehend, entwickelnd', in Wendungen wie genetische Kraft 'Zeugungskraft', genetische Entwicklung, Ableitung, genetische Erklärung des Wunderbaren und Abenteuerlichen aus der menschlichen Natur, genetischer Ursprung, Beweis, genetische Methode der Geschichtsschreibung/der philosophischen Betrachtung (Ggs. deskriptive/kritische Methode], genetische Psychologie 'Forschungsrichtung, die bestimmte psychische Funktionen von ihrer Entstehungsgeschichte her zu erklären versucht' (vgl. Entwicklungspsychologie), genetische Sprachverwandtschaft; in adj. Reihen wie genetisch-historisch, -kausal, -kulturell, -politisch, auch, v. a. bezogen auf die (Lehre von der) Entwicklung und Herausbildung des biologischen, psychosozialen Daseins, im Sinne von 'stammes-, entwicklungsgeschichtlich', mit den in der 2. Hälfte des 20. Jhs. aufgekommenen neoklassischen Kombinationen biogenetisch (—» Bio-, bio- 2), bes. in der Wendung biogenetisches Grundgesetz als Bezeichnung für die von E. Haeckel (1866 in seiner Schrift „Generelle Morphologie der Organismen") entwickelte These, nach der die Entwicklung des Einzelwesens (vgl. Ontogenese, —+ Genese) die Wiederholung der stammesgeschichtlichen Entwicklung (vgl. Phylogenese, —*· Genese) darstellt. 2 Seit frühem 20. Jh. zunehmend im Sinne einer Ableitung von —» Gen weiterentwickelt zu 'durch die Erbanlagen (Gene) bestimmt, erblich bedingt; auf die Genforschung bezogen; gentechnisch', häufig in (meist engl. beeinflussten) fachspr. Wendungen wie genetische Information 'in der DNA gespeicherte, vererbbare Information' (vgl. Genom), genetischer Code 'Regel, nach der in Nukleinsäuren befindliche Dreiergruppen von Nukleinbasen in Aminosäuren übersetzt werden', genetischer Fingerabdruck 'in jeder Körperzelle eines Individuums enthaltenes, für dieses und seine Nachkommen charakteristisches Erbmaterial (das z. B. bei der kriminologischen Feststellung der Täteridentität, bei Vaterschaftstests nachgewiesen wird)', genetische Balance 'harmonisches Zusammenwirken der Gene eines Genoms bei der Ausprägung eines Merkmals', genetische Blockierung 'durch Mutation verursachter Ausfall eines Enzyms, das einer mehrgliedrigen Synthesekette angehört', sowie allgemeiner in Wendungen wie genetisch veränderte Organismen, genetischer Vorfahre, genetische Weitergabe verschiedener Merkmale und Eigenschaften, genetische Veranlagung für Diabetes, auf Grund eines genetischen Defekts, die genetische Verwandtschaft, genetische Daten erheben, genetisch stark degenerierte Zuchtlachse, genetische Untersuchung von Neugeborenen, genetisch defekt/intakt, genetisch verbessertes Material, die größte genetische Vielfalt unter den Hunden, einer weiteren genetischen Ursache für das Altern auf der Spur, Klone sind Organismen, die eine
genetisch
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identische genetische Ausstattung haben, seltener in eher okkasionellen additiven adj. Zss. wie genetisch-biologisch, -chemisch, -eugenisch, -familiär, -identisch, -industriell, -verändert; in jüngster Zeit gelegentlich negativ konnotiert (s. Belege 2000, 2002), z.B. Problem der genetischen Manipulation des Menschen, und vereinzelt bildlich (s. Beleg 2003). genetisch 1: Batteux 1759 Einschr. d. schönen Künste (Übers.) 199 Anm. Die genetischen Begriffe, die von der Entstehungsart einer Sache hergenommen werden, sind mangelhaft; 1766 — 67 Merkwürdigkeiten 392 Vom Genie überhaupt dürfen Sie sich keine vollständige [Definition], noch weniger eine genetische versprechen; Herder 1767 Dtsch. Literatur (S. W. I 415) Man kann zu einem Begriffe kommen, wörtlich, wenn der Name genetisch und aus dem Wesen der Sache hergenommen ist; ders. 1770 Urspr. d. Sprache (Sturm u. Drang l 143) Und fänden wir in diesem neugefundnen Charakter der Menschheit sogar den notwendigen genetischen Grund zu Entstehung einer Sprache für diese neue Art Geschöpfe, wie wir in den Instinkten der Tiere den unmittelharen Grund zur Sprache für jede Gattung fanden (DiBi 125); 1783 Berlin. Monatsschr. II 553 genetisch die Sache abhandeln; Goethe 1790 Naturwiss. Sehr. (HA XIII 250) Darf man nun voraussetzen, daß . . die genetische Denkweise, deren sich der Deutsche nun einmal nicht entschlagen kann, mehr Kredit gewinne; Herder 1793-97 Br. z. Beförd. d. Humanität l 293 Das ebräischc Volk ward von seinem Ursprünge an als ein genetisches Individuum, als ein Volk betrachtet. Der sterbende Stammvater sprach zu seinen Söhnen für die ganze Reihe zukünftiger Zeiten (DiBi 125); Schiller 1795 Br. IV 294 eine neue Art von Critik, nach einer genetischen Methode; Fichte 1805 Wesen (VI 356) alle philosophische Erkenntnis ist ihrer Natur nach nicht factisch, sondern genetisch; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 412) Das, was uns umgibt, erhält dadurch ein Leben, wir sehen es in geistiger, liebevoller, genetischer Verknüpfung, und durch das Vergegenwärtigen vergangener Zustände wird das augenblickliche Dasein erhöht und bereichert; Campe 1813 Fremdwb. 336 Genetisch, die Entstehung oder den Ursprung angebend; Goethe 1827 Maximen u. Reflex. (HA XII 446) Das genetische Verfahren leitet uns schon auf bessere Wege, ob man gleich damit auch nicht ausreicht; Vischer 1837 Erhabene 40 ich habe das Vereinzelte zusammengestellt, durch genetische Entwicklung den Begriffen ihren Ort angewiesen; ebd. 44 eine genetische Ableitung des Erhabenen aus dem Prinzip des Schönen; Steffens 1840 Was ich erlebte I 17 genetische Zusammenrechnung; Schaffte 1878 Bau Durch diese Annahmen wird die Entwicklungslehre und genetische Naturerklärung doch nur im Einzelnen abgeän-
dert, im Ganzen aber nicht in Frage gestellt; Dessoir 1889 Psychologie l 255 er begründete mit historisch zutreffender Kritik die Forderung einer genetischen Psychologie; ebd. l 264 die vom Kindesalter ausführlich handelnde genetische Betrachtung; Lamprecht 1912 DG/V. I 85 Es war die dynamische, fast möchte man schon sagen genetische Anschauung, die schon in so jungen Tagen der modernen Wissenschaft eingeimpft wurde; Joel u. Fränkel 1924 Cocainismus 58 Im einzelnen die Entstehungsbedingungen dieses Insuffizienzgefühles zu verfolgen .. ist Sache der genetisch arbeitenden Psychologie; Friedell 1927 Kulturgesch. I 4 genetische oder entwickelnde [Geschichtsschreibung]; 1931 Geograph. Zeitschr. XXXVH 454 die Entwicklung der Flora durch die geologischen Perioden zu verfolgen . . Bestimmung der Einwanderung (historisches Element) und Entstehung in bestimmtem Erdstrich (genetisches Element); T/7. Mann 1947 Faustus (W. VI 162) Deutschlin . . stellte also jetzt die Wesensfrage nach dem genetischen Ursprung von Arztens Wirtschaftsgesellschaft; Adorno 1952 Reden 102 hatten einige Revisionisten . . an der Theorie Freuds den Widerspruch bezeichnet, daß einerseits die Moral genetisch abgeleitet wird, andererseits aber die offiziellen moralischen Standards .. unangetastet stehenbleiben; 1993 FAZ o. Nr. Im Ergebnis bezweifelt er einen „genetisch-kausalen Nexus". Doch bezeugt die Darstellung selbst eher das Gegenteil: eine erfolgreiche Spurensuchc nach den Anfängen der sozialgcschichtlichen Moderne in Deutschland. genetisch 2: 1929 Handb. d. Englandkunde II 87 Anm. daß dieser rassische Typus genetisch mit den anderen Schlägen der nordischen Rasse zusammengehört; Stuttgarter Ztg. 3. W. 1962 Vor der Entschlüsselung des „genetischen Geheimcodes" (Überschr.) . . Suchens nach dem „Geheimcode" der stofflichen Vererbung; Neues Deutschi. 25. 11. 1964 Dabei hat die biochemische und genetische Erforschung des Aufbaus der Viren in den letzten Jahren eine feste Grundlage für die zukünftige Zweckforschung geliefert; i967 Bild d. Wiss. II 161 So bietet sich dem Leser also stets genetische, biologische, biochemische und vererbungsmcchanische Information; ebd. III 173 Die Zelle „übersetzt" den genetischen Code in einer Richtung; FAZ 23. 3. 1970 Genetische Untersuchung
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genial
aller Neugeborenen (Überschr.) . . die Beobachtung und Behandlung aller aus genetischen oder anderen Gründen körperlich oder geistig behinderter Kinder; Welt 22. 4. 1974 Schließlich ergaben die Untersuchungen, daß ein Teil des Eiweißgehaltes durch genetische Faktoren bestimmt ist; Motulsky 1982 Genetische Manipulation o. S. die Einstufung genetischer Veränderungen als positiv oder negativ ist eindeutig von der Umwelt abhängig, in der diese Merkmale auftreten; Altner 1991 Naturvergessenheit 286 Unter Ausblendung biographischer, sozialer und gesellschaftlicher Zusammenhänge wird der Mensch vorrangig von seinen genetisch bedingten Eigenschaften her gesehen. Dabei ist es unbestreitbar . . daß Entfaltung und Wirksamkeit genetisch bedingter Faktoren von der . . Wechselwirkung zwischen Erbgut und Umwelt abhängen; Presse 14. 4. 1993 Personen, die auf Grund medizi-
nischer Unterlagen ein erhöhtes Risiko für eine genetisch bedingte Krankheit nachweisen können; St. Galler Tagbl. 8. 10. 1998 Wenn heute ein Mord aufgeklärt werden soll, verlässt sich die Polizei immer öfter auf den genetischen Fingerabdruck; Oberösterr. Nachr. 24. 2. 2000 Das Tabu ist gebrochen, ein Verfahren zur genetischen Manipulation menschlicher Embryonen wurde patentiert; Berl. Ztg. 14. 3. 2001 [das Schaf] Polly wurde nicht nur geklont, sondern zuvor auch gezielt genetisch verändert; taz 21.1. 2002 das Herstellen von genetisch identischen Kopien eines Menschen [ist] ein Verbrechen gegen die zivilisatorische Tradition; Berl. Ztg. 15. 5. 2003 Belgiens Wahlen werden in Flandern entschieden . . Dort schien über viele Jahrzehnte das Kreuzchen für die Christdemokraten fast schon genetisch festgelegt.
genial Adj., im späten 18. Jh. zu —+ Genie gebildet (vgl. dagegen lat. genialis 'heiter, fröhlich'). Zunächst zur charakterisierenden Bezeichnung (der hohen geistigen, künstlerischen o. ä. Fähigkeiten und Wesenszüge) von Menschen, insbes. herausragenden, berühmten Persönlichkeiten in der Bed. '(das Normale, Durchschnittliche in mancher Hinsicht) überragend, übertreffend, hervorragend; außergewöhnlich, außerordentlich; einmalig, einzigartig, erstklassig, großartig; Genie besitzend, erkennen lassend', häufig konnotiert mit „geistreich, scharfsinnig; überlegen, erfolgreich, tüchtig" (—» brillant, —»· grandios, —* Genie 1; vgl. exzellent, —»· Exzellenz, —·* exzeptionell, —» intelligent), z. B. ein genialer Denker, Philosoph, Staatsmann, Feldherr, ein genialer Bildhauer, Maler, Künstler, Forscher, Chirurg, Naturwissenschaftler, geniale Formkraft, Verve, geniale Begabung, Natur, genialer Sinn, (als Adv.:) genial begabt, veranlagt, auch 'in höchstem Maße begabt und dabei schöpferisch, begnadet, eigenständig-produktiv' (s. Belege 1795, 1803, 1840, 1891; -^ Genie 2, -» kreativ, -» originell), z.B. mit genialer Kühnheit, ein genialer Erfinder, gelegentlich metonymisch, z. B. er ist ein genialer Kopf, geniale Hände schufen dieses Werk, leicht pejorativ 'überschießend' (vgl. exaltiert, —> exaltieren, exzessiv, —> Exzess, —»· exzentrisch), z. B. geniale Anmaßung, geniale jugendliche Ungeduld, genial unbekümmert, genialer Übermut, geniale Ausgelassenheit und (in paradoxer Umkehrung) abwertend verwendet (s. Belege 1850, 1856, 1892, 1992), z.B. geniale Wirtschaft, Liederlichkeit. Häufig bezogen auf (geistig-künstlerische) Erzeugnisse, Entwicklungsprozesse, Produktionsweisen, Art und Weise der Ausführung (z. B. eines Kunstwerkes, einer handwerklichen, sportlichen o. ä. Leistung) in der Bed. 'großartig, vollendet, von einem Genie stammend, erdacht; durch Genialität wirkend' (s. Belege 1864, 1881, 1910, 1969, 1987), z. B. eine geniale Komposition, ein geniales Trompetensolo, eine geniale Ausführung, mit genialer Einfachheit, Wirkung, auch Originalität, Erfindungsreichtum, eigenwillige Spontaneität aufweisend, davon zeugend' (s. Belege 1850, 1881, 1928, 1938; —> ingeniös), z.B. eine geniale Schöpfung, Neuschaffung, Parodie und 'auf großer Begabung, schöpferischer Kraft beruhend' (s. Beleg 1901), z. B. eine geniale Idee, Initiative, Konzeption, ein genialer Einfalt, Plan, öfters adv. und präd. verwendet, z. B. seine Musik ist geradezu genial, die Aufgabe, das Pro-
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blem ist genial gelöst, etwas ist genial verziert, ausgestaltet, genial improvisieren, in jüngster Zeit abgeflacht und eher ugs. im ironisch anerkennenden bis paradox abwertenden, auf jeden Fall übertreibend wertenden Sinne, z. B. das war genial daneben!, sie trägt geniale Klamotten, das hast du genial hingekriegt!, ein genialer Sieg!, etwas ging genial schief (vgl. ugs. toll, kolossal —> Koloss, gigantisch —» Gigant b), vereinzelt auch positiv verstärkend in der Bed. 'sehr, besonders, überaus, in höchstem Maße', in "Wendungen wie das Konzert war genial gut, etwas ist genial schön (gesungen, komponiert), genial einfach (konstruiert), in intensivierenden Zss. wie grenz-, hypergenial, additiven Reihungen wie diabolisch-, exzentrisch-, kindlich-genial; genial-ästhetisch, -chaotisch, -dämonisch, -gefährlich, -dümmlich und öfters in paradoxen Gegenüberstellungen wie schlicht aber genial, genial aber erfolglos, so einfach wie genial, banal und genial zugleich. Vgl. auch die nlat. Bildung des 18. Jhs. —» kongenial 'geistig ebenbürtig, geistesverwandt'. Daneben älteres bildungsspr. genialisch Adj. (eventuell unter formaler Anlehnung an das bedeutungsverschiedene lat. genialis, s. o., zu —> Genie gebildet oder nach dem Muster der Adj. auf -al(isch), vgl. brutal(isch), ideal(isch), sentimental(isch) usw.), seit Anfang 19. Jh. durch genial zunehmend verdrängt in der Bed. 'nach Art eines Genies, genieähnlich begabt, in Art und Leistung zum Genialen tendierend, die Sitten und Regeln des Normalen, Durchschnittlichen übersteigend, von einem höchst begabten Menschen stammend, originell', gelegentlich konnotiert mit „flüchtig, unbewusst, intuitiv" (s. Beleg 1813), auch, bes. im 18. Jh., assoziiert mit —> Genius im Sinne von 'in Art und Weise eines Genius, von einem Genius inspiriert' (s. Belege 1772, 1777, 1786); in Wendungen wie ein genialischer Typ sein, ein genialisches Talent besitzen, genialische Begabung, Idee, ein genialisches Werk, genialischer Instinkt, im 19. Jh. in polemisch-verstärkenden Zss. wie wild-, kraftgenialisch (vgl. Kraftgenie, —» Genie 2), sowie auch ironisch und abwertend 'in seinem Auftreten das Konventionelle, Durchschnittliche (in oft exaltierter Weise) missachtend; überspannt, überschwänglich; maßlos, exzessiv' (s. Beleg 1916), z.B. sich genialisch gebärden, genialisches Gehabe, öfters in additiven Reihungen wie genialisch-phantasievoll, -kreativ, -skurril, -leidenschaftlich; daneben seit Ende 18. Jh. gelegentlich die (eventuell nach dem Muster von idealistisch erweiterte) gleichbed. adj. Ableitung genialistisch. Gleichzeitig die subst. Ableitung Genialität F. (-; -en), meist mit Bezug auf menschliche Eigenschaften in der Bed. 'schöpferische Begabung des Genies, überragende (geistige, künstlerische) Veranlagung, die außerordentliche und einzigartige Leistungen ermöglicht; hervorragende Intelligenz, produktive Schöpferkraft' (—> Genie 1), häufig konnotiert mit „kreativ, originell", z. B. die Genialität eines Erfinders; Genialitätsgeste, -träum, -Vorstellung; Lebens-, Tüftlergenialität, daneben auf Sachverhalte bezogen zur qualitativ wertenden Kennzeichnung der (geistigen, künstlerischen) Gestaltung, Ausführung eines Kunstwerkes, der Durchführung eines Projektes o. Ä. (s. Belege 1786, 1832, 1869, 1985; —> Virtuosität), z. B. die Genialität einer Entdeckung, eines Werkes, einer Idee, zur Charakterisierung eines Zeitabschnitts oder einer historischen Epoche bzw. eines dafür typischen Phänomens (s. Belege 1904, 1932.2), vereinzelt metonymisch von einer Lokalität (s. Belege 1854, 1949), oder im Pl. (scherzhaft) von Personen (s. Belege 1846.1, 1885.1) und Produkten ihres Schaffens, z.B. ein (literarisches, bildhauerisches o.a.) Kunstwerk (s. Belege 1888, 1933).
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Dazu seit frühem 19. Jh. die verbale Ableitung genialisieren V. intrans. 'etwas mit schöpferischem Geist erfüllen, als genial darstellen, ihm Genialität zusprechen', auch abwertend 'mit der einem Genie eigenen Rücksichtslosigkeit über etwas hinweggehen/-sehen' (s. Beleg 1839), mit dem dazugehörigen Verbalsubst. Genialisierung F. (-; -en); seit Mitte 20. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Genialismus M. genial: Matthisson 1786 Rheinfahrt (U 101) Der Eindruck, welchen diese Schöpfungen einer aus Gott selbst gebornen Phantasie in jedes dafür empfängliche Gemüth . . prägen müssen, wurde von meinem Führer so genial und hinreißend wiedergegeben; ders. 1795 Italien IV 197 Am stärksten zogen mich unter den Bildnissen an: . . Salvator Rosa. Geniale Kühnheit; Schiller 1797 Musenalmanach 281 jähre lang bildet der meister und kann es sich nimmer genug thun,/ dem genialen Geschlecht wird es im Traume beschert (DWB); 1803 (Lang, Memoiren U) 54 Ein genialer Kopf hingegen . . wird sich zu einer solchen Handlangerarbeit nicht lange bequemen, sondern mir überall seine eigenen Ideen . . unterschieben; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 29,83) Daher entstand das Unglück, daß die eigentliche geniale Epoche unsrer Poesie [Sturm und Drang] weniges hervorbrachte was man in seiner Art correct nennen könnte; Niemeyer 1822 Beob. I 340 [man wird im Museum] an . . den ganzen reichen Mythenkreis des genialsten Volks des Alterthums erinnert; Pückler-Muskau 1834 Landschaftsgärtnerei 87h Meinem Plane gemäss, dem mein genialer Freund Schinkel durch sein Talent gewiss die reizendste Form gegeben hat; Schubert 1840 Nachtseite d. Naturwiss. 99 Jene interessante Beobachtung erinnert besonders an mehrere geniale und kühne Blicke, welche Erasmus Darwin in seinem botanischen Garten in jenes Gebiet menschlicher Vermuthungen gethan hat; Hettner 1850 Schule 9 doch ist Tieck gerade derjenige Dichter unter den Romantikern, bei dem jene tolle, in genialem Uebermuthe ihre eigenen Gestalten persiflirende und vernichtende Laune ihres Schaffens . . am allertollsten sprudelt; Fontäne 1854 Sommer 79 Es geht was Geniales durch das ganze Bild; Gutzkow 1856 Narrenwelt H 31 wenn er . . die bei ihnen herrschende etwas geniale Wirthschaft wiedersah; Wallner 1864 Rückblicke 56 Er . . entzückt noch denselben Abend das erwartungsvolle Publikum durch seine geniale Leistung; Schaffte 1875 Bau l Vorr. V wie Auguste Comte's genial universeller „cours de philosophic positive"; Kürnberger 1877 Herzenssachen 100 Diese kraftgeniale Ichheit betont und bejaht sich selbst so riesenhaft einseitig, daß sie gar nicht aus sich heraus kann, um auch in Andere einzugehen; Nordau 1881 Paris 151 Laboulayc, . . dem die genialen Satiren „Prince Caniche" und „Paris en Amerique" einen so vornehmen Platz unter den freisinnigen
Bekämpfern des napoleonischen Schandregiments gesichert haben; 1884 Grenzboten II 38 auch die tüchtigsten und genialsten Klavierfabrikanten können der Reklame und der Agitation der Presse nicht entraten; Proelß 1891 Modelle 54 Keinen Funken Geist im Hirn, nichts Geniales im Erfinden, ein sklavisches Nachkolorieren der Natur; Harden 1892 Apostata. N.F. 6 der um Nebendinge genial unbekümmerte Lenbach; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 495 Die Schaubühne betrat Sudermann seit 1890 mit den sozial-psychologischen und genial-grauenhaften Stücken „Die Ehre", „Sodoms Ende" und „Heimat"; 1901 Stimmen d. Zeit LXI 176 Die geniale Idee, auf eine so einfache Weise die ganze ungeheure Formenmannigfaltigkeit der Tier- und Pflanzenwelt logisch zu ordnen; Berend 1909 Ästhetik 94 das Fragmentarische und Sprunghafte des Gedankengangs, das Lessing aus genial eindringender Kenntnis des Gegenstandes ableitete; Friedländer 1910 Sittengesch. Roms III 151 Als man unlängst bei Remagen zwei Wasserläufe zur Leitung faßte, ahnte man nicht, daß dies schon von den Römern genau an derselben Stelle geschehen war, und bewunderte nun ebensosehr die geniale Einfachheit ihres Verfahrens wie die Sorgsamkeit der technischen Ausführung; Ludwig 1922 Goethe I 160 Sein ganzes Wesen, visionär erleuchtet, in jedem Augenblicke genial ergriffen, kritisch ergreifend, mit jedem Atemzuge produktiv; Fehr 1928 England 58 Der Präraffaelismus des 19. Jahrhunderts ist eine künstlerische Eigenwelt, teils geniale Neuschaffung, teils schöpferisches Rückleben längst gewesener Zeitalter; 1930 Vortr. Bibl. Warburg 1926-27 VI 4 der von Nietzsche so genial gespürte Adalbert Stifter; Gebauer 1932 Kulturgesch. 236 Hamann aus Königsberg, der „Magus des Nordens", führte ein unstetes, wildes Leben, das ihn als echten Kraftgenialen erkennen läßt; 1938 Festschr. a. Finder 213 ob die geniale Komposition der Reliefs wirklich von Maitani ersonnen oder ob er nur der Vollender einer bereits begonnenen Fassadendekoration sei, Mackenroth 1953 Bevölkerungslehre 258 Aus Familien mit schizophrenem und manisch-depressivem Erbgut stammen sehr viele unserer Genialen; Neues Deutschi. 25.2.1969 das selten in dieser Form zu hörende Werk erwies sich als eine der zentralen Eislerschen Arbeiten, genial und geistreich, unverändert wegweisend in der Kraft des musikalischen Ausdrucks; Mannh. Morgen 24. 6. 1987 wer
genial gehofft hatte, der Klangmagier Solti, der sich sonst am Pult als Fanatiker der Farben und als Interpret von hohem intellektuellen Kalkül feiern lassen kann, würde das alles am Klavier ebenso genial einsetzen, sah sich bitter enttäuscht; Spiegel 7. 12. 1992 Geniale Schläge und Wutausbrüche bestimmten das Tennis des John McEnroe; taz 11.7. 2005 Die Reaktionen des Publikums reichten von „super" über „genial" bis „okay". genialisch: Goethe 1772 Er. (WA IV 2,25) Das größte Meisterstück der deutschen Baukunst.. das Sie mit Muse bey genialischen Stunden durchdenken können; Lavater 1777 Physiognom. Fragmente III 220 der edle, feurige, selbständige, allwürksame, genialische Göthe; Goethe 1786 Br. (WA IV 8,45) Das größte Werck der innern Großheit nach die Rotonde . . und das genialischste, daß man sagen muß es scheint unmöglich, ist der Apoll von Belvedere; Lavater 1793 (Nachgel. Sehr. II 74) ein genialischer Arzt; Seutne 1793-1811 Kl. Sehr. (W. 11 441) So oft er konnte, hing er seinen eigenen genialischen Ideen nach; Schlegel 1798 W. l 2,206 Alles Antike ist genialisch; Jenisch 1800 Geist l 7 Die einzelnen, oft noch so divergirenden Linien des Genialischen einzelner Geister verlieren sich allemal . . in jene allgemeine Richtung; Lavater 1802 Physiognom. Regeln (Nachgel. Sehr. V 30) Geist, Feinsinn, Verliebsamkeit, genialischer Geschmack; Schaller 1808 Stuziade III 294 Mit genialischer Dezenz; 1811 Almanack a. Rom II 281 in dieser Hinsicht erhebt es sich zu einem würdigen Nachtrag des genialischeren Werkes unsers unsterblichen Winkelmanns; Goethe 1813 Zu brüderl. Andenken Wielands (WA l 36,322) Er lehnt sich auf gegen alles, was wir unter dem Wort Philisterei zu begreifen gewohnt sind .. Hierbei verfährt er durchaus genialisch, ohne Vorsatz und Selbstbewußtsein; Richthofen 1840 Haushalt d. Kriegsheere II 12 Eine Menge von Kenntnissen, Talenten, von neuen nicht selten genialischen Ansichten, die Geisteskräfte einer Nation trafen sich in den neuen aber unerfahrenen Elementen des Heeres zusammen; Eichendorff 1854 Drama 164 er .. findet es entsetzlicher, von gemeinen Menschen für genialisch, als für einen Narren gehalten zu werden; Hillebrand 1874 Frankreich 160 Alles, was nur von ferne etwas Genialisches, Individuelles, Unabhängiges, Phantastisches ahnen ließ, war dem „gebildeten" Publicum nach und nach ein Greuel geworden; Rüttenauer 1895 Zeitiges 201 eine kraftgenialische Individualität (deren vollendeten Typus Bismarck darzustellen schien); Thoma 1916 Kälbchen 61 jungen Burschen, die ihre Unfähigkeit hinter genialischen Gebärden versteckten; Ponten 1926 Siebenquellen 18 die Stümpfe genialischer Fundamente; Gebauer 1932 Kulturgesch. 231 Die
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Dichter vom „Sturm und Drang" . . gefielen sich in jeder dichterischen Regellosigkeit, in einem kraftgenialischen Wesen; Busse 1935 Leben 17 Ich hatte mit anderen „genialischen" Kameraden die Gründung eines Kabaretts erwogen; Zimmermann 1936 Bildungsaufgabe d. Gesch. 10 Hier finden sich alle Spielarten vom antihistorischen Rationalismus bis zum romantisierenden Mystizismus, vom kraftgenialischen Heroenkult bis zum nihilistischen Futurismus; Welk 1957 Hoher Befehl 148 Vielleicht fand er den wirren, hellblonden Haarschopf noch in der Verfilzung genialisch (DWDS); Guggenheim 1959 Sandkorn 143 das Wilde, Unregelmäßige, das sogenannte Künstlerische, das Zigeunerhafte, das „wildgenialische Treiben" . . ist natürlich der wirklichen künstlerischen Produktion nicht förderlich; Meckel 1980 Suchbild 154 Ich machte genialische, schlechte Poesie, Gewitterlyrik, brüllenden Bombast, kopierte Rimbaud und rumorte durch alle Formen; Zeit 17. 10. 1997 Seine kraftgenialische Verachtung des bürgerlichen Anstands äußert sich freilich in wenig ruhmvollen Eroberungen; Süddtsch. Ztg. 11.6. 2004 In seiner genialisch-saturnischen Künstlernatur wähnte er sich über die Weltereignisse erhaben. genialisieren: Hufeland 1831 Selbstbiogr. 45 Dieser junge 27jährige, feurige Herr Doktor [Goethe] . . brachte eine wunderbare Revolution in diesem Orte hervor, der bisher ziemlich philisterhaft gewesen war und nun plötzlich genialisirt wurde; Herwegh 1839 Demokrat. Verwirrung (W. II 66) erstens gibt es manche Dichter, die mit der bloßen Wahl eines solchen interessanten Stoffes alles getan zu haben glauben und genialisierend einer fleißigen entsprechenden Behandlung sich überheben (DiBi 125); Haym 1870 Romantische Schule 657 Allein nicht bloß naturalisirt, sondern wenn der Ausdruck gestattet ist, genialisirt und ästhetisirt; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 575) daß Künstlertum, Schöpfertum, nichts anderes ist und auch in ihm nichts anderes war als vergeistigte Sinnlichkeit und vom Geschlecht her genialisierter Geist?; ders. 1946 Reden u. Aufs. (W. IX 667) eine ganze Horde und Generation empfänglich-kerngesunder Buben stürzt sich auf das Werk des kranken Genies, des von Krankheit Gcnialisierten, bewundert, preist, erhebt es, führt es mit sich fort, wandelt es unter sich ab, vermacht es der Kultur; Zeit 1.11. 1996 Von ihm [Adenauer] sagte der Autor vor langen Jahrzehnten, vielleicht ein wenig zu forsch, er sei die genialisierte Normalität. Genialisierung: Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 269) eine neue Unmittelbarkeit, eine Lebensforschung, in der Gefühl, Intuition, seelische Verbun-
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denheit ihr Recht erkämpfen und das Künstlerische sich als echtes Erkenntnismittel behauptet, so daß man von einer Genialisierung der Wissenschaft und einer neuen Möglichkeit sprechen mag, mit ihrem Begriff wieder den der Weisheit zu verbinden; Dettelbach 1933 Genialisierung der Macht (Titel); Tb. Mann 1943 Er. II 309 Ich . . verfolge einen sehr alten Plan: eine . . moderne Teufelsverschreibungsgeschichte . ., kurzum, das Thema der schlimmen Inspiration und Genialisierung, die mit . . der Paralyse endet; Benn 1959 Ges. W. I 68 jene, die sich heute sammeln, um eine „Genialisierung der Wissenschaft" nämlich mit Hilfe von Intuition, Schau, Einfühlung vor unseren Augen herbeizuführen; Zeit 2. 4. 1998 in allen Vierteln, in denen die besseren Leute wohnen, die sogenannten, zog der Trommler Jean-Marie Le Pen, in dem man eine Genialisierung der Vulgarität, die Personifizierung miserabler Manieren und das wandelnde Symbol schlechten Geschmacks erkennen mag; Berl. Ztg. 8. 7. 2002 Historisch verlief parallel zur Genialisierung des Autors, der zum Täter gemacht wird, die Humanisierung des Verbrechens. Genialismus: Meissinger 1946 Roman 262 Genialismus ist übersteigerter Individualismus; Salzb. Nachr. 12. 10. 1991 die überdurchschnittlichen Hirne sind rar, das Nonplusultra für einen Professor des Genialismus; Zeit 18. 3. 1999 Die Ursache dieser Sequenz ist in einem bezeichnenden Genialismus des Autodidakten zu sehen; solche von sich selbst überzeugte Autodidakten neigen dazu, das soeben wider alle Voraussetzungen (und zur eigenen Verblüffung) scharf erkannte Teil aus seinem Zusammenhang zu reißen. genialistisch: Böttiger 1799 Literar. Zustände (l 257) Sein genialistisches Product ist Pervonte, da ist er unvermuthet selbst schaffend geworden; 1810 Berl. Abendblätter Nr. 46,179 genialistisch (TRÜBNER); Berl. Illustr. Nachtausg. 15. 1. 1932 Ein kleines Cafe am Boulevard Raspail. Typisches Künstlerlokal: klein, verraucht, schmutzig, mit teils genialen, teils genialistischen Karikaturen und Zeichungen der Stammgäste geschmückt; taz 26.7. 1990 Der Jongleur ist ein genialistischer Zappelphilipp mit wehender Mähne; ebd. 8. 4. 1999 Das in kontrastreichem, grobkörnigem Schwarzweiß gehaltene Regiedebüt des New Yorkers Aronofsky schildert den Leidensweg eines genialistischen Mathematikers, der der Weltformel auf der Spur zu sein glaubt und dabei in die Fänge kabbalistischer Mystiker und skrupelloser Börsenspekulanten gerät; Berl. Ztg. 20. 4. 2002 vorbei sind die Zeiten genialistischer Alleingänge. Genialität: Lavater 1778 Physiognom. Fragm. IV 91 ihre Genialität war auch von jener wesentlich
verschieden; Matthisson 1786 Rheinfahrt (Sehr. II 94) welcher Buchhändler würde dort [an der Themse] nicht erröthen, irgend ein Erzeugniß ächter Genialität ohne den gewähltesten typographischen Schmuck in die Hände des Publikums zu liefern; Schlegel 1798 Kunstlehre 288 So behauptete auch Goethe die unbedingte Freiheit seiner Genialität; daher hat er sich zu der Höhe erhoben; Jenisch 1800 Geist u. Charakter I 291 Talent für das Komische und für das Tragische, wissenschaftlichen Scharfsinn und ästhetische Genialität — das stellen uns die Neuern [Philosophen], in glänzender Vereinigung, auf; Sickler 1803 Wegnahme d. Kunstwerke I 20 dieser oder jener berühmte Künstler Griechenlands, voll Genialität; Arndt 1803 Germanien 163 er zeigte ihnen, daß er keine hohe Genialität, kein herrliches Können, keine vielwollende und vielbegehrende Naturkraft achte; Fichte 1813 Polit. Fragm. (VII 606) das eigentlich Treibende in dem alten Staate (dem römischen, der allein noch übrig war) war die Genialität des Einzelnen; Grabbe 1827 Shakespearo-Manie (III 393) Trotz . . der für Genialität ausgerufenen Bizarrerien [des jungen Schlegel]; Schleiermacher 1832 Ästhetik 125 Die beiden ersten [Stimmung und Urbildung] zusammen sind die Erfindung und die Erfindungsgabe als Quantum ist die Genialität; Fries 1832 Philos. II 221 unterscheiden wir in Rücksicht der schönen Künste in weiterer Bedeutung erstens Bildungskünste und Künste des Genies, in Rücksicht der letztern aber noch Genialität und Virtuosität; Daumer 1846 Hafis 2 bis zu den letzten Decennien des 14ten Jahrhunderts hin, in Zeiten also, wo es bei uns im Occidente noch tief nachtete und an einen Luther, Voltaire, Göthe und ähnliche, ein neues Weltalter großartig vorbereitende Genialitäten und Lichtaufgänge noch lange nicht zu denken war (DiBi 125); 1846 Hofdamen-Br. 100 Ihre schöne äußere Erscheinung, durch die glühende Wärme ihrer Deklamation belebt, ist die würdige Trägerin ihrer Kunstgenialität, die mit überraschender Wahrheit die Tiefen menschlicher Leidenschaft ergründet; Niendorf 1854 Paris 309 Paris ist die Phantasie, die concentrirte Genialität von Hunderttausenden; Sybel 1859-61 (1940 HZ CLXII 64) die volle Genialität seines [Napoleon L] militärisch-politischen Urteils; Hartmann 1869 Philos. 17 Wie rein und tief trotzdem Schelling in der Genialität seiner Conception den Begriff des Unbewussten erfasst hatte; Mommsen 1875 Reden 17 unsere Anstalt [Universität Berlin] ist entsprungen dem Kampfe des Volkes auf Leben und Tod und der Genialität der höchsten nationalen Gefahr; Nordau 1885 Paradoxe 13 jene Exzentrizität des Charakters, die der Laie Genialität nennt, während der Psychiater sie als Psychose etikettiert; Gottschall 1885 Totenklänge 306 die Stillosigkeit ist
Genie uns überkommen durch unsere echten Genies und falschen Genialitäten; ebd. 309 Die ganze Dramatik der Romantiker, . . und in neuerer Zeit die ganze Schule der Kraft- und Genialitätsdramatiker sind auf Shakespeare zurückzuführen; Walloth 1887 Praxis 202 sie schämte sich aufrichtig ihres früheren Genialitätsdünkels; Bleibtreu 1888 Größenwahn III 273 Leonhart schien wirklich ein Genie-Ungeheuer. Was er wollte, konnte er. Er schleuderte seine Genialitäten aufs Papier, willenlos (DiBi 125); Kerr 1899 Br. a. d. Reichshauptstadt 477 höchste innerliche Künstlerschaft, malerische Genialität sprachen hier; Peters 1904 England 185 In Deutschland versprüht sich die Genialität der Jugendzeit gewissermaßen in einem einzigen glänzenden Feuerwerk, in Großbritannien ist die academische Periode nichts als eine etwas stärkere Akzentuierung des gewöhnlichen Lebensganges; Altenberg 1906 Prodromes 122 Denn sie wusste es, dass aus ihrer verliehenen merkwürdigen Gabe ganz von selbst alle Tugenden und Genialitäten entspringen würden, die die Feen dem Königssohne entzogen hatten (DiBi 125); Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XU 107) es fällt schwer, den Begriff der Bürgerlichkeit mit dem der Genialität zu vereinigen; ders. 1925 Nachtr. (W. XIII 311) Wilhelm dem Zweiten selbst sind ein paar glänzende Szenen gegeben, in denen die Hysterie und gefährliche Halbgenialität des pompösen und beklagenswerten Repräsentanten vollkommen gekennzeichnet sind; Lettenbaur 1927 Morgen 314 der Geist des Mannes, den die Genialität der deutschen Militärs im plombierten Wagen durch deutsches Land nach dem heiligen Rußland geschafft hatte — Lenin; Gebauer 1932 Kulturgesch. 236 Gefühlsüberschwang,
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Kraftgenialität, verstärktes religiöses Empfinden, . ., alle diese Erscheinungen der Kultur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren Folgen einer lebhaften Reaktion gegen die Vorherrschaft einer extremen Aufklärung, die allein vom trockenen Verstande die Lösung der Welträtsel erwartete; ebd. 372 [die Dichter des Sturm und Drang] führten sogar die abgerissene Sprache des täglichen Lebens jener Gefühls- und Genialitätsperiode mit allen Übertreibungen in das Theater ein; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 377) ich denke bei jenen ins kühn Dilettantische eingesprengten Sprachgenialitäten besonders an den „Ring des Nibelungen" und an den „Lohengrin", der, als Wortschöpfung genommen, vielleicht das Reinste, Edelste und Schönste darstellt, was Wagner gelungen ist; Welt 12. 9. 1949 die liebenswürdige Toleranz, mit der die Münchner Bürger seit je die Genialität Schwabings belächelt haben; Schmid 1957 Aspekte 21 Die komplexe Psychologie gibt uns die Möglichkeit, die im höchsten Sinne schöpferischen Akte, das Vorrecht der Genialität, als Durchbrüche durch die Zeit von der bloßen Repräsentation der Zeit zu unterscheiden; Zeit 22. 2. 1985 die Genialität des Jenaplans liegt darin, daß viele reformpädagogische Einzelimpulse in einer organisatorischen Gußform handhabbar werden; Frankf. Rundsch. 15. 12. 1999 der bindungsscheue Fernando rafft den letzten Rest an Kraftgenialität zusammen und erschießt sich, die einsame Stella nimmt Gift; Berl. Ztg. 3. 5. 2003 Wie die Musik von James Brown, so ist auch sein ganzes bisheriges Leben von Hemmungslosigkeit, Genialität und schier unerschöpflicher Energie gekennzeichnet gewesen.
Genie N., früher auch M. (-s; -s, selten Genie(e)n), im späteren 17. Jh. (wohl unter Einfluss von lat. ingenium 'angeborene Art, Charakter; Phantasie, natürliche Begabung, Geist, Witz'; —» Ingenieur) entlehnt aus gleichbed. frz. genie (< lat. genius, ursprünglich 'der Leben Erzeugende, Erzeuger', zu genere, gignere 'werden, entstehen; (er)zeugen, hervorbringen, gebären', dann auch 'einem Menschen bei der Geburt mitgegebener, ihn leitender Schutzgeist, -gott; Geisterwesen, -gestalt' und später '(von diesem herrührender) Geist, Anlage, Charakter, Wesen; (von diesem eingegebene) schöpferische Begabung, Talent'; —» Genius, —> genial, —* Genus, vgl. Ingenium, —> Ingenieur). Früher in wechselnden Genusformen: im 17./18. Jh. vereinzelt als F., im 18. Jh. häufig als M., erst seit spätem 18. Jh. (eventuell unter Einfluss von lat. ingenium) zum heutigen N. verfestigt; im Pl. Genien (vgl. Ib) konkurrierend mit der Pl.-Form von —* Genius la und b, gelegentlich auch in der an die deutsche Lautung angepassten Schreibung Schenie sowie in lat. (flekt.) und frz. Formen. la Zunächst bezogen auf menschliche Eigenschaften und Fähigkeiten in der allgemeinen Bed. 'angeborene, naturgegebene (Geistes-/Verstandes-)Gabe/-Bildung; indi-
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Genie
viduelle, natürliche (Gemüts-)Anlage, Veranlagung, (Trieb-/Antriebs-)Kraft; eigentümliches, unverwechselbares Wesen, Wesenszug, Natur, typische Eigenart, wesentliche Eigenschaft' (s. Belege 1678.1, 1684, 1727, 1746, 1757.1, vor 1766, 1771.2, 1781.4, 1784-91, 1800.1, 1911; -> Genius, — Charakter, -* Esprit, —* Goüt, —» Instinkt, —> Intuition, —+ Naturell, —» Temperament), in Wendungen wie gutes Genie, weibliches Genie, das Genie unserer Jugend, er verfügt über ein glückliches Genie, ein Mann von Genie (nach frz. komme de genie und engl. a man of genius], Genie und Charakter, lebhaftes, natürliches Genie, das besondere Genie einer schönen Frau bewundern, daran zeigt sich das schlechte Genie eines Poeten, auch in Bezug auf Kollektive wie ein Volk oder ein Land (s. Belege 1678.2, 1715.1, 1755, 1770.2, 1771.1, 1800.2, 1879, 1965; -»· Genius la, -»· Mentalität), z.B. das Genie der französischen Nation, der Griechen, des Volkes, deutsches Genie, und übertragen auf Sprache (s. Belege 1728, 1757.2, 1773-79, 1778.1, 1778.3, 1792.3, vor 1802; —> Genius la), z.B. das Genie des Englischen, sich in das Genie einer fremden Sprache einfühlen, hineindenken, seit frühem 18. Jh. gesteigert zu 'vorzügliche, überdurchschnittliche, unnachahmliche, einzigartige geistige Begabung, hohe Geistesgabe/-größe, Begnadung, (Erfinder-, Forscher-/Künstler-) Geist; meisterlich ausgebildete Fähigkeit, Befähigung, Fertigkeit, Können; geniale Ader, Gespür, Neigung; Erleuchtung, Funke' (s. Belege 1719, 1792.1, 1794.1, 1794.2, 1796.1, 1810, 1967; vgl. Genialität, —> genial, Ingenium, —* Ingenieur, —» Inspiration, —» Intuition, —> Talent; Ggs. —»· Dilettantismus), in Wendungen wie unverkennbar Genie zu etwas haben/besitzen, er beweist geradezu Genie beim Erlernen fremder Sprachen, sein Genie verschenken, verschwenden, verschleudern, (großes, außerordentliches, überragendes) Genie zeigen, oft in Bezug auf bestimmte Bereiche (bes. Wissenschaft und Technik) und (nach bestimmten Kriterien spezifizierte) Fähigkeiten (s. Belege 1783, 1792.2, 1800.4, 1808, 1859, 1928.1, 1957.1, 1962.1, 2003), vgl. kaufmännisches, taktisches Genie besitzen, über technisches Genie verfügen, früh zeigte sich sein großes Genie als Brückenbauer, sein weithin anerkanntes Genie auf dem Gebiet der Astronomie, als Grundwort (nicht eindeutig zu trennen von -genie I b ) mit der Bed. '-gäbe, -begabung' in Zss. wie Bastei-, Führungs-, Häuptlings-, Koch-, Finanz-, Musik-, Tanz-, Überredungsgenie, speziell in Bezug auf die künstlerische Geistes-, Schaffenskraft (s. Belege 1708, 1715.2, 1735,1736, 1754, 1760, 1767, 1790.1, 1900; —»· Kreativität, —> Produktivität) und in der ersten Hälfte des 18. Jhs. (eng angelehnt an lat. ingenium) zunächst in der Literatur-, dann auch in der Kunsttheorie unter Einfluss des von Baumgarten (1750 in seiner Schrift „Aesthetica") neu gedeuteten —» Ästhetik-Begriffs sowie der Übersetzungen französischer und englischer literaturtheoretischer Werke (J. Batteux, E. Young u. A.) für 'außergewöhnlicher, einmaliger dichterischer/künstlerischer Geist, überragende schöpferische Gabe, dichterische Anlage, produktives und kreatives Gestaltungsvermögen des Künstlers, nicht durch Fleiß erwerbbare, sondern von der Natur mitgegebene, ursprüngliche, überdurchschnittliche künstlerische Fähigkeit' (—» Inspiration), positiv konnotiert mit „(dichterische) Erleuchtung, Funke, Feuer, Witz, Geist, Begeisterung" (s. Belege 1757.3, 1759.2, 1811, 1839) im Kontrast zu „Fleiß, (bloße) Nachahmung" (s. Belege 1770.1, 1780, 1789, 1795, 1836, 1924), in der literarischen Epoche des Sturm und Drang (vgl. Geniezeit) mit ihren Forderungen nach größerer Autonomie und Freiheit, Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung neu fokussiert und schlagwortartig gebraucht für ' nicht mehr nachahmender, sondern origineller, von den
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Zwängen der Kunstregeln befreiter künstlerischer Geist, nicht an die Regeln der Poetik gebundene, nur aus sich selbst schöpfende dichterische Fähigkeit' (s. Belege vor 1769, 1790.2, 1811.1, 1925, 1939, 1954), gesteigert auch für 'übermenschliche/ -natürliche, göttliche dichterische Schöpferkraft' (s. Belege 1765, 1778.2, 1962.2); in Wendungen wie poetisches/dichterisches, künstlerisches, schöpferisches, originelles, göttliches, übernatürliches Genie, das Genie Shakespeares/Goethes, ohne einen Funken von Genie, das Genie dieses Künstlers, das Werk/die Schöpfung eines großen Genies, als Grundwort (nicht immer eindeutig von -genie/Genie- Ib zu unterscheiden) in Zss. wie Dichter-, Kunst-, Schriftsteller-, Universalgenie; Genieblicke, -blitze, -tat, -wurf und im Zuge der Entwicklung einer eigenen Sprache und Ästhetik der Sturm-und-Drang-Dichter (s. Belege 1778.1, 1781.1, 1781.3, 1787, 1797) in Geniestil, -Sprache; genieästhetisch; Ende 18./Anfang 19. Jh. dann schlagwortartig in Hinblick auf die als höchster Ausdruck geistiger Freiheit verstandene Regellosigkeit der Dichtung der Geniezeit (bes. von Kant) eher kritisch und als Gegenstand von Polemik und Spott bewertet (s. Belege 1773, 1782.1, 1782.2, 1782.3, 1784, 1786, 1790.2, 1811.2), bes. in Zss. wie Geniefieber, -schwinde!, -reise 'ziel-, richtungslose Reise (wohin das Genie einen führt)', -seuche, -streich 'verqueres Unterfangen ohne rechten Sinn und Zweck', auch 'von Einfallsreichtum, Originalität zeugender Einfall; geniale Tat, Meisterstück'; geniebesessen, -gläubig, -süchtig, -trunken, -verdächtig, und gelegentlich als pathologisch eingestuft (s. Belege 1761, 1887, 1903, 1928.2, 1957.2), z. B. Genie und Wahnsinn/Irrsinn. Selten auch allgemeiner und abgeflacht verwendet 'subjektiv empfundene (magisch-geistige) Außergewöhnlichkeit' von Örtlichkeiten, Phänomenen und Gegenständen (s. Belege 1779.1, 1779.2, 2005; —>· Genius la). Dazu seit spätem 18. Jh. die vereinzelt bezeugten, veralteten adj. Gelegenheitsableitungen genielos, -voll/-reich und geniemäßig, -haft mit Geniehaftigkeit F., sowie Genieturn N. b Seit früherem 18. Jh., anfangs (eventuell analog zu —* Genius) im M., auf Personen als Träger der in l a genannten Charakteristika übertragen (wobei die Abgrenzung zu l a und bes. im Pl. zu —> Genius nicht immer eindeutig gelingt) in der Bed. 'Mensch mit besonderen überragenden geistigen Eigenschaften, Fähigkeiten, großartigen Leistungen bes. auf wissenschaftlichem, technischem, philophischem, sprachlichem o.a. Gebiet' (s. Belege 1721-22, vor 1766, 1785, 1798, 1835, 1844, 1878 — 80, 1997.2; —·* Visionär, Ggs. —> Dilettant), in Wendungen wie ein großes Genie sein, er/sie ist ein vortreffliches/wahres/wirkliches Genie, ein Goliath unter den Genies, sich für ein großes Genie halten, dass auf fünf Millionen Einwohner nur ein Genie kommt, Genie in der Wissenschaft; Barock-/Renaissance-, Denker-, Feldherrn-, Herrscher-, Sprach-, Theater-, Universal-, Urgenie; Genieverehrung, -wähn, -werk; geniekultisch; seit Mitte 18. Jh. in der Literatur- und Kunsttheorie für 'Mensch mit großer schöpferischer Gabe, mit überdurchschnittlicher dichterischer Begabung im Bereich der schönen Künste, mit hoher künstlerischer Erfindungskraft, mit außergewöhnlichen angeborenen geistigen und schöpferischen Fähigkeiten begabter, begnadeter Künstler, Dichter, der originär aus der Fülle eigenen Empfindens und Fühlens und natürlicher Eingebung heraus überragende Kunstwerke schafft, dabei Regeln durchbricht und Grenzen überschreitet' (s. Belege 1751, 1767, vor 1788, 1816, 1851, 1999, 2004, 2005; — Original), speziell 'Dichter bzw. Künstler, der mit seinem Werk neue Wege einschlägt, eine neue künstlerische Richtung be-
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gründet, Bahnbrecher' (s. Belege 1751, 1791, 1816; vgl. Avantgardist., —* Avantgarde, Innovator, —* innovieren, —> Revolutionär), in Wendungen wie dramatisches, poetisches, künstlerisches, musikalisches Genie, ein angehendes Genie, die Werke dieses Genies, als einer der Begründer der zeitgenössischen Musik war er ein Genie; Dichter-, Kunst-/Künstler-, Originalgenie 'Mensch, der nach seinen eigenen Gesetzen und Wünschen in freier Selbstentfaltung lebt, sich an keine Regeln hält und sich nirgendwo einordnet (als Leitbild des Sturm und Drang)', häufig auch polemisch auf die um 1770 sich als Neuerer verstehenden, den Bruch mit der Konvention z. T. übersteigernden Vertreter des Sturm und Drang bezogen (s. Belege 1769 — 67, 1781, 1784, 1784-91, um 1790, 1790, 1890, 2005.1; vgl. Phantast, -» Phantasie), z.B. verrückte, überspannte, ausschweifende, verwegene Genies; Kraft-, KrafWSturmund-Drang-Genie '(sich moralfrei auslebendes) starkes Individuum, Individualist, ganzer Kerl'; (auch als Zs. mit Genie- la zu deuten:) Geniedrang, -seuche, -(un)wesen, -kult(us), -periode, eher positiv assoziiert mit „einmalig, begnadet, genial; brillant, exzellent, grandios" und als Objekt der Heldenverklärung und -Verehrung (s. Belege 1851, 1955, 1988), seit spätem 18. Jh. (eventuell unter Einfluss der Bedeutungsentwicklung zur Zeit des Sturm und Drang) abwertend konnotiert mit „stolz, launisch, ungestüm, verwegen, dämonisch; eigenbrötlerisch, skurril, sonderbar, extravagant" und oft scherzhaft bis spöttisch oder ironisch verwendet (s. Belege 1782.1, 1836, 1852.1, 1863, 1890, 1894-96, 1897, 1933), z.B. verdorbenes/verkommenes, verbummeltes Genie, das asoziale, amoralische Genie, er galt als verkanntes/ verkrachtes Genie, die rührselige Story vom einsamen Genie und der bösen Welt und studentenspr. in paradoxer Umkehrung (s. Belege 1827, 1846, 1894—96) Kneip-, Lügen-, Pumpgenie, sowie in jüngster Zeit (pathologisch) 'exzentrischer, exaltierter Charakter' (s. Belege 1997.1, 2004, 2005.2; —»· Exzentriker), z. B. ein Genie am Rand des Wahnsinns, dieser Faust ist ein irres, zur Selbstzerstörung neigendes Genie. Von daher erweitert und allgemeiner bis abgeflacht verwendet für 'mit bes. ausgeprägten, herausragenden, hervorragenden Eigenschaften oder Fähigkeiten (auf einem bestimmten Gebiet, in einer bestimmten Hinsicht) ausgestatteter, hochbegabter, dafür berühmter, erfolgreicher Mensch, genialer Meister seines Fachs (Wissenschaftler, Künstler, Sportler o.Ä.)' (s. Belege 1891, 1963, 1994, 2006; -> Autorität, -» Experte, —> Koryphäe, —* Spezialist, —+ Talent, —» Virtuose, vgl. ASS; Ggs. —»· Dilettant, —»· Laie), z.B. ein Genie im Auswendiglernen, im Knüpfen neuer Kontakte, Sie sind ein Genie (im Verkaufen, im Organisieren, im Rechnen o. Ä.)!, kein Genie, aber ein durchaus begabter Fußballer, ein Genie im Schnee, ein Genie im Beherrschen von Fremdsprachen, außenpolitisch war er ein Genie, man braucht kein pädagogisches Genie sein um eine solche Schule zu machen, er entwickelt sich zum Genie im Umgang mit den Medien, der junge Mann tat sich als Genie im Kopfrechnen hervor, ein Genie im Erkennen politischer und geistiger Zusammenhänge, auch (in paradoxer Umkehrung) für 'Mensch mit einer ausgeprägt schlechten Eigenschaft oder Fähigkeit', z. B. du bist ein Genie im Ränkeschmieden, Faulenzen, er war ein Genie im Verbergen seiner Trunksucht, ein Genie beim Aussitzen von unangenehmen Situationen und Konflikten, er erwies sich als Genie in der Umgehung lästiger Pflichten und Verantwortungen, bes. als Grundwort (nicht eindeutig von l a zu unterscheiden) alternierend mit -ass, -begabung, -talent, -virtuose in Zss. wie Allround-/ Allerwelts-, Börsen-, Computer-, Dirigenten-, Erfinder-, Erzähl-, Fach-, Finanz-, Forscher-, Fußball-, Geigen-, Gesangs-, Geschäfts-, Jahrhundert-, Jung-, Klavier-,
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Koch-, Mal(er)-, Mathe-, Musik-, Natur-, Organisations-, Physik-, Rechen-, Schach-, Schriftsteller-, Sport-, Tanz-, Technik-, Theater-, Turn-, Unterhaltungs-, Unternehmer-, Verkaufs-, Wirtschaftsgenie. Vereinzelt auch (metonymisch) auf eine Stadt oder andere Örtlichkeiten bezogen (s. Belege 1918, 1998; —+ Genius la). 2 Daneben seit Mitte 18. Jh. im technischen Bereich, speziell im Militär- und Festungswesen in der aus frz. genie 'militärisches Ingenieurwesen, Ingenieurkunst' (zurückgehend auf mlat. ingenium 'Maschine, kunstvolles Werkzeug') übernommenen, heute nur noch historisierend und regional (schweiz.) gebrauchten Bed. 'Kunst des Festungsbaus, militärische Ingenieurkunst, Pionierwesen', zumeist als Bestimmungswort mit der Bed. 'Ingenieur-' in Zss. wie Geniebataillon, -kompanie, -korps, -regiment, -wesen, -schule, -Soldaten, Wissenschaften und bes. Genietruppe als veraltete Bezeichnung für eine Truppengattung, die zur Ausführung aller im Feld- und Festungskrieg vorkommenden technischen Arbeiten bestimmt waren (vgl. Ingenieur-, Pioniertruppe) sowie Genieoffizier 'mit den Entwürfen und der Ausführung von fortifikatorischen Bauten aller Arten beauftragter Offizier'. Genie la: Mahrenholtz 1678 Unterredungen Ajiy Der diese Discours zusammengetragen ist keine Person/ die durch Buecherschreiben gloire sucht/ gweil es ihrer naissance und genie zuwider (BRUNT); ebd. NxiiV weil er [der Staat] das Genie der Nation . . von dem Gebrauch der Waffen ab-, .gekehret hat (BRUNT); Horneck 1684 Österreich 88 sollte der von der Natur nicht ebenfalls etwa so viel genio besitzen; Thomasius 1691 Einl. z· Vernunftlehre 4a [ein rechtschaffener Weltweiser] der geschickt ist/ eine seinem Genio und Stande gemäße profession zu erkiesen/ und die darzu gehörige/ und/ seine Tugend desto nachdrücklicher blicken zu lassen/ nöthige Güter des Glücks rechtmäßig zu erwerben; Feind 1708 Gedichte l 109 so zeigt es ein schlecht Genie eines Poeten an/ wenn er nichts als einen Wald/ Gallerie/ Cabinet . . zu inventiren weis (BRUNT); 1715 Fama XV 77 aus Furcht vor derer Sicilianer veraenderliches Genie (BRUNT); Elis. Charl. 1715 Br. 11 630 Handwerksleüte haben oft große Genie vor Künsten; 2719 Recueil v. allerh. Collectaneis l 23 Ich bin der Meinung, dass wer l'oeconomie militaire verstehe wol zu grössern Dingen eine Genie habe; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 276 Genie, die angebohrne Art, Zuneigung, oder Natur eines Menschen; Belemnon 1728 Bauern-Lex. Vorr. 4a dergleichen Worte ihrem rechten Genie nach aussprechen; Zedler 1735 Unwersallex. X 871 Genie, Genius, ein langsamer oder hurtiger, durchdringender und scharffer, oder stumpffer und schwacher Trieb oder Wesen des dem Menschen beywohnenden Verstandes im Judiciren und Aussinnen, den Wohlstand eines Dinges zu begreiffen, oder dessen zu verfehlen. In jenem Verstande wird denen Künst-
lern, die eine scharffe Penetration haben, und ihr Werk wohl auszurichten wissen, das Praedicat beygeleget, dass sie einen großen Genie haben; Richter 1736 Von Fenstern 22 den besonderen Gout und mancherleyen Genie der Künstler . . bewundern; Shaftesbury 1746 Soliloquium 14 (Übers.) Denn da sie keine Gelegenheit gehabt, insgeheim mit sich selbst umzugehen, und ihren eigenen Kopff (oder Genie) darin zu üben, dass sie . . seine Stärke probirten; 1754 Briefw. Gleim-Ratnler II 170 Der Hut [eine Erzählung] ist wol gut genug, aber wenn ich ihn recht in der Nähe ansehe, so hat er, ich weiß nicht was für eine weitschweiffige Anlage, die wenig Genie erfodert; Nicolai 1755 Zustand d. schönen Wiss. 30 Diese Correspondenz der kleinen gelehrten Republiken hat einen Vereinigungspunkt nöthig, wo sich alle menschliche Erkenntnisse untereinander aufklären, wo die Genies verschiedener Nationen sich vereinigen um die Welt zu belehren; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 28 Es ist kein Zweifel, daß Karl ungeachtet seiner Barbarey einen Genie gehabt habe, der in glücklichern Zeiten und Umständen einen größern Glanz würde von sich geworfen haben; ebd. 62 Genie der römischen Sprache; Gottsched 1757 Anmuthige Gelehrsamkeit 152 Der Herr Verfasser denket bisweilen neu und kühn, und unsre neuen Sprachverderber würden wohl gar schwören, daß er das undeutsche Ding besitze, was sie Genie nennen, aber mit keiner deutschen Zunge ausgesprochen werden kann; wir aber, die wir bei deutschen Syllben eben so viel, als sie bei ausländischen denken, würden es Geist und Lebhaftigkeit des Witzes nennen; Batteux 1759 Einschr. (Übers.) 10 Die Menschen, welche Genie haben und tiefer forschen, entdecken nichts, als das was schon vorher da war. Sie sind aus keiner ändern Ursache Schöpfer, als weil sie
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genau aufgemerkt haben; ebd. 26 Was für Erfindung, was für Poesie herrscht gleichwohl in seinem Werke! . . Alles dieses war der Schöpfung des Genies vorbehalten; Lessing 1759 — 65 Br. d. neueste Literatur betreffend (W. V 52) Wenn . . der Lehrer . . bei dem Vortrage einer besondern Wissenschaft allezeit sein Augenmerk auf die allgemeinen Wahrheiten richtet . . so wird er die Aussichten seiner Untergebenen erweitern und einen jeden Funken von Genie anfachen, der in ihrer Seele gleichsam wie unter der Asche glimmet (DiBi 125); Mendelssohn 1760 Br. (VI 211) ich glaube nicht, daß die alten ein wort gehabt haben, das auszudrücken, was wir itzt genie nennen, ihre Schriftsteller schweigen gänzlich von dieser eigenschaft des geistes, die unsere kunstrichter beständig im munde führen (DWB); Hamann 1761 Sehr. II 92 nichts ist also mehr übrig, als die gränzstreitigkeiten des genies mit der tollheit zu untersuchen (DWB); Kinderling 1765 Br. 163 Aristoteles . . sagt, keiner wäre geschikt zu artigen Erdichtungen, als ein Mensch, der Genie und eine göttliche Begeisterung hätte, und erhebt daher den Homer; Abbt vor 1766 Verm. W. V 54 man wird tausend hindernisse finden, wenn man nicht das genie und den gemüthshang des jungen menschen, den man lehret, insbesondere studirt hat (DWB); Goethe 1767 Br. (WA IV 1,89) Seit dem November habe ich höchstens 15 Gedichte gemacht. . . Man lasse doch mich gehen, habe ich Genie; so werde ich Poete werden; Geliert vor 1769 S. Sehr. V 79 Es ist wahr, der Name eines großen Gelehrten wird nicht durch Studiren, nicht durch Regeln . . allein erworben, es wird Genie, es wird eine gewisse natürliche Größe und Lebhaftigkeit der Seele erfordert, die den Menschen zu allen großen Unternehmungen begeistern muß. Allein, was vermag das beste Genie ohne Unterricht, ohne Kunst, ohne Übung?; Batteux 1770 Künste 52 als ein schöpferischer Erfinder sich hervorzuthun; dazu muß man nothwendig nicht bloß Talente, sondern Genie haben; Geliert 1770 Sehr. VII 382 f. die Sitten so vieler Nationen und ihre Gebräuche, ihr Genie und ihre Fehler, ihre Gesetze und Gottesdienste, ihre Helden und ihre Belohnungen; Kinderling 1771 Grundsätze I 14 Genie der Griechen; Sulzer 1771 Theorie I 456 die Menschen zu ergründen, eines jeden besonderes Genie, Temperament, seine Gemüthskräfte (in dem, was sie Eigenthümliches haben) genau zu beobachten; Wieland 1773 Agathon II 322 der Wurm in ihrem Kopfe, den sie ihren Genie nennen; Müller 1773 — 79 Br. 193 Uebersetzen aus dem Deutschen kann ich ebenso wenig, weil ich als Verfasser des Buchs für alles, was in dem Buch ist, allzu sehr eingenommen bin, um zu ändern und wegzulassen oder beyzufügen, was das Genie einer fremden Sprache haben will; Klopstock 1774 Gelehrtenrepublik 109
Wenn einer einen deutschen Fürsten verführt, klein von Genie und der Wissenschaft der Deutschen zu denken; Herder 1778 Erkennen VIII 222 Unserer Philosophie und Sprache fehlte so vieles, da beide noch nichts vom „Schenie" wüsten; Lavater 1778 Physiognom. Fragmente IV 91 Genie ist Genius. Der Charakter des Genies ist Apparition, Unnachahmlichkeit; Momentaneität; Offenbarung; Erscheinung; Gegebenheit . . aller Genieen Wesen ist Übernatur, Überkunst, Übergelehrsamkeit, Übertalent, Selbsterleben! Sein Weg ist immer Weg des Blitzes oder des Sturmwindes oder des Adlers; Rabiosus 1778 Reise 33 Man hat sich lang genug bemüht, den wahren Genie des lapidarischen Styls ausfindig zu machen; Hirschfeld 1779 Gartenkunst l Vorher. X Genie des Klima; Sulzer 1779 Schönheit der Natur 23 Genie der Natur; Goethe 1780 Br. (WA IV 2,259) Bei Gelegenheit von Wielands Oberen brauchst du das Wort Talent als wenn es der Gegensatz von Genie wäre, wo nicht gar, doch wenigstens etwas subordinirtes. Wir sollten aber bedenken, dass das eigentliche Talent nichts sein kann als die Sprache des Genies; 1781 Hamburger Musenalmanach 147 Die Sprache brauchen, wie man muss, Ist Kenntnis nur, und kein Genie. Allein, bis zu des Gedankens Verzerrung Sie aus Unwissenheit verbilden, Das ist Genie; Wezel 1781 Sprache 156 Genie entweder Schenie oder Genie zu schreiben, ist so unerträglich, als es mir unbegreiflich vorkommt, warum wir diesen Grad des guten Kopfs nicht Ingenium, wie sonst, nennen; Semler 1781 Lehensbeschr. l 296 Er hatte aber zu viel Empfindung von sich selbst, wie die Geniezeit manchen einflößte; wendete dafür seine Zeit auf solche Begriffe, die sich durch eine solche Denkungs- und Schreibart auszeichneten; Maimon 1781 Philosoph. Wb. 59 f. Wir haben auch keine Ursache, uns dieses Instinkts zu schämen, indem er nicht nur der Grund unserer Erkenntniß des Guten, folglich unserer Glückseeligkeit; sondern auch der Grund unserer höchsten Vollkommenheit ist, indem das Genie nichts anders ist, als eben dieser Instinkt (in einem vorzüglichen Grade); 1782 Almanach d. Belletristen 100 die herren samt ihren geniestreichen und ungeheuren, riesenmäßigen Sprüngen und würfen sind beinahe vergessen (DWB); ebd. 103 aber das leidige geniefieber, es ist schlimmer als das dreitägige! wenns einen ergriff, so bekam er hitze und frost und dann gabs Ottos, leidende weiber, stürm und drang [Schauspiele von Klinger] (DWB); ebd. 150 freilich gukt auch hier und dort ein wenig genieschwindel vor, doch ist er noch keiner von den wurf- und schwungmännern (DWB); Riesbeck 1783 Br. II291 Nirgends thut das kaufmännische Genie so viele Wunder, als hier. In richtigen Beurtheilungen, Kalkulationen, Spekulationen, und glüklichen Koups übertreffen die
Genie Hamburger weit die Holländer; Zimtnermann 1784 Einsamkeit 10 vielleicht hätte die leidige genieseuche in Deutschland weniger gewütet, wenn sie nicht am meisten unter junge leute gekommen wäre, die in der entfernung von allem weltumgange lebten, in bacchantischer einsamkeit jene wilden anfalle von ihrer selbstheit hatten und jene jämmerlichen träume von ihrer kraft (DWB); Herder 1784-91 Ideen (VIII 94) Dem Mann, der Genie und Charakter, d. i. gute eigne Art hat, wie Gott sie ihm gab; 1786 Mosers Patriot. Archiv IV 397 Über das Genie, als eine Seuche unserer Tage (TRÜBNER); Heinzmann 1787 A. v. Hallers Tagebücher l 19 schon ist es mißlich, die geniesprache in der philosophic des lebens gültig machen zu wollen, aber in der religion ist der decisive ton des bel-esprit nicht nur zudringlich, er beleidiget auch die Wahrheit (DWB); Herder 1789 Urspr. d. Spr. (S. W. V 104) So wird der Eine Mensch für die Gesellschaft gleichsam ganz Algebra, ganz Vernunft; so wie sie am ändern blos Herz, Muth und Faust braucht: der nutzt ihr, daß er kein Genie und viel Fleiß; jener, daß er Genie in Einem und in allem Ändern Nichts habe; Kant 1790 Urteilskraft (Ges. Sehr, V 307) Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel giebt. Da das Talent als angebornes productives Vermögen des Künstlers selbst zur Natur gehört, so könnte man sich auch so ausdrücken: Genie ist die angeborne Gemüthsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel giebt; ebd. V 310 Da nun die Originalität des Talents ein . . wesentliches Stück vom Charakter des Genies ausmacht: so glauben seichte Köpfe, dass sie nicht besser zeigen können, sie wären aufblühende Genies, als wenn sie sich vom Schulzwange aller Regeln lossagen, und glauben, man paradire besser auf einem kollerichten Pferde, als auf einem Schulpferde. Das Genie kann nur reichen Stoff zu Producten der schönen Kunst hergeben; die Verarbeitung desselben und die Form erfordert ein durch die Schule gebildetes Talent; ebd. 318 Nach diesen Voraussetzungen ist Genie: die musterhafte Originalität der Naturgabe eines Subjects im freien Gebrauche seiner Erkenntnißvermögen; Böttiger 1791 Literar. Zustände l 16 sein Geniedrang machte sich bald Luft und erregte durch seine shakspearisirende Muse in den Räubern, Fiesco, Cabale und Liebe zuerst Aufmerksamkeit; Sulzer 1792 Theorie II 363 das Genie [scheinet] im Grunde nichts anders zu seyn, als eine vorzügliche Größe des Geistes überhaupt, und die Benennungen ein großer Geist, ein großer Kopf, ein Mann von Genie, können für gleich bedeutend gehalten werden; ebd. 366 Der große Künstler . . muß wie Homer, wie Phidias oder wie Händel, außer dem seiner Kunst eigenen Genie, ein grosses philosophisches Genie besitzen . . Dieses allgemeine, philoso-
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phische Genie giebt ihm große Erfindungen, große Gedanken, die das Kunstgenie nach dem, der Kunst eigenen, Geiste bearbeitet; Laukhard 1792 Leben II 33 Das Dutzen ist nicht gebräuchlich; es scheint auch gegen das Genie der französischen Sprache zu seyn; Heinse 1794 Hohenthal VI 103 Männern oder Frauenzimmern aus den höhern Klassen von ausnehmendem Genie und der ausgebildetsten Kunst; Smith 1794 Nationalreichtum I 196 (Übers.) In einem Berufe vortrefflich zu seyn, in welchem nur wenige zur Vortrefflichkeit gelangen, ist der entscheidendste Beweis höherer Talente, oder von dem, was man Genie heisst; Goethe 1795 Lehrjahre (HA VII 260) Seme Wahl fiel auf einen jungen Mann, der mir nicht zuwider war, dem alles mangelte, was mein Bruder besaß, Genie, Leben, Geist und rasches Wesen, an dem sich aber auch alles fand, was jenem abging: Liebe zur Ordnung, Fleiß, eine köstliche Gabe hauszuhalten und mit Gelde umzugehen. Er ist mein Mann geworden; ders. 1796 Br. (WA IV 10,360) Je mehr man den Palladio studirt, je unbegreiflicher wird einem das Genie, die Meisterschaft, der Reichthum, die Versatilität und Grazie dieses Mannes; Klopstock 1796 Wettstreit (W. IX 273) Voltaire .. welcher das starke Wort Genie unter seiner Nation einführte, damit, wer von seinen Werken redete, sich richtig ausdrücken könne. Den Franzosen war gleichwohl zu La Fontainens und Molierens Zeiten Esprit oder Geist genug gewesen . . Der dankbare Deutsche hat sich mit Gabe bis zu der Zeit begnügt, da die Kraftmänner aufgetreten sind und Genie gehabt haben; Bürger 1797 S. Sehr. Ill IS Da es dem Deutschen Originalgenie, welches in unseren Zeiten fast ein Unding geworden, vorzüglich eigen war, deutlich, richtig, ungekünstelt, edel und ernsthaft zu denken, so hatte diess auch einen so mächtigen Einfluss auf die Sprache, dass sie sich solchen Gedanken vortrefflich anschmiegte; Kant 1798 Anthropologie (Ges. W. VII 225) Wie wäre es also: wenn wir das französische Wort genie mit dem deutschen eigenthümlicher Geist ausdrückten; denn unsere Nation läßt sich bereden, die Franzosen hätten ein Wort dafür aus ihrer eigenen Sprache, dergleichen wir in der unsrigen nicht hätten, sondern von ihnen borgen müßten, da sie es doch selbst aus dem Lateinischen (genius) geborgt haben, welches nichts anders als einen eigenthümlichen Geist bedeutet; Schelling 1798 Weltseele 293 Eben so sieht und hört der Mensch, was er sieht und hört, nur vermittelst eines höhern Instincts, der, wo er vorzugsweise auf das Große und Schöne gerichtet ist, Genie heißt; Schiller 1800 Wallenstein (I 24) Aber sein Schenie, ich meyne sein Geist, sich nicht auf der Wachparade erweist; Goethe 1800 Preise (WA l 48,17 f.) Beklage sich . . niemand unbillig, wie so oft geschieht, über die Langsamkeit,
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Schwerfälligkeit und das sekundäre Wesen des deutschen Genies, damit nicht unsere jungen Künstler, vom Ruhme der Ausländer geblendet, dieselben nachzuahmen suchen; Herder 1800 Kalligone (U 216) daß übrigens, weil einige freche Jünglinge den namen des genies misbrauchten, die Deutschen sich dies wort selbst zum spott und ekel machten und in solcher bedeutung von geniemännern, geniestreichen, er ist ein genie u. s. f., nicht oft und nicht verächtlich gnug sprechen können, als ob ihnen nichts entbehrlicher wäre als diese himmelsgabe (DWB); ebd. U 224 unglücklich, wenn hiezu nur bildhauerei und dichtkunst, redner- und maierei gehörte, als ob diese werke des namens genie allein werth wären (DWB); Engel vor 1802 Sehr. Vlll 106 Das Genie beider Sprachen völlig außer Acht gelassen (SANDERS DWB); 1808 Vertr. Er. 72 er war noch drei monat vorher handlungsdiener in Stettin und ging als solcher zum Schillschen corps, ein militairisches genie (DWB); 1810 Almanack a. Rom l 144 unter Deutschlands Frauen, die Genie und Talent je ausgezeichnet hat, steht sie nicht bloss als eine schöne, sondern auch als eine seltne Blume; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 27,296) Nun sollte aber die Zeit kommen, wo das Dichtergenie sich selbst gewahr würde, sich seine eignen Verhältnisse selbst schüfe und den Grund zu einer unabhängigen Würde zu legen verstünde. Alles traf in Klopstock zusammen; ebd. 29,147 Wenn einer zu Fuße, ohne recht zu wissen warum und wohin, in die Welt lief, so hieß dieß eine Geniereise, und wenn einer etwas Verkehrtes ohne Zweck und Nutzen unternahm, ein Geniestreich; Klinger 1815 W. Ill 176 die meisten dieser schriftsteiler erinnern an die genie- kraftdrang- und Sturmmänner, die Deutschland vor einigen Jahren aus dem reiche der ästhetik weggelacht hat (DWB); Gutzkow 1836 Über Goethe 39 Genie und Talent werden wohl am besten so unterschieden, daß Jenes auf die Erfindung und Dieses auf die Nachahmung bezogen wird (SANDERS DWB); Immermann 1839 Münchhausen i 173 Alle Genie und Talent ist nichts weiter als Instinct. Nenne mir den Künstler, den Dichter, der beides nicht aus sogenanntem dunklem Drange geworden wäre; Scheidler 1859 Jenaische Bl. II 151 In Heinrich Wilhelm, seinem Sohne, entwickelte sich ein eben so großes Fechtgenie, wie in dem Vater; Hornberger 1879 Essays 331 Genie des Volkes; Lombroso 1887 Genie und Irrsinn in ihren Beziehungen zum Gesetz, zur Kritik und zur Geschichte (Titel); 'Wartenburg 1897 Weltgesch. 273 Genie ist vor allem Wille, erst in zweiter Linie Intelligenz, aber Beides muß vorhanden, in so hohem Grade vorhanden und überwiegend sein, daß die Naturen selten sind, denen daneben noch verliehen ist Raum in ihrer Seele zu haben für die zarten Emp-
findungen, für Kunst und Schönheit, für Schmuck und Reiz des Lebens; 1900 Dtsch. Revue XXV 3,95 Rameau oder Sebastian Bach in den reinsten Schöpfungen ihres Genies; Marholm 1903 Psychologie d. Frau II 126 Lehre von . . dem Genie als Wahnsinn; Joachimi 1905 Weltanschauung 164 Sowohl die Romantiker wie der Stürmer und Dränger gebrauchen für ihren Geniebegriff das Bild des Organismus. Aber sie fassen es verschieden; Schmitz 1911 Brevier 119 Das weibliche Genie; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 144) Tolstois Genie in der dichterischen Erkundung des Todes ist in der Tat das Gegenstück zu Goethe's naturwissenschaftlicher Intuition, und Sympathie mit der Organisation ist die Grundlage beider; Holz 1924 Buch d. Zeit 133 „Genie ist Fleiß". Gewiß. Ich weiß. Doch trotzdem: Nie ist Fleiß Genie!; Rohden 1925 Polit. Denken 62 Aus Scheu vor der begrenzenden Tat überließen sie sich der spielerischen Freude an dem vielfarbigen Raketensprühen ihres beweglichen Geistes, bis sie schließlich aus dem Irrgarten ihres eigenen Genies keinen Ausweg mehr sahen; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XIII 55) Goethe hat erklärt, daß ihm das Leben immer genialer erschienen sei als das poetische Genie, und in den 'Meistersingern' heißt es: „All Dichtung und Poeterei ist nichts als Wahrtraumdeuterei"; Edschmid 1928 Gagaly 15 seinen Instinkt, der in Passari mehr als Sportgenie sah, der in dem Gesicht des Italieners las; Lange-Eichbaum 1928 Genie, Irrsinn und Ruhm (Titel); Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 377) sein [Wagners] Genie ist eine dramatische Synthesis der Künste, die nur als Ganzes, eben als Synthese, den Begriff des echten und legitimen Werkes erfüllt; ders. 1939 Lotte (W. II 628) ahndete euchs wohl je, daß Dilettantism ganz nah verwandt dem Dämonischen und dem Genie, weil er ungebunden ist und geschaffen, ein Ding zu sehen mit frischem Äug, das Object in seiner Reinheit; ders. 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 830) die abweisende Antipathie Goethe's gegen dies wilde Phänomen, ein Genie, zu elementar, um sich je an ein Gesetzlich-Überliefertes in Bildung und Kunst zu binden; Waiser 1957 Ehen 14 daß der älteste Sohn . . in einem Karosseriewerk arbeite, als Hilfsarbeiter .. er sei zwar sehr begabt, habe Genie im Praktischen, aber sie könnten es sich nicht leisten, ihn etwas lernen zu lassen; Bauer 1957 Verbrechen 148 das Wortpaar „Genie und Irrsinn" wurde von Lombroso geprägt; Hobsbawm 1962 Sozialrebellen 47 wer möchte glauben, dass Nestor Makhno . . in der südlichen Ukraine — mit all seinem Häuptlingsgenie für ungeordnete Kriegsführung — etwas anderes als die Niederlage zu erwarten hatte . .?; Grass 1962 Blechtrommel 139 Ihr Genie, junger Freund, das Göttliche, aber auch das ganz gewiß Teuflische Ihres Genies haben
Genie meine gute Roswitha etwas verwirrt, und auch ich muß gestehen, daß eine Ihnen eigene, jäh ausbrechende Maßlosigkeit mir fremd, wenn auch nicht ganz unverständlich ist; 1965 Aspekte 172 Daraus ging die Idee hervor, der dann Montesquieu in seinen Esprits des loix die reichste Orchestrierung gegeben hat: dass nicht allein jedes Zeitalter, sondern auch jede Nation ihr eigentümliches, unvertauschbares „Genie" habe; 1967 Bild d. Wissenschaft III 228 die Ausnutzung wissenschaftlicher Ergebnisse hängt eben nicht nur von dem Genie und dem Erfindungsgeist des einzelnen, sondern auch von der technischen Unternehmungslust der Gesellschaft ab; Gall 1970 Bismarck-Problem o. S. ohne in irgendeiner Weise Bismarcks politisches Genie und die innere Berechtigung seiner außen- und nationalpolitischen Ziele in Frage zu stellen; Bernhard 1983 Untergeher 212 daß er auf dem Höhepunkt seines Genies und seiner Weltberühmtheit vom Schlag getroffen worden ist; Zeit 11.1. 1985 der Älteste, ein ordentlicher, fleißiger Verwalter, dem das Genie fehlte, wurde vom Vater aus dem Unternehmen prozessiert; ebd. 16. 8. 1985 unsere Eltern, unsere Lehrer, unsere Erziehungswissenschaftler haben gelernt, daß der Kult, der in unserem Land um Genie und Elite getrieben worden ist, ein gefährlicher Kult war; taz 2. 2. 1989 Daß Genie zehn Prozent Inspiration und neunzig Prozent Transpiration ist, belegt Pascoals Kommentar zu diesem Stück: es war spät, und er sei sehr müde gewesen, aber die Idee sei ihm zugefallen; ebd. 14. 5. 1990 der genieverdächtige Frankfurter Nationalstürmer; ebd. 23. 4. 1991 Fantasy magic: die Geschichte eines Schweinehirten . ., dessen Genie im Verstehen von Tiersprachen liegt; FAZ 6. 1. 2001 Das ergibt sich . . aus dem zweiten genieästhetischen Grundsatz: daß, wer die Natur umfasse, deren Schöpfer gleichkomme. Die alte Shakespeare-Verehrung soll, wenn es nach Bloom geht, fortan wieder „zu einer weltlichen Religion" werden; ebd. 9. 5. 2003 Verspielte Ornamente, die ihrerseits wiederum in Arabesken eingebettet sind, zeigt etwa die Gartenanlage von Gaillon aus dem 16. Jahrhundert — mehr als die Vegetation steht hier das Genie des Gartenkünstlers im Vordergrund; FAZ 23. 9. 2005 Hörner beschwört das Genie eines abgeschiedenen, der rauhen Wirklichkeit enthobenen Ortes [Davos], und es fehlt ihr nicht an Gestalten, die diesem Genie zulieferten. genielos: Herder 1769 Kritische Wälder 272 Das sehe ich, im Thema, nicht unmittelbar enthalten. Anmerkungen hierüber werden Ausschweifungen seyn müssen, oder — kurz! die lange Klagenvorrede vom unwürdigen, Genielosen, unpoetischen, unangenehmen Gebrauche der Alten, steht nicht
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an ihrem Orte (DiBi 125); Forster 1791 Ansichten v. Niederrhein (W. U 673) Vermittelst dieser Bestimmungen erklärt man sich leicht, warum in ächten Kunstwerken die Darstellung zuweilen so treu und wahr seyn kann, wie in bloßen Kopien nach der Natur; da hingegen umgekehrt der genielose Fleiß, auch wenn er täuschend genau darstellt, auf den Namen der Kunst, im höheren Verstande, keinen Anspruch machen darf (DiBi 125); B. v. Arnim 1843 Dies Buch gehört d. König (W. u. Br. Ill 115) die genielose Verstandesökonomie, das Nützliche mit dem Schönen zu verbinden, auf die sich diese Staatsphilister so viel zu gut tun {DiBi 125). genievoll: 1804 Almanach f. Leckermäuler 91 die Einbildungskraft genievoller Menschen; PücklerMuskau 1834 Landschaftsgärtnerei 120b ihm entspricht das zweite Bild als imponirendste genievollste Erfindung, wenn wir das Zeugnis eines Auffassens voll geistiger Liebe so bezeichnen dürfen; Vorarlb. Nachr. 16.1. 1999 Hofmannsthal verfaßt schon als Gymnasiast „genievolle" Verse. geniereich: Forster 1789 D. Kunst u. d. Zeitalter (W. III 130) Der geistreichste Schriftsteller unseres Jahrhunderts hat irgendwo so fein als richtig bemerkt, daß auf ein geniereiches Zeitalter nur ein scharfsinniges folgen kann, und modernes Verdienst nur in der Zergliederung des Verdienstes der Alten besteht (DiBi 125); Küster 1791 Campagneleben 147 (Anm.) Gleim, Sulzer und Bachmann veranstalteten 1764 eine .. Sammlung ihrer geniereichen Gesänge; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 73) dieser geniereiche Halbnarr und exhibitionistische Weiterschütterer [J. J. Rousseau] war ja eher ein Stiefelkind der Allmutter als einer ihrer Lieblinge, eher ein Mallheur von Geburt als ein Glücksfall natürlicher Begünstigung und Bevorteilung. Genietum: Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. IX 28) [Fontanes] Sinn für Diskretion, Takt, Sauberkeit, Liebeswürdigkeit und bürgerlichen Anstand, mußte gegen dies unsympathische Genie revolutieren wie gegen den unseligen Stauffer, von dem er sagt: „Solche Genies sollten gar nicht existieren, und wenn das Genietum so was fordert, so bin ich für Leineweber"; Berl. Ztg. 29. 12. 2001 Eine verstärkte Abkehr vom Wagnerismus und anderen aus dem Kaiserreich tradierten Werten machte einer vehementen „Sehnsucht nach dem Süden" Platz, assoziiert mit Leidenschaft, Leichtigkeit, Emotionalität und Genietum — Eigenschaften, die griffig in Verdi personifiziert werden konnten.
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Genie Ib: 1721—22 Discourse d. Mahlern 36 Ich dächte . . daß einer der die Ergetzlichkeit der Compagnie ohne Widerwillen ermangeln und eine weit grössere bey sich selber in der Einsamkeit finden kann, ein grosser und rarer Genie seyn muß; Philippi 1732 Sieben neue Versuche IV Von großen, mittelmäßigen und kleinen Genies; Zedler 1735 Universallex. X 871 wie man von schlechten Künstlern saget, dass sie pauvre Genies sind; Lessing 1751 D. Neueste a. d. Reiche d. Witzes (S. Sehr. IV 413) Die Regeln in den schönen Künsten sind aus den Regeln entstanden, welche man über die Werke derselben gemacht hat. Diese Beobachtungen . . vermehren sich noch, so oft ein Genie, welches niemals seinen Vorgängern ganz folgt, einen neuen Weg einschlägt, oder den schon bekannten über die alten Grenzen hinausbähnet; ders. 1755 Rezensionen (W. III 249) Selten werden sich der Gelehrte und der Philosoph, noch seltner der Philosoph und der Meßkünstler, am aller seltensten der Meßkünstler und der schöne Geist in einer Person beisammen finden. Alle vier Titel aber zu vereinen, kömmt nur dem wahrhaften Genie zu, das sich für die menschliche Erkenntnis überhaupt, und nicht bloß für einzle Teile derselben, geschaffen zu sein fühlet (DiBi 125); Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 47 die so berühmte parisische Schule, in welche aus dem ganzen Europa eine so gewaltige Menge von Studierenden zusammenfloß, unter denen nothwendig manche gute Genien sein mußten; Abbt vor 1766 Verm. W. l 30 die genies in den Wissenschaften, die genies in den schönen kenntnissen und künsten umringen nun haufenweise das genie des gesetzgebers (DWB); Herder 1767 Fragm. (I 254) seitdem kunstrichter . . auf den trümmern Gottschedischer originalwerke und schweizerischer nachahmungen die deutsche litteratur übersahen, seit der zeit ist keine klage lauter und häufiger, als über den mangel von originalen, von genies, von erfindern (DWB); Geliert vor 1769 S. Sehr. VII 379 Wenn ein durchdringender gründlicher Verstand eine lebhafte Einbildungskraft zur Seite, ein reiches und treues Gedächtniß zur Gehülfinn, und ein edles empfindliches Herz zur Unterstützung hat: so wird er zum hohen Genie und Lehrer ganzer Nationen, so lange sie seine Sprache verstehen; Jean Paul 1769 — 67 Blumen-, Frucht- u. Dornenstücke (W. I 2,103) jede kalte prosaische, reichsgerichtlich-stilisierte [Stadt] hat doch ihr Genie, ihren Dichter und Empfinder; oft werden beide Stellen von einem Subjekte verwaltet wie hier. Der Große und der Kleine Rat hießen ihren Rosa ein Kraftgenie, von der Genie-Seuche angesteckt. Diese Seuche gleicht der Elefantiasis; Schubart 1775 Dtsch. Chronik 267 Auch eine Opera
buffa hab ich gehört von dem wunderbaren Genie Mozart; sie heißt: La finta Gardiniera. Genieflammen zuckten da und dort; Bahrdt 1781 Kirchen- u. Ketzeralmanach 74 [Herder] Ist ein Kraftgenie. Und man weiß ja, wie diese Herren sind. Sie rennen überall den Leuten wider die Stirn, schlagen links und rechts um sich, sehen alles, was ihnen in den Weg kommt, für unseres Herrgotts Hornvieh an und denken sich immer als die einzigen vernünftigen Geschöpfe, die unter dem Monde leben (TRÜBNER); 1782 Almanach d. Belletristen 177 ein schnakisches, drollichtes Mänlein (wol gar ein Genie!); Semler 1782 Lebensbeschr. II 146 Sie waren freilich damalen noch nicht so gewönlich, die ganz besonderen Licht- und Kraftgenies, die emporragenden Originalköpfe, als bald nachher aufkamen; 1784 Archiv f. Literaturgesch. V 487 abermals ein Produkt von einem unserer brausenden . . Kraftgenies (TRÜBNER); Herder 1784-91 Ideen (XII 51) Zeugen der Zerrüttung, die das Geniewesen auf Kosten der Wissenschaft und Erfahrung . . hervorgebracht hat; Zimmermann 1785 Einsamkeit III 37 Sanct Jacob Hermann Obereit, erblickte vor mehr als einem halben Jahrhundert zu Arbon in der Schweitz das Licht der Welt, deren Licht Er itzt ist. . . Vater und Mutter waren Genies; Hamann vor 1788 Sehr. II 430 eben so muß ein genie sich herablassen regeln zu erschüttern, sonst bleiben sie wasser (DWB); Knigge um 1790 Umgang 129 die enthusiasten, überspannten, romanhaften menschen, kraft-genies und exzentrische leute; 1790 Journal v. u. f. Deutschi. II 183 Es war noch vor wenig Jahren einmahl eine Zeit, da der sogenannte Kraftstil . . grassirte; da wimmelte es von Kraftgenies, die alle mehr dachten als sagten; Maimon 1791 Philosoph. Wb. I 85 die Genies oder Originalmenschen, die Selbstdenker und Erfinder in Künsten und Wissenschaften, die Entwerfer und Ausführer großer Plane, und überhaupt diejenigen, die die Dinge nicht blos betrachten wie sie sind, sondern wie sie seyn könnten und sollten; Schiller 1795 — 96 Über naive u. sentimental. Dichtung (S. W. V 704) Naiv muß jedes wahre Genie sein, oder es ist keines. Seine Naivetät allein macht es zum Genie, und was es im Intellektuellen und Ästhetischen ist, kann es im Moralischen nicht verleugnen. Unbekannt mit den Regeln, den Krücken der Schwachheit und den Zuchtmeistern der Verkehrtheit, bloß von der Natur oder dem Instinkt, seinem schützenden Engel, geleitet, geht es ruhig und sicher durch alle Schlingen des falschen Geschmackes, in welchen, wenn es nicht so klug ist, sie schon von weitem zu vermeiden, das Nichtgenie unausbleiblich verstrickt wird (DiBi 125); Kant 1798 Anthropologie (Ges. Sehr. VII 224) das Genie eines Menschen [ist] „die musterhafte Originalität seines Talents" . . Man nennet aber auch einen
Genie Kopf, der die Anlage dazu hat, ein Genie; da alsdann dieses Wort nicht blos die Naturgabe einer Person, sondern auch die Person selbst bedeuten soll. — In vielen Fächern Genie zu sein ist ein vastes Genie (wie Leonardo da Vinci); Goethe 1816 Dichtung u. Wahrh. (HA X 161) daß Genie diejenige Kraft des Menschen sei, welche, durch Handeln und Tun, Gesetz und Regel gibt. Damals manifestierte sich's nur, indem es die vorhandenen Gesetze überschritt, die eingeführten Regeln umwarf und sich für genzenlos erklärte. Daher war es leicht, genialisch zu sein, und nichts natürlicher, als daß der Mißbrauch in Wort und Tat alle geregelte Menschen aufrief, sich einem solchen Unwesen zu widersetzen. Wenn einer zu Fuße, ohne recht zu wissen warum und wohin, in die Welt lief, so hieß dies eine Geniereise, und, wenn einer etwas Verkehrtes ohne Zweck und Nutzen unternahm, ein Geniestreich; Bouterwek 1819 Geschichte XI 365 Sturm- und Drang-Genies; Mendelssohn-Bartholdy 1827 Reisebr. 12 heute Mittag wird . . der Studio zu uns eingeladen, dafür hat uns der Studio wieder auf heute Abend zu sich eingeladen, und wer nun läugnet, dass ich ein Kneipgenie bin; Saphir 1832 Schriften I 146 bei den Frauen ist das Weinen ein Talent, eine Fertigkeit; ja es gibt WeinGenies unter ihnen, denn das Zeichen des Genies ist: aus gar keinem Stoffe seinen Gegenstand erschaffen; Carus 1835 Reise l 91 jenes Sprachgenie, welches 36 Sprachen .. bewältigt; Bauer 1836 Ueberschw. l 78 dass unser Freund ein Genie, oder wie man im gemeinen Leben sagt, dass er ein Narr sei; 1844 Brockhaus VI 63 Ein Universalgenie im strengsten Sinne, wenn man darunter ein solches versteht, das sich in allen Zweigen menschlicher Wissenschaft und Kunst hervorthut, kann es nicht geben; Vollmann 1846 Burschicoses Wb. 267 Kneiptalent . . Kneipgenie; Grillparzer 1847 Epigramme (S. W. l 486) Es gäbe kein verkanntes Genie?/ In unserer Zeit zum wenigsten nie?/ Das mag dir glauben, wems beliebt;/ Solangs gepriesene Dummköpfe gibt,/ Gibts auch verkanntes Genie (DiBi 125); Heine 1851 Romanzen 221 Solchen Dichter von der Gnade Gottes nennen wir Genie (SANDERS DWB); Prutz 1852 Museum l 289 wäre es wirklich wahr, . . dass es unter keiner anderen Nation so von sogenannten „verdorbenen Genies", von Strolchen, Reisläufern, verkäuflichen Creaturen wimmelt . . als unter der deutschen . .?; Szarvady 1852 Paris I 410 Er ist kein Genie, aber er hat das ganze Genie des Ehrgeizigen; Holtet 1863 Letzte Komödiant Hl 208 Er gehört unter die geistreichen Vielwisser, welche die Welt, oft nicht mit Unrecht, verrückte Genie's nennt; Nietzsche 1878-80 Menschliches, Allzumenschliches (W. l
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554) die Tätigkeit des Genies [erscheint] durchaus nicht als etwas Grundverschiedenes von der Tätigkeit des mechanischen Erfinders, des astronomischen oder historischen Gelehrten, des Meisters der Taktik; Perfall 1890 Liebe 16 ein verbummeltes Genie! Freilich ist die Verbummelung noch um Etliches grosser als das Genie!; Göhre 1891 Fabrikarb. 164 war, was man ein „Turngenie" zu nennen pflegt, mit tadellosem Körperbau und gleicher Muskelbildung; Rilke 1892 S.W. II 30 Es sei, so klagen edle Menschenkenner, oft ein Genie dem Untergang geweiht! Nein! Schafft die Zeit sich keine großen Männer, So schafft der Mann sich eine große Zeit; Fontäne 1894-96 Zwanzig (1908 S. W. XV 41) so gewiß er, aufs Ganze hin angesehn, ein Pumpgenie war, so war er doch voll Respekt vor dem Scherflein der Witwe. Dies Scherflein nahm er nicht. Vielleicht auch bloß deshalb nicht, weil es ihm zu wenig war; Janitschek 1897 Kreuzfahrer 85 Er ärgerte sich, daß er in einer so überaus reich begabten Zeit geboren war. War nicht fast jeder Mensch entweder Künstler oder Erfinder, oder zum mindesten ein verkanntes Genie? Pferdebahnkutscher machten Verse, Schuster fühlten den göttlichen Funken in sich und nannten sich: Fußbekleidungskünstler, Schafhirten wurden plötzlich zu medizinischen Autoritäten (DiBi 125); 190« Zukunft LXIV 105 „Seconde vue", spontane visionäre Erkenntniß, das unbezweifelbare Merkmal des Genies, haben die Mütter gegenüber ihren Kindern; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. XIII 557) Ein ganzes Volk, das lernen muß, sich als Rechtsabenteurer, Rechtsempörer und Schicksalsversucher zu fühlen und eine Einsamkeit zu tragen, wie im individuellen Leben nur das Genie und der Verbrecher sie kennen!; Wohlmuth 1918 Schauspielerleben 163 München - das Genie unter den Städten Europas; Colerus 1929 Kaufherr 160 „Ausgezeichnet, Doktor Haller, Sie sind ein Genie!"; Halbe 1933 Scholle 123 Typus des „verbummelten Genies"; Beutler 1947 Essays 12 eine Verbindung des jungen Genies mit christlichen Kreisen lag in der Linie seiner Wünsche; 1954 Festschr. auf Schweitzer 311 „Genieporträts" berühmter Zeitgenossen; Süddtsch. Ztg. 25. 7. 1955 O Gott, wie mittelmäßig ist doch das alles! Man kann nicht umhin, des abwesenden Genies zu gedenken und sich vorzustellen, welch ungeheure Rede Winston Churchill bei solcher Gelegenheit in das Buch der Geschichte eingetragen hätte; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 123 das Mädchen hat seine guten Seiten und ist als Schreibkraft geradezu ein Genie; Hocke 1976 Tagebücher 398 Allerdings gehört Kafka zu den Genien des Chiffrierens, zu den Meistern des diaristischen Verbergens, zu den Vir-
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tuosen der kryptographischen Diaristik; taz mingen als „Genie im Umgang mit den Medien" 10. 6. 1988 Er habe Stalin damals verehrt, „wie bezeichnet. keinen unter den Lebenden", und ihn „für einen der Genien der Menschheit" gehalten, schrieb BeGenie 2: Eggers 1757 Kriegslex. 11033 Genie, hiercher; ebd. 17. 12. 1992 man verabschiedet sich durch wird die Kunst Festungen anzugeben, aufzuvom Konzept des Autorenfilms, was ja auch den führen, anzugreifen und zu vertheidigen verstanAbschied von einem bestimmten romantischen den, und es hat folglich dieses Wort mit IngenieursModell des Künstlertums bedeutet: Man will lieber Kunst und Fortification einerley Bedeutung; Allg. arbeitsteilige Kooperationen als das Fassbindersche Heinzmann 1800 Fruehst. 145 Keine Feld-IngeOriginalgenie, das gleichzeitig Produzent, Cutter, nieurs haben es darinn je so weit gebracht, wie die Drehbuchautor etc. ist; Presse 31.3.1993 Das neuen republikanischen Genie-Offiziere; Luden Scheitern des härtesten Industriellen Österreichs: 1828 Reise d. Nordamerika 278 Mit dem General die Verdienste des Mannes, der noch vor kurzem Bernard discurirte ich lange über Gegenstände aus als erfolgreicher Sanierer und Genie im Lockermaden Militair-Geniewissenschaften. Er sagte unter chen öffentlicher Fördergelder gefeiert wurde; taz ändern, dass er bei der Vertheidigung von zwei Fes15. 8. 1994 Er war kein fleißiger Fußballer. Nie ist tungen, Mannheim und Torgau, gedient . . habe; er dem Ball hinterhergerannt. Er war eben ein Na1836 Berl. Conversations-Blatt 451 Wir haben turgenie. Im richtigen Augenblick waren Kopf und ein ganzes Geniekorps, die Artillerie blitzt, donFüße zur Stelle und schössen ein Tor; Neue Kronert, trifft, überwältigt — alles Functionen, welche nen-Ztg. 18. 5. 1997 Zwar paßt das Wort von „Geauch dem Genie eigen sind; Engels 1848 Nationalnie und Wahnsinn" auf den großen Maler . . Aber rat (MEW VI 96) Dieser alte Genieoffizier, der sein . . Genies sind selten wahnsinnig und Wahnsinnige Leben lang bloß Artillerieschulen organisiert; Szarfast nie genial; Oberösterreich. Nachr. 16. 8. 1997 vady 1852 Paris I 196 Genieoffizieren; ebd. l 352 Jobs gilt in der Computer-Szene als Genie, VisioGenie-Regiments; Mörike 1856 Mozart 219 Ein jenär und extrem schwieriger Zeitgenosse; Züricher der ungrische Schnurrbart vom Geniekorps ist Tagesanz 25. 9. 1998 Ich drehe mich um und blicke willkommen (DUDEN 1999); 1861 Allg. Mil.-Enc. zurück, Richtung Zentrum. Habe einen DurchIV 132 zum Soldaten erzogen und in den Genieblick, der bis zur Bastille reicht, zum Genie, der wissenschaften aufs Gründlichste ausgebildet, .. über ihr schwebt; Berl. Morgenpost 21. 3. 1999 ET von Napoleon hoch geschätzt und schnell zum Ge[Mussorgski] gilt als Genie im Schöpferischen und nerallieutenant beim Geniewesen erhoben; ebd. IV als Dilettant in der Ausführung. Er war ein Kom21 mit Hafen, Marineschule, Genie- und Artillerieponist voller kreativer Kraft, aber kein musikaschule für die Marine; Martens 1864 Militärverlisch-technischer Tüftler; Mannh. Morgen 13. 5. pflegung I 76 In einem ähnlichen Verhältnisse steht 2003 Crake war ein Genie im Bereich der Gendas Kommando der Genietruppen, wenn dieselben manipulation und machte schnell Karriere; ebd. nicht der Abtheilung für die Operationen direkt 11. 5. 2004 Salvador Dali, der sich sein Leben lang unterstellt sind; Stein 1872 Heerwesen 134 Infantegerne als stolzer Katalane, als den paranoid-kritirie, Cavallerie, Artillerie, Genie, Fuhrwesen, Genschen Wahn zelebrierender Exzentriker und Genie darmerie, Gefängnisse, Militärsträflinge und zu öfmit Schaffenswahn zelebrierte; FAZ 12.3.2005 fentlichen Arbeiten Beurtheilte; ebd. 202 GenieDamals stand es einem Komponisten noch gut zu schulen; Liliencron 1896 Poggfred XU 152 Mit Gesicht, daß er sich als Originalgenie in seinem dem Genie und seinen Offizieren; Treitschke 1898 Schaffensdrang über die Grenze des MenschenPolitik II 230 seine Stärke beruht, ganz wie später möglichen hinwegsetzte. Und Komponisten waren die der niederländischen Truppen, auf der Artilleselbst noch Virtuosen: Das Pianoforte spielte Beetrie und dem Geniewesen; 1935 Wehrtechn. Mohoven in jungen Jahren unübertrefflich gut, wie die natshefte 387 Die erste Linie auf deutschem Boden, Kadenzen seiner Klavierkonzerte beweisen; taz mit deutschem Geld gebaut, aber von französi29. 4. 2005 Tief in unser Alltagsbewusstsein müsschen Geniesoldaten besetzt; Albrecht 1987 Techn. sen sich die Erzählungen von genialischen maBildung zw. Wiss.u. Praxis 83 (Anm. Nr. 104) die nisch-depressiven Schüben der Künstler eingegrasechs Spezialschulen für Artillerie und Geniewesen ben haben, und ihr Ringen um Anerkennung sowie in Metz, für Brücken- und Straßenbau . . und für die Probleme, selbige zu kriegen, gehören zu den Verwaltung in Paris; Schild 1998 Niedersächs. Grundmythen unserer Gesellschaft; kaum etwas ist Schul- u. Bildungsgesch. 24 Zu Ostern begann der mehrheitstauglicher als die Mär vom Genie als Unterricht in dieser Militairschule mit 54 ZöglinAußenseiter der Gesellschaft; Mannh. Morgen gen .. Im folgenden Jahr wurde eine königliche 27.11.2006 Weil Papst Benedikt XVI. .. etwas scheuer wirke wie sein Vorgänger, den von GemArtillerie-und Genieschule angefügt.
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genieren V. (in)trans. und reflex., im frühen 18. Jh. entlehnt aus frz. (se) gener 'drücken, quälen; hindern, hemmen' (zu gene 'Störung, Zwang, Hemmung; Verlegenheit, Befangenheit, Unbehagen', veraltet auch 'Folter' < afrz. gehine 'das durch Folter erpresste Geständnis', zu gehiner 'foltern', abgeleitet von jehir, gehir 'zum Geständnis bringen; bekennen, gestehen' < westfränk. ''jahbjan '(jmdn.) zum Gestehen bringen', zu *jehan, vgl. ahd. jeban '(ein)gestehen'), früh auch die bis heute regional (Österreich.) verwendete eingedeutschte Form scheni(e)ren. Als V. trans, in der Bed. '(jmdn.) belästigen, stören, behelligen, behindern, in Mitleidenschaft ziehen, plagen; (jmdm.) Zwang antun, Unbequemlichkeit, Ungemach verursachen, hinderlich sein, zur Last fallen' (s. Belege 1778, 1787.2, 1792.2, 1853, 1895, 1915, 1916, 1985; —* ennuyieren, —> inkommodieren, vgl. molestieren, vexieren), in Wendungen wie die Schatzkammer genieren, die Leute mit etwas genieren, Gazetten dürfen nicht geniert werden (Friedrich d. Gr.), der enge Kragen genierte ihn sehr, wenn es Sie nicht allzusehr geniert, ich bedaure Euch geniert zu haben, daneben '(jmdn.) in Verlegenheit bringen/setzen, verlegen machen, beschämen' (s. Belege 1774, 1870-71, 1910, 1924, 2003), z.B. sein Gefühlsüberschwang geniert mich, ihr Blick, ihre Anwesenheit genierte ihn, das geniert sie nicht einmal, das muss dich nicht genieren, vereinzelt auch im Sinne von '(jmdn.) angelegentlich beschäftigen, kümmern, etwas angehen' (s. Beleg 1817); als V. reflex, zunächst in der Bed. 'sich (in moralischer, ästhetischer, gesellschaftlicher Hinsicht) Disziplin, Zurückhaltung auferlegen, sich Zwang antun, sich disziplinieren' (s. Belege 1730, 1776, 1782, 1784, 1787.1, 1792.1, 1850, um 1900), in Wendungen wie geniert euch nicht und behaltet doch Platz!, bitte sich nicht zu genieren, greifen Sie zu und genieren Sie sich nicht!, ich genierte mich nicht ('hatte keine Hemmungen'), ihr die Wahrheit zu sagen', seit Mitte 19. Jh. dann in der heute dominierenden Bed. 'sich schämen, scheuen, befangen, verlegen, verwirrt sein, sich unsicher fühlen, eine Situation als unangenehm und peinlich empfinden und sich entsprechend gehemmt und verschämt zeigen' (s. Belege 1860, 1897, 1936, 1954, 1987, 2002), z.B. die Kinder genieren sich vor uns, du brauchst dich wegen deiner Nacktheit vor ihr nicht zu genieren, sich seiner Vorliebe für Volksmusik nicht genieren, genierst du dich denn gar nicht?, sie hinterziehen Steuern, ohne sich zu genieren. Seit spätem 18. Jh. die heute seltene adj. und adv. gebrauchte Part. Perf.-Form geniert, anfangs auch scheniert, 'eingeschränkt, behindert, gehemmt' (vgl. inkommodiert, gehandikapt) bzw. 'gezwungen, verlegen, verschüchtert, verschämt' (s. u. genant), z.B. er fühlt sich geniert, sie ist geniert, ein geniertes Lächeln, mit der vereinzelt belegten gleichbed. Präfixbildung begeniert (s. Beleg 1802), häufiger die antonyme Präfixbildung ungeniert 'ungehemmt, ungezwungen, ausgelassen; dreist, schamlos' (—» leger, —» lasziv, —» frivol, —» impertinent, vgl. burschikos), z.B. ungeniert sein, ganz/völlig ungeniert etwas tun, ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's völlig ungeniert (W. Busch); seit früherem 19. Jh. die subst. Ableitungen Geniertheit F. (-; -en) bzw. Ungeniertheit F. (-; -en) '(un-)gehemmte Art und Weise, in der jmd. sich verhält, etwas tut'. Dazu seit frühem 19. Jh. aus frz. genant 'beschwerlich, lästig' (Part. Präs, von gener 'genieren', s.o.) entlehntes genant Adj., im 19. Jh. neben den frz. (beeinflussten) Schreibungen genant und genant und bis heute regional auch in der eingedeutschten Nebenform schenant, zunächst auf Gegenstände und Sachverhalte bezogen in der veraltenden Bed. 'unangenehm, peinlich, lästig, beschwerlich; so beschaffen, dass
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man sich genieren muss' (—» fatal, vgl. ennuyant, —> ennuyieren, strapaziös), z.B. das war (ihm) etwas genant, daneben auch von Personen 'sich leicht (unangebrachterweise) genierend, etwas (z. B. Nacktheit) als peinlich empfindend; gehemmt und unsicher, verschämt, schüchtern; leicht in Verlegenheit zu bringen' (s. Belege 1846, 1974, 1988, 2001; —» delikat 2a, s.u. genierlich], in Wendungen wie ein genantes Kind, er stand etwas genant abseits, sei nicht so genant!; seit Mitte 19. Jh. die gleichbed., heute veraltende adj. Ableitung genierlich, auch schenierlich, zunächst mit Bezug auf Gegenstände und Sachverhalte in der Bed. 'lästig, störend; peinlich', dann auch von Personen 'schüchtern, verschämt'; seit spätem 19. Jh. davon abgeleitetes Genierlichkeit F. (-; -en), vereinzelt auch Schanierlichkeit. genieren: Küchelbecker 1730 Hof 221 jedoch geniren sich dieselben nicht so sehr, als Kayser Leopoldus, welcher bey dergleichen Gelegenheit in den Clöstern öffters speiste; Ay'renhoff1771 Postzug 13 Die Schuhe sind dem Fräulein etwas zu enge. — Zu enge? das habe ich nicht gern: das genirt, und macht übeln Humor; Lavater 1774 Vermischte Sehr, l 104 In Ansehung solcher Dinge, die nicht eigentlich moralisch sind, und ihren Werth von unsern Neigungen erhalten, wollen wir einander nicht geniren, sondern es uns zutrauen, daß wir das, was auf eine unschuldige Art die Freuden dieses Lebens vermehret, ohne Scheu einander entdecken und fordern dürfen; Goethe 1776 Claudine (DjG 111 563) Schenirt euch nicht. Wir machen euch Platz; Rabiosus 1778 Reise 35 Ausbesserungen [an der alten Brücke zu Regensburg], welche die Schatzkammer der Stadt Regensburg sehr seheniren; 1782 Almanach d. Belletristen 218 Die meisten unsrer grossen Männer, hätten sie sich nach jedem Seufzer zärtlicher Besorgnis . . geniren wollen, wären klein geblieben; Goethe 1784 Br. (WA IV 6,321) Osann ist todt . . Er brachte eine kranke Anlage mit, genierte sich hier so lang es möglich war, wollte es zwingen; Müller 1787 Emmerich II 309 Geniren soll man sich deswegen nicht täglich; Schiller 1787 Br. I 333 wenn es Sie nämlich nicht geniert; Hermes 1789 Für Eltern l 275 ohne daß das im mindsten Sie geniere; Laukhard 1792 Leben I 377 aber du musst dich schon wegen der Leute ein Bissei scheniren, wenn du zu'n Menschen gehst; ebd. II 511 Wem indess das nicht behagt, oder wem meine Gründe dafür nicht genug thun, . . den bedaur' ich schenirt zu haben; Kotzebue 1806 Organe d. Gehirns (XX 99) Ein junger Mensch muß sich heut zu Tage durchaus nicht geniren; ders. 1810 Häusl. Zwist (XXIV 155) Das man vernünft'ge Leute blos dadurch genirt; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,411) Was mich aber sonst in der Welt genirt (um den Studentenausdruck zu gebrauchen) das sind die Elginischen Marmore; WagnerLiszt 1850 Briefw. I 104 wenn Du der Meinung wärest, daß dies mir mißlungen sei, so würde ich Dich bitten, Dich in keiner Weise zu geniren es mir
aufrichtig zu sagen; dies. 1853 Briefw. l 251 Du könntest schon bei mir wohnen, nur fürchte ich, es genirt Dich; Holtet 1860 Eselsfresser II 77 Die Kinder genirten sich vor uns; Kretschman 1870— 71 Kriegsbr. 205 Ich mag es [das Eiserne Kreuz] gar nicht anmachen, weil es mich wirklich geniert; Winterfeld um 1880 Excellenz 95 So ein hoher Vorgesetzter genirt immer die jüngeren Herren; Baumbach 1895 Jugendzeit 290 Aber wenn ich den Grossmogul selber zum Nebenbuhler gehabt hätte, so hätt's mich nicht genirt; Fontäne 1897 Stechlin (Romane u. Erz. VIII 35) mitunter ist es auch so, daß man sich geradezu genieren muß (DiBi 125); Woldeck um 1900 Selb. 33 Die beiden Lehrerinnen genierten sich nun auch weiter garnicht; Freud 1909 Kinderneurosen (Studienausg. VIII 41) daß ihn besonders geniere, was die Pferde vor den Augen haben; Viebig 1910 Die vor d. Toren 31 Verlegen drehte er den Kopf zur Seite, ihr Blick genierte ihn (WOG); Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 78) [Friedrich] erklärt, daß Gazetten, wenn sie ein bißchen amüsant sein sollen, nicht geniert werden dürfen, und hebt die Zensur auf (führt sie übrigens ein Jahr danach wieder ein); Thoma 1916 Kälbchen 112 „wenn's di vielleicht scheniert, daß i dir an ändern Nama gib . ."; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 989) er schloß ihn in seine Arme und küßte ihn wie ein Südländer . . auf beide Wangen, was unseren wilden Reisenden in aller Bewegung nicht wenig genierte; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 248 sie hätten sich geniert, weil sie beide auf dem Badekostüm ein großes Hakenkreuz aufgenäht hatten; Welt 10. 3. 1954 während der Handel mit Kartoffeln nach den Forderungen des Berufes möglichst umsatzsteuerfrei bleiben soll, geniert man sich nicht, den Umsatz mit geistigen Erzeugnissen mit dem höchsten Steuersatz zu belegen; Zeit 20. 12. 1985 dieses überaus witzige Raisonnement des Bibelkritikers . . braucht einen Orthodoxen natürlich nicht zu genieren; Mannh. Morgen 20. 10. 1987 das reichste Land der Welt [USA] hat eine kranke Währung und wird ohne sich zu genieren zum größten Schuldner aller Nationen; Neue Kronen-Ztg. 31. 10. 1999 sie hat sich
genieren nicht scheniert; taz 29. 10. 2002 man geniert sich auch seiner folkloristischen Liebhabereien nicht; Berl. Ztg. 30. l. 2003 Den pfiffigen Regisseur geniert dies nicht einmal.
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nes; Dürrenmatt 1964 Richter 58 „Wenn's auch genierlich ist, davon zu reden: aber du hast mir das Leben gerettet" (WDG); Zeit 1. 2. 1985 in der Innenpolitik, wo Fehlentwicklungen leichter zu korrigieren sind, mag das nur genierlich oder ärgerlich sein; Mannh. Morgen 12. 12. 1989 Wie man in der reichsten Stadt genierlich über das Geld redet (Überseht.); taz 21.2.2001 damit niemand mehr wie bisher den Sexkanal „extra" einzeln und genierlich bestellen muss.
genant: Heyse 1829 Fremdwb. i 447 genant, zwingend, zwangvoll, einengend, beschwerlich, lästig; 1846 Urania 102 So eine ganz solide, prächtige Frau, weisst du, nicht a bissei genant, sanftmüthig, treu wie Gold; 1866 Moltkes Sprachwart l 255b „die Krinolinen der Damen seien bei vollzählig besetztem Postwagen besonders im Anfang etwas — Genierlichkeit: Keller 1882 (1919 Briefw. Heyse generös." (Genant wollte er sagen.); Gutzkow Keller 267) ein guter und . . begabter Mensch 1875 Säkularbilder (VIII 5) Dichterischer Lorbeer (Widmann), leider eine Art Eulenböck, der alle hat doch sein Genantes; Eckstein 1876 Satir. ZeitMeister ein Weilchen nachmachen kann, bald ist er bilder 31 so ewig den Reichsapfel in der Hand zu Wieland, bald Ariost . .., ohne alle Genierlichkeit; 1893 Dtsch. Dichtung XIII 31 entdeckte ich mit halten, ist genant; Hertz 1883 Elternhaus 71 Das war nun sehr genant und langweilig; Fontäne 1895 Schreck und Schanierlichkeit; Klemperer 1957 TaEffi Briest 25 Und ist es dir denn gar nicht, ja, wie gebücher 639 Genierlichkeit des Auskleidens nur sag ich nur, ein bißchen genant?; Th. Mann 1901 in der ersten Nacht; taz 19. 8. 1987 Die Ablehnung Buddenbrooks (W. I 106) sie zögerte einen Augenist keineswegs politischer Dezentheit oder gar ideologischer Genierlichkeit zu danken; Spiegel blick vor dem „Jawort", weil es ihr allzu hochtra5. 9. 1994 Aber so viel Genierlichkeit wie bei den bend und genant erschien; Marholm 1903 Psychologie d. Frau 68 das Fegefeuer als eine genante drei Größen der SPD, die diese Woche das TitelEinrichtung; Raithel 1909 Annamaig 18 Die Leute bild füllen, hat sie selten erlebt; Berl. Ztg. hängen einem so gern etwas an, und wenn sie ei29.6.2001 Liebe - das bedeutete im Fall des nen bedauern, ist's noch genanter; Th. Mann 1954 Schauspielers Jack Lemmon auch eine gewisse GeKrull (W. VII 649) [sie] waren in seriösem Habit, nierlichkeit im Verbund mit ungeheurem Großmut. schwarzem Cutaway und steifem Hut, da doch ich es bei einem blauen Anzug mit hellen Streifen hatte (be-)geniert: Michaelis 1776 Räsonnement IV 489 sein Bewenden haben lassen. Das war etwas ge[denn die Gesellschaft] will ihm nur einen Gefallen nant; 1974 Spiegel H. 38 Die Vertreter des . . Ver- thun, und ist dabey genirt; Schlettwein 1780 Arlages . . zeigten sich genant: Eine . . phallusreich chiv l 364 ist nun die Concurrenz der inn- und illustrierte Ausgabe (DUDEN); taz 24. 8. 1988 Nur ausländischen Käufer zu den Produkten . . immer das Generalsax sollte sich nicht immer so schenant größer, weil sie nichts davon an Zöllen oder Accihinter seinem Notenständer verstecken; ebd. 16. 11. sen bezahlen dürfen, und durch keine Lasten sche1990 Kurze genante Pause; ebd. 9. 5. 2001 sein Genirt sind; Laukhard 1792 Leben II 265 Es ist übergenüber errötete etwas genant. haupt eine sehr inkommode Sache, krumm [geschlossen] zu liegen: man ist dabei ganz gewaltig genierlich: Prutz 1855 Musikantenturm i 200 Es ist schenirt!; Kant 1798 Anthropologie 13 [Das Aufdir wohl sehr genirlich; Spyri 1880 Wanderjahre merken auf sich selbst] macht entweder genirt (ver168 Es war Fräulein Rottenmeier sehr genierlich, legen) oder affektirt (geschroben); Schütze 1800 daß die alte Dame sie beständig nur bei ihrem NaHandwb. f. Schauspieler 60 Der Akteur ist durch men nannte, ohne weitere Titulatur; aber da war seine Rolle nicht genirt; Laukhard 1802 Leben V nichts zu machen (DiBi 125); Fontäne 1890 Quitt 198 Ich ärgerte mich den anderen Morgen, daß ich (Romane u. Erz. V 473) Eigentlich war ich dagegleich am ersten Abend meiner Existenz in Nordgen, ich meine das mit „Pippi", mit dem Namen, hausen begenirt gewesen war; Pückler-Muskau der mir ein bißchen genierlich vorkam, aber Hecht 1834 Landschaftsgärtnerei 63b für zu genirte und sagte: „Warum nicht, Ida? Drüben die bei Geheim.. für natürlichere, leere Ufer; Devrient 1846 Drarats heißt Lolo, warum soll unsere nicht Pippi heimat. Sehr. 221 bei solchen Mädchen ist man viel ßen?" (DiBi 125); Sperl 1922 Ahnenbilder 211 eiweniger genirt; Hartmann 1853 Languedoc 91 nes war mir sehr schenierlich; Klemperer 1952 Ta- Er ist sehr genirt; Bismarck 1858 (Klemm 1924 Bisgebücher 311 Die Badekabinen der aufgegebenen marck l 220) bisher hat die Aussicht auf frischen Badeanstalt ohne Türen u. zerfallend — warum fröhlichen Kampf, ohne durch irgend eine amtliche keine Möglichkeiten für schlechtes Wetter u. alte, Fessel genirt zu sein . . fast ebensoviel Reiz für fette, genierliche Leute?; Sebastian 1956 Krankenmich; Bucher 1881 Parlamentarismus 203 Auch in haus 67 der genierliche Geruch eines anderen ManFragen der innern Politik haben zuweilen die Ge-
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spräche, auch die Reden der Abgeordneten etwas Genirtes; 1889 (Briefw. Burckhardt - Wölfflin 54) Mit England bin ich etwas geniert; Tb. Mann 1903 Erz. (W. Vlll 328) Ingeborg hielt ihre schmal geschnittenen Augen abgewandt, vielleicht ein wenig geniert durch die speisenden Leute, die auf sie schauten; Werfet 1929 Abituriententag 183 Und mit leichtgenierten Händen zog sie das ReclamBändchen hervor, das wirklich gar nicht mehr sauber war; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 886) etwas geniert, wie immer, vom brausenden Erfolg; Zeit 7. 2. 1986 Lafontaine war weniger geniert; Berl. Ztg. 6. 6. 2002 Bei der ersten Vorführung war der Film noch so schlecht, dass selbst Schmids Freunde ihm danach geniert aus dem Weg gingen. Geniertheit: vor 1871 OBank U 337 Von übertriebner Ehrfurcht od. Geniertheit in Gegenwart der allerhöchsten Personen (SANDERS 1871); Hanssen 1897 Jugend 65 Es war auf einmal todtenstill in diesem Kreise geworden, als Truls mit der seinen [Gesellschaft] hereinkam, — ein Schweigen der Genirtheit, des Unbehagens; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 685) Jedermann im Zimmer wartete und zog sich zusammen vor Geniertheit; ders. 1928 Reden u. Aufs. (W. X 237) diesem Versuch, den der Prophet von Jasnaja Poljana mit so ehrwürdigem Ungeschick und einiger Geniertheit durch die Lächerlichkeit seiner Adepten unternahm; V. Mann 1949 Wir waren fünf 126 ohne mit irgend jemandem . . über meine Gedanken zu sprechen (ich wäre gestorben vor Geniertheit); Züricher Tagesanz. 2.2.1999 „Blick"-Kolumnist Jürg Ramspeck jedenfalls wurde von einer „zwinglianischen Geniertheit" erfasst, als er erstmals von Kennedys Frauengeschichten hörte. ungeniert: Lavater 1774 Br. an J. C. Göthe (Sehr. d. Goetheges. XVI 250) mein weibchen lächelte oft . ., da ich ihr von dem freyen unschenirten wesen sagte, das ich mir . . an ihrem tische anmaszte (DWB); 1781 Hausball XVIll 33 Ein Familias mit seiner schwarzen Amour, die keinen Menschen auf den Ball ungeneckt, und unschennirt ließ; Laukhard 1797 Leben IV 2,258 überhaupt die unschenirte Lebensart . . empfehlen Jena vor allen deutschen Universitäten; ders. 1800 Erz. II 66 sie versteht Lebensart, und liebt das Unschenirte; Lewald 1835 Theaterrevue 232 die ungenirte Lustigkeit; Glaßbrenner 1836 Bilder a. Wien l 40 je ungenirter du bist, je fröhlicher, je mehr gefällst du; Tieck 1838 Tischlermeister (W. IV 384) Wenn ich mit einem Male dem Kaiser und Reich so ganz unscheniert dasselbe sagen wollte (DiBi 125); Wagner — Liszt 1852 Briefw. I 173 Da nahm ich sehr ungenirt
den ersten Act des Tannhäuser bis zu Ende des Pilger-Chores; 1861 Allg. Mil.-Enc. IV 381 der Rang beschränkte die Freundschaft, die fast ganz ungenirt war, nicht; Hartmann 1869 Philosophie 251 dass die alten Ansichten, die man bis zu dem Augenblicke für seine wirkliche Ueberzeugung gehalten hatte, völlig über Bord geworfen sind, und die neuen sich schon ungenirt einquartiert haben; Nordau 1881 Paris I 310 Die ersten Operettensängerinnen gixen wie Truthühner . . so oft eine ungenierte Diva mit der Stimme an der vorgeschriebenen Note seitwärts vorbeischießt; Bahr 1893 Neben d. Liebe 78 mit dem ungenierten Behagen an gepfefferten Geschichten; 1899 Grenzboten U 548 auf einem Berliner Eliteball [moquierte sich] eine der anwesenden Dämchen . . ziemlich ungeniert über den die Festivität überwachenden „Schnüffel"; Anet 1925 Ariane (Übers.) 228 die Männer aber sprechen ungeniert von den Frauen, die sie 'gehabt' haben; Friedeil 1927 Kulturgesch. l 143 Daß Männer und Frauen sich in ungeniertester Weise voreinander entkleideten; Kesten 1952 Casanova 34 Giacomo fand in Bettinas Handtasche, die er ungeniert durchsuchte, einen Zettel Cordianis; Grass 1959 Blechtrommel 491 Auch mußte ich mir . .eingestehen, daß das ungenierte Liebespaar über mir, die alte murmelnde Frau unter mir simple Polizeiagenten waren; taz 20. 6. 1992 dem puren Neid des Nadelstreifengeschlechts . . darauf, daß Frauen ihren Körper gut drapiert und ungeniert zu exhibitionieren wissen; ebd. 15. 3. 2003 Die neuen Unternehmen machten in den ersten sieben Jahren Riesenprofite, sie griffen den Verbrauchern ungeniert tiefer in die Taschen. Ungeniertheit: Geruinus 1835 Gesch. d. poet. Nationallit. V 12 Ungeniertheit (SANDERS DWB); Pichler 1844 Denkw. II 306 und ergibt sich mit gleichgesinnten Freunden aller Ungeniertheit, Roheit, mitunter Grobheit, welche ebenso unabtrennbar von burschikosem Leben sind (DiBi 125); Hartmann 1866 Erlebnisse 143 Im Punkte der Unreinlichkeit und Ungeniertheit scheint die bayerische [Armee] mit der österreichischen zu wetteifern; Hillebrand 1874 Frankreich 51 Das membre du Jockey-Club nimmt Herzoginnen und Marquisinnen gegenüber Attitüden, und erlaubt sich Ungenirtheiten der Rede; Fontäne 1897 Stechlin (Romane u. Erz. Vlll 317) Eigentlich paßte der etwas weitgehende Ungeniertheitston, in dem der Doktor seiner Natur wie seiner New Yorker Schulung nach zu sprechen liebte, nicht sonderlich zu den Gepflogenheiten des alten Grafen (DiBi 125); Polenz 1903 Zukunft 246 Ungeniertheit, Leichtsinn, Sichgehen-
Genitale lassen und Disziplinlosigkeit; Zeit 17. S. 1985 es wäre ohne Sinn, die Tabuisierung solcher Erkrankungen aus dem Standpunkt heutiger Ungeniert-
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heit zu kritisieren; taz 25. 9. 1989 Ich habe bei ihnen [Sinti und Roma] so viele junge Alte gesehen, so viel Ungeniertheit und Lust, glücklich zu sein.
Genitale, auch Genital N. (-s; Genitalien, früher auch Genitalia), im frühen 18. Jh. entlehnt aus lat. (membrum) genitale 'Geschlechtsorgan' (zu genitalis 'zur Zeugung, zur Geburt gehörig; zeugend, befruchtend', zu gignere 'erzeugen', Part. Perf. genitum; —» Genus). Zunächst als Terminus der medizinischen Fachsprache, dann auch bildungsspr. in der Bed. 'männliches bzw. weibliches Geschlechtsorgan' (vgl. Penis, Vagina], meist im Pl. verwendet, z. B. äußere und innere Genitalien, Entwicklung, Verstümmelung der Genitalien, Griff an die Genitalien, die Genitalien entblößen, vereinzelt übertragen (s. Beleg 1789). Dazu gleichzeitig vereinzelt gebucht, erst seit früherem 19. Jh. häufiger belegt die aus lat. genitalis (s. o.) entlehnte, überwiegend adv. verwendete adj. Ableitung genital 'die Geschlechtsorgane betreffend, zu ihnen gehörend, von ihnen ausgehend', in Wendungen wie stark genital ausgerichtete/fixierte Sexualität, genital verstümmelte Mädchen, genitaler Kontakt, genitale Reife, Untersuchung, Infektion und bes. der (von S. Freud geprägte) Terminus der Psychoanalyse genitale Phase 'mit der Pubertät einsetzende Phase in der sexuellen Entwicklung, die zu der für den Erwachsenen endgültigen sexuellen Ausprägung führt, ödipale, phallische Phase' (vgl. orale, anale Phase), meist als Bestimmungswort in subst. Zss. wie Genitalbereich 'Körperregion, Bereich des Körpers, in dem die (äußeren) Genitalien liegen', -erotik 'Interesse an den eigenen Genitalien als Lust verschaffende Organe (im frühkindlichen Entwicklungsstadium); (ausschließliche) Ausrichtung der erotischen Wünsche auf den Genitalbereich', -apparat, -organ, -trakt, -zone, -beschneidung, -Verstümmelung, -infektion, -sekret, -schmuck, -zyklus 'Zyklus der Reifung der Eizelle, ihrer Freisetzung in die Gebärmutter und ihrer Ausstoßung, wenn keine Befruchtung erfolgt ist' (—> Menstruation), auch in adj. Zss. wie genitalbetont, -bezogen, -gelenkt, -fixiert, -erotisch; oralgenital und in der Präfixbildung prägenital. Dazu seit frühem 19. Jh. die adj. Ableitung genitalisch 'sich auf das Genitale beziehend, dazu gehörend', vereinzelt auch in adv. Verwendung in der Bed. 'von der Abstammung her' (s. Beleg 1880), seit Anfang 20. Jh. die subst. Ableitung Genitalisierung F. 'Fixierung, Reduzierung (der Sexualität) auf die Geschlechtsorgane' und die subst. Ableitung Genitalität F. (-; ohne Pl.) als Terminus der Psychologie 'Geschlechtsbezogenheit, Geschlechtlichkeit; mit dem Erreichen der genitalen Phase beginnende Stufe der menschlichen Sexualität', z.B. männliche/weibliche Genitalität. Genital(e): Haller 1723-27 Tagebücher 66 In präparatis aber hatte er die Genitalia der Bärin; Zedler 1735 Universallex. X 876 daß die Genitalia mit dem Hals und Kopffe, eine nicht geringe Connexion und Consensum haben, welches unter ändern auch beym Anfange der Pubertät zu sehen, da, sobald die Genitalia in ihre Function treten, am Halse und Gesichte sich merckliche Veränderungen äussern; Lenz 1775 Gedichte 91 Das Zeichen/ Von einer großen Seele, die durch nichts/ Aus ih-
rem Gleis gerückt, des Tageslichts/ Mit Freudigkeit entbehrt, kann sie von Idealen/ Die Genitalien nur mahlen (DiBi 125); 1780 Sehr. d. Berlin. Ges. naturforsch. Freunde l 371 Der Vater hat immer, nach jedermanns Zeugnis, auch vor seinem Ehestande, einen unbescholtenen Wandel geführt, und hat jederzeit viel Einsicht und Verstand gezeigt. Er hat auch, so wie seine Frau, natürliche, gesunde und wohl proportionirte Genitalia, und beyde haben zur gewöhnlichen Zeit die Zeichen ihrer Mann-
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Genitale
barkeit bekommen; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 55) Die Dichtung, und die Geschlechterschaffung der Sprache sind also Intereße der Menschheit, und die Genetalien [!] der Rede gleichsam das Mittel ihrer Fortpflanzung; Hufeland 1795 Pathogenic 189 topische Schwächung der Genitalien; Schopenhauer 1819 Welt I 129 die Genitalien [sind] der objektivirte Geschlechtstrieb; Puchelt 1826 System d. Med. l 478 In den Genitalien ist die Beförderung der Schleimabsonderung niemals Kuraufgabe; Goethe 1829 Br. (WA IV 46,60) Was von den Eingeweiden, den Genitalien und sonst . . zu Gute gemacht werden kann, ist in Brandwein aufzubewahren; Hufeland 1836 Ench. med. 331 Reizung der Genitalien mit mangelnder wahrer Befriedigung; Kühn 1843 Mark. Sagen 369 Das Fell wird vertrunken und die Genitalia des Stiers werden auf der Diele aufgehangen (DiBi 125); Panizza 1893 Visionen 263 Der mons Veneris ist stark behaart und bedeckt auf den ersten Anblick die eigentliche Bildung der Genitalien (DiBi 125); Freud 1910 Kindheitserinn. (Studienausg. X 97) von Leonardo besitzen wir . . nur einige anatomische Zeichnungen über die inneren Genitalien des Weibes; ebd. 98 Anm. Das männliche Genitale hingegen hat Leonardo viel korrekter dargestellt; Licht 1925 Liebe 184 Wenn man unter Exhibitionismus die ostentative Entblößung der Genitalien vor Personen des eigenen oder anderen Geschlechts versteht; Moreck 1928 Liebe 326 daß selbst bei denen, die vor dem Geschlechtsakt noch zurückschreckten, doch die gegenseitige Berührung der Genitalien gang und gäbe war; Döblin 1929 Alexanderplatz 27 Durch den von ihr [von der Keimdrüse] bereiteten Stoff wird der gesamte Sexualapparat von der Hirnrinde bis zum Genitale geladen; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 574) das zwar unerbittliche, aber weit mäßiger temperierte Denkertum Kants, dem die furchtbar geistreichen Spannungen von Schopenhauers Kontrastwelt mit den Polen des Gehirns und der Genitalien durchaus fremd waren; Grass 1962 Blechtrommel 387 während die garstigen, aber nicht kunstlosen Jungfrauen recht sorgfältig meinen Kopf, die Glieder, den Buckel nachbildeten, mein Geschlechtsteil jedoch aus merkwürdiger Scheu heraus entweder vernachlässigten oder albern stilisierten, verschwendeten die lieblichen, großäugigen, zwar schönfingrigen, dennoch ungeschickten Jungfrauen wenig Aufmerksamkeit an die gegliederten Maße meines Körpers, aber allen Fleiß an die haargenaue Nachbildung meiner ansehnlichen Genitalien; Jaeckel 1971 Lex. d. Erotik o. S. die oral-genitalen Kontakte der Tiere sind instinktive Reaktionen, die vor allem durch den Geruch der Genitalien ausgelöst werden und zur Steigerung der beiderseitigen Erregung und Begattungsbereitschaft dienen; taz
27. 10. 1990 Die Beschneidung des weiblichen Genitals wird bis heute in vielen Ländern Asiens und Afrikas praktiziert; Berl. Ztg. 5. 12. 2006 Das Bild, auf dem eine verstümmelte, von einem mächtigen Genital penetrierte Frau zu sehen ist. genital: Wächtler 1709 Manual 145 Genitalis . ., z. E. Partes genitales, die Geburts-Glieder; Zedler 1735 Universallex. X 876 Genitalis, was zu einem oder ändern Geschlechte gehört, wird von denen Geburts-Gliedern beyderseits Geschlechts verstanden; Esquirol 1838 Geisteskrankheiten (Übers.) I 178 Diese Varietät, die man Genitalepilepsie (epilepsie genitale) nennen kann, ist bei den Frauen häufiger; Hartmann 1869 Philos. d. Unbewussten 158 Ein zweiter repulsiver Instinct ist die Scham; dieselbe bezieht sich so ausschliesslich auf die Genitalsphäre, dass diese Körpertheile sogar nach ihr genannt werden; 1912 Imago I 8 insbesondere fehlt ihr [der kindlichen Sexualität] die innige Beziehung zur Genitalzone; 1919—20 Süddtsch. Monatsh. XVII 1,31 die Zunahme der Genitaltuberkulose; 1926 Imago XII 408 nachgewiesen zu sein, daß das „Sexualempfinden" . . unabhängig von der Genitalreife .. bestehen kann; Mitscherlich 1947 Ursprung d. Sucht 64 Ein direktes Überspringen von genitalen Triebhandlungen auf den Mundbereich komme zwar (etwa mit Coitus per os) als erotische Grenzsituation vor; ders. 1956 Entfaltung d. Psychoanalyse 59 Hier setzt er die Möglichkeit einer Sublimierung von genitaler Libido voraus, und in dem zuerst erwähnten Zitat stellt er fest, daß sowohl die prägenitale wie die genitale Libido sublimiert werden können; FAZ 16. 3. 1970 das „männliche Genital-Tabu"; Sloterdijk 1983 Kritik 541 Das Mirakel der Psychoanalyse ist, wie sie alle ihre Gegenstände — dieses Orale, Anale, Genitale — so seriös verzaubert; Mannh. Morgen 23. 3. 1985 die genitale Chlamydieninfektion, die sich etwa durch Ausfluß, Juckreiz oder Brennen beim Wasserlassen bemerkbar macht; ebd. U. 7. 1986 Weg zur Behandlung des gefährlichen Genitalkrebses bei Frauen; taz 16. 6. 1988 seine vielfach oral und genital penetrierten Körper-Details nennt er „Erotomechanics"; ebd. 9. 6. 1992 Ungeschützter promiskuitiver Geschlechtsverkehr verursacht genital übertragene Multiinfektionen, die in ihrer Summe das Immunsystem massiv belasten; Spiegel 15. 11. 1993 Das genital fixierte Konzept (auf einen alle erogenen Zonen umfassenden Ganzkörperanzug wurde verzichtet) nennt der Computerfachmann „Nintendo für Erwachsene"; taz 10. 3. 1998 Nach der normativen Freudschen Sexualtheorie ist die erwachsene Genitalerotik auf Personen des anderen Geschlechts gerichtet; Mannh. Morgen 31. 5. 2000 Bolokoli, so wird im westafrikanischen Mali die Mädchenbeschneidung genannt. Frauen
Genitale werden im Kindesalter genital verstümmelt; ebd. 6. 3. 2004 Genitalverstümmelung gibt es nicht nur im Islam, sondern auch in Naturreligionen. genitalisch: 1816 Mag. f. d. Neuesten Entdeckungen i. d. ges. Naturkunde VH 232 Sehr verschieden ist also der Bau dieser Genitalien von denen des weiblichen Spuhlwurms, und es ist wohl schwer zu bestimmen, welchen Nutzen das hintere in den Darmkanal sich endigende genitalische Gefäss bei der Geschlechtsfunktion dieses überhaupt so interessanten Thieres haben mag; Klein 1866 Gesch. d. ital. Dramas II 390 [deren/dessen] Virtuosität den literarischen, ob solcher genialisch-genitalischen Schöpfung staunenden Janhagel in Entzückung versetzt, und die Affen der ästhetischen Kritik zu lobpreisend-enthusiastischer Selbstbefleckung kitzelt; Kuntze 1880 Excurse üb. Rom. Recht 363 die Stücke einer Heerde, die schon genitalisch und wirtschaftlich eine Einheit bilden; Bastian 1895 Ethn. Elementargedanken 139 Der Esel war dem Priapus geweiht (wie der Fruchtbarkeitsgöttin Niriti in Indien) und trägt einen Weinkrug am Zeugungsglied (des urino-genitalischen Apparats) im Gefolge des Dionysos (von Silenos geritten); Heer 1958 Land 141 Wer sich an Mozarts Freude an Obszönitäten, an genitalischen Kraftworten und Tonspielereien, etwa an der textlichen Urfassung des Kanons Köchelverzeichnis 231 und 233 — Variationen über das Zitat aus Götz von Berlichingen, den handgreiflichen Scherzen mit dem Augsburger Bäsle - stößt; Kühle 1967 Theater 740 Das Stück ist scheußlich, wenn man nur die Ereignisse in ihrer abstrusen Abwicklung ansieht. Aber es wurde von einem Kenner der Dinge geschrieben. Bruckner ist ein Spezialist dieses Genitalischen; Ruthe 1974 Partnerwabl 164 Diese . . zivilisierten Formen sind ihrer Meinung nach aber Beeinträchtigungen der genitalischen Liebe (DUDEN 1999); Mannb. Morgen 27. 2. 1988 man könne an diesen Gestalten „nur das Genitalische, nicht aber das Genialische" erkennen; Berl. Ztg. 27. 4. 2001 als genitalisches Vorzeigetheater konnte es [das Theaterstück] auch nicht interessieren. Genitalisierung: Stekel 1908 Nervöse Angstzustände 382 Unter Genitalisierung einer Körperpartie versteht er . . die periodisch gesteigerte Hyperämie; Nunberg 1932 Allg. Neurosenlehre 323 Genitalisierung von Organen (Überschr.); Wyss 1950 Surrealismus 63 da die Gewalten noch jenseits einer spezifischen 'Genitalisierung' wirken, es sind Urbilder Archetypen schlechthin; Balint 1959 Angstlust 25 eine retrospektive, im ErwachsenenAlter erfolgende sekundäre „Genitalisierung" einer ursprünglich nicht-genitalen Funktion; taz 29. 3. 1994 die Rede von Joan Murphy, die die „Patholo-
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gisierung", „Normierung" und „Genitalisierung" weiblicher Sexualität beklagte; Züricher Tagesanz. 28. 2. 1996 Einfach gesagt fand in den siebziger Jahren eine sogenannte Genitalisierung der Sexualität statt, das heisst eine Fixierung auf die Geschlechtsteile; Merkens/Zinnecker 2004 Jahrb. Jugendforschung 134 ein motivationaler Differenzierungsprozess, der sich . . durch die Genitalisierung der erotischen Wünsche . .; aber auch im sozialen Wunsch nach Anerkennung zum Ausdruck bringt. Genitalität: Lewandowsky 1919 Prakt. Neurologie 322 Wobei er jedoch 'Sexualität' in einem erweiterten Sinn versteht, der nicht mit dem engeren Begriff der 'Genitalität' verwechselt werden darf; Reich 1927 Funktion d. Orgasmus 18 Unter der orgastischen Potenz werden wir die Fähigkeit eines Menschen verstehen, zu einer Befriedigung zu gelangen, die der jeweiligen Libidostauung adäquat ist; ferner die Fähigkeit, weit häufiger zu dieser Befriedigung gelangen zu können, als den Störungen der Genitalität unterworfen zu sein, die auch beim relativ Gesündesten den Orgasmus gelegentlich stören; Kunz 1946 Psycholog. Analyse d. Phantasie 258 Die — wörtlich genommen — stumpf-sinnige Behauptung, die Geschlechtsliebc sei 'nichts anderes' als 'sublimierte Sexualität', bedarf sowenig einer Widerlegung wie die andere, die Genitalität sei ihre einzige Quelle — mindestens ebenso wichtig, wenn nicht entscheidender ist die autonome, ihren eigenen Ursprung besitzende Zärtlichkeit; StuderSalzmann 1962 Beitr. z. Diagnostik 175 Die IchEntwicklung, welche mit der Triebentwicklung bis zu einem gewissen Grade parallel geht, deutet an, daß sie bis zur Genitalität vorgedrungen ist; Mitscherlich 1971 Versuch o. S. die Abbremsung der fortschreitenden Vereinheitlichung sexueller Befriedigungen im „Primat der Genitalität" durch traumatische Ereignisse oder traumatisierende Dauerbeeinflussung gab den Schlüssel für die Erklärung krankhafter Zustände der verschiedensten Art; taz 28. 10. 1986 Offenkundiger Mangel ihrer aus vorpatriarchaler Zeit abgeleiteten Forderung nach offensiver weiblicher Genitalität heute: damaligen Frauen, insbesondere den als Huren bezeichneten Priesterinnen wurde besonders Ehrfurcht entgegengebracht; Frankf. Rundsch. 24. 8. 1998 Ein hübsches polytonales und mikrorhythmisches Balzen der beiden Stockhausen-Musen hob da an, zu dem die auf männliche und weibliche Genitalität zugeschnittenen Kostüme bestens paßten; Itta 2007 Religiosität 48 Die echte Genitalität, die von der Psychoanalyse als ein Hauptmerkmal der gesunden Persönlichkeit genannt wird, kann sich erst jetzt voll entwickeln.
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Genius
Genius M. (-; Genien, selten Geniusse), im 16. Jh. entlehnt aus lat. genius, in der altröm. Mythologie '(Zeugung, Geburt und Leben) beschützender Geist; Zeugungskraft, Schutzgottheit des Mannes (entspr. Juno als dem weiblichen Gegenstück)' (zurückgehend auf genere, gignere '(er)zeugen, hervorbringen, schaffen', vgl. spätlat. genius 'schöpferischer Geist, Schöpfergeist, Begabung', —>· Genie; vgl. Ingenium, —»· Ingenieur, —> genial, —» Genus), bis ins 18. Jh. in lat. (flekt.) Form, in der Pl.-Form Genien, vereinzelt auch Genies, konkurrierend mit dem PL von —> Genie Ib (s. la, Ib). la Zur Zeit des Humanismus übernommen in der Bed. 'das dem Menschen (bei seiner Geburt mitgegebene) beschützende göttliche Wesen, die den Menschen leitende göttliche Macht, (guter oder böser) Geist, Naturgeist, Schutzgeist/-engel', in Wendungen wie sein/mein (guter) Genius hat ihn/mich beschützt, von einem (göttlichen) Genius regiert/beschützt/gelenkt werden, seinem Genius folgen, der schützende, rettende, freundliche, helfende Genius, ein guter Genius wacht (über uns), des Lebens Genius, Genius des Tages/der guten Stunde, Genius der Menschheit; Traumgenius, gelegentlich negativ gedeutet neben —»· Dämon, vgl. den philosophischen Terminus Genius malignus 'böser Geist'; speziell auch zur Bezeichnung weiblicher schützender, inspirierender Gottheiten (s. Belege 1780, 1876; —» Muse), z.B. Genien der weiblichen Tugenden, Genien und Grazien, Parzen, Feen, auch übertragen auf Menschen (s. Belege 1577, 1793-1811, 1800.1, 1807, vor 1813, 1889), z.B. er ist mein guter Genius, die Hausfrau waltet/wirkt als guter Genius des Hauses, sie erschien ihm als ein wohltätiger Genius, oft allegorisch verwendet zur Kennzeichnung der (Eigen-)Art, des Wesens allgemeiner abstrakter (innerer) Wirkungsprinzipien (s. Belege 1787, 1799.1, 1800.2, 1835), z.B. Genius der Freundschaft, Liebe, Jugend, Wahrheit, Literatur, Poesie, Kunst, Arbeit, was Wissenschaft und Kunst hervorbringen ist Werk des Genius, in weiterer Bed. insbes. auf Orte bezogen für 'die bestimmende, herrschende Atmosphäre, der innewohnende unverwechselbare Charakter, das dominierende Wesen, der ausstrahlende Geist' (s. Belege 1593, 1772.1, 1779, 1871, 1893, 1901, 1930, 1954, 2005; -» Magie), v. a. im lat. Syntagma Genius loci, auch bezogen auf Sprache zur Kennzeichnung ihrer eigentümlichen Art, Besonderheit (s. Belege 1693, 1709.1, 1767, 1772.3, 1792-97, 1797.1; -» Genie 1 a), z. B. Genius der französischen/deutschen/englischen Sprache; Sprachgenius, seit Ende 17. Jh. zur Kennzeichnung des Wesens einer bestimmten Zeit, Epoche, eines Jahrhunderts (s. Belege 1692, 1751, 1784.1, 1797.2, 1954), bes. im lat. Syntagma Genius saeculi (vgl. frz. le genie du siede) bzw. temporis 'Zeitgeist', vgl. auch Wendungen wie Genius der Alten, des Jahrhunderts, Augenblicks, der finstere Genius der Vergangenheit, milder Genius der Zukunft, sowie bezogen auf Länder und Völker (s. Belege 1772.2, 1797-99, vor 1832, 1852, 1916, 1924; -»· Mentalität), z.B. Genius des Volkes, deutscher Genius, der Genius Frankreichs. Ib Seit Ende 17. Jh. (von l a her) als Terminus der bildenden Kunst (bes. Malerei und Bildhauerkunst) und Literaturwissenschaft, häufig im PL, im Sinne von '(meist in der Form eines geflügelten Kindes, häufig eines Knaben) einen Schutzgeist darstellende gemalte oder gemeißelte Figur; Tugenden, Künste, abstrakte Begriffe u. ä. verkörpernde allegorische Figur' (vgl. Amorette, Erote, —» erotisch, Putte), vgl. Wendungen wie eine Münze mit einem geflügelten Genius auf der Vorderseite, auf dem Bild waren zwei tanzende Genien abgebildet, von zwei anbetenden Genien flankiert. 2 Seit Ende 16. Jh. selten, ab Mitte 18. Jh. kontinuierlich belegt in der auf menschliche Eigenschaften, Fähigkeiten übertragenen Bed. 'außergewöhnliche künstlerische, schöpferische Begabung, überragende Geisteskraft, höchste geistige Fähigkeit'
Genius
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(—» Genie la, —» Talent), in Wendungen wie die Kühnheit ihres Genius, Genius eines großen Dichters, sein Genius vermag große Dinge zu vollbringen, Genius und Talent, Raphaels Genius, sowie auf Personen als Träger dieser Charakteristika übertragen in der Bed. 'Mensch mit überragenden künstlerischen Fähigkeiten, mit großer schöpferischer bzw. geistiger Kraft, hochbegabter Mensch' (s. Belege 1780, 1837, 1916; —» Genie Ib), in Wendungen wie der Genius Bach, er war ein poetischer Genius, diese Epoche hat mehr als einen Genius hervorgebracht, in Zss. wie Kunst-, Dichter-, Schöpfergenius, in jüngster Zeit auch allgemeiner, z. B. mit Bezug auf Fähigkeiten auf einem bestimmten Gebiet, z. B. er ist ein Fußball-Genius, Golf-Genius 'ein ASS'. Genius la: Franck 1541 Spr. l 21 hab acht uff dich selbs und auf dein genium, das ist auf die salbung in dir, so würstu, mit dem du handelst, redest oder vor dem du stehst, ansehen und dein herz wirt dirs sagen, wie er gegen dir gesinnt (DWB); Agricola 1560 Sprichw. 180 der gute genius füret in zum guten, der bös zum bösen (DWB); 1564—66 Zimmer. Chronik II 619 Darumb in der nacht oder in aller früe knüpft er sein girtel an den block und hankt sich also sitzend oder ligendt. Wol zu achten, es hab der bös genius und feindt mentschlichs geschlechts sein behelf auch darzu gethon; Fischart 1577 Trostb. (W. Ill 89) Darum vil gemaint haben, das ich entweder selber ain guter Genius seie, oder stäts ainen mit mir bringe (RÜTTER); 2593 Wagnerbuch 79 darnach fragten sie auch nach dem genio, oder Götzen, in welches Schutz die Stadt war, wie derselbe hiesse; Wedel vor 1609 Hausbuch 490 dass die fürsten ihre genios haben . ., die sie zu sonderbaren phantasien, lust oder unlust anreizen und treiben; Dannhauer 1667 Scheid-Brieff 16 Pabst Leo ist längst gestorben/ aber sein genius vnd Geist seines Staats ist noch nicht todt; Grimmelshausen 1669 Simpl. Ill 188 indem ich mich in selbigen tods-ängsten dermaßen umbsahe, erblickte ich meinen genium zunechst bei mir, welcher mich . . erinnerte, ich sollte ein besser herz fassen (DWB); Thomasius 1688 Monats-Gespräche 328 Ich glaube/ des Herrn Poirets sein genius hat ihm den Stul unter dem Leibe weggezogen; 1689 Polit. Fliegenwedel l 93 Dann solche Genii, welche zu den Stuffen der Reichs-Thronen geschickt und tauglich seyn sollten/ müssen in etwas mehrerm/ als in dem Säbel gegen den Feind zu führen/ unterrichtet seyn; Tentzel 1692 Unterredungen 214 das sechste mittel lehret, sich nach der zeit oder dem genio saeculi richten, ein iedwedes saeculum habe seinen genium oder neigung (DWB); 1693 Wohlgemeyntes Bedenken 14 so wird mir nimmer kein Kerl recht und rein Latein lernen/ alldieweil er aus seiner Mutter-Sprach übersetzet; sondern dann allererst/ wann er diese gantz aus den Augen setzet/ und nun ohne Anschlagung dieses Instrumentes/ immediate die Latinität gantz ei-
gen angreiffet/ sich darein immergiret/ und dessen innerliche Krafft und genium gleichsam in sich zeucht; Vischer 1709 Informator 89 Ein jede Sprache hat ihren eignen Genium und Art; Wächtler 1709 Manual 145 Genius, ein Geburts-Engel/ . . z.E. seinen genio indulgiren/ it. wollüstig leben; contra: seinen genium defraudiren/ it. karg und genau leben; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 276 Genius, ein Natur-Geist, welcher, nach der Meynung der Heyden, den Menschen von der Geburt an zugestellet wird; ein Schutz-Gott, Schutz-Engel; Zedler 1735 Universallex. X 877 Man glaubete, dass so bald ein Mensch gezeuget, oder doch gebohren werde, alsofort auch zween Genii demselben zugegeben würden; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien Reihe II 10,351) Es ist deme so: der Genius oder die Art unserer Zeit ist für diese Sache sehr bequem; Herder 1767 Dtsch. Literatur (S. W. l 20) Der Genius der Sprache ist also auch der Genius von der Literatur einer Nation; Lessing 1767—68 Dramaturgie II (S. Sehr. X, 79) die größesten Männer, dazu gebohren, die schützenden Genii eines Throns, die Wohlthäter ganzer Völker und Zeitalter zu seyn; Lichtenberg 1768 Aphorismen I 139 Wo wir jetzo sind das weiß unser guter Genius, wir wissen es nicht; Smollet 1772 Klinkers Reisen (Übers.) Ill 10 Genius loci; 1772 Frankf. gel. Anz. 49 vaterländischer Genius; Heynatz 1772 Br. III 11 Genius der deutschen Sprache; Goethe 1773 V. dtsch. Baukunst (WA l 37,141) Hat nicht der seinem Grab entstiegene Genius der Alten den deinen gefesselt, Wälscher!; Schubart 1774 Dtsch. Chronik 560 Aus den Trümmern ihres zerfallenen Ordens steigt ihr Genius empor, und flammt als Meteor am Himmel; Hirschfeld 1779 Gartenkunst I 134 Diese drey Werke sind allein hinreichend, den Genius der Gärten wegen der Beleidigungen der vorigen Zeit, die er in Frankreich empfieng, wieder auszusöhnen; La Röche 1780 Herz 296 Das Beste der katholischen Kirche, das Bild der Mutter der Liebe, die Schutzengel, schöne, heilige Nonnen wie Theresia sind doch nur Nachahmungen der Venus, der Genien und der Vestalen; Schlettwein 1784 Archiv VII 7
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wann besonders die Churfürstlichen Käthe und Diener von dem leichtsinnigen Genius des Jahrhunderts hingerissen; 1784 Berlin. Monatsschrift IV 130 Traumgenius; Bürger 1786 Münchhausen 92 Endlich aber erschien der . . Abend, an dem ein heiteres Lächeln, mit dem er die Aufforderungen seiner Freunde anhörte, die sichere Vorbedeutung gab, daß sein Genius ihm gegenwärtig sei und ihre Hoffnungen erfüllen werde; Matthisson 1787 Schweiz (U 187) Die ungeschminkteste Lobrede auf den Doktor Hoze, diktiert vom Genius der Freundschaft, und gut geheißen vom Genius der Wahrheit; Hölderlin 1788-93 Hymne an d. Genius Griechenlands (Titel); Meissner 1789 Erzählungen III 150 ein böser Genius; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 53) jede Sache hat ihren Genius, ihren Geist, und dass es bei Griechen und Morgenländern eben so gewesen, zeugt ihr ältestes Wörterbuch und Grammatik; Herder 1792—97 Br. Anhang (Ges. W. XV1I1 333) das ist bekannt, daß es in Europa kaum zwei nachbarliche Nationen gebe, die im Charakter, in Geist, Sitten, dem Genius der Sprache,. . gegen einander stärker contrastirten, als Franzosen und Deutsche; ders, 1793 Br. (Ges. W. XVII 77) Ist er [der Geist der Zeit] ein Genius, ein Dämon?; Seume 1793—1811 Kl. Sehr. (W. U 232) Nero war gewiß kein so scheußliches Ungeheuer und Titus kein so tadelloser wohltätiger Genius, als uns die Geschichte sagt; Goethe 1794 Br. (WA IV 10,193) Haben Sie Dank für die Zusage kommen zu wollen. . . Vielleicht besucht uns Herr v. Humboldt einmal, vielleicht gehe ich mit Ihnen zurück. Doch wollen wir auch alles dieß dem Genio des Tags überlassen; ebd. IV 10,209 Daß Herr v. Humboldt mit unsern Homerischen Unterhaltungen zufrieden ist, beruhigt mich sehr. . . Biß jetzt hat noch immer ein guter Genius über unsere Stunden gewacht; ders. 1794 Tageb. (WA HI 10,198) Gold, Silber, Metall und Pracht .. Es ist dies überhaupt der Genius des Catholischen äussern Gottesdiensts; ders. 1795 — 96 Lehrfahre (WA I 21,316) Wie segnete Wilhelm seinen Genius, der ihm so unvermuthet den Abgrund zeigte, dessen Rande er sich unschuldigerweise genähert hatte; Bürger 1796 Gedichte (S. Sehr, l 22) Unermüdet will er dienen, Deines Lebens Genius, Und erforschen aus den Mienen Wohlgefallen und Verdruss; ders. 1797 S. Sehr. HI 161 Nichts als Nachahmungssucht, verdammte Nachahmungssucht! hat uns auch hier wieder von der Natur angezogen, und gegen den Genius der Sprache empöret; Hufeland 1797 Kunst 391 Genius seculi; Hölderlin 1797-99 Hyperion (S. W. Ill 121) O Genius meines Volks! o Seele Griechenlands!; ders. 1799 Emilie (S. W. 1,1 295) Zwei Genien geleiten auf und ab Uns Lebende, die Hofnung und der Dank; Herder 1799 Verstand XXI 42 Und wenn die Genien aller
Zeiten zusammenträten und ihre Mühe verbänden; ders. 1800 Kalligone II 208 f. wer in Wissenschaft erfindet, bringt eben sowohl etwas eigenthümliches neues aus sich hervor, das er nicht lernte (sonst hätte ers nicht erfunden), als der dichter, und je wichtiger, je umfassender und größer dies neue war, principien der gesammten naturphilosophie z. b., die der erfinder im anschauenden blick vor sich sah, desto mehr ward er ein genius der Wissenschaft, die durch ihn ward, vom lerner und nachahmer specifisch verschieden (DWB); ebd. H 224 was irgend durch menschliche natur genialisch hervorgebracht oder bewirkt werden kann, Wissenschaft und kunst, einrichtung oder handlung, ist werk des genius, der jede anläge der menschheit zu erwecken und zu ihrem zweck zu fördern eben genius ist (DWB); v. Cölln 1807 Vertraute Br. II 41 Peter, dieser kraftvolle genius für Russlands erste bewegung, der gott, welcher in der dicken finsternis . . aussprach: es werde licht! (DWB); Fischer 1809 Günstling 54 Ob sie sich Vorbilder wählten, oder nur ihrem Genius folgten?; Goethe 1809 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,37) Dichtungsart, welche sehr an der Tagesordnung war . . jedermann gefiel sie, weil der gewöhnliche Gegenstand derselben irgend ein täppischer Mensch war, den die Genien zum Besten hatten, indem sie den besseren begünstigten; 1810 Almamach a. Rom 1 140 Reich an Männern von grosser Kraft hatte dieser Staat doch nie noch . . einen Genius von dieser Art hervorgebracht; Wieland vor 1813 S. W. XXII 315 Wenn die guten Fürsten Geniusse sind, die in menschlichen Gestalten unter uns das Götteramt verwalten; Matthisson 1815 Ged. 11 süß ists, am wogensturz in Tiburs hain, wo Flaccus oft, entflohn den schattenchören, im mondlicht wandelt, bei Albanerwein den genius der vorweit zu beschwören (DWB); Goethe 1827 Br. (WA IV 52,190) Bekenntniß . . daß ich, durch guter Geister fördernde Theilnahme, mich wieder an Faust begeben habe, und zwar gerade dahin, wo er, aus der antiken Wolke sich niederlassend, wieder seinem bösen Genius begegnet; Voss 1831 Zeitmessung 105 Sprachgenius; Goethe vor 1832 Tabulae votivae (WA I 5.1,310) Deutscher Genius; Heine 1835 Romant. Schule 179 Aber welch ein liebliches Gedicht ist die „Undine"! Dieses Gedicht ist selbst ein Kuß; der Genius der Poesie küßte den schlafenden Frühling; 1844 Brockhaus VI 63 Jupiter selbst hieß Genius des Mannes, Juno Genius der Frauen; Burckhardt 1846 Br. III 21 der „Genius" der guten Stunde; 1852 Prutz' Museum I 776 Das Directorium, der Rath der Fünfhundert und der Alten wurden den Franzosen nachgerade langweilig — sie brauchten einen 18. Brumaire und einen Napoleon, der den stagnirenden Genius Frankreichs wieder in Fluß brachte; Hornberger 1867 Essays 23
Genius Mit ehrfurchtsvollem Bangen, mit stillem Entzücken horchen wir, wenn der Genius uns von dem dunklen Drang der Jugend, von dem geheimnißvollen Walten einer nach Gestaltung ringenden Naturkraft erzählt; Fontäne 1871 Kriegsgef. 274 genius loci; Schmidt-Weißenfels 1876 Freiltgrath 17 wie eine rothe Flamme,/ Bei deren Lodern/ Nachts ein Dichter seinem Stamme/ Von Genien und Feen erzählt am rothen Meer; Kürnberger 1877 Herzenssachen 224 Volksgenius; 1889 Unsere Zeit 414 Die verheirathete Frau war der „Genius des nordischen Hauses" mit Schlüsselbund und weißer Schürze; Hansjakob 1891 Schneeballen l (IV 38) Da gibt's keinen Schulzwang und der Genius der Kindheit kann seine Fittiche frei entfalten durch den ganzen, langen, lieben, ewigen Sonntag; Fulda 1893 Hochzeitsreise 139 Genius des Ortes; Polko 1895 Hell u. Dunkel 275 Sie darf kein Küchengenius in einer Atmosphäre von Bratenduft sein, nur ein guter Hausgeist; Willmann 1897 Gesch. Ill 772 er ist gleichsam der schützende Genius, der leitende Geist, der von den Stammvätern hinterlassen wurde, der belebende Hauch des Ganzen als solchen; Voss 1901 Fra Checco 151 Aber der mörderische Genius loci war ja nicht die Malaria, sondern Schwester Maddalena!; 1916 Schwed. Stimmen 97 aus den flatternden Falten der Fahne winkt der Genius Frankreichs, der Genius des Sieges und der Ehre; 1918 Deutschland u. Katholizismus II 244 Wird Gott der Menschheit des 20. Jahrhunderts einen neuen religiösen Genius erwecken?; Th. Mann 1922 V. dtsch. Republik (W. XI 839) wie verhält sich die Romantik zum modernen Handelsgeist, zum Geiste des internationalen Verkehrs? Doch am Ende nicht smart? Doch am Ende nicht wie ein demokratischer Whitman, der den komplizierten Geschäftsgenius unserer Tage „nicht den geringsten unter den Geniussen" nennt?!; Werfet 1924 Verdi 173 Ein Naturgesetz, durch den italienischen Genius verwirklicht und offenbart; Voss. Ztg. 20. 2. 1930 Voller Romantik spuken in der bekannten classischen Erzählung Wilhelm Hauffs aus den uralten Weinfässern des Bremer Ratskellers die Geister der Vergangenheit. War es dieser genius loci, der aus den Weingläsern eines Festbanketts der „Schaffermahlzeit" der Bremer Handelsherren und Schiffahrtskreise den Geist einer vergehenden Wirtschaftsauffassung heraufsteigen ließ?; Uexküll 1936 Welten 177 Die Entlassung Bismarcks, in dem er den altrömischen Genius verkörpert sah, schmerzte ihn tief; Armbruster 1952 Lux 57 Dem höchsten Augenblick klopfte das Herz entgegen, wann immer der Pfarrherr . . sich erhob, um am Klavier dieses oder jenes Stück aus der Sphäre zu intonieren, in welcher der protestantische Genius am großartigsten sich ausgesprochen hat; Süddtsch. Ztg. 26. 4. 1954 Wird der genius loci der
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„Gruppe 47" ähnliche Anfechtungen ersparen, nachdem schon der genius temporis (= Zeitgeist) sie im Zug des Deutschen Wunders an so lukrativen Ort verlockte?; 1956 Akzente 520 Vom Genius der Komik dirigiert, vermochten die guten und bösen Mächte freimütig zu agieren; taz 29. 9. 1986 Noch schwebten insgeheim Reste des genius loci in der Nürnberger Frankenhalle: Schließlich hatte am selben Ort zuvor die SPD eine großartige Revue der Geschlossenheit inszeniert; ebd. 14. 6. 1995 Lindemann geht es immer darum, den genius loci eines Ortes für eine künstlerische Auseinandersetzung zu nutzen; Süddtsch. Ztg. 9. 11. 2005 Im Weimarer Wohnhaus Schillers . . sucht man vergebens nach dem genius loci, so kleinbürgerlich beengt und niedrig gehängt ist hier alles. Genius Ib: 3690 Hochb. Augsb. 84 Ein Genius, welcher der Künste Königin freundlich umfasset; 1702 Monatl. Auszug Mai 46 Auf der Müntze stehen zwey Genii, einer mahlet/ der andre hauet ein Bustum aus; Decker 1711 Baumeister l Vorr. Bb zwey Genii mit feurigen Schwerdten und Schilden; Zschackwitz 1723 Karl VI. 685 eine TriumphsPfortc und hohe Schau-Bühne/ auff der sich Ihro Kayserlichen Majestät Bildnüß auf einem Pferde sitzend praesentirte/ so von allen Geniis Dero Königreiche umgeben und gezieret war; Eggers 1757 Kriegslex. I 1033 Genies, sind nackte Engelchen, oder Kinder mit Flügeln, welche vielfach zu Bauzierden entweder gemalet, oder in bas relief gemacht, oder auch völlig ausgehauen werden, und auf Tugenden, Leidenschaften, Jahrzeiten etc. sich beziehen; Winckelmann 1763-68 Kunst (III 21) die beiden Genii . . Schlaf . . und . . Tod; 1782 Hamb. Musenalmanach 173 Der Tod, ein schöner Genius, Wie Mengs ihn malt, in seinem schönsten Bilde, Gab meinem Lessing einen KUSS, Und sagte: Komm! ins selige Gefilde; Hirschfeld 1782 Gartenkunst IV 217 lieber dem Eingange des Tempels, der sich gegen Mittag eröffnet, erscheint im Gebälk eine kleine Himmelskugel, an welche auf jeder Seite ein Genius den Arm lehnt. Der Genius des Morgens zur Rechten hält in der ändern Hand eine brennende Fackel in die Höhe. Der Genius des Morgens schwebt östlich weg und hält die Fackel erhoben; Kant 1790 Urteilskraft (Ges. Sehr. V 312) Auch hat die Bildhauerkunst, weil an ihren Producten die Kunst mit der Natur beinahe verwechselt wird, die unmittelbare Vorstellung hässlicher Gegenstände von ihren Bildungen ausgeschlossen und dafür z. B. den Tod (in einem schönen Genius), den Kriegsmuth (am Mars) durch eine Allegorie oder Attribute . . vorzustellen erlaubt; Goethe 1797 Er. (WA IV 12,173) Möge doch unter den Kronen die der Genius trägt sich auch die Krone des Friedens befinden!; Schütze 1800 Handwb. f.
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Genius
Schauspieler 101 f. Man will [auf Theatervorhängen] schwebende Figuren: eine Leier in Wolken schwimmend, tanzende Genien, Hören (d. i. Stunden) vorziehn; 1810 Almanach a. Rom II 122 Wir sehen ihn .. von Genien mit Flügeln umschwebt, die keine anderen, als die griechischen Erotes, die römischen Cupidines und die heutigen Amorinen sind; Goethe 1830 Er. (WA IV 47,309) Von Jul. Roman ein ausgeführtes Blatt, vorstellend den Genius der Poesie; Pückler-Muskau 1834 Landschaftsgärtnerei 114a Aus den Blättern der Lilie schauen die drei Genien: Glaube, Liebe und Hoffnung hervor; 1839 Badegäste I 68 Angethan mit der Kleider und des Schmuckes reicher Pracht erschien ihm Andoline wie der Genius der Liebe; 1844 Brockhaus VI 63 Den Genius einer Person stellte die röm. Kunst als eine Figur in der Toga mit verhülltem Haupte, Füllhorn und Patere in den Händen dar, während die Genien der Örter als Schlangen, welche hingelegte Früchte verzehren, erscheinen; Gothein 1914 Gartenkunst l 30 Denkmälern erscheint dieser Baum meist von zwei anbetenden Genien umgeben; Mann 1954 Krull 32 die üppigen Malereien an der Saaldecke und auf dem Vorhang, die eine Menge entblößter Genien . . zeigten (DUDEN 1999); Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 235 Wiederum kniend . . verehrt der Grabherr die schakalköpfigen „Bau" („Seelen") von Nechen (Hierakonpolis). Diese Genien knien in der „Henu-Haltung", haben eine Hand vor die Brust gelegt und die andere erhoben. Genius 2: Fischart 1582 Gargantua 14 und mit dazu ungemachenem und ungebachenem Jngenio und Genio (RÜTTER); Greflinger 1647 Complementier-Büchlein E7b Diese und dergleichen Complementa . . mag ein jeglicher seinem Genio et Ingenio nach variiren, endern und bessern; Goethe 1771 Br. (WA IV 2,7) Mein ganzer Genius liegt auf einem Unternehmen worüber Homer und Schäkespear und alles vergessen worden; 1780 Götting. Magazin d. Wiss. II 8 insbesondere verdanken wir auch hier unserm Genius Bach die feinsten Bemerkungen, die triftigsten Verbesserungen; Schiller 1795 Gebrauch schöner Formen (X 405) echte Geniuskraft in dem . . Jüngling; Bürger 1796 Gedichte (S. Sehr. II 7) Bettelarm ist, sie zu schildern, Aller Sprache Überfluss. Zwischen tausend schönen Bildern Wühlt umsonst mein Genius; Hölderlin 1797-99 Hyperion (S. W. Ill 110) Sein Genius war zu seelig, um allein zu bleiben, und zu arm die Welt, um ihn zu fassen; dass. S. W. III 146 Die Armen, die nichts kennen, als ihr dürftig Machwerk, die der Noth nur dienen und den Genius verschmä-
hen, und dich nicht ehren, kindlich Leben der Natur! Die mögen vor dem Tode sich fürchten; Iffland 1798 Theatral. Laufbahn 75 Eine Menge kleiner Züge, die nur ihm eigen waren, ein Detail der Ausmahlung, was nur seinem Genius glücken konnte, verwandelten diese Skizze in einen lebendigen Menschen; Böttiger 1799 Literar. Zustände (l 241) Dichtergenius; Schiller 1800 W. L. (H. XV 1) Schöpfergenius; Matthisson 1802 Evian (V 406) Unwillkommen wäre der Fall in der That, wenn Frau von Stael nicht mit der trefflichsten und vollendetsten Schöpfung ihres Genius die Laufbahn der Autorschaft beschlöße; ders. 1815 Ged. 254 selig wie götter durchschweb' ich den himmel der kunstideale, wo mit der palme von fern Raphaels genium winkt (DWB); Goethe vor 1832 Tabulae votivae (WA l 5.1,310) Der ist zu furchtsam, jener zu kühn; nur dem Genius ward es, In der Nüchternheit kühn, fromm in der Freiheit zu sein; Heine 1835 Romant. Schule 74 die Übereinstimmung der Persönlichkeit mit dem Genius, wie man sie bei außergewöhnlichen Menschen verlangt, fand man ganz bei Goethe; Laube 1837 Reisenovellen VI 308 Er war ein Vertrauter Schillers auf der hiesigen Karlsschule, und es ist aus dieser Mittheilung rührend anzusehen, mit welcher Gewalt sich der große Genius losringt und die harte Schwabenschale zu sprengen trachtet; Wagner-Liszt 1849 Briefw. I 13 So viel schulde ich Ihrem tapfern und hohen Genius, den feurig ergreifenden und großartigen Blättern Ihres Tannhäuser's; 1855 Hausblätter III 384 Werke, in denen Genius und Talent die Idee plastischer Schönheit zu verkörpern streben; Vischer 1861 Krit. Gänge N.F. II 61 und diese Welt umfasst Ein Dichtergenius, und er umfasst nicht nur sie, sondern gleich mächtig beherrscht er auch die andere Hemisphäre des Lebens, die Welt des Komischen; 1864 Briefw. Roon-Perthes 26 das ist die Arbeit des historischen Genius, der sich im Kombinieren allein, nicht im Kompilieren dokumentiert; Riehl 1871 Vortr. I 168 uns wirft sich ja die Kunst aller Jahrhunderte täglich in den Weg, wir brauchen nur die Augen aufzumachen, um uns im Umgange mit vielen guten Meistern von der erdrückenden Macht eines einzelnen Genius zu befreien; Nietzsche 1878—80 Menschliches, Allzumenschliches (W. I 554) Die Menschen sprechen ersichtlich dort allein von Genius, wo ihnen die Wirkungen des großen Intellekts am angenehmsten sind und sie wiederum nicht Neid empfinden wollen; ders. 1881 Morgenröte (W. I 1246) Von „Genius" wäre am ehesten bei solchen Menschen zu sprechen, wo der Geist, wie bei Plato, Spinoza und Goethe, an den Charakter und das Temperament nur lose angeknüpft erscheint, als ein beflügeltes Wesen, das sich von jenen leicht trennen und sich dann weit über sie erheben kann; Nordau 1885 Pa-
Genozid radoxe 66 Aus diesen Betrachtungen ergibt sich meine Auffassung vom Verhältnisse des Genius zum Philister,. . Der Seher von Chelsea lässt seinen Heros wie einen Kapitän Cook unter der Schar der Dutzendmenschen erscheinen; Wölfflin 1889 Gessner 6 so fand sein poetischer Genius jetzt doch die Bedingungen, wo er zum ersten Mal die Schwingen zu regen wagte; Dehmel 1909 Betrachtungen (VIII 10) an Naivität ist jeder Ochse dem größten Genius überlegen; Bülow 1916 D. Politik 345 Welcher deutsche Genius hat die Welt erobert und bezwungen wie Richard Wagner?; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. XI 433) ich sehe den weiten Saal der Frankfurter Oper wieder vor mir mit der weitgeöffneten, vom Orchester besetzten Bühne, in deren Vordergrund bedeutende, für den Geist ihrer Völker repräsentative Menschen vor einer dankbar lauschenden Menge dem Genius [Goethe] ihre Huldigung darbrachten; Süddtsch. Ztg. 23. 8. 1946 Ob damit, dass man den „Genius des Kindes" frei walten lässt, schon alle Aufgaben und Möglichkeiten eines eigentlichen bildnerischen Unterrichts erschöpft sind, ist freilich eine andere Frage; LangeEichbaum 1956 Genie 192 Sie meint aber, dass die
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verschiedenen psychopathologischen Symptome, wie Infantilismus, Primitivismus, Bisexualität des Genius, seine Rauschsucht . . zum Entstehen der genialen Leistung verhältnismäßig wenig beitrügen; Kantorowicz 1959 Tageb. I 94 Von der Dienstbarmachung des Feuers durch den menschlichen Genius bis zur Dienstbarmachung der Elektrizität (DUDEN 1999); Zeit 15.11.1985 daß Leerstellen leer bleiben sollen, weil dem Interpreten Mozarts Genius ja doch nicht zu Gebote stehe, ist ein heute überwundener Standpunkt unangebrachter Pietät, der dem Spieler die erforderliche Einfühlung in Mozarts Stil weder zumutet noch zutraut; taz 31.1. 1990 Es geschah in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten wohl zum ersten Mal, daß der russische Genius [Puschkin] in einer russischen Veröffentlichung einem so bitterbösen Angriff ausgesetzt war; Süddtsch. Ztg. 16. 2. 2005 Schließlich verdanken selbst so legendäre Gruppen wie die Beatles oder die Rolling Stones ihre Anfangserfolge ja nicht dem Genius ihrer Songwriter . ., sondern den cleveren Marketingstrategien ihrer Manager.
Genozid M., auch N. (-(e)s; -e und Genozidien), Mitte 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. genocide, einer 1944 (von R. Lemkin) geprägten Bildung aus geno- (zu griech. 'Geschlecht; Volk'; —* Gen, —» Genus) und -zid '-tötung, -mord' (zurückgehend auf gleichbed. lat. -cidium, vgl. homicidium 'Menschentötung, Totschlag, Mord (an einem Einzelnen)', zu caedere 'schlagen, fällen, niederhauen, töten'; vgl. Ethnozid 'Zerstörung der Identität eines Volkes durch Assimilation (bes. als Folge von Kolonialisierung', —> Ethno-), anfangs überwiegend in den Nebenformen Genocid und Genocidium. Rechts- und bildungsspr. verwendet für 'Völkermord, Mord an nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppen' (—» Holocaust), in Wendungen wie der Genozid an den brasilianischen Indianern, der türkische Genozid an den Armeniern, im Kriegsgebiet spielt sich ein regelrechter Genozid ab und Zss. wie Genozidforschung, -konvention, -abkommen, -verbrechen; Rassen-, NS-, Armenier-Genozid, UNO-Genozid-Konvention. Dazu gleichzeitig die aus gleichbed. engl. genoddal entlehnte adj. Ableitung genozidal, in jüngster Zeit genozid und französisierendes genozidär 'in der Art und Weise eines Völkermords, auf diesen gerichtet, zu diesem neigend'. Genozid: De Man 1951 Vermassung 178 Die Genocid getaufte Massenabtötung von Menschen, deren weitere Existenz als irgendwie schädlich oder einfach als überflüssig empfunden wird, findet demnach ebenso im Völker- wie im Bürgerkrieg Anwendung; Süddtsch. Ztg. 18. 6. 1954 aus dem Genocidium, der Rassenaustilgung; ebd. 5. 8. 1958 es waren amerikanische Juristen, die im Nürnberger Prozeß für viel enger umschriebene Handlungen den Begriff des Genocidiums (des Erbmassen-Tot-
schlags, wie man übersetzen könnte) erfanden und als international abzuurteilendes Verbrechen bezeichneten; 1961 Häresien 430 Zeitalter der Vernichtungskriege und des Genocides; Welt 1.3. 1974 man denke nur an den Genozid an den brasilianischen Indianern; Zeit 27. 9. 1985 Vom Massenmord an Geisteskranken im Rahmen des „Euthanasie"-Programms (1939/41) bis hin zum Genozid in den Gaskammern; Presse 26. 5. 1992 Selbstverständlich ist Montezuma kein Versuch eines
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musikdramatisch genauen Ausdrucks eines der größten Genocide der Menschheitsgeschichte; taz 31.7. 1992 Glaubt man den Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina, dann spielt sich im Kriegsgebiet ein regelrechter Genozid ab; Mannh. Morgen 23. 4. 2003 erschütternde Bilder vom türkischen Genozid an den Armeniern sind in Vitrinen zu sehen; Süddtsch. Zig. (online) 17.1. 2007 Der Holocaust war ein Genozid, ebenso wie die Ermordung der Armenier. Aber was ist mit der Auslöschung der Indianer? Was mit Darfur, wo der damalige Außenminister Joschka Fischer in eisigem Diplomaten-Deutsch „genozidales Potential" erkannte — aber keinen Genozid? genozid: Schoenberner 1965 Innenansichten 257 mein persönlicher Eindruck von der verhältnismäßigen Unwirksamkeit der genociden Haßpropaganda gegen die deutsche Rasse; Liess 1972 Nationalitätenstrategie 149 Dann folgt ein ganzer Katalog über Maßnahmen der Sowjetregierung, die als imperialistische oder genozide Akte klassifiziert werden; taz 12. 6. 1991 Die infame Manipulierung der Zahl der Toten . , hatte einmal die Verteufelung des kroatischen Volkes als Ganzem zum Ziel — von dem man jetzt in der serbischen Presse permanent lesen kann, es sei „genozid", besäße also eine ethnisch-biologische Neigung zum Völkermord; Presse 5. 4. 1993 In einem Interview beschuldigte der serbische Präsident Slobodan Milosevic die führenden russischen Politiker, „daß sie sich an genoziden Maßnahmen gegenüber der serbischen Bevölkerung beteiligt hatten"; Berl. Ztg. 2. 10. 2000 wie in einem halben Jahrhundert die Enkel der heutigen Mitglieder der deutschen „Spaßgesellschaft", von denen dann wohl nicht wenige türkische, griechische oder slawische Namen tragen, die Denkmäler und Mausoleen sehen werden, die an die genoziden Praktiken ihrer Urgroßväter erinnern.
genozidal: Uhler 1951 Zivilkonvention 170 Der Bestand der Konvention an individualrechtlichen Mindestgarantien ist hinreichend für die Deckung der überwiegenden Mehrzahl der in ihre möglichen Erscheinungsformen zerlegten genocidalen Handlungen; Balluseck 1977 Tod u. Leben 114 die naturwissenschaftlichen Protagonisten der Renaissance eröffneten das genocidale Zeitalter; taz 25. 7. 1988 Welche Anzeichen einer genozidalen Bedrohung kann man heute und für welche Völker ausmachen; Frankf. Rundsch. 21.6.1997 Wie wird es weitergehen, wenn der Punkt erreicht ist, an dem weltweit mehr Waffen in Umlauf sind, als Kriege mit ihnen geführt, imperialistische Überfälle entfesselt, genozidalc Kreuz- und Raubzüge angezettelt werden können?; Süddtsch. Ztg. 1. 4. 2004 Ihren Beginn sieht er im „Massaker" als „genozidalem Ereignis", dessen Merkmale sind: die Wehrlosigkeit der Opfer, die Tötungsgewalt, die Dehumanisierung des Gegners; taz 18. 3. 2006 Sowenig diese Umstände Judenhass erklären und rechtfertigen können, so wenig ist die israelische Besatzungspolitik für den genozidalen Hass auf den israelischen Staat verantwortlich zu machen. genozidär: Zeit 21. 11. 1986 daß man von alten Freunden gleich kollektiv ausgerottet werden könnte, genozidär, ist im eigenen Bewußtsein bestenfalls als ausgefallene Fiktion präsent; taz 16. 2. 2001 und doch ist es eine historische Tatsache, dass der genozidäre Extremismus der Hutu in Ruanda erst auf die Spitze getrieben wurde, nachdem die RPF der Tutsi von Uganda aus in das Land eingedrungen war; Berl. Ztg. 11.9. 2004 Die USA halten es jetzt im Fall Sudan . . für passend, die Völkermorddefinition anzuwenden; die EU und Deutschland sehen Gewalttaten mit genozidärem Potenzial.
Genre N., bis ins spätere 19. Jh. auch M. (-s; -s), im späten 18. Jh. entlehnt aus frz. genre M. 'Art, Gattung, Stil' (< lat. genus, Gen. generis 'Gattung, Wesen, Art', —» Genus). Als Terminus der Kunsttheorie in der Bed. '(klassifizierende) inhaltlich, selten auch formal, produktions-, zielgruppenbezogen oder anderweitig bestimmte Gattung in einem Bereich künstlerischen Gestaltens', bes. in Malerei, Fotografie, Film, Theater, Literatur, auch in anderen Bereichen (z. B. Hörspiele, Computerspiele, Journalistik) für 'Gebiet, Bereich, Sparte' (s. Belege 1881, 1989, 2002; vgl. Gruppierung —> Gruppe, —+ Klasse, —»· Manier), in Wendungen wie ein künstlerisches, literarisches, musikalisches, publizistisches Genre, die Genres der Malerei, des Films, ein anspruchsvolles, heiteres Genre, das komische, tragische Genre, das Genre des Fantasy-, Kriminal-, Westernfilms, die bekannten Genres der Volksdichtung, das Genre
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des Romans, der Erzählung, der Novelle, Genre wie die des Autoren-, Independentund Monumentalfilms, das Genre des Kinder-, Jugend-, Frauenfilms, er ist ein Meister seines Genres, in Zss. wie Film-, Literatur-, Musik-, Krimi-/Action-/Western-, Sub-, Lieblingsgenre; Genrekino, -grenze, -parodie, -film, auch als Bestimmungswort in adj. Zss. wie genreüblich, -typisch, -übergreifend, -fremd, -bedingt, -eigen; daneben in der bildenden Kunst (v. a. in der Malerei) mit Bezug auf die aus dem Klassizismus des 17. Jh. stammende hierarchische Typologie von Bildgattungen meist in Wendungen wie das Genre der allegorischen Malerei, der Historienmalerei und in Zss. wie Porträt-, Tier-, Stillleben-, Marine-, Landschaftsgenre, daneben mit Bezug auf gemalte Alltagsszenen des einfachen Volkes meist als Bestimmungswort in Zss. wie (aus frz. peinture de genre lehnübersetztem) Genremalerei 'Malerei, die typische Zustände aus dem (all-)täglichen Leben einer bestimmten Berufsgruppe oder einer sozialen Schicht darstellt, Sittenmalerei', dann oft im Ggs. zur Historienmalerei, Genrebild (nach frz. tableau de genre), -szene, -stück 'Gattungs-, Sitten-, Volksbild, Bild im Stil der Genremalerei, das die Individuen als Typen der Gattung schildert', auch auf die Dichtkunst übertragen 'literarische Schilderung meist beschaulicher Szenen aus dem Alltagsleben' (s. Beleg 1875), -maier (nach frz. peintre de genre] 'Volks-, Sittenmaler', nur selten als Simplex, z.B. bürgerliches, bäuerliches, höfisches Genre, das Genre des Idyllischen; seit früherem 19. Jh. öfter auf Personen und Sachen übertragen und abgeflacht verwendet im Sinne von 'Art und Weise, Machart, Sorte' (s. Belege 1836, 1860, 1877, 1904, 1908, 1969) in Wendungen wie Personen, Mode dieses gehobenen Genres, Lokale zweifelhaften Genres und ugs. der/das ist nicht mein Genre 'der/das gefällt mir nicht, entspricht nicht meinem Geschmack, passt nicht zu mir'. Dazu seit dem früheren 19. Jh. die adj. Ableitungen genrehaft und genreartig 'im Stil, in der Art der Genremalerei gestaltet; dem jeweiligen Genre, dem ein Bild zugehört, entsprechend', auch mit Bezug auf Film und Musik, sowie Mitte 19. Jh. genremäßig 'dem Genre, der Art, Gattung entsprechend', auch 'durch das Genre bedingt' (s. Beleg 1930). Genre a: Wieland 1776 Br. an Merck 58 Wenn Ihnen etwa bald wieder etwas in diesem genre eingegeben würde, so denken Sie ja an den Merkur; J. v. Beroldingen 1780 Br. an Merck 244 der Mensch ist als Kupferstecher und Genre-Maler deplacirt in Paris; 1781 Literar. Pamphlete 144 Ich werde auch keine [Lieder] mehr machen, es ist ohnedem nicht recht mein Genre; Schiller 1795 Br. IV 255 Die Ideale sind ein klagendes Gedicht, wo eigentliche gedrängtheit nicht an ihrer Stelle scyn würde. Auch kenne ich unter Alten und Neuen aus diesem Genre nichts, dem Sie nicht eben diesen Vorwurf machen könnten; ebd. V 279 Der Gang nach dem Eisenhammer ist für mich ein neues Genre gewesen; Goethe 1795 Br. (WA IV 10,306) Daß mir, nach Ihrem Urteil, das Mährchen geglückt ist macht mir viel Freude und ich wünsche über das ganze Genre nunmehr mit Ihnen zu sprechen; E. T. A. Hoffmann 1820-22 Kater Murr (P. W. V 245) Immer wieder . . hatt' ich nämlich so lange hin und her geschwänzelt, bis die Spitze meines
Schweifs in das große Tintenfaß geraten, mit der ich nun auf Boden und Kanapee die schönsten Malereien ausführte. Das brachte den Meister, der keinen Sinn für dieses Genre der Kunst zu haben schien, in Harnisch; vor 1828 Briefw. Karl August — Goethe l 264 Der Genre, in welchem dies Stück geschrieben ist (SANDERS 1871); Detmold 1834 Kunst 27 Eine andere Einteilung der Malerei ist die nach den dargestellten Gegenständen als Historien-, Genre-, Landschafts-, Porträt- (usw.) Malerei; 1836 Album d. Boudoirs 10 Die Abendroben werden mit langen herunter gehenden Epauletten gemacht, von denen einige Garnituren auf den engen Aermel herabfallen, so daß dieser Genre der alten, wie der neuen Mode gehört; Stahr 1847 Italien I 353 Derjenige Kreis von Darstellungen, welchen man mit dem Ausdruck des Genre zu bezeichnen gewohnt ist. Es ist dies das Gebiet des allgemein Menschlichen . . in dem einfachen, gattungsmäßigen, gleichbleibenden Flusse des Lebens, als ein Allgemeines aufgefaßt und dargestellt; Mügge
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Genre
1858 Standp. 50 Jeder Genre sei gut, nur nicht der langweilige (SANDERS DWB); Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 3 weil ein zusammenberufener Familienrath erstens erklärt hatte, daß Jünglinge meines Genres dort nicht übermäßig vorhanden sein wurden; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 192 Er [Caravaggio] hatte nicht nur Vorliebe für Genrescenen aus dem niederen Volk; Gutzkow 1875 Rückblicke (XI 307) Jeremias Gotthelf [hat] schweizerische, so nun auch schwäbische Genrebilder geschrieben; Hopp 1877 Sternenbanner 161 eine Anzahl junger Herren .., die an Gelecktheit Alles überbieten, was sich etwa Unter den Linden in dem Genre breit machen kann; Palm 1881 Br. 288 Man kann leicht Schauspieler finden, die im Laufe der Zeit in diesem oder jenem Genre sich als brauchbar erweisen; Gottschall 1885 Totenkl. 256 Neben diesem naturalistischen Roman . . hat sich in Frankreich ein Romangenre entwickelt, welches sich mehr der Zeitgeschichte zuwendet und das wir am treffendsten wohl als den „photographischen Zeitroman" bezeichnen; Suttner 1896 High-life 223 Auch an diesem Morgen bieten die Schwestern ein allerliebstes Genrebildchen, wie sie so dasitzen in ihren duftigen Morgenanzügen, die gestreckten Füßchen auf wappengestickten Polstern ruhend; Zander 1904 Neue Welt 81 Verhehlen Sie sich nicht, jene Amerikanerinnen stellen ein ganz anderes Genre des Weibes dar!; H. Mann 1905 Unrat 113 wenn ein Mann .. sich einbildete, sie ginge auch nach ihrer Bekanntschaft mit ihm mit all und jedem. Dann war der Alte eben doch ihr Genre nicht (DUDEN 1999); Waiser 1908 Gehülfe 124 Lokale zweifelhaften Genres (DUDEN 1999); Schmilz 1913 Frauen 59 das Buch sei das Beste, was man in diesem Genre habe; Th. Mann 1920 Reden u. Aufs. (W. X 866) Es ist die scheußliche Vision des letzten und kahlsten Radikalismus, der heute einen russischen Namen hat, vorgetragen von Hardt mit einer Wildheit des Tempos, der Akzente, des Stimmklangs, der zuckenden Gebärde, die Schrecken erregt und in die Flucht treiben könnte, aber künstlerisch unzweifelhaft etwas Äußerstes enthüllt. Es bleibt ein Element von Dämonie in seinen Darbietungen, auch wenn er, über Wedekind und Morgenstern-Palmström, zum Variete — einer hohen, fast unheimlichen Art von Variete übergeht und das Podium mit den Masken berühmter Schauspieler bevölkert. Ähnliches in diesem Genre ist mir nicht vorgekommen; Friedeil 1928 Kulturgesch. II 329 Diese Dichtungsgattung [Ballade] erreichte überhaupt damals eine hohe Blüte: sie kommt von der „Moritat" der Jahrmarktsbuden her und ist eben darum ein volkstümliches, farbiges und lebenskräftiges Genre, ein lyrisch-episches Pendant zum Drama der Geniezeit; Neues Deutschi. 22. 10. 1954 bestimmte lite-
rarische Genres, wie die Komödie, die Humoreske, das volkstümliche satirische Chanson, die Ballade, der Hymnus, das Epigramm, die historische Miniatur, der Essay, werden bei uns fast überhaupt nicht mehr gepflegt; Welt 2. 8. 1969 Strickereibetrieb in Norddeutschland, Produktion Damenoberbekleidung in gehobenem Genre, Umsatz ca. l Mill., in verkehrsgünstiger Lage, mit großen Arbeitskräftereserven, aus Krankheitsgründen zu verkaufen (Anzeige); Zeit 15. 2. 1985 die Umwelt, die in seinen [Renoirs] Porträts und Genreszenen besonders den Rokokomaler der Neuzeit sah und liebte; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 142 Mehrmals sah sich der Anwalt Maggioni gezwungen, unter allerlei Vorwänden diesem Genre von Enthüllungen zu entfliehen; taz 25. 5. 1989 Das ganze Genre der Seifenopern alten Stils leidet seit einigen Jahren schon unter galoppierendem Zuschauerinnenschwund; Berl. Ztg. 6. 8. 2001 Biografische Details aus dem Leben des Barockkünstlers und Malers bürgerlicher Genreszenen [Vermeer] sind kaum überliefert; ebd. 22. 5. 2002 mehrere Filmproduktionen in den Genres Fantasy, Horror und Science Fiction. genremälsig: Kugler 1847 Gesch. d. Malerei II 586 Nachmals hat Vernet mannigfache Darstellungen andrer Art geliefert, in denen überall jenes genremässige (naturalistische) Element, aber in eigenthümlich grossartiger Weise, nachklingt; ich erinnre an seinen Mazeppa, Judith und Holofernes, Elieser und Rebecca u.a.m.; 1871 Preuß. Jahrb. XXVII 607 genremässige Figur; Nürnberger 1877 Herzenssachen 57 seine Grobheit ist mehr genremäßig als historisch-tragisch; v. Holst 1930 Bildnismalerei 50 Auch im Bürgerporträt zeigt das Attribut in Deutschland noch eine ganz andere symbolische Kraft, als in Italien, wo es bereits genremässig ins Bild eingeordnet wird; Neues Deutschi. 24. 5. 1974 im Bereich der musikalischen Darbietungen mit ihrer ganzen genremäßigen Breite lassen sich erfreuliche Fortschritte und neue Talente beobachten; taz 9. 8. 1993 Wenn man dieses „Krimical" denn überhaupt genremäßig einordnen möchte, wäre die Gattung Psycho-Thriller wohl am passendsten; ebd. 13. 2. 2003 Oder handelt es sich doch nur um eine Art Retro-Event, an jene Zeiten gemahnend, als die geographische Abkunft einer Band noch mit einer genremäßigen Verortung einherging? genreartig: Waagen 1839 Kunstwerke 728 In der Empörung von Cairo . . hat sich Girodet . . auf dem ganz anderen Gebiete von Ereignissen im modernen Costüm versucht. Das Ganze ist sehr dramatisch, und es fehlt nicht an einzelnen glücklichen Motiven .. Sein Mangel an Liniengefühl aber
gentil tritt in diesem ganz genreartigen Bilde besonders grell hervor; Pecht 1876 Glaspalast 28 man kann einen Hühnerhof historisch stylisirend behandeln, und eine Mutter Gottes genreartig oder naturalistisch; Niemann 1913 Musik d. Gegenwart 287 [Aus] diesem technischen Grund stehen die großen Allegrosätze nationaler Symphonien fast immer den genreartigen Mittelsätzen nach; Mode 1959 Indien 73 Zu diesen kleinen, sich häufiger wiederholenden Bildschemen, die uns genreartig anmuten, gehören auch die in Indien oft dargestellten sich bekämpfenden Stiere, eine gegenseitige Anordnung des bekannten Siegelbildtypus vom kurzhörnigen Stier; Frankf. Rundsch. 11.10.1999 Das Atmosphärische betätigt sich als Seiteneinsteiger, erlangt dann eine gewisse, wohltuende Verweildauer bei den genreartig angelegten Figuren. genrehaft: 1842 Blätter f. lit. Unterhaltung II 959 Auch ist es ihm gelungen, in dieser neuen, weniger auf den Adel des Styls bedachten, sondern zu einer mehr genrehaft naturalistischen Richtung übergehenden Behandlungsweise ein wirklich höchst achtbares Talent zu offenbaren; Riehl 1859 Culturstudien 127 Keine Zeit ist so reich an genrehaften humoristischen Originalen . . wie das 17. und 18. Jahrhundert; ders. 1872 Vortr. I 93 Aber wenn auch noch so Viele die Naturgröße stylvoll schilderten und priesen, welche sie hier gefunden, und die Volksgemüthlichkeit genrehaft, so hat doch noch kaum Einer gesagt, was der herrlichen Land-
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schaft fehlt; Gottschall 1885 Totenkl. 261 Der genrehafte Aufputz gehört als Relief an das Piedestal, nicht an die Statue selbst; Fontäne 1891 Jenny Treibet 83 Du warst immer für's Anekdotische, für's Genrehafte; Harden 1892 Apostata N.F. l eine breite, genrehafte Schilderung des Milieu; Kerr 1896 Br. a.d. Reichshauptstadt 165 Solche kleinen Züge würden hier verstimmt haben, wenn er nicht gleich wieder durch die Erzählung von genrehaften, interessierenden Einzelheiten eine Entschädigung geboten hätte; Gothein 1914 Gartenkunst l 327 Solcher Schmuck gehört zu der Vorliebe für das Genrehafte, von dessen Bedeutung an sich für jene Zeit schon gesprochen wurde; Friedeil 1927 Kulturgesch. I 204 Man verlangt von der Frau, daß sie einen mächtigen Busen, starke Hüften, üppige Glieder habe oder doch vortäusche, daß ihre äußere Erscheinung nichts Kleines, Genrehaftes, Niedliches an sich trage; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 68) allerlei kuriose und genrehafte Kompositionen aus der Epoche zwischen Handels und Haydns Blütezeiten; Welt 12.11.1969 Pasolini setzt, noch ganz im Bann des spätesten Neorealismo, auf Melancholie und genrehafte Milieufärbung; Mannh. Morgen 24. 4. 1987 die Ausstellung macht auch mit den fast zeitgleich entstandenen, genrehaften Porträtskizzen bekannt, die Larionov mit einem energischen und schroffen Pinselschlag, in lapidaren und bissigen Zügen entwarf; taz 12. 7. 1994 eine Fülle von genrehaften Schilderungen des Lebens in den Ruinen.
gentil Adj., seit Mitte 15. nur vereinzelt, erst seit Anfang 19. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus frz. gentil 'artig, hübsch, nett, freundlich' (über altfrz. gentil 'adlig, edel; anmutig', eigentlich 'auf einen langen Familienstammbaum zurückblickend, von (guter, alter, vornehmer) Familie', zurückgehend auf lat. gentilis 'aus demselben Geschlecht (stammend), zum selben Sippenverband gehörig, einer Familie angehörig', zu (flekt. Form von) gens 'Familienverband, Geschlecht, Sippe', zu genitum, Part. Perf. von gignere 'hervorbringen, erzeugen'). l Zunächst vereinzelt in der Bed. 'adelig' (s. Beleg um 1460), auch noch im 19. Jh. 'von guter, vornehmer Familie, vornehm; adelig' (s. Beleg 1857), von daher seit Anfang 19. Jh. bezogen auf Wesensart, Umgangsformen und äußere Erscheinung von Personen in der heute eher selten und leicht archaisierend verwendeten Bed. 'anständig, wohlerzogen, schicklich, artig, fein, nett, liebenswürdig, freundlich; ehrbar, ehrenwert' (Ggs. ungentil; —» adrett, —» galant, —* honett, —* honorig), auch übertragen auf Sachverhalte und Gegenstände (s. Belege 1833, 1841; —>· nobel, —» proper; vgl. distinguiert, —·+· distinguieren b); in Wendungen wie ein gentiler Mensch, gentiles Verhalten, Auftreten, gentile Manieren, ich halte es für sehr gentil von ihm, uns die Entscheidung zu überlassen, ein hübscher Mann von gentilem Aussehen/Äusserem, gentil gekleidet/anzusehen sein, sich gentil verbeugen. Vgl. hierzu seit früherem 15. Jh. aus gleichbed. ital. gentiluomo/ . gentilhomme (< altfrz. gentil ome) übernommenes Gentilhomme M. (-s; -s), bis ins 19. Jh. neben
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zahlreichen, in Flexion und Schreibung ital. oder frz. beeinflussten Varianten wie Gentilh(u)omo, Gentil(l)ome, (möglicherweise auch verschmolzen mit engl. gentleman:) Gentilman, Gentilomen und z. T. stark verballhornten Formen wie Centelomien, Zentelanien, Tzentilam, in der Bed. 'Mann von vornehmer Gesinnung und guter Lebensart' (—» Gentleman), ursprünglich 'Adliger, Edelmann' (s. Belege 1434, 1491, 1507, 1522) mit der seit Ende 18. Jh. seltenen, eventuell aus frz. gentilhommerie übernommenen subst. Ableitung Gentilhommerie F. (-; -n) 'der Stand eines Gentilhomme' und 'Wesen, Betragen eines Ehrenmannes, feines Benehmen' (vgl. Galanthomme, —*· galant). Seit späterem 16. Jh. heute seltenes (aus ital. gentilezza übernommenes) Gentilezza F. (-; PL ungebr.), konkurrierend mit seit Mitte 17. Jh. nachgewiesenem (aus gleichbed. frz. gentillesse entlehntem) Gentil(l)esse F. (-; -n) in der Bed. 'Artigkeit, Höflichkeit; artige, höfliche Geste' (vgl. Noblesse, —* nobel, —» Grandezza), im Pl. auch 'artige Possen, witzige Einfalle' (s. Belege um 1600, 1709, 1727) und vereinzelt bezogen auf * feines (sprach-)ästhetisches Geschmacksempfinden' (s. Beleg 1796). 2 Daneben im früheren 19. Jh. unter direktem Rückgriff auf lat. gentilis (s.o.) aufgekommen in der Bed. 'auf einen Sippenverband gegründet, auf ihm beruhend; einem Familienverband, einer Gens zugehörig', dann v. a. von F. Engels („Der Ursprung der Familie", 1884) in die marxistische Geschichtswissenschaft eingeführt zur Charakterisierung der allgemein geltenden Form des Zusammenlebens in der Urgesellschaft, überwiegend als Bestimmungswort in terminologischen Zss. wie Gentilordnung, -organisation und insbes. Gentilgesellschaft 'auf den Sippen verband gegründete soziale Organisationsform in der Urgesellschaft', vgl. Gentilname 'im alten Rom der den Namen des Geschlechtes (Gens) bezeichnende Bestandteil, der zwischen dem Vornamen (Pränomen) und dem oder den Beinamen (Cognomen) steht'. Dazu bereits seit späterem 16. Jh. die (auf flekt. Form von) lat. gentilitas 'Geschlechtsverwandtschaft' (vgl. engl. gentility), frz. gentilite) zurückgehende subst. Ableitung Gentilität F. (-; Pl. ungebr.) 'Verwandtschaft, Verhältnis der Geschlechtsverwandten zueinander', auch 'Heidentum' (zu 2), seit früherem 19. Jh. (eventuell unter Einfluss von gleichbed. engl. gentility) seltener auch 'vornehme Abstammung; Wohlerzogenheit, Artigkeit, Schicklichkeit' (zu 1). gentil 1: Arigo um 1460 Boccaccios Decamerone (Übers.) 130 on masse schöne und gentile was (WIS); ebd. 176 ein gentile frawe (WIS); Sprenger 1509 Merfart 126 Unnd ist ein gentil volck, und betten Christum unsern erlöset an; Campe 1813 Fremdivb. 337 gentil . . artig, fein, niedlich; Wtenbarg 1833 Holland 87 in allen gentilen Kaffeehäusern, wo man des Morgens nichts Anderes trinkt als Genever mit und ohne Zucker (DiBi 125); ders. 1835 Wanderungen 157 ein so gentiler junger Mensch, der im Vorbeigehen so artig grüßte; Willkomm 1838 D. Europamüden 194 meines Erachtens darf sich ein genialer Rasender ganz und gar nicht geniren, ich wenigstens würde mich jedem Gelüst hingeben, und zerbeißen, zermalmen und zerknirschen, was mir eben in den Weg käme. Das finde ich gentil gehandelt von einem Tollen. Ich
halte ein solches Gebahren für das vollendetste Dandyleben eines Hundstollen (DiBi 125); Kohl 1841 Petersburg H 161 Daß dieß Rutschen kein gentiles Vergnügen ist; Eichendorff 1854 Drama 152 gentil und fashionabel; Alexis 1852 Ruhe 509 Und er ging aufrecht und stolz umher, unbekümmert um Die, welche ihn scheuten und hassten . . Bis auf eine feinere Toilette, eine gentilere Haltung schien er hier derselbe Louis Bovillard, auf den man einst auf der Straße mit Fingern zeigte; dieselbe Nonchalance, derselbe kaustische Witz (DiBi 125); Eichendorff 1857 Geschichte d. poet. Lit. (W. Ill 732) alle sittlichen Nihilismus als das allein Verständige und Gentile zur Herrschaft zu bringen (DiBi 125); Ruppius 1857 Pedlar 228 Ich hatte die Thorheit begangen, . . meine Tochter Alice den Sommer bei einer fashionablen Familie meiner Be-
gentil kanntschaft in Saratoga zubringen zu lassen, — dort, wo cine gentile Außenseite leicht Eintritt in bessere Zirkel verschafft; Lewald 1861—62 Lebensgeschichte (Ges. W. // 194) Einzugestehen, daß die braven Mädchen noch bis spät am Abende, noch in der Gesellschaft, für ihr Brod arbeiteten, wäre „nicht gentil" gewesen (DiBi 125); Holtet 1863 Letzte Komödiant HI 57 Die gentilsten Manieren von der Welt; Scheiben 1879 Offizier-Brevier 59 Da wir nun hauptsächlich an den edleren Theil der Kameraden uns wenden, welche gerne überall gentil auftreten möchten; Th. Mann 1894 Erz. (W. V1H 35) ein alter, würdiger Herr mit schneeweißem Zwickelbart und durchaus gentil gekleidet; Huch 1909 Pitt u. Fox 62 Fräulein Nippe nahm diesen Vorschlag begeistert an und pries seine „gentile Großmut", während Herr Könnecke rot wurde und sich wie ein Bettler behandelt vorkam (DWDS); Boy-Ed 1915 Vor d. Ehe 263 gentil aussehen tat er ja, der Allen Hellbingsdorf. Man mußte mal auf'n Busch kloppen (DiBi 125); Gesetnann 1943 Lebensform 15 Der Mann des gentilcn und heroischen Lebensstils; Kempotvski 1971 Tadelloser 341 Und hatte [der junge Eckhoff] doch früher immer so nett ausgesehen, immer so nett und gentil (DUDEN 1999); Frankf. Rundsch. 30.4. 1998 Alexander Pagenstecher aus Elberfcld ist anfangs „bei Herrn S. G. Seufferheld, einem sehr netten, gentilen Junggesellen", untergekommen; Zeit (online) 18. 12. 2002 Das Kaviarfass ist eine Höllenmaschine gewesen . . gebaut, um die voll besetzte „ Mosel" im Atlantik zu versenken — und aufgegeben von jenem gentilen, behäbigen Herrn mit Vollbart, dem Amerikaner William Keith Thomas, der seine Mitpassagiere zuvor noch so freundlich getröstet und zu dieser Reise ermuntert hat. ungentil: Gutzkow 1858 Zauberer II 329 Die ungentilen Anspielungen (SANDERS 1871); Raabe 1864 Hungerpastor 246 der majestätische Bediente .. gab nur zweifelhafte Geneigtheit kund, den ungentilen Hungerleider zurechtzuweisen. Gentillesse/Gentilezza: Mathesius 1563 Ehest. Cc2b Wie jener Welsch von der Deutschen gentelitz vnd höffligkeyt saget; um 1600 (Brandstetter 1892 Luzerner Kanzleisprache 55) vnd ander dergleychen possen vnd gentilezzen; Harsdörffer 1645 Forts. Schäferged. 92 Es ist/ wisst/ mein facon von gleicher importanz/ Der Reden/ die ich brauch/ mit der entretenanz/ Die man in Städten treibt: Der Wörter gentilezza,/ Die fremde majestet und holde politezza/ Logirt so wohl in mir/ als in dem
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cerebell/ Deß/ der da rümt/ er hab ein Welsches naturell (DiBi 125); Lauremberg 1652 Scherzgedichte 11 Mit Wyßheit, gentilesse und braver contenantz; Elis. Charl. 1701 Br. I 228 Mich deucht, es braucht nicht viel gentillessc, bey hoff zu sein; Wächtler 1709 Manual 145 Gentillesse, artige/ lustige Possen/ z. E. die lustige Person in der Opera macht doch noch so ziemliche Gentilessen; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 277 Gentilessen, artige Possen; Jenisch 1796 Philosoph.-krit. Vergleichung 217 Hier haben sie ihrer Poesie das angebildet, was jene gentilezza, (gentilesse) zu nennen pflegen, d. h. feine Wendungen, leise Anspielungen, sanfte Einschmeichelungen in die Empfindung des Lesers, und das ganze Horazische „circum praecordia ludit" in dem weitläufigsten Sinne des Worts; Campe 1813 Fremdwb. 337 Genttlesse . . die Artigkeit, Feinheit, Niedlichkeit; Dörring 1830 Fragmente I 251 Was in der Capitale . . eine höchst unschuldige gentillesse genannt wird, verschreit man als . . horrcur in einer . . Kleinstadt; Schmeller 1848 Tagebücher II 487 ein äußerst einfacher aber vielerfahrener Mann, und die Gentillesse selbst; Seyffarth 1855 Paris 94 keinen, der nicht für die Pariserinnen den Vorzug der „gentillesse" beansprucht hätte; Köhler 1862 Erinn. l 402 Als ein Cardinal sein weißes Taschentuch hervorlangte und von der Mitte der Balustrade des Balcons, da wo sich der neue Papst nun bald zeigen sollte, den Staub wegwehte, klatschte ihm das Volk wegen seiner Gentilezza Beifall; vor 1871 Nationalztg. XX 147 Daß der Hötelwirth so wenig Aufmerksamkeit und Gentilezza gezeigt (SANDERS 1871); Dahn 1882 Bausteine III 240 jene vornehme und graciöse Haltung . ., jenes 'air distingue', welches die Italiener . . 'Gentilezza' nennen; Fontäne 1887 Irrungen, 'Wirrungen (Romane u. Erz. V 93) Mein Bruder ist ein Mann von einem sehr feinen Rechts- und Billigkeitsgefühl und von einer in Geldangelegenheiten geradezu hervorragenden Gentilezza, was man nur von wenigen unsrer Edelleute sagen kann (DiBi 125); Meysenbug 1900 Br. P/7. 296 unnachahmliche gentilezza dieses reizenden Volkes; Voss 1901 Fra Checco 71 Unsre lieben Gäste nahmen aus Höflichkeit, eben aus Gentilezza, von den unbekannten Sachen, stocherten aus Gentilezza auf ihren Tellern herum; Farinelli 1925 Aufs. Vorr. IX ein ihm auch sonst eigener Zug echt italienischer „Gentilezza"; Frisch 1926 Essays 187 der Gentilezza des Italieners aus dem Volke wieder zu begegnen; Kraus 1984 Aus Allem Eines 149 Das mag man mit Fraenkel seiner gentilezza [Agamemnonsj zuschreiben; Zeit 30. 8. 1996 ein Bild der redaktionellen Leidenschaft und Umsicht des Fackel-Trägers, seiner „peinlichen Gentilezza".
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Gentilhomme: 1434 Seereise 68 Item auff eynes Capytanyers gallein müssen sein vier schützen, die müssen sein von gentelomen aus Venedig (WIS); Rozmital 1465-67 Pilger-Reise 194 die Centolonien al tag kamen in meins herrn herberg (WIS); Rieter 1479 Reisebuch 114 in eins Venediger kaufmans und zentelanien hauss (WIS); 1491 Dtsch. Pilgerreisen 174 Da siendt zwei rode Marmolseulen, zwischenn wilche sie Ihre Gentilhomo, ist uff unssere spräche Ihre Edelleutte, so sie es verdienenn, aufhengenn; Dürer 1506 Br, an Pirkheitner (Zucker 57) Ich bin ein Tzentilam zu Fenedich worden; Ludwig v. Eyb 1507 Wilwolt v. Schaumburg 10 Und als der kaiser uf ain meil wegs Venedig zuegenehent, kam im der herzog von Venedig mit allen centelomien uf ainer galleen; Pauli 1522 Schimpf! 110 kam ein hoffertiger Gentilomen, ein Edelman von Florentz gen Meyland; Scheurl 1533 Briefbuch 142 Im Venediger golfo . . zwo Venedisch galeen sampt etlichen Venedischen Gentilomini . . gefangen; ders, 1537 Briefbuch H 201 Venediger habenn 2 gentillomini geweiht; AmmanSachs 1568 Ständebuch 10 Ich bin ein edler Gentelon/ Ein gwaltig/ reich/ herrlicher Mann; Fischart 1575 Geschichtklitterung 222 Secht Signor Monsieur Gentilman, es sind achtzehen tag, daß ich an diser mühlichen red hab metagrabulisirt, und gekauet, und geraspelt ritzigs unnd reudigs; Hainhofer 1610 Corr. 9 zu Venedig . . wan ein gentilhuomo stirbt; ders. 1611 Corr. 134 von hiesigen Gendilhomini; Platter 1612 (Boos 1878 Sittengesch. 215) die gentilhommes heften uns schier verjagt, ließen uns doch zeletst unser stros gon; Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Gentillome, Ein Edelmann; Opitz 1634 Br. (Reifferscheid 664) ein gentilhomme de la Chambre du Roy (JONES); Rist 1642 Rettung E6v ein solcher gentilhomme (JONES); Mengering 1642 Gewissensrüge 106 b da manche aus schlechten Bauergengeln/ Rattenfängern . . seyn Gentilhomines und Turnir-Genossen worden; Gryphius 1663 Horribilicribrifax 6 f. Er hätte unsern vorweilen guten Patronium nach den und den tito verwichenen Monden nach Mittage um 3. Uhr angetroffen: und zwar/ nach dem etliche Gentil huomini von ihm geschieden/ vor welchen Er sich zimlich alterniret; 1681 Continuatio XLl 190 Und damit der König sehe/ daß sie den Hispaniern gegen die alte Verträge solches nicht abzuschlagen wüsten/ sollte der Gentilhomme Grimaldi von Genua nach Pariß gehen/ den König dißfals zu informiren; Abr. a S. Clara 1692 Judas III 180 Darauf steigt ein sehr wohlbekleid'ter Forestier und junger Gentil-Homo auf das Theatrum (DiBi 125); Elis. Charl. 1702 Br. l 307 wen hir ein burger ein charge de secretaire du roy kaufft, passirt er gleich vor ein gentilhome; Fleming 1726 Soldat 85 Die Frantzosen und Welsche hießen sie Gen-
tilhommes und Gentilhuomini, anzuzeigen, daß sie noch von denen alten teutschen Heyden und Francken waren; Lünig 1737 Titular-Buch II 327 Edelmann, Gentil-homme; Pückler-Muskau 1834 TuttiFrutti U 114 Herr Malecke v. Goldberg (so heißt der nouveau genthilomme [!]), hat die scabreusen Stellen seiner Ruine mit Geländern versehen lassen; Heffter 1844 Völkerrecht 360 Die etwanigen Attaches oder gentilshommes, Eleven und Pagen der Gesandtschaft; Mundt 1857 Pariser Kaiser-Skizzen I 86 ein finanzieller Gentilhomme des Tages, wie er sein muss; Ehrlich 1858 Abenteuer I 135 der vollendete Typus eines gentilhomme du bon vieux temps; Roland 1888 Lieutenants 25 Habt Ihr nicht Respekt vor seinen Talenten in allem und jedem, was den Gentilhomme, wie er sein soll, auszeichnet?; Liliencron 1896 Poggfred (XU 65) Wir bieten hiermit Unsern Willekomm,/ Wir, Dei Sancti gratia Domina,/ Battista Rovero dem Gentilhomme; Nietzsche 1908 Ecce Homo (W. II 1150) Das erste, woraufhin ich mir einen Menschen „nierenprüfe", ist, ob er ein Gefühl für Distanz im Leibe hat, ob er überall Rang, Grad, Ordnung zwischen Mensch und Mensch sieht, ob er distinguiert: damit ist man gentilhomme; in jedem andren Fall gehört man rettungslos unter den weitherzigen, ach! so gutmütigen Begriff der canaille (DiBi 125); Scheler 1917 Deutschen 89 von der Art eines volklichen idealen Personvorbildes, wie es der Gentleman für England, der gentil homme und der homme (resp. femme) honnet für Frankreich . . gewesen; Wilke 1930 Alt-Berliner Erinn. 38 Herr von Rougemont, im Äußeren an den Typus eines lebensfrohen „Gentilhomme campagnard" aus der Normandie erinnernd; 1930 Handb. d. Frankreich künde II 131 Man kann „gentilhomme" sein; Böse 1964 Frühformen 12 die grosse Bildungsreihe vom uomo universale über den gentilhomme und gentleman zum homme de lettre; taz 15. 10. 1998 Nun kann man Montaigne als einen beeindruckenden Lebenskünstler lesen, einen Gentilhomme mit verblüffender Menschenkenntnis, der immer eine Binsenweisheit für den geistreichen Honnete Homme parat hat; Züricher Tagesanz. 30. 10. 1999 Seit Marleys inbrünstigen Revolutionsliedern . . darf auch der Gentilhomme im Seidenwestchen zum fröhlichen Gelächter des Publikums „I Shot The Sheriff" singen. Gentilhommerie: Wieland 1797 S. W. XXIX 260 f. Sich selbst für Personen zu halten, denen die Gentilhommerie als ein angezeugter, eingegossener und eingefleischter, mit ihrem ganzen Wesen unzertrennlich und (wie es die Theologen nennen) hypostatisch vereinigter Karakter beiwohne; Vehse 1842 Weltgeschichte II145 f. Was die Handhabung
gentil des Regiments betrifft, so war Heinrich keineswegs ein Bürgerkönig im heutigen Sinne, er war durch und durch ein König der gentilhommerie, auch Sully war vom Kopf bis zu den Zehen ein gentilhomme, aber ein billiger, ehrenfester gentilhomme, der den Bürger- und Bauernstand zwar tief unter den Seigneurs gehalten, aber ihn nicht von ihnen gedrückt und getreten haben [wollte]; Marx 1850 Neue Rhein. Ztg. 139 Die gentilhommerie brauchte natürlich [den gens] taillable ä merci et [misericorde] nicht Wort zu halten; Sanders 1871 Fremdwb. l 436 Gentilhommerie . . der Stand eines Gentilhomme, der Adel; Michels 1911 Soziologie des Parteiwesens 267 Die bürgerliche Offizierswelt teilt dabei allerdings nur die Tendenz zur Gentilhommerie, der das gesamte deutsche Bürgertum [durchzieht], nur daß sich der Prozeß bei ihr in beschleunigtem Tempo und bewußter Konsequenz vollzieht; Sombart 1919 Soz. 2 vier soziale Klassen: Die Gentilhommerie, den parti feodal zu „deutsch" etwa die Feudalaristokratie, kürzer und schlichter: die Junker; Glaser 1967 Aufklärung heute 16 So ist es denn überhaupt nicht dazu gekommen, ein anderes Ideal einer herrschenden Klasse bei uns herauszubilden als dasjenige der Gentilhommerie; Martin 1979 Bürgerliche Exzellenzen 36 Bei dem Kreuzungsvorgange zwischen Gentilhommerie (oder den Junkern) und Bourgeoisie erweist sich bei uns jene als das stärkere Element. Gentilität: Huber 1833 Spanien III 55 Leerheit, Unwissenheit und Gemeinheit hinter einer Süffisance, einer Affektion von Gentilität und Fashionabilität, zuweilen auch hinter einem Anstrich von Vielwisserei versteckt; Freytag 1855 Soll u. Haben 287 f. In dem Brief des Prinzen ist das Alter der Familie erwähnt und der Wunsch ausgesprochen, daß sie noch viele Generationen, wie bisher, in musterhafter Gentilität, so sind die Worte des Briefes, blühen möge. Du, Lenore, und dein Bruder, ihr habt dafür zu sorgen . . Ich lebe in musterhafter Gentilität .. Und für die Ehre der Familie kann ich nichts tun (DiBi 125); ebd. 55 Der Junge unterschied sich von dem ursprünglichen Herrn Veitel durch ein auffälliges Wesen von schäbiger Gentilität. Er trug die letzten Überreste des Kleidergeschäftes auf, glänzende Seidenwesten und einen Frack, der ihm nur wenig zu groß war. Er bewies, daß die neue Firma auch in Sachen der Toilette und Bildung avancierter war, als das in vielen Dingen gewöhnliche Geschäft des Ehrenthal (DiBi 125); Scheiben 1879 Offizier-Brevier 74 er ist ein schmutziger Kerl und wenn er unter noch so anständiger Form und sogenannter „Gentilität des Spiels", die schliesslich sein eigener grösster Vortheil ist, sein schmieriges Treiben übertüncht; Stutterheim 1937 England 102 müssen wir eine Gefahr verzeichnen, der sie unter-
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worfen ist: die Gentilität. Auf deutsch, das Bestreben, fein zu sein, das sich vor allem in der Sprache ausdrückt; Spieß 1977 Charles Sealsfields Werke 120 Man fragt, wer ihn in die Gesellschaft eingeführt, zweifelt an seiner Bildung, Gentilität, und so geräth die kurz vorher so aufmerksam zuhörende Gesellschaft in die wildeste Lustspielscene. gentil 2: Dahlmann 1835 Politik I 34 die Clienten wurden in die Geschlechter mithineingezählt, aber bloß als dienende Mitglieder, die der Staat nur durch ihre gentilen Vertreter kannte; B.Z. am Mittag 26. 4. 1936 Es gibt auch eine Art gentilen Umbringens eines Königs, und es ist von Zeit zu Zeit in gewissen Ländern auch notwendig; Mühlmann 1962 Homo 36 Deklassierung gentiler Verbände; ebd. 236 Dasselbe gilt für zeitgenössische Naturvölker von gentiler Prägung; Haubrichs 1988 Geschichte 96 Neben dem erotisch gefärbten Brauchtumsspott steht gentile Schelte; FAZ 28. 3. 2003 Die Renaissance der gentilen Gottheiten und die Krise des jungen Europa; Zeit (online) 4. 3. 2004 Wir sprechen vom Süden der USA und von seiner „gentilen Tradition", die inklusive Ausbeutung der Sklaven ein angestammtes Recht auf Artverwandtschaft mit dem Absolutismus und mit der Kultur des Barock behaupten darf. Gentil-/gentil-: Hinrichsen 1848 Germanisten 100 Kastenwesen, Sklaverei und Gentilordnung zeigen sich freilich schon im grausten Alterthum; Kuntze 1869 Excurse l 136 Innerhalb der sacralen Gentilordnung läßt sich eigentlich nur eine Intestaterbfolge denken, und nur auf der Grundlage derselben mochte der Privatwillen einigen Spielraum finden; Seitz 1884 Gesch. d. röm. possessio 156 der Charakter der späteren Rechtsverschiedenheit war, nachdem die Rechtsverschiedenheit der Gentilverfassung der Stadt Rom verschwunden war, weniger mehr eine Rechtsverschiedenheit inter genes, als inter civitates; Morgan 1891 Urgesellschaft 52 Die Gentilorganisation erschließt uns eine der ältesten und im weitesten Umfange zur Geltung erlangten Institutionen der Menschheit; Fischer 1897 Soziale Problem 156 Das in seinen ersten Entwicklungsstufen instinktive Zusammengehörigkeitsgefühl der Glieder der Gesammtfamilie erhebt sich . . durch Emporsteigen zu höheren Bewusstseinsgraden zu der durch ihre hohe Intensität ausgezeichneten Gentilempfindung, dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Glieder eines Geschlechts; 1905 Naturwiss. Wochenschr. XX 523 Gentil- und Stammesverfassung; Wundt 1917 Völkerpsych. Vlll 14 Gentilverfassung; Carle 1931 Weltanschauung 46 Der Staat bestand nicht von Ewigkeit her, denn vor ihm gab es die Gentilverfassung; Wandel 1947 Einheitsschule 38 Es ist sicher nicht möglich, in einem mo-
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dernen Staat, auch wenn er ein demokratischer Staat ist, gut auf die Gentilverfassung zurückzugehen; Sellnow 1961 Periodisierung d. Urgeschichte 97 Der Charakter der Gesellschaft sowie die sozialen Beziehungen der Menschen änderten sich also mit dem Übergang zur Gentilgesellschaft; Fleischer 1978 Geschichtsprozeß 174 trotz der humanen Qualitäten, die Engels im Binnenbereich der Gentilgesellschaft mit viel Sympathie schildert, ist diese Gesellschaft im ganzen doch alles andere als frei von sozialen Antagonismen; Günther 1986 Germanen erobern Köm 4 Im Zusammenhang mit der Zersetzung der Gentilordnung entstand erst der „Rohstoff" für die künftige feudale Klassenentwicklung; Wahl 1997 Jakobserzählungen 121 Früher lebten die Szckler als halbnomadische Viehzüchter mit gemeinsamem Grundeigentum in einer Gentilordnung. Gentilität: Rot 1571 Diet. 314 Gentilitet, Heydnische art/ wesen vnd thun, Item Gschlecht/ freundtschafft; 1786 Allgem. Literatur-Ztg. U 62 Beyde Vf. verwerfen nach dem alten römischen Recht folgende Gründe der Erbfolge: natürliche Liebe, Erhaltung des Familienglanzes, Samteigenthum, Nachahmung fremder Gesetze, Gemeinschaft der häuslichen Religion u.a. m. Hr. H. verzweifelt an einem sichern allgemeinen Grund, Hr. S. aber sucht ihn allein in dem Recht der Agnation und Gentilität; 1806 ebd. IV 135 Ausserdem leitet aber der Vf. aus jener Stelle einen neuen Begriff der Gentilität ab: Da nämlich der Sohn eines Freygelassenen nach Gentilität habe beerbt werden sollen,
so müsse man active und passive Gentilität unterscheiden: jene (die Gentilität mit Erbrecht) sey das Verhältnis der Häupter einer gens, (d. h. ihrer freygebornen Glieder) zu ihren Mitgliedern (wozu denn auch Freygelassene und ihre Nachkommen gehörten); 1833 Jahrbücher f. wiss. Kritik l 706 ff. Wer davon abweicht und die Plebejer in den 'gentibus' der 'curiae' mit enthalten sein lässt, wie Hr. Hüllmann, der muss wenigstens zeigen, auf welche Weise man denn in dieser Beziehung einen Plebejer erkannt habe, und auf welche Weise man ihn einem Patricier entgegengesetzt habe, wenn nicht nach dem Rechte der Gentilität; Sybel 1844 Entstehung 16 die . . Frage, ob eine Gentilität unter den ältesten Germanen bestanden habe; Heynt 1849 Nationalvers. H Voriv. IV ein Princip geistiger Gentilität; Lassalle 1861 System II 428 Die Reihe der Gentilität steht ja erst hinter den Agnaten, und der letzte ist daher noch der Vordermann des Gentilen; Morgan 1891 Urgesellschaft 243 „Die römische Gentilität," bemerkt Niebuhr, „verlieh auch Vortheile . ."; Dove 1916 Vorgesch. d. dt. Volksnamens 26 Das älteste Beispiel hierfür bildete wahrscheinlich das nomen Latinum; aber eben dies umfaßte später überwiegend 'ernannte' Latiner, eine staatsrechtliche Gesamtheit, deren fingierte Gentilität erst durch das nomen zustande kam; Westphal 1943 Das Reich l 200 dessen Heidentum, 'Gentilität', seinem Kultusminister Alkuin anstößig genug war; Münkler 1983 Blickfeld des Helden 21 Die Bildung des Gefolgschaftswesens, das mit dem Prinzip der Gentilität konkurrierte — der im Hildbrandslied besungene Konflikt resultiert nicht zuletzt aus der Konkurrenz beider Prinzipien.
Gentleman M. (-s; Gentlemen, selten auch Gentlemens), seit Ende 16. Jh. (PFEIFER) selten, seit späterem 18. Jh. häufiger belegte Entlehnung aus gleichbed. engl. gentleman (nach dem Vorbild von altfrz. gentilz hom, gentil ome 'Edelmann' gebildet aus engl. gentle 'vornehm, edel, höflich, gütig' < altfrz. gentil 'adlig, edel, anmutig', —> gentil l, und engl. man 'Mensch, Mann'; vgl. frz. gentilhomme, ital. gentiluomo, —> gentil), anfangs in der Schreibung Gentelman und (eindeutschend) Gentlemann (zu weiteren, eventuell als frz./engl. Mischformen aufzufassenden älteren Varianten vgl. Gentilhomme, —> gentil 1). Zunächst als Ehrentitel für den wappenberechtigten Mann aus dem niederen Adel (vgl. Gentry) bzw. für bürgerliche Angehörige der englischen Oberschicht, dann allgemeiner und bis heute oft auf engl. Verhältnisse bezogen in der Bed. 'Mann, Herr von Anstand, Takt, Lebensart und Charakter; Mann von Welt, mit vornehmer Gesinnung, Bildung, korrekten gesellschaftlichen Umgangsformen, gehobenem Lebensstil und entsprechendem Auftreten und Erscheinungsbild' (s. Belege 1777, 1778, 1799, 1835, 1897; vgl. Elegant., —> elegant), häufig konnotiert mit „ehrenhaft, fair, zuverlässig; gebildet; fashionabel", seit spätem 18./Anfang 19. Jh. als verbreiteter modischer Ausdruck für den männlichen Idealtypus der damaligen bürgerlichen Ge-
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Seilschaft (vgl. ältere Bezeichnungen für Persönlichkeitsideale wie im 16. Jh. Biedermann, im 17. Jh. Galanthomme, —> galant, im 17.718. Jh. Gentilhomme, —> gentil, —»· Kavalier, und im 18. Jh. Weltmann), auch als Anrede gebraucht für „(Gnädiger) Herr!" bzw. im Pl. „Meine Herren!", seit frühem 20. Jh. v. a. im politischen Bereich in der aus dem Amerikan.-Engl. übernommenen Wendung Gentlemen('s) Agreement, seltener auch im Sing. Gentleman('s) Agreement, 'im Vertrauen auf das anständige, korrekte Verhalten des Partners getroffene Übereinkunft, die weitgehend auf eine schriftliche Festlegung verzichtet, Abmachung ohne formalen Vertrag, Vereinbarung, Abkommen auf Treu und Glauben, auf Ehrenwort' (—»· Agreement), eingedeutscht auch Gentlemanabkommen, -abrede, und in Wendungen wie er ist ein wahrer, wirklicher Gentleman, ein Gentleman hätte sich anders verhalten, ein perfekter, vollendeter Gentleman, wie ein Gentleman auftreten, aussehen, sich wie ein Gentleman benehmen, verhalten, von Kopf bis Fuß ein Gentleman sein, jeder Zoll ein Gentleman!, ein Gentleman genießt und schweigt, als Bestimmungswort (oft in Verbindung mit Bezeichnungen für Personen und Sachverhalte des kriminellen Milieus) in Zss. wie Gentlemaneinbrecher (nach dem 1907 erschienen Roman von Maurice Leblanc „Arsene Lupin — der Gentleman-Einbrecher"), -image, -dieb, -look, -gauner, -detektiv, -delikt, -gangster, -Verbrecher und eher okkasionell als Grundwort (oft in Verbindung mit Bezeichnungen bes. der Bereiche Sport, Film, Musik) in Zss. wie Box-, Film-, Fußball-, Leinwand-, Tennisgentleman und Möchtegern-, Schläger-, Südstaaten-, Vorzeige-Gentleman. Dazu seit spätem 18. Jh. (aus gleichbed. engl. gentlemanlike, aus gentleman und like 'ähnlich' übernommenes) gentlemanlike (Ggs. ungentlemanlike), auch gentlemanlike, adv. und öfter auch adj. gebraucht für 'nach Art eines Gentlemans, einem Ehrenmann ähnlich, ihm geziemend, seiner würdig, vornehm, höchst anständig, ehrenhaft, edel, ritterlich', in Wendungen wie er benahm sich nicht gerade gentlemanlike, sein gentlemanlikes Betragen, gleichbed. mit in der 1. Hälfte des 19. Jhs. selten bezeugtem (teillehnübersetztem) gentlemanartig und vereinzelten Eindeutschungsversuchen wie gentlemanlich, gentlemännlich und gentlemännisch. Seit frühem 19. Jh. die veraltete Gelegenheitsbildung Gentlemanigkeit F. (-; ohne Pl.) sowie seit Mitte 19. Jh. bis ins 20. Jh. die subst. Ableitung Gentlemantum N. (-s; ohne Pl.). Daneben seit späterem 19. Jh. aus Gentleman verkürztes Gent M. (-s; -s) 'vornehm gekleideter Mann', auch abwertend für 'Stutzer, Geck; übertrieben modisch gekleideter Mann' (—> Beau, —> Dandy), mit der im 20. Jh. vereinzelt bezeugten adj. Ableitung gentmäßig 'in Art und Weise eines Gecken, stutzerhaft'. Gentleman: Rachel 1664-77 Satyr. Gedichte 118 schon der Kauffmannschafft, Künsten, und HandDer Gentelman hat auch sein Theil davon bekomwercken zugethan sind; Achenwall 1768 Staatsmen; Linde 1706 Gedichte 33 Ja was in Engelland verf. 289 Alle übrigen Groß-Britannische Bürger die grossen Tittel gelten, (Wo auch der Hencker gehören zur Commonalty, und werden auch, jeselbst sich Gentleman last schelten); Sperander doch mit Ausschluß der geringern Handwerks1727 A la Mode-Sprach 277 Gentlemann, heisset und Dienstleute und des übrigen niedrigsten Pöim generalen Verstande der hohe und niedrige Adel bels, unter dem allgemeinen Namen Gentry begrifin Engelland . . In absonderlichem Verstande aber fen, und heissen Gentlemen; Bote 1777 Br. an Bürwerden diejenigen also genennet, welche nicht alger (U 117) Er ist kein Kind, hat die Welt gesehen lein von adelichem Herkommen, und die untersten und ist vollkommen, was die Engländer nennen a von dem kleinen Adel seyn, sondern auch die sich gentleman; Archenholz 1778 England III 81 Am als ein Gentlemann aufführen können, ob sie häufigsten wird durch die Benennung Gentleman
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ein Mann von feiner Lebensart verstanden; Moritz 1783 Reisen 109 er sähe wohl, daß ich ein Gentleman wäre; Knigge 1788 Umgang 308 Wenn der Titel eines Gelehrten nicht heut zu Tage so gemein würde, als der eines Gentelmann in England; 1799 Journal d. Moden XIV 413 Mein Elegant hingegen, ein wahrer fine Gentleman; Lindner 1814 Australien 151 daß unter den Deportirten weit weniger Leute gefunden werden, welche ein Handwerk verstehen . . als vielmehr solche, welche allerlei Luxusartikel verfertigen, oder Krämer, Ladendiener, Gentlemens, Kammerdiener, Kutscher etc.; Bretschneider 1817 Reise 187 dass ich selten einen Nobleman oder Gentleman von ihm gehen sah, der nicht einen Beweis englischer Freigebigkeit hinterlassen hätte; 1835 Denknisse 16 dass der Berufene nicht mit gewöhnlichen Wegweisern, Boten und dergleichen geringern Helfern zu verwechseln sei, sondern durchaus als ein Gentleman müsse betrachtet werden; Kohl 1845 Skizzen l 129 Wer in vollem Maße den Namen Gentleman verdienen will, dessen Handlungsweise, Meinungen und Grundsätze müssen in vollkommener Harmonie mit seinen Sitten und seinem äußeren Wesen stehen; Braun 1881 Bilder l 359 gleichwohl. . wußten sie im persönlichen Verkehr einander als Gentlemen zu behandeln; Hillebrand 1885 Culturgesch. 253 die Möglichkeit, auf den zwei aristokratischen Universitäten des Landes in Gesellschaft von Gentlemen erzogen zu werden; Fontäne 1897 Stechlin 21 Unser Stechlin ist der beste Kerl von der Welt, und wenn ich das verdammte Wort nicht haßte, würd' ich ihn sogar einen „perfekten Gentleman" nennen müssen; Zobeltitz 1902 Papierene Macht 114 die tausend Kleinigkeiten, die das Leben eines Gentlemans behaglich ausgestalteten; Hesse 1910 Rosshalde 155 Er hat bis jetzt noch zu keinem Beruf besondere Lust und sein Ideal wäre eine Art von Gentleman, der gleichzeitig Sport und Studien, Geselligkeit und Kunst betriebe; Steinitzer 1910 Sport u. Kultur 43 Es gibt in England nur zwei Möglichkeiten, innerhalb der Grenzen des Gentlemantypus sich auszuzeichnen: die Politik und den Sport; 1929 Handb. d. Englandkunde 264 zum gentleman gehört in England zweifelsohne die Zugehörigkeit zu Christentum und Kirche; 1932 Volk u. Reich VIII 499 Problem der Außenpolitik, dessen künftige Lösung (nach dem vorbildlichen Muster der alliierten Gentlemanabrede) durchaus von der Erfüllung notwendigster Bedingungen wirtschaftlicher und politischer Art abhängig bleiben muß; Münch. N. N. 2. 10. 1937 In dem durchaus nicht immer richtigen Glauben, daß die Begriffe „Gentleman" und „Fair play" sich für alle Zeiten in englischer Erbschaft befinden; Süddtsch. Ztg. 2. 12. 1950 Wie die deutsche Reformation den Untertan, die englische Revolution den Gentleman,
die französische Revolution den Citoyen geprägt hat; ebd. 28. 5. 1953 Die 37 Prozent der Einkommen- und Körperschaftssteuer seien bisher ohne gesetzliche Grundlage und nur auf Grund eines Gentleman-Agreements an den Bund gezahlt worden; Bildztg. 13. 6. 1967 Altig ist ein Gentleman, ein deutscher Herr, der Radrennen fährt; Mannh. Morgen 27. 1. 1987 Regisseur Abuladse, ein 62jähriger, weißhaariger Gentleman im korrekten grauen Anzug; taz 31. 12. 1997 Professor Humbert Humbert, ein Gentleman alter Schule, verliebt sich haltlos in die 14jährige Tochter seiner Zimmerwirtin; Mannh. Morgen 2. 6. 2003 Nach der l: 3 (0: 2) -Niederlage . . verabschiedete sich der Ex-Nationalspieler zwar voller Wehmut, aber gleichzeitig wie ein Gentleman von seinem Verein. gentlemanartig: Goethe 1816-32 Sehr. z. Kunst (WA I 49.1,399) [Porträt eines Offiziers] in dem Incognito des Civilkleides ist jeder charakteristische Zug verschwunden. Gentlemanartig in Stellung und Kleidung; Pückler-Muskau 1834 Landschaftsgärtnerei 11 f. Wenn ich hier England besonders hervorhebe, so geschieht dies weder aus Mode noch Anglomanie, sondern aus der festen Überzeugung: daß in der Kunst eines würdigen und . . gentlemanartigen Lebensgenusses . . England uns noch lange ein unerreichtes Vorbild bleiben wird; Riehl 1859 Culturstudien 245 mit den englischen Sitten und Bedürfnissen, nicht mit den Einflüssen englischen Handels und Gewerbes, wurden auch die Preise gentlemanartig und schössen . . in die Höhe. gentlemanlich/gentlemännlich: Byron 1836 Ritter Harold's Pilgerfahrt 379 Liebe zur Tugend und Freiheit, die den Charakter ausgezeichnet haben muß, schmückt gewiß die Blätter des Herrn Eustace und der gentlemanliche, für einen Schriftsteller und dessen Erzeugnisse so empfehlenswerte Geist ist in der ganzen „Classical-Tour" wahrzunehmen; Höfken 1846 Englands Zustände I 138 unser Vaterland ist noch bäuerlich und sowenig gentlemanlich bebaut wie England; ebd. II 225 in dieser poetischen Befreiung desselben [Shakespeare] vom romanischen Sprachdrucke durch Werke, die alle gentlemanlichen Geistesschöpfungen fort und fort in Schatten stellen; Gutzkow 1852 Ritter VIII 312 Dem offenen gentlemännlichen Benehmen (SANDERS DWB); Eyth 1899 Pflug 313 des gentlemanlichen Vertreters der grossen englischen Firma. gentlemanlike: Moritz 1783 Reisen 76 aber er mache ihn zu Gentlemanlike, das ist zu sehr mit dem Air und Wesen eines Gentleman oder feinen Mannes; Bouterwek 1810 Gesch. VIII 16 nahmen auch
Gentleman die Sitten seines Hofes eine äußere Eleganz an, die selbst in der Frivolität dem Standesmäßigen (gentleman-like) entsprach; Heine 1833 Franz. Zustände (V 69) in der Leidenschaft immer anstandsvoll, würdig, gentlemanlike; Kohl 1844 Brit. Inseln 1 240 diese gentlemanliken Clubs; Heine 1854 Lutetia (VI 353) sein Vortrag ist so gentlemanlike; Wachenhusen 1861 Freischaaren 4 betrachtete ich mich selbst .. und fand, daß ich äußerst gentlemanlik [!] sei; Rodenberg 1872 Studienreisen in England 191 ein geräuschloser, ruhiger, „gentlemanliker" Ton, obwohl frei von Zwang, herrscht überall; Fliess 1893 Miasmen 183 es erfüllte sie doch mit einer gewissen stolzen Befriedigung, von einem überaus stattlichen und gentlemanliken Doktor beider Rechte sich in ernster und feiner Weise den Hof machen zu lassen; Bahr 1893 Neben d. Liebe 214 unter welchen Bedingungen er [Selbstmord] für gentlemanlike gelten darf; Schneider 1895 Officier 19 taktvoll, rücksichtsvoll, gentlemanlike — mit einem Worte: wahrhaft nobel; Steinitzer 1910 Sport u. Kultur 39 Es ist nicht gentlemanlike, anders sein zu wollen als andere, sich von den herrschenden Ansichten zu weit zu entfernen; Berl. lllustr. Ztg. 13. 12. 1931 Sie führt sich ernst und gentlemanlike auf; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 449) liebes Kind, das wäre nicht schön und gar nicht gentlemanlike nach dem, was wir einander geworden; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 331 Ramsch wird sie nicht kompromittieren. Gentlemanlike; Zeit 30. 1. 1987 wenn unsere Rednerin ladylike gekleidet gewesen wäre . ., dann würden sich die Männer auch gentlemanlike verhalten; taz 28. 3. 1994 Nicht ganz so gentlemanlike wie sonst sah Box-Weltmeister Henry Maske nach seiner Titelverteidigung gegen Ernesto Magdaleno aus; St. Galler Tagbl. 2. 7. 1998 Dazu kam, dass seine Ausdrucksweise nicht gentleman-like war; Mannh. Morgen 21. 7. 2001 gerade die Engländer haben ihren Knien schließlich nur als Kolonialherren in der Fremde Textil-Freiheit gegönnt. Auf ihrer Insel sind kurze Hosen bis heute verpönt, ganz und gar nicht gentlemanlike. ungentlemanlike: Nicolai 1788 (Aus jacobis Nachlass l 101) das niederträchtige ungentlemanlike Betragen; Kohl 1845 Skizzen l 106 Obgleich der Nobleman dem Stande nach über dem Gentleman von Geburt steht, so müssen seine Sitten doch die Kritik des Gentleman passiren und es sich gefallen lassen, durch die Worte „gentlemanlike" oder „ungentlemanlike" bezeichnet zu werden; Schlesinger 1852 London l 60 Er soll anfangs sehr ungentelmanlike [!] gewüthet haben; Peters 1904 England 207 Der junge Mann respektiert diese Grenzen, weil er es für „ungentlemanlike" hält, von sich aus zu versuchen, sie zu überschreiten; Schmilz 1914
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Land 107 während wir für eine Tugend und einen Fehler bekannt sind, die beide gleich ungesellschaftlich sind, gleich „ungentlemanlike", für Grobheit und Gemütlichkeit. gentlemännisch: Heine 1828 S. W. III 481 Obgleich sein schwarzer Anzug, bis auf den Schnitt des Fracks, ganz gentlemännisch ist; Seals field 1833 D. Legitime l 148 Den franken gentlemännischen Anstand (SANDERS DWB); Schlesinger 1852 London I 387 Ein Foreigner, aber ziemlich gentlemännisch!; Barnum 1855 Leben 133 ich . . sah dort das erste Mal in meinem Leben den gentlemännischen und mit Recht beliebten Eigenthümer; Schmidt 1871 Bilder 11 41 führt ein gentlemännisches, flanirendes freies Leben, nach Art unsrer englischen Clubmänner; Bleibtreu 1888 Größenwahn l 253 Gentlemännische Manieren wissen ja diese Adligen immer herauszubeißen. Er ist immer höflich und liebenswürdig, aber in seinem hübschen glatten Gesicht lauert ein Zug von rücksichtsloser Brutalität (DiBi 125); Aller 1989 Cultural Hermeneutics of Modern Art 219 Neigung zur Identifikation der Sprachsysteme wegen lautlicher Assoziation verrät das von Sealsfield häufig benutzte hapax legomenon 'gentlemännisch' . . an Stelle des damals doch schon üblichen Fremdworts 'gentlemanlike'. Gentlemantum: Höfken 1846 Englands Zustände I Von. X es deutet dies auf einen Makel des britischen Gentlemanthums; Haiebrand 1885 Culturgesch. 333 die Engländer . ., die zu Hause jene vortreffliche Einrichtung des Gentlemanthums besitzen; Kaiser 1911 Lebenserinn. 140 Die Hingebung an die Wissenschaften, die Ehrfurcht vor der Wahrheit, kurz das Gentlemantum, sie decken sich nicht mehr in gleicher Weise wie vor Zeiten mit dem Professorentum und dem Beruf der Volksvertreter; Gebauer 1932 Kulturgesch. 579 eine Ethik, die wohl unter Umständen zum äußerlichen Gentlemantum erziehen, aber infolge der grundsätzlichen Ausschaltung altruistischer Motive auf Allgemeingültigkeit keinen Anspruch erheben kann; Binding 1937 Br. 381 so ist doch im neuen Soldaten dieses Lebens ein Korn von Gentlemantum und Adel notwendig, ohne welches der ganze Kerl nichts taugte. Gent: Rodenberg 1863 Strassensängerin III 18 Ein Gent muß das Halstuch genial tragen, a la Byron, und den Hut schief aufsetzen. Ein Gent muß für halben Preis in's Theater gehen und sich mit Policemen schlagen; Brieger-WassertOgel 1911 Gesellschaft 39 Schwarz, weiss, grau, dunkelblau und braun sind die für alle Bekleidungsstücke des Gent einzig möglichen Farben; Schwitz 1914 Frankreich 43 der strenge Blick eines „Gent"-Kellners; Stratz
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1929 L/W 25 Jedenfalls ist der Robby hundertprozentiger Gent!; Voss. Zig. 14. 2. 1930 Ein Mensch mit Röllchen kann mehr zu sagen haben als ein „Gent" in handgenähten Oberhemden aus London; Werfel 1931 Geschwister 53 Hier stehn die Männer sehr bewegt durcheinander, Hunderte, ohne Rangunterschied, der Gent im Frack neben dem Mozzonaro im Ruderhemd; Tucholsky 1927 Mann am Schlagzeug (Ges. W. V 199J Gents gehen durch den langen Raum, die Hände lässig in den Hosen, mit gelangweiltem Gesicht (DiBi 15); Dtsch. AZ. 8. 8. 1935 ein junger „Gent" schoß eilig zwischen den beiden durch und stieß mit seiner Handtasche an das linke Schienbein des dicken
Herrn; Kapeller 1964 Schimpfbuch 63 Gent. Spottname für „feinen Herren", der aber nur so fein tut und es gern sein möchte; taz 9. 12. 1989 Das Publikum scheint dagegen eher aus dem Lager der Grauen Panther zu stammen: alles weißhaarige ältere Ladies und Gents; Neue Kronen-Ztg. 21. 5. 1998 Gegen freie Kost und Logis beglücken die beiden Gents ältliche Ladies als charmant-kernige Eintänzer. gentmäßig: Leipz. Neuesie Nachr. 13. 4. 1929 er besann sich eines Besseren, bat gentmäßig um Verzeihung.
genuin Adj. und Adv., im späten 17. Jh. entlehnt aus lat. genuinus 'unverfälscht, echt', eigentlich 'angeboren, natürlich' (zu genus, —·· Genus). Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'eigentümlich, eigentlich, natürlich; unverfälscht, echt, nicht nachgemacht, ursprünglich' (—* authentisch, —» typisch, vgl. original], vereinzelt auch mit Bezug auf Kopien (s. Beleg 1724), in Wendungen wie eine genuine Aufgabe, Erfindung, Tradition, ein genuines Talent, Werk, der genuine Ort von etwas, auch als Adv., z. B. eine genuin filmische Metapher, eine genuin amerikanische Art/bürgerliche Erfindung/erzählerische Begabung, ein genuin deutsches Phänomen, genuin politisch, europäisch; daneben seit Anfang 20. Jh. auf Krankheiten bezogen als Terminus der Medizin 'eigen-, selbstständig, nicht als Folge anderer Krankheiten auftretend; angeboren, erblich' (s. Belege 1903, 1914, 1942, 1974), z.B. genuine Krankheiten, genuine Pneumonie, Epilepsie und übertragen auf andere dem Menschen angeborene, angestammte körperliche und geistige Eigenschaften und Befindlichkeiten (s. Belege 1947, 1990, 1993). Dazu seit Ende 18. Jh. die subst. Ableitung Genuinität F. (-; ohne PL) 'Echtheit, Ursprünglichkeit, Natürlichkeit'. genuin: Becher 1682 Glücks-Hafen o. S. wegen so vielerhand Manuscripten/ die theils lange Jahre vermauret/ verrottet/ zerrissen und unleßlich gewesen: was solte ich aber thun? ich habe sie lieber genuine, wie ich sie gefunden; Schlöpke 1704 Bardewick 125 daß deswegen so verschiedene von Carolo M. vorhandene Fundationes ohn allen Unterscheid/ insgesamt/ als nicht genuin, gehalten/ und verworffen werden sollten; Vischer 1709 Informator 170 Durch diese [Numismatum] allein/ soll der berühmte Hr. Dr. Wagenseil zu Alltorff seinen Sohn die Historic gelehrt haben. Ob sie genuin, oder nachgemacht, darum darff er sich nicht bekümmern; Scheuchzer 1711 Physica H 245 Alle Steine übertrifft (so er je genuin) an Seltsamkeit und köstlichkeit der Drachenstein; Wagner 1724 Soldatenbibl. 102 die andere [Kopie] ist genuiner, besser und der vorigen vorzuziehen; Falckenstein 1738 Thüring. Chronicka 383 der entseelte Leichnam ist bey S. Alban begraben worden, Latomus führet ein Epitaphium von ihm an, so ich aber nicht vor genuin halte; Lessing 1769 Wie die
Alten den Tod gebildet (S. Sehr. XI 17) Ich wüßte im Geringsten nicht, was hier wider die natürliche Bedeutung der Worte oder gegen die genuine Construction der Sprache wäre; Cogniaczo 1794 Geständn. II 412 Dieß sind die genuinen Umstände dieser Schlacht, die wir . . geliefert hatten; 1824 Baier, int' Bl. (Isar) 478 Zur Herstellung des genuinen Passivstandes des bürgerl. Bierbrauers; 1854 Weimar. Jahrb. i 210 Das deutsch-nationale und genuinmusikalische Kunstwerk der Symphonie blieb den übrigen Nationen fremd; Pezold 1899 (Dtsch. Rundsch. C 64) . . Bedeutung und Tragkraft des schwedischen Kulturerbes; was irgend Keimfähigkeit in letzterem verhieß, sollte treu bewahrt werden als Geistesferment einer vielleicht ferner Zukunft angehörigen genuin finnischen Cultur; Marholm 1903 Psychologie 135 Sie war noch ganz genuin, noch keine Infection; Dornblüth 1914 Klinisches Wb. 110 Genuin .. selbständig; Pschyrembel 1942 Klinisches Wb. 244 Genuin: selbständig, echt; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 11) wenn es sich um lauteres und genuines, von
Genus Gott geschenktes oder auch verhängtes Genie handelt; Welt 5. 6. 1969 hört man weniger auf die absolute Schönheit dieser Musik als auf ihre textbezogene Subjektivität, so erschließt sich eine Summe aus Ironie, Lauterkeit, Traurigkeit, Sentimentalität, Frivolität, aus genuinen Gefühlen und aufgesetzten Allüren bei den handelnden Personen; Zetkin/Schaldach 1974 Wb. d. Medizin I 495 genuin . . angeboren, ursprünglich, selbständig, echt, eigentlich; Dülmen 1977 Reformation 331 Das Täufertum entstand als eine genuin reformatorische Bewegung; Zeit 27. 6. 1986 dieser Heinrich Mann soll kein bedeutsamer, kein genuin politischer Schriftsteller sein?; taz 22. 3. 1990 weil Sexualität etwas genuin Menschliches ist; 3993 FAZ o. Nr. der zweite Mörder, der aus genuiner Triebhaftigkeit drei Mädchen erwürgt hat; St. Galler Tagbl. 29. 4. 1998 Tendenzen, die von den neuen Medien her auch in die genuinen Gefilde der Buchgestaltung herüberstrahlen; Berl. Ztg. 12. 12. 2001 Die genuin deutsche Erinnerung an 68 betont dagegen die Auseinandersetzung mit dem Erbe des Nationalsozialismus. Genuinität: 1793 Allg. Literatur-Ztg. U Sp. 237 f. Wir haben keine Gelegenheit gehabt, die Genuinität dieses Products historisch zu untersuchen, aber innere Gründe sind in hinlänglicher Anzahl vorhanden, um zu vermuthen, dass es entweder eine kopflose Nachahmung oder eine boshafte Parodie der Prevotschen Manier ist; Eichhorn 1803 Krit. Schriften 421 f. Endlich, kommen hie und da Stellen vor, die einen spätem Concipienten voraus zu setzen scheinen: so ist oft nur ihre falsche Auslegung daran Schuld, oder sie haben sichtbar die Gestalt späterer Glossen, und schaden der Genuinität dieser Bücher, und der Meinung, daß Mose ihr Verfasser sey, so wenig, daß ich vielmehr einen Beweis für ihr hohes Alter daraus hernehme; 1809 Miscellaneen z. Gesch. d. teut. Lit. I 157 Denn wie nöthig ist es nicht, bei den vielen unbekannten Wörtern, uns durch mehrere Zeugnisse über die Genuinität
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dieser oder jener Form Gewissheit zu verschaffen!; 1851 Zeitschr. d. Dt. Morgenland. Ges. V 526 So sehr ich auch sonst geneigt bin, dem westlichen Einflüsse, wo irgend historische Spuren davon sich finden, sein Recht werden zu lassen, so sehe ich doch absolut keinen Grund, der sich hier für denselben geltend machen Hesse: die alterthümliche Fassung der Legend aber im Cat. Br. bürgt mir im Gegentheil für ihre Genuinität; Stumpf-Brentano 1874 Würzburger Immunität-Urkunden 12 Sollten sich Bedenken gegen die Genuinität dabei ergeben, dann würden hiermit allerdings die Zweifel gegen die Originalität, keineswegs aber notwendigerweise und in gleichem Grade auch gegen die Echtheit des Inhaltes jener Urkunden berechtigt er[wiesen]; Abderbalden 1910 Handb. d. biochem. Arbeitsmeth. 227 Verfahren zur Untersuchung der Abnahme der Genuinität der Proteine (Überschr.); Ziegelmayer 1936 Rohstoff-Fragen 157 Die Genuinität seiner Eiweißkörper, ihre volle Reversibilität, der geringe Gehalt an Milchzucker, verbunden mit einem auffällig hohen Gehalt an Mineralsalzen heben Aminogen heraus aus dem Bereich gewöhnlicher Milchpulver und weisen es ganz von selbst in die Reihe hochwertiger Eiweißnährmittel hinein; 1979 Theolog. Realenz. IV 497 Das gleiche gilt für die interpretierende Funktion, die die Auferweckungsaussage in den christologischen Kontexten des hellenistisch-judenchristlichen Traditionsbereichs erhält. Andererseits ist aufgrund des traditionsgeschichtlichen Befundes an der Genuinität der Auferweckungsformel festzuhalten; Margreiter 1997 Erfahrung u. Mystik 111 Es wurde aber auch angemerkt, daß Mystik von vielen Interpreten als ausschließlich religiöses Phänomen betrachtet wird, so daß man den nichtreligiösen Zugängen ihre Genuinität bestreitet und sie als bloße Pseudomorphosen eines religiösen Ursprungs bezeichnet; Goehler 2006 Verflüssigungen 76 Themenbezogene Arbeiten halten Einzug in die Theater, die ihrem Charakter, Bühne öffentlichen Lebens zu sein, ihre Genuinität zurückgeben.
Genus N., selten M. (-; Genera), Anfang 16. Jh. entlehnt aus lat. genus 'Geburt, Abstammung, Herkunft, Stand; Geschlecht; Gattung, Klasse, Art' (zu gignere 'hervorbringen, erzeugen'; wie griech. 'Geschlecht, Abkunft' zur idg. Wurzel *gen'erzeugen, gebären'; —» General, —> Generation, —» Generator, —» generell, —»· generieren, —> generös, —» Genie, —* Genitale, —>· Genius, —> Genre), bis heute auch in lat. (flekt.) Form. l Zunächst als Terminus der Sprachwissenschaft zur Bezeichnung der verschiedenen Klassen (männlich, weiblich, sächlich), in die die Substantive, Adjektive und Pronomina eingeteilt sind, dafür auch grammatisches Geschlecht, in terminologischen Fügungen wie (lat.) genus femininum, mascuHnum, neutrum, Genus commune 'ge-
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Genus
meinsames (grammatisches) Geschlecht', Wendungen wie das grammatische, das natürliche Genus und Zss. wie Genusbestimmung, -endung, -unterschied, -Wechsel; auch zur Bezeichnung der Aktionsform des Verbs als Aktiv oder Passiv in der terminologischen Verbindung Genus verbi (PL Genera verbi). 2 Seit späterem 16. Jh. in der Wissenschaftssprache als Bezeichnung für eine durch gemeinsame Merkmale verbundene Klasse von Objekten in der Bed. '(einzelnen Unterarten, Spezies) übergeordnete Art, Gattung; Geschlecht', speziell als Terminus der Philosophie für '(mehreren Begriffen) übergeordneter Begriff, Ober-, Gattungsbegriff; (mehreren Kategorien, Mengen) übergeordnete, verallgemeinernde, zusammenfassende Kategorie, (Ober-)Menge', z.B. im Syntagma Genus proximum (PL Genera proxima) Oberbegriff, nächsthöhere Gattung', von daher im Bereich des Rechtswesens in den Zss. Genuskauf 'Kaufvertrag, bei dem nur die Gattungsmerkmale der zu liefernden Sache, nicht aber ihre Besonderheiten bestimmt werden' (s. Belege 1901, 1986) und Genusschuld 'geschuldete Leistung, die nur nach Gattungsmerkmalen bestimmt ist'; daneben auch in Poetik und Literaturwissenschaft in der Bed. 'Gattung (eines Textes, einer Dichtung); Textsorte' (s. Belege 1642, 1712, 1957, 1967, 1991; —» Genre), auch zur Bezeichnung der drei literarischen Grundformen Lyrik, Epik, Drama und bes. in der Verbindung Genus dicendi (eigentlich 'Art des Sagens'; PL Genera dicendi) mit Bezug auf die Schreibart bzw. die Stilebene dichterischer Werke (vgl. Genus humile, mediocre, gründe] (s. Beleg 1615.2), gelegentlich auch übertragen in den Bereich der Musik (s. Beleg 1739); seit dem 18. Jh. bes. in der botanischen und zoologischen Systematik als (naturwissenschaftlicher) Klassifizierungsbegriff zur Bezeichnung der systematischen (der Spezies und dem Individuum übergeordneten, der Familie und der Klasse untergeordneten) taxonomischen Kategorie, in der verwandtschaftlich einander sehr nahe stehende Arten zusammengefasst werden, dtsch. dafür Gattung, z. B. ein Tier, eine Pflanze nach Genus und Spezies bestimmen, heute bildungsspr. und veraltend für eine Gesamtheit von Einzeldingen oder -wesen, die in wesentlichen Eigenschaften übereinstimmen, vgl. die lat. Wendungen in genere 'im Allgemeinen, allgemein' (—»· generell), sui generis '(von) eigener Art, charakteristisch'. Dazu seit späterem 18. Jh. die eventuell aus frz. generique oder engl. generic entlehnte adj. Ableitung generisch, zunächst vorwiegend als Terminus der Biologie und Mineralogie für '(durch Abstraktion gemeinsamer Merkmale) zu einer übergeordneten (biologischen, geologisch-mineralogischen o. ä.) Gattung zugehörig, gattungsmäßig (definiert); Gattungs-', z. B. generische Kennzeichen von Fossilien, generische Verwandtschaft zwischen Löwe und Tiger, generische Bestimmung, Abtrennung, dann erweitert in verschiedenen (Fach-)Bereichen, z. B. Ethnologie (s. Belege 1814,1863) und Rechtswesen (s. Beleg 1872) im Sinne von c auf eine große Gruppe von Objekten bezogen, für eine ganze Klasse von Gegenständen gültig, typisch, allgemein(-gültig)' (—> exemplarisch, —»generell; Ggs. —> spezifisch, —* speziell, vgl. detailliert), z. B. generische Unterschiede, Grundsätze, Verschiedenheit, generische Beschreibung, generischer Name, Begriff, speziell in der Sprachwissenschaft (s. Belege 1983, 1987, 1990, 1996, 2003), z. B. in der Fügung generisches Maskulinum 'beide natürliche Geschlechter umfassendes Maskulinum' (zu 2); gleichzeitig die verbale Gelegenheitsableitung generisieren V. trans, 'als allgemeinen (zoologischen) Typus fixieren' (zu 2). Genus 1: Anfang 16. Jh. (Siebenkees, Materialien Z. Nürnb. Gesch. H 728) die gemeinen Verß In
prima Alexandri die sich auff die Casus, genera, vnnd tempora referiren; Harsdörffer 1643 Ge-
Genus sprechspiele III 145 Genus. Das Geschlecht kan bißweilen den Außschlag machen: Als/ der Thor (Narr) und das Thor (am Hauß.); Abr. a S. Clara 1686 Judas l 284-286 (Wunderkur 57) Wissen gar wol/ daß Foemina [Weib] soll generis neutrius [neutral] seyn/ wider der Grammaticorum Außsag/ vnd solche decliniret [abgelehnt] vnd nicht conjugiret [verbunden] soll werden; Gottsched 1725 Sprachkunst (W. V/// 217; Wollen wir nun von diesen Hauptwörtern gründlich handeln, so haben wir dreyerley dabey zu erwägen: I) müssen wir ihre Bildung zeigen, und sie in ihre Arten (SPECIES) eintheilen; II) haben wir ihr Geschlecht (GENUS) zu bestimmen (DiBi 125); Herder 1772 Ursprung d. Sprache (Müller, Sturm u. Dr. l 183) Sie brachten also in die Nomina gleich den Zustand: in jede Person des Verbi gleich das Genus: sie unterschieden gleich durch Prä- und Afformativa (DiBi 125); Hippel 1778-81 Lebensläufe I 227 Dieß Wort [„Verstand"] ist mit Ew. Gnaden Erlaubniß generis masculini, oder wenn du es im Deutschen haben willst: Es hat Haar um den Bart (DiBi 125); Blumenbach 1791 Naturgesch. VII daß, genus auch Geschlecht bedeutet, lernen wir ja schon in den Kinderjahren in der Grammatik beym Unterschied der Worte generis masculini oder foeminini; Campe 1813 Fremdwb. 337 Genus, in der Sprachlehre, das Geschlecht der Wörter, welches entweder männlich (masculinum), oder weiblich (femininum), oder sächlich, das Sachgeschlecht (neutrum) ist; 1843 Brockhaus VI 139 In der Grammatik versteht man unter Geschlecht oder Genus gewöhnlich das theils durch die Bedeutung, theils durch die Endung bestimmte dreifache Geschlecht der Nomina; Sanders 1860 DWB I 578 Genus . . Geschlecht, nam. auch in der Sprachl[ehre]; 1870 Jahresber. Gymnasium 18 Lehre von dem Gebrauche der Genera, Tempora und Modi des Verbum; 1882 Brockhaus VII 790 In der spätem Entwickelung der indogerman. Sprachen, wenn die Endungen abgeschliffen werden, geht der Genusunterschied oft zum Teil oder ganz wieder verloren; Jellinek 1914 Gesch. d. nhd. Grammatik H 185 spätere Griechen haben die Theorie entwickelt, daß auch die Namen unbelebter Wesen wegen deren Ähnlichkeit mit männlichen oder weiblichen Eigenschaften masculines oder feminines Genus erhalten hätten; 1971 Textlinguistik o. S. Possessivpronomina z. B. haben mit den Artikeln außer der Stellung vor dem Substantiv auch die Flexion und damit die Fähigkeit gemeinsam, Kasus, Genus und Numerus zu bezeichnen; taz 31. 1. 1990 Wider das Masculinum als übergeordnete Pluralform setzt Luise Pusch eine weibliche Sprachrevolution: deren totale Feminisierung. Also: elf Sängerinnen, der eine Sänger steckt implizite, jedoch deutlich darinnen. Ein paar tausend Jährchen so therapiert, und
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die Sprache, d, h., die sie sprechen, würden erkennen, daß die Frau sowenig im Mann enthalten ist wie der Mann in der Frau, daß es also neben den geschlechtsspezifischen Genera auch ein geschlechtsneutrales Genus braucht; Berl. Ztg. 7. 8. 1999 Die Schwierigkeiten beginnen bereits beim Neutrum. Das Französische kennt nur zwei Genera, so dass es das Unbewusste als „Pinconscient" männlich, vor allem aber aktiv und damit bewusster setzt. Genus 2: Paracelsus 1562 Baderbücblin D 4a Dieweil nun auss den fruchten das genus, art vnd geschlecht, der bederen [Bäder] erkennt sol werden; Golius 1579 Onomasticon 99 Genus, geschlecht/ herkommen/ vrsprung/ oder anfang eines geschlechts; Wasserleiter 1590 Logica 88b Genus heissen die Grammatici ein Nomen appelativum, das ist ein ding, welches von vielen ändern gesagt oder gedeutet kan werden: daher es denn auch ein Gemeines geheissen wird; Wallhausen 1615 Kriegskunst zu Fuß l Es hat aber der wehrstand als ein genus in sich zwey Species, als da ist/ erstlich Status civilis oder forensis; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 213 Was ists für ein Rhetor/ welcher nit weist/ daß dreyerley genera dicendi vorhanden; Wallhausen 1616 Kriegskunst zu Pferdt 107 Im Eingang meines ersten Buchs/ hab ich dir hievon gemeldet/ da ich das Wörtlein bellum oder Krieg als ein genus dir setzet/ vnd seine zweyerley species dir gebe: als bellum apertum . . die erste Gestalt; bellum illegitimum, intestinum, die zweite Gestalt; Furttenbach 1627 Halinitro-Pyrobolia 80 ein Avertimento für einen gemeinen Büchsenmeister/ der etwann die namen der geschütz nit zu nennen/ oder die genere von einander zu Separieren weist; Opitz 1642 Poeterei 42 Hier sind die ersten zweene verß weibliche, die ändern zweene männliche: Denn mann dem weiblichen in diesem genere carminis gemeiniglich die oberstelle leßt; wiewol auch etliche von den männlichen anfangen; Thomasius 1691 Einl. z. Vernunftlehre 125 Wenn aber die individua die ein gemein Wesen haben/ von unterschiedenen speciebus seyn/ so heisst dieses gemeine Wesen Genus, oder essentia generica; Hübner 1712 Poet, Handb. 126 Bey gewissen materien lassen sich die langen Trochäischen Verse wohl gebrauchen, welches man GENUS HEROICUM zu nennen pfleget; Zedler 1735 Unwersallex. X 913 Weil nun diese Art derer Generum allzuviel Sachen unter sich begreifft, als kommen hernach solche Schlüsse heraus, die zu allgemein. Denn in einem wahren Genere sind nicht nur allgemeine Ideen sondern auch besondere; Mattheson 1739 Kapellmeister 208 da z. E. .. ein Lamento das Wehklagen; . . ein Allegro den Trost; ein Presto die Begierde etc. zum Abzeichen führen. Es habe nun der
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Genus
Componist darauf gedacht oder nicht, so kan es doch eintreffen, wenn sein Genus recht wircket; Meier 1759 Anfangsgründe Hl (Reg. 1) Folglich muß man in den aesthetischen Bildern, nicht so wohl die Arten und Gattungen (species et genus) als vielmehr den Unterschied . . zu schildern suchen; Lichtenberg 1764 Aphorismen l 27 Wie die Uebergänge der Thiere und Steine aus einer Species in die andere und aus einem Genus in das andere deutlich zeigen; Richter 1792 Stöchiotnetrie I 1,4 Es ist nicht ohne Ursache das Wort annehmen gebraucht, denn unter das Genus des Elements gehören manche individua die alle Unterscheidungszeichen mit chymischen Elementen gemein haben; Campe 1813 Fremdwb. 337 In der Naturbeschreibung wird Genus (das Geschlecht oder die Gattung) der Species (der Art) entgegengesetzt. Um die Naturkörper gehörig zu ordnen, hat man sie in Arten, Gattungen, Geschlechte, Klassen und Reiche getheilt; Goethe 1821 Br. (WA IV 34,164) das neu angekommene Heft der in China frey wachsenden Pflanzen durchzugehen und Familie, Genus, Species . . zu catalogisiren; ders. 1831 Naturwiss. Sehr. (WA U 6,117) unauflösbar schien mir die Aufgabe, Genera mit Sicherheit zu bezeichnen, ihnen die Spezies unterzuordnen, wie es vorgeschrieben war, las ich wohl, allein wie sollt' ich eine treffende Bestimmung hoffen, da man bei Linnes Lebzeiten schon manche Geschlechter in sich getrennt und zersplittert, ja sogar Klassen aufgehoben hatte; Burmeister 1855 Geolog. Bilder l 302 Obwohl gewisse Genera nach und nach aussterben (SANDERS 1871); Spielhagen 1861 Problemat. Naturen VII 253 Diese Species des genus homo (SANDERS 1871); Eckstein 1876 Satir. Zeitbilder 48 diesen mittelalterlichen Professorentypus . . Der vollgültige Repräsentant des ganzen Genus ist der Philologe, ein verknöchertes, herz- und hirnloses Geschöpf; 1901 Stimmen d. Zeit LX 362 Anm. Den plastischsten Ausdruck hat die von der Privatwillkür der Kontrahenten absehende und von der Börsenusance supplierte Genusnatur des Termingeschäftes durch den Vergleich des Terminschlusses mit dem Wechsel gefunden; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 569) bei aller Misanthropic und all dessen ungeachtet, was er über den Korruptionszustand des Lebens überhaupt, wie über die Fratzenhaftigkeit des Menschengenus im besonderen zu sagen und zu klagen weiß; Fraenkel 1957 Staat 264 die Form der Fürstenspiegel, deren Genus . . auf Augustinus' Porträt des gerechten Herrschers zurückgeht (DUDEN 1999); Böschenstein 1967 Idylle 25 Einen ersten Gipfel erreichte das neue Genus in der Dichtung des Neapolitaners Sannazar; Sauer 1970 Metaphysik o. S. diese alte Lehre weist darauf hin, es gäbe nichts, das noch umfassender wäre als das Sein: es überschreite alle Genera und sei
aller Umgrenzung gegenüber „transzendent"; 1986 Brockhaus VIII 168 Gattungskauf, Genuskauf, Kaufvertrag, bei dem die Vertragschließenden die zu liefernde Sache nur nach ihren Gattungsmerkmalen bestimmen (z.B. 1000 l leichtes Heizöl), im Unterschied zum Spezieskauf, der auf eine genau individualisierbare Sache gerichtet ist (z. B. ein bestimmtes Bild); tat 8. 11. 1991 Zudem ist die aristotelische Differenzierung in erzählende und dramatische Dichtung eine Unterscheidung nach Modi (Aussageweisen) und nicht nach Genera oder Species (Gattungen oder Arten); Frankf. Rundsch. 27. 3. 1999 zwei Giganten zu erschließen, die bis dahin allein über das Reich der Information geherrscht hatten: die Geschichtsschreibung und die Literatur. Die Chroniken gehörten beiden Genera an. generisch: Werner 1774 Kennz. d. Fossilien 80 Geschlechter der äußerlichen Kennzeichen aber oder generische Kennzeichen sind diejenigen, welche uns angeben, was wir an einem Foßile zu bestimmen haben, dergleichen sind die Farbe, der Zusammenhang der Theile, die Schwere, der Geschmack u.a.m.; Forster 1786 Menschenraßen (W. II 89) zweytens ist die allgemeine generische Verwandtschaft in einigen angeführten Beyspielen, wie zwischen Löwe, Panther und Tiger unläugbar (DiBi 1); Goethe 1790 Naturwiss. Sehr. (WA II 6,120) Vorstellung: die uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ursprünglich determiniert und festgestellt, ihnen sei vielmehr, bei einer eigensinnigen, generischen und specifischen Hartnäckigkeit, eine glückliche Mobilität und Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen . . sich zu fügen; ders. 1814 Dichtung u. Wahrh. (WA I 28,255) In seinen Productionen . . zeigt sich . . eine glückliche Beobachtung der menschlichen Mannichfaltigkeit, und eine charakteristische Nachbildung der generischen Unterschiede; 1835 Neues Jahrb. f. Mineralogie 65 Aber nach anderen Skelet-Theilen, die sich dabei vorfanden, gehörten sie sicherlich Thieren an, welche wenigstens generisch von den lebenden Krokodilen oder Lazerten verschieden waren, so wie solchen, deren Struktur nach einem ganz anderen Plan angeordnet war; Sanders 1860 DWB I 577 generisch . . die Gattung betreffend, bezeichnend; Kerner 1863 Aegypten II 196 Takruri-Pilger . ., mit welchem generischen Namen im Arabischen alle Negerpilger . . bezeichnet werden; Binding 1872 Normen I 176 entweder .. leugnen sie eine generische Verschiedenheit zwischen beiden . .; oder aber sie wollen zwischen Verbrechen und Civilunrecht eine Artverschiedenheit begründen; Engler/Prantl 1897 Pflanzenfamilien 358 Die Entwicklung des Kelches während der Blütezeit und seine schließliche Gestalt sind aber so merkwürdig, dass eine
Genus generische Abtrennung gerechtfertigt erscheint; Diener 1915 Triasperiode 19 eine Muschel, in Bezug auf deren generische Bestimmung der Autor zwischen Trigonodus und Nucula schwankt; Schindewolf 1937 Stratigraphie 35 Nach meinem Dafürhalten aber ist das Vorhandensein oder Fehlen der Medienfurche in der hier bestehenden Konstanz zusammen mit einigen weiteren Gehäuseunterschieden und in Verbindung mit dem vorliegenden Altersunterschied ausreichend zu einer generischen Abtrennung; Bußmann 1983 Lex. d. Sprachwiss. 162 Generische Lesart. Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken, die sich als Gattungsbegriff in kontextunabhängiger Weise auf Klassen von Einzelelementen beziehen; Heringer 1987 Lesen 256 In generischen Sätzen spielt aber die zeitliche Situierung kaum eine Rolle (DUDEN 1999); taz 30. 1. 1990 Er leitete ein mit einem Kratzfuß vor der berechtigten Abschaffung des generischen Maskulinums; Zeit 23.2. 1996 Generisch gebrauchte Substantive meinen beide Geschlechter, unabhängig von ihrem grammatischen Geschlecht; taz 21. l. 2003 In Sprache wie Schrift ist das generische Maskulinum, also der männliche Begriff, von dem Frauen oft, aber nicht immer mitgemeint werden, immer noch beliebt. generisieren: Goethe 1790 Naturwiss. Sehr. (WA H 8,225) Hier kommt . . zur Sprache, daß gewisse Gestalten, wenn sie einmal generisirt, specificirt, individualisirt sind, sich hartnäckig lange Zeit durch viele Generationen erhalten. in genere: Spangenberg 1563 Formularbüchlein 70 öffentliche Hurer, Ehebrecher, Mörder und Strassenräuber in genere, ingemein, ungenannt in Bann thun; Furttenbach 1628 Architect, civ. 11 wie starck auch ein eiserner Nagel immer gewesen/ in kein Maur zuschlagen nicht vermocht/ sonder wie in genere gebräuchig/ allweg zuvor mit einem Maurbörer vorlochen müssen; ders. 1640 Architect, recr. Vorr. X4b Daß ich aber die Recreation so in genere, so auch insonderheit hin vnnd wider angerührt; Grimmeishausen 1669 Simpl. 476 thät Lucifer eine scharffe Rede, in welcher er den gantzen Hauffen in genere und einer jeden Person insonderheit ihre Nachlässigkeit verwise; Becher 1682 Glücks-Hafen 85 bey Verpfändung aller unserer Haab und Gutter/ inn- und ausser Lands/ in Genere und in Specie, nirgends nichts hiervon außgenommen; Fleming 1726 Soldat 145 Doch kan man von diesen allen nichts in genere sagen, es ist auch hierbey keine Regel ohne Ausnahme; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. H 138 die Morgen-Gabe aber, theils nach einer gewissen ausgedruckten und verabredeten Summe, theils in genere nach dem Herkommen und der Gewohnheit eines gewissen
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Hoch-Fürstlichen Hauses versprochen wird; Boltz 1752 Amts-Actuarius 17 nicht allein in genere all unser habendes Vermögen gegenwärtig- und zukünftiges, sondern auch in specie die von unserm Vatter und Schwehr käuflich an uns gebrachte Sand-Mühl; Goethe 1771 Sehr. z. Literatur (WA l 37,132) Drum sind auch alle Französche Trauerspiele Parodien von sich selbst. Wie das so regelmäsig zugeht, und dass sie einander ähnlich sind wie Schue, und auch langweilig mit unter, besonders in genere im vierten Ackt das wissen die Herren leider aus der Erfahrung; Campe 1813 Fremdwb. 337 In genere, überhaupt, im allgemeinen; Facius 1830 Gesch. d. Reichstags z. Augsburg 404 Die Widersacher, wenn sie vom Glauben reden, sagen sie, der Glaube müsse vor der Buße hergehen und verstehen nicht den Glauben, welcher vor Gott gerecht macht, sondern den Glauben, durch welchen in genere, das ist, ingemein, geglaubet wird, daß ein Gott sei, daß eine Hölle sei; Brinz 1857 Lehrb. d. Pandekten 495 Wenn beim Kauf in genere Mangelhaftes geleistet wird, ist also ein Versprechen unerfüllt; Heyse 1870 Fremdwb. 384 in genere, im Allgemeinen, überhaupt; Windelband 1903 Lehrb. d. Gesch. d. Phtlos. 403 denn er gab den Enzyklopädisten zu, dass der Mensch in genere nie durch etwas anderes als durch seine persönlichen Interessen zu bestimmen sei; Hartmann 1935 Grundlegung d. Ontologie 46 Auf keinen Fall kann das so geschehen, daß man nun etwa eine nähere Bestimmung nach der anderen aufsuchte und einsetzte. Jede Bestimmung wäre vielmehr eine Einschränkung, sie würde das Sein nicht in genere, sondern in der Besonderung fassen. sui generis: Goethe 1800 Br. (WA IV 15,20) Da das Stück so obligat . . ist, so entsteht eine Wirkung sui generis, der man nicht entrinnen kann; 1845 Gehlers Physikal. Wb. XI 207 ist diese [die Elektricität] ein wirkliches Etwas, ein ens sui generis, ein eigenthümliches Fluidum, welches strömt, wenn wir von einem elektrischen Strome reden?; Virchoiv 1863 Geschwülste 29 so wird man nicht die Ueberzeugung hegen können, dass ein Ding sui generis aus dem menschlichen Körper hervorgehen solle, was generisch von den Theilen dieses Körpers verschieden sei; Voss. Ztg. 11.2.1930 ein Mensch und Dichter sui generis, der in kein Schema sich pressen läßt; taz 21. 10. 1989 Arbeitslosenhilfe soll zur Sozialhilfe sui generis werden; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 18 Ist es einem solchen Sprachkritiker sui generis erst einmal gelungen, sich einen Namen zu machen, kann es gewissermaßen selbsttätig zur Ausprägung eines weit- und sprachverbesserischen Sendungsbewußt-
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Geo-, geo-
seins kommen, das ihn zur alles besserwissenden, apodiktisch urteilenden und verurteilenden Sprachautorit t erhebt; Berl. Ztg. 17. 12. 2002 Der Maastricht-Vertrag ist eine Konstruktion sui gene-
ris: Wir haben jetzt eine W hrungsunion mit einer supranationalen Geldpolitik, w hrend die brigen gro en Bereiche der Wirtschafts- und Sozialpolitik noch in weitgehend nationaler Kompetenz liegen.
Geo-, geo-, seit Anfang 13. Jh. zun chst selten als erster Bestandteil von Entlehnungen aus dem Lat./Griech. wie —»· Geod sie, —> Geographie, —» Geomantie, —» Geometrie, erst seit der 2. H lfte des 18. Jhs. zunehmend produktiv als initiale Lehnwortbildungseinheit mit der Bed. 'Erd-/erd-, Land-/land-; die Erde, das Land betreffend' (zur ckgehend auf die griech. Kompositionsform γεω-, zu γη 'Erde, Land') in dtsch. oder international gebildeten neoklassischen Kombinationen, deren zweite, gebundene Bestandteile zuerst vorwiegend aus dem Lat. und insbes. dem Griech. stammen (wie —»· Geologie, —>· Geognosie, Geonomie, s.u.), im Laufe des 19.720. Jhs. zunehmend selbst ndige entlehnte, vereinzelt auch indigene Lexeme darstellen (wie Geobotanik, Geowissenschaft, s.u.). Zun chst in Kombinationen (mit gebunden vorkommendem zweitem Element) zur Bezeichnung von Wissenschaftszweigen und den damit verbundenen (Forschungs-, Erkenntnis-)Methoden, Lehren, Sachverhalten, Verfahrensweisen, die dem Bereich der Geologie angeh ren, z.B. im sp ten 18. Jh. Geonomie F. (-; ohne Pl.) (aus Geound -nomie '-lehre; -gesetz', zur ckgehend auf griech. -νομία 'Lehre von . .; Gesetz, Gesetzlichkeit', zu -νόμο$ 'verwaltend', zu νέμειν 'teilen, zuteilen; verwalten') 'Lehre von den Erdarten, Erdbaukunde, die Teilgebiete Geologie, Meteorologie, Hydrologie und kologie umfassender Zweig der Naturwissenschaften, mathematische Geographie', mit der seit fr herem 20. Jh. belegten adj. Ableitung geonomisch; seit sp tem 18. Jh. selten nachgewiesenes, veraltetes Geogenie F. (-; ohne Pl.) (aus Ground -genie '-entstehung', zur ckgehend auf γένος, 'Herkunft, Ursprung'; vgl. Btogenie, —> Bio-, bio- 2), neben Geogonie F. (-; ohne Pl.) und Geogenese F. (-; ohne PL), 'Wissenschaft von der Entstehung der Erde, Erdentstehungslehre, -geschichte; historische Geologie' (—» Geologie), mit der seit Anfang 20. Jh. seltenen adj. Ableitung geogenetisch; seit sp tem 19. Jh. der Terminus der Geophysik Geoid N. (-s; -e) (nach griech. γεωειδή$ 'erdf rmig', aus γεω-, zu γη (s. o.) und -είδης '-f rmig, -gestaltig, -artig', zu είδος 'Form, Gestalt') 'aus dem Schwerefeld der Erde abgeleitete, mathematisch vereinfachte Erdfigur, deren Oberfl che berall senkrecht zu den Feldlinien verl uft; Bezugsfl che der geod tischen H henmessungen'; Anfang 19. Jh. Geoskopie F. (-; ohne Pl.) (aus Geo- und -skopie '-betrachtung, -Untersuchung', zur ckgehend auf griech. σκοπεΐν 'sich umsehen, umherschauen, betrachten, untersuchen') 'Erdkenntnis, Beobachtung von Vorg ngen unter der Erdoberfl che (Magnetismus, Druck, Temperatur O.A.), z.B. zur Lokalisierung von Erzlagerst tten', gleichzeitig das (aus geo- und -zentrisch 'im Zentrum liegend', zu lat. centrum Mitte(-lpunkt) gebildete) Adj. geozentrisch 'mit Bezug auf die Erde als Mittelpunkt der Sch pfung', auch 'vom Erdmittelpunkt aus gerechnet' (Ggs. —> heliozentrisch), z. B. geozentrisches Weltsystem 'Weltsystem, das die Erde als Weltmittelpunkt betrachtet', mit Geozentrik F. (-; ohne Pl.) und Geozentrismus M. (-; ohne PL); Mitte 19. Jh. Georama N. (-s; Georamen) (aus Geo- und -(o)rama 'einen berblick gew hrendes (plastisches) Schaubild; -schau', zu griech. δράμα 'das Gesehene, Anblick', zu όραν 'sehen, schauen') als Bezeichnung f r eine Variante des Panoramas, die ein bersichtsbild der Erde im Gro en zeigt, auch 'gro er, hohler Globus, welcher auf
Geo-, geo-
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der inneren Fläche Darstellungen der Kontinente, Gebirge, Meere, Flüsse etc. enthält, die man vom Mittelpunkt aus überschauen kann' (vgl. Diorama 'plastisches Schaubild, bei dem Gegenstände vor einem gemalten oder fotografierten Rundhorizont aufgestellt sind und teilweise in diesen übergehen'; —>· Panorama); vereinzelt auch mit stofflichem Bezug, z.B. seit Mitte 19. Jh. Geophagie F. (-; ohne Pl.) (aus Geo- und -phagie '-essen' zurückgehend auf griech. 'jmd., der . . isst, -esser', zu 'essen') 'Sitte, bes. bei Naturvölkern, tonige oder fette Erde zu essen; krankhafter Trieb, Erde zu essen' mit der Personenbezeichnung Geophage M. (-n; -n), auch moviert Geophagin F. (-; -nen); im 20. Jh. das Adj. geogen (aus geo- und -gen 'entstanden, stammend (aus, von), erzeugt (durch); -erzeugend, -bildend', zurückgehend auf griech. 'Herkunft, Ursprung') 'natürlich, von der Erde hervorgebracht, auf ihr entstanden' (Ggs. anthrogen 'vom Menschen verursacht'); in neuerer Zeit wohl in Analogie zu Biotop (—* Bio-, bio- 2) gebildetes Geotop M., meist N. (-s; -e) (aus Geo- und -top, zu griech. 'Raum; Gegend, Ort'^) '(räumlich begrenzter) Teil der Erdoberfläche mit geowissenschaftlich wertvollen Naturerscheinungen'. Im Laufe des 19. Jhs. als produktives Lehnwortbildungselement international rasch verbreitet, dabei in der Regel mit überwiegend im Dtsch. integrierten, zumeist aus dem Griech. oder über das Lat., Frz., Engl. entlehnten Fremdwörtern als selbständigen, auch in freier Form vorkommenden Basiswörtern verbunden, die eine Lehre, Theorie, Wissenschaft bezeichnen oder charakterisieren, z.B. seit Mitte 19. Jh. belegtes Geohydrographie F. (-; ohne Pl.) (Verschmelzung aus Geographie und Hydrographie) 'Erd- und Wasserbeschreibung'; Geohistorie F. (-; ohne Pl.) 'wissenschaftliche Beschäftigung mit der Entstehung und Entwicklung des Planeten Erde, die sich bezüglich der Erforschung der unbelebten Natur in Geologie, Kosmologie, Planetologie und Paläoklimatologie und der belebten Natur in Paläozoologie und Paläobotanik gliedert; Erdgeschichte' mit der adj. Ableitung geohistorisch 'auf die Geschichte der Erde und der Gesteine bezogen', z.B. geohistorische Zeitmarke 'Fossil, Lebensspur, Gestein oder Spur tektonischer Vorgänge als Marke zur Kennzeichnung des erdgeschichtlichen Alters'; vgl. auch Geobotanik F. (-; ohne Pl.) 'Wissenschaft von der geographischen Verbreitung der Pflanzen', mit der adj. Ableitung geobotanisch und der Berufsbezeichnung Geobotaniker/-in; Geochemie F. (-; ohne Pl.) 'Wissenschaft von der chemischen Zusammensetzung und den chemischen Veränderungen der Erde als Ganzes (z.B. in Gesteinen, Wasser, Atmosphäre)', mit der adj. Ableitung geochemisch und der Berufsbezeichnung Geochemiker/-in; Geodynamik F. (-; ohne Pl.) 'Lehre von den Bewegungen im Erdinnern und auf der Erdoberfläche sowie den sie verursachenden Kräften (Erdrotation, Gezeitenkräfte, Konvektionsströmungen u.a.)'; seit späterem 19. Jh. häufig belegtes Geophysik F. (-; ohne Pl.) als Bezeichnung für die Wissenschaft, die sich mit den physikalischen Vorgängen und Erscheinungen auf, über und in der Erde befasst, d. h. mit dem Erdkörper (Geophysik im engeren Sinn), der Hydrosphäre (Ozeanographie, Hydrologie), der Atmosphäre (Meteorologie, Klimatologie, Aeronomie/Ionosphärenforschung) und den Einflüssen anderer Himmelskörper auf die Erde (z.B. Gezeiten), mit der adj. Ableitung geophysikalisch und der Berufsbezeichnung Geophysiker/-in; Geobiologie F. (-; ohne Pl.) 'Zweig der Biologie, der sich mit der räumlichen Verteilung von Pflanzen und Tieren auf der Erde und dem Wechselverhältnis zu ihrer Umwelt befasst'; Geotektonik F. (-; ohne Pl.) 'Lehre vom Bau und den Bewegungen der Erdkruste
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und von den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten in der Entwicklung der gesamten Erdkruste'; Geomechanik F. (-; ohne PL) 'Erd-, Bodenmechanik'; Geochronologie F. (-; -n) 'Wissenschaft von der absoluten geologischen Zeitrechnung, die sich mit der Datierung erdgeschichtlicher Ereignisse wie Entstehung und Umwandlung bestimmter Minerale und Gesteine sowie ganzer geologischer Schichten befasst', mit der adj. Ableitung geochronologisch; Geotropismus M. (-; Geotropismen) (aus Geo- und Tropismus 'durch Außenfaktoren ausgelöste Bewegung der Organe festgewachsener Pflanzen', zurückgehend auf griech. 'Wendung, Kehre', zu 'wenden', —-»· -ismus) zur Bezeichnung der Fähigkeit der Pflanzen(-organe), eine bestimmte Wuchsrichtung oder Lage anzunehmen, mit den adj. Ableitungen geotrop/ geotropisch 'auf die Schwerkraft ansprechend'; (aus Geochemie und Biochemie verschmolzenes) Geobiochemie F. (-; ohne PL) 'zwischen Bio- und Geochemie stehendes, der ökologischen Chemie verwandtes, interdisziplinäres Forschungsgebiet, das sich mit den Wechselwirkungen zwischen Stoffen und Organismen in Litho-, Hydround Atmosphäre befasst'; Geomorphologie F. (-; ohne PL) (aus Geo- und —>· Morphologie 'Gestalt- und Formenlehre', zurückgehend auf griech. 'Gestalt, Form') 'Teilgebiet der Geographie, das sich mit den Formen der Erdoberfläche und deren Veränderungen befasst', mit der adj. Ableitung geomorphologisch; (aus Geound —» Sphäre Oberflächennahe Schicht eines Planeten, z.B. der Erde', < griech. 'Erd-, Himmelskugel', gebildetes) Geosphäre F. (-; -n) 'Erdhülle, Raum, in dem die Gesteinskruste der Erde, die Wasser- und Lufthülle aneinander grenzen' (vgl. Biosphäre 'Gesamtheit der mit Lebewesen besiedelten Schichten der Erde', —» Bio-, bio-); Geowissenschaften 'alle sich mit der Erforschung der Erde befassenden Wissenschaften'; Geozoologie F. (-; ohne PL) 'Wissenschaft von der geographischen Verbreitung der Tiere auf der Erde'; Geothermik F. (-; ohne PL), auch Geothermie F. (-; ohne PL) (aus Geo- und Thermik/-thermie, zurückgehend auf griech. 'Hitze, Wärme') 'Wissenschaft von der Temperaturverteilung und den Wärmeströmen innerhalb des Erdkörpers', mit der adj. Ableitung geothermisch 'auf die Wärmeverhältnisse im Erdkörper bezogen', z. B. geothermische Untersuchungen, Energie, geothermischer Wasserdampf, Geothermometer N. (-s; -) 'Messgerät zur Bestimmung der Temperatur in verschieden tiefen Erdschichten'; Geomagnetismus M. (-; ohne PL) 'Erdmagnetismus, Gesamtheit derjenigen physikalischen Eigenschaften des Erdkörpers und der physikalischen Vorgänge in ihm, die das erdmagnetische Feld und seine Änderungen hervorrufen', mit der adj. Ableitung geomagnetisch. Seit Anfang 20. Jh. und in jüngster Zeit bes. produktiv in zahlreichen neueren Bildungen mit selbständiger zweiter Komponente, in denen Geo-, geo- als Repräsentant für —»· Geographie oder geographisch aufgefasst werden kann, wie häufig belegtes Geopolitik F. (-; ohne PL) 'Wissenschaft von der Einwirkung geographischer Faktoren auf politische Vorgänge und Kräfte; Wissenschaft zwischen Geographie, Staatenkunde, Geschichte und Gesellschaftswissenschaften' (vgl. die hybride Bildung Wehrgeopolitik), mit der gleichzeitig nachgewiesenen adj. Ableitung geopolitisch und seit frühem 20. Jh. der Personenbezeichnung Geopolitiker/-in; im medizinischen Bereich die Subst. Geomedizin F. (-; ohne PL) 'Wissenschaft von den geographischen und klimatischen Bedingtheiten der Krankheiten sowie ihrer Verbreitung auf der Erde' und Geotherapie F. (-; -n) 'durch geographische Bedingungen (Klima, Luftqualität o.Ä.) begünstigte Heilbehandlung'; im Bereich der Kartographie und —>· Geodäsie die Termini Geoinformationssystem 'rechnergestütztes, geographisches Informa-
Geo-, geo-
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tionssystem zur Erfassung, Speicherung, Analyse, Transformation und Präsentation von georäumlichen Informationen auf der Grundlage eines einheitlichen räumlichen Bezugssystems', und Geoökologie F. (-; ohne Pl.) 'mit Funktionsweise, Verbreitung und Zusammenhang der Ökosysteme befasstes Forschungsgebiet der Geographie; Wissenschaft von den biologischen oder ökologischen Gegebenheiten in der durch den Menschen veränderten, zu einer mehr oder weniger künstlichen Kulturlandschaft gewordenen Umwelt'. Herder 1784-91 S. W. XI11 22 daß vielleicht mit der Zeit . .. es einem glücklichen Geist gelingen wird, unsre Geogonie so einfach zu erklären, als Kepler und Newton das Sonnengebäude darstellten; Matthisson 1787 Schweiz (Sehr. U 121) Am wichtigsten sind unstreitig in diesem reichen Schatze die zahlreichen Belege zu Petrefaktenkunde oder der sogenannten Oryktologie im engern Sinne, die auf Geogenie und Erdkatastrophen überhaupt . . Licht wirft; Fries 1813 Popul. Vorles. ü. d. Sternkunde 158 der ort nun, an dem ein stern aus dem mittelpunkt der erde erscheint, heißt des sterns wahrer (oder geocentrischer) ort, der ort, an dem man ihn von einer stelle der erdoberfläche aus sieht, sein scheinbarer ort (DWB); Vaerst 1851 Gastrosophie 115 Auch ohne Not essen die Geophagen am Orinoco und in ändern Gegenden Thon; Heusinger 1852 Die sogenannte Geophagie oder Tropische (besser Malaria-)Chlorose als krankheit aller länder und klimate (Titel); Heunisch 1857 Baden 173 Die urweltlichen Gewässer (Geohydrographie). (Überschr.); 1866 Geograph. Jahrb. 375 Hiernach sondern sich die Aufgaben der allgemeinen Geobotanik in topographische, klimatologische und geologische; Thome 1872 Botanik 134 eine unter dem Namen Geotropismus bekannte Erscheinung, d.h. das Streben von oder nach dem Mittelpunkte der Erde; 1876 Geograph. Jahrb. 157 Geochemie oder chemische Geologie; 1880 ebd. 6 dass der positive oder negative Abstand des Geoids vom Sphäroid gleich dem Potential der unregelmässigen Massevertheilung auf der Erdoberfläche für den betrachteten Punkt . . ist; 1888 Geograph. Jahrb. 432 daß man von Seite der Geographie der Geophysik von neuem eine lebhaftere und systematischere Pflege angedeihen läßt; Fiorini 1895 Erd- u. Himmelsgloben 126 Anm. Georama . . Im Inneren einer Hohlkugel, welche die Erdoberfläche koloriert darstellt, sind Gallerien angebracht, von denen aus man das Erdrelief überhöht und greifbar, aber freilich als eine Art von verkleinertem Negativbilde der Wirklichkeit betrachten kann; 1896 Festg. f. Knies 46 Dasselbe Gefühl dachte sich bis zu Copernikus die Erde als Mittelpunkt der Welt: „Geozentrismus"; 1900 ZDÖ Alpenver. 25 Geomorphologische Studien; Ostreich 1902 Beiträge zur Geomorphologie Makedoniens (Titel); Marcuse 1905 Geogr. Ortshest.
33 daß die faktische Gestalt der Erde, das sog. Geoid, auch von der einfachen, mathematisch definierbaren Form eines Rotationsellipsoids abweicht; Haeckel 1913 Lebenswunder 124 das geocentrische Weltbild des Mittelalters; ebd. 416 Wenn wir unter Biogenie die Gesammrheit aller organischen Entwickelungs-Processe auf der Erde verstehen, unter Geogenie dagegen diejenigen der Erde selbst; 1916 Dtsch. Rundsch. IV 4 die „geopolitischen" Daseinsgesetze; Mauthner 1922 Wb. d. Philos. U 347 Wer Sauberkeit des philosophischen Handwerkzeugs schätzt, der wird sich mit mir baß entsetzen vor der monistischen Geogenie und der monistischen Biogenie (DigiBib 3); Noack 1928 Friedenspolitik 237 die überlegene geopolitische Position Rußlands; 1930 Geopolitik VII 856 der Grund, der den Geopolitiker berechtigt, heute in reinen Wirtschaftsfragen mitzureden; 1930 Geograph. Zeitschr. XXXVI 565 Die zahlreichen geobotanischen Untersuchungen in der Schweiz; 1933 Geopolitik X 761 Wehr-Geopolitik, Geographische Grundlagen einer Wehrkunde; Lokal-Anz. 13. 4. 1934 die „Geopolitik", in der sich Strategie und Geographie, Nationalökonomie und Politik zu wissenschaftlicher Geschlossenheit vereinigen; Dietze 1936 Preispolitik 161 Die nicht durch Kontingente gesicherten Exportüberschüsse sollen angebaut und durch den Anbau von Textilrohstoffen, Oelsaaten und anderen Zuschußprodukten ersetzt werden, wobei auf die „geonomische" Gestaltung der Erzeugung besonderer Wert gelegt wird; Kirsch 1938 Geomechanik. Entwurf zu einer Physik der Erdgeschichte (Titel); 1943 Geopolitik 90 Geomedizin ist derjenige Teil der ärztlichen Wissenschaft, der sich mit der Erforschung der räumlichen und zeitlichen Bindungen von Krankheitsvorgängen an das Erdgeschehen befaßt; ebd. 329 Von dem geopolitischen Zusammengehörigkeitsbewußtsein des Gesamtraums der Monsunländer also muß jede geopolitische Betrachtung seiner Teilentwicklungen ausgehen; 1956 Saeculum VII 137 die geochronologische Bezeichnung Quartär bzw. Pleistozän; Süddtsch. Ztg. 27. 1.1960 die Erforschung eines der interessantesten und umstrittensten Phänomene der Geophysik; FAZ 13. 5. 1970 die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik; Fleischer 1978 Geschichtsprozeß 168 Marx benennt
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Geodäsie
u. a. für archaische Gesellschaften mit ziemlich eng gesetzten Naturschranken die Differenzierungen der geophysikalischen Umwelt als wesentliche Außenbedingungen für Entwicklung bzw. Nichtentwicklung; Altner 1987 Überlebenskrise 50 Der Mensch am Ende des Mittelalters reagierte auf die Erschütterung seines geozentrischen Weltbildes mit einer krampfhaften Selbstüberforderung; Mannh. Morgen 19. 5. 1987 diese durch die SchwermetallKonzentration des Ausgangsgesteins bedingten „geogenen" Bodenwerte werden durch „anthro-
gene" Einträge mehr oder weniger stark überlagert; Salzb. Nachr. 31. 5. 1996 Erste Daten zeigen, daß die vorhandenen Belastungen primär geogen, also natürlich, sind; Kleine Ztg. 8. 7. 1999 Der erhöhte Arsengehalt in der Region ist geogen bedingt; St. Galler Tagbl. 19. 6. 2000 die Auslösung von Innovationen zur Gewinnung und Verarbeitung von einheimischen Mineralrohstoffen in den Bereichen Bergbau und Geologie und die Erarbeitung von Grundlagen zur Profilierung der regionalen Geosphäre.
Geodäsie F. (-; ohne Pl.), Anfang 18. Jh. über mlat. geodesia 'Erdvermessung' entlehnt aus griech. 'Erd-, Landverteilung' (aus -, zu yfj 'Erde, Land', und '-teilung', zu 'teilen'), anfangs auch in der Form Geodesic. Zunächst in der Bed. 'Landvermessung, Land-, Feld(ein)teilung, Erdmesskunst' (—* Geometrie), dann allgemeiner 'Wissenschaft und Technik von der Vermessung der Erde, der Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche durch astronomische, geodätische und physikalische Messungen, die der Feststellung der Erdgröße und -gestalt dienen und die Unterlagen für topographische Karten liefern' (—> Kataster). Daneben gleichzeitig die (auf griech. 'jmd., der das Land aufteilt' zurückgehende) Berufsbezeichnung Geodät M. (-en; -en), auch moviert Geodätin F. (-; -nen), anfangs in lat. (flekt.) Form, zunächst 'Feld-, Landmesser/-in, Feldteiler/ -in', dann 'Fachmann, -frau, Wissenschaftler/-in auf dem Gebiet der Geodäsie, Landvermesser/-in, Vermessungsingenieur/-in' (vgl. Geometer, —» Geometrie), gleichbed. mit der seit Ende 19. Jh. nachgewiesenen, latinisierend/gräzisierend gebildeten Gelegenheitsableitung Geodätiker M., vgl. dazu bereits seit früherem 18. Jh. bezeugtes geodätisch Adj., anfangs (latinisierend) geodaeticus, auch geodetisch 'die Geodäsie betreffend, zur Feldmessung gehörig', in Syntagmen wie geodätische Linie 'kürzeste Verbindungslinie zweier Punkte auf einer Fläche, wobei in der Ebene die geodätischen Linien Geraden sind, auf der Kugel Großkreisbögen', geodätische Krümmung, geodätisches Dreieck 'Dreieck, dessen Seiten Segmente von Großkreisen sind', gleichbed. mit seit Anfang 19. Jh. gelegentlich nachgewiesenem geodäsisch, anfangs auch geodesisch. Geodäsie: Hübner 1712 Curieuses Lex. 566 Geodesia, heist die Wissenschafft, allerhand Cörper und Figuren durch sonderliche Instrumenta auszumessen; Weber 1734 Enc. l 561 Geodaesia, Feld-MeßKunst, Visier-Kunst; Büttner 1754 Rechenkunst 154 die Geodesic, welche die Felder ein zu theilen lehret; oder die Ausübung der Geometrie auf dem Felde; Eggers 1757 Kriegslex. I 1034 Geodesic, wird von einigen die ausübende Geometrie genennet, wo man durch Instrumente von verschiedener Art, die Höhen, Tiefen, Weiten und dergleichen accurat abzunehmen lehret; Krünitz 1783 Oec. Enc. XXVHI 31 Man bedient sich desselben [des holländischen Grad-Bogens] auch in der Geodesic, zur Abmessung der Höhen und Weiten; ders. 1793 Oec. Enc. LX 671 (Anm.) In seiner Anleitung zur Geodesic (Ingolst. und Augsb.); 1828 Geograph, u.
Statist. Ephemeriden XXIV 345 die höhere Geodäsie, deren Hauptbestimmung die Construction eines über ganz Frankreich verbreiteten Dreiecksnetzes ist, die niedere Geodäsie, deren Arbeit vorzüglich darin bestehen wird, dem Cataster die Grundbasen zu liefern; 1844 Brockhaus VI 74 Geodäsie heißt der Theil der praktischen Geometrie, welcher die Lehre vom Feldmessen . . enthält; 1862 Archiv d. Mathematik XXXVI11 81 Daher können in der nautischen Geodäsie auch nur solche geometrische Aufgaben Anwendung finden, welche die möglichst leichte Anwendung der beiden genannten Instrumente zulassen; Helmert 1880 Die mathematischen und physikalischen Theorieen der höheren Geodäsie (Titel); Teuber 1881 Jugendleben H 4 Sein Mund übersprudelt von Astronomie, Geodä-
Geodäsie sie, Nationalökonomie; Kirchner/Michaelis 1907 Wb. d. philos. Grundbegr. 671 So bildet die Mathematik eine Fülle von Einzelgebieten aus und läßt Anwendungen in allen Wissenszweigen zu, wo Größenbestimmungen nötig sind, namentlich im Gebiete der Astronomie, Geodäsie, Physik usw. (DiBi 3); Mauthner 1910 Wb. d. Philos. Ul 320 So wurde auf Anregung der französischen Nationalversammlung, die ja soviel für alle Ewigkeit neu zu ordnen glaubte, nach zehnjähriger Arbeit, gemäß den Gesetzen und Regeln der Astronomie und der Geodäsie das Normalmeter im Jahre 1800 berechnet und hergestellt, das heute noch für alle wissenschaftlichen Messungen irgend welcher Art die letzte Instanz ist (DiBi 3); Voss. Ztg. 1. 3. 1913 der Professor der darstellenden Geometrie und niederen Geodäsie an der Wiener Hochschule für Bodenkultur Theodor Tapla (DWDS); Pekrun 1933 D. dtsch. Wort 378 Geodäsie . . „Landteilung", Lehre von der Feld- und Landesmessung; Perrier 1949 Kurze Gesch. d. Geodäsie 8 Den Studenten, der an die höhere Geodäsie herantritt, wird es auf leichte und angenehme Art in ihre Probleme einführen; Welt 4. 12. 1974 Vermessungs-ingenieuren . . bieten sich hierbei in allen Tätigkeitsbereichen der angewandten Geophysik und Geodäsie (an Land und auf See) interessante Aufgaben und Entwicklungsmöglichkeiten (Anzeige); Zeit 22. 11. 1985 ist es nicht mehr eine Frage von ein oder zwei Beweisen, ob wir daran glauben, daß die Erde rund ist. Wir akzeptieren diese Vorstellung, weil die gesamte Schiffahrt, Luftfahrt, Geodäsie, Geometrie, Kartographie und Chronometrie auf ihr beruhen; Salzb. Nachr. 22. 6. 1991 in der Steyrergasse 30 errichteten die Architekten . . den Neubau für die Geodäsie (Bauingenieurwesen); Berl. Ztg. 28.11. 2002 Die Technische Universität (TU) Berlin hat einen Kooperationsvertrag zum Austausch in Forschung und Lehre mit der Sibirischen Akademie für Geodäsie in Nowosibirsk geschlossen. geodäsisch: Bory 1804 Kanarien-Inseln (Übers.) 329 Die Messungen, welche sie . . anstellten, wo sie unter Segeln waren, konnten natürlicher Weise nicht so genau zutreffen, wie die geodäsischen Operationen; 1845 Neues Jahrb. f. Mineralogie 845 Die geodäsischen Arbeiten ergeben für die verschiedenen Dimensionen folgende Verhältnisse: Umfang des grossen Kraters 7Vi Meilen, Durchmesser 2'/2 Meilen, Umfang des Monte Cortinella 33/4 Meilen; Peschel 1877 Erd- u. Völkerkunde l 80 Ein solches fast rechtwinkliges Durchkreuzen geodäsischer Linien hat einen mächtigen Einfluss ausgeübt auf die Handelsverhältnisse von Europa mit Asien und dem nordwestlichen Afrika; Min-
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nich 1904 Kropfherz 103 die schroffe Differenz zwischen den Pariser und Genfer Ärzten könnte ihre Ursache in geodäsischen Verschiedenheiten der Bodenbeschaffenheit haben; taz 30. 7. 1999 Noch einmal 20 Jahre danach darf er 1967 für die U.S. Information Agency sein größtes Projekt, einen 60 Meter hohen geodäsischen Dome-Pavillon zur Weltausstellung in Montreal, bauen; Berl. Ztg. 11. 4. 2002 Gemeinsam entwickelt werden geodäsische Satellitenempfänger, High-Tech-Sicherheitssysteme, Technologie der Bodenvermessung. Geodät/-in: 1715 Fama XXX VII f. 74 f. Feldmesser werden auch Geometrae, Geodatae . . genennt; Weber 1734 Enc. l 561 Geodztes, Feldmesser; Gebhard 1817 Güter-Arrondirung 94 Sollte indeß der Vorschlag einer eigenen Aufnahme zum Zwecke der Arrondirung das Uebergewicht behalten, so wird man dieselbe keinem der gewöhnlichen Geodäten anvertrauen dürfen, sondern man wird Männer wählen müssen, welche mit hinreichenden theoretischen und praktischen Kenntnissen inn der Geometrie eine erprobte Redlichkeit und Uneigennützigkeit verbinden; Schlichtegroll 1793 Nekrolog II 202 Da Abbe de la Caille auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung eine Berechnung des Durchmessers der Erde versuchte, und die Astronomen einlud, unter verschiedenen Polhöhen ähnliche Beobachtungen anzustellen, verfertigte sich Silberschlag einen astronomischen Quadranten von 5 FUSS im Durchmesser, und errichtete ein kleines Observatorium im Kloster, um die Aufgaben jenes berühmten Geodäten mit zu machen; 1807 Allg. Literatur-Ztg. IV 113 seit den beträchtlichen Fortschritten der darstellenden Geographie Teutschlands in den letzten Decennien, durch vereinte Bemühung aufgeklärter Regierungen, fleissiger Astronomen und fachkundiger Geodäten; Oertel 1831 fremdwb. 358 Geodät, Feld- oder Landmesser; 1863 Österreich, milit. Zeitschr. Ill 61 Die deutschen Geodäten, scheint es, haben sich für die Wahrscheinlichkeitsrechnung entschieden; während die Franzosen im Gegentheil sich der directen Erfahrung zuwenden; LoewenherzfChristiani 1880 Bericht 73 Durch dieses grüne Glas sowohl als auch durch Verdunkelung des Lichtbildes in vorher verabredeten Pausen u. dgl. ist eine Zeichensprache zwischen dem messenden Geodäten und dem Heliotropisten ermöglicht; Braunmühl 1900 Gesch. d. Trigonometrie I 30 Aber auch hierin haben sie bei den Griechen Anlehen [!] gemacht, indem sie sich der Methoden des uns schon bekannten Heron, des Geodäten, bedienten; Reiche 1921 Quantentheorie 233 Tafeln und Formeln aus Astronomie und Geodäsie für die Hand des Forschungsreisenden, Geographen, Astronomen und Geodäten; Pekrun 1933 D. dtsch. Wort 378 Geodät
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Geodäsie
. . Land-, Feldmesser; Neue Ztg. 12.8. 1953 Der 38. Deutsche Geodätentag, der aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der badischen Katastervermessung in Karlsruhe stattfindet; 1967 Bild d. Wiss. H. l aus London erreicht uns die Nachricht vom Tode des englischen Mathematikers, Geodäten und Landvermessers Sir George Everest; Offenburger Tagebl, 9. 5. 1970 Sorgen der Geodäten zerstreut (Überschr.); Mannh. Morgen 3.4.1985 „Von den Sternen zu den Steinen" berichtet von der astronomischen „Vermessung" des Himmels zum Zwecke der Kartierung der Region durch den Hofastronomen, Geodäten (Landmesser) und Kartographen Christian Mayer (1719-1783); Salzb. Nachr. 7. 8. 1991 Zumindest in den Augen der wissenschaftlichen „Erdvermesser" oder Geodäten dreht sich der Blaue Planet nicht gerade vollkommen gleichmäßig um seine Achse; Computer Ztg. 30.11. 1995 Wo Geodäten früher monatelang bei Wind und Wetter auf einem Gerüst herumklettern mußten, um mit Maßband und Theodolit jeden Stein einzumessen, genügen heute ein paar Tastendrucke am Schreibtisch; taz 23. 1. 1999 Auch kommt die Mehrzahl der Kartographinnen und Geodätinnen aus der nördlichen Hemisphäre, was sicherlich dadurch bedingt ist, daß durch das sogenannte Nord-Süd-Gefälle mehr Menschen der Nordhalbkugel die Möglichkeit haben, ein solches Fach zu studieren oder an der Gestaltung der Globen mitzuwirken. Geodätiker: Fontäne 1898 Zwanzig 43 General Baeyer, der berühmte Geodätiker, Schöpfer seiner Wissenschaft; Essen 1944 Mein Holland 107 Der Geodetiker F. A. Vening Meinesz (1887) aus Leyden, der die Schwere der Kontinente gemessen hat; Gievert/Tandecki 1978 Burg u. Dorf Landegge 391 Kartiert im Monat Oktober 1874 durch den Geodätiker Günther, kopiert im Januar 1876; Maier/ Wolf 2004 Wege des Kybernetes 251 So arbeitet er [Oberregierungsbaurat Hans Lorenz] mit den Geodätikern Hugo Kasper und Walter Schürba aus Brunn zusammen, um genaugenommen außerhalb des Reiches die mit Abstand fortgeschrittensten Trassierungstechniken der Reichsautobahn zu entwerfen und anzuwenden. geodätisch: Weber 1734 Enc, l 561 Geodajticus, zum Feld-Messen gehörig; 1796 Allg. Lit.-Ztg. II 775 Bekanntlich bediente man sich bisher der GlasMikrometer im geodätischen Fach als Tangentenmesser; um entweder Distanzen-Verhältnisse, oder Distanzen selbst aus der wahren und scheinbaren Grosse eines scheinbaren Gegenstandes dadurch zu finden; Humboldtl'Bonplandt 1815 Reise in die Aequinoctial-Gegenden 531 Nachdem wir die Salinen untersucht und unsere geodätischen Operationen
beendigt hatten, reisten wir Abends ab; Schwerd 1822 Speyerer Basis 84 Die französische Gradmessung ist die grösste geodätische Unternehmung, welche bis jetzt ausgeführt worden ist; 1825 Z' Krieges IV 125 In gleichem Maße, wie in den südlichen Provinzen die geodätischen Arbeiten vorschritten; Heyse 1838 Fremdwb. l 450 geodätisch, Feldmessung betreffend, dazu gehörig; A. v. Humboldt 1845 Kosmos / 29 die geodätischen Messungen und die astronomischen Ortsbestimmungen der Küsten . ., durch welche jene Pyramidal-Formen in ihren Dimensionen bestimmt worden sind; ders. 1849 Ansichten 186 ein geodätisches Nivellement ist wegen der Unzugänglichkeit des Locals . . nicht auszuführen; 1850 Sitzungsber. d. kaiserl. Akademie d. Wiss. IV 447 Da ich die Mittel an die Hand gegeben habe, diesen Werth auf eine andere Art approximativ zu bestimmen, so wird man diese mehr diagnostische-bathographische Bestimmungsmethode durch die mehr geodetische controliren können; Petermann 1862 Wichtige Neue Erforschungen auf d. Gesammtgebiete d. Geographie 365 Indem wir nun den Unterschied der astronomisch und geodätisch bestimmten Breiten etwas näher betrachten, sehen wir deutlich die Abweichung der Lothlinie von der Normalen in Folge der Anziehung der Hauptmasse der Kaukasischen Bergkette; 2884 Brockhaus Vll 790 geodätisch, zur Geodäsie gehörig; Berl. Tagebl. 3. 3. 1908 In Preußen ist das seismologische Institut verbunden mit dem geodätischen Institut und mit dem Institut für internationale Erdmessung (DWDS); Wegener 1915 Entstehung d. Kontinente 24 Mittels Triangulation und geodätischer Beobachtungen wurde die Ablenkung des Lotes von der wahren Vertikalrichtung für mehrere hundert Stationen in den Vereinigten Staaten bestimmt (DWDS); 1932 Wegeners letzte Grönlandfahrt 20 Dr. Karl Weiken vom geodätischen Institut in Potsdam übernahm die Schweremessungen und die trigonometrische Vermesung von der Westküste bis Eismitte; Berl. IIlustr. Nachtausg. 8. 2. 1933 ein ziemlich heftiges Erdbeben . ., das nach den Aufzeichnungen des Geodätischen Instituts der Technischen Hochschule Karlsruhe zwei Minuten lang dauerte; Krbek 1952 Unendlich 265 die Tangenten von geodätischen Linien; Bloch 1955 Prinzip Hoffnung II 260 Ein Körper wird angezogen, das bedeutet danach lediglich, er beschreibt im gekrümmten Raum eine kürzeste, eine geodätische Linie (DWDS); 3966 Urania XI o. S. da sich die Rotationsachse der Erde ständig verlagert und sich die geographischen Koordinaten der Orte auf der Erdoberfläche verändern, sagte der Astronom müßten diese „Korrekturen" bei präzisen geodätischen und anderen Arbeiten sowie bei der Bestimmung der genauen astronomischen Zeit berücksichtigt werden; Zeit
Geognosie 19. 4. 1985 Forschungsschwerpunkte des Instituts für Photogrammetrie und Kartographie sind Architektur- und Industriephotogrammetrie, Archäometrie sowie geodätisch-photogrammetrische Bestimmungen rezenter Krustenbewegungen in Island (Anzeige); ebd. 12.5.1995 Geodätische Institute verschiedener Hochschulen und die Landesvermcs-
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sungsämter führen im Abstand von 20 bis 25 Jahren Neuvermcssungen der Landoberfläche durch; Mannh. Morgen 29. l. 2002 Anlässlich des Jahrs der Geowissenschaften 2002 verfügt das BenzGymnasium nun als einzige Schule der Region über geodätisch, also vermessungskundlich präzise Angaben seiner Lage im Gradnetz der Erde.
Geognosie F. (-; ohne PL), seit spätem 18. Jh. nachgewiesene, von dem deutschen Mineralogen A. G. Werner 1783 eingeführte neoklassische Bildung aus Geo- 'Erd-, Land-; die Erde, das Land betreffend' (—* Geo-, geo-) und -gnosie '-lehre, -künde' (zurückgehend auf griech. $ 'Erkenntnis; Bekanntsein', zu 'erkennen', eigentlich 'Erdkenntnis'; —·· Geographie, —»· Geologie, —>· Gnostiker), anfangs auch in der Schreibung Gäognosie. Heute eher historisierend verwendet in der Bed. 'registrierende, beschreibende Erdschichtenkunde, Lehre, Wissenschaft von der Struktur und dem Bau (Morphologie) der Erdoberfläche, der Zusammensetzung und Schichtung der festen Erdrinde, -kruste, wozu bes. chemische, physikalische und mineralogische Kenntnisse erforderlich sind' (vgl. Petrographie, Paläontologie), gelegentlich auch für '(Erforschung, Kenntnis von) Beschaffenheit, Aufbau und Gesteinsschichtung einer bestimmten Region' (s. Beleg 1824), z.B. präparative Geognosie 'die (petrografischen und paläontologischen) Untersuchungen der Morphologie der Erdoberfläche umfassende vorbereitende Geognosie', systematische Geognosie 'auf den Untersuchungen der präparativen Geognosie aufbauende Einsicht in den Bau der festen Erdrinde'; daneben seit Anfang 19. Jh. selten gleichbed. Geognostik F. (-; ohne PL); dazu gleichzeitig die Personenbezeichnung Geognost M. (-en; -en), auch moviert Geognostin F. (-; -nen), vereinzelt auch Geognostiker/-in, zunächst 'Bergfreund/-in; Gebirgsforscher/ -in, Erdlagen- und Gebirgskenner/-in', dann gleichbed. mit Geologe (—» Geologie); gleichzeitig die adj. Ableitung geognostisch, zunächst 'gebirgskundig', dann allgemeiner 'die Geognosie betreffend, zu ihr gehörend, auf ihr beruhend', in Syntagmen wie geognostische Wanderung, Beschreibung, Beobachtung, Karte, Sammlung, geognostisches Problem, geognostische Abhandlung. Geognosie: Werner 1787 Gebirgsarten 4 Eine deutliche Bestimmung und schickliche Klassifikation derselben [Gesteinsarten], wird also um so mehr Bedürfniß für die Mineralogie seyn, als jezt außerordentlich viel in und über die Geognosie und mineralogische Geographie geschrieben wird; Forster 1790 Mineralog. Beobachtungen 97 So wichtig die Localität für die Gäognosie [!] ist, so gehört sie eigentlich nicht in die Oryctognosie; 1804 Er. v. d. Univ. 137 Bei Steffens muß ich durchaus hören, er wird über Naturphilosophie, Geognosie handeln; Goethe 1808 Naturwiss. Sehr. (WA II 9,209) Es wird mich niemals gereuen, dieser einzelnen Gegend soviel Aufmerksamkeit gewidmet zu haben, da in der Geognosie bei großer Mannichfaltigkeit doch soviel Ähnlichkeit und Übereinstimmung herrscht und Ein wohl beachteter Fall viele andere
erläutert; Müller 1817 Sehr, l 395 Keine Geognosie ohne Wetterkunde!; Goethe 1824 Er. (WA IV 38,38) ich fiel in die böhmische Geognosie zurück aus der ich mich gegenwärtig nicht herauswickeln kann; Batsch 1825 Wanderungen II 68 daß nicht allein Mineralogie in Bezug auf Baukunst, sondern auch Geognosie gelehrt werden müsse, durch welche dem Wasserbaumeister die Natur der Flußbetten zu erkennen leichter wird; Kühn 1833 Handb. d. Geognosie (Titel); Cotta 1842 Geognosie l Während sonach die Geognosie beschäftigt ist, den Zustand des Vorhandenen genau auszumitteln u. darzustellen, ist die Geologie bemüht, die Entstehung dieses Zustandes zu erklären. Die Geognosie liefert der Geologie die Materialien zu einem Ideengebäude; Bobrik 1848 Handb. d. Seefahrtskunde l 121 eine Wissenschaft über die Entstehung
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des festen Landes und somit auch des Bodens des See .., welche Geognosie heißt; Burmeister 1855 Geolog. Bilder I 300 Während die Geognosie sich damit begnügt, das relative Alter der sedimentären Schichten u. die Eigenthümlichk. jeder einzelnen scharf u. diagnostisch festzustellen, sucht die Geologie den Entwicklungsgang des Erdkörpers nach allen seinen Richtungen zu ergründen u. jede Epoche desselben allseitig zu beleuchten (SANDERS 1871); 1861 Allg. Mil.-Enc. IV 295 Die Terrainlehre zerfällt in die theoretische und praktische. In ihr bilden Orographie, Geognosie, Hydrographie und Topographie besondere Theile; Buch 1924 Br. an Karsten 5 Werners prophetische Worte, daß die Wissenschaft, die er 1783 Geognosie nannte, auch anderwärts gelehrt werde, sollte sich bald erfüllen; Freyberg 1932 Geolog. Erforschung Thüringens 6 die Geognosie .. als die Wissenschaft, „welche uns den festen Erdkörper überhaupt kennen lehrt, und uns mit den verschiedenen Lagerstätten der Fossilien, aus denen er besteht, und mit der Erzeugung und dem Verhalten derselben gegeneinander bekannt macht"; 1940 Mitt. f. Landesaufnahme 193 Geognosie ist die Seele der Topographie; Riedel 1971 Clausthal o. S. Nachschriften von Vorträgen über Mineralogie, Geognosie, Bergbaukunde, Chemie und allgemeine Hüttenkunde aus den Jahren 1839—1841 lassen erkennen, daß der Unterricht in der ersten Klasse in einigen wichtigen Fächern nunmehr auf akademischer Höhe stand; 1991 Studia Fribergensia 56 Werners . . bekannte Einteilung . . trennt zwischen der Beschreibung der einzelnen Mineralien und Gesteine (in der in Oryctognosie und der Mineralogischen Chemie), der Frage nach ihrer räumlichen Verteilung (in der Mineralogischen Geographie) und der nach ihrer Entstehung bzw. ihrem früheren Zustand (in der Geognosie); Luserke 2001 Goethe 79 „Geognosie, Geologie, Mineralogie und Angehöriges" . . Goethe als Erforscher der Erdgeschichte. Geognost: Matthisson 1787 Schweiz (Sehr. 167) Für den Geognosten ist hier ein großes Brunnenbecken merkwürdig, welches, vor der Bearbeitung durch Menschenhand, einem Ungeheuern Granitblocke zugehörte; 1798 Athenäum l 1,104 Die Geognosten glauben, daß der physische Schwerpunkt unter Fetz und Marocco liege; Matthisson 1808 Wallfahrt (Sehr. VI 302) Faujas St. Fond, der tiefprüfende Geognost; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,348) daß wir jetzt besonders beschäftigt sind, die Gebirgsfolgen mehrerer Länder bey einer sich immer mehr erweiternden Erdkunde zu sammeln, damit der angehende Geognost sich belehre und ein schon geübter Kenner vergleichende Nachlese finden könne; Weiss 1820 Süd-Baierns Oberfläche 38 Jeder Geognost frage sich . . nur selbst, wie er
zum Schluße auf eine fast allgemein angenommene wenigst theilweise Zerstörung der alten Erdoberfläche durch Strömungen . . gekommen sey; Cotta 1842 Geognosie 29 Der Oryktognost untersucht Quarz, Glimmer und Feldspath einzeln, der Geognost ihr Gemenge als Granit, ohne jedoch dabei die eigenthümliche Natur der Mineralien ganz ausser Acht zu lassen; A. v. Humboldt 1845 Kosmos I 27 Mannigfaltige Producte der Tropenwelt, in ihren Grabstätten verborgen, offenbart die kalte Zone dem forschenden Geognosten; Wagner 1848 Kaukasus II 8 so kann man von den niederen Beamten, denen meist alle Bildung abgeht, natürlich nicht erwarten, daß sie einen pflanzensuchenden Botaniker oder einen steinklopfenden Geognosten für etwas Besseres halten als einen nichtsnutzigen Vagabunden; Quenstedt 1856 Sonst 34 Tagelang sucht der Geognost in ihm [Sandstein] herum, und findet nichts für die Taschen; Riehl 1885 Vortr. II 312 wie der Geognost aus dem Nebeneinander zweier grundverschiedenen Lagerungsschichten auf eine Weltepoche schließt; Hallier 1889 Kulturgesch. 289 Humboldt . . den grössten Geognosten des damaligen Zeitalters; Morgenpost 13. 6. 1999 Auf der Suche nach der wissenschaftlichen Wahrheit ließ sich Humboldt am 28. November 1797 zusammen mit seinem Studienkollegen Leopold Freiherr von Buch, den er als den „größten Geognosten unserer Zeit" bezeichnete, mit der Gondel über den Königssee rudern; Berl. Ztg. 23. 6. 2000 Als Goethe 1826 den „Grundriss der Crystallografie" des Mineralogen und Geognosten Carl Friedrich Naumann erhielt. Geognostik: Campe 1813 Fremdwb. 337 Geognostic, die Erdlagenlehre, und innwohnend, die Erdlagenkunde; Krünitz 1824 Oec. Enc. CXXXVUI 395 Ein jeder, der sich daher der Bergwerkskunde oder Wissenschaft widmen und Bergwerke bauen will, muß sich zuerst damit beschäftigen, wie er die durch die Mineralogie, die Probirkunst und die Geognostik erkannte Mineralien aus der Erde hervorbringen oder zu Tage fördern will; Heyse 1838 Fremdwb. I 450 Geognosie u. Geognostik, f. die Erdlagen- od. Erdschichtenkunde, Gebirgskunde, Lehre von der Zusammensetzung und dem Bau der festen Erdrinde; Seizinger 1863 Bibliothekswiss. 126 Geognosie, auch Geognostik: Lehre von der Zusammensetzung und dem Bau der festen Erdrinde; Gebauer 1932 Kulturgesch. 358 Christian Leopold von Buch . . als Bahnbrecher in der Geognostik, der dem Feuer die entscheidende Rolle bei der Bildung der Erdoberfläche zuschrieb; Götschmann 1993 Bayerisches Innenministerium 351 1827 führten ihn seine [Studien-jReisen ins Salzkammergut, 1828 nach Frankreich. Danach fertigte er . . umfangreiche Berichte an, die den Beifall
Geographie und großes Lob seiner Vorgesetzten fanden. Nur als er den unzureichenden Forschungs- und Kenntnisstand der Geognostik in Bayern konstatierte, zog er sich deren Rüge zu. Geognostiker: 1801 Ztg. f. Naturforscher II 137 dem Naturforscher, besonders dem Geognostiker; Beer 1827 briefl. (Schenk 1837 Beers Briefw. 11) Einer meiner liebsten Freunde hier, Professor Nöggerath, ein trefflicher Geognostiker und Mineralog ist jetzt Rector der Universität; Tb. Mann 1939 Lotte (W. II 716) [er] wandte sich nach Absolvierung der anderen [Personen] dem Geognostiker auch gleich wieder angelegentlich zu. geognostisch: Matthisson 1787 Schweiz (Sehr. H 165) In geognostischer Ansicht herrscht am Zugersee die Nagelfluhe-, Mergel- und Sandsteinformation; ders. 1795 Chur (Sehr. III 370) dies in geognostischer und botanischer Hinsicht gleich interessante Revier; Ritter 1810 Pragm. I 217 So wird der Galvanismus geognostisches Princip; Goethe 1817 Er. (WA IV 28,324) daß man, wo nicht dieselbe Platte, doch eine ähnlich behandelte gar wohl brauchen könnte, um Howards Lehre von den Wolken-Formen höchst anschaulich darzustellen, auch geognostische Probleme bequem vor's Auge zu bringen; Steffens 1821 Sehr. I 221 geognostische Untersuchung der .. Gebirge; ders. 1844 Was ich erlebte IX 79 geognostische Sammlung schlesischer Gebirgsarten; Moltke 1845 — 46 Wanderbuch (Rom) 31 Ohne uns in geognostische Muthmaßun-
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gen allzuhoch zu versteigen, dürfen wir Folgendes als hinlänglich begründete Wahrscheinlichkeit aufstellen; Arbeitgeber 15. 4. 1857 In den letzten Jahren wurden mehrere Provinzen des Kaiserstaates im Auftrage auswärtiger Gesellschaften durchforscht; aber es ist bei den geognostischen Untersuchungen und den Kundgebungen verschiedener Projekte geblieben; Carus 1866 Lebenserinn. IV 154 als wir seine großen geognostischen und oryktognostischen Sammlungen durchgingen; 1874 Grenzboten IV 79 jedes größere Bergwerk hat fortwährend Männer engagirt, welche geologische oder geognostische Untersuchungen zu machen im Stande sind; 1879 Beschr. O A Tuttlingen 4 Die Bildung der Oberfläche ist wie allenthalben . . bedingt in den zu Tage gehenden Gebirgsformationen, und um ein richtiges und anschauliches Bild von derselben entwerfen zu können, sind wir genöthigt, die geognostischen Verhältnisse zu Grunde zu legen; Hallier 1889 Kulturgesch. 423 Seitdem findet eine beständige Hebung . . statt, welche . . nach geognostischen Anzeichen als Minimum im ganzen 64 FUSS . . beträgt; Frankf. Rundsch. 23. 8. 1997 „Hier in einem Winkel zwischen den abgeschnittenen zwey- und dreytausend Fuss hohen Felsen rinnt der Bach dieses Thals aus einem prächtigem Eisgewölbe hervor, das der Witterung trotzend sich immerwährend erhält", berichteten sie über ihre „geognostischen Beobachtungen"; Berl. Ztg. 28. 8. 1999 Aber wo liegen die systematischen Beziehungen zwischen den beiden Hauptabteilungen, der geognostischen und der kunsthistorischen?
Geographie F. (-; ohne PL), jünger auch Geografie, im späteren 15. Jh. über gleichbed. lat. geographia entlehnt aus griech. 'Erdzeichnung, -darstellung, -beschreibung' (aus -, zu 'Erde, Land', —»· Geo-, geo-, und '-beschreibung', zu 'zeichnen, (be-)schreiben'), anfangs in den eingedeutschten Formen Geographei, Geography, Geographi sowie bis ins 18. Jh. in lat. (flekt.) Form. Zunächst in der Bed. '(Lehre von der) Erdbeschreibung, -darstellung', dann im Laufe des 18./19. Jhs. zunehmend präzisiert auf 'Wissenschaft von der Erdoberfläche und ihrem Aufbau, die die physischen und (natur-)räumlichen Elemente, Strukturen, Beziehungsgefüge und Prozesse des weltweiten Geosystems Mensch-Erde erforscht', seit spätem 18. Jh. konkurrierend mit Erdkunde (älter auch Erdenkunde, Stieler 1691), in (fachspr.) Syntagmen wie allgemeine Geographie 'Teilbereich der Geographie, der v. a. die geographisch wichtigen Gegebenheiten der Erdoberfläche und die raumwirksamen Prozesse nach ihrer Verbreitung, ihren räumlichen Strukturen, ihren Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen sowie ihren Funktionen analysiert', historische Geographie 'Teilbereich der Geographie, der räumliche Zustände, Strukturen und Beziehungen vergangener Epochen erforscht', politische Geographie 'Staatengeographie, die die Wechselbeziehungen zwischen den geogra-
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phischen Gegebenheiten und den politischen, ethnischen und kulturellen Zuständen erforscht', mathematische, ökonomische, physische Geographie und als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Physiogeographie (auch physische Geographie) 'Hauptzweig der allgemeinen Geographie, der Geomorphologie, Klimatologie, Hydro-, Boden- und Biogeographie umfasst', Staaten-, Verkehrs-, Wirtschafts-, Klima-, Vegetations-, Siedlungs-, Wehrgeographie; Geographieinstitut, -Verständnis, -koryphäe; gelegentlich mit Bezug auf das geographische Weltbild früherer Zeiten (bes. der Antike) oder die territorialen Gegebenheiten einer Region in früheren Epochen, z.B. alte, mittlere, neue, mythologische Geographie, Geographie der Nibelungen (s. Belege 1766-67, 1797, 1808, 1841) und seit frühem 18. Jh. öfter in der Bed. 'geographische Lage, Struktur, erdkundliche Beschaffenheit eines bestimmten Gebietes, örtliche Gegebenheit; geographische Verbreitung bestimmter Lebewesen' (s. Belege 1816, 1842, 1870, 1904, 1911, 1930; -> Topographie), z.B. Korsische Geographie, die Geographie unerforschter Ozeantiefen; Alpen-, Stadt-, Pflanzen-, Tier-, Biogeographie 'Lehre von der geographischen Verbreitung, den Umweltbeziehungen und der erdgeschichtlichen Entwicklung der Lebewesen' (—» Bio-, bio-); seit frühem 18. Jh., auch in der lat./griech. Form, als Buchtitel oder Bezeichnung für ein Lehrbuch der Geographie bzw. kurz für Geographiebuch (s. Belege 1726, 1781, 1786, 1849, 1914) sowie für ein Unterrichts- und Studienfach (s. Belege 1748, 1791, 1889, 1919), in Wendungen wie sie studiert Geographie, in Geographie hat er eine Zwei und Zss. wie Schulgeographie; Geographiestudent, -Unterricht, -diplom, -buch, -lehrer, -stunde 'Unterrichtsstunde im Schulfach Geographie', vgl. auch die in der Schülersprache übliche ugs. Kurzform Geo N. für 'Geographieunterricht' in Wendungen wie heute hatten wir Geo, er hat eine Eins in Geo, hast du schon Geo (die Hausaufgaben o.Ä. für den Geographieunterricht) gemacht?; seit spätem 19. Jh. im Sinne von 'Situierung, Lokalisierung von kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen u.a. Phänomenen, Feststellung ihrer räumlichen Verteilung und Ausdehnung' (s. Belege 1885, 1929, 1988) in Zss. wie Dialekt-, Wort-, Sprach-, Kunst-, Sozial-, Stadt-, Human-, Kriminalgeographie, auch eher bildlich (s. Belege 1933, 1963, 2004). Dazu seit früherem 16. Jh. die über gleichbed. spätlat. geographus aus griech. 'die Erde beschreibend; jmd., der die Erde beschreibt' entlehnte Berufsbezeichnung Geograph M. (-en; -en), auch moviert Geographin F. (-; -nen), neben Geograf/-in, bis ins 18. Jh. auch lat. flekt., zunächst in der Bed. 'jmd., der der Erdoder Landbeschreibung kundig ist, sie erforscht oder lehrt', dann 'Wissenschaftler/in auf dem Gebiet der Geographie (eines bestimmten Gebietes, eines bestimmten natur- oder kulturräumlichen Phänomens', als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Diplom-, Alpen-, Landschafts-, Stadt-, Verkehrs-, Klima-, Pflanzen-, Wirtschafts-, Kultur-, Hobbygeograph; Geographentag, -gesellschaft, -kongress; daneben im 18.719. Jh. die gleichbed. Gelegenheitsbildung Geographist M. Etwa gleichzeitig die (über spätlat. geographicus auf gleichbed. griech. zurückgehende) adj. Ableitung geographisch/geografisch, zunächst in der Bed. 'erdkundlich, erdbeschreibend; der Lage nach (orientiert, angelegt, vorgehend o.a.)', z. B. geographisches Gemälde, geographische Schilderung, Darstellung, Methode, dann auch 'die Wissenschaft der Geographie betreffend, auf Erkenntnisse im Bereich der Geographie gerichtet', in Wendungen wie eine geographische Expedition nach Afrika, geographischer Unterricht, geographische Forschungen treiben, einen geographischen Vortrag halten und in mehr oder weniger festen (z. T. fachspr.) Verbin-
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düngen wie geographische Karte 'Karte, die vorwiegend Forschungs- und Beobachtungsergebnisse der Geographie abbildet', geographische Gesellschaft 'wissenschaftliche Gesellschaft, deren Mitglieder die Forschung durch Aussendung von Expeditionen, Herausgabe von Veröffentlichungen und Verbreitung geographischer Kenntnisse unterstützen', geographisches Profil 'Aufrisszeichnung eines Teils der Erdoberfläche zum Veranschaulichen der Höhenverhältnisse (Reliefprofil) und/oder seiner Natur- und Kulturausstattung', geographische Ortsbestimmung 'Bestimmung von Punkten auf der Erdoberfläche durch ihre geographische Lage oder durch Vermessung', geographische Breite 'die in Grad angegebene nördliche oder südliche Entfernung eines Punktes der Erdoberfläche vom Äquator' und geographische Länge 'Position eines Ortes östlich oder westlich einer definierten Nord-Süd-Linie (Nullmeridian) auf der Erdoberfläche', geographische Koordinaten 'zur Bestimmung der Lage eines Punktes auf der Erdoberfläche konstruierte Längen- und Breitengrade', geographischer Name 'Individualname für bestimmte Örtlichkeiten oder Gebiete der Erdoberfläche bzw. der obersten Schichten der Erde', geographischer Begriff 'Terminus der Geographie', speziell auch als Mitte 19. Jh. aufgekommenes, gegen die nationalen Einheitswünsche der Italiener gerichtetes und 'Italien' als nationalen Begriff verhöhnendes Schlagwort Metternichs (nachdem das Land in Folge der auf dem Wiener Kongress 1814 — 15 beschlossenen Neuordnung Europas in Kleinstaaten zersplittert worden war) (s. Belege 1906, 1925); daneben seltener in der Bed. 'die durch Klima, Verkehrsanbindung o. Ä. bedingte Lage eines Ortes, Gebietes betreffend', z.B. eine geographisch sehr günstig gelegene Stadt, geographisches Milieu, geographische Lage 'großräumliche Verkehrslage von Siedlungsplätzen (z. B. Küsten-, Ufer-, Passlage)' (Ggs. topografische Lage, die von kleinräumlichen Eigenschaften bestimmt wird, z. B. Berg-, Tal-, Insellage), auch für 'sich auf einen bestimmten Punkt o.Ä. der Erdoberfläche beziehend', z.B. das geographische Ziel der Reise, und 'die räumliche Ausdehnung auf der Erde betreffend', z.B. die geographische Verbreitung eines Virus, einer Pflanzenart; als Grundwort in adj. Zss. wie bio-, militär-, Verkehrs-, wehr-, wirtschafts-, siedlungs-, pflanzen-, tier-, anthropo-, kriminal-, kultur-, kunst-, sprachgeographisch, an erster und zweiter Position in additiven Zss. wie geographisch-historisch, -politisch, -kulturell, -ökologisch; Deutschland-, kulinarisch-, musik-, physisch-, politisch-, SPD-geographisch und pleonastischem räumlich-, topographisch-geographisch. Geographie/Geografie: Matthias v. Kemnat 1470 Chronik 81 Geographia; Paracelsus um 1520 S. W. I 1,26 das ist zuverstehen nach der geographei und cosmographei, wie alle lender und regiones ausgeteilt sind; 1523 Von menig der Juden 443 Ist fast ein vngewonlichs landt/ wie mans denn in der Geography vnd Hysterien glaubwirdig erfert; Paracelsus 1537-38 S. W. l 12,350 wie wolt ich dan ein geometer da sein und ausmessen die hochheit des himlischen firmaments und seines bergwerks, auch cosmographiam und geographiam?; franck 1538 Chronik d. Teutschen 144b Geographei; Melanchthon 1543 Anrichtung d. Lateinschulen 6 aller Historien, Geographi, Rechnung der Zeit; Münster 1544 Cosmographia W die Geography beschrybt die hauptstuck der gantzen erden;
Rot 1571 Diet. 314 Geographei. Beschreibung des Erdtrichs; Federman 1580 Niderlands Beschr. Vorr. 3a was gestalt vnsere Alten die Geographiam nicht vmb sonsten in solcher hochen Wirden gehalten; Hulsius 1604 Traktat l 4 Im Fünfften wird der gebrauch deß Globi oder Kugel beyde Terrestris vnd Coelestis erklärt/ darauß die Geographia oder Erdbeschreibung/ vnd deß Himmels Lauff leichtlich kan gelehrnt werden; Furttenbach 1663 Kunstspiegel Vorr. o. S. Geographia, weist den einfältigen/ aber sehr gerechten vnd bald zu erlernenden modum, mit zweyen gemeinen Cirkeln jede Landkarten abzutragen; Butschky 1677 Pathmos 14 daß derer Beschreibung/ einige Künste erfordert/ und zu Wege gebracht hat; als: der Oerter in der Welt/ die Geographi; der Zeit/ die Astronomi;
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2693 Wohlgemeyntes Bedenken 48 daß man . . mit der Geographie eine delectation und applausum zu machen suche; Hübner 1712 Curieuses Lex. 441 Ebene .. ist in der Geographie ein Stück des festen Landes, welches dem Ansehen nach gantz gleich lieget, vnd also ohne Berge, Hügel und Thäler ist; Sturm 1717 Mathesis 2a Die Welt-Beschreibung, welche die Astronomie und Geographie unter sich begreiffet, unter welche ferner noch gehören die Chronologie . ., wie auch die Astrologie; Marperger 1726 Anl. 27 da werden .. Städte und Gränzen der Länder bezeichnet, die in seiner alten Geographia gantz anders oder gar nicht zu finden seyn; Philippi 1743 Witz u. Geschmack 253 Die Geographie bezeichnet den Umfang der Erd-Kugel, die Lage der Länder, Städte und Haupt-Flüsse, mithin ist sie eine besondere Hülfs-Wissenschaft für Seefahrer und reisende Passagiers; Verdion 1748 Begebenheit l 47 dann und wann aber muste er mich auch in der Geographie, Historic, und der Frantzösischen und Italiänischen Sprache unterweisen; Eggers 1757 Kriegslex. i 1034 Geographie, Erdbeschreibung, heißt die Wissenschaft, welche von der Figur und Größe der Erdkugel, und ihren daher rührenden Eigenschaften handelt; und zwar versteht man hierunter die mathematische Geographie, welche von der politischen Erdbeschreibung unterschieden ist; Gatterer 1765 Abriss d. Universalhistorie I 4 die Geographie, oder Erdbeschreibung, die in die mathematische und politische eingetheilet wird, welchen beyden Arten einige auch noch die physicalische oder natürliche an die Seite sezen; 1766—67 Merkwürdigkeiten 431 weil sie die neuere Geographie mit der altern verwechseln; Saussure 1781 Reisen durch d. Alpen (Übers.) 1113 Charpentier . . in seiner vortrefflichen unterirdischen Geographie von Chursachsen; 1785 Handlungsbibliothek 4 Eine Handelsgeographie ist hundertmal vergeblich gewünscht, und noch vergeblicher versucht worden; Erdt 1786 Anl. 73 Man sieht dort die Polyglotten, Bibeln in allen Sprachen . . Kritiken, Geographien; Elise v. Türckheim 1791 Er. 42 im lateinisch, u Französischen, geograpie [!], geschichte, religion, rechnen müste er Unterricht gäben können; Eschenburg 1792 Lehrb. 80 die eigentlich politische Erdkunde, oder die sogenannte Staatsgeographie; Goethe 1797 Br. (WA IV 12,117) Voß . . kündigt mir seine Arbeiten über die alte Geographie an . . ein paar Homerische Karten; ders. 1808 Tagebücher (WA 111 3,402) Abends Geographie der Nibelungen; ders. 1816 Br. (WA IV 27,72) Möchten Sie . . nachforschen: ob der Name Valinco in der Corsischen Geographie vorkommt, es sey als District, Stadt, Ort oder Gebirg; Rosenkranz 1830 Gesch. dtsch. Poesie 246 aus Ländern, welche nie die Geographie ausfindig machen wird, weil sie niemals in Raum und Zeit, nur in der
Phantasie existirten; Herbart 1841 Vorlesungen 65 zur alten Geschichte wird alte Geographie vorausgesetzt; Schieiden 1842 Bot. l 38 Die Pflanzengeographie ist ein ziemlich wunderliches Ragout aus meteorologischen, geognostischen, geologischen, pflanzenphysiologischen, statistischen, historischen und noch mehrern ändern Bruchstücken; A. v. Humboldt 1849 Ansichten 74 das Wort Plateau, mit welchem in den neueren Geographien so viel Mißbrauch getrieben wird; Hinrichs 1852 Rechtste. Staatsprincipien III W Er suchte nämlich in einer Protogäa die Bildung der Erde zu erklären . . und kam dadurch auf eine neue Wissenschaft, die sogenannte physische Geographie; 2S63 Schulbl. Brandenb. XXVHI 55 So könnte auch aus der physikalischen Geographie (der Atmosphärologie) angeführt werden, welches der mittlere Temperaturgrad bei uns ist und zugleich der Wärmegrad des Quellwassers sei; 2870 Geograph. Jahrb. 211 Der jüngere Sars hat bei seinen Untersuchungen über die Norwegischen Fischereigründe eine Reihe sehr interessanter Einzelheiten aufgefunden, welche für die Tiergeographie von Wichtigkeit sind; Riehl 1885 Vortr. II 74 Nicht die Orte, wo bedeutende Schriftsteller leben und schaffen, sondern die Länder, wo das Publikum ihre Bücher am fleißigsten kauft und liest, sind entscheidend für die Geographie des Buchhandels; Teicher 1889 Bayr. Kadetten-Corps 10 Der Unterricht erstreckte sich auf Mathematik, deutsche und französische Sprache, vaterländische Geschichte, Geographie; 2902 Naturwiss. Wochenschr. 67 In einem Anhang werden Aufgaben für den Unterricht in der astronomischen Geographie gebracht; 2902 Stimmen d. Zeit LX1 169 Schließlich sind auch noch die Tierpathologie und die Tiergeographie als Zweige des mächtigen zoologischen Astes zu nennen; Ratzel 1904 Naturschild. 11 Für die Biogeographie verweise ich auf die Verbindung von geographischer Beschreibung und Schilderung in den Grundwerken der Pflanzengeographie und Tiergeographie; Th. Mann 1911 Reden u. Aufs. (W. IX 53) er setzt die Geographie unerforschter Länderstrecken fest, er ist Botaniker und Zoologe großen Stils; Gothein 1914 Gartenkunst l 164 Ein arabischer Geograph . . schildert in seiner Geographie Ägyptens eine Wassertreppe als ein Werk grauen Altertums; Fränzel 1919 Volksstaat 18 Reiseschilderungen einzelner Lehrer und Schüler . . machen nachhaltigeren Eindruck als 8 — 10 Stunden Geographie über den Rhein, die Schweiz, Italien; Röpke 1929 Kapitalbildung 8 was man als Geographie der Kapitalbildung bezeichnen könnte; 2930 Geograph. Zeitschr. XXXVI 491 In der floristischen Pflanzengeographie bespricht er die Florenstatistik und Verwandtes; 2932 Geopolitik VIII 2 Geographie und Geschichte haben bewirkt, daß auch der jetzige
Geographie Reichskörper Teile von recht verschiedenen Eigenleben enthält; Lokal-Anz. 1. 7. 1933 Hier sind die Zugänge für die Schächte, Kabel und Hähne und Entwässerungskanäle. Die „Geographie" des Bahnsteigs mußte erst jeder im Kopf haben; Süddtsch. Ztg. 15. 5. 1951 erklärte Prof. Dr. Boris Rajewsky, . . die Geographie sei die zentrale Stelle in dem notwendigen Bemühen geworden, die Schätze und Hilfsquellen der Erde planvoll auszunutzen; Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 20 Hilfswissenschaften, die uns mit den Voraussetzungen für geschichtliches Geschehen überhaupt vertraut machen können, nämlich: die Historische Geographie, als Lehre vom Raum, die Chronologie, als Lehre von der Zeit, die Genealogie; Süddtsch. Ztg. 22. 2. 1963 gilt nun die französische Nationalversammlung mit halbrunder Sitzanordnung als Vorbild. FDP-Vorsitzender Mende . . setzte das Schlagwort von der „Gesäßgeographie" in Umlauf; taz 9. 7. 1987 Jeder Palästinenser hat eine nationale Aufgabe . . Die Geografie ist ein prominenter Faktor bei der Erfüllung dieser Aufgabe; taz 6. 2. 1988 Arbeiten zur . . „Kriminalgeographie" . . Ein Ergebnis dieser Forschung ist ein Kriminalitätsatlas, der „beweist", daß in Gebieten mit niedrigen Einkommen mehr Menschen zu Kriminalität neigen als in Wohngegenden mit hohen Einkommen; Salzb. Nachr. 11.4.1996 „Österreich ist in der Kunstgeographie der euopäischen Moderne ein weißer Fleck", schrieb der Kunstkritiker Alfred Schmeller 1966. Der Fleck hat längst Farbtupfer erhalten, am grellsten vielleicht durch die Wiener Aktionisten, deren Bild- und Fotodokumente — als Konzession an das (Familien-)Publikum — bloß in einer „Light"-Version zu sehen sind; Süddtsch. Ztg. 11.6.2004 Ein Kirchturm, der nach seinen Berechnungen von den beiderseitigen Standorten aus sichtbar ist, wird zur festen Orientierungsmarke einer Liebesgeographie, die alle Trennungen überwindet; taz 15. 2. 2006 Die Geografie spricht für den kapverdischen Drang zur Integration. Die Inselgruppe liegt von Europa nicht viel weiter entfernt als die Azoren, und die Kanarischen Inseln, deren politische Zugehörigkeit zu Europa auch niemand bestreitet, sind geografisch eindeutig Teil Afrikas. Geograph/Geograf: Franck vor 1542 Chronica Zeitbuch 152b Er [Plinius] ist in disem buoch ein Astronomus/ Geographus/ Historiographus/ . . Philosophus natürlicher meister/ Cosmographus/ Phisius/ Arithmeticus/ vnd alles das man disen menschen für ein wunder der menschen achten moecht; Rivius 1548 Vitruv. 20a wie auch der merer theil wider den mitnachtigen Polus den ersten
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Geographis gantz vnbekant gewesen; Maaler 1561 Teütsch spraach 75 erdbeschreyber Geographus; um 1564 Zimmer. Chronik 111 von Ptolomeo [!] und ändern geographis; Paracelsus 1572 S.W. I 13,376 also auch ein geographus die chiromantiam der erden und ertbidmen erkennen sol; Fischart 1581 Dämonontania 135 Vnd disem stimpt auch Ptolomeus der alte geographus zu; Bürcker um 1600 Neu verm. Donau 2 unter so vielen alten und neuen Geographen; Kepler 1618 Br. II 115 Dan wan zuvor die ganze Land mappa richtig nach dem Ersten puncten, so würt hernach disem Änderten durch einen Astronomum oder Geographum leichtlich geholfen; Marperger 1726 Anl. 27 Ein Geographus bemercket sehr offt aus denen Avisen, was ihm in seinem Studio Geographiae naturali in diesem oder jenem Stück noch unbekannt gewesen; 1766 — 67 Merkwürdigkeiten 435 daß der Name Scandinavia für die gesammten drey Nordischen Reiche nur eine Chimäre der neuern Geographen sey; Hirschfeld 1779 Gartenkunst U 119 daß sie [Wasserstürze] die Aufmerksamkeit nicht blos der Geographen, sondern auch der Dichter und Maler erregt haben; Lavater 1781 Verm. Sehr. II 263 der müßte ein allwissender Geograph seyn, der den Ort .. auf der Charte zeigen könnte; Laukhard 1794 Feldzug I 198 Die Franzosen sind beynahe durchgängig schlechte Genealogisten, wie sie schlechte Geographen sind; Heinzmann 1800 Fruehst. Beil. 95 Diese Männer ohne Maschinen, diese durch das Augenmaß, durch die Analogie höchst geübten fränkischen Adjudanten, KriegsGeographen . . begeistern die Seele der fränkischen Heere; Sartori 1812 Reise l 144 kenntnisreicher und thätiger Naturforscher, Geo- Topo- und Chorographen; Müller 1817 München II 386 das Werk ihres . . Ingenieur-Geographen, .. dessen Sorge für genaue Aufnahme, Konstruktion und Ausführung der Karten durch den Griffel noch neuerdings der König . . anerkannt hat; Kohl 1844 Reisen in England u. Wales III 266 daß die eine oder andere unserer deutschen königlichen Bibliotheken diese Werke für unsere Geographen und Gelehrten anschaffen werde; ders. 1850 Verkehr 4 Der Ethnograph, der Geograph und der Historiker können die Resultate dieser Untersuchung am wenigsten entbehren; Heyd 1879 Levantehandel II 567 unweit der Stadt Ain-Schems . ., nach welcher letzteren der Balsamgarten auch öfters bei den arabischen Geographen genannt wird; Gothein 1914 Gartenkunst I 164 Ein arabischer Geograph, der etwa gleichzeitig mit der Anlage der Gärten des Generalife im XIV. Jahrhundert lebte; 1931 Geopolitik VIII 3 Der Geograph wird darin zum Teil die Wirkung von Hauptstadtnähe oder Hauptstadtferne sehen; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1046) man wird auch abrechnen mit seinen
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[des Nationalsozialismus] geistigen Wegbereitern und Schildträgern, den Journalisten und Philosophastern, die seinen Geifer leckten, den Geopolitikern, Kriegsgeographen, Wehr- und Rasseprofessoren; Süddtsch. Ztg. 15.5.1951 Auf dem „Deutschen Geographentag 1951", der in Frankfurt vor siebenhundert Wissenschaftlern . . eröffnet wurde; 1963 Festg. a. Pretzel 413 Müllenhoff selbst hat sich nicht gescheut, Strabo, den griechischen Geographen des ersten vor- und nachchristlichen Jahrhunderts, zu schelten; Mannh. Morgen 29. 3. 1985 neue Untersuchungen von Forstbiologen, Geographen, Ökologen und Bodenkundlern machen das verheerende Ausmaß der Waldzerstörung in den Tropen deutlich; taz 8. 6. 1996 der angehende Geograf mit Schwerpunkt „Landschaftsökologie"; Zeit 29. 9. 1995 Den Potsdamer Geographcntag dominieren Fragen des Umbaus in Ostdeutschland und der Transformationsprozesse in Osteuropa; taz 22. 3. 2003 Die in der Vergangenheit oft kritisierte Schwermetallbelastung des Komposts lasse sich auf ein Minimum reduzieren, wenn der Biomüll sorgfältig von Fremdstoffen freigehalten werde, sagen die Physiogeographen; Berl. Ztg. 28. 12. 2006 Die Nachfrage nach Energie steige im Iran schneller als die Erdölförderung, schreibt der Geograf und Umwelttechnologe Roger Stern. geographisch/geografisch: Rivius 1548 Vitruv. 20a die vnterschiedung der Climata dem Bawmeyster notwendig zuwissen/ welcher vrsach halb wir die erstlichen die vnterschiedung nach Geographischer außtheilung . . anzeigen wollen; Furttenbach 1628 Architect, civ. 54 die Kästen/ da sollen dicselbige mit vorhengen bedeckt/ darauff aber von Geographischen mappen gar zierlich vnnd lustig gemahlt; Meyfart 1636 V. d. Hochschulen 42S Mercator in seinen Geographischen Sachen nennet Völcker/ vntcr denen die Männer jhren Weibern erlauben Beyschlaffer zu ernehren; Furttenbach 1640 Architect, recr. 51 ein schöne Geographische Mappen etwann von deß Fürsten vnd Herren seinen vnderschidlichen Landschafften; ders. 1663 Kunstspiegel Von. o. S. der Pünctlin/ so wolen nach Geographischer Art/ eilfertig abzutragen; Birken 1669 Ulysses. Vorr. 4h in Geographischen Büchern; Lucae 1711 Helicon 690 daß die Geographischen Scribenten zusammen tretten; Marperger 1711 Beschr. d. Messen I 72 in unserer neulich edirten Geographischen, Historischen und Mercatorischen Beschreibung der Chur-Brandenburgischen Länder; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) l 649 Eine besondere Galerie ist mit geographischen Fresco Gemälden gezieret; ebd. II 1323 Risse der Landkarten zu dem Atlante August, der chursächsischcn Lande, welcher eines von den prächtigsten geographischen Werken . . gewesen seyn würde; Geliert 1769 S.
Sehr. V 128 Ohne die historischen, geographischen und chronologischen Kenntnisse werden wir die Schriften der Alten nur im Dunkeln lesen; Röhl 1778 Steuermannskunst Vorr. o. S. Die ausser Europa gelegenen Seeplätze sind in alphabetischer Ordnung mit ihrer geographischen Lage angegeben; 1782 Leipz. intelligenz-Bl. 474a Ein geographischer Atlas, bestehend in 44 Charten, auf Befehl der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, zum Gebrauch der Jugend in Schulen herausgegeben; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA I 22,101) ein Buch . . das man bald an Form und Einband für einen kleinen geographischen Atlas erkannte; 1800 Journal d. Moden XV 419 Almanach mit geographischen und ethnographischen Darstellungen; Niemeyer 1801 Paedagogik 8 jene Länder, . . welche politische und geographische Beziehungen den protestantischen näher verbinden; 1811 Almanach a. Rom 118 weil jedes Gewächs nur in dem Mittelpuncte seiner geographischen Ausdehnung zu seiner natürlichsten Ausbildung gelangt; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. U 138) krystallene Weltkugeln . ., auf deren einer die Erde mit ihren geographischen Einteilungen . . eingegraben waren; Herbart 1841 Vorlesungen 167 der geographische Unterricht; Bobrik 1848 Handb. d. Seefahrtskunde II 1,1442 Daß solche Uhren zur Bestimmung der geographischen Länge gebraucht werden können; Peschel 1858 Gesch. 163 nähert sich die alte der neuen Welt an zwei Punkten . . um weniger als 450 geographische Meilen; 1872 Geograph. ]ahrh. 58 Bericht über die Fortschritte unserer Kenntnis von der geographischen Verbreitung der Thierc; 1889 Landes- u. Volksforschung 204 besonders aber hat der Florist auf dem Boden geographischer Grundlage die Verbreitung der Pflanzenformen, ihre Mitwirkung an der Zusammensetzung der Vegetationsdecke, . . zum Gegenstande seiner Forschung zu nehmen; ebd. 303 tiergeographische Studien; 1902 Naturwiss. Wochenschr. XVII 575 Bei den Säugetieren gestatten zahlreiche fossile Reste, den Gang der Entwicklung vielfach auch geographisch ziemlich genau zu verfolgen; Ladendorf 1906 Schlagwörterbuch 101 Geographischer Begriff, eine echt Metternichsche Verhöhnung des nationalen Begriffes 'Italien', die sich . . in seinem Memorandum an die Großmächte vom 2. Aug. 1847 findet und in einem Briefe . . 1849 ausdrücklich auch auf Deutschland ausgedehnt wurde; 39/6 Schwed. Stimmen 138f. Interessen, die wiederum durch seine [Englands] eigenartige geographische Lage bedingt sind; Hefele 1918 Psychologie d. Etappe 4 Man weiß, daß die Etappe weder geographisch noch sachlich scharf zu ziehende Grenzen hat; Sacerdote 1925 Italien 202 Geographischer Begriff. So wurde im Jahre 1849 Italien durch Metternich genannt und
Geologie denselben Ausdruck brauchte der österreichische fürstliche Staatsmann auch in bezug auf Deutschland; 1927 Archivum Romanicum XI 609 Auch die sprachgeographischen Verhältnisse sprechen gegen Spitzers Hypothese; 1930 Geograph. Zeitschr. XXXVI 469 einem vollständigen Durchdenken der wirklichen wirtschaftsgeographischen Verflechtungen der Erdoberfläche; Gebauer 1932 Kulturgesch. 496 Die Meereskunde wurde als selbständige geographische Disziplin . . geschaffen; 1934 Geograph. Zeitschr. XII 441 die geographische Betrachtung eines Staates . .: die Lage des Staatsgebietes, seine Ausdehnung, Gestalt, Zusammensetzung, Grenzen, seine natürliche und anthropogeographische Ausstattung; Lokal-Anz. 27. 5. 1934 Siedlungsgeographische Verhältnisse; Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 22 Geschichte spielt sich im Raum, d.h. im geographischen Nebeneinander auf dieser Welt, und in der Zeit, d. h. im chronologischen Nacheinander der Ereignisse und Zustände ab; Grass 1962 Belcbtrommel 263 daß man auch damals [zu Belisars Zeiten] schon, geografisch recht weiträumig, Siege und Niederlagen an Flußübergängen und Städten feierte oder einsteckte; 7966 Studium Generale XII 755 als Fixierung einer bestimmten geographischen Situation ist die Gesteinsfolge . . von Ort zu Ort zu parallelisieren; Althaus/Henne/Wiegand 1973 Lex. d. germ. Linguistik 319 Areallinguistik heißt diejenige Teildisziplin, in der Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen sich räumlich gegeneinander abhebenden Sprachsystemen oder zwischen geographisch differenzierten sprachlichen Subsystemen
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sowie die Verbreitung der Übereinstimmungen mit Hilfe kartographischer Darstellungen interpretiert werden; Zeit 20. 9. 1985 doch hatte auch Hugo von Hofmannsthal, der das Wien Freuds so bezeichnet hatte, nicht bloß einen geographisch-kulturellen Raum in östlicher Richtung im Sinne; Mannh. Morgen 16. 1. 1991 Als Moderator und Sprecher der l Steiligen Sendereihe erläutert Friedrichs aus einer kritischen Sichtwcise heraus verschiedene kulturgeographische und kulturgeschichtliche Themen aus der ganzen Welt; Süddtsch. Ztg. 15.6.2004 Expeditionen durch die pflanzengeographischen Abteilungen folgten Marco Polos Spuren; Mannh. Morgen 7. 12. 2006 Die Zielgebiete, im Fachjargon „Destinationen" genannt, hießen dann Odenwald und Bergstraße. Alles andere als geografische Begriffe verwirre die Kundschaft nur. Das vom Landrat propagierte „Nibelungenland" sei ein neu kreiertes „Produkt", das man mit Millionen-Aufwand erst noch bekannt machen müsse. Geographist: Fleming 1726 Soldat 139 Über dieses werden einem ieden von dem Feldwebel an . . Monathlich abgezogen. Als: . . Vor den Geographisten, vor eben dergleichen; Bertuch 1811 Allg. geograph. Ephemeriden XXXVI 96 Dieses Verdienst war um so grosser, da der Verf. sich erst den, beschwerlichen Weg selbst ebnen musste, und nicht so, wie die meisten unserer Geographisten (so möchte Rec. die Faust- und Fingermänner dieses Fachs nennen) aus den Hülfsmitteln Quellen machte.
Geologie F. (-; ohne PL), im späten 18. Jh. aus international gebräuchlichem gelehrtenlat. geologia 'Wissenschaft von der Erde' (vgl. vereinzeltes mlat. geologia 'Wissen von den irdischen Dingen') übernommene neoklassische Bildung aus Geo'Erd-, Land-; die Erde, das Land betreffend' (—» Geo-, geo-) und -logie bzw. -logia '-Wissenschaft, -künde; wissenschaftliche Abhandlung' (zurückgehend auf griech. 'Wort, Rede; Lehre', zu 'sammeln, vortragen, lesen'; vgl. älteres engl. geology, ital. geologia, frz. geologic; —> Geognosie, —> Geographie). Zunächst als Bezeichnung für das relativ eingeschränkte Gebiet der (spekulativen) wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Entwicklungsgeschichte der Erde, ihrer Tier- und Pflanzenwelt, im Laufe des 19. Jhs. ausgedehnt auf die gesamte damit befasste Disziplin (dabei konkurrierendes —> Geognosie verdrängend) und präzisiert zu 'Wissenschaft von Aufbau, Entstehung, Entwicklung und Veränderung der Erde, bes. der Erdkruste, und der sie bewohnenden Lebewesen in erdgeschichtlicher Zeit' (s. Belege 1866, 1880, 1905; —> Geographie, vgl. Petrographie, Paläontologie), speziell für ' (Wissen, Kenntnis über die) geologische Beschaffenheit, Gesteinsschichtung (einer Region); Gesteinskunde' (s. Belege 1815, 1820, 1988, 1991; -> Mineralogie); häufig in (fachspr.) Syntagmen wie historische Geologie 'Teilgebiet, das die Veränderungen der Erdkruste in geologischen Zeitepochen untersucht', regionale Geologie
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'Teilgebiet, das die geologischen Verhältnisse bestimmter geographischer Räume darstellt', angewandte Geologie 'Teilgebiet, das die Erkenntnisse der Geologie für Wirtschaft und Technik nutzbar macht', allgemeine, physikalische, lunare, kosmische, mathematische, dynamische Geologie 'Teilgebiet der Geologie, das die exogenen und endogenen Kräfte und deren Einwirkungen auf die Erdoberfläche untersucht'; als Grundwort in Zss. wie Erdöl-, Meeres-, Planeten-, Satelliten-, Hydrogeologie 'Wissenschaft vom Vorkommen und Fließverhalten des Grundwassers in der Erdkruste', Ingenieurgeologie 'Teilgebiet, das sich mit dem Verhalten von Gesteinen entsprechend ihrer Materialeigenschaften und ihrer erdgeschichtlichen Entwicklung befasst', Kriegs-/Wehr-/Militärgeologie 'Teilgebiet, dessen Ziel die Bereitstellung grundlegender Informationen über den Naturraum in Bezug auf militärische/sicherheitsrelevante (geotechnische, ökologische, sozioökonomische) Fragestellungen ist', auch als Bezeichnung für ein Studienfach, vgl. Zss. wie Geologieprofessor, -Student, -museum, -exkursion, -lehrbuch, -karte. Dazu gleichzeitig die Berufsbezeichnung Geologe M. (-n; -n), anfangs häufig in der verkürzten Form Geolog, auch Geologin F. (-; -nen) 'Wissenschaftler/-in auf dem Gebiet der Geologie', z.B. Landes-, Hydro-, Chef-, Meeres-, Diplom-, Hobbygeologe/-geologin; Geologenhammer 'zum Schürfen und Abschlagen von Gesteinsproben bei der geologischen Arbeit verwendeter kleinerer Hammer', -kongress, -Vereinigung; seit Ende 18. Jh. die adj. Ableitung geologisch in der Bed. 'die Erdwissenschaft, Geologie betreffend, zu ihr gehörend, auf ihr beruhend, erdwissenschaftlich, nach erdwissenschaftlichen Gesichtspunkten', speziell auch 'Gestein(-sschichten), fossile Sedimente o. Ä. betreffend; gesteinskundlich' (s. Belege 1819, 1855, 1927, 1932; vgl. mineralogisch, —* Mineralogie, petrographisch) und 'erdgeschichtlich' (s. Belege 1876, 1915, 1931); in (fachspr.) Syntagmen wie die geologische Untersuchung eines Geländes, das geologische Alter eines Gesteins, geologische Periode/ Epoche, geologische Formation 'bestimmter Zeitraum der Erdgeschichte', geologische Ämter 'staatliche Dienststellen zur allseitigen geologischen Erforschung des Landes', geologisches System als internationale Bezeichnung für die innerhalb einer Periode durch Ablagerung entstandene Schichtenfolge, geologisches Profil 'graphische Darstellung eines senkrechten Schnitts durch die Erdoberfläche zur Verdeutlichung der Lagerungsverhältnisse der Gesteinsschichten', geologische Karte 'thematische Karte in Form eines Messtischblattes oder einer topographischen Übersichtskarte verschiedenen Maßstabes mit beigefügter Erläuterung, auf der Gesteinsarten, deren Lagerungsverhältnisse und Altersstellung, tektonische Strukturen u. a. durch Farben, Signaturen, Symbole eingetragen sind', geologische Vorlesung, geologische Expedition zum Nordpol, geologische Führung durch ein Gebiet, auch in additiven Zss. wie geologisch-mineralogisch, -paläontologisch, -botanisch, -historisch, -hydrologisch sowie als Grundwort in Zss. wie landes-, bau-, Ingenieur-, meeresgeologisch; seit Anfang 19. Jh. die okkasionelle verbale Ableitung geologisieren V. intrans. 'sich geologisch betätigen, geologische Untersuchungen anstellen'. Geologie: Goethe um 1785 Naturwiss. Sehr. (WA II 9,124) Zur Geologie, besonders der böhmischen; Schrank 1795 Donaumoor Vorr. 3b Das, was man Geologie nennt, ist in meinen Augen keine Wissenschaft, wird es nie werden, und die vorgeblichen Urkunden der Vorwelt, auf unvergängliche Tafeln
von Stein geschrieben, betrachte ich schon seit mehrern Jahren, wie ägyptische Hieroglyphen; Bory 1804 Kanarien-Inseln (Übers.) 347 Anm. würden sich hier . . mancherlei Vergleichungen anstellen lassen, wenn dieses von der Geologie handelnde Kapitel nicht schon zu lang gerathen wäre;
Geologie Goethe 1815 Br. (WA IV 25,296) Könnten Sie mir eine Notiz über Geologie und Mineralogie Persiens nachweisen; ders. 1820 Naturwiss. Sehr. (WA II 9,294) Unternehmen . . welches dem Knochenbau der Erde, der Geologie, zu Gute kommen sollte; Leonhard 1823 Felsarten i 3 Die Begriffe Geognosie und Geologie sind keineswegs als vollkommen gleichbedeutend zu betrachten; Lyell 1833 Lehrbuch der Geologie (Übers.) (Titel); Steffens 1840 Was ich erlebte l 237 Zwar war die Geologie, als ich mit Büffon bekannt wurde, weiter gerückt; Cotta 1842 Geognosie 361 Wollen wir aber die an ihm beobachteten Erscheinungen in der Geologie auf andere Körper anwenden, so dürfen wir nie vergessen, dass die gegenwärtig uns umgebenden Temperatur-Verhältnisse keineswegs a priori als für alle früheren Zeiten der Erdbildung gültig vorausgesetzt werden können; Cams 1865 Lebenserinn. l 203 daß doch in Wahrheit seine ganze damalige Ansicht vom Wesen der Geologie nur ein Scheinbild war; Haeckel 1866 Generelle Morphologie II 444 Pangeologie oder Erdkunde (Geologie im weitesten Sinne); 1880 Geograph. Jahrb. l Ein Theil der hierher gehörigen Lehren ist . . in der Geologie unter der Bezeichnung „dynamische Geologie" besprochen worden, ein anderer Theil wurde in der „physikalischen Geologie" untergebracht; J905 Naturwiss. Wochenschr. XX l daß in erster Linie drei wichtige Disziplinen mitzureden haben: die Chemie, die Geologie und die Botanik; Haeckel 1913 Lebenswunder V 124 Unsere moderne Kosmologie, Astronomie und Geologie gestatten uns die Uebertragung solcher schönen Dichtungs-Gebilde in die Wissenschaft durchaus nicht; Rütimeyer 1924 Ur-Ethnogr. d. Schweiz Vorr. Xlll gewisse Leitartefakte (in der Geologie würde man sagen Leitfossilien); Fönten 1926 Siebenquellen 272 Von dem Webstück ohne Ende, Leben, das auf ewig drehenden Walzen läuft, sollen so kleine Musterstreifen wie Botanik, Zoologie und Geologie eine Vorstellung geben?; 1931 Handb. d. Amerikakunde 192 Die von der aus Deutschland stammenden liberalen Theologie an der Bibel geübte Kritik, sowie die Ergebnisse der Geologie und Biologie ließen in Laienkreisen immer mehr Zweifel an der wörtlichen Inspiriertheit der Bibel entstehen; Klemperer 1950 Tagebücher 107 Ein Geologieprofessor u. ein junger Verwaltungsdirektor der Bergschule Freiberg in ihrer Bergmannsfesttracht; NZ. (Basel) 4.1.1950 Die Behörden haben die dringende Entsendung von Geologie-Experten verlangt, um die Evakuation der Bevölkerung anordnen zu können; taz 14. 7. 1988 Die Geologie der Werralagerstätte tut ein übriges: In Jahrtausenden haben sich vier wassersperrende Tonschichten aufgeschoben; ebd. 4. 2. 1991 Dabei sind sie vor allem bei der Geologie des Endlagers auf gravierende „Schwachstel-
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len" gestoßen; Mannh. Morgen 31.3. 2003 Das Landesamt für Geologie und Bergbau kündigt für Anfang April die Bearbeitung des Blattes Nr. 6515 „Bad Dürkheim-Ost" der Topographischen Karte 1:25 000 an. Geologe/Geologin: Saussure 1781 Reisen durch d. Alpen (Übers.) i Vorr. XU Die ersteiglichen Gipfel der Alpen zeigen keinen vielleicht so glänzenden und ausgedehnten Anblick; allein vielleicht ist er nur desto lehrreicher für den Geologen; Herder vor 1803 S. W. I 5 So wenig dem Geologen die sechs Tage der Schöpfung einen Aufschluß zum Bau der Erde geben werden (KEHREIN); 1803 Eunomia // 463 ein tiefes steiniges Thal wird alsdann . . dem Geologen und Geognosten die Erinnerung deiner Fluthen zurückrufen; Goethe 1823 Z. Geologie/ Witterungslehre (HA XIH 287) So wie nun ein mächtiger Geolog, dem übernatürliche Hebel zu Gebote stehen . . Schweden und Norwegen ohne Bedenken aus der Tiefe in die Höhe hebt und durch dieses desperate Mittel sich aus einer gewissen Verlegenheit zu helfen sucht; ders. 1826 Tagebücher (WA III 10,278) Bericht über das Detonations-Phänomen auf der Insel Meleda von Partsch, wobey mir das concentrirte Credo der neuesten Geologen höchst merkwürdig erschien; Kohl 1844 Schottland I 3 Insel Aram, die für den Maler, wie für den Geologen, ein wahres Bijou sein soll; ders. 1852 Südöstl. D. l 185 An den senkrechten Wänden zur Seite liefen eine Menge tief eingeschnittene und schmale Rinnen — „Erosions-Rinnen" nennen sie die Geologen — herab; 1876 Geograph. Jahrb. 161 Die Mehrzahl der Geologen halten Landpflanzen für die hauptsächlichen Bildner dieser technisch so hochwichtigen Massen [Kohle]; Hallier 1889 Kulturgesch. 423 zeigte, dass die Geologen in ihren Zeitbestimmungen bis dahin viel zu sparsam und ängstlich gewesen seien; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 370 So zahlreich sind seine [Louis Pasteurs] Arbeiten als Chemiker, Physiker, Geolog, Biolog und Therapeut; Werfe! 1924 Verdi 480 Der Maestro hatte vor einiger Zeit in einer Revue den Aufsatz eines Geologen gelesen, der behauptete, die Erdkugel stände am Beginn einer neuen Vergletscherungs- oder Diluvialepoche; Münichsdorfer 1932 Bayerns Boden l 149 Meerestiere, welche eine Hauptgruppe der Kopffüßler (Cephalopoden) bilden, .. sind die besten Leitfossilien der Geologen; i935 Wehrtechn. Monatsh. 394 schon während der ersten Kriegshandlungen und zu deren Friedensvorbereitung sollte der Wehrgeologe helfen; Münch. N.N. 16. 6. 1942 Erlebnisbericht eines Wirtschaftsgeologen; Welt 17. 2. 1969 die riesigen Erzlagerstätten im nördlichsten Teil Skandinaviens und die beachtlichen Vorkommen im sowjetischen Polargebiet sind in den Atlan-
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ten der Geologen längst vermerkt; ebd. 8. 8. 1974 Tieftäler im Untergrund Schleswig-Holsteins machen die Geologen ratlos; Spiegel 2.8.1984 Geologen . . haben eine Berührungszone jener gewaltigen Ur-Kollision aufgespürt, bei der Nordamerika und Nordafrika vor etwa 300 Millionen Jahren aufeinanderprallten; taz 30. 9. 1988 nach Ansicht von Geologen und Reaktorsicherheitsexperten könnte eine Verschiebung der Platten zu einer Zerstörung wichtiger Versorgungsleitungen . . führen; Berl. Zig. 28. 6. 2000 Häufig suchen Architekten, Baufirmen und Steinmetze Rat bei der Geologin. geologisch: Goethe 1795 Br. (WA IV 10,300) Die Mineralogie und Geologische Base, die anfängliche und fortschreitende und gestörte Cultur des Landes habe ich von unten herauf theils zu gründen, theils zu überblicken gesucht; 1798 Allg. geograph. Ephemeriden 89 Beschreibung von Schweden, welche alle statistische Angaben über Bevölkerung, Industrie u. s. w. in geographischer, physischer, geologischer, öconomischer Rücksicht, enthalten wird; Goethe 1819 Br. (WA IV 31,51) es lebe noch immerfort in mir ein geologisch-mineralogischer Funke; der s. 1822 Tagebücher (WA III 8,282) Sein geologischer Atlas von Deutschland . . verspricht sehr brauchbar zu werden und uns eine längst gewünschte Übersicht zu geben; Seyffarth 1855 Paris 116 die zoologischen, mineralogischen und geologischen Galerien; 1861 Mem. Humboldts II 312 Man darf also wohl in geologischer Hinsicht den Gasvulkan der Galera Zamba als den Hauptsitz der vulkanischen Thätigkeit betrachten; Berlepsch 1875 Schweizerkunde 243 Diese . . Gebilde und Eruptivmassen machen den wesentlichen Inhalt der ersten grossen geologischen Gruppe der Schweiz . . aus; 1876 Geograph. Jahrb. 200 Die geologischen Zeitabschnitte oder Formationen sind vermuthlich ihrer Dauer nach keineswegs von gleicher Grosse; Treitschke 1897 Politik I 98 eine jede positive Religion enthalte einen geologischen Mythus über die Entstehung des Kosmos; Ratzel 1904 Naturschild. 10 Darum reihen sich z.B. in einer klassischen Monographie der Dolomiten an die geologischen und tektonischen Beschreibungen und Erörterungen landschaftliche Zusammenfassungen; Freud 1915 Vergänglichkeit (Studienausg. X 226) eine geologische Epoche, in der alles Lebende auf der Erde verstummt ist; 1927 ZDÖ
Alpenver. 37 die geologisch-petrographischen Eigentümlichkeiten in dieser Landschaft; 1931 Geograph. Zeitschr. XXXVII 454 Von der Erdveränderung ausgehend, ist zu versuchen, die Entwicklung der Flora durch die geologischen Perioden zu verfolgen; Münichsdorfer 1932 Bayerns Boden i 149 dem tertiären Flinz, der . . viel festere, dichtere und härtere Beschaffenheit aufweist, abgesehen von chemischen und geologischen Unterschieden; 1935 Wehrtechn. Monatshefte 394 bei der Verlegung wenig tief eingegrabener „Streuminen", von Minen in Flüssen oder Seen u. dgl. kommt die Truppe stets ohne geologische Beratung aus; 1936 Vox Romantica 158 Bildet die Bresse geologisch und ethnisch (Sequaner) ursprünglich eine Einheit, so hat die Politik sie in einen nördlichen, burgundischen, und einen südlichen, nach Savoyen orientierten Teil zerrissen; Hochrein 1953 Leistungssteigerung 9 Unter den äußeren Umständen, die ein langes Leben begünstigen sollen, wird besonders geologischen Bedingungen, Bodenstrahlungen usw. eine Bedeutung zugeschrieben; Welt 17. 2. 1969 da sich die geologische Struktur in Alaska und auf Spitzbergen als identisch erwies und auch die übrigen arktischen Landmassen zur gleichen Zeit und unter gleichen Bedingungen entstanden; Mannh. Morgen 29. 1. 1985 aus diesem fantastischen Bildmaterial wurden zahlreiche geologische Karten des roten Planeten im Maßstab 1:200000 gezeichnet; HodelHoenes 1992 Leben u. Tod 68 Beachtenswert ist, daß das Grab nicht die übliche Richtung hat, sondern wegen der geologischen Verhältnisse nach Süden orientiert ist; Zeit 18. 8. 1995 das Quartär, die jüngste und für die Menschheit bedeutendste geologische Formation; Berl. Ztg. 23.5.2003 Das nordafrikanische Land liegt in einer geologisch labilen Zone, in der zwei große tektonische Erdplatten aufeinander treffen. geologisieren: Goethe 1810 Br. (WA IV 30,152) Ein Graf Razoumowsky . . geologisirt auch sehr eifrig; 1813 ebd. 23,369 Die Gegend habe ich schon durchgcologisirt; 1836 Neues Jahrb. f. Mineralogie 695 Die Zeit, während welcher in diesem Jahr oberhalb der Baumgrenze in den Alpen geologisirt werden konnte, wenn man das Wort brauchen darf, hat nicht länger als 5 — 6 Wochen gedauert; Kapp 1925 Br. 143 auf den Sandbergen . . habe ich ein bißchen geologisiert.
Geomantie F. (-; ohne PL), Anfang 15. Jh. entlehnt aus gleichbed. lat. geomantia, griech. * (aus -, zu 'Erde, Land', —* Geo-, geo-, und 'das Weissagen; Orakelspruch', also eigentlich 'Weissagung aus der Erde'). In der Bed. 'Kunst/Technik des Weissagens und Hellsehens, bei der (gegründet auf eine ursprünglich bei Chinesen und Arabern verbreitete Orakelform zur Erkundung
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günstiger Siedlungs-, Kult- und Grabstätten aus natürlichen Erdformationen) mithilfe absichtslos in den Sand oder auf Papier gezeichneter Figuren, Punkten und Linien des Erdbodens oder geographischer Gegebenheiten die Zukunft gedeutet wird' (vgl. Pyromantie 'Weissagen aus Feuer', Nekromantie 'Voraussagen der Zukunft durch Totenbeschwörung', Aeromantie 'Luftdeutung', —> Aero-, aero-; —» Astrologie, —» Astronomie, ), gleichbed. mit im früheren 16. Jh. vereinzelt, erst wieder seit frühem 20. Jh. bezeugtem Geomantik F. (-; ohne PL); seit den 80er/90er Jahren des 20. Jhs. in der modernen Esoterik auch als Bezeichnung für die auf der magischen Bedeutsamkeit von Bergen, Felsen, Bäumen und Gewässern beruhende Lehre von verborgenen Energien („Kraftlinien", „natürliche Energieströme" und „Energiezentren") in der Erde, wobei der Lebensraum als ein vernetztes System aus Energien, Informationen und Beziehungen zueinander betrachtet wird, die auf der Erdoberfläche auszumachen und in landschaftsgestalterische Maßnahmen einzubeziehen sind, um so ein Gleichgewicht im Lebensumfeld zu erreichen (s. Belege 1987, 1991, 2001; vgl. Feng-shui, Bioenergetik), als Bestimmungswort in Zss. wie Geomantiesystem, -linie, -kurs, -berater, -seminar. Dazu seit spätem 16. Jh. die (aus gleichbed. lat. geomanticus entlehnte) adj. Ableitung geomantisch 'zur Geomantie gehörig, mit den Methoden der Geomantie in Erfahrung gebracht', in neuerer Zeit bes. 'die Lebensraumgestaltung (nach fernöstlichem Vorbild) betreffend' (s. Belege 1991, 1998, 2001; vgl. bioenergetisch), z.B. esoterisch-geomantisch; seit früherem 18. Jh. die Personenbezeichnung Geomant M. (-en; -en) (vgl. gleichbed. lat. geomantis, griech. * $), auch Geomantin F. (-; -nen), gleichbed. mit im früheren 16. Jh. vereinzelt, erst in jüngster Zeit häufiger bezeugtem Geomantiker M. (-s; -), anfangs lat. (flekt.) Geomanticus, auch moviert Geomantikerin F. (-; -nen), sowie dem vom früheren 16. bis ins 18. Jh. nachgewiesenen Geomantist M. (-en; -en), auch moviert Geomantistin F. (-; -nen), zunächst 'jmd., der aus Punkten oder Linien im Sand weissagt', in jüngster Zeit für 'jmd., der verborgene Energien aufspürt und deutet, um Gleichgewicht und Harmonie herzustellen, z.B. wenn ein Gebäude platziert oder ein Raum gestaltet wird'. Geomantie: um 1400 Ackermann 32 Geomancia mit satzunge der planeten vnd des himelsreifes zeichen auf erden allerlei frage behende verantwurterin; 1414-18 Volkslied (Liltencron l 238) Sez maister in geomacie/ und in der kunst in alchemic; Johann Hartlieb 1456 Buch aller verbotenen Kunst 27 nun will jch schreiben von der ändern verpotten kunst, die haißt jn latin geomancia vnd ist geswistret mit der astronomey; Paracelsus 1528 S. W. l 6,44 f. Ferner sind eins erheben ansehens, wol gekleidet, aber übel gefüttert; etliche lassen mitlaufen astronomiam, etlich geomantiam, etlich pyromantiam; ders. 1537-38 S. W. l 12,95 das sie prophcten sind, sovil und die natur da wirket, es sei in der geomantia, pyromania, hydromantia oder chaomantia; ders. 1565 S. W. / 13,304 medicina, geomantia, astronomia, pyromantia, augurium . ., dise dinge alle seind in der natur, das ist in den geschöpfen; Toxites 1574 Onomastica 437 Geomantia, die kunst die erdt durch puncten zumessen/ vnd zuerkündigen; Fischart 1581 Dämonoma-
nia 183 Vntcr die Vnzimlichen Los setzen wir auch/ die Geomanti/ oder die dcitelei auß verpuncter Erden/ welche inn öffentlichen vnd getruckten Bücheren die aller präuchlichst vnd eyn besondere Teuffelische Kunst ist; 1705 Auserles. Anm. Ill 305 die vorangcregte Wahrsagerkünste/ als die Astrologia judiciaria, Chiromantie, Metoscopie, und Geomantie . . von der Thorheit/ und Aberwitz einiger Phantasten gereiniget . . wurden; 1716 Geomantia 1 1 5 Drittens will man die Geomantie deswegen verächtlich/ ja so gar zur Zauber-Kunst machen/ weil nicht ein jeder die verborgenen Gründe dieser hohen Wissenschafft mit seinen blöden Augen sehen kan; Weber 1734 Enc. l 561 Geomantia, die Kunst, durch Entwerffung gewisser Puncte entweder durch einen Stock im Sand, oder durch die Feder aufs Papier, künftige Dinge vorher zu sagen; Zedler 1741 Universallex. XXIX 1609 Der Name Geomantie (unter welchem Worte die Alten diejenige Art der Wahrsagerey verstunden, da man aus den natürlichen Begebenheiten in und auf der
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Erde, zukünfftige Dinge abnehmen wolle) wird heut zu Tage der Punctir-Kunst deßwegen gegeben, weil man anfänglich die Puncte in den Sand oder Erde mit einem Stecken zu entwerffen pflegte; 1764 Kurzer doch gründlicher Unterricht zu der Geomantie, Oder die in dem Gestirne gegründete Punctir-Kunst, Wie man die Himmels-Figuren in Aufrichtung der zwölf Häuser auf die GeburtsStunde . . stellen solle (Titel); Musäus 1781 Physiognom. Reisen 1174 Solche luftige Scienzen erhalten in dem Gebiete der Gelehrsamkeit nicht einmal das Bürgerrecht, sondern werden als Vagabonden bald wieder über die Gränze gebracht, wie wir das an der Alchymie, Astrologie, Geomantie . . erlebt; Wieland vor 1813 S. W. XXXH 31 Divinationskünste der Astronomie und Geomantie (KEHREIN); Campe 1813 fremdwb. 338 Geomantie, eine Art Wahrsagerei, wobei man Erde oder Sand gebraucht; die Erd- oder Sandwahrsagerei; Hegel vor 1831 Vorlesungen über d. Gesch. d. Philos. (W. XIX 524) In ihrer [der jüdischen Philosophen] Philosophie dringt einesteils das Kabbalistische in Astrologie, Geomantie usf. durch (DiBi 3); Oertel 1831 Fremdwb. l 347 Geomantie . . Punktirkunst, Wahrsagung aus Punkten, die man in die Erde, in Sand, auf das Papier zeichnet; 1844 Brockhaus VI 85 Geomantie oder Punktirkunst nennt man die vorgebliche Kunst, aus gewissen ohne besondere Absicht, in Sand gemachten Punkten, nachdem man dieselben in Figuren gebracht, zu wahrsagen; Niendorf 1854 Paris 219 Befragten wir . . zuweilen die Geomantie, so schlüpften jedesmal Figuren heraus eigenthümlich fatalistisch, keine alltäglichen Geschicke; 1886 Brockhaus XHI 394 Punktierkunst, eine Art, Orakel zu geben, indem man eine Anzahl Punkte, die man ohne besondere Absicht verzeichnet, in Figuren bringt, um daraus nach gewissen Regeln verborgene und zukünftige Dinge zu erforschen. Diese Art der Weissagung wird von den Arabern hergeleitet, welche die Punkte mit einem Stabe in den Sand oder Erde zu machen pflegten, weshalb sie auch Geomantie (d. i. Weissagung aus der Erde) genannt wurde; Lau 1958 Religion in Geschichte u. Gegenwart o. S. Die spezielle Lehre der chinesischen Geomantie (Feng-shui) von einem gesetzmäßigen Einwirken des Kosmos auf den Wohnraum ist den meisten anderen Völkern unbekannt (DWDS); Konetzke 1964 Überseeische Entdeckungen o. S. Die erste deutliche Beschreibung der Magnetnadel in China stammt aus der Zeit um 1060, aber ihr Gebrauch zur Bestimmung der Himmelsrichtung geht wenigstens bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts zurück und diente wohl hauptsächlich der Geomantie, der Wahrsagekunst aus zufällig im Sand markierten Punkten (DWDS); Skinner 1987 Chinesische Geomantie: Die Lehre des Fengshui von der geheimen Kraft der Erde (Titel); taz
27. 9. 1991 Nun will auch der Verein Gesundheit & Kultur ans große Geld, um Geomantie, Ecstasy, Reiki, Aromatherapie, Levitiertes Wasser und Sukyo Mahikari an Mann und Frau zu bringen; Zeit 7. 2. 1997 mit den in Asien sehr verbreiteten Anhängern der Geomantie — also mit jenen Künstlern, die Linien auf den Boden malen und darin geometrische Formen zu erkennen glauben, die angeblich etwas über die kommende Zeit verraten; Mannh. Morgen 27. 3. 2001 bald darauf konnte die Spezialistin für chinesische Bauphilosophie dem Gemeinderat von Massing das fernöstliche Geomantiesystem vorstellen. Geomant/-in: Weber 1734 Enc. I 561 Geomantes . . Wahrsager aus der Erde; Campe 1813 Fremdwb. 338 Geomant, der Erd- oder Sandwahrsager; Heyse 1838 Fremdwb. I 451 Geomant, m. ein Erdwahrsager; 1844 Brockhaus VI 85 Als Geomanten waren besonders die Araber bekannt; Weber 1920-21 Wirtschaftsethik (Ges. Aufs. z. Religionssoziologie I 513) daß in dem Zaubergarten vollends der heterodoxen Lehre (Taoismus) unter der Macht der Chronomanten, Geomanten, Hydromanten, Meteoromanten, bei der krüden und abstrusen universistischen Vorstellung vom Weltzusammenhang, beim Fehlen aller naturwissenschaftlichen Kenntnis . . eine rationale Wirtschaft und Technik moderner okzidentaler Art einfach ausgeschlossen war (DWDS); Klages 1932 D. Geist als Widersacher d. Seele III 1192 Nur müssen wir dabei die „Zeichendeuter" beiseite nehmen, die Handleser, Astrologen, Kartenschläger, Auguren, Haruspices, Rhabdomanten, Geomanten und so fort, die sich auf überlieferte Systeme vermeinter Omina stützen, mögen auch ihre Deutekünste nicht selten befruchtet werden von unbewußt mitschwingenden Sehergaben (DWDS); Gehlen 1956 Urmensch u. Spätkultur 278 Die ersten Telegrafenlinien der Regierung in den 70er Jahren wurden auf Veranlassung der Geomanten zerstört, viele Kilometer lange Umwege von Kanal- und Straßenbauten waren nötig, wenn irgendwelche Orte ungünstig aspektiert waren (DWDS); taz 23. 11. 1995 Schon im 3. Jahrhundert v. Chr. hatten chinesische Geomanten auf einer Bronzeplatte einen Löffel aus Magneteisenstein befestigt, der sich von allein nach Süden ausrichtete; Berl. Ztg. 14. 7. 2000 Geomanten erkunden, wie die Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft sowie physisch nicht wahrnehmbare Strahlungen auf einen Ort wirken. Geomantik: Paracelsus 1536 S.W. I 10,263 etlich canones der astrologi, auch die kunst geomantica; Weber 1920-21 Wirtschaftsethik (Ges. Aufs. z. Religionssoziologie I 281) Daß alle Minen technisch schlecht ausgebeutet wurden, wird noch aus
Geomantie dem 17. Jahrhundert berichtet: der Grund war — neben den Schwierigkeiten, welche die später zu erwähnende Geomantik machte . . (DWDS); Gehlen 1956 Urmensch u. Spätkultur 277 Die Geomantik (feng-schui, Wind und Wasser) war die Kunde von der magischen Bedeutsamkeit von Bergen, Felsen, Bäumen, Gewässern usw. (DWDS); taz 18.1. 1994 Der chinesische Begriff feng-shui (wörtlich: „Wind-Wasser") wird bei uns als Geomantie oder Geomantik geführt; Züricher Tagesanz. 10. 7. 1999 Geomantik oder Geomantie — die Kunst, aus absichtslos in den Sand gezogenen Linien und Figuren oder aus geografischen Gegebenheiten zu weissagen — ist der hiesigen Gastroszene offenbar noch nicht so vertraut wie den Kochstars in New York oder Paris; St. Galler Tagbl. 3. 12.2001 Der Grundgedanke der Geomantik liegt darin, daß es auf der Erde natürlicherweise heilige Orte gibt (Orte der Kraft), die durch ihre Beschaffenheit und den an sie geknüpften Mythen eine besondere und einmalige Beziehung zum Gesamt der Weltschöpfung besitzen.
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auff Astrologische oder Geomantische Manier habe stellen lassen; erlebt; Zedler 1741 Universallex. XXIX 1612 Die Geomantische Puncte sind gleichsam eine solche unbekannte Schrifft oder Sprache der Geister, die man ohne ihrem [!] Unterricht nicht hat verstehen können; Wieland vor 1813 S.W. XXXVI 22 Geomantische Bücher (SANDERS 1871); Hegel vor 1831 Vorlesungen über d. Gesch. d. Philos. (W. XX 18) Wildheit der Einbildung, Sucht nach geheimen astrologischen, geomantischen und anderen Kenntnissen (DiBi 3); Heyse 1838 Fremdwb. 1451 geomantisch, zu dieser Kunst [Geomantie] gehörig; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 317 geomantisch die Wahrsagung aus Sand oder Erde betreffend oder dazu gehörend; Weber 1920-21 Wirtschaftsethik (Ges. Aufs. z. Religionssoziologie l 483) Denn seitdem galt als ausgemacht: daß alle Formen von Bergen, Höhen, Felsen, Flächen, Bäumen, Gräsern, Gewässern geomantisch bedeutsam seien, ein einziger Felsblock durch seine Form ganze Gebiete vor Angriffen übler Dämonen schützen könne (DWDS); Benjamin 1928 Ursprung d. dtsch. Trauerspiels (Ges. Sehr. I 1,330) Aber noch diese Wahrträume sind aus geoGeomantiker: Paracelsus 1530 S. W. l 8,66 sie wermantischem Traumschlaf im Schöpfungstempel, den geomantici sein, sie werden adepti sein, sie nicht als erhabene oder gar heilige Einflüsterung zu werden archei sein, sie werden spagiri sein, . . sie verstehen (DWDS); Block 1954 Prinzip Hoffnung l werden arcana haben, sie werden mysteria haben, 384 „Nun aber entwarf er an einem Tage unter den sie werden tincturam haben; ebd. 8,158 ich sei ein Tagen eine Sandtafel, und er streute die Figuren nigromanticus, ein geomanticus; 1706 Hazards hin und erforschte ihre Folge genau; und alsbald Lebens-Gesch. 37 wäre es ein unauslöschlicher stellte er die Folge der Figuren, der Mütter sowohl wie der Töchter, sicher fest" — es ist dieselbe geoSchandflecken vor un homme de Qualite, wann er mantische Tafel, kraft deren der Zauberer in Tunis nicht einen Astrologum, Geomanticum, Chirovon dem fernen Schatz in China erfahren hatte, manticum . . an seiner Taffei setzte; Salzb. Nachr. 7. 8. 1993 Geomantiker sind davon überzeugt, daß den Aladin dann hob (DWDS); Gehlen 1956 Urmensch u. Spätkultur 277 In analoger Weise konder Erdball von einem feinen, teils sichtbaren, teils serviert wurde ein ungeheuerer Betrieb ominöser, unsichtbaren Netz von Energieströmen durchzowahrsagerischer, astrologischer und geomamischer gen ist; Kleine Ztg. 3. 8. 1999 Es sei zu befürchten, Praktiken im kaiserlichen China bis in dieses Jahrdass der Bezirk Liezen nun Reiseziel von allerlei hundert (DWDS); taz 2.11.1991 der Autor David Scharlatanen, Geomantikern und anderen SektieLuczyn beschränkt sich jedoch darauf, die Besonrern werde, die auf diese Weise Geld machen derheit von Plätzen esoterisch-geomantisch zu inmöchten. terpretieren; Presse 18. 4. 1998 Alltags- und praxisbezogen, verzichtet das Lehrmittel auf weitere Vergeomantisch: Fischart 1581 Dämonomania 669 tiefungen zur Architektur, dafür wird in das Vnd darneben alle Chiromantische vnd GeomantiThema der schwachen Wechselwirkungen eingesche Bücher/ so allenthalben feil seind/ verprenführt, oft auch als feinstoffliche Kräfte oder geonen/ auch den Buchtrukern vnd Buchhändlern mantische Phänomene bezeichnet; St. Galler Tagbl. vntersagen/ keins mehr zutrucken/ noch feyl zuha3. 12. 2001 das Therapiezentrum geht von einem ben; Kepler vor 1630 Opera omnia i 393 den geoneuen Therapieansatz aus, in dem die artgerechte mantischen würfelfall (DWB); Francisci 1672 His- Haltung und kreislauf-orientierte Einbettung der tor. Rauchfaß I 631 Sie machen auch GeomantiTierhaltung in die Natur ebenso eine wichtige sche Bilder/ um dadurch die Zeit/ wie lange die Rolle spielen wie die Einhaltung bioenergetischer Krankheit solle währen/ zu erkundigen/ und beyund geomantischer Grundsätze beim Bau der Annebst gute Medikamente zu erfinden; 1716 Geo- lage. mantia 114 Die gantze Römische Kirche verdammet/ und verwirfft die Geomantie in ihren Lehren/ Geomantist: Paracelsus 1531 S. W. I 9,376 nachfolund Canonibus, dennoch ist weder Pabst noch gend sind komen augures celi und ouch fürgehalCardinal zu finden/ der ihm nicht seine Nativität ten den himelischen louf, aber on die Magos nüt
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gehandlet: darnach die geomantisten, darnach die piromantisten; Thomasius 1691 Aus bung d. Vernunftlehre 64 ich werde weder was unvern nfftiges noch gottloses behaupten/ wenn ich von den Geomantisten, Cabalisten u. s. w. k rtzlich meine Meinung auff diese Weise er ffne; 1716 Geomantia 26 formirten die alten Geomantisten ihre Puncta im
Sand, oder Erde; Zedler 1741 Universallex. XXIX 1614 Wer von der Ungewi heit dieser Kunst will vollkommen berzeugt seyn, lege nur zween geomantisten eine und eben dieselbe Frage vor, so wird er gewahr werden, wie sie nimmermehr, oder doch sehr selten, in Entwerffung der Puncte bereinkommen werden.
Geometrie F. (-; -n ungebr.), um 1200 ber lat. geometria 'Feldmesskunst; Mathematik' entlehnt aus griech. γεωμετρία 'Land-, Feldmesskunst; Erdmessung' (aus γεω- und μετρία '-messung', zu μετρεΐν 'messen', zu μέτρον 'Ma '), anfangs in den Formen Geometrei, Geometry/Geometn sowie bis ins 18. Jh. in lat. (flekt.) Form. Zun chst selten bis ins 19. Jh. f r 'Land- und Feldmesskunst, Vermessungswesen' (s. Belege 1539, 1557, 1613, 1743, 1817), seit dem 15. Jh. zunehmend eingeengt auf die heute dominante Bed. 'Lehre, wissenschaftliche Disziplin von den ebenen und r umlichen Gebilden, Teilgebiet der Mathematik, das sich mit der Erkenntnis und Darstellung der Eigenschaften und Formen des Raumes, wie der Gestalt ebener und r umlicher Figuren, Berechnung von L ngen, Fl chen, Inhalten u. a. befasst, Raumgr enlehre' (s. Belege 1469-72, 1473, 1562, 1618, 1786, 1832, 1917; im Unterschied zu den die Zahlenlehre betreffenden Disziplinen —* Algebra und —»· Arithmetik), im Mittelalter bes. zur Bezeichnung einer der sieben freien K nste, die neben Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Astronomie und Musik auf der Artistenfakult t (—» Artist a) gelehrt wurde (s. Belege 1414-18, 1527, 1548); in fachspr. Syntagmen wie analytische, projektive, fraktale Geometrie 'Geometrie, die im Gegensatz zu den in der euklidischen Geometrie behandelten einfachen Formen (z. B. Gerade, Kreis) komplexe Gebilde und Erscheinungen (Fraktale) darstellt, wie sie hnlich auch in der Natur vorkommen (z. B. K stenlinien, Gebirgsz ge, Polymere, biologische Strukturen)', h ufig als Grund-, selten als Bestimmungswort in Zss. wie Differential-, Dreiecks-, Elementar-, Kongruenz-, Kr fte-, Kreis-, Pyramiden-, Quanten-, Winkelgeometrie; Geometriedreieck, -muster, -kenntnisse, -programm, schon fr h auch als Buchtitel 'Lehrbuch der Geometrie' (s. Belege um 1400.2, 1489) sowie bezogen auf ein Unterrichtsfach (s. Belege 1652, 1781, 1811; —> Mathematik), vgl. die Zss. Geometrielehrer, -Unterricht, -buch; im 20. Jh. im Sinne von 'Verh ltnis, in welchem Teile, Komponenten (eines organisierten Ganzen) zueinander stehen, aufgebaut, konstruiert sind' (—* Konstrukt, —> Konstruktion) in verschiedenen Fachund Anwendungsgebieten wie (Kraftfahrzeug-)Technik, z. B. Achs-, Aufh ngungs-, Gurt-, Lenk-, Rad-, Turbinen- und Fahrwerksgeometrie 'das Verh ltnis von Lenkkopfwinkel, Nachlauf und Radstand zueinander', in der (Geb ude-, Landschafts-, Stadt-)Architektur, z.B. Bau-, Fassaden-, Grundriss-, Landschafts-, Garten-, Straen-, Tunnel-, Stadtgeometrie, in der Anatomie, z. B. Gesichts-, K rper-, Knochen-, Zahngeometrie, in Astronomie und Physik, z. B. Erdbahn-, Himmels-, Molek lgeometrie, sowie bildlich und bertragen verwendet 'Muster; Netz, Geflecht' (s. Belege 1929, 1976, 1993, 2004; -» System), z.B. B hnen-, Tanz-, Macht-, Beziehungs-, Parteien-, Wahlkreisgeometrie. Dazu gleichzeitig die ( ber lat. geometres, sp tlat. auch geometra, geometer 'Feldmesser, Mathematiker' auf griech. γεωμέτρης 'Land-, Feldmesser' zur ckgehende)
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Berufsbezeichnung Geometer M. (-(s); -), anfangs (mhd.) Geometras, auch moviert Geomet(e)rin F. (-; -nen), gleichbed. mit seit spätem 16. Jh. vereinzelt belegtem Geometrist M., bis heute meist in der Bed. 'Feldmesser/-in, Landvermesser/-in' und insbes. e Vermessungsfachmann, -frau, -ingenieur/-in' (weitgehend gleichbed. mit Geodät, —>· Geodäsie), selten auch gebucht in der Bed. 'Mathematiker/-in, der/die sich v. a. mit der Geometrie befasst'. Seit Mitte 16. Jh. die (auf lat. geometricus, griech. 'zur Feldmesskunst gehörig' zurückgehende) adj. Ableitung geometrisch, früher selten auch als Adv. in der lat. Form geometrice, 'in Bezug auf die Lehre von ebenen und räumlichen Gebilden, die Raumgrößenlehre, räumliche Verhältnisse betreffend; auf den Gesetzen der Geometrie beruhend, durch Begriffe der Geometrie darstellbar' (im Unterschied zu arithmetisch 'die Zahlenlehre betreffend, rechnerisch', —» Arithmetik; s. Belege 1664, 1841), früher auch 'zur Feldmesskunst, zur Tätigkeit des Geometers gehörend, benutzt, dienend, hilfreich' (s. Belege 1580, 1795, 1837); in (fachspr.) Syntagmen wie geometrische Berechnungen, Progression, geometrischer Ort 'geometrisches Gebilde, dessen sämtliche Punkte die gleiche Bedingung erfüllen; Gesamtheit aller Punkte mit einer bestimmten geometrischen Eigenschaft', geometrisches Mittel 'n-te Wurzel aus dem Produkt von n Zahlen' (vgl. arithmetisches Mittel), geometrische Folge 'Folge, bei der man das jeweils nächste Glied erhält, indem man das vorige mit einer Konstante q multipliziert' (Ggs. arithmetische Folge), geometrische Reihe 'die Folge, deren n-tes Glied die Summe der ersten n Glieder der zugehörigen geometrischen Folge ist' (Ggs. arithmetische Folge), geometrische Eigenschaften, Grundbegriffe; daneben auch übertragen 'Figuren der Geometrie (Dreiecke, Kreise, Punkte o. Ä.) aufweisend, ihnen ähnlich, ihnen entsprechend' (s. Belege 1770, 1930, 1969), z.B. etwas streng geometrisch anordnen, geometrisches Muster, geometrische Formen, Figuren (—* Figur 3c), bes. im Bereich der Kunst(-geschichte), z.B. geometrischer Stil 'nach seiner Linienornamentik benannter Stil bes. der griech. Vasenmalerei, der Ornamente, Tier- und Pflanzenmotive in den linearen Formen geometrischer Figuren (Dreiecke, Rhomben, Kurven) bevorzugt', geometrische Kunst 'frühe Epoche der griechischen Kunst, etwa 900—700 v. Chr., benannt nach den geometrischen Schmuckmotiven der bemalten Vasen', geometrische Abstraktion 'Richtung der abstrakten Kunst, die aus geometrischen Formen und intensiven Buntwerten eine gegenstandsfreie Bildkomposition aufbaut', geometrischer Garten als Bezeichnung für den Renaissance- oder Barock-Garten im italienischen oder französischen Stil, der (im Ggs. zum Landschaftsgarten) stark geometrischen, formalen Gestaltungsprinzipien folgt. Seit frühem 17. Jh. selten die verbale Ableitung geometrisieren V. trans., zunächst 'Geometrie betreiben', auch 'die Erkenntnisse, Regeln und Arbeitsweisen der Geometrie auf etwas, das einem anderen Gebiet (z. B. der Mathematik) angehört, übertragen', z.B. die Algebra geometrisieren, in neuerer Zeit mit Bezug auf künstlerische Linien- oder Formgebung 'etwas mittels geometrischer Figuren darstellen' (s. Belege 1937, 1987, 1998, 2003), oft attr. verwendet im Part. Präs., z.B. geometrisierendes Linienspiel, mit dem dazugehörigen, auch übertragen verwendeten Verbalsubst. Geometrisierung F.; seit Anfang 20. Jh. selten die subst. Ableitung Geometrismus M. zur Bezeichnung verschiedener Bereiche, in denen geometrische Formen eine Rolle spielen. Geometrie: um 1200 Eneide 252,5 wander (Geometras) wole konde die list von geometrien (LEXER); Wolfram v. Eschenbach um 1210 Parzival 312 si was der witze kurtoys, dlalektike unt jeo-
metri (BENECKE/MÜLLER/ZARNCKE); 1355 Schachbuch 309,35 der kunst von deme mezzin, die heizt geometrien (MÖLLER); 1 4 . / I S . Jh. Schachzabelbuch 95 der geometrij pünt vnd fygur
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Geometrie
(DWB); um 1400 Ackermann 32 Geometria, der erden pruferin, schetzerin vnd messerin, hilfet da nicht mit irer vnfelender masse, mit iren rechten abgewichten; um 1400 Geometria Culmensis (Titel) (SCHIRMER, Mathematik); 15. }h. Fasnachtsspiele H 740 Die geometria lert Euclites,/ Die mißet hoch, tief, eng und weit,/ Kurz, lang, smal, preit, die kunst das geit; Volkslied 1414—18 (Liliencron I 237) Guot lichter in retorica,/ guot singer in der musica;/ da was gramatica grundlich,/ geometric ganz kundlich; Beheim 1469 — 72 Reimchronik Str. 70 der dick benennet Friderich/ tet nichten lieb alleine/ zu der ritterschafft eine,/ Sunder alle höfflichkeit sunst,/ auch subtil meisterlich kunst,/ als die kunst arismetrika,/ rechnung vnd geometrika; Stainhöwel 1473 Boccacio (Übers.) 98 Arismetricam und geometriam die kunst haben die Egipcy da hin gegeben; Widmann 1489 Rechenung g8b Euclides in den 10. buch seyner geometri (SCHIRMER, Mathematik); Köbel 1514 Rechenbüchlein XXIIHa auß der Arismetrick vnd Geometrei; Apianus 1527 Newe vnderweysung a2b dann Plato schreib vber die thür seiner schuoel, Khainer soll da rein gehn der vnwissent ist der Mathematica, vnd ausserhalb der Arithmetica . . alss die erste, mag nyemantz den verstand! des gesangs, vnd den subtilen eingang der Geometrei vnd Astronomei vberkommen; Begardi 1539 Index Sanitatis 7a die Geometriam, das ist die Kunst der Messung; Franck vor 1542 Chronica Zeitbuch 248b [Albrecht Dürer] der Geometri vnd Aritmetick/ ein meister; Rwius 1548 Vitruv. 5b das er der Geometri/ Astrologi/ Music vnnd ander dergleichen künsten hoch erfaren; Stade 1557 Reise 94 auß uberlegung des Himels, oder Astronomia, mit der Geometria, rechnet man gar eigentlich ab, wie weit, rond, breit und lang das erdtreich sey, so doch dise ding alle dem gemeinen man . . als unglaublich geachtet werden; Xylander 1562 Euclid (Übers.) 119 Es wissen alle verstendigen, das die rechenkhunst vnd Geometri, ain grund, vrsprung, vnd onvermeidenlicher behilff seind der ändern künsten, so auch Mathematisch genant werden . .; Fischart 1575 Geschichtklitterung 276 inn anderen Matemathischen [!] Weißheitkundlichkeyten vnd erfarungskünsten . ., als inn Geometry, Astronomy vnd der Music; Helmreich 1591 V. Feldmessen A3a Darumb die Geometria vnd Arithmetica mit einander verschwistert vnd also vereiniget/ das die Geometria ihre stummende vnd deutende Demonstrationes durch die Rechenkunst mus offenbaren/ außreden vnd an tag bringen; Fröreisen 1613 Wolken (Übers.) 177 Die geometri./ Warzu ist diss ding nutz und werht?/ Dass man damit messe die Erdt; Fioravanti 1618 Kunst v. Welt-Spiegel 169 Die Geometria ist ein Kunst, Linien, Triangel, runde Circkel, Quadrat, vnd dergleichen zu formieren,
recht abzumessen; Schwenter 1636 Delitiae physico-math. 529 Die Geometria thut so viel bey der Architectur, daß es nicht außzusprechen; Schildknecht 1652 Harmonia I 28 Maaßstab/ welcher im Unterricht von der Geometrie/ . . folget; Hirsch 1662 Kirchers Musurgia (Übers.) 71 Solle aber dise Sonorität auch den Linien applicirt werden/ so würde die Music nicht nur der Arithmetic/ sondern auch der Geometri subalternirt werden; Elßholtz 1684 Garten-Baw 45 aus welchen [Modellen] ein jeder der Geometrie Verständiger unzählig viel andre erdencken kan; Happel 1690 Academ. Roman 153 Mathematica, darzu gehören folgende Disziplinen: 1. Arithmetica . . 2. Geometria . . 3. Astronomia, Sternkunst, 4. Astrologia, Sterndeutungskunst; Sturm 1717 Mathesis 66b Woraus denn der Umfang und Grosse der Erden, nach der Geometrie leicht zu erachten; Fleming 1726 Soldat 124 Sind diese Voluntairs nicht allein in denen KriegesExercitiis, sondern auch in der Geometrie, Fortification und Artillerie erfahren; Le Blond 1731 Gärtnerey (Übers.) 123 einige practische Regeln aus der Geometrie; Philippi 1743 Witz u. Geschmack 251 Die Geometrie, oder Feldmeß-Kunst, ist der Grund bey Anlegung regulairer Gebäude und Vestungen; Schreger 1753 Zeit-Vertreiber 297 In der Geometrie werden die 5. Bücher des Euclidis, darinn die Geometrische Anfangs-Gründe gewiesen werden, Elementa genennt; Lichtenberg 1766 Aphorismen l 22 wie man sich in der pracktischen Geometrie des Augenmaßes zuweilen bedient Messungen zu probieren; 1766—67 Merkwürdigkeiten 390 nach Art der Geometrie verfahren, welche vom Allgemeinen auf das Besondre und Einzelne, und von dem Wesen der Dinge auf ihre Eigenschaften geht und schließet; Goethe 1781 Br. (WA IV 5,183) Auf der Schule in Zürich . . schreiben die Knaben gar säubern Cursus der Aritmetik, Geometrie und Trigonometrie; Abel 1786 Seelenlehre 157 Die Geometrie hat nämlich den Raum, und die Arithmetik die Zalen zum Objekt; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,75) den ganzen Unterricht, den man uns in der Geometrie erteilte; Gebhard 1817 Güter-Arrondirung 94 Sollte indeß der Vorschlag einer eigenen Aufnahme zum Zwecke der Arrondirung das Uebergewicht behalten, so wird man dieselbe keinem der gewöhnlichen Geodäten anvertrauen dürfen, sondern man wird Männer wählen müssen, welche mit hinreichenden theoretischen und praktischen Kenntnissen inn der Geometrie eine erprobte Redlichkeit und Uneigennützigkeit verbinden; Hegel 1832 Wiss. d. Logik I (W. V 242) gerade wie das rechtwinklige Dreieck in der Geometrie das Schlechthin-in-sich-Bestimmtsein enthält, das im pythagoreischen Lehrsatz exponiert ist, weswegen auch darauf für die totale Bestimmung alle anderen geometrischen Figurationen re-
Geometrie duziert werden müssen (DiBi 2); Schopenhauer 1840 Moral 82 alsdann über die Gegenstände der Metaphysik ebenso vollkommene Übereinstimmung unter den Menschen herrschen müßte, wie über die Wahrheiten der Arithmetik und Geometrie; Hinrichs 1852 Rechts- u. Staatsprincipien III 10 Er nennt darin die Krystalle eine beseelte Geometrie der Natur; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 186 da diesem Herrn die gewichtige Pflicht oblag, seine Schüler mit den Geheimnissen der Arithmetik und Geometrie vertraut zu machen; 1861 Aug. Mil.-Enc. IV 74 Monge, Gaspard, Franzose, einer der größten Physiker und Militairmathematiker seiner Zeit, Erfinder der descriptiven Geometrie; 1884 Brockhaus VII 800 Die in Ägypten und Babylonien gemachten Anfänge der Geometrie sind von den Griechen so ausgebildet worden, daß die mathemat. Leistungen der Griechen ihren Leistungen auf ändern Gebieten nicht nachstehen; Benjamin 1917 Br. I 155 Zwar kann ich in der analytischen Geometrie die Gleichung eines zwei- oder dreidimensionalen Gebildes im Räume geben, ohne durch sie aus der Analysis des Raumes herauszutreten; 1923 Bausteine 166 durch die gesamte Mathematik hindurch, durch Geometrie, Algebra und Analysis; Radbruch 1929 Einf. Rechtswiss. 60 Gewählt von allen Staatsbürgern, Frauen und Männern, Alt und Jung bis hinab zu 20 Jahren, ohne die absichtsvolle „Wahlkreisgeometrie" von ehedem; Friedell 1931 Kulturgesch. III 573 Relativitätstheorie . ., durch die ja das Parallelenaxiom und die ganze euklidische Geometrie aufgehoben wird; Heisenberg 1955 Naturbild 38 im Schulunterricht wurden uns damals die Anfangsgründe der Geometrie beigebracht; Hocke 1976 Tagebücher 298 Solch intellektuell-harmonisierende LebensGeometrie ist für viele Diaristen typisch; Mannh. Morgen 14. 3. 1989 Einseitige Abnutzung läßt auf Fehler in der gesamten Achsgeometrie schließen, der Wagen muß unbedingt vermessen werden; Zeit 8. 10. 1993 Die literarische Geometrie [des Gegenwartsromans], der stimmige Versuchsaufbau, die treffsichere Durchführung; FAZ 15.5.1997 Die horizontale Gliederung der Fassade und das unprätentiöse Entree zitieren bauhäuslerische Rationalität. Die strenge Fassadengeometrie wird durch den Wechsel von transparenten und opak geätzten Glaselementen maßvoll gegliedert. Die sichtbare Konstruktion der Sonnensegel wirkt als sinnfällige formale Ergänzung; Süddtsch. Ztg. 20./21. 3. 2004 dass . . die soziale Geometrie der Bewegungen aus zufälligen Arabesken bestand; ebd. 15.4.2005 Sein buga-Entwurf arbeitet eher mit Perspektiven statt mit Geometrien. Geometer: um 1200 Eneide 251,40 daz meisterde Geometras (LEXER); um 1390 Österr. Chronik l
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Etleich suchten got mit zalen alz arismetrici, etleich in massen alz geometri; 1482 Voc. teuton.lat. r6b kunster der messung . .. geometer; Franck 1534 V. Künsten v. Menschl. Weyszheit 80b Dem Dialectico/ Rhetorico/ Poeten/ Geometro/ Astrologo/ etc. Summa einem ieden [glaubt man] in seiner Profession vnd inn seiner kunst; Paracelsus 1537—38 W. l 12,350 wie wolt ich dan ein geometer da sein und ausmessen die hochheit des himlischen firmaments; Alberus 1540 Diet. Uu2a Erathostenes Cyrenaeus, einen gelerten Geometer; Sebiz 1580 Feldbau 469 Wiewol die kunst deß Feldmessens viel mehr den Geometris oder Erdkreyßmessern zustehet; Fischart 1581 Dämonomania 88 Plato/ so der gröst geometer vnd Außcirckler damals gewesen; Dilich 1598 Histor. Beschr. 55 Griechenland ist eine Mutter aller Künste/ der erfahrnesten Astronomen, der sinnreichen Geometren, kunstreichen Rechner; Erard de Bar le Due 1604 Fortif. (Übers.) 17 ein guter Geometra oder Meister dess Circkuls; Stevini 1608 Festung 62 den geometris oder Landmessern; Schwenter 1618 Geometria II 136 ein dess Landes erfahrner . ., der einem geometrae anlaitung giebet; Furttenbach 1641 Architect, priv. 39 deß wol practicirten Geometrae Leonhardt Zublers von Zürich; Duez 1652 Nomencl. 156 Vn geometre, ein geometra; Grimmelshausen 1669 Simpl. 407 nachdem die Messer . . neun Zwirn-netz (ist ein Maß, das die Schwartzwälder Baurn-Weiber besser als ich oder ein anderer Geometra verstehen) mit einem Senckel hinunder gelassen [in den See]; Böckler 1672 Man. arch, mil. 54 ein rechter Ingenieur oder Geometra; Goldmann 1691 Anw. Civil-Bau-Kunst Von. la wann er . . sich dabey der denen Geometris sonst gewöhnlichen Methode sehr wohl bedienet; Wolff 1712 Gedanken (Ges. W. 1.1,194) Die Alten sind den anderen [Weg] gegangen, . ., und daher haben sie es nicht so weit, wie die neuen Geometrie, bringen können; 1715 Fama XXXVII f. 74 f. Feldmesser werden auch Geometrae, Geodatae . . genennt; Lichtenberg 1764 Aphorismen I 5 Unsere Kunstgärtner sind keine Geometers; Muratori 1772 Von d. guten Geschmacke (Übers.) 565 Geometer- und Algebristen; Schubart 1774 Dtsch. Chronik 302 einen tiefforschenden Metaphysiker und Geometer; Mendelssohn 1785 Morgenstunden I 96 Der Geometer entsieht sich nicht, nach der Strenge zu beweisen, daß die gerade Linie der kürzeste Weg zwischen zwey Punkten sey; Maimon 1791 Philos. Wb. I 170 warum die alten Geometer bis auf Kartesius die krummen Linien . . mechanische Linien, und nur die gerade Linie und den Zirkel geometrische Linien genannt haben; Ritter 1822 Erdkunde I 784 der ibis . .. ein natürlicher geometer mit seinem storchartigen, pathetischen, gleichförmigen gange (DWB); Krause 1828 System d. Philosophie
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309 so kann z. B. der Geometer von dem unendlich vielem Bestimmten, was der unendliche Raum in sich enthält, immer nur einen Theil auffassen oder percipiren; Herbart 1841 Vorlesungen 57 mathematisch nach Art der alten Geometer; A. v. Humboldt 1845 Kosmos l 400 Ein solches ballistisches Problem beschäftigte . . die Geometer Laplace, Biot; 1853 Beschr. O A. Besigheim 71 Der Oberamts-Geometer hat seinen Wohnsitz in Besigheim; Hesslein 1867 Neger-Barone 24 Straßen werden so gerade und in so gleicher Entfernung von einander, wie es ein Geometer nur wünschen kann, angelegt; Hesse 1907 Diesseits 283 Warum soll ich Geometer sein?; Graf 1925 Gesicht 309 Am nächsten Tag standen drei Mann vor dem Adjutanten: ein Hufschmied, ein Flubereinigungsgeometer und ein Korbflechter; Klemperer 1932 Tagebücher 757 auf dem Grundstück wo der Geometer eben tätig war; Welt 30.10. 1954 Architekten und Bauingenieure für Nordafrika gesucht, l Diplomingenieur für Vermessungswesen sowie 2 Geometer (Anzeige); Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 120 was der Mustermeterstab, der in Paris in einem Keller aufbewahrt wird, für die Geometer der Welt ist; ZollernAlb-Kurier 5. 9. 1973 ein Gebiet . ., in dem sich stark expandierende Wachstumsgemeinden befinden, die täglich auf den Geometer angewiesen sind; Mannh. Morgen 8.9.1989 Brunn, wo er die Staatsprüfungen als Geometer und als Vermessungs-ingenieur ablegte; Salzb. Nachr. 12. 7. 1996 Für das mehr als 2000 qm große Grundstück wurde ein falscher Geometerplan vorgelegt; Mannh. Morgen 15. 2. 2003 Schimper . . kam . . als Sohn eines badischen Geometers in den Quadraten zur Welt. geometrisch: Rifitts 1548 Vitruv 30a eigentliche auffreissung Geometrischer Architectonischer weiß eines gebews; Rudolff-Stifel 1553 Coss 172b man will Geometrische demonstrations haben; Lenkker 1571 Perspectiva 4 die ortlinie der Geometrischen vierung; Fronsperger 1573 Kriegssb. 128b doch dz die [Böller! in allweg vnder der diagonal lini, das ist deß geometrischen quadraten, vnder dem 45. Grad, in die nider vnnd weite gericht wurden (DWB N.); Sebiz 1580 Feldbau 471 wann er sich seines Geometrischen Feldmesserstabs/ .. gepraucht; mit diesen Geometrischen Instrumenten/ als Circkel/ Elen/ Winckelhacken/ Maß vnd Maßstaben; 1649 Wurm 120 wann die Astrologische/ Arithmetische vnd Geometrische Wurme darzu stossen; Warmund 1664 Geldmangel 714 nach der Arithmetischen/ und nicht Geometrischen Art . . reguliret; J702 Monatl. Auszug Mai 44 ein Blat mit Geometrischen Figuren; Wolff 1716 Math. Lex. 1102 eine Geometrische Progreßion ist eine Reihe Zahlen, die nach einem Exponenten zu- oder ab-
nehmen (SCHIRMER, Mathematik); Le Blond 1731 Gärtnerey (Übers.) 123 So will man auch einem Gärtner nicht eben aufbürden, daß er nothwendig einen Geometrisch-practischen Tractat lesen müsse; Zedler 1735 Universallex. IX 904 Es bekommt demnach eine figürliche Zahl von der Anzahl derer Winckel derjenigen geometrischen Figur, die sie vorstellig macht, ihren Namen; 1765 Allg. dtsch. Bibl. l 1,147 Die allgemeinen Grundsätze der Sittenlehre können mit geometrischer Strenge bewiesen werden; Geliert um 1770 S. Sehr. VII 395 Man stelle sich nur die geometrische Bauart der Bienen und der Biber vor; Adelung 1775 Grammat.-krit. Wb. II 147 In der Arithmetik hat man figürliche Zahlen, d. i. solche, welche ihre Benennung von gewissen geometrischen Figuren erhalten; Schiller 1784 Kabale u. Liebe 17 bei uns wird selten eine Mariage geschlossen, wo nicht wenigstens ein halb Dutzend der Gäste . . das Paradies des Bräutigams geometrisch ermessen kann; ]ean Paul 1795 Fixlein 252 ich zog daher eilends . ., armieret mit geometrischem Heergeräte, aus Thiersheim hinaus, des Vorhabens, Felder zu messen; 1811 Almanach a. Rom U 248 daß diese Statuen mir mehr als jede andre die wahren Regeln zur richtigen und geometrischen Erkenntnis der Hauptformen des menschlichen Körpers geben könnten; Leuchs 1821 Contorwiss. II 13 daß wenn zwey Glieder der arithmetischen Reihe addirt werden, ihre Summe immer unter dem Product der ober ihnen stehenden Zahlen der geometrischen Reihe, stehet; Poppe 1837 Erfindungen 403 Die Analysis der Alten bezog sich auf Geometrie; und geometrische Hülfsmittel mußten ihr zu Stützen dienen; Herbart 1841 Vorlesungen 160 In Lehranstalten, wo man vorzugsweise praktische Zwecke im Auge hat, wird man die Logarithmen durch Vergleichung arithmetischer mit geometrischen Reihen erklären und dann zum Gebrauch eilen; Bobrtk 1848 Handb. d. Seefahrtskunde l 349 daß die magnetische Achse der Nadel mit ihrer geometrischen Achse übereinstimme; Holtet 1854 Schneider I 269 Franz umging in geometrisch genau vermessenen Halbkreisen das Lager; Schlözer 1869 Amerika». Br. EM. IX nähert Europa sich der Neuen Welt in steigend geometrischer Progression; Hartmann 1869 Philosophie 22 Was hier für den algebraischen Ausdruck der Function gilt, gilt natürlich auch für ihre geometrische Veranschaulichung als Curve; Stavenhagen 1905 Verkehrs-Mittel 304 Es gibt für die Stenographie je nach den angewandten Zeichen geometrische und graphische Systeme; 1909 Stimmen d. Zeit 308 in welchem [Werk] in acht Büchern . . auch eine ganze Reihe mit der Gnomonik zusammenhängender
Geometrie Aufgaben geometrisch gelöst sind; Gottl-Ottilienfeld 1925 Wirtschaft 493 daß sich der Abstand sogar in geometrischer Proportion steigert; Hegemann 1930 Berlin 146 Die großen Berliner Plätze blieben geometrische Löcher im Stadtplan; Sedlmayr 1948 Verlust 87 So soll . . die Plastik zu einer Musik abstrakter Körper höherer geometrischer Ordnung werden; Mackenroth 1953 Bevölkerungslehre 428 Der absinkende Ertrag steigert die schrumpfende Landausstattung in geometrischer Reihe; Welt 4. 8. 1969 die Rahmungen sind vollständig überzogen mit geometrisch ornamentiertem Holzmosaik; Zeit 5. 7. 1985 und schließlich gab es noch eine eigene etruskische Vasenfabrikation, die mit entsprechender Verspätung die griechische Entwicklung etwa vom geometrischen zum schwarzfigurigen Stil nachvollzieht; Salzb. Nachr. 1. 4. 1993 Das Bewegungsvokabular spielt mit geometrischen Figurationen, als sei's das Triadische Ballett Oskar Schlemmers, mit Anklängen an „klassische" Schrittechniken und „freien" Entfaltungen; Süddtsch. Ztg. 2.11. 2004 ließ er von seinen Gärtnern den Obstgarten vor dem Wohnhaus in einen geometrisch aufgegliederten Blütengarten umwandeln. geometrisieren: Furttenbach 1628 Architect, civ. 7 GOTT/ der Allweiseste Bawmeister/ von welchem der Heyd Plato sagt, daß er vnnachlässig geometrisire . .; Lichtenberg 1784 Er. 111 251 hat mancher . . Mathematik getrieben, ohne es zu wissen (denn jeder gute Kopf geometrisiert); Schlosser 1937 Magistra 17 geometrisierendes Linienspiel; Kowalewski 1938 Geometrisieren im Bereiche wichtigster Kurvenformen (Titel); Mannh. Morgen 19. 3. 1987 mit wenigen Strichen, beinahe streng geometrisierend, hat der Künstler eine dreiköpfige Personengruppe skizziert; Züricher Tagesanz. 30. 1. 1998 In seiner Konzentration auf das Wesentliche hat Schmidt-Rottluff eine radikale, tendenziell geometrisierende Formraffung betrieben; taz 12.3.2003 Frühe, geometrisierende Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren hängen direkt neben gestisch mit wildem Pinselstrich gemalten Naturdarstellungen jüngeren Datums. Geometrisierung: Frey 1929 Gotik 118 Geometrisierung des Baumes; 1930 Handb. d. Frankreichkunde 11 429 eine Geometrisierung der Felder, eine Klarheit der Rahmenführung und Ordnung der Raumschichtung [Malerei]; 1941 Mein Heimatland XXVIII 275 Unerfreuliche und unzweckmäßige Geometrisierung der Landschaft durch Geradelegung der Wasserläufe (Bildunterschr.); Bense 1954
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Aesthetica 68 Geometrisierung in ihrer ästhetischen Wirksamkeit; Süddtsch. Ztg. 27. 3. 1963 Jedes Bild ist eine komplexe Antwort, jedes enthält, jenseits von allem Kalkül und aller Geometrisierung, auch das Unwägbare, Unberechenbare, das der Künstler für sich und für andere erfahrbar und realisierbar gemacht hat; Welt 12. 11. 1969 Geometrisierungstendenzen und Auflösung der Form wiesen auf schizophrene Züge hin; Hocke 1976 Tagebücher 388 Kann eine derartige Geometrisierung, besser Hemera-Metrisierung von diaristischen Aufzeichnungen überhaupt gelingen?; taz 3. 9. 1988 Die Geometrisierung und Durchforschung der Gefühls- und Triebwelt, des Innersten der Menschen, und deren Inbesitznahme durch andere stellt für mich ein Grundmuster einer auf den Menschen zielenden, ihn durch und durch erfassenden Zivilisation dar; Frankf. Rundsch. 6.8. 1997 Doch die bewußte Schematisierung und Geometrisierung der menschlichen Gestalt konnte nicht verhindern, daß der Kunst immer wieder vorgeworfen wurde, Götzendienst zu betreiben; Berl. Ztg. 26. 5. 2003 Wenn auch die kühle, ja kühne Geometrisierung und nahezu mathematische Konstruktion des Bildraums bei Caspar David Friedrich durch den goldenen Schnitt . . beileibe nicht übersehen wurde. Geometrismus: Wilson 1914 Ornament 145 Seiner Theorie zufolge würden also der primäre und der sekundäre Geometrismus zeitlich nebeneinander zu stellen sein, soweit er den ersteren überhaupt anerkennt; Bense 1938 Abendland. Leidenschaft 73 Schmalenbach spricht . . vom Leibnizschen Arithmetismus gegenüber dem Descartschen Geometrismus; taz 25.4. 1989 bevor er die Möglichkeiten, die im Quadrat liegen, auch nur annähernd ausprobiert hat, verspielt er die Strenge seiner Erfindung in einem fahrigen Geometrismus: Viele bunte Formen passen auf einen neutralen Hintergrund; Züricher Tagesanz. 29. 1. 1999 Larionow und Filonow wollten gleichzeitig „erleben" und „bauen", was bei Kandinsky und Malewitsch auf den abstrakten Expressionismus und den konstruktiven Geometrismus verteilt war. Geometrist: Thurneisser 1575 Archidoxa 45b Geometristen dies Richtscheit keren/ Mit Zirckel/ Bleywag messen leren; Sax 1808 Prakt. Unterricht l 17 Die Geometristen haben die Peripherie . . in 360 Theile getheilet; Tank 1964-65 Eckart-Jahrb. 267 England ist mit seinem bedeutendsten Bildhauer, Moore, vertreten, Holland mit dem Geometristen Mondrian.
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Geriatrie
Geriatrie F. (-; ohne PL), im frühen 20. Jh. eventuell unter Einfluss von gleichbed. engl. geriatrics und frz. geriatric gebildet aus griech. 'alter Mensch, Greis' (—* Geront) und Mas Heilen, Heilung'. Überwiegend fachspr. (Medizin) in der Bed. 'Zweig der Medizin (als Teilbereich der Gerontologie), der sich mit den Krankheiten des alternden und alten Menschen beschäftigt, um durch entsprechende Behandlungsmethoden Krankheiten im Alter optimal zu behandeln bzw. ihnen vorzubeugen, Altersheilkunde', in Zss. wie Akut-, Rehabilitations-, Psycho-, Neurogeriatrie, Geriatriezentrum, -klinik, -kongress, -abteilung; dazu seit den 70er Jahren des 20. Jhs. die adj. Ableitung geriatrisch 'die Altersheilkunde betreffend, zu ihr gehörig, darauf ausgerichtet', in Syntagmen wie geriatrische Tagesklinik, Rehabilitation, Einrichtung, Probleme, geriatrisches Zentrum, in jüngster Zeit gelegentlich auch salopp für 'hochbetagt, bejahrt, greisenhaft, sehr alt' (—» senil; s. Belege 1994, 2002); gleichzeitig die aus griech. (s. o.) und '(Wund-)Arzt' gebildete Berufsbezeichnung Geriater M. (-s; -), auch in der movierten Form Geriaterin F. (-; -nen) 'Arzt/Ärztin mit Spezialkenntnissen auf dem Gebiet der Geriatrie' und (eventuell unter Einfluss von engl. geriatrician) gleichbed. Geriatriker M. (-s; -), moviert Geriatrikerin F. (-; -nen), in jüngster Zeit auch salopp für 'alter Mensch' (s. Belege 1999, 2002), sowie Geriatrikum N. (-s; Geriatrika) 'Mittel zur Behandlung von Alterserscheinungen und -beschwerden; Substanzen, die den Alterungsprozess verlangsamen und den Verlust an Vitalität begrenzen sollen'. Geriatrie: Dornblüth 1927 Klinisches Wb. o. S. Geriatrie . . die Lehre von den Greisenkrankheiten; Welt 7. 9. 1959 Kneipp - Entschlackung - Heilschlaf — Geriatrie (Anzeige); Stuttgarter Ztg. 18, 9. 1963 Auf der Therapiewoche in Karlsruhe wurde ein ganzer Tag den Problemen der Geriatrie gewidmet; Welt 9. 7. 1969 Gesundheits- und Schönheitspflege nach den neuesten Ergebnissen der Geriatrie; FAZ 21. 6. 1971 Passeri sagte, daß Gerontologie und Geriatrie seit zwanzig Jahren an den Universitäten Italiens angesiedelt seien; Zeit 9. 8. 1985 Interdisziplinäre Arbeitsgruppe für Angewandte Soziale Geriatrie; taz 6. 2. 1990 Die Planung beinhaltet außerdem zusätzliche 1.900 AkutGeriatriebetten bis 1996; Mannh. Morgen 6. 7. 1995 Einstimmig wurde dem Konzept für eine neue Geriatrie-Abteilung am Klinikum zugestimmt; ebd. 27. 5. 2003 Die Geriatrie Rehabilitationsklinik — eine Spezialabteilung für betagte Patienten, die nach einer Erkrankung wieder fit und möglichst selbständig werden sollen — bietet Gruppenführungen. Geriater: Mackensen 1971 Dtsch. Sprache 180 Neuerdings hat sich zu ihnen auch der Sexologe und der Geriater (Arzt für Alterskrankheiten) gesellt; Zeit 26.4.1985 die „Analogie zum Kind" zieht der Hamburger Nervenarzt und Geriater Jens Bruder; taz 4. 5. 1991 Internisten und Allgemein-
mediziner sehen ihre Pfründe schwinden, wenn die alten Patienten zum Geriater abwandern; Süddtsch. Ztg. 5.10.1993 Altern an sich ist keine Krankheit, wie die Geriater, also die auf ältere Patienten spezialisierten Ärzte, betonen; Berl. Morgenpost 17. 11. 1999 Das Gravierendste aus Sicht der Geriaterin ist aber der schlechte Zustand des Gebisses. Geriatriker: Mannh. Morgen 27. 5. 1986 trotz dieser unbarmherzig klingenden Aussage sprach sich die Geriatrikerin . . gegen eine ungezielte, übertriebene und quälerische Diagnostik bei betagten Leuten aus; Frankf. Rundsch. 13. 10. 1999 von Geriatrikern bevölkerte Kaffeehäuser; Berl. Ztg. 25. 10. 2002 Auch erdreisten sich die Angestellten, jene vom schwedischen Asylbewerber eingefädelte Geriatrikerbeziehung in den Stand der Ehe zu kolportieren, indem einfach mal eben mitten im Restaurant geheiratet wird. Geriatrikum: Mannh. Morgen 5.3.1985 Stärkungsmittel, die den Folgen des biologischen Alterns vorbeugen und der Behandlung allgemeiner Abnutzungserscheinungen dienen sollen (Geriatrika), sind keine Heilmittel; Stern 29. 10. 1987 mit Geriatrika wird ein unglaublicher Schwindel betrieben; taz 24. 12. 1991 Trotzdem könnte die Erforschung der zellulären Ursachen
generen des Alterns zu den ersten wirksamen Medikamenten gegen das Altern führen. Denn bisher konnte von keinem einzigen Geriatrikum bewiesen werden, daß es dem Alterungsprozeß vorbeugen kann; Salzb. Nachr. 3.11. 1994 Enthält immunaufbauende Flavonoide, das Geriatrikum beta-Sitosterol sowie säftereinigende Wirkstoffe; Zeit 4. 8. 1995 Jugend ist Forschungsgegenstand und nebenbei ein Anti-Geriatrikum; Oberösterreich. Nachr. 16. 1. 1999 Ein weiteres neues Medikament für die Hundepsyche heißt Anipryl und wird in den USA häufig bei alten Hunden als Geriatrikum angewandt. geriatrisch: Offenburger Tagebl. 19. 3. 1970 die „Bad Sodener geriatrischen Gespräche" beweisen das; FAZ 21.6. 1971 Der Vortragende betonte, daß man an vielen Hochschulen im Begriff sei, ge-
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riatrische Zentren zu errichten; Zeit 26. 4. 1985 Doktor Bruder .., der schnell und ohne die üblichen Voruntersuchungen die demente Frau vorübergehend in der geriatrischen Abteilung eines Krankenhauses unterbrachte; taz 10. 9. 1994 Eine Bande geriatrischer Balzhähne lauert lüstern auf den hochlehnigen Holzbänken, während ein paar andere der im Zwei-Stunden-Rhythmus wiederkehrenden Life-Show harren, die das Etablissement so attraktiv macht; Presse 9. 1. 1995 die Schaffung neuer geriatrischer Zentren und Pflegeeinrichtungen; taz 11. 2. 2002 Ah, das Oberhaus — nie versiegende Quelle der Unterhaltung und des geriatrischen Frohsinns; Mannh. Morgen 11.4. 2003 Die teilstationäre Behandlung in der geriatrischen Tagesklinik ist für das St. Marienkrankenhaus eine neue Behandlungsform, um Patienten mit Mobilitätsstörungen im weitesten Sinne behandeln zu können.
gerieten V. reflex., im früheren 18. Jh. über gleichbed. frz. gerer entlehnt aus lat. (se) gerere 'sich benehmen, sich betragen, verhalten' (—»· Geste). Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'auftreten (als, in der Funktion von jmdm.); sich (in bestimmter Weise) benehmen, aufführen, sich als jmd./etwas zeigen, sich gebärden, als etwas aufspielen' (—»· agieren 2d), z.B. sich als Bürgermeister, als Patriot, als Katholik, als Genie, als Unschuld gerieten; früher vereinzelt auch trans, (s. Beleg 1795). 1743 Zugaben z. Herrnhuter Gesangb. (II 2072) Und die Vice-Christen sich als diener (die ihm anlaß waren, dem Versühner, recht nachzuspüren) mit gebeugter freudigkeit geriren (DiBi 125); Merck 1781 Er. 128 so hat er [Oberhofprediger Stark] . . in Florenz . . gewisse Stellen bekleidet, zu denen niemand kommen kan, der sich nicht als einen Catholiquen gerirt; Hermes 1791 Literar. Märtyrer l 274 er gerirt sich als wolle er ich weis nicht, ob die Entlassung mir verweigern, oder mir Zulage zu geben; 1795 Species facti 4 so ließe er . . sich endlich bewegen mit ihnen aufs Rathhaus zu dem General und den Commissars zu gehen und bey denen von diesen gemachten Contributions-Anfordrungen den Stadtvorgesetzten zu geriren; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,93) als ich mich schon gegenwärtig, da von einer neuen Verpachtung . . die Rede ist, als wirklichen Inhaber und Besitzer des Gutes geriren muß; Heuberger 1806 Handtvb. 275 gerieren . . sich als etwas stellen, sich einer Qualität gemäß betragen, z. B. als Bevollmächtigter, Vormund etc.; Devrient 1835 Gunst d. Augenblicks (l 206) da ich mich nicht als unverschämter Sansfacon geriren kann; Schopenhauer 1844 Welt (ZA III 369) Diese ganze Aether-Atomen-Tremu-
lanten-Hypothese ist nicht nur ein Hirngespinst, sondern thut es an täppischer Plumpheit den ärgsten Demokritischen gleich, ist aber unverschämt genug, sich heut zu Tage als ausgemachte Sache zu geriren (DiBi 2); Niendorf 1854 Paris 167 sich als verkanntes Genie zu geriren; Reumont 1862 Zeitgenossen I 299 gerirte sich als erwählter König Ober-Italiens; Fontäne 1898 Zwanzig 354 seine kritische Ueberlegenheit über die mit Kennermiene sich gerirenden Urteilsabgeber; Zander 1904 Neue Welt 167 Paare . ., die als Mann und Frau an Bord sich geriert [haben]; Tucholsky 1924 Ges. W. III 414 Sie geben sich Mühe, Sie fördern das Unternehmen, als ob es Ihr eignes oder das Ihres Vaters wäre — kurz: Sie gerieren sich ihm [dem Arbeitgeber] gegenüber, als wären Sie ein Geselle aus einer Zunft des Mittelalters (DiBi 125); 1949 Wort u. Wahrheit I 657 es gibt zwei „equipes" oder „teams", die sich mit mehr oder minder grossem Recht als Wortführer der „freiheitlichen" Wählermassen , . gerieren; Heuss 1963 Erinn. 358 daß Spengler seine Konzeption von den Privat- oder Verbandsarmeen der Begegnung mit solchen Gruppen, die sich auch als Truppen gerierten, verdankt; Wassermann 1971 Richter o. S. viele Richter gerieren sich kaum anders als Beamte, die definitionsge-
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Germanist
maß Glieder anonymer Behörden sind; taz 26. 10. 1987 der „Schriftsatz" eines Anonymus . ., der sich als Kenner des Berliner Verfassungsschut-
zes geriert; Süddtsch. Zig. 10. 9. 2003 Und doch gerierte sie [Leni Riefenstahl] sich nach dem Krieg als verfolgte Unschuld.
Germanist M. (-en; -en), auch Germanistin F. (-; -en), im späteren 18. Jh. nach dem Muster des älteren Romanist (—»· Romanist) gebildete Personenbezeichnung (zum lat. Stammesnamen Germani, weitere Herkunft unsicher, eventuell zurückgehend auf germanus 'leiblich, echt, wahr'). Zunächst in der Bed. 'Wissenschaftler auf den Gebieten der deutschen Geschichte, bes. des deutschen Rechts und deutscher Sprache und Literatur' (s. Belege 1772, 1784, 1831, 1837, 1858, 1884), vgl. Germanistentag als Bezeichnung für die Treffen von Gelehrten aus diesen Fachbereichen; mit dem Aufblühen der historisch-philologischen Wissenschaft (initiiert durch J. Grimm auf der ersten Germanistenversammlung 1846 in Frankfurt/Main) und anknüpfend an Slawist und —» Latinist zunehmend in der Bed. 'Wissenschaftler, Forscher auf dem Gebiet der germanischen Sprachen und Literaturen und der Geschichte der Germanen' und bes. 'jmd., der sich wissenschaftlich mit der deutschen Sprache und Literatur befasst', häufig als Grundund Bestimmungswort in Zss. wie Germanistenkongress, -lexikon, -verband; Altgermanist 'Wissenschaftler, der sich mit der Sprache und Literatur der Frühzeit und des Mittelalters befasst', Auslands-, Universitätsgermanist. Dazu seit frühem 19. Jh. die adj. Ableitung germanistisch, bis Ende 19. Jh. selten für 'das germanische Recht (im Unterschied zum römischen Recht) erforschend, lehrend, vertretend' (s. Belege 1837, 1843, 1846, 1864), v. a. 'die deutsche Sprachund Literaturwissenschaft betreffend, in ihr Gebiet gehörend, in diesem Bereich arbeitend', z. B. germanistische Fachzeitschrift, Philologie, Bibliothek, Vorlesung, Forschungen, Studien, germanistisches Seminar, Institut, ein sprachliches Problem aus germanistischer Sicht darstellen, als Grundwort in Zss. wie alt-, neugermanistisch; dazu die Mitte 19. Jh. aufgekommene subst. Ableitung Germanistik F. (-; ohne PL), zunächst in der Bed. 'germanische Altertumskunde', gelegentlich auch im Sinne einer deutschen Sprach- und Literaturkunde, die sich mit der Erforschung und Veröffentlichung alter Rechts- und Geschichtsquellen sowie mittelalterlicher Bibelübersetzungen befasst, bereits Anfang 19. Jh. im Zusammenhang mit dem sich entwickelnden Nationalbewusstsein als selbständige Wissenschaft neben der Altphilologie und als Universitätsdisziplin durch G. F. Benecke, K. Lachmann sowie J. und W. Grimm begründet in der Bed. 'Wissenschaft von der Entwicklung der germanischen Sprachen und Literaturen (einschließlich Skandinavistik und Volkskunde)', dann in Abgrenzung zu Anglistik (—» Anglistik) und Nordistik enger für 'deutsche Philologie' als Bezeichnung für die wiss. Disziplin, die die deutsche Sprache und Literatur in ihren historischen und gegenwärtigen Erscheinungsformen erforscht, dokumentiert und vermittelt und seit Ende des 19Jhs. die beiden Teilfächer Alt- und Neugermanistik sowie zusätzlich seit Ende der 1960er Jahre die germanistische Linguistik umfasst, häufig in Wendungen wie Germanistik studieren, einen Lehrstuhl für Germanistik innehaben, Lehrbeauftragter für ältere und neuere Germanistik, Vertreter der internationalen Germanistik, ein Studium der Germanistik aufnehmen und in Zss. wie Altgermanistik 'Erforschung, Dokumentation und Vermittlung der Sprache und Literatur der Frühzeit und des Mittelalters' (—> Mediävistik), Auslands-, DDR-,
Germanist
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Hochschul-, Neugermanistik, Germanistikausbildung, -Studium, -institut, -lehrstuhl, -Studentin, -professor, -seminar, gelegentlich metonymisch als Bezeichnung für die Gesamtheit der Lehrenden und Studierenden eines Fachbereichs, den Fachbereich selbst sowie für den entsprechenden Ort, das Gebäude, z. B. die gesamte Germanistik nahm an der Feier teil, die Germanistik schließen, die Germanistik befindet sich im Erdgeschoss; vgl. auch seit Anfang 19. Jh. Germanismus M. (-; Germanismen) in der Bed. '(stilistische o. ä.) Spracheigenheit, -eigentümlichkeit der deutschen Sprache; spracheigentümlicher Ausdruck, Wortfügung oder grammatische Besonderheit des Deutschen, die in einer anderen Sprache integriert wurde'. Germanist: 1772 Frankf. gel. Anz. 203 Ein classisches Werk, das einen wahren Kenner der vaterländischen Rechte ankündigt; einen Mann, der nicht gleich manchen . . herrlichen Germanisten . . wie die Apotheker eine Mixtur aus Gläsern und Büchsen, sein Buch zusammen geschüttet hat; Krünitz 1784 Oec. Enc. XXVIH 185 Was die Sache selbst betrifft, so haben, meines Erachtens, beyde Parteyen, und die meisten Germanisten, noch bis jetzt nicht die alten und neuern Zeiten, die Rechte der Kaiser in ihren Bannforsten, welche zu Kammergütern gehörten, von den Jagden in ganz Deutschland, . . hinlänglich unterschieden; /. Grimm 1828 Rechtsaltertümer 844 die germanistcn stellen als besondere art der gerichtlichen Vorladung eine adhramitio auf (DWB); Oertel 1831 Fremdwb. 361 Germanist, Kenner u. Lehrer der teutschen Rechte; Puchta 1837 Gewohnheitsrecht II 209 eine etwas andere Gestalt haben Germanisten der Sache dadurch gegeben, daß sie das Gewohnheitsrecht in die Gränzen des Rechts der Autonomie einschränken; Leo 1838 Altsächs. Sprachproben. Einl. V Die angelsächsischen und frisischen Rechtsbücher haben längst unsere Germanisten angezogen; /. Grimm 1846 Verhandl. d. Germanisten z. Frankf. a. M. (Kl. Sehr. VII 568) der name, welcher im begriff steht uns allen zu gebühren, der germanisten, im allgemeinen auch historiker und philologen miteinschlieszenden sinn; Key scher 1846 Verhandlungen d. Germanisten z. Frankf. a. M. 83 Der Grund, warum die Einladung bloss an die Germanisten gerichtet worden, liegt darin, weil hier eine Versammlung für Beförderung des deutschen Rechts, deutscher Geschichte und Sprache gestiftet werden sollte, nicht eine Versammlung des römischen Rechts; Ihering 1858 Br. an Freunde 101 Durch Deinen jetzigen Aufenthalt wirst Du . . unter den Germanisten eine Autorität für das Seerecht werden; Riehl 1859 Culturstudien 48 Wollte ein Germanist der Geschichte des Kalenders Schritt für Schritt folgen, so könnte er damit aufs natürlichste eine systematische Darstellung des ganzen deutschen Volksaberglaubens und eines guten Stückes der Volkssitten verbinden; ders. 1865 — 71 Vortr, l 324 Bald nachher faßte der deutsche Ger-
manistentag zu Frankfurt seine Beschlüsse; 1866 Grenzboten 111 289 Nachdem die romantische Poesie in Deutschland sich bereits im Sande verlaufen hatte, wirkte sie noch fort in dem Anstoß, den sie der Pflege der Wissenschaften, besonders der historischen und dem Studium der Germanisten gegeben hatte; Hoffmann v. Fallersleben 1868 Mein Leben l 252 Er ist später als Germanist mit großem Glück und reichen Hülfsmitteln thätig gewesen und hat sich namentlich um die österreichischen Dichter des Mittelalters große Verdienste erworben (DiBi 125); 1880 Zfd Phil. XI 454 wenn es der dialectgrammatic darum zu tun wäre, einem Germanisten den grammatischen Schlüssel zu einer dialectprobe zu geben; 1884 Brockhaus Vll 849 Germanisten . . diejenigen Rechtsgelehrten, deren Spezialstudium das deutsche Recht bildet, während diejenigen, welche das röm. Recht kultivieren, Romanisten genannt werden; Willmann 1897 Gesch. Ill 682 Jacob Grimm befasst unter dem Namen: Germanisten, die Geschichts-, Rechts- und Sprachforscher, denen so vieles, zumal der Begriff der Deutschheit, wesentlich gemeinsam ist; Gierke 1903 Die historische Rechtsschule und die Germanisten (Titel); Klemperer 1920 Tagebücher 363 Merker als einziger Germanist unter den Neusprachlern; Brandt 1936 Inn 228 sogar ein Museum von Altertümern richtete der Germanist Moritz Heyne ein, wobei eine Glasscherbe aus dem früheren Karzer, von Heinrich Heines Hand mit einem Diamantring bekritzelt, eine Hauptrolle spielte; Klemperer 1946 LTl 105 daß ihre Aussprache sich weitgehend mit der eines Walter von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach deckt, das weiß natürlich nur der Germanist von Metier; Mitteis 1950 Historismus (Festschr. Kaufmann 269) Die Achtundvierziger-Generation der Germanisten, die auf den Germanistentagen in Frankfurt 1846 und in Lübeck 1847 das Frankfurter Parlament vorbereiten half, war noch viel weniger der Rechtsgeschichte als der in die Gegenwart hinein fortwirkenden geschichtlichen Rechtswissenschaft zugewandt; Lenz 1961 Vorturner (W. XIX 369) Insgesamt jedoch muß man feststellen, daß Jahn durchaus mit sich übereinstimmt: was der Turnva-
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ter anstrebte, setzte der Germanist mit anderen Mitteln fort, und woran es dem Germanisten offenkundig mangelte, das gleicht der Turner wieder aus; Weber 1970 Erziehung o. S. Literatur als Fach ist schon Didaktik, und Literaturdidaktik ist immer Fach. Unmöglich scheint es, anzunehmen, der reine Germanist trage das „Fachliche" vor (und prüfe es auch), der Didaktiker wende es dann in einem Zweiten Arbeitsgang nur an; tat 25. 10. 1988 Seine [Vischers] Ästhetik Vorlesungen füllen dicke Bände, seine Faustinterpretationen haben Germanistengenerationen als Grundlage gedient; Süddtsch. Ztg. 5. 9. 2005 Dass das klassisch philologische Germanistenmodell . . am Ende ist, wird besonders an den nordamerikanischen Universitäten offensichtlich. germanistisch: 1824 Allg. Repertorium d. Lit. 52 Der Stoff muss a. sich zwar . . in dem antiken Ideenkreis halten, und wo er in den modernen herüber greift, dem antiken Gewand nicht widerstreben, b. dieser Stoff aber in deutscher Sprache so verarbeitet werden, dass die Uebertragung nicht ungebührlich erschwert, aber auch nicht germanistisch werden [!]; Beseler 1837 Erbverträge 11.1,148 § 6 Germanistische Auffassung der Erbvertraege; ders. 1843 Volksrecht u. Juristenrecht 239 daß die lebendige Kunde des gesammten positiven Rechts, namentlich in seinen germanistischen Bestandtheilen, noch nicht gewonnen ist; Key scher 1846 Verhandlungen d. Germanisten zu Frankfurt/M. 83 Die Theilung einer romanistischen und germanistischen Wissenschaft in das Recht Deutschlands, so eigenthümlich sie ist, hat eine gewisse historische Berechtigung für sich; Schmeller 1852 Tagebücher II 546 sollte . . keiner der bereits erprobten germanistischen Philologen, ein W. Wackernagel, Moritz Haupt . . zu gewinnen seyn; Boretius 1862 Br. 198 Neulich besuchte mich ein germanistischer Professor, . . um mich zu einer Habilitation in Halle jetzt gleich zu überreden; 1864 Staats-Wb. VIH 549 da erwuchs die neue Wissenschaft von Sprache, Sitte, Sage, Mythologie, Kunst und Recht des deutschen Volksthums, es erwuchs die germanistische Wissenschaft, welche alle Zweige der nationalen Geschichte umfaßt und von welcher die juristische Seite eben nur Eine Seite ist; Scherr 1865 Blücher I Vorr. X als die germanistische Forscherthätigkeit der Brüder Grimm, ihrer Schüler und Mitarbeiter eine Fülle neuen, vorher kaum geahnten Lichts in das Dunkel der Vorzeit und des Mittelalters warf; Seitz 1884 Gesch. d. röm. Possessio 53 Es ist aber auch nicht einmal wahr und einer der eingreifendsten Irrtümer des bisherigen, germanistisch beeinflussten Romanismus des mittelalterlichen Italiens wie der übrigen modernen Culturländer, dass die antike possessio nur durch traditio und occupatio
(apprehensio) des jus gentium allein entstanden sei; Ihering 1891 Br. an Freunde 426 Historiker, Philologen, germanistische Rechtshistoriker, Sanskritisten können das Werk kaum entbehren; Hoffmann 1894 Stolpenburg 9 den Feuereifer, mit dem er seine germanistischen Studien betrieb; Borchardt 1928 Handlungen 146 Von Jacob Grimm und Lachmann aus hatte sich die germanistische Wissenschaft, von Hermann und Lachmann die klassische sich entwickelt; 1930 Jahresbericht d. neuen dtsch. Lit. 17 Der Begriff „germanistisch" umfaßt dabei nicht .. nur die älteren Abschnitte einer deutschen Philologie, sondern er begreift die Erscheinungen auf dem Gesamtgebiet der deutschen Philologie mit weitem Blick auf die Nebengebiete . . von ihren Anfängen im ausgehenden 17. Jh. bis in unsere Tage; Th. Mann 1938 Rede (W. XI 947) wenn man etwa hört, daß Studenten und Studentinnen germanistischer departments an großen amerikanischen Colleges sich heute abwenden vom Studium deutscher Sprache und Literatur, so daß sogar die Existenz dieser deutschen departments in Gefahr gerät; Klemperer 1956 Tagebücher 548 Er will einen Vortrag von mir vor einem germanistischen Zirkel, in dem Hans Mayer gesprochen hat; Welt 8. 8. 1974 Jerusalem eröffnet ein germanistisches Seminar; Zeit 10.5. 1985 die Kleinschreibung der Brüder Grimm und ihrer germanistischen Nachfolger; taz 19. 8. 1995 eine sehr schöne Arbeit über Robert Musil . . eine der wenigen germanistischen Doktorarbeiten, die sich gut lesen lassen; Süddtsch. Ztg. 27.1.2005 Wie Bremsklötze schiebt Heidelberger-Leonard ab und an in den fidelen Redefluss ein wenig germanistische Renommierprosa im zugehörigen schauerlichen Nominalstil. Germanistik: Gutzkow 1852 Aus der Knabenzeit 227 Seltsam aber, daß von diesen und ähnlichen Neigungen (auch für Germanistik) nur äußerst wenig an dem praktischen Pädagogen in der Klasse sichtbar wurde. (DiBi 125); Scherr 1881 Vom Zürichberg 348 diese . . epochemachende, weil die gesammte Germanistik auf neue Grundlagen stellende Arbeit; Dargun 1883 Mutterrecht 25 Die Germanistik war sicher im Rechte, sich durch den entschiedenen Widerspruch Rive's gegen die Auffassung der Ehe als Kauf der Frau nicht irre machen zu lassen; Sünde 1893 Liedermacher 25 Diese Wissenschaft ist auch noch jung, obgleich sie sich mit dem Alterthum beschäftigt und zwar mit der Sprache, den Sitten und Gebräuchen unserer Altvordern. Eben weil sie die älteste Deutschkunde behandelt, nennen wir sie Germanistik; Ernst 1904 Der schmale Weg zum Glück 108 so habe er für seine Person immer eine besondere Neigung zur Germanistik gehabt (DiBi 125); Klemperer 1924
Geront Tagebücher 860 als er schließlich mit 80% seines Studienratgehaltes in Pension gehen konnte u. bei uns einen Lehrauftrag (ältere Germanistik) mit 200 M. im Semester erhielt; Heimpel 1956 Kapitulation 71 so soll grundsätzlich Mittlere und Neuere Geschichte, ebenso aber auch ältere und neuere Germanistik grundsätzlich von nur je einem Prüfer geprüft werden; Welt 17.10. 1969 Prof. Takahashi gilt als einer der prominentesten Vertreter der internationalen Germanistik; Zeit 14. 6. 1985 die Universitätsgermanistik ist immer ein traditionelles Ausbildungsfach für Studienräte gewesen; taz 12. 4. 1991 Für uns war es sehr hilfreich, daß die FU-Germanistik immer noch sehr links ist; ebd. 21.1. 2005 Eine Professur für Mittelalterliche Geschichte soll wegfallen, im Mittelbau verschwinden
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je eine Stelle in der Germanistik, der Kunstgeschichte und der Indologie. Germanismus: Nauck 1812 Aus Aristofanes' Acharnern: Griechisch u. Deutsch mit einigen Schölten 50 Ein Germanismus aus der Volkssprache; 1850 Zeit sehr. f. d. deutschösterr. Gymnasien 192 ein derber Germanismus für tebe se bäl; taz 24. 3. 2001 Die US-Kritiker erklärten sich das mit dem süßen Germanismus vom „Zeitgeist", den Coupland fest in der Hand hielte und aufschriebe; Hamb. Morgenpost 24. 7. 2006 die Engländer haben sich so manches deutsche Wort für ihren Sprachgebrauch zu eigen gemacht. Lehmann könnte im Königreich des Fußballs ein neuer Germanismus für Torwart werden!
Geront M. (-en; -en), seit früherem 19. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus (fielet. Form von) griech. 'alter Mensch, Greis' (Gen. ), eigentlich "der Geehrte', im antiken Griechenland Bezeichnung für die (durch Beifall gewählten) Ältesten, die dem König als Adelsrat (vgl. Gerusia, Gerüste] zur Seite standen und Recht sprachen. Selten (als Simplex) nachgewiesen in der Bed. '(ehrwürdiger) alter Mann, Greis', meist mit Bezug auf Führungspersönlichkeiten in Politik und Gesellschaft (vgl. Ältester, Ratsherr, Gerontokrat, s.u.), vereinzelt in der movierten Form Gerontin F. (-; -nen), gelegentlich auch scherzhaft oder (leicht) abwertend gebraucht (s. Belege 1999, 2001), in Wendungen wie die Herrschaft der Moskauer, Pekinger Geronten, die Geronten der Spartaner; dazu in jüngster Zeit die adj. Ableitung gerontisch zunächst allgemein 'alt; althergebracht', mit Bezug auf Menschen 'altehrwürdig', auch scherzhaft (s. Beleg 1993), und 'veraltet, überaltert, vergreist, in Denk- oder Verhaltensweise in der Art alter Menschen', auch negativ konnotiert mit „unzeitgemäß, überholt, uneinsichtig". Daneben überwiegend nachgewiesen als (auf flekt. Form von griech. zurückgehende) initiale Wortbildungseinheit Geronto-/geronto- 'alte Menschen bzw. das (hohe) Alter betreffend' in neoklassischen Kombinationen wie seit früherem 19. Jh. nachgewiesenem Gerontokratie F. (-; -n) (vgl. älteres frz. gerontocratie und engl. gerontocracy), gebildet aus Geronto- (s.o.) und -kraue (zurückgehend auf griech. '-herrschaft', < 'Kraft, Macht', zu 'herrschen'), als historischer oder völkerkundlicher Terminus in der Bed. 'Herrschaftsform eines sozialen Systems, bei der die wesentlichen wirtschaftlichen und politischen Funktionen in den Händen der älteren Mitglieder einer von deren Erfahrung profitierenden Gemeinschaft liegen, Herrschaft eines Rates der Alten, Ältestenrates, Altenherrschaft', in jüngster Zeit häufig übertragen, abwertend und ironisch verwendet (s. Belege 1983, 1999), in Wendungen wie die Vorteile einer Gerontokratie liegen in der Erfahrung der Herrschenden, die Gerontokratie da oben gehört dringend abgelöst und in Zss. wie DDR-, UdSSR-, Wirtschafts-, Politgerontokratie; dazu seit frühem 20. Jh. (eventuell unter Einfluss von engl. gerontocratie) die adj. Ableitung gerontokratisch und seit früherem 20. Jh. die Personenbezeichnung Gerontokrat M. (-en; -en), auch moviert Gerontokratin F. (-; -nen).
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Geront
Seit früherem 20. Jh. (vgl. älteres engl. gerontology) aus Geronto- und -logie '-lehre, -Wissenschaft' (zurückgehend auf griech bzw. '(-)Wissenschaft, (-)Lehre') gebildetes, die älteren Gerokomie und Gerokomik ersetzendes Gerontologie F. (-; ohne Pl.) '(medizinische) Wissenschaft, die die Alterungsvorgänge beim Menschen unter biologischen, medizinischen, psychologischen/psychiatrischen und sozialen Aspekten erforscht, Alter(n)sforschung mit dem Ziel, Erkenntnisse über die Grundvorgänge des Lebens(ver-)laufs, des Alterungsprozesses und die Lebensumstände alter Menschen mit den entsprechenden stofflichen, funktionellen, psychischen und sozialen Wandlungen und ihren Auswirkungen auf Krankheitsabläufe zu gewinnen' (vgl. Geriatrie), in Wendungen wie Gerontologie ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, in Deutschland ist Gerontologie in der Altenpflege-Ausbildung ein dreistündiges Pflichtfach, die Aufgaben der Gerontologie sind Forschung, Prävention, Versorgung und Aufklärung, und als Grundwort in Zss. zur Bezeichnung von Teilgebieten wie Sozial-, Psychogerontologie (vgl. Gerontopsychologie, s.u.); dazu seit Mitte 20. Jh. die adj. Ableitung gerontologisch 'die Gerontologie betreffend, darauf beruhend, zu ihr gehörig' (vgl. geriatrisch), z. B. gerontologische Langzeitstudie, sowie seit den 70er Jahren des 20. Jhs. die Berufsbezeichnung Gerontologe M. (-n; -n), auch Gerontologin F. (-; -nen) 'Forscher(in) oder Arzt/Ärztin mit Spezialkenntnissen auf dem Gebiet der Gerontologie' (vgl. Geriater). Vgl. weitere neoklassische Kombinationen wie Gerontopsychologie F. 'Teildisziplin der Entwicklungspsychologie, die sich mit der Erforschung der seelischen Begleiterscheinungen des Alterns befasst, die Erleben und Verhalten des alternden/alten Menschen und seine spezifische psychische Situation, seine Fähigkeiten und Defizite zu analysieren sucht', Gerontopsychiatrie F. 'Teilgebiet der Psychiatrie, das sich mit älteren Menschen und ihren psychischen Erkrankungen beschäftigt' mit der adj. Ableitung gerontopsychiatrisch, Gerontosoziologie F. zur Bezeichnung einer sozialwiss. Disziplin, die mittels Befragungen spezifischer Bevölkerungsgruppen Einblicke in die Einordnung des alternden Menschen in seine soziale Umwelt und von seiner Interaktion mit dieser zu gewinnen und weiterzuvermitteln versucht, um die Bedürfnisse alter bzw. alternder Menschen besser zu erkennen und in politische wie soziale Handlungspläne einzuflechten, und seit spätem 19. Jh. Gerontophilie F. (-; ohne PL), aus Geronto- und -philie 'Vorliebe für ...; -liebe' (zurückgehend auf griech. 'Freundschaft, Liebe', zu 'freundlich; Freund') gebildeter Terminus der Psychoanalyse in der Bed. 'die (sexuelle) Fixierung eines jüngeren Menschen ausschließlich auf ältere Menschen', zunächst v. a. mit Bezug auf (männliche) Homosexuelle und teilweise abwertend (s. Belege 1908, 1966), dann auch allgemein 'auf den freundlichen Umgang mit alten Menschen ausgerichtetes Verhalten, Freundlichkeit gegenüber Alten', seit Anfang 20. Jh. mit der adj. Ableitung gerontophil '(sexuell) auf ältere Menschen fixiert, ihnen gegenüber freundlich eingestellt'. Geront: 1808 Allg. Ltt.-Ztg. IV 845 da doch der philosophische Politiker ausdrücklich sagt . . die Könige und die Gerusie der Carthager wären mit den Königen und Geronten der Spartaner zu vergleichen; Heyse 1838 Fremdwb. I 452 Geront, m. ein Ältester; Rathsherr, Rathsmitglied; vor 1871 Robert / 53 Mittels ihres Oberhaupts, des griech. Geronten od. slawischen Stareschinen (SANDERS 1871); Harden 1927 Versailles 280 Die Geronten-
herrschaft sind wir jetzt los. Man sieht kaum noch einen, der Pulver gerochen hat; Mommsen 1955 Elitebildung 192 Es wäre nun allerdings falsch, das Wort Geront durch das Wort Greis wiederzugeben. Es geht nicht um die Frage des Lebensalters von Menschen oder Völkern, sondern um die Erfassung einer gesellschaftlichen Erscheinung; Jaeger 1973 Paideia 369 Aber die Gabe schlagfertiger, überzeugender Rede kann ausgebildet werden. Sie ist
Geront schon bei den adligen Getonten, die den Staatsrat im homerischen Epos bilden, die eigentliche Herrschertugend; Reiter 1987 Frau 141 Die Gerontin, als Matrone in Würde und Weisheit von der Mikrosozietät geehrt und geachtet, übt wesentliche soziale Funktionen in Krisenperioden aus: in ihren Händen liegt Heilwissen und Volksmedizin, die Beziehung zum Übernatürlichen (außer der Kirche); taz 5.5. 1992 außerdem hatte Freund Schumann natürlich wieder die Geronten der Region herbeispediert; und die dürfen nicht frustriert werden!; Presse 16. 11.1993 Fraglich ist allerdings, ob es tiefgreifende politische Reformen und eine deutliche Verbesserung der Menschenrechtslage noch zu Zeiten der Herrschaft der jetzigen Pekinger Geronten geben wird; Berl. Ztg. 21. 8. 1999 Die ebenso betagten wie führenden Repräsentanten auf der Tribüne, jeder einzelne ein Geront des Sieges; taz 26. 5. 2001 Die Köpfe von mehreren Hundert in lauschendem Dämmer versunkenen Geronten hoben sich. gerontisch: Diener 1915 Triasperiode 10 Im gerontischen Stadium; Dittler 1933 Handwb. d. Naturwiss. II 205 so daß jugendliche (neanische) Formen ein ganz anderes Gepräge besitzen als alte (gerontische); Heussi 1936 Mönchtum 276 so blieb selbstverständlich die Heilige Schrift in ihrem Ansehen der gerontischen Überlieferung übergeordnet; Sigrist 1967 Anarchie 133 Vor allem bei den älteren Autoren ist die Tendenz beobachtbar, den gerontischen Instanzen früherer Zeiten stärkere Kompetenzen zuzuschreiben; taz 22. 7. 1988 Die offizielle Staatsapparatur, mitsamt Geheimpolizei, Parteispitzeln und gerontischer Nomenklatur erscheint bei Axjonow als fast zu vernachlässigendes Nebenproblem; Spiegel 30. 8. 1993 Gerontisch abgehangen, sprach Hildegard Knef . ., Nestorin der deutschen Brust-Präsentation: „Claudia, genieß deinen Busen. Im Alter läßt alles nach."; Zeit 5. 7. 1996 Zurück an den Anfang also, nicht kollektives Koma der Partei, nicht gerontische Erstarrung, sondern streitende Junghegelianer und zechende Frühsozialisten. Mittenmang Marx. Gerontokrat: Thurnwald 1931 Gesellschaft 120 an deren Spitze das Familienoberhaupt oder die Familienhäupter, die Gerontokraten, stehen, von denen die Söhne und die zugezogenen Männer abhängig sind; Altmann 1924 Sozialökonomik 133 Alle Gewalten und Chancen jeder Art werden traditionalisiert. Die Sippenhäupter (also: traditionale, persönlich nicht durch Charismen legitimierte Gerontokraten oder Patriarchen) regulieren die Ausübung; Keiter 1966 Verhaltensbiologie 53 „Alte Herren" . . werden in vielen Gesellschaften erst spät die höchsten Führungsstellen einnehmen, sie
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werden z. B. im australischen Busch „Gerontokraten" sein wie in der Vatikanstadt — in Australien schon deshalb, weil das Gedächtnis der alten Männer am ehesten noch eine Kontinuität in der Erhaltung der Stammestraditionen ermöglicht; Zeit 13. 9. 1985 ob es den Reformern bei der Delegiertenkonferenz gelingen wird, die Bastion der orthodoxen Gerontokraten endgültig zu schleifen, bleibt abzuwarten; taz 11. 10. 1993 Nach dem kläglich gescheiterten Versuch, die Stadt an die OlympiaGerontokraten zu verschachern, gebärdet sich der Senat jetzt als Wurmfortsatz des großen Kapitals und liefert die Stadt, ihre Entwicklung und ihr Zentrum heillos privaten Interessen aus; ebd. 7. 11. 2001 die ehemaligen Soldaten der Roten Armee, die während des unseligen Krieges, in den sie die Kreml-Gerontokraten meist völlig unvorbereitet schickten, im Hindukusch verheizt wurden. Gerontokratie: Kobbe 1831 Gesch. Frankreichs 192 Beranger hatte zwei Gedichte: Die Krönung Karl des Einfältigen und die Gerontokratie bekannt gemacht. (Anm.); Heyse 1838 Fremdwb. l 452 Gerontokratie, f. Regierung eines Rathes der Ältesten; Mohl 1856 Staatswiss. 187 Wer gibt nicht zu, dass ein großer Theil des Geheimnisses der französischen Siege während der Revolutionsund der napoleonischen Kriege darin besteht, dass die Franzosen junge Anführer hatten, über ihrer Gegner Scheitel aber zum Theil achtzig Jahre hingegangen waren? Eine Gerontokratie ist ein jämmerliches allmähliges Absterben, ein hinausschieben des jetzt Nothwendigen, vielleicht unerläßlichen, eine Verderbniss des eigenen frühern Guten; Sanders 1871 Fremdwb. l 439 Gerontokratie . . Herrschaft der Geronten; Curtius 1930 Frz. Kultur 26 weil Frankreich ein Land der Gerontokratie ist; Mühlmann 1940 Krieg 23 So sind beispielsweise die australischen Stämme die klassischen Vertreter der Altenherrschaft (Gerontokratie), in der die alten Männer das Heft in der Hand haben; 1983 Spiegel Nr. 28 In einer sich immer rascher wandelnden Welt leistet sich die Vormacht der sozialistischen Staaten eine Gerontokratie, die auch bei bester Pflege den gesundheitlichen Anforderungen ihrer Posten kaum gewachsen sein kann (DUDEN 1999); taz 14. 12. 1989 das Kabinett Andreotti bewies das — eine Art Gerontokratie aus alten Füchsen, mit meist über Siebzigjährigen in den Schlüsselressorts; Spiegel 11.4.1994 Schon 1991 hatte Tokios Wirtschafts-Gerontokratie erfahren, daß ihr auf Korruption und Betriebsloyalität gebautes System den modernen Zeiten nicht mehr entsprach; Berl. Ztg. 22. 9. 1999 Raissa wurde die erste sowjetische Dame, die den Veränderungen in der zweiten Supermacht, als die man die Sowjetunion damals betrachtete, entsprach. Sie setzte ein
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Geront
Zeichen, dass nach der Epoche der Gerontokratie eine neue Generation kommt. gerontokratisch: Altmann 1924 Sozialökonomik 170 Die rationale Form der unmittelbaren Demokratie steht dem primitiven gerontokratischen oder patriarchalen Verband innerlich nahe; Thurnwald 1932 Gen. II 92 Als eine besondere Variante gerontokratischer Zustände ist die Stellung des Schwiegervaters als anerkannten Liebhabers der Schwiegertochter . . in Rußland und bei den Osseten aufzufassen; Gerloffl952 Handb. d. Finanzwissenschaft 204 Seine Gewalt mag zunächst nichts anderes sein als bloße Ältestenherrschaft, wie sie uns z. B. in der totemistisch exogamen Clanorganisation der Hamito-Niloten begegnet. Das gerontokratische System aber wird leicht zu einem politischen oder religiösen Führertum, aus dem sich Häuptlingschaft im Sinne von Häuptlingsherrschaft entwickelt; Zingerle 1972 Max Weber 30 So allmächtig die Häupter patriarchal und gerontokratisch organisierter Verbände gegenüber den einzelnen der von ihnen beherrschten Genossen sind, so vollständig sind die dem „guten Willen" ihrer Gesamtheit ausgeliefert; 1981 E + Z Nr. 7/8 So sind bei landwirtschaftlichen Projekten exakte Kenntnisse über die Nutzungs- und Vererbungsrechte für das Land, . .. über die Ansprechpartner innerhalb hierarchisch gegliederter oder gerontokratisch organisierter Völker Voraussetzung für die Arbeit (DUDEN 1999); taz 21. 7. 1990 Der Abschied von einem Sozialismus, der von einer erstarrten Staatsund Planungsbürokratie — mit Sitz nicht nur in Berlin — okkupiert war, die sich der marxistischleninistischen Theorie zu bedienen wußte, um ihre gerontokratische Herrschaft abzusichern, erscheint mehr als folgerichtig; Zeit 4.4. 1997 In Deutschland stehen neben dem schlechten Arbeitsmarkt für Hochschullehrer gegenwärtig gerontokratische Strukturen einer produktiven Wissenschaft im Wege, die alle Lebensalter umfaßt; Frankf. Rundsch. 9. 11. 1999 dass Gorbatschow nicht länger bereit war, das SED-Regime in Ost-Berlin zu stützen. Damit stellte der Kreml-Herr dem gerontokratischen Politbüro unter der Führung von Honecker und Mielke den Totenschein aus. Gerontologe/ -in: Offenburger Tagebl. 26. 6. 1970 Vom Kongreß der Gerontologen; Mannh. Morgen 30. 1. 1985 der Berliner Gerontologe Hans Gutzmann stuft das Krankheitsbild, das in den USA als die vierthäufigste Todesursache gilt, als eine Seuche des Jahrhunderts ein; ebd. 19. 8. 1987 unter der fürsorglichen Familienpflege rosten viele alte Leute schlichtweg ein und fühlen sich erdrückt, ihr Leben würde ihnen aus der Hand genommen, meint die Gerontologin; Presse
l L 10.1995 Wie Gerontologen der John Hopkins Universität berichten, kann durch eine Reduktion der Nahrungsaufnahme und damit der KalorienZufuhr eine markante Verlangsamung des Alterungsprozesses erreicht werden; Berl. Ztg. 17. 10. 2002 Dass die Verjüngung des Bundestages Nachteile für die politische Arbeit bringt, befürchtet die frühere CDU-Familienministerin und Gerontologin Ursula Lehr. Gerontologie: Adler 1919 Pamphlets (1981 Ausgew. Sehr. II 71) Wie ein bloßer Traum erscheinen dann über diesen so unzureichend befriedigten brennenden Notwendigkeiten unseres Lebens die wunderbaren Gedanken eines Metschnikoff über die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Gerontologie und Thanatologie; Rössle 1923 Wachstum u. Altern 65 Diese „Gerontologie"; 1930 GelehrtenKalender 629 Intern. Ges. f. Gerontologie; Eickstedt 1963 Forschung am Menschen III 2374 bei diesen erst ganz neuerlichen Bemühungen um den Aufbau einer Altersforschung oder Gerontologie; Adorno 1961 Noten II 224 „Heute werden die Alten in den Mülleimer geworfen", und es geschieht. Das Endspiel ist die wahre Gerontologie; Bad. Ztg. 27. 6. 1970 Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie in Nürnberg; FAZ 21. 6. 1971 Professor Schubert betonte, daß weit mehr als bisher auf die experimentelle Gerontologie Wert gelegt werden müsse; Mannh. Morgen 24. 9. 1985 nachteilige Einflüsse auf den Fettstoffwechsel und damit eine Erhöhung des Arteriosklerose-Risikos konnten in einer Studie am Institut für Gerontologie in Erlangen-Nürnberg nicht beobachtet werden; ebd. 9. 8. 1989 Der fachtheoretische und fachpraktische Unterricht umfaßt neben allgemeinen Themen auch spezielles wie Gerontologie, Gesundheitslehre/Krankheitslehre, Psychiatrie, Ernährungslehre, Alten- und Krankenpflege, Arzneimittellehre, Aktivierung und Rehabilitation; Presse 13.4. 1995 Rosenmayr, Leiter des Wiener Ludwig Boltzmann-Instituts für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung, der seit 1982 Feldforschung über Generationenprobleme und die Chancen der Jugend betreibt; Mannh. Morgen 27. 9. 2002 im Vorfeld des sechsten Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie. gerontologisch: Hübener, Erhard 1957 Ciceros „De senectute" in gerontologischer Schau (Titel); FAZ 21. 6. 1971 Der Leiter der Abteilung für psychosoziale gerontologische Forschung der Universität Nottingham; Welt 5. 2. 1974 ein weiteres wichtiges Ergebnis der gerontologischen Forschung über die Lernfähigkeit besteht darin, daß eine Reihe wichtiger Einflußgrößen auf die Ausprägung der Lernfähigkeit wie Schulbildung, Beruf
Geste
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zu berücksichtigen ist; taz 2. 10. 1989 Außerdem wird das Krankenhaus für weitere gerontologische Aufgaben ausgebaut mit zusätzlichen 72 Krankenheimbetten und der Einrichtung einer Sozialstation; Presse 22. 8. 1995 die Absicht der Universität Graz, ein interdisziplinäres sozial-gerontologisches Institut ins Leben zu rufen; Berl. Zig. 5. 11. 2002 Vergreister als die deutsche Bevölkerung — sie droht demnächst in jeder Hinsicht jugendfrei zu werden — wirkt nur die frisch gewählte Bundesregierung, deren Reformkraft sich mehr und mehr als gerontologisches Problem erweist.
intern" plant die Münchner Pro 7-Gruppe ein Kabelprogramm speziell für Zuschauerinnen über 50. . . Geplanter Sendestart des gerontophilen Spartensenders ist Oktober; Berl. Ztg. 12. 5. 2000 Hallo Gerontophile aller Generationen! Gerade wurde wieder mal ein Mensch entdeckt, der der älteste der Welt sein soll; taz 2.11. 2000 Mit der Rentnercombo aus Eastwood, Donald Sutherland, James „Rockford" Garner und Tommy Lee Jones wird dieser Weltraumausflug zu einem gerontophilen Anschlag auf das klassische Action-Kino.
gerontophil: 1906 Archiv f. Kriminalanthropologie 362 Durchaus weiß ich z. B., daß junge Homosexuelle, die Gerontophile sind, immer zahlreiche alte Liebhaber finden. Ich kannte selbst einen 70jährigen Homosexuellen, der seinen glaubwürdigen, durch seinen sozialen Verkehr mit jungen Burschen bestätigten Angaben nach noch mindestens einmal die Woche geschlechtlich verkehrte und zwar, wie er behauptete, am liebsten als aktiver Päderast; Hirschfeld 1914 Homosexualität 66 Ich gebe die Schilderung eines gerontophilen Homosexuellen; 1927 Sittengesch. d. Lasters 309 daß die große Geschmacksdifferenzierung insofern eine Annäherung erschwert, als der ephebophile Mann dem gerontophilen . . fast ebenso fremd gegenüber steht wie einer Person des anderen Geschlechts; Siebenthal 1953 Wiss. vom Traum 420 Päderastische, zoophile, nekro- und gerontophile oder homosexuelle Handlungen — auch mit fetischistischen Einschlägen — kommen im Traum auch bei sonst praktisch rein Heterosexuellen vor; taz 7. 10. 1991 Trotz seiner knapp 76 Jahre gastierte Frank Sinatra am Samstag in Frankfurt, und 8.000 gerontophile Fans waren begeistert; ebd. 26. 7. 1994 Laut „text
Gerontophilie: Canstein 1882 Oesterr. Civilprozessrech II 967 Krafft-Ebing hat zwar die Hinneigung zu alten Männern als Gerontophilie beschrieben; Bloch 1908 Sexualleben 688 In diese Kategorie gehört auch die abnorme Liebe zu greisenhaften Individuen, die heterosexuelle „Gerontophilie" und die fetischistische Wirkung gewisser Charaktereigenschaften; Lewandowski 1927 Sexualproblem 252 Die Gerontophilie und die Pädophilie haben ebenfalls fetischistische Ursachen; Elster 1966 Handwb. d. Kriminologie II 368 Abnormitäten des Sexualverhaltens . . „Man" muß eben heute wissen, was es auf sich hat mit Sadismus und Masochismus, Fetischismus und Transvestitismus, Exhibitionismus und Voyeurtum, Pädophilie und Gerontophilie, Homosexualität und Transsexualität; taz 22. 5. 1997 Oder war das möglicherweise eine Persiflage auf die sprichwörtliche Gerontophilie des Senders?; ebd. 4. 4. 2002 Obwohl Marc Worthmann in seinem Roman zwei gänzlich unattraktive gesellschaftliche Randthemen — Gerontophilie und den Umgang mit alten Menschen — behandelt, ist ihm ein beeindruckendes, interessantes Debüt gelungen.
Geste F., bis ins 19. Jh. vereinzelt M. (-; -n), im späten 15. Jh. zuerst in der Wendung Gesten machen entlehnt aus lat. gestus M. 'Gebärdenspiel eines Schauspielers oder Redners' (subst. Part. Perf. von gerere '(zur Schau) tragen, tun, verrichten, aus-, vollführen', auch reflex, 'sich verhalten, benehmen'), bis ins 18./19. Jh. oft in der lat. (fielet.) (bes. Pl.-)Form; vgl. dazu auf gleiches Etymon zurückgehendes Gesta '(Berichte über) Taten' mit den z.T. veralteten oder fachsprachlichen Ableitungen Gestion 'Verrichtung, Führung, Verwaltung, Geschäftsführung', Gestor 'Träger, Leiter, Verwalter', Gestur 'Haltung, Stellung, Gebärde', gesturieren 'gebärden, mit Gebärden begleiten', Regest 'Zusammenfassung des rechtsrelevanten Inhalts einer mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Urkunde' und den auf das lat. Intensivum gesture zurückgehenden Gestation, Gestamen, Gestator/Gestatrix, gestatorisch und gestabel. a Bis ins spätere 18. Jh. vereinzelt an Stelle von Gestus (s. u.), danach kontinuierlich belegt, zunächst meist im Pl. v. a. mit Bezug auf Gaukler und Spaßmacher in der
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Geste
Bed. 'ausdrucksvolle (unterhaltende, belustigende) Körperbewegungen' (s. Belege 1495, um 1500; vgl. Posse); seit Mitte 18. Jh. als Element schauspielerischer Darstellung (s. Beleg 1767), dann zunehmend allgemeiner 'spontane oder bewusst eingesetzte, eine bestimmte innere Haltung ausdrückende Bewegung des Körpers, bes. Gebärde der Hände und des Kopfes (zur Untermalung oder Unterstreichung der sprachlichen Kommunikation), sprechende Körperbewegung, die jmds. Worte oder Rede begleitet oder ersetzt'; in Wendungen wie eine redebegleitende Geste, seine Rede durch eindringliche Gesten unterstützen, mit lebhafter, schauspielerischer, galanter, feierlicher, generöser, einstudierter, unbestimmter, geschulter, resignierter, geringschätziger, bedauernder Geste, er unterstreicht seine Worte mit ausholenden Gesten, auf jmds. Gesten achten, eine einladende, vieldeutige Geste, häufig als Grund-, seltener als Bestimmungswort in Zss. wie Jubel-, Dankes-, Begrüßungs-, Bescheidwisser-, Abwehr-, Protest-, Triumph-, Bühnen-, Dirigier-, Scheibenwischergeste 'provozierende, beleidigende Bewegung mit der flachen Hand vor dem Gesicht, mit der man anzeigt, dass man jmdn. für verrückt erklärt'; Gestencode, -spiel, -repertoire, -forscher, -spräche, -interpretation, auch in Adj. wie gestenreich, -arm, -los. Dazu die aus gleichbed. lat. gesticulator übernommene, seit Anfang 16. Jh. mit Gaukler, Zauberer, Spielmann oder Freudenmacher übersetzte (DIEFENBACH) und bis ins 19. Jh. nur gebuchte Personenbezeichnung Gestikulator M. (-s; -en) in der Bed. '(fahrender) Gaukler, Jongleur, Tänzer; Gebärdender'; seit Mitte 19. Jh. die adj. Ableitung gestikulatorisch, zunächst auch gesticulatorisch, in der Bed. 'die Bewegungen des menschlichen Körpers, der oberen Extremitäten betreffend, durch sie hervorgebracht; mittels Handbewegungen, Gesten durchgeführt'; seit spätem 16. Jh. aus (flekt. Form von) gleichbed. lat. gesticulatio übernommenes Gestikulation F. (-; -en), anfangs auch lat. flekt. für 'Gebärdenspiel, ausgeprägte Gebärdensprache', speziell auf die Schauspielkunst bezogen (s. Belege 1777, 1778, 1816 — 17) (vgl. Mienenspiel, —* Miene), meist mit Bezug auf redebegleitende Gebärden, Hand- und Armbewegungen (s. Belege 1902, 1924, 1994, 2003) und vereinzelt übertragen in der Bed. 'hilfloser, energischer Versuch, Aufmerksamkeit zu erlangen' (s. Beleg 1989), in Syntagmen wie wilde, energische, hilflose, drastische, übertriebene, theatralische, bloße Gestikulation; seit Anfang 17. Jh. die aus lat. gesticulari (zu gesticulus 'pantomimische Bewegung', Diminutiv von gestus, s. o.) entlehnte verbale Ableitung gestikulieren V. intrans., zuerst 'übertrieben (mit den Händen) herumfuchteln; (ungewöhnliche, auffällige) Bewegungen, Gebärden vollführen' (s. Belege 1607, 1609, 1636, 1644, 1727, 1767-68, 1800, um 1800, 1894, 1900, 1986, 1990), seit späterem 18. Jh. auch auf die Schauspielkunst bezogen für 'ausdrucksvolle Bewegungen ausführen, um etwas auszudrücken oder sich verständlich zu machen' (s. Beleg 1786), meist mit Bezug auf redebegleitende Gebärden, Hand- und Armbewegungen (s. Belege 1864, 1955, 1983), z.B. wild, aufgeregt mit dem Stock gestikulieren, heftig gestikulierend reden, lebhaft gestikulieren. b Seit Anfang 20. Jh. im Sing, übertragen verwendet für 'in bestimmter Weise zu verstehende Handlung oder Verhaltensweise, die etwas indirekt mitteilen, ausdrücken soll', in Wendungen wie etwas mit großer Geste tun, eine diplomatische, feierliche, großzügige, nette, ritterliche, symbolische, unverbindliche, verlegene Geste, eine Geste der Aufmerksamkeit, des Entgegenkommens, des Vertrauens, des Verzichtes, etwas muss als (politische, höfliche) Geste verstanden werden, auch leicht abwertend gebraucht im Sinne von 'unverbindliche Höflichkeitsformer, z.B. die Einla-
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dung war nur eine Geste, eine leere, bloße Geste, etwas war nur als Geste gemeint, etwas soll nur eine kleine Geste ('eine kleine höfliche Aufmerksamkeit') sein, als Grundwort in Zss. wie Begrüßungs-, Betroffenheits-, Demuts-, Freundschafts-, Friedens-, Höflichkeits-, Macht-, Ohnmachts-, Solidaritäts-, Unschulds-, Unterwerfungs-, Versöhnungs-, Willkommensgeste. Seit Mitte 19. Jh. die zunächst vereinzelt, seit früherem 20. Jh. kontinuierlich nachgewiesene subst. Ableitung Gestik F. (-; selten -en), zunächst im Bereich von Literatur, Kunst und Musik übertragen verwendet für '(ausdrucksvolle) künstlerische Gestaltungsweise, Manier, Stil, Ausdruck; Dramaturgie', z. B. geistige, intuitive, instrumentale Gestik, mit der in jüngster Zeit selten bezeugten Personenbezeichnung Gestiker M. (-s; -), moviert Gestikerin F. (-; -nen), bes. von zu expressiven, emotional geprägten Gestaltungsweisen neigenden Künstlern (zu b); seit Anfang 20. Jh. auch in der Bed. 'Gesamtheit von Gesten (als Ausdruck einer charakteristischen inneren Haltung, als Ausdruck der Psyche), Zusammenspiel der Gebärden' (im Unterschied zum Mienenspiel, zu Veränderungen des Gesichts, —»· Mimik), in Wendungen wie die Gestik eines Schauspielers, jmdn. an seiner Gestik erkennen, mit Mimik und Gestik, mit theatralischer, übertriebener, exaltierter, drastischer, sparsamer Gestik und als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Alltags-, Ausdrucks-, Bühnen-, Macho-, Opern-, Schauspieler-, Taubstummen-, Unterwerfungsgestik; Gestikerkennung, -forschung, -repertoire, -Vokabular (zu a). Seit späterem 19. Jh. die adj. Ableitung gestisch, zunächst nur vereinzelt gebucht in der etymologisierenden Bed. 'tatsächlich, faktisch, historisch' (s. Belege 1863, 1882), seit frühem 20. Jh. dann 'die Gebärden, Handbewegungen betreffend, hinsichtlich der Gebärden, mittels Gebärden', in Syntagmen wie beim Theaterspielen bes. Hände, Arme und Beine gestisch einsetzen, etwas gestisch vermitteln und in additiven Zss. wie mimisch-, expressiv-, sprachlich-gestisch; gestisch-mimisch, gestischszenisch (zu a), seit späterem 20. Jh. auch übertragen mit Bezug auf bes. expressive, ausdrucksvolle Gestaltungsmittel, v. a. im Bereich von Sprache, Musik und Malerei, z.B. gestischer Stil, Maler, gestische Malerei, Bilderwelt (zu b). Daneben bereits im späten 15. Jh. (unter Rückgriff auf lat. gestus M., s.o.) mit Geste (s.o.) konkurrierendes Gestus M. (-; ohne PL), im 19. Jh. auch in der verkürzten Form Gest M. (-(e)s; -e) zunächst v. a. mit Bezug auf Gaukler und Spaßmacher in der Bed. 'ausdrucksvolle (unterhaltende, belustigende) Körperbewegung' (s. Belege 1587, 1594, 1667, 1677, 1700); seit Mitte 18. Jh. als Element schauspielerischer Darstellung (s. Beleg 1756), dann '(redebegleitende) ausdrucksvolle Gebärde, typische, demonstrative Geste, Gestik' (zu a); seit frühem 20. Jh. meist in der übertragenen Bed. 'Ausdruck (einer inneren Haltung), geistiges Gebaren' (—» Habitus) und im Bereich von Literatur, Kunst und Musik '(ausdrucksvolle) künstlerische Gestaltungsweise, Manier, Stil, Ausdruck; Dramaturgie', in Syntagmen wie mit dem Gestus des Moralischen, Imperialen, Verkündens, mit dem Gestus der Beschwörung, rätselhaft im Gestus, ein zustimmender, emotionaler, triumphaler Gestus und meist als Bestimmungswort in Zss. wie Sprach-, Erzähl-, Grund-, Mal-, Herrschafts-, Zeige-, Trauer-, Betroffenheits-, Macht-, Imponier-, Jazz-, Punk-, Gesangs-, Rede-, Segens-, Sieges-, Sprech-/Sprachgestus (zu b). Geste a: T 495 Kölner Gemma J 8c gokelen of gesten maechen, gesticulari (DWB); um 1500 (Diefenbach, Glossarium 261c) vroeliche gesten machen
(DWB); Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 198 f.) daß es unter den bedeutenden Gesten eine Art giebt, die der Schauspieler vor allen Dingen
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wohl zu beobachten hat, und mit denen er allein der Moral Licht und Leben ertheilen kann. Es sind dieses, mit einem Worte, die individualisirenden Gestus; Seume 1793-1811 Kl, Sehr. (W. // 429) küßte er es [das Feldmarschallspatent] mit den gewöhnlichen religiösen Gesten; Schiller 1795 Ästhet. Erziehung (H. X 380) Der gesetzlose Sprung der Freude wird zum Tanz, die ungestalte Geste zu einer anmuthigen harmonischen Gebärdensprache; Schütze 1800 Handwb. f. Schauspieler 77 Geste . . Das franz. geste bezeichnet Geberde, Bewegung, Hände- und Fingersprache; ebd. 78 Zu den Gesten gehört auch der Gang; Detmold 1834 Kunst 24 eine Sammlung derjenigen Ausdrücke, Phrasen, Floskeln, Interjektionen und Gesten, die ganz allein den Kunstkenner ausmachen; Lewald 1843 Mappe 163 mit keinem Geste Leben verrathend; Spielhagen 1868 Dorfkokotte 78 Ich selbst habe die Geste einmal gesehen und die Wirkung beobachtet, die sie auf den Mann ausübt; Perfall 1890 Liebe 174 Eine kurze, von lebhaften Gesten begleitete Unterredung; Rilke 1898 S. W. I 176 Und sie gehn auf scheuen Schuhn,/ als ob sie die Kleider preßten;/ und das sind die ersten Gesten,/ die sie im Gefühl von Festen/ ihrem Traum entgegentun; Hesse 1904 Camenzind 71 Geste der Heiterkeit; Sternheim 1918 Chronik 9 Die Hand auf ein Buch geballt, machte er eine ausladende Gebärde. Beide Gatten hatten anfangs aus dieser Geste großen Mut zu holen gesucht; 1926 Sittengesch. v. Paris 228 eine Gruppe von . . jungen Leuten . ., die mit nicht mißzuverstehenden Gesten und Worten ihre Laster verherrlichen; 1927—28 ZfMenschenkunde 150 die Gesichtssymbolik, Schriftsymbolik und schließlich die Symbolik der Gesten; Währte 1940 Ausfahrt 43 mit kameradschaftlicher Geste reicht er mir die Banknote über den Tisch hinüber; Süddtsch. Ztg. 18. 1. 1951 [Er] erzählt im Tonfall und mit Gesten eines politisch geschulten Agitators seine Geschichte; Mannh. Morgen 11.11.1985 durch Handzeichen, das Fingeralphabet, Gesten, Mimik und Bewegungen könne in dieser Sprache alles ausgedrückt werden; ebd. 20. 6. 1991 Er war kein Pultstar, vielmehr ein Musiker, der unerbittlich seinen Willen bei den Orchestern durchsetzte, ein Diktator des Taktstocks ohne Aura, mit kargen, aber genauen Gesten; ebd. 26. 3. 2003 Jede einzelne Geste wird gründlich einstudiert, variiert und perfektioniert. Gestik: Shering 1907 Oratorium 46 Selbstverständlich mag es den Sängern zunächst unbenommen gewesen sein, die von ihnen interpretierten Personen und Leidenschaften so realistisch wie möglich zu charakterisieren und dazu schließlich auch die Ges-
tik und Mimik zu Hilfe zu nehmen; Köster 1920 Meistersingerbühne 101 wenn in jener Zeit die Verfasser epischer Dichtungen schon gelernt hatten, auf körperliche Beredsamkeit, auf Gestik und Mimik sorgsam zu achten; Lokal-Anz. 27. 7. 1933 In Auffassung und Gestik dürfte er [Sänger] eine gewisse vornehme Verhaltenheit noch abstreifen; N.Z.Z. 8. 10. 1943 die Gestik ihrer beseelten Hände; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. X 510) es liegt eine Menge Sympathie darin mit Deiner Art der Führung, dem Maß und Geschmack Deiner Gestik, Deines mimischen Eingehens auf die Musik; Stuttgarter Ztg. 29. 10. 1959 wenn man fehlenden Wortschatz durch Gestik und Mimik zu erweitern versteht; Welt 11.4. 1964 die schlanken Gesichtsformen werden begleitet durch eine knappe, aber ungemein beredte Gestik; Hildesheimer 1977 Mozart 247 ein Regie-Konzept in unserem Sinne gab es nicht, Aktion, Gestik und Mimik waren kaum aufeinander abgestimmt; Zeit 29. 3. 1985 Lamprecht findet leise Töne und ist in Gestik und Mimik äußerst zurückhaltend; Computer Ztg. 27. 8. 1998 im T-Punkt wird Teleshopping an einem Terminal mit Gestikerkennung angeboten; Mannh. Morgen 20.6.2001 „Einfach nur Du" wurde noch eindrucksvoller dadurch, dass sie den Text mit zelebrierter Taubstummengestik begleitete; taz 10. 10. 2001 Abgehalfterte, exzentrische Kreaturen, deren Gestiken und Mimiken, deren Idiosynkrasien Sourounis studiert hat; Zeit 1.4. 2004 Er verteidigt sich, offensiv, mit beschwörender Gestik. Gestikulation: 1587 Faustbuch 97 Von einer Gesticulation, da einem Bawrn 4. Räder vom Wagen in die Lufft hingesprungen; Heinr. Jul. Herzog v. Braunschweig 1593 Euler 251 Reden aber nicht zusammen, Sondern brauchen gesticulationes gegen einander [Bühnenanweisung]; Ettner 1697 Chymicus 1092 einer tantzte, der ander machte seine gesticulationes; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. H 793 die Zuschauer müssen allbereits aus der Gesticulation erkennen; Dressler 1777 Theater-Schule 118 soll auf die Gesticulation, Bewegung der Glieder und Theile des Leibes . . ein strenger Bemerken seyn; Potter 1778 Archäologie 111 642 Mit der Zeit wurde die Chironomie ein wesentlich Stück der kriegerischen, theatralischen und andrer Saltationen . . weil das, was . . vorgestellt wurde, nicht ohne Bewegung der Hände und ohne Gestikulation vorgestellt werden konnte; Moritz 1783 Reisen 35 der .. jede nachdrückliche Sentenz desselben mit einer eben so nachdrücklichen Gestikulation .. bezeichnete; 1788 Journal d. Moden Hl 86 wenn das Stück mit schicklich-gemäßigter Gesticulation vorgetragen wird; Manitius 1800 Versuch einer Sammlung von Materialien für Deklamation und Gesti-
Geste kulation (Titel); Goethe 1816-17 Italien. Reise (WA i 32,264) Die Römer sind durch die pantomimischen Ballette an stark gezeichnete Gesticulation gewöhnt; Picard 1826 Minard II 227 lebendiger Gestikulation; Gerstäcker 1848 Flusspiraten l 30 heftige Reden und lebhafte Gestikulationen; 1855 Prutz' Museum II 318 ihr Mienenspiel [ist] vielleicht zu fein nüancirt, ihre Gesticulation zu leidenschaftlich; Köhler 1862 Erinn. l 321 Kanzelredner, an dessen Pathos und Gesticulation man freilich keinen deutschen Massstab anlegen dürfte; 1863 Bilder a. Paris l 315 Von Wagner's Grimassen und Gesticulationen, von seinen Pantomimen der Verzweiflung und Wuth . . haben vernünftige Leute nichts gesehen; Kretzer 1887 Timpe 71 Urban war durch seine anhaltende Gestikulation so erschöpft geworden, daß er . . die Lektion . . nicht von neuem beginnen konnte; Kerr 1896 Br. a. d. Reichshauptstadt 164 So redete er Feuilletons, die diskret mit Spreewasser überträufelt waren, und die Gestikulationen gab er umsonst; Zobeltitz 1902 Papierene Macht l 112 Er sprach, als ob er in einer Volksversammlung wäre, mit prachtvollem Organ, in schönen Perioden und mit theatralischer Gestikulation; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XU 509) nur, daß sozialethische Gestikulation für eine arg ermüdete Stimme recht mangelhaft entschädigt; nur, daß man . . das Zeug nicht lesen kann; Werfet 1924 Verdi 21 Die jungen Menschen, an die Wagner sein Wort und seine Gestikulation richtete, Klemperer 1945 Tagebücher 829 Nach einer Weile klopfte es herrisch ans Fenster, draußen stand ein russischer Soldat und verlangte mit energischsten Gestikulationen und Stimmaufwand Einlaß; Trier 1960 Figur u. Raum 28 Die Verhaltenheit des Ausdrucks, die bei den zuletzt erwähnten Statuen beobachtet werden konnte, werden [!] jedoch von der dramatischen Gestikulation und dem barocken Pathos übertönt; Steinbeck 1970 Theaterwiss. 58 Einen anderen Zugang zu Schopenhauers Theaterbegriff, auf den er selbst ex definitione nicht reflektiert, eröffnen seine Gedanken zu der „eigenen Sprache" der Gestikulation; taz 7. 4. 1989 Sloterdijk ist sich bewußt, daß seine Kritik der politischen Kinetik nicht anders wirken kann als „die Gestikulationen eines Laternenanzünders, der sich in einer auf Neonbeleuchtung umgestellten Stadt nützlich machen will"; ebd. 25. 3. 1994 Diskussionssendungen gerieten in der Anfangsphase zu reinen Schrei- und Gestikulationsshows; Mannh. Morgen 10. 3. 2003 Laut lachend und klatschend animieren sie den gebürtigen Hochfranken zu noch heftigerer Gestikulation und schnellerer Sprache. Gestikulator: Golius 1579 Onomasticon 245 Gesticulator, der mit bänden seltsam bossen treibet; We-
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ber 1734 Enc. I 563 Gesticulator . . ein Tanzmeister; Oertel 1831 Fremdwb. 362 Gesticulator . . Gestikulirer 1) Gebehrdenredner; 2) Handgebehrdenredner, Handredner; Ersch/Gruber 1852 Allg.Enc. I 55,8 Giuocolatore, Gaukler, gesticulator, praestigiator, scurra, joueur de gobelets, bateleur (Taschenspieler); Oswald 1854 Fremdwb. 126 Gesticulator, der, (1.) Geberdenredner, Gaukler; Dinger 1904 Dramaturgie 275 Sänger und Gestikulator; Fromentin 1907 D. alten Meister (Übers.) 36 wenn man schließlich, in immer größerer Annäherung an die Skulptur, von den Rubensschen Bildern, strenge Haltung und friedliche Ruhe verlangt, wie sie die Malerei in ihren Anfängen hatte, so bliebe von Rubens nicht viel übrig als ein Gestikulator; Borinski 1914 Antike l 93 beim Auftreten des „Gestikulators" [während eines Gastmahls:] antike Anforderungen an künstlerisch abgestufte Mimik; Genius 1933 Fremdwb. 365 Gestikulator . . Gebärdenredner; auch: Gaukler; Bronnen 1976 Tage mit B. Brecht 32 Während die beiden zur Seite auswichen, rempelte einer der Gestikulatoren Bronnen an, entdeckte gleichzeitig Brecht, den er offenbar kannte, und entschuldigte sich der Einfachheit halber bei diesem mit einem lauten „Bert Brecht, wie geht's?". gestikulatorisch: Wunderlich 1854 Handb. d. Pathologie III 351 unwillkürliche Bewegungen . . gestikulatorische Krämpfe; 1860 Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie XVll,l 408 f. Während in den verschiedenen Stadien der Entwickelung zur Manie . . mit den physiognomischen, mimischen, gesticulatorischen und psychischen Erscheinungen auch die der vegetativen, vitalen und animalen Sphäre in krankhaft erhöhter Thätigkeit sind; Kölliker 1862 Endigungen d. Nerven 23 f. das Frauenzimmer, welches keine Hand an ihr Haar legte, hat sich Locken gemacht, . . die ganze Gestalt erscheint . . elastischbeweglicher; der physiognomische, mimische, gesticulatorische Ausdruck tritt mehr in centrifugale Action, mit dem Character der Expansion, Extension, Exaltation; Panizza 1893 Visionen 267 Wenn er aber eifrig wurde, . . dann bäumte er auf, hob den Kopf empor, zog die fleischige, wie ein Stück Leder sich bewegende Oberlippe zurück, so daß die obere Zahnreihe entblößt wurde, spreizte mit zurückgebeugtem Oberkörper beide Hände fächerförmig nach oben, knaukte mit dem Kopf gegen die Brust zu einigemal auf und ab . . Aber aus der ganzen Aufeinanderfolge dieser gestikulatorischen Mimik wußte ich schon, in welcher Richtung sich FaiteFs Auseinandersetzungen bewegen würden (DiBi 125); Panizza 1898 Nero 13 Aus seinen gelegentlichen Gestikulazjonen [!] sieht man, daß er stark innerlich bewegt ist. Er scheint freudig das Verlebte nachzuempfinden . . und begleitet diesen
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stillen Genuß mit gelegentlichen Kopf-Niken [!], Kopf-Schütteln und gestikulatorischen Zeichen, die alle starkes künstlerisches Empfinden ausdrüken (DiBi 125); Oppenheim 1916 Neurosen 85 Auch bei längerer Beobachtung sieht man aktive und gestikulatorische Bewegungen nur im rechten Arm; Herman 1938 Sprache 31 eine mimisch-gestikulatorische Unterhaltung zweier oder dreier total taubgeborener Kinder; Weithase 1949 Goethe 171 die mimische und gestikulatorische [Seite der schauspielerischen Ausbildung!; Berswordi-Wallrabe 1971 Konkrete Kunst o. S. Was ist eine erhobene Faust z. B. anderes als ein gestikulatorisches Emblem?; Hahn 1977 Anthropologie 51 So kann z. B. eine Kultur ein hohes Maß von gestikulatorischer Motilität als normales Begleitmoment alltäglicher Reden institutionalisieren; Behjat 1990 Erbauungsbuch 99 müssen wir die Tatsache berücksichtigen, dass die geschriebene Sprache das einzige Kommunikationsmedium dieses Werkes darstellt, wohingegen in der Predigt auch gestikulatorische und stimmliche Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stehen; Presse 2. 10. 1999 Aber egal, wie diese Wahl auch immer für die Grünen ausgeht, Van der Bellen sollte man sich nicht verbellen, ist doch dieser Herr im dunklen Rollkragenpullover sprachlich wie gestikulatorisch eine Hoffnung, fachlich sowieso. gestikulieren: 1607 Gymnasialordn. v. Joachimstal (Bormbaum II 74) soll ein Jeder mit fleiß zuhören, darunter nicht lachen, gesticulirn oder Fantasey treiben; Sommer 1609 Heilpflaster C6a der Son setzt die lincke hand in die seite und gesticulirte mit der rechten hand; Sckwenter 1636 Delitiae physico-math. 290 eine Person kan der ändern also durch deuten und gesticuliren ohn einige stimm oder geschrey etwas zu verstehen geben; Schorer 1644 Sprachverderber l 7b Gesticuliren sich närrisch stellen; Oleanus 1647 Reisebeschr. (NL XXVIII 244,9) Es bestehet aber ihr Tantzen meist in gesticuliren mit Händen, Füssen, Schultern und Mufften; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 278 Gesticuliren, gauckeln, allerhand wunderliche Gebehrden gebrauchen; Lessing 1767—68 Dramaturgie (S. Sehr. X 145) Gesticuliren sie [die Prinzen] wohl jemals, wie Besessene und Rasende?; Schummel 1779 Spitzbart 287 er. . trat mitten in die Klasse, legte das vorzulesende Stück in den Hut und fieng an zu deklamiren und zu gestikuliren, daß die Knaben vor Lachen fast stickten; Schiller 1783 Fiesko (S. W. Hl 17) Vor einem Spiegel gestikulirend [Bühnenanweisung]; Engel 1786 Mimik 110 Freylich sind Rollen möglich, in welchen der Schauspieler Stellenweise Lyriker, Redner, Rhapsod wird, und in solchen Stellen mag dann auch Er, eben wie jene, gesticuliren; Matthisson 1792
Frankreich (Sehr. H 329) wenigstens von fern aus dem Lehnstuhle mit den geballten Fäusten gegen einander zu gestikuliren; Schütze 1800 Handwb. f. Schauspieler 77 f. Unter Gestikuliren versteht man gewöhnlich das Uebertriebene, und sucht es dadurch verächtlich zu machen; Christ um 1800 Schauspielerleben 253 das unaufhörliche Gezapple und überflüssige Gestikulieren; Schopenhauer 1803-04 Reisetagebücher 109 das gestikulirte Wort; Laube 1847 Karlsschüler 33 Demoseil schestikuliren —!; Gerstäcker 1848 Flusspiraten i 55 und schritt rasch und .. gestikulierend zur Tür hinaus; Raabe 1864 Hungerpastor 102 Er fing an, laut mit sich selber zu sprechen, und gestikulierte dabei sehr; Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 295 Der Besitzer stürzt heftig gestikulierend auf mich los; Villamaria 1873 Manon 95 mit sehr bewußter Anmuth gesticulirend; Th. Mann 1894 Erz. (W. VIII 12) Laube .. war schon wieder ganz außer sich und gestikulierte von seinem tiefen Polsterstuhl aus verzweifelt in der Luft herum; Senden 1900 Ehen 92 Das wimmelte, gestikulierte und schrie durcheinander in wilder, südlicher Lebhaftigkeit; Reck 1909 Grossmutter 102 Bei dramatischen Stellen stand ich auf und gestikulierte; Dominik 1928 Uraniden 129 Die Arme, zum Himmel erhoben, gestikulierten wild durch die Luft; Feuchtwanger 1951 Goya 368 er . . gestikulierte ausdrucksvoll; Jens 1955 Mann 161 die beiden Frauen gestikulierten und redeten heftig aufeinander ein (DUDEN 1999); Strittmatter 1983 Laden 103 Wenn die Bergleute miteinander reden, gestikulieren sie mit ihren geöffneten Bierflaschen; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 168 der Startrichter gestikuliert mit einer Verzweiflung, als müsse er ganz allein der drohenden Katastrophe entgegentreten; taz 9.3. 1990 Dort bat er, beschwor, kämpfte um jede Stimme, gestikulierte mit den Armen, als wolle er die Menge umarmen; Mannh. Morgen 2. 5. 2003 als ein Streit zwischen zwei Jugendlichen eskalierte und beide wild gestikulierend aufeinander los gingen. gestisch: Kaltschmidt 1863 Fremdifb. 319 gestisch . . geschichtlich, factisch; Heyse 1882 Fremdwb. 370 [gesti]-sch, geschichtlich, factisch; Lert 1918 Mozart 255 die .. Ausbrüche und die ebenso plötzlichen Dämpfungen können nur in wohlbeherrschten Affekten, im Spiel der gelösten Glieder gestisch ausgedeutet werden; Hagemann 1919 Spiele 412 Ihm ist die Beherrschung des mimischen und gestischen Ausdrucks und der Sprech- und Gesangstechnik das Wesentlichere; Cysarz 1924 Barockdichtung 208 Hier sinkt es zum untergeordneten Hilfswerkzeug einer vorzüglich szenisch und gestisch, auch musikalisch gestimmten Phantasie; Münch. N. N. 12. 7. 1944 dieses Verlangen, auf
Geste der Bühne selbstverständlich zu erscheinen wie im Leben, die Gestaltung ganz aus dem inneren Bereich zu heben, unter Vermeidung deklamatorischer und gestischer theatralischer Mittel; NZ. (Basel) 9.5.1949 Grosser gestischer Aufwand muss hier dem Dirigenten unbedingt zugebilligt werden; Neues Deutschi. 4.4. 1964 um Präzision im gestischen und sprachlichen Ausdruck bemüht; Mannh. Morgen 2. 2. 1965 Doch während er [Torwart] gestisch renommiert, bekommt er einen Ball nach dem anderen ins Drahtgehäuse; Welt 7. 10. 1974 er verlangte ihnen wieder so manches hochgestochene sprachliche oder gestische Exerzitium ab; Mannh. Morgen 28. 3. 1985 Fawcetts Spannweite im Ausdruck wie in der mimisch-gestischen Umsetzung der Textinhalte ist bemerkenswert; taz 23. 6. 1992 Kafkas Geschichten beinhalten einen gestischen Kodex, aus dem sich genaue Anweisungen für ihre Inszenierung herausfinden lassen. Peter Schröder verfolgt die Bewegungen des zum Käfer gewordenen Gregor; Mannh. Morgen 5. 2. 2003 Im bunten Kreis, mit „historischen" Gewändern und Kopfbedeckungen wurden Lieder gesungen und gestisch untermalt. Gestus/Gest: Melber 1481 Voc. o. S. Gestus geberd; Schöpper 1550 Synonyma 115 Gestus; 1587 Faustbuch 22 Im dritten Gespräch erschiene dem Fausto sein Geist vnd famulus gantz frölich, vnd mit diesen gestibus vnd Geberden; Heinr. )ul. Herzog v. Braunschweig 1594 Schauspiele 557 mit hertzbewegenden worten, lieblichen anmutigen gestibus, kurtzweiligen Bossen; ebd. 643 die gestus oder affectus; Schorer 1644 Sprachverderber l 7b Gestus geberten; Dannhauer 1667 Scheid-Brieff 68 sonderbahre äusserliche Gestus, Sitten/ Gebärden/ darauß der innerliche raptus, Bewegung/ Entzuckung/ Eifer deß heiligen Geistes zuvernehmen gewest; Hört 1677 Bacchusia 141 macht seine vorige Bossen vnd gestus; Seckendorff 1691 Reden Vorr. 67 ständigen Geberden vielen ändern weit vorziehe/ mich auch denselben gar nicht vergleiche/ nie gesehen/ dal? sie sonderbare gestus gebrauchet; Zeidler 1700 Sieben böse Geister 105 Machen auch unterm Lesen ein hauffen gestus und Gauckelpossen mit den Händen; 1718 Abentheuerl. Welt IV 8 Die Gestus müssen doch die gröste Anmuth geben,/ Die Reden werden sich noch meist so wohl beleben; Fabricius 1724 Oratorie B es werden . . zu einem Redner folgende Dinge erfordert, . . daß er . . über seine Minen Air und Gestus ohne Affectation disponieren könne; 1741 Begebenheiten 183 er begleitete aber seine Rede mehrern Nachdrucks wegen mit so vielen künstlich angebrachten Handund Fuß-Gestibus, daß sie eine recht wundernswürdige Würckung thaten; Ramler 1756 Einl. l 39 Eine Tragödie ohne Gestus, ohne Music, ohne De-
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corationen bleibt noch immer ein Gedicht, das heißt, eine Nachahmung; Meier 1759 Anfangsgründe III 337 wie leicht ist es nicht zu sagen, daß die Handgeberden (gestus) bedeutend seyn müssen; Schiller 1781 Räuber (S. W. l 369) Der Kerl ist unsinnig. Er macht Gestus wie beim Sankt VeitsTanz; Moritz 1783 Reisen 35 Sehr komisch sieht es aus, wenn zuweilen einer spricht, und der andre die Gestus dazu macht; Mendelssohn vor 1783 Philosoph. Sehr, l 132 Man sagt selten eine reizende Blume, ein reizendes Gebäude aber wohl eine reizende Geberde, reizende Gestus, reizende Mienen, eine reizende Wendung u.s.w.; Engel 1785 Mimik l 18 Soll er nicht seine Worte so wählen, daß Ton, Mine, Gestus dazu nicht erst dürfen gefunden, daß sie vielmehr dadurch angegeben werden?; Sulzer 1792 Theorie l Vorr. XXIV Gestus. (Redende Künste); Kortum 1799 jobsiade 55 Denn wenn ein Pfarrer auf der Kanzel peroriret,/ so muß der Arm geschmeidig und fein/ Beim Klopfen und Gestusmachen sein; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,253) worauf er denn jenen Gest wiederholte; Jacobs 1824 Verm. Sehr. V 602 Das Zusammenschlagen der Hände . . Dieser Gest (SANDERS 1871); Goethe 1832 Br. (WA IV 49,262) ein höchster Gedanke daß . . sein [des Darius] Wagenlenker mit dem Peitschenstiel die nachdringenden, schon siegwähnenden . . Perser aus einander winkt, dem flüchtigen Königswagen Platz zu machen, da denn der Wald der gegen die Griechen gesenkten Speere durch diesen einzigen Gest dem Zuschauer paralysirt erscheint; Neue Rhein. Ztg. 10. 12. 1848 jeder deutsche Schweizer nämlich hat für alle seine Reden, bei allen Gelegenheiten, für die Dauer seines Lebens nur einen Gestus; Francois 1873 Zu>illingssöhne l 90 das [südländische] Temperament [des Jungen] hatte sich gemäßigt, der Gestus war lebhafter als der Esprit; Raabe 1879 Zum wilden Mann 35 er zog höflichst die Nachtmütze ab und erhob dabei den Zeigefinger. Der Gestus konnte nichts anderes bedeuten als: Vergessen Sie nicht, mein Bester, was ich Ihnen gesagt habe; Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 90 Das Spitzentuch hält sie mit der Hand am Halse zusammen mit einem Gestus, den Lessing vielleicht ein bißchen transitorisch gefunden hätte; ders. 1900 Br. a.d. Reichshauptstadt 548. Nach Lage der Dinge konnten die meisten nicht umhin, einen zustimmenden Gestus zu machen, durch Nicken; Lert 1918 Mozart 123 Und wenn sie sich bisweilen in Bewegung setzen, so geschieht es bloß, um sich selbst zu widersprechen und durch die Gestus die Rührung zu zerstören, welche durch den Gesang hätte erweckt werden können; Frey 1929 Gotik 131 Das gleiche gilt auch für die Ausdrucksbewegungen, wie den Gestus der Trauer, mit der unter das Kinn und an die Wange angelegten Hand; Meier 1949 Antike
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Inkubation 49 Man erinnere sich an den Gestus der Handausstreckung bei der Erschaffung Adams im Fresco des Michelangelo in der Sixtina; Altheim 1959 Hunnen I 136 andererseits werde der Gestus der Kußhand erst später, nicht aber in klassischer Zeit als solcher beschrieben; Kollwitz 1978 Ostrom. Plastik 9 Bei Konstantinos Rhodios und Kedrenos wird aus der erhobenen Hand der Reiterstatue des Taurus ein Zeigen auf die gegenüberliegende Ehrensäule. Das Volk erklärt sich den Gestus in seiner Weise, wenn es hier Josue dargestellt sieht, der der Sonne Stillstand gebietet; Sommer 2003 Byzantin. Münzen 123 Der thronende Christus frontal, mit Bart, Kreuznimbus, Pallium und Colobium; er hebt die Rechte zum Segensgestus und hält in der Linken Evangeliar [!]. Geste b: 1911 Grenzboten I 491 wo unser Romancier sich durch rhetorisches Pathos hinreißen läßt, regieren den Franzosen kleinliche Neigungen seines Scholismus, der im „decor" schwelgt und auch in psychologischer Hinsicht nur die blassen Gesten blasierter Seelen mit seelischen Kuriositäten vorführt; 1918 Dichtung I 7 Als Goethe im Jahre 1806 dem Weimarer Museum Asmus Carstens' nachgelassene Zeichnungen erwarb, schien er mit deutlicher Geste das Werk eines wesensverwandten, gleichstrebenden Künstlers in seinen Umkreis gezogen zu haben; 1930 Süddtsch. Monatsh. XXV11 529 Der Aktivismus der jüngsten Generation . . wendet sich nicht mit aller Tatkraft realen Zielen zu, sondern läßt sich von radikalen Gesten blenden; Voss. Ztg. 22. 8. 1931 dennoch hätte die Oeffentlichkeit für eine freiwillige Geste des Verzichtes bei der gegenwärtigen Lage das größte Verständnis; Lokal-Anz. 19.1. 1933 daß man sich mit einer Geste der Halbheit begnügt; Singer 1942—44 Gettotag 231 Es war nicht eine blosse Geste des Oberhauptes; Stuttgarter Ztg. 8. 6. 1962 Die Stuttgarter Straßenbahnen haben dieses Lotsentreffen . . zum Anlaß einer noblen Geste genommen; Berl. Ztg. 12. 5. 2003 In einer großen Geste der Versöhnung würdigte er als Präsident der Bayerischen Akademie die wissenschaftlichen Leistungen der im Kriege unterlegenen Grande Nation. Gestik: Lassalle 1859 Franz v. Sickingen 7 Im Literaturdrama aber erschienen mir nach einigem Zaudern die merkwürdige Lebensgeschichte jenes Mannes . . viel zu bedeutsam für den Geist und Konflikt jener Zeit, um sie hier nicht in unverkürzter Gestik stehenzulassen (DiBi 125); Münch. N.N. 16. 1. 1941 Tanz ist für Kreutzberg die geistige Gestik einer gesteigerten zeitverbundenen Lebensandacht; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 237) der Eindruck dieser „Musica riservata" auf Leverkühn, einer Affektmusik, die als Rückschlag auf den
Konstruktivismus der Niederländer das Bibelwort mit erstaunlicher menschlicher Freiheit, deklamatorischer Ausdruckskühnheit behandelte und es mit einer rücksichtslos schildernden instrumentalen Gestik umkleidete, — dieser Eindruck war sehr stark und nachhaltig; Enzensberger 1962 Einzelheiten I 91 Was dem Spiegel an kritischer Potenz fehlt, versucht er durch inquisitorische Gestik zu ersetzen (DUDEN 1999); Stuttgarter Ztg. 14.5. 1969 Auch er selbst ging erst bei diesem Werk ganz aus sich heraus, formte mit leidenschaftlicher Gestik diese jung gebliebene Musik; Zeit 6.6.1986 rechts sind Bilder und Skulpturen von Jean Fautrier zu sehen — ein ungewöhnlicher Kontrast der Zeiten und Kulturen, hier die zarten, monochromen Monumente meditativer Stille und harmonischer Schönheit, und dort das existentialistische Informel, die rauhe Gestik der Irritation und Zerrissenheit; Neue Kronen-Zeitung 5. 5. 1995 Hebenstreit hat in der unendlichen Variationsbreite der von ihm gewählten Malweise die suggestive Kraft seiner intuitiven Gestik stets weiterentwickelt und präzisiert; Mannh. Morgen 18.3.2003 In der stilistischen Folge Anton von Weberns stehen die „Tre Pezzi" für Gitarre und Flöte von Norma Beecroft. Eruptiv, beredt und klangschön stellt sich diese Musik dar, Gestik auf kleinstem Raum sozusagen, die auf „moderne" Spieltechniken verzichtet. Gestiker: 1993 FAZ o. Nr. Hitzler ist kein Bauchmaler, nicht einmal, was die Bilder auf den ersten Blick vermuten lassen, ein Gestiker; Tiroler Tagesztg. 11.9.1997 1959 zog Bischoffshausen nach Paris, um hier für ein kurzes Intermezzo zum vehementen Gesdker, zum Jongleur mit Emotionen und Zufälligkeiten zu werden; ebd. 6. 7. 2000 Otto Zitko ist ein Gestiker, um in expressiver Vehemenz große Flächen in einem GUSS vollzuschreiben. gestisch: Fohl 1969 Pathoselemente 55 [Eine] Affinität zum gestischen Reichtum der Luthersprache; Kern 1976 Löwen und Sprachtiger 511 f. Während Indikatoren in Gestalt von Personal- oder Demonstrativpronomina immer sowohl gestisch als auch symbolisch im Sinne von Fillmore (1972) verwendet werden können; Ruf 1977 Mozarts „Le nozze di Figaro" (Beih. z. Archiv f. Musikwiss. XVI 110) Entsprechend ist ein in dem Motivvorrat nicht vorgesehener . . Absprung auf der 1. Zählzeit nur als Auftakt denkbar, wie es bei der gestischen Quint . . der Fall ist. Wo einmal von der Regel ganz abgegangen wird, steht die Textbedingtheit außer Zweifel: der 'unerlaubte' Oktavsprung . . stellt das Wort „salti" (Sprünge) dar; Beierwaltes 1980 Iden-
Geysir tität 298 Die mimetische oder gestische Sprache ist also gegen die kommunikative oder diskursive abgesetzt; Mannh. Morgen 19. 3. 1985 aus ihren ersten Takten mit ihrem scharfen Kontrast zwischen dem gestischen Arpeggio im Klavier und der melodischen Linie danach entwickelte das Duo den gesamten ersten Satz; Salzb. Nachr. 10. 2. 1992 Der grobe, gestisch gesetzte, sichtbare Pinselstrich, der Malweise des Lehrers Heisig verwandt; ebd. 29.8. 1992 in schnellen, gestisch akzentuierten Rhythmen zieht ein Zug von Frauen über einen hellen Bildgrund; Berl. Ztg. 5. 4. 2003 angesichts der aggressiven Wucht, des Tempos, der gestischen Verve in den Bildern. Gestus: 1929 Dtscb. Rundseh. LVl 156 Gestus der Zeit; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XU 710) alles „Revolutionäre" ist Schwindel, Mimik, Gestus, ganz äußerlich und oberflächlich; Neues Deutschi. 14. 12. 1969 [Dessaus Komposition] hat satirisch entlarvenden Charakter bei der Zeichnung der Kreaturen des Drachen und des Drachen selber, indem sie Pathos durch Übersteigerung als hohl und brüchig ausstellt, den Gestus der Sing-
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stimmen durch extreme Intervallsprünge verzerrt; Mannh. Morgen 11, 5. 1985 stimmt sowohl die Balance zwischen Artikulation und Klangstrom als auch das Verhältnis von melodischem Gestus und sprachlichem Akzent; Rhein. Merkur 1. 12. 1989 Trotz des durchgängig autobiographischen Gestus sollte man das lyrische Ich dieser zwischen Kunstprosa und Lyrik changierenden Texte nicht allzu vorschnell in eins setzen; tat 13. 7. 1990 Wer sich an Diskussionen zwischen Ost und West-Linken beteiligt hat, der kennt die Respektlosigkeit, die selbstgefällige Herablassung, das freundliche Schulterklopfen, diesen unwürdigen Gestus, mit dem der DDR-Opposition erklärt wird, was sie ist, wo sie steht und wo es langgeht; Zeit 31. 3. 1995 Mal ist es ein Märchenton, mal ein behäbiger Erzählgestus von vorgestern; Züricher Tagesanz. 25. 4. 1996 Er ist in beiden Sphären aktiv und konfrontiert das Jazzpublikum mit ausgetüftelten kompositorischen Strukturen und die Abonnenten der Sinfoniekonzerte mit Jazzgestus und vertrackten Rhythmen; Süddtsch. Ztg. 10.9.2003 Leni Riefenstahls Stil hat den heldischen Eroberungsgestus ins Kino gebracht.
Geysir M. (-s; -e), Ende 18. Jh. übernommen aus island, geysir, dem Namen einer 1294 erstmals erwähnten heißen Springquelle auf Island (zu geysa 'in heftige Bewegung bringen, wild vorwärtsstürmen, hervorsprudeln', also eigentlich 'Sprudler'; zu altnord. gjosa 'sprudeln', vgl. dtsch. gießen), auch in der Schreibform Geisir und eindeutschend Geyser, Geiser. Zunächst und bis ins 19. Jh. mit Bezug auf die bekannte isländische Quelle (wobei im Einzelfall oft nicht klar zwischen der Namenverwendung und appellativischem Gebrauch zu unterscheiden ist), dann als Appellativum zur Bezeichnung aller gleichartigen Naturphänomene in der Bed. 'heiße (Spring-)Quelle in jungvulkanischen Gebieten, die in meist regelmäßigen Zeitabständen eine Wasserfontäne ausstößt', in Wendungen wie der Geysir „Old Faithful" blubbert, sprudelt, ein aktiver Geysir stößt seine Fontäne hoch in die Luft, der größte Geysir Neuseelands schießt in die Höhe, er erforscht Vulkane, Geysire, Solfataren und Fumarolen und in Zss. wie Unterwasser-, Schlamm-, Kaltwasser-, Eis-, Nebelgeysir; Geysiraktivität, -eruption, -feld, -fontäne, auch bildlich und übertragen verwendet, z. B. Arsen-, Schnee-, Soundgeysir (s. Belege 1991, 1996, 1997; -* Vulkan). Klaproth 1797 Mineralkörper II 109 Aus diesem Kieseltuff bestehet nun auch die bewundernswürdige Röhre mit ihrem Kessel, welche sich die größte von Islands Quellen, der Geyser, selbst gebildet hat; 1836 Archiv f. Mineralogie IX 264 Er beobachtete mehre[re] Ausbrüche des Geisers, die verhältnismäßig in ihrer Stärke und Dauer sehr verschieden waren. Der größte Ausbruch des Geisers währte 10—12 Minuten und der höchste Wasserstrahl erhob sich auf 96 FUSS; Cotta 1842 Geo-
gnosie 343 die wunderbare Erscheinung der Geiser und Schlammvulkane, welche jedoch von zu untergeordnetem Einfluss auf das Erdganze sind; Gutzkoiv 1869 Kastanienwäldchen 288 Was von der Hagen, den die neuere germanistische Schule nicht achtete, im Brünetten war, war Lachmann im Blonden. Jener konnte bei den Basken in Spanien geboren sein, dieser am Geysir auf Island (DiBi 125); Heyse 1870 Fremdwb. 381 Geisir od. Geiser . . Sprudler, Springquellen in Island; 1884 Brock-
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haus VII 685 Geiser, eigentlich Geysir, d. i. Wüterich . . nennt man die größten der in Island, Amerika und Australien vorkommenden heißen Springquellen; Fontäne 1891 Unwiederbringlich (Romane u. Erz. VI190 f.) Es ist ein ganz eigen Gefühl, ein Ei zu essen, das im Geiser gekocht wurde, vielleicht in einem Augenblicke, wo die beiden Feuerspeier dazu leuchteten (DiBi 125); 1906 Anl. zu wiss. Beobachtungen l 287 Nach dem bekannten isländischen Prototyp hat man ihnen [Quellen kochenden Wassers] den Namen Geysir gegeben; Manes 1911 Land 118 Wollten wir in Europa die Naturwunder sehen, welche Neuseeland bietet, so müßten wir Island bereisen, um einen Geiser zu erblicken; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 380) sie [die Musik], die wie ein Geysir aus vorkulturellen Tiefen des Mythos hervorzuschießen scheint (und nicht nur scheint: sie tut es wirklich), ist in Wahrheit und außerdem — gedacht, berechnet, hochintelligent, von ausgepichter Klugheit, so literarisch konzipiert, wie ihre Texte musikalisch konzipiert sind; Welt 17. 8. 1949 ja selbst die Erklärung der „Geysire" in Island, jener rätselhaften periodischen Springquellen vulkanischen Ursprungs, verdankt die wissenschaftliche Welt diesem rastlosen Forscher; Zeit 22. 2. 1985 die Unter-
wassergeysire sind mit schwefelhaltigen Mineralien gesättigt, weshalb sie im Licht der Tauchboote wie schwarze Rauchfahnen aussehen; Mannh. Morgen 11.9. 1989 Immer ein Staunen wert war auch der Geisir, der alle Viertelstunde zu Sprudeln und zu Spucken begann, ganz so wie in der Natur auch; taz 10. 5. 1991 Mit einem neuen Elektroofen will der einstige Arsen-Geysir Norddeutsche Affinerie den Schadstoff-Ausstoß drastisch senken; Salzb. Nachr. 14. 1. 1995 der Steamboat Geysir, der mit seiner über 100 Meter hohen Fontäne der weltweit größte Geysir ist; Tiroler Tagesztg. 31.1. 1996 Als Land der Schneegeysire [Schneekanonen] präsentiert sich seit Wochen die Pistenlandschaft des spanischen Weltmeisterschaftsortes Sierra Nevada; Frankf. Rundsch. 21.11.1997 Diese Frau lebt Musik. Und setzt sich . . ihr ganz eigenes, unerhörtes Poppuzzle zurecht. Sound-Geysire, die mal knarzig brodeln und ein anderes Mal — vor allem im Gänsehaut-Song „Bachelorette" — dramatische Fontänen spucken; Zeit 19. 5. 2004 Anders als auf Island oder Neuseeland, wo Erdhitze heiße Wasserfontänen aufsteigen lässt, steckt bei kalten Geysiren Kohlendioxid hinter dem Spektakel.
Ghetto, neben Getto N. (-(s); -s, auch G(h)etti), vereinzelt auch M., im frühen 17. Jh. entlehnt aus ital. ghetto, weitere Herkunft ungesichert (eventuell zu ital. getto '(Kanonen-)Gießerei', zu get(t)are '(Metalle) in Formen gießen', wegen der Nachbarschaft des ersten 1516 in Nordvenedig errichteten Judenviertels auf der Insel Geto Nuovo ('Neue Gießerei') zu einer Metallgießerei (nach der dieser Stadtteil schon vorher geheißen haben könnte), wo erstmals italienische Juden von Christen getrennt lebten; denkbar ist auch, dass ital. getto von italienischen Juden lautlich mit hebr. ghet 'Scheidung, Absonderung, Trennung' in Beziehung gesetzt wurde, was eine Entwicklung von getto zu ghetto erklären würde). a In der Bed. 'von den übrigen Vierteln der Stadt (durch Mauern, Zäune usw.) abgetrennter, abgesonderter, streng abgegrenzter Wohnbezirk, in dem die jüdische Bevölkerung isoliert von der übrigen Bevölkerung lebte, Judenviertel' (—> Quartier), anfangs v. a. als Bezeichnung für jüdische Stadtviertel in Italien, dann bes. während des Zweiten Weltkriegs mit Bezug auf die jüdische Bevölkerung im Baltikum und in Polen, die aufgrund der Segregation von den nationalsozialistischen Besatzungsbehörden in Ghettos genötigt wurde, für 'behördlich erzwungenes, zwangsweise eingerichtetes und räumlich beschränktes jüdisches Wohnviertel', vgl. bes. Warschauer, Prager Ghetto, selten bildlich verwendet (s. Belege 1834, 1837); in Syntagmen wie ein Ghetto einrichten, räumen, ins Ghetto treiben, verschicken, im Ghetto leben, meist als Bestimmungs-, seltener als Grundwort in Zss. wie Ghettodenkmal, -aufstand, -bewohner, -opfer, -ruinen, -räumung, -rnauer, -museum, -überlebende, -mahnmal; Judenghetto. b Seit früherem 19. Jh. allgemeiner verwendet für 'Stadtviertel, -teil einer Großstadt, in dem rassisch, sozial oder religiös diskriminierte, oft auch rechtlich einge-
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schränkte Minderheiten, Einwohner verschiedener Nationalitäten zusammenleben', häufig konnotiert mit „ausgeschlossen, ausgestoßen, abgeschieden, kontaktlos", auch übertragen als soziologischer Terminus zur Kennzeichnung der Randlage von (sozialen und ethnischen) Bevölkerungsgruppen, denen aufgrund ihrer persönlich und gesellschaftlich bedingten Lebens- und Wohnsituation (mit vorgegeben defizitären Gestaltungsmöglichkeiten der Lebensräume, sozialen Brennpunkten, Arbeitslosigkeit, Armut) eine Teilnahme am geistigen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Leben der Gesamtgesellschaft nicht möglich ist (s. Belege 1955, 1970, 1992.2, 2002; 2006.2), öfter mit Bezug auf die reißbrettartig angelegten oder wild wuchernden (Rand-)Siedlungen mit hohem Anteil afroamerikanischer oder hispanischer Bevölkerung in nordamerikanischen oder südafrikanischen Großstädten (s. Belege 1986, 2006.1, —* Slum, vgl. Township); als Grund- und Bestimmungswort in (meist pejorativen) Zss. wie Großstadt-, Vorstadt-, Sozial-, Plattenbau-, Hochhaus-, Schwarzen-, Moslem-, Flüchtlings-, Immigranten-, Ausländerghetto; Ghettobildung, -charakter, -kids, -kultur, -roman, -girl, -szene, -spräche, und v. a. mit der Entwicklung einer eigenen romantisierenden (Musik-) Kultur (-szene) aus engl. ghetto blaster (aus ghetto in der Bed. 'Wohnviertel bes. der farbigen Minderheiten in Großstädten' und blast 'Krach, laute Musik machen') übernommenes Ghettoblaster M. (-s; -) 'großer, bes. leistungsstarker tragbarer Radiorekorder'; daneben auch ausgedehnt auf 'Areal in Innen- oder Außenbezirken von Großstädten, dessen Bebauung und (zeitlich begrenzte) Raumnutzung einseitig funktionsorientiert ist (z. B. Verwaltung, Handel), Gewerbe-, Industriegebiet, Geschäfts-, Einkaufszone o. Ä.' (s. Belege 1985, 1992.1), auch 'einer privilegierten Bevölkerungsschicht vorbehaltenes, (gegen den Mob) abgeschottetes, exklusives Wohnviertel, Villengegend; noble Freizeit-, Ferienanlage' (s. Beleg 1990), in Wendungen wie die Ghettos der Reichen; Ferien-, Freizeit-, Promi-, Nobel-, Altenghetto; dazu die adj. Ableitung g(h)ettoartig 'abgesondert, isoliert, in Art und Weise eines Gettos', häufig in Syntagmen wie ghettoartig absondern, umzäunen, ghettoartige Stimmung, Situation, Verhältnisse, Siedlung, ghettoartiges Stadtviertel. c Seit Anfang 20. Jh. bildlich und abwertend verwendet für 'bestimmter (z. B. sozialer, wirtschaftlicher) geistiger oder seelischer Bereich oder Rahmen, dem man nicht entkommen kann; geistige Abgeschlossenheit, Zurückgezogenheit, Eingeengt-, Eingeschlossen-Agekapseltsein; (lebensferne) Nische, Ecke, Winkel' (—* Isolation, —> Vakuum), in Wendungen wie ein intellektuelles, wissenschaftliches, inneres, konfessionelles Ghetto, die Partei blieb gefangen im Ghetto ihrer Weltanschauungen, wie tief die Partei noch im Ghetto des alten Ost-Berlin steckt, die Psychiatrie aus dem Ghetto der Schulmedizin befreien, aus dem häuslichen Ghetto der Familie herauskommen, und als Grundwort in Zss. wie Homo-, Kunst-, Luxus-, Machtghetto. Dazu seit den 70er Jahren des 20. Jhs. die verbale Ableitung g(h)ettoisieren V. trans, in der historisierenden Bed. 'die Juden in ein Ghetto bringen, sie zwingen, dort zu leben' (zu a), gleichzeitig bildungsspr. abwertend verwendet für 'jmdn. (Einzelpersonen oder Gruppen) abschotten, ausgrenzen, isolieren, von sich/etwas fernhalten, zu einem Ghetto machen; jmdn. in ein bestimmtes (Wohn-)Gebiet bringen, verbannen' (vgl. internieren] (zu b), 'eine Idee, eine Bewegung zwangsweise isolieren, einordnen, von jmdm. fernhalten, nur in bestimmtem Kontext zulassen', vereinzelt in der Präfixbildung entg(h)ettoisieren (zu c); bereits seit früherem 20. Jh. das Verbalsubst. G(h)ettoisierung F. (-; -en) 'die Errichtung von abgesonderten, eingezäunten Stadttei-
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len und die zwangsweise Verschickung von Juden dahin' (zu a), in jüngster Zeit bildungsspr. abwertend 'gezielte Ausgrenzung, Isolation bestimmter Bevölkerungsgruppen und Funktionsbereiche, deren Konzentration auf einen relativ abgegrenzten Bezirk, z.B. durch urbane Baumaßnahmen', in Wendungen wie innerstaatliche, soziale, urbane G(h)ettoisierung und bes. in den Präfixbildungen Ver-, Entg(h)ettoisierung, als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Selbst-, Zwangsg(h)ettoisierung; G(h)ettoisierungsfaktoren, -politik, -tendenz, -prozess (zu b) sowie auf Ideen o. Ä. bezogen 'Abkapselung, Einengung, Vereinsamung, Isolierung', in Syntagmen wie politische, mediale G(h)ettoisierung und vereinzelt in der Präfixbildung Entg(h)ettoisierung (zu c). G(h)etto a: Furttenbach 1627 Itinerar. Italiae 145 In Ancona haben die Juden enen eygnen Getto oder eingemauerten Ort, darinnen bey 1500 Seelen jhr Wohnung haben; Zeiller 1643 Episteln H 463 Zu Ancona der Juden Getto oder Städtlein; Wagenseil 1699 Jüd.-Teutsche Red- u. Schreibart ]2a [in einer Übersetzung eines italienischen Briefes] des Ghetto (oder Wohnplatzes der Juden); Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) l 402 Den Juden [zu Florenz] ist vom Cosmo I. ein eigenes Quartier oder Ghetto an einem Orte, woselbst vorher viele lüderliche und schändliche Häuser waren, angewiesen worden. Die über dem Eingange dieser Strasse befindliche Inschrift meldet, dass man für rathsamer erachtet, die Juden zwar abgesondert, jedoch in der Nachbarschaft der Christen zu lassen, damit sie durch gutes Exempel zum sanften Joche Christi möchten angelocket werden, als dass man sie gänzlich hätte verjagen sollen; Zedler 1735 Universallex. X 1350 Getto degli Ebrei, also heist das Quartier in der Stadt Rom und Venedig, wo die Juden wohnen. Es bestehet dasselbe aus verschiedenen unflätigen Gäßgen, und so bald es dunckel, darf sich kein Jude ausser denenselben betreten lassen; Büsching 1779 Jüd. Religion 243 Zu Rom . . seit Papst Paul IV. . . in einem abgesonderten und eingeschlossenen Platz (il Ghetto) beysammen wohnen [die Juden]; Weinlig 1784 Rom II 19 bey dem Ghetto, oder dem Bezirk, wo die Juden beysammen wohnen; Goethe vor 1795 Vorbereitg. zur 2. Reise nach Italien (WA I 34.2,230) Aenlichkeit des alten Roms mit einer Judenstadt (Ghetto), enge Straßen, hohe Häuser, über einander gedrängte Bevölkerung; Rehfues 1809 Br. a. Italien I 405 der Ghetto (das Judenquartier]; Heine 1834 Geschichte d. Religion u. Philosophie (W. u. Br. V 208) Wie ein Gespenst, das einen Schatz bewacht, der ihm einst im Leben anvertraut worden, so saß dieses gemordete Volk, dieses Volk-Gespenst, in seinen dunklen Gettos und bewahrte dort die hebräische Bibel; und in diese verrufenen Schlupfwinkel sah man die deutschen Gelehrten heimlich hinabsteigen, um den Schatz zu heben, um die Kenntnis der hebräischen Sprache zu erwerben (DiBi
125); Borne 1837 Menzel d. Franzosenfresser (S. Sehr. III 889) was könnte ich meinen alten Feinden denn noch antun? Sind sie jetzt nicht meine Glaubensgenossen und Leidensbrüder? Ist nicht Deutschland der Ghetto Europas? Tragen nicht alle Deutschen einen gelben Lappen am Hute? (DiBi 125); 1848 Grenzboten 1.2,200 der Ghettozwang, den der Papst in Rom abschafft, soll in Prag verschärft werden!; Allg. Ztg. d. Judenthums 3. 7. 1848 Waren die Slaven in ein Ghetto gesperrt, oder die Juden?; Kompert 1860 Spitz (Ges. Sehr. VII 40) Hatte der Mann . . es wohl bedacht, daß seit jener Stunde — eine arme Mutter in einem stillen böhmischen Ghetto jede Nacht mit der qualvollsten Schlaflosigkeit rang?; Rasch 1863 London 1100 der Ghetto zu Rom; Andree 1874 Wanderstudien 16 das Winkelwerk des Prager Ghetto; Friesen 1880 Erinn. I 391 in der Nähe des Ghetto [in Rom]; Dohtn 1899 Schicksale einer Seele 338 Die Hinterhäuser des Ghetto gehen auf den Fluß hinaus. Ich kann nicht ohne Schaudern an das Ghetto denken. Man sagt, es soll niedergerissen werden. Noch steht es, ein schauerliches Denkmal menschlicher Unmenschlichkeit; Rilke 1900 Geschichten v. lieben Gott (S. W. IV 341) die Venezianer selbst waren von viel zu verwandtem Geiste, als daß sie, wie andere Völker, die Juden für den Handel gebraucht hätten, sie quälten sie mit Abgaben, beraubten sie ihrer Güter, und beschränkten immer mehr das Gebiet des Ghetto, so daß die Familien . . gezwungen waren, ihre Häuser aufwärts, eines auf das Dach des anderen zu bauen (DiBi 125); 1910—11 Literar. Echo 366 des newyorker Ghetto; Bartels 1916 Romane 45 In das alte Prag, sein Ghetto, führt der jüngst zu großem Erfolg gelangte virtuose Roman „Der Golem" von Gustav Meyrink; 1922 Deutschlands Erneuerung 589 Falsch verstandene Menschlichkeit hat das deutsche Volk veranlaßt, dem Judenvolk nach der Aufhebung des Ghettos volle Gleichberechtigung auf deutschem Boden zu geben; Klemperer 1926 Tagebücher 294 90 % aller Besucher u. Handel- u. Gewerbetreibenden hier ist aus Berlin, vielleicht auch 99 %. 60% davon dürften Juden sein. Heringsdorf ist jetzt
Ghetto wohl erklärtes Ostseeghetto. Bansin die elegante Deutschnationale Hochburg, Ahlbeck das große mehr proletarische Bad; Scheler 1929 Weltansch. 124 In dem seltsam bunten, schmutzigen, orientalisch anmutenden Ghetto Amsterdams; Münch. N. N. 2. 4. 1941 In unmittelbarer Nähe des Hotel de Ville beginnt die Pariser Stadtverwaltung das Ghetto abzureißen; Singer 1943 Gettotag 167 Das Getto wurde im Laufe der Zeit zu einem regelrechten Arbeitslager; Fraenkel 1957 Staat 142 Die im Mittelalter in Europa weit verbreitete Übung der Juden, sich in geschlossenen Gettos anzusiedeln, wurde in der Periode des Absolutismus zwangsweise in der Mehrzahl der Staaten durchgeführt (DUDEN 1999); Fischer 1969 Wohnungen 13 der Religionslehrer Salomo aus dem mährischen Getto (DUDEN 1999); FAZ 28. 1. 1971 Ermittlungen über die Nazi-Massaker im früheren Warschauer Getto; Zeit 10.5.1985 das israelische Theaterstück spielt im jüdischen Ghetto im litauischen Wilna, in dem während der deutschen Besetzung über 70000 Juden im Zweiten Weltkrieg umgekommen sind; taz 3. 5. 1989 Der erste handelt von dem jüdischen Ghettoarzt Dr. Janusz Korczak, der in Auschwitz ermordet wurde; Mannh. Morgen 23. 5. 2003 die Deportation der Überlebenden des Ghetto-Aufstandes in die Vernichtungslager Treblinka und Majdanek. g(h)ettoartig: Kafka 1919 Prosa a. a. Nachlaß (Ges. W. VII 199) Du hattest aus der kleinen ghettoartigen Dorfgemeinde wirklich noch etwas Judentum mitgebracht, es war nicht viel und verlor sich noch ein wenig in der Stadt und beim Militär (DiBi 125). g(h)ettoisieren: Adler 1974 D. verwaltete Mensch: Studien z. Deportation d. Juden aus Deutschland 431 Durchsuchungen von Personen und Gepäck sowie der Wegnahme der Personalpapiere bis auf einen den Inhaber als „Evakuierten" oder „Ghettoisierten" ausweisenden Personalausweis; taz 25. 2. 1991 Die Judenviertel der niederländischen Städte, darunter der Amsterdamer „Jordaan", wurden systematisch abgeriegelt, 40.000 Juden ghettoisiert; ebd. 23. 9. 1994 Im August 1943 erheben sich die ghettoisierten Jüdinnen und Juden des polnischen Bialystok gegen die deutschen Besatzerinnen; ebd. 15. 1. 1998 In Theresienstadt nämlich, das den europäischen Juden, dem Ausland und dem Theresienstadt inspizierenden Internationalen Komitee des Roten Kreuzes als „jüdisches Siedlungsgebiet" vorgestellt wurde, herrschten tatsächlich besondere Bedingungen: In keinem anderen Ghetto konnten die Ghettoisierten in ähnlichem Maße einer kulturellen Produktion nachgehen; Berl. Ztg. 9.8. 2001 Die Vorsitzenden hatten an der
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Zusammenstellung der Listen für die Deportationen mitzuwirken und dafür zu sorgen, dass sich bei den Gettoisierten ein Rest von Hoffnung hielt. entg(h)ettoisieren: Marcuse 1932 Heinrich Heine: Ein Leben zw. Gestern u. Morgen o. S. Die jüdische Reformbewegung, der Versuch dem entghettoisierten Juden einen neuen Lebensinhalt zu geben, scheiterte. G(h)ettoisierung: Klemperer 1936 Tagebücher 279 Ich fragte Ellen Wengler, die uns besuchte, ob sie die Hypothek auf das Haus erhöhen wolle, damit es sicher an sie falle, wenn nach der Olympiade Ghettoisierung eingeführt werde; ders. 1946 LTi o. S. Jetzt erst war die Gettoisierung eine vollkommene; vorher tauchte das Wort Getto nur auf, wo auf Briefstempeln etwa „Getto Litzmannstadt" zu lesen stand, es war dem eroberten Ausland vorbehalten; Stuttgarter Ztg. 13.5.1964 „Ghettoisierung" und Deportation von Juden nach Auschwitz; taz 11. 11.1988 Die eindrucksvollen Dokumente . . zeigen . . nicht nur diskriminierende Gesetze und Regelungen, sondern auch die schleichende und offene Ausgrenzung und Gettoisierung der Juden; Salzb. Nachr 18.1.1992 Die erste Welle der Deportation vornehmlich österreichischer und tschechischer Juden rollte schon vier Monate später nach Polen. Die systematische Gettoisierung im Generalgouvernement setzte ein; Zeit 14.2. 1997 Reinhard Heydrich, oberster Judenverfolger und zugleich Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, ordnete die Ghettoisierung aller jüdischen Bewohner an; Berl. Ztg. 16. 9. 2002 Horthy, der zunächst die Ghettoisierung und den Judenstern akzeptiert hatte, stoppte im Juli 1944 die Deportation der Budapester Juden nach Deutschland. G(h)etto b: Borne vor 1837 Menzel (IV 49) Ist nicht Deutschland der Ghetto Europas? Tragen nicht alle Deutsche einen gelben Lappen am Hute?; Jost 1857 Judenthum l 81 enge, schmutzige, zum Theil wüste Gassen .., die den Ghetto der Griechen bilden; vor 1871 Magazin d. Auslands XXXIV 403a Die unglücklichen Urbewohner [Südamerikas] wurden in abgesonderten Getto's wie eingesperrte Sklaven gehalten (SANDERS 1871); Fontäne 1898 Zwanzig 620 Wenn an die Stelle von engen Ghetto-Gassen ein Square mit Springbrunnen tritt; Süddtsch. Ztg. 21. 5. 1951 die moralische Verantwortung der Westmächte für das Potsdamer Abkommen, durch das Deutschland auf Wunsch des Ostens zu einem „Ghetto des Elends" werden sollte; ebd. 18. 8. 1951 Es [das Hochhaus] ist die bauliche Krönung des sogenannten „Beamtenghettos", ein Junggesellenhaus, das über 100 Einspän-
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Ghetto
ner aufnehmen soll; ebd. 15. 9. 1955 Abkapselung [der Fremdarbeiter und Gastarbeiter] in „Ghettos"; FAZ 27. 10. 1970 Dennoch bleiben sie [die Gastarbeiter in Deutschland] ausgeschlossen, werden in Gettos gehalten, sind rechte Geldkühe für skrupellose Vermieter; Zeit 26.4. 1985 es bedarf keiner Wiederholung üblicher mehr oder weniger öder Industriezonen, Verwaltungs- und Wissenschaftsgettos, die um 16 Uhr fluchtartig verlassen werden; ebd. 15. 8. 1986 In einem Theater in Johannesburg läuft ein Stück, das den Alltag im schwarzen Ghetto von Sophiatown zu Beginn der fünfziger Jahre zeigt und daran erinnert, wie sehr die Schwarzen Südafrikas damals noch in Amerika ihr Modell sahen; taz 14. 7. 1989 Noch vor einigen Wochen hatten die Genossen von Fraktion bis Parteivorstand heftig gegen „die menschenunwürdige Ghettobildung" protestiert; ebd. 8. 12. 1990 Vom Abzweig Pankow, wo der Autobahnring einige Kilometer lang Stadtgebiet durchquert, ist es nicht weit nach Wandlitz, jenem im Wald versteckten Promi-Ghetto des Politbüros; taz 25.3.1992 In Bonn lebten Bund und Stadt völlig nebenher, das Parlament befinde sich im Getto. Dies empfänden die Parlamentarier als Mangel und wollten sich deshalb in Berlin zur Mitte, zu den Bürgern hinwenden; ebd. 2. 5. 1992 Geflohen aus dem Getto ihrer Kinderzimmcr, vom umtosenden Verkehr und grünen Zäunen in Schach gehalten, finden sie sich auf zugewiesenen Spielplatzparzellen wieder . . Ihr gestauter Bewegungsdrang kulminiert in Störungen, in Aggressivität und sonstigen Symptomen . . Folgen von Zivilisation, von urban-betoniertem und versiegeltem Leben; Zeit 24. 10. 1997 Im Stadtteil Lößnig etwa, einem Plattenbaughetto, entsteht gerade ein komplettes Naherholungsgebiet; taz 23. 9. 1999 ein trostloses Hochhausghetto in Hamburgs Süden; ebd. 17. 12. 2002 Das neue Stadtquartier solle eine Alternative zum Bauen im Speckgürtel bieten und sich deutlich von der „ghettoähnlichen Bebauung Lichtenbergs" unterscheiden; Süddtsch. Ztg. 20./2l. 3. 2004 In diesem Reisebericht geht es aber nicht nur um die Ghettos der Roma; Butterivegge/Hentges (Hrsg.) 2006 Massenmedien, Migration u. Integration (Interkulturelle Studien 28) Geht es so weiter wie bisher, dann werden aus Städten wie Berlin, München, Frankfurt, Köln, Stuttgart und Solingen-Remscheid Super-Marseilles, dann bekommt die Bundesrepublik „amerikanische Zustände mit Gettos und Subproletariat und die Frontstellung privilgierter Einheimischer und ausgebeuteter fremdländischer Kulis"; Berl. Ztg. 5. 12. 2006 Knapp 200 000 Alben hat er von seinem Debüt verkauft. Es beförderte nicht nur das Märkische Viertel, eine Hochhaussiedlung in Reinickendorf, zum Brooklyn des deut-
schen Raps. Es brachte außerdem die für viele überraschende Botschaft, dass die jugendlichen Insassen der sozial schwachen Wohnprojekte ihre Gegend als Ghetto betrachten. g(h)ettoartig: taz 25.9.1986 Eine Hauptaufgabe der bis Tschernobyl von der Öffentlichkeit wenig zur Kenntnis genommenen UNO-Behörde, deren Hauptsitz in der ghettoartigen UNO-City auf der Wiener Donau-Insel liegt, ist die Überwachung des Atomwaffensperrvertrages; Frankf. Rundsch. 27. 2. 1997 die Trabantenstadt Fahrenheide — eine gettoartige Betonsiedlung für Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Ausländer, die an den sozialen Barrieren der deutschen Gesellschaft gescheitert sind; ebd. 29. 1. 1999 Schließlich soll das Haus laut Terweiden keine „ghettoartige Leprastation am Rande der Stadt", sondern eine „offene Begegnungsstätte" sein.
g(h)ettoisieren: Richter 1976 Flüchten 118 dass z. B. charakteristischerweise in Gesellschaften mit totalitären Ideologien eher die Andersdenkenden, in kapitalistischen Ländern eher die Armen gettoisiert werden (DUDEN 1999); taz 15.6.1987 Kreuzberg wird durch solche Maßnahmen endgültig ghettoisiert; ebd. 6. 3. 1989 kasernierte, ghettoisierte Polizisten; Zeit 29. 12. 1995 ghettoisierte Ausländer in Containerdörfern; Berl. Ztg. 7.8. 2000 In der DDR lebten eine halbe Million sowjetische Soldaten und viele vietnamesische Vertragsarbeiter. Die wurden ghettoisiert und abgeschottet; taz. 23. 3. 2002 Vielleicht leben sie in einem ghettoisierten Wohnblock, in so einer Schuhschachtel, wie eins von fünf Millionen Hühnern in einer Farm. G(h)ettoisierung: taz 16.5. 1987 als der Stadtteil durch Spekulanten, Bauverwaltung, Abschreibeprojekte, Gettoisierung der Türken auf den Weg in Richtung der Bronx von Berlin gedrückt wurde; Salzb. Nachr. 14. 4. 1993 daß frei werdende oder neu gebaute Gemeindewohnungen auch an Ausländer vergeben werden können, um eine Ghettoisierung in manchen Stadtteilen zu verhindern; taz 4. 5. 1995 Gerade die enge Nachbarschaft zu den übrigen Mietern der Wohnanlage könne sich positiv auswirken und einer „Ghettoisierung von Obdachlosen" entgegenwirken; Mannh. Morgen 4. 6. 2003 Die „Emma"-Herausgeberin wetterte dieser Tage gegen „falsch verstandene Toleranz" und warnte vor der „Gettoisierung" hiesiger Muslime.
Ghetto Entg(h)ettoisierung: taz 14. 1. 1992 Der Trend zur Entghettoisierung wurde offenbar aber durch den Fall der Mauer unterbrochen.; ebd. 28. 6. 1996 Zur Entghettoisierung der Botschaften und ihrer Bewohner indessen gehört mehr als eine geschickte Verteilung im Stadtgrundriß; Mannh. Morgen 8. 9. 2000 Forderungen beispielsweise des Flüchtlingsbeauftragten der Diakonie . . nach einer „Entgettoisierung der Ausländer" — Unterbringung in Einzelwohnungen statt in Sammelunterkünften — wurden laut. Verg(h)ettoisierung: Berl. Ztg. 29. 4. 2002 radikale Versprechungen zum schnellen Stopp der „Verghettoisierung" der Vororte. G(h)etto c: 3909 Stimmen d. Zeit LXXV11 368 literarisches Ghetto für die deutschen Katholiken; Scheler 1917 Deutschenhaß 127 des „inneren Ghettos"; Voss. Zig. 22. 9. 1929 Wir westdeutschen Juden kranken nicht am „inneren Ghetto"!; Süddtsch. Ztg. 23. 10. 1948 daß die „Ghetto-Stellung der theologischen Fakultäten" und die „Isolierung der Insassen theologischer Seminare" zugunsten einer aktiven Beteiligung am Universitätslcben aufgegeben wird; Neue Ztg. 14. 9. 1952 Es war einer der Grundgedanken von Alpbach, daß nicht nur jedes einzelne Volk, sondern ganz Europa geistig und dadurch im weiteren Verlauf auch physisch zugrunde gehen müsse, wenn es nicht gelänge, die Gettos weltanschaulicher, konfessioneller und parteipolitischer Natur zu durchbrechen; Süddtsch. Ztg. 23. 7. 1955 „konfessionellem Ghetto"; Thielicke 1965 Ich glaube 248 es mag Leute geben, die zu ihm [Christus] beten; aber bleibt das nicht auf das Getto des Seelenlebens beschränkt? (DUDEN 1999); Mannh. Morgen 21. 8. 1969 wenn die wirtschaftlichen Beziehungen des Landes noch stärker . . aus dem osteuropäischen Getto ausbrechen (DUDEN 1999); ebd. 5.3.1974 Der sonst im Getto der 30 Prozent gefangenen CDU gelang . . ein befreiender Sprung nach vorn (DUDEN 1999); Müller 1979 Fremdwort 67 Das Fremdwörterbuch ist also kein Getto mehr für unerwünschte Wörter; Zeit 13. 9. 1985 Auf der Linken wird die Kommunistische Partei zusehends an den Rand gedrängt, soweit sie sich nicht schon aus eigenem Antrieb in ihrem immer engeren Getto abkapselt; ebd. 21. 6. 1985 Einer grünen Partei, die mit ihrer Politik nur noch die Psychobedürfnisse der jeweiligen Szene reflektiert, ist der Weg zurück ins Getto linker Milieuparteien vorgezeichnet; ebd. 21. 3. 1986 Literatur für Jugendliche durch gekonnte Selektion anzubieten und auf diese Weise das Ghetto der Jugendliteratur zu öffnen; Berl. Ztg. 26. 5. 2003
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Das Märchen als Ghetto der Unwahrheit soll das Kind von klein auf lehren, dass die Lüge einen festen Ort und eine feste Zeit hat. g(h)ettoisieren: taz 28. 1. 1987 Rita Süssmuth sieht die Frauenfrage in einem Frauenministerium „ghettoisiert"; ebd. 9. 5. 1996 Das Internationale Kultur-Atelier ist eine Neugründung von linken Türken, die in Hamburg leben und nun versuchen, einen Kulturaustausch zu organisieren, der weder als Heimatabend noch als Exotik-Veranstaltung ghettoisiert werden kann; Züricher Tagesanz. 13. 10. 1997 die sture Parteimoral, welche Andersdenkende ghettoisiert; taz 14. 4. 2000 Unter der konservativen Regierung war die KP regelrecht ghettoisiert, doch mit der Machtübernahme der Sozialdemokraten im Jahre 1998 änderten sich die Spielregeln. G(h)ettoisierung: taz 29.11.1986 Die Szene hat ihre eigenen Umgangsformen entwickelt und fühlt sich wohl damit. Das ist allerdings auch ein Stück Ghettoisierung; ebd. 11. 10. 1991 Es ist für mich keine Gettoisierung, wenn die taz das Außenseiterblatt mit ausgezeichneter (Hintergrund-)Berichterstattung bleibt oder vielmehr dorthin zurückfindet; Frankf. Rundsch. 25. 9. 1999 literaturpolitischer deutscher Parzellierungswahn mit freiwilliger Selbstgettoisierung im Hickhack um private Marktanteile; Berl. Morgenpost 1.11.1999 das Ende der Gettoisierung der Fotografie im Bereich der Bildenden Kunst; Berl. Ztg. 25. 9. 2002 MongoMboussa bekämpft die von einigen propagierte Ghettoisierung der afrikanischen Literatur; taz 25. 11. 2002 Das Ziel war es, eine Gesellschaft mit „zwei Geschwindigkeiten" zu überwinden und die ethnische Ghettoisierung zu verhindern. entg(h)ettoisieren: taz 25. 6. 1999 Afroamerikanistik ist kein Kult wie die Freimaurerstudien mit ihren geheimen Logen . . — es ist ein Fach, das jeder, der intelligent ist, studieren kann. Es ist entghettoisiert worden, es ist internationalisiert und offen für alle. Entg(h)ettoisierung: Züricher Tagesanz. 7. 5. 1997 Mit blossem Facelifting hat sich der Neuauftritt aber nicht. So wurde der Wirtschaftsbund mit dem Ziel der „Entghettoisierung" aufgelöst. Wirtschaftsthemen werden neu in die Ausland- oder Inlandseiten integriert; taz 10. 9. 2001 Schiedsrichter Rainer Luft spricht dagegen von einer „Ent-Ghettoisierung" des Behindertensports.
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Ghostwriter
Ghostwriter M. (-s; -), auch Ghostwriterin F. (-; -nen), Mitte 20. Jh. übernommen aus gleichbed. engl. ghost-writer, eigentlich 'Geisterschreiber' (zu ghost 'Geist' und to write 'schreiben'), selten dafür auch die Lehnübersetzung Geist(er)schreiher; auch in den Schreibungen Ghost-Writer, ghost-writer, Ghost writer, ghostwriter. Bildungsspr. für 'Autor, der für eine andere Person, meist eine bekannte Persönlichkeit, bes. einen Politiker, Beiträge, politische Reden, Sachbücher, Lebenserinnerungen schreibt und nicht als Verfasser genannt wird', in Wendungen wie er lässt sich seine Memoiren von einem Ghostwriter schreiben, das Buch stammt aus der Feder eines Ghostwriters, selten auch übertragen verwendet (s. Beleg 1993). Dazu in jüngster Zeit die verbale Ableitung ghostwrite(r)n V. (in)trans. 'in jmds. Auftrag (und unter seinem Namen) etwas schreiben' sowie die subst. Ableitungen Ghostwriterschaft F. (-; ohne Pl.) und aus gleichbed. engl. ghost-writing entlehntes Ghostwriting N. (-s; ohne PL). Ghostwriter/-in: Süddtsch. Ztg. 5. 1. 1954 Ein Stab von „Ghostwritern" wird nach amerikanischer Manier . . die Lebensbeschreibung zusammenstellen; Erlanger Tagebl. 26. 6. 1961 Gibt es in Bonn, wie man sie in Amerika kennt, sogenannte „Ghostwriter" (Geisterschreiber), also ungenannte Leute, die für andere, besonders für Politiker, Reden verfassen?; FAZ 20. 1.1971 Müssen die „Ghostwriter", die für Prinz Bernhard Redetexte entwerfen, unbekannt bleiben und deshalb auch keine Steuern für ihre Tätigkeit zahlen?; ebd. 25. 9. 1982 GhostWriter schreiben für Sie Gedichte, Ansprachen, Vorträge für alle Anlässe, Fachbücher, Romane, Memoiren, Familienchroniken, Kurzgeschichten usw., Veröffentlichungen möglich (AWB); taz 4.11.1993 Beim Gentechnik-Gesetz von 1990 war die Industrie bereits Ghostwriterin gewesen; Berl. Ztg. 31. 3. 2001 Die Erinnerungen sollte eigentlich eine Ghostwriterin in die passende Form bringen; Süddtsch. Ztg. 20./21.3.2004 Fortan sitzt er nächtens hinter dem Steuer und tagsüber am PC — als freier Autor und Ghostwriter. ghostwrite(r)n: taz 28. 4. 1992 Die müden Kalauer hatte er sich von einem Humor-Profi namens Fred König ghostwriten lassen; ebd. 19. 12. 1994 wenn Ihr Heft künftig Starköche ghostwritern muß, dann doch bitte kompetenzmedienmäßig, ja?; Berl. Ztg. 30. 6. 1998 Er ghostwritet das Stück zu aller
Zufriedenheit neu; taz 17. 11. 2005 Nena ist nicht allein, neben ihr eine Pressefrau des Verlags, in dem ihr Buch erschienen ist — und „die Claudia", die ghostwritende Autorin. Ghostwriterschaft: taz 5. 10. 1987 Die Ghostwriterschaft des Wallraff-Buches „Der Aufmacher" reklamiert Gremliza für sich selbst; Neue KronenZtg. 3. 8. 1998 ein Bekannter verdächtigte seine Frau der Ghostwriterschaft für meine Kolumne. Ghostwriting: Welt 2.8. 1980 Ghostwriting (AWB); taz 29. 9. 1989 Texte, die er [H. P. Lovecraft] für andere Autoren bearbeitet hat, beziehungsweise die sein Nachlaßverwalter August Derleth posthum „vollendet" hat. Der Band „Das Grauen im Museum" hatte bereits die eigenwilligeren Produkte dieses Ghostwriting vorgestellt; ebd. 12. 3. 1993 Die des „Ghostwriting«" beschuldigte Steb besinnt sich zur Zeit darauf, daß es ihre Aufgabe ist, Abgeordneten-Anfragen zu beantworten statt sie selbst zu erstellen; Frankf. Ritndsch. 25. 2. 1998 Vieles, was Jürgen Dormann &C Co. öffentlich reden, stammt aus der Feder Müllers, Ghostwriting heißt das in der Publizistik; Berl. Ztg. 25. 3. 2002 Otto Gantert von der Denkfabrik 2000, die sich auf akademisches Ghostwriting spezialisiert hat und dafür sogar mehrere Hochschulprofessoren beschäftigt.
Gigant M. (-en; -en), selten auch Gigantin F. (-; -nen), im späteren 9. Jh. vereinzelt, seit späterem 12. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus (flekt. Form von) lat. g/gas/griech. yiyag 'Riese' (in der griech. Mythologie der Name eines Geschlechts von 24 schlangenfüßigen, für unbesiegbar gehaltenen Riesen, geboren — wie die älteren, im Gegensatz zu ihnen unsterblichen Titanen — von der Erdgöttin Gaia und von ihr zum Aufstand gegen die olympischen Götter aufgestachelt, von diesen unter Mithilfe des Herakles in gewaltigem Kampf besiegt und getötet; gleich-
Gigant
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bed. (und eventuell etymologisch verw.) mit 'Erdgeborener'; vgl. ital. gigante, frz. geant, engl. giant), früher auch in den Schreibungen gygant, gigant, gigand und in lat. (flekt.) Form. a Zunächst in der Bed. 'nichtmenschliches Wesen von enormer Körpergröße (und/ oder -kraft)', schon früh und vereinzelt bis ins 15. Jh. bezogen auf Christus als siegreichen Bezwinger des Teufels für 'übermenschlicher, unüberwindlicher Streiter' (s. Belege 863 — 71, um 1300), daneben gelegentlich auch mit negativer Wertung in der Bed. 'Zyklop' (s. Beleg 12. Jh.) oder für 'Angehöriger des übermütigen, Gott herausfordernden biblischen Geschlechts der Erbauer des Turms von Babel' (Genesis 11,1 — 9; in der Vulgata als gigantes bezeichnet Genesis 6,4) und 'tollkühner Gotteslästerer, Frevler' (s. Belege um 1060, um 1150, 1522, 1554); seit Mitte 12. Jh. allgemeiner mit Bezug auf die fabelhaften Gestalten der ritterlichen Abenteuerdichtung und der Volkssage in der Bed. 'märchenhaftes (meist feindliches) Wesen von riesigem Wuchs, riesiges Fabelwesen, Ungeheuer, Riese, Hüne' (s. Belege 1140—50, um 1170, um 1180, um 1194, Ende 13./Anfang 14. Jh., 14. Jh., 1575, 1601, 1789, 1795, 1803, 1839), in Wendungen wie ein starker, langer, schnarchender, schwarzer Gigant, die Bosheit der Giganten und Zss. wie Gigantenkrieg, -schritt; seit Anfang 17. Jh. in der erweiterten Bed. 'Mensch von sehr großem Wuchs oder von großer körperlicher Stärke, riesiger, hünenhafter Mensch' (—>· Goliath, —»· Koloss; s. Belege 1606, 1826 — 27), dann auch übertragen auf riesige Gegenstände, Maschinen, Gebäude, Tiere, Pflanzen, Berge, Himmelskörper ('normaler Riesenstern der Leuchtkraftklasse in der Fachsprache der Astronomie) u.a. (vgl. Mammut-; s. Belege 1848 — 76, 1931, 1935, 2001), in Wendungen wie Giganten der Landstraße 'große Lastwagen' (vgl. b), Gigant der Wolken 'Luftschiff und Zss. wie Gigantendom, -ei, -kuppel, -PC, -säule, -schwan, -Stadion, -Stadt, -türm, -zahn; Baum-, Berg-, Flugzeug-, Luftgigant, schließlich auch auf bevölkerungsreiche oder wirtschaftsstarke Länder, die militärischen Supermächte, in neuerer Zeit bes. auf marktbeherrschende Firmen, Banken, Gesellschaften (s. Belege 1944, 1954, 1966, 1985, 1993, 2007), in Wendungen wie ein schlafender, erwachter Gigant, Giganten der Fleet Street, der westdeutschen Elektroindustrie und Zss. wie Gigantenduell, -ringen; Atom(strom)-, Auto-, Bier-, Branchen-, Chemie-, Computer-, Elektronik-, Energie-, Finanz-, Handels-, Industrie-, Medien-, Pharma-, Software-, Strom-, Versicherungs-, Wirtschaftsgigant, b Seit frühem 16. Jh. mit direktem (humanistischem) Rückbezug auf die antike Mythologie für 'riesenhafter Sohn der Gaia, Feind der olympischen Götter', auch 'künstlerische Darstellung, Statue eines Giganten' (s. Beleg 1914), oft (im 18. Jh. auch mit positiver Wertung) konnotiert mit „wild, stolz, rebellisch, freiheitsliebend, unbezähmbar, das Schicksal herausfordernd, Unmögliches versuchend, maßlos, tollkühn, übermütig, wütend" (s. Belege 1829, 1847; in bildlicher Verwendung 1863), in Wendungen wie die himmelstürmenden, wütenden Giganten und Zss. wie Gigantenarbeit, -arm, -brut, -geist, -geschlecht, -kämpf, -kraft, -krieg, -mauer, -schlacht, -stürz, gelegentlich auch gleichbed. (verwechselt?) mit Zyklop und —» Titan 1 ; seit späterem 18. Jh. übertragen auf Menschen von besonderer intellektueller oder künstlerischer Begabung (mit der sie wie die mythischen Giganten die Unsterblichkeit des Olymp erstreben, „nach den Sternen greifen") und von höchstem gesellschaftlichem Ansehen für 'hervorragende, begnadete, hochtalentierte Person, bewundernswerte, berühmte Persönlichkeit, großer, bedeutender Mensch, herausragender Künstler, Schriftsteller, Gelehrter, Politiker, Feldherr, Sportler, Manager, Geis-
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Gigant
tesriese, Riesentalent' (—> Titan l, —* Genie 2, —» Koryphäe, —> Maestro, —»· Star, -» Virtuose, vgl. (Groß-)Meister, Halbgott; s. Belege 1775, 1899, 1915, 1924, 1947, 1950, 1964, 1988, 1993, 2003), in Wendungen wie Giganten des Klaviers 'Klaviervirtuosen', Giganten der Landstraße 'Radrennfahrer' (vgl. a), Kampf der Gigant(inn)en und Zss. wie Gigantentreffen, Kunst-, Radsport-, Tennisgigant; gigantengroß. Dazu die seit früherem 16. Jh. vereinzelt, seit Mitte 18. Jh. kontinuierlich belegte, aus gleichbed. lat. giganteus/gnech. 5, entlehnte adj. Ableitung gigantisch, zunächst wohl (z. T. eventuell im Vergleich mit den aufständischen Giganten der griech. Mythologie, s. u. gigantisch b) bezogen auf die alttestamentlichen gotteslästerlichen Turmbauer von Babel und alle ähnlich Handelnden in der Bed. 'geistlich hochmütig, vermessen, größenwahnsinnig; Gott herausfordernd, gottfeindlich' (vgl. blasphemisch; s. Belege 1534, 1610, 1638, 1892), in Wendungen wie gigantische Kühnheit, Himmelsstürmung, seit Mitte 18. Jh. allgemeiner in der Bed. 'riesenhaft, riesengroß, gewaltig, von riesigem, ungeheurem Ausmaß, mit riesigem Aufwand verbunden' (—»· monumental, —» zyklopisch; vgl. astronomisch, kolossal, überdimensional), oft konnotiert mit „übertrieben groß, bombastisch, pompös" (s.u. gigantesk, gigantomanisch, vgl. pyramidal), auch subst., häufig und phrasenhaft in der Sprache der Nationalsozialisten, in Wendungen wie etwas ist von gigantischer Größe/von gigantischen Ausmaßen/erweitert sich ins Gigantische, gigantisch aufrüsten, emporragen, Auslandsschulden in gigantischer Höhe, gigantische Systeme, Kosten, Urwaldbäume, gigantischer Bedarf, Erfolg, Kampf, Machtapparat, gigantische Säule, Mauer, Maschinerie, Flutwelle, Umweltverschmutzung, Verantwortung, gigantisches Staatsdefizit, die gigantischsten Reptilien der Erde (zu a), seit spätem 18. Jh. bezogen auf die sich gegen die olympischen Götter auflehnenden Riesen der griech. Mythologie, dann auch auf die mit ihnen verglichenen kühnen oder genialen Menschen meist mit positiver Wertung für 'wild, ungestüm, aufrührerisch, maßlos, tollkühn, verwegen (wie die Giganten); begnadet, einzigartig, unerhört, unvergleichlich (wie ein Gigant), eines Giganten würdig; großartig, außerordentlich, übermenschlich' (—» grandios; vgl. konkurrierendes, häufigeres —>· titanisch), in Wendungen wie das gigantische Abenteuer einer Welteroberung, die gigantischen Ereignisse der Revolution, gigantisch begabt, gigantische Idee, Tat(enlust), Unternehmung, Einmaligkeit, gigantischer Erfindungsgeist, Plan, gigantisches Werk, in jüngster Zeit auch emphatisch zur Bezeichnung von bes. Gelungenem und Geschätztem für 'sehr gut, hervorragend, ausgezeichnet, begeisternd, mitreißend, überwältigend' (vgl. riesig, phantastisch, klasse, geil; s. Belege 1990, 1993, 2001), in Wendungen wie das Konzert war einfach gigantisch, eine gigantische Show, ein gigantisches Match, einen gigantischen Auftritt hinlegen, vereinzelt auch adv. intensivierend in der Bed. 'sehr, überaus, in höchstem Maße' (vgl. super, irre, wahnsinnig), in Wendungen wie das Essen war gigantisch gut, etwas ist gigantisch gelungen, nutzlos, schön, ich freue mich gigantisch (s. Beleg 2006) (zu b); dazu seit Ende 19. Jh. die subst. Ableitung Gigantik F. (-; ohne PL) 'Kühnheit, Verwegenheit; Unvergleichlichkeit, Großartigkeit', in Wendungen wie die erhabene Gigantik der ältesten Poesie, die Gigantik Michelangelos, Kult der Gigantik (zu b), seit Anfang 20. Jh. in der Bed. 'riesenhafte Größe, riesiger Aufwand, Riesenhaftigkeit', in Wendungen wie Neigung zur technischen Gigantik, die Gigantik einer Produktionsmaschinerie, einer Landschaft, des Kolosseums (zu a).
Gigant
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Daneben seit späterem 18. Jh. die über gleichbed. frz. gigantesque aus ital. gigantesco 'riesenhaft, riesengroß, riesig' entlehnte adj. Ableitung gigantesk 'riesenhaft, (allzu) riesig, übertrieben groß, übergroß, überdimensioniert, gewaltig, enorm; furcht-, grauenerregend groß, kolossal, zyklopisch, maßlos, monströs' (s. u. gigantomanisch), auch subst., in Wendungen wie ein gigantesker Plan, giganteske Säulen, das Giganteske und Abenteuerliche, dazu seit spätem 18. Jh. auch die seltene subst. Ableitung Giganteske F. (-; -n) 'künstlerische Darstellung eines Riesen; von Riesen handelnde bzw. grotesk-abenteuerliche, maßlos übertriebene Geschichte', in Zss. wie Giganteskenkopf, Traum-Giganteske (beide zu a), vereinzelt auch 'überambitionierte, tollkühne, auf Unerreichbares abzielende Idee, Utopie' (zu b). Seit spätem 19. Jh. die subst. Ableitung Gigantismus M. (-; selten Gigantismen), zunächst als Fachwort der Botanik, Biologie und Medizin (s. Belege 1879, 1901, 1914, 1987, 2000) für 'übermäßiges Wachstum, krankhafter Riesenwuchs' (s.u. Gigantosomie, vgl. Akromegalie, Makro-, Hypersomie, Ggs. Nanismus), in Zss. wie Pflanzengigantismus, in neuerer Zeit bildungsspr. meist abwertend in der Bed. 'Sucht nach/Neigung zu (übertrieben) großen Maßen, Dimensionen, Formaten, zu (unnötig) hohem Aufwand, Tendenz zu schierer Größe auf Kosten der Qualität/des Geschmacks/des Tiefgangs, Großmannssucht, Größenwahn' (s.u. Gigantomanie], in Wendungen wie grassierender, sportlicher Gigantismus, in Gigantismus verfallen, ausarten, ausufern und Zss. wie Kino-, Olympia-, Tele-, Wachstums-, Verkehrs-, Zahlengigantismus (zu a), vereinzelt auch '(toll-)kühne Bereitschaft, das Unmögliche zu versuchen; überragende (künstlerische, wissenschaftliche) Größe, Bedeutung, Genialität', in Wendungen wie der Gigantismus Picassos (zu b); seit frühem 20. Jh. die seltene verbale Ableitung gigantisieren V. trans, 'etwas in riesigem, überdimensionalem Format, mit erkennbarem Hang zum Größenwahn gestalten' (zu a), vereinzelt auch 'etwas (nachträglich) mit der Aura des Großartigen und Genialen versehen, in ein besseres Licht rücken, übertreiben, aufblähen, aufbauschen' (zu b). Dazu Giganto-, giganto- 'die Giganten betreffend; riesenhaft, Riesen-', erster Bestandteil der im späten 16. Jh. vereinzelt, seit Anfang 19. Jh. kontinuierlich nachgewiesenen, über gleichbed. lat. gigantomachia auf griech. (aus - und 'Schlacht, Gefecht, Kampf) zurückgehenden Entlehnung Gigantomachie F. (-; -n) 'Kampf der Giganten gegen die olympischen Götter, Gigantenschlacht, -kämpf, auch übertragen (s. Belege 1936, 1942, 1965; zu b), dann seit früherem 19. Jh. in zahlreichen neoklassischen subst. und adj. Kombinationen: vgl. (1838 bei Heyse gebuchtes) Gigantologie F., aus Giganto- und -(o)logie 'Lehre, wissenschaftliche Disziplin' (zurückgehend auf griech. 'Wort, Rede; Inhalt; Vernunft', zu 'sammeln; sagen, vortragen'), in der Bed. 'Lehre von den Riesen', mit der seit späterem 19. Jh. (1863 bei Kaltschmidt) gebuchten adj. Ableitung gigantologisch 'zur Lehre von den Riesen gehörend'; Gigantosteologie F., aus Gigant(o)- und -oste(o)- 'die Knochen betreffend' (zurückgehend auf griech. 'Knochen') und -(o)logie, in der Bed. 'Lehre von den Riesenknochen'; Mitte 19. Jh. vereinzelt belegtes Gigantogonie F., aus Giganto- und -gonie 'Entstehung, Erzeugung' (zurückgehend auf griech. 'Erzeugung, Geburt; Nachkomme'), in der Bed. 'Erzählung in der Edda von der Entstehung der Riesen'; Gigantolith M., aus Giganto- und -lith 'Stein' (zurückgehend auf griech. 'Stein'), zur Bezeichnung eines (als Zersetzungsprodukt des Cordierits entstehenden) Minerals; seit späterem 19. Jh. (1863 bei Kaltschmidt) gebuchtes Gigantographie F., aus Giganto- und -graphie 'Schrift, Schreibung' (zurückgehend auf
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Gigant
griech. 'Schrift, Zeichnung', zu 'einritzen, schreiben, malen'), zunächst in der Bed. 'Beschreibung, Geschichte der Riesen' (mit der gleichzeitig gebuchten Personenbezeichnung Gigantograph M. 'Verfasser der Geschichte der Riesen' und der adj. Ableitung gigantographisch), seit früherem 20. Jh. auch in der Druckersprache für 'Druckverfahren zur Wiedergabe von Bildern in vergrößertem Maßstab (z. B. für Plakate)', mit der in jüngster Zeit aufgekommenen Rückbildung Giganto N. 'Abzug in der Größe eines Bogens als Teil eines großflächigen Werbeplakats'; seit früherem 20. Jh. Gigantomanie F. (-; -n), aus Giganto- und —* Manie, bildungsspr. in der Bed. 'Sucht, alles ins Übergroße, Maßlose zu vergrößern, mit gigantischen Ausmaßen und übertriebenem Aufwand zu gestalten' (s.o. Gigantismus, vgl. Megalomanie), mit der in jüngster Zeit nachgewiesenen adj. Ableitung gigantomanisch (zunehmend auch verkürzt gigantoman) 'von Gigantomanie geprägt, zu riesiger, maßloser Größe neigend', der Personenbezeichnung Gigantomane M. (-n; -n), auch moviert Gigantomanin F. (-; -nen), 'zur Gigantomanie neigende Person' und der vereinzelt belegten Weiterbildung Gigantomanismus M. 'verbreitete, zeittypische Tendenz zur Gigantomanie'; vgl. auch Gigantonomie F., oft gleichbed. mit Gigantomanie gebraucht, aber gelegentlich, wohl zusammengezogen aus Giganto- und —» Ökonomie, auch in der Bed. 'zum finanziell und logistisch Riesenhaften, Übergroßen tendierende Wirtschafts-/Unternehmensstrategie' (s. Beleg 1995); vgl. daneben in neuerer und jüngster Zeit weitere fachspr. Kombinationen wie Gigantoblast/-zyt M. 'abnorm großes, kernhaltiges/-Ioses rotes Blutkörperchen' (Medizin), -pithecus M. 'vermutlich über drei Meter großer ausgestorbener höherer Primat aus dem mittleren Pleistozän' (Paläontologie), -pteris M.? 'Riesenfarn' (Botanik), -somie F. 'Riesenwuchs' (Medizin; s.o. Gigantismus} sowie die zunehmende Verwendung als Bestimmungswort in Zss. wie Gigantobühne, -drama, -filiale, -flop, -fön, -format, -projekt, -vision (s. u. Giga-, giga-; alle zu a). Vgl. daneben das in jüngster Zeit ebenfalls zu griech. gebildete initiale Wortbildungselement Giga-, giga-, im Rahmen des Internationalen Einheitensystems seit 1991 als Vorsatz in Maßeinheiten festgelegtes Element mit der Bed. 'das Milliardenfache (109fache) der Maßeinheit' (Abk.: G), so z. B. in Gigahertz N. (-; -) 'eine Milliarde Hertz' (Maßeinheit für die Frequenz, nach dem dtsch. Physiker Heinrich Hertz, 1857— 1894; Abk. GHz), Gigameter M., auch N., 'eine Milliarde Meter' (Längeneinheit, Abk. Gm), ebenso auch Gigabecquerel, -elektronvolt, -joule, -kalorie, -liter, -ohm, -pascal, -tonne, -watt(stunde); dann in der Datenverarbeitung für einen ähnlich großen Wert in der Bed. 'das 230fache (= l 073 741 824) der Maßeinheit', etwa in der Einheit Gigabyte N. (-s; -s; auch unflekt.) 073 741 824 Byte' (zu der die Speicherkapazität eines Computers angebenden Einheit Byte 'Zusammenfassung von 8 Binärstellen', aus gleichbed. engl. byte; Abk. GB); von daher neuerdings ugs. (bes. Jugend- und Werbesprache) in der Bed. 'besonders groß, riesig, riesenhaft, Riesen-' (s. o. Giganto-, giganto-), gelegentlich abwertend 'allzu groß, übertrieben groß, bedrohlich groß' (s. Belege 1999, 2000, 2002, 2006), als initiales Wortbildungselement in zahlreichen dtsch. oder international gebildeten subst. Kombinationen wie Gigaaufgebot, -city, -deal, -ereignis, -erfolg, -event, -festival, -feuerwerk, -geschäft, -hit, -ministerium, -party, -preis, -projekt, -seller, -show, -skandal, -spektakel, -stau, -talent, -tempo, selten auch als Simplex in adv. oder adj. Verwendung (s. Beleg 1996) (zu a), auch mit intensivierender Funktion in der Bed. 'ganz besonders, überaus, sehr, hoch-' (vgl. jugendspr. super-, hyper-, mega-,
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turbo-, ultra-, absolut, total, voll) in Adj. wie gigageil, -angesagt, -in, -originell, -pfundig, -kalt, -schlank, -schnell, -hysterisch, -kritisch, -out (zu b). Gigant a: Otfried u. Weißenburg 863 — 71 Evangelienharmonie IV 12,61 er quam so risi hera in lant joh kreftiger gigant, in einwigi er nan strewita, ther richi sinaz darota [er (Jesus) kam wie ein Riese her ins Land und wie ein starker Gigant, im Einzelkampf streckte er den nieder, der seinem Reich Leid zugefügt hatte]; um 1060 Wiener Genesis 1354 Do dei gotes chint gesahen/ des tieueles chint so wolgetane,/ zesamene si gehiten,/ micheliu chint gewunnen,/ gigante die mären; 12. Jh. (Ahd. Glossen IV 373) Poliphemum id est gygande; Pfaffe Lamprecht 1140—50 Alexander 5075 di uns daz lant wereten,/ di waren ummazlichen groz./ owi wi starke uns der uerdroz,/ wandiz waren gigande/ unde trugen an ir hande/ staheline Stangen; um 1150 Speculum ecclesiae 83 Die gygante die wider got alse uns div here Schrift seit, einin turn hin zihimele zimberin woltin. die verlürin die gemeinde einir zvngin; Pfaffe Konrad um 1170 Rolandslied 275 der kaiser geliget nidere./ huite uon minen handen./ diu erste scar uon giganden./ diu ander uon malporse; um 1180 Herzog Ernst 5039 Der böte was ein starker Gigant; Ulrich v. Zatzikhoven um 1194 Lanzelet 7535 der selbe was ein guot kneht,/ der langeste gigant,/ der ie mit wärheit wart bekant/ üf allem ertriche; Ende 13./Anfang 14. Jh. Ged. v. Kosengarten 90 (Abb. d. König!. Akad. d. Wiss. Berlin 1859, 485) Er sprach du groze gygant/ Ich brenge dich zu grabe/ . . Der ryse muste vallin/ do sluk her vaste zu; Heinrich v. Neustadt um 1300 Gotes Zuokunft 4539 du [Jesus] hast rehte als ein gigant/ dinen louf vollepräht,/ als sin din vater hete gedäht; 14. Jh. (Altdtsch. Blätter l 310) Ouch sint in dem lande/ Lute die heizen gygande/ (Man heizet sie risen dutschen so):/ Der minneste ist vierzic elen ho; Güttel 1522 New iar ]2b wie viel hat der schalck/ der starcken Giganten oder rysen/ die das folck nennent dye heyligenfresser mit dem gyfft gethöt vnd zcu verzcweyfflung gezcogen; Huberinus 1554 Spiegel d. Hauszucht Fla [Gott] stösset solche gyganten und rysen zu boden, sonst bawten solche hochtragende hoffertige leut einen sondern newen thurn zu Babel unnd stigen zu gott in hymel hinauff (DWB); Rot 1571 Diet. 314 Gigant. Ein Held/ ein Tapffer Mann/ ein Riß/ Reck/ vom Griechischen wort Gigas; Fischart 1575 Geschichtklitterung 55 VOrzeiten, da treizehenelenbogige Risen, Recken, Giganten oder Wiganten waren; Hock 1601 Blumenfeld 140 Die Boßheit der Giganten vnd der Risen,/ Allen mutwillen da bewisen; Spangenberg 1606 Saul 151 Als ich erst bin ins Lager kommen/ Hab ich Schreckliche ding vernommen:/ Wie der Philistische Gigant/ Gantz trotziglich mit Spott vnd Schand/ Geschmächt die Ewige Gottheit; Bodmer 1752 Noah 137 Ueber sie herrschten
die Stämme der hochgebeinten Giganten,/ Söhne der Kinder Seths und Kains, der ungleichen Väter; Naubert 1789 Volksmährchen I 2 die eine Hälfte der Muthmaßer hielt den schwarzen Giganten mit der Schürstange am Frontespiz des Hauses — Rübezahls leibhaftiges Ebenbild — für eine hohnsprechende Herausforderung des Originals, seine Identität zu beweisen (DiBi 45); Schiller 1795 S. W. l 210 Wie wenn auf einmal in die Kreise/ Der Freude, mit Gigantenschritt,/ Geheimnisvoll nach Geisterweise/ Ein ungeheures Schicksal tritt (DiBi 1); Claudius 1803 Asmus (W. 513) Zu Ilura scheint das indische Pantheon gewesen zu sein . . An den hintern Wänden ist hier unter ändern der ganze Pandawen- oder Gigantenkrieg ausgehauen (DiBi 1); Hauff 1826— 27 Memoiren (S. W. l 352) dachte ich, und richtete die Lorgnette genau auf die Hand des großen, stattlichen Oberkellners, der den Schlag öffnete. „Zimmer vakant?" rief eine tiefe, wohltönende Männerstimme. „So viele Euer Gnaden befehlen", war die Antwort des Giganten (DiBi 1); Heine 1839 Borne (W. u. Br. VI 114) ich mußte . . den armen deutschen Michel beständig an der Nase zupfen, daß er aus seinem gesunden Riesenschlaf erwache. .. Freilich, ich konnte dadurch bei dem schnarchenden Giganten nur ein sanftes Niesen, keineswegs aber ein Erwachen bewirken. .. (DiBi 1); Leuthold 1848-76 Gedichte 8 Es ruht der Sonne letzter Strahl/ Auf diesen schweigenden Giganten [Alpenbergen]; Kretzer 1887 Timpe l Dunkler . . Qualm entstieg .. den geschwärzten Schloten; wie der Gigantenlunge eines unsichtbaren Ungeheuers entstoßen, strömte er dem graublauen Äther zu; Werfet 1931 Geschwister 23 So war er eines Tages unversehens mit diesem Kontrabaß angerückt . . Von Stund an betreute er den melancholischen Giganten mit zärtlicher Fürsorge wie ein lebendiges Geschöpf; Dtsch. AZ. 10.1.1935 Die Halle II ist den Giganten der Landstraße, den Schwerlastkraftwagen, vorbehalten; Münch. N. N. 5. 2. 1944 Eingeklemmt zwischen den beiden „Giganten", den USA mit ihren 150 und dem Sowjetkontinent mit seinen fast 200 Millionen Menschen, bedürfte . . Britannien für die Zukunft' mehr denn je einer breiten Weltbasis; Süddtsch. Ztg. 8. 5. 1954 Selbst die wackere Bundesrepublik wird in der soeben erschienenen Deutschland-Sondernummer der amerikanischen Zeitschrift LIFE als ein „erwachter Gigant" bezeichnet; ebd. 22. 6. 1966 Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei beiden [Ölfirmen] um Giganten handelt, von denen jeder größer als das größte deutsche Unternehmen ist; Zeit 4. 10. 1985 Zwei Giganten gibt es unter den deutschen Großküchen: den Verpflegungsbetrieb
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der Bundeswehr und den des Studentenwerks; Spiegel 12, 4. 1993 Sechs solcher Giganten mit Jahresumsätzen bis zu 500 Milliarden Mark machen insgesamt ein Fünftel sämtlicher Unternehmensgewinne und die Hälfte aller Exportgeschäfte; Berl. Ztg. 14. 7. 2001 Die Kursk, der Stolz der Nordmeerflotte, ist immerhin so hoch wie ein fünfstöckiges Wohnhaus und fast so lang wie ein Fußballfeld. Einen solchen Giganten hat noch nie jemand gehoben; Mannh. Morgen 18. 9. 2007 Auch wenn die technische Entwicklung über den Anlass der Schlacht zwischen dem Software-Giganten und der EU-Kommission längst hinweg gegangen ist, so ist die Botschaft .. damit für alle Branchen klar: Egal, wie groß ihr seid, ihr könnt nicht tun und lassen, was ihr wollt. Giga-, giga-: Mannh. Morgen 28.1. 1988 Das Gerät erlaubt Messungen in dem Frequenzbereich um zehn Gigahertz (10 GHz), der zum Beispiel beim Satellitenfunk oder in der Radartechnik für die Flugsicherung genutzt wird; taz 13. 6. 1988 Anders als rund eine Milliarde Menschen in aller Welt konnten sie das Giga-Ereignis der Polit- und MusikSzene des Jahres gar nicht oder nur zum Teil verfolgen; ebd. 3. 11. 1992 Zwölf vernetzte PC's bieten zusammen monströse zwei Gigabyte Speicherplatz; 1993 FAZ o. Nr. Dennoch gehören sie zu den größten je künstlich hergestellten Molekülen und werden deshalb als Gigamoleküle bezeichnet; Züricher Tagesanz. 16. 9. 1996 Alles erscheint gegenüber herkömmlichen Zirkusvorstellungen mega und giga: das mehrmastige Zeltgetürm, die Eingangspromenade, die Wandelhalle, die 2500 Plätze; frankf. Rundsch. 4. 5. 1999 Es ist allerhöchste Zeit, daß die großen Industriestaaten sich damit auseinandersetzen, welche Folgen solche Giga-Fusionen nicht nur für den Wettbewerb, sondern für die ganze Gesellschaft haben können; taz 17.11.2000 Zuletzt schien es allerdings, als hätten sich U 2 in der Elektronik verloren, im Kabelsalat verheddert, als wäre ihnen die Giga-Technologie ihrer Bühnenshows über den Kopf gewachsen; Berl. Ztg. 22. 7. 2002 Nur wenn der Bevölkerungsdruck überbordet wie in den Gigacities Sao Paolo oder Schanghai, dann wird neu gebaut; dpa 13. 9. 2006 um einen übergroßen Lkw ist ein Expertenstreit entbrannt. . Der Gigaliner, Monster-Truck oder Eurocombi wiegt mit Ladung bis zu 60 Tonnen. gigantesk: Sonnenfels 1768 Schaubühne 223 Die gigantesken Muster Shakespeare . . waren für die korrekten Franzosen keine sonderbaren Reizungen; Musäus 1782—86 Volksmärchen 60 Zwo giganteske Marmorsäulen mit ehernen Knäufen und Füßen tru-
gen ein dorisches Gebälke, welches an eine Felsenwand gelehnt war (DiBi 1); Schiller 1795 S. W. V 620 daher findet man in den Zeitaltern der Kraft und der Fülle das wahrhaft Große der Vorstellung mit dem Gigantesken und Abenteuerlichen . . gepaart (DiBi 1); Kotzebue 1801 Jahr // 290 Hierauf erhielt ich den Befehl, einen Plan zu Vervollkommnung des Deutschen Hoftheaters einzureichen. . . Dieser Plan, den es irgend einem Unkundigen oder Uebelwollenden in der Hamburgischen Zeitung gigantesk zu nennen beliebt hat, war mit der möglichsten Sparsamkeit berechnet; E. T. A. Hoffmann 1814 Berganza (Poet. W. 1194) Sehr schön und poetisch gesagt, wiewohl das Bild etwas gigantesk ist, da der von Italien bis nach Deutschland herüberreichende Myrtenbaum wirklich im größten Stil geraten! (DiBi 1); Rumohr 1832 Reisen 145 Da verfiel er auf den sonderbaren, nutzlosen, doch in seiner Art ganz gigantesken Plan, von diesen Truppen möglichst viele Einzelne zur Desertion zu [bewegen]; Bruges 1873 Reiseskizzen 51 während weiterhin Berge und Thäler giganteske geisterhafte Dimensionen annehmen; Kulke 1890 Wagner u. Nietzsche 47 für diejenigen, denen Wagners Musik gefällt, und für diese hat Wagner nicht nur grosse und giganteske, sondern auch schöne Musik gemacht; Heer 1958 Land 51 Forum Romanum, St. Peter in Rom und Trajanssäule verbinden sich hier —, war ja hier nicht einfach eine blutleere Ideologie eines gigantesken Imperialismus, sondern gelebte Wirklichkeit des kleinen und großen Lebens; Mannh. Morgen 14.11. 1987 Allerdings wünschten sie sich nicht irgendeine x-beliebige Trabantenstadt, sondern . . ein Mammutprojekt der Postmoderne. Der katalanische Architekt Ricardo Bofill . . bescherte Montpellier daraufhin eine giganteske, altgriechisch angehauchte Wohnlandschaft aus Glas und Beton, .. ein Monument aus Sichtbeton und Säulen,.. eine zugleich faszinierende und erschreckende Mischung aus Versailles und Akropolis; taz 8. 4. 1998 Eine Milliarde Kunden angepeilt. Zwei Finanzkonzerne mit gigantesken Zielen: Citicorp und Travelers Group fusionieren (Überschr.); Hamb. Morgenpost 23. 5. 2006 kurz vorm Anpfiff der WM. Zur Hysterie, Gastgeber zu sein, gesellen sich ein leicht übersteigertes Nationalgefühl und eine Werbekampagne gigantesken Ausmaßes. Giganteske: Musäus 1781 Physiognom. Reisen I 143 Zugleich kramt ich alle Abschattungen von mir, um mich her, von dem Giganteskenkopf auf einen Imperialfoliobogen, bis auf die kleinste Veriüngung, einer Linse groß; Jean Paul 1809 Schmelzte (W. / 6,60) Ich wollte mein Bergelchen durch einige meiner nächtlichen Traum-Gigantesken heben — z. B. durch die, daß ich, auf einem Walfisch reitend, mit einer Dreizacks-Gabel drei
Gigant Adler gespießet und gespeist, und durch mehr dergleichen (DiBi 1); Lublinski 1909 Ausgang d. Moderne 29 [ein Warenhaus] zwingt mit seiner klaren und materiellen Sachlichkeit dem Dichter einen oft sehr trockenen und rein beschreibenden Stil auf, der dann mit der mythologischen Giganteske in manchmal komischer und öfter noch unerfreulicher Weise zusammenprallt. Gigantik: Bürger 1900 Reisen S und wenn auch in der Fauna das Heer der Säuger an Zahl und Gigantik der Erscheinungen hinter dem des äquatorialen Afrikas und Asiens zurücksteht; Münch. N. N. 11. 11. 1938 Diese Neigung zur technischen „Gigantik", zur architektonischen Zauberei, zum paradoxen Riesenaufbau von „Weltuntergängen" scheint uns jedenfalls der weithin sichtbarste Gipfel des Film-„Amerikanismus" zu sein; tat 30. 9. 1992 Die Eckdaten sind raus und, wie immer, von herrlicher Gigantik: 8.152 Verlage werden auf der 44. Frankfurter Buchmesse . . ihre Bücher zur Schau stellen; Frankf. Rundsch. 10. 4. 1999 Sie müssen sich das Land vorstellen, dieses unvorstellbar riesige Land. Ich sah meine 650 Rinder, die ich hatte, und fürchtete, sie würden überhaupt nicht wahrgenommen werden, verloren gehen in dieser Gigantik. gigantisch: Wicelius 1534 V. d. christl. kirchen G4a denn so die kirch darumb des teufels reich ist, das etliche ynn yr ewre gigantische künheit straffen (DWB); C. Julius 1610 Susanna u. Daniel 189 derhalben, wenn gott einer art, die ihre äugen hoch tregt . . und ihre augenlieder empor helt, gott den himmel, gigantischer weise nach stürmen wil, ansichtig wird (DWB); Mengering 1638 Soldatenteufel 137 daß an einem Orte etliche leichtfertige N. dergleichen/ wo nicht grössere Flüche/ Blasphemien vnd gigantische Himmelsstürmung fürgenommen vnd verübet haben [Soldaten schießen bei Gewitter fluchend in die Wolken]; Bodmer 1752 Noah 137 Wo er die Männer vom Riesengeschlecht im Werke verlassen,/ Eine gigantische Treppe zu baun; Lessing 1759 Fabeln (W. I 238) Itzt will ich fliegen; rief der gigantische Strauß, und das ganze Volk der Vögel stand in ernster Erwartung um ihn versammelt (DiBi 1); Goethe 1771 WA I 37,130 Macht der eine mit dem stärcksten Wandertrab sich auf, so hat der andre siebenmeilen Stiefel an, . . dieser embsige Wandrer bleibt unser Freund und unser Geselle, wenn wir die gigantischen Schritte ienes, anstaunen und ehren; Heinse 1780—83 Tagebücher VI! 44 Das Wetterhorn ragt gigantisch über . . den . . Gebirgen hervor; Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge II 216 Ist in gigantischen Systemen von Schwindelei und in änigmatischen Vorträgen nicht mindestens eine Art von Kraftanstren-
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gung, von Seelenerhebung . .?; Matthisson 1802 Evian 377 Nußbäume von gigantischem Wüchse beschatteten die Ufer eines Waldstroms; E. T. A. Hoffmann 1814 Berganza (Poet. W. / 209) weil die elenden Bretter zu schwach waren, das Kolossale zu tragen, indem ein gigantischer geharnischter Held der Vorzeit ganz anders auftritt als ein Hofrat im gestickten Staatskleide (DiBi 1); Heine 1824 Harzreise (W. u. Br. III 23) die Saaltüre öffnete sich langsam, und herein trat eine stolze, gigantische Frau . . Das Riesenweib, obgleich schon bejahrt, trug dennoch im Antlitz die Züge einer strengen Schönheit, jeder ihrer Blicke verriet die hohe Titanin, die gewaltige Themis (DiBi 1); Bechstein 1832 Novellen I 138 am Baum der Zeit, der gigantisch seine Aeste durch das Weltall breitet; Herwegh 1841 W. l 53 Gigantisch türmt sich vor mir ein Palast (DiBi 1); Marx 1860~64 MEW XV 457 die ganz besondere Pflicht der Arbeiter, . . ihre Sympathie mit den Vereinigten Staaten in ihrem gigantischen Kampf für die Aufrechterhaltung der Union auszusprechen; Nietzsche 1888 Wagner (W. II 914) Wozu also Schönheit? Warum nicht lieber das Große, das Erhabne, das Gigantische, das, was die Massen bewegt? (DiBi 2); Holz 1892 Buch d. Zeit 493 Denn dir, auch dir rollt's durch die Adern/ Und durchs Gehirn wie heisses Blei;/ Gigantisch thürmst du deine Quadern,/ Mit Gott im Himmel willst du hadern/ Und deine Seele ringt im Schrei! (DiBi 1); Trakl 1906 Verlassenheit (Das dichter. Werk 120) Die Äste der Bäume halten sich tausendfach umschlungen, der ganze Park ist nur mehr ein einziges, gigantisches Lebewesen (DiBi 1); Th. Mann 1923 Nachtr. (W. XIII 275) die gigantischen Kapitalien, die zur Fortführung des Unternehmens nötig wären, sind offenbar nicht aufzubringen; Berl. Tagebl. 30. 10. 1936 Er [der Führer] arbeitet für uns. Denkt an seine Sorgen. Denkt an seine gigantische Verantwortung für die Zukunft der Nation; Süddtsch. Ztg. 14.10. 1948 Die Anforderungen [an den Bildhauer im 3. Reich] waren „gigantisch" wie die Formate. Jede Figur mußte vielfach überlebensgroß sein; ebd. 23. 8. 1958 Wenige Sekunden später donnern die glasklaren Wassermassen . . in die Behälterkammern, die ohne weiteres das Beiwort „gigantisch" verdienen; Offenburger Tagebl. 1. 10. 1965 Der amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara gab gestern den Auftrag zum Bau eines gigantischen Transportflugzeuges; Welt 11.9. 1974 die Bundesbahn, die mit gigantischen Beträgen von zehn oder mehr Milliarden DM zum Kostgänger des Bundeshaushalts geworden ist; Zeit 5. 9. 1986 Interne Schätzungen des Forschungsministeriums . . bezifferten den Kernenergieausstieg sogar auf die gigantische Summe von einer Billion Mark; Spiegel 19. 4. 1993 Für die Rechte an einer gigantischen
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Gaslagerstätte im russischen Teil der arktischen Barentssee hatte sich ein amerikanisch-skandinavisches Konsortium gute Chancen ausgerechnet; Berl. Ztg. 16.11. 2000 Die vorgesehenen Maße des Weltraumlabors sind gigantisch: 108 Meter lang, 80 Meter breit und mehr als 400 Tonnen schwer. gigantisieren: Däubler 1919 Standpunkt 56 Andrea del Castagno gigantisierte seine Naturerlebnisse; Reger 1968 Sprachbild 63 Unorganisch werden die Dingattribute des Geschicks, die Würfel, gigantisiert und zur weiteren hyperbolischen Bildformung bemüht; Spiegel 31. 10. 1994 Als vor 22 Jahren der erste Großterminal [am Frankfurter Flughafen] eingeweiht wurde, . . setzte sich sogar der erste Mann im Staat an die Spitze der Nörgler: Der Bau sei „hoffentlich nicht gigantisiert worden", mahnte der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann. Der Vorwurf des Größenwahns verstummte erst, als das Abfertigungsgebäude zu klein wurde; Frankf. Rundsch. 27. 8. 1999 Die turmhohe Büroklammer in Chicago, die monumentale Kirsche auf dem gebogenen Löffel in Minneapolis . . — alles besteht . . ausschließlich auf unmittelbarer Präsenz, reicht darüber nicht hinaus. Es ist, was es eben ist, nur grosser: Der gigantisierte Federball bleibt ganz bei sich, fliegt nirgendwohin. Gigantismus: Schenk 1879 Botanik 437 Riesenwuchs, Verriesung (Gigantismus), das ist die Beschreibung, wo alle Theile einer Pflanze in gleichen Proportionen und also unter Beibehaltung der normalen Gestalt über das der Species gewöhnlich eigene Maass vergrössert sind. Solche Individuen werden Riesen genannt; Monti 1901 Kinderheilkunde 36 In vielen Fällen sind syphilitische Kinder in ihrer geistigen Entwicklung zurückgeblieben (Idiotismus), oder zeigen zuweilen Hemmungsbildungen wie Hasenscharte, . . Asymmetrie, Nanismus, Gigantismus, etc.; Dornblüth 1914 Klinisches Wb. 111 Gigantismus .. Riesenwuchs; de Man 1951 Vermassung 135 Unsere Epoche gemahnt an das Bild . . vom Verschwinden der großen Saurier gegen das Ende der Tertiärzeit . .: Riesenkörper mit kleinen Gehirnen, die sich zuletzt als ohnmächtig erweisen, die Tiere den veränderten Lebensverhältnissen anzupassen. Der Gigantismus, woran unsere Epoche leidet, hat statt biologische soziale Formen angenommen; Näf 1954 Bilder 39 hat sich der Architekt Napoleons III., Lefuel, mit Gigantismus ausgezeichnet; Troller 1971 Einheit o. S. versucht man jetzt, mit einer alles niederwalzenden Nivellierung eine künstliche Einheitlichkeit zu schaffen, deren innere Leere man durch Gigantismus kaschieren muß. Ist das die Zukunft der europäischen Hauptstädte?; Zeit 1.5.1987 allgemein wurde angenommen, die Saurier seien auf irgend-
eine Weise degeneriert, vielleicht auch an eine ureigene Entwicklungsgrenze gestoßen, ihr Gigantismus — weil nicht mehr steigerbar — sei schließlich am Wandel der Bedingungen gescheitert; Frankf. Rundsch. 30. 10. 1999 Im Kampf gegen den Gigantismus soll die Zahl der Sportler bei Olympischen Spielen auf 10 000 und die der Wettbewerbe auf 280 zurückgeführt werden; Salzb. Nachr. 18. 2. 2000 Diese Überproduktion eines Wachstumshormons führt beim Erwachsenen zur Vergrößerung von Schädel, Händen und Füßen. Tritt die Überproduktion schon in der Kindheit auf, sprechen die Ärzte von Gigantismus, dem Riesenwuchs. Giganto-, giganto-: Heyse 1838 Fremdwb. I 453 Gigantologie, f. die Lehre von den Riesen; Gigantosteologie, f. Lehre von den Riesenknochen; Ersch-Gruber 1858 Allg. Enc. LXVH 189 Gigantolith heißt ein von Nordenskiöld zuerst untersuchtes Mineral von Tammela in Finnland; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 319 Gigantograph, . , Verfasser der Geschichte der Riesen. Giganthographie[!], . . Geschichte der Riesen. giganthographisch[!] . . zur Geschichte der Riesen gehörend. . . gigantologisch .. zur Lehre von den Riesen gehörend; Sitnrock 1864 Handb. d. dt. Mythol. 16 Was von Tuisto selbst Tacitus vernommen hatte, wird man als ein Seitenstück zu jener eddischen Erzählung von der Entstehung der Riesen (Gigantogonie) auffaßen dürfen; Genius 1933 Fremdwb. 366 Gigantographie . . Beschreibung, Geschichte der Riesen; Druckverfahren zur Übertragung von Bildern u. a. in vergrößertem Maßstabe; Münch. N. N. 25. 9. 1941 [in der Ukraine] haben die Kommunisten in der „Gigantomanie" geschwelgt; Süddtsch. Ztg. 21. 8.1957 das von Hitlers Architekten konzipierte „Klinikum", das so hoch wie die Cheopspyramide werden sollte, ist ein Musterbeispiel für architektonische Gigantomanie; Stuttgarter Ztg. 24. 2. 1969 Er sei kein Gigantomane. Jedoch sei in bestimmten Bereichen der Wirtschaft der Wettbewerb nur mit sehr großen Unternehmenseinheiten zu bestehen; Zeit 19. 7. 1985 In den Krankenhäusern konnten ohne Rücksicht auf die Kosten Landräte und Bürgermeister ihre Gigantomanie, Chefärzte ihre Renommiersucht ausleben; Mannh. Morgen 5.1.1989 Der Riesenaffe firmiert als „Gigantopithecus" und soll auf allen Vieren gelaufen sein; taz 11. 11. 1989 Gegen den Gigantomanismus läßt sich durchaus so etwas wie sanfte Technologie setzen; Zeit 21. 4. 1995 Eigentlich ist die DDR mit ihrer landwirtschaftlichen Gigantonomie an dem Desaster schuld; Mannh. Morgen 6. 5. 1996 dicke Nebelschwaden umwaberten die dünnen Beinchen der Stars, die im Rhythmus der Chart-Breaker über
Gigant die Giganto-Bühne trippelten; taz 7.2. 1998 Das funktioniert bei Olympia, gerade auch durch das Gigantomanische dieser Veranstaltung. Keiner kommt daran vorbei, überall ist Olympia; Berl. Morgenpost 27. 5. 1998 entwickeln die Projektteams mit vier oder sechs Studenten komplette Werbekampagnen vom Briefing bis zum Gigantoplakat als Teil ihrer Diplomarbeit; Berl. Zig. 5. 3. 2000 Es ist rund zwei Meter größer als der berüchtigte Tyrannosaurus rex. Der kürzlich entdeckte Gigantosaurus war etwa einen Meter kleiner; Süddtsch. Ztg. 1.2.2005 Überall ragt er ins Bild, der gigantomanische Turm des Warschauer Kulturpalastes. Gigant b: Paracelsus 1528 S. W. I 6,355 aber die transplantatio wider die natur und doch aus ir, das ist so wider die linien etwas geboren würd, aus kraft der transplantirung, als die cyclopes, gigantes, maultier und dergleichen andere mer wunder etc.; Schaidenreisser 1537 Odyssea 65 auß der schönsten Peribea (welche ain tochter Eurimedontis des überwinders der giganten gewesen); franck 1550 Krieg Büchlin 4v sie wollen dann wie die Giganten den Himmel stürmen; Fischart 1575 Geschichtklitterung 284 das er sich bückt wie . . die Giganten, da sie die Berg auff einander setzten; Treuer 1675 Dädalus 1186 durch die schlangichten giganten, wie Opitz redet, verstehen Crinitus . . Gyraldus etc. sehr boszhaffte, durchteufelte menschen (DWB); 1705 Auserles. Anm.ll 135 das Stück aus der griechischen mythologia da die Poeten fabuliren es wäre der Selenus denen Göttern wieder die Gigantes zu hülffe kommen; E. Chr. v. Kleist 1759 Cißides (S. W. 145) So schlug die wüthenden Giganten Zevs,/ Als sie den Himmel zu bekriegen, Berg/ Auf Berg gethürmt (DiBi 1); Herder 1769 Krit. Wälder (S. W. HI 59) Ein Jupiter z. E. der die Giganten unter seinem Wagen hat, kann und soll auf sie, als auf Ungeheuer, als auf widrige Gestalten seinen Blitz schleudern; Lenz 1774 Menoza (W. u. Sehr. 162) O ihr Giganten, hütet euch, daß nicht der Berg über euch kommt, wenn ihr gegen den Donnerer stürmen wollt (DiBi 1); Schubart 1775 Dtsch. Chronik 26 Hab dir letztern Winter in München zwey der grösten Klavierspieler, Herrn Mozart und Herrn Hauptmann von Beecke gehört . . Da hört' ich diese zwey Giganten auf dem Klavier ringen; Meister 1783 Blätter 14 überall Hügel auf Hügel, Gebürg' auf Gebürge, alles durch einander geworfen, als wärens Trümmer von der Niederlage jener Giganten, die mit ausgewurzelten Felsen den Himmel bestürmten; Schlegel 1798 Kunstlehre 107 Dies [die Ursache für den Verlust des myth. Idealzustands] war bei den Juden der Sündenfall, bei den Griechen der Streit der Götter und Giganten; 1810 Almanach a. Rom
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I 165 Nicht mehr das Chaos, die Nyx oder der Erebos, sondern die Giganten und Titanen, wirkliche, aber rohe Gestalten, kämpften mit den Göttern; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 244 So haben die griechischen Dichter von diesem ersten Weltalter in ihren Mythen uns treulich erzählt, daß die allgemeine Wasserfluth und die Giganten in Natur existirt haben; Grabbe 1829 Don Juan 111 86 so erhebt/ Euch erst zu dem Gigantengeiste, der/ . . Inmitten seines Sturzes von des Himmels Höhen,/ An nichts verzagt, sich auf sich selbst verläßt,/ Und ewig haßt und kämpft in Siegeshoffnung!; Jochmann 1838 Naturgesch. d. Adels 10 Man strebte aufwärts, um mehr, als man war, zu werden. . . Die Giganten stürmen den Sitz der Götter, die abtrünnigen Engel den Thron Jehoven's; Mörike 1847 S. W. I 754 Wahrlich, den eigenen Wutschrei hörete nicht der Gigant hier,/ Lag er, vom Himmel gestürzt, unten am Felsen gekrümmt! (DiBi 1); Alexis 1854 Isegrim 241 zur gigantenarbeit sind sie befähigt, aber nicht zu der des Sisyphus (DWB); Banck 1863 Alpenbilder l 135 und wenn ich auch weit entfernt bin, zu meinen, als hätte durch diese Kunst- und Cultureingriffe die Gigantenwelt der riesigen Berge ihre Zauber verloren, .. so fällt doch der mächtige Eindruck der dämonischen Naturursprünglichkeit und Willkürlichkeit ihrer entfesselten Elementarkraft dadurch in Etwas fort; Freytag 1872-80 Ahnen 1078 Fritz glich einem jungen schlenkrigen Giganten, der Jacke und Hosen des Thyrsis auf dem Felde gefunden hat (DiBi 1); Stoll 1885 Götter u. Heroen II 8 Die Giganten, seit Hesiod nicht als gewöhnliche Menschen gedacht, aber doch von sterblicher Natur, sind ähnlich wie die göttlichen Titanen übermütige Frevler, die im Vertrauen auf ihre Kraft sich trotzig gegen die Götter erheben und den Himmel zu stürmen versuchen, um den Olympiern ihre Herrschaft zu entreißen; Schack 1891 Mosaik 93 so sind auch ihre Bauten, die Giganten der Unterwelt aufgetürmt zu haben scheinen, eine [!] nach der anderen zerbröckelt; Rilke 1899 S. W. l 271 Das [Michelangelo] war der Mann, der über einem Maß,/ gigantengroß,/ die Unermeßlichkeit vergaß; Gothein 1914 Gartenkunst l 245 während sich nördlich eine hohe Mauer erhebt, durch die ein Tor, von zwei Giganten flankiert, hinausführt; Boy-Ed 1915 Vor d. Ehe 30 Denken Sie daran, wie jung unsere drei Giganten blieben! Goethe, Bismarck, Wagner. Bis zum Tod noch, dicht neben senilen Zügen: göttliche Jugend (DiBi 45); Werfel 1924 Verdi 321 der mit Unverfrorenheit letzter Erkenntnisse die Kunstgiganten der heutigen Epoche abtat und nur Bach als seinen einzigen Vorgänger gelten ließ; Ernst 1929 Essays l 17 Indessen verlief sein Leben als das eines Giganten am Schreibtisch; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 97) Shakespeare und Beetho-
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Gigant
ven zusammen bildeten an seinem geistigen Himmel ein alles überleuchtendes Zwillingsgestirn, und sehr liebte er es, seinem Schüler merkwürdige Verwandtschaften und Übereinstimmungen in den Schaffensprinzipien und -methoden der beiden Giganten nachzuweisen; Süddtsch. Ztg. 25. 8. 1950 Erstaunt blickten die Münchner Hausfrauen . . auf die strampelnden Giganten der Landstraße, die in bunten Trikots . . zur Autobahn nach Ramersdorf fuhren; Neues Deutschi. 15.5.1964 Wir freuen uns, daß auch in diesem Jahr wiederum die Giganten der Landstraße aus den europäischen NATOStaaten . . sich mit den Mannschaften aus den sozialistischen und den antiimperialistischen Ländern zum schönen Wettstreit dieser Fahrt vereinen; taz 11.8.1988 denn Robert Aldrichs berühmter Film . . gilt als einer der aufregendsten der Gigantinnen Bette Davis und Joan Crawford; Spiegel 15. 2. 1993 Selbst Giganten wie lacocca sind inzwischen zu stürzen, und das nicht nur in der Automobilbranche; Mannh. Morgen 1.12.2003 [Bob Geldof] würdigte . . einen sichtlich gerührten Mandela als „zerbrechlichen, alten Gentleman", der als einer der „Giganten unseres Planeten" dem Begriff Menschlichkeit eine neue Bedeutung gegeben habe. Giga-, giga-: taz 6. 7. 1991 War der Kreuzberger Szenearistokrat in alten Frontstadtzeiten an der Qualität seiner gekonnt zerschlissenen Lederjacke zu erkennen, . . so ist diese als Statussymbol nunmehr giga-out; ebd. 26. 2. 1993 Vier tolle Kinder, ein klassetolles Haus und 'ne gigapfundige Oma zur Hand; ebd. 6. 9. 1997 und die Fluppenfirma West läßt die Textmaschine gigageil turbofuturemäßig aufheulen; Berl. Ztg. 28.4.2000 Zarte Jüngelchen, gestylte Latzhosenmädels fummeln hinter scharf geputzter Schauscheibe an giga-angesagten hypercoolen Nähmaschinen. Giganteske: Jäger 1969 Reich ohne Gott 104 Bloch hat damit die Naturdialektik des jungen Marx, der den Kommunismus als „die wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur" bestimmen konnte, völlig aufgenommen und weitergeführt. Bei Marx läßt sich hingegen mit der Zeit eine Abwendung von dieser Giganteske feststellen, bewußt beschränkt er sein Denken auf den Raum der menschlichen Geschichte. Bloch aber hält den utopischen Gedanken einer möglichen Totalvermittlung von Mensch und Natur konsequent fest. Gigantik: 1893 Zs. f. vergl. Litteraturgesch. NF VI 439 Das schöne Ebenmass der griechischen Poesie fällt später als die erhabene Gigantik der ältesten religiösen Poesie; Hauser 1953 Sozialgesch. d. Kunst l 208 Sie trafen sich endlich in dem Kult
einer Gigantik, der sie in Wirklichkeit gänzlich fern standen, und der Vorliebe für eine pompöse, polternde, überschwängliche Pathetik, die noch bei Rostand nachhallt. gigantisch: Klinger 1780 Plimplamplasko 195 So wollen wir alles beginnen lassen, gygantische kräftige, wundervolle Thaten; Seume 1796 Vorfälle i. Polen (W. II 201) aber wie konnte Ihr General die Stadt gegen unser Militär, unsere starke Artillerie, unsere ganze bewaffnete Bürgerschaft, gegen alle unsere Vorteile . . behaupten wollen? wahrlich die Idee war gigantisch; Fischer 1800 Umgang m. Männern 34 Ich bin nicht für die Ehe geschaffen; meine große Phantasie, meine gigantische Thätigkeit können sich nicht in diesen Cirkel beschränken, Ich sehe Alles ins Große, mein Geist ist keiner Abhängigkeit fähig; Goethe 1814 Dichtung u. Wahrh. (WA l 28,314) Der titanisch-gigantische himmelstürmende Sinn jedoch verlieh meiner Dichtungsart keinen Stoff; Frölich 1820 Virginia 85 Mir schien für den Augenblick das Unternehmen gigantisch und fabelhaft, ein neuer Alexanderzug nach Indien (DiBi 45); Wit v. Dörring 1830 Fragmente l 126 Züge aus dem Leben Lord Byrons, die, wie Alles, was diesen gigantischen Torso betrifft, interessant zu nennen sind; 1842 D V/S 105 Dieser Kanal [vom Main zur Donau], eine der gigantischsten Unternehmungen der neuen Zeit; 1867 Gartenlaube 424 Wir kennen ihre [der frz. Revolution] titanische Tendenz, bewundern ihre gigantische Kraft, segnen ihre unvergänglichen Schöpfungen und verdammen ihre Verbrechen; Dilthey 1883 Geisteswissenschaften (Ges. Sehr, l 84) In Frankreich bedeutete Soziologie die Ausführung der gigantischen Traumidee, aus der Verknüpfung aller von der Wissenschaft gefundenen Wahrheiten die Erkenntnis der wahren Natur der Gesellschaft abzuleiten (DiBi 2); Hofmannsthal 1908 Reden u. Aufs. I 382 den Briefwechsel mit einer Person, welcher fast nichts enthält als Bulletins über seine [Balzacs] unaufhörliche, gigantische, mit nichts in der literarischen Welt zu vergleichende Arbeitsleistung (DiBi 1); Gothein 1914 Gartenkunst H 212 Aber von allen diesen gigantischen Plänen ist nichts zur Ausführung gekommen; Friedeil 1931 Kulturgesch. Hl 53 [Kleist] müßte man einen Vollromantiker nennen, wenn er nicht gleichzeitig zwischen Lessing und Ibsen der schärfste psychologische Naturalist des Theaters gewesen wäre: gerade in dieser paradoxen Mischung besteht ja seine gigantische Einmaligkeit; Ortega Gasset 1949 Technik (Übers.) 117 Gerade das ist es, was in seiner Wissenschaft Galilei tat, der, wie bekannt, gleichzeitig ein gigantischer „Erfinder" war; Mannh. Morgen 28. 1. 1985 [Montesquieu], der das Kaffeehaus den einzigen Ort nannte, wo
Gigolo gigantische Pläne, utopische Träume und anarchistische Verschwörungen geboren werden, ohne daß man seinen Stuhl verläßt; taz 4. 9. 1990 Hundertprozentigen Siegeswillen hatte zuvor in einem gigantischen Match, das die 20.000 Zuschauer im Louis-Armstrong-Stadion immer wieder von den Sitzen riß, John McEnroe bewiesen; ebd. 13. 5. 1993 Während sein Phlegma bis zum Schluß die Oberhand behält, gibt sich Gundis offen der Begeisterung hin: „Krchch haha, ja das ist unglaublich, ist ja gigantisch!"; Mannh. Morgen 15. 11. 2001 Die Zeit bei den Niedersachsen „war gigantisch, einfach überragend. Ich habe acht LigaSpiele gemacht und dabei viel gelernt", gerät Ehelechner ins Schwärmen; Hamb. Morgenpost 19.7.2006 Schokoladen-Olivenauflauf mit Rahmeis auf Karamell. Gigantisch lecker — das gilt für alle 300 Rezepte. gigantisieren: Prankf. Rundsch. 12. 10. 1999 Wenn Cartwright einen Lallmonolog als Edwins erstes Gedicht dokumentiert, dann mag der Leser das zunächst für Millhausers Attacke auf die hermeneutische Unredlichkeit vieler Künstlerbiografien halten, die im Lichte des Spätwerks die Anfänge „gigantisieren". Gigantismus: Mannh. Morgen 7. 8. 1989 In dieser vor allem auf Porträts abgestimmten Ausstellung
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wird einmal nicht der Gigantismus dieser Künstlergestalt [Picasso], sondern seine Intimwelt herausmodelliert. Gigantomachie: Fischart 1581 Dämonomania 47 Welchs die Alten Heyden haben auff die Gigantomachiam oder Himmelsbestürmung der Riesen gezogen; Th. H. A. Bode 1800 Gigantomachia, das ist heilloser Krieg einer gewaltigen Riesenkorporation gegen den Olympus (Titel); Fallmerayer 1850 Aufs. H 109 Gigantomachie, ein Kampf der hundertarmigen Riesen gegen die Bewohner des Olymp; Preller 1875 Griech. Mythol. II 163 Schon die Hesiodische Dichtung kennt [Herakles] von dieser Seite und seine Bedeutung in der Sage von Prometheus und in der Gigantomachie ist im Wesentlichen dieselbe; Wust 1936 Ungewissheit (IV 115) Die Gigantomachie von Glauben und Unglauben; 1942 Geopolitik 344 In engerer geomilitärischer Hinsicht traten vor einem Jahr Europa und der Bolschewismus zur Gigantomachie zwischen dem Weißen und dem Schwarzen Meere an; Wagner 1965 Historiker 137 Gigantomachie der Industriegesellschaften, die sich Carlo Schmid und Hans Freyer vornehmen; Berl. Ztg. 27. l. 2001 und pilgert täglich ins Pergamon-Museum, wo es ihm der Gigantomachiefries angetan hat, der Kampf der Olympier mit den Giganten.
Gigolo M. (-s; -s), Anfang 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. gigolo (maskuline Entsprechung zu gigolette 'Tänzerin, leichtes Mädchen, Straßenmädchen', zu gigue < engl. jig 'lebhafter Tanz englischen oder irischen Ursprungs mit schnellen Beinbewegungen', eigentlich '(langes) Bein, Schenkel', vgl. frz. (dial.) gigo 'Schenkel', frz. gigoter 'die Schenkel bewegen, zappeln, tanzen', zu altfrz. giguer 'laufen, hüpfen, tanzen'; vgl. Gigue 'lebhafter engl. Tanz; Satz einer Suite'). Zunächst (heute veraltet) für 'als männlicher Tanzpartner in einem Tanzlokal Angestellter, professioneller Tänzer, Eintänzer' (s. Belege 1930, 1989); dann in der dominanten Bed. '(gutaussehender, eleganter, in der Halbwelt verkehrender) jüngerer Mann, der sich von einer (meist älteren) Frau aushaken lässt, junger Begleiter/Liebhaber einer älteren Dame' (vgl. Callhoy, —> Callgirl, Latin lover, —» Lover, —> Galan, —» Playboy), in Wendungen wie ein verführerischer, lasziver, windiger, abgetakelter, alternder, italienischer Gigolo, in Gigolo-Kreisen, Schöner Gigolo — armer Gigolo (Titel eines heute noch populären Schlagers aus den 1920er Jahren, s. Beleg 1929), er arbeitet als Gigolo, sie hat/hält sich/leistet sich einen Gigolo und Zss. wie Gigololeben, -Gangster, -Typ; Alt-, Edel-Gigolo, vereinzelt auch 'charmanter Lebemann, junger (oder auch älterer) Frauenheld, Verführer' (—* Casanova, —» Don Juan; s. Belege 1990, 1996), in Wendungen wie ein reicher, alter, unverbesserlicher Gigolo und Zss. wie Provinz-, Vorstadt-Gigolo; dazu vereinzelt die adj. Ableitungen gigolohaft und gigolomäßig.
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Gigolo: Schmitz 1911 Brevier 175 Das Menschliche in der Curtisane gehört dem Zuhälter, allein ihm, und selbst . . das junge Kerlchen ohne Bedeutung, der beguin, der gigolo, der sie vielleicht umsonst hat, ist nur eine Maske, mit der sie sich selbst täuscht; 1929 Schöner Gigolo (Schlager) Schöner Gigolo, armer Gigolo,/ Denke nicht mehr an die Zeiten,/ Wo du als Husar,/ Goldverschnürt sogar,/ Konntest durch die Straßen reiten./ Uniform passee,/ Liebchen sagt adieu,/ Schöne Welt, du gehst in Fransen./ Wenn das Herz dir auch bricht,/ Zeig ein lachendes Gesicht./ Man zahlt, und du mußt tanzen; Tucholsky 1930 Ges. W. Vlll 73 Neulich hörte ich in einem Dancing in Nizza einen armen kleinen Gigolo sagen: Une femme! Une femme! Ca fait pipi avec den; Für die Frau 30. 4. 1933 Ich lade Sie zum Mittagessen ein, . . vorausgesetzt, daß Sie Ihr Teil selbst bezahlen — ich meinerseits bin kein Gigolo und zahle immer für mich selbst!; 1943 Wissen u. Wehr 272 der Gigolo, der elegante Gardeoffizier aus armem Adel; Kirst 1954-55 08/15 42 er war dort auch willkommen . ., als besserer Gigolo für ältere Semester oder als Heiratskandidat für vornehme Gänse (DUDEN 1999); Genet 1963 Miracle (Übers.) 292 Zuhälter und Gigolos in Lackschuhen (DUDEN); taz 19. 11. 1988 Im rö-
mischen Palazzo eines Kunstexperten bricht eine Marchesa mit ihrem Anhang ein. Zur Clique gehört auch der Gigolo Konrad, Madames Geliebter; ebd. 9. 1.1989 erfreute sich doch der 5-o'-clockTea bei den schnieken Ladies größter Beliebtheit, nicht zuletzt wegen der Gigolos. Diese professionellen Eintänzer wuchten jeglich weiblich' Wesen, ohne Ansehen von Alter oder Gewicht übers Parkett, mit Todesverachtung & steifem Kragen; ebd. 2. 2. 1990 Die größten Schlagzeilen brachte seinerzeit der Tod ihres Liebhabers . . Johnny Valentine, ehemals Leibwächter des Gangsters Mickey Cohen und umschwärmter Gigolo; Zeit 15. 12. 1995 Auch Norma, die gealterte Stummfilmdiva, die . . von einem Comeback träumt, die sich einen jungen Gigolo kauft und am Ende, als er ihr die Augen öffnen will, erschießt; Züricher Tagesanz. 11. 10. 1996 Was aber, wenn diese Frau die steuertechnischen Geheimnisse ihres Ex-Mannes preisgibt und ihn als polospielenden Gigolo und Steuerbetrüger hinstellt?; Mannh. Morgen 21.12.2002 Nach Überzeugung des Richters drang der Angeklagte, der nach eigenen Angaben als Gigolo von Zuwendungen älterer Frauen lebt, über ein Kellerfenster in die Villa der Wormser Seniorin ein.
Gips M., bis ins späte 18. Jh. nur N. (-es; —, fachspr. -e), im frühen 12. Jh. vereinzelt, seit Anfang 16. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. lat. gypsum (< griech. 'Gips, Zement', —* Zement; eventuell aus hebt. gävis 'Kristall'); seit frühnhd. Zeit bis Mitte 19. Jh. in der gräzisierenden Schreibung gyps, seltener gibs, gipsz, gybs, gybsz, vereinzelt in der obd. Form ips. a Zunächst mit Bezug auf den natürlich vorkommenden Rohstoff in der Bed. 'natürliches, kristallines, zumeist durchsichtig-farbloses oder weißes, infolge von Verunreinigungen seltener auch andersfarbiges Calciumsulfatgestein von variabler Konsistenz, wasserhaltiger, schwefelsaurer Kalk', in Wendungen wie Gips abbauen und in vorwiegend fachspr. (Bergbau, Geologie) Zss. wie Gipsab/-bergbau, -ablagerung, -kristall, -lagerstätte, -schlotte 'durch Auswaschen in gipshaltigem Gestein gebildete Höhle', -spat; Alabaster-, Atlas-, Naturgips, im 16. Jh. vereinzelt in der Bed. 'die bevorzugt auf gipshaltigen Böden wachsende Nutz- und Heilpflanze Gipskraut (GypsophilaY (s. Beleg 1543), in jüngster Zeit auch (kurz für) Rauchgasgips (auch -Gips) 'mit dem natürlichen Rohstoff chemisch identischer Gips, der als Nebenprodukt in Rauchgasentschwefelungsanlagen (REA) von Steinkohlekraftwerken anfällt und den Naturgips im Baugewerbe ersetzen kann' (s. Belege 1988, 2000, 2005). b Gleichzeitig in Zusammenhang mit der Verarbeitung in roher oder gebrannter und pulverisierter Form als Werkstoff in unterschiedlichen Anwendungsbereichen, zunächst in der Medizin in Form von Pulver oder Brei als entzündungshemmendes und beruhigendes Mittel (s. Belege 12. Jh., 1735), dann insbes. als Baumaterial, v. a. als Innen- und Außenputz, als Mörtel sowie für Stukkaturen und Fußböden (s. Belege 1473, 1693, 1695, 1757.1, 1765, 1855, 1883, 1902, 1971), in Wendungen wie gebrannter, d. h. durch Erhitzen entwässerter Gips erhärtet nach dem Löschen (An-
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rühren mit Wasser), eine Wand mit Gips bestreichen/überziehen, Gips anrühren, gelöschter Gips und in seit der Industrialisierung verstärkt auftretenden Zss. wie Gipsarbeit(er), -Industrie, -marmor, -mörtel, -platte, -stuck, bes. im 1938 aus dem Stadtnamen Riga und Gips kontaminierten Firmen- und Produktnamen Rigips 'Gipskarton, Baustoff aus Gips, meist in Form beidseitig kartonierter Platten' (s. Belege 1970, 2006), v. a. in der Zs. Rigipsplatte, dann im Bereich der bildenden Kunst zur Bezeichnung einer durch den Zusatz von Wasser, Milch oder Essig (und Eisenspänen) zu einem schnell härtenden Brei vermischten Modelliermasse, die für Plastiken, Vorstudien und Kopien von Skulpturen sowie für Architekturmodelle verwendet wurde (s. Belege 1675, 1757.2, 1925, 1957), in Wendungen wie mit Gips arbeiten, aus Gips formen, mit/aus/in Gips modellieren, aus/in Gips gießen, auch als Bezeichnung für den daraus geformten Gegenstand selbst, überwiegend im PL (s. Belege 1806, 1930, 1999.1), meist als Bestimmungswort in Zss. wie Gipsabdruck, -abguß, -büste, -gestalt, -köpf (seit Ende 19. Jh. auch übertragen für 'starrsinniger, uneinsichtiger, unflexibler, verbohrter, dummer, sturer Mensch', s. Belege 1931, 2000.2), -maske, -modeil, -statue, z.T. in abwertender Abgrenzung zu Marmor (s. Beleg 1772), im Bereich der Landwirtschaft seit Mitte 18. Jh. zur Bezeichnung von Streudünger (s. Belege 1824, 1863, 1979.2) sowie für den (als Streck- oder Bindemittel gebrauchten), säurebindenden und farbaufhellenden Zusatzstoff in Futter- und Lebensmitteln (s. Belege 1841, 1856, 1979.1, 2000.1), seit Mitte 19. Jh. im Bereich der Medizin für den 1852 entwickelten schnell härtenden Fixationsverband (v. a. bei Knochenbrüchen; s. Beleg 1954), in Wendungen wie den Arm/das Bein in Gips haben, den Arm/das Bein in Gips legen, wie lange musst du den Gips noch tragen?, auf dem Gips unterschreiben, den Gips abnehmen und in Zss. wie Gipsbett, -korsett, -krawatte, -verband, metonymisch Gipsarm/-bein/-fuß 'Arm/Bein/Fuß mit Gipsverband' und salopp soldatenspr. Gipsarbeiter, -chef, 'Militärarzt' (vgl. u. Gipser), in jüngster Zeit auch bezogen auf Kunststoffverbände gleicher Funktion (s. Beleg 2000.3), vgl. Kunststoffgips; seit Anfang 20. Jh. vereinzelt übertragen (Soldatensprache) in der Bed. 'Mittagessen' (s. Beleg 1905.1), vgl. Gipstrog 'Essschüssel' (s. Belege 1905.2, 1917); die mehrfach gebuchte Bed. 'Geld' ist nicht belegbar. Dazu seit späterem 15. Jh. die verbale Ableitung gipsen V. trans., auch gypsen und vereinzelt französisierend gipsieren, im Baugewerbe in der Bed. '(glatte) Flächen (Wände, Decken) mit einer Gipsschicht überziehen, weißen, tünchen, verputzen', in Wendungen wie die Wände/Decke gipsen, vereinzelt 'mit gegipsten Stukkaturen versehen, schmücken' (s. Beleg 1751), auch übertragen (s. Beleg 1999), mit den Präfixbildungen vergipsen, soldatenspr. auch übertragen (s. Beleg 1917), und zugipsen, seit Mitte 18. Jh. in der Landwirtschaft in der Bed. 'mit Gips düngen' (s. Belege 1851, 1858, 1902), in Wendungen wie Kleefelder/Äcker gipsen, daneben früher im Bereich des Weinbaus für '(zur Klärung des Weines) Gips beimengen/zusetzen; mit Gips versetzen' (s. Belege 1859, 1888), in der Medizin für 'gebrochene Gliedmaßen zur Ruhigstellung in Gips legen, einen Gipsverband anlegen' (s. Belege 1988, 1996), heute meist präfigiert eingipsen (s. Belege 1926, 1951) (zu Ib). Dazu seit früherem 15. Jh. die Berufsbezeichnung Gipser M. (-s; -), auch Gypser, Ipser, auch moviert Gipserin F. (-; -nen), 'Bauhandwerker/-in, der/die Tünch-, Stuckund Verputzarbeiten mit Gips ausführt', in Wendungen wie morgen kommen die Gipser, sobald die Gipser draußen sind, können wir tapezieren und Zss. wie Gipserarbeiten, -geschäft, -meister, -gewerbe, -lehre, soldatenspr. scherzhaft 'Sanitätssoldat/-in' (zu Ib).
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Dazu seit 12. Jh. (AHD.WB) die heute seltene adj. Ableitung gipsen 'aus Gips gefertigt, geformt, dem Anschein nach aus Gips bestehend', auch übertragen 'hart wie Gips, kalt, starr, erstarrt, steif, unbeweglich, unflexibel, leblos' (s. Beleg 1926) bzw. 'in der Vergangenheit verhaftet und daher trocken, langweilig, öde' (s. Beleg 1977) (zu Ib), seit spätem 17. Jh. die gleichbed. adj. Ableitung gipsern, auch übertragen mit negativer Wertung 'steif, erstarrt, leblos, rückständig' (s. Belege 1908, 1928, 1955, 1983, 1999, 2001) (zu Ib), von spätem 17. bis spätem 18. Jh. die adj. Ableitung gipsicht für '(wie) aus Naturgips bestehend, Naturgips enthaltend, führend, gipshaltig' (zu la), vereinzelt für 'aus Gips gefertigt, geformt, dem Anschein nach aus Gips bestehend' (zu Ib), seit frühem 19. Jh. verdrängt durch gleichbed. gipsig, zunächst auch in der Schreibung gypsig (zu la), auch bildlich und übertragen (s. Belege 1959, 1974, 1980) (zu Ib). Gips a: 1122 Summ. Heinrid (1895 Ahd. Glossen III 119) gips; Murmellius 1513 pappa 'gypsum' wisz erd oder gipsz (DWB); Fuchs 1543 Kräuterb. Xlr Dosten in wein gesotten vnd getruncken/ ist nützlich denen so von den gifftigen thiern gebissen seind. . . Mit Oxymelite in der Apotecken geheyssen/ denen so Gyps [Gipskraut] oder Zeitlosen gessen haben; Rot 1571 Diet. 315 'Gyps' Kreyden/ ein weiß/ weiß erdtrich; Paracelsus 1616 opera I 903c als ihr dann sehen an den mineralicn, die geben metall, . . spatt, gips, tryfel, rötel (DWB); Stieler 1691 Stammbaum I 658 Gips . . Gypsus, gypsum. Ein schoener weißer Gips; Weber 1734 Enc. I 578 Gypsum . . Gyps, Spat, Spar-Kalck; 1740 Zedler XXVI 894 Die Stadt Paris bedienet sich übrigens dieses hohen Berges, . ., wegen des schönen Gipses, so daselbst zu den Haeusern gegraben wird; 2763 Commentarii scientia naturali 698 hoc alabastrino-argillaceum glaucum, das graue Gyps oder Alabasterlager; Ferber 1780 Gebirge u. Bergwerke 158 Gips, theils derb, weiß, undurchsichtig, oder etwas roethlich, theils durchsichtig, kristallinisch, entweder blaettrig oder wuerfelich; ebd. 160 Kristallinisches Fahlerz bricht selten zu Herrengrund, alsdenn aber in Hoehlen des unfoermigen Schwarzerzes, oder in blaettrigen oder wuerflichten Gipsspat; Gren/Gilbert 1800 Annalen d. Physik Hl 374 Der im Filtro gebliebene Rückstand von der geistigen Ausziehung wog nach dem Trocknen 18 Gran. Er war vitriolsaure Kalkerde, oder Gyps; Leonhard 1818 Taschenb. d. Mineralogie 358 Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dass dieser Gyps als Lager im Mergelschiefer vorkommt, welcher wieder untergeordnete Lager des Alpenkalksteines ausmacht; Karsten/Dechen 1839 Archiv f. Mineralogie 469 Dann kommt man auf blauen Thon, welcher deutlich unter dem Gips einfällt und viele kleine Muscheln mit wohlerhaltenen Schaalen einschliesst, die ganz an das Tertiärgebirge erinnern; Cotta 1842 Geognosie 226 nicht unwahrscheinlich rühren die Gypsschlotten z. Th.
von ausgewaschenen Salzmassen her; Hüttmann/ Tormin 1883 Gipser 15 Der Gips ist ein als Gestein sehr verbreitetes Mineral, welches bald kristallisiert und blätterig, bald faserig, bald körnig und dicht, selbst erdig angetroffen wird; Uppsala 1892 Bulletin 77 In dem Gips kommen weisse lose Sandsteinlager vor, die vollkommen mit den losen weissen Sandsteinen des Pyramidberges übereinstimmen; Heim 1921 Geologie I 78 Bei Falten, die durch Quellung der Schichtsubstanz entstanden sind (Übergang von Anhydrit in Gips), sind die Faltenschenkel verdickt; Philippson 1939 Byzant. Reich 166 Außerdem werden Gips und Oker (terra umbra) aus dem Tertiär gewonnen; Süddtsch. Ztg. 30. 4. 1958 In der kleinen Zeitspanne, die zwischen Bronze- und Jetztzeit liegt, wurde u. a. der Gips, ein Mineral der Salzlagerstättengruppe, entdeckt; Mannh. Morgen 30. 6. 1988 Absoluter Favorit in Sachen Entschwefelung sind die . . Kalk-Gips-Verfahren, bei denen das Rauchgas mit einer kalksteinhaltigen Flüssigkeit besprüht wird . . dabei verbindet sich das Schwefeldioxid mit dem Kalkstein zu Gips; Heidelb. Akad. d. Wiss. 2000 Energie u. Umwelt 63 Umfangreiche Untersuchungen haben ergeben, dass Rauchgasgips mit Naturgips von der Zusammensetzung her vergleichbar ist und auch ohne gesundheitliche Bedenken als Baustoff eingesetzt werden kann; Okrusch 2005 Mineralogie 72 In Konkurrenz zum Naturgips steht der Rauchgasgips (REA-Gips), der bei der Entschwefelung von Verbrennungsgasen fossiler Brennstoffe in Kraftwerken anfällt. gipsicht: Stieler 1691 Stammbaum l 658 'gipsicht' gypsatus, in modum gypsi; Krünitz 1810 Oec. Enc. CXV 345 dieses Verwickelte wird sogleich verschwinden, sobald man bedenkt, daß ungeachtet des äußerlichen Ansehens beyde Arten im Grunde eines, und daß die zwey Erden, die glasartigen oder kieselichten und gypsichten nähmlich, zusammen genommen nichts anders als ein künstlicher Pe-
Gips tuntse sind; Rosenberger 1884 Gesch. d. Physik 389 Die Erden lassen sich eintheilen in kalkichte, thonichte, gypsichte und glasichte. gipsig: Leonhard 1816 Taschenb. gesummte Mineralogie X 1,37 Diese Werner'sche Bestimmung als reine Thonerde, fiel dem erwähnten Herrn Hofrath Schreber sehr auf, theils, da er diess Fossil für gypsig hielt, theils da Wallerius . . die Existenz der reinen Thonerde leugnete; Cotta 1842 Geognosie 515 Da nun aber diese Bodenarten sämmtlich in einander übergehen und folglich die verschiedenartigsten Zwischenstufen gefunden werden, so erhalten sie die näher bezeichnenden Zusätze thonig, lehmig, sandig, kalkhaltig, kalkig, mergelig, gypsig, talkig, humusarm. .; Sanders 1871 Fremdwb. l 468 f. gypshaft, gypsig (od. besser mit i statt y); Krenkel 1925 Geologie Afrikas l 422 die Schiefer oft gipsig; Baierle 1985 Veget. u. Flora Saudi-Arabien 49 An dieser Stelle sei an die im Schichtstufenland auf gipsig-felsigem Substrat vorkommende Salsola tetranda-Gesellschaft zurückverwiesen; Mannh. Morgen 22. l. 1985 der Eindruck von zierlicher Fragilität wird durch das helle, gipsig brüchige Material [Keramik] dieser Skulpturen noch unterstrichen, das den Gestalten etwas Flüchtiges verleiht. Gips b: 12. Jh. (Pfeifer, Zwei dt. Arzneibücher 15) ad sananda gravia vulnera . . nim mirram . . harz .. aloe gips . . mach ein pulver dannän uz unde säe ez dar ane; Konrad v. Würzburg 1275 — 77 Schmiede 55 dm schamel niht gemachet ist/ von holze noch von gipse; 1473 Zs. d. hist. Ver. f. Schwab. XXIII 2 den man von yps an dem rauthus (DWB); Gersdorff 1517 wundarzney 30b nim die grosz walwurtz gepulvert, und nim gallas, . . gyps, colofonien, . . disz mach alles undereinander (DWB); Dasypodius 1536 Diet, l 335 mit Gyps zeychnen . . mit Gyps bestreychen; Schweickhart v. Helffenstein 1591 Basilius magnus 58 von außen hat er schier die gestalt eines bildes, inn gipß getruckt, oder in ein stein gehawen (DWB); Guarinonius 1610 Greuel d. Verwüstung 614 die röhr . . bissweilen mit gypss . . überfahren (DWB); Bech 1621 Agricolas Bergwerckbuch 378 in ein anderen tiegel auszgossen, der inwendigen mit unschlit oder gypsz überstrichen ist (DWB); Wehner 1624 Observationum Über 234a die Steinkohlen, wie auch diejenigen stein, darausz gips, trinckgeschirr und anders gemachet wird (DWB); Schurtz 1672 Materialienkammer 5 Diß Metall empfaenget bald Rost/ . . doch werden ihm solche Flecken bald benommen durch Meerwasser/ und wird dafuer verwahret/ wann man darauff streicht Mennig/ Gibs und zerlassen Pech/ oder zerlassen Hartz; Sandrart 1675 Teutsche Academie III 60 Wer aber die
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Kunst/ alle phantasien und Einbildungen des Gemuetes wol auszuzeichnen/ begreiffen will/ hat vonnoeten/ daß er/ nachdem er sich eine Zeitlang in Handrißen geuebet/ sich ferner exercire/ in Abbildung erhobner stillstehender Stuecke/ die aus Marmor/ Gyps oder sonst nach dem Leben gestaltet sind; 1683 Frz. Kriegssimplicissimus I 158 die obere ausz gips gekräuselte bühne blanckete gleichermassen so schneeweisz als die wenden (DWB); Abr. a S. Clara 1693 }udas III 233 wer halt gut will bauen, muß mehrer Gibs, als Stein brauchen (DiBi 125); ders. 1695 Judas V 104 es seye dieses große Thürgestell ganz und gar nit aus Marmor, sondern nur von Gipsarbeit, und auf Marmorart also pallirt (DiBi 125); Croekern 1729 Wohl auszehrender Mahler 393 Will du in Gips nach Tischer-Art was einlegen, so must du, wenn der Gips noch etwas weig, oder wenn er hart worden . . auf denselben dein Vorhaben oder was du wilt, zeichnen; Zedler 1735 Universallex. XI 1519 Dieser Gyps wird auch von dem gemeinen Manne innerlich wieder die rothe Ruhr und andere Bauch—Flüsse mit Nutzen genommen, indem er die boese Säure versuesset, austrocknet und stopffet; Eggers 1757 Kriegs-Lex. H 144 Marbre artificiel, heißt der von Gyps mit eingemischten Farben nachgemachte Marmor; ebd. 225 Modell, Muster, Modele, in der Baukunst eine vollkommene geschnitzte Vorstellung eines ganzen Gebäudes, einer Festung, eines Schiffs, einer Statue etc. so man auszuführen vorgenommen, damit man sich vorher einen völligen Begriff von der Sache machen . . könne; dasselbe kann von Wachs oder Gyps poussiret, besser aber von Holz verfertiget werden; Schrebers 1765 Schriften III 141 Will jemand aber recht festen Gips haben, womit er sogar eiserne Klammern, Thorangclhaken und dergleichen einschüttet, auch große Quaderstücke damit verbinden könnte; so nehme er 2 Theile Gips und l Theil Eisenfeilspäne oder auch so genannten Hammerschlag, rühre solches mit Essig ganz flüssig ein und lasse es binden; Goethe 1772 Sehr. z. Kunst XII 23 Auch sucht der Bildhauer die Stimmung nicht in der Materie, woraus er arbeitet, er versteht sie in der Natur zu sehen, er findet sie so gut in dem Gips als in dem Marmor; Schmidt 1787 briefl. I 71 Unter den halberstaedtischen Dingen war seine höchste Bewunderung der erste Gipsabdruck, den Krull von Lessings Todtengesicht gemacht hat, und den Gleim als ein Heiligthum aufbewahrt; Fernow 1806 Studien 17 f. von den bereits versendeten [Bildhauerarbeiten] findet man noch die Gipse aufgestellt, so dass man so ziemlich Canova's ganze Kunst von ihrem Entstehen bis jezt in seinen Studiensälen beisammen sieht; Westenrieder 1824 Sonderbarkeiten 175 seit der Zeit, da man die Heu- und Blumenwiesen mit Gyps zu duengen angefangen hat, alle Bienenzucht ver-
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schwunden; Fiedler 1841 Reise 252 Man brachte uns einen sehr starken, süsslichen Wein, nach dessen Genus aber alle den ändern Tag über Magenkrampf, Leibschneiden und Colik klagten, man sagte uns, er sei zu sehr mit Gyps versetzt gewesen; Naumann 1855 Elemente d. Mineralogie 201 Der gebrannte und mit Wasser angemachte Gyps wird als Mörtel, zur Herstellung von Estrichen, Stuckaturen, Büsten, Statuen, Abgüssen und Formen aller Art, auch zur Bereitung des künstlichen Marmors (Gypsmarmor) gebraucht; auch dient er als Zusatz zu Glasuren, zur Glas- und Porzellanmasse; 1856 Journal f. prakt. Chemie 111 254 f. Bekanntlich setzten die Alten, um ihren Wein milder und haltbarer zu machen, gebrannten Gyps dazu und auch heute verfährt man in Griechenland noch so. Prof. Hessel h a t . . einige Versuche mit trüben Weinen . . gemacht und fand, dass der Gyps bald die Klärung herbeiführt und den Wohlgeschmack der Weine nicht beeinträchtigt .. und dass saure Weine auch einen Theil ihrer Säure (Essigsäure) zu verlieren scheinen; von Waldegg 1863 Gypsbaumeister 4 In der Landwirtrischaft äußert die Anwendung des Gypses bekanntlich oft die günstigste Wirkung, besonders bei den Hülsenfrüchten, Kreuzblüthigen, Liliaceen u. a. Pflanzenfamilien hier wird gewöhnlich gebrannter Gyps angewandt; gebrannt und an der Luft gelöscht, dann bei feuchtem Wetter aufs Land gebracht, scheint er besonders günstig zu wirken, zum Theil durch seine Bestandtheile, vielleicht durch Einsaugung und Fixierung des flüchtigen kohlensauren Ammoniaks; Hiittmann/Tormin 1883 Gipser 27 Gips wird als Mörtel ohne Beimischung von Kalk und Sand zu vielen Bauzwecken verwendet; Otte 1898 Archäolog. Katechismus 124 Erhabene Inschriften lassen sich auf gewöhnlichem Papier mit einem Farbstück durchreiben, vertiefte mit angefeuchtetem Löschpapier und Bürste abklatschen, kleinere in Gyps oder Staniolpapier nachbilden; Königl. Aufsichts-Kommission 1902 Gipsmörtel 38 Der Mörtel besteht aus einem Gemenge von Weißkalk, Gips, feinkörnigem, eisenschüssigem thonigem Quarzsand und vereinzelten gröberen (bis hühnereigroßen) dichten Kalksteinbrocken. Das Bindemittel, ein Gemisch von Kalk und Gips, ist ungleichförmig im Mörtel vertheilt; Hörn 1905 Soldatenspr. 86 Zwar liefern diese Quellen dem Soldaten nicht die kommißmäßige Verpflegung, das Mittagessen, den . . Gips (Schlesien); ebd. 87 'Der Schlag voll' ist württembergisch eine richtig gemessene Eßschüssel vol, der Westpreuße holt 'einen Zug'; dient der 'Freßnapf, 'Gipstrog' (Schlesien), 'Picknapf' zugleich zum Kaffee, so heißt er auch 'Schlammkübel'; Mausser 1917 Dt. Soldatenspr. 130 Eßgeschirr, -besteck (Schlammkübel, Gipstrog usf.); Klemperer 1925 Tagebücher 118 Nachbildung riesiger Museums-
stücke (Kunst u. Kultur amerikanischer Vorzeit, Altäre verschiedener Religionen) in Papiermäche u. Gips; Bode 1930 Leben 98 Seither ist das Prinzip der Farbigkeit, wie es für die Skulpturen aller Zeiten nachzuweisen ist, auch für die Gipsabgüsse wenigstens insofern verlangt und vielfach durchgeführt worden, als man den Gipsen den Ton des Marmors oder Steins resp. die Farbe der Bronze gegeben hat; Trauen 1931 Totenschiff 151 Ach, stell dich doch nicht so unschuldig wie ein neugeborenes Kind! Du weißt recht gut, was ich meine. Komms, du Esel, das sind die Kommunisten, Bolschewisten, du Gipskopf; Hanzelka/Zikmund 1954 Afrika 250 Das linke Bein über dem Knie und das rechte zweimal gebrochen, . . ein paar gebrochene Rippen, drei Monate in Gips im Krankenhaus; 1957 Westermanns Monatsh. l 80 Am Fundort wurden starkwandige, mit Klammern verstärkte Tonformen, Materialrückstände von Elfenbein, Bronze, Blei, Eisen und Gips . . und ein kleiner Bildhauerhammer aus Bronze ausgegraben; 1970 Hobby IX in diesem Zusammenhang seien auch die . . in Heimwerkerkreisen bekannten Gipskartonplatten (Rigips) . . erwähnt; FAZ 12. 8. 1971 Zum Bauen braucht man Gips; Hoff mann/Knittler 1979 Wirtschafts- u. sozialhistor. Beiträge 378 Die Milch wurde mit Wasser verdünnt, das Mehl mit Gips, Schwerspat oder Kreide vermischt, das Brot mit Alaun und Kalkwasser geweißt, die Butter mit Talg; Finck 1979 Dünger 151 Gips (CaSO4 · 2H2O) verbessert den Calcium-Zustand des Bodens, ohne den pH-Wert zu erhöhen; Berl. Ztg. 6. 9. 1999 Mit der Mischung aus Studien, Zeichnungen, Gemäldekopien, geschnittenen Steinen und Gipsen soll der Betrachter ins „Zentrum von Goethes Kunstverständnis" geführt werden; taz 2. 2. 2000 Ein Dutzend belgischer Milchkühe fiel erst ins Koma und starb dann, nachdem es Zückerrübenmelasse zu fressen bekam. Eigentlich sind die Tiere ganz wild auf das Zeug, das Kühen etwa so schmeckt wie Menschen Eiscreme. Doch der Melasse war zu viel Gips als Bindemittel beigefügt worden; ebd. 30. 3. 2000 Dabei gibt es doch bereits für den „Idiotentest" schöne Varianten: „Kretin-Test" zum Beispiel; „Blödmann-" oder „Doofkopp-Test"; . . „Holz-", „Kohl-", „Knall-", „Gips-", „DöskoppTest"; Hansis 2000 Basiswissen Chirurgie 298 „Gipse" sind aus schnellhärtendem Gips oder schnell härtendem Kunststoffmaterial gefertigt; taz 11. 3. 2006 Karl Lagerfeld hat sich in diesem Palais Anfang der 90er-Jahre austoben dürfen. Hier und da ließ er auch ein bisschen Plastik und Rigips einbauen ins Privatpalais aus dem Jahr 1914. (ein-/ver-/zu-)gipsen/gipsieren: 1463 (1861 ZGO XIH 169) die want gipsen (LEXER); Österreicher 1491 Columella i 88 welchi (fässer), so si erfült
Gips werdent, alsbald sind si gegippsat oder verrent (gypsata) (DWB); Mauler 1561 Teutsch spraacb 200 Gypsen/ Weyßgen/ Weyßmachen; Rot 1571 Diet. 315 'Gypsirn' Weissen/ weiß machen; Fischart 1588 Bienenkorb 261" die meister discs bienenIcorbs, die sie noch was schöner haben wollen, die gipsen ihn ausswendig schön schneeweisz von weiszem biblischen marmelstein (DWB); Brand 1675 Leben Taubermanns 14 sein grab . . von außen zierlich gegipset (DWB); Beter 1691 Vom Handwerkszeuge 147 Albarium opus, vergypst/ Struktur-Arbeit; Wächtler 1709 Manual 150 Gypsen/ weiß und glatt machen mit Gyps; 1725 (Zs. f. d. Ver. f. Schwaben XXIII 19) wie nemblichen der gegnerische hr. Lotter das gipsen von denen Wessobrunner maurern . . erlernet (DWB); Weber 1734 Lex. Enc. l 578 Gypso . . gypsen, weiß machen, verkleben, verloethen; Gottsched 1751 Anmuthige Gelehrsamkeit II 224 so wenig schön als ein altes gothisches gebäud durch einige darauf gegypsete zierrathen oder vergoldete leisten schön wird (DWB); Lenz 1776 Landprediger 3H In der Tat hatte er während der Abwesenheit des Pfarrers noch verschiedene Zimmer überweißen und die Decke des Hauptsaals, den der Pfarrer, sowie den ganzen neuen Flügel der Pfarrerwohnung, auf seine Kosten angelegt, von neuem gipsen lassen (DiBi 125); Nicolai 1783 Reise durch Deutschi. VI 524 die wände sind gegipset (DWB); Niebuhr 1811 Rom. Gesch. 369 auf einer gegipsten tafel (DWB); 1851 Beschr. OA. Stuttg. 51 Das Gypsen der Kleeund Wickfutterfelder findet überall mit Ausnahme von Kemnath, welches von seiner Anwendung keinen Erfolg wahrgenommen haben will, statt; Dittmann 1858 Landw. l 123 Der Klee gedieh dort nicht mehr so gut als sonst, wiewohl man ihn im Herbste und Frühjahr gypste . . In Mecklenburg wird das Gypsen ziemlich stark betrieben und findet dort vielen Beifall; Pappenheim 1859 SanitätsPolizei 689 Unter dies Rubrum gehört auch das Gypsen der Weine. Je länger der Most auf den Trestern bleibt, desto farbreicher wird er; es gilt dabei jedoch, die Gährung zu beschränken, was der Gyps bewirkt; 1888 Archiv d. Pharmacie 749 Über das Gipsen des Weins hat eine offizielle wissenschaftliche Kommission in Paris durch ihren Berichterstatter Marty ein ausführliches Gutachten abgegeben; Goltz 1902 Gesch. d. dt. Landwirtsch. l 450 Auch das Gipsen des Klees wurde eifrig betrieben; Mausser 1917 Dt. Soldatenspr. 53 Zu den Redensarten, die unter dem Begriff des für dumm gehaltenen Soldaten, zum Teil auch wiederum des Schwätzers zu subsummieren sind, zählen Wendungen wie etwa 'jemanden vergipsen', auch 'Gips laden' — jemanden veralbern, zum besten haben (sächs.); Betz 1918 Psych. d. Denkens 319 wer gipst einen immer locker werdenden Nagel in die
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Wand, und welchen Entschluß kostet es, eine Zentralheizung einbauen zu lassen; 1926 Archiv f. klin. Chirurgie CXL1 653 Von jeher gipse ich den Fuß prinzipiell in der Schlafstellung ein, und ich habe nie, auch bei sehr langer Dauer der Fixation, einen Spitzfuß entstehen sehen!; Zweig 1937 Einsetzung 162 Wo Hildchen doch das Mauseloch zugegipst hat; Sauerbruch 1951 Leben 338 Sie würden, wenn Sie das Glück hätten, daß es sich nur um eine gewöhnliche Fraktur handelt, den Arm eingipsen; Braun 1974 Irrtum d. gr. Zauberers 15 Wir müßten mal Fenster einsetzen und vielleicht die Löcher im Fußboden und in den Wänden vergipsen, schlug ich vor; Drimmel 1986 Justizpalastbrand 117 Die Intellektuellen sagten, es nütze gar nichts, die Risse im verfallenden Gebäude des Staates zu vergipsen, man müsse an die Wurzel des Übels heran; taz 5. 7. 1988 nebenan wurden hochseptische Fälle geröntgt und gegipst; ebd. 22. 5. 1992 Hilferuf aus Sarajevo Leichen werden wegen Seuchengefahr eingegipst; ebd. 5.2. 1996 Dafür gipsten die Schwestern und Ärzte der Uni-Klinik Eppendorf auf Hochtouren: 134 Patienten mit Brüchen . . hatten sie bis Sonntag morgen zu versorgen; ebd. 25. 10. 1999 „Die Jahre, die Ihr kennt", seine [Rühmkorfs] Autobiografie von 1972, ist Leibesund Zeitvisite von einem, der .. so lebendig geblieben ist, dass er nie der Versuchung erlag, aus seinen Gedanken Systeme zu gipsen; Berl. Ztg. 31.3.2001 Schauspieler Robert Stadiober muss jetzt nicht rennen, aber dafür umso mehr mauern und gipsen und dübeln, denn für den Fall seiner Nominierung hatte er sich fest vorgenommen, zu Hause einen Kamin zu bauen; taz 6. 12. 2003 Die Männer in blauen Overalls begannen mit dem Verlegen von Rohren für die projektierte Heizungsanlage. Sie bohrten Löcher. Sie gipsten die Löcher wieder zu. gipsen Adj.: um 1450 Codex Oxoniensis (1895 Ahd. Glossen Hl 388) Gypseum est gipsen; Furttenbach 1643 Büchsenmeistereischul 22 dasz die kuchen . . oben ein gipsen bühne oder decken hatte (DWB); Sturm 1718 Vollst. Anw. 27 in den zimmern, da man wohnet, werden die höltzernen, in den übrigen die steinernen oder gipsenen böden vorgezogen (DWB); frisch 1741 Teutsch-lat. Wb. 387 gypsen .. gypseus; Ayrenhoff 1770 Postzug (S.W. Ill 17) Ob er den gipsenen Neptunus allein, oder auch Ludwig den vierzehnten zu Pferde, auf die Tafel stellen soll? (DiBi 125); 1824 Denkschriften d. kgl. Akad. d. Wiss. VIII 4 f. statt die artistische und archäologische Kritik wie ehemals nur auf ein paar Dutzend berühmter Werke zu begründen .., welche in Gypsabgüssen nach allen vier Welt-Gegenden geschickt wurden, um der Kunst als Archetyp zu dienen, und eine, wenn man sich
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Gips
so ausdrücken darf, gypsene Ansicht des Alterthums zu verbreiten; Heyse 1833 DWB I 588 gipsen . . von oder aus Gips; Sanders 1871 Fremdwb. l 468 f. gypsen .. aus Gips; Heyne 1890 DWB l 1186 f. gipsen . . aus Gips bestehend; Einstein 1926 Kunst 9 In der Literatur durchbricht man die Konvention des pathetischen Ereignisses, man löst die gipsene Ewigkcitspose des Helden in Bewegtheit und innere Entwicklung; Mittenzwei 1977 Wer war Brecht 533 Die Klassiker sind irrelevant geworden, proklamiert der junge Radikale immer wieder; sie wirken nicht mehr auf die junge Generation, sie gehören zum gipsenen Gerumpel eines verkrachten und überlebten Deutschland; Muschg 1980 Baiyun 269 Wir gingen durch eine gedeckte Passage, in der Mao im gipsenen . . Mantel die Hand erhob. Gipser: 1442 (1920 Anzeiger f. schweizer. Altertumskunde XXII 284) Den gypsern hiessend min herren geben l Ib.; 1477 (ebd. 284) It. 2'/2 ß. umb kertzen dem gypser in der von Säliß huß; 2495 (ebd.) Meister Niclausen dem gipser von dem laternen stock vor dem beinhus 2 Ib.; Fronsperger 1564 Bauordn. 88b deszgleichen ist der gipser Belohnung den tag den Steinmetzen oder maurern gleich (DWB); Comenius 1644 janua 158 der gypser oder tüncher (DWB); Cario 1684 n. Hall- u. Thonkunst 76 denn gleichwie ein häfner, gipser oder dergleichen werckmeister verschiedene formen . . hat (DWB); Beter 1691 V. Handwerkszeuge 147 Incrustatores, quos germanice dicimus Tuencher. . . vel, quod gradum sublimiorem infert, Flachmahler und Gypser/ Wand—Poussirer; Sturm 1714 Anw. (Architektur) Ba wenn ein Gipser eine Decke berohret/ den Grund beworffen/ einen Simß gezogen/ die Stampffen oder Formen auffgeschlagen hat; Weber 1734 Lex. Enc. I 578 Gypsator . . Gypser, Stuccador; Nicolai 1759 Literaturbr. III 50 verzierer, musterzeichner, formenschneider und gipser (DWB); 1769 Bad. Zunftordn. c 5 17 solle nach der bauordnung kein maurer einem ipser oder tüncher . . und hingegen die ipser, häfner . . keinem maurer . . eingreifen (DWB); Adelung 1775 Grammat.krit. Wb. II 859 f. Gpyser . . ein Handwerksmann, welcher in Gyps, oder mit Gyps arbeitet; 1808 Repert. Comment, a societatibus litt. VII xi Weissbinder (Tüncher, Gipser); 1819 Neue allgem. geograph. Ephemeriden VI 104 Ein Verzeichniss der Interessenten und Meister in sämtlichen Zünften der Residenz für das verflossene Jahr 1818 wird eine ungefähre Uebersicht von dem hiesigen Industriefleisse . . geben: 29 Leuchtenmacher (!) 67 Maler, 38 Maurermeister, Gypser und Steinhauer; 1845 Neues allgem. Künstler- Lex. XV 195 Endlich lehrten ihn [J. J. Scherer] italienische Gypser in Stucco arbeiten, dann übte er sich im architektoni-
schen Zeichnen, und nach und nach wurde er ein vollendeter Baumeister; 1856 Archiv f. Schweizer. Gesch. XI 19 Dieser Petrus cementarius ist aber derselbe, welcher das Jahr vorher (1257) mit Chuno Gypsarius, dem Gypser, Eigenthümer des Hauses zum Riesen war, das beide, der Maurer und der Gypser mit einander gebaut hatten; Hiittmann/Tormin 1883 Gipser 8 Wer den Titel des vorliegenden Buches liest, dem mag es seltsam erscheinen, daß in demselben die Arbeiten des Gipsers, Zementierers, Tünchers, Stuckateurs, . . und endlich auch des Tapezierers beschrieben sind; Keutgen 1899 Urk. z. städt. Verfassungsgesch. 367 Basel: Bestätigung der Zunft der Maurer, Gipser, Zimmerleute, Böttcher und Wagner; Jutz 1925 Mundart Südvorarlberg 9 Vor dem Kriege waren es aber nur noch einige Gipser und Maurer, die ihr Brot in der Fremde zu verdienen suchten; Steffen 1947 Novellen 129 Heute zeigten sich einige Risse in der Wand. Die Gipser sagten: 'Das gehört ins Fach der Maurer.' Die Maurer erwiderten: 'Das ist Arbeit der Gipser'; Hegemann 1963 Steinernes Berlin 73 Solange dort [Berlin] die italienischen Baumeister geschätzt waren, ließ er sich von seinen italienischen Gipsern das modische Schmuckwerk seiner Bauten und vielleicht sogar die Baupläne machen; Mannh. Morgen 24. 1. 1986 Dennoch scheine sich auch hier die Situation umzukehren, Gipser, Maurer, Kfz-Mechaniker, Kachelofenbauer verzichteten mittlerweile bei ihren Annoncen auf eine Telefonnummer; St. Galler Tagbl. 23. 9. 1997 Aufgebracht wird der Verputz mit einem „Wormser", einem alten, handbetriebenen Gerät, das man laut Elio Pellin heute „fast nicht mehr bekommt" und nur noch von wenigen Gipsern beherrscht wird. gipsern: Sandrart 1680 Iconologia deorum 155" dann in höltzcrnen, steinernen oder auch gypsernen gefäszen vergähret und gleichsam kochet (DWB); Frisch 1741 Teutsch-lat. Wb. 387 gypsern . . gypseus; Lichtenberg 1794 (Leitzmann/Schüddekopf 1901-04 Briefe HI 264) gypserne statüe (DWB); Jean Paul 1804/05 Flegeljahre II 1031 Dann wirst du gequält und gedrängt, daß er dir mit seinen gipsernen Augen in deine naß-brennenden sieht (DiBi 125); Goethe 1809 Wahlverwandtschaften VI 389 zu einem Altar, worauf geopfert ward, und zu einer Bekränzung, es mochte nun ein gipsernes oder ein lebendes Haupt sein (DiBi 125); Rumohr 1832 Reisen 57 dem Ausgiessen von Gyps aus gypsernen Formen; Bechstein 1853 Sagen 605 die württembergische Regierung . . ließ den Herrgottstritt auf Rosenstein mit Pulver wegsprengen, das gipserne Marienbild aber einziehen — Aberglauben zu verhüten (DiBi 125); Sacher-Masoch 1870 Venus im Pelz 42 bald in olympischer Toi-
Girl lette, mit dem strengen weißen Antlitz der gipsernen Venus (DiBi 125); Heyne 1890 DWB l 1186 f. aus Gips bestehend . . dafür gipsern; Bierbaum 1906 Prinz Kuckuck o. S. „Gott sei Dank, er liegt unter einer dicken Marmorplatte, die bestimmt nicht gipsern ist, auf dem Sarazenenturm!"; 1908 Preuss. Jahrbücher CXXX1I1 498 Jetzt sind ja die Lesebücher solchen, auch mundartlichen, Stoffen gegenüber weniger spröde, aber immer noch zu ängstlich, immer noch, wie es jüngst in einem glücklichen Vergleiche Biese — der auch das Verhalten der Schulen erotischen Stoffen gegenüber als oft zu engherzig brandmarkt — ausführte, zu 'gipsern'; Christ 1916 Rumplhanni 579 Die Hanni aber klaubt die Scherben der Lourdes-Madonna zusammen, indem sie sagt: „Gholfa hast mir do, wannst aa gipsern bist! Aber halt di net auf: bal i erst Bäuerin bin, nachher stell i di stoanern auf!" (DiBi 125); Ringelnatz 1928 Mariner 186 Weil der König von Bayern diese Stadt beehrte, die mir gipsern, starr und unerträglich langweilig vorkam; Zeller 1955 Schiller 101 Man fand sein Pathos und sein Ethos banal und gipsern, weil man nicht mehr begriff, daß alles moralisch Große, in der bloßen Abstraktion ausgesprochen, banal und trivial erscheinen muß und seinen Rang immer nur in der konkreten Entscheidung erhält; Münch. Stadtanz. 5. 5. 1961 Daß es sich dabei um einen gipsernen Engel handelte, den Egidius zur Zierde seines Gartens am Wegrain aufgestellt hatte, machte des Sebastian alsbald heftig wachsende Beule nicht weniger schmerzhaft; Raddatz 1983 Nachgeborene 246 Fast ein Schock, wie gipsern alle, ausnahmslos alle politisch Agierenden des Buches bleiben [...] Sie grinsen, und lächeln nicht, sie dräuen, aber bedrohen nicht; taz 3. 2. 1998 Überhaupt gibt es in Shanghai einen Markt fürs klassisch Proportionierte und gipsern Geweißte. Beim „Venus Restaurant" in der Huashan Lu schmücken hingestreckte nackte Frauenkörper graeco-römischer Provenienz die Fassade; Frankf. Rundsch. 16. 7. 1998 Und dazu gehören eben auch die Nachbildungen der
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antiken Tempelteile. Die sehen gipsern aus, sind aber aus festem Beton gegossen; Züricher Tagesanz. 28. 8. 1999 Man liest ihn [Goethe] in der Schule, weil man muss. Und hält ihn dann für den Rest seines Lebens für einen gipsernen Klassiker — was er in keiner Weise ist. Goethe war nie gipsern, und eigentlich noch nicht einmal klassisch; Berl. Ztg. 21. 4. 2001 Sie ist weiß wie Gips, und gipsern, im Moment der Veränderung schon im Wunsch nach Klassizität und Verehrung erstarrt, erscheinen auch ihre Bewohner — Wagner mit der Wagner-Mütze, und Freia, Wotans Frau, in Gestalt der ruhmbewussten Gattin Cosima. gipsicht: Stieler 1691 Stammbaum l 658 'gipsicht' . . illitus, inductus gypso. gipsig: Sanders 1860 DWB I 587 [Gips]-ig: . . aus Gips, gipsartig; Barlach 1932 (Droß 1952 Briefe 173) Alles wird gipsig, aber die Arbeit geht frisch voran; Wolf 1959 Wir 403 Die Fenster waren verhängt, das grelle Licht der Deckenbeleuchtung tauchte das viereckige Zimmer in eine gipsige, kalte Helle; Fischer 1966 Brecht u.a. Zeitgen. 31 Tante versicherte meiner Mutter, daß ihre Vanillekipferln genausogut wären, wenn sie nur zwei Drittel der vorgeschriebenen Menge Mandeln und statt dessen Mehl hineingäbe. Sie waren aber hart und gipsig; Kußmaul 1974 Brecht 44 es stimmt mit Brechts Absicht überein, mit dem gipsig monumentalen Aufführungsstil seiner Zeit aufzuräumen, freilich hat er nicht nur mit einem Aufführungsstil, sondern auch mit einem Menschenbild aufgeräumt; Spindler-Niros 1980 Bayer. Kirchenräume 383 Die Fassung der rekonstruierten Nepomuk-Figur erscheint mir zu matt — sie müßte bewegt schimmern im Gegenlicht — und auch zu 'gipsig', zu wenig lebendig; Krause/Ulbricht 2000 Batrafen 32 Morphologisch dominieren zwei Formen [Hautpilz], der seltenere primär flaumige und der granulöse (gipsige) Typ.
Girl N., anfangs auch F., (-s; -s), seit späterem 19. Jh. gebuchte (SANDERS 1871), seit Ende 19. Jh., zunächst in der Zs. Dancinggirl, belegte Entlehnung aus engl. girl 'Mädchen' (< mittelengl. gurle, girle, gerle 'junge Person', weitere Herkunft ungeklärt, eventuell verw. mit niederdtsch. Gör). a Zunächst als Bezeichnung für eine junge Frau in Bezug auf ihre Beschäftigung als Tänzerin in einer Tanztruppe oder Revue, in Wendungen wie die Girls vom Apollotheater, Fernsehballett, Friedrichstadtpalast und Zss. wie Girltanz, -truppe; Ballett-, Revue-, Samba-, Show-, Tanz-, Tingeltangelgirl, dann auch allgemeiner für eine junge Berufstätige v. a. in der Unterhaltungs- und Werbebranche (s. Belege 1986, 2003; —* Hostess), in Zss. wie Background-, Chor-, Cover-, Film-, Kino-, Messe-, Reklame-, Script-, Stunt-, Vorführ-, Werbegirl, bes. Nummern-/Pausen-/Rundengirl
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Girl
'hübsche, leicht bekleidete Frau, die bei Boxkämpfen während der Pausen mit einer Tafel die jeweilige Runde anzeigt', auch bezogen auf Akteurinnen in frivolen Darbietungen, sexuell freizügige junge Frauen, leichte Mädchen, Prostituierte (s. Beleg 1992), in Wendungen wie heiße, scharfe, sexy Girls und Zss. wie Call-, Go-go-, Party-, Peepshow-, Pin-up-, Play-, Street-, Strip(tease)-, Taxigirl, in jüngster Zeit speziell als Bezeichnung für eine Sängerin in einer nur aus jungen Frauen bestehenden Popgruppe (s. Beleg 1998), in Zss. wie Girlband, -group (vgl. entsprechendes Boygroup); Technogirl. b Etwa gleichzeitig ugs. (und meist als Fremdbezeichnung) in der Bed. 'junges Mädchen, junge Frau', oft konnotiert mit „unkompliziert, kumpelhaft, sportlich, salopp (gekleidet), locker, ungezwungen" (s. Belege 1930, 1960, 1970; Ggs. -» Dame, —»· Lady), in Zss. wie Sport-, Tennisgirl, in neuerer Zeit in der Jugend-, Mode-, Werbesprache und nur in Bezug auf bestimmte Lebensbereiche der Jugendkultur (Straße, Schulhof, Disco, Party) für 'modernes Mädchen, (mode-, selbstbewusste) junge Frau', gelegentlich auch negativ konnotiert mit „trendorientiert, nur an (oberflächlichem) Spaß, Vergnügen, Fun interessiert" (s. Belege 1987, 2003), in Wendungen wie ein cooles, hippes, superblondes Girl, das Girl von nebenan, Boy trifft Girl und Zss. wie Girlpower, -typ; Bikini-, City-, College-, Disco-, Glamour-, Jeans-, Klasse-, Mode-, Motorrad-, Oberstufen-, Power-, Rasse-, Szene-, Top-, Traumgirl. Dazu in jüngster Zeit die aus engl. girlie 'kleines Mädchen, Mädelchen' entlehnte Diminutivform Girlie N. (-s; -s), selten auch Girly, zunächst v. a. bezogen auf Protagonistinnen der Musikszene für 'junge Sängerin (mit betont kindlicher Stimme), die in ihrer Aufmachung und in ihren Texten unschuldig-mädchenhafte mit selbstbewusst-frechen, schrillen, erotisch aufreizenden Elementen mischt', in Wendungen wie ein professionelles Girlie, das Girlie der Nation und Zss. wie Girlieband/-group, -pop, -hip-hop, -rap, -rave, -look/-outfit, -image; Berufs-, Pop-, Raver-, Techno-, Rock-, Schlagergirlie (zu a), dann allgemeiner in der Bed. 'selbstbewusste junge Frau, die in ihrer Kleidung und ihrem Auftreten auf selbstironisch-provokante Art die typischen Klischees und Attribute (braver, behüteter, unschuldiger) kleiner Mädchen karikiert und mit bizarren, martialischen, erotischen Accessoires kombiniert', gelegentlich auch abwertend für 'naives, dümmliches, hysterisches, enervierendes junges Ding; pubertierende, provozierende, aggressive Jugendliche' (vgl. Teenie; s. Belege 1998, 2000), in Wendungen wie eine Meute Girlies und Zss. wie Girlie-Mode, -Stil, -Klamotten, -Kleidchen, -Zöpfchen, -Frisur, -Boom/-Trend, -Szene, -Gang, -Generation, -Gehabe, -Gekreische, -Gestus, -Jargon, -Sprüche; Vorzeige-, Erstsemester-, Fachschafts-, Magersucht-, Neunziger-, Power-, Szenegirlie (zu b), mit den adj. Gelegenheitsableitungen girliehaft, girliemäßig sowie dem Subst. Girlietum N. (-s; ohne PL) (zu a und b). Girl a: Wedekind 1895 Erdgeist (W. l 287) Jetzt habe ich noch fünf Kostüme vor mir: Dancinggirl, Ballerina, Königin der Nacht, Ariel und Lascaris (DiBi 1); Tucholsky 1913 Ges. W. I 131 Manchmal benutzte ich [das Theaterglas] auch, wenn ich ganz vorn saß: dann durfte ich die mehlige Puderschicht auf den Gesichtern der Girls sehen (DiBi 15); Klabund 1918 Marketenderwagen 11 Ein blondes, grünbehängtes, amerikanisches Girl tanzte mit einem wolligen Nigger etwas Ähnliches, wie das,
was man heute Tango nennt (DiBi 1); Polgar 1926 Kl. Sehr. II 247 Girls nennt man Gruppen von jüngeren Frauen, die bereit sind, ziemlich entkleidet auf einer Bühne genau vorgeschriebene parallele Bewegungen zu machen. . . Girls sind ein sogenanntes „plurale tantum". . . Ein Girl gibt es nicht, so wenig, wie etwa einen Pfeffer. . . Mehrere, sagen wir etwa zwölf weibliche Wesen ä zwei Beine ergeben noch keine Girls. Erst bis sie ein Wesen mit vierundzwanzig Beinen geworden sind, führen sie
Girl den Namen zu Recht; Halbe 1935 Jahrhundertwende 164 die Amerikanerin Isidora Duncan mit ihrer Tanzgruppe schmalhüftiger, knabenhafter Girls; Klemperer 1947 Tagebücher 470 Ein amerikanischer Film. Eine Revue u. das Leben der Revuegirls. Die Lockung, grandeur et misere des Berufs; Offenburger Tagebl. 12. L 1959 Die Staatsanwaltschaft nahm Anstoß an eingeblendeten RevueSzenen, in denen Girls mit entblößtem Oberkörper auftreten; Stuttgarter Ztg. 2.6. 1962 zwei Pariser Tanzgirls der berühmten Folies Bergere; 1971 WDR-Hörfunkprogr. 16 eine melodramatische japanische Version von Schillers „Kabale und Liebe" (im Geisha- und Samurai-Kostüm von den Girls der 450 Mitglieder umfassenden Takarazuka-Show dargeboten); taz 18. 10. 1986 Die Opel-Präsentation . . erinnert ans amerikanische Profiboxen, wenn das Pausengirl mit dem Schild „Runde 5" und knappem Trikot durch den Ring schwänzelt; Ortheil 1992 Agenten 75 sie trinken sich einen an .. und dann landen sie bei Thai-girls; Berl. Ztg. 6. 3. 1998 ihre drei Zofen fegen so wild durch den Bühnenraum, als wären sie Techno-Girls in einem Videoclip; Mannh. Morgen 12. 2. 2003 Im Rahmenprogramm vor Beginn und in der Pause der Kämpfe werden Girls der Cheerleader-Truppe aus Blankenloch-Stutensee für Abwechslung sorgen, indem sie Bade- und Dessous-Mode der Schriesheimer Firma Undercover vorführen. Außerdem zeigen sie als Nummerngirls die einzelnen Runden der Kämpfe an. Girlie: taz 1. 2. 1995 Veruca Salt. Wer sie im Logo erlebt hat, weiß, warum gewöhnlich nur Männer in der ersten Reihe stehen, um der Girlie-Band zu lauschen; Mannh. Morgen 18. 10. 2001 Vanessa, Lucy, Sandy, Jessica und Nadja . . schafften es schließlich, als No Angels die erste Girlie-Band in Deutschland zu werden, die von Produzenten ganz gezielt zusammengestellt wurde. girliehaft: St. Galler Tagbl. 13.3.2000 Nyström, die diesmal ausser in girliehaft hohen auch in mittleren Lagen singt . ., ist sich bewusst, dass zu viel des Guten auch zum Overkill führen kann. Girlietum: Berl. Ztg. 30. 12. 1997 Vom pubertären Gehabe der Tic Tac Toes ist Sabrina Setlur weit entfernt — vielleicht die überzeugendste unter den jungen Popstars. Im Mutterland des Girlietums, den USA, liegen die Dinge komplizierter. Girl b: Berdau 1903 Yankeedoodle-Dolly 107 „Was nun, girls?" — „Pst! Jetzt das unfehlbare Glücksorakel!"; Brieger-Wasseri>ogel 1911 Gesellschaft 92
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der typische Kaffehausdichter und das literarische Reformgirl unserer Tage charakterisieren sich schon von weitem als bemitleidenswerte Sklavengesichter; 1912 Imago I 190 Die Wahl des „Girl" als Frauenideal ist charakteristisch für die starke Sexualverdrängung im heutigen England. Es bedeutet ein Stillstehen auf einer „praesexuellen Stufe", unmittelbar vor der Reife; Voss. Ztg. 27. 1. 1930 Vergessen das Girl. Die große Dame in pompöser Toilette trat wieder auf; Bild 12. 1. 1955 Beim Schönheitswettbewerb um den Titel „Girl des goldenen Westens" passierte das Mißgeschick; 1960 Jerry Cotton 565,31 Wie hatte ich June nur für ein simples Schulgirl halten können! Sie besaß die Rasse und die Klasse eines Stars; FAZ 9.5. 1970 Jg. blondes Girl um 25, mit heiterem Wesen, mögl. unkompliziert, von erfolgreichem Geschäftsmann . . zur baldigen Heirat gesucht (Anzeige); Zeit 20. 2. 1987 Das Leben kann so schön sein. Wenn der Wind die Wellen auftürmt und die Boys mit sehnigen Muskeln das Surfbrett zähmen, wenn die Sonne glüht und die Girls mit schlanken Hüften am Strand entlangschlendern . . und alle lachen und wahnsinnig fit und fröhlich sind; Neue Kronen-Ztg. 16.1. 1994 „So erreichen wir sicher das Titel-Play-off", überschüttete VCOTrainer Reinhard Kaiser nach dem 3: 1-Heimsieg gegen WR Salzburg seine Girls mit dickem Lob; taz 16.11. 2000 Fünf blonde Töchter hat das Ehepaar Lisbon in die heile Welt der Provinz gesetzt, und alle Jungs aus der Nachbarschaft sind verrückt nach den Girls; Mannh. Morgen 24. 1. 2003 Als Zielgruppe finden Mädchen verstärkt das Interesse von Herstellern und Handel: Die Umsätze bei Produkten für die Girls steigen überproportional. Girlie: Spiegel 21.11.1994 Sie tragen Blümchenrock und Kampfstiefel, sie wollen wild und feminin sein, freizügig und egoistisch; sie nennen sich Mädchen, Girlies oder Babes — eine neue Generation von jungen Frauen kämpft für einen neuen Feminismus und lebt ihre eigene Vorstellung von Weiblichkeit: viel Sex, viel Spaß und kein verbissener Männerhaß; taz 16.1. 1995 die „Girlies" werden gerade fleißig durch die Medien gereicht — frech und fesch, vorlaut und fotogen, in Spitzenmini und Springerstiefeln; ebd. 21. 2. 1998 Hanako . . ist zwar hübsch, aber zu dämlich, eine Kaffeemaschine zu bedienen, ein extrovertiertes Girlie mit quiekender Stimme; ebd. 21. 12. 2000 Die Polizei hat nach eigenen Angaben eine „Girlie-Gang" zerschlagen; ebd. 17. 2. 2001 Was träfe das Girlietum genauer als Schwarzers Definition: „Girlies sind die Brutusse der Emanzipation". Denn: „Dein
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Girlande
Credo sei der Mann und deine Lieblingsbeschäftigung — mit Verlaub — das Picken." Die Inthronisierung des Girlies sei nichts anderes als der Versuch, „die Töchter zu hindern, von ihren Müttern zu lernen".
girliemäßig: Züricher Tagesanz. 22. 3. 1996 Ich trete gerne in ultrakurzen Minis oder hautenger Bekleidung, manchmal auch in eleganten Sachen auf. Oder ich gehe girliemässig in Rosa oder Hellblau und Boots in den Ausgang.
girliehaft: Berl. Ztg. 8. 7. 2000 Modisch top sei auch das Personal von Air New Zealand. Es bestach den Modezar durch seine „weibliche und verspielte Kombination", die „nicht ins Girliehafte kippte".
Girlietum: taz 24. 2. 1997 stellt Liza Johnson in ihrem Video „Good Sister/Bad Sister" Verbindungen her zwischen den feministischen Ansätzen der Protestbewegung in den 60ern und denen des Girlietums in den 90ern.
Girlande F. (-; -n), seit Anfang 14. Jh. selten (zuerst wohl als direkte Übernahme aus dem Ital.), seit spätem 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. guirlande (< ital. ghirlanda 'Blumengewinde', seinerseits über altprovenzal. garlanda, guirlanda 'Kranz, Krone aus Golddraht oder Perlen', gleichbed. altfrz. garlande, guerlande vermutlich zurückgehend auf altniederfränk. *wiaron 'mit eingelegtem Gold schmücken, Schmucksachen aus Golddraht künstlerisch herstellen, mit Filigranarbeit ausstatten', zu german. *wera, altniederfränk. *weara, wiara 'Gewinde aus Golddraht, Goldschmuck'; vgl. ahd. wiara, wiera '(als Kranz oder Helmschmuck auf dem Kopf getragener) Schmuck aus feinem Gold oder Golddraht', mhd. wiere 'geläutertes feinstes Gold, Goldschmuck', tvieren 'Gold läutern; (mit Gold) schmücken, zieren', engl. wire 'Draht'; vgl. auch mlat. gar-, ger-, girlanda, gerlenda, altspan. guarlanda), anfangs in der Schreibung gyrlande, im 18. und 19. Jh. meist Guirlande, seltener Ghirlande. a Zunächst vereinzelt für 'als Kopfschmuck getragener Kranz von Blumen' (s. Belege um 1300, 1569), seit Ende 17. Jh. in der dominanten Bed. 'langes, kettenartiges, mehrfach bogenförmig durchhängendes Gebinde aus Blumen, Laub, Tannenzweigen, buntem Papier u. Ä., das bei festlichen Anlässen zur Ausschmückung von Räumen, Straßen, Plätzen, Gebäuden dient, Laub-, Blumengewinde, Frucht-, Blumenschnur' (s. Belege 1696, 1797, 1845, 1867, 1891, 1900, 1914, 1924, 1932, 1946, 1961, 1985, 1994, 2003; vgl. Feston), dann insbes. auch 'zu Dekorationszwecken aufgehängte Kette von Luftballons, Lampions, Glühlämpchen o.Ä.' (s. Belege 1815, 1971), in Wendungen wie Girlanden flechten, binden, etwas mit Girlanden behängen, drapieren, umwinden, schaukelnde, üppige, heruntergerissene, vertrocknete Girlanden, in Girlanden angeordnet und Zss. wie Girlandenschmuck, -werk; girlandengeschmückt, -reich, -umwickelt, -verziert; Blumen-, Blüten-, Rosen-, Tannen-, Efeu-, Blätter-, Laub-, Lämpchen-, Lichter-, Leucht-, Krepp-, Papier-, Party-, Faschings-, Silvester-, Weihnachtsgirlande, häufig als (bereits in der griech.-röm. Antike und dann wieder seit der Renaissance beliebtes) ornamentales Element in der Architektur und Malerei (s. Belege 1778, 1881, 1951), vereinzelt auch als Teil der Haar- oder Hutmode (s. Belege 1779, 1784); seit späterem 18. Jh. häufig übertragen verwendet mit Bezug auf (konkrete, nicht zu Dekorationszwecken verwendete) kettenförmig angeordnete beliebige (gleichartige) Objekte, z. B. Girlanden von Myrthen, Esswaren; Wäsche-, Wurstgirlande (s. Belege 1787, 1811-12, 1873, 1920), auch bildlich mit Bezug auf Konkreta (z. B. Baumreihen) und Abstrakta (z. B. Liebesbande) (s. Belege 1762, 1795, 1855, 1939, 1952). Dazu vom späteren 19. bis ins frühere 20. Jh. gebuchtes, selten belegtes, aus gleichbed. frz. guirlander entlehntes
Girlande
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guirlandieren V. trans, 'mit Blumengewinden verzieren, mit Girlanden schmücken'; in neuerer Zeit die adj. Ableitungen girlandenförmig und, auch fachspr. gebraucht (Geologie), girlandig. b In neuerer Zeit meist mit Bezug auf Abstraktes auch übertragen verwendet in der Bed. 'kettenartige Aufeinanderfolge (von Worten, Gedanken, Gefühlen, Argumenten)' (—>· Serie; s. Beleg 1989), auch abwertend '(rein dekorativer, rhetorischer) langatmiger Wortschwall, hohle (politische) Phrase, Lippenbekenntnis' (s. Belege 1985, 1991, 1994, 2002.1), in der Musik '(an- und abschwellende) Folge, Aneinanderreihung musikalischer Figuren oder Motive, sich (allzu oft) wiederholende, ein Hauptthema variierende und ausschmückende Tonfolge, Reihe von Improvisationen' (s. Belege 1997, 1999), in Wendungen wie Girlanden reden, ohne Schnörkel und Girlanden formulieren, vokale Girlanden, eine Girlande von Rücktrittserklärungen, Rezitativen und Zss. wie Girlandenstil; Wort-, Sprach-, Satz-, Reim-, Floskel-, Zitat-, Gedanken-, Argumentations-, Metaphern-, Gefühls-, Ton-, Klang-, Koloratur-, Melodie-, Sopran-, Streicher-, Bläser-, Saxophongirlanden. Dazu vereinzelt im 19. Jh., häufiger in jüngster Zeit die adj. Ableitungen girlandenartig und -haft 'in der Art einer Girlande, wie eine Girlande beschaffen' (zu a), auch übertragen, bes. in der Musik, für 'kettenförmig, an- und wieder abschwellend, sich abwechselnd hebend und senkend' (zu b). Girlande a: Heinrich v. Neustadt um 1300 Apollonius 579 Sie trug der fürst an seiner handt./ Sein haupt trug ain gyrlanden,/ Das in Kriechen landen/ Oder in Marroch kain man/ Ze tragen auff seinem haupt gewan; 1569 Amadis (Bibl. a. Lit. Vereins XL 13) die elteste ward . . gemeinlich die Fraw von Guirlanden genannt, dieweil der König jhr Herr, von wegen jhres schönen Haars, vnd daß er groß gefallen ab demselbigen trug, jhr nicht zuließ, solliches änderst zubedecken, denn allein mit einem kleinen Kräntzlein von Blumen, oder güldin Schäppelein; Goldmann 1696 Anw. Civil BauKunst 109 Die Früchtschnüre seyn Umbwickelungen, auss Früchten, Blumen und Blättern, welche mit wunderlich gekräuselten Nestelbändern bewunden, oder daran gehangen seyn, worunter auch theils herum flatterndes Band mit gemischet wird, derogleichen Gehencke, eine feine Augenlust geben, und von den Italiäncrn Ghirlande, von ändern Festonnen genennet werden; Moser 1762 Schreiben 10 Vielleicht hätte ich bey der gemässeren Aufschrift: Meine Dienst-Erfahrungen, die Französische Guirlanden erspahren und hier etwas mehr, dort etwas weniger schreiben können; Potter 1778 Archäologie HI 399 Zu den Verzierungen des Kapitals gehörten, die volutae . ., Ghirlanden, deren ich schon einmal gedacht habe; Sturz 1779 Sehr, l 58 Wenn Miß ihren mit einer Rose geschmückten Chip-Hat auf die Mitte ihres braunlockigen Kopfs sezt, so hängt der Chapeau ä l'angloise schief auf der gepuderten Französin, und die Rose wird zur Guirlande; Kretschmann 1784 S. W. IV 2,26 Du sollst mir zu morgen eine Haube ma-
chen. A la Montgolfiere, mit Guirlanden; hübsch hoch, nach Tockenart; Goethe 1787 Italien. Reise (WA l 31,267) Die Eßwaaren hängen in Guirlanden über die Straßen hinüber; große Paternoster von vergoldeten, mit rothen Bändern geschnürten Würsten; Jean Paul 1795 Hesperus (W. l 1,981) er hänge nicht von seinen Wünschen, sondern von Blumenketten ab, die ihn zurückzögen von den ändern Blumenketten in Maicnthal, und eine vielfache Umschnürung mit Girlanden könne man nicht durchbrechen, weil man nicht wolle (DiBi 1); Heynatz 1797 Antibarbarus II 56 Man sagt sonst Blumengebände für Guirlande; aber Archenholz .. hat Blumengewinde dafür. In der Mahlerei sagt man Blumenschnur und Blumengehänge; Brentano 1811-12 Rheinmärchen (W. III 79) er selbst saß auf einem ungemein großen Schinken, der auf einem Wagen voll Sauerkraut lag, und dieser Wagen war mit Guirlanden von allerlei Würsten und Schinken umgeben und von acht der schönsten Mastochsen gezogen (DiBi 1); Eichendorff 1815 Ahnung u. Gegenwart (W. II 267) Auch im Garten entstand ein Licht nach dem ändern, bis auf einmal der ganze Berg mit Sternen, Bogengängen und Girlanden von buntfarbigen Glaskugeln erleuchtet, sich wie eine Feeninsel aus der Nacht hervorhob (DiBi 1); Cams 1845 England u. Schottland II 359 Ja noch gesteigert wurde die-Wirkung dadurch, daß man auch quer über die Straße dergleichen Eichenguirlanden mit Kränzen und grünen Kronen gezogen hatte, so daß nun dadurch vollends der Weg zur grünen Laube zu werden schien; Mörike 1855 Mozart (S. W. I 590) So angenehm jedoch das
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Girlande
Auge beschäftigt wurde, so lieblich gingen fürs Gehör die Melodien nebenher: sizilianische Weisen, Tänze, Saltarelli, Canzoni a ballo, ein ganzes Quodlibet, auf Girlandenart leicht aneinandergehängt (DiBi 1); Räder 1867 Robert u. Bertram 28 Knechte, Mägde, Bauern, Bäuerinnen (sind beschäftigt, große Guirlanden mit Kränzen vom Wirtshause rechts bis zu den Gebäuden links aufzuhängen, sowie das Wirtshaus und das Hofthor damit zu schmücken . .); Davidis 1873 Kochbuch 402 eine Guirlande von Myrthen; Nordau 1881 Paris I 294 erfunden für die Bedürfnisse einer . . oberflächlichen und unendlich formsinnigen Gesellschaft, . . die alle ihre Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens in gemalte oder geschnitzte, mannigfach verschlungene Blumenguirlanden verwandelte, . . die überall das Niedliche an die Stelle des Nützlichen setzte; Fontäne 1891 Unwiederbringlich (Romane u. Erz. VI 174) Schmuck überall, geschmückt auch die Wände. Da, wo sich die hohen Paneele mit den breiten Barockrahmen der Wandbilder berührten, hingen Mistel- und Ebereschenbündel an Girlanden von Eichenlaub (DiBi 1); ]anitschek 1900 Frauenkraft 53 Die Tafel war glänzend gedeckt. Ein Schwall von Rosen lag über das blühweiße Tischtuch verstreut. An der Kante liefen dicke Epheuguirlanden hin (DiBi 45); Geyer 1914 Leben 66 die ganze Kirche war sehr schön mit Blumen und Girlanden geschmückt; Dombrowski 1920 System HI 9 Die letzten glühenden Lampengirlanden des Rundbaues verglimmen; Werfet 1924 Verdi 357 Girlanden beginnen schon in hübschen Halbbögen zu schwanken, Fähnchen wehen auf, Teppiche werden nach und nach aus den Fenstern gehängt; Hofmannsthal 1932 Andreas (Erz. 239) Genau wie einen Fronleichnamsaltar will ichs haben, vorne eine Draperie mit Girlanden, und in die Mitte zwischen frischen Blumenarrangements kommt die Urne, aus der die Lose gezogen werden (DiBi 1); Dominik 1939 Land 96 Immer wieder sind es die Inselgirlanden an der Ostseite der nach Westen treibenden asiatischen Kontinentalscholle und die Randgebirge auf der Westseite des amerikanischen Kontinents, die Vulkanismus zeigen; Klemperer 1946 LTl 62 Die Pracht der Banner, Aufmärsche, Girlanden, Fanfaren und Chöre, der Redeumkörperungen, blieb sich durchweg gleich, lehnte sich durchweg an das Mussolinische Vorbild; Feuchtwanger 1951 Goya 315 Um die Wände des Speisezimmers lief das Fresko eines blassen Gartens mit vielen Säulen, Girlanden waren da, ägyptische Motive; Andersch 1952 Kirschen 96 Wir kamen an einem blauen See vorbei, den man durch eine Girlande schlanker Balsampappeln hindurch erblickte; Johnson 1961 Buch 160 Achim ist gleich in den ersten Kilometern gestürzt, weil Papiergirlanden von begeisterten Kindern über die Strecke geworfen ihm das Hinterrad und die Schal-
tung blockierten; 1971 Bundesminister f. Jugend 100 Tips f. Freizeitspaß o. S. Sie feiern viel zu selten Gartenfeste. Warum eigentlich? Ein paar bunte Lämpchen oder Lampions, als Girlanden von Baum zu Baum, sorgen für magisches Licht. Die Musik kommt aus dem Grammophon; Lenz 1985 Exerzierplatz (W. X 430) Als ich sie fragte, ob ich ihr die Festgirlande flechten dürfte, da hat sie . . mich nur einmal ganz schnell und heftig umarmt, und da wußte ich Bescheid und holte mir mit Erlaubnis des Chefs alles Tannengrün, das ich brauchte, und alle Rosen und Zinnien und blauweißen Bänder, die nötig waren; Zeit 30. 12. 1994 An den Wänden türmt sich in Regalen gut sortiert alles, was der Mensch zum Feiern braucht. Girlanden, Transparente, schauerliche Masken und Scherzartikel; Mannh. Morgen 5.3.2003 Unter bunten Girlanden und Lampions herrscht schnell Schunkelstimmung. girlandenartig: Fontäne 1873 Mark Brandenb. (S. W. XI 175) Konsolen, mit Tongefäßen in gefälliger Form, laufen girlandenartig um die Rundung her (DiBi 1); Mannh. Morgen 23. 3. 1988 Altdorfer ist . . ein expressiver Künstler, der die Linie fast kalligraphisch frei sich kräuseln und kringeln läßt . . oder girlandenartig die Kontur eines Gegenstandes nachzeichnet; Berl. Morgenpost 1.12. 1998 Stangl verwendet in vielen Gemälden solche girlandenartigen Linien, die im Kontrast zu seiner flächig-expressiven Malerei stehen. girlandenförmig: Lenz 1973 Vorbild (W. VII 266) Der Mann schwenkt sein Glas in langsamen Kreisen, beobachtet, wie die ölige Flüssigkeit an der Glaswand hinaufschwappt, immer höher und höher, und wie sie zäh, girlandenförmig nach unten abläuft, sobald er das Glas ruhig hält. girlandenhaft: Strittmatter 1983 Laden 32 Das Spruchband ist der girlandenhafte Abschluß des Raumsockels; Züricher Tagesanz. 10. 8. 1999 Die Besucher sitzen in Karren auf Samt und streifen mit den gelben Helmen fast das feuchte Stollendach. Das Züglein rumpelt über die 600-Millimeter-Spur, Lämpchen geben girlandenhaft Licht. girlandig: 1962 Zs. d. Dtsch. Geolog. Ges. CXV 829 Gleitlage von ca. 50 cm Mächtigkeit. Liegendgrenze scharf, girlandig geschwungen. Obergrenze stark wellig; taz 19. 11. 1993 Ein anderes Gutachten des Bundeskriminalamtes kann den spärlichen Zeilen mehr abgewinnen . . Von „girlandigen und arkadigen Bogenzügen" ist da die Rede; St. Galler Tagbl. 20.3. 1999 Kleinste Teppichflecken taucht sie [Sonne] in gleissendes Licht und streift die girlandigen Spinnweben über der Wohnwand.
Giro guirlandieren: Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 330 guirlandiren . . mit Girlanden zieren; Klemperer 1921 Tagebücher 528 Sprechen werde ich in einem großen guirlandierten Tanzsaal; Genius 1933 Fremdwb. 380 guirlandieren, mit Guirlanden verzieren. Girlande b: Zeit 18. 1.1985 Die Kunst des Managers, eine Sache durch altmodisch weitschweifige Sprachgirlanden bis zur Unkenntlichkeit zu verschleiern, ist so groß, daß der Zuhörer sich unwillkürlich fragt: „Kann er nicht anders oder will er nicht?"; taz 27. 2. 1989 Überall Gesichter in Handballerhänden vergraben, eine Girlande von Rücktrittserklärungen (Ivanescu, Thiel, Hecker, Schwalb. ..), ein Abend für tragische Figuren; Mannh. Morgen 21. 6. 1991 Was für ein Sprachvirtuose ist Kant doch noch immer, welch brillanter Schöpfer kunstvoller Wortgirlanden und fein gedrechselter Sätze; taz 16. 4. 1994 Über die Unterdrückung der Frau . . werden sich alle schnell einig. Um das Thema Sexualität geht man, Girlanden redend, herum; Salzb. Nachr. 24. 5. 1997 Mozart rang hier noch an allen Ecken und Enden mit den Konventionen und erfand ein paar Streichergirlanden über einem notorisch trötenden Hornpedal, das die beteiligten Oboen glatt ausschaltet; Züricher Tagesanz. 24.3.1999 Unvergesslich bleibt jene Stelle im abschliessenden „Choral et Variations", wo die Pianistin eine Tongirlande seltsam sordiniert die Tastatur hinuntereilen lässt, als glitte ein Perlencollier über hauchdünne Seide; taz
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7. 5. 2002 All die schönen Slogans über die Bildungsoffensive und den Schwerpunktbereich Bildung sind im Ernstfall denn doch nichts weiter als Wortgirlanden; Berl. Ztg. 3. 12. 2002 Hinter den ideologischen Girlanden von Windkraftförderung und Homo-Ehe verbirgt sich in der grünen Programmatik die Idee eines modernen Sozialstaats, entworfen von der Generation jener, deren Zukunft derzeit seelenruhig verbraten wird. girlandenartig: Salzb. Nachr. 10. 12. 1991 Und die Musik? Sie gesellt sich mit leichter Sprödigkeit Hindemith an die Seite, arbeitet stark mit girlandenartig sich umspielenden Floskeln namentlich der Holzbläser; Tiroler Tagesztg. 17. 6. 1999 ihre unerschöpfliche Fähigkeit der Anschlagsdifferenzierung, die ihr zur vielgestaltigen Nuancierung . . der girlandenartigen Verspieltheit in Frederic Chopins Sonate in h-Moll (op. 58) verhalf. girlandenhaft: taz 19. 9. 1990 Die langgezogenen Einzeltöne entfalteten sehr langsam zunehmend ihr Klangvolumen . ., . . bis sie sich beinahe schmerzhaft in die Gehörgänge bohren, um nach einem girlandenhaften Auf und Nieder wieder in Stille zu versinken; frankf. Rundsch. 19.1.1998 Mit strahlendem, sonorem Ton und zupackenden Bewegungen bei geräuschloser Bogenführung bewältigte sie das In- und Hintereinander von raketenartigen Läufen, punktuellen Einwürfen, girlandenhaften Figurationen . . und expressiven Kantilenen mit Energie und Gefühl.
Giro N., früher vereinzelt M. (-s; -s, anfangs und bis heute österr. auch Giri), im früheren 17. Jh. entlehnt aus ital. giro 'Runde, Rundgang, Bogen, Kreis, Umlauf (bes. von Geld oder Wechseln); Überweisung' (< lat. gyrus 'Kreis, Kreisbahn, Kreislauf < griech. $ 'Krümmung, Kreis', zu yupo$ 'gebogen, rund', vgl. Gyros), im 19. Jh. vereinzelt in der phonetischen Schreibung Schiro. l Als Fachwort der Kaufmannssprache und des Bankwesens zunächst in der Bed. 'Umlauf von Geld oder Wechselbriefen' (—» Zirkulation c), auch 'Übertragung eines Wechsels' und 'diesbezüglicher Vermerk auf einem Wertpapier, Wechsel' (vgl. Indossament), in Wendungen wie einen Wechsel mit dem Giro versehen und Zss. wie Vollmacht-, Wechselgiro, vereinzelt auch übertragen auf Naturphänomene in der Bed. 'kreisförmige Bewegung, Kreislauf (s. Beleg 1711), dann insbes. für 'rein rechnerischer Geldverkehr in Form von Überweisungen (Abbuchungen und Gutschriften), bargeldloser Zahlungsverkehr über Bankkonten durch Umbuchung von einem Konto auf ein anderes', in Wendungen wie einen Betrag durch Giro weiterleiten und v. a. als Bestimmungswort Giro- 'zum bargeldlosen Zahlungsverkehr dienend, damit beauftragt, bargeldlos erfolgend' häufig in Zss. wie Giroanstalt, -bank, -geschäft, -guthaben, -kasse, -konto, -künde, -Scheck, -verkehr, -Zahlung, -zentrale, selten als Grundwort in Post-, Spargiro, daneben vom früheren 19. bis Anfang 20. Jh.
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auch gebucht in der Bed. 'Versammlungshaus von Kaufleuten zum Abschluss von Geschäften' (-» Börse, s. Belege 1838, 1911). Dazu gleichzeitiges (bereits im frühen 17. Jh. in der lautlich assimilierten Part. Perf.Form gerürt belegtes), seit Mitte 19. Jh. zunehmend ungebr., aus gleichbed. ital. girare (< spätlat. gyrare '(sich) herumdrehen, herumbewegen') entlehntes girieren V. trans, 'einen Wechsel übertragen, in Umlauf setzen, indossieren', auch bildlich (s. Belege 1867, 1961), heute durch überweisen ersetzt, in Wendungen wie girierter Wechsel, eine Anweisung auf jmdn. girieren, mit dem seit spätem 17. Jh. vereinzelt nachgewiesenen veralteten Verbalsubst. Girierung F. (-; -en) und der in jüngster Zeit gebuchten adj. Ableitung girierbar 'geeignet, giriert zu werden; auf eine andere Person übertragbar', in Wendungen wie ein girierbarer Scheck. Dazu seit Anfang 18. Jh. die aus gleichbed. ital. girante entlehnte Personenbezeichnung Girant M. (-en; -en), auch moviert Girantin F. (-; -nen), 'jmd., der einen Wechsel überträgt, Indossant/-in', seit Anfang 19. Jh. Girat M. (-en; -en), moviert Giratin F. (-; -nen), auch (aus gleichbed. ital. giratario entlehntes) Giratar M. (-s; -e), moviert Giratarin F. (-; -nen), 'jmd., dem ein Wechsel übertragen wird, Indossat/-in, Indossatar/-in'; in jüngster Zeit die adj. Ableitung giral 'den Giroverkehr betreffend, bargeldlos' (Ggs. bar), jedoch bereits seit früherem 20. Jh. nachgewiesen als Bestimmungswort in den subst. Zss. Giralgeld, -guthaben 'Geld des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, Bankguthaben, über das durch Scheck oder Überweisung verfügt werden kann'. 2 Seit späterem 18. Jh. selten belegtes, ebenfalls aus ital. giro in seiner Bed. 'Spaziergang, -fahrt, Runde, Rundfahrt, -reise' entlehntes Giro M. (-s; -s) 'Rundreise; Kavalierstour, Grand Tour' (—> Tour 1), in Wendungen wie einen/den Giro machen, Mitte 20. Jh. neu entlehnt als Kurzform von ital. Giro d'ltalia, dem Namen eines berühmten, jährlich stattfindenden Radrennens in Italien (s. Belege 1954, 1967, 1988, 1996, 2003), in Wendungen wie den Giro gewinnen, am Giro teilnehmen und Zss. wie Giroetappe, -fahrer, -teilnehmer, -gewinner, -sieger, -Team; Dreiländer-, Frauen-, Radgiro. Giro 1: 3635 Bozner Wechselordn. $76 (1733 Banquier U 80) daß das jenige Hauß, worinnen den Handelsleuthen Gericht und Recht gehalten, auch die allgemaine eingeschribene Handelsleuth sich versamblen, daselbsten die Giri, und Überweisungen, auch andere den Märckten anhängige Notwendigkeiten zu verrichten, als Locus publicus, beharrlichen respectirt. . werde; 1682 Leipz. Wechselordn. §11 (1733 Banquier U 270) gleichwohl aber soll dißfalls, nach etlicher Reichs-Städte Exempel, das Indossemcnt in bianco hiermit gäntzlich abgeschaffet und hingegen der Geber des Wechselbriefes den giro, wie sichs gebühret, völlig, auch mit ausdrücklicher Benennung der Zeit, wenn derselbe geschrieben, zu compliren schuldig seyn; Marperger 1711 Beschr. d. Messen I 70 Die nach Leipzig trafiquirende Länder, haben auch in Franckfurt kein Verkehrn und also auch nicht die um Franckfurt liegende Provintzien mit Leipzig; wie ctwan dem gegen den Nord-Pol befindlichen Maal-Strom, in seinem Giro oder Wirbel kein Wasser mangelt, ungeacht sich ein gleicher Vortex nach dem SüderPol zu befinden soll; ders. 1716 Beschr. d. Banken
Vorr. o. S. Ich kan aber bezeugen/ daß . . ich auf keine andere Art von Banquen, als die sogenannte Kauffmännische Giro- oder Ab- und ZuschreibBanquen meine Gedancken gerichtet; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 278 Giro, heist der beständige Lauf und Verkehr des Geldes und der Wechsel Briefe unter den Kauffleuten; Beust 1745 Sciagraphia (Anh.) J383] Giro, Giriren, ist ein Wort welches sonderlich unter den Kaufleuten gebräuchlich ist, und einen solchen beständigen Herumlauf des Geldes bedeutet, daß es niemals stille liegt, sondern immerfort durch der Leute ihre Hände gehet; 1762 Einl. in d. tlandlungsiviss. 133 Giro, Cession, Abstehung, Uebertrag eines Wechselbriefs, siehe Endosscment; Adelung 1774 Grammat.-k.rit. Wb. II 687 Die Giro-Bank, (sprich Dschiro-Bank) plur. die -bänke, im Handlungswesen, eine Bank, wo eine Summe Geldes durch bloße Berechnung an einen ändern übertragen wird, . . zum Unterschiede von einer Zettelbank; 1781 Dtsch. Museum l 369 In den Gewölben unter dem [Amsterdamer] Stadthause sind die . . Gefängnisse für Verbrecher, und die Schäze der hiesigen berühmten Girobank;
Giro Busch 1797 Hamb. Handlung 37 Ich habe so viel über Banken, über den Unterschied der Giro- und der Zettel-Banken, und absonderlich über die hamburgische Giro-Bank geschrieben, daß es mir verdrießlich wird, etwas darüber auch hieher einzutragen; Campe 1813 Fremdivb. 338 Giro (spr. Giro) das Umschreiben . ., wodurch ein Wechsel oder eine Verschreibung von einem Besitzer auf den ändern übergetragen wird; Müller 1817 Sehr, l 290 Wir brauchen . . ein Geld, welches in kleineren und größeren Kreisen zu circuliren vermag; Geld, welches in einem gewissen Giro ausschließend umherläuft, ohne gleich Geld für die ganze Welt zu seyn; Latz 1822 Staatswirthschaftslehre II 384 Nicht sowohl auf Vermehrung der vorhandenen Cirkulationsmittel, als vielmehr nur auf Erleichterung des Tauschverkehrs im Allgemeinen, und insbesondere des Großhandels, sind die Girooder Depositobanken berechnet; Heyse 1838 fremdwb. I 454 Giro,. . der Kreislauf, Geldumlauf . .; auch ein Versammlungshaus der Kaufleutc zur Abschließung von Geschäften, etwa s. v. w. Börse; Ersch/Gruber 1859 Allg. Enc. l 68,1 Giro, Wcchselgiro, ist der Vermerk auf dem Wechsel . ., welcher die Erklärung . . enthält, daß der Wechsel auf einen Anderen übertragen sein solle; Poschinger 1878 Bankwesen l 38 Dagegen steht fest, dass im Jahre 1704 ein gewisser Wolters . . in Breslau eine Girobank gegründet wissen wollte; 1884 Brockhaus VIII 59 Nach den . . modifizierten Bestimmungen über den Giroverkehr der Reichsbank müssen jetzt alle Summen, welche die Girokunden durch Discontierung von Wechseln oder Lombarddarlehnen erhalten, zunächst dem Giroconto derselben gutgeschrieben werden; Rothschild 1905 Taschenb. f. Kaufleute 437 Das Indossament oder Giro ist die auf der Rückseite des Wechsels (in dorso, in dosso) abgegebene Erklärung des Wechselnehmers . ., es solle die Wechselsumme nicht an ihn, sondern an einen Dritten gezahlt werden; ebd. 438 Vollmachtgiro . . liegt vor, wenn dem Giro der Vermerk „zur Einkassierung" . . beigefügt worden; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 368 Giro, . . auch . . der Ort, wo Wechselgeschäfte abgeschlossen werden, die Börse; Lokal-Anz. 9. 1. 1933 Nachdem die Verhandlungen über die Neuordnung der Sparkassen-Organisation . . nunmehr zum Abschluß gekommen sind, ist mit Wirkung ab 1. Januar 1933 der Rheinische Sparkassen- und Giroverband . . ins Leben gerufen worden; Dtsch. AZ. 12. 2. 1935 Der Dezember war auch im vergangenen Jahre wieder der Monat der höchsten Umsatzziffern im Spargiroverkehr; Welt 26. 3. 1949 Bei der größten Sparkasse der Westzone . . wurden vom Juni bis zum Dezember 1948 von 47 Mill. DM-Spareinlagen insgesamt 13 Mill. DM abgehoben. Bemerkenswert ist jedoch, daß in gleicher Höhe Beträge auf Girokonto eingezahlt wurden;
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Süddtsch. Ztg. 16.1. 1959 Vor 50 Jahren, Anfang 1909, haben die deutschen Sparkassen den Giroverkehr aufgenommen. „Spargiro" ermöglicht dem Besitzer eines entsprechenden Kontos heute alle Zahlungen im ganzen Bundesgebiet vom Schreibtisch aus; Welt 28. 5. 1969 . . er zahlt mit Unterschrift: bequem, sorglos, bargeldlos — durch sein Girokonto. (Wußten Sie, daß fast jeder 4. Bundesbürger ein Girokonto bei uns hat? Sie alle nutzen unseren modernen Giro-Service) (Anzeige); Mannh. Morgen 30. 4. 1985 Den richtigen Durchbruch im Geldgeschäft schaffte Johann Christian Eberle. Der Bürgermeister in einem sächsischen Provinznest entdeckte den Giroverkehr. Anstatt das Geld, wie bisher üblich, in Säcken zu transportieren, sollte fortan der Zahlungsverkehr bargeldlos erfolgen; taz 29. 8. 1994 Die Girobank hatte nach der Privatisierung . . höhere Gebühren eingeführt und gleichzeitig am bislang gewohnten Service eingespart. . . Das Resultat war ein massenhafter Wechsel der Kundschaft zur privaten Konkurrenz; Bert. Ztg. 2.5. 2. 2003 Um die verschiedenen Angebote besser vergleichen zu können, gibt es im Internet einen Girokonten-Vergleichsrechner; Hamb. Morgenpost 24. 3. 2006 60 Klassen nehmen an der Aktion der Bildungsbehörde teil und setzen sich mit den Themen „Giro, Kredit und finanzielle Krise" auseinander. giral/Giral-: Lokal-Anz. 2. 9. 1933 Die Entwicklung drängt auf eine Stellung der Giralgelder unter Staatsaufsicht; Ottel 1937 Bankpolitik 41 Damit kann der Zahlungsmittelumlauf auch durch die Kreditbanken in Form von „Giralgeld" bestritten werden, für welches die Notenbank der letzte und auch einzige Rückhalt in Krisenzeiten wird; ebd. Die Geldschöpfung der Kreditbanken beruht nur mittelbar auf dieser Grundlage, unmittelbar auf den Noten und Giralguthaben bei der Notenbank; Mannh. Morgen 21. 12. 1985 Die Sichteinlagen heißen auch Buch- oder Giralgeld, weil man mit ihnen durch Scheck oder Überweisung ebensogut Zahlungen leisten kann wie mit Bargeld; Computer Ztg. 7. 12. 1995 Beim Einkauf in Computernetzen wird [der Kunde) zwischen debitorischer und kreditorischer, zwischen personengebundener und anonymer sowie zwischen giraler und barer Zahlungsweise wählen können; Frankf. Rundsch. 11.5. 1998 Wird es ab 1. Januar 1999 auch neue Kontoführungsgebühren geben wenn der Euro kommt? Zunächst wird die neue Währung nur „giral" zum bargeldlosen Verrechnen und erst ab 1. Januar 2002 auch „real" genutzt. Girant: Sperander 1712 Sorgfältiger Negotiant 72 des Albrechts Wechselbrieff ist aber an unterschiedliche girirt oder indossiret worden/ und wird
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Giro
Restitution gefedert von jeden Giranten und folglich von Albrecht/ der entschuldiget sich/ er habe die Valuta nicht bekommen. Die Giranten aber wollen darmit nicht friedlich seyn; Campe 1813 Fremdwb. 338 Girant, .. in der Kaufmannssprache, . . Derjenige, der einen für ihn ausgestellten Wechsel auf einen Ändern überträgt, indem er auf die Rückseite die Worte: Für mich an N. N., oder auch bloß seinen Namen, schreibt; 1844 Brockhaus VI 203 bei dem Giro in bianco (bianco) oder dem unausgefüllten Giro wird über dem Namen des Giranten ein leerer Raum gelassen, damit der Girat das Giro selbst ausfüllen kann; Rothschild 1905 Taschenb. f. Kaufleute 437 Das Indossament oder Giro ist die . . Erklärung des Wechselnehmers (in dieser Eigenschaft Indossant oder Girant genannt), es solle die Wechselsumme nicht an ihn, sondern an einen Dritten gezahlt werden. Girat/Giratar: Campe 1813 Fremdwb. 338 worauf denn der Posten von der [in der Girobank] eingelegten Summe des Anweisers (welcher Girant genannt wird) abgeschrieben und auf die Rechnung des Angewiesenen (welchen man Girat nennt) übergetragen oder diesem zugeschrieben wird; 1844 Brockhaus VI 202 Ein ausgefülltes Giro ist ein solches, in welchem der Girat mit Beifügung des Datums benannt . . wird; Rothschild 1905 Taschenb. f. Kaufleute 437 Das Indossament oder Giro ist die . . Erklärung des Wechselnehmers . ., es solle die Wechselsumme nicht an ihn, sondern an einen Dritten gezahlt werden, den sog. Indossatar oder Giratar. girieren: 1620 Frankf. Edikt (Vogt 1658 Tractatus analyticus 118) Alle gerürte[!]/ vielfältig transportirte, vnd von mehr Personen biß in die dritte vnd mehrer Hand/ in der valutation fortgeschriebene Wechselbrieff/ sollen allhier in gewöhnlichen Messen keines wegs . . acceptirt vnd angenommen . . werden; 1635 Bozner Wechselordn. P (1733 Banquier 11 77) Die ins künfftig in kainerley Weiß girirte oder überwisene Wechßl-Brief mögen acceptirt werden, die Confusiones, und Unordnungen, so sich dardurch begeben möchten, zuverhüeten; 1654 (Marperger 1716 Beschr. d. Banken 170) Zehentens/ sollen auch alle Wechsel-Brieffe mehr nicht als einmal girirt/ und die/ so mehr als einmal girirt seynd/ von den Handelsleuten nicht passirt/ acceptirt/ bezahlt .. werden; 1682 Leipz. Wechselordn. §12 (1733 Banquier H 271) Wann aber . . Dergleichen transportirter, girirter, oder indossirter Wechselbrief, nicht zu rechter Zeit, oder auch nach geendigten Märckten, oder nach der VerfallZeit einlauffen . . würde; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 278 und nennen die Kauffleute einen girirten Wechsel-Brief, der oft indosirt, und durch
viele Hände gegangen ist; Adelung 1774 Grammat.-k.rit. Wh. H 687 Giriren, (sprich Dschiriren) . . aus dem Ital. . . entlehnet und im Handlungswesen üblich . ., einen Wechselbrief an einen ändern zur Einforderung oder Berechnung der Bezahlung übersenden; Schmalz 1808 Staatswirtschaft 99 Das andre Exemplar, die Sekunde, auf welcher bemerkt ist, bei wem die Prime zur Präsentation sich befinde, wird dann auf den indossirt, dem damit gezahlt werden soll, und ist so zum Giriren bestimmt; 1844 Brockhaus VI 203 Übrigens ist das Giriren der Wechsel eins der größten Erleichterungsmittel des kaufmännischen Verkehrs; Holtet 1861 Erz. VI 38 eine auf ein großes Bankierhaus in Frankfurt am Main gestellte, von diesem bereits acceptirte und auf Baron Armoni girirte Anweisung von 1200 . . Stück Dukaten; Schücking 1867 Verschl. Wege I 192 dann war' es auch nicht dazu gekommen, daß mich das Haus Fresenborg dem Hause van der Toll zugirirt und zur Ausgleichung einer Rechnung benutzt; Adorno 1961 Noten 15 Das Pedantische, dessen Einschlag der Schlußszene [des „Faust"] insgesamt nicht fehlt, ist nicht nur Eigenheit, sondern hat seine Funktion. Es giriert die Verpflichtungen, welche die Handlung umschreiben, ebenso wie die, welche die Dichtung selbst eingeht, indem sie die Handlung entfaltet. Nur dadurch aber, daß der Ausdruck Schuldverschreibung seine schwere Doppelbedeutung, die einer zu begleichenden Rechnung und die der Schuldhaftigkeit des Lebenszusammenhangs behält, bewegt sich das Irdische dergestalt, wie das Gleichnis der heranschwankenden Waldung es erheischt. Girierung: 1682 Leipz. Wechselordn. §11 (1733 Banquier II 270) Ob wohl die vielfältige Girirung derer Wechselbriefe in etlichen ausländischen Städten sonderlich zu Botzen, gäntzlich verbothen; 1929 VSozialgesch. XXU 229 Aus der . . Kontokorrentrechnung entsteht die Möglichkeit . . der Girierung, die auf italienisches Muster zurückgeführt wird. Giro 2: Smollet 1772 Klinkers Reisen (Übers.) II 140 Vor ungefehr zwölf Jahren fing er einen Giro oder Herumreise an, welche er folgender Gestalt ausführte; Seume 1803 Spaziergang (W. l 339) An wen seid Ihr in Syrakus empfohlen? — An den Ritter Landolina. . . — Ihr seid also arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fuße? Ich bejahte das; Schwegler 1846 Jahrb. d. Gegenwart 898 Trat er eine große Reise — il gran giro [die große Tour], wie die Italiäner sagen — durch Italien nach Griechenland . . an (SANDERS 1871); Süddtsch. Ztg. 14. 6. 1954 Nochmals galt es auf der vorletzten Etappe von Bozen nach St. Moritz . . zwei Pässe
Gitarre zu erklettern, den 1883 m hohen Tonale und den Bernina-Paß, mit 2330 m die höchste Erhebung dieses Giro; Bildztg. 13. 6. 1967 man spricht auch vom Kölner Straßen-Weltmeister Rudi Altig, der in der drittletzten Etappe des Giro mit Rückenschmerzen aufgegeben hatte; taz 5. 7. 1988 Und den alten Vorbehalt, kein Fahrer könne in einem Jahr zwei große Rundfahrten gewinnen, widerlegte
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im Vorjahr bereits Röche durch seine Erfolge bei Giro und Tour; Züricher Tagesanz- 7. 6. 1996 Selten zuvor war ein Giro-Zeitfahren spannender als die gestrige Prüfung im Trentino; Bert. Zig. 23. 5. 2003 Mit zwei Etappensiegen bei der laufenden Rundfahrt hatte er die Zahl seiner Tagessiege auf 42 erhöht und wurde damit Giro-Rekordhalter.
Gitarre F. (-; -n), Ende 16. Jh. entlehnt aus span, guitarra 'Saiteninstrument', über (eventuell ital. cbitarra und) arab. qitära zurückgehend auf griech. 'Zupf-, Saiteninstrument; Zither; Leier' (vgl. dtsch. Zither, engl. guitar, frz. guitare); anfangs auch in den Schreibformen Kitarra, Kytarra, Chytarre, Chitarron, Cithar, Quitarre (wobei in den meisten Fällen unklar bleibt, auf welches Musikinstrument genau sich die jeweilige Bezeichnung bezieht und inwiefern eine Abgrenzung gegen verwandte Instrumente wie Laute, Quinterne und v. a. Zither möglich ist) und bis Ende 19. Jh. überwiegend, heute gelegentlich noch in der Schreibung Guitarre. Bezeichnung für das aus Spanien (ursprünglich vielleicht aus dem Orient) stammende Zupfinstrument mit flachem Korpus in Form einer 8, rundem Schallloch und langem, seit dem 18. Jh. mit sechs Saiten bespanntem Hals, in Deutschland Anfang 19. Jh. in Mode gekommen (zunächst oft als typisches Instrument schwärmerischer Frauen und verliebter Jünglinge betrachtet, s. Belege 1776, 1820 — 22; später bes. von bettelnden Straßenmusikanten benutzt, s. Beleg 1851), dann seit Anfang 20. Jh. durch die Jugendbewegung populär geworden (vgl. Klampfe, Zupfgeige) und heute sowohl als klassisches Konzertinstrument wie auch als (oft elektrisch verstärktes) Begleit- und Soloinstrument in Jazz, Rock- und Unterhaltungsmusik von großer Bedeutung, in Wendungen wie akustische/elektrische Gitarre, mit Gitarrenbegleitung, die Gitarre stimmen, spielen, auf der Gitarre klimpern, improvisieren, präludieren, dreschen, ein Lied zur Gitarre singen, Luftgitarre spielen 'einen Rockgitarristen pantomimisch nachahmen' und Zss. wie Gitarrespiel, -stunde, Gitarrenhals, -korpus, -klang, -akkord, -griff, -duo, -ensemble, -quartett, -festival, -konzert, -musik, -riff, -saite, -koffer, -solo, -spiel(er), -lehrer, -klasse, -Ständchen, -technik, -unterricht, -Verstärker, -virtuose; gitarrendominiert, -lastig, -orientiert; A(kustik)-, E(lektro)-, Bass-, Hawaii-, Konzert-, Rhythmus-, Schlag-, Schrammel-, Solo-, Strom-, Wander-, Westerngitarre, in jüngster Zeit, bes. im Bereich der Rock- und Popmusik, häufig in der aus engl. guitar entlehnten Form Guitar F. (-; -s), in Zss. wie Bass-, Blues-, E-, Lead-, Steelguitar. Dazu seit früherem 19. Jh. die aus gleichbed. span, guitarrista (vgl. auch ital. chitarrista, engl. guitarist] entlehnte Berufs- bzw. Personenbezeichnung Gitarrist M. (-en; -en), auch Gitarristin F. (-; -nen), gelegentlich auch in der Schreibung Guitarrist, für 'Gitarrenspieler/-in', in Wendungen wie ein erfahrener, fähiger, namhafter, virtuoser, weltberühmter Gitarrist und Zss. wie Ausnahme-, Band-, Blues-, Flamenco-, jazz-, Konzert-, Lead-, Rock-, Solo-, Stunt-, Tangogitarrist, mit der adj. Ableitung gitarristisch 'das Gitarrenspiel/den Gitarristen betreffend', in Wendungen wie gitarristische Vereinigung, Ausbildung, Bearbeitung, Darbietung, Fähigkeiten, Perfektion, Technik, gitarristischer Begleiter, Kraftakt, gitarristisches Feuerwerk, Vorbild; daneben die im späteren 19. Jh. vereinzelt gebuchte, erst in jüngster Zeit häufiger
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Gitarre
belegte, aus span, guitarrero 'Gitarrenmacher; Gitarrist' entlehnte Personenbezeichnung Gitarrero M. (-s; -s), auch in der Schreibung Guitarrero, mit der movierten Form G(u)itarrera F. (-; -s) 'Gitarrenspieler/in; (spanische/-r/lateinamerikanische/-r/mit spanischem Temperament spielende/-r/lebhaft agierende/-r) Gitarrist/-in', in Zss. wie Gitarrero-Attitüde, -Pose; Avantgarde-, Rock-, Soft-, Star-, Super-Gitarrero; im späteren 19. Jh. vereinzelt gebucht das V. intrans. guitarisieren 'die Zither spielen'. Gitarre: Albertinus 1599 Sendtschreiben III Wlb Als ich deß nachts die Eck an allen Gassen hütete/ gassatim gieng/ liebäugelte/ auff der Kitarn/ Zittern vnnd Lauten schlug/ Item als ich von dem einen Fenster ins ander stieg; ders. 1615 Gusman v. Alfarche 453 benebens schlug ich trefflich wol auff der Lauten/ vnd verträte einen lustigen Spannischen Schalcksnarren mit seiner Kitarren/ vnd kondte artlich drein singen/ tantzen vnnd springen; Prätorius 1619 Syntagma mus. Ill 146 auff der Lautten, Harffen, Chitarron oder Theorba; Sumaran 1621 Sprachbuch 557 una guitarra: ein Spannische gitarre; Rist um 1640 (1892 Zschr. f. vgl. Literaturgesch. V 180) Teutschland will mit Spanien hinken, wenn Kitarra singt und klingt (SCHEID); ders. 1652 Parnass 542 Hinweg/ hinweg du SaitenKlang/ Hinweg Ihr außerlesne Lieder/ Mein Singen ist ein rechter Zwang/ Ich lege die Kytarra nieder; Francisco 1663 Türckengefahr B3v wie man von den Meer-Sirenen gedichtet/ daß sie mit ihrem süssen Gesinge und Citharspiel/ die ihnen Gehör-gebende Schiffleute eingeschläffert; Ziegler 1697 Staats-Phantasten l 7 als die Strassen und Plätze . . von dem Carossen- und Chaisen-Fähren Quitarren-Geschirppe/ und Lieder-Geheule des müssigen Volcks in Rom ein wenig befreyet wurden; Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 43 Unter den SaitenInstrumenten aber gefallen mir die Violino, Viola da Gamba, Laute, Angelique, Chytarre, Harffe und dergleichen; Fuhrmann 1706 Musical. Trichter 92 Guitarre, ist eine verdorbene Laute/ denn sie klingt gegen eine rechte Laute als eine SchachtelFidel gegen eine Cremonier-Viol; Wächtler 1709 Manual 149 Guitarre, (Kittarre) ein Musicalisches Instrument, z. E. auff der Guitarre spielen; Elis. Charl. 1717 Br. Ill 108 Sie konte gar woll auff der quitare spülen, undt wan sie wie eine fourie war, gab man ihre eine quittarie; wen sie ahnfing, zu accordiren undt zu spülen, würde sie wider raisonable; Klinger 1776 Simsone Grisaldo (Sturm u. Drang 11 1076) Mich sollte doch wundern, wenn Curio nicht auch mit einer Gitarre und einem weinerlichen Liedchen unter deinem Fenster herummaunzte (DiBi 1); Heime 1787 Ardinghello 82 Als darauf noch eine weibliche Stimme zu der männlichen einfiel, so zog auch ich meine Guitarra hervor, brachte sie leis in Stimmung und sang, als sie aufhörten, nach einigen Griffen von ihrer traurigen Harmonie in eine fröhlichre hinüber (DiBi 1);
Schiller 1797 Br. V 179 Die Guitarre wirst Du nun hoffentlich haben; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA l 20,250) Das Instrument spielte sie nicht ungeschickt, ihre Stimme war angenehm; was aber die Worte betraf, so verstand man sie so wenig, als wenn sonst eine deutsche Schöne zur Guitarre singt; £. T. A. Hoffmann 1820—22 Kater Murr (Poet. W. V 186) „Die Guitarre", brach der Mann endlich los, „ist doch das miserabelste, unvollkommenste Instrument von allen Instrumenten, nur wert, von girrenden liebeskrankenden Schäfern in die Hand genommen zu werden . ." (DiBi 1); Heine 1830 Italien 268 und der Professor stürmte in die Saiten der Guitarre und sang dabey so glühende Worte, daß ihm die Schweißtropfen von der Stirne und die Thränen aus den Augen liefen; Gutzkow 1851 Ritter 1200 Da taumelt ein Bierhaussänger daher, der in seinen jungen Jahren auf den Bühnen Buffopartieen sang und jetzt so herabgekommen ist, daß er in den Gambrinushallen zur Guitarre mit allerhand Lazzis und in Scenen gesetzten Faxen singt (DiBi 1); Werther 1861 Kl. Deutschland l 28 er liebte die Musik, spielte die Guitarre, blies sogar einige Variationen auf der Flöte; Nordau 1881 Kreml U 284 die Guitarre schwirrte lebhafter, die Umsitzenden sangen lauter, mit den Refrains der kurzen Strophen wechselte der anfeuernde Ruf: „Alza! Alza!"; Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 42 Zwanzig Schritte weiter hebt eine andere Schar unter Gitarrenbegleitung einen furchtbaren Gesang an; sie tanzen dabei, und als sie das berühmte Lied von der „Margherita" erklingen lassen, . . fällt das Publikum johlend ein; Schickele 1920 Mädchen 44 Zwei Damen in Strassentoilette, Federhüte auf dem Kopf, kamen und sangen Lieder zur Gitarre; Stratz 1929 Lill 103 Die Gitarreklimperer lugten über ihr Gefinger auf den Darmsaiten still beglückt zu ihm hinüber; LokalAnz. 8.2.1933 Außerordentliches leistet ihr Begleiter, der Gitarren-Virtuose Montoya, der stürmischen Beifall erntet; Feuchtwanger 1951 Goya 67 Don Manuel schlug ein Bein über das andere, stimmte die Gitarre und sang; Böll 1963 Clown 298 Ich steckte mir die drittletzte Zigarette an, nahm die Guitarre wieder hoch und klimperte ein bißchen vor mich hin; 1971 konkret VIII 22 Eine neue Jugendbewegung. Jene neue Innerlichkeit, die statt mit Fahrrad, Rilke und Heiderose inzwischen mit Motorrad, Hasch, Porno und Posters daher-
Glace kommt (wobei die Gitarre beibehalten wurde, wenngleich jetzt elektrisch verstärkt); Mannh. Morgen 18. 5. 1985 Er spielt den Elektro-Baß ganz einfach als Baß-Gitarre, überträgt Gitarrenspiel· weisen des Country-Blues auf sein Instrument und gibt ihnen eine eigentümliche stählerne Klangfärbung; taz 9. 7. 1991 Beim ersten Rcinhören fällt auf: Johnny Panic hat eine eigene gitarrenoricntierte Linie. . . Das komplexe Gitarrenspiel von Nils fügt sich wie mit dem Messer geschnitten in das Konzept der Bremer; ebd. 1. 2. 1996 also eine Art Ersatzbefriedigung — so was Ähnliches wie die Luftgitarre, die jugendliche Rockfans gerne vor dem Spiegel spielen; Berl. Ztg. 20. 5. 2003 Melodische Gitarrenbands mit guten Songs und leisen Tönen sind in. Guitar: Zeit 29. 5. / 987 Natürlich wird immer hart gearbeitet, und allein schwielige Hände bringen die Saiten der Steelguitar richtig zum Heulen; taz 17.9. 1994 Doch auch bei beschränkten Mitteln ermöglichen multieffektive Guitar-Synthesizer eine unendliche Vielzahl von Soundvariationen; Prankf. Rundsch. 23. 5. 1998 Er brilliert auf der Slide Guitar und erinnert an seine Zeit mit Rod Stewart; Mannh. Morgen 2. 3. 2001 Egon Borkowski (guitar, bass) kann wohl auf der Leadguitar mit seiner Fingerfertigkeit so manchem Bluegrasser etwas vormachen.
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dem Mund des Gitarristen/ Gleich dem Blitz in blaue Lüfte (DiBi 1); 1844 Brockhaus VI 511 und nächst Giuliani und Sor zeichneten sich besonders Zocchi und Gärtner als Guitarristen aus; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 507) Unterdessen hatte der Gitarrist zu eigener Begleitung ein Solo begonnen, einen mehrstrophigen, eben in ganz Italien florierenden Gassenhauer; Münch. N. N. 14. 9. 1943 So fiel . . vor allein die als Komikerin begabte jugendliche Gitarristin Hildegard Emmerling auf; Süddtsch. Ztg. 11.9. 1950 der Gitarrist mit dem Figaro-Profil singt gedämpft; Grass 1962 Blechtrommel 424 „Nur fehlt uns noch ein ordentlicher Guitarrist, der auch auf dem Banjo Bescheid weiß"; Bildztg. 14. 4. 1967 Dann nahm ein Gitarrist der Beat-Band sein Instrument und zertrümmerte es auf dem Boden; Mannh. Morgen 22. 1. 1985 Thomas Eppel, ein fabelhafter Gitarrist von hoher Sensibilität, begann seinen Abend im Stamitzsaal des Mannheimer Rosengartens mit Werken aus der Barockzeit; taz 1. 9. 1992 Mit Charme und schmalziger Übertreibung mimt Ramon Regueiro den Tango-Guitarristen; Frankf. Rundsch. 2. 6. 1997 Nur wenn ab und zu mal . . Gitarristin Jennifer Batten zu einem Solo an den Bühnenrand kommen durfte, konnte man kurz sehen, daß bei Michael Jackson tatsächlich richtige Musiker spielten; Berl. Morgenpost 22.11. 1998 Der Bruder des verstorbenen Stunt-Gitarristen Stevie Ray Vaughan liefert eine feine Mischung aus Blues, Soul und Rockabilly; Berl. Ztg. 14.1.2003 Pete Townshend — berühmt als Gitarrist und Songschreiber von The Who und ohne Übertreibung als Rocklegende zu bezeichnen.
Gitarrero: Sanders 1871 Fremdwb. I 465 [Guitarr]ero (span.,..)..: Guitarrenspieler; taz 28. 10. 1988 Als Gitarrero mit manchen Tricks und Kniffen entpuppt sich Martin C. Herberg, der .. eine besondere Vorliebe für alte Stones- oder Beatlestitel hegt; Spiegel 18. 4. 1994 ein Fünftel der amerikanischen Plattenumsätze fiel bereits in die Hände der Softgitarristisch: Münch. Stadtanz. 17. 11. 1950 GitarGitarreros; Tiroler Tagesztg. 3. 7. 1997 Sein Charistische Vereinigung; Zeit 26. 7. 1985 Daß einem risma und seine ekstatische Spielweise haben dem die Musik der meisten „Interzone"-Lieder so nahe amerikanischen Gitarrero [Mike Stern] ohne Zweigeht, liegt an der Qualität des Materials, an der fel einen Sonderstatus im Jazzrock beschert; Berl. gitarristischen Feinmechanik von Bibi Schulz; 1993 Ztg. 27. 1. 2000 Bei den Auftritten der Sojor sollen FAZ o. Nr. Mitunter mußte McLaughlin . . die auch schon mal die Stühle der Gitarreros auseinanvom Klavier transkribierten Parts kompositorisch der gebrochen sein, während sie ihre feurigen Lieüberarbeiten, so daß sie gitarristisch wurden, also der spielten; Mannh. Morgen 5. 5. 2003 ihre aberauf Gitarren klingen; Mannh. Morgen 19. 1. 2002 witzig anmutenden Jonglagen . ., bei denen sechs Während Kaiser auf einem gitarristischen Soloflug Ukulelen gleichzeitig gespielt und jongliert werden davonschwebt, sorgt der Drummer im Hinteroder Gitarrero Simon Flamm in hohem Bogen grund für aufregende Turbulenzen. durch die Luft fliegt. Gitarrist/-in: Immermann 1835 Tulifäntchen (W. l 450) Schmetternd schlug ein runder Triller/ Aus
guitarisieren: Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 330 guitarisiren . . die Zither spielen.
Glace N., auch M. (-s; -s), Mitte 19. Jh. aufgekommene Kurzform für die seit frühem 19. Jh. bezeugte Zs. Glacehandschuh (zusammengezogen aus bereits Mitte 18. Jh. nachgewiesenem glacierter Handschuh (s.u.), lehnübersetzt aus frz. gant
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Glace
glace 'Glacehandschuh', eigentlich 'mit einer Glanzschicht überzogener Handschuh' (vgl. frz. glace '(Firnis-)Glanz'), aus gant 'Handschuh' und glace, Part. Perf. von glacer 'gefrieren lassen, durch Gefrieren zum Erstarren bringen; die Oberfläche mit einer wie Eis glänzenden Glasur überziehen, glänzend machen' < altfrz. glacier 'vereisen, erstarren' < lat. glaciare 'zu Eis machen, gerinnen lassen; gerinnen', zu glacies 'Eis'; —» Glacis, —»· glazial), gelegentlich auch in den Schreibungen Glace, Glacee. \ Meist im Pl. verwendet zur Bezeichnung eines Accessoires der eleganten Herrenwie Damenmode für 'hochglänzende, enganliegende Handschuhe aus bes. feinem Leder', in Wendungen wie neue, hellbraune, grüne, eleganteste, tadellose Glaces, Glaces gebrauchen, anlegen, anbehalten, im 20. Jh. rückläufig und meist wieder in der gleichbed. älteren Zs. Glacehandschuh(e) (s.o.), schon früh konnotiert mit „sanft, zart, fein, weich; zartbesaitet; übertrieben behutsam, zurückhaltend, rücksichtsvoll, nachsichtig" (Ggs. Boxhandschuhe, harte Bandagen), auch „modisch überfeinert, (zu) vornehm, (zu) elegant, Stutzer-, gecken-, dandyhaft, snobistisch", in bildlichen Wendungen wie v. a. jmdn./etwas mit Glacehandschuhen anfassen 'jmdn./etwas mit besonderer (übertriebener, falscher) Schonung, Rücksichtnahme, Vorsicht behandeln', sich Glacehandschuhe anziehen, Revolution in Glacehandschuhen 'gewaltfreie, unblutig verlaufende, die Verhältnisse nicht wirklich verändernde Revolution', Politik, Wahlkampf in Glacehandschuhen, Maulschellen in Glacehandschuhen austeilen, Pöbel mit Glacehandschuhen und mehrgliedrigen Zss. wie Glacehandschuh-Liberale, -Revolutionäre, -Justiz; dazu seit früherem 19. Jh. die adj. Gelegenheitsbildungen glacebehandschuht 'Glacehandschuhe tragend' (auch übertragen verwendet, s. Beleg 1999), glacehandschuhmäßig übertragen für 'snobistisch, übertrieben modebewusst' (auch subst.), und Anfang 20. Jh. die vereinzelte, zu der nicht belegten adj. Ableitung "'glacenen gebildete Substantivierung Glacenene Pl. 'aus Glacfe gefertigte (Handschuhe)' (mundartl., bes. berlin.); seit Ende 19. Jh. dann auch in der allgemeineren Bed. 'Glanz' (s. Belege 1894, 1989), nur als Bestimmungswort in Zss. wie Glacegarn, -gerbung, -leder, -papier. Dazu das bereits Mitte 18. Jh. aus frz. glacer entlehnte V. trans, glacieren (häufig mit weitgehend gleichbed., aber etymologisch nicht verw. glasieren (—*· Glasur) vermischt und in den phonetischen Schreibungen glasieren, glassieren, glaßieren) '(einen Gegenstand) zum Glänzen bringen, mit einem glänzenden Überzug versehen', meist adj. verwendet im Part. Perf. glaciert 'mit einer Glanzschicht überzogen, (hoch-) glänzend', v. a. in der (aus frz. gants glaces entlehnten, s.o.) Wendung glacierte Handschuhe und Zss. wie weißglaciert; daneben seit späterem 18. Jh., ebenfalls in der Schreibvariante glasieren, auch in der Bed. '(Speisen) mit Glace (—* Gelee, Sülze), Zuckerguss, einem dünnen Butterfilm überziehen (und damit zum Glänzen bringen)' (s. Belege 1773, 1804, 1805-11, 1808, 1831, 1855, 1866, 1873, 1983, 1992, 2000), auch bildlich gebraucht (s. Beleg 1889), in Wendungen wie die Torte glacieren, Zwiebeln in Zucker und Butter glacieren, glacierte Früchte, Puterflügel, Schweinerippchen, Karotten, Kastanien, Apfelspalten und Zss. wie zuckerglaciert. 2 Seit früherem 19. Jh. überwiegend gebucht in der Bed. 'mit Gold oder Silber bestickte Seide, glänzendes, schillerndes, changierendes Gewebe aus Naturseide', gelegentlich in der Zs. Gold-Glace.
Glace Glace 1: Rodenberg 1856 Bilderbuch 86 Durchgetanzte Seidenschuhe und zerrissene Glaces; Bismarck 1859 Er. 429 Bringe mir noch Handschuh mit, gelbe Glace und braune rauhe; Spielhagen 1868 Dorfkokette 72 Ich wußte, daß Herbert den Dienst und die Freiheitsschwärmerei quittiert hatte . . und auf dem Parkett der Berliner Salons in Frack und weißen Glaces Buße that für seine schleswigholsteinschen Extravaganzen; Lindenberg 1883 Berlin I 34 Herren mit den elegantesten Glacees; Eckstein 1889 Camilla 93 Er sah aus ungefähr wie ein Schulrat, . . trug auf der Weste ein wahres Prachtstück von großgegliederter Uhrkette, an den bedeutenden Händen grüne Glaces mit braunroten Steppnähten; Franke-Schievelbein 1894 Rotdorn 65 als sie den Händedruck des Lehrers mit ihrer zierlichen, fein in Glaceleder gekleideten Hand erwiderte; Döblin 1929 Alexanderplatz 236 was hast du für hübsche Händchen, Mädel, ich kauf dir auch ein Paar Glaces, paß mal auf; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 287) Er trug einen schwarzen, mit Atlas ausgeschlagenen Pelerinenmantel, Lackschuhe zu schwarzen Frackhosen, weiße Glaces und auf dem schimmernd frisierten Kopf . . einen Zylinderhut; 1989 Brockhaus VIII 551 Glaceleder . ., aus Zickel- oder Lammhaut durch Glacegerbung hergestelltes, sehr zartnarbiges und dehnbares Handschuhleder, das durch Nachbehandeln mit Chromsalzen oder Formaldehyd waschbar gemacht wird. Glacehandschuh(e): E. T. A. Hoffmann 1819 Serapionsbrüder (Poet. W. IV 56) Albertine entzog ihm ihre Hand, aber nur, um sie von dem feinen GlaceHandschuh zu befreien und dann dem Glücklichen wieder zu überlassen (DiBi 1); Bettina v. Arnim 1835 W. u. Br. II 148 Spitzen von altherkömmlichem Ansehen und großer Pracht, ein wahrer Familienschatz, verhüllte ihren Busen, und so stand sie mit weißen Glacehandschuhen, in der einen Hand einen künstlichen Fächer (DiBi 1); Gutzkow 1838 Blasedow II 112 Die Reitgerte, die Sporen, die Glaceehandschuhe und der gleichfalls eben erst gekaufte Castorhut harmonirten allerliebst zu seinem bloßen Halse; Baier 1844 Tagebuch (Gassen, Bettina v. Arnim 18) Ihre Derbheit; da hat man sich nicht zu geniren; . . das Blut strömt wärmer durch den Körper als bei den langweiligen Alltagsmenschen, die nur Phrasen wollen und weiße Glacehandschuhe; Engels 1848 MEW V 87 Verlangt Herr Griesheim etwa, das Volk solle sich bei einer Revolution vorher Glacehandschuhe anziehen?; Holtet 1860 Eselsfresser III 246 den vorsichtigen, zurückhaltenden, jede Silbe abwägenden Richard, der so ein acht moderner Radikaler in lackirten Stiefeln ist und Alles mit Glacehandschuhen angreift; zur Megede 1911 Quitt 102 Wer träge auf
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seinen Gütern sitzt und nur mit Glacehandschuhen durch die Ställe geht; Brecht 1928 Dreigroschenoper (Ges. W. // 410) Du hast grade nötig, von Zoten zu reden. Meinst du, Lucy hat mir nicht gesagt, was du ihr gesagt hast! Da bin ich überhaupt ein Glacehandschuh dagegen; Friedeil 1931 Kulturgesch. III 88 Dazu treten allmählich die höchst unkleidsamen Knöpfelstiefeletten und die Glacehandschuhe, die erst jetzt das Naturleder allgemein verdrängen . .: in ihrer Bevorzugung äußert sich die primitive Freude des Parvenüs an allem Satinierten; Erlanger Tagbl. 4. 7. 1964 Der Unternehmer, der solche hochwertigen Fachkräfte nicht mit Glacahandschuhen anfaßt und sie nicht gut und entsprechend ihren Leistungen bezahlt, dürfte in Jahresfrist am Ende seiner Kräfte sein; FAZ 11. S. 1970 Von welchem Gegner aber wird die deutsche Elf noch mit Glacehandschuhen angefaßt?; Zeit 9. 8. 1985 Du hast dieselben Rechte, sagt der Vater, nur wissen das noch nicht alle Leute. Wenn du sie durchsetzen willst, mußt du austeilen und einstecken können. Erwarte nicht, daß du dabei mit Glacehandschuhen angefaßt wirst; Mannh. Morgen 5. 3. 2001 Es klingt fast wie ein Märchen. Umso mehr, da diese ungewöhnliche bargeldlose Aktion in einer Branche stattfindet, in der man sich normalerweise nicht mit Glace-Handschuhen anfasst. Im Veranstalter-Geschäft werden eher harte Bandagen angelegt. glacebehandschuht: Schwarzenberg 1844 W. I 131 denn so ein Gebirgshirsch, der sein heißes Liebesverlangen . . mit homerischer Kraft ausspricht, verhält sich zu einem ändern Hirsche wie Achilles, der Briseis begehrt, zu einem modernen glaceebehandschuhten Dandy; Frankf. Rundsch. 18. 9. 1999 Seinem Entschluss, die einstmals stramm konservativen Boulevardblätter . . auf Sympathie für Tony Blair zu trimmen, verdankt der Darling der europäischen Sozialdemokratie .. seinen Wahlsieg, was sich heute auszahlt durch den glacebehandschuhten Umgang mit den Investitionen Murdochs seitens der Regierung. glacehandschuhmäßig: Stahr 1848 Italien // 219 Das ist es, dieser Mangel an Zusammenhang von Geistigem und Materiellen, dieser klaffende Sprung ist es, der die italischen Cafe's, die Gesellschaften, den Kleiderluxus, das Glaceehandschuhmäßige dieser äußerlichen Kultur in Rom wie in Neapel und Palermo so widerlich erscheinen läßt. Glacenene: Braun 1911 Kampf jähre (Ges. W. Ill 96) „Schämst du dir nicht!" schrie einer einmal eine hübsche Brünette an, mit Rosen auf dem kecken Filzhut, und riß sie unsanft zurück, „hat noch
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so'n Deckel auf'n Kopp und Glacenene an die Finger und will den ollen Weibern das Brot nehmen?!" (DiBi 45). glacieren/glaciert: Lessing 1748 Misogyn (S. Sehr. 32) Ich muß meine Spitzenkrause vorher wieder abbinden und die glaßirten Handschuh einstecken; Halle 1761 Werkstäte d. Künste I 216 Glacer, glasiren nennen die Maler, wenn sie ein bereits fertiges Gemälde mit feinen, durchsichtigen Farben und besonders im Nakken überarbeiten, dadurch die untern Farben und das Colorit gröstenteils Geist und Glanz erhält; Amaranthes 1773 Frauenzimmerlex. l 1181 Will man nun Torten oder ander Backwerk, das sich zum Glaciren schickt, glaciren, so läßt man es, nachdem es gebacken ist, erst ein wenig abkühlen; Nicolai 1779 Berlin 402 sonderlich sind die Berliner glasirte Handschuhe berühmt, die besonders von den französischen Handschuhmachern verfertigt werden; Müller 1792 Herr Thomas IV 145 Seine schön glacirten Englischen Handschuhe lagen in seinem Huthe; Rode 1796 Vitruv U 126 auch soll das glaciren in der wachsmahlerey nicht glücklich zu bewerkstelligen seyn (DWB); 1804 Almanach f. Leckermäuler 106 garnirt mit glacirten Puterflügeln; Brentano 1805 — 11 Hai. Märchen (W. Ill 527) Da stürzten alle die Bäcker und Fleischer nach ihren Buden und hackten und kneteten und rollten und glasierten die Eierwecke (DiBi 1); 1808 Hannöv. Kochb. 127 Man kann auch die Torte glassiren; Hauff 1827 Memoiren (S. W. l 573) Er . . eilte mit zierlichen Sprünglein zu der Gartenpforte, wo er in dem Drang seines Herzens die junge Dame auf den glacierten Handschuh küßte (DiBi 1); Oertel 1831 Fremdwb. 364 glaciren, glasiren, . . mit eisartigem, weißem Zuckerguß überziehen, z. B. Konfitüren; Borne 1832 Br. a. Paris (S. Sehr. III 336) es sind keine parfümierten Diplomaten in seidenen Strümpfen und glasierten Handschuhen (DiBi 1); Scheibler 1855 Kochb. 9 Glacieren heißt das Überziehen des Fleisches, mancher Gemüse, Fische etc. mit Fleischglace vermittels eines Pinsels. Kuchen u. Torten werden mit der Zuckerglace überzogen (SANDERS 1871); Louise v. Frangois 1857 Ges. W. IV 416 Es waren rosa glacierte Karten von ansehnlichem Umfang; in der Mitte machte die Baronin Wilhclmine von Horneck . . die Anzeige der Verlobung ihrer einzigen Tochter Blanka mit dem Herrn
Ernst Phosphorus Holländer (DiBi 45); Schandri 1866 Kochb. 70 Gesottene und dann glasirte Kastanien; Davidis 1873 Kochb. 27 Glace zum Fleisch glaciren; Ebner-Eschenbach 1889 Unsühnbar (Ges. W. II 421) Die Bursche sind alle nach demselben Rezept eingetunkt und steif glaciert in Eleganz (DiBi 45); Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 684) Einkaufen will ich Dinge, die man dort reizend herstellt . .: glasierte Halskrägen, Feldstühle mit hübschen Beinchen, . . und gefältelte Linnenschurze; Strittmatter 1983 Laden 185 ein mit Zuckerguß glasierter Kranzkuchen; taz 25. 2. 1989 Als Beilage empfiehlt die Köchin Plätzchen von rohen Kartoffeln und glasierte Perlzwiebeln sowie breite, grüne Bohnen; ebd. 14. 3. 1992 Dann Dekkel abnehmen und Flüssigkeit verkochen, bis die Karotten glaciert, d. h. mit einem Film von Butter überzogen sind und schön glänzen; ebd. 6. 10. 1993 Perfekt angepaßte Miniröcke, knallenge Pomanschetten aus glaciert schimmerndem Nappa mit Sicherheitsnadeln und mit Fünfmarkstück-großen Löchern gespickt; St. Galler Tagbl. 13. 2. 1998 Wasser, Rum, Zitronensaft und Honig zu einem Sirup kochen. Etwas eindicken lassen und die Bananenscheiben 2—3 Minuten darin glasieren, herausheben und abtropfen lassen; Neue Kronen-Ztg. 3. 2. 2000 Mit flüssiger Butter bestreichen, braunen Zucker darüberstreuen und im vorgeheizten Backofen bei eingeschaltetem Grill goldgelb glacieren. Glace 2: /. Schopenhauer vor 1838 Jugendleben (Nachlass I 239) man trug [die Röcke] . . mit reichen Stickereien in Gold oder bunter Seide, und dazu passende, gestickte seidene Westen. Aeltere Männer, wie zum Beispiel mein Vater, trugen auch wohl Röcke von dunkelfarbigem Sammt, bei einer Weste von Gold-Glacee, und sahen recht stattlich und anständig in dieser Kleidung aus (DiBi 45); Heyse 1838 Fremdwb. I 455 Glace . ., Seide, mit Gold od. Silber besponnen; Sanders 1871 Fremdwb. I 442 Das G[lace], glänzendes Gold- od. Silber-Gespinst; Bazar 14.1. 1889 Nächst den leichten, durchsichtigen Geweben . . finden zu Ball- und Gesellschaftstoiletten für junge Mädchen auch leichte einfarbige Seidenstoffe wie Glace und Surah . . lebhaften Anklang; Genius 1933 Fremdwb. 367 Glace, n. (spr. glaßeh) mit Gold- oder Silberfäden besponnene Seide.
Glacis N. (-; -), Ende 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. glacis (zu altfrz. glacier in seiner Bed. '(aus-, ab-)gleiten, (aus-, ab-)rutschen, schlittern' < lat. glaciare 'zu Eis machen, gerinnen lassen; gerinnen', zu glacies 'Eis'; —» Glace, —» glazial), anfangs auch in den Schreibungen Glassis, Glafis, Glasi.
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la Zunächst (heute nur noch historisierend) als Fachwort des Festungsbaus in der Bed. 'sanft geneigte, mit Erde aufgeschüttete Außenböschung einer Festung, die den toten Winkel am Fuß der Festungsmauer verhindert und damit dem Angreifer die Deckung entzieht, oft ergänzt durch einen dem Graben vorgelagerten, demselben Zweck dienenden Erdaufwurf mit dem Neigungswinkel der äußeren Festungsbrustwehr', in Wendungen wie das Glacis anschütten, am (Fuß des) Glacis anlangen und Zss. wie Glacisbewachung, -kämm, -krönung; Festungsglacis, vereinzelt auch im Gartenbau für 'Erdaufschüttung, Rasenabhang, -böschung' (s. Beleg 1735) und für 'Damm-, Straßenböschung' (s. Beleg 1786), seit Mitte 18. Jh. dann allgemeiner für 'einer Festung, einer (befestigten) Stadt vorgelagertes freies, ungedecktes, ungeschütztes Gelände (in Friedenszeiten oft mit Bäumen bepflanzt), Vorfeld' (s. Belege 1745, 1827, 1865), von daher auch 'von den Bürgern einer Stadt für Spaziergänge genutzter Bezirk am Stadtrand, Promenade, Vorstadt' (—> Boulevard, s. Beleg 1811), in Wendungen wie das Glacis bepflanzen, rasieren '(im Verteidigungsfall) die Bäume auf dem Glacis fällen' und Zss. wie Glacisbäume; Alster-, Holsten- Lippeglacis; dazu seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung glacisförmig, bes. in der Wendung glacisförmiger Aufwurf. b Seit spätem 19. Jh. in zunehmend bildlicher Verwendung bildungsspr. in der Bed. 'einem (großen, mächtigen, hegemonialen) Staat benachbarter (kleinerer, schwächerer) Staat, der diesen durch seine geographische Lage vor einem plötzlichen Überfall seitens eines dritten, feindlichen Staates schützt; einer Großmacht schützend vorgelagerter (Satelliten-)Staat oder Staatengürtel, territoriales Vorfeld, (potentielles) militärisches Aufmarschgebiet, Pufferstaat', in neuerer Zeit meist bezogen auf die Länder Mitteleuropas während des Kalten Krieges, in Wendungen wie das oberrheinische, indische, belgische Glacis, das osteuropäische Glacis der UdSSR, strategisches Glacis, sein Glacis preisgeben und Zss. wie Glacisargument, -politik, -Staat, -Standpunkt, -theorie; Angriffs-, Sicherheitsglacis, dann auch losgelöst von politisch-militärischen oder (geo-)strategischen Gesichtspunkten selten in der Bed. 'vorgelagertes Einflussgebiet, Ausgangsbasis, Vorfeld' (s. Belege 1932, 1999), in Wendungen wie ideologisches, kulturelles, wirtschaftliches Glacis. 2 In neuerer Zeit wohl unter Einfluss von l a als Fachwort der Geomorphologie in der Bed. 'aus Erosionsmaterial bestehende sanft geneigte Abhänge am Fuß eines Gebirges, Fußfläche eines Gebirges', in Zss. wie Glacisetage, -relief, -terrasse; Dach-, Hangglacis. Glacis la: 1695 Teutsch-Redender Vauban H 61 Dieser bedeckte Weg wird nur vom Glassis bedeckt/ so seyn Brustwehr ist/ dessen Breite soll zum wenigsten 36. biß 40. T. seyn/ so sich nach und nach im Feld verlieret . . Endlich soll man nichts umb das Glassis leiden/ so dem Feind in seinen Approchen behülfflich seyn könte; 1702 Europ. Fama 539 als sich dieselben in die Festung Landau werffen wolten, und bereits biß an das Glacis gelanget waren; Sperander 1727 A la ModeSprach 278 Glacis, ist die schräge abwärts lauffende Brustwehr des bedeckten Weeges an einer Vestung nach dem Felde zu, biß an das gleiche Erdreich; Zedler 1735 Universallex. X 1532 Glacis, heisset eigentlich die obere Schräge einer jeden
Brustwehre; . . Man pfleget auch in Gärten dasjenige, so von Erde abhängig gemacht, und insgemein mit Rasen bekleidet ist, Glacis zu nennen; Trenck 1745 Leben 91 Ich wurde dann . . mit 36. Husaren nach Straubingen geschickt, um diese Vestung aufzufordern, welche sich aber nicht ergeben wollte, doch nahm ich ihnen 10. mit Proviant beladene Wagen auf dem Glacis hinweg, und sie begleiteten mich mit 40. Canon Schüssen; Pfau 1757 Angriff 51 Wann dann der Mineur-Officier findet, daß es dienlich wäre, diese gefundene Mine zu sprengen, um mit denen Sappen besser fortgehen, oder sich auf dem Glacis logiren zu können, so werden die in denen nächst daran stossenden Laufgräben sich befindende Soldaten von diesem Vor-
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haben benachrichtiget; Merck 1778 Oheim (Nicolai, Sturm u. Drang H 1240) Wie ich das Glacis hinter mir hatte, bemerkte ich erst wo ich gewesen war (DiBi 1); 1786 Strassenbau 92 Von den Uferpfeilern . . an, müssen die Dämme, bis an das Ende der grösten Ueberschwemmung, gemauerte Glacis haben, die wohl gegründet sind; . . Glacis nenne ich hier die Böschungen, wenn sie die Dammhöhe, mehrmalen genommen, zu ihrer Basis erhalten; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 253) Einst bemächtigte er und ein Spießgesell sich, am schönsten Promenadentage, der Esel des Thomasmüllers; sie ritten wohl gekleidet . . mit dem größten Ernst um die Stadt, angestaunt von allen Spaziergängern, von denen das Glacis wimmelte; Hoyer 1816 Kriegsbaukunst II 61 Glacis, die äußere Abdachung des bedeckten Weges, die sich mit ihrem vordem Ende in das Feld verläuft; Ranke 1827 Briefwerk 124 Die eigentümliche Schönheit von Wien ist das Glacis rings um die eigentliche Stadt her; Wagner 1840 Fortifikation 35 Das Glacis und der gedeckte Weg: Beseitigung des todten Winkels vor der Contrescarpe, Deckung der Escarpen und Kaponnieren; Engels 1848 Köln in Gefahr (MEW V 60) Alle Festungen werden armiert, die Gräben verpallisadiert, die Glacisbäume teils ganz, teils in der Schußlinie der Kanonen rasiert; 1861 Allg. Mil.-Enc. II 9 Die Ersteigung der Festungswerke selbst muß . . gleichzeitig auf allen Punkten erfolgen, weshalb abgewartet werden muß, bis alle Colonnen am Fuße des Glacis angekommen sind; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 292 Um dem Belagerer den Fortgang seiner Angriffsarbeiten auf dem Glacis zu erschweren, bepflanzt man dasselbe mit Bäumen oder Sträuchern, und benutzt diese Anpflanzungen nebenbei im Frieden sehr vortheilhaft als Promenaden um die Festungen; Luise Büchner 1875 Dtsch. Gesch. 542 die Soldaten wollten nicht mehr kämpfen, legten ihre Waffen auf dem Glacis der Festung nieder und wurden von da als Gefangene in die Kasematten abgeführt (DiBi 45); Hofmannsthal 1899 Reitergesch. (Erz. 124) Nicht weit vom letztgenannten Stadttor, wo sich ein mit hübschen Platanen bewachsenes Glacis erstreckte (DiBi 1); 1993 FAZ o. Nr. Fast gleichzeitig begannen die Städte, ihre nutzlos gewordenen Militäranlagen, Verteidigungsmauern und Befestigungsgürtel abzureißen. Auf den Wällen und Glacis-Vorfeldern entstanden prachtvolle Boulevards und Ringstraßen mit Staats- und Kulturbauten. glacisförmig: 1764 Beschr. e. Kriegs-Platzes 35 Die Spitzen der Palisaden, welche über dem Glacis-förmigen Aufwurf gar nicht hervorragen, folglich vom Felde aus nicht beschädiget werden können; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 16 Außer ei-
ner Vermehrung der Grabentiefe an der Kontrescarpe gewährt ein glacisförmiger Aufwurf den Vortheil, daß durch ihn der untere Theil der Brustwehr gegen das direkte Geschützfeuer des Feindes gedeckt . . wird. Glacis Ib: 1887 Dtsch. Rundsch. U 435 Dass ihr Land [Elsass-Lothringen] das „Glacis" des Reichs gegen Frankreich bildet; Dehn 1904 Neubildungen 361 Anfang April 1904 verglich Lord Curzon in Kalkutta Indien mit einer Festung, die auf zwei Seiten vom Meere als Festungsgraben und auf der dritten Seite von den Bergen umgeben ist. Das Glacis jenseits dieses Walles, sagte Lord Curzon, ist von wechselnder Breite und Ausdehnung. England wünsche nicht, es zu besetzen, könne aber auch nicht zugeben, daß es von einem Feinde besetzt werde; 1914 Dtsch. Rundsch. CLIX 197 Von dem Glacis von Metz aus drücken die deutschen Armeekorps durch das Marnetal auf Paris; 1919 Grenzboten IV 4 das längst erstrebte „indische Glacis" von Ägypten bis zum Kaukasus, vom Mittelmeer bis an Indiens Grenzen; 1928 ZfPolitik 359 Sie nötigen den [römischen] Senat, auch den Westen Europas in das grosse Glacis der Innenfestung aufzunehmen und das Imperium . . zum Rhein auszudehnen; Schickele 1932 Grenze 51 weil der Franzose im Elsass ein kulturelles Glacis erhalten will, auch, wenn es einmal kein militärisches mehr ist; 1943 Wissen u. Wehr 79 Persien und Mesopotamien gelten um 1900 für England als „vorgeschobenes Glacis" vom Persischen Golf, der die „maritime Grenze Indiens" ist; Th. Mann 1953 Reden u. Aufs. (W. XU 976) mit der [US-amerikanischen] Neigung, Europa als ökonomische Kolonie, militärische Basis, Glacis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Rußland zu behandeln, als ein zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde, um dessen vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird, wenn es den Kampf um die Weltherrschaft gilt; Partner 1964 Erben 330 durch die Gründung des Erzbistums Salzburg, mit dem Karl das Glacis für weitere Missionsaufgaben schuf; Stern 3. 9. 1987 Aber warum sollte die UdSSR die DDR und damit ihr osteuropäisches Glacis preisgeben?; Spiegel 21.6.1993 Jelzins Militärs und Staatsschützer halten den Kaukasus für ein strategisches Glacis, das nie preisgegeben werden darf; Presse 13.1. 1999 Daher sollte man bei den Banken den Gedanken nicht ganz aus den Augen verlieren, ob die heimische Kreditszene nicht zum bloßen Glacis deutscher Großbanken wird; Berl. Ztg. 2. 10. 2000 Freilich musste nur die Rote Armee ihr deutsches Glacis räumen, nicht auch US-Army und Nato. Glacis 2: Seuffert 1971 Reliefentwicklung o. S. Die beiden darin eingesenkten bzw. grabenwärts vorgeschalteten, flächenhaft verbreiteten Glacisterras-
Gladiator sen bzw. -etagen, die im Gegensatz zum Dachglacis ein besonders eckiges Material besitzen, können wir ins Mittel- und Jungquartär (Riß und Wurm)
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stellen; 1989 Brockhaus VH1 551 Glacis . . Geomorphologie: der untere Teil der Fußfläche eines Gebirges.
Gladiator M. (-s; -en), auch Gladiatorin F. (-; -nen), im früheren 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. lat. gladiator (zu gladius '(kurzes) Schwert', zu glaber 'glatt'; vgl. Gladiole), anfangs gelegentlich auch in lat. fielet. Form und in der frz. Form gladiateur. Zunächst historisierend in der Bed. 'Angehöriger einer überwiegend aus Sklaven, Gefangenen und Verbrechern rekrutierten, von einem Lehrer ausgebildeten Truppe von (Schwert-)Kämpfern, die sich in den Zirkusarenen des antiken Rom zur Unterhaltung des Publikums Kämpfe auf Leben und Tod lieferten; Schwertfechter, Schwert-, Berufs-, Schaukämpfer', in Wendungen wie Einzug/Aufmarsch der Gladiatoren und Zss. wie Gladiatorenkämpfe, -spiele, -gefecht, -Stellung, -leben, -schule, -aufstand, gelegentlich konnotiert mit „abgehärtet, an Schmerzen gewöhnt" (s. Belege 1766, 1769) und „kräftig, muskulös, durchtrainiert, athletisch (gebaut)" (s. Belege 1860, 1924), seit Ende 18. Jh. ironisch übertragen auf Personen, die sich in der Öffentlichkeit (intellektuelle, politische) Schaukämpfe liefern (s. Belege 1793, 1988), in Zss. wie Medien-, SPD-, Wahlkampf-, TV-Gladiator, auch abwertend für 'bestellter Agitator, (politischer, publizistischer) Streithahn' (s. Beleg 1854), in neuerer Zeit auch, häufig abwertend, bezogen auf (Kampf-)Sportler (Abfahrtsläufer, Eishockey-, Fußballspieler, Rennfahrer, Boxer, Catcher/Wrestler), die bei der Ausübung ihres Sports ein erhöhtes Verletzungsrisiko (oder sogar Todesgefahr) in Kauf nehmen und dafür verstärktes Publikumsinteresse genießen (s. Belege 1959, 1966, 1995, 1999, 2006), in Zss. wie Sport-, Eishockey-, Formel-I-, Fußball-, Wrestling-Gladiatoren; dazu gleichzeitig die aus gleichbed. lat. gladiatorius entlehnte adj. Ableitung gladiatorisch 'von Gladiatoren ausgeführt, für sie typisch, Gladiatoren(-spielen) ähnelnd', seit Mitte 19. Jh. die subst. Ableitung Gladiatorentum N. (-s; ohne Pl.) 'Gladiatorenwesen', oft abwertend (s. Belege 1876, 1926, 1990), vom späteren 19. bis ins frühere 20. Jh. die überwiegend gebuchte, aus lat. gladiatura 'Gladiatorenkampf' entlehnte subst. Ableitung Gladiatur F. (-; ohne Pl.) 'Schwertkampf, Schwertertanz, Gladiatorenkampf, -wesen', seit Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung gladiatorenhaft 'in der Art eines Gladiators' und in jüngster Zeit die gleichbed. adv. Ableitung gladiatorengleich. Gladiator: Zedler 1735 Universallex. X 1538 Wenn nun dergleichen Kampf zu Ende war, traten diejenigen, so sich freywillig hierzu begeben hatten, wieder in ihren vorigen Stand, und die eigentlichen Gladiatores wurden , . wieder in ihre Behältnisse gebracht; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 30) Man sollte glauben, er [Cicero] wolle einen Gladiator abrichten, so sehr eifert er wider den äusserlichen Ausdruck des Schmerzes; Herder 1769 Krit. Wälder (S. W. Ill 46) Und welche Gladiatorseele gehörte dazu, um ein Stück auszuhalten, in welchem diese Idee, dieß Gefühl des körperlichen Schmerzes, Hauptidee, Hauptgefühl wäre?; Lenz 1774 Meinungen (IV 176) zwei verzweifelte Gla-
diateurs auf den Kampfplätzen zu Rom; Tekete 1780 Beytrag 60 dass wir im freyen Felde keine Gladiateurs in der letzten Campagne machen wollten; Schubart 1793 Leben II 18 Pater Merz, ein damals hochgefeirter [!J Name, und nachmals selbst vom Pabste zum polemischen Klopffechter eingeweiht, ein Mann, der etwas bessere thun konnte, als seine Feder in die Pfüze der unchristlichen Streitsucht tauchen, . . kleidete Sophistereien in erträgliches Deutsch ein, und dieß ist das Glimpflichste, was man von diesem Gladiator sagen kann. Durch solche Einheizer wird die Gluth in Pöbelseelen immer unterhalten; Herder 1793-97 Br. z. Beförderung d. Humanität H 85 Wenn unter dem Text ei-
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Gladiator
nes alten Autors sich in den Noten oft über nichts ein schreckliches Gezänk erhebt, so lasset uns vom blutigen Spiel dieser Gladiatoren, die sich zu Ehren des Verstorbenen neben seinem Grabe würgen, hinwegsehn und sie für das halten, was sie sind, Sklaven (DiBi 1); GutsMuths 1804 Gymn. 175 Cultivirte Nationen verabscheuen die spartanische Kryptie so wie die unmenschliche Kunst der römischen Gladiatoren; Bouterwek 1807 Ästhetik 50 Mißlungen war von einer sehr bedeutenden Seite die Cultur der alten Römer; sonst hätten sie an den mörderischen Gladiatorenspielen keinen Geschmack finden können; Borne 1822—24 Schilderungen a. Paris (S. Sehr. U 132) Im Kriege tauchte Rom sein Schwert, im Frieden seine Blicke in Menschenblut — das waren die Gladiatorenkämpfe (DiBi 1); Heine 1834 W. u. Br. IV 586 nein, wir ergreifen keine Idee, sondern die Idee ergreift uns und knechtet uns und peitscht uns in die Arena hinein, daß wir, wie gezwungene Gladiatoren, für sie kämpfen (DiBi 1); 1844 Brockhaus VI 211 Unter Trajan wurden 123 Tage lang Gladiatoren- und Thierkämpfe . . gehalten, bei denen man 11000 Thiere tödtete und 10000 Gladiatoren kämpften; Görres 1854 Ges. Sehr. I 14 Nun gehen diese Herren hin, und nehmen beide Backen voll, und schimpfen, wie ein Rohrsperling. . Mit einem Meisterstücke des Witzes und des Geschmackes treten die Gladiatoren in die Schranken; aus meinem Namen und meinen Haaren beweisen sie in einem Akrostichon, daß ich ein Blutmensch, ein Anarchist sei; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen I 218 mit Gladiatorengewandtheit schwang er sich in's Boot zurück [beim Losmachen eines aufgefahrenen Bootes]; Lange 1873-75 Materialismus 215 Daß aber die fortschreitende Zivilisation nicht an die Stelle der alten Tugenden neue und bessere setzte .. wird auf drei Ursachen geschoben: das Kaisertum, die Sklaverei und die Gladiatorenspiele (DiBi 2); Derblich 1889 Militärarzt l 19 Hier lag ein Sterbender gleich einem schwärmerischen Märtyrer, mit eigenthümlich wehmüthig ergreifenden Zügen, . . dort kämpfte ein Anderer unter verzweifelndem Klagen und keuchendem Röcheln, fast drohend, in sogenannter Gladiatorenstellung, mit dem Würgengel!; Elis.v. Heyking 1905 Tag 86 Alle Damen legten ihre Pelze in einem kleinen rosaroten Vorzimmer ab, . . ehe sie, schönen Gladiatorinnen gleich, die Salons betraten, die die Arena sind, wo, sei es um den Ruhm der Schönheit, sei es um greifbarere Preise, lächelnd gekämpft wird (DiBi 45); Hitler 1924 Mein Kampf 577 von dem glauben ausgehend, daß acht lahme, ineinander gehängt, sicherlich einen gladiator ergeben (DWB); Süddtsch. Ztg. 13.11. 1950 Wie Gladiatoren schlagen Regierungschef und Oppositionsführer mit den Waffen des Verstandes aufeinander ein; Stuttgarter Ztg.
10. 2. 1959 Es scheint, daß es für die Spitzenfahrer [beim Skiabfahrtsrennen] nur noch die Alternative gibt: Krankenhaus oder Sieg. .. Aber haben dergleichen Veranstaltungen noch etwas mit der Idee des Sports zu tun? Eher handelt es sich um Gladiatorenkämpfe, die immer ihr Publikum finden; Offenburger Tagebl. 5. 3. 1966 Der Präsident des Zentralen Schweizer Alpenvereins . . mißbilligte . . den Hintergrund des Unternehmens der deutschen Seilmannschaft an der Eigernordwand. Er bezeichnete deren Mitglieder als Gladiatoren, die um des Geldes willen gefährliche Heldentaten riskierten; taz 27. 6. 1988 [Talkshows, Livedebatten] über die ein moderater Schiedsrichter mit Blick auf die Stoppuhr wacht, um jedem Mediengladiator auch die nötige Zeit zum richtigen Zuschlagen zu gewähren; Zeit 14. 7. 1995 Jelzins Leiden ist der Preis für lebenslange Überanstrengung im Ringen um Anerkennung, für die Rolle des Gladiators erst im Sport, dann als Stuntman der Politik; Presse 17.8. 1999 Unsere Freizeitgesellschaft braucht Gladiatoren, wie sie die Heroen des Formel-I-Zirkus darstellen; taz 14. 2. 2006 Heute ist Flaig 18 und hat ehrgeizige Ziele: „Ich möchte, dass das Wrestling bekannter wird und Zuspruch bekommt." Also gründete er seine eigene Gruppe „Big Wrestling Action". Nicht nur als Trainer, sondern auch als praktizierender Wrestling-Gladiator veranstaltet er Show-Kämpfe. gladiatorengleich: taz 12. 1. 2002 Jubel und Blitzlichtgewitter, als die Radler gladiatorengleich zum Line-up rollen: Die roten Teufel der Sparkasse, das Daewoo-Team, die Mannschaft vom Hellweg Zentrum und das Renault-Duo im rosa Trikot. gladiatorenhaft: Meinecke 1915 Erhebung 28 [Der moderne Mensch] wagt, wie Ikarus, das Leben, um einen Augenblick höchster Steigerung des Lebens zu genießen. Es gibt rohe und abstoßende Formen dieses Lebensdranges in den gladiatorenhaften Exzessen der Sportleidenschaft; Dwinger 1929 Armee 35 ein Bosniak, ein schwarzer, gladiatorenhaft gebauter Mensch; taz 16. 11. 1991 Und als David Duke dann seinen gladiatorenhaften Einzug hält, geht die weitere Diskussion im frenetischen Jubel der Menge unter. Gladiatorentum: Ersch/Gruber 1859 Allg. Enc. I 68,370 Ein Centralpunkt des Gladiatorenthums blieb Apulien auch dann, als in Rom diese Kampfspiele großen Aufschwung gewonnen hatten; Hillebrand 1876 England 60 die Uebung der geistigen, der sittlichen Kräfte wird immer mehr der Uebung der körperlichen Platz machen; und anstatt jenes schönen Gleichgewichts zwischen physischer, geis-
Glamour tiger und sittlicher Bildung . . scheint eine Art Gladiatorenthum um sich greifen zu wollen, das England eben nicht zur Ehre gereichen würde; Kirchner 1926 Engländer 257 die organisierte theatralische Schaustellung [beim Boxen] beginnt aufdringlich an die Stelle der natürlichen, anspruchslosen Amateurleistung zu treten. . . Die Presse begünstigt die Tendenz zum Gladiatorentum; Klemperer 1946 LTI 298 Krieger und Sportler begegnen sich im Gladiatorentum, und Gladiatorentum ist für ihn [Goebbels] Heroismus; taz 23.11.1990 Der Catch-Champion erzählt von Berufskollegen und ihren Schicksalen, von Groupies und von den Praktiken der Sklavenhalter dieses modernen Gladiatorentums. Er erzählt von Männern im Rollstuhl und solchen, die bei der Aufgabe, dem Publikum jeden Wunsch zu erfüllen, sogar ins Grab stolperten; Berl. Morgenpost 10.4.1999 Das 1896 erstmals veranstaltete Rennen [Tour de France] . . ist bei den Fahrern gefürchtet. Als „modernes Gladiatorentum" bezeichnete es Telekom-Profi Rolf Aldag. gladiatorisch: Lessing 1766 Laokoon (W. VI 38) ich bin der festen Meinung, daß die Gladiatorischen Spiele die vornehmste Ursache gewesen, warum die Römer in dem Tragischen noch so weit unter dem Mittelmäßigen geblieben sind. Die Zuschauer lernten in dem blutigen Amphitheater alle Natur verkennen {DiBi 1); Büschel 1784 Reisen 215 Baxen [!], welches seine festgesetzten Regeln
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hat, die keiner der Kämpfer überschreiten darf, und wovon die Engländer, so wie von allen gladiatorischen Uebungen, große Liebhaber sind; Garve 1797 Ges. l 287 ob [ein Volk] sich an athletischen und gladiatorischen Spielen, an Stiergefechten, Hahnenkämpfen, Thierhetzen, oder ob es sich an den Meisterstücken der komischen und tragischen Muse vergnügt; Marx/Engels 1845—46 Dtsch. Ideologie (MEW HI 507) Die gladiatorische Stellung, in die sich Herr Grün wirft, seine Drohungen gegen Reybaud, die Verachtung gegen die Gelehrsamkeit, seine schmetternden Versprechungen; 2855 Prutz.' Museum V 117 Daß dieser harmlose gutmüthige Mensch, blos für die Beschränktheit seiner Ideen und seine kindliche gladiatorische Eitelkeit, gemordet . . wird; Spiegel 7. 3. 1994 Wolfgang Menges „Millionenspiel", diese bitterböse Satire auf die gladiatorischen Perspektiven des modernen Fernsehens. Gladiatur: Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 321 Gladiatur, . . Kampf mit Schwertern, Schwertertanz; vor 1871 Bank III 312 Die Gladiatur muß für rohe Tapferkeit eine große Anziehungskraft gehabt haben (SANDERS 1871); 1884 Brockhaus VIII 68 Die Gladiatur ist erst unter dem wachsenden Einfluß des Christentums . . außer Gebrauch gekommen; Genius 1933 Fremdwb. 368 Gladiatur, f. Gladiatorenkampf.
Glamour M., auch N. (-s; ohne Pl.), seit Mitte 20. Jh. belegte Entlehnung aus engl. glamour '(zauberhafte) Schönheit, Glanz, Ausstrahlung, Anziehungskraft' ungeklärter Herkunft (eventuell aus schott. glamour, glamer, glammar 'Magie, Zauberspruch' als entstellte Form von engl. grammar 'Grammatik, Wissenschaft, Literatur; Buch' wegen der volkstümlichen Assoziation von Bildung bzw. Gelehrsamkeit mit okkulten Praktiken). Zunächst ausschließlich und bis heute überwiegend bezogen auf den Bereich des Unterhaltungswesens in der Bed. 'von der Welt der großen (amerikanischen) Filmoder Musikstars (dann auch Hochadligen, Modeschöpfer, Spitzensportler usw.) ausgehender (falscher, künstlicher) Glanz, betörende, blendende (dabei unechte) Schönheit, glanzvolle, luxuriöse Aufmachung, großartige, aufwendige Inszenierung, StarAppeal' (—» Bombast, —»· Brimborium; —* Highlife), oft negativ konnotiert mit „oberflächlich, künstlich, theatralisch, übertrieben prachtvoll, pompös, bombastisch", in jüngster Zeit zunehmend in der allgemeinen Bed. 'Glanz, (positive) Ausstrahlung, Anziehungskraft' (s. Beleg 2001), in alliterierenden Doppelformeln wie Glanz/Glimmer/Glitter/GIitzer und Glamour, Wendungen wie internationaler, westlicher, strahlender, falscher, hohler, verblichener, verlogener Glamour, der Glamour der Macht, ein Hauch von Glamour, Glamour ausstrahlen, einer Veranstaltung Glamour verleihen und Zss. wie Glamour-Girl 'junge, attraktive Frau in der Film-, Show- oder Modebranche mit besonderer (erotischer) Ausstrahlung' (vgl. Covergirl, Starlet, Model, Pinup-Girl), -Boy, -Look, -Model, -Paar, -Show, -Star, -weit; gla-
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Glamour
mourfrei, -süchtig, -versessen; Broadway-, Girl-, Glitzer-, Hollywood-, Musical-Glamour; dazu die adj. Ableitung glamourhaft; etwa gleichzeitig die aus engl. glamorous entlehnte, in der Aussprache französisierende adj. Ableitung glamourös 'Glamour ausstrahlend, glanzvoll, betörend schön, zauberhaft' (vgl. mondän), gelegentlich auch 'auffallend, un-, außergewöhnlich, nicht alltäglich' (—» extravagant; s. Beleg 1966), in Wendungen wie glamouröser Auftritt, Badeort, Lebensstil, glamouröse Mode, Filmstars, Broadway-Shows, glamouröses Äußeres und additiven Bildungen wie glamourös-erotisch, charmant-glamourös, lasziv-glamourös, dazu die antonyme Präfixbildung unglamourös 'glanzlos, nüchtern, alltäglich, gewöhnlich, langweilig'; in jüngster Zeit die verbalen Ableitungen glamourisieren V. trans, 'etwas (unpassenderweise) mit Glamour versehen', mit dem bereits Mitte 20. Jh. belegten Verbalsubst. Glamourisierung F., und eingedeutschtes, formal an glimmern angelehntes glamourn V. intrans. 'glänzen, Glamour ausstrahlen', häufig in der Wendung glitzern und glamourn. Glamour: NZ. (Basel) 31. 5. 1949 Sie [Orchideen] umgeben die Frau mit der Aura von „glamour", mit dem ersehnten Schimmer der auf Luxus basierten Romantik; 1949 Film-Revue X o. S. Betty Grable, das Ideal des Glamour-Girls und der Liebling eines (männlichen) Kontinents, zeigt. . von ihren . . Beinen . . so viel, wie das Publikum sehen will und wie es die Zensur erlaubt; Süddtsch. Ztg. 23. 6. 1955 Für einige Zeit gehörte sie zu den bekanntesten Londoner Glamour Girls oder Good ties Girls — den Mädchen, die sich für einige Jahre rücksichtsloser Vergnügungen und für einen zweifelhaften Glanz ruinieren; ebd. 3. 6. 1957 Der Beruf der TEE-Zugs-Stewardeß Gisela übt schon jetzt auf reiselustige junge Mädchen fast so viel Anziehungskraft aus, wie der mit viel Glamour behaftete Job einer Flugzeug-Stewardeß; ebd. 18. 3. 1958 die Frauen . . lassen sich . . im Palast der Schönheit von Spezialisten demonstrieren, wie man mit den Mitteln der modernen Kosmetik ein häßliches Entlein innerhalb von Minuten in ein Glamour-Girl verwandelt; Hermand 1971 Pop o. S. Als der Pop noch neu war, priesen ihn diese Kreise als einen „befreienden" Avantgardismus an, der mit sozialkritischem Elan einen „Glamour für alle" ins Auge fasse; taz 16. 5. 1988 Im kommenden Jahr soll es nun auch glanzvoll in den Schoß römisch-europäischer Kulturstätten aufgenommen werden: Mit Pomp, Glamour und 14 Millionen Mark feiert Bonn sein ZOOOjähriges Bestehen; ebd. 27.2. 1991 Statt Glamour solide alte Tugenden. Regierungserklärung des neuen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel hat pastorale Färbung (Überschr.); 1995 FAZ o. Nr. hatten vor nicht allzu langer Zeit die trendsetzenden Modeschöpfer die Rückkehr von Glanz und Glamour, Pomp und Luxus vorausgesagt und die Filmheldinnen der dreißiger bis fünfziger Jahre aus der Mottenkiste auferstehen lassen; Frankf. Rundsch. 7. 2. 1998 Ihr ge-
lang es, Prinzessin im Glamour des Showbiz zu sein und gleichzeitig . . für Arme und Bedürftige zu sorgen; Berl. Ztg. 3. 9. 2001 Das Blatt berichtete über die „Computer-Bastler, die unsere Welt verändern", verlieh dem Internet den Glamour des Hippen und Subkulturellen; Mannh. Morgen 30. 9. 2004 Glamour im Ballsaal (Überschr.) . . Im Mittelpunkt des Abends steht vor allen Dingen eines: Glamour pur. Dafür sorgen Kronleuchter an der Decke, auf dem Boden ein Piano-Empfang, LiveShows, Models und selbstverständlich Champagner. glamourhaft: taz 3.4.1989 DTTB-Präsident .. Gab . . und DTTB-Sportwart . . Schöler sind gerade weltmännisch und glamourhaft genug, um dem Leistungssport Tischtennis eine ausreichend bedeutsame Aura von Sport-Showbiz zu verleihen; Spiegel 5. 12. 1994 [Diese] Vampire sind nicht entsetzenerregend oder monströs, sondern schick, glamourhaft und verführerisch schön; Mannh. Morgen 2. 2. 1998 Mary ist weit mehr als nur eine von vielen Fummeltrinen in glamourhaften PaillettenKleidern. glamourisieren: Zeit 9. 8. 1996 Bernd Stelters Fernsehabend . . wollte „Stimmung" durch ein nachgestelltes, TV-glamourisiertes Schützenfest erzeugen und war erfolgreich; taz 24. 8. 2001 dass es durchaus einen Weg gibt, über den Alltag auf den Straßen zu sprechen, der eben nicht das glamourisiert, was wir alle gerne weit hinter uns lassen würden. Glamourisierung: 1952 Er u. Sie o. Nr. der Tatsache, daß in einem amerikanischen Film eine Italienerin so frei und ohne „Glamourisierung" sich [!]
Glasur selbst sein kann; taz 24. 5. 1997 Er sieht in den halbverhungerten Mannequins mit rot geränderten Augen, die sich über die Laufstege von Gucci, Dirk Bikkembergs oder Ann Demeulemeester schleppen, eine skandalöse Glamourisierung der Drogensucht. glamourn: Mannh. Morgen 11.5. 1988 Grazil, zerbrechlich, aber schier unglaublich beweglich, wirbelt sie über die Bühne, schwingt Endlos-Bein zum Himmel, . . gurrt, strahlt, glitzert und glamourt; Berl. Ztg. 21.3.1998 Neon zuckt und verheißt „men's classic". . . Das glänzt, glitzert und glamourt von allen Seiten; ebd. 14.2.2003 Für Durchschnitts-Cineasten allerdings kehrt der Berliner Winteralltag wieder ein. Die Stadt glamourt ein bisschen weniger und der scharfe Ostwind verleidet einem . . selbst den kürzesten Weg zum Kino. glamourös: Süddtsch. Ztg. 18. 7. 1950 Hochzeiten glamouröser Filmstars aus Hollywood; Spiegel 28. 3. 1966 Trotz der wenig glamourösen Karriere war der Mitbestimmungs-Referent . . dem KruppHausmeier Beitz aufgefallen (AWB); FAZ 24. 8.
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1970 Die sentimentale Geschichte vom erkauften Glück einer todkranken jungen Frau verquickt glamourösen [!] Highlife recht oberflächlich mit dem dunklen Untergrund; Zeit 12. 6. 1987 Schon das Foyer ist wie ein Set ausgestattet: in der Mitte steht ein glamouröses, silbern glitzerndes Rundsofa; 1995 FAZ o. Nr. Die komödiantischen Verwicklungen nehmen ihren Lauf. Nie werden sie zum Brüllen komisch, nie glamourös, extravagant, keineswegs anspruchsvoll. Alles bleibt immer in der Mittellage des Alltäglichen; Mannh. Morgen 30. 9. 2004 Zur neuen Lust auf Luxus gehört ein mondänes Make-up. . . Glamourös wirken falsche Wimpern und Lippenglanz im Perlmuttschimmer. unglamourös: taz 29. 9. 1995 Doch das Boxen versprach ihm mehr Spaß: Fußball war noch zu unglamourös, zu sehr behaftet mit dem Ruch des Proletenhaften; Berl. Ztg. 30. 4. 1998 seit sechs Jahren erfolgreich als Schlagersängerin mit Titeln wie „Du mußt nur mit den Wimpern klimpern" und dem bodenständigen, unglamourösen Image eines Mädchens vom Lande; ebd. 17. 5. 2003 die nackte Wahrheit über ein Interview mit einem Hollywoodstar ist ernüchternd und unglamourös.
Glasur F. (-; -en), Anfang 16. Jh. unter Einfluss von —> Lasur mit roman. Endung gebildete Ableitung zu dtsch. Glas (< westgerman. *glasa-, german. *glaza- 'Bernstein; Glas'; vgl. jüngeres frz. gla ure). Zunächst als Fachwort der Keramik mit Bezug auf Produkte aus gebranntem Ton meist als Nomen acti in der Bed. 'glasartiger, wasserundurchlässiger Überzug', selten auch als Nomen actionis für 'das Aufbringen eines glasartigen Überzugs, der ein Keramik-/Tongefäß wasserdicht machen und gleichzeitig verzieren soll', in Wendungen wie bleihaltige, -freie, bunte Glasuren, leichtflüssige, nasse, trockene, weiße Glasur, die Glasur aufbringen, die Glasur ist zerlaufen, die Glasur des Werkstücks ist zeitaufwendig und Zss. wie Glasurerz, -grund, -masse, -technik, -werk, -ziegel; Blei-, Email-, Erd-, Färb-, Hart-, Kristall-, Matt-, Porzellan-, Schmelzglasur; Auf-/ Unterglasurmaler(ei), Auf-/Unterglasurfarbe, unterglasurblau, vereinzelt auch bezogen auf natürlich entstandene glasartige Oberflächen vulkanischer Gesteine (s. Beleg 1804), selten auch bildlich (s. Belege 1675, 1960) sowie übertragen und abwertend für 'glänzender Schein, attraktive Fassade', konnotiert mit „nur oberflächlich und scheinbar" (s. Belege 1920, 1993; vgl. Firnis); seit früherem 19. Jh. auch mit Bezug auf Speisen und Backwerk für '(matt-)glänzender Überzug aus einer Zucker- oder Eiweißlösung, (Zucker-)Guss' (s. Belege 1833, 1904, 2002; -+ Glace), in Wendungen wie den Kuchen mit der Glasur überziehen, das Erstarren der Glasur und Zss. wie Kuchen-, Spritz-, Schokoladen-, Zitronen-, Fett-, Zuckerglasur. Dazu vom späten 15. bis ins späte 19. Jh. das unmittelbar von Glasur abgeleitete, bis ins 18.719. Jh. mit glasieren (s.u.) konkurrierende V. trans, glasuren, auch in den Schreibungen glassuren, französisierend glasüren und in der intensivierenden Präfixbildung verglasuren, in der Bed. '(keramische Produkte) mit einer Glasur, einer glasartigen, wasserundurchlässigen Beschichtung überziehen', in Wendungen
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Glasur
wie ein Gefäß fein glasuren, meist im Part. Perf. glasurt (selten geglasurt) attr. verwendet in Wendungen wie glasurte Kacheln, Steine, Töpfe, Ziegel, auch bildlich (s. Belege 1582, 1622), mit der seit Anfang 19. Jh. belegten antonymen Präfixbildung unglasurt; seit der 2. Hälfte des 15. Jhs. das mit dem (aus frz. -ier entlehnten) Verbalsuffix -ieren ebenfalls zu dtsch. Glas gebildete gleichbed. V. trans, glasieren, anfangs auch in der intensivierenden Präfixbildung verglasieren und vereinzelt in den Schreibungen glassieren, glasiren, glasieren, glaseyren, in Wendungen wie einen Topf, Krug glasieren, vereinzelt auch '(ein Fenster) verglasen, mit Glas(scheiben) versehen' (s. Beleg 1575), auch bildlich (s. Belege 1686, 1712, 1784), meist im Part. Perf. glasiert auch attr. verwendet in Syntagmen wie glasierte Ziegel, Vasen, glasiertes Dach, in Zss. wie blau-/braun-/grün-, bunt-, färb-, salzglasiert sowie in der seit Ende 18. Jh. belegten antonymen Präfixbildung unglasiert, seit späterem 18. Jh. öfter mit aus frz. glacer entlehntem, etymologisch nicht verw. glacieren v. a. in seiner Bed. '(Speisen) mit Zuckerguss, einem dünnen Butterfilm, einer Glasur überziehen' vermengt (—»· Glace); dazu seit Ende 17. Jh. das Verbalsubst. Glasierung F. (-; -en) 'Glaswerdung; Vorgang des Glasierens'. Glasur: 1508 Gemma gemmarum O4a lasirium glasur vel incaustum oder färbe (DWB); 1624 Gedichte dtsch, Poeten V 30 Gold nie alles ist, was gleist;/ Schön ist nit alles, was geweist./ Sich Glasur vergat Edlem Stein; Wetsch 1658 Reisbeschr. 170 [die Kirche ist] inwendig mit hüpschem glasurwerk gezieret und gemalt (DWB); Treuer 1675 Dädalus l 603 ein gegend, . . die Flora zart thut zieren mit ihr blümlein glasur (DWB); Hübner 1712 Curieuses Lex. 461 Email, das Emailliren, oder Schmeltzwerck, ist eine Arbeit der Mahlerey, welche man auf Metalle, sonderlich Silber und Gold, mit Schmeltz-Farben oder Glasur machet; Zedler 1735 Universallex. X 1604 Glasur, ist der gläntzende und mit Figuren von allerhand Farben bemahlte Ueberguß derer irdenen Gefässe; v. Milly 1774 Porcelain 35 Man muß alsdann, wenn man den Teig zubereitet, auch die Glasur, mit der man das Porcelain überzieht, zusammensetzen; Beckmann 1777 Anl. z. Technologie 206 Glasur nennet man diejenige leicht flüssige mineralische Mischung, womit man Töpferwaare überstreicht, um sie auf derselben verglasen zu lassen; Sulzer 1794 Theorie IV 302 Wir können dieses aber nicht wol zu der Schmelzmahlerey rechnen, weil die Gefäße .. den glasartigen glänzenden Ueberzug, den man Glasur nennt, nicht haben, auf den die Schmelzmahlerey gesetzt wird; Bory 1804 Kanarien-lnseln (Übers.) 308 Diese Bruchstücke bestehen fast durchgehende aus einer dichten, harten, braunen und auf dem Bruch glasartigen Lava, von der Größe einer Nuß, bis zu der einer Melone, und zuweilen auf der einen Seite mit einer Glasur überzogen, die voll Bläschen ist; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA l 20,45) so suchte sie alles Schädliche, alles Tödtliche zu entfernen. Die Bleiglasur der Töpferwaren, der Grünspan kupferner
Gefäße hatte ihr schon manche Sorge gemacht; Triest 1827 Baukosten VII 56 Diese farbigen Glasuren erfodern weniger Aufmerksamkeit und Arbeit, als die weiße Fayence-Glasur, welche, wenn sie schön weiß werden soll, aus reinem Blei und Zinn bestehen muß; Borne 1833 Br. a. Paris (S. Sehr. III 537) wie glücklich wäre ich, wenn ich jetzt ein Dutzend Pfannkuchen hätte! Aber wohlverstanden, von den guten in der Jägerstraße, mit einer Zuckerglasur und mit Aprikosen gefüllt (DiBi 1); Stifter 1849 Bunte Steine (Ges. W. III 19) [die Oberfläche des Steins] aber ist von dem vielen Sitzen so fein und glatt geworden, als wäre sie mit der kunstreichsten Glasur überzogen (DiBi 1); Ersch/Gruber 1859 Allg. Enc. l 69,81 Man taucht die einmal gebrannte Waare . . in die Flüssigkeit, in welcher die fein gepulverten Bestandtheile der Glasur durch Aufrühren schwebend erhalten werden, ein, zieht sie nach einigen Augenblicken heraus und schwenkt sie, damit die Glasurmasse sich überall gleichförmig vertheile; Davidis 1873 Kochb. 13 da die Glasur des schlechten irdenen Geschirrs giftige Theile enthält; Anzengruber 1885 Sternsteinhof (W. II 127) Wenn die Sonne . . heraufkam und das breit einströmende Licht in der kleinen Hütte alles glänzen und gleißen machte, was dazu angetan war, die Werkzeugklingen auf dem Arbeitstische des Burschen, die Bleche und Glasuren der Küchengeschirre (DiBi 1); Fontäne 1894 Kinderfahre (S. W. XIV 47) Dieser [Ofen] bestand aus graugrünen blanken Kacheln, über deren jede mindestens zwei, drei nach unten sich verdickende Tropfen roter Glasur flössen — also eigentlich ein Ornament, das in ein Schlachthaus gepaßt hätte (DiBi 1); Altenberg 1904 Wie ich es sehe 69 In zwei tiefen rothen Glasschüsseln lagen ganz rothe Blutorangen und die kleinen Bäckereien auf
Glasur den silbernen Aufsätzen waren Alle mit rother Himbeer-Glasur überzogen (DiBi 1); Heyking 1914 Tschun 60 kleine Schnupftabakfläschchen aus Porzellan oder Glas, mit feinen, unter der Glasur gemalten Bildchen (DiBi 45); Tucholsky 1920 Republik wider Willen 153 in den Lokalen,/ sieh, wie sie zahlen,/ der Lockenkopp, die Schmalzfrisur,/ 's ist alles nur Glasur! (DiBi 15); Fönten 1926 Siebenquellen 62 Keiner der Töpfe war gut; an dem einen war die Glasur zerlaufen, der andre war schief, ein dritter gesprungen; Lenz 1960 Verzicht (W. XIV 374) Vor den Weiden, die mit einer Eisglasur überzogen waren, holte der Junge ihn ein einziges Mal ein; Göbels 1971 Rhein. Töpferhandwerk o. S. wenn wir die oft schönen, bunten Farben und Muster auf niederrheinischer Irdenware bewundern, dann sollten wir nicht vergessen, daß die Glasur zunächst eine technische Aufgabe hatte, nämlich das Gefäß dicht zu machen; Köhlmeier 1988 Helden 74 Der Schnee glänzte wie eine Glasur; Mannh. Morgen 18. 1. 1991 Heute werden in der Porzellanindustrie sogenannte Inglasurfarben bei 1200 bis 1300C und die vielfältigeren Aufglasurfarben bei 750 bis 900C mehrere Stunden lang gebrannt; 1993 FAZ o. Nr. Vampirc, Hexen, Werwölfe und andere Monster wurden zwar von der Glasur einer postmodernen Kultur ins Unterbewußtsein verdrängt, waren aber doch nicht verschwunden; St. Galler Tagbl. 18. 5. 1998 Gleichzeitig lassen die kunstvollen Objekte keinen Zweifel daran, dass sich die beiden Frauen seit vielen Jahren intensivst mit Ton, dessen Brennarten und Glasurtechniken auseinandersetzen; Mannh. Morgen 24. 12. 2002 Das Ganze auf gut gefettetem Backblech bei mittlerer Hitze hellbraun backen, noch warm mit der Glasur überziehen und vor dem Erstarren der Glasur in gleichmäßige Schnitten schneiden. glasieren/glasiert: vor 1500 (Rockinger 1872 Bair. Schriftwesen 32) und tus in ain rains glasirtz kechelein (DWB); Knebel 1531 Chron. d. Klosters Kaisheim 332 auch ain neu glaseyrt tach auf die kirchen gelegt (DWB); Fischart 1575 Geschichtklitterung 72 fenster einwerffen vnnd glasiren; Peschel 1597 Garten-Ordn. 28a Du magst auch oben vber die Seulichen . . fein artige runde spitzige knöpffe setzen/ die von Holtz drehen/ oder solche einen Töpffer von Thon brennen/ vnd mit mancherley färben glasieren lassen; Krafft 1616 Reisen 110 Zway grosße braitte von Erden dunckel glassiertte Deller voller Gaiß Milch; Becher 1682 Glücks-Hafen 154 Man laß ein Retorten machen von guter Feuerbeständiger Erden/ . . die Retorten muß innwendig glasirt seyn; Abr. a S. Clara 1686 Judas I 448 f. (Wunderkur 31) waschet euch ihr glassierte Sautrög/ es wird euch auch der Beltzbub schon ein-
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mahl zwagen; Prambhofer 1712 Traum-Ges. 264 Die Schmeichler/ disc Lügen-Hafner/ wissen ihre Häfen sehr künstlich mit glatten Worten und Sprüchen zu glaßieren; Le Blond 1731 Gärtnerey (Übers.) 343 Vor die Brunnen/ aus denen man das Wasser trincket/ haben die irrdene Röhren etwas Besonders/ denn weil sie innwendig glassiret seyn/ so kan sich der Schleim nicht dran hängen; Erdrnuthe v. Zinzendorf 1741 Christi. Gesang-Buch 1630 Der thon, der wieder weich, wird gleich zu neuer pracht zurecht gemacht, durchs feur geführt, und auf die daur glasiert (DiBi 45); Eisenberg 1748 Reitschule Anh. 8 Nimm im May etliche . . Schnecken, laß sie eine Nacht in einem neuen Topfe stehen, damit sie sich reinigen, dann thue sie in einen ändern glasierten Topf, der am Boden Löcher hat; Beckmann 1777 Anl. z. Technologie 209 Man backet diese Muffeln aus einem feuerfesten metalfreyen Thone, und glasirt sie nicht; Wezel 1784 Kakerlak 96 Zwei Arme, kugelrund, vom feinsten Wachs bossiert,/ Mit einer Haut so zart wie Eierweiß glasiert (DiBi 1); Meyer 1794 Sehr. 133 oft finden wir das Ganze nicht einmal glasirt, sondern die natürliche blaßgelbe Farbe des Thons muß den Figuren als Grund dienen; Kleist 1811 Krug (W. «. Br. l 262) Ganz blieb der Krug, ganz in der Flammen Mitte,/ Und aus des Hauses Asche zog ich ihn/ Hervor, glasiert, am ändern Morgen, glänzend,/ Als kam er eben aus dem Töpferofen (DiBi 1); Pückler-Muskau 1834 Landschaftsgärtnerei 105b [das Fasaneriegebäude] soll mit bunt glacirten Ziegeln gedeckt, und . . noch mit einem herrschaftlichen Salon versehen werden; Bettine v. Arnim 1844 W. u. Br. l 96 von dem Töpfer will ich Dir was erzählen . ., ich hab seine Bekanntschaft auf dem letzten Weihnachtsmarkt gemacht, er hatte einen ganzen Korb voll Tiere gebacken und bunt glaciert, die bot er zum Verkauf fürs Kindervolk (DiBi 45); Fontäne 1863 Oderland (S. W. X 389) sind die Wände bis zu beträchtlicher Höhe mit kleinen holländischen Kacheln bekleidet: glasierte Täfelchen mit blauen Figuren darauf (DiBi 1); Davidis 1873 Kochb. 13 gut glasirte irdene Geschirre. . . eisenglasirte, blecherne, bunzlauer oder . . irdene Kochgeschirre; Holz 1889 Hamlet 37 Amalie hatte unterdessen die Ofenröhre aufgemacht und entnahm ihr jetzt einen kleinen, grünglasierten Kochtopf (DiBi 1); TA. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 198) In dem grünglasierten niedrigen Ofen, der in einem Winkel stand . ., knisterte die rote Glut; Rilke 1915 S. W. 103 Ein wunderlicher Platz für eine Tasse: steht auf dem Rücken einer Hand. Ganz gut erkennt man noch an dem glasierten Schwung den Bruch des Henkels; Uexküll 1936 Welten 230 Dafür erinnern sie aber an die stilisierten Tiergestalten aus buntem glasierten
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Glasur
Ton, die sich in den Palästen der Perserkönige finden; Tb. Mann 1947 Faustus (W. VI101) Auf dem Schulhof . . sprach er mir wohl, an den Vorsprung der glasierten Ziegelmauer gelehnt, von diesen magischen Unterhaltungen seiner Mußezeit; Partner 1964 Erben 13 Es gibt darunter eine Art von glasiertem Tongeschirr, die der Forschung bis heute Rätsel aufgibt; Lenz 1978 Heimatmuseum (W. VIII 132) am liebsten jedoch Kachelöfen, die kunstvollen, farbigen Ungetüme, grün und blau, die bis zur Decke hinaufreichten und deren Kacheln er selbst grundierte und glasierte und mit Mädchenhaar bemalte, mit Frauenhaar; Mannh. Morgen 23. 1. 1989 Wer Keramik sagt, denkt in erster Linie an Kacheln, buntglasierte Vasen und Tellerchen; Frankf. Rundsch. 8.11. 1997 Nach einem ersten Brand werden die Tonfliesen farbig glasiert, teils auch noch bemalt und dann wieder gebrannt; Bert. Zig. 11. 1. 2003 Teller aus Porzellan, rosa glasiert, mit Beschriftung „Forget me not". unglasiert: Beckmann 1795-1799 Erfindungen IV 175 Zwar wird nicht gemeldet, daß die Gefäße außen beständig feucht erhalten würden, wohl aber, daß sie unglasirt und so wenig gebrant oder so porös sind, daß das Wasser durchdringt; Erseht Gruber 1859 Allg. Enc. I 69,79 setzt man sowol glasirtes, als unglasirtes Geschirr gleichzeitig in den Ofen ein; taz 26. 11. 1988 Die unglasierten Tonwaren sind deshalb oft spröde und undicht; Frankf. Rundsch. 31.7.1998 Unglasiert ist ein kleiner Teller geblieben, den Karin Emde aus einem Regal am Boden kramt. verglasiert: Renner 1559 Handtbüchlein 29a thu es in ein newen verglasierten Hafen/ oder nimb an Stadt des ein wol verzinnten küpfferin Hafen. Glasierung: Francisci 1698 Schaubühne H 24 diese glasirung oder glaswerdung [bei Ziegelsteinen] kommt von dem ersten brande der steine nicht allein her, sondern . . von einem jedweden großen feuer (DWB); Nicolai 1783 Reise II 653 es ist sonderbar, daß die . . glasirung der dachziegel jetzt gar nicht mehr . . gebraucht wird (DWB); Karmarsch/ Heeren 1876 Techn. Wb. IX 433 ist die masse zu biscuit gebrannt, dann folgt die glasirung (DWB); St. Galler Tagbl. 10.10. 1998 Doch entscheidend ist die Herstellung, die Lagerung und die Glasierung . . Damit das Magenbrot aussen zwar fest, innen aber schön zart und feucht bleibt. glasuren/(un)glasurt: 1483 (Steinhausen, Privatbr. d. Mittelalters II 81) so soltu yedlichs thün in ein fein glasurt heffelin, das vor gesoten sy in heyssem wasser, das es nit durchschlach; Braunschweig
1500 Kunst zu distillieren C3b darunder mustu haben von wyßer erden wol über glasurte pfannen (DWB); Mitholius 1552 Seuche d. Pestilentz El a das sol man in einem erden glasurten büchslein auff heben; Sebiz 1579 Feldbau 92 lasset es alles über dem fewr inn einer Irdinen glasurten Schüssel zusammen zergehn; Hübner 1622 Andere Woche/ Handwerkskünste 143 so bald der winter doch ein kalten zäum anleget/ .. dem baltischen Neptun, glasuret all das feldt,/ und mit flockender woll bedeckt die bäum und wäldt (DWB); Colerus 1645 Oeconomia rur. I 73 Sie nemen einen rauen Topff/ der vngeglasurt ist/ (dann in dem wird es besser/ als in dem geglasurten) darein giessen sie die Milch; Elßholtz 1684 Garten-Baw 16 BlumenTöpffe . . Diese müssen seyn aus guter TöpfferErde/ Daums-dick/ wol gebrannt/ und glasuret; Marperger 1711 Beschr. d. Messen l 172 Man findet auf diesem Platz allerley Gattung, zarte und grobe Decken, glassurtes und artlich gemahltes irrdenes Gefäß; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 93 allein die Pfeiffen müssen so dann glasuret seyn/ wiedriegenfalls sie/ wenn sie naß gemachet werden/ . . einen heßlichen Geschmack bey sich führen; Zedler 1735 Universallex. X 1604 Alles dieses wird zu Glas geschmoltzen, in Kuchen gegossen, und zum glasuren gebraucht; Germershausen 1794 Hausmutter IV 100 Diese bedienen sich dazu eines glasurten Topfes, in dessen Boden sie ein Löchlein bohren, und setzen ihn auf einen Dreyfuß; Krünitz 1810 Oec. Enc. CXV 356 Die Ursache davon wird dem Leser alsdann deutlicher werden, wenn vom Glasuren selbst die Rede seyn wird; auch wird alsdann die gehörige Quantität des Wassers bestimmt werden, die zur Glasur nöthig ist; Triest 1815 Land-Baukunst III 447 Anfänglich bestanden diese Oefen aus unglasurten Kacheln (Biscuit), die mit Wasser und Leimfarben gemahlt werden mußten; Storm 1888 Schimmelreiter (S. W. IV 271) die Wände waren mit glasurten Kacheln bekleidet, auf denen hier ein Schiff mit vollen Segeln oder ein Angler an einem Uferplatz, dort ein Rind, das kauend vor einem Bauernhause lag, den Beschauer vergnügen konnte (DiBi 1). verglasuren/verglasurt: Rivius 1548 Vitruv. 79b wie dann auch noch diser zeit der brauch bey vns Teutschen/ das dünne gefierte Pflaster stein von Haffner erden gebrent solcher gestalt verglasurt/ vnd die schönen Sommer säl vnd gemach/ damit beestricht werden; Fischart 1582 Geschichtklitterung 88 Hielts derhalben gar nicht mit den . . Ohrensausigen Kopffschüttelern, die verglasurte Bleienfarbe gesicht haben, lere gedechtnuß vnnd lere Säckel; Kunckel 1679 Ars vitriaria II13 verglasurte Ofenkacheln (DWB); Klose 1847 Breslau 259 Die Mär. Magdalenen Kirche 1495 mit verglasurten grünen und roten Dachzigeln gedekt.
glazial
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glazial Adj., im früheren 19. Jh. aufgekommene gelehrte Entlehnung aus lat. glacialis 'eisig' (zu glacies 'Eis'; vgl. frz. glacial; —» Glace, —» Glacis), bis Anfang 20. Jh. überwiegend in der Schreibung glacial. a Zunächst als Fachwort der Klimatologie und Geomorphologie in der Bed. 'durch die Umweltbedingungen der (letzten) Eiszeit hervorgebracht, geformt, in der Eiszeit entstanden, vorkommend, auf sie zurückgehend, eiszeitlich', auch 'durch Eis, Gletscher(-bewegungen) hervorgerufen, geformt, durch Einwirkung von Gletschereis entstanden', in Wendungen wie glaziales Klima, Trogtal, glaziale Landschaft, Endmoräne, Herkunft und bes. als Bestimmungswort in Zss. wie Glazialperiode, -zeit, -erosion, -fauna, -flora, -form, -geologic, -landschaft, -refugium, -relikt, -see, -tektonik, daneben auch Glazialkosmogonie 'These (H. Hörbiger 1912) von der Entstehung der Gestirne durch den Zusammenprall kosmischer Eis- und Glutmassen, Welteislehre'; auch in den fachspr. Präfixbildungen post-, prä-, vorglazial 'nach-, voreiszeitlich', subglazial 'unter dem (Gletscher-)Eis befindlich'; dazu das Subst. Glazial N. (-s; -e) 'Eiszeit', in Wendungen wie am Ende des Glazials und als Grundwort in Zss. wie Früh-, Spät-, Hoch-, Inter-, Postglazial. b Von daher Mitte 19. Jh. vereinzelt bildungsspr. übertragen für '(im Verhalten) eisig, frostig, kühl, unterkühlt, sehr reserviert, gefühlskalt', in Wendungen wie glazialer Empfang. Dazu seit späterem 19. Jh. selten die (eventuell aus gleichbed. engl. glacialist entlehnte) Berufsbezeichnung Glazialist M. (-en; -en), Glazialistin F. (-; -nen) 'Gletscherkenner/-in, Gletscherforscher/-in' (zu a), heute weitgehend verdrängt durch gleichbed. Glaziologe/Glaziologin mit Glaziologie 'Gletscherkunde' und glaziologisch. Vgl. daneben die zum selben Etymon gehörigen fachspr. Adj. glaziär 'in Gletschernähe entstanden', glazigen 'durch die Wirkung des Eises entstanden', glaziäolisch 'durch Eis und Wind entstanden'. glazial a: Hübener 1834 Lebermoose XL/// wir finden dieses sogar im Habitus der Arten, die sich in der glacialen Region hinauf begeben, durch die Derbheit der Organe, mit welchen sie der Kälte und den rauhen Lüften zu widerstehen im Stande sind; Sitnler 1868 Mineralbad Muri 9 Der Reiher, der Kibitz und die Schnepfe beleben auch diese, man kann wol sagen mehr glaciale Landschaft, denn ringsum erheben sich die alten Gletscherhügel und lassen erkennen, daß sie — einst zusammenhängend — das Thal versperrt und dem Wasser seinen Abzug verwehrt haben; Lenormant 1875 Anf. d. Kultur l 12 Die neuesten Arbeiten . . lassen nicht mehr daran zweifeln, daß um die Mitte des pliocänen Zeitalters die so lange verkannte erste Glacialperiode stattgefunden hat; 1880 Beschr. O A. Baiingen 19 wenn nun aber . . ganz andere Gesteinsstücke den Kies zusammensetzen, so kann man nicht wohl umhin, glaziale Erscheinungen zu Grund zu legen. Eismassen allein sind im Stande, Schutt von einem Wassergebiet in ein anderes zu vertragen; Darwin 1884 Entstehung (Übers.) 454 während andere die kälteren Tiefen aufsuchten und dort leben blieben, bis die südliche Hemisphäre ihrerseits nun einem glacialen Clima unter-
worfen wurde (DiBi 2); Böhm 1901 Moränenkunde 75 ist es doch einigermaßen befremdlich, dass er sich an späteren Stellen seines Buches mit solcher Entschiedenheit gegen die glaciale Herkunft der erratischen Blöcke ausspricht; 1927 ZDAlpenver. 48 besteht in der . . großen Unsicherheit, mit welcher der Begriff „Glazialrelikt" (oder „Eiszeitrelikt") gerade in der hydrobiologischen Literatur verknüpft ist; Friedell 1931 Kulturgesch. Ill 554 sehen wir an der gleichzeitig mit der Relativitätstheorie entstandenen „Welteislehre" Hanns Hörbigers, die er selber bezeichnender „Glazialkosmogonie" . . nennt; Rathjens 1971 Geomorphologie o. S. der dritte Bereich, der glaziale oder nivale, in dem mehr Niederschlag in fester Form fällt, als im Jahresmittel wieder abschmilzt, wo sich die Formung infolgedessen unter ständiger Schneebedeckung oder unter abströmendem Gletschereise vollzieht; tat 1. 8. 1987 An der Seite, von Brennesseln . . überwuchert, lehnt .. ein schwerer Glacial-Findling; 1989 Brockhaus VI 238 Glazialen Ursprungs sind ferner Kare, Trogtäler, Schliffbildungen, Rundhöcker; 1993 FAZ o. Nr. In . . Litauen, Lettland, Estland und Rußland zeigt die so-
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genannte Glazialschuttküste noch die ganze Vielfalt der Formen, die aus dem lockeren Material der Eiszeit entstanden; Zeit 21.3. 1997 Die Wandergruppe am Gipfelkreuz des Lusen fällt auf: Da stehen zehn Menschen und fünf Hunde auf den von glazialen Kräften geformten Felsblöcken des zweithöchsten Berges im Bayerischen Wald; Züricher Tagesanz. 1.7.1. 2000 Die neue Schutzverordnung umfasst alle Elemente der Glaziallandschaft am Katzensee. Glazial: Ziehen 1971 Wald u. Steppe o. S. Sicher gehörte die Kiefer (Pinus) noch zu den überdauernden Bäumen. Stöhr möchte sie in unserem Bereich sogar als älter als das letzte Hochglazial ansehen; taz 19. 9. 1994 Natürlich habe es in den vergangenen Erdzeiten, vom Trias bis zum heutigen Interglacial, immer wieder beträchtliche Klimaschwankungen gegeben; Frankf. Rundsch. 24. 11. 1999 ein Geruch, als müsste der Boden sandig sein, trocken, wie die sacht knackende Wärme der Kiefern-Birken-Zeit am Ende des Glazials, der federnde Teppich der Vorwärmzeit. postglazial: Ecken 1902 Gottesackerplateau 100 Die strenge Unterscheidung in „glaciale" und „postglaciale" oder in „praeglaciale" und „postglaciale" hat in Anbetracht des Wesens der Karren keinen Sinn; 1927 ZOAlpenver. 48 daß während der letzten allgemeinen Vergletscherung die Fauna der subalpinen Seen erlosch, und die großen Wasserbecken erst postglazial durch aktive und passive Einwanderung eine neue Bevölkerung erhielten; Presse 17. 4. 1992 Der Beginn der postglazialen Zeit war dann als Folge der einsetzenden Erwärmung der Atmosphäre und des damit in Verbindung stehenden Abschmelzens der kontinentalen
Gletscher von einem überaus großen Wasserangebot gekennzeichnet; Frankf. Rundsch. 25.2. 1999 Entstanden ist die Schwanheimer Düne „postglazial", also nach der Eiszeit. subglazial: 1989 Brockhaus VIII 576 oder sie [Glazialseen] sind im Bereich der Grundmoränen, z. B. in subglazialen Schmelzwasserrinnen entstanden; Züricher Tagesanz. 4.11.1997 Vor genau einem Jahr gab es in Island nur ein Thema: Wann brechen die gewaltigen Wassermassen hervor, die sich nach einem Vulkanausbruch tief unter dem grössten Gletscher Europas, dem Vatnajökull, in einem subglazialen See angesammelt hatten? vorglazial: Hallier 1889 Kulturgesch. 428 da infolge der leichten Zerstörbarkeit der Menschenknochen aus vorglazialen Epochen deren kaum in grösseren Mengen erhalten sein werden. St. Galler Tagbl. 1. 10. 1998 einer immergrünen Vegetationsdecke . ., wie es sie einmal im vorglazialen Zeitalter gegeben hat. Glazialist: Heyse 1870 Fremdwb. 388 Glacialist . . (von glacier . ., der Gletscher) ein Gletscherkenner; Genius 1933 Fremdwb. 367 Glazialist, . . Gletscherkenner, Gletscherforscher; 1989 Schwarztvald 13 der „begeisterte Glazialist" Gustav Steinmann. glazial b: Lewald 1847 Diogena 82 Er nahm meine Hand und sagte mit seiner gewohnten, glacialen Kälte: „Diogena! höre mich recht an; es ist Ernst, was ich Dir sage." (DiBi 45); Friederich 1848-49 Vierzig Jahre I 115 wie mißmuthig mich der gegen alle meine erwartungen glaziale empfang und die unfreundliche aufnähme gestimmt, kann man sich denken (DWB).
global Adj., im späten 19. Jh. vereinzelt, seit frühem 20. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus frz. global 'gesamt, Gesamt-; pauschal' (vgl. a) (zu globe 'Kugel' in seiner bildlichen Verwendung für 'Gesamtmasse, -menge von etwas') bzw. aus (ebenfalls auf frz. global zurückgehendem) engl. global bes. in dessen Bed. 'die ganze Welt betreffend oder umfassend, weltweit' (vgl. b) (< mlat. globalis 'klumpen-, kloß-, kugelförmig', zu lat. globus '(Welt-)Kugel'; —> Globetrotter, —» Globus), a Zunächst in der Bed. Ohne Berücksichtigung von Details oder Einzelfällen, in groben Zügen, rundum, im Ganzen; umfassend, gesamt, allgemein' (—* generell, —> pauschal, —* total, —> universal a, —»· universell c; Ggs. —> speziell, —»· spezifisch), oft negativ konnotiert mit „(unzulässig) verallgemeinernd, vereinfachend, oberflächlich, nicht differenziert genug", in Wendungen wie globale Lösung, Mieterhöhung, Entschädigung, globale Förderungsbeiträge, Einsparungen, Größen, Maßnahmen, globale Erfassung eines Problems, global gesehen und als Bestimmungswort in meist fachspr. Zss. wie Globalabkommen, -aktie 'Sammelurkunde für mehrere oder alle Aktien einer AG', -amnestic, -anleine 'Sammelurkunden von Anleihen mit hohem
global
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Nennwert (für Großanleger)', -begriff 'Pauschalbegriff', -betrachtung, -bilanz, -budget(ierung), -finanzierung, -Haftung, -haushält, -kontingent, -kredit, -lösung, -menge, -Steuerung 'Einsatz von wirtschafts- und finanzpolitischen Instrumenten zur Herstellung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts', -Strahlung 'Gesamtmenge von Sonnen- und Himmelsstrahlung', -Strategie, -summe, -Vereinbarung, -zahlen, -Zession 'Abtretung einer bestimmten Anzahl gegenwärtiger oder zukünftiger finanzieller Forderungen', -zuschuss. b Seit frühem 20. Jh. zunehmend und heute überwiegend für 'auf der ganzen Welt vorkommend, auf die ganze Welt bezüglich, weltumspannend, weltweit' (—» international, —> universal b, —» universell b, vgl. interkontinental, planetarisch; Ggs. lokal, regional, national, kontinental; —> Globus b), in Wendungen wie globale Konferenz, Politik, Strategie, Ordnungsmacht, Entscheidungsfrage, Entspannung, Erwärmung, Krise, globaler Krieg, global denken, handeln, in globalem Ausmaß, im globalen Vergleich, bes. globales Dorf (lehnübersetzt aus 1960 von dem amerikanischen Medienwissenschaftler M. McLuhan geprägtem global village) 'die dank hochtechnisierter Kommunikationsmittel scheinbar geschrumpfte moderne Welt, in der alle Ereignisse (wie in einem Dorf) von allen gleichzeitig wahrgenommen werden können' (s. Belege 1987, 2002), und als Bestimmungswort in Zss. wie Globalkrieg, -katastrophe, -klima, -kultur, -literatur, -macht, -markte, -spräche; globalpolitisch, -strategisch, -ökologisch, -weit; in jüngster Zeit auch das aus dem Engl. übernommene Syntagma Global Player M. (-s; -s), auch moviert Global Playerin F. (-; -nen) 'multinationaler Konzern, international agierendes Unternehmen oder Land, Unternehmer/-^' (zu engl. player 'Spieler'; vgl. Multi). Dazu im frühen 20. Jh. vereinzelt, seit den 70er Jahren häufiger belegtes (dabei eventuell von gleichbed. engl. globalism beeinflusstes) Globalismus M. (-; ohne Pl.) 'global orientierte, die ganze Welt als Interessengebiet betrachtende (Militär-, Wirtschafts-, Finanz-)Ideologie, Politik der weltweiten Einmischung; auf die ganze Welt ausgerichtete Denkweise' (Ggs. Isolationismus), oft abwertend für 'Imperialismus, Hegemonialstreben, Streben nach Weltherrschaft', zunehmend auch für 'weltweite wirtschaftliche Vernetzung, Liberalisierung, Konkurrenz' (s. u. Globalisierung; Ggs. Regionalismus, Territorialismus, Protektionismus), in Wendungen wie gnadenloser, neoliberaler, ökonomischer Globalismus, der Globalismus der Kennedy-Administration und Zss. wie Globalismusfeind, -probleme; Kultur-, Wirtschaftsglobalismus (zu b). Dazu in jüngster Zeit das aus gleichbed. engl. globalize entlehnte V. trans, globalisieren 'auf die ganze Welt ausdehnen, auf der ganzen Welt verbreiten', in Wendungen wie die Wirtschaft, die Autoindustrie wird globalisiert, die Finanzmärkte globalisieren sich (zu b), selten auch (vgl. gleichbed. frz. globaliser) in der Bed. 'verallgemeinern, pauschal beurteilen, über einen Kamm scheren; pauschal ansetzen', in Wendungen wie ich rate dringend, nicht(s) zu globalisieren (zu a), auch adj. verwendet im Part. Präs, globalisierend bzw. häufiger im Part. Perf. globalisiert, in Wendungen wie die globalisierte Ökonomie, der globalisierte Wettbewerb, in einer/unserer globalisierten Welt (zu b), globalisierter Haushalt (zu a), gelegentlich auch in der Präfixbildung wegglobalisieren (zu b), mit der seltenen adj. Ableitung globalisierbar (zu b), der Personenbezeichnung Globalisierer M. (-s; -), auch moviert Globalisiererin F. (-; -nen) 'Befürworter/-in der Globalisierung; globalisierendes Unternehmen' (s. u. Globalist; Ggs. Antiglobalisierer/-in; zu b) und dem häufigen, bereits Mitte 20. Jh. belegten, meist als politisches Schlagwort verwendeten Verbalsubst. Globalisierung
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F. (-; selten -en), zunächst vereinzelt in der Bed. 'pauschale Festsetzung', in Wendungen wie Globalisierung der spanischen Einfuhr (zu a), dann v. a. 'zunehmende, mit wirtschafte- und finanzpolitischer Deregulierung und Liberalisierung einhergehende weltweite Verflechtung des Handels, der Kapitalmärkte und der Volkswirtschaften; das Globalisieren; das Globalisiertwerden' (s. u. Globalisation; vgl. Internationalisierung), in Wendungen wie Globalisierung der Märkte, der Elektroindustrie, von Unternehmen und z.T. mehrgliedrigen Zss. wie Globalisierungsgegner, -kritik(er), -falle, -debatte, -prozess, -Strategie, -tendenz, -Verlierer, -gewinner, -druck, -welle, -folgen, -diskussion, -politik, -ängste, -opfer, -wähn, -wut, -rausch, -apostel, -fetischist, -fieber, -gespenst, -phänomen, -Zeitalter, -boom, -schub; Wirtschafts-, Markt-, Finanz-, Handels-, Teil-, Ultra-, Hyperglobalisierung; Antiglobalisierungsbewegung, -demonstration, -organisation, -netzwerk, -protest; globalisierungskritisch, -begeistert, -bedingt, -fähig, -trunken, -willig, -feindlich, -gläubig, -tauglich, gelegentlich auch in antonymen Präfixbildungen wie De-, Entglobalisierung (zu b); daneben in jüngster Zeit seltenes, aus gleichbed. engl. globalization entlehntes Globalisation F. (-; selten -en) '(wirtschaftliche) Globalisierung', in Wendungen wie die Gewinner der Globalisation und Zss. wie Globalisationszeitalter (zu b); dazu die etwa gleichzeitig belegte Personenbezeichnung Globalist M. (-en; -en) 'Vorkämpfer, Befürworter des Globalismus, der Globalisierung' (s. o. Globalisier er, Ggs. Antiglobalist; zu b) und die adj. Ableitung globalistisch 'global ausgerichtet, weltweit agierend, den Globalismus/die Globalisierung betreffend oder propagierend' (Ggs. antiglobalistisch), in Wendungen wie globalistische Politik, Position, Perspektive, die globalistisch denkende Linke (zu b), vereinzelt auch für '(zu) verallgemeinernd, (zu) pauschal, nicht ins Detail gehend' (zu a). Dazu ebenfalls in jüngster Zeit aufgekommenes, eventuell aus gleichbed. frz. globalite entlehntes Globalität F. (-; ohne PL) 'Allgemeinheit, Gesamtheit, Ganzheit' (—>· Totalität, —» Universalität c), in Wendungen wie etwas als Globalität betrachten, die erste Maya-Ausstellung dieser Größenordnung und Globalität (zu a), häufiger in der Bed. 'weltweite Geltung, Relevanz, Verbreitung, Vernetztheit, globaler Charakter, Überstaatlichkeit' (—·» Universalität d; vgl. Internationalität), in Wendungen wie das Zeitalter der Globalität, die Globalität der Klimakatastrophe, der Finanzströme, der Mode, Globalität suggerieren, vorspiegeln und Zss. wie Wirtschaftsglobalität; globalitätsgläubig, -fixiert, mit der vereinzelten (nach dem Muster von totalitär gebildeten) adj. Ableitung globalitär 'die Globalisierung auf totalitäre Art umsetzend' (zu b). Vgl. daneben Gelegenheitsableitungen wie scherzhaft und abwertend gebrauchtes Globaltrottel M. (-s; -) 'Weltreisender' (—>· Globetrotter) und Globalesisch N. (unflekt.) 'stark mit Anglizismen und Internationalismen durchsetztes Deutsch' (vgl. Denglisch; beide zu b). global a: Hillebrand 1882 Zeitgenossen 299 die sogenannte globale Inscription . . (Anm.: Mit diesem barbarischen Worte, bei dem sich einem Franzosen die Haare sträuben würden, bezeichnet man in Belgien die Unsitte, die Studenten eine Summe in Bausch und Bogen für die von ihnen belegten Vorlesungen zahlen zu lassen . .); Brauer 1929 Sozialismus 217 von einzelnen Punkten her, deren Untersuchung und Durchforschung Teilergebnisse zu zeitigen verspricht, die gleichsam stufenweise den
Aufstieg zu einer umfassenden Aussicht in das Gesamtproblem und damit eine im wörtlichen Sinne „globale" Erfassung desselben ermöglichen sollen; Dtsch. AZ. 5. 11. 1935 Im übrigen fordert Japan . . die Festsetzung der Gesamttonnage (Globaltonnage) für die einzelnen nationalen Flotten; Süddtsch. Ztg. 8. 12. 1949 Man müsse aus den globalen Wertungen des Menschen herauskommen und nicht mehr zwischen Franzosen, Deutschen, Juden usw. unterscheiden; ebd. 14. 11. 1953 Der Land-
global tag trägt eine gewisse Mitschuld insofern, als er im Haushalt 1949 eine Globalsumme von über 700 000 DM für Beamtenwohnungen genehmigt hatte, ohne sich . . um die Verwendung dieser Mittel im einzelnen zu kümmern; ebd. 5. 3. 1960 Er kündigte jedoch zugunsten von gezielten Maßnahmen . . den Abbau von globalen Förderungsbeiträgen an; Stuttgarter Ztg. 19. 4. 1969 Einer globalen Konjunkturbremsung in Deutschland steht die EWG-Kommission skeptisch gegenüber; 1982 Europa o. Nr. So hat das Parlament vor allem von seinen Haushaltsbefugnissen energisch Gebrauch gemacht. Der Haushalt 1980 wurde zunächst global abgelehnt; Berl. Ztg. 22. 3. 1991 Die Leserreaktionen zeigten, daß viele ihr vergangenes Leben nicht global als „Selbstversklavung und Selbstzerstörung" resümiert sehen wollen; 993 FAZ o. Nr. Die im Rahmen des Haushalts beschlossene Globalkürzung von fünf Milliarden Mark erhöhe sich um das neu entstandene Defizit; Berl. Ztg. 23. 5. 2003 Als letzter Ausweg bleibt eine so genannte globale Minderausgabe in Milliardenhöhe in den Etat einzustellen. Diese zunächst nicht näher erklärte Einsparung müsste dann erst später mit Maßnahmen unterlegt werden. globalisieren: taz 14.1. 1992 Der Generalsekretär der Regierungspartei „Union für den Nationalen Fortschritt" mußte bereits seine Aktivisten aufrufen, nicht zu „globalisieren" und nicht jeden Hutu zum Rebellen abzustempeln; ebd. 29. 1. 1994 Als zentrale Forderung des Buches stellt sich der Anspruch heraus, weniger zu globalisieren und Einzelfälle wichtiger zu nehmen; Zeit 28. 6. 1996 Der globalisierte Haushalt ist ein Vertrauensvorschuß. Die Universität soll selber bestimmen, was sie mit dem Geld macht; Berl. Ztg. 15. 9.2001 „Sie müssen versuchen, die richtige Sprache zu finden. Nichts globalisieren. Keine pauschalen Vorwürfe machen", antwortet die Schuldirektorin. Globalisierung: FAZ 24. 12. 1959 Im Widerspruch zu den getroffenen Vereinbarungen waren die bilateralen Ausschreibungen nach dem Beitritt Spaniens zum Europäischen Wirtschaftsrat (OEEC) und der damit verbundenen Teilliberalisierung und Globalisierung der spanischen Einfuhr fast völlig eingestellt worden. globalistisch: Frankf. Rundsch. 7. 6. 1997 Ich war aber etwas befremdet von dem Stil und der Zugangsweise der Autoren. Mir war die Diagnose zu globalistisch und zu hart. Ich war damals .. überzeugt, die Wahrheit sitze im Detail wirklich phänomen-bezogener Analysen. Globalität: taz 8. 6. 1989 Die Abschottung der einzelnen Disziplinen voneinander im gängigen Wis-
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senschaftsbetrieb steht der Globalität und Komplexität gesellschaftlicher Probleme paradox gegenüber; ebd. 11. 11. 1993 Begründend sagte van Miert, man habe „die neuen Bundesländer als Globalität" betrachtet und sei davon ausgegangen, daß die Stahlwerke zu DDR-Zeiten als Kombinat ein einziges zusammengehöriges Unternehmen gewesen seien; Oberösterr. Nachr. 16. 9. 1998 Es ist die „erste Ausstellung dieser Größenordnung und Globalität" über Kunst, Religion und wissenschaftliche Kenntnisse der Maya, erklärte die Direktorin des Museums für Anthropologie in Mexiko-Stadt. global b: Rütimeyer 1924 Ur-Ethnogr. d. Schweiz 186 Auch hier . . wieder ein Beweis, dass wir in diesen Kinderdarstellungen, wobei in genau gleicher Darstellungs- und Anschauungsweise . . in unsern Alpen, in den arktischen Gegenden, in Nordamerika, Japan, Sumatra Haustiere dargestellt wurden, es . . mit elementaren global verbreiteten „Kindergedanken" zu tun haben; Rei 1929 Problem d. europ. Expansion 29 man darf den Europäismus Rankes . . nicht zu eng fassen; die globale Ausdehnung und Anwendung seiner historischen Begriffe ist bei ihm selber in Hinsicht auf die europäische Ausbreitung über die Erde angelegt; 2941 Dtsch. Wehr 879 Roosevelt erstrebt den globalen Krieg, einen Krieg, auf den der bescheidene Begriff eines „Weltkrieges" kaum noch passt; Süddtsch. Ztg. 26. 3. 1949 Die Zeit, in der wir leben, ist eine Zeit . . der Verwirrung. Sie predigen Frieden und rüsten zum Krieg. Sie denken global und zerstückeln den Globus; Jaspers 1958 Atombombe 99 Jetzt ist infolge der neuen Waffentechniken die Weltstrategie entstanden: das globale Denken, dem die ganze Erde ein einziges Schlachtfeld wird; Offenburger Tagebl. 28. 7. 1968 Die Regierung der Vereinigten Staaten hat im Falle eines globalen Krieges nicht nur die Möglichkeit, in atombombensichere Bunker tief unter der Erde zu verschwinden; FAZ 11.2.1971 Die FDJ aus der DDR hatte eine starke Delegation nach Preßburg geschickt, deren Sprecher . . die Anerkennung der DDR forderte und die Bundesrepublik als einen „Eckpfeiler der amerikanischen Globalstrategie" angriff; Lenz 1976 Elfenbeinturm (W. XX 40) dieses Problems, das den Politiker augenscheinlich überfordert — sein Dilemma besteht darin, daß er immer noch national denkt, wo er global handeln müßte; taz 28. 7. 1987 Das in den sechziger Jahren angestrebte „globale Dorf" war ein Wahnwitz und keine wünschenswerte Utopie; Spiegel 7. 12. 1992 Nach dem Ende des Kalten Krieges hofften Millionen Menschen, nun würden die Vereinten Nationen die Menschheit in einen globalen Frieden führen; taz 4. 6. 1996 Sein Plädoyer für eine Positionsverstärkung des Deutschen kommt aus der Ein-
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global
sieht, daß praktisch nur so die Chance besteht, die Entwicklung zu einer Mehrsprachigkeit zumindest offenzuhalten und einen „Durchmarsch" der Globalsprache Englisch zu verhindern; ebd. 4. 11. 2002 Ein Krieg ohne Tote ist eine Illusion — auch wenn in Zeiten von CNN und globalem Dorf Luftangriffe „chirurgische Operationen" heißen, Tote „Kollateralschäden" genannt werden und chemische Waffen unter dem Rubrum „nichttödlich" laufen; Mannh. Morgen 27.5. 2003 Besonders viele Teilnehmer werden erwartet, wenn der Dalai Lama seine „Vision für eine globale Ethik" vorstellt. Global Player: taz 28. 2. 1991 Denn erst diese Restriktionen . . haben den Wirtschaftsbau in Südkorea ermöglicht und das Land ökonomisch in die Rolle des „global player", wie Mercedes-Vize Helmut Werner lobt, katapultiert; Kleine Ztg. 11.8. 1996 Dazu muß [die Politik] zunächst auch die Spielregeln und Waffen anwenden, die die Global players für sich geschaffen haben: Flexibilität und Geschlossenheit über nationale Grenzen hinweg. Denn es ist die Stärke der weltweit agierenden Unternehmungen, die Nationalstaaten gegeneinander ausspielen und gegen jeden einzelnen Staat gerade jenes Erpressungsmotiv anwenden zu können, mit dem dieser am leichtesten „genommen" werden kann; Mannh. Morgen 5. 6. 2003 Für das viel geschmähte „alte Europa" ist die Aufstellung einer eigenständigen Eingreiftruppe eine Chance, sich auf der internationalen Bühne wieder als „global player" zu präsentieren, der zu einem entschlossenen Handeln fähig ist. globalisieren: Mannh. Morgen 13. 9. 1989 Das BASF-Vorstandsmitglied hob die internationale Spitzenposition der deutschen chemischen Industrie hervor und fügte hinzu, diese könne nur gehalten werden, wenn das Geschäft zusehends globalisiert werde; Zeit 6. 9. 1996 Globalisierte Kapitalmärkte zeichnen sich gerade dadurch aus, daß die Anleger ihr Kapital per Knopfdruck in Sekundenschnelle um den Globus schicken können; Mannh. Morgen 12. 6. 2003 Die Wirtschaftsforscher konnten ihre düsteren Prognosen gar nicht so schnell senken, wie die Kurse fielen, . . und schließlich ließen Sars und Irak-Krieg auch noch Zweifel daran aufkommen, ob unsere globalisierte Wirtschaft überhaupt in der jetzigen Form weiter funktionieren kann. wegglobalisieren: Züricher Tagesanz. 28. 4. 1999 Die Industriehütten stehen leer, die Arbeiter sind entlassen, die Stellen wegglobalisiert. globalisierbar: taz 4. 1. 1996 Das westliche Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ist offensichtlich
nicht globalisierbar; ebd. 14. 9. 2001 Eine dritte Definition von Kultur ist neueren Datums und meint Kultur als „globalisierbare" Ware. Unternehmen erzielen bereits enorme Profite aus der Kommerzialisierung von kulturellen Gegenständen, die sich auf Grunderfahrungen des Menschen beziehen. Globalisierer: Salzb. Nachr. 30. 5. 1996 Und natürlich spekulieren hier Globalisierer mit Zentralversorgungsutopien, in denen Staaten von wenigen Energiezentren aus versorgt werden; Züricher Tagesanz. 10. 2. 1998 Die Deregulierer und Globalisierer hatten ihre Chance. Der freie Fall Südostasiens hat sie ins Unrecht versetzt; taz 17. 5. 2002 Knapp 85 Prozent der Wasserversorgung in den Großstädten der Welt liegen in den Händen öffentlicher oder staatseigener Betriebe — ein gefundenes Fressen für die Globalisierer. Antiglobalisierer: Berl. Ztg. 7. 8. 2000 In der Frage nach Alternativen jedoch zeigt sich die Zersplitterung der Anti-Globalisierer; taz 21. 11. 2002 Das zeigt sich nicht zuletzt in der Bewertung der außerparlamentarischen Globalisierungskritiker. Während die traditionelle Linke die Bewegung . . feiert, kritisiert Vattimo die Antiglobalisierer als Populisten. Globalisierung: Mannh. Morgen 18. 1. 1989 Auch der heraufziehende EG-Binnenmarkt sowie die Internationalisierung und Globalisierung der Finanzmärkte seien wichtige Gründe für den Zusammenschluß der beiden Landesbanken gewesen; Spiegel 20. 12. 1993 Unter Europas Konzernlenkern profiliert sich Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter als Visionär der wirtschaftlichen Globalisierung. Es gehe . . „um einen weltweiten Strukturwandel, der durch ein früher undenkbares Aneinanderrücken der Menschen hervorgerufen und geprägt wird"; Frankf. Rundsch. 17.6.1997 Als neues Leitbild gilt die „Globalisierung", die den Export des Produktions- und Konsummodells der Industrieländer grenzenlos beschleunigt, das in Rio noch als nicht globalisierbar kritisiert wurde; Berl. Ztg. 15. 2. 2003 Denn die häufig attackierte Globalisierung und internationale Vernetzung während des letzten Jahrzehnts hat dazu geführt, dass insbesondere die jüngere Generation sich so stark wie nie an den USA orientiert — vor allem kulturell. Deglobalisierung: Frankf. Rundsch. 9. 1.1999 Statt dessen sind Deglobalisierung, Entprivilegierung der „formalen" Arbeit und der Aufbau selbstorganisierter Strukturen nötig, um Abhängigkeiten jeglicher Art auf regionaler wie auf globaler Ebene
global zu unterbinden; taz 16. 3. 2002 Den Verfechtern der Deglobalisierung geht es darum, aus dem System des globalen Marktes Freiräume herauszubrechen, in denen sie die Logik des Liberalismus zumindest teilweise ersetzen wollen durch das Primat der gesellschaftlichen Regulierung. Entglobalisierung: Salzb. Nachr. 8.11.1996 Allen Globalisierungsgegnern erteilte Ceska eine Absage: „Entglobalisierung heißt Protektionismus, Rückabwicklung des Integrationsprozesses und der internationalen Arbeitsteilung."; taz 31.8.2002 Denn die Auflösung des Römischen Reichs, die durchschlagendste Entglobalisierung der Weltgeschichte, führte zu einem beispiellosen Prozess wirtschaftlichen und kulturellen Verfalls. Globalisation: Presse 18. 8. 1994 Eine koreanische Version der umstrittenen Hefte ist daher der Zensur zum Opfer gefallen. Eine engstirnige Entscheidung, wie der Penthouse-Herausgeber meint, die jeglicher Globalisation zuwider laufe; St. Galler Tagbl. 7. 3. 1998 Im Globalisationszeitalter, wo die grossen Zahlen zählen, muss eine Sprachenminderheit auf der Hut sein und sich beizeiten vorsehen; taz 11. 4. 2001 Warum mögen sich so viele Amerikanismen ausgerechnet im Deutschen herumtreiben? Ich denke, durch die Kraft, die vom Gewinner der Globalisation ausgeht, werden alle angezogen. Globalismus: 1928 Auslese U 320 Weitere Vorschläge [zur Bezeichnung der Epoche] sind: Maurice Bedel: Romanzismus. Joseph Deltcil: Globalismus. Pierre Dominique: Kinematographische Epoche; Offenburger Tagebl. 30. 3. 1971 Auch die Idee der Regierungsfinanzierung der SST-Entwicklung war ein Kind der Kennedy-Administration und ihres Globalismus. Es war der Geist, der amerikanische Soldaten nach Indochina brachte, die Armee um eine Million Mann aufblähte . . und das Programm des bemannten Mondfluges gebar; Mannh. Morgen 17.1. 1986 Während die Sowjetunion den Amerikanern einen „neuen Globalismus" als Instrument der Weltherrschaft ankreidet, sichert sie sich selbst eine allumfassende Kompetenz; 1995 FAZ o. Nr. Amerikanischer Globalismus bedeutet . . nicht primär eine weltweite Interessiertheit Washingtons (diese versteht sich schon aus geographischen Gründen von selbst), sondern mehr noch die konkrete Bereitschaft, an jeder Stelle der Welt, wo wesentliche Interessen der Vereinigten Staaten in Gefahr sind, militärisch zu intervenieren; Zeit 1. 10. 1998 Darum ist an den Krisen der Gegenwart auch nicht der Globalismus — die weltweite Vernetzung der Geld- und Kapitalmärkte — schuld, sondern die Tatsache, daß Währungen wie
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Aktienkurse oder Zitronenpreise schwanken können; Berl. Ztg. 3. 7. 2001 Andererseits ist der Globalismus ein ideologischer Kampfbegriff, der die internationalen Konkurrenzzwänge als Daumenschrauben nutzt. Globalist: Presse 2. 6. 1995 Murdoch ist ein Globalist, seine Vision ist das „global village". Sein Credo beschreibt er so: „Total internationalistisch, für den völlig freien Markt von Ideen und Gütern, zum Wohl der Menschen und der gesamten Welt."; Berl. Ztg. 28. 4. 1999 Diesem Isolationismus ist zunächst Senator John McCain aus Arizona entgegengetreten. McCain, ebenfalls Anwärter auf die republikanische Präsidentschaftkandidatur, präsentierte sich als Globalist und plädierte für den Einsatz von Bodentruppen [in Jugoslawien]; ebd. 5. 6. 2002 Wir sind Globalisten der Völker-Solidarität, nicht des Globalismus der Märkte und des Geldes. Der ist es doch, der so viel Armut schafft, dass sieben Achtel der Weltbevölkerung Ausgeschlossene sind. globalistisch: Presse 20.2.1992 Also sprach Patrick J. Buchanan gestern vor den Fernsehkameras: Es sei höchste Zeit, daß mit dem „globalistischen Nonsens" eines George Bush Schluß gemacht werde, die dümmliche „Neue Weltordnung" verdiene es, vom Tisch gewischt zu werden; Frankf. Rundsch. 20. 10. 1997 Über alle Fährnisse eines wild bewegten Jahrhunderts hat sich die Bürokratie ihre Rolle als ordnende Hand im Gemeinwesen bewahren können. Doch jetzt hinterfragt globalistisch angehauchter Modernisicrungswille auch diese Institution: Österreichs Beamte sehen Privilegien wie Pension und Posten auf dem Prüfstand; taz 19. 5. 2000 Dabei hat es eine globalistisch denkende Linke in der Tat schwerer als politische Kräfte, die einem blanken Standortnationalismus huldigen. antiglobalistisch: taz 3. 2. 1997 Der jüngst . . zurückgetretene US-Arbeitsminister, Professor Robert B. Reich, ein Globalisierungs- und MultikultiFan vor dem Herrn, sieht die reaktionäre Gefahr in den USA als eine Art antiglobalistische Zangenbewegung; ebd. 12. 1. 2001 Afrikas Weg in die Zukunft führt über seine Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft. Ich halte weder die Tobin-Steuer noch den antiglobalistischen Diskurs von ATTAC für geeignete Antworten auf die konkreten Probleme Afrikas. globalitär: taz 17.1. 1997 Eine andere Art Totalitarismus tritt nun, zur Jahrhundertwende, die Nachfolge dieser Systeme an: „Die globalitären Re-
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Globetrotter
gitne". Sie gründen sich auf die Dogmen der Globalisierung und des Einheitsdenkens und erklären jede andere Wirtschaftspolitik für unzulässig; ebd. 14. 8. 1998 Mit der Forderung nach weltweiter Konkurrenz für den Einheitsmarkt ist der Vergleich ein globalitäres Phänomen geworden, welches die vollständige Über-Zurschaustellung nicht nur der Orte erfordert, wie noch gestern mit ferngesteuerter Straßenüberwachung, sondern der Personen und ihres Verhaltens. Globalität: Mannh. Morgen 1.12.1989 die vermeintliche Überlegenheit derer, die mit dem Medium Geld umgehen; . . die Globalität unserer Geschäfte, die keine nationalen Grenzen mehr ken-
nen; 1993 FAZ o. Nr. Im Vordergrund stünden die Dienste, bei denen die Citicorp ihre Globalität ausspielen könne — angefangen vom Zahlungsverkehr-Management . . bis hin zu „maßgeschneiderten" grenzüberschreitenden Finanzkonstruktionen; Computer Ztg. 11.6.1998 Die Globalität und Interaktivität der neuen Medien — allen voran das Internet — erweitern die Sichtweisen weit über die nationalen Grenzen der traditionellen Medien hinaus; St. Caller Tagbl. 3. 2. 2000 In seiner Eröffnungsrede knüpfte Hans-Rudolf Früh am soeben zu Ende gegangenen Weltwirtschaftsforum an: Globalität und grenzenlose Gewinnmaximierungen haben die Welt zu einem Dorf mit Villen- und Elendsvierteln gemacht — Verlierer seien die Klei-
Globetrotter M. (-s; —, selten -s), auch Globetrotterin F. (-; -nen), im späten 19. Jh. aufgekommene Entlehnung aus gleichbed. engl. globetrotter, eigentlich 'Erd-, Globusumtraber' (aus globe 'Erdball, "Weltkugel, Globus' < lat. globus e Kugel', —»· global, —>· Globus, und trotter 'Traber', zu trot 'traben, trotten' < altfrz. troter 'traben, schnell gehen, umherschweifen' < altniederfränk. *trottön 'laufen', einem Intensivum zu westgerman. *tred-a- 'treten', vgl. ahd. trottön, mhd. trotten 'traben, trotten'), selten auch in den Schreibungen Globtrotter, Globe-trotter. Ursprünglich scherzhafte Bezeichnung für 'jmd., der oft ausgedehnte (Bildungs-, Vergnügungs-)Reisen in weit entfernte Länder unternimmt, der sein Leben mit dem Bereisen entlegener Weltgegenden verbringt, (professioneller, begüterter) Weltreisender, Welt(en)bummler' (vgl. Kosmopolit), oft konnotiert mit „abenteuerlustig, neugierig, unstet; unabhängig, weltläufig, wohlhabend", in Wendungen wie der bekannte, erfahrene, elegante, reiche, unternehmungslustige, verwöhnte Globetrotter, internationaler Globetrotter, ein Globetrotter aus Leidenschaft, vornehm wie ein Globetrotter und Zss. wie Globetrotterleben, -erfahrungen, -erlebnisse, in neuerer Zeit zunehmend bezogen auf Viel- oder Weltreisende auch aus anderen sozialen Schichten in der Bed. 'jmd., der (aus beruflichen Gründen) in der ganzen Welt herumkommt (und darüber berichtet)' (s. Belege 1955, 1959), in Wendungen wie der musizierende Globetrotter, ein Globetrotter des Boxrings/der Leinwand und Zss. wie Fußball-, Tennis-Globetrotter, in der Sprache der Werbung selten auch übertragen auf Produkte (s. Beleg 1981), auch für 'jmd., der trotz bescheidener Mittel aus Neugier oder Fernweh die Welt bereist' (s. Beleg 1996; —»· Tourist), in jüngster Zeit bes. '(jugendlicher) Rucksacktourist; Aussteiger' (—> Tramp, —·· Vagabund; s. Belege 1971, 1990, 2003), in Wendungen wie alternative, abgebrannte, radreisende Globetrotter und Zss. wie Globetrotterausrüstung, -führer, -handbuch, -kreise, -laden, -shop, -szene, -tips; Interrail-Globetrotter, mit der abwertenden, meist auf Massentouristen bezogenen Verballhornung Globetrottel M. (-s; -) 'Weltreisender ohne geographische, ethnologische, kulturelle Kenntnisse über die von ihm bereisten Länder, Pauschaltourist', auch übertragen (s. Beleg 2001; vgl. gleichbed. Globaltrottel, —*· global); dazu seit Anfang 20. Jh. die seltene subst. Ableitung Globetrottertum N. (-s; ohne PL) 'unstetes Wesen, Lebensstil eines Globetrotters', seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung globetrotterisch 'nach Art eines Globetrotters', auch subst.
Globetrotter
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(s. Beleg 1997), sowie in jüngster Zeit die abwertende subst. Ableitung Globetrotterei F. (-; ohne PL) 'häufiges (überflüssiges) Herumreisen'. Dazu seit frühem 20. Jh. aus gleichbed. engl. globetrot entlehntes globetrotten V. intrans., vereinzelt auch globetrottern, in der Bed. 'eine Weltreise machen, als Globetrotter durch die Welt reisen, herumreisen, herumschweifen' (vgl. vagabundieren], auch bildl. (s. Belege 1943, 1997), in Wendungen wie durch Lateinamerika, musikalisch globetrotten, im Part. Präs, globetrottend auch adj. und adv. verwendet, in Wendungen wie globetrottende Hippies, Pädagogen, Schriftsteller, Segler, der Prototyp des globetrottenden Engländers, globetrottend unterwegs sein. Globetrotter/-in: 1885 ZfEthnol. XVII 477 Die Verbreitung dieses Wortes ist so gross, dass einst ein englischer Globetrotter nach achttägigem Aufenthalt am Kap in seiner unvermeidlichen Reisebeschreibung über die Kolonie bemerkte: „In Afrika heissen alle Hunde futsekk . ."; 1887 D. Tourist IV 12,7 der Verfasser . . bespöttelt sie [deutsche Touristen] u. A. wie folgt: Globetrotter, wörtlich Erdumtraber, ist die technische Bezeichnung für ein Genus, dessen Auftreten in größeren Massen, ähnlich dem der Philloxera oder des Coloradokäfers, erst in der Neuzeit beobachtet ist . . Es zerfällt in der Hauptsache in folgende Species: 1. Globetrotter communis . . 2. Globetrotter scientificus . . 3. Globetrotter elegans .. 4. Globetrotter independens . . Wenn auch natürlich das reiselustige und reiche England das Hauptcontingent der Globetrotter stellt, so sind doch mit Ausnahme der vierten, schon alle die aufgezählten Species auch deutscher Nation beobachtet worden; Fontäne 1897 Stechlin (Romane u. Erz. VIII 31) Wenn es einen Augenblick vielleicht so klang, als ob der „Globetrotter" mein Ideal sei, so bin ich sehr geneigt, mit mir handeln zu lassen. Aber etwas hat es doch mit dem „Auch-draußen-zu-Hause-Sein" auf sich (DiBi 1); Heyking 1905 D. Tag Anderer 219 Bald jedoch mußte man sich davon überzeugen lassen, daß Mr. und Mrs. Wanderbald mit ihrem zahlreichen Gefolge einfach nur als Globetrotters reisten (DiBi 45); Manes 1911 Land 7 Der erfahrene Globetrotter weiß, wie schnell an Bord Freundschaft geschlossen und wieder gelöst wird; Perutz 1918 Zwischen 43 Padua [liegt] abseits vom Strome der Globetrotter; Sydow 1922 Kultur 165 Der beruflose „Weltenbummler" ähnelt nämlich in hohem Masse dem „Abenteurer" — und ist doch ganz anders. Wenn dieser seine Sache auf Nichts gestellt hat und dafür sein Leben einsetzt, ist der Globetrotter undenkbar ohne einen Kreditbrief mit hohen Ziffern; . . Seine Sehnsucht ist: sich immer neuen Reizen aussetzen, immer Neues kennenlernen, eine immer veränderte Daseinsform sich durch den Wechsel der Umgebung erkaufen; Tucholsky 1927 (Dtsch. Tempo 579) Er hat den Mut, ein Europäer zu sein und kein Snob. Er spielt nicht
den alten Globetrotter, nicht den falschen Amerikaner, nicht den Gefahrenmann aus dem Busch (DiBi 15); Mayer 1935 Entdeckung 147 der „Globetrotter" — hauptsächlich in der Figur des „reisenden Engländers" bekannt; Abegg 1936 Yamato 37 Eine alte englische Globetrotterin, die ungefähr ein Jahr lang in Japan umherreiste, wurde im Laufe dieser Zeit wegen Spionageverdachts so sehr belästigt, daß sie am Ende ihrer Rundreise erklärte, sie würde sich das Leben nehmen, wenn nur noch ein japanischer Polizist sie anrühre; Südost-Kurier (Reichenhall) 16.4.1949 Die Globetrotter sind nicht selten. Es gab sie zu jeder Zeit und in jedem Land. . . Seither folgen sie sich ohne Aufhören, angeregt von der Lust nach Abenteuern oder aus purer Rekordsucht; Süddtsch. Ztg. 15.4. 1955 Am Sonntagvormittag um 11 Uhr zeigt der bekannte Globetrotter, Oberingenieur Dietrich Dreyer, im Lenbach-Kino seinen Kulturfilm „Weltenbummel", zu dem er abenteuerliche Geschichten erzählen wird. Dreyer reiste 50 Jahre lang kreuz und quer durch die ganze Welt; Offenburger Tagebl. 7. 11. 1959 Romy Schurhammer, eine badische Globetrotterin aus Leidenschaft und Beruf, berichtet . . über ihre Erlebnisse; FAZ 16. 3. 1967 Was Globetrotter besonders schätzen, das ist die unvergleichliche „europäische Behaglichkeit", die jedes Zimmer, jedes Appartement im 'Schwarzen Bock' ausstrahlt (Anzeige); Offenburger Tagebl. 21. 12. 1971 Rauschgifthändler hatten den [jugendlichen] Globetrottern, die knapp bei Kasse waren, Flugscheine gegen das Versprechen geschenkt, Festpakete für Kunden in Amsterdam mitzunehmen; Westf. Volksbl. 12. 6. 1981 Elektrische Schreibmaschine „Brother 3600" der Globetrotter unter den Schreibmaschinen, vollständig ausgestattet (Anzeige) (AWB); Zeit 10. 5. 1985 Der Inhaber . . holte von hoch oben ein Set mit einem halben Dutzend verschiedenster Adapter, verpackt in einem Reise-Etui, vermutlich für jene Globetrotter, die sich jeden Tag in einem anderen Erdteil rasieren; taz 26. 5. 1990 Am Ende der sechziger Jahre, als die allerersten Freaks, Aussteiger und alternativen Globetrotter die Küste Goas erreichten, war noch ein Drittel des Landes
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von Wald bedeckt; Zeit 12. 4. 1996 Im hinteren Teil der Kabine drängten sich auf Fernflügen Urlauber, Privatreisende und Globetrotter, die ihre Tickets oft bei den Reisebüros zu Schnäppchenpreisen erstanden hatten; taz 25. 1. 2003 Der erste alternative Reiseführer wurde ein Bestseller. Er erschien zu einer Zeit, als Globetrotterkreise ihren Sehnsüchten nach Wildheit, Ruhe, Einfachheit und Unkultiviertheit hinterherreisten und sich ihre heißesten Tipps noch per Mund-zu-Ohr-Propaganda zuflüsterten. Globetrottel: taz 23. 10. 1995 Denn dieser Freund ist nicht irgendein Globetrottel, sondern ein begnadeter Reisender. Er beherrscht die Kunst des neugierigen Flanierens, ist belesen und kann . . mit originellem Witz von seinen Reiseerlebnissen berichten; Frankf. Rundsch. 23.8. 1999 Hoffentlich kommt nun nicht irgendein Globetrottel auf die Idee, Chennai liege am Fluss namens Chenab; taz 23. 6. 2001 Zu den „Rootsnights" im Schlachthof pilgern oft feingeistige akustische Globetrottel und es beschleicht einen der Verdacht, dass die gespielte Musik genau für sie maßgeschneidert wurde. Globetrotterei: Presse 22. 7. 1996 Der Kriegsheld Odysseus kehrt nach langer Globetrotterei heim nach Ithaka, findet eine durch sexuelle Entbehrung fett gewordene Penelope und die Horde ihrer Freier; Mannh. Morgen 2. 2. 2002 Schon jetzt kostet ihn die Globetrotterei fast 80000 Euro im Jahr. Globetrottertum: Krämer 1900 XIX. Jh. Ill 312 Er ist der stärkste Typus, den der Kosmopolitismus, das moderne Globe-Trottertum in der Kunst erzeugte; Heyck 1928 Außenseiter 185 Der Postdampfer hat eine Schar britischer Vergnügungsreisender an Bord, die einen Südsee-Trip machen — mit . . dem alten Wikinger-Bewußtsein im Herzen, das zum Globetrottertum nur darum erstarrt ist, weil fast alles Land, auf das man stößt, bereits englisch ist; Salzb. Nachr. 10.10. 1992 Sie persiflieren unsere verklärende Sicht auf das Globetrottertum in liebevoller Weise; Berl. Ztg. 17. 3. 2003 Man kann neidisch auf den Kollegen sein, weil er so viel erlebt. Aber auch, weil er es schafft, in den unver-
hohlenen Stolz über sein Globetrottertum einen ratlosen Unterton einzuziehen: Was soll ich hier eigentlich? globetrotterisch: Perzynski 1920 Chinas Götter 145 Überall passiver Widerstand, ein Lächeln, das im Grunde Abwehr ist, Versprechungen, die niemand hält. Um meinen Aufenthalt globetrotterisch zu bemänteln, traben wir zum Grabe Yung ch'engs; 1953 Monat LVH1 441 Die Tatsache, daß unser unermüdlich die Welt bereisender Mitarbeiter Peter Schmid aus Südamerika in seine schweizerische Heimat zurückgekehrt ist. ., haben wir zum Anlaß genommen, um ihn zu einem generellen Beitrag über seine globetrotterische Existenz zu bitten, einen Querschnitt durch seine Erfahrungen nicht als reisender Beobachter und Analysator, sondern als Reisender schlechthin; Züricher Tagesanz. 6. 5. 1997 Nein, das Globetrotterische, die Welteroberungsbegierde geht mir leider völlig ab. globetrotten/globetrottern: Heyking 1926 Tagebücher 111 Eine globetrottende ältere Jungfrau sagte einem hohen Native: „I hear that your Maharajah . . is going to marry . ."; Nora 1932 Am Färbergraben 238 Unser alter Pfarrer liebte außer Gott und dem Wald noch die Welt und genoß alle Jahre einen langen Urlaub, um zu globetrotten; Mayer 1935 Entdeckung 35 daß ein Engländer, Willibard, gleichsam ein Vorläufer seiner globetrottenden Landsleute wurde und trotz aller Gefahren eine zehnjährige Reise unternahm, die ihn von Southampton aus . . nach Palästina führte; M. Z. 26. 2. 1943 Nuancenskala von der globetrottenden Ironie bis zum gescherten Extempore; FAZ 4. 2. 1970 Herodot, der Vater der Geschichte, der globetrotterte durch die ganze damals bekannte Welt; Stern 7. 4. 1983 Die Art, in der Müller über . . seine Selbstzweifel und seinen Umstieg in die Bruderschaft der globetrottenden Segler erzählt, gefällt Nagel (AWB); Kleine Ztg. 13. 4. 1997 1973 verließ er Bombay und globetrottetc in Richtung Jazz; Oberösterr. Nachr. 4.11. 2000 Während Studienkollegen globetrotteten, schaukelte Schöppl während seines Jus-Studiums im Sommer den Hof zu Hause.
Globus M., selten N. (-, auch -ses; Globen, selten auch -se), im frühen 16. Jh. entlehnt aus gelehrtenlat. globus (terrestris/coelestis) 'Erd- bzw. Himmelskugel' (aus lat. globus 'Kugel', Ablautform zu gleba 'Erdkloß, -schölle, Klümpchen', und terrestris/coelestis 'irdisch/himmlisch', zu terra 'Erde' bzw. coelum 'Himmel'; —> global, —» Globetrotter), bis Mitte 18. Jh. überwiegend in lat. (flekt.) Form, selten auch in der verkürzten Form Glob.
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a Zunächst bezogen auf die bereits in der Antike bekannten, in Deutschland erstmals 1492 von Martin Behaim gebauten kartographischen Hilfsinstrumente der Geographie und Astronomie in der Bed. '(mit einem Fuß versehene, drehbare, aus Messing, Holz, Gips oder anderem Material angefertigte) Kugel zur Darstellung der topographischen Details der Erdoberfläche; modellhaftes Abbild, verkleinerte kugelförmige Nachbildung der Erde', auch 'Darstellung des von der Erde aus sichtbaren, als Himmelsgewölbe erscheinenden Sternenhimmels auf der Oberfläche einer Kugel, HimmelskugeF, in Wendungen wie ein astronomischer, historischer, kostbarer, seltener Globus, einen Globus bauen, den Globus drehen, mit dem Finger über den Globus fahren und Zss. wie Globushersteller, Globensammlung; Erd-, Himmels-, Leucht-, Duo-, Relief-, Induktions-, Riesen-, Roll-, Schulglobus, selten auch für die entsprechenden modellhaften Darstellungen anderer Himmelskörper (s. Beleg 1959), in Zss. wie Mars-, Jupiter-, Mondglobus; dazu die Ende 19. Jh. vereinzelt belegte Berufsbezeichnung Globograph M. (-en; -en) 'Hersteller eines Globus, Globusbauer' und die seit früherem 20. Jh. selten belegte neoklassische Kombination Globographie F. (-; ohne PL) 'Anfertigung und Zeichnung eines Globus'. b Seit spätem 16. Jh. für '(reale) Erdkugel, Planet Erde, Erdball, Welt' (—> Planet, —> Sphäre l a), in Wendungen wie auf unserem (guten alten) Globus, rund um den (ganzen) Globus 'auf der ganzen Welt, weltweit', über den halben/ganzen Globus verstreut, Australien liegt auf der anderen Seite des Globus, weite Teile des Globus, den Globus umrunden, bereisen, die Zukunft, Zerstörung, Ökonomisierung des Globus, der beste Skifahrer auf dem Globus und Zss. wie Globusreisender, -umrundung; globusumfassend, -umspannend, -weit, gelegentlich auch bezogen auf andere Planeten und Gestirne allgemeiner für 'Planet' (s. Belege 1662, 1679, 1791, 1897, 1913), in Wendungen wie merkurialischer Globus, der Veneris Globus und Zss. wie Sonnen-, Sternglobus. Dazu seit Anfang 19. Jh. vereinzelt, in jüngster Zeit meist regional (schweiz.) das lat. Syntagma in globo 'insgesamt, im Ganzen, als Ganzes, (all-)umfassend; generell' (—» global a; vgl. in toto), in Wendungen wie den Vorstand in globo wiederwählen und Zss. wie In-globo-Abstimmung, -Bestätigung 'Wahl eines kompletten Gremiums, nicht der einzelnen Mitglieder'. c Seit späterem 16. Jh. vereinzelt, seit Anfang 17. Jh. häufiger zunächst in der Fachsprache der Mathematik (Geometrie) für 'Kugel' (—> Sphäre 2), auch allgemeiner für 'kugelförmiger Gegenstand', in Wendungen wie in Form eines Globus und Zss. wie Glas-, Kristall-, Plastik-, Lampenglobus, Semi-/Hemiglobus 'Halbkugel', vereinzelt bildlich für runde (Körper-)Formen (s. Belege vor 1910, 1985), vom späten 18. bis Anfang 19. Jh. auch für '(Fessel-)Ballon' (s. Belege 1783, 1801). Dazu seit Anfang 19. Jh. fachspr. (Physik, später Medizin) die (eventuell über gleichbed. engl. globular oder frz. globulaire) auf die lat. Diminutivform globulus 'Kügelchen' zurückgehende adj. Ableitung globular, auch globular 'kugelförmig; aus Kugeln bestehend', in Wendungen wie globuläre Blitze, Proteine und als Bestimmungswort in Zss. wie Globularform, -kraft, -masse, militärspr. auch Globulartaktik 'Kriegführung mittels (Kugeln verschießender) Feuerwaffen, Feuerkriegskunst'; daneben vom frühen 19. bis ins frühere 20. Jh. die gleichbed., aus gelehrtenlat. globulosus entlehnte adj. Ableitung globulos, seit früherem 19. Jh. auch in der (wohl auf frz. globuleux zurückgehenden) Form globulos, in Wendungen wie globuloser Porphyr; seit früherem 19. Jh. die nur gebuchte, aus gleichbed. lat. globosus entlehnte adj. Ableitung globos, vereinzelt auch in der (wohl von frz. globeux beeinflussten) Form globos, 'kugelförmig,
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kugelig, aus Kügelchen bestehend' mit der vom späteren 19. bis ins frühere 20. Jh. belegten, aus (fielet. Form von) gleichbed. lat. globositas entlehnten subst. Ableitung Globosität F. (-; ohne Pl.) 'kugelrunde Gestalt, Kugelgestalt'. Dazu von Anfang 19. bis ins frühe 20. Jh. die seltene adj. Ableitung globisch 'die ganze Welt betreffend, erdumspannend, weltweit' (—+ global b) (zu b) bzw. 'kugelig, kugelförmig, kugelrund', auch bildlich (s. Beleg vor 1832) (zu c). Vgl. daneben auch zahlreiche (z.T. veraltete), mit den Wortbildungselementen globi-, globo-, globuli- neoklass. geprägte fachspr. Adj. wie globizeps 'mit kugelrundem Kopf, globiflorisch 'mit kugelrunden Blüten', globiform 'kugelrund, kugelförmig', globuliform 'in Gestalt von Kügelchen' und Subst. wie Globosit M. 'runde, gewundene Schneckenversteinerung', Globoid N. 'kugelförmiger Körper', Globulit M. 'kugelige Gefügeform', auch 'Käfer mit keulenförmigen Fühlhörnern', Globulin N. 'Eiweißstoff im Blut' u. a. Globus a: Paracelsus um 1520 S. W. /1,37 Und wie die cosmographei fürhalt den globum terrae, also halt auch für astronomia den globum scientiae medicae. darumb rieht den polum recht, du wirst sunst der elevation weit irre gon; Thurneisser 1575 Archidoxa 47a Auch Doctor die zuomachen begunden,/ Globos vom Himel/ vnd der Erden/ An welchen kuglen gefunden werden./ Sex vnd dreysig bildt am Himel standt/ Auch wie sy auff/ vnd Undergandt./ Darzuo man find wie alle Landt/ Ir ort gestalt/ vnd leger handt; Stevini 1608 Festung 122 gleich wie man durch einen kleinen globum oder Weltkugel/ so man hin vnnd wider drehen vnd wenden kan/ wie man sie haben will/ gar füglich vnd wol zum Erkandtnuß deß gantzen Erdkreisses oder grossen Kugeln der Welt gelangen vnd kommen mag; Furttenbach 1641 Architect, priv. 34 im Eck/ stehet abermalen ein Tisch/ darob ein Globus Terrestris, so in seinem Diametro (verstehet sich die Kugel) l'/4 Werckschuch groß ist; um 1650 Inventarium (Reber, Maximilian l. 35) zween von helffenpain kleine globi, einer caelestis, der ander terrestris, auf güldenen füesselein; Prätorius 1666 Anthropodemus 233 daß darunter zween sonderbahre Steine gefunden/ . . auff welchen zwey blatte Globi, oder Kugeln/ ein Astronomischer unnd ein Geographischer abgedruckt gewesen/ mit allen Zeichen/ Circkuln/ Linien/ Gegenden/ .. gar proportionirlich unnd genau abgemässen; Gansler 1698 Lugenschmid l 159 also solle auch diser Discurs nit . . von allen Prognosticanten gehalten seyn/ sondern nur von den jenigen/ deren es so vil gibt/ als Fleder-Mäuß bey der Nacht fliegen/ welche die Parallel-Linien nicht auf dem Globo oder Himmels-Kugel/ sondern in der Hennen-Steigen auffsuchen; Berckenmeyer 1712 Antiquarius 483 Dieser Globus verwaltet das Amt zweyer Globorum, denn er praesentiret inwendig den Himmel und auswendig die Erde; Lünig 1719 Theatrum cerem. l 1365b einen Globum oder Erd-Kugel; Zed-
ler 1735 Universallex. X 1676 Indem solcher Gestallt die Globi in Holland berühmt worden, geriethe nach einiger Zeit Friedrich der dritte, Herzog von Hollstein, auf die Gedancken, sich einen sehr grossen und besondern globum verfertigen zu lassen; Hubner 1743 Fragen a. d. Geogr. 928 Also haben wir auch auf dem Erdboden zwey POLOS. 1. Gegen Mitternacht den POLUM ARCTICUM, da am Globo oben die meßingene Spitze heraus gehet; Büsching 1760 Erdbeschr. I 66 Der erste Erfinder eines Erdglobus ist ungewiß . . Von denen in neuern Zeiten verfertigten Erdkugeln sind wohl die ersten, welche Märt. Behaim und Hier. Fracastorius gemachet; jenes Globus ist noch zu Nürnberg bey der behaimischen Familie zu sehen; Sonnenfels 1769 Theresie 67 Meine Rede war in den Wind; der Pursche lag unaufhörlich zwischen seinen Globusen und Folianten, und ändern solchen Plunderwerk bis über die Ohren begraben; Goethe 1783 Br. (WA IV 6,212) haben sie nicht etwa auch einen Globus massiger Gröse worauf die neusten Entdeckungen verzeichnet wären; Gedicke 1789 Schulschr. l 9 um dem Lehrling einen deutlichen Begriff von einer Weltumsegelung zu verschaffen, ist ein wirklicher Globus tausendmal besser; 1798 Gallerte d. Welt 35 Auf der künstlichen Erdkugel (oder dem Erdglobus) hat die Lösung dieser Aufgabe gar keine Schwierigkeit; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,50) indem wir diesen trefflichen Seemann mit den Gedanken begleiteten, wurden wir weit in alle Welt hinausgeführt, und versuchten ihm mit unsern Fingern auf dem Globus zu folgen; Job. Schopenhauer 1821 Gabriele II 99 Quadranten, Globen, Ferngläser aller Art, gaben jetzt seinen Zimmern das Ansehen eines Observatoriums (DiBi 45); A. v. Humboldt 1847 Kosmos II 478 Auch Martin Behaim setzt auf seinem 'Weltapfel', dem berühmten Globus, welchen er 1492 vollendete und welcher noch im Behaim'schen Hause zu Nürnberg aufbewahrt wird, die Küste von China
Globus . . nur 100° westlich von den Azoren; Holtet 1860 Eselsfresser U 2 ein in Wachsleinwand gehülltes, rundes, großes Ding .., welches sich von Außen wie ein Globus ausnimmt; Darwin 1884 Entstehung (Übers.) 444 Wenn wir nun einen Erdglobus ansehen, so werden wir finden, dass unter dem Polarkreise meist zusammenhängendes Land von West-Europa an durch Sibirien bis Ost-America vorhanden ist (DiBi 2); Fiorini 1895 Erd- u. Himmelsgloben 25 Dieses Weltbild, auf welchem die neu entdeckten Küsten durchweg als Inseln figurieren, wird von v. Wieser . . als „Globuskarte" bezeichnet. . . Die wahrscheinlich 1513 entstandene Karte besteht aus vier Quadranten, die vielleicht zum Globus zusammengefügt werden sollten; ebd. 126 In neuerer Zeit haben sich in Deutschland die Firmen Riedig in Leipzig, . . vor allem aber Simon Schropp und Reimer in Berlin durch schöne, elegant ausgestattete und jeder Form des Lehrzweckes angepasste Globen vorteilhaft bekannt gemacht. Spezialitäten sind mehrfach neu hinzugetreten, so die „Reliefgloben", der von Brandegger in Ellwangen konstruierte „Induktionsglobus", der „Pneumatische Globus" von J. L. Grimm, der „Kosmoglobus" und das „Georama"; 1912-13 Pan III 574 Namentlich ein großer Globus, der im Zimmer stand und seine liebe teure Mutter Erde darstellte, gab ihm eine Menge Gelegenheit zu astrologischen Viechereien; Klemperer 1926 Tagebücher 171 Bl[umenfeld]s schenkten uns einen schönen Globus; Münch. N. N. 5. 6. 1941 Zwar wird der Atlas seine Bedeutung behalten, doch wird neben ihm der Globus häufiger benutzt werden als bisher. Die Globushersteller haben sich der zu erwartenden Nachfrage schon angepaßt; Neues Deutschi. 25. 12. 1959 Und wer in den USA wissen will, wie die Mondrückseite aussieht, wird nach wie vor auf den sowjetischen Mondglobus zurückgreifen müssen; Pantenburg 1971 Porträt o. S. bis zu unseren heutigen Landkarten, Erdkarten und Globen, die das Bild unseres Planeten in kaum noch zu überbietender Präzision widerspiegeln; Lenz 1985 Exerzierplatz (W. X 163) um viele Dinge hatte sie Schleifen gebunden, . . um ein Photo von Dorothea, um eine Vase, um den Fuß eines Globus, den sie vom Chef zu Weihnachten bekommen hatte; taz 2. 12, 1989 Die Ausstellung präsentiert Erdgloben, Mondgloben, Himmelsgloben, Planisphären, Planetarien &C Tellurien. Darum herum sind zeitgenössische Dokumente . . angeordnet, die die Wechselwirkungen zwischen Globusherstellung & wissenschaftlichen Errungenschaften verdeutlichen; 1995 FAZ o. Nr. Der seltene Globus, von dem bisher nur zwei Exemplare bekannt waren, stieg von 7200 auf 16000 Mark und gelangte in eine Berliner Privatsammlung; Berl. Ztg. 17.7.2001 Im Münchener Büro des Meteorologen steht ein Globus,
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auf dem keine Ländergrenzen, aber Symbole zu sehen sind, etwa für Überschwemmungen in Bangladesch oder für Hurrikane in Florida. Globograph: Fiorini 1895 Erd- u. Himmelsgloben 126 Von den für diese berühmte geographische Firma thätig gewesenen oder noch thätigen Globographen sind insbesondere Kiepert und Adami zu nennen. Globographie: Genius 1933 Fremdwb. 368 Globographie, f. (von gr. gräphein, schreiben) Anfertigung und Zeichnung eines Globus; 1952 ff. Der Globusfreund. Wissenschaftliche Zeitschrift für Globographie und Instrumentenkunde (Titel); 1972 Mitt. Bibliothekswesen X 145 Es wurden 22 Referate zur Geschichte der Kartographie und Globographie gehalten. Globus b: Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 209 in der mitten ist der globus der erden als Asia, Aphrica, Europa und America von erden mit grass bedeckht, so artlich mit iren flüssen und dem meer zuegericht, als obs ainer in ainer mappa oder landtafl sähe; Thurneysser 1583 Onomasticum 11 Vorr. o. S. Ja das auch so ein vnzehlicher vberfluß der Wassern/ welche sich nach solchen grossem vnd vnermeßlichem Globo/ vnd seinen daran verordneten Gliedern (fürnemlich aber des Meers/ im ab vnd zufliessen) ewig richten/ stettigs von jhren vrsprung außfliesen/ vnd doch des nachfolgens kein endschafft haben; Hirsch 1662 Kirchers Musurgia (Übers.) 370 der Sonnen globus, wie er mitten in der Welt stehet/ also herrschet und regieret er alles/ . . der Veneris globus, ist ein gütiger und schöner Planet; Butschky 1679 Rosenthal 817 gleichwie der magnet nichts nach sich zeucht, als was mit ihm eine gleiche artung hat, nemlich das eisen, also bewegt . . der merkurialische oder ein andrer Sternglobus nur allein dasjenige, wozu seine kraft etwas vermag (DWB); Hübner 1743 Fragen a. d. Geogr. 928 Wenn man von einem Polo zum ändern reisen wolte, so würde gleich mitten auf dem Globo der halbe Weg seyn; Thümmel 1791 Reise 111 8 von allen globen, die uns licht/ und ebb und flut und tag und nacht gewähren,/ kannt er [Newton] den lauf und das gewicht (DWB); Kant 1797 Metaphysik d. Sitten (W. VIII 476) daß Übel und Gewalttätigkeit, an einem Orte unseres Globs, an allen gefühlt wird (DiBi 2); Kohl 1841 Petersburg I 4 das gewaltige Winterpalais, in dessen einer Ecke der kolossale Mann thront, . . dessen Namen auf der einen Hälfte unseres Globus der gepriesenste und gefürchtetste von allen ist; Schlözer 1843 Jugendbr. 26 Ich fange jetzt eine geographisch-geschichtliche Arbeit an und habe sie schon mit der
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größten Autorität auf unserem Globus besprochen. Das ist ein einziger Mann!; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 331 Dagegen wird von der Theosophie . . behauptet, alle sieben Rassen seien zu gleicher Zeit von einem ändern Globus her auf dieser Erde erschienen; Rilke 1913 Buch d. Bilder (S. W. I 457) Vergaß ich denn, daß Stern bei Stern versteint/ und sich verschließt gegen die Nachbargloben? (DiBi 1); Dombrowski 1920 System III 208 Theodor Wolff gab . . der Zeitung durch . . seinen politischen Weitblick und durch einen über den ganzen Globus ausgebreiteten Nachrichtendienst den Charakter eines Weltblattes; Dotninik 1939 Land 5 Sie wollen die neueste Type Ihrer Stratosphärenflugzeuge noch auf Nonstop-Flügen um unsern alten Globus herum erproben . .?; Süddtsch. Ztg. 26. 8. 1955 und freuen wir uns des Bewußtseins, daß man so blitzschnell um den alten Globus sausen kann; jaspers 1958 Atombombe 145 Daher ist Voraussetzung des Nachdenkens eine Kunde von dem gegenwärtigen Zustand der Völker und Staaten, von dem gesamten, durch Menschen besiedelten und geformten Globus; Welt 30. 12. 1974 dem greisen Kaiser Haile Selassie im benachbarten Addis Abeba versicherte der Besucher aus Paris damals, daß Frankreich in dieser Wetterecke des Globus bleiben werde; Mannh. Morgen 12. 3. 1985 Der Bestand des Globus hängt indessen von der Funktionsfähigkeit der beiden Staaten ab, die das Gleichgewicht regulieren, jene Feineinstellung schrecklicher Gerätschaften, die sich Frieden nennt; Spiegel 18. 1. 1993 52 bewaffnete Konflikte rund um den Globus forderten 1992 etwa eine halbe Million Menschenleben; Frankf. Rundsch. 19. 3. 1999 Es ist zwar überall auf der Welt Usus geworden, daß . . grenzüberschreitende, ja globusumspannende Subventionswettläufe den marktwirtschaftlichen Wettbewerb untergraben; Berl. Ztg. 17.3.2003 Eine atypische Lungenentzündung, der bereits neun Menschen zum Opfer fielen, breitet sich in Windeseile von Asien über den ganzen Globus aus. globusweit: Presse 1. 9. 1994 Ganz nach dem Motto „gut ist nur, wer Weltruhm genießt", öffnet heute . . gleich die nächste Schule eines globusweit anerkannten Trainer-Gurus; Berl. Ztg. 7. 6. 2002 Sie hat nichts von den deutschen Mannschaften, die sich globusweit immer so unbeliebt gemacht haben mit diesen nüchtern erfochtenen Siegen. globisch: Metsel-Hess 1911 Intellekt. 409 Die bewegenden Probleme der Welt galt es, nach dem Standpunkt internationaler Kenntnis, zu sichten. Auf dem Gebiete der sozialen Gestaltung, der Organisation der Völker . . galt es, zu wirken. Und im Mittelpunkt der ganzen, globischen Zentralisation
stand ein Komitee zur Erforschung der Gesetze der Deszendenz und der Variation (DiBi 45); HausenStein 1920 Exoten 13 [das der] Kunst zugleich entsprossene Verlangen des Malers nach der Einheit alles Schönen, nach dem Globischen aller Form wurde gesättigt. in globo: Joh. v. Müller vor 1809 (S. W. VII 164) Die östreichische Censur will meine Bücher per solidum und in globo verbieten (SANDERS 1871); Burckhardt 1881 Er. an Preen 171 wenn nicht die Moralität des [italien.] Volkes in globo viel besser wäre als die Regierung; Züricher Tagesanz. 1. 9. 1997 Trainer Gross lobte die Mannschaft in globo, weil er keinen einzelnen herausheben wollte; St. Galler Tagbl. 12.5.1998 Die [Anfragen] nämlich, ob man die verbleibenden Vorstandsmitglieder nun „in globo" wählen solle oder vielleicht doch einzeln. Globus c: Simon Jacob 1565 Rechnung 326h Deren [regelmäßige Körper] erstes ist eine ronde Kugel, sonst Sphera oder Globus genannt (SCHIRMER, Mathematik); Schickhart v. Herrenberg 1602 Beschreib, einer reiß 97 jtem ein globus wird durch das wasser umbgetrieben (DWB); 1607 Theatrum machin. I 7 alsz zum ersten ein globus oder recht runde kugel, die werde bewegt, auff was weise es nur jmmer geschehen möge, so erscheinet sie den sinnen allezeit in einerlei gestalt (DWB); 1695 Teutsch-Redender Vauban I 33 XV. Auffgab. Eines Globi oder runden Kugels Superficiem convexam finden; Marperger 1711 Beschr. d. Messen II 192 sollen sie [Konsul und seine Räte] in allen Actibus publicis .. sich eines globi (die Welt-Kugel bedeutend) auf welcher unterschiedliche Ballen Kauffmanns-Güter gezeichnet seyn/ . . zum Sigill gebrauchen können; Wieland 1783 Aeropetomanie (S. W. XXX 35,) Berechnungen . ., wovon das Resultat war: daß ein Globus von 24 Fuß im Durchmesser mit 75 Pfund Gas geladen sich 5000 Klafter hoch erheben müßte; Jean Paul 1801 Luftschiffer (W. I 3,945) nie hingegen, nie blies ich ein armes dummes Herz mit Äther auf und ließ den Globen an meinem Faden bald hoch, bald niedrig fliegen (DiBi 1); vor 1871 Gartenlaube XV 734b In mattgeschliffnen Glasgloben brennende Flammen (SANDERS 1871); Bierbaum vor 1910 Pandora (Ges. W. I 205) Ach, und welch Enrzücken darf ich fühlen,/ Sieht mein Äug den Glanz der blonden Haare,/ Wie sie von der Stirn im schönsten Bogen,/ Aber wellig, hintenüber fallen/ Und hinab den Rücken fließen bis zum/ Wohlig rundlichen Geschwisterpaare/ Zweier ganz vollkommnen Hemigloben (DiBi 75); Lenz 1975 W. XIX 521 Wenn er [Pablo Neruda] sich an Ceylon erinnert: „. . Die Männer förderten gewalttätig-bunte Fische zutage,
Glorie . . die einen dunkelblau schillernd wie lebender Samt, andere in Form eines stacheligen Globus, der schrumpfte, bis er nur noch ein jämmerliches Stachelsäckchen war."; Zeh 6. 9. 1985 Globus. Sittsamer Ausdruck zur Umschreibung der weiblichen Brüste. „Lassen Sie mich Ihre anbetungswürdigen Globen küssen"; 1993 FAZ o. Nr. Ich . . verlasse die Brasseric. Sie heißt Galaxie, ein Name, der besser zu einem Flughafen-Cafe passen würde, aber abends leuchten ihre Lampengloben aus Milchglas schön und unnahbar wie Gestirne; St. Galler Tagbl. 9. 12. 1997 Einzig ein Plastikglobus liegt im Wasser: Das Gala-Publikum wartet gespannt auf die Darbietungen der Synchronschwimmerinnen. globisch: Zelter vor 1832 (Castle 1926 Geist 380) Ich hätte Dir die Strophen jedes Mal gern zehnmal wiederholt und glühe immerfort davon, ja ich habe es, ohne ein Wort davon behalten zu haben, so ganz rund und globisch in mich aufgenommen, daß ich zeitlebens davon zu zehren haben werde; Klein 1876 Gesch. d. Dramas XII 62 Die höchsten Gebirge beeinträchtigen die sphärische Gestalt der Erde so wenig, wie die Knötchen des Gallapfels dessen globische Form verunglimpfen. globular/globular: Goethe 1809 Farbenlehre (WA U 4,38) Durch Descartes und andre, welche zu mechanischen Erklärungsarten geneigt waren, kam bei'm Lichte . . das in mechanischen Fällen übrigens ganz brauchbare Beispiel vom Ballschlag zur Sprache. Weil nun der geschlagene Ball sich nicht in gerader Linie sondern in einer krummen bewegt, so konnte man nach jener globularen Vorstellungsart denken, das Licht erhalte bei der Refraction einen solchen Schub; Heyse 1838 Fremdwb. I 456 Globular-Taktik, . . die Feuer-Kriegskunst; A. v. Humboldt 1845 Kosmos I 363 Blitze in Form von
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Feuerkugeln. Wenn die [anderen Blitze] kaum l/ 1000 der Sccunde dauern, so bewegen sich dagegen die globularen Blitze weit langsamer; Genius 1933 Fremdwb. 368 globular, in Gestalt kleiner Kugeln; Krgspr. Geschützkugeln oder den Gebrauch der Feuerwaffen betreffend; Pschyrembel 2002 Klin. Wb. 607 Globuline . . globuläre Proteine, die in vielen tier. u. pflanz!. Zellen sowie in Körperflüssigkeitcn vorkommen. globos/globös: Heyse 1838 Fremdwb. l 456 globos . . kugelförmig, kugelig, aus Kügelchen bestehend; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 321 globos . . kugelrund, kugelförmig; Genius 1933 Fremdwb. 368 globos . , kugelig, kugelförmig; aus Kugeln bestehend. Globosität: Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 321 Globosität, die . . kugelrunde Gestalt, Kugelgestalt; Sanders 1871 Fremdwb. l 444 Globosität, . . Kugligkeit, Kugelform; Günther 1879 Geographie 8 etwas ganz Anderes ist es, philosophisch die für oder gegen die Globosität der Erde gültigen Gründe abzuwägen und sich für die eine oder andere Lehrmeinung zu entscheiden; Genius 1933 Fremdwb. 368 Globosität, . . Kugeligkeit, Kugelgestalt. globulos/globulös: Goethe 1817 Br. (WA IV 28,166) Nun aber möcht ich Sie an den problematischen globulosen Sienit-Porphyr erinnern, von dem ich freilich eine genaue Beschreibung von Ihrer Meisterhand zu erhalten wünschte; Heyse 1838 Fremdwb. l 456 globulös, kugelförmig, kugelig, aus Kügelchen bestehend; Genius 1933 Fremdwb. 368 globulös, kugelig, kugelförmig; aus Kugeln bestehend.
Glorie F. (-; -n), im späteren 13. Jh. entlehnt aus lat. gloria '(Kriegs-)Ruhm, Ehre, Zierde; Ruhmestat, Ruhmestitel; Ruhmsucht, Ehrgeiz; Prunksucht, Prahlerei' (weitere Herkunft ungeklärt; eventuell < *gnoria 'Kunde' zu gnoscere 'kennen lernen, erkennen'; vgl. engl. glory, frz. gloire; —» glorifizieren, —> glorreich); anfangs (mhd.) in der (zweisilbigen) Form glörje/glörie, vom 15. bis Ende 17. Jh. überwiegend in der verkürzten Form glori, glory, daneben häufig in der lat. (flekt.) Form (s.u. Gloria). la Zunächst mit Bezug auf die religiöse Sphäre in der bis ins späte 17. Jh. vorherrschenden Bed. '(allein Gott, Jesus, Maria oder den Heiligen zukommender) himmlischer, göttlicher Ruhm, Ehre; (von Gläubigen dargebrachte) Lobpreisung, (feierliche) Ehrerbietung, Verehrung, Verherrlichung, Lob Gottes' (s. Belege um 1280, nach 1298.1, vor 1361.1, 1494, 16. Jh., um 1516, vor 1576, 17. Jh.l, 1621, 1711, 181516; —> Apotheose), v. a. in festen Verbindungen wie Ehre und Glorie des Herrn, Glorie und Freude Gottes und Wendungen wie überschwängliche Glorie, Lobgesänge zur höheren Glorie Gottes, die Glorie Gottes mehren, Gemälde zur Glorie der
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christlichen Religion; seit früherem 14. Jh. auch zur Kennzeichnung des göttlichen Wesens '(Gott innewohnende) himmlische/göttliche Herrlichkeit, Vollkommenheit Gottes (für die ihm Ruhm und Ehre gebühren); ewige Freude, (Glück-)Seligkeit, Gnade, ewiges Leben (der Frommen im Paradies); himmlische Verklärung, Verwandlung Christi' (s. Belege nach 1298.2, um 1300, 1343, vor 1361.2, 1475, 1478, um 1480, 1508, 1510, 1519, 1524, 1569, 1597, 17. Jh.2, 1615, 1633, 1669, 1671, 1683, 1708, 1772, 1825, 1855, 1879, 1912, 1950, 1995; -» Majestät), in Wendungen wie himmlische, ewige, vollkommene Glorie, die Glorie des Himmels/der Seligen, der Glorie des Schöpfers beiwohnen, die Glorie der Gottheit strahlt aus seinem Angesicht, in die himmlische Glorie aufgenommen werden, eingehen, die Krone der himmlischen Glorie erwerben/erlangen und Zss. wie Gottesglorie; auch verkürzt als Bestimmungswort Glori- in veralteten Zss. wie Gloriglanz, -Himmel, -leben, -reich, -thron. b Etwa gleichzeitig auf den profanen Bereich ausgedehnt in der Bed. 'weltlicher, menschlicher Ruhm, Ehre, Berühmtheit, höchstes (persönliches) Ansehen, Anerkennung, Geltung, Ehre/Ehrerbietung, -bezeugung, Verehrung, die bedeutende weltliche Personen (z. B. historische Persönlichkeiten, Monarchen, Potentaten, Feldherren, prominente Politiker, Künstler, Sportler u. Ä.) oder Sachverhalte (z. B. ruhmvolle Vergangenheit und Geschichte eines Volkes oder Landes, geschichtlich bedeutende Ereignisse, Epochen, Nationen, Kriege, Siege, Kunstwerke u. Ä.) genießen, die ihnen zukommt, entgegengebracht, zuteil wird' (s. Belege um 1270, nach 1330, 1462—65, 1478, 1537, 1717, 1737, 1741, 1758, 1761, 1784, 1863, 1952, 1985.2, 1995.1; —» Renommee, —» Reputation), gelegentlich (und meist unter Rückbezug auf die christliche Sphäre, vgl. la) mit tadelndem Beiklang '(bloß) weltliche Ehre, menschlicher (und daher vergänglicher, eitler) Ruhm' (s. Belege 1379-1471, 1510, 1577, 1710) und vereinzelt personifizierend (s. Beleg 1314); häufig, bes. im 15.716. Jh., in Verbindungen bzw. (synonymen) Doppel- und Mehrfachformeln wie Glorie und Ehre, Ruhm, Glorie und Ehre und in Wendungen wie ewige, unsterbliche, militärische Glorie, seine Glorie suchen, jmdm. an Glorie gleich stehen; daneben etwa gleichzeitig (gelegentlich unter Einfluss von 2b und 3) in der meist auf Personen bezogenen Bed. '(weltlicher, irdischer) Glanz, Herrlichkeit, Vollkommenheit, Hoheit, Verdienst, Würde, die jmdn. kennzeichnet und für die ihm Ruhm und Ehrerbietung zustehen; (weithin strahlende) irdische Macht(-fülle), die jmd. besitzt, positive, glänzende Ausstrahlung, die von ihm ausgeht; die höchste zu erreichende Stufe, das höchste erreichbare Ziel, triumphaler Sieg, Höhepunkt (des Ruhmes, Erfolges, einer Entwicklung, Karriere O.A.); üppige, glanzvolle Pracht(-entfaltung), prunkvoller, pompöser Aufwand, den jmd. treibt 1 (s. Belege 1432, 1473, vor 1495, 1511, 1530, 1633, 1681, 1797, 1798, 1802, 1806, 1814, 1836, 1848, 1894, 1914, 1924, 1934, 1985.1, 1991, 1995.2, 2001; — Bravour, -* Glamour, -» Majestät, — Pomp); daneben in der aus dem etymologischen Nebensinn des Triumphalen entwickelten Bed. 'Freude, Hochgefühl, Triumph' (s. Belege 15. Jh., 1782, vor 1840), gelegentlich bildlich in Bezug auf Landschaften und Naturerscheinungen (s. Belege 1797—99, 1803, 1804) sowie vereinzelt in ironisch-satirischer Umkehrung abwertend verwendet (s. Belege 1781, 1826—27, 1892), in Mehrfachformeln wie (synonymem) Pomp und Glorie, Glorie und Magnifizenz, (weniger formelhaftem) Herrschaft, Reichtum und Glorie und v. a. der alliterierenden synonymen Doppelformel (voll) Glanz und Glorie sowie in Wendungen wie das Preußentum erscheint in seiner größten, höchsten
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Glorie, die sagenhafte Glorie versunkener Epochen umgibt den alten Turm, die Glorie des französischen Hofes, die alte/vergangene Glorie der friderizianischen Zeiten, jmdn. aller Glorie entkleiden, (formelhaft:) versunkene Epochen in all ihrer Glorie heraufbeschwören, der Frühling in all seiner Glorie und Pracht, in der ganzen Glorie der Vollendung, der Freiheit; als Bestimmungswort (selten) in der Form Glorie(n)in Zss. wie Gloriestab, -wappen, Glorienära, -rolle, -saga, -tag, -zeit und als Grundwort, alternierend mit -rühm und -glänz, in Zss. wie Führer-, Helden-, Historien-, Kaiser-, Pokal-, Staaten-, Tennis-, Theater-, Vereinigungsglorie. 2a Seit frühem 15. Jh. im religiösen Kontext als Bezeichnung für den in christlicher Vorstellung von einer heiligen oder göttlichen Person ausgehenden sichtbaren, überirdischen Glanz, leuchtenden Lichtschein, den visuell greifbaren (und in der bildenden Kunst dargestellten) Ausdruck der heiligen Flamme, des heiligen Lichts als Versinnbildlichung der himmlischen Herrlichkeit und Verherrlichung Gottes, in Bezug auf die künstlerische Darstellung auch speziell für 'Abbildung des offenen Himmels (Coelum Empyreum) mit der Darstellung Christi oder Marias, umgeben von Engeln und Heiligen' (s. Belege 1741, 1816, 1846, vor 1862); daneben zunehmend eingeengt, v. a. im Zusammenhang mit der optischen Realisierung des göttlichen Lichts in der religiösen Bildkunst, auf die Bed. 'strahlender Lichtschein, der Scheiben-, ring- oder kreuzförmig die Köpfe göttlicher Gestalten und verklärter Heiliger (auf Gemälden oder an plastischen Figuren) umgibt' (s. Belege 1879, 1936; —»· Korona, vgl. Aureole 'um den Kopf/die Gestalt herum angeordneter Strahlenkranz', Mandorla 'mandelförmig um den Kopf/die Gestalt herum angeordneter Strahlenkranz', —> Nimbus 'hinter dem Haupt angeordneter Strahlenkranz'; s.u. Gloriole), z.B. mit einer schönvergoldeten Glorie, in überirdischer Glorie, die Glorie um die Häupter der Heiligen, Christus/Madonna in der Glorie, in der/einer Glorie herabsteigen/auffahren/sitzen, auch bildlich vergleichend (mit Übergängen zu 2b und 3) auf nichtchristliche Personen(-gruppen), Landschafts- und Naturphänomene u. Ä. ausgedehnt (s. Belege 1771, 1784, 1790, 1794, 1811, 1834, 1853, 1864, vor 1865, 1868), z.B. eine Glorie von blonden Locken umgibt sein Gesicht; als Grundwort in Zss. wie Cherubs-, Himmels-, Strahlenglorie, als Bestimmungswort in der Form Glorien- in oft (auch von 3 her) bildlich gebrauchten Zss. wie Glorienbild, -bogen, -diadem, -gemälde, -gestalt, -glänz und v. a. Glorienschein 'Heiligenschein; verklärender Schein; Nimbus', in Wendungen wie mit dem Glorienschein der Schönheit umgeben, jmds. Glorienschein strahlt, leuchtet ungetrübt, verliert an Leuchtkraft, verblasst, gelegentlich auch ironisch (s. Beleg 1844) und abwertend im Sinne von 'verbrämender, verschleiernder Deckmantel; Euphemismus' (s. Belege 1944, 1975), z.B. demokratischer Glorienschein, unter dem Glorienschein edler Fairness. b Von daher seit späterem 18. Jh. in Bezug auf die weltliche Sphäre (vgl. Ib und oft nicht deutlich von 2a zu unterscheiden) unter Wahrung der optischen Vorstellbarkeit (ähnlich wie Gloriole, s. u., und Glorienschein, s. o. 2a) übertragen verwendet im Sinne von '(Ruhm und Herrlichkeit widerspiegelnder) Glanz, Leuchten, eine Art (Strahlen-)Krone/-Kranz, der jmdn./etwas (wie mit einem Heiligenschein, einer Gloriole) quasi sichtbar umgibt, besondere, positive Ausstrahlung' (s. Belege 1814, 1839, 1850-51, 1863, 1871, 1886, 1917, 1929, 1936; -+ Aura, -> Atmosphäre, —> Charisma b, —»· Emanation Ib, —*· Fluidum, —»· Nimbus), z.B. mit der Glorie von Schönheit und Edelmut umgeben, ein von der Glorie der reinsten Unschuld verklärtes Antlitz, mit der unvergänglichen Glorie der Heldenhaftigkeit geschmückt, jmd./
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etwas erstrahlt in der Glorie der Freiheit, des Reichserretters, jmdn. seiner Glorie entkleiden, oft in der alliterierenden synonymen Doppelformel Glanz und Glorie. 3 Von daher seit späterem 18. Jh. erweitert auf den Bereich der Natur (-Wissenschaft) mit (oft poetisch-beschreibendem bis metaphorisch-umschreibendem) Bezug auf natürliche Lichterscheinungen (wohl in Anlehnung an 2a) in der bildungsspr. Bed. '(Ab-)Glanz (bes. der Sonne, der Morgen- und Abendröte, der Gestirne); (gleißendes, strahlendes) Licht, Lichtschein, -Schimmer' (vgl. Brillanz, —+ brillant, —> Korona, vgl. Polarlicht), in Wendungen wie die Sonne strahlt in voller Glorie, die Glorie des Sonnenuntergangs betrachten, die leuchtende Glorie einer Kerze und teils tautologischen Zss. wie Glorienantlitz/-gesicht (der Sonne), -bogen, -kränz, -lauf, -licht, -schein, -Schimmer, -sonne, -strahl; Abend-, Licht-, Strahlenglorie; in neuerer Zeit als Fachwort der atmosphärischen Optik präzisiert auf 'aus hellen, farbigen Ringen bestehende, durch reflektierende Wassertröpfchen oder Eiskristalle hervorgerufene optische Erscheinung in der Atmosphäre um die Schatten von Flugzeugen oder Ballons auf der Oberfläche von Wolken oder Nebelwänden bei niedrigem Sonnenstand' (s. Beleg 1989; vgl. auch Beleg 1784). Dazu seit spätem 12./frühem 13. Jh., weitgehend gleichbed. mit und zunehmend verdrängt durch —» glorifizieren, die auf lat. gloriari 'rühmen, ehren, (lob-)preisen; sich einer Sache rühmen, mit etwas prahlen, sich viel auf etwas zugute halten, in etwas seinen Ruhm setzen; großtun; (ruhmreich) herrschen' zurückgehende, dreisilbigem Glorie entsprechende verbale Ableitung gloriieren V. (in)trans., gelegentlich auch V. reflex., früher überwiegend glorieren, auch glorir(e)n, gloryer(e)n und daneben glor(i)gieren, zunächst bis ins 18. Jh., vereinzelt bis heute im weltlichen Bereich als V. intrans. 'sich freuen, frohlocken, jubeln', meist eher abwertend (auch im religiösen Zusammenhang) für 'seinen (bloß weltlichen) Ruhm in jmdm./etwas suchen, sich einer Sache rühmen, (mit etwas) prunken, prahlen, großtun; mit lauter Stimme, großsprecherisch, -mäulig verkünden; große Worte machen, auftrumpfen; sich aufblasen, brüsten' (s. Belege vor 1361, 1475, 1510, 1516, 1521, 1532, 1541, vor 1576, 1628, 1681, 1709, 1723, 1773; vgl. bramarbasieren, —> Bramarbas, triumphieren), in Wendungen wie sie glorierten und waren froh, vor den Leuten glorieren, von seinem Adel/sich seines Adels glorieren, er gloriert damit, dass er nie daneben schießt, als V. trans, im positiven Sinne 'jmdn. rühmend preisen, ehren, verherrlichen' (s. Beleg 14.715. Jh.; vgl. honorieren, zelebrieren) (zu Ib), seit 14. Jh. im geistlichen Bereich '(Gott) preisen, ehren, verherrlichen; Gott Ehre erweisen, lobsingen; jauchzen, frohlocken', in Wendungen wie Maria vor dem Angesicht Gottes glorieren, Gott dem Allmächtigen glorieren, die Seele gloriert in Christo, mit dem im 15./l6. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Glorierung., Gloryrung (zu la), daneben im 15. Jh. vereinzelt im Sinne von 'in himmlischem Glanz, himmlischer Verklärung strahlen, glänzen' (zu 2a). Seit späterem 14. Jh., weitgehend gleichbed. mit —> glorreich, die auf lat. gloriosus 'ruhmvoll, rühmlich; ruhmsüchtig/-strebend, ehrgeizig; prahlerisch' zurückgehende adj. Ableitung glorios, im 17./18. Jh. unter (Neu-)Einfluss von gleichbed. frz. glorieux auch in den Formen glorios, glorieus und glorieux, zunächst selten im christlichen Bereich von Gott und den Heiligen 'herrlich, verklärt' (vgl. Maria/Mater gloriosa), im späteren 16. Jh. in der adv. Form gloriose vereinzelt auch ironisch verwendet (s. Beleg 1564—66) (zu la), seit früherem 17. Jh. meist im weltlichen Bereich in der v. a. im 18.719. Jh. im militärisch-patriotischen Zusammenhang auf
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(historische) Personen, ihr Wirken und ihre Taten bezogenen Bed. 'ehrwürdig, ruhmreich/rühmlich, berühmt, hervorragend; siegreich, heldenhaft; glanzvoll, herrlich, majestätisch, erhaben' (vgl. illuster, glamourös, —*· Glamour, bravourös, —> Bravour, —»· süperb, —» triumphal), auch 'stolz, selbstbewusst' (s. Belege 1699, 1920.1), z.B. einen gloriosen Sieg erringen, die gloriose Aufnahme Napoleons in Frankreich bei seiner Rückkehr aus Elba, der Auftritt der Großmacht Frankreich endete scheinbar mit einem gloriosen Erfolg, der wilde, gloriose Westen, sowie allgemeiner und abgeflacht als ugs. Modewort im Sinne von 'großartig, prachtvoll/prächtig, mächtig, eindrucksvoll' (s. Belege 1777, 1841.2, 1912, 1951.1, 1979, 2000.1, 2004.1; —»· eklatant, —+ famos, —* fulminant, —* grandios, —> spektakulär), bes. bezogen auf visuelle Eindrücke und Ansichten (von Städten, Gebäuden, Landschaften u. Ä.) (s. Belege 1822, 1841.1, 1843, 1882, 1910, 1920.2), selten auch 'erfreulich; erfreut, freudig' (s. Belege 1821 — 31, 1895), in Wendungen wie eine gloriose Überraschung, Neuigkeit, ein glorioser Bursche, es bot sich ein glorioses Schauspiel, er hatte einen gloriosen Auftritt/Abgang, die gloriosen Errungenschaften, Chavez feiert sich als gloriosen Sieger, jmdm. zu einem gloriosen Comeback verhelfen, die Wahl wurde mit einer gloriosen Zwei-Drittel-Mehrheit gewonnen, das gloriose Finale (nach ital. finale glorioso), gelegentlich in ironischer Übertreibung (s. Belege 1799, 1844, 1860.1, 1884—85, 2004.2) und abwertend 'zu selbstbewusst, siegessicher, auftrumpfend, eitel; großspurig, -sprecherisch; aufdringlich, laut, protzig' (s. Belege 1810, 1854, 1951.2, 1996; vgl. bombastisch, pompös], z.B. ein glorioser Reinfall, seine Amtszeit, die so glorios begonnen hatte, endete in einem Fiasko, mit dazugehörigem, seit frühem 20. Jh. belegtem Gloriosität F. (-; -en) 'Selbstbewußtsein; Überheblichkeit, Großspurigkeit 1 (s. Beleg 1920) bzw. 'Herrlichkeit, Großartigkeit; Glanz' (s. Belege 1993, 1997.1, 1997.2) (zu Ib). Dazu seit Ende 18. Jh. die formal auf lat. gloriola (Verkleinerungsform von gloria 'Ruhm', also eigentlich 'kleiner, unbedeutender Ruhm; Ehrenpöstchen'; vgl. engl. gloriole 'Heiligenschein; Aureole', vgl. dagegen frz. gloriole 'eitler Ruhm, Eitelkeit, Stolz; Ruhmsucht') zurückgehende, wohl im Bereich der (religiösen) Malerei aufgekommene subst. Ableitung Gloriole F. (-; -n) 'Heiligen-, Glorienschein, Strahlenkranz um den Kopf der Heiligen (in der christlichen Vorstellung und deren künstlerischer Umsetzung)', z. B. das Haupt der Heiligen ist mit einer Gloriole unterlegt, der von einer leuchtenden Gloriole umgebene Asketenkörper mit der Dulderpose; Engels-, Gold-, Götter-, Holz-, Lack-, Strahlen-, Verklärungsgloriole; Gloriolenschein; gloriolengekrönt, -gleich, auch bildlich (s. Belege 2002.1, 2003.2), z. B. LockenkopfGloriole (zu 2a), meist als (aus 2a und mit Anklängen an la und b) verselbständigte Metapher, oft unter mehr oder weniger, im Kontext entsprechend explizierter Wahrung der zugrundeliegenden optisch-gegenständlichen Vorstellung auf den weltlichen Bereich übertragen für 'weithin strahlender Ruf, Leumund, der jmdm. vorauseilt, Lob und Preis, der ihm wegen seiner Verdienste wie eine Ruhmeskrone zusteht, wie ein Ehrenkranz gleichsam gewunden/geflochten wird' (s. Belege 1784, 1858, 1934, 1985.1, 1992, 1996, 2001, 2003, 2005; —· Meriten), auch 'Atmosphäre des Glanzes, der Schönheit, die jmdn./etwas (wie ein Heiligenschein) umgibt, ihn umrankt, begleitet, in der er erscheint' (s. Beleg 1956; —* Aura, —» Fluidum, —> Nimbus), z.B. die weithin strahlende Gloriole des Ruhmes, die verblassende Gloriole der Befreier, die Gloriole der Romantik umgibt die Pariser Boheme, die Gloriole um den 17. Juni 1953, sich mit der Gloriole der Tugend schmücken, die Wohlerzogenheit webt eine
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Art Gloriole um ihr Haupt, London in der Gloriole des großen Beschützers der Schwachen und Kleinen, die Staatengemeinschaft versieht Mandela mit der Gloriole des Retters; Leidens-, Alters-, Einsamkeits-, Kunst-/Künstler-, Hakenkreuz-, Macht-, Märtyrer-, Preußen-, Sagen-, Schlachten-, Schmerzgloriole, EU-, Ewigkeits-, Konsum-, Pazifismus-, Widerstands-Gloriole (zu 2b), vereinzelt (z.T. nicht deutlich zu unterscheiden von 2a) auf natürliche Gegenstände und (optische Licht-)Erscheinungen bezogen, z.B. Licht-, Regenbogengloriole (zu 3). Daneben seit Ende 13./Anfang 14. Jh. die bis heute seltenere lat. (flekt.) Nebenform Gloria N. (-s; -s), auch F. (-; -s) (s. Beleg 1683), zunächst im profanen, im Laufe des 18. und insbes. 19. Jhs. zunehmend militärisch-patriotischen Kontext für '(Kriegs-) Ruhm; irdische Macht, Glanz, Herrlichkeit' (·—»· Triumph), z.B. Rückbesinnung auf Deutschlands Gloria, von daher dann auch kritisch-ironisch für 'hohler, oberflächlicher Prunk, Prahlerei' (s. Beleg 1987; —»· Pathos, —» Pomp), z.B. die Gloria des kleinen Mannes; Gloriafetzen (spöttisch für 'Fahne'), speziell in triumphierenden Ausrufen und patriotischen (Marsch-)Liedtexten (bes. im Ersten Weltkrieg) wie Preußens Gloria! 'Preußens ruhmreicher Glanz', Gloria victoria, mit Herz und Hand fürs Vaterland!, in ugs. lautspielerischen (studentenspr.) Liedkehrreimen, Sprichwörtern u.Ä. (s. Belege 16./17. Jh., 1531, 1604, 1844-45), z.B. glim, glam, gloriam/ der Esel hat ein' Chorrock an!, so leben wir in glimper gloria!, gling, glang, gloria! und in redensartlichen (Verstärkungs-)Formeln wie (mit) Pomp/Glanz und Gloria 'triumphal', ironisch abwertend auch er ist mit Glanz und Gloria ('unrühmlich, schmählich; ganz und gar') durch das Examen gefallen, darauf hereingefallen (vgl. mit Pauken und Trompeten) (zu Ib), selten übertragen auf visuelle Erfahrung von Landschaften, Naturwundern o. Ä. (zu 3); seit früherem 14. Jh. mit religiösem Bezug 'Lob, Ehre, Ruhm Gottes; göttlicher Glanz, Herrlichkeit', speziell für 'Lob- und Bittgesang während des Gottesdienstes im Anschluss an die Psalmen (nach dem Anfangswort des Liedtextes „Gloria in excelsis deo") (s. Belege 1334—39, um 1430, 1471, 1880; —»· Hallelujah, —>· Hymne, vgl. Tedeum), z.B. das/ein Gloria singen, ein festliches, strahlendes, donnerndes Gloria; Gloria-Engel 'der über dem Stall zu Bethlehem schwebende, die frohe Botschaft der Geburt Christi überbringende, Gloria singende Engel der Verkündigung', auch allgemeiner und in dichterischer Übertragung für 'Lob/Preis(-gesang), Würdigung' (s. Belege 1797, 1849, 1855, 1896, 1967) (zu la). Glorie la: Konrad v. Würzburg um 1280 Schmiede 836 vil Wunders hat ze sprechene/ von dir [Maria] diu wäre ystörje./ wer möhte dine glörje/ entfliezen gar und dinen pris?; nach 1298 Salden Hort 1296 in der hohsten ierachie [!]/ si got lob und glorie! (DWB); ebd. 10001 nu sagt, müste nit liden Crist/ daz von im gescriben ist,/ und so gant [Infinitiv] in sin glörje? (DWB); Heinrich v. Hesler um 1300 Apokal. 7387 daz her der ansieht sich sal säten/ der grozen glorien mines vater [Gottes] (DWB); Beheim 1343 Evangelienb. 96 Und si sprächin: „Gip uns daz wir sitzen einer zu diner rechtin hant, und der andere zu diner linken hant in diner glorien."; Tauler vor 1361 Predigten (DTM XI 48) dan alleine der ere und der glorie gottes begeren (DWB); ebd. XI 329 dar über ist
denne ein ungeschaffen Hecht: das heisset man das liecht der glorien. das ist ein gotlich liecht und das ist got selber (DWB); 1475 Dtsch. Bibel (Kurrelmeyer l 120) idoch der der do gibt die merung der genaden hie in der zeyt vnd der glorien in ewigkeit der ist gott; Niclas v. Wyle 1478 Transl. 125 daselbs sy . . mit vntödemlicher wate beklaidet, mit sampt ändern seligen gaisten, bywonet der glory des ewigen Schöpfers; Folz um 1480 Meisterlieder 391 von den die do sint in dem standt der glori in dem ewigen leben; 1493 Volksb. v. Doctor Faust 173 wolte ich mich biegen gegen gott, darmit ich . . wüste, daß ich nach meinem absterben die ewige frewde, glori und herrligkeit erlangte; Geiler v. Kaysersberg 1494 Pilger (S. W. I 55) gib got die er und sprich got allein gehen die dasig glori und er
Glorie czu; 16. Jh. (Wackernagel 1867 Kirchenlied 111 80) mensch, dein zung mit gsang soll geben/ glory diesem sacrament (DWB); Geiler v. Kaysersberg 1508 Dtsch. Pred. (S. W. II 96) so geet uff im hertzen ain Bewegung hailiger begird oder gelustes/ kommpt auß Betrachtung der gütlichen hübschait und des überschwancks der hymelischen glori/ zu deren (sy zu sehen unnd tzu habenn) der mensch mitt allen seine krefften flehtet; ders. 1510 Seelenparadies (S. W. Ill 113) Christus der herr must liden/ und also eingon in sein glory; um 1516 Gengenbach 208 o wie wenig haben sy betracht, das die eer und glory allein got zugehört (DWB); Luther 1519 (WA VI 21) das wir in diser mainung bitten sollen selig zuwerden, . . Nit darumb, das es uns wol gee, sunder das der nam und die eer und glori got des herren gebreyßt und gemeert werd; ders. 1524 (WA XV 725) als dann wirts sein ein reych der glorien und volkomenen Seligkeit; 1569 Amadis (BLV XL 433) daß sie [rechtmäßig erworbene große Herrschaften und Reichtümer] nicht allein hie zeitlich in dieser Welt, ruhe, frewd vnd gefallen bringen, sonder auch den weg zu der Ewigen Seligkeyt, Glory vnd herrligkeit anrichten vnnd bereyten; Sachs vor 1576 W. I 160 also habt ir die gantz histori/ vernummen, die zu gottes glori/ wol dient (DWB); Peschel 1597 Garten-Ordn. Sb Der liebe Gott gebe das wir alle zur selben Zeit . . die Krön vnd glori der ewigen Himlischen frewde/ im Himlischen Paradeiß erlangen mögen; Fischer-Tümpel 17. ]h. Kirchenlied II 474 glori, lob, ehr und herrligkeit,/ preiß, rühm und danck in ewigkeit (DWB); ebd. IV 301 weil du (Christus) den segen wiederbracht,/ mit majestät und großer macht/ zur glory bist erhoben (DWB); Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 418 wann etwan einer selig wirdt/ vnnd in die Glori eingehet/ alsdann die Engel zu einander sprechen: Laetamini in Domino; Rot 1621 Panis 24 Entweder ist Gott gar vermässen,/ Oder het der Juden ganz vergässen;/ Ja siner Ehr und Glori auch,/ Daß er nit stirzt in hellsehen Rauch/ Das ful verfluchte Christengsind; 1633 Relationen Lützen (Droysen I 37) welcher gestalt der allerchristlichste, glorwürdigste Held .. die Cron der himmlischen Glori vnd ewigen Seligkeit siegreich jm erworben hat; Grimmeishausen 1669 Simpl. (Keller) II 688 der allmächtigste .., dessen großmächtige, unaußsprechliche glory, herrlichkeit und allerheiligste Vollkommenheit weder der engeln noch menschen verstand begreiffen mag (DWB); Pomey 1671 Indiculus unit/. 400 Gloria coelestis — Die Glori/ ewige Freude; Weise 1677 Polit. Redner 257 ich gott . . anruffe, daß derselbe .. alle dessen gesegnete arbeit . . zu dessen ewiger glorie und Seligkeit . . dirigiren wolle; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 35 Wie der Heyland auff dem Berg Thabor mit den dreyen
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Aposteln gestigen, vnd ihnen allda ein Copey vnd Abriß seiner Glory gezeigt, wurde Petrus von der überschwencklichen Glory also eingenohmen, daß er vor lauter Freuden vnbedachtsam auffgeschryen; Prambhofer 1708 Hönig-Fl. 128 So viel Millionen der Märtyrer im neuen Testament haben gelitten/ er noch mehr. . . und solches hat er müssen leyden/ und also eingehen in sein Glory; Abr. a S. Clara 1711 Etwas f. alle II 139 dieb seynd sie, weil sie gott die ehr und glory . . vermessentlich abstehlen (DWB); ders. 1737 Bescheid-Essen 11 wie dann Christus denen zwey Jüngern auf Emmaus vorgeworffen, ob sie dann nicht wissen, daß man mit und durch das Leyden, kommt in die Glori und Freuden; Ramler 1772 Lyr. Ged. 365 seht, wie von seinem angesicht/ die glorie der gottheit strahlt (DWB); E. T. A. Hoffmann 1815-16 Elixiere (Poet. W. II 297) Manchmal kam es ihm in den Sinn, als müsse er zur Glorie der christlichen Religion herrliche Gemälde ausführen (DiBi 125); Matthisson 1825 Sehr. IV 179 erstere jubiliren in der glorie des paradieses und letztere flackern . . im schwefelpfuhle des höllenreichs (DWB); Platen vor 1835 W. I 382 um Gottes eigne Glorie zu schweben/ vermag die Kunst allein und darf es wagen (DiBi 125); Seyffarth 1855 Paris 258 alle Symbole der Trennung und des Wiedersehens, irdischer Vergänglichkeit und himmlischer Glorie; Fontäne 1879 Grete Minde (Romane u. Erz. Ill 21) Aber draußen in der Welt . ., da wagt sich die Kunst an alles Höchste und Heiligste, und sie haben fromme und berühmte Meister, die nie andres gedacht und gedichtet und gemalt und gemeißelt haben als die Glorie des Himmels und die Schrecknisse der Hölle (DiBi 125); Rilke 1899 Gesch. v. heben Gott (S. W. IV 344 f.) Hat er das Meer gesehen oder Gott, den Ewigen, in seiner Glorie? (DiBi 125); Christ 1912 Erinn. (W. 35) Lebhaft erinnere ich mich noch an die Schlußworte einer Predigt, die er am Christi Himmelfahrtstage hielt, und wie er, nachdem er die Freuden im Himmel und die Glorie der Seligen geschildert hatte, mit lauter Stimme rief (DiBi 125); Tb. Mann 1950 Reden u. Aufs. (W. IX 784) Denn arm und elend ist er hienieden und glaubt, ein überzeugter Christ, an die Berufenheit des Leidens zur Glorie . . Im Himmel; Salzb. Nachr. 12.4.1995 Mit diesem bemalten Leinentuch war während der Fastenzeit ein Altar verhängt worden, da — gemäß der mittelalterlichen Vorstellung — der Büßer unwürdig sei, die Glorie Gottes zu sehen; Bert. Ztg. 9. 4. 2001 Schlee spielte am Freitag in einem . . Konzert an der Orgel des Konzerthauses unter dem Motto „Kreuz und Glorie" einzelne Stücke aus Messiaens Orgelzyklen. Die Glorie überwog erwartungsgemäß. Gloria: 1334—39 Oberrhein. Chronik 14 gloria in excelsis; Volkslied 1414-18 (Liliencron I 239) her
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Glorie
in deim höchsten gloria/ ker das conzili in allem ding,/ daß man das wol nach lob volbring/ dir ewigen herren und got; Ulrich v. Richental um 1430 Konstanzer Konzil 126 Und sang man zway gloria in excelsis; Volkslied 1471 (Liliencron II 6) Man hörte dir zu lob erklingen/ gloria in der kirchen singen; Dietenberger 1526 Wider Luther H4a Gott wöl sie [die Lutherischen] etwan, mit irem Meister [Luther], auss dem Weingarten seiner Kirchen ausreüten, zu auffenthaltung seines glaubes [!] zu erstrecklung seiner ere vnd gloria; Paracelsus um 1530 W. U 5,170 Nun ist also auch, daß die ehr und gloria gottes ist über alle himel, das ist über alle himelische ehr; Spangenberg 1561 ]agteuffel L3b die himlische gloria vnd herrligkeit zuerjagen; Rollenhagen 1595 Froschmeuseler 178 Darum gingen wir umher prangen/ In der procession und sangen/ Gloria und hallelujah,/ Das unser feind tot lag alda; Dalhover 1689 Garten-Bethlein 60 O daß dise jetzt die Christi vnnd Creutzes Nachfolglinge/ mit auffgesperrten Munde belachen/ welche sie doch mit nechstem ansehen werden in gloria; Wackenroder 1797 Herzensergießungen 250 möcht ich einst mit lautem schalle . ./ ein erhabnes gloria/ dir und allen heiigen weihen (DWB); Wagner-Liszt 1849 Briefw. 115 Gestatten Sie es .. daß noch eine Stimme sich dem begeisterten Chor, welcher dem Autor jener zweifachen Dichtung des Tannhäuser ein „Gloria" singt, anschließe; Schleidan 1855 Studien 107 der muss mit blödem Ohr hineinlauschen in den Tempel der Schöpfung, der nicht überall die Klänge vernimmt, welche sich zum grossartigsten Gloria vereinigen. Aber unser Gott, dem dieses Gloria ertönt, ist nicht jener kümmerliche Maschinenmeister der Natur; Hartmann 1880 Volksschauspiele 383 ein engel singt das gloria (DWB); Liliencron 1896 Poggfred (XI 33) Dein gütig Herz! sang ich ihm Gloria; Rother 1928 Schles. Sprichw. 247 das klingt mehr nach gloria als nach kredo (DWB); 1932 Festgabe a. Vossler 57 Anm. Gloria in der Messe; Hocke 1967 Tagebücher 298 Aus dem Laster der Eitelkeit macht der Tagebuchschreiber vielfach eine Tugend. Das intime Miserere wird durch ebenso intime Glorias wettgemacht . . Kompensation des Elendsgefühls durch nur mehr eitle Selbstübersteigerung; 1970 Liturgische Institute o. S. er liest den Eröffnungsspruch und betet — der Meßordnung entsprechend — Kyrie und Gloria; Mannh. Morgen 16,1. 1988 mit festlichem Gloria in neue Klangepoche. . . Große „Bach"-Orgel an der Christuskirche im Bau (Überschr.) Das „Gloria in excelsis Deo" der Weihnachtszeit ist noch nicht ganz verklungen, da künden sich ähnliche freudige Töne von der nahen Christuskirche her an; taz 25. 5. 1992 Das Kyrie in der Missa Solemnis zieht sich wie Kaugummi in die Länge, dafür donnert danach das Gloria drein,
als ob es mehrere Reichsparteitage gleichzeitig zu feiern gelte; Mannh. Morgen 28. 12. 2001 mit dem strahlenden „Gloria, sei dir gesungen" zu Beginn der dritten Strophe. glor(i)ieren: 14. Jh. (Dtsch. Mystiker l 138) dar umme ist iz gut daz man glorijere in der gewalt gotis (DWB); 16. Jh. (Wackernagel 1867 Kirchenlied III 508) wöll wir mit gott glorieren/ und herschen im hymmelstron (DWB); Seitz 1516 Medizin. Sehr. (S. Sehr, l 88) Dodurch wir koment zu götlicher anschowung ewiger freüde/ darinn wir glorieren gott dem almechtigen yemer und ewiglich; Güttel 1521 Dialogus O2a Aber in diser Ee zwischen Christo vnd christlicher seelen, begreifft diser contract, leib, seel, gayst, leben vnd tod. Derhalben glorijert vnd bochet die glaubig sei Cant. II. vnd spricht. Mein geliebter ist mir vnd ich bin jm; Güttel 1522 New iar 124b Ist nun christus . . sso hab ich gerechtigkeyt zcum hymell, sso hab ich hoffnung, vnd gloryr in der hoffnung; Paracelsus um 1530 W. H 5,52 das werden wir erfahren in eilend, armut und noten. als dann so mugen wir wol gloriern bei got und in unserm land singen; Luther 1530-35 Tischreden (WA 1173) darum hat es [ein Herz, das an Gott festhält] überflüssig, da von es gloriern, prachten, prangen und trotzen kan, als der apostel sagt, wer gloriern wil der glorier in got (DWB); Paracelsus 1530-37 S. W. II 3,150 in dem rumen und loben wird sie in gott geehrt, in dem daß sie die ist, die da soll den son gottes geberen und tragen in diese weit darumben so ruembt, das ist so glorirt sie billich vor dem angesicht ires Schöpfers, dann sie hat volle gnad von ihm und gesegnet ob allen frauen; 1633 Relationen Lützen (Droysen I 43) damit Ihr. Maj. gottseligste H. Seele in der ewigen Friede vnd Herrligkeit diese vndankbare Welt verlassend, in Christo gloriren vnd ewig triumphiren möchte; Lebenwaldt 1681 Teufels List VII 11 glorirt den Parnassus. Glorierung: 1475 Dtsch. Bibel (Kurrelmeyer II 20) das erselb sey gerecht vnd zugerechthaftigen den der do ist von dem gelauben ihesu cristi./ Dorumb wo ist deine glorirung; Fridolin vor 1498 Dtsch. Fred. 43 waz frolockung, fröd und gloryrung die menschen mügen haben gehapt, die den herren hie in zit gegenwirttig haben gehapt (DWB); Geiler v. Kaysersberg 1510 Seelenparadies (S. W. HI 450) Von dem lob der forcht hat der heilig geist gar fleissigklich geschriben . . do er spricht Ecclesiastici . . Die forcht des herren ist glorij und glorierung/ fröid und die krön des frölichen uffjuckens/ Das ist dye forcht gottes/ ist ein verdienstlich ursach des liechtes der ewigen glorij/ und des außbrechenden glastes.
Glorie glorios/glorios: Tauler vor 1361 Predigten (DTM XI 238) Und dar nach sol man den grünt und das gemüte uf erheben an die gloriose hohe gotheit die sol man mit grosser demütiger vorchte . . an sehen; 1486 Urkundenb. NdRhein IV 432 des gloriosen h. Cruytz (MÖLLER); 1507 Regiment Blb [Christus] allein allmechtig, glorioss, ein heylandt vnd seligmacher; 1564—66 Zimmer. Chronik H 536 Wie die nonnen den Bischof allain und ir gelegenhait ersahen, da überfielen sie in, schlugen und rauften in gloriose; Abr. a S, Clara 1686 Judas VI 34 So ist denn glorios und herrlich gewesen, und ist noch und wird bleiben das Grab Christi; Petersen 1693 Warheit d. Reiches ]esu Christi I 28 welcher der große könig in diesem glorieusen reiche sein werde; Arnold 1700 Geheimniß l Vorw. 4a die ewige allerhöchste glorioseste gottheit (DWB); Seals field 1841 Kajütenb. (Romane V 102) das neue Europa, die junge Jungfrau . . Hat für ihre gloriosen, geheiligten Königssalbungen und Legitimitäten und Katholizismus wahrlich teuer bezahlt, wird noch teurer bezahlen müssen; Daumer 1846 Hafis 52 f. Ich wollt' erhabne Dinge melden;/ Die Märtyrer des wahren Glaubens/ Lobpreisen im Gesänge wollt" ich;/ All ihre Thaten, ihre Wunden,/ Die heiligen und gloriosen,/ Wollt' ich besingen hell und hehr (DiBi 125); Burckhardt 1870 Br. an Preen 16 Diese . . außergewöhnliche Kraft macht, bescheiden und einfach in der Äußerung, einen überaus tröstlichen und gloriosen Eindruck. Glorie Ib: um 1270 Jüngerer Titurel 6123 Die hoch der ziborie. ist in den Ivften wagende./ Dem lande vber al zv glorie; Johann v, Würzburg 1314 With. v. Österreich 8318 bi im hielt diu glorie,/ sin sweher kunc Agrant (DWB); Konrad v. Helmsdorf nach 1330 Spiegel d. menschl. Heils 3892 des habend wir ein byschafft schon/ by der glori her Salamon/ und by der künigin von Saba (DWB); 1379 — 1471 Imitatio Christi 43 alle mynslike glorie, alle tytlike ere, alle wertlike [!] hoghe, gherekent to der ewighen ere, ys ydelheyt unde dorheit (DWB); Fründ 15. Jh. Chronik 112 Kind do hattent die von Zürich und von Raperswyl do vil früntschaft zesamen, und fuorent uf und ab zesamen und hatten einandren rate, und was ein große glorie und ein große fröde (DWB); Ingold 1432 Goldene Spiel 66 und doch Salomon in aller seiner glori nit als schön geziert was als der plum auf dem veld; 2. Hälfte 15. Jh. Passionsspiel (Mone, Schauspiele d. Mittelalters II 240) min himelschen vater ich eren sol,/ und eren den, als ich han gelert,/ ir hand mich aber hie entert./ ich suchen nit min glory und er; Beheim 1462 — 65 Wien 45 ain klaine er und glori/ sy mit aim solchen hand peiagt,/ daz sy den ait hand auffgesagt (DWB); Steinhöwel 1473 Boccaccio (Übers.) 117 Hector, deß schyn in strenger ritter-
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schafft so liecht was, das er nit allain sich selber erlüchtet, sonder och alle syne fründ und das vatterland mit öwiger glory adelte; Niclas v. Wyle 1478 Transl. 106 Die habent dir zu gebracht grosses lobe vnd vntödemliche glori vnd eere; Arnpeck vor 1495 Sämtl. Chroniken 575 aber er ward paid verfürt durch rat der Römer und vermailigt sein glori und er (DWB); Geiler v. Kaysersberg 1510 Seelenparadies (S. W. III 61) Das erst [Stück der Demut] ist wenn ein mensch verachtet glory/ die im erbotten/ oder nitt erbotten würt . . Also hond ir das glory ist ein glast/ in welichem glast erscheinet/ und gesehen wirf die fugenden und guten werck eines menschen der die selben werck würcket. Darauß macht du nemen das glori nach rechtem Tütsch haißet/ hoch achten/ oder wol schetzen/ das ein mensch hoch geacht wirt von andren lüten. Dise erkantnüß und hochachtung die da ist in den leüten von dir ist dein glori eigentlich zu reden; v. Eyb 1511 Spiegel d. Sitten C Ib den gesipten freunden soll man die ersten . . eer beweisen, so sy des notürftig sein zu ewiger gedechtnuß und glory des geslechts (DWB); Paracelsus 1530 Paragranum (S. W. l 8,200) das wird aber ein groß pöfel wider mich machen, die zu verwerfen, die so lange zeit in der glori und magnificenz erhalten seind worden; Schaidenreisser 1537 Odyssea 29 Neptune ain Gott des mors, . . laß dir das . . opffer der hundert heüpter angeneme sein, gib dargegen dem Künig, seinen kinden vnnd geschlecht ewige herrschafft vnnd glori; J569 Amadis (BLV XL 98) Aber die inbrünstig begirde, welche er zu dem sieg hatt, ward so groß, . . daß er keinen Verzug zu seiner ehr, glory vnd rhum . . leiden konnte; Fischart 1577 Trostbüchlein (W. III 105) wie bald des Leibs stärke erlige, wie leicht die schöne gestalt verwelke, wie hinfällig ehr vnd würden seien, wie vergänglich die Reichtumb, wie vnachtsam der Adel, wie eitel aller Menschen glori seie; 1633 Relationen Lützen (Droysen I 44) Daß aber der vnvberwindlichste Held vnd König mit vnsterblichstem höchsten Ruhm vnd glorie diese Victorie auff das trawreste mit dero heiligem Blut erworben; Francisci 1681 Trauersaal IV 486 wiewol solches Schreiben/ von der Faction/ so der Glori deß Kardinals entgegen war/ gestellet und eingerichtet; Gichtel 1710 Send-Schr. II 18 Die Eigenheit suchet in äusserlichen Wercken nur Glorie/ wird hoffärtig/ veracht seinen Bruder/ so er ihm nicht gleich ist; 1717 Bericht Belgrad [2] einen herrlichen und vollkommenen Sieg mit unsterblicher Glorie, und Ruhm aller Kayserl. Soldaten; Abr. a S. Clara 1737 BescheidEssen 63 Der gute Nam ist der ebste Saam, aus dem einem Ruhm und Glori wächst; Frisch 1741 Teutsch-lat. Wb. 357 Glorie, Ruhm der Menschen, wie Gall. Gloire, fama; Ramler 1758 Einl. Ill 46 aus welchen höhlen hört mich die weit des göttli-
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Glorie
chen Cäsars unvergängliche glorie unter die Sterne tragen (DWB); Maister 1761 Maria 8 Die Glorie ist eine Ausbreitung ansehnlicher Thaten, oder Verdienst, sie ist keine Glorie, so lange sie in den Finsternissen der Unwissenheit verborgen liegt, sie will von vielen gesehen werden; Schiller 1781 Räuber (S. W. 79) als ich [der wirkliche Spiegelberg] am Galgen vorbeispazierte, und den Pseudo-Spiegelberg in seiner Glorie da paradieren sah (DiBi 125); ders. 1782 Fiesco (S. W. l 743) Ich mußte eine gewisse teure Person in banger Ahndung zurücklassen, eine Person, die die Glorie dieser Nacht mit mir teilen wird [Fiesco nach seinem Sieg] (DiBi 125); ders. 1784 S. W. V 859 daß der größere Künstler zugleich der bescheidnere ist und mit Schamröte zuhört, wenn die bestochenen Zuschauer sich in seiner Glorie übereilen (DiBi 125); Heinse 1787 Ardinghello 57 Toskana, die alte Glorie von Welschland, liegt da in Schmutz und Trauerkleidern, mit Ketten behangen von seinen eignen Söhnen (DiBi 125); Seume 1797 (W. U 260) Wir kommen nun auf Perioden, wo Katharina und der Russische Adler in ihrer größten Glorie erscheinen, die zwei wichtigen Türkischen Kriege; Hölderlin 1797-99 Hyperion (S. W. Ill 117) so da zu stehn in einer Sphäre von Menschen, umrungen von Glauben und Lust, das ist doch mehr, als Erd und Himmel und Meer in aller ihrer Glorie zu schaun (DiBi 125); Berenhorst 1798 Kriegskunst II 54 die Treppe, auf welcher der vornehmere Krieger von Absatz zu Absatz, bis zum Brodte bey der Kompanie, und dann zur Glorie, als General und Regimentsinhaber auffsteigt; F. Schlegel 1802 Alarkos (Ausgew. W. 53) Daß dieser Herrliche sich so verkannte,/ Mit einem Kinde töricht sich vermählte,/ Um eine Königstochter zu verlassen?/ Und war's nicht recht, die Ehe zu vernichten,/ Den Grafen zu befreien von den Banden,/ Die ihn von aller Glorie nur entfernen,/ Um in Gewöhnlichkeit ihn festzuhalten? (DiBi 125); Herder vor 1803 S. W. XVIII 320 so vergesse, auch im wütendsten aufstände, niemand der glorie alter Zeiten (DWB); Seume 1803 Spaziergang (W. l 463) Urania könnte in der Glorie ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken an die bedeckten Kleinigkeiten haben, die nur ein Satyr bemerken könnte; Unger 1804 Albert 309 Der Frühling kam in aller seiner Glorie herbei (DiBi 125); Matthisson 1806 Wörlitzer Bl. (VI 250) diesem ruhmwürdigen Veteran, einem der wenigen unter uns noch wandelnden Zeugen und Miterwerber der altpreußischen Heldenglorie; Rehfues 1814 Reden II 49 So erlosch in zween Feldzügen die ganze militärische Glorie eines Vierteljahrhunderts; Hauff 1826-27 Mitteilungen a. d. Memoiren d. Satan (S. W. l 421) Diese Dame saß aber da, voll Glanz und Glorie . . Sie dankte nach allen Seiten hin für das Lob, das ihrer
Freundin zuteil geworden, und gab nicht undeutlich zu verstehen, daß sie selbst vielleicht einigen Einfluß auf das neue Buch gehabt habe (DiBi 125); Paalzow 1836 Godwie-Castle (S. Rom. I 232) Aber er erholte sich und zeigte sich nun in der ganzen Glorie seiner edeln wahrhaften Natur! (DiBi 125); Bismarck 1836—73 Br. an s. Braut 29 die ganze wirkliche geheime glorie, welche zuletzt mich und meine familie [bei schneller Beförderung] umstrahlen würde (DWB); Immermann vor 1840 W. XI 274 [Gedicht 'Katzbach'] mutterkind, zage nicht!/ nahe schon winkt das licht./ harre nur muthig aus,/ wird noch ein glory draus [ein triumphaler Sieg] (DWB); Marx/Engels 1848 MEW V 300 Und nun bewundert die Milde, die Vortrefflichkeit, die Glorie des königlich-preußischen Strafgesetzentwurfs von 1847!; Mommsen 1854 Rom. Gesch. III 367 die glorie des siegers in drei welttheilen (DWB); Raabe 1863 Hungerpastor (Ausgew. W. III 435) wochenlang vorher schlief der Küster . . sehr schlecht vor innerer Aufregung und allzu lebendigen Träumen von Gelingen und Glorie, von Mißlingen, Schmach und Jammer (DiBi 125); Ranke 1877 Erhebung Preußens 124 Von den Gefühlen der militärischen Glorie, die durch den Lauf der Ereignisse ein Lebensprinzip der Franzosen geworden war, durchdrungen, folgten ihm [Napoleon] diese nochmals; Harden 1892 Apostata N. F. 204 die niedrige und widrige Infamie, mit der er aus allen publizistischen Winkeln angegriffen und verdächtigt wurde, zeigte die liberale Presse der Reichshauptstadt in ihrer ganzen Glorie; Treitschke 1894 Gesch. 229 Der Adel dagegen und das Heer empfanden mit Unmuth, daß die Glorie der fridericianischen Zeiten dahin war; Th. Mann 1908 Reden u. Aufs. (W. X 37) Wagner . . hat, mit größerer praktischer Kraft als Schiller, das Pathos des Theaters erhöht, hat ihm, zur höheren Glorie seines eigenen Werkes, Würde und Weihe ertrotzt; Hesse 1914 Sonne 36 Und dann schlief er ein, und während der Traum ihm das Bild jener versunkenen Zeiten vollends in aller Glorie zurückbeschwor (DUDEN 1999); 'Werfet 1924 Verdi 60 war ihm das Leben doch eine heißbegehrte Aufgabe als Sportund Rekordleistung, die er sich selbst zur Glorie .. täglich vollbrachte; Jacob 1934 Kaffee 162 Militärisch fragwürdig, staatsmännisch falsch, war Napoleons Feldzug doch der Beginn sagenhafter Glorie (DUDEN 1999); Süddtsch. Ztg. 18. 7. 1951 Dass er [Dirigent Stokowski] . . den . . Werken seines Programms eine Probenarbeit von beispielloser Intensität widmet, dass er Glanz und Glorie seines berühmten Namens . . für nichts, die Arbeit aber für alles achtet; Kesten 1952 Casanova 10 Indes genießen nur ganz berüchtigte Helden der Historic und der Legende, ein Nero und Napoleon, ein Faust und Don Juan eine so erstaunlich breite Glo-
Glorie rie. Wer wurde da berühmt? Wer schuf den Ruhm?; Bild-Ztg. 27. 5. 1967 Es ist völlig ungerechtfertigt, diesen Mann mit der Glorie des einzigartigen Arztes zu versehen. Er ist ein Opportunist; Zeit 19. 4. 1985 Ihre wahre Glorie schöpfte die alte Germanistik aus der Repräsentation nationaler Werte und der Verbreitung vaterländischen Wesens; ebd. 6. 12. 1985 Es ist das Proprium der Glorie, daß einem die Massenmedien mit ihrer impertinenten Neugier wertvolle Lebenszeit stehlen. Eco . . verhehlt nicht, daß ihm das Defilee der Interviewer auf den Geist geht; Heym 1988 Nachruf 252 Er arbeitet, als wäre er besessen. Und es ist nicht, daß er noch mehr Glorie anhäufen möchte zu der, die er bereits empfangen hat; was ihn treibt, ist Angst; Salzb. Nachr. 28. 9. 1991 Die Grauhaarigen kehren voll Wehmut an den Platz alter Glorie zurück, versenken sich in die Erinnerung an jene wunderbare Zeiten, da die Levantestadt den Menschen alles bot: Luxus und Freude, Vermögen, Freiheit, Lebendigkeit und Geschäfte ohne Grenzen; 1995 FAZ o. Nr. In der Welt der kriegerischen Helden haben der Herzog von Wellington und Winston Churchill mindestens ebenso großes Anrecht auf Glorie, aber keinem der beiden wurde ein Standbild wie die Nelsonsäule am Trafalgar Square gewidmet; ebd. Doch hinter dem Erfolg, der Glorie, dem Majestätischen seines [de Gaulles] Auftritts wächst die kritische Masse innerer Unzufriedenheit im Land; Salzb. Nachr. 28.1.2000 Der Wiener Opernball, der „Ball der Bälle", wird mit Pomp und Glorie in der Staatsoper über die Bühne gehen; taz 7. 2. 2000 Sie [die Fado-Sängerin Misia] braucht Raum und ein elegantes Umfeld für ihre Art, der Kunst des portugiesischen Klagelieds wieder zu Glamour und Glorie zu verhelfen; ebd. 19. 12. 2001 Als Gegenzauber zu dem drohenden Gesamtniedergang der Welt bietet Tolkiens Romanvorlage eine doppelte Erlösungsfantasie — das endgültige Tilgen eines ursprünglich Bösen wie auch die Wiederherstellung einer vergangenen Glorie; Berl. Ztg. 30. 7. 2002 Chirac setzt auf Edmund Stoiber, den er kürzlich in Paris mit Glorie empfing. Gloria: Heinrich v. Neustadt um 1300 Apollonius (DTM VII 5368) Do sy [die Schiffe] zusamen wurden pracht,/ Si füren hin in gloria . ./ Si füren hin mit freuden pracht/ Den selben tag und di nacht; 16./17.Jh. (Hoffmann v. Fallersleben 1844 Gesellschaftslieder 182) so leben wir in glimper gloria (DWB); 1531 Bergreihen 69 so schleift er bey der magd,/ Glang glang gloria; Mathesius 1571 Sarepta 22a ob wol all sein (Salomos) schmuck und gloria nichts zu achten war gegen einem feld- oder wisenblümblein (DWB); 1572 Frundsberg 52b Dazumal hat der wolgedacht Herr Georg . . bewie-
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sen/ daß er in freyer Feldschlacht mit den Feinden gestritten . . vnd grosse Gloria und Ehr durch Sig vnd Victoria erlangt hat; Wedel um 1600 Hausbuch 313 hat die königinn neben der victoria die gloria und groß gut zur beute davon bracht; Petri 1604 Weißheit II Ff 6a glim, glam, gloriam/ der esel hat ein chorrock an (DWB); Furttenbach 1630 Architect, mart. 89 dardurch ein vnerlöschenden Namen/ vnd gleichsam ein ewige gloria darüber zuerholen desiderieren; Hilarius Lustig v. Freudenthal 2. Hälfte 17. Jh. Lieder-Büchlein V 6 Diß Vale hat ein braver Held,/ in frischem Muth erdacht:/ Gott gebe Gnad, daß er im Feld,/ erlang, mit seiner Macht;/ daß er einmal den deutschen Kreis/ erfreue, mit Lob, Ehr und Preis . . Victoria! . . gloria!; Beer 1683 Sommer-Tage 2 denen jungen nachzufolgen/ die eine Gloria/ in Aufzeichnung ihres Herkommens/ suchen; Klinger 1780 Plimplamplasko 169 meinend sein Hausweib daheim zu finden,/ und ihr all sein Reichthum und Gloriam auf einmal [zu] zeigen; ebd. 166 drob ihm dann viel Gloria und Ehr werden thät, dass er sich schier überhub in der hohen Stolzheit seines Gemüths; Uhland 1844-45 Volks!. 576 gling, glang, gloria (DWB); Riehl 1861 Land 131 Das ist die Gloria des kleinen Mannes, daß er dazumal von Herzen gesund geblieben war, während die feinere Gesellschaft entartete; Körner 1862-79 W. VII 99 kollegen soll man nie vergessen,/ am allerwenigsten in der gloria [wenn es einem gut geht] (DWB); Keller 1874 Seldwyla (S. W. VI 364) Nichts konnte ihm willkommener sein als solch herrlicher Antrag, und freudig genehmigte er denselben. Er wurde schnell für die Reise ausgerüstet und mit Wechseln versehen, und er fuhr in höchster Gloria davon (DiBi 125); Bartsch 1910 Bittersüße Liebesgesch. 87 eine zeit lag sogar die fahne mit darunter [unter dem Haufen], bis endlich einer den auseinandergerissenen gloriafetzen mitnahm (DWB); Poppenberg 1913 Rokoko 46 f. mit welch brennendem Ehrgeiz Friedrich der Große danach strebte, daß in seinen Grenzen ein den großen Manufakturen ebenbürtiges Porzellan erzeugt würde, dessen Figuren als Herolde die Gloria von Friedens- und Kriegswerken den Nachbarsouveränen verkündeten; Klabund 1915 Soldatenlied 137f. Gloria, Viktoria; ebd. 212 f. Glori, glori . . gloria . . Batavia; Schröder 1935 Ged. 180 wollt ihr die nimmer verletzte/ über vergänglicher not,/ fahne von Deutschland hissen/ ewig in gloria? (DWB); Waggerl 1935 Mütter 252 mit glänz und gloria, dachte sie, würde der vater kommen, und alle würde er reich und glücklich machen, und nun ist er tot (DWB); Bäumer 1936 Adelheid 48 wir aber konnten uns nicht satt sehen am anblick seiner königlichen kraft und milde, und die gloria seines reiches war in unseren herzen [bei der Krönung Ottos L] (DWB); Süd-
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ben oder darumb dester hochfertiger sin sollest; Tünger 1486 Fazetien 135 pflag er ze glorieren vnd ze reden, in wunderte, wie ainern were, der sin frowen forchte; Burleus 1490 De libera vita 73b diser Dyogenes ist gewesen ein verschmäher sein selbs und aller reichtumb und gloriert in seiner willigen armut (DWB); Geiler v. Kaysersberg 1510 Seelenparadies (S. W. /// 65) wäre demütige menschen/ glorieren nit bei inen selber in eignem gefallen/ noch ouch vor den lüten/ vonn iren gaben und tugenden; 1516 Theologia deutsch (Mandel) 92 wan disse begird ist selten umb anders icht, dan das man da von lust hab und daryn gloriert, und das ist war hoffart (DWB); Pauli 1519-22 Schimpf u. Ernst 112 Also sein vil, die glorieren uß irem Adel von irem Vatter, der etwan ein Ritter ist, und dy Muter ein Bürin. Darumb als vil einer Hoffart treibt des Vatters halb, als fast sol er sich demütigen der Muter halb (DiBi 125); Luther 1521 (WA VIII 681) er [der Papst] hoffet unßere lere zu schimpfirn, als sey sie vom teufel und nit auß gott, wie etlich schon auf der kantzel glorieren (DWB); Volkslied 1532 (Liliencron IV 58) Also hat er viel königreich,/ . . mit seiner tyrannischen hand/ dem christlichen volk abgetrungen/ . . und darmit sieglich triumphiert,/ sich aufgeblasen und gloriert; Franck 1541 Sprichw. l 137a der nicht bedarff, ist reich, der frew und glorier sich seiner bloßheyt (DWB); Braun 1572 Beschreibung u. Contrafactur I B 2a wie Alexander Magnus zu gloriern pflege, das er mit seinen äugen mehr gesehen, dann andere könige immer mit gedancken uberlauffen hetten (DWB); Sachs vor 1576 (Auswahl XVI 183) der arm[e], der doch hoch wil gloriern (DWB); Bütner glori(i)eren: 12.113. Jh. Scriptores rer. Livonic. II 1596 Epitome historiar. 23a da er hörete, wie Ca59 derwegen ein groth fröwdefest, glorierendt rolus V. ins Deudschland rückte, glorirte und rhüunde frolockent bi jedermennichlicen in Lifflandt mete er: itzt kömpt unser heyland (DWB); Furttengewesen (DWB); 14./15.)h. Mhd. Minnereden I bach 1628 Architectura civilis Vorr. X2b als Augus(DTM XXIV 104) so daß man den gebryßten/ ir tus geregiert/ ward es mit jr [der Stadt Rom] also ritterlichs justiern/ durch alls gezung gloriern/ mit bewandt/ daß derselbe Monarcha glorirt/ er habe red all tag da pflag (DWB); Tauler vor 1361 Pre- die Statt von schlechten brendten steinen erbawt digten (DTM XI 208) ein ieklichs prüfe sin werk, angenommen/ jetzo aber bey seiner Regierung hinund also in im selber gloriere und nüt in eim änderlas er sie gantz von Marmor außgebutzt; Bürdern (DWB); Beheim 1462 Buch v. d. Wienern 39 ster 1647 Schwed. Krieg 221 Überlingische victound glorgirten und woren fro,/ und mainten zu ria- und triumphschreiben, so sie anno 1634 (wie den stunden/ wer als ir lait verswunden (DWB); sie sich glorieren und rüehmen) wegen erhaltung Steinhöwel 1473 Ber. Frauen 302 doch ward sie in ihrer alten und dazuemahlen noch rainer junkfraflucht gewent und nach langen kriegen mit iren süwen und römischen reichs statt Überlingen, antrefnen von Aureliano gefangen. Von der gefengnuß fen und finden . . darinnen sie sich selbs hoch rüeh[der Zenobia] Aurelianus nit minder glorigieret men, loben und glorieren, als hätten sie solche sciund güdet, wann ob er den großmächtigsten fürslicet erhalten; 1681 (Sachsse 1884 Pietismus 88) ihten und öbristen fynd der römschen macht gefannen [den Juden] Ursach zu gloriren zu geben, dass gen hette; 1475 Dtsch. Bibel (Kurrelmeyer IV 363) sie alles, was sie wollten, außrichten vermöchten; das israhel nit gloriüre . . wider mich vnd spreche Lebenwaldt 1681 Teufels List VII11 In dem Königich bin erlöst mitt meinen kreften; Niclas v. Wyle lichen Residentz-Garten zu Londen in Engellandt 1478 Transl. 203 Ich hab aber die nit darumbe erglorirt der Parnassus, In Spanien zu Anranguez triumphirt die Flora in ihrem Blöumen-Zirath; Vizellet, daz du dar von glorieren, dich des vberhedtsch. Ztg. 30. 12. 1950 Glanz und Gloria 1909/10 (Überschr.) So steht es doch in den Geschichtsbüchern?! „das Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht!"; ebd. 8. 5. 1954 die romantische Sehnsucht nach Postkutsche und Monarchenthron, nach Fecht- und Offizierkasinos, nach Glanz und Gloria von Anno dazumal; Stuttgarter Ztg. 27. 3. 1963 Das Haushaltskonzept, das . . Starke .. 1962 mit so viel Glanz und Gloria . . durchgesetzt hatte, ist tot; Matull 1970 Ostpreussens Arbeiterbewegung (XLIX o. S.) Staatliches Machtdenken in mitunter nationalistischer Überspitzung . . Überwältigung durch Glanz und Gloria . . hatten die Risse und Zwiespalte überdeckt, die unter der strahlenden Oberfläche vorhanden gewesen waren; Zeit 28. 2. 1986 Nicht eben wenig, was die Geschichte unbeschädigt ließ, was von Preußens Gloria aus Schutt und Asche wieder aufgesammelt wurde; taz 3. 1.1987 750 Jahre Berlin . . Glanz und Gloria beim Auftakt in Ost-Berlin (Überschr.) Wie ein Barockfürst ließ sich der DDR-Staatsratsvorsitzende Honecker vor der Staatsoper feiern. Die DDR wird allen Pomp und Gloria einsetzen, um den Hauptstadtcharakter des Ost-Teils der Stadt herauszustellen; ebd. 22. 10. 1990 Gegen den Ortsrivalen Neukölln war von der alten Gloria nicht mehr viel zu sehen; Spiegel 21.2. 1994 Springer, das sollte jener Tag im vorigen November zeigen, ist ein Haus mit Glanz und Gloria. Die Wahrheit sieht anders aus; taz 15. 7. 2000 Von Glanz und Gloria zum Niedergang (Überschr.) Berlins einzige Galopprennbahn ist eine der schönsten Europas.
Glorie scher 1709 Informator 31 ein Cavallier von einem vornehmen Hof/ der als Envoye ein Zeitlang sich in einer berühmten Reichs-Stadt auffgehalten/ glorirte damit/ daß er in dem 20ten Jahr seines Alters noch nicht gewiß gewust: ob er ein Ens summum wäre?; Frisch 1719 Harpfe Davids 312 gottes nähme wird verlästert, . . der fromme gequälet, der schwache geärgert; hingegen glorieret der teuffei, die feinde werden meister, und die boßheit nimmt über hand (DWB); Ritter 1723 Fl. Illyricus 62 dieweil Flacius sähe/ dass die Papistische Scribenten/ die von Löwen, Lindanus, Hosius, und andere gloriirten; Goethe 1773 Götz (WA l 8,32) und was den Fürsten in ihren Kram dient, da sind sie hinterher und gloriieren von Ruh' und Sicherheit des Reichs, bis sie die kleinen unterm Fuß haben; Claudius 1775 Asmus (W. 600) Man tröstet sich mit der innerlichen Größe des Menschen, und gloriiert über das Hohe und Göttliche seines Verstandes (DiBi 125); Brod 1928 Zauberreich 213 Wenn man . . diesem bösen Staat . . unbemerkt in die Maschinerie fährt . . wäre dann nicht wirklich das Schlachten und Glorieren bald zu Ende?; St. Galler Tagbl. 24. 6. 1997 Es stehen an der Spitze: Staad im Gymnastik-Kleinfeld und Kriessern im -Grossfeld. Die DR Balgach glorierte in der Gymnastik. glorios/glorios: 1633 Relationen Lützen (Droysen l 43) wegen deß trawrigen Hintritts jhres gloriosesten Königes vnd Haupts; 1684 Getrost. Europa E2a da Ihro Kgl. Majestät die Polnische Waffen bey dieser Zeit zu Glorioss machen; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 512 bath ihn/ daß er ihnen die Ehre thun/ und nicht alleine die Catheder, die von dem Xenocrates . . schimpfiret worden/ durch seine Besitzung wieder ehrlich und glorieux . . machen wollte; Petersen 1693 Warheit I 28 welcher der große könig in diesem glorieusen reiche sein werde (DWB); Abr. a S. Clara 1699 Etwas f. alle l 601 die gärtner machet nicht wenig glorios, daß gott . . wunder . . gewirkt . . mit blumen (DWB); Wening 1701 Bayern I Cb dem Duchleuchtigisten [!] Chur-Hauss (vnder dessen Welt-bekandten gloriosen Beherrschung dieser vortreffliche Theil Teutschlands biss dato Ruhmwürdigist florirt); 1706 Erlöstes Brabant 12 Wir felicitiren Euer Hochmögenden über diesen glorieusen und grossen Victorie; Hagger 1719 N. Saltzb. Kochb. Vorr. 76 und in währender Zeit der glorieusen Crönung Käysers Josephi; Fleming 1726 Soldat Vorher. 10 und wie das Allerdurchlauchtigste Ertz-Hauß Oesterreich . . unter denen ändern hohen Durchlauchtigen Teutschen Häusern zu Kriegs- und FriedensZeiten das glorieuseste gewesen; Beust 1743 Consiliarius 241 eine grosse und herrliche That, die wohl in ihrem Lebens-Lauf, zu ihrem Lob, als ein erworbener glorieuser Sieg, gemeldet werden dörff-
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te; Trenck 1745 Leben 54 [dass ich] die Gnade des berühmtesten Feld-Marschalls in Europa, und die glorieusen Rußischen Dienste auf ewig verlassen muß; Cranz 1771 Brüderhistorie 199 um ihre Unternehmungen und zum wenigsten eine eben so gloriose emigration, als der Salzburger, zu unterstützen (DWB); Wekhrltn 1777 Denkwürdigkeiten 34 weil er von dem glorieuse Erfolge seines Vorhabens . . versichert war; Wieland 1784 Aeronauten (XXX 59) Allem Ansehen nach hatte es auch dem Herrn Marquis in dem Korbe, worin er das Gegengewicht machte, so wohl gefallen, daß er auf Mittel und Wege bedacht war, sich dieses Vergnügen noch einmahl und auf eine gloriosere Art zu verschaffen; Ratschky 1799 Melchior Striegel (DNL CXL 16) Die Weisheit und Klugheit, mit der er den Staat/ In guten und schlimmen Zeiten vertrat,/ Erwarb ihm von Pater Fink, dem jokosen/ Herrn Pfarrer des Orts, den gloriosen/ Beynamen Pater Patriae (DiBi 125); Goethe 1810 Br. (WA IV 21,394) ich will diese ganze Rücktendenz nach dem Mittelalter . . recht gerne gelten lassen, . . aber man muß mir nur nicht glorios damit zu Leibe rücken; ders. 1821-31 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 144) Mein Vater war sehr glorios über dieses Gelingen, und der gute Hausfreund, der eben zu Tische kam, mußte die Freude teilen; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. H 67) Die Pariser Straßen sehen jetzt ganz glorios aus; Sealsfield 1841 Kajütenb. (Romane V 261) Ein unbeschreiblich glorioser Anblick! Vor mir der endlose Wiesenund Blumenteppich mit seinen Myriaden von Prärierosen, Tuberrosen und Mimosen (DiBi 125); ebd. V 291 die gloriosesten, nobelsten Burschen, die es geben kann . . Herrliche Jungens! (DiBi 125); 1843 (Mohl 1902 Lebensermn. II 395) es war wirklich ein glorioser Anblick [Aufgang der Sonne am Vesuv, als ob sie aus dem Krater aufstiege]; Gaudy 1844 W, II 90 der Neapolitaner ging mir [im Feilschen] . . mit gloriosem beispiel vor (DWB); Wildermuth 1854 Bilder u. Gesch. a. Schwaben I 247 Nun war die gute Frau in ihrem Element; schon auf kommenden Montag versprach sie eine Zusammenkunft einzuleiten und zog glorios ab, indem sie den schnippischen Abschiedsknicks der Jungfer Philippine mit einem Blick voll triumphierenden Hohns erwiderte (DiBi 125); Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen I 72 als eine Patrouille der Rothröcke mit Musketen heranzog, um die Uebelthäter zu verhaften, die sich für den DonnybrookFair von heut etwas zu glorios [mutig, tapfer] benommen hatten; ebd. U 13 die Balladen des Volkes feiern ihre [der Stadt Limerick] gloriose Vergangenheit; Raabe 1867 Abu Telfan (Ausgew. W. IV 364) Es ist der glorioseste Bursche, der jemals seinen Kopf aufs Koptische setzte; Gildemeister 1871 Aus d. Tagen Bistnarcks 101 dies einige Deutsch-
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land und dieser deutsche Kaiser haben ihr erstes Auftreten auf Erden mit einem so gloriosen Triumphmarsche eingeweiht, daß mehreren umliegenden Nationen davon Hören und Sehen vergangen ist; Kompert 1882 Monte Pincio (Ges. Sehr. VII 109) Erst die glorioseste Schönheit [der Peterskirche in Rom], die entzückendste Augenweide . . und dann das abschreckende, widerwärtige Elend [des Armenviertels]; Raabe 1884—85 Vogelsang (Ausgew. W. VI 681) So dumme, verbrüllte Frauenzimmergesichter wie die des Vogelsangs möchte ich aber doch nicht gern wieder um mich sehen — um den gloriosesten Schnupfen in der Welt nicht (DiBi 125); Panizza 1895 Liebeskonzil 128 Ich war in meiner gloriosen Stimmung! (DiBi 125); Kerr 1900 Br. a. d. Reichshauptstadt 598 Eine einfachere Gestalt scheint Friedrich August, welcher in dieser Woche gloriose Bedeutung gewann; Wille 1909 Abendburg 90 da kommt der famose, gloriose, hochberühmte Medikus, Herr Doktor Schrepfeisen, nach Jung-Bunzlau und vertreibt alles Geziefer mit dieser Mixtur; Bin 1910 Provence 20 Im Westen aber erhebt sich über dem Saöne-Ufer .. die Felsenbalustrade .. mit ihrer gloriosen Kirche; Falke 1912 Ges. Dichtungen III 75 [die Herren von Lübeck] ließen im gildehaus festlich sich ätzen/ und saßen glorios auf den ehrenplätzen (DWB); Tb. Mann 1914 Reden u. Aufs. (W. XHI 540) Die Franzosen waren einst ein kriegerisches Volk . . auf eine brillante, galante, gloriose, bravouröse und etwas spiegelfechterische Art, — getragen von jugendstarken Ideen; Tucholsky 1920 Ges. W. // 444 als sich der ganze Schwärm verlaufen, da senkte der enttäuschte Löwe den Schweif, den er bis dahin glorios nach oben getragen hatte, streckte sich still der Länge lang hin; Klemperer 1920 Tagebücher 339 Das Wetter erst klar u. warm, später dunstig, gewitterig, dadurch der gloriosen Landschaft nur neue Reize hinzufügend; Müller-Guttenbrunn 1922 Altösterreich 173 f. [bei Napoleons Rückkehr aus Elba] die Nachricht von seiner gloriosen Aufnahme in Frankreich; Rilke 1927 Ges. W. IV 274 ach wie rissest du einen, Schaukelpferdseele, hinaus . . ins unaufhaltsam Heldische, wo man heiß und glorios unterging mit der schrecklichsten Unordnung in den Haaren; Edschmid 1933 Südreich 36 die Kurve der deutschen Geschichte und des deutschen Schicksals an den gloriosen und an den tragischen Orten des deutschen Südreichs zu verfolgen; Th. Mann 1951 Reden u. Aufs. (W. X 798) war all sein [Wagners] Sinnen, Trachten und Hoffen versammelt auf das Neue, auf das, was ein glorioser Ausbruch deutschen Gemütes, deutscher Freiheit und Meisterlichkeit in pompösem C-Dur werden mußte; Süddtsch. Ztg. 19. 2. 1951 diese prächtige Prärie-Ballade . . mit gloriosen Prügeleien nicht ohne parodistische
Glanzlichter; Batnm 1956 Ex ovo 13 daß von allen Wissenschaften zur Zeit diejenige die wichtigste ist, die in dem gloriosen Jahrhundert der großen Erfolge die geringste Rolle gespielt hat. Diese Wissenschaft ist die Philosophie; Görlitz 1967 Gesch. Generalstab 217 verfiel .. auf die gloriose Idee, .. jeweils 5 Divisionen von Regiments-Kameraden zur Befragung ins Hauptquartier zu zitieren; Bad. Ztg. 28.1.1971 wenn auch die .. Geschichtsschreibung eindeutig im Solde Preussens stand, den Krieg [1870/71] in eine gloriose Angelegenheit einer ganzen Nation fälschte; 1979 ADAC-Motorwelt I I 1 2 Der Käfer .. soll ein glorioses Comeback als Fortbewegungsmittel feiern (DUDEN 1999); Zeit 6. 9. 1985 Schattengewächs . . im Garten seines gloriosen, großbürgerlichen Vorgängers Kreisky, des Sonnenkönigs; Spiegel 15. 8. 1994 Prinz Homburg . . Gewinnt die Schlacht glorios und wird verurteilt, weil der Tagesbefehl anders lautete; Züricher Tagesanz. 1. 7. 1996 Doch was zu Beginn der achtziger Jahre so glorios begonnen hatte, stagnierte in der zweiten Amtszeit Mitterrands und endete schliesslich in einem traurigen Fiasko; Vorarlb. Nachr. 29.2.2000 besteht die gesamte Komposition jedoch aus sich stets wiederholenden aufwallenden und wieder abflachenden Gemütseffekten, die den Sängern gloriose Auftrittsmöglichkeiten geben; Presse 22. 4. 2000 in dem galiläaischen Ort Zefat sammeln sie erste Jünger, um dann in Jerusalem glorios durch das Damaskustor einzuziehen; Zeit (online) 7. 4. 2004 ein glorioses Dessert (Honig-Lorbeer-Eis auf karamellisierten Quitten); Berl. Ztg. 13.11. 2004 Ich will kein Salz in die Wunden des Bundeskanzlers reiben, der mit seinem Vorschlag zur Abschaffung des Nationalfeiertages so glorios gescheitert ist. Gloriosität: Huch 1920 Krieg HI 279 daß Wessel inzwischen in eine ansehnliche Stellung gerückt und vermutlich von der bei der soldateska herrschenden gloriosität ergriffen sei, daß er also gut tun werde, den honig untertäniger Schmeichelei dick aufzuschmieren (DWB); Presse 6.11.1993 eine Band . ., die . . eine knappe Stunde lang zelebrierte, was sie sich unter einem von den Gloriositäten des rock'n'roll life kündenden rock'n'roll concert vorstellt; Züricher Tagesanz. 14. 1. 1997 Als stiller Beobachter . . erstaunt mich immer wieder, wie sich hiesige EU-Euphoriker über die vermeintliche Gloriosität dieser künstlichen Interessengemeinschaft äussern; Frankf. Rundsch. 13. 12. 1997 Kompetente und knapp gehaltene Artikel . . vermitteln eine Ahnung von der Gloriosität und problematischen Wirkungsmacht des „Titanen" Heine. Glorie 2a: Volkslied 1414-18 (Liliencron l 255) in deiner drivalt consistori,/ da wir da durch das
Glorie Liecht glori/ dein clär ewig antluz sechen/ deiner veinen gotlikait anbrechen. Allmechtiger got, es scheint dein/ sunne/ und ist aufgang frid und wunne; um 1650 Inventarium (Reber, Maximilian 1. 31) vnser liebe Fraw, mit dem Kindlein in einer glory sitzend; Abr. a S. Clara vor 1709 (W. in Auslese II 367) gleich aber nach dem tod erscheint sie [eine Herzogin von Brabant] der heiligen Jungfrau Luidgarde in großer glori und glänz (DWB); Decker 1711 Baumeister / Vorr. ab Es präsentirt sich [auf einem Gemälde] aber zuvörderst auf den Wolcken, in einer Glorie, die Göttliche Allmacht; Meltzer 1716 Schneeberg. Chron. 90 und auf gemälden zu einem rahmen für die himmlischen heerschaaren: zwischen diesem satz ist gefertigt eine glorie von gewölk, engein und engelskopffen (DWB); Frisch 1741 Teutsch-lat. Wb. 357 Glorie, bey den Mahlern. Die himmlische Herrlichkeit mit lichten Wolcken, mit Strahlen und Schein, mit Engeln und Ausserwehlten, in der Ferne perspectivisch vorgestellt; Dusch 1754 Verm. W. 200 in einer glorie gleitet sie [Minerva] durch die luft, und schüttelt flammen aus ihrem strahlenden haare (DWB); Goethe 1771 Br. (WA IV 2,39) Und drauf in der Glorie von häuslicher mütterlicher Glückseeligkeit, umbetet von solchen Engeln Sie zu schauen ..!; Michaelis 1772 Herkules (W. IV 168) Zum Gotte weihe/ Dich diese Hand — (Er zeigt auf Heben)/ mein Thron —/ (Er zeigt auf die Glorie, in der die Götter des Olymp beyde erwarten) (DiBi 125); Wieland 1780 Oberen (W. V 362) In einem Licht, das zauberisch von oben/ Wie eine Glorie auf sie [Nymphe] herunter strömt,/ Und, durch die Dunkelheit des übrigen erhoben,/ Mit ihres Busens Schnee die Lilien beschämt (DiBi 125); Goethe 1781 Br. (WA IV 5,12) Wenn man doch dieses Sujet behandeln wollte, so konnte es . . nicht anders geschehen, als daß der Heilige . . entzückt verscheidet und Engel ihn in einer Glorie wegzuheben beschäftigt sind; Zimmermann 1784 Einsamkeit i 121 die glorie .., die diesen stand [den mönchischen] umgiebt (DWB); Ramdohr 1787 Malerei HI 179 Finsterniß . . umhüllet die Erde: Aber die Glorie, in der der Weltrichter in Begleitung der Auserwählten vom Himmel herabsteigt, erleuchtet hinreichend den Vorgrund mit der Handlung die darauf vorgehet; Goethe 1790 Tasso (WA I 10,112) mit mannigfaltgem Geist verherrlicht er [Tasso]/ ein einzig Bild in allen seinen Reimen./ Bald hebt er es in lichter Glorie/ zum Sternenhimmel auf; Moritz 1794 Grammat. Wb. U 229 Glorie — deutsch Herrlichkeit. Der fremde Ausdruck ist ein Kunstwort der Mahler, womit sie eine Abbildung des offenen Himmels mit Engeln und Heiligen bezeichnen. Auch der Schein um den Kopf oder um die ganze Figur eines Heiligen heißt also; Goethe 1800-16 Maximen u. Reflexionen (HA
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Xll 486) In Rembrandts trefflicher Radierung . . ist die Glorie, welche gewöhnlich des Herrn Haupt umgibt, in die vorwärtswirkende Hand gleichsam gefahren, welche nun in göttlicher Tat glanzumgeben, derb zuschlägt; Engel 1801 Sehr. II 282 ein majestätisches dunkel, durchbrochen von einzelnen lichtfluthen göttlicher glorie, und rings von heerschaaren umschwebt (DWB); 1810 Almanach a. Rom I 112 ein großes Frescogemälde . . für das kleine Camaldulenserkloster, worin Christus in einer Glorie nebst Gott dem Vater von sechs Heiligen umgeben vorgestellt ist; Kerner 1811 Reiseschatten 259 In dunklem Schatten stand die alte Sebalduskirche, und ragte düster und ernst in den Himmel voll Sterne, der sich ob ihr gleich einer Glorie verbreitete; Goethe 1816 Italien. Reise (HA XI 46) Die Arbeit geht ins Unendliche, ja die letzten in der Glorie verschwindenden Engelsköpfe haben noch Charakter; Hensel 1818 Lieder 226 O Du, die hoch erhoben/ In Gottes Glorie steht,/ Wie sollte Dich nicht loben,/ Was hier im Finstern geht? (DiBi 125); Goethe vor 1832 Sehr. z. Kunst (WA I 49 1,41) in den Einfassungen oder Rahmen . . hat sich der Künstler beflissen, mancherlei allegorische Zeichnungen anzubringen, Glorien und Kreuze; Pückler-Muskau 1834 Landschaftsgärtnerei 106b Ein Füllhorn, von oben sich herabsenkend, ergiesst symbolisch seine Schätze über Ihn, Abends aber erleuchtet es als Glorie das von uns Allen so innig geliebte Haupt [Büste des Königs Friedrich Wilhelm III.] mit seinen Strahlen; Alexis 1842 D. falsche Woldemar III 284 so einer . . noch geschunden und gebraten sein will für einen fetzen glorienschein ums hirnlose haupt (DWB); Heine 1844 W. u. Br. II 337 Stirbt einst Herr Ludwig, so kanonisiert/ Zu Rom ihn der Heilige Vater — / Die Glorie paßt für ein solches Gesicht,/ Wie Manschetten für unseren Kater! (DiBi 125); F. Schlegel 1846 S. W. VI 117 ein kelch mit der hostie in einer glorie oben darüber (DWB); Gervinus 1853 Gesch. d. dtsch. Dichtung l 232 was wunder, wenn man . . seinen kämpf mit den beiden . . in das licht eines kreuzkriegs, ihn selbst in die glorie eines gotteskämpfers . . stellte (DWB); Hahn-Hahn 1860 Maria Regina (Ges. W. I 397) das Ganze ihrer edlen Erscheinung, die im Goldglanz der Morgensonne schwamm, wie ein Heiligenbild in der Glorie (DiBi 125); Spielhagen 1861 Problematische Naturen (S. W. l 477) diese stolze, schlanke Gestalt auf dem lichten Hintergrunde des goldenen Abendhimmels, der ihr herrliches Haupt wie mit einem Glorienschein umgab. Und wie ein Engel des Himmels erschien sie Oswald, in dessen krankes Herz ihre guten mitleidigen Worte wie milder Regen auf eine welke Blume gefallen waren (DiBi 125); Vhland vor 1862 Ged. I 315 hoch oben an der decke (der kirche) war/ des himmels glorie gemalet (DWB); Lingg
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1864 Ged. l 76 um dein so ernstes angesicht/ wie glorie schien das bleiche licht/ der schwarzumflorten trauerkerzen (DWB); Ludwig vor 1865 Ges. Sehr, l 263 stirn und . . scheitel . . erschienen, von dem lichte auf dem tische angestrahlt, wie in einer glorie (DWB); Marlitt 1868 Geheimnis 89 Es gab auch in dieser kleinen Stadt .. Leute genug, die ihre Alltagsgesichter gar zu gern von der Glorie eines berühmten Mannes mit beglänzen lassen, ohne zu bedenken, daß gerade dieser Strahl ihr armes Ich unerbittlich beleuchtet; Justi 1872 Wmckelmann II 1,6 warum vergoldet der glorienschein der erinnerung lieber die an sich bedeutungslosen nebenumstände?; Nordau 1879 Seifenblasen 35 Das Christusbild glänzte in frischen Farben und hatte eine schönvergoldete Glorie um den Kopf; 1885 Mod. Dichtercharaktere 22 eine heilige, eine madonna/ in lichter glorie/ neigtest du lächelnd/ dein liebliches haupt (DWB); Geibel 1888 W. 1132 da freut ich mich, wenn um dein blondes haar/ der glänz der abendröthe wunderbar/wie eine leise glorie spielte (DWB); Franken 1913 Schneide 57 Gleich auf dem ersten Blatt war der kleine Bub auf seines Vaters Arm, die Haare standen wie eine Glorie um das Köpfchen; Münch. N. N. 26. 5. 1936 Ueber seinem [Christi] Haupt liegt kein plumper Glorienschein, sondern ganz feine Goldstrahlen gehen davon aus; N. Z. Z. 23.6.1944 Dieser Artikel, der dem schweizerischen Kapital . . unterschiebt, . . daß es danach strebe, „faschistische Methoden" zur . . Unterdrückung der Werktätigen zu praktizieren, aber natürlich bestrebt sei, diese Politik mit einem „demokratischen Glorienschein" zu bemänteln; Weber 1975 Tote 223 Gelegentlich brauchte er solche moralischen Aufwertungen . . da war der Glorienschein ehrlicher Fairness schon willkommen (DUDEN 1999); Grisebach 1988 Frau o. S. Im hellen Sonnenschein, der durch ein geöffnetes Fenster hereinfiel, glitzerte ihr Haar wie der Glorienschein eines Weihnachtsengels; Spiegel 28. 2. 1994 Doch keine der so verklärten Gestalten erreicht die Schönheit des Weltenrichters. . . Eine Glorie aus gelbem Wetterleuchten umfängt ihn wie ein Krönungsmantel; St. Galler Tagbl. 27.11.2001 Selbst Lokalkolorit fügt sich nahtlos ins Bild: die Guten mit Glorienkranz tragen stilisiert einheimische Gewänder, König David spielt nicht die Harfe, sondern das einheimische Zupfinstrument Cobsa. glorieren: Folz um 1480 Meisterlieder 22 o Maria, wie taugen/ Vor den götlichen äugen/ On wisscnt dein/ Host ewig glorieret/ Mit über groster zirhet/ In sulchem scheyn/ Und durchleuchtiger wunnen. Gloriole: Proelß 1891 Modelle 35 Die herrliche Abendbeleuchtung hat vorhin eine Gloriole um sie
gewoben. Aber eine Heilige ist das verflucht hübsche Ding darum doch nicht; Burchard 1970 D. dreizehnte Zeuge 92 es kommt nicht etwa von einer den dann Erscheinenden umgebenden Gloriole oder . . von seinem Gesicht, denn dann könnte kaum die Rede davon sein, daß es Paulus umblitzt; Mader 1980 Kunstdenkmäler v. Niederbayern 69 Hochaltar. 1757 errichtet . . Rokokoanlage, dreiteilig mit seitlichen Durchgängen. Das Mittelteil ist baldachinförmig gebildet, in der Bekrönung Gottvater mit Gloriole; Salzb. Nachr. 22. 6. 1991 Formal ist das Kuppelfresko auf die Achse zum Chor hin mit der Frau in der Lichtgloriole im Zentrum . . ausgerichtet; Mannh. Morgen 18. 7. 1995 bevor sich dann beim „Wach" auf'-Chor und im Schlußtableau die Aufführung . . unter einer majestätischen Gloriole rundete; Zeit 14. 3. 1997 In Illustrationen der Apokalypse . . erscheint das Lamm Gottes häufig am Himmel in einer Gloriole und läßt willig das Blut aus der Seitenwunde in den Kelch der Kirche strömen; Mannh. Morgen 31.1. 2002 wandten sich ihm zornig zwei Gesichter zu, eine glatte, sommersprossige Vollmondvisage mit rötlicher Gloriole und eine spitze Vogelmaske mit zwei Tage alten Bartstoppeln; Berl. Ztg. 13.2.2002 Demnächst wird die neue Gloriole mit Blattgold verziert, außerdem bekommt sie einen äußeren goldenen Strahlenkranz . . Aufwändig war die Anfertigung des Modells, der Form und des Gipsabgusses der Gloriole, des „Auge Gottes"; taz 18. 1. 2003 die Tatsache, dass sich in der Nazizeit Theologen fanden, die verzweifelt versuchten, dem Juden David seine Gloriole zu entreißen — mit dem absurden Versuch, ihm „Heimtücke" im Kampf gegen den nichtjüdischen Krieger Goliath nachzuweisen; Zeit (online) 24. 7. 2003 Henze sitzt auf seinem Lieblingsstuhl aus Weidengeflecht, dessen Rückenlehne ihn wie die Gloriole eines Pfauenschwanzes umfängt. Glorie 2b: Klinger 1776 Zwillinge (Nicolai 1971 H 959) Himmel und Erde! wenn ich der Wonne denk, in der ich schwebte, ihre Gestalt vor mir seh mit aller Glorie der Schönheit! Grimaldi, das war ein Leben! das waren Zuckungen! (DiBi 125); Matthisson 1795 Italien (Sehr. IV 169) und die hinreißenden Wirkungen des Ganzen [Kunstwerk] müssen uns in der glänzendsten Glorie der Vollendung und Unübertreffbarkeit erscheinen; Goethe 1814 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 558) Wer mit diesem außerordentlichen Manne [Rousseau] nur irgend in Verhältnis gestanden hatte, genoß teil an der Glorie, die von ihm ausging, und in seinem Namen war eine stille Gemeinde weit und breit ausgesäet; Heine 1839 Borne (W. u. Br. VI 86) Sind außerordentliche Menschen heimlich umflossen von dem Ausstrahlen ihres Geistes? Ahnet unser Gemüt der-
Glorie gleichen Glorie, die wir mit den Augen des Leibes nicht sehen können? (DiBi 125); Gutzkow 1850— 51 Ritter 1073 Wo umstrahlt ein edles Weib die reinste Glorie ihrer Bestimmung, als in der engen Klause, wo ein Mutterherz die ersten Pflichten seiner göttlichen Sendung an ihrem Kind erfüllt? (DiBi 125); Schlesinger 1852 London I 63 f. Kein Engländer von heute . . wagt es, dem schnöde hingeopferten Russell einen Strahl aus jenem Gloriendiademe wegzuläugnen, das ihm vom englischen Volke und dessen Geschichtsschreibern geflochten worden ist; Rodenberg 1863 Straßensängerin III 221 Der Abschied verbreitet eine eigenthümliche Glorie um jeden Gegenstand, welchen man zum letztenmale sehen soll; Schmidt 1871 Bilder H 225 die ganze Gattung, die durch den modernen französischen Roman mit der Glorie eines falschen Idealismus überkleidet ist; Nietzsche 1886 W. / 57 Der Glorie der Passivität stelle ich jetzt die Glorie der Aktivität gegenüber, welche den Prometheus des Äschylus umleuchtet (DiBi 2); Nordegg 1907 Berliner Gesellschaft 61 in der Glorie des Reichserrctters von der politischen Bühne abtreten; Dohm 1917 Mißbrauch 3 Der Tod ist im Krieg der Herr der Welt. In purpurner Glorie erstrahlt er zu feierlicher Schönheit - der Heldentod fürs Vaterland (DiBi 125); 1929 Handb. d. Englandkunde H 323 Den Landgeistlichen . . entkleidet May Sinclair . . aller Glorie, indem sie ihn in seinem Epikureismus und Egoismus, seiner Heuchelei und Glaubenslosigkeit rücksichtslos enthüllt; Stegemann 1930 Tage 7 [Moritz von Sachsen] hielt Selbstgespräche wie ein Einsiedler, seit er, um seine Anwartschaft auf Kurland . . betrogen, in Chambord seinem bunten, schönen Leben nachsann, in seine Glorie gehüllt, mehr mit seinen Erinnerungen als mit falschen Träumereien schlafen ging; 1936 Weltgeschehen 194 Sie ist ganz geblendet von der faschistischen Glorie, ganz gefesselt von der Erscheinung des Duce; Dhünen 1939 Spiel 56 wenn er [Ausbilder] eine Übung vormacht, soll die Glorie des Unerreichbaren ihn umschweben; Klemperer 1946 LTI 322 immer wieder hat, was in irgendeiner Weise seine Führerglorie erhöht oder rückspiegelt, „säkulare" Bedeutung; Stuttgarter Ztg. 11.4. 1967 daß zum Beispiel beim Verblassen des Glorienscheins von Mercedes und anderer schwäbischer Autofirmen . . der Druck der Wirtschaft auf die Behörden .. groß werden könnte; f'AZ 13. 8. 1971 Heute ist der Sprint in der Bundesrepublik von einem frischen Glorienschein umgeben; 1981 Kicker Nr. 82 Bis Benfica wieder die Glorie früherer Zeiten . . umgibt, wird es allerdings noch ein Weilchen dauern (DUDEN 1999); Borst 1988 Barbaren 226 Die Katharer trugen die Glorie des Märtyrertums fast durchweg mit Würde.
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Gloriole: Wieland 1784 Aeronauten (S. W. XXX 99) mit einiger Vorsichtigkeit gegen die feinen Sprachwendungen, worin unsre lieben Westfranken [Franzosen] so große Meister sind, wenn es darauf ankommt, die blinde Seite einer Begebenheit, wo ihre Gloriole mit im Spiele ist, zu verheimlichen; Berenhorst 1798 Kriegskunst H 42 Das Beyspiel des Themistokles . . behält nichtsdestoweniger seine Schönheit, weil es die Grenzlinie zwischen wahrer und eingebildeter Ehre . . auf der einen Seite, — und zwischen Persönlichkeit, die nur eigene Gloriole im Auge hat, auf der ändern, — so genau angiebt und abzeichnet; Holtet 1858 Erz. Sehr. II 137 mit der gloriole der märtyrer unserer modernen gesellschaftlichen zustände geschmückt (DWB); Gervinus 1872 Hinterlass. Sehr. 32 Ich hätte mich in einer leichterworbenen Gloriole spiegeln können, wenn ich mit den Myriaden in die Knie gesunken wäre, den Erfolg mit anzubeten; Braun 1881 Bilder IV 325 Gloriole der eigenen Ahnen; Bleibtreu 1888 Größenwahn II 222 der erste Amant der schönen Verderberin! Der saß jetzt seelenvergnügt daheim und sonnte sich in seiner neuen Gloriole (DiBi 125); Bierbaum 1897 Stilpe 49 Wer nicht mit allerhand Teufeln den Tanz bestanden hat, kann weder eine Gloriole noch den Lorbeerkranz erhalten (DiBi 125); Gregori 1908 Josef Kainz 7 Wir erleben es nun freilich oft, dass ein . . amusischer Geselle sich mit plumper Hand eine Gloriole um die Stirne malt; Holz 1913 Ignorabimus (W. IV 617) die falsche, verlogne, künstliche Gloriole, mit der sie so lange mühsam ihr magdalenisches Haupt umwunden und geschmückt hatte (DiBi 125); Gothein 1914 Gartenkunst II 134 es wurde dem Menschen eine einzig schöne Gloriole gewoben durch die Liebe, die unermüdliche Treue und tätige Anhänglichkeit seiner Freunde, der Dichter, Künstler und Literaten; Boy-Ed 1915 Vor d. Ehe 210 das Holde, das Ergreifende, das die Mildtätigkeit hatte — dem Ausübenden eine Gloriole verleihend — dem Empfangenden das Herz erweichend und den Gram lösend (DiBi 125); 1925 ZfMenschenkunde l 3,29 Und über Börsenjobbern, Spekulanten, Politikern und praktischen Geschäftsleuten steigt wie eine Gloriole ein Fragezeichen zum Firmament: Was wird morgen . . sein?; ebd. 1926-27 II 2,29 Ältere Schauspieler, die Nebenverdienste gebrauchen oder nach der Gloriole des „Meisters" dürsten, züchten den Nachwuchs; Lokal-Anz. 18. 8. 1934 Ihnen winkt nicht die Gloriole des großen Rennsiegers, sondern höchstens ein schlichter Silberpokal oder eine noch schlichtere Plakette; Münch. N. N. 6. 10. 1938 Die Gloriole, die die tschechischen Führer sich aufs Haupt gesetzt haben, hat den Glanz eingebüßt; Klemperer 1941 Tagebücher 634 In diesem einen Punkt der Liebe und Treue bin ich mir immer glorreich er-
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schienen. Was bleibt von dieser Gloriole, wenn ich mein Leben nachprüfe. "Wo ist das Verdienst der Liebe und Treue, wenn man alles, wirklich alles Gesuchte findet?; Ritter 1948 Machtstaat 95 [Englands Kampf gegen Napoleon] Die Zähigkeit seines Widerstands dagegen durch lange Jahrzehnte liess die Engländer in den Augen der unterdrückten festländischen Nationen in der Gloriole der Vorkämpfer für Recht und Freiheit erscheinen; Süddtsch. Ztg. 3.4. 1952 Die Gloriole des Vertriebenen und Bombengeschädigten als eines Märtyrers, welcher des Mitleides und der Unterstützung bedürftig ist, ist verblaßt; Bamm 1956 Ex ovo 50 Das Vertrauen seiner Patienten ist die noble Gloriole, die über seinem grauen Haupte schwebt. Wie könnten sie je verstehen, daß er im Recht war, als er zur falschen Diagnose das falsche Medikament gab!; Heimpel 1960 Kapitulation 113 Unterbewertung, ja ungerechte und undankbare Schmähung der Soldaten, und schon wieder fast Überbewertung des Soldatischen und seiner formenden Kraft für das Leben . . Denazifizierung und schon fast wieder neue Gloriole, Kapitulation und Aufrüstung; Friedeil 1961 Aufklärung 57 ist Kaiser Josef vor allem umwoben von der strahlenden Gloriole der Toleranz (DUDEN 1999); Mannh. Morgen 18. 5. 1985 Im Rückblick indes erscheinen auch diese Zeiten für die Beteiligten in einer gewissen Gloriole; Zeit 25. 10. 1985 wenn wir das Kind weggeben würden . . Die Gloriole der Aufopferung wäre dahin. Ein behindertes Kind schenkt immer noch das Gefühl, etwas Gutes zu tun, wenn man daheim bleibt - eine „Aufgabe"; taz 5. W. 1992 Helena, die . . den Trojanischen Krieg, nachdem er schon mal um sie entbrannt war, mit einer gewissen Gloriole erleuchtete; Salzb. Nachr. 2. 9. 1994 im komplementären Bemühen, den Ausschußzeugen der Gegenseite einen Schmutzkübel überzustülpen, den Parteifreunden hingegen eine Gloriole; Mannh. Morgen 20. 2. 1996 Kunst wird gefälscht seit Kunst ihre Schöpfer mit einer Gloriole höherer Weihen umgibt; Berl. Ztg. 6. 2. 2001 Wie verlogen die Gloriole des ruhmreichen Heldentodes sein konnte, hat er frühzeitig durchschaut; ebd. 13. 11. 2002 Wie schwierig es sein muss, durch das Licht der eigenen Gloriole noch die Umwelt wahrzunehmen!; FAZ 18. 3. 2003 so bleibt von der Gloriole, die in der traditionellen Historiographie um den Soldatenkaiser Basileios II. (976 bis 1025) gewoben wird, . . nicht viel übrig; ebd. 24. 9. 2005 James Dean hat zu seiner Gloriole beigetragen, was er konnte. Glorie 3: Herder 1774 Philosophie d. Gesch. (Müller 1978 I 371) die Philosophie, die Freiheit, zu denken, war gewiß zu diesem neuen Throne nur wider Wissen und Willen Gerüst: plötzlich einmal
die Wolke zerteilet, und wenn sie denn dastehn wird in voller Glorie die alleuchtende Sonne der Welt (DiBi 125); ders. 1774 S. W. VI 261 Siehe da ging die Sonne auf! die herrlichste Erscheinung der Natur! Flamme! Glorienantlitz!; 1784 Merkur I 263 ein Außzug eines Briefes dessen Verfasser zum erstenmale . . im May, einen von den ersten Strahlen der Morgensonne um seinen Schatten gebildeten Heiligenschein, oder sogenannte Glorie, wahrgenommen hat; Matthisson 1787—93 Gedichte l 184 Dann erscheinen mir, im Erinnerungstraume/ Hirtenfluren, umragt von Alpengipfeln,/ Wo, nach Blumen zu spähn, du in des Aufgangs/ Glorie wandelst; Hölderlin 1797 S. W. I 195 Oft im stillen Tannenhaine/ Webe dir ums Angesicht/ Seine zauberische reine/ Glorie das Abendlicht! (DiBi 125); Becker 1799 Mildheimisches Liederb. 3 ich [Mensch] tausch um allen deinen glänz,/ um deine glorie, du große sonne!/ nicht einen strahl aus meinem kränz (DWB); Herder 1799 S. W. XXII 50 Dort steht am Himmel die zurückgeworfene Glorie der Sonne; Novalis 1799-1800 Ofterdingen (HKA l 307) Die Flamme ward weißer und mächtiger, je fahler die Sonne ward. Sie sog das Licht immer stärker in sich und bald war die Glorie um das Gestirn des Tages verzehrt und nur als eine matte, glänzende Scheibe stand es noch da (DiBi 125); ebd. I 328 der Abendstern (trat) in voller Glorie über den Wald herüber (DiBi 125); Fischer 1804 Bergreisen I 163 So standen wir über eine halbe Stunde in den Anblick der goldenen Glorie versunken, die über dem geheimnisvollen Gipfel zu schweben schien; Sommer 1806 Poet. Versuche 58 Daß ich an dem Feuerquell der Sonne,/ In der Glorie des Himmels glüh',/ Daß ich, im Gefühl der höchsten Wonne,/ Sonnen und Planeten überflieh'! (DiBi 125); Maler Müller 1811 W. / 186 wie alles unter der sonne erwacht, eine herrliche glorie dort unten (DWB); ebd. H 133 diese schöne sonne [sollte] mitten in ihrem glorienlauf versinken? (DWB); Charlotte v. Ahlefeld 1822 Ges. Erz. II 33 Keine der Frauen und Jungfrauen, die Dich umgaben, wie eine Glorie von Strahlen die Sonne umgiebt, machte Eindruck auf mich — ich sah nur Dich, die sie alle überglänzte (DiBi 125); Bettina v. Arnim 1835 W. u. Br. l/ 334 daß die Abendsonne ihre Glorie über euch spielen läßt, und der Wolkenhimmel eine heilige Farbenharmonie euch lehrt, . . das gibt euch, ihr Augen, die Mutter Natur zu trinken (DiBi 125); Schlesinger 1852 London I 213 Auch auf dem englischen Lande zeigt sie [Sonne] sich nicht seltener als anderswo in voller, breiter, angewohnter Glorie; Eichendorff vor 1857 S. W. l 393 nun, morgenlohe, hülle/ in glorie dein reich (DWB); Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen I 293 Aus einer Lichtspalte in den Wolken schoss in breiten Streifen Silberglanz herab durch den feinen Nebel. Der Himmel
glorifizieren strahlte silbernen Glorienschein aus, und die Berge trugen ihn als einen leuchtenden Schleier; Mosen 1863 S. W. Vll 244 die sonne [ist dargestellt] mit einem gloriengesichte (DWB); Nordau um 1880 Kreml II 183 wie die Flamme ihr stolzes Dasein nur auf Kosten der Kerze fristen kann und wie diese sich in ihrer eigenen leuchtenden Glorie verzehrt; Eckstein 1897 Roland 113 Dieser Jemand aber, diese gleichfühlende Seele, mit der sie gemeinsam die Glorie des venezianischen Tagsterbens betrachtete; 1912 ZDÖAlpenver. 33 wie ein schwarzer Recke bäumt sich das Matterhorn empor, vom letzten Glorienschein der sinkenden Sonne um woben; Werfet 1924 Verdi 142 ein Knabe, dessen Schönheit so auffallend war, daß man hätte glauben können, sie ziehe einen Kreis von Einsamkeit um das Kind. Besonders engelhaft erschien das lange metallblonde Haar in der Sonnenglorie; Weigand 1930 Gärten Gottes 103 das freie land .., über das der sommerabend in seiner goldenen glorie niedersank (DWB); Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1576) Da steht sie . . und blickt . . ins urbare Land hinaus, über dessen Fernen das Licht sich in türmenden Wolken zu breit hinflutender Strahlenglorie bricht; ders. 1951 Erwählte (W. Vll 155) in einer Kemenate von Holz saß sie, in faltenweitem Kleide, hinter dem Scheitelhäuptchen einen Kreis von Glorie und zwischen den erhobenen Händchen ein Buch, darin sie in aller Unschuld gelesen; 1989 Brockhaus VIII 602 Glorie . . aus einem System von farbigen Ringen (von innen nach außen: Blau, Grün, Gelb, Rot) bestehende Leuchterscheinung um den Schatten des Beobachters oder eines anderen Objekts (z. B. Flugzeug, Ballon) auf einer von der Sonne (oder dem Mond) beschienenen Nebelwand oder Wolkenoberfläche. G[lorien] entstehen durch Beugung des reflektierten Lichtes an den Wassertröpfchen oder Eiskristallen des Nebels oder der Wolke. Gloria: Heer 1900 Bernina 298 lagen in Glanz und Gloria die Albulaberge; Kerr 1900 Br. a. d. Reichs-
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hauptstadt 575 Die Wasser fließen dahin; an denselben sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen. Bald wird der Frühling mit seiner Gloria holdselig leuchten, die Erde wird Gräser tragen, und es werden Blumen wachsen. Gloriole: Bierbaum 1897 Stilpe 233 Es ist das Katholikon der Getränke. Auserwählten ist es gegeben, zu sehen, daß diese Bowle eine tiefgoldene Gloriole hat (DiBi 125); Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 262) durchzogen von zwei schmalen, erleuchteten Wolkenstreifen mit vergoldeten Rändern stand sie [Sonne] groß und schräge am Himmel, setzte die Wipfel der Bäume in Glut und goß ihren gelbrötlichen Glanz über den Garten hin . . inmitten dieser goldigen Verklärung, die gewaltige Gloriole der Sonnenscheibe zu Häupten, stand hochaufgerichtet im Wege eine . . Person; MüllerJahnke 1910 Ged. 250 Da brach ein mittagliches Flammenmeer/ durch die Bogenfenster des Konsulats/ und wob eine Gloriole/ um das blonde Haupt des jungen deutschen Beamten (DiBi 125); Ball 1916 Flammetti 37 Auf dem 'Mönchsplatz' lärmten die Kinder. Sie putzten einander die Nasen, banden einander die Hosen zu, säuberten sich die Köpfe. Aber um jeden Kopf legte die Sonne eine kleine Gloriole (DiBi 125); Binding 1928 Erlebtes Leben 271 das licht übergoldete nackte blühende schultern, geneigte köpfe mit den gloriolen von strahlenden flechten und locken (DWB); Stegemann 1930 Tage 29 Ein Sonnenstrahl . . liess den herrischen Kopf [des Marschalls] in einer Gloriole aufleuchten; Bauer 1942 Kraniche 13 dass der Himmel über dem Kriegsmorgen violett ist. Die Sonne schiebt sich am Rand der Dinge herauf und spannt ihre billig bunte Gloriole über den Grenzzaun; taz 9. 5. 2001 Aber da, ein Licht! Eine helle Gloriole illuminierte das schnauzbärtige Gesicht eines Schwarzen mit Mikrofonfrisur . . Kein Zweifel möglich, es war Hendrix.
glorifizieren V. (in)trans., seit 14. Jh. vereinzelt, seit 15.716. Jh. häufiger nachgewiesene Entlehnung aus kirchenlat. glorificare 'rühmen, ehren; verherrlichen, verklären' (zu lat. gloria, —> Glorie, und facere 'machen, tun', vgl. glorificus 'glorreich'; —» Faktor, —» Faktum, —» Fazit), früher in der Schreibung glor if icier en. a Zunächst und bis ins 17. Jh. vorherrschend, heute nur vereinzelt nachgewiesen in der auf sakrale Personen, Gegenstände und Sachverhalte bezogenen Bed. '(Gott, Jesus, Maria, Heilige) loben, (lob-)preisen, ehren, verherrlichen, rühmen; (singend) frohlocken, jubeln, jubilieren' (vgl. glorieren, —> Glorie la), älter auch (von Gott oder Priester als handelndem Subjekt) '(Gläubige, Heilige) selig-/heiligsprechen, segnen; verklären, erleuchten, vergöttlichen, heiligen, in die himmlische Seligkeit, die Gemeinschaft der Heiligen aufnehmen; in den himmlischen Zustand verwandeln
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glorifizieren
(bes. vom Leib Christi)' (s. Belege 14. Jh.l, 14. Jh.2, vor 1327, um 1450, um 1480, 1522.1, 1522.2, 1523.2, 1531-32, 1565, vor 1576, vor 1624, 1700, 1712, 1797; Ggs. exkommunizieren, —·· Exkommunikation, exsekrieren, stigmatisieren, —> Stigma), z.B. Gott, den himmlischen Vater, den Leib Christi glorifizieren, häufig auch adj. verwendet im Part. Perf. glorifiziert, in Wendungen wie die glorifizierte Stadt 'himmisches Jerusalem', glorifizierte Leiber/Körper 'verklärte Seelen, Selige; Engel' (—» Glorie la). b Im 16. Jh. vereinzelt, seit Mitte 19. Jh. kontinuierlich belegt in der auf den profanen Bereich bezogenen, oft eher abwertenden Bed. 'jmdn./etwas (übertrieben) hervorheben, (über Gebühr) rühmen, preisen, verherrlichen, jmdn. (unverdient) in den Himmel, auf den Thron, Sockel heben; jmdn. bzw. etwas (eigentlich Negatives) verharmlosen, beschönigen, (nachträglich) rechtfertigen' (vgl. idealisieren, euphemisieren, heroisieren, patbetisieren; Ggs. dämonisieren, stigmatisieren), vereinzelt als V. intrans. 'froh (z. B. über den Ausgang einer Angelegenheit) sein, jubeln, frohlocken' (s. Belege 1808, 1834; —> triumphieren), und als V. reflex, 'sich rühmen, prahlen' (s. Belege 1852, 1864; vgl. glorieren, —* Glorie Ib); in Wendungen wie er wurde als Held glorifiziert, die Mutterschaft, den Staat, den Krieg, den 17. Juni glorifizieren, am Ende glorifizierte er, in aller Bescheidenheit und ohne sich glorifizieren zu wollen, oft in der adv. und attr. verwendeten Part. Perf.- bzw. Part. Präs.-Form glorifiziert bzw. glorifizierend, z.B. ein glorifiziertes Bild des Dritten Reichs, eine glorifizierende Sichtweise des Orients (—+ Glorie Ib). Dazu seit Anfang 15. Jh. das Verbalsubst. Glorifizierung F. (-; -en), zunächst im religiösen Kontext, z. B. Glorifizierung der Heiligen, des Leibes Christi (zu a), seit Mitte 19. Jh. auch im weltlichen Bereich, z.B. Glorifizierung des unbekannten Soldaten, des Lebens in den Kolonien, eine nach Glorifizierung klingende Ansprache, Glorifizierung der Pioniere des Dritten Reiches, der Person Hitlers, des Wilden Westens, der Monarchie, des Bonapartismus (zu b); weitgehend gleichbed. mit seit Ende 18. Jh. nachgewiesenem, aus kirchenlat. glorificatio entlehntem Glorifikation F. (-; selten -en) 'Segnung, Seligsprechung; Verklärung, himmlische Verwandlung; Lobpreisung, Verherrlichung (Gottes)' (zu a), dann v. a. (meist leicht abschätzig) für 'uneingeschränkte (schwärmerisch übertriebene) Bewunderung, Zustimmung; Vergötterung', z.B. Glorifikation seines Gegners, die Glorifikation Frankreichs, des Sonnenkönigs, eine poetische Glorifikation der alten Zeiten (zu b). glorifizieren a: 14. Jh. (Dtsch. Mystiker H 645) daz unser lip glorificieret wirt mit der sele nach dem Jungesten tage (DWB); Wackernagel 14. Jh. Altdtsch. Fred. u. Gebete 192 In dieser glorificierten stat [das „himmlische Jerusalem"] so der gross Künig seyn wonung hat; Eckhardt vor 1327 (Dtsch. Mystiker H 654) in eime unglorificierten libe (MÖLLER); 15. Jh. (Mone, Schauspiele d. Mittelalters II 232) Die Kranckheit ist nit zu dem tod,/ da durch so wirt geeret got/ und glorificiert, als ich dir sag,/ Lasarus noch wol leben mag; um 1450 Predigt e. Karthausermönchs (1932 Münchner Mus. V 130) daz heilig plut, in den lebendigen ädern dez herren jhesum glorificirt; 1-475 Dtsch. Bibel (Kurrelmeyer l 204) und die hirten die kerten wider und glorifitzirten und lobten gott; Folz um
1480 Meisterlieder 400 Nun spricht aber der herr: 'Das sey ferr von mir! wan wer mich erdt, den will ich glorificiren'; Geiler v. Kaysersberg 1510 Seelenparadies (S. W. Ill 252) also sol eüwer liecht leuchten das sy euwere gutenn werck sehen/ unnd glorificierenn eüwren vatter/ der in den hyemelenn ist; Albrecht v. Eyb 1511 Spiegel d. Sitten D 2b in [Gott] zu loben und zu glorificiern mit worten, wercken und gedencken; Luther 1522 Predigten (WA X 3,383) [Christus] durch den todt glorificirt worden; Güttel 1522 Dialogus G4b gott Abraham, vnd gott Isaac, vnnd got Jacob, got vnserer vater hat glorificyrdt seinen son Jesum, den ir vberantwurdt vnd verleuckent habt; Regius 1523 Erklärung d5a man soll die hailigen in got eren vnd loben . . Sy glorifficierten got in mir, Elizabeth lobt
glorifizieren vnd eeret Mariam also; Schatzger 1523 Eerung Blb [Christus, der seine Mutter Maria] über alle menschen, vnd engel liebet, eeret, vnd glorificirt; Paracelsus 1531—32 W. / 9,315 sol der heilig am jüngsten tag wieder auferstehen und in seinem cörper rechnung geben seines lebens, so wissen das derselbig leib muß glorificirt werden . . was ist ein heilig gescheiden von mir oder ändern, als alein in dem das er glorificirt ist?; Heyden 1565 Plinius 259 wer des glorificierten herren Christi wil theilhafftig werden; Sachs vor 1576 (I 390) da gott die argen straffen wird/ und die frommen glorificirt/ mit leib und seel frölich erstehn (DWB); Guarinonius 1610 Grewel d. Verwüstung 4a dich glorificiert das himlisch heer (DWB); Schweighart 1617 Mors Christi 47 Aber diese Erden/ da der Mensch von gemacht wurde/ ist nicht rein oder glorificirt, vnnd nach art der Himmlischen klarheit geseubert; Böhme vor 1624 S. W. VI 121 welcherlei neue glorificirte leiber die seelen werden haben? (DWB); Hoyers 1643 Poemata 180 Deine Warheit/ Werd außgebreitt/ Dein nahm glorificiret/ Gebenedeyt dein Herrlichkeit/ Die Ewig Guberniret (DIBi 125); Klaj 1644 Redeoratorien (Fußn.) 42 Dieses ist geschehen nach Art der glorificirten Cörper/ welche können gesehen werden/ und nicht können gesehen werden/ wenn sie wollen/ . . Christus der Herr/ der nicht allein einen verklärten Leib/ sondern der auch die Göttliche Krafft und Macht hatte/ welche vermag/ daß auch ein unverklärter Leib wunderbarlich nicht kan gesehen werden; Eisenhuet 1700 Ehre IV 9 Heil. Ertz-Engel Michael . . umbgeben mit glorificierten Leibern [Engeln]; ErtI 1712 BußKraut 12 [im Himmel nach Vergebung der Sünden] mit unsern glorificirten Leibern gekleidet . . erscheinen; Schnabel 1731—43 Wunderliche Fata 275 du wirst den Philosophischen, inwendig feurigen König mit seiner Crone aus dem Braut-Bette seines crystallinischen Grabes heraufsteigen sehen, in seinem glorificirten feurigen höchst vollkommenen Leibe, mit allen Farben der Welt geschmückt gleich einem hell-leuchtenden Carfunckel und Wasser-speyenden Salamander (DiBi 125); Herder 1797 S. W. XIX 343 es war der leib, der am kreuz gestorben, im grabe wiederbelebt war . . kein phantom . . kein glorificirter halbkörper (DWB); Vulpius 1799 Rinaldo 137 An einer Ecke, wo ein Marienbild stand, brachten arme Kalabresen . . der heiligen Jungfrau ein Ständchen. In diese glorifizierende Gesellschaft mischte sich Rinaldo, bezeigte den frommen Musikern seinen Beifall und schenkte den armen Leuten Geld (DiBi 125); Rixner/Siber 1819 Berühmte Physiker 147 Dem Adam hat Gott es geoffenbaret . . Hermes, Aristoteles . . rühmen es über alle Massen, als das Geheimnis alles Geheimen, als eine göttliche Kraft . . In seinem fünften Wesen erscheint es in einem glorificir-
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ten und erleuchteten Leibe, der keinen Mangel mehr hat, und Alles in's Beste und Vorzüglichste verwandelt; Tieck 1828 Schriften 1197 Nein, sprach ich, frommer, gottgesandter Mann/ So moege mir mein schoenster Wunsch nie gluecken/ Wenn nicht geschieht, was ich vollfuehren kann! . . Nun soll man euch verehrt herrlich erblicken,/ Was Reichthum, Pracht, Gold, Demant in sich fuehren/ Soll glaenzen, leuchten, euch glorificiren; Battr 1843 Christi. Lehre III 247 daß nicht Eine Natur allein, sondern beide Naturen zugleich in der Einen Person des glorificirten Christus unsere Rechtfertigung und christliche Gerechtigkeit seyn müssen; ders. 1866 Christi. Dogmengesch. II 265 Im Abendmahl wird das glorificirte Fleisch mit seiner sündentilgenden lebendig machenden Kraft aufgenommen, wenn auch vorzüglich, doch nicht ausschliesslich; Trede 1889 Heidentum in d. röm. Kirche 232 Feste, lauter Triumphe ihrer glorifizierten Schutzgottheiten! Die Kirche nimmt in der That auch die Tiere unter ihren Mantel; Schnitzer 1892 Berengar v. Tours 308 So wenig ein gewöhnlicher Leib an vielen Orten zugleich sein kann, so wenig kann es der glorifizierte Leib Christi sein; Grass 1962 Blechtrommel 112 Er öffnete sich das Gewand über der Brust und zeigte in der Mitte des Brustkastens, aller Natur zum Trotz, ein tomatenrotes, glorifiziertes und stilisiert blutendes Herz, damit die Kirche nach diesem Organ benannt werden konnte; 1993 FAZ o. Nr. Tschentalinsky hat in der Lubjanka ein gigantisches Versepos, vielleicht dem Igorlied vergleichbar, „Das Lied der höchsten Mutter", entdeckt, in dem der geniale Poet seine eigene Mutter, das Mutterland Rußland sowie die Mutter Gottes glorifiziert. Glorifikation: Herder 1797 S. W. XIX 379 diese enthüllung Christi, diese reine glorification desselben ist das schätzbarste in Johannes (DWB); Stahr 1857 Nach 5 Jahren 45 Glorifikation des heiligen Ludwig; Honegger 1865 Literatur 43 zur mystisch durchwobenen Glorification [in der polnischen Literatur der Zeit], einer Art von Märtyrerthum; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 200 Glorificationen von Heiligen [in der Malerei]; Hellwald 1878 Orient 13 Glorification des arabischen Propheten [durch Gibbon]; Kraus 1895 Br. Beil. Nr. 278 dass [den Freimaurern] der Löwenantheil der Glorification zufiel; ders. 1896 ebd. Nr. 202 [Mannings] Glorification der englischen etablirten Kirche; Jung 1971 Traubenmadonnen o. S. die vielseitig verwobene symbolhafte Aufgabe des Weines im gesamten christlichen Mysterium . ., die im liturgischen Weinmirakel: aus Wein wird Christi Blut, gipfelt — eine Glorifikation von Traube und Wein, die an die religiöse Bindung dieser Gaben in der antiken Mythologie anknüpft.
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glorifizieren
Glorifizierung: Vintler 1411 Pluemen d. Tugent 9965 auch frewen sich die himelischen degen/ und von der glorificierung wegen,/ die si nach dem leib und sele haben; Geiler v. Kaysersberg 1508 Dtsch. Fred. (S. W. II 96) So steet auf in dem hertzen des menschen/ ain bewegung des lobes benedeiung und glorificierung/ in betrachtung des unschätzlichen gottes wurdikait; ders. 1512 Bilgerschafft 12c denn so wir gesterben und zu himel koment, so gibt uns got sin teil zu unserm teyl. das ist glorificierung und ere ewiglichen mit im zu haben (DWB); Paracelsus 1531-32 W. I 9,315 was ist die glorificirung des leibs als alein hinnemen die natürlichen kreft?; Böhme vor 1624 S. W. II 14 denn der heilige bäum wallete in der natur, als er sich jetzt erheben und in glorifizirung der heiligen, göttlichen majestät anzünden wollte (DWB); ebd. U 130 also siehet der könig oder großfürst Michael gott dem vater gleich in seiner glorificirung oder klarheit (DWB); Meisel-Hess 1909 Sexuelle Krise 127 Mit den Schmerzen der Enthaltung im geknechteten Leib werden nur Märtyrer geschaffen, aber keine Helden. Die Glorifizierung des Leides, der Entsagung, der Verneinung des Willens zum Leben / und damit vornehmlich der Liebe / diese Glorifizierung des Leides, welches die Seele läutern soll, hat lange Zeit die Auffassung der Moral beherrscht (DiBi 125). glorifizieren b: Dürer 1505 Br. an Pirkheimer (Müller 1857 Künstler I 504) Wy ist vns beden so woll, so wir vns gut geduncken, ich mit meyner thafell vnd Ir cun woster Weisheit, so man vns glorifizirt so recken wir dy Hels vber sich vnd glawbens; Thurneisser 1583 Onomast. II 88 ein Honoration oder Verehrung/ die man einem durch reden/ oder loben/ oder auch mit wercken/ als neigen/ das Bareth abziehen/ Hend bieten/ vnd dergleichen/ (wie man dem Babst zu ehren/ vnd ihme darmit glorificiren/ die Füss küsset) gutes anthut; 1808 Jenaische Allg. Lit.-Ztg. III Sp. 229 Worin besteht die Freude und das Glorificiren des grossten Theils unserer Botaniker anders, als in dem Jagen nach neuen Gattungen, im Spalten derselben in Arten, und jeder hält sich um so vielmal klüger und berühmter, als er mehr Arten aufgetrieben hat; 1834 Blätter f. lit. Unterhaltung l 428 Das meiste Wasser moechte noch 'Der Stumme', eine Erzaehlung aus den Ritterzeiten haben, denn es wird viel darin geweint; der Unschuld geht's zu Anfang erbaermlich, bis sie zuletzt glorificirt; Alexis 1852 Erste Bürgerpflicht 465 Gott bewahre! jetzt wird sich erst der eigenthümliche Glanz der Staatskunst entfalten. Nichts thun, und wenn man in der Klemme steckt, sich justificiren und glorificiren, daß man die Hände in den Schooß gelegt (DiBi 125); Fontäne 1859-61 Wanderungen (S. W. I 438)
die Helden, die durch solche oder ähnliche Anekdoten glorifiziert werden sollen (DiBi 125); Mommsen 1861 Rom. Gesch. I 938 f. Oder hatte Cato nicht Ursache es dem Nobilior vorzurücken, dass er den Ennius, welcher übrigens in seinen Versen die römischen Potentaten ohne Ansehen der Person glorificirte und auch den Cato selbst mit Lob überhäufte, als den Sänger seiner künftigen Grossthaten mit sich nach Ambrakia nahm?; Riehl 1861 Bürgert. Gesellschaft 256 solche Stücke, in denen die Verhöhnung aller Sitte und Ehre des Hauses, sofern sie nur in 'anständigen' Formen geschieht, glorificirt ist; 1864 (1895 Bismarck — Neue Tischgespr. 20) [Bismarck] äusserte sich, ohne irgend sich glorificiren zu wollen [über den Schluss des Kriegs gegen Dänemark]; Rutenberg 1877 Zinne 86 die höhere Artung der weiblichen Liebe zu glorificiren; Kretzer 1880 Genossen 162 Lehre von der freien Liebeswahl, die durch die Ungleichheit der Ehen den Ehebruch glorificirt!; Fontäne 1898 Zwanzig 476 Sie wollen uns [den preußischen Provinzialadel] glorifizieren [in den Romanen G. Hesekiels], und sie ridikülisieren uns bloss; Wurzbach 1899 Lope de Vega 182 In einem Drama in zwei Teilen glorifizierte Lope das Geschlecht der Tellos; Dohm 1917 Mißbrauch 3 so waren die Machthaber die Vollstrecker von Evolutions-Weltgesetzen, die unbezwinglich sind wie Erdbeben und Sturmfluten. Darum ist es durchaus begreiflich, daß so viele Geistesgrößen der Vergangenheit den Krieg glorifizierten (DiBi 125); Moreck 1928 Liebe 39 Diese Idealisierung der feilen Liebe .., in der die Schande glorifiziert wird, enthält einen nicht ungefährlichen Anreiz zur Nachahmung; Mühsam 1929 Unpolit. Erinn. (W. H 530 f.) die Feierlichkeit, mit der seine alten Freunde . . die Geschlechtsbeziehungen der Menschen als poetisch zu glorifizierende Angelegenheit behandelten (DiBi 125); 1931 Mil. Wochenbl. 362 W ie derum, wie nach 1870/71, wird in Regiments-Geschichten [1914—18] der hohe Verlust an sich glorifiziert; Klemperer 1946 LTI 337 Im allgemeinen aber ist Stieves Stil ausschließlich gekennzeichnet durch die einseitige Betonung des Gefühls, da er alles und jedes aus dieser glorifizierten und privilegierten Haupteigenschaft der Germanen ableitet; Süddtsch. Ztg. 3.11. 1949 das heutige Christentum wird nicht, wie im amerikanischen Film, optimistisch glorifiziert; ebd. 20. 3. 1954 wir wollen uns von unseren Politikern den westdeutschen Barras weder pathetisieren noch glorifizieren lassen; Offenburger Tagebl. 2.11. 1961 nicht um den bittern Tod im Schlachtfeld als ehrenvoll zu glorifizieren; Stuttgarter Ztg. 3. 6. 1967 James Bond und amerikanische Cowboys sind . . von allen arabischen Kinoleinwänden verbannt worden, da sie „die Amerikaner und Briten als unbezwingbare Helden glorifizieren"; FAZ
glorifizieren IS. 6. 1970 William Borm (Berliner FDP-Abgeordneter) sprach über den 17. Juni und warnte davor, den „Tag der deutschen Trauer und der Schmach" zu glorifizieren; Zeit 22. 8. 1986 Dafür wurde die Vergangenheit glorifiziert, die Zukunft mit dem Mythos einer „nationalen Erneuerung" verbunden; Salzb. Nachr. 19. 9. 1991 wird dem einst bespöttelten, dann aber glorifizierten Kolumbus als Nationalheld kurz Erwähnung zuteil; ebd. 26. 9. 1992 Bevor das gesamte Gleichbehandlungspaket aber nicht endgültig auf dem Tisch liege, könne man es „weder verdammen noch glorifizieren"; Presse 30. 10. 1995 diese . . Volkskundlergeneration . . ist auf Distanz zu jeglichem romantisierenden, gar glorifizierenden Patriotismus gegangen und betrachtet auch die ernsthaftesten Dinge mit einem gewissen skeptischen Augenzwinkern; Berl. Ztg. 14. 8. 2000 Trotz allem, was man über den Nationalsozialismus weiß, gab es lange Zeit rund um Berchtesgaden ein glorifiziertes Bild der Zeit, als Hitler hier seine Sommerresidenz hatte; FAZ 24. 3. 2001 einen die Ruhmestaten der Roten Armee glorifizierenden Film; Berl. Ztg. 8. 5. 2002 Einige wollten die Gedenkstätte nach der Wende schleifen . . Weil hier zu DDR-Zeiten einseitig die sowjetischen Soldaten glorifiziert wurden; Berl. Ztg. 24. 10. 2005 Dabei werden viele Heroen der Medizin genannt, in schneller Folge und manchmal allzu glorifizierend. Glorifikation: Riemer 1833 Tagebücher (1925 Jahrb. Samml. Kippenberg V 37) Wir Deutsche feiern in Goethe eigentlich unsere Verklärung und Glorifikation, Das ist die Blüte und Frucht des deutschen Wesens bis jetzt; Hebbel vor 1863 W. XI 311 man braucht sich nur an die glorification zu erinnern, die den wanderjahren zu theil geworden ist (DWB); Nietzsche 1872 Geburt d. Tragödie (W. l 70) Dies sagt uns der Dichter, der mit heroischer Kraft ein langes Leben hindurch dem Dionysus widerstanden hat — um am Ende desselben mit einer Glorifikation seines Gegners und einem Selbstmorde seine Laufbahn zu schließen (DiBi 2); Fontäne 1873 Wanderungen (S. W. XI 206) den „Sipunt" kennenzulernen, der . . noch über die Dorfesherrlichkeit hinaus, eine poetische Glorifikation gefunden hat (DiBi 125); Dohm 1874 Frauen 30 Die theils poetische, theils rohe Ehrfurcht vor dem Alterthum scheint unausrottbar. Das Leben in der Tradition, die Glorification der Phrase, die die Gewohnheit auf den Thron der Welt setzt, ist ein Fluch der Menschheit; Morf 1903 Dichtung I 6 Die Idee der Glorifikation Frankreichs spricht aus jedem Verse. Die Liebe zur douce France belebt jede Schilderung. Die nationale Idee von der Superiorität Frankreichs ist verschwistert mit der religiösen: es gibt keinen Gott, ausser dem Gott des Christen-
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tums; Gothein 1914 Gartenkunst II 391 da währenddessen auch Chambers mit seiner Glorifikation der chinesischen Gärten herausgekommen war, setzt sich Sulzer noch besonders mit dem Chinesischen Stile, dem er ziemlich abgeneigt gegenübersteht, auseinander; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 379) Ihm war es ja, offen gestanden, wirklich nicht um eine Glorifikation Lübecks zu tun gewesen, sondern um den aus allen literarischen Zonen und außerdem von Wagner her beeinflußten Versuch eines Prosa-Epos; 1930 Handb. d. Frankreichkunde II 429 Der Dekoration dienen . . Malerei und Skulptur . . in erster Linie. Der ganze Olymp, die große Historic wird bemüht. . beinahe alles dreht sich um den roi soleil, dient seiner Glorifikation; Klemperer 1933 Tagebücher 45 Im Burenkrieg war ich proenglisch. Ich glaube: aus Instinkt gegen die Glorifikation der Bauern, der alten Zeit, der Germanen; Bäumer 1943 Band 187 in der Glorifikation seiner Freunde; Klemperer 1950 Tagebücher 72 Auch Gone with the wind wurde vorgeführt, u. nichts deutete an, wie wir zu der Glorifikation der Negersklaverei stehen; Zeit 15. 11. 1996 Es gibt zwischen der Berühmtheit eines Menschen und seiner Glorifikation nach dem Tod ein Niemandsland des Vergessens, in dem er für seine Umwelt nicht mehr lebt und noch nicht tot ist; tat 11.4. 1998 Natürlich ist sie geschickt genug, die Glorifikation ihres Egos mit einigen ironischen Schlenkern erträglicher zu machen, aber mit der Zeit merkt man doch, daß Gayle Tufts im Grunde wenig zu sagen hat, dies aber um so grandioser; Baladur 2001 D. stille Tod o. S. Die Funktion der Verherrlichung kann ebenso die religiöse Sphäre berühren, oft bezieht sie sich jedoch auf die Nation, auf die Gruppe, auf einen „Führer", auf „Heimat". Auch für sie gilt, daß ihre meist transzendentale Glorifikation tief im Irrationalen wurzelt. Glorifizierung: Eichendorff 1857 W. III 743 Überall die Revolution und Glorifizierung der subjektiven Allmacht; und alle Helden sind Philosophen, und alle philosophieren über sich und ihre Philosophie (DiBi 125); Zwiedineck-Südenhorst 1877 Dorfleben 177 Glorificierung der modernen Gemeindeverwaltung; Seidel 1880 Vorstadtgesch. 142 die ganze geschiente verbrämt mit einer .. menge von . . Patriotismus und einer lächerlichen glorifizirung deutschen wesens (DWB); Willmann 1897 Gesch. III 332 Glorifizierung des Menschenwesens [in der Reaktion gegen den Puritanismus]; 1908 Zukunft LXII 73 Er [der Kronprinz] hat die journalistische Glorifizirung und die Steinigung Hardens, den Freispruch des Schöffengerichtes und die harte Verurteilung des neuerdings Angeklagten erlebt; Hauser 1916 Germanen Vorr. o. S. diese Abhandlung nicht als blosse Glorifizierung des
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glorreich
Germanentums angesehen wissen; Frankf. Ztg. 22. 10. 1927 zu einer Philosophie der Drückebergerei und zu deren Glorifizierung; Metzsch 1934 Krieg 19 banale Glorifizierung des unbekannten Soldaten; Bodensee-Rundsch. 19. 11. 1936 mit seiner leidenschaftlichen Verteidigung Frankfurters und mit seiner Glorifizierung des politischen Mordes; Süddtsch. Ztg. 14. 10. 1948 Vor der Spruchkammer in Donauwörth stand einer der Bildhauer, die zur Glorifizierung des unmenschlichen Systems des Nationalsozialismus wesentlich beitrugen; Salomon 1957 Fortschritte (Übers.) 60 Glorifizierung der Arbeit und die Verklärung der Gefühle [im Saint-Simonismus]; Süddtsch. Ztg. 1. 4. 1959 Caspar David Friedrich, der . . durch seine Glorifizierung Napoleons das Thema der Heldenverehrung entwickelte, das so bezeichnend für die romantische Kunst werden sollte; N. Z. Z. 23. 3. 1971 Eine gewisse Glorifizierung des sozialen Kampfes in der
Form von spektakulären Aktionen ist bei einer aktiver werdenden Minderheit von vorwiegend jungen Genfer Metallarbeitern nicht zu übersehen; Mannh. Morgen 15.8. 1986 anläßlich seines [Friedrich II. von Preußen] 200. Todestages am 17. August gibt es eine Fülle von Veranstaltungen .. Dabei geht es diesmal jedoch nicht um eine Glorifizierung oder Verteufelung. Vielmehr bemüht man sich da wie dort, diesem Monarchen . . gerecht zu werden; Altner 1991 Naturvergessenheit 48 ein wissenschaftlich völlig unhaltbares . . Rassenverständnis, das in der ideologischen Glorifizierung der nordischen Rasse gipfelte; Spiegel 10. 4. 1995 Daß ihre Lebensgeschichte viel zu außerordentlich ist, um Glorifizierung zu brauchen, will sie nicht einsehen; taz 2. 11.2002 Es wird sich zeigen, ob eine Gedenkkundgebung für die Opfer des Nationalsozialismus zu Gunsten der Glorifizierung von NS-Verbrechern verboten oder verlegt wird.
glorreich Adj., seit Mitte 17. Jh. selten, seit Anfang 18. Jh. häufiger nachgewiesene, mit dem Bestimmungswort glor- gebildete adj. und adv. Ableitung zu —>· Glorie. la Zunächst, weitgehend gleichbed. mit glorios (—> Glorie), neben häufigerem glorwürdig (s. u.) im religiösen Bereich in der Bed. 'reich an himmlischem Ruhm, göttlicher Gnade und Herrlichkeit' (—» Glorie la), in formelhaften Verbindungen wie glorreicher Rosenkranz, glorreiche Auferstehung und Wendungen wie Christus ist glorreich auferstanden. b Seit Mitte 18. Jh. unter Betonung der visuellen Komponente himmlischer Verklärung im Sinne von 'einen hellen, lichten Schein, Strahlen-, Lichtkranz der göttlichen Herrlichkeit verbreitend, in göttlicher Verklärung strahlend, glänzend, leuchtend', bes. bezogen auf das Bild des sich öffnenden Empyreums mit himmlischen Wesen, Engeln und Heiligen in der Vorstellung und als Gegenstand der Kirchenmalerei (—» Glorie 2a). 2a Seit frühem 18. Jh. im weltlichen Zusammenhang, bes. in der geschichtlichen Sphäre von monarchischer Größe, Heroentum, Kampf und Sieg in militärischer, politischer, dann auch sportlicher Hinsicht, auf hiermit verbundene Ereignisse, Schauplätze, Personen, Epochen und Gegenstände bezogen im Sinne von 'ruhmreich, verehrungswürdig, rühm-, ehrenvoll; rühmlich, denkwürdig; siegreich; heldenhaft' (s. Belege 1721, 1768, 1800, 1812, 1826, 1834, 1845.1, 1866, 1869, 1872, vor 1898, 1974, 1999; vgl. glorios, —> Glorie Ib, heroisch, -> Heros), in (z.T. festen, formelhaften) Verbindungen und Wendungen wie die glorreiche Nation, Schlacht, Monarchie, ein glorreicher Feldherr, dieser letzte Sieg unsers glorreichen Königs, das glorreiche Haus Österreich, Friedrich von Preußen glorreichen Angedenkens, der glorreichste Sieg unserer Geschichte, der glorreiche Tag des Sturmes auf die Bastille, auf dem Feld der Ehre glorreich den Tod finden, wir werden siegen oder glorreich untergehen, Erinnerungen an glorreiche Zeiten, Zeugen einer glorreichen Vergangenheit, unter den glorreichen Fahnen, die glorreiche Schlacht von Salamis, der glorreiche Saddam, England ist weiter bereit, glorreiche Kriege im Ausland zu
glorreich
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führen; von daher auf andere Gebiete des öffentlichen, persönlichen und geistigen Lebens ausgedehnt und allgemeiner im Sinne von 'rühmlich, glänzend, glanzvoll, prächtig; herrlich, erhaben, hervorragend, vortrefflich, vollkommen' (s. Belege 1772, vor 1794, 1817, 1845.2, 1858, 1880, 1926; vgl. bravourös, -» Bravour, -* brillant, —» exquisit, vgl. exzellent, —> Exzellenz, —> grandios, —> fulminant), z. B. in seiner glorreichen Laufbahn, sich als wahrhaft glorreiche Idee erweisen, sein auf allen Gebieten glorreicher Vorgänger, ein glorreiches Werk vollbringen, die Weichen für eine glorreiche Zukunft stellen, eine glorreiche Entdeckung, und abgeflacht 'erfolgreich' (s. Beleg 1898.2), z.B. ein glorreich abgeschlossenes Studium, oft in paradoxer Umkehrung und leicht ironisch bis sarkastisch (s. Belege 1828, 1852, 1861, 1940, 1952, 1973, 1991), z.B. das ging aber glorreich daneben, ein glorreiches Fiasko/ Desaster, er ist glorreich durchs Abitur gefallen, (auch kommentiert durch Anführungszeichen;) die „glorreiche" große Politik des Dritten Reiches, b Seit spätem 18. Jh. im profanen Bereich auf optisch wahrnehmbare Naturphänomene (Himmel, Sonne) übertragen (mit Assoziationen an Ib) und metaphorisch in poetischer Sprache von landschaftlicher oder menschlicher Schönheit im Sinne von 'hell leuchtend, strahlend; glänzend schön, wie verklärt' (s. Belege 1811, 1885.2, 1888, 1893, 1912; -* Glorie 3), z.B. der glorreiche Anblick der höchsten Alpengipfel, die glorreiche Schönheit eines Sommertages, der Sonne glorreiches Strahlen. Daneben seit Ende 15. Jh. die adj. Ableitung glorwürdig, anfangs auch (mit Bestimmungswort glori- zur älteren Nebenform Glori von —» Glorie) gloriwürdig (s. Belege 1493, 1522, 1599) und vereinzelt im 17. Jh. glorgewürdigt (s. Beleg 1657.2), zunächst, oft im Superlativ, meist formelhaft im religiös-katholischen Sinne (als Epitheton) auf Gott, Christus, die Mutter Gottes, die Heiligen und auf sakrale Dinge bezogen in der Bed. 'ewigen göttlichen Ruhmes, himmlischer Ehre, frommer Verehrung für wert erachtet, würdig; göttlichen Glanzes, himmlischer Erleuchtung, Herrlichkeit und Verklärung würdig' (s. Belege 1522, 1599, 1637, 1678), mit im 17. Jh. vereinzelt nachgewiesenem Glorwürdigkeit F. (-; ohne PL) (zu la); im 17.718. Jh. (seit spätem 18. Jh. zunehmend abgelöst durch glorreich, s. o.) auf profanem Gebiet für 'ruhmvoll, ehr-, verehrungswürdig', bes., meist im Superlativ, als Epitheton weltlicher Potentaten (Kaiser, Könige, Fürsten) und ihrer Wirkungssphäre (s. Belege 1668.1, 1677, 1725), formelhaft (kanzleispr.) als Beiwort der höfischen Anrede (s. Belege 1657, 1867), v. a. in der geläufigen Floskel glorwürdigen Andenkens/Gedächtnisses (s. Belege 1648, 1699), auch von großen, heroisch-historischen Ereignissen, Kriegen u. Ä. 'rühmlich, denkwürdig' (s. Belege 1795, 1879), zum Teil ironischsarkastisch (s. Belege 1778, 1799, 1825, vor 1863) und vereinzelt bildlich (s. Beleg 1668.2), heute nur noch historisierend verwendet (zu 2a). glorreich l a: Spee 1649 Güldenes Tugendb. 543 o du glorreicher erlöser aller menschen (DWB); Abr. a S. Clara 1686 Judas l 469 Wie Christus der Herr ganz glorreich auferstanden von den Todten in aller Früh vor der Sonne Aufgang, da waren die Jünger des Herrn sammentlich bei einander, und haben erwartet die Ankunft ihres gebenedeiten Jesu (DiBi 125); 1689 ebd. 323 Es erscheinten auch allda Moses und Elias mit glorreichen Leibern, welche zwar die Apostel Gesicht halber nicht
gekennt, so haben sie dannoch durch göttliche Offenbarungen erfahren, daß diese 2 glorreiche Männer Moses und Elias seynd (DiBi 125); 1692 ebd. HI 362 Joseph ist durch die Versuchung der egyptischen Frau viel glorreicher worden, Franziscus ist durch die Versuchung, welche er zu Assis gelitten, viel herrlicher worden (DiBi 125); Maister 1750 Maria Major 44 dass ich unserm Gnaden-Bild diesen glorreichen Titul Maria der Grösseren gegeben; Herder 1793-97 Br. z. Beförderung d. Huma-
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nität l 378 Jene Glorreiche selbst, die, das Kind im Arm, über den Wolken schwebet (DiBi 125); Aurbacher 1835 VI 29 der Herr . . wie er glorreich aus dem Grabe erstanden; Strauss 1864 Ges. Sehr. IV 372 die pforten des Himmels . . sollten sich erst am ende der weit zu seiner glorreichen Wiederkunft wieder öffnen (DWB); Rosegger 1913-16 Ges. W. l 1,19 dann beteten sie den 'glorreichen rosenkranz' zum gedächtnisse an die auferstehung, himmelfahrt des herrn und an die Sendung des heiligen geistes (DWB); Rosendorf er 1971 Olympiabuch o. S. das Wett-Rosenkranzbeten (Jahressiegerin 1971 in Allotting mit 14,6 schmerzhaften und 29,1 glorreichen Rosenkränzen in der Stunde war die verwitwete Aushäuslerin Kreszenzia Zachkorn aus Fricklhofen); FAZ 18. 9. 2003 Das Bild des gewaltigen Vesuvs und der sich auf die Stadt zuwälzenden Lavaströme, aufgehalten allein durch zwei kleine Ampullen mit roter Flüssigkeit, gehört zu den unergründlichsten Mythen Neapels. „Der Hölle Feuer werden durch das glorreiche Blut der Märtyrer gestillt!". glorwürdig: Alt 1493 Buch d. Cronicken 2b der gloriwirdig got (DWB); Güttel 1522 New iar C3a Das die hymel ercelen vnd aussbreyten den gloriwirdigsten got; ders. 1522 Dialogus I3b O wie ain grossmächtige vnaussprechliche gloriwirdige gezeücknuss; Franck 1531 Chron. Zeytbuch 14a die glorwürdig junckfrauw Maria (DWB); Fabricius 1599 Außzug bewerter Historien 638 wir aber, die wir in seinem licht haben gewandlet, werden mit im gloriwürdig gemacht werden (DWB); Guarinonius 1610 Greuel 314 Dann eben der heiligste nach Christo .. und seiner Glorwürdigen Mutter; 1633 Relationen Lützen (Droysen I 37) welcher gestalt der allerchristlichste, glorwürdigste Held . . die Cron der himmlischen Glori vnd ewigen Seligkeit siegreich jm erworben hat; Meyfart 1637 D. jüngste Gericht II 22 [das Licht] thut herrühren .. von dem glorwürdigen cörper deß herrn (DWB); Moscherosch 1650 Gesichte I 360 [es wäre] eine große genad gewesen . ., von den . . glorwürdigsten sacramenten .. zu hören (DWB); Dannhawer 1657 Catech.-Milch I 547 der . . unsterbliche, glorwürdigste gott (DWB); ebd. VI 621 die glorgewürdigste mutter gottes (DWB); Brandts 1678 D. tirol. Adlers Ehrenkräntzel I 64 ist mit der martercron glorwirdig gehn himmel gefahren der h. Vigilius (DWB); Prambhofer 1708 Hönig-Fl. 34 glorwürdigste Heilige; Scriver 1737 Seelenschatz I 217b daß er mit dem majestätischen und glorwürdigsten gott zu thun hat (DWB); Haller 1772 Br. über d. wichtigst. Wahrheiten d. Offenbarung 11 als wenn die gottesgelehrten . .. gott etwas zu sehr in seinem Verhältnisse gegen den menschen betrachteten und ihre begriffe von diesem glorwürdigen wesen . .. zu
eng einschränkten (DWB); 1887 Alemannia XV 183 Eine andächtige Frau zu Marsilia sah die Glorwürdige Mutter Gottes in eines zarten Jungfräuleins Gestalt und gleichsam noch saugend Ihr Kindlein einem jedem Vatter fürhalten und zeigen; Kyber 1920 Märchen o. S. Vor den Toren, um deren Zinnen das Sonnenlicht flutete, stand der Engel Gabriel, der Hüter von Gottes ewigem Garten. „Glorwürdiger", sagte der König, „ich habe alle Schätze der Erde, viele Länder sind mir untenan und ich spiele mit den Edelsteinen von Ophir und den Rosen von Damaskus." Glorwürdigkeit: Guarinonius 1610 Grewel d. Verwüstung 47 gen himmel . . gefahren, mit der englischen behendigkeit, glorwürdigkeit und unsterbligkeit (DWB). glorreich Ib: Zachariae 1756 Tageszeiten 105 Damals sangen seraphische Chöre die himmlische Hymnen . . Von Cherubischen Feuern flammte die glorreiche Gegend; Schlegel 1797 Shakespeare I 52 denn über meinem haupt erscheinest du/ der nacht so glorreich wie ein flügelbote/ des himmels dem erstaunten, über sich/ gekehrten äug der menschensöhne (DWB); Goethe 1829 Novelle (WA I 18,347) bis er [Knabe] sich endlich in den letzten Strahlen der Sonne, die sie durch eine Ruinenlücke hereinsandte, wie verklärt niedersetzte und sein beschwichtigendes Lied abermals begann . . Glorreich [wie in himmlischer Verklärung] sang das Kind weiter (DWB). glorreich 2a: Heraus 1721 Ged. u. Inschr. 29 kurze . . erzehlung des hispanischen feldzuges . ., welchen .. Carl der Dritte .. glorreichst befochten (DWB); Zschackwitz 1723 Karl VI. 163 Und dieses war der Glor-reiche Auszug des Velasco; Geppert 1750 Lohn 5 Ferdinandus . . glorreichsten Angedenkens; Goethe 1768 Br. (WA IV 1,158) Es war Arbeit, aber nun sitz ich wie Herkules, der alles gethan hat, und betrachte die glorreiche Beute umher; Abbt 1772 Verm. W. l 251 wenn ein [großer] mann auf der glorreichen bahn, auf die er sich gewagt hat, schwächen zeiget (DWB); Wieland 1780 Beytrag (S. W. XV 362) [des] glorreichen, vor allen ändern Jahrhunderten verherrlichten 18. Jahrhunderts; Archenholz 1787 England I 237 Wilkes behauptete einst im Parlament, daß dieser tag der glorreichste in den englischen Annalen sey; Nicolai 1790 Anekdoten I 88 der König, wenn er ja hätte sterben wollen, hätte ja den Tod viel glorreicher unter tausend feindlichen Flinten- oder KanonenKugeln finden können; Schiller 1793 Anmut u. Würde (S. W. XVII 220) Je furchtbarer die Gegner, desto glorreicher der Sieg; Forster vor 1794 S. Sehr.
glorreich VI 259 welch ein glorreiches werk, wenn ich diese verschwisterten seelen einander nähern könnte (DWB); Goethe 1799 Br. (WA IV 14,29) In diesen glorreichen Zeiten, wo die Vernunft ihr erhabenes Regiment ausbreitet, hat man sich täglich, von den würdigsten Männern, eine Infamie . . zu gewärtigen; Görres 1800 Sendung n. Paris (l 106) glorreiche Wiedereinsetzung der Priesterschaft in ihre entzogenen Rechte; F. Schlegel 1812 Dtsch. Museum l 26 das gefühl eines . .. glorreichen volkes (DWB); Goethe 1817 Br. (WA IV 28,331) Mein bester Trost jedoch . . nährt sich aus ihro gutem Humor, der . . in den schlimmsten Tagen sich am glorreichsten erweist; Meinhold 1826 Bernsteinhexe 29 dass die evangelische Freiheit von nun an glorreich und herrlich siegen werde; Tieck 1828 Sehr. Ill 143 bis er das alte bettelhandwerk wieder hervorsuchen muß oder seinen glorreichen lebenslauf am galgen endigt (DWB); 1834 Kunstbl. 195 hat man auch in Frankreich .. im Meere der Nationaleitelkeit sich berauscht, mit dem heiligenschein „der glorreichen Julitage" sich die Stirn geschmückt; Gaudy 1844 W. III 88 das Sprichwort . .., welches sich auch glorreich bis auf den heutigen tag bewährt hat (DWB); Arndt 1845 Sehr, an s. Deutschen II 113 ein festes und glorreiches Vaterland (DWB); Humboldt 1845 Kosmos II 510 Anm. daß derselbe [Kepler] . . überall von „der glorreichen Entdeckung der mediceischen Gestirne durch Galilei" spricht; 1852 Prutz' Museum H 366 den glorreichen Ausgang meiner Jagdpartie [die Erschießung zweier Spatzen]; Holtet 1858 Erz. Sehr. VII 104 weil sie [eine Äußerung Tiecks] glorreich aussprach, was ich so häufig gedacht hatte (DWB); Spielhagen 1861 Problematische Naturen (S. W. I 140) es ist ganz auffallend, wie lange der Rausch, den sich die jungen Leute während ihrer glorreichen Studentenzeit trinken, anhält (DiBi 125); Lange 1866 Gesch. d. Materialismus 23 das vaterland mit seiner glorreichen Vergangenheit (DWB); Ditfurth 1869 Hist. Volksld. d. preuß. Heeres 55 das glorreiche Friedrichsfeld/ fürchtet fast die ganze weit (DWB); Gervinus 1872 Hinterlass. Sehr. 4 Preussen hat Deutschlands gesammte Waffenmacht zu einem glorreichen Kampfe gegen Frankreich geführt; 1880 Göthejahrbuch I 320 dagegen hat nun Goethe seinen Wilhelm Meister sehr glorreich geendigt; Bismarck vor 1898 Ged. u. Erinn. U 40 Preußen hat eine Stellung eingenommen, die . . demselben eine glorreiche Zukunft verheißt (DWB); Fontäne 1898 Zwanzig (S. W. XV 38) Man beschloß, eine „Milchwirtschaft" einzurichten, und zwar nach demselben Prinzip, das viele Jahre später von dem praktisch klugen Bolle zu seinem und der ganzen Stadt Segen glorreich durchgeführt wurde (DiBi 125); Offenburger Tagebl. 1.8. 1912 Was nützen dem jungen Proletarier in seinem
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schweren Kampfe ums Dasein die unendliche Reihe „glorreicher" vaterländischer Gedenktage; Winnig 1926 Frührot 268 Callo nannte uns ein glorreiches kleeblatt (DWB); Münch. N. N. 17. 7. 1940 veranstaltete die englische Armee den „glorreichsten Rückzug" der Geschichte, wurden sie in pausenlosem Angriff ins Meer geworfen; Münchner Stadtanz. 11.4.1952 In dieser Stadt muß anerkannt werden, was in Jahrzehnten aufgebaut und in 3!/2 Jahren durch die 'glorreiche große Politik' des Dritten Reiches zerschlagen worden ist; Welt 14. 1. 1969 Trotz des Unbehagens und der Kritik an dem Zeremoniell im Reichssaal des Königlichen Schlosses bot die Monarchie noch einmal — vielleicht zum letzten Mal — alles an Glanz und glorreicher Tradition auf, was sie aufzuweisen hatte; Lenz 1973 W. XV 546 heute haut mich nichts mehr um; ein Tag von glorreicher Beschissenheit; Neues Deutscht. 24. 8. 1974 Dieser Festtag ist gleichzeitig die Gelegenheit dafür, die Gefühle der tiefen Anerkennung gegenüber der glorreichen Sowjetarmee auszusprechen, die . . einen bedeutenden Beitrag zur Befreiung Rumäniens von der faschistischen Herrschaft leistete; Zeit 25. 1. 1985 Die freundliche Fama will sogar, daß er „höchstpersönlich" — an der Spitze von de Gaulles Truppen zum Ort der alten Taten eilend — die Hotelbar „befreit" habe. Jedenfalls erinnerte man sich dieser glorreichen Tradition und stiftete nun den RitzHemingway-Preis; taz 25. 7. 1987 Als der 23jährige Paul P. am vorletzten Sonntag in München nach einem glorreich gewonnenen Cricket-Spiel in eine ganz normale Verkehrskontrolle geriet, schien alles in Ordnung; ebd. 4. 1. 1991 Unsere glorreichen Achtziger — mit Menschenketten, Blockaden und allgemeiner Freundlichkeit, die große, lauwarme Gemeinschaft der Friedlichen — bestehend nur aus Angst; Computerztg. 14. 9. 1995 Nach den glorreichen Anfangsjahren .. ließ man die Zügel schleifen und ging die Erweiterung des Produktspektrums . . nur halbherzig an; Züricher Tagesanz. 12.11. 1999 Nach dem Zerfall der Sowjetunion kam der soziale Abstieg der einst glorreichen Roten Armee und dann auf eigenem Territorium die schmähliche Niederlage im ersten Tschetschenien-Krieg; Mannh. Morgen 21.6.2002 Rätselhaft ist aber immer noch, warum so wenige Tore fallen, vor allem aber, warum man nach einer deftigen l : 3-Niederlage gegen Polen glorreich ins Achtelfinale eingezogen ist. glorwürdig: Mengering 1633 Siegeskrone (Titelbl.) vber dem frühzeitigen, doch seligen und glorwürdigsten Todesfall Gustavi Adolphi; 1633 Relationen Lützen (Droysen l 36 f.) 43 Dero Kon. Maj.
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glorwürdigsten Cörper aber . . hat man auff eine Gutsche gelegt; Diederich v. d. Herder 1636 Histor. v. ras. Roland X 54 vom glorwürdigsten held Ruggiero wil ich schreiben (DWB); Weckherlin 1641 Br. an Oxenstiern (Qu. Gesch. geist. Lebens I 589) zu des Glorwürdigsten Gustav des Grossen unsterblichem lob; Chemnitz 1648 Schwedisch. Krieg l Gustav Adolf . . könig zu Schweden, glorwürdigsten andenckens (DWB); Chemnitz 1653 Schwed. Krieg I 7 Gustaff Adolph, dem ändern vnd grossen Könige zu Schweden, Glorwürdigster Memori; f. Birken 1657 Ostländ. Lorbeerhayn Ivb e. m. glorwürdigste vorfahren (DWB); Prancisci 1668 D. alleredelste Rache 155 mit diesem glorwürdigsten kaiser (DWB); Neumark 1668 D. neusprossende teutsche Palmbaum 13 damit . . unsere adle muttersprache . . endlich in den glorwürdigsten ehrenthron versetzet werden möchte (DWB); Butschky 1677 Pathmos 37 kayser . . Leopoldo I. . . so . . auf selbigem [Kaiscrtronj ietzt mit drey crohnen glorwürdigst sitzet (DWB); Abr. a S. Clara 1699 Etwas f. alle l 246 Ferdinandus der erste diß nahmens römischer kayser, glorwürdigster gedächtnuß (DWB); 1716 Neuaufgest. Fama II nach dem Tode seines Herrn Bruders Josephi, Glorwürdigsten Andenkens; Gottsched 1725 Tadlerinnen 26 dem glorwürdigen Brandenburgischen scepter hat sie ihr gantzes glück zu dancken (DiBi 125); 1766-67 Merkwürdigkeiten 167 der Sohn und Nachfolger dieses glorwürdigen Königs, der, welches vielleicht das Größte ist, was man zum Lobe eines Monarchen sagen kann, noch keine einzige öffentliche Handlung unternommen hat, die Ihm nicht Ehre machte (DiBi 125); Musäus 1778 Physiogn. Reisen I 65 das eingebläuete latein und die wahlsprüche . ., vom kaiser Augustus bis auf Karl den sechsten, glorwürdigsten andenkens (DWB); Matthisson 1795 Italien (Sehr. IV 14) Er wollte mich an die Stelle führen, wo Teil einen . . glorwürdigen Tod in den reißenden Wogen dieses
Bergwassers fand; 1799 Portraits 209 so unbedeutend . . als Klaus Kretsch, lichtputzer auf dem theater zu . . glorwürdigen andenkens (DWB); JungStilling 1825 S. Sehr. IV 112 unsere schriftgelehrten und pharisäer machen es . . wie weiland ihre glorwürdigen vorfahren am jüdischen sanhedrin (DWB); Hebbel vor 1863 S. W. X 333 heute ist der glorwürdige tag, an dem die canonisierung zweier Franciscaner, die geborene Japanesen waren, in Wien . . mit allem pomp gefeiert wird (DWB); Ranke 1867 S. W. XLI1I 11 wohin du uns führst, glorwürdigster zar . . dahin wollen wir dir folgen (DWB); Raahe 1879 Zum wilden Mann 19 unsere beste Gratulation zum glorwürdigen Jubiläum. glorreich 2b: Bürger 1789 Ged. II 215 Glorreich wie des Aethers Bogen; F. Schlegel 1802 Alacros (VIII 247) Wie meine Burg dort glänzend glorreich oben thront; Maler Müller 1811 W. / 82 also verherrlichend ihr [der Sonne] letztes glorreiches prangen im abend (DWB); Schlegel/Tieck 1830 Shakespeare III 3 Nun war der Winter unsers Mißvergnügens/ Glorreicher Sommer durch die Sonne Yorks;/ Die Wolken all, die unser Haus bedräut,/ Sind in des Weltmeers tiefem Schooß begraben; ebd. III 493 Wenn er sieht sein Liebchen fein,/ daß sie glorreich ihm erschein'; Nordau 1885 Paradoxe 86 Welch ein Aufstieg! Welch eine Folge von glorreichen und erhabenen Bildern!; 1885 Mod. Dichtercharaktere 142 ob du [Frühling] vor Zeiten einst als junge sonne/ glorreich emporstiegst über Salamis (DWB); Geibel 1888 W. II 32 so wie wenns dunkel ward im thale .../ der alpe gipfel glorreich brennt (DWB); Ebner-Eschenbach 1893 Ges. Sehr. IV 224 da stand es glorreich in der größten Vollkommenheit vor mir — das urbild einer schönen greisin (DWB); Voß 1912 Stärker als der Tod 37 so daß aus dem sonst so totenstillen Hause ein Chorus wilder Stimmen hinausdrang in die glorreiche Schönheit des Sommertags.
Glossar N. (-s; -e und -ien), im 13. Jh. vereinzelt in der mhd. Form glösär bezeugte (AHD.WB), erst seit dem späten 17. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus (m)lat. glos(s)arium 'Wörterbuch, in dem veraltete und fremde Wörter erklärt werden; Glossensammlung' (zu mlat. glosa, lat. glossa, —*· Glosse; vgl. griech. , zu , —> Glosse) bis heute daneben in der lat. (flekt.) Form Glossarium und in lat. Syntagmen wie Glossarium latino-germanicum, Glossarium etymologicum. Anfangs auf das (spät-)antike und mittelalterliche Grammatikstudium bezogen als Bezeichnung für eine Sammlung, Auflistung fremder, unbekannter (lat./griech.) oder veralteter, ungebräuchlicher Wörter in Form von Wörterverzeichnissen mit Erläuterungen zur Erklärung dieser Wörter, dann für ein philologisch-editionstechnisches
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Hilfsmittel zur Erschließung des Wortschatzes eines bestimmten (literarischen, juristischen o. ä.) Textes, Werkes oder Autors (bes. Homer, Bibel), meist im Anhang einer Ausgabe (—»· Glosse la, —»· Index, —> Inventar, —» Konkordanz, —»· Register), speziell auch bezogen auf verdeutschende Wortlisten und Glossensammlungen des Früh- und Hochmittelalters (s. Belege 1855, 1905, 1964.1, 1986, 2004; -» Glosse Ic) und im Sinne von 'den Wortschatz einer bestimmten Sprache oder (regional, synchron bzw. diachron begründeten) Varietät dokumentierendes und erläuterndes Wörterverzeichnis; Dialektwörterbuch' (s. Belege 1747, 1762, 1810, 1879-80, 1985.2; —» Idiotikon, —* Diktionär, —* Vokabular), auch allgemeiner und mehr auf Sacherläuterungen ausgelegt für '(tabellarische) Auflistung, Liste (z. B. als lexikographische Grundlage für Wörterbücher), Nachschlagewerk, Handbuch (zur Sammlung und/oder Erläuterung von Fachwörtern, Begriffen, Namen, Bezeichnungen o. Ä.)' (s. Belege 1988, 2002, 2003; —» Enzyklopädie, —»· Lexikon), sowie vereinzelt bildlich (s. Beleg 1844); in Wendungen wie angelsächsisches, bayerisches, mecklenburgisches Glossar, Fachausdrücke erklärt das ausführliche Glossar, dem Roman ist ein Glossar mit jiddischen und typisch wienerischen Wendungen angefügt; Abkürzungs-, Begriffs-, Bild-, Fach-/Fremdwort-, Grammatik-, Hochschul-, Immobilien-, Mundart-, Musik-, Personen-, Pharma-, Sach-, Telefon-, Weinglossar; Glossarwort. Dazu in jüngster Zeit vereinzelt die adj. Gelegenheitsableitung glossarisch 'etwas (Fakten, Sachverhalte) in der Art eines Glossars auflistend'. Glossar(ium): 13. Jh. Aha. Glossen (Steinmeyer/ Sievers III 62 Anm. 13) glosar; Morhof 1682 Unterricht 100 wie bißweilen von den Criticis . . die guten alten den Teutschen gleichlautenden Wörter/ als verdächtige außgemustert werden/ denen man Glauben geben würde/ wann nicht die alten Glossaria diese Wörter erhalten hätten; Leibniz 1696 Unvorgreifl. Gedanken 348 Und solte ich dafür halten, es würde zwar das Glossarium Etymologicum, oder der Sprach-Qvell nach den Buchstaben zu ordnen [sein); Gottsched 1725 Grundlegung fW. V/// 98) die Tabelle vor Stiernhielms Glossario Ulfila-Gothico, das zu Stockholm 1671 . . herausgekommen (DiBi 125); Zedler 1735 Universallex. X 1693 Glossaria, sind gewisse Erklärungen dererjenigen Wörter, so in einer Sprache, die erkläret wird, vorkommen, dergleichen man in der Griechischen Sprache sehr viel hat, und die denen Lexicis und Scholiis sehr nahe beykommen; Reichard 1747 Htstorie 274 Das bayrische Glossarium oder Wörterbuch ist klein, kann aber einem Liebhaber der deutschen Sprache manchen Aufschluß geben; Lessing 1758 Br. 1146 Sie haben in ihren glossariis, die sie dem alten Dichter beygefügt, sehr grobe Fehler gemacht; Hamann 1762 Kreuzzüge d. Philologen 136 Fußn. 19 Ein holländischer Gelehrter, dessen Glossarium über die elliptische Redensarten der griechischen Sprache auf Schulen bekannt ist (DiBi 125); Bürger 1771 S. Sehr. Ill 16 Für die allerbesten [Archaismen] halte ich diejenigen, welche in sol-
cher Entfernung von dem Gebrauche unserer Zeiten stehen, daß sie uns zwar etwas fremd und ungewöhnlich klingen, aber doch noch nicht so weit in's Alterthum zurück gewichen sind, daß man sie gar nicht mehr ohne Perspectiv, das ist, ohne Glossarium erkennen kann; Lessing vor 1781 Ges. W. VI 291 Epigramme, die er aus alten Glossarien zusammengeschrieben habe (KEHREIN); Herder 1784 Ideen z. Philos. // 266 Fußn. 246 der Bau der Lieder selbst in der Urschrift, mit einem Glossarium und gehörigen Anmerkungen verschen . . würde über Sprache, Musik und Dichtkunst der Galen . . belehren (DiBi 125); Sonnenfels 1785 Geschäftsstil 20 Er würde finden, daß er statt eines Wörterbuchs ein Glossarium zu liefern, und darin dann ohne Zweifel manches Wort, das er nun unter der allgemeinen Verbannung der Kanzleywörter mitbegreift, selbst vertreten, und der Nationalsprache zu erhalten, haben würde; Böttiger 1796 Literar. Zustände l 186 Jetzt soll ein kleines Glossarium veralteter Worte gleich den Eingang zum Oberon machen; Herder 1782 Literar. Briefw. (S. W. XV 124 Ich erinnere mich bei Chaucer eine Stelle gefunden zu haben, wo über das Wort preamble vor einer Erzählung gespaaßt und es gleichsam decomponirt wird; in Tyrwhitt's Ausgabe wird sich das Wort im Gloßarium finden. Der Ausdruck Präambuliren war in den mittleren Zeiten sehr gemein; Hebel 1803 Alemann. Ged. (Gesamtausg. Ill 44) Das Glossarium am Ende enthält die
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in den Gedichten vorkommenden Idiotismen und ungewöhnlichen Formen des Dialekts (DiBi 125); /. v. Müller 18 S. W. X I I 1 1 3 es fehlt noch immer an einem glossarium des patois (DWB); Hebbel 1844 Maria Magdalene (W. l 317) Bei alledem bleibt demjenigen, der die alten Gesetztafeln einmal wieder mit dem Schwamm abwäscht und den frechen Kreide-Kommentar, mit dem allerlei unlautre Hände den Grundtext übermalt haben, vertilgt, immer noch sein bescheidenes Verdienst. Es hat sich ein gar zu verdächtiges Glossarium angesammelt (DiBi 125); Scheffel 1855 Ekkehard (W. HI 88) Jetzt fiel sein Blick auf das kleine, in metallene Decke gebundene Glossarium, in dem einst der heilige Gallus, der am Bodensee üblichen Landessprache unkundig, sich vom Pfarrherrn zu Arbon die notwendigsten Worte hatte verdeutschen lassen (DiBi 125); Hoffmann v. Fallersieben 1868 Mein Leben / 194 Am Michaelistage hatte ich den zweiten Theil der Horae belgicae vollendet, fleißig das Glossarium zum Reineke gefördert, einige Aufsätze zur deutschen Litteraturgeschichte drucken lassen (DiBi 125); Bartsch 1879-80 Sagen l 7 E. H. H. Schmidt aus Gadebusch,.. der seine ganze Sammlung von Meklenburgicis, darunter ein noch nicht benutztes meklenburgisches Glossar, mir zur Verfügung stellte (DiBi 125); Scherer-Müllenhoff 1865 Briefw. 136 Das eine Exemplar der Notiz über Martins Glossar zu Nibelunge not geben Sie ihm wohl?; Bernheim 1903 Methode 197 das vortreffliche Glossar mittelalterlicher technischer Ausdrücke von Charles du Fresne Sieur du Gange, Glossarium ad scriptores mediae et infimae latinitatis 1678; Hoops 1905 Waldbäume u. Kulturpflanzen 115 Marchot, der friaulischen Ursprung des ganzen glossars vermutet, trennt die beiden Wörter und hält tanna ... für ein romanisches wort (DWB); Klemperer 1920 Tagebücher 357 Verzweiflung über die Höpffnersche Machault-Ausgabe, die ohne Glossar u. Commentar mir oft unleserlich ist; Partner 1964 Erben 260 nachdem dort das Griechische durch das Angelsächsische ersetzt worden war, gelangte es ein knappes Jahrhundert später nach Fulda, wo das Angelsächsische nunmehr dem Althochdeutschen weichen mußte — ein erstaunlicher, doch symptomatischer und keineswegs einmaliger Vorgang; denn auf ähnliche Weise haben auch andere althochdeutsche Glossarien das Licht der Welt erblickt; ebd. 261 er [Hrabanus Maurus] war ein Bücherwurm und Gelehrter, wie es keinen zweiten in seiner Zeit gab, ein Mann von klassischer Bildung und antikem Formbewußtsein, der eine Reihe der damals so beliebten Glossarien — unter anderem zur Weltgeschichte des Orosius herausgab; Welt 9. 10. 1969 wodurch werden künftig „Sakra" und „sakrisch" ersetzt werden, wenn im Zuge der Säkularisierung auch die Sakra-
mente aus dem täglichen Glossar verschwinden?; Mannh. Morgen 26.1. 1985 im Begleitheft sind neben den graphischen Darstellungen eine Übersicht über den gesamten Kursinhalt, das Literaturverzeichnis, ein Glossar mit Erklärungen der wichtigsten im Lehrgang verwendeten Begriffe und Fremdwörter in Blindenschrift aufgeführt; Zeit 29.3. 1985 schon gibt es ein Ruhrgebiets-Glossar und ein erstes, internes englisches ErgänzungsWörterbuch. Glossare der Nazi- und der Jugend- und Knastsprache sowie eine Sammlung deutscher Redewendungen nach Bedeutungsfeldern sind in Arbeit; sie werden vor allem Übersetzern aus dem Deutschen zugute kommen; Eggers 1986 Dtsch. Sprachgesch. 180 Die gelehrten Mönche begannen um das Jahr 750 ihre Arbeit an der deutschen Sprache mit der Schaffung lateinisch-deutscher Wörterbücher, sogenannter Glossare; taz 23. 9. 1988 Das folgende Glossar möge als eine Art Fremdwörterbuch in diesen bewegten IWF-Tagen manch gute Dienste leisten; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 111 Rudolf Ibel, der sein erstes Sprachbuch . . als „Kurzweilige und besinnliche Glossen zur deutschen Sprache" umschrieben hatte, nennt sein zweites gleich von vornherein „Kurzweiliges Glossarium zur deutschen Sprache"; Zeit 29. 3. 1996 Seine Sprache ist die Verbindung zweier Kulturen, er gab von Anfang an seinen Gedichten ein Glossar bei, damit auch die Engländer sie verstehen würden; Zeit (online) 5. 12. 2002 So entsteht ein Lesebuch, das den Reisenden hinter die Kulissen führt und dank Zeittafel und Glossar auch als Nachschlagewerk dient; taz 8. 3. 2003 Denkbar wäre auch ein Glossar im Internet, wo erklärt wird, was sich an Unappetitlichem hinter so kryptischen Kürzeln wie BSE oder CSU verbirgt; FAZ 14. 3. 2003 Wer nicht alle erwähnten Schriftsteller und Künstler kennt oder zeitgeschichtliche Anspielungen nicht versteht, erhält in dem ausgedehnten Glossar des Übersetzers Heinrich von Berenberg korrekte und genaue Auskünfte: Bonus der deutschen Ausgabe, denn die Leser des spanischen Originals müssen auf ein solches Glossar verzichten; Riecke 2004 Medizin. Fachspr. 39 Die Körperteilglossare finden darüber hinaus Eingang in die großen Sachglossare des 11. und 12. Jahrhunderts, die das spätantike Wissen noch einmal systematisch sichten und für die Zeitgenossen lexikalisch aufschlüsseln. glossarisch: taz 13. 11. 1999 Den Grundton der Geschichte bestimmen Voraussetzungen und Bedingungen des Heilbadewesens: Neutrale Abhandlungen über geologische und klimatische Gegebenheiten, teilweise glossarisch aufgelistet, bilden die erzählerischen Spannfäden, in die, urplötzlich, der phantastische „Schuss" fährt, Überschuss produziert, in Silbers Sprache: Obertöne.
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Glosse F. (-; -n), Anfang 13. Jh. entlehnt aus mlat. glosa, lat. glossa 'veraltetes, fremdartiges und daher ungewöhnliches, ungebräuchliches, schwieriges Wort, das einer Erklärung durch ein bekanntes bedarf; erläuternde Erklärung, Deutung eines solchen Wortes' (< griech. 'Zunge; Sprache; fremdartiges Wort'; vgl. daneben bei den römischen Grammatikern und Rhetorikern auf dasselbe Etymon zurückgehendes lat. g/osseratf/griech. 'ungebräuchliches, veraltetes, erklärungsbedürftiges Wort', vgl. Glossem(atik); —> Glossar; —> polyglott; vgl. engl. gloss, frz. glose, ital. glossa, span, glosa}; anfangs in den Schreibungen (mhd.) glös(e), g/o/?, seit dem 17. Jh. zunehmend wieder in Anlehnung an das Griech. und Lat. in der heutigen Form, bis ins 18. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form Glos(s)a und von Mitte 15. bis ins späte 18. Jh. gelegentlich in der Diminutivform Glössl(e)in, Glößl(e)in. la Zunächst im Bereich der (Text-)Gelehrsamkeit als Terminus in der heute weitgehend nur noch historisierend und zitierend gebrauchten Bed. '(philologische) Auslegung, Erläuterung, Erklärung eines fremdartigen (seltenen, unbekannten, fremdsprachigen) Wortes, einer (schwerverständlichen) Textstelle' (vgl. Interpretament, —* Interpretation, —» Kommentar, —» Note, —* Marginalie), anfangs überwiegend im Sinne eines autoritativen Kommentars bezogen auf die Auslegung der Bibel bzw. theologischer Texte (s. Belege 1252-55, 1349-50, um 1410, 1453, 1510, 1521, vor 1576.2), vereinzelt auch für 'auslegende Predigt nach der Verlesung des Evangelientexts im Gottesdienst' (s. Beleg um 1590), speziell in der Rechtsspr. vom 16. bis 19. Jh. mit Bezug auf die Erklärungen/Erläuterungen zum Corpus iuris civilis oder zu anderen Rechts-, Gesetzestexten (s. Belege 1501, 1561, vor 1576.1, 1677, 1748, 1773, 1865, 1879, 1956; -> Kommentar); im 16./17. Jh. auch für '(literarische) Erklärung, Ausdeutung bes. einer Beispielerzählung, einer (exemplarischen, allegorischen) literarischen Figur' (s. Belege 1566, 1618.2, 1663), sowie gelegentlich bildlich verwendet im Sinne von 'Zutat; Beiwerk' (s. Belege 1728, 1866, 1887); daneben seit dem 12. Jh. im (zusammenfassenden) Sing. Glos(s)a als Kollektiv für 'Sammlung, Gesamtheit aller (Wort-)Erklärungen, interpretierenden Glossen (zu einem Text)' (s. Beleg 1775; —*· Apparat, —» Glossar; vgl. Glossa ordinaria als Titel der mittelalterlichen Standardglosse zum Bibeltext oder zum Corpus iuris civilis); in Wendungen wie in den Glossen wird das Wort nicht erklärt, am Rande gedruckte Glossen, das Werk ist mit des Autors eigenen Glossen schön verziert, Glossen über die Heilige Schrift, das kanonische Recht mit seinen Glossen, eine sehr verbreitete Glosse im Bereich der Sagen, häufig in den Paarformeln Glossen und Erklärungen/Auslegungen/Noten, Text und Glosse 'Wortlaut und (verborgene, tiefere, eigentliche) Bedeutung', selten in Zss. wie Glossenhandschrift, -macher, -Sammlung; Bibel-, Rand-, Textglosse. b Von frühem 15. bis Ende 18. Jh., vereinzelt bis ins frühere 20. Jh. auch abwertend für ' falsche, (absichtlich) verfälschende Auslegung, falsche Interpretation, Verfälschung eines Sachverhalts, authentischen Textes, einer gültigen Aussage, Lehre/ Lehrmeinung (der Bibel)', insbes. in der reformatorischen Polemik im Kampf um die Reinheit des Bibelwortes 'zweifelhafte menschliche Zutat zum göttlichen, reinen Bibeltext' (s. Belege vor 1496, 1510, 1512.1, 1521, 1523, um 1530-34, 1558, 1563, 1570, 1583, 1587, 1604, 1615, 1650, 1754), auch, teilweise mit Bezug auf mündliche Äußerungen, allgemeiner 'beschönigende Darstellung einer unliebsamen Tatsache; Ausflucht, Ausrede, Entschuldigung; Lüge' (s. Belege 1453, 1569), vereinzelt bildlich und (z.T. redensartlich) übertragen (s. Belege 1590, 1775, 1790), in Wendungen
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(meist mit negativen Beiwörtern) wie falsche, erdichtete, faule, ketzerische Glossen, den einfachen Text unter einem Wust von Glossen begraben, (in Verbindung mit meist negativen Partnerwörtern:) Deuteleien und Glossen, Glossen und Ausflüchte, Glossen und Possen, Text und Glosse 'göttliches Wort und menschliche Verfälschung; Wahrheit und Lüge', on alle gloß Ohne Beschönigung, unumwunden, geradezu' und Zss. wie Glossenglaube 'nur auf Auslegungen gegründeter Glaube', Gloßmeister 'Teufel'. c Seit Ende 18. Jh. in der Fachsprache der (dtsch.) Philologie in der Bed. '(als Quelle für den Wortschatz der ältesten Sprachperioden des Deutschen bes. wertvolle) volkssprachige, deutsche Übersetzung eines lateinischen Textwortes oder -abschnitte, die (v. a. in ahd. und mhd. Zeit) als Übersetzungshilfe an den Rand, zwischen die Zeilen oder in den fortlaufenden Wortlaut eines lateinischen Textes geschrieben (oder separat in besonderen Verzeichnissen angeordnet) wurde', in Wendungen wie althochdeutsche, altsächsische Glossen, Kasseler, Monseer, Wessobrunner Glossen, Glossen sammeln, edieren und Zss. wie Glossenarbeit, -forschung, -handschrift, -literatur, -Sammlung; Bibel-, Prudentius-, Terenz-, Virgilglossen, Griffelglosse 'mit dem Griffel (ohne Tinte) in das Pergament einer Handschrift eingeritzte volkssprachige Glosse', Interlinearglosse 'zwischen die Zeilen eines lat. Textes geschriebene Glosse', Kontextglosse 'in den fortlaufenden Wortlaut eines lat. Textes eingefügte Glosse', Marginalglosse 'an den Rand eines lat. Textes geschriebene Glosse'. 2a Seit Anfang 14. Jh. selten auch allgemeiner mit Bezug auf Außertextliches für 'eigentliche, tiefere Bedeutung, Sinn' (s. Belege um 1300, 2. Hälfte 15. Jh.) bzw. 'Angabe von Gründen/Ursachen für das Bestehen eines Sachverhalts, Darstellung der Hintergründe/Motive einer Handlung, Erklärung eines Ereignisses, Vorfalls usw.' (s. Belege vor 1534, 1542, 1539—56, vor 1576), z.B. etwas bedarf keiner Glossen 'etwas ist leicht zu verstehen, liegt klar auf der Hand, versteht sich von selbst'. b Seit späterem 17. Jh. und weitgehend beschränkt auf das 18.719. Jh. mit stärkerer Betonung des subjektiven Moments zur Bezeichnung von (meist) mündlichen Meinungsäußerungen (im Gespräch, in der Rede) in der Bed. 'nebenbei gemachte, (meist kritisch) wertende Anmerkung, Ausspruch, kommentierende Bemerkung über ein Thema, eine Person' (vgl. Annotation, —*· Kommentar, —> Kritik, —*· Note), dann v. a. im (leicht bis verstärkt) negativen Sinne für 'scherzhafte, spöttische, ironische, boshafte, anzügliche, abfällige, hämische, gehässige (Rand-)Bemerkung, Kommentierung, Klatsch' (s. Belege 1735, 1755, 1804, vor 1811, 1893, 1924.1), auch (von l a) übertragen (s. Belege 1759, 1826) und gelegentlich konnotiert mit „beiseite; insgeheim, heimlich, hinterrücks" (s. Belege 1782.1, 1782.2); in Wendungen wie heimliche, spöttische, bittere, gallige, unfreundliche, mäkelnde, höhnische, beißende, unbarmherzige, verächtliche Glossen, etwas mit Glossen quittieren, (sich) eine Glosse verbeißen, sich an keine Glossen kehren, allerhand Glossen fallen hören und v. a. in der festen Verbindung (seine) Glossen über jmdn./etwas machen 'jmdn./etwas spöttisch kommentieren, sich über jmdn./etwas lustig machen' (s. Belege 1709, 1711, 1716, 1732, 1785, 1816, 1820, 1843, 1914-15), selten in Zss. wie Glossenmacher/ -in; Philister-, Randglosse. c Von daher seit Mitte 19. Jh. (und anfangs nicht immer sicher von b zu trennen) im journalistischen Bereich als Bezeichnung eines publizistischen Textes bzw. der entsprechenden Textsorte für 'kurzer und pointierter, in einer (Tages-)Zeitung, Zeit-
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schrift veröffentlichter, im Radio oder Fernsehen gesendeter journalistischer Meinungsbeitrag oft ironischen, satirischen oder polemischen Charakters zu einem aktuellen, weit-, lokalpolitischen oder kulturellen Ereignis, einem zeitgenössischen (Sprach-, Mode-, Kultur-) Phänomen' (—> Apergu, —»· Aphorismus, —» Essay, —»· Feuilleton, —» Kommentar, —·· Kolumne, —»· Pamphlet, —> Satire), in Wendungen wie eine Glosse von 25 Zeilen, amüsante, witzige, satirische, bissige, vergnügliche, sprachkritische Glosse, leider keine Glosse sondern Realität, eine scharfe Glosse zu Umweltzerstörung und Globalismus, für Empörung sorgte unlängst eine im „Spiegel" veröffentlichte Glosse, in Form einer wöchentlichen Glosse angesprochene Sprachoder Sachthemen und Zss. wie Fernseh-, Fußball-, Gesellschafts-, Helmut-Kohl-, Kultur-, Kurz-/Mini-, Literatur-, Medien-, Moral-, Mundart-, Radio-, Sonntags-, Tages-, taz-/FAZ-, Zeitungsglosse, speziell Sprachglosse c sprachreflexiver/-kritischer Kommentar, Anmerkung zu Erscheinungen des zeitgenössischen Sprachgebrauchs (in Beziehung zu allgemeineren kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen)'; Glossenautor/-schreiber/-verfasser, -genre, -spalte, -Stoff, -thema, -titel. 3 Seit späterem 18. Jh. das auf das gleiche Etymon zurückgehende, aus span, gleichbed. glosas entlehnte Fachwort der Poetik als (historische) Bezeichnung für eine lyrische Form 'Gedicht, dessen einzelne (vier) Strophen je eine Zeile eines (als Thema) zugrundeliegenden vierzeiligen Gedichtes aufgreifen und mit ihr enden', in Wendungen wie Sonette und Glossen schreiben und Zss. wie Glossendichter. Dazu seit späterem 13. Jh. aus gleichbed. mlat. glos(s)are, afrz. gloser entlehntes glossieren V. trans., neben veraltetem glossen, anfangs auch in den Formen (mhd.) glösen, glasieren und (frnhd., bis ins 16. Jh. überwiegend) glos(i)eren, glosirn, in der Bed. 'ein schwieriges Wort, eine (bes. theologische, juristische) Textstelle auslegen/ -deuten, erläutern, erklären; etwas (Geschriebenes) mit Anmerkungen versehen, Anmerkungen, Randbemerkungen dazu machen' (vgl. exeg(es)ieren, —> Exegese, —» interpretieren, vgl. kommentieren, —*· Kommentar), z.B. ein Wort, einen Text glossieren und verstehen, die glossierten Ausgaben des „Corpus juris", im 15. Jh. vereinzelt dafür verglosen V. trans., gelegentlich synonym oder antonym mit verdeutschen verwendet (s. Belege 1565, 1612) (zu la), auch abwertend 'eine (Bibel-) Textstelle (absichtlich) falsch auslegen, bewusst umdeuten, verklausulieren, verdrehen, (gewaltsam) verfälschen, daran herumdeuteln' (s. Belege 1469, 1510, 1512.1, 1521.1, 1528, 1587, 1662, 1711, 1771) bzw. 'etwas (Unangenehmes, Unliebsames) beschönigend darstellen, sich herausreden, entschuldigen; jmdn. an der Nase herumführen, lügen' (s. Belege 1494, 1512.2, 1534, 1616) und 'schwindeln, etwas vormachen' (s. Beleg 1512.3) (zu Ib), auch eher subjektiv-wertend '(kritische) Bemerkungen über etwas machen, auf etwas (kritisch) hinweisen, (kritisch) seine Meinung darüber äußern, Stellung dazu beziehen, etwas bewerten' (vgl. kritisieren, —> Kritik), z.B. der Rezensent hat das eingeschickte Manuskript lobend glossiert, meist eher pejorativ 'spöttische, hämische, abfällige Bemerkungen über etwas/jmdn. (hinter seinem Rücken) machen, boshaft darüber/über ihn herziehen, sich darüber auslassen, lustig machen, spotten' (s. Belege 1691, 1806, 1850, 1858, 1895) und abgeflacht 'sich über etwas aufhalten, unterhalten, etwas besprechen, beratschlagen; (laut) Überlegungen zu etwas anstellen' (s. Belege 1710.1, 1710.2, 1789.1, 1863; vgl. diskutieren, —» Diskussion, —» räsonnieren, vgl. meditieren, —+ Meditation), in Wendungen wie er muss immer alles glossieren, seine Fehler und Schwächen werden von ihr unbarmherzig glossiert, im Karneval werden gerne pikante Ortsgeschehnisse glos-
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siert, eine viel glossierte Bemerkung, über Gott und die Welt glossieren (zu 2b), vom späteren 18. bis Anfang 19. Jh. vereinzelt für 'auf ein vorgegebenes Lied/Gedicht ein kommentierendes neues Gedicht (unter Verwendung der Zeilen des zugrundeliegenden) verfertigen' (zu 3), seit spätem 19. Jh. auch fachspr. (Germanistik) für 'in ahd. und mhd. Zeit volkssprachige Glossen in lat. Texten anbringen, schwierige lat. Texte mit dtsch. Glossen versehen', in Wendungen wie am häufigsten wird der Text der Bibel glossiert, der lateinische Text ist Wort für Wort glossiert (zu Ic), seit den 20er Jahren des 20. Jhs. v. a. im publizistischen Bereich 'etwas (Ereignisse, Phänomene, Zustände) in einer Veröffentlichung, in der Presse, einer Rede in kritischpolemischer, witzig-ironischer Weise kommentieren, einen (tages-)politischen, zeit-, gesellschafts-, sprachkritischen o. ä. Kommentar dazu schreiben, abgeben' (vgl. karikieren, kommentieren, kritisieren, polemisieren; zu 2c), mit dem seit frühem 16. Jh. belegten Verbalsubst. Glossierung F. (-; -en) (zu la, Ib, Ic, 2b, 2c); dazu seit früherem 16. Jh. die heute seltene Personenbezeichnung Glossierer M. (-s; -), in jüngster Zeit vereinzelt moviert Glossiererin F. (-; -nen), anfangs auch Closer, Closerer (zu la, Ib, Ic, 2b, 2c), gleichbed. mit seit früherem 16. Jh. nachgewiesenem, aus gleichbed. mlat. glossator entlehntem Glossator M. (-s; -en; anfangs auch lat. flekt.), im 20. Jh. auch moviert Glossatorin F. (-; -nen), zunächst vereinzelt mit negativer Wertung (bei Luther) für 'Verfasser von falschen, einen Text verfälschenden und umdeutenden Glossen' (zu Ib), seit Anfang 18. Jh. in der heute nur noch historisierend gebrauchten Bed. 'Ausleger, Erklärer eines schwierigen (religiösen, literarischen, fremdsprachigen, bes. auch juristischen) Textes' (vgl. Exeget, —> Exegese, Kommentator), auch leicht abwertend (s. Beleg 1783), z.B. die Schule der Glossatoren, einer der besten Glossatoren Shakespeares; Glossatorenschule, -zeit, vgl. auch die neoklassische Kombination Postglossator M. (zu post- Präfix mit der Bed. 'nach-; in der zeitlichen Abfolge danach') als hist. Bezeichnung für einen Angehörigen der auf die Glossatoren zeitlich folgenden Gelehrten des (römischen) Rechts in der Bed. 'Kommentator von Rechtstexten (insbes. des Corpus iuris civilis)' (zu la), seit späterem 19. Jh. fachspr. für 'Verfasser von volkssprachigen (ahd., mhd.) Glossen in lateinischen Texten des Früh- und Hochmittelalters' (zu Ic), seit Anfang 20. Jh. auch 'Verfasser von (kritischen, satirischen, polemischen) Zeitungs-/Zeitschriftenglossen' (zu 2c), mit der seit Mitte 20. Jh. vereinzelt belegten adj. Ableitung glossatorisch 'von einem Glossator verfasst, von einem Textausleger, -erklärer oder einem Verfasser von Zeitungsglossen geschrieben' (zu la und 2c); daneben gleichzeitig und selten bis heute (vgl. 2c) Glossist M. (-en; -en), auch Glossistin F. (-; -nen) (zu la und 2c), mit vereinzelt (Schweiz.) bezeugtem glossistisch Adj. (zu 2c); seit Mitte 20. Jh. vereinzelt die eventuell von frz. gloseur 'Verfasser von Glossen' beeinflusste Personenbezeichnung Glosseur M. (-s; -e) 'jmd., der die Handlung eines Theaterstücks mit (kritischen) Bemerkungen, Kommentaren begleitet', auch allgemeiner 'außenstehender Beobachter (am Rande eines Geschehens)' (vgl. Kritiker, —» Kritik; zu 2b und 2c). Daneben selten die initiale Wortbildungseinheit Gloss(o)-, gloss(o)- 'Zunge(n)-, Sprach(en)-; Wort-; Glossen-' in (neoklass.) Kombinationen wie Glossograph M. (-en; -en) (zurückgehend auf griech. 'fremde od. schwierige Wörter aufzeichnend/Aufzeichnender') 'Glossensammler, -Schreiber' und Glossographie F. (-; -n) 'Aufzeichnung, Erläuterung fremder und schwieriger Wörter' (zu la und Ic); vgl. auch Glossolalie F. (-; ohne PL) (aus g/osso- 'Zunge(n)-' und -lalie, zu griech. 'Geschwätz', eigentlich 'Zungenreden'), in der Religionswiss. 'ekstatisches,
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unverständliches Sprechen, das der Deutung bedarf, in besonderer Unmittelbarkeit zu Gott gebetetes Sprachengebet' (—» Charisma), Glossodynie F. (-; ohne PL) (aus glosso- 'Zunge(n)-' und -dynie, zu griech. 'Schmerz') neben Glossalgie F. (-; ohne PL) (aus glosso- 'Zunge(n)-' und -algie, zu griech. 'Schmerz') als Fachwörter der Medizin in der Bed. 'Zungenschmerzen an der Zungenoberfläche (Zungenbrennen)'. Glosse la: Gottfried v. Straßburg um 1210 Tristan 4689 die selben wildenaire [wirr und unverständlich schreibende Autoren]/ si müezen tiutaere/ mit ir mseren läzen gän:/ wir enmugen ir da nach niht verstän/ als man si hceret unde siht;/ sone hän wir ouch der muoze niht,/ daz wir die glose suochen/ in den swarzen buochen; Heinrich v. Krolewitz 1252—55 Vaterunser 4492 vil manige rede hat diz wort [die siebte Bitte des Vaterunsers]/ der ir noch niht habet gehört;/ solte ich iu die mit glose sage,/ so müstet ir vil lange dage (DWB); Hugo v, Tritnberg 1300 Renner 19277 swaz doch her Aristotiles/ und ander lerer haben vollfüert:/ wirf des ein teil von mir gerüert/ mit kurzen Worten und mit glösen,/ daz ensol nieman verdösen [überhören] (DWB); Konrad v. Megenberg 1349-50 Buch d. Natur 137 Erinacius ze latein haizt ain igel ze däutsch und haizt mit ainem ändern namen cyrogrillus. also spricht ain glös über die hailig geschrift, da man diu unrainen tier verpeutet; Wittenweiler um 1410 Ring 87 Waz got tuot und was er spricht,/ Ich sich es mit der warhait gen,/ Der es gar eben mag versten./ Dar zuo ist die glos vil guot,/ Wan der text uns zwivel tuot; 2. Hälfte 15. ]h. Fastnachtsp. (l 20) Jud, das ist gerichts wider got,/ Der alle ding gutgemachet hot,/ Und due sprichst, got Adam versmehen,/ Das er sein ungestalt hab gesehen,/ Welch glos an alle form doch ist:/ Sag an, was ir von Moyse wist; ebd. I 30 Ei, hat der teufel uns betört?/ Nu hab ich mein tag nie gehört/ Der schänden gleich, die uns antrifft,/ Und als erklert auß unser schrift/ Un wider unser gloss bewert; Hermann v. Sachsenheim 1453 Mörin 5469 Als bald ich aber maister ward/ Und kunt den text und ouch die gloß,/ Da ward ich armer wiselos/ Und dick gestoussen von der pfruend,/ Als noch die ungenanten tuond./ Sü lühen lieber manig pfarr/ Aim ungelerten jungen narr/ Denn ainem doctor kluog und wis; Niclas v. Wyle 1478 Transl. 174 Ja es sagt der text vnd die glose die genennet wird ordinaria .Ixx. di. sanctorum daz von gemainem rechten niemant haben mag zwo kirchen oder zwo pfrüden[!] in aim bistum; ebd. 312 Da wirst du des ersten finden vnd sechen ain aller fölligoste lyberye [Bibliothek] guter büchern. . . Alda magst du büchertext vnd glosan bede der kriechen vnd der latinischen (Welche du selbs wilt) lesen; Folz um 1480 Meisterlieder 385 daz feuer, do von im psalm stet: 'Daz feuer durchget sie in
dem angesicht dez richterz.' Dar über die gloß spricht daz diß ein materglich feur sein wirt; Neidhart 1486 Eunuchus d. Terenz 15 Du vindest auch an ainem yeden blat text vnd gloß. Auff der glingken sytten den text in der grössern geschrifft. Vnd auff der gerechten sytten die gloß in der klainern geschrifft. Vnd an ainem yedem blat vindest du der gloß weder minder noch mer, dann so vil als dem text an dem selben blat zu gehört; Geiler v. Kaysersberg 1501 21 Artikel (S. W. l 158) Der keiser im rechtbuch . . befilcht öffentlich/ das das gut eyner frouwen die nit kind hat und in ein kloster gat/ dem closter zu gehören sol/ in sollicher moß als do und ouch in den glossen berurt wurt; ders. 1510 Seelenparadies (S. W. III 171) Spricht die gloß über Lucam vonn den kleidern Sancti Johannis. Dem knecht stat nitt zu kleydung zu der gezierde/ mer zu der bedeckung; Luther-Emser 1521 Str. II 204 Wolt ich dir ein canonem geweyßt haben ij. q. vij. Non omnes Episcopi, do dir die gloß saget, was das doll oder verdorben saltz bedewt, Wolcher glos du vngezweyvelt glouben geben wurdest, dann sie nit ein Romanist, sonder ein tewtscher gemacht hat; Luther 1545 Wider d. Papsttum (WA l 54,217) Denn sihe doch, wie die armen Juristen geplagt sind, das sie die Römische spitzbüberey mit glosen zusamen flicken, reimen, schlichten, ehe sie jr eine geringe gestalt machen können (DiBi 125); Spangenberg 1561 Jagteuffel B3b Da Keiser Pius an die Weidleute also schreibet/ Es ist der vernunfft vnd Erbarkeit nicht gemes, das ji wider des Herrn willen auff ändern gründen vnd Eckern Vogel stellet/ vnd setzet die Glosse,/ das solcher gleicher gestalt auch vom jagen sol verstanden werden; Wild 1566 Doctor mit d. Esel (Schauspiele 16. Jh. I 244) Hie schauet disen doctor an,/ der allen menschen recht wolt tan,/ wie weit es im gefeiet hat;/ die gloss und bedeutung verstat:/ diser doctor bedeutet hie/ all from, einfaltig christen, die/ sich fleißen ton in zucht und eren; Rot 1571 Diet. Gloss, oder gantz glossa. Ein Griechisch wort/ . . ein außlegung/ vertolmetschung/ da ein wort vnd ein sprach mit der ändern erklärt wirt. Vnd solches nit allein als vil die plossen wort/ sonder auch die gantze meynung betrifft; Mathesius 1571 Sarepta 97b gibt doch die außlegung oder gloß auff dem rande, daß es [das Wort Badil] ein rieht oder bleyscheid . . gewest sey, wie es auch andere dolmetscher und außleger geben (DWB); Sachs vor 1576 (W. IX 447) die grob
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schrift [im Rechtscodex] ist der texte bloß,/ die klein schrift herum ist die gloß (DWB); ebd. W. XVIII 24 der psalm ist sehr kurtz an den Worten,/ nit klar verstendtlich allen orten,/ doch im verstand sehr hoch und groß,/ darff einer kurtz einfeltigen gloß (DWB); ebd. XXI 343 auch fand ich in mein Büchern geschriben/ artlicher dialogos siben,/ doch ungereimet in der pros,/ ganz deutlich frey, on alle glos (DWB); Hertzog um 1590 Schildwacbt K8b ich habe böse Bawren/ die gut Lutherisch sind/ vnd nicht gerne opffern/ welche/ so sie das Euangelium gehört/ bald aus der Kirchen lauffen/ vnd kein Glosse hören wollen/ vermeinen/ sie verstehen es wol; Sandrub 1618 Delitiae 7 deß authoris, der den Reynicken fuchs geschriben, das [!] sein künstliche werck auch mit sehr schönen außbündigen glossen gczieret; ebd. 23 Diser Historien eygentliche Erinnerung, läufft auff den vorhergehenden zweck hinauß, daß sich nemblich die . . Geistlichen im Babstthumb mit allerhandt Hurerey vnd Vnzucht beflecken . . Aber diser säubern Historien und Bößlein, wird es noch mehr geben, darumb wir der Glossen vnnd Erinnerungen müssen abbrechen; ebd. 82 Weil aber dieses allein kurtz Erinnerung vnd Glößlein, vnnd keine Postillen sein sollen, ist es eine vnnotturfft die länger in dieser materi zu verharren; Paracelsus 1618 Chirurg. Bücher 524 sampt des authoris eigenen glossen und erklärungen (DWB); Zinkgref 1628 Apophthegmata 216 f. Von den Glossenmachern sagt er [Geiler v. Kaysersberg]: Sie machen es eben/ wie die jenigen/ so den 1. April . . das einfältig Gesind von einem zum ändern schicken . .: also weisen jene den Leser von einer Glossa auff die ander/ von der ändern auff die dritt/ vnd so fortan/ vnd wann er sie alle aufgeschlagen/ reimen sie sich gemeinlich/ worzu sie angezogen worden/ wie ein Faust auff ein Äug; Moscherosch 1642 Vistones 169 Dann ist der nicht ein grosser Narr/ der die gute zeit verschertzet/ vnnd in deß meinet er begehe Doctorsarbeit/ wann er glossen vnd Notas vber meinen Eülenspiegel schreibet?; Winckelmann 1649 Bedencken 67 Dießes ist auch ein algemeiner Schulfehler, daß man die Knaben auf einmal mit Lesung vieler . . Büchern zu beschweren, und mit vielem Außwendiglernen .. und vielen Glossen Schreiben ohne richtige Ordnung abzumatten pfleget; 1663 Türkengefahr F2b Es steht leicht zu mercken/ was dieses Beyspiel wolle anzeigen/ und bedarff keiner Glossen: GOtt behüte/ daß es nimmermehr würcklich erkläret/ noch eine Geschieht darauß werde; Weise 1675 Kl. l^eute 231 es wundert mich warumb die Erfahrung keine widerwertige Glosse über diesen Legern fundamentalem gemacht hat; Butschky 1677 Pathmos 286 geld erkläret das recht und die gloss (DWB); Morhof 1682 Unterricht 83 Es heist auch mattus so viel/ als/ tristis bey den
Lateinern/ welches Turnebus in seinen adversariis aus einigen alten Glossis beweiset; Marperger 1711 Beschr. d. Messen I 34 unter dem Wort Marckt aber, sagt die Lateinische Glossa, wird verstanden allerley Bürgerliche Handthierung und Nahrung, welche den Städten zuständig ist; Stoppe 1728 Ged. I 209 Die Ehen sind ein Text, worüber jeder Narr/ Sich seine Glossen macht; Seume 1731 Kl. Lex. 176 Der Rand ist am Papier . . Daher ist: Rand-Glosse, i. e., was auf dem Rande angemerkket und erkläret ist; Lichtwer 1748 Äsopische Fabeln 173 die groß gedruckte schrift im mittelpunkt der seifen [des Corpus iuris]/ das heißt der text, und hat gar wenig zu bedeuten./ allein der kleine druck am rande hie und da,/ das sind die glossen, herr papa (DWB); Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 52 f.) aber was soll das Beywort pendentis . . bedeuten? Rigaltius fand eine alte Glosse, die es durch quasi ad ictum sc inclinantis erklärt; Goethe 1773 Götz (WA / 8,36) was ja noch abgängig oder dunkel wäre, ersetzen die glossen, womit die gelehrtesten manner das vortrefflichste werk (corpus iuris) geschmückt haben; Adelung 1775 Grammat.-krit. Wb. 723 Die Glosse . . zuweilen auch im Singular von einer ganzen Sammlung solcher Erklärungen; Herder 1778-79 Volkslieder 168 seine [Homers] Rhapsodien blieben . . im Ohr und im Herzen lebendiger Sänger und Hörer, aus denen sie spät gesammlet wurden und zuletzt, überhäuft mit Glossen und Vorurtheilen, zu uns kamen (DiBi 125); Musäus 1781 Physiognom. Reisen l 18 eingefügte Randglösslein; Herder 1782 Geist d, Ebräischen Poesie (S. W. XI 390) Auch die andre sehr verbreitete Gloße [im Bereich der Sintflutsagen] scheint daher, daß . . die Welt . . durch Feuer untergehn werde; Krünitz 1826 Enc. 634 In Boxhorns Glossen wird Slahta durch Jugulum, die Gurgel erklärt; Heine 1839 Shakespeares Mädchen (Werke u. Br. V 477) Wirksamer als die Glossen und die Erklärerei und das mühsame Lobhudeln der Kommentatoren war für die Popularisierung Shakespeares die begeisterte Liebe, womit talentvolle Schauspieler seine Dramen aufführten (DiBi 125); Görres 1858 Ges. Br. HI 66 hinten die glossen und noten sind auch wegen ihrer rundheit und geschlossenheit gar angenehm (DWB); Tholuck 1865 Gesch. d. Rationalismus 114 Das kanonische Recht mit seinen Glossen war ihm [Thomasius] vollends ein Greuel, den die Reformatoren von Anfang an mit dem anderen papistischen Sauerteig hätten austreiben sollen; Justi 1866 Winckelmann U 1,123 daß jene kleinigkeiten ... glosse sind zu gegenständen voll lebendiger gegenwart (DWB); Nitzsch 1879 Dtsch. Studien 31 'dies gesetz', sagt z. b. eine glosse des Irnerius, 'stammt aus jener zeit, wo das volk die macht hatte, gesetze zu geben' (DWB); Conrad 1887 Isar II 261 Was berech-
Glosse tigte ihn zu dieser Aushorcherei? War ihr Privatleben etwa wie ein Buch, in dem jeder blättern und nach Belieben Fragezeichen und Randglossen anbringen durfte? (DiBi 125); Potenz 1897 Grabenhäger l 216 [er pflegte] viel in die bücher, die er las, hineinzuschreiben . . diese glossen waren häufig sehr scharf und freimütig (DWB); Freud 1907 Wahn (Studienausg. X 60) noch ein anderer Traum, der uns . . verlocken kann, seine Übersetzung und Einfügung in den Zusammenhang des seelischen Geschehens beim Helden zu versuchen. . . Somit wäre es fast das beste, wenn wir beim Faden der Erzählung verblieben und diese fortlaufend mit unseren Glossen versähen; 1924 Kunstwissenschaft 119 es war eine merkwürdige Fügung, daß . . ich [die Festschrift] epilogierte mit dem schon früher gestreiften kleinen Aufsatz: Randglossen zu einer Stelle Montaignes; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. IV/V 20) Nun war aber dies Original nicht eigentlich ein Original, nicht das Original, wenn man es recht betrachtete. Es war selbst schon die Abschrift eines Dokumentes aus Gott weiß welcher Vorzeit, bei dem man denn also, ohne recht zu wissen, wo, als bei dem wahren Originale haltmachen könnte, wenn es nicht seinerseits bereits mit Glossen und Zusätzen von Schreiberhand versehen gewesen wäre; Heimpel 1956 Kapitulation 91 Theologie lehrte man in der ganzen Welt nach den Sentenzen des Petrus Lombardus; kanonisches Recht aller Orten nach den wenigen anerkannten Apparaten zu feststehenden Texten, zu Dekret und Dekretalen; weltliches Recht nach der Glosse zum Corpus juris civilis; Johnson 1959 Jakob 99 Aus verschiedenen Fassungen eines Textes wird die dem Anschein echteste (unverderbteste) ersucht . . Dann der Druck des völlig durchforschten Textes mit Noten Einschüben Lesarten Glossen Exkursen . . dem textkritischen Apparat; 1985 Repertorium Manuscriptorum 50 Die alte Erklärung, daß Siglen auf den Autor der Glosse hinweisen, läßt sich also so pauschal nicht halten; FAZ 9.9.1999 Bereits die frühmittelalterliche Handschrift kennt Gliederungshilfen, die Vortrag und Lesen erleichtern, wie ausgerückte Versalien, in roter Tinte geschriebene Initien, Marginalien und Interlinearglossen.
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Munde der Barden erst buchstabiert, als eine Zaubergestalt voriger Zeiten im Spiegel der Glossatoren studiert werden (DiBi 125); Sonnenfels 1783 Ges. Sehr. II120 ich will . . ihn [den Briefschreiber] an einigen örtern mit meinen anmerkungen begleiten, er mag sich . . etwas darauf zu gut thun, dasz ich mich bei ihm bis zum glossator herablasse; Schubart 1791 Leben l 154 „Spielleuten" sagt der alte deutsche Gesezgeber, „gibt man zur Buße den Schatten eines Mannes, so gering achtet man sie, daß sie kaum als Menschen angesehen werden," „das macht, sie sind liederlich, und machen liederlich," sezt der Glossator hinzu (DiBi 125); Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland I 211 einer der besten Glossatoren des Dichters [Shakespeare]; Lipou'sky 1803 Kriminalrecht 87 Die damaligen Rechtsgelehrten bildeten drei Klassen. Glossatoren, elegante Rechtsgelchrtc, und Formularisten; /. Grimm 1805 Br. an W. Grimm (Br. a. d. Jugendzeit 12) Bisher habe ich recht leichte Arbeit, Excerpte aus Glossatoren; 1815 Civilist. Magazin IV 85 Es ist eine sehr bekannte Sache, daß von den fünfzig Büchern der Pandccten die drey und zwanzig ersten . . das ausmachen, was bey den Glossatoren ff vetus hieß; Brentano 1852 Ges. Sehr. HI 196 wo Irnerius gelchret/ seine justinianschc glossen,/ . . Hugo und die glossatoren (DWB); Kaufmann 1888 Gesch. d. dtsch. Univ. I 74/343 Die großen Arbeiten auf dem Gebiete des römischen Rechts, welche von der unsicheren Benutzung einzelner Stellen im 9. und 10. Jahrhundert zu einer wissenschaftlichen Beherrschung des ganzen corpus juris Fortschritten, gehören zumeist der Schule der Glossatoren an, in der auch noch der Geist des der Scholastik vorausgehenden Humanismus vorherrschte; E. Schmidt 1901 Lenziana (Sitz.-ber. d. preuß. Akad. d. Wiss. 998) mögen hier die Herren glossatoren immerhin geheimnisse unter den namen suchen (DWB); Jerusalem 1935 Staat 210 War bei den Glossatoren die Mitgliederversammlung mit der Korporation identisch gewesen, so wurde sie nunmehr bei den Kanonisten lediglich als Organ der Korporationspersönlichkeit behandelt; Ulmenstein 1935 Wappenwesen 31 insbesondere erhalten jetzt auch die anmerkungen der ältesten glossatoren zum Sachsenspiegel . .. ihr volles Verständnis (DWB); 1985 Repertorium Manuscriptorum 50 f. Die GlossatoGlossator: Thomasius 1701 Kl. Sehr. 14 so viel den ren kümmerten sich zwar wenig darum, wer die Verstand anlanget/ der . . Ciceronem, Cujacium, einzelnen Glossen als erster formuliert hatte. Im Grotium, Cartesium höher achtet/ als die Scholaswesentlichen ging es den Glossatoren darum, daß ticos, Glossatores, Aristoteles Ethic; Lessing 1766 sie beim Übernehmen von Glossen irgendwie beLaokoon (W. VI o. S.) So sagt Statius obnixa peczeichnen wollten, was denn nun in der Schule weltora . . welches der alte Glossator des Barths durch ches Glossators gelehrt wurde; Gschnitzer 1992 summa vi contra nitentia erklärt (DiBi 125); Her- Allg. Teil d. Bürgerlichen Rechts 10 So erscheinen der 1777 (Sturm u. Dr. l 324) müßten sie [altdt. die Kommentatoren (um 1250—1500), nach ihrer Heldenlieder], weil vor Otfried alles undiszipliGutachtertätigkeit auch Konsiliatoren und (schlecht) nierte Sprache war, als lebendiger Gesang im Postglossatoren genannt, als Begründer der moder-
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nen Rechtswissenschaft; Zeit 13. 6. 1997 Schon im Jahr 1200 brachte Italien bedeutende Persönlichkeiten hervor: Giotto, Francesco d'Assisi, Cimabue, Guido d'Arezzo und die Glossatoren; FAZ 4. 9. 1997 Von speziellerem Interesse sind die Beiträge von Gerhard Otte über den Nutzen, den frühe Glossatoren des wiederentdeckten römischen Rechts bei der Durchdringung der Quellenmassen aus ihrer dialektischen Schulung zogen. glossatorisch: Wieseler 1861 Unters, über d. Hebräerbr. ix So hat Huther in seinem Vorwort zu den Pastoralbr. . . bündig dargethan, dass für diese die Bezeichnung „glossatorisch" ungerecht sei, da in ihnen . . die Erklärung — unter Berücksichtigung abweichender Auffassungen — sowohl aus der Sprache als auch aus dem Gedankenzusammenhange und den Grundanschauungen des Schriftstellers begründet werde. Auch gab es schon längst Commentare, die nicht einmal in diesem Sinne glossatorische heissen können; Hiller 1950 Köpfe 302 Derlei Gedanken auszusprechen, anlässlich der eben erschienenen Nachlaßschrift Theodor Lessing's, erscheint mir . . wichtiger als um ihren Inhalt glossatorische Arabesken zu ziehn. glossieren/glossen: Albrecht um 1270 Jüngerer Titurel 5296 Alsust genant so was ir nam zv devte. . . Die ander barbidele. der nam sich hie glosierent. Nach lieber danne die sele; 1280-1300 Passional 44 vernim nu vurbaz mine wort,/ wand ich ez dir wil glosen!; Ende 13. Jh. St. Georg. Prediger (DTM X 116) und glosiert die rede (MÖLLER); Nicolaus v. Easel 1356 Sendschr. (Schmidt 1860 N. v. Basel 199) und soliche glosierte büechere hoerent der pfafheit zuo; Beheim 1462—65 Buch v. d. Wienern 140 die zwen gepruder ich glosen mus (DWB); Folz um 1480 Meisterlieder 253 Wie kan ich daz/ Glosiren paß/ Dan allz ich ewch will sagen; 1499 Terenz deutsch 49a (Anm.) ist besser verborgen dann glosiert. such yetlichs selber den sin der recht ist; Luther 1522 (W. X 3,210) das ist auch gesagt durch Esaiam am 28., welcher Christus allhie glosiert (DWB); ders. 1524 (W. XVI 526) die Juden haben das gepot also glosiret und ausgelegt (DWB); Emser 1525 Annotat. E6a In disem capitel/ do chrüs [Christus] sagt, wie der kleynist im himmelreich, grosser sey dann Joannes der teuffer/ glosiert Luther das wörtlein der kleynist; Luther 1528 Abendmahl (WA XXVI 449) wort zu glosiern vnd verstehen (DWB); Paracelsus 1528 S. W. I 6,50 deren geschriften probiren, das sie nur auf fremde experienz gehandlet haben, dergleichen was die Arabes erfunden haben aus der experienz, das haben ir, so in iren landen all hendel haben können glossiren, ire künst auch glossirt; Luther 1534 Vorr. z. Jeremia (Bindseil 1845 Luthers Bibelübers. VI 347) den
propheten Jeremia zu verstehen, darfs nicht viel glosens (DWB); Nas 1565 Antipap. eins u. hundert 27 dann es ist weyt ein anders ding, getreulich ein ding verteutschen oder ein ding auszlegen, glosiern und deuten (DWB); Knaust 1566 Müntzbüchlin 14a Auff diese weise wirt [die] Opinion gedeutet, glosirt vnd gemiltert; Sachs vor 1576 (W. IX 448) nam das rechtbuch herfürher, das/ ad marginem glosieret was (DWB); Platter 1612 (Boos 1878 Sittengesch. 51) und hatt ein Homerum und heimlich mins meisters Versionen, daruß glosiert ich min Homerum (DWB); Dannhawer 1657 Catech.Milch HI 201 die jungen witwen ... geyl worden seynd (wann sie das futter sticht, wie D. Luther am rand glossirt) (DWB); Abr. a S. Clara um 1690 Judas III (S. W. VII 266 f.) und ist glaublich, wie Euthimius in Marcum glossirt, daß der leidige Satan dem Judä schon die Zung also gebunden, daß er den süßesten Namen Jesus nit mehr konnte nennen (DiBi 125); 1693 Wohl gemeyntes Bedenken 23 Ein gleichmässiges Urtheil sol auch den Teutschverfaßten/ und mit Latein am Rand glossirten 4. Monarchien gelten; Bodmer 1746 Crit. B. 92 Und da er den Mamaluc über des Oedipus und des Ulysses Ausstechen der Augen . . glossiren läßt; Schubart vor 1791 Er. (Strauß 1878 Schubarts Leben IX 289) war ich doch morgen bei dir; so schloß ich mich eine lange stunde mit dir ein, und läse und glossirte dir den 139ten psalmen (DWB); /. Grimm 1805 Er. an Wilhelm (Br. a. d. Jugendzeit 21) Ich habe diese Woche die beste Ausgabe des glossirten corpus iuris . . erkauft; Schmid 1861 Schwalben (IV 213) mit einer glossirenden Bemerkung [zum lat. Text]; Rückert vor 1866 (Ges. Poet. W. XI 213) sein werk aber im ganzen orient höchst berühmt, seiner Schwierigkeit wegen von vielen glossirt und commentirt (DWB); Dolezalek 1985 Repertorium 28 daß die Editionen trotz ihrer Kürze anschaulich zeigen, in welcher Weise man in den verschiedenen Epochen zwischen 1100 und 1240 das Corpus luris Civilis glossierte. Glossierer: 15. Jh. Md. (Diefenbach 133b) commentator gloserer . . commentarius gloser; Abr. a S. Clara 1737 Bescheid-Essen 17 Es finden sich sehr viel Glossirer über diesen Text, und antworten etliche, daß Christus habe wollen andeuten, daß Gerechten und Auserwählten Nahmen seye geschrieben im Himmel; Klopstock 1774 Gelehrtenrepublik (W. u. Br. VII 1,76) auch haben die verwandten Wörter gleiche Bedeutung . . Das sagt der Glossierer nun zwar; aber ich bin auch einer, und wol ein besserer denn er, und sage: Er hätte bey seinem Vorbringen in Erwägung ziehen sollen, daß die angeführten Bedeutungen nur Nebenbedeutungen sind; Carrillo 1927 Mata Hart 11 Der Vater der Tänzerin ist nicht ihr Verfasser, obgleich er da-
Glosse für angesehen werden will. Er ist höchstens ihr Herausgeber und Glossierer. Glossierung: Nas 1567 Antipap. eins u. hundert III 77a aber sie haben disc fälschung .. nur ärger gemacht, bayds, mit verteutschung und glosierung (DWB); Henneberger 1595 Preuß. Landtaffel 184 fiel. . Vogel auf seine glossirunge und bementelung der Osiandrischen lere (DWB); Homeyer 1859 Sachsenspiegel 112 Denn voraussetzlich hat er alles erläutert, was zur wahren Gestalt gehörte und irgend zur Glossierung geeignet war; Zeit 6. 10. 1995 Fragen über Fragen: befördert durch einen Kommentar, der — kann man Besseres von einer gelehrten Glossierung erwarten? — dem Leser auf die Sprünge hilft auch über das abgesteckte Areal hinaus; FAZ 25. 3. 1999 Außerdem umfaßt er Arbeitsexemplare der eigenen Werke Mauthners mit der Forschung bisher nicht zugänglichen Glossierungen; ebd. 21. 11. 2001 Im weltlichen Strafrecht des Sachsenspiegels ordnete erst 1325 Johann von Buch in seiner Glossierung die Klagearten nach „peinlicher", „bürgerlicher" und „gemischter" Klage. Glossist: Paracelsus um 1530-34 W. II 7,289 die Weissagung Davids im psalter ist so schwer: der ist ein narr, der sich einer auslegung undtersteht zu machen; er muß mehr wissen denn David selbs, dann der glossist muß allwegen mehr wissen dann der textator; Abr. a S. Clara 1686 Judas I (S. W. Vll 117) Des Bettlers sein Nam' ist allbekannt Lazarus, aber des Reichen Name weiß weder der Evangelist, noch der Scripturist, noch Glossist, noch Commentarist etc. (DiBi 125); ders. 1699 Etwas f. alle l 307 ich laß gar gern die glossisten bey ihrer auslegung (DWB); 1842 Juden in Oesterreich l 92 Das dritte Element, das den Juden verderblich wurde, erhob sich um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, als man anfing, die ersten Spuren des Römischen Rechtes in den Glossisten kennen zu lernen; Schwarzlose 1886 Waffen d. alten Araber 234 f. Die Länge einer Lanze wird in der Hamasa auf elf . . angegeben, was der Glossist nicht einmal lang findet . . Die Bemerkung des Glossisten beweist aber, dass wir es . . mit keiner Übertreibung zu thun haben; 1912 Zs. d. westpreuss. Geschichtsvereins 159 Zunächst fällt die starke Abhängigkeit vom Glossisten D deutlich in die Augen. Glossograph: Lachmann 1841 Der Nibelunge Noth Vorr. xi wer aber vorzieht, von kritik ungestört, alle Verderbnisse mit haut und haar zu genießen, der mag seinen genuß anderswo suchen und sich von glossographen und paraphrasten helfen lassen;
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Gräfenhan 1843 Gesch. d. Klass. Philol. l 529 Ein Mangel der Glossographen, besonders der spätem, war, dass sie ihre Quellen nur selten nannten, aus denen sie die Glossen entlehnten; Hahn 1906 Rom u. Romanismus 221 Der Glossograph Seleukos, der zur Zeit Tibers lebte, berücksichtigte neben den altitalischen Dialekten auch die lateinische Sprache; Rengakos 1993 Homertext 137 Moschos .. begnügt sich mit der lectio facilior der Glossographen, obwohl er Aristarchschüler gewesen sein soll. Glossographie: 1878 N. Jahrb. f. Philol. CXVII 417 die überall in handschriften und druckwerken zerstreuten schätze lateinischer glossographie in einem corpus zu vereinigen; 1952 Brockhaus IV 691 In alexandrin. Z e i t . . wurde die Glossographie ein bes. eifrig gepflegter Zweig der grammat. Studien und führte zur Entwicklung der Lexikographie; Hartweg/Wegera 2005 Frühneuhochdtsch. 209 Im ausgehenden 14. und besonders im 15. Jh. entwickelten sich neue Wörterbuchtypen, die sich wesentlich von der früh- und hochmittelalterlichen Glossographie unterscheiden. verglos(s)en: Folz 1488 Buhler (Fastnachtsp. Ill 1276) Er nestelt auß goller die hossen/ Was sol ich weiter dran verglosen; ders. vor 1496 Meisterlieder 164 Wie feures glan/ Dem salamander gancz kein gran/ An seinem leib verseren kan,/ Wie lang er dut dor inne stan:/ Also geleutert unnd erfrischt/ Hot Got sein muter die vil hern/ Im auß erkornn,/ Als ich wil paß verglosen. Glosse Ib: Vintler 1411 Pluemen d. Tugent 2093 wann ainer von in sol geben pfenning oder TOS,/ so vint er für sich darauf ain glos,/ damit das er im doch nicht geit; Hermann v. Sachsenheim 1453 Mörin 2285 Sag an din handel und din fuog/ Und leg kain blatt für dinen mund./ Tuo uns die rechte warhait kund/ Und mach kain gloß, das dunckt mich guot,/ Als in der bicht mang mündlin tuot./ So es den text nit sagen wil,/ So kan es finden glößlin vil/ Das es der bichter nit verstand; Folz vor 1496 Meisterlieder 107 Nun ist ein ander frag ob Got/ Und mensch geschiden sey./ Hie wellen etlich sprechen 'ja',/ Haben ein sulche gloß in dem,/ So er im grab kein mensch nit wer,/ Eß gar pillich zu reden zem,/ Daß doch gesein mag nimmer mer; Geiler v. Kaysersberg 1510 Seelenparadies (S. W. /// 411) Es sind die wöllche durch lügen und falsche argument/ oder gloßen mit irer meinung sich abschalten von der waren auslegung der gemeinen christenlichen leerer; Murner 1512 Narrenbeschw. 100 Kein warheit wil ich daran sparen:/ Grosse bücher — grosse narren./ Ist der text schon recht
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vnd frumm,/ So ist die gloß ein schalck darumb;/ Den text sy alzyt töuffen baß,/ Das nie des textus meinung was; ebd. 205 Wie wol sy sich des wuchers schämen/ Vnd gebeut im ein ander namen;/ Es heißt by in ein Wechsel bände,/ Es ist ein glößlin — ein nüwer ranck,/ Vnd wöllens nit für wücher han; Eberlin v. Günzburg 1521 Bundsgenossen l 204 Eyn wyßer man sagt, Ein schüler haiiger geschryfft hat kain grosser gifft vnd hyndernuß dan der lerer gloß vnnd vßlegung (DiBi 125); Strauß 1523 Haubtstuck wider d. Wucher 3b es wirt weder doctor noch all geleerten der weit das 15. cap. deuteronomii . .. mit erdichten glosen verdempfen (DWB); Paracelsus um 1530-34 W. II 6,11 so wird alsdann herfur kommen der gloßmeister der heiligen geschrift, das ist der deufel, mit was listen das wort gottes verkundt ist worden; Luther vor 1546 (W. l 383) alle, die die schrifft mit yhren falschen glossen lestern (DWB); Franck 1558 Paradoxa 360a gottes wort . . ist das Hecht selbs, wie kan es dann vom menschen . . mit seinen glosen erleucht werden (DWB); Spangenberg 1563 Formularbüchlein G3b Unheilsame wort . . soll man zu keiner zeit . . brauchen. Gotselige, christliche .. sol man nicht vmb zeitlichs frides, vnd eigen gemachs willen, auch nicht vmb falsche angedichter glossen oder Calumnien wegen verschweigen; Mathesius 1566 Luther 2a mit geschwinden und falschen glößlein; 1569 Tbeatr. Diabolor. 121b weil aber solchs nicht geschehen, so erdichte man, was glosen und aussflucht man wil, wirt man mich doch nimmer bereden (DWB); Nigrinus 1570 Juden Feind 10 f. Ich habe aber hie nicht viel wollen schreiben von irer [Juden] Lehre vnd Geistlichen Lügen/ darmit sie fast das gantze alte Testament/ oder ja die besten Sprüche vom Messia bey in verdunckelt/ vnd gantz verkeret haben/ vnd durch ire Close die H. Schrifft verfelschet/ das sie iren verstand dienen sol; Thurneysser 1583 Magna alchymia 82 das ihre neidstich, glossen und zweiffelhaftige furbringungen keine artickel, weder der heiligen zehen gebotten gottes noch des allgemeinen christlichen glaubens seind (DWB); Nigrinus 1587 Schlüssel Büchlein 13a Ist es aber nicht ein mutwilliger Freuel, dass sie auss dem gantzen Spruch Christi, ein einiges wort herauss zwacken, wider die Meinunge vnd Inhalt des gantzen Textes, der solche Glosse weder gibt noch leidet; Dedekind 1590 D. christl. Ritter E3a so scharffer text ist mir gelesn,/ die glos ist auch nicht lind gewesn (DWB); Letzner 1604 Chronica 62b vber der reinen lehr, . . dieselbige durch menschliche vnd widerwertige Glossen, nicht verunreinigen lassen; Albertinus 1615 Gusman u. Alfarche 2 derwegen halte ichs vilmehr für ein pur lautere Höfligkeit/ daß ich den wahren vnd klaren Text ablese/ vnd etlicher Leut darüber gemachte falsche glossas ablaine; 1650
Reinicke Fuchs 342 wie sie vielmehr bauen auf ihre glossen und possen der schultheologen, als auf das lautere wort gottes (DWB); Milton 1754 Verl. Paradies (Übers.) 1113 denn der Mensch wird seinen [des Teufels] Glossen und Lügen Gehör geben, und das einzige Verbot. . übertreten; Lavater 1775 Physiognom. Fragmente III 96 aber wird dadurch [durch vorschnelle physiognomische Deutung] nicht manches in die glosse kommen, was niemals im texte gewesen ist? (DWB); Knigge 1790 Umgang 143 Der Umgang mit Kindern hat für einen verständigen Mann unendlich viel Interesse. Hier sieht er das Buch der Natur in unverfälschter Ausgabe aufgeschlagen. Er sieht den wahren, einfachen Grundtext, den man nachher oft mit Mühe nur unter dem Wüste von fremden Glossen, Verzierungen und Verbrämungen herausfinden kann (DiBi 125); Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 45) Da aber zweitens die Wendung 'Gutes und Böses' ohne jeden Zweifel und anerkanntermaßen Glosse und Zusatz zum reinen Texte ist und es sich in Wahrheit um Erkenntnis schlechthin handelt, welche nicht das moralische Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse, sondern den Tod zur Folge hat. Glossator: Luther 1539 Briefw. (Vlll 574) so hören wir, das der konig [von England] ein sophist unnd glossator sey, der alle artickel mit glößlen ferben . . will (DWB). glossieren: Nicolaus v. Basel 1356 Sendschr. (Schmidt 1860 N. v. Basel 192) so ist ouch das betrogene bihte, das der mensch der geht und bihtet sime bihter mit alse gar glosierten behenden worten, das ettelicher bihter sich selber usser den Sachen nüt wol gerillten kann (DWB); Oswald v. Wolkenstein 1445 Ged. 195 kain schand niemand glosiren mag,/ wie scharff man si betrachtet (DWB); Volkslied 1469 (Liliencron l 560,22) Si hand ain buch genant das decretal,/ was in gefeit, das seit es alle mal,/ nach irem willen tünd sis glosieren,/ damits uns laien überfüren; Brant 1494 Narrenschiff 101 Ich bin gar offt gerennet an/ wile ich disz schiff gezymberet han/ Ich soll es doch eyn wenig färben/ Vnd nit mit eychen rynden gärben/ Sunder mit lynden safft ouch schmyeren/ Vnd ettlich ding ettwas glosyeren/ Aber ich liesz sie all erfryeren/ Das ich anders dann worheyt seyt; Geiler v. Kaysersberg 1510 Seelenparadies (S. W. Hl 704) Das thund die glaubketzer/ ir synn und meinung wöllendt sy der heiligen geschrifft nitt underwerffen/ sunder die geschrifft under iren synn und duncken tringen und zwingen und sy glosiren und exponiren/ das sy irem fürnemen diene/ das soll du nit tun; Murner 1512 Narrenbeschw. 9 f. Ich bins der selbig geückelman,/ Der vnser narren bschwören kan/
Glosse Vnd der gschrifft ein nasen machen,/ Glosieren ouch zu allen sachen; ebd. 33 Des selben löffels muß ich lachen,/ Der . . gloubt, was im das wyb glosiert,/ So sy in by der nasen fiert; ebd. 78 Das sich die sach kan nymmer enden,/ Die allein durch dyn [des Advokaten] mutwil/ Nymmer treffen kan das zil,/ Durch dynen valsch, durch dyn glosieren/ Vns armen by der nasen fieren; Nazarei 1521 Gott 34 So wir dann ye der heiligen gschrifft nit glauben wollen, die mitt fulen vßlegung glosiern, nach vnserm willen vnd gewalt krimen, so verhengt got durch sin gerechtigkeit das wir nit anders meinen noch mögen wissen, dann wir thüen im gantz recht; Luther-Emser 1521 Streitschr. l 80 Czum dritten so will Luther Paulum hie aber feischlich glosirn vnd den spruch do er saget wie etzlich vorbieten wurden Ehelich zu werden auf den Bapst deuten; ebd. H 188 Es dauchte mich auch nichts helffen, das er sich glosiert vnd flicket, da er schreyb, der geyst, das ist, der geystlich vorstand macht lebendig; Eberlin v. Günzburg 1521 Bundsgenossen l 98 Dann sie haben allwegen die regel glosiert wie sy wollen, darnach Hessen sie solich glosen approbieren vom bapst, als ob sie dester besser weren (DiBi 125); 1521 Großer Preis (Schade, Satiren II 91) nement auch die hailigen geschrift für euch und glosiert die nach eurm vorteil und schicklich und bequemlich weis; Luther 1528 Abendmahl (WA XXVI 485) [die Schwärmer] müssen leib und blut glosiern und vertroppen, brod und bccher aber nicht glosiern noch vertroppen und also mit dem text spielen und faren, wie sie wollen (DWB); Paracelsus 1530 S. W. U 4,129 ist wol zu verstehn am text, darf nit vil glosiern, dann nur daß sie die armen under sich bringen und daß ir bescheißerei ein furgang hab; ders. 1531 — 32 W. l 9,280 dieselben [Wiedertäufer] nehmen iren grünt aus eim neidischen herzen und mugen niemants das sein lassen zu lieb werden und nemen in für ein spruch aus der geschrift, den glossircn sie nach ircn eigenrichtigen köpfen; Franck 1534 Weltbuch 119 [die Anhänger Mohamets] waren also . . bezaubert, das er nimmer unrecht künde thun, alles kund man entschuldigen und glosieren (DWB); Spangenberg 1563 Formularbüchlein 48 so doch eure eingeführten Propositionen an ihnen selbst simpliciter verwerflich und keineswegs, auch nach den Worten nicht, zu lehren sind. Danach habt ihr sie selbst explicirt und mit ändern Propositionen declarirt und glossirt . . Und ist solche eure Entschuldigung nichts!; 1587 Gespr. d. Herrn mit St. Petro (Schade, Satiren l 159) Dieser zwispalt kömpt her von ungelenken leuten,/ Die nach iren köpfen deuten,/ Glosieren die schrift nach irem sin; 1616 Henisch 1654 lugen ist allzeit siech, und darff vil Flickens und glossierens (DWB); Böhme vor 1624 (S. W. IV 462) mit glossiren und
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eigener witze soils keiner in seinem eigenen gründe ergreifen (DWB); Lehman 1662 Floril. polit. 949 alle vertrag und zusagen . . können geängert, geweitert, glossirt und verzehrt werden (DWB); Moscherosch 1642 Visiones 258 die zehen Gebott Gottes änderst außlegen/ änderst deutten vnd glossiren möchte/ damit er also entkommen/ oder doch in seiner sach auffs wenigste den termin prorogiren könnte; Marperger 1711 Beschr. d. Messen II 108 daß etliche böse Bezahler/ samt deren Advocaten und Procuratorn sich unterfangen dürffen/ solch Rescript ihres Gefallens zu drehen/ zu glossiren und vorzuwenden; Herder 1771 S. W. V 420 wie er [ein schlechter Biograph] da, Schmierer und Zusammenstoppler, bald gloßirt, bald leugt, bald lästert, und was noch ärger ist, bald lobt. Glossierer: Luther 1521 W. VIII 148 hör hie tzu, sind das nit feyne glossirer! (DWB); Paracelsus 1528 (W. l 6,52) die vorbemelten glossirer, die sezen Ursprung microcosmi krankheiten, demnach aus derselbigen die cur und keren der natur das hinder für sich, vermeinen die natur sol nit zürnen; Sleidan 1544 Reden 26 Denn er [der Papst] ja selbs schreibt, und seine heuchler, die Canonisten Glosirer bewerents, das er, die heylige schrift außzülegen, zu weitern, zu engern, zu verändern, und zu lindern, alleyn macht hab, Er hab gewalt alle menschen zu urteylen, und mög von niemands geurteylt werden. Glossierung: Paracelsus um 1530 W. U 6,20 warumb legen sich die erzbachanten der rechten in den grund der glosierung und nicht auf die wort der propheten? wo ist ihr geist, oder was ist in ihnen? nichts als allein des deufcls bescheißen. Glosse Ic: Kinderling 1795 Reinigkeit 78 es müßten auch die alten Glossen und Glossaria, die noch weniger bekannt sind, durchgegangen und erkläret werden; Hoffmann v. Fallersleben 1826 Althochdeutsche Glossen, gesammelt und herausgegeben von A. H. Hoffmann. Erste Sammlung, nebst einer litterarischen Uebersicht althochdeutscher und altsächsischer Glossen (Titel); Kühn 1859 Sagen a. Westfalen 11 22 Das oberdeutsche g entspricht indessen nicht genau dem niederdeutschen k, es wäre lorch, norch zu erwarten, doch althochdeutsche Glossen haben lorichi = cuniculus (DiBi 125); Hoff mann v. Fallersleben 1868 Leben I 149 Den 7. Februar 1826 schrieb ich die Vorrede zu meiner Glossensammlung, die bald darauf . . erschien . . Jacob Grimm hatte mir dazu einige früher von ihm selbst gesammelte Glossen freundlichst überlassen (DiBi 125); Braune 1891 Ahd. Gramm. 7 In vielen glossensammlungen sind die deutschen Wörter in
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geheimschrift geschrieben, deren gewöhnlichste form die ist, dass jeder vocal durch den im alphabet darauf folgenden consonanten vertreten wird; Ehrismann 1932 Gesch. d. dtsch. Lit. l 252 In den Glossen liegen die Anfänge der deutschen Philologie, die Lexikographie und Wortkunde ist somit ihr ältester Zweig . . Die Glossenliteratur aber ist nicht auf die Anfänge philologischer Tätigkeit beschränkt, sondern sie erstreckt sich von der Mitte des 8. bis ins letzte Drittel des 15. Jh.s; Potenz 1978 Gesch. d. dtsch. Spr. 35 Bei der Niederschrift des frk. Rechts in lateinischer Sprache (Lex salica) fügte man wichtige frk. Rechtswörter in Form von Glossen bei. Diese 'Malbergischen Glossen' bilden wegen ihrer Altertümlichkeit eine wichtige Quelle für die frühdt. Sprachgeschichte; Eggers 1986 Dtsch. Sprachgesch. l 183 Und auch er [Walahfrid Strabo], der zu schöpferischer Arbeit befähigt war wie kaum einer seiner Zeitgenossen, hat es nicht verschmäht, sich mit der Abfassung althochdeutscher Glossen abzugeben; Wells 1990 Deutsch 55 Ein Katalog von Hss. mit ahd. und asächs. Glossen verzeichnet immerhin 1023 Eintragungen, und die bereits von Steinmeyer und Sievers veröffentlichten Glossen füllen bereits etliche dicke Bände; Schmidt 2007 Gesch. d. dtsch. Spr. 87 für die weitere Entwicklung unseres Schrifttums und der Textgestaltung wichtiger ist der Bereich, in dem altes Schrift und Ideengut erschlossen wird. Eine besondere Rolle spielen dabei die Glossen, Wortübersetzungen, die die Bedeutung des jeweiligen Wortes im lat. Text synonym umschreiben oder angeben. Glossator: Ho ff mann v. Fallersieben 1868 Leben I 204 Auf diese Vorsetzblätter hat ein Glossator des 8. Jahrhunderts die beinahe vollständige deutsche Übersetzung eingetragen, auch zu jeder Abweichung der Itala die gewöhnliche Lesart der Vulgata hinzugefügt (DiBi 125); 1938 ZfdA LXXV 193 wird das lateinische abbatia durch abbateia BE, abteia C (Trier), abteie A wiedergegeben, in allen vier Hss. also mit einer ei-Form, die dem Glossator als eine (oder als die) deutsche erschien; Wells 1990 Deutsch 73 Gerade die Trivialität und die ständigen Wiederholungen des Vokabulars bestätigen die systematischen Absichten des Glossators [der 'Pariser Gespräche']; Riecke 2004 Medizin. Fachspr. l 155 Ein ausschließlich enzyklopädisch motivierter Glossator hätte sich in diesem Zusammenhang auf die Zusammenstellung und Übersetzung der Pflanzenbezeichnungen beschränken können. glossieren: l 885 Reallex. d. dtsch. Altertümer 299 Unter den glossierten Werken steht die Bibel obenan, von der man 100 glossierte Handschriften kennt; Steinmeyer/Sievers 1898 Ahd. Glossen IV Vorr. Dasjenige register freilich, welches bei be-
ginn des Unternehmens in aussieht gestellt war, . . nämlich ein alphabetisches Verzeichnis sämmtlicher glossierten lateinischen Wörter, erscheint nicht; Eggers 1986 Dtsch. Sprachgesch. I 186 Vor allem ist es der Text der Bibel, der auf solche Weise deutsch glossiert wird; Masser 2002 Komm. z. Benediktinerregel 48 [das 31. Kapitel] handelt 'De cellerario monasterii' . . Das ist ein wichtiges Klosteramt . . Kein Wunder, daß der Wichtigkeit der Materie entsprechend der lateinische Text Wort für Wort glossiert ist. Glossierer: Kortlandt 2003 LVII1 225 Bei der Erklärung ten Fehlglossierungen sind ja technischen Möglichkeiten noch ungenügend erschöpft.
Amsterdamer Beitr. von vielen sogenanndie gedanklichen und früherer Glossierer
Glossierung: 1880 ZfdPh XI 300 Sehr bald sind den lateinischen benennungen in diesen versen [aus dem 10. Jh.] dann auch deutsche glossierungen übergeschrieben worden; Eggers 1986 Dtsch. Sprachgesch. 1187 Wenn die Glossierungen sich zu einer Übersetzung jedes einzelnen Wortes verdichten, so entstehen die sogenannten Interlinearversionen, zwischenzeilige Übersetzungen; Riecke 2004 Medizin. Fachspr. I 136 Die 14 lateinischen medizinischen Handschriften beinhalten 61 volkssprachige Glossen, 35 können dem Althochdeutschen zugerechnet werden. . . Die Glossierung zeugt von dem Bemühen, den noch verfügbaren, aber häufig verderbten Texten der vorsalernitanischen Zeit einen adäquaten Sinn abzuringen. Glossographie: 1986 Reallex. d. German. Altertumsk. VI 354 Die literaturgeschichtl. Bedeutung der frühen Glossen im Maihinger Evangeliar liegt in ihrem Alter, da in ihnen der Anfang der ahd. Glossographie und der ahd. Überlieferung überhaupt gegeben ist; 2000 Sprachgesch. (HSK) H 1281 Offenbar herrschte innerhalb der adt. Glossographie ein reger wissenschaftlicher Austausch zumindest zwischen geographisch naheliegenden . . Skriptorien. Glosse 2a: Heinrich v. Neustadt um 1300 Apollonius (DTM VII 90) Nw ist der trawm peschaiden./ Ir suit euch nicht lan laiden/ Das ich das zwispil [zweimal] han gethan:/ Es ist ain hohe gloß dar an,/ Die gott [geht] auff aller weide kintt; 2. Hälfte 15. Jh. Fastnachtsp. 804 du weist, das gott in peispil weis/vill hat durch die profeten gerett,/ merket neür, ob ir die glos versteet (DWB); Aventinus vor 1534 S. W. IV 61 was zucht, sitten und guet leben antrift, last im kain hüetl aufsetzen, darf kainer glos nit (DWB); Knaust 1542 Mahomet a2a Die
Glosse sache darff nicht fast viel glose oder auslegung, Man sihet es für äugen, wie es so jemerlich vnd elend, ia auch schentlich mit allen stenden zustehet; Forster 1539—56 Frische teutsche Liedlein 9 Es ist ein frag vnd grosse klag wieß gelt komm auß dem lande./ Solch frage loß darff nit vil gloß mann gibts vmb seiden gwande; Sachs vor 1576 (W. XXI 294) und sagt im auch darbey die glos [die tiefere Bedeutung eines seltsamen Rates] (DWB). Glosse 2b: Weise 1675 Kl. Leute 231 Die alten Mexicaner-Könige . . legten bey ihrer Krönung einen hohen Eydschwur ab/ sie wollten befehlen/ daß die Sonne scheinen/ die Wolken regnen/ die Erde fruchtbar seyn/ ja wol gar daß die Unterthanen bey gutem Wohlstande am Leibe/ und am Glücke blühen solten. Aber es wundert mich warumb die Erfahrung keine widerwertige Glosse über diesen legem fundamentalem gemacht hat; Hunold 1709 Liebes- u. Heldengesch. 513 solches lieffe so gar wider einander, dasz ein jeder getreuer reichsgenosse sonderliche glossen darüber zu machen Ursache hatte (DWB); Stranitzky 1711 Oüapatrida 306 Das sage ich nicht/ denn es kommt den Dienern nicht zu/ Über ihrer Herren Actiones Glossen zu machen: Marperger 1716 Küchendict. 491 soll sich auch ein Hoff-Mann hüten/ über der Mahlzeit nicht allzu frey von Sachen/ die nicht jederman wissen muß/ zu reden/ weil sich unvermerckt Leute finden/ welche solche auffangen/ ihre Glossen darüber machen/ und . . unter die Leute bringen; Bodmer/Breitinger 1721 Discourse d. Mahlern III 123 ihr erzehlet ihm eine merckwirdige Begebenheit, und indem ihr seine Glossen darüber erwartet, begehrt er von euch, daß ihr eure Erzehlung noch einmahl wiederholet; Picander 1732 Satyr. Ged. III 554 die über meine Sachen/ beständig glossen machen,/ die schaffen erst den fleck/ vor ihrer thüre weg (DWB); Günther 1735 Ged. 81 schonen uns auch fremde glossen,/ geben gar die hausgenossen/ unsern feinden zung und wind (DWB); Philippi 1743 Reimschmiedekunst 153 Durch obige Distinction .. und andere critische Glossen, wird demnach der Saame der Zwietracht zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlechte nur mehr ausgestreuet; Edelmann 1752 Selbstbiographie 55 würde ichs nicht haben lassen können meine Glosen über diese Spektacul zu machen; Lessing 1755 Miß Sara Sampson (W. 79) Keine bittere Glossen, Miß! Sie geziemen einem Frauenzimmer, von einer sonst so sanften Denkungsart, nicht (DiBi 125); 1759 Br. die neueste Liter, betreffend VI 396 ich muß heute [in einer Buchrezension] wider meine gewohnheit ... abschreiben, ein andermal will ich glossen machen, wenn ich einen schlechtem autor vor mir habe (DWB); Lessing 1763 Br. l 194 Mein liebster Moser, machen
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Sie keine Glossen darüber!; Musäus 1782 Volksmärchen d. Deutschen 635 Jeder machte insgeheim seine Glossen über den rätselhaften Mann (DiBi 125); Goethe 1782 Br. (WA IV 6,57) Der Herzog will von Dresden wieder auf Dessau, er vergisst über der Parforce Jagd daß der Prinz hier ist, und im stillen Glossen darüber macht; Archenholz 1785 England u. Italien I 58 wie sie Zeitungen lesen und über die öffentlichen angelegenheiten ihre glossen machen (DWB); Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge 11 197 Ich will mit Randglossen, mit einem Anhange von Lebensregeln, schließen; Engel 1795-96 Lorenz Stark 18 als ob Herr Specht eine junge, liebenswürdige Witwe, die bei dem Sohne sehr viel und bei dem Vater sehr wenig galt, bei letzterm angeschwärzt, und ihm Veranlassung zu allen den bittern Glossen gegeben hätte, womit er dann und wann über sie herzufahren pflegte; Bory 1804 Kanarien-lnseln (Übers.) 144 Hierüber machten nun zwar die Bewohner der Insel mancherlei Glossen; allein der gute Zonzamas war von seiner Gemalin . . so sehr bezaubert, daß er nichts von allem dem wahrnahm, was jedem ändern unverkennbar ins Auge fiel; Kleist vor 1811 Br. an s. Braut 92 wenn wir weiter nichts zu thun wissen, so treten wir ans fenster und machen glossen über die vorübergehenden (DWB); E. T. A. Hoffmann 1815-16 Elixiere (S. W. II 53) auch hier bewies die Baronesse dem Gemahl so viel unbegrenzte Ehrfurcht, . . daß . . keiner der jungen Herren, die sich schon freien Spielraum für ihre Galanterie bei der Baronesse geträumt hatten, sich auch die kleinste Glosse erlaubte; Goethe 1816 Dichtung u. Wahrh. (HA X 181) er [Goethes Vater] machte über das Außenbleiben des Wagens die bedenklichsten Glossen; Meisl 1820 Theatral. Quodlibet II 9 sie wissen, dasz ich aus ihrem köpf bin entsprossen,/ darüber macht die böse weit allerley glossen (DWB); Solger 1826 Nachgel. Sehr. I 205 ich habe das neue werk von A. Müller gelesen und auch schon angefangen meine glossen zu machen (DWB); Bettina v. Arnim 1843 Buch (W. u. Br. Ill 126) Von dir hätt ich nun das erwartet. — Da machst du nun deine Glossen über dem Prediger seine Grimassen, und verläßt mich gänzlich, hörst nicht zu, als ob jeder Spatz so gut räsonieren könnt wie ich (DiBi 125); Freytag 1855 Soll u. Haben 261 Dieser war heut in boshafter Stimmung, und wider Willen lachte Sabine über die unbarmherzigen Glossen, welche er auffallenden Gestalten unter den Spaziergängern gönnte (DiBi 125); Arndt 1858 Wanderungen 263 Hier erschien er [der Herzog von Weimar] nur als der leichtfertige Hohnlächler und Spötter, oder als der krittelnde und zweifelnde Noten- und Glossenmacher, als ein Mephistopheles, der vielleicht auch Goethe oft mehr herabgezogen als gehoben hat (DiBi 125); Otto 1866 Recht d. Frauen 89 sie ha-
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ben nur erst viel später, entweder als principielle Gegner der Frauenerhebung oder weil gewisse Personen doch Alles bemängeln müssen, hinterher ihre Glossen und Einwände gemacht (DiBi 125); Nordau 1881 Paris II 125 General Bum-Bum [Operettenfigur Offenbachs] wird als illustrative Randglosse zur Geschichte der stehenden Heere ewig leben; Gildemeister 1891 Aus d. Tagen Bismarcks 244 Einen solchen Chorus hat jetzt das Drama unserer Politik; bei jeder erheblichen Wendung der Handlung erhebt sich die gewaltige Stimme des untenstehenden Zensors [Bismarck], um Glossen zu den Vorgängen droben zu machen; Ebner-Eschenbach 1893 Ges. W. I 35 Neugierige hielten die Fenster der Tanzstube besetzt, beobachteten, was drinnen vorging, und machten ihre Glossen darüber (DiBi 125); Steub 1895 Sommer i. Tirol II 374 die beiden mädchen hörten aufmerksam zu und schmückten unser gespräch mit patriotischen glossen (DWB); Lichtenstein 1912 Sieger (Ges. Prosa 37) Morgens umstanden seinen Kiosk ein Dutzend Verkäuferinnen eines nahen Warenhauses, die absichtlich zu früh gekommen waren, um sich über die Zoten und fidelen Glossen des Herrn Mechenmal zu freuen (DiBi 125); 1914-15 Liller Kriegsztg. I 188 der oberst ließ sich alle fünf bis acht tage sehen . .. besichtigte uns und unsere kleider und machte seine glossen (DWB); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 111) aus gemeiner Genugtuung darüber, daß sie weniger krank war als Blumenkohl, begleitete sie seinen Weggang mit halb mitleidigen, halb verächtlichen Glossen; Klemperer 1924 Tagebücher 820 fortzureisen fällt mir grausam schwer, u. ich bleibe doch vielleicht bis Sonntag Abend. Meine Arbeit, die Glossen der Verwandtschaft usw. — ist es so wichtig?; Heilborn 1929 Revolutionen II 141 Auch die [Kritik] ging gewohnheitsmäßig von Luise Kugler aus, und es konnte geschehen, daß Geibel, von ihren Glossen arg betroffen, aus seinem Sessel auffuhr, mit zornigem hanseatischen Fluch das Zimmer verließ, die Tür kräftig hinter sich ins Schloß warf; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 111 Rudolf Ibel, der sein erstes Sprachbuch 'Im Spiegel der Sprache' (1962) als „Kurzweilige und besinnliche Glossen zur deutschen Sprache" umschrieben hatte. Glosseur: Lechner 1956 Literaturgesch. 324 neben ihm, gewissermaßen die Hände in den Hosentaschen, Max als Zuschauer und Glosseur, unromantisch, sachlich und gesund [in Schnitzlers „Anatol"]. glossieren: Stieler 1691 Stammbaum 673 Das sind schlimme Leute/ die alles gloßiren wollen; Menantes 1710 Satyr. Roman I 16 In dem Audientz-Cabinet . . glossirten diese beyde Herren schon trefflich auf was vor politische Manier sie zu ihren Ent-
zweck gelangen möchten; ebd. II 133 Sie [die beiden Kavaliere] hingegen verfügten sich wieder in ihr Zimmer/ und glossirten über die sonderbahre und menschliche Begebenheiten; 1789 Arbeit u. Lohn 11 [der arme Landarzt nach Krankenbesuchen] meditirte und glossirte in die Länge und Breite über das Bekannte: welcher reiset jemals auf seinen Sold?; Hermes 1789 Für Eltern V 296 über meine ehmalige und künftige Wirthschaft zu glossiren; 1797 Geissel 39 da man doch in diesem politischen Wirrwarr weiter nichts thun kann, als glossiren, und glossiren das undankbarste Handwerk unter der Sonne ist; Schubart 1806 Ästhetik d. Tonkunst 271 alle nationen dürfen hier mit dem ganzen bunten Wechsel ihres geschmackes auftreten, ohne dasz es jemahls einem Franken einfällt, darüber zu glossiren (DWB); Gutzkow 1850-51 Ritter 734 Sie hätte immer stürmen, drängen, wirken mögen, er lächelte nur und glossirte (DiBi 125); ebd. 3221 Diese Töne waren gewiß schmelzend . . Der Baron glossirte auch wirklich nicht die Thränen der Frauen. Ergriff ihn doch selbst das Verhallen des auch dichterisch so wohlgefügten Liedes (DiBi 125); Arndt 1858 Wanderungen 222 f. Nun begab sich, daß die beiden wirklich frommen Männer, Stein und Geßler, ein paarmal . . zum Sonntagsgottesdienst zur Kirche gefahren waren. Darüber glossierte Schön mit den Worten: „Die beiden alten Betväter meinen die Teufel Napoleon, Metternich und Hardenberg mit Bußpsalmen niederbeten zu können." (DiBi 125); 1863 Bilder a. Paris II 223 Franc-Carre ließ in seiner Rede die später so oft wiederholte und stark glossirte Phrase hören . .; Gutzkow 1878 Schwulst 39 seine fühlende, beobachtende, humorvoll den Stoff glossirende Persönlichkeit; Steub 1895 Sommer i. Tirol I 58 alle die kleinen Ungeschicklichkeiten, die sich im spiel ergeben, (werden) mit heiterm kichern glossirt (DWB); Thurau 1901 Refrain 425 Sehr treffend aber hat Gaudy den lachenden Kehrreim wiedergegeben, mit dem der Dichter seine lustige Seelenbeichte . . glossiert, den Bericht von der Wanderung, die seine Seele . . zurücklegt . ., bis sie . . in die närrische Poetenhaut gebannt wird; 925 Sittengesch. d. Theaters 32 Bei diesem Fest [im Herbst, zur Weinlese] waren die Athener unter sich und das erklärt vielleicht auch den heimatliche Zustände rückhaltlos glossierenden Komödieninhalt; 1930 Vorträge Bibl. Warburg VI 4 Gluck, der doch in Wien starb und begraben liegt, hat es noch zu keinem öffentlichen Denkmal gebracht . . dafür ist jetzt von Mahler die Rede, was ich nicht glossieren will; Münch. N. N. 8. 12. 1944 in deutlich akzentuierter Charakterisierung kamen die kleinen Bosheiten dieser geistvoll glossierenden Musik [in der Oper 'Figaros Hochzeit'] prächtig zur Geltung; Mannh. Morgen 4. 1. 1985 ein Betrag, der eben
Glosse ausreicht, um die anfallenden Kosten des närrischen Lindwurms zu decken. Ersatzlos entfielen jene Themenwagen, die das lokale Geschehen des zurückliegenden Jahres glossierten; Zeit 16.6. 2995 Wilfried Rott beschreibt den Kulturbetrieb im plauderhaft glossierenden Insiderton durchaus informativ. Glossierer: Weissmann 1922 Verdi 189 Hier ist Rossini einmal nicht der spottende Glossierer, sondern ruhiger Beurteiler Verdis. Glossierung: frankf. Rundsck. 23. 2. 1998 die Kollegen Frohsinn-Sänger, die den Camp King-Deal der Stadt kritisch auf die Schippe nahmen [dürften] erste Anwärter auf den „Ohlenspiegel"-Ehrenpreis für die beste kommunalpolitische Glossierung [beim Karnevalszug] sein; Mannh. Morgen 12. 9. 2005 Bei der Glossierung pikanter Ortsgeschehnisse durfte das Ende der Kreider-Dynastie nicht fehlen . . Der Carnevalverein setzt bei seinen Sitzungen weiter auf seinen Gast. Glosse 2c: Arndt 1858 Wanderungen 41 Robert Walpole, der nicht so als Staatsmann, sondern mehr als feiner Glossenmacher und Witzbold und Tagesblättler der Londoner und Pariser Jahre 1760 und 1770 bekannt ist (DiBi 125); Nordau 1881 Paris I 4 wenn der geistreiche und patriotische . . Alfons Karr der Hauptstadt seines Landes verächtlich den Rücken kehrt und seit Jahrzehnten seine Glossen zur Tagesgeschichte von einer ländlichen Einsamkeit in die Welt ruft; 1910/11 Pan l 645 Die Glosse — wie unklassisch gebärdet sie sich, . . wie spottet sie jeder Kategorie! Werturteile sind ihre Sätze und trotzdem aus keinem Moralsystem methodisch abgeleitet; Kunst will sie (der Form nach) sein und entbehrt dennoch aller episch-lyrisch-deskriptionellen Geruhsamkeit; Wassermann 1915 Gänsemännchen 66 Täglich las er drei Zeitungen . . Es entging ihm nichts; . . weder die Glosse über neue Kleidermoden, noch die Niedermetzelung der von den Türken geknechteten Armenier (DiBi 125); Süddfsch, Ztg. 26.3.1949 Man muß alte Zeitungsbände durchstöbern, um sich des Grauens überhaupt noch zu erinnern, das schon wieder so fern zu liegen scheint. Aber das tut keiner (außer berufsmäßigen Glossenschreibern, die sich ihre Sache leicht machen wollen); Frankf. Nachtausg. 25.4.1951 Ich hatte eine wunderschöne Glosse auf Lager, aber sie hätte wenigstens 25 Zeilen ergeben; Heuss 1963 Erinn. 1905-33 377 ich . . habe regelmäßig die Mehrzahl der „innenpolitischen" Glossen geschrieben, daneben auch einige größere grundsätzliche Essays über die Völkerbundkonstruktion, über Wahlrechtsfragen; Welt 5. 2. 1974
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Sie sprechen mir mit der Glosse „in den Wind gesendet" aus dem Herzen. Welche unmusikalischen Kulturfeinde wählen nur die Musik aus?; taz 17. 3. 1989 Der 'Blickpunkt', das Berliner Jugendmagazin, sucht zur Veröffentlichung im Rahmen einer Science-Fiction-Serie Kurzgeschichten, Glossen, Satiren, Hörspielskripte; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 13 Speziell Sprachglossen sind nichts anderes als Glossen zum Thema Sprache. Sie kennzeichnen sich, grob umschrieben, durch ihre gehoben-schriftliche Form, prägnante Kürze und autoritative Belehrung in Sprach- und Stilfragen: Sprachessays im Taschenformat; ebd. 18 Viele Sprachglossen-Bände versäumen es keineswegs, im Vorwort auf die „liberale Gundeinstellung" des Verfassers hinzuweisen; Zeit (online) 23. 12. 2002 So saß er [der Kaffeehausliterat Demel] scheinbar faul, lauschte auf jedes Wort des Partners am Tisch, auf jeden Zungenschlag vom Nebentisch — und schrieb in der Nacht seine Glossen, Kommentare, hellsichtigen Leitartikel in Form eines Aphorismus; taz 30. 11. 2006 Später verlegte er sich aufs Schreiben. Seine bisweilen bissigen Glossen in der Bild-Zeitung trafen den Geschmack der Masse. Glossator: 1910/11 Pan I 646 Nicht Dichtung noch Fleisch, nicht Wissenschaft noch Fisch ist sie [die Glosse] . . So keift der deutsche Dandyismus, die Pedanten zur Rechten, die Idylliker zur Linken; und wo ein Glossator gar lebhaft wird, speien sie Gift und Galle . . Auch Nietzsche war nur ein (überirdischer) Glossator; was ihn nicht herab-, doch die Glosse heraufsetzt; taz 18.10. 1999 Auf raffinierte Weise verband Karasek Meldungen darüber, wo und was Schröder am liebsten isst, mit dessen Ausspruch, Politik müsse auch mal über den eigenen Tellerrand gucken . . Nichts Menschliches ist dem Glossatoren fremd; Mannh. Morgen 15. 3. 2001 Für Liebhaber anspruchsvoller Texte mit scharf-ätzendem Inhalt ist Droste ein absolutes MUSS. Der Polemiker und Glossator ficht zwar nur mit Worten, das allerdings meisterhaft und ohne Gefangene zu machen. glossatorisch: Sanders 1992 Sprachkritikastereien 137 Wenn man so viel Sprachglossatorisches gelesen hat, dann liegt es nahe, die lockere, für die Fachwelt wohl oberflächlich wirkende Gestaltung und zuweilen überpointierte Formulicrungsweise des Buches . . im Sinne einer „Ansteckung" zu deuten. Glosseur: taz 5. 7. 1999 Als aber ratzfatz Schluß war mit der Kolumne des ehrgeizigen Herrenreiters . . im Glanz der Gewesenheit, zumindest dem Spiegel als „Kandelaber der Bildung"; der Kandelabe-
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rer Gross wurde zum „Glosseur", zum „umtriebigen Diaristen", mit dem sich „in die große feine Welt reisen ließ, in Golfhotels, wo einzig das Summen der Caddie-Wagen und das Klingen von Eis im Cocktailglas die Ruhe stören". glossieren: Klemperer 1921 Tagebücher 400 Ich deutete an, daß der Prozeß in der Presse glossiert werden würde. Gieseke sagte, der Prozeß sei auch ihm höchst unangenehm, aber er müsse Klarheit haben; taz 14. 12. 1993 Beschleunigt durch den Siegeszug des Privatfernsehens, darf sich heute auch der Sportjournalist facettenreich austoben: reportieren, karikieren, glossieren, porträtieren, kommentieren und und und; ebd. 4. 8.1995 In der Kolumne glossiert die Zeitung eine 'Werbekampagne des Bäckerei-Unternehmen Wendel; ebd. 30. 3. 2002 Edel untersucht den Lebensstil der modernen Großbourgeoisie, er glossiert die Institution „Familie", „Ehe", . . Er entblößt die Doppelmoral, Oberflächlichkeit und Dumpfheit der Bürgerschickeria. Glossierer(in): Kerr 1917 Ges. Sehr. 352 Ich nehme seine Technik. Er ist ein Glossierer von Augenblicken. (Nicht so sehr ein Gestalter von Vorgängen); ebd. 356 Ein Meister-Glossierer des Augenblicks. Und fraglos ein ethischer Gewinn; Mannh. Morgen 6. 2. 2002 So war der närrische Boden vorbereitet für die Frotzel-Saat und Beifall-Ernte von „Fraa Dick un Fraa Derr" (Isolde Quintel und Elisabeth Kropp), spitzzüngige Glossiererinnen der Sanges-Saison. Glossierung: FAZ 27. 3. 1999 das eigentliche Ereignis des Hauptstadttests: der Stromausfall im Pressezentrum . . Sensationellste Meldungen, dichteste Analysen, witzigste Glossierungen des unerhörten Geschehens — sie alle waren verloren, in abgestürzten Computern auf ewig begraben; Berl. Ztg. 28. 12. 2005 Ob Tucholsky selbst seinen legendären, von Heartfield ausgestatteten Bildband „Deutschland, Deutschland über alles" zwölf Jahre lang unterdrückt hätte, ist zu bezweifeln. Hausmann fand darin die „Glossierungen der SU" — etwa die Ironisierung der Zusammenarbeit von Reichswehr und Roter Armee in der Satire 'Der Kriegsschauplatz' — „keineswegs zu billigen". Glossist(-in): taz 22. 3. 1989 Als die geschockte Glossistin beim Hessischen Rundfunk anrief, um sich vom leitenden Redakteur Auskunft über die Ursachen des journalistischen Desasters geben zu lassen; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 18 Von liebenswürdigen „Sprachnörgeleien" spricht verschiedentlich Friedrich Sieburg, renommierter
Sprachglossist; taz 15.7. 2004 Insbesondere die Satiriker, Glossisten und Crash-Analytiker haben allen Grund, mit der lustigen Trainerkür zufrieden
glossistisch: Si. Galler Tagbl. 17. 7. 1999 wir gönnen Ihnen und uns an dieser vertrauten Stelle des Blattes keine Ruhe, und Sie müssen unsere Visagen und glossistischen Ergüsse auch sonnenöleingecremt . . in Ferienlaune über sich ergehen lassen; ebd. 13. 10. 2000 Toni Dörigs glossistische Bemerkungen zum Thema Drogenpolitik empfand der selbst ernannte Internet-Kommentator als „haarsträubend". Glosse 3: Lessing 1767-68 Dramaturgie II (W. IV Anm. 89) Übrigens gehören diese Glossen unter die altern Gattungen der spanischen Poesie, die nach dem Boscan und Garcilasso ziemlich aus der Mode gekommen (DiBi 125); ebd. IV 524 Der Königin gefällt das Lied; und Essex findet es bequem, ihr durch dasselbe . . seine Liebe zu erklären. Er sagt, er habe es glossieret, und bittet um Erlaubnis, ihr seine Glosse vorsagen zu dürfen . . Die Königin lobt seine Poesie (DiBi 125); Schlegel 1800 Gespr. üb. d. Poesie (KFSA I 2,371) indem ich mich an einen ebenso tiefsinnigen als liebenswürdigen Vers des Dichters anschloß, in derjenigen Form der Dichtung, welche die Spanier Glosse nennen (DiBi 125); Uhland 1815 Ged. (W. I 105) Zwar versteh ich wohl das Schema/ Dieser abgeschmackten Glossen,/ Aber solch verzwicktes Thema,/ Solche rätselhafte Possen/ Sind ein gordisches Problema (DiBi 125); E. T. A. Hoffmann 1822 Kater Murr (Poet. W. V 456) ist das der gescheite sittige Kater Murr? der elegante Schriftsteller, der geistreiche Dichter, der Sonette schreibt und Glossen? (DiBi 125); Fr. de la Motte Fouque 1840 Lebensgesch. 249 Vorerst ward die tönendste aller heutig-europischen [!] Zungen, die Spanische, dem Aspiranten zur Erlernung aufgegeben, und mit freudigster Lust ging er auf das holde Ringen ein, zugleich auf das Studium und die Uebung ihrer edelschwierigen Maaße: Espinele, Glosse, assonirende Vierfüßler, durch weitausfliegende Romanzen und dramatische Scenen hin (DiBi 125); Zeit 1.5.1987 Früh hatte er [Uhland] der Wissenschaft die Poesie, dem Volksvertreter-Dasein die Sonette, Oktaven und Glossen geopfert. glossieren: Lessing 1767—69 Hamburg. Dramaturgie (W. IV 524) Er sagt, er habe es [das Lied] glossieret, und bittet um Erlaubnis, ihr seine Glosse vorsagen zu dürfen (DiBi 125); Uhland 1813 Ged. (W. I 105) [Glossen] . . Schönste! du hast mir be-
Gnom fohlen,/ Dieses Thema zu glossieren;/ Doch ich sag es unverhohlen:/ Dieses heißt die Zeit verlieren,/ Und ich sitze wie auf Kohlen./ Liebtet ihr nicht,
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stolze Schönen!/ Selbst die Logik zu verhöhnen,/ Würd ich zu beweisen wagen,/ Daß es Unsinn ist zu sagen:/ Süße Liebe denkt in Tönen (DiBi 125).
Gnom M. (-s; -e, auch -en), vereinzelt auch Gnomin F. (-; -nen), im früheren 16. Jh. von Paracelsus aufgebrachtes Wort unklarer, aber wohl griechischer Herkunft: eventuell < (nicht belegtem) griech. :" $ 'Erdbewohner', oder < griech. in seiner (neuplatonisch-gnostischen) Bed. 'erkennender Geist' (eigentlich 'Spruch, Sinnspruch, Sentenz'; vgl. gleichbed. Gnome F. (-; -n), Gnomik); anfangs (bis ins frühere 18. Jh.) nur im PL und meist in der lat. (flekt.) Form gnomi, der Singular zunächst (und bis Ende 18. Jh. überwiegend) in der Form Gnome (-n; -n), vereinzelt auch Gnomen (-s; -). a Zunächst in der Fachspr. der (Natur-)Philosophie zur Bezeichnung einer dem Element Erde zugeordneten (meist männlich gedachten) geisterhaften Wesenheit (im Unterschied zu Sylphen, Nymphen, Salamandern u. a. als Luft-, Wasser- und Feuergeistern) in der Bed. 'seelenloser Naturgeist von zwergenhafter Größe, der die Erde und Metalle bewohnt und die unterirdischen Schätze hütet, kleiner Elementargeist der Erde' (vgl. Bergmännlein, Zwerg, Wichtel, Kobold), seit dem früheren 18. Jh. zunehmend als Märchen- und Sagengestalt in dichterischen Texten, oft konnotiert mit „hässlich, hinterlistig, verschlagen, grausam, dämonisch", auch „drollig, putzig", in Wendungen wie ein verhutzelter, neidischer, tückischer, böser, übelgesinnter, finsterer, garstiger, possierlicher Gnom, ein Gnom der Unterwelt und Zss. wie Gnomenkönig, -reich, -reigen, -schätz, -Staat, -tracht, -volk; Erd-, Wald-, Wurzelgnom, in jüngerer Zeit auch in Bezug auf Gartenzwerge und ähnliche Figuren (s. Belege 1998, 2001), z.B. Keramik-, Plastikgnom. Dazu vereinzelt vom späteren 18. bis ins frühere 19. Jh. aus gleichbed. frz. gnomide entlehntes Gnomide F. (-; -n) 'weiblicher Gnom, Gnomin', seit spätem 18. Jh. selten die adj. Ableitung gnomisch 'Erdgeister betreffend, für Erdgeister typisch, Erdgeistern ähnlich'. b Seit späterem 18. Jh. übertragen auf Personen mit Bezug auf deren Äußeres in der Bed. 'kleingewachsener, zwergenhafter, verwachsener Mensch (mit hässlichen, runzligen Gesichtszügen)' (vgl. Zwerg, Knirps, Stöpsel, Winzling; —» Liliputaner; Ggss. Hüne, —> Gigant, —> Goliath, —» Koloss, —·· Adonis), gelegentlich auch mit Bezug auf Charaktereigenschaften abwertend (meist als Schimpfwort) für 'boshafter, missgünstiger, heimtückischer, finsterer, unangenehmer Mensch (von geringer Körpergröße)', in Wendungen wie ein hässlicher, ekliger Gnom und Zss. wie Gnomenfigur; Kammergnom, in jüngster Zeit auch zunehmend übertragen auf (bes. kleine oder leistungsschwache) Autos, Sportvereine, Unternehmen usw. (s. Beleg 1990; Ggs. —> Gigant), in Zss. wie VW-, Fußballgnom. Dazu seit 19. Jh. häufiger die adj. und adv. Ableitung gnomenhaft 'in der Art eines Gnoms' (zu a) bzw. 'klein-, zwergwüchsig, zwergenhaft, winzig', auch 'heimtückisch' (s. Beleg 2001; zu b), dafür in jüngster Zeit selten auch gnomig. Gnom a: Paracelsus um 1530 De Meteoris (S. W. I 13,151) dan das sollen wir wissen, das got in allen elementen lebendige creaturen geschaffen hat und nichts hat lassen ler sein; nicht alein unvernünftigs, sonder auch vernünftigs. . . noch auch zu dem ein lebendig empfintliche creatur in geistsweise, als im
wasser die nymphen, in [der] erden die gnomi, im luft die lemures, im himel die penates; Toxites 1574 Onomastica 438 Gnomi, Spiritus terrestres humiles, bergmenlin; Thurneisser 1583 Onomast. U 125 [arab.] Billachry: Seind Gnomae, oder Bergmenlein/ Erdmenlein/ wunderliche Gespenst/ die
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etwan viel Ertz/ etwan groß vnglück anzeigen/ vor euch blicken lassen. In . . der Erden tief hausen auch offt die heuer Todten/ zerdrücken vnd sonst die dürren, tückischen Gnomen (DiBi 125); Piickbeschedigen; Wedel um 1600 Hausbuch 114 Und ler-Muskau 1830 Er. e. Verstorbenen l 27 Ein klei[Paracelsus] nennt die menschen, so er in der erden nes Tormento im Gebirge sind die vielen Kinder, zu wohnen vorgiebt, Pigmaeos, Gnomos oder welche, wie Gnomen kommend und verschwinzwergen; Kornmann 1614 Mons Veneris 104 Also dend, den Wagen mit unbegreiflicher Beharrlichists mit den Gnomis in den Bergen/ die Erden ist keit bettelnd begleiten (DiBi 125); Droste-Hülshoff jhr Lufft . . dann sie gehen durch gantze Mauren/ 1844 S. W. l 127 Gleich dem Molche von Dunste durch Felsen/ durch Stein wie ein Geist; Prätorius trunken/ Schwoll und wackelt' der Gnom am 1666 Neue Weltbeschr. 76 denn gott nicht allein Grund,/ Und des Gases knisternde Funken/ Zogen uns bekleidet, sondern auch die gnomen, nymin seinen saugenden Schlund (DiBi 125); Springer phen, Salamander und die sylvestren (DWB); 1870 Berl. Prospecte 58 durch das Gehämmer unFranckenberg 1688 Gemma magica 33 in dem eleterirdischer Gnome aus dem Schlafe gestört; Fonment der erden gehen umb, gleichsam als in ihrem täne 1882 Spreeland (NA XII 103) und nur die eigenen lande oder chao wohnend, die irdischen Baumwurzeln, die grotesk überall hervorlugen und geister, daselbst sie auch dem gemeinen mann zum uns wie böswillige Gnomen ein Bein zu stellen suteil bekandt, als die gnomen, pygmaeen, erdzwerge, chen, mahnen zur Vorsicht (DiBi 125); 2900 Dtsch. ertz- und bergmännlein (DWB); Gottsched 1730 Revue XXV 3,94 die Legenden des alten Deutschlands, in denen . . die Gnomen, die Kobolde und Dichtkunst (W. VI 2,451) Pope hat dagegen die die ganze untergeordnete Welt des Diabolismus Sylphen und Gnomen, das ist, die Luft- und Erdsich bewegen; Schmilz 1911 Brevier 317 Der große geister des Grafen von Gabalis, auf eine sehr spaßZauberer . . ließ ihm ein Quartett von vier Elemenhafte Art in sein Gedicht gemenget, um es desto targeistern vorspielen, einem Gnomen der Erde, eiwunderbarer zu machen (DiBi 125); Liscow 1739 ner Undine des Wassers, einer Sylphe der Luft, eiSatir. Sehr. 394 Die Liebe, oder eine übel gerahtene nem Salamander des Feuers; Tucholsky 1927 PyreWendung oder auch ein unsichtbarer und neidinäenbuch (G. W. V 77) die plattdeutschen Märscher Gnome risse ihn aus dem Gleichgewichte; chen . ., in denen jemand vom Gnomenfürsten Maser 1761 Harlequin IX 69 Die Verfasser von träumt, der da auf dem morschen Ast ritt und beiden [Heldengedicht und Oper] haben bald aus dann herunterpurzelte (DiBi 125); Grüne Post der höhern Geisterwelt, .. bald unter den Men6. 10. 1935 Schnell schlüpfte er hinter Bäumen in schenkindern, bald unter den Thieren, bald aus seine Pelerine, schlug die Kapuze über den Kopf den unterirdischen Klüften der Gnomen ihre Perund erschien plötzlich völlig ungebeten als sonen und Schilderungen gewählt; Wieland 1764 „Gnom" hinter dem Esel; Nagel 1970 Mann o. S. Don Sylvio (W. l 285) er . . nahm zu unsrer Bedie[er] wandte sich den Felsen zu, wo Paddy Finnegan nung lauter Gnomen an, kleine mißgeschaffene Stellung bezogen hatte. Der Oldtimer kauerte wie Zwerge, bei deren bloßen Anblick ich vor Ekel hätte ohnmächtig werden mögen (DiBi 125); ebd. ein verwitterter Gnom in einem engen Spalt und hatte gerade zum zweiten- oder drittenmal gefeu354 ich weiß, daß sie eine gute catholische Christin ert; Mannh. Morgen 21.8.1985 Die Welten der ist, und Fleisch und Blut hat wie andere ehrliche Fantasy sind simpel, naturverbunden, Gut und Leute, und daß sie weder Sylphin noch Gnomin, Böse sind klar unterscheidbar . . Gegen den Mosondern Jungfer Laura . . ist (DiBi 125); Adelung loch Technik wird eine Welt der Drachen, der Hel1775 Grammat.-k.rit. Wb. H 738 Der Gnom . ., ein den und Zauberer, Elfen und Gnome ins Feld gegriechisches Wort, mit welchem die ehemaligen führt; Tiroler Tagesztg. 15. 4. 1998 Die Wiege der Kabbalisten gewisse Erdgeisterchen bezeichneten, heute weltweit rund 25 Millionen Gartenzwerge welche von dem Abte von Villars und dem Pope steht im Thüringer Wald. . . Heute stehen die in die Dichtkunst der Neuern wieder eingeführet Gnome nicht nur millionenfach in deutschen Gärworden; Matthisson 1787-93 Gedichte 146 Gleich ten, sondern überall in Europa und in Übersee; schwarzen Phantomen/ Entklettern die Gnomen,/ Zeit (online) 2. 5. 2001 Der Gartenzwerg, ein urIn wolkiger Nacht,/ Dem dunstigen Schacht./ Ein deutsches Lifestyle-Produkt, . . wird von ausländiträges Geschlecht!/ . . Hat Beine wie Säbel;/ Es schen Markenpiraten kopiert! Billige Gnom-Imiwatschelt, es tappt/ Possierlich verkappt,/ Bald äftate aus dem ehemaligen Ostblock werden über die fisch und drollig,/ Bald bärenhaft knollig,/ Trägt Grenzen geschmuggelt.. Dabei sind die Ostgnome Pelze von Ratten; Wolf 1793 Ph. Dulder I 106 Dulder und Schubert sassen . . auf. Wie der drauf kam, weder so niedlich noch so belastbar wie ihre deutschen Konkurrenten. wars, als führ ein böser Gnome in die Thiere, das gieng in gestreckter Carriere über das Pflaster hin; Fouque 1811 Undine (Romant. Erz. 73) Wesen . ., gnomenhaft: Brunner 1864 Erz. u. Sehr, l 209 ein die fast aussehen wie ihr und sich doch nur selten merkwürdiger mann .., sehr klein, verschobene
Gnom schultern, gnomenhaftes gesicht (DWB); Sudermann 1887 Frau Sorge (Nov. I 99) So kam er in die Region der Wacholderbüsche, die noch gnomenhafter dreinschauten als sonst (DiBi 125); Carossa 941 Täuschungen 5 dazu kam eine gewisse Vorstellung, die das wort München durch seinen bloßen klang weckte, etwas gnomenhaft in sich hineingehuscheltes war darin (DWB); 1995 FAZ o. Nr. Richard Oelzes Landschaften scheinen nicht von dieser Welt zu sein. Felsen knoten sich zu gnomenhaften Gesichtern, lösen sich in Wolkenwirbel auf und lassen kahle Baumskelette in den Himmel ragen. Gnomide: Wieland 1764 Don Sylvia (W. l 324) Er öffnete die Tür eines großen und überaus prächtigen Saals, und entsetzte sich nicht wenig, da er ihn mit fünfzig oder sechzig der allerhäßlichsten kleinen Zwerginnen angefüllt sah . . Diese schönen Nymphen, die in der Tat nichts geringers als junge Gnomiden waren, von denen die jüngste kaum achtzig Jahre haben mochte (DiBi 125); ders. 1767 S. W. XII 228 man kennt die reizungen, womit gnomiden prangen (DWB); Montfaucon 1782 Gabalis (Übers.) 24 die erde ist fast bis auf ihren mittelpunkt von gnomen erfüllt .. die gnomiden, ihre weiber, sind sehr klein, aber sehr angenehm (DWB); 1844 Brockhaus VI 244 [Die Gnomen] sind sowol männlichen als weiblichen Geschlechts und können . . bald schön, bald häßlich sein; doch sind die männlichen ursprünglich und für gewöhnlich häßlich, die weiblichen, die Gnomiden, schön. gnomisch: Goethe 1776 Br. (WA IV 3,95) ich führe mein Leben in Klüfften, Höhlen, Wäldern, in Teichen, unter Wasserfällen, bey den Unterirdischen . . die Stein hab ich wieder . . Einen ganzen Tag ist mein Äug nicht aus dem ihrigen kommen, und mein gnomisch verschlossen Herz ist aufgethaut; E. T. A. Hoffmann 1819-21 Serapionsbmder (Poet. W. IV 559) Das gnomische Prinzip wird widerstehen dem ankämpfenden Salamander (DiBi 125); Salzb. Nachr. 10. 6. 1999 eine lyrische Variante des Surrealismus, bevölkert von Vogelwesen, Zauberwäldern, gnomischen Strichmännchen und kryptischen Geheimschriften.
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(Tröster) zu bekommen - fuhr auf (DiBi 125); Goethe 1807 Br. (WA IV 19,292) Mit dem Keller geht es sehr ordentlich. Der Gnome pflegt mich genau zu betrachten, ob ich etwa mich um ein Nößel irren möchte; Hauff 1826 Memoiren (S. W. I 559) Und haben Sie keinen Rival als den Gnomen, den Grafen Rebs? (DiBi 125); Freytag 1855 Soll u. Haben 551 So führte er ein . . Leben . . als feiner Geschäftsmann in den neugestrichenen Stuben unter dem Glänze der Astrallampen, bedient von einem modern gekleideten Gnom (DiBi 125); Keller 1879-80 Heinrich (S. W. IV 666) Übrigens war der allein lebende alte Gnom ein guter Koch und hatte stets ein leckeres Gericht im Hafen auf dem Herde (DiBi 125); Conrad 1887 Isar l 295 ff. Der kleine bucklige Schneider mit der spitzen Nase, den blitzenden Äuglein und einem wehenden flachsartigen Bart . . trippelte hinein .. „Der gnädige Herr werden zufrieden sein, der Schnitt ist gelungen ..," beteuerte der Schneider-Gnom und streichelte und zupfte am Knie und an den Waden herum (DiBi 125); Proelß 1891 Modelle 140 dessen übermäßig breiter und hoher Rücken gleich den muskulösen Armen und Händen eher zur Gestalt eines Riesen, als zu seiner kurzbeinigen Gnomenfigur gepaßt hätte; Hofmannsthal 1911 Rosenkavalier (Ges. W. V 33) Der Almosenier ist ein verwilderter Dorfkooperator, ein vier Schuh hoher, aber stark und verwegen aussehender Gnom (DiBi 125); Jh. Mann 1933-43 Joseph (W. IV/V 787) Pfui!", unterbrach er plötzlich sein Zirpen, und sein Gnomengesicht zog sich in knittrigem Ärger zusammen. Er hatte Dudu bemerkt, seinen Mitzwerg; Grass 1962 Blechtrommel 263 vielmehr hatte es mir die Figur des Feldherrn angetan; verwachsen, bucklig war Narses, klein war Narses, ein Zwerg, Gnom, Liliputaner war Narses; Zeit 3. 4. 1987 Ein plumper, verlotterter Gnom schlurft aus der Tür: der Weichensteller; Spiegel 15. 10. 1990 RTL plus hat vor sechs Jahren sehr klein angefangen, mit zehn Millionen Mark Werbe-Einnahmen. In diesem Jahr bringt die Werbung fast 900 Millionen . . Der Gnom hat sich gewaltig herausgemacht; taz 9. 11. 1999 Schmähen Sie beispielsweise Ihren Chef („Sie ekliger Gnom!"), dann haben Sie flugs einen neuen Feind am Arbeitsplatz gewonnen; ebd. 30.11.2004 Doch dann mutierte der ballgewandte und flinke Stürmer zu einer Art muskelbepacktem Gnom.
Gnom b: Heinse 1775 Erz. 34 Er hatte was, womit ein Carnevals-Gesicht/ . . Die Schönsten unter euch dem Amor selbst entführt,/ . . Kurz, das, wo- gnomenhaft: 1855 Prutz' Museum // 323 Ueber die durch ein Gnom oft zum Adonis wird,/ Er hatte — Herren Zwerge genügt es, wenn ich .. Ihnen sage, Geld (DiBi 125); Jean Paul 1796-97 S. W. i 2,88 daß Jean Petit 32 und Jean Piccolo 28 Zoll Venner . . trug sich von weitem dem Armenadvo- Größe — nein, Kleinheit besitzen . . und doch wird katen als . . Vermittler in dem bewußten . . Erb- uns für die nächste Zeit ein noch gnomenhafterer schaft-Zwiste an . . Aber dieser — aus Ekel, einen Zwerg versprochen; vor 1871 DVjS XXIV 5 das solchen Gnomen zum Hausgeist und Paraklet gnomenhafte wahrhaft verkrüppelte Aussehen so
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vieler Fabrikkinder (SANDERS 1871); Fontäne 1873 Havelland (NA XI 245) Seine ganze Erscheinung hatte etwas Drolliges, Gnomenhaftes. Er war klein und verwachsen, der Kopf aber groß (DiBi 125); Proelß 1891 Modelle 139 sehr zum Nachteil des ältesten, dessen gnomenhafte Häßlichkeit .. mit dem Fluche der Lächerlichkeit behaftet worden war; Mühsam 1927-29 W. 503 Der Dichter aber, den bartumwallten riesigen Kopf mit den verträumten Kinderaugen gnomenhaft über dem zarten schlanken Körper, begrüßte die Helfer am Türeingang (DiBi 125); Grass 1962 Blechtrommel 195 Diese Anstrengungen, die zwar meinem Willen gemäß, meinen gnomenhaften Maßen jedoch alles andere als angemessen waren, zeitigten nach einer knappen Stunde Skatspiels heftigste Glieder- und Kopfschmerzen; taz 16. 4. 1991 Aufgeregt wuseln
gnomenhafte kleine Schmächtlinge durch die engen Gänge . . oder sammeln sich in Trauben vor dem Monitor. Galopprennbahn Hoppegarten, Umkleidekabine der Jockeys; Zeit (online) 18. 4. 2001 Immer war er mir gnomenhaft, böse und zynisch erschienen. In Berlin nun entdeckte ich, dass er . . liebenswürdig und klug ist. gnomig: taz 8. 9. 1990 ein Ergebnis des politischen und sozialen Protestes des provinziellen Zentralrußlands, . . und die Verkörperung dieses populistischen Protestes ist zweifelsohne der gnomige Iwan; Zeit S, 9. 1997 Dann aber das: Die 11, ein gnomiger Quirl namens Hughes .., schießt ein zauberhaftes Tor mit Auswirkungen auf die StadionStimmung.
Gnostiker M. (-s; -), auch Gnostikerin F. (-; -nen), Anfang 18. Jh. aufgekommene Personenbezeichnung (über spät-/kirchenlat. gnosticus 'Gnostiker' zurückgehend auf griech. 'jmd., der die Mysterien des Glaubens kennt, Wissender, Weiser' und 'zum Erkennen gehörend, das Erkennen betreffend; erkenntnisfähig', zu yvo-, der Wurzel von 'erkennen, lernen, wissen', vgl. 'erkennen, kennenlernen', —» Geognosie), anfangs auch in lat. (flekt.) Form. Wissenschaftlich stark diskutierte (oft unspezifische Sammel-)Bezeichnung für die Anhänger synkretistisch-eklektischer Religionen/Religionsphilosophien/Weltanschauungen/Weisheitslehren des 2./3. Jhs. n. Chr. häretisch-christlicher als auch nichtchristlicher Prägung, die Glaubensinhalte mit spekulativ-philosophischen oder mystischen Elementen verknüpften, Vorstellungen wie die von der (böswilligen) Schöpfung der Welt durch einen Assistenten Gottes (—>· Demiurg), von der schlechten Natur des menschlichen Körpers, in dem ein göttlicher Funke brenne, miteinander teilten und deren Lehren in Form von Geheimwissen an die Adepten weitergegeben wurden, zunächst abwertend unter Betonung des ketzerischen Charakters einer Gruppierung, die für sich die höhere Erkenntnis der geistigen Dinge und moralische Freizügigkeiten in Anspruch genommen habe (s. Belege 1704, 1735.1, 1766, 1813, 1835; —» Agnostiker), später wertfrei, in Wendungen wie zu den christlichen Gnostikern gehören die Valentinianer, Simonianer, Basilidianer, nichtchristliche Gnostiker wie Mandäer, Manichäer, Zoroastrier, ein gläubiger, strenger nichtkirchlicher Gnostiker, daneben etymologisierend 'nach Erkenntnis/Wissen StrebendeAr, Denker/-in, Forscher/-in, Wissenschaftler/-in' (s. Beleg 1842), in jüngerer Zeit auch bezogen auf Anhänger (nach-)mittelalterlicher Geistesströmungen/religiöser Gruppierungen, die in der Tradition der Gnosis stehendes Gedankengut aufgreifen oder selbständig ähnliche Gedanken entwickeln (Alchimisten, Bogomilen, Katharer, Drusen, Jesiden, s. Beleg 2003), in der Esoterik in weiterer Bed. auch in Bezug auf meist kleinere (christliche) Religionsgemeinschaften/Geheimgesellschaften/Gruppierungen (wie Mormonen, Theosophen, Anthroposophen, Rosenkreuzer, Templer-, Gralsbewegung, s. Beleg 2006), mit seit Ende 18. Jh. nachgewiesenem (auf griech. , s.o. zurückgehendem) Gnostik F. (-; ohne Pl.) 'synkretistische Lehre der spätantiken Gnostiker, Gnosis, Gnostizismus', und der seit späterem 18. Jh. bezeugten adj. Ab-
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leitung gnostisch 'von der Gnosis, dem Gnostizismus hervorgebracht, gepr gt, ihn betreffend', z.B. gnostische Systeme, Gedanken, Tendenzen, eine gnostische Schule, Erl sungslehre, in der gnostischen Tradition stehen (vgl. Agnostiker, Agnostik und agnostisch, —» Agnostiker). Dazu die seit Anfang 18. Jh. bezeugte subst. Ableitung Gnostizismus M. (-; ohne PL) als wiss. (Theologie, Philosophie, Geschichte) Sammelbezeichnung f r die Lehren der Gnostiker, selten mit Bezug auf gnostische Gruppierungen (s. Belege 1869, 1898), vereinzelt 'das Pflegen, Verbreiten gnostischen Gedankenguts' (s. Beleg 1845—46), seit 20. Jh. auch allgemeiner als Bezeichnung f r gnosisartige Str mungen und Tendenzen in vielen Bereichen der modernen Kultur, Gesellschaft, Philosophie, Politik, Religion und Kunst (s. Belege 1902, 1996; —>· esoterisch), in Wendungen wie die 1700 Jahre alten Lehren des Gnostizismus, der Gnostizismus wurde von seinen Anh ngern verbreitet, den Gnostizismus lehren, mit der seit Anfang 20. Jh. belegten adj. Ableitung gnostizistisch 'zu den Denkmodellen des Gnostizismus geh rend; durch den Gnostizismus, die Gnosis beeinflusst, gepr gt' und der dazugeh rigen Personenbezeichnung Gnostizist M. (-n; -n), auch Gnostizistin F. (-; -nen) (vgl. dazu Agnostizismus, agnostizistisch und Agnostizist, —> Agnostiker). Daneben Gnosis F. (-; ohne PL), seit fr herem 18. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus griech. γνώσις '(Er-)Kenntnis' (zu γιγνώσκειν, s.o.), als Terminus der Theologie, Philosophie und Geschichte weitgehend gleichbed. mit Gnostizismus (s. o.), zun chst in der griechischen Tradition f r 'Erkenntnis (Gottes) berhaupt, Einsicht (in eine religi se Gedankenwelt), Heilswissen, Wissenschaft', dann spezieller mit Bezug auf die sp tantiken, zun chst noch als ketzerisch abgewerteten Lehren und Gruppierungen (s. Belege 1813, 1856, 1905, 1933, 1933-43, 1944, 1971, 1992), im 20. Jh. allgemeiner als Bezeichnung f r religi se oder esoterische Bewegungen (s. Beleg 1929), speziell im Umfeld des Nationalsozialismus (s. Beleg 1995), selten in Zss. wie Cyber-, Erl ser-, Luzifer-, Mysterien-, Nazi-, Neo-, Trancegnosis; Gnosisanalyse, -definition, -deutung, -forscher/-forschung, -verdacht, in Bezug auf die sp tantiken synkretistischen Lehren gleichbed. mit seit fr hem 19. Jh. belegtem Gnosie F. (-; -n), meist (in neuropsychologischem Zusammenhang) auf die (h heren) Erkenntnisfunktionen des Menschen bezogen in der Bed. 'F higkeit, Fertigkeit zur (akustischen, optischen, taktilen etc.) Wahrnehmung, Erkenntnis', in Wendungen wie die F higkeit der optischen Gnosie, die Gnosie der Hand ist gest rt, als Grundwort in zahlreichen terminologischen Zss. wie Geognosie (—* Geognosie), Heautognosie 'Selbsterkenntnis', Oryktognosie 'Mineralogie', Pharmakognosie 'Lehre von den pflanzlichen oder tierischen Arzneimitteln, Drogen und Giftstoffen', Zoopharmakognosie 'Gebrauch von nat rlichen Heilmitteln durch Tiere' sowie im medizinischen Bereich Krankheitsbezeichnungen wie Anosognosie, Prosopagnosie, seit sp terem 20. Jh. mit der adj. Ableitung gnosisch 'kognitiv, erkenntnisbezogen', vereinzelt auch mit Bezug auf das dualistische Denken der Gnosis (s. Beleg 2004), im 19. Jh. vereinzelt die Personenbezeichnung Gnosiker M. (-s; -) 'Gnostiker' (vgl. Agnosis, Agnosie, agnosisch, Agnosiker}. Daneben seit Mitte 19. Jh. der (aus γνώσις, s.o., und -logie '-lehre, -Wissenschaft', zu -λογία bzw. λόγος 'Wissenschaft, Lehre' gebildete) Terminus Gnoseologie F. (-; ohne PL) als Bezeichnung einer zentralen Disziplin der Philosophie, deren Gebiet die Lehre von (den Prozessen) der menschlichen Erkenntnis und dem menschlichen Wissen ist und die bes. nach den M glichkeitsbedingungen von Wissen, Gewissheit
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und Wahrheit fragt (vgl. Erkenntnistheorie, Epistemologie], mit der seit späterem 19. Jh. bezeugten adj. Ableitung gnoseologisch 'erkenntnisbezogen, erkenntnistheoretisch', seit Anfang 20. Jh. die Personenbezeichnung Gnoseologe M. (-n; -n), auch moviert Gnoseologin F. (-; -nen). Gnostiker: 1704 Auserlesene Anm. 121 ein Apocryphon sey/ voll Jüdischer Narrenpoßen/ und wie es scheinet/ von einem Ketzer oder Gnostico erdichtet; Zedler 1735 Universallex. XI 27 Gnostici, sind gewisse Ketzer der alten Kirchen, welche sonderlich im ändern [zweiten] Seculo viel Unruhe anrichteten. Sie führten diesen Namen daher, dass sie sich einer grossen Wissenschaft und Erkenntniß rühmten, und deswegen nicht allein ändern vorzogen, sondern auch einer Freyheit, dasjenige zu thun anmasten, welches ändern nicht erlaubet war, wodurch einige unter ihnen die grösten Laster und Sünden unter diesem Deck-Mantel zu begehen Anlaß nahmen; ebd. 28 Dannenhero sie zu einem solchen Gnostico 3. Stücke erfordert, erstlich, daß man die Sache wohl erkenne, zum ändern, was man weiß, vollbringe, und drittens zugleich darlegen könne, was in der Wahrheit auf göttliche Art verborgen ist; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,421 f.) Glaubt aber der Ordinarius, daß die Schöpfung dem Vater eben so eigentlich zukomme, als dem Sohn: wie kommt es denn, daß er gegen die, die es glauben, und ihn, so fern er es nicht glaubt, mit den Gnosticis vergleichen, diese Uebereinstimmung mit den Gnosticis gar nicht ausschlägt; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 425 Die theurgischen oder magischen Künste des Geisterzwangs, deren sich die Gnostici bedienet haben, sind Folgen ihres Lehrgebäudes von den verschiedenen Gattungen der Geisterkräfte gewesen, denen die ganze Körperwelt unterworfen sey; Herder 1785 Ideen II 307 Vom Anfange des Christentums belegte man die Gnostiker mit dem Ketzernamen, weil man keine Vernünftlet unter sich dulden wollte (DiBi 125); Wieland 1791 Peregr. Proteus (S. W. XVII 11) so wird doch niemand zu läugnen begehren, daß in dem unergründlichen Geheimnisse der Natur . . etwas sey, das sich zu den Aeonen oder Urkräften der Gnostiker, und dem ewigen Urwesen, aus welchem sie ausströmen, ungefähr so verhält, wie die Juno der Fabel zu der Wolke, womit Jupiter den Ixion täuschte (DiBi 125); Campe 1813 fremdwb. 340 Gnostiker, die seinwollenden geheimen Gottkenner zu Jesu Zeiten; Heine 1834 Gesch. d. Religion u. Philos. in Dtschl. (W. u. Br. V 179) Die anderen, die eigentlichen Gnostiker, glaubten vielmehr an die Präexistenz des guten Prinzips und erklärten die Entstehung des bösen Prinzips durch Emanation, durch Generationen von Äonen, die, je mehr sie von ihrem Ursprung entfernt sind, sich desto trü-
ber verschlechtert (DiBi 125); Menzel 1835 Geist 37 sie haben (die Gnostiker) ihre Zuflucht zu der Idee eines Demiurg genommen, eines halb guten, tragikomischen neckischen Dämon, der sich unsre Erdenwelt privatim zum Spielzeug erschaffen habe; Immermann 1838-39 Münchhausen (W. III 762) Die Gnostiker erzählen, daß die Engel einst eine unaussprechlich schöne Gestalt flüchtig an sich vorüberschweben sahen, die sie nachmals nie wieder erblickten (DiBi 125); Burckhardt 1842 Br. I 202 Schelling ist Gnostiker im eigentlichen Sinne des Wortes; Marx 1845-46 MEW III o. S. es [Buch] hatte sich so den Wechselfällen des irdischen Lebens preisgegeben und war von drei Einzigen, nämlich von der geheimnisvollen Persönlichkeit Szeliga, von dem Gnostiker Feuerbach und von Heß angegriffen worden; Hahn-Hahn 1851 Von Babylon nach Jerusalem (GW XXXI 203) Was weißt Du von Gnostikern und Manichäern, von Ebioniten und Marcioniten? (DiBi 125); Troeltsch 1898 Ges. Sehr. IV 102 die pneumatischen Gnostiker erhalten im Sakrament das Weihewort und die asketische Reinheit, mit denen sie die überall lauernden feindlichen Gottpotenzen zurückschlagen; Ball 1926 Künstler (Sehr. 123) Die Gnostiker sprachen von Soma, Psyche und Pneuma, das Mittelalter von körperlichen, seelischen und geistigen Tatsachen (DiBi 125); Heilborn 1929 Revolutionen II 176 der frühchristliche Gnostiker, der über dem Gott, der die Welt mit all ihren Gebrechen erschaffen, einen höheren, an der Schöpfung unbeteiligten Gott statuierte und damit meinte, die Widersprüche beseitigt zu haben; Jaspers 1958 Atombombe 406 das ständige Aufweisen von Faktischem, dessen Sinn gedeutet wird, als ob er selber faktisch sei, ist eine Analogie zum Beweisen. Dazu berufen sich die Gnostiker auf Erlebnisse, die sie in Augenblicken oder Phasen ihres Lebens hatten; Doucet 1971 Forschungsobjekt Seele o. S. Die Gnostiker strebten nach Naturerkenntnis, wobei sie auch alle religiösen Glaubensvorstellungen objektiv auf Wahrheitsgehalte untersuchten; taz 26. 7. 1988 Nun sind wir keine Gnostiker mehr und warten nicht mehr auf die Letzten Dinge; Presse 24. 3. 1995 Jünger [war] vieles: Frontkämpfer, Nationalrevolutionär, Schriftsteller, Sammler und Naturforscher, Kultur- und Zeitkritiker, Ästhet und Gnostiker, doch immer derselbe Mensch; taz 12. 9. 2003 Den mittelalterlichen Gnostikern des Vorderen Orients, auf die sich al-Quaida hier bezieht, ging es nicht nur um die spirituelle Vervollkommnung
Gnostiker des Menschen, sondern um die eine Sozialrevolutionäre Veränderung der Gesellschaft überhaupt; Zeit 11. 5. 2006 Deren [Merowinger] Geheimnis wiederum wurde von Gnostikern, Templern, Rosenkreuzern, Freimaurern und der Sions-Bruderschaft gehütet, weshalb sie der Vatikan mit Feuer und Schwert verfolgte. Gnoseologe: Awxentieff 1905 Nietzsche 45 den Gnoseologen; Nuzuhidse 1926 Wahrheit 160 Wir geben zu, wie das von allen Gnoseologen behauptet wird, daß das erste, was sich uns in der Erkenntnis als solches aufdrängt, in ihrem Bestreben besteht, das Objekt zu ergreifen; Varga 1953 Erkenntnislehre 47 Wir treiben Erkenntnistheorie, wir sind Gnoseologen um der Wahrheit willen; Kanthack 1962 Hartmann 40 Der jene Denkversuche Überschauende kann nun seinerseits darauf verzichten, eine neue Gnoseo-Ontologie anzubieten. Er kann eine skeptische Haltung annehmen als Ontologe wie als Gnoseologe; Hanak 1976 Marxist. Philosophie 114 In Wirklichkeit geben aber auch die „Gnoseologen" den materialistischen Monismus nicht auf, d.h. sie bleiben bei dem das Bewusstsein ausschließenden Begriff nicht stehen, vielmehr leiten sie ihren Standpunkt in die Ontologie und Metaphysik über; Flach 1994 Grundzüge d. Erkenntnislehre 164 Daß die Gnoseologen noch zu keinem einheitlichen Urteil gelangt sind, belegt die Unzulänglichkeit ihrer Vorstellungen. Gnoseologie: Gersdorf 1836 Repertorium X 384 f. Die einzelnen Vorlesungen haben folgende, zum Theil etwas preciöse Titel: 1) Gnoseologie. Unmittelbares Bewusstsein von den Dingen; Verstandesbegriffe daraus; Vernunftideen. Die Gedanken Gottes darstellende Wahrheit in und durch Gott; die Philosophie eine Reconstruction des Weltgedankens, des wahren Seins der Dinge; Erdmann 1848 Gesch. d. Neuern Philos. 52 Diesem [Baumgarten] zerfiel . . die Lehre von der menschlichen Erkenntniss (Gnoseologie) in die von der untern, d. h. sinnlichen Erkenntniss (Aesthetik) und die von der obern (Logik); Zitnmermann 1860 Philos. Propaedeutik 182 f. die erstere weit schwierigere Aufgabe, in wie fern unsere Vorstellungen als richtige Bilder d. i. als Erkenntnisse können angesehen werden, fällt unter der Aufsicht der Logik, welche die allgemeinen Bedingungen des möglichen Wissens enthält, einer ändern Wissenschaft, der Erkenntnisslehre (Gnoseologie) zu, welche als solche ein Theil der eigentlichen Philosophie ist und über das Gebiet der Propädeutik hinausliegt; Riehl 1876 Philos. Kriticismus l 14 f. Er [Baumgarten] betrachtete sie [Ästhetik] als einen Theil der Erkenntnistheorie, als Lehre der normativen, oder vollkommenen sinnlichen Erkenntnis, und wies ihr
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daher einen Platz in der allgmeinen Gnoseologie unmittelbar vor der Logik an; Jacoby 1925 Allg. Ontotogie 530 Bevor wir das Wesen dieser gnoseologischen Transzendenz näher beleuchten, wenden wir uns zunächst zu den verschiedenen Gebieten, die der Gnoseologie unseres Bewußtseins über seine ontologischen Grenzen hinaus zu Gebote stehen; Zocher 1939 Philos. Grundlehre o. S. dass in eben dieser Konstituierbarkeit einer Ontologie gerade die Gnoseologie ihren Charakter als Grundlehre der Philosophie beglaubigt; Kanthack 1962 Nicolai Hartmann 24 f. Es werden zwei Disziplinen benannt, Gnoseologie und Ontologie, und beide werden auseinandergehalten. Es scheint jedoch, daß die eine, nämlich die Gnoseologie, in die andere, die Ontologie, einschaltbar ist; Seidel 1984 Aristoteles 63 In ihrem Ausgangspunkt ist die Gnoseologie des Stagiriten empirisch, ja materialistisch. Alles Erkennen hebt an mit der Wahrnehmung; Buntfuss 2004 Erscheinungsform d. Christentums 4 Dementsprechend liegt der konstruktive Beitrag der Ästhetik für die religionstheologische Neugestaltung um die Jahrhundertwende zunächst weniger im Bereich einer Theorie des Schönen oder der Kunst, sondern auf dem Gebiet der Anthropologie, Ästhesiologie und Gnoseologie. gnoseologisch: Erdmann 1869 Grundriss d. Gesch. d. Philos. l 1,90 Ausserdem unterscheiden sich diese Untersuchungen von denen im Theaetet dadurch, dass in ihnen die gnoseologische oder psychologische Seite vor der ontologischen zurücktritt; Jacoby 1925 Allg. Ontologie 530 Neben und unbeschadet der vollen Gültigkeit seiner ontologischen Systematik und ihrer engen Grenzen hat das Bewußtsein noch eine andere Systematik, kraft deren es seine ontologischen Grenzen meinend transzendiert. Diese andere Systematik des Bewußtseins will ich im Anschlüsse an den neuerdings wieder aufkommenden Sprachgebrauch einer früheren Tradition und in einer engeren Fassung seines Sinnes die spezifisch gnoseologische nennen; Jakotvenko 1928 Pluralismus 13 dass die Lösung dieser Aporie von der Durchführung einer streng gnoseologischen Behandlung dieses Problems abhängt; 1943 Blätter f. dtsch. Philos. 17,393 die naturphilosophische Bearbeitung der Problematik des Organischen ist gnoseologisch ungeklärt und verwickelt sich dadurch auch in ontologische Schwierigkeiten; Schaaf 1956 Wissenssoziologie. Einltg. XI Die am Ende dieser Abhandlung sich ergebenden wissenssoziologischen Grundbegriffssysteme einer „Staseologie", „Soziomorphologie" und „gnoseologischen Vermittlung" beruhen auf einer solchen Analyse des relationalen Seins; taz 7. 11. 1990 Im Hintergrund plätscherte ein kleiner Zimmerspringbrunnen, in einer Glasvitrine wurde Symbolschmuck
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offeriert und auf einem kleinen Tischchen lagen diverse okkulte, transzendente und gnoseologische Schriften; Adler 1990 Prägnanz d. Dunklen IX Herder richtet seine Aufmerksamkeit ganz auf den kruden Bereich der menschlichen Erfahrung und entwirft eine Erkenntnislehre des Dunklen, die das gnoseologisch Kompakte nicht als das periphere Unzugängliche, sondern als das in seiner Komplexität Prägnante, Erkenntnis- und Gewißheitsträchtige begreift; taz 13. 8. 2002 Er bedient sich einer Sprache, deren unschönes Vokabular („peristatische Situation", „gnoseologische Matrix", „megarische Identität") nicht weniger als ein 34-seitiges Glossar benötigt. Gnosie: 1815 Journal f. Chemie u. Physik XV 453 Desswegen können, nach meinem Bedünken, atmosphärische Luft und mehrere Arten Wasser eben so wenig in der systematischen Aufstellung der Mineralien vorkommen, oder in der Wissenschaft, welche von Werner Oryktognosie genannt wird, als Gneis oder Sienit, oder was für ein Stoff auch, welcher zusammengewebt ist aus mehrern zusammensitzenden, distincten Fossilien; Goethe vor 1832 (WA l 42.2, 189 f.) Nehmen wir sodann das bedeutende Wort vor: Erkenne dich selbst, so müssen wir es nicht im ascetischen Sinne auslegen. Es ist keineswegs die Heautognosie unserer modernen Hypochondristen, Humoristen und Heautontimorumenen damit gemeint; sondern es heißt ganz einfach: Gib einigermaßen Acht auf dich selbst, nimm Notiz von dir selbst, damit du gewahr werdest, wie du zu deines Gleichen und der Welt zu stehen kommst; Delitzsch 1857 Commentar 676 Und wenn damals jene Gnosie schon im Anzüge war, zu deren widrigen Giftfrüchten die Pseudoclementinen gehören, sollten die palästinischen Gemeinden, deren Häupter die judenchristliche Ueberlieferung zu den Vorgängern jener Ascese im Essen und Trinken gestempelt hat, davon frei geblieben sein?; Bleek 1875 Eint. NT 267 namentlich Seh wegler betrachtet das Evangelium als einen Versuch der Rückbildung der Gnosie in die Kirche; Kobert 1897 Pharmakotherapie 60 Die Lehrbücher der Pharmakognosie und der pharmazeutischen Chemie ordnen nach botanischen und chemischen Gesichtspunkten; Poppelreuter 1917 Kopfschuss 141 Das Wort Geschicklichkeit dient im täglichen Leben auch dazu, um die bloße Feinheit der Hantierungen ihrer motorischen Ausführung nach zu kennzeichnen, andererseits aber um die vom Intellekt, besonders von der optischen Gnosie geleistete konstruktive Fähigkeit hervorzuheben; Benjamin 1938 Lehrb. d. Psychopathologie 149 [sie] sind zu sondern von allen durch Störungen von exekutiven Leistungen, durch Störung der niederen Koordination (Taxie), der Gnosie und der höheren geistigen
(intellektuellen) Funktionen bedingten Ausfällen; Leischner 1957 Störungen d. Schriftsprache 79 Es bestanden auch deutliche Störungen der optischen Gnosie und der Farbengnosie; Bierwisch 1980 Psycholog. Effekte 410 Optische, akustische und taktile Gnosie sowie räumliche und zeitliche Orientierung waren intakt; Ferrari 1998 Zerebralparese 89 Es gibt mehrere Formen der Diplegie. Sie alle zeigen Probleme mit .. der Organisation korrekter Praxien und Gnosien auf neuropsychologischem Niveau; Vojta/Peters 2001 Vojta-Prinzip 63 Die Rückenmarkssegmente von Cl bis L5, die die Skelettmuskulatur versorgen: das Hirnnervenniveau, das das orofaziale Gebiet belebt; die höher gelegenen Hirnzentren, die die Gnosie der Hand ermöglichen; und die Areale, die die Sprechexplosion hervorrufen. Gnosiker: Baur 1827 Selbstanzeige (Schleiermacher 1984 Knt. Gesamtausg. VII 3,277) Solche, welche das Christenthum in seinem eigenthümlichen Charakter so hervorheben, dass es einen gewissen Gegensatz zum Judenthum bildet. In dieser Beziehung zeichnet sich vor allen ändern Gnosikern Marcion aus. Gnosis: Weber 1734 Enc. I 569 Gnosis . . Wissenschaft; Wieland 1791 Peregr. Proteus (S.W. XVI 206) wir sind ungelehrte Landleute, und die hohe Gnosis unsrer Propheten ist eine Gabe des Geistes, die uns nicht gegeben ist (DiBi 125); Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge 248 So wie indeß Clemens von Alexandria die wahre Gnosis von der falschen unterschied, und die wahre in die höchste christliche Vollkommenheit setzte, so kann die heidnische und jüdische Philosophie, wenn sie sich taufen läßt, ganz unbedenklich zum Christenthum aufgenommen werden (DiBi 125); Campe 1813 Fremdwb. 340 Gnosis, eigentlich die Erkenntnis schlechtweg; man . . bezeichnet damit die zu Jesu Zeiten herrschende morgenländische angebliche Weisheit, die sich rühmte, die verloren gegangene Kenntniß des göttlichen Wesens zu besitzen; also die geheime Gotteslehre und Gotteskunde; Marx 1842 MEG A IV l o. S. es scheint aber zu aller Wahrheit die Gnosis derselben vieles beizutragen, am meisten aber in Bezug auf die Natur; 1856 Mon'schrift Wiss. V. Zuerich 534 Geistig eigentlich machtlos gegen die Gnosis reagirte das vulgär judenchristliche Bewusstsein und Bedürfniss dagegen in praktischer Form durch den Busse-Ruf neuer Propheten und Prophetinnen; Erdmann 1869 Grundriss d. Gesch. d. Philos. l 2,193 Was die Gnosis dem Philosophen zu wenig zu thun scheint, ist dem Gläubigen schon viel zu viel; Schanz 1905 Gesch. d. röm. Literatur 316 Er erkannte wohl mit scharfem Blick, dass die Niederwerfung der Gnosis
Gnostiker eine Lebensfrage für das Christentum war; Dibelius 1929 England II 36 In der gewaltigen religiösen Erregung des 17. Jahrhunderts sind auf dem Boden dieser durch keinerlei Kritik und kein tieferes Wissen gehemmten Menschenschicht die seltsamsten Keime verschiedenster religiöser Kulte der Vorzeit wieder emporgesproßt: lutherisches, kalvinisches, täuferisches Christentum, altchristliche Gnosis, plotinische Mystik, orientalische Ekstase; LokalAnz. 2.3. 1933 Professor Lietzmann nennt die Gnosis eine Zersetzungserscheinung der antiken Kultur; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 39) eine lange, auf wahrster Selbstempfindung des Menschen beruhende Denküberlieferung, entsprungen in frühen Tagen, als Erbgut eingegangen in die Religionen, Prophetien und einander ablösenden Erkenntnislehren des Ostens, in Avesta, Islam, Manichäertum, Gnosis und Hellenistik, betrifft die Gestalt des ersten oder des vollkommenen Menschen; ders. 1944 Reden u. Aufs. (W. XIII 201) das neue Testament angehend, so ist die Schrift, die wir das Evangelium Sankt Johannis nennen, mit seiner Rede vom präexistenten persönlichen Logos und dessen Fleischwerdung, ein verhältnismäßig sehr modernes Produkt, beeinflußt von der hellenistischen Gnosis; jaspers 1958 Atombombe 408 Gnosis bewegt sich zwischen anschaulichen Bildern und spekulativen Gedanken, operiert mit beiden; Doucet 1971 Forschungsobjekt Seele o. S. das Evidenzerlebnis bei Augustinus darf nicht mit der Gnosis von Plotin, dessen Schriften er übrigens gekannt haben muß, gleichgesetzt werden; Mannh. Morgen 17. 12. 1986 Adam war also ursprünglich zweigeschlechtlich, war androgyn und war es auch in der Gnosis und in der Kabbala; taz 8. 2. 1992 Ein weiteres Prinzip läßt sich in den aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. stammenden Hermes-Papyri, dem corpus hermeticum, finden, Aufzeichnungen der hermetischen Gemeinde von Alexandrien, die alle, so der Gnosis-Forscher Gilles Quispel, um ein Thema kreisen; Zeit 7. 7. 1995 Die Nazi-Gnosis nährte sich aus traditionalistischen, synkretistischen, okkulten Elementen; ebd. 27. 4. 2006 die europäische Gnosis, die sich die Erlösung in Gott als Lichtdurchflutung des Universums vorstellte, als dessen Aufhebung im Licht. gnosisch: Kraft 1968 Grundlagen d. Erkenntnis 58 Emotionen regen sich leichter als gnosische Gedächtnisinhalte; Merleau-Ponty 1974 Phänomenologie d. Wahrnehmung 98 Das hat zur Annahme besonderer gnosischer Zentren veranlasst, die die Lokalisierung und Interpretation der Qualitäten bewerkstelligen sollten; Grübel 1984 RUSS. Erzählung 185 Wenngleich der Sprung von der Vergangenheit in die Gegenwart, aus der Gnosis in die Praxis gelingt, bleibt doch die Kraft, die den
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Sprung ermöglicht, gnosisch, bleibt die Vergegenwärtigung erinnernd, das heisst rückwärtsgewandt. Pott 2004 Poetiken 40 Vor einem weiten Ideengeschichtlichen Kontext versucht Strauss zu zeigen, daß Novalis einen (gnosischen) Dualismus von hell und dunkel, von einem Reich des Lichts und einem Reich der Finsternis als zentral erachtet. Gnostik: Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge U 248 Gnostik, Kabbala, morgenländische Philosophie, Judenthum und Christenthum sind uns homogen, um allen allerlei zu seyn (DiBi 125); 1820 Theolog. Zeitschr. II 145 war ein ausländischer Forscher mitten unter Deutschen Gelehrten auf die von der gewöhnlichen Ansicht abweichende Meinung gerathen, einen Theil der Gnostik zwar aus dem sogenannten Platonismus, einen ändern aber aus der dunkel angedeuteten Quelle des Orientalismus herzuleiten; i #55 Sitzungsber. d. kaiserl. Akad. d. Wiss. XI 222 Die dunklen Regionen der ägyptischen Hieroglyphik, des phönizischen und keltischen Mythus, das geheimnissvolle Gebiet de[r] Gnostik mit dem magischen Glänze seiner Abraxassteine winken uns da verlockend entgegen; Bastian 1860 Mensch I 206 Der stumpfsinnige Papua Australiens wagt es nie, den Namen eines Verstorbenen auszusprechen. Er verändert seine ganze Sprache, und jedes Wort, das nur entfernt an den Laut erinnert, wird zerstört. Auch sie ahnen die mystische Kraft der Namen, auf denen Mystik und Gnostik so wunderbare Systeme erbauten, die insofern immer ein gewisses Fundament auf sicherem Boden sich vindiciren könnten; Vossler 1907 Göttl. Komödie 62 Ein solcher Begriff, vielleicht der älteste, welchen die orientalische Gnostik geliefert hat, ist die „Weisheit"; Th. Mann 1930 Dtsch. Ansprache (W. XI 877) wenn man aber bedenkt, was es, religionsgeschichtlich, die Menschheit gekostet hat, vom Naturkult, von einer barbarisch raffinierten Gnostik und sexualistischen Gottesausschweifung des Moloch-Astarte-Dienstes sich zu geistigerer Anbetung zu erheben; Jaspers 1962 Philos. Glaube 187 Ein Denken, das zweideutig zwischen Wissenschaft und Gnostik schwankt; taz 10.8. 1989 Der Artikel handelt von der Schwierigkeit einer heute noch zeitgemäßen Gnostik; Spiegel 22.11. 1993 Als schlauester Kopf, philosophisch an den Erlösungsideen der Gnostik geschult, wird [der Evangelist] Johannes eingeschätzt, der seinen Text um das Jahr 100 abliefert; Mannh. Morgen 28. 8. 2001 [Satanismus] geht zurück auf Traditionen von alt-ägyptischen Mythologien über Kelten, westafrikanische und haitianische Voodoo-Praktiken bis hin zum dualistischen Weltbild der antiken und mittelalterlichen Gnostik; taz 12. 2. 2005 [sie hat] begonnen, andere religiöse Denksysteme und Kulturen zu studieren — die Kabbala, die kelti-
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sehen Mythen, die mittelalterliche Alchimie, die ägyptische Gnostik, den tibetanischen Buddhismus. gnostisch: Baumgarten 1766 Religionspartheyen 420 Irenäi 5. Bücher wirder die Ketzereyen . . Die vornehmsten darin sind die gnostischen Irrthümer, sonderlich die Meinungen der Valentinianer; Wieland 1791 Peregr. Proteus (S. W. XVII 10) Indessen hat mich gleichwohl die Neugicr einst verleitet, unter so vielen ändern Ausgeburten der menschlichen Thorheit, mich auch mit diesem gnostischen Aberwitz bekannt zu machen (DiBi 125); Campe 1813 Fremdwb. 340 Gnostisch, kann entweder durch gottkundig oder durch Umschreibungen gegeben werden, z. B. Lehren, Vorstellungsarten, Begriffe der geheimen Gotteslehre; Winer 1833 — 38 Bibl. Realwb. I 84 der charakter des christenthums, der durch gnostische tendenzen gefährdet wurde (DWB); Heine 1834 Gesch. d. Religion u. Philos. in Dtschl. (W. u. Br. V 179) Nach Cerinthus war der Erschaffer unserer Welt keineswegs der höchste Gott, sondern nur eine Emanation desselben, einer von den Äonen, der eigentliche Demiurgos, der allmählich ausgeartet ist und jetzt, als böses Prinzip, dem aus dem höchsten Gott unmittelbar entsprungenen Logos, dem guten Prinzip, feindselig gegenüberstehe. Diese gnostische Weltansicht ist urindisch (DiBi 125); 2556 Mon'schrift Wiss. V. Zuerich 534 Die von der Gnosis geistig verflüchtigte altchristliche Parusie-Erwartung . . wurde mit neuer Energie belebt, die Nähe des Gerichts laut verkündigt, und um so entschiedenere Reinigung der Kirche von (gnostischem) Weltleben und aller darin eingerissenen Laxheit gefodert; Windelband 1912 Lehrbuch d. Gesch. d. Philos. 200 Die schärfste Zuspitzung aber erreichte der Dualismus in einer Mischreligion, die unter dem Einflüsse der gnostischen Systeme mit Rückgang auf die altpersische Mythologie im dritten Jahrhundert entstand, dem Manichäismus (DiBi 3); Harnack 1915 (N. F. III 41) daß Clemens in Alexandrien, Tertullian in Karthago und Hippolyt in Rom eine umfassende Kenntnis der christlichen Literatur aus Ost und West, einschließlich zahlreicher gnostischer und häretischer Schriften, verraten; Ball 1926 Künstler (Sehr. 115) In den Eingangskapiteln der Apokalypse finden sich Worte, die auf ein Wissen um 'Tiefenpsychologie' sehr wohl schließen lassen; ebenso in gnostischen Texten, wie naturgemäß in jeder theologischen Literatur, die von Anfängen und Paradiesen, von Auflösung und Wiedergeburt handelt (DiBi 125); Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. X 753) sobald es sich in den gnostischen Mythologien um den Heilbringergedanken handelt, um das von der Urmutter ausgehende Erlöserkind, tritt ganz offenkundig der Vater zurück, und die
Urmutter ist dann in der mythologischen Erlösergnosis immer Jungfrau-Mutter, Gattin, Schwester zugleich; 1949 Wort u. Wahrheit I 158 Es ist die gnostische Lehre vom „Grund der Dinge", der sich im Weltprozeß inerhalb des menschlichen Selbst, als dem einzigen Ort der Gottwerdung, verwirklicht; Jaspers 1958 Atombombe 493 die Befleckung des Gottesgedankens durch gnostische Erzählungen, durch Spekulationen und Bilder, die in Göttern und Dämonen sich verfangen, verwandelt das freie Vertrauen in eine unfreie Gewißheit; Haas 1962 Gestalten 32 Es gibt eine alte gnostische Sage, nach der die Welt nicht von der höchsten Gottheit, Sophia, geschaffen wurde, sondern von einem etwas niedrigeren Demiurgen; Lanczkowski 1971 Religionsgeschichte Europas o. S. das Vordringen östlicher Kulte und die Strömungen gnostischer Religiosität; Zeit 20. 12. 1985 obschon einige gnostische Sekten in ihrer Praxis so mancherlei ökologische und therapeutische Tugend entfaltet haben, vom Müslikult über die Friedensmeditation bis zu hypnotischen Kuren; Frankf. Rundsch. 2.4.1997 In den gnostisch-tnanichäischen Glaubensgruppen stand der Fünfstern als Sinnbild für die fünf Elemente (Luft, Licht, Wind, Feuer, Wasser); taz 26. 3. 2005 Karol Wojtyla und seine Mannen, groß geworden in der Welt des Kalten Krieges mit seiner gnostischen Aufteilung in Gut und Böse, nutzen die zur Schau getragene Gebrechlichkeit zugleich zum weiteren Rollback hin zu einer vorkonziliaren Kirche des frühen 20., gar des 19. Jahrhunderts. Gnostizismus: Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 596 Calla, Ein Quäckerisches und Sectirisches Weibes-Bild . ., so den so genannten Gnosticismum mit ausbreiten und dieses Gifft ausstreuen helffen; 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,137) Es gibt einen Gnosticismum, ein Peccatum philosophicum &dc. Lose Lehre und lose Werke stimmen miteinander überein, ob auch die letztere nicht gar geschwind ausbrächen; Joh. G. Mueller 1791 Briefw. 25 weil alles, was nur von ferne der Philosophie nahe kommt, ja selbst das unschuldige Wort selbst, so schreklich gehaßt wird, daß ihnen bei diesem Namen sogleich das Gespenst des Gnosticismus, und Scepticismus, gegen welches der Apostel eifert, vor die Augen tritt; Fichte 1804 Zeitalter (S. W. VII 101) auch blieb sie [Kirchenreformation] in Absicht der Verwerfung des Gnosticismus und in der Forderung des unbedingten Glaubens; Heyse 1838 Fremdwb. 458 Gnosticismus, m. die Lehre der Gnostiker; Marx/Engels 1845-46 MEW III 79 vor diese beiden Großmeister der heiligen Inquisition wird der Häretiker Feuerbach zitiert, um sich wegen einer schweren Anklage des Gnostizismus zu verantworten; Erdmann 1869 Grundriss d. Gesch. d. Philos. l 2,193
Gnostiker Als offene, eine Stellung in der Gemeinde fordernde Secte tritt der Gnosticismus erst im zweiten Jahrhundert nach Christo auf, und zwar ziemlich gleichzeitig in Acgyptcn und Syrien; Lange 1873 — 75 Geschichte d. Materialismus 156 Der Gnostizismus brachte die Elemente einer Philosophie des Christentums (DiBi 3); Troeltsch 1898 Ges. Sehr. IV 102 Wieder etwas anderes ist die Askese des Gnostizismus oder Orientalismus, jener schon vorchristlichen Mystericngemeinden, die uns überall erst in ihrer gräcisierten Gestalt und getränkt mit griechisch-idealistischer Spekulation faßbar werden; Windelband 1902 Präludien II 294 wenn der modernste Gnostizismus uns wieder zu überzeugen sucht, das religiöse Leben des Menschen bestehe in seiner Mitarbeit an der Erlösung, mit der Gott in sich selbst durch die Vernunft das Normwidrige überwinde; Keller 1904 Humanismus 2 der Name Christen . . wurde seit der Zeit, wo sich das neue Staatschristentum zum heftigsten Gegner altchristlicher Überzeugungen entwickelte, unbrauchbar, und der Name Gnostizismus ward bald in ähnlicher Weise, wohl nicht ohne die Schuld der sogenannten Gnostiker, als Parteibezeichnung entwertet; Windelband 1912 Lehrbuch d. Gesch. d. Philos. 199 f. der Grundcharaktcr des Gnostizismus besteht darin, daß von hier aus die Begriffe der griechischen Philosophie mit den Mythen orientalischer Religionen in Beziehung gesetzt wurden (DiBi 3); 1925 Histor. Jahrbuch LXV 348 Der Verf. findet sie begründet in der alexandrinischen Katechetenschule, die den Verschmelzungsprozeß zwischen Judentum und Hellenismus durchgeführt hatte, weiter im Neuplatonismus und nicht zuletzt im Gnostizismus, beziehungsweise in der Kampfcsstellung gegen denselben; Novotny 1930 Roman. Bauplastik 11 Er sah in dem Denkmal einen Bau des Templerordens und in den Plastiken Darstellungen, die aus dem Gnostizismus zu deuten wären, und zwar die drei großen Szenen als Darstellungen wesentlicher Glaubensgrundsätze dieser Lehre, die oberen Gruppen als Lebenslauf eines Gnostikers bis zum Gericht; Nilsson 1950 Gesch. d. griech. Religion II 588 Im älteren Gnostizismus dagegen ist Gnosis eine Lehre von der sichtbaren und unsichtbaren Welt, später wird sie zu einer Kenntnis der Mysterien, d. h. der Riten und Formeln, durch welche der Aufstieg der Seele gesichert wird; Strobel 1980 Das heil. Land d. Montanisten 294 K. Froehlich verstieg sich jüngst gar zu der These, Montanismus und Gnostizismus hätten viel mehr gemeinsam gehabt als die Forschung je in Betracht zog; taz 1.11. 1994 Joachim Heintz liest aus seinem Text Gnosis, in dem er die 1945 in Oberägypten gefundenen, 1700 Jahre alten Texte des Gnostizismus literarisch bearbeitet; Presse 10. 8. 1996 Diese religiösen Verheißungen des Nationalis-
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mus können als ein moderner Gnostizismus interpretiert werden; Berl. Ztg. 1. 11.2001 Eine Erlösung, die der Menschheit erst zuteil wird, wenn sie durch die Hölle auf Erden gegangen ist. Unangenehm ist dieser Gnostizismus vor allem wegen des strengen Geruchs moralischen Stellvertretertums, der an sämtlichen Figuren haftet. Gnostizist: von Beit 1952 Symbolik d. Märchens 431 Diese schützende Mauer um das zentrale Mandala, welche 'den inneren Menschen' umhegt, ist ein verbreitetes Symbol, besonders bei den Gnostizisten; 1977 Handwb. d. Kriminologie II 379 Gnostizist in diesem Sinne kann nur ein Gutachter sein, der von klinischer Psychiatrie und empirischer Psychologie keine Ahnung hat; Leutzsch 1989 Wahrnehmung 76 Aus alldem ist zu folgern: Die Existenz von Gnostizisten in Rom zur Zeit des Hermas ist aus dem 'Hirten des Hermas' nicht mit Sicherheit zu erschließen; Loheide 2000 Fichte u. Novalis 133 Angesichts dieser bahnbrechenden Neuerung ist es unverständlich und anachronistisch, daß die Einleitung Kluckhohns aus dem Jahre 1929, die noch sämtliche Klischees vom sophien- und todesbesessencn Gnostizisten und Fragmentaristen enthält, auch noch in der neuesten, 3. Auflage 'als gültige und heute noch wertvolle Gesamtdarstellung' . . bezeichnet und kaum verändert abgedruckt wird. gnostizistisch: Baumann 1903 Philosophie 487 Nicht als letztes Wort will James gelten lassen den romantischen oder gnostizistischen Subjektivismus (Renan, Zola), den er . . beschreibt; Lask 1911 Logik d. Philosophie 204 ein in diesem Sinne gnostizistisches Gepräge; Dittrich 1932 Gesch. d. Ethik II 67 und darin knüpft die Hermetik ebensowohl an die ihr neben orphisch-pythagoreischen Mysteriengedanken auch orientalische Gedanken vermittelnde Mystik des Poseidonios an wie an die gnostizistischen Systeme, in denen ja ebenfalls die Gotteserkenntnis als Heilsquelle eine Hauptrolle spielt; Fierz-David 1947 Liebestraum d. Poliphilo 245 Das Bild des süßen Duftes könnte also zeigen, daß die Anima Geistqualität angenommen hat, daß sie zu einem weiblichen Pneuma geworden ist, ähnlich der gnostizistischen höheren Sophia; Biser 1965 Gleichnisse 69 In diesem Zusammenhang sei auf ein weiteres Gleichnis des Thomasevangeliums verwiesen, das den Gedanken der Aneignung, wenn vermutlich auch in gnostizistischer Absicht, besonders stark hervorhebt; Zimmermann 1982 Emigrationsland 9 Paulus lehnt also mit dieser Stellungnahme ausdrücklich die in der korinthischen Gemeinde sehr stark vertretene gnostizisti-
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sehe Auffassung ab, daß der ekstatische Zustand des Zungenredens als solcher bereits zu den göttlichen Gnadengaben, den Charismata (Vulgata: gra-
tia) gehöre; Müller 2003 Notre-Datne v. Chartres 16 Hierinnen zeigt sich unverkennbar ein gnostizistischer Einfluß.
Gobelin M. (-s; -s), in der 1. Hälfte des 18. Jhs. vereinzelt, seit Mitte 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. gobelins PL (nach Hotel Royal des Gobelins, dem Namen der 1667 in Paris gegründeten berühmten Teppichmanufaktur, der auf die Familie Gobelin, die seit ca. 1500 an derselben Stelle eine bekannte Wollfärberei betrieben hatte, zurückgeht; nach dieser Manufaktur wurden zunächst nur ihre eigenen, schließlich aber aufgrund ihres überragenden künstlerischen Rufs auch die entsprechenden Produkte anderer Manufakturen und auch früherer Zeiten benannt), zunächst nur im PL, seit Mitte 19. Jh. (früher als im Frz.) auch in der Sing.-Form verwendet. Zunächst, meist in Briefen und Reiseberichten über Paris, als Produktname, im 19. Jh. zunehmend appellativisch gebraucht in der Bed. '(aus der Pariser Manufacture des Gobelins stammender oder deren Erzeugnissen ebenbürtiger) feingewirkter, in langwieriger Arbeit handgefertigter, höchsten künstlerischen und ästhetischen Ansprüchen genügender Bild-/Wandteppich, große Bildwirkerei mit eingewebten Landschaftsdarstellungen, historischen, mythologischen Szenen, Porträts u. a., wertvoller Wandbehang, Bild-, Kunsttapete, Tapisserie' (—* Tapete, —» Tapisserie), meist konnotiert mit „luxuriös, kostbar, repräsentativ, feudal", auch bildlich (s. Belege 1826, 1854, 1901, 1934), in Wendungen wie alte, schwere, prunkvolle, prächtige, farbensatte, verblasste, burgundische, flämische Gobelins, einen Gobelin weben, wirken, die Wände sind mit Bildern und Gobelins bedeckt/geschmückt und als Bestimmungswort in der Form Gobelin- in Zss. wie Gobelinmanufaktur, -Wirkerei, -serie, -technik, -sticker(ei), -tapete, -teppich, -saal, -stich 'spezieller, bei der Herstellung von Gobelins angewandter Stickereistich', -maierei "einen Gobelin nachahmende Malerei auf ripsartigem Stoff, -gewebe 'für Möbelbezüge verwendetes Jacquardgewebe mit farbigen Kett- oder Schussfäden'; gobelinbehängt, -überkleidet, -bezogen 'mit Bezügen aus Gobelingewebe (s. o.) versehen', auch in der Form Gobelins- in Gobelinsfabrik, -tapete, -weber; seltener als Grundwort in Louis-XV-, Blumengobelin; dazu seit spätem 19. Jh. die adj. Ableitung gobelinartig und die seit früherem 20. Jh. vereinzelt belegte verbale Ableitung gobelinieren V. trans, bzw. intrans. 'gobelinartig weben'. Gobelin: Elis. Charl. 1719 Er. IV 317 Ihr seydt nicht schuldig, zu wißen, liebe Louise, wie die Gobiein heyßen. Es führt den nahmen von einer bach, so dadurch fliest zu Paris; 1758 Modeztg. I 83 Gobelins . . Diese Gattung hat von dem Ort, wo sie verfertiget worden, ihren Nahmen. Die Gobelins sind ein gewisser Bezirck von Häusern am Ende der Vorstadt St. Marcel zu Paris, worinnen vormahls bey die 800 Künstler in Tapetenwürcken . . sich aufbehielten; Goethe 1770 Br. (WA IV 51,42) Die Gobelins die man von Paris gebracht hat, um einige Saale zu verzieren, haben mich auf die angenehmste Weisse überrascht; die meisten
sind nach Raphael; Thümmel 1791 Reise 1145 Das Herz war wohl . . vergällt,/ Das sich zu gut zum JVlitgenusse/ Der Freuden dieser Menschen hält;/ An ihrer Patriarchen-Sitte/ Der Städte Politur vermißt,/ Nicht unterm Strohdach ihrer Hütte/ Gern seine Gobelins vergißt; Schopenhauer 1803-04 Reisetagebücher 90 Aber auf allen diesen Gobelins ist ein Leben, eine Wahrheit, eine Natur, wie man sie meiner Meynung nach auf keinem Ölgemählde antrifft. . . Die Sujets dieser Tapeten sind größtentheils aus der alten u. jüdischen Geschichte genommen; Heuberger 1806 Handwb. 278 Gobelins, kostbare Tapeten, wovon nur Eine Fabrik in
Gobelin Frankreich existiert; Lotz 1822 Staatstvirthschaftslehre 167 So schätzenswerth auch die Erzeugnisse der auf Rechnung des Staats betriebenen Porcelainfabrik zu Sevres und der Gobelinstapetenweberei zu Paris seyn mögen, so haben sie doch zur Beförderung des wirthschaftlichen Wohlstandes von Frankreich . . nichts beigetragen; Hauff 1826 Memoiren (S. W. l 410) Warum nicht nach Frankreich, um dein Gaudium daran zu haben, wie man die Wände des Kaisertums überpinselt, und mit alten Gobelins von Louis des Vierzehnten Zeiten, die sie aus dem Exil mitgebracht haben, behängt (DiBi 1); Heine 1835 Romant. Schule (W. u. Er. V 136) Wie die Werke von Walter Scott mahnen auch die Fouqueschen Ritterromane an die gewirkten Tapeten, die wir Gobelins nennen und die durch reiche Gestaltung und Farbenpracht mehr unser Auge als unsere Seele ergötzen (DiBi 1); Niendorf 1854 Paris 309 Paris ist die Phantasie, die concentrirte Genialität von Hunderttausenden. . . Paris ein unglaublicher Gobelin, an dem zahllose bienengleiche Arbeiter emsig weben zu einem Kunstwerke; Fontäne 1862 Graf seh. Ruppin (S. W. IX 140) Velasquez Genrebilder mit lebensgroßen Figuren sind auch schon im modernen Sinne konzipiert, z. B. der Besuch in einer Gobelinfabrik, ein Bild, das Geröme für das bestgemalte Bild überhaupt erklärt hat (DiBi 1); Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 214 Das hiesige Haus, in dem ich wohne, gehört einem Herrn von Fontaine. Alles Gold und alte Gobelins. Die Franzosen müssen viel Geld haben; 1891 Jahrb. d. Kgl. Preuss. Kunstsammlungen XII 137 in unseren Tagen bestrebt, in Berlin die Herstellung von Wandteppichen oder „Gobelins", wie man sie in Deutschland allgemein zu nennen pflegt, von Neuem einzubürgern und zu fördern; Raabe 1896 Vogelsang (Attsgew. W. VI 733) Aber es ist immer, als ob man Fäden aus einem Gobelinteppich zupfe und sie unter das Vergrößerungsglas bringe, um die hohe Kunst, die der Meister an das ganze Gewebe gewendet hat, daraus kennenzulernen (DiBi 1); Möller-Bruck 1901 Stilismus 74 Eine Gobelinstimmung mit der wir den Saal unseres Lebens schmücken können, soweit es Traum ist; Wassermann 1910 Masken 84 Das Elend, das hinter Damastvorhängen und fahlen Gobelins grinste, hatte Marianne gelehrt, wie man kurzsichtige Gäste täuscht; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 543) die Bezüge der Meubles-Gruppe, die an einer Schmalseite . . vor einem die Wand fast ganz bespannenden Gobelin angeordnet war; Lokal-Anz. 15. 6. 1934 Du bräunst dich nach, schon wieder rot wie Mennige,/ Um dich herum ein Blumengobelin!/ Mit Sommerglück — und alles für fünf Pfennige:/ Fünf Pfennig Sommer — oh, mon Tierjardin; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 9 Ob das nun Bilder, alte Schränke und Kommoden, alte Gobe-
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lins, Kirchenstoffe, Brüsseler Spitzen waren - alles sammelte mein Vater mit gleicher Liebe, mit gleichem Geschmack; Münch. Stadtanz. 4. 9. 1959 Das bedeutendste Werk, welches in dieser Zeit entstand, war eine in Form, Größe und künstlerischer Qualität einzigartige Gobelin-Serie in elf Teppichen: „Geschichte Ottos von Wittelsbach"; Welt 17. 10. 1969 Gabriele Grosses Gobelins können, was die Erfindung, die Formqualität und die Farbabstufung angeht, sehr wohl den Vergleich mit den Bildteppichen der berühmteren Woty Werner bestehen; Heym 1988 Nachruf o. S. Das Reich der Radziwills, in Njeburow ist es erhalten mit all seiner feudalen Eleganz, den Ahnen an den langen Wänden der Korridore, den schöngemusterten Teppichen auf milde glänzendem Parkett, den Gobelins im großen Salon, den Möbeln in makellosem Stil untet vergoldeten Leuchtern; taz 9. 4. 1991 Seine Wohnung . . im Zentrum Tbilissis versprühte noch den Charme vorrevolutionären Großbürgertums. Massive Möbel, gedrechselte Schränke, gobelinbezogene Stühle um den Eßtisch und ein Flügel; Oberösterr. Nachr. 2.11.1996 Im Gegensatz dazu wird das sogenannte Gobelingewebe als Möbel- und Wandbespannungsstoff auf Jacquardwebstühlen mit Grund- und Bindekette sowie mehreren Schüssen hergestellt. Der Unterschied zum echten Gobelin liegt darin, daß Gobelingewebe mechanisch produziert wird; Berl. Ztg. 29. 3. 2003 Im . . Untersaal sind Wände und Decken so wie in den meisten Schauräumen aufwändig verziert. Alte Möbel, Gobelins und Gemälde schmücken den Saal. gobelinartig: Fontäne 1890 Quitt (Romane u. Erz. V 404) Des weiteren aber lief, quer durch den Raum hin, eine Matte von Kokosfaser auf eine kleine Tür zu, deren gobelinartige Portiere Toby jetzt zurückschlug (DiBi 1); Armbruster 1952 Lux 67 das Zimmer mit den gobelinartig gemusterten blauen Tapeten; taz 8. 1. 1991 [die Künstlerin] hat z. B. die Technik erfunden, ihre mit Acryl bemalten Leinwände so viele Male in der Waschmaschine zu waschen, bis sich das Acryl um die Fasern gelegt hat. Dabei entsteht ein Wandteppich von gobelinartigem Charakter. gobelinieren: Genius 1933 Fremdwb. 370 gobelinieren . . gobelinartig weben; 2007 Website (Kunsthalle Ziegelhütte Appenzell) Die prachtvollen Gobelins allerdings sind zum Heimwerkervergnügen verkommen — im Kaufhof und bei WollRödel finden wir Stickvorlagen mit Motiven des 17. —19. Jahrhunderts, von Lorrain bis Spitzweg, die sich Gobelin schimpfen dürfen, obwohl sie nicht das Geringste damit zu tun haben. In der Kunst hingegen ist das Gobelinieren aus der Mode gekommen.
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Golem
Golem M. (-(s); -(s)), seit Anfang 17. Jh. vereinzelt, seit Anfang 19. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus hebr. (Ps. 139,16) gölem '(noch) Ungestaltetes, formlose Masse; Fötus; Erdklumpen, aus dem Adam geschaffen wurde; von Rabbinern aus Lehm geschaffene und durch Beschriftung mit dem Gottesnamen belebte Figur; plumper, ungeschickter Mensch' (zu galam 'zusammenfalten', also eigentlich 'Unentwickeltes'), anfangs auch vereinzelt in der Form Goltm. Der jüdischen Tradition und Sage entstammender Name einer aus Lehm geformten und durch Zauberei zum Leben erweckten stummen Riesengestalt von übermenschlicher Kraft, die (in einer jüngeren Version der Sage) vom legendären Rabbi Low im 16. Jh. zum Schutz der Juden im Prager Ghetto geschaffen und v. a. als Knecht beschäftigt wird, dann aber außer Kontrolle gerät und nach scheinbar unaufhaltsamem Zerstörungszug erst im letzten Moment gestoppt werden kann; seit der deutschen Romantik als bedrohliche (auch tragische) literarische Figur (vereinzelt auch weiblich, s. Beleg 1836) beliebt und seit Anfang 20. Jh. auch als Sujet von Theater, Oper und Film (—> Automat, —> Homunculus, —» Roboter; vgl. Androide, „Frankenstein"), in Wendungen wie sich einen Golem schaffen, die Kunst, Golems zu machen, die schaurige Legende vom Golem, der Golem stampft durch die Gassen und Zss. wie Golemgestalt, -legende, -literatur, -motiv, -mythos, -parabel, -sage, -Schöpfung, -schritte, -Unaufhaltsamkeit; Film-, Märchen-, Sagengolem, dann auch übertragen verwendet mit Bezug auf Personen in der Bed. 'großer, unförmiger, unbeholfener, ungeschlachter, roher, einfältiger Mensch' (s. Belege 1929, 1942; —* Koloss) bzw. 'als willfähriges Werkzeug eines anderen agierender (dabei aber letztlich unberechenbarer, gefährlicher) Mensch' (s. Beleg 2000) und v. a. mit Bezug auf Sachverhalte als Bezeichnung für ein Phänomen der modernen Welt (Nationalgefühl, Technik, Naturwissenschaft, Atomenergie), das entgegen der ursprünglichen Absichten seiner Schöpfer nicht mehr dem Menschen dient, sondern eine zunehmend unkontrollierbare, unaufhaltsam zerstörerische Eigendynamik entwickelt und so zu einer riesigen, ungeheuren Bedrohung wird (s. Belege 1930, 1990, 1993), in Wendungen wie der Golem Nationalismus, der Golem Technik, der Golem der Technologie; dazu seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung golemhaft, auch subst., und in jüngster Zeit golemartig. Golem: Brenz 1614 Jüd. abgestreifter Schlangenbalg 5 (Rosenfeld 39) [die Juden haben] eine Zauberey, welche Hamor Golim genannt wird, da machen sie ein Bild von Laymen, einem Menschen gleich, zischpern oder brumlen demselben etliche Beschwerungen in die Ohren, davon dann das Bild gehet; Tentzel 1689 Monatl. Unterredungen 1145 f. damit sie ihm seine Krafft/ vor welcher sich die ändern alle fürchten müssen/ wiederum benehmen/ so löschen sie geschwind den ersten Buchstab . . an seiner Stirn aus . . Wenn dieses geschehen/ fällt der Golem (das ist sein Cabbalistischer Nähme) über den Hauffen/ und wird in dem vorigen Thon oder Leimen resolviret; Schudt 1714 ]üd. Merkwürdigkeiten H 207 Daher nennen die Juden ein solch Bild Golem, weil es die äusserliche Gestalt eines Menschen hat/ auch gehen und allerley Wercke verrichten kan/ aber nicht reden/ . . son-
derlich sollen die heutige Polnische Juden in dieser Kunst Meister seyn und den Golem offt machen/ dessen sie sich in ihren Häusern/ wie sonsten die Kobalden oder Hauß-Gcister/ zu allerhand HaußGeschäfften bedienen; Grimm 1808 Kleinere Sehr. IV 22 Die polnischen Juden machten nach gewissen gesprochenen gebeten . . die gcstalt eines menschen aus thon oder leimen, und wenn sie das wunderkräftige schemhamphoras darüber sprechen, so muß er lebendig werden. . . sie heißen ihn Golem, und brauchen ihn zu einem aufwärter, allerlei hausarbeit zu verrichten; Arnim 1812 Isabella (Romane u. Erz. // 507) Diese Golems sind Figuren aus Ton nach dem Ebenbilde eines Menschen abgedruckt, über welche das geheimnisreiche und wunderkräftige Schemhamphoras gesprochen worden, auf dessen Stirn das Wort Aemaeth, Wahrheit, geschrieben, wodurch sie lebendig werden, und zu
Golem allen Geschäften zu gebrauchen wären, wenn sie nicht so schnell wüchsen, daß sie bald stärker als ihre Schöpfer sind (DiBi 1); Heine 1836 Rotnant. Schule (W. u. Br. V 120) Ein Golem; nämlich eine Figur von Lehm, welche ganz wie ein schönes Weib geformt ist und wie ein schönes Weib sich gebärdet. Auf der Stirn, verborgen unter den schwarzen Locken, steht mit hebräischen Buchstaben das Wort „Wahrheit", und wenn man dieses auslischt, fällt die ganze Figur wieder leblos zusammen, als eitel Lehm (DiBi 1); Droste-Hülshoff 1844 S. W. l 439 Der Golem wandelt mit bekanntem Schritte,/ Er spricht, er lächelt mit bekanntem Hauch,/ Allein es ist kein Strahl in seinem Äug',/ Es schlägt kein Herz in seines Busens Mitte (DiBi 1); Scherr 1865 Blücher 11 197 Sie [Königin Luise] hat auf dieser Schmerzensreise überhaupt Viel gelernt. Unter Anderem, wie wir erfahren werden, daß die hochgelobte „Monarchie Friedrichs des Großen" im J. 1806 eben nur noch eine kernlose Hülse war, ein Golem, ein Spuk; Spielhagen 1868 Dorfkokette 74 daß der Konrad Krüger, der im schlcswig-holsteinschen Kriege getötet sein solle, schon um deswegen gar nicht habe getötet werden können, weil er überhaupt nie gelebt habe, sondern ein Golem gewesen sei, der sich von Zeit zu Zeit mit warmem Menschenblut auffrische; Gutzkow 1878 Schwulst 92 Ich muß es sein! Kuh's ästhetischer Golem mit dem jungdeutschen Maal an der Stirn!; Keller 1883 S. W. H 287 Launig erlog die Natur und bemalte den stattlichen Golem,/ Dann, auf sich selber gestellt, log das Gebilde sich durch (DiBi 75); l.iliencron 1903 Bunte Beute (X 26) So erschuf er einen Golem,/ Einen holzgeschnitzten Menschen,/ Tat belebend in den Mund ihm/ Einen Zauberspruch: den Sehern./ Unverdrossen, als sein Diener,/ Muß der Golem fegen, kochen,/ Kinder wiegen, Fenster putzen,/ Stiefel wichsen und so fort; Meyrink 1915 Golem 80 Man trägt doch um Gotteswillen nicht immerwährend, tagaus tagein die Erwartung mit sich herum, man werde dem Golem begegnen. In jenem Augenblick aber, bestimmt — ganz bestimmt, noch ehe ich seiner ansichtig werden konnte, schrie etwas in mir gellend auf: der Golem! Und im selben Moment stolperte jemand aus dem Dunkel des Torflures hervor; Wassermann 1920 Gast 16 Und wird euch denn nicht ebenfalls Angst, wenn ihr die Heraufkommenden betrachtet, diese Zuchtlosen, ihre Lust an der Raserei . ., ihren Götzendienst vor der Chimäre, den Kultus vor dem Golem, die grauenvoll ummauerte Isolierung eines jeden; Stratz 1929 Lill 191 Sie kennen die alte, schaurige Prager Legende von dem Golem — der furchtbaren, unbeseelten Tongestalt, die riesig durch die Gassen wandelt und ihren Herrn und Meister, den Menschen, in ihren Armen erdrückt. Hüten wir uns, daß wir nicht Golems aus uns ma-
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chen und, als tönerne Kolosse und Muskelkönige und Olympiasieger, an uns selbst zu Mördern werden; Voss. Ztg. 18. 10. 1930 Gelingt es dem Geist nicht, die Technik wieder unter seine Botmäßigkeit zu bringen, so wird dieser Golem unsere Welt zerstampfen; Rosenfeld 1934 Golemsage 42 drei Hauptwesenszüge des Golem, denen alle seine übrigen Eigentümlichkeiten untergeordnet sind: in der Schöpfung aus Lehm liegt eine Betonung der irdischen, materiellen Herkunft des Golem, im Knechttum seine Abhängigkeit vom Meister, in der Wirkung des Sehern wie überhaupt in der Möglichkeit der Existenz des Golem sein Außerweltliches, Wunderbares, Geheimnisvolles; Singer 1942 Gettotag 40 Sie ziehen an, was der ausgemergelte Körper tragen kann. Die dürren Gestalten verwandeln sich in klobige Golem. . . Ein wahres Wunder, dass sich die Menschen überhaupt bewegen können, so monströs sind diese Gestalten; 1943 Geopolitik 328 den rationalistischen Kolonialausstrahlungen Europas in die Plutokratie der USA und den Bolschewismus der Sowjetunion hinein — dort zwei „Golems", Maschinenmenschen-Anhäufungen, bildend; Strittmatter 1957 Wundertäter i 418 Er setzte einen Stiefel vor den anderen, ging und ging, ein Golem, der durch Paris stampfte; Fischer 1966 Kunst 87 Nicht nur die Industrie, auch der Mensch wird automatisiert. Der Schauder der Romantik vor dem Golem, dem Automaten, der Maschine, die . . in Menschengestalt wie lebend umhergehen, weicht dem Entzücken an der technischen Perfektion; Mayer 1975 Golem 24 Stellt der Homunculus einen Ausdruck dar für den optimistischen Versuch, die Natur durch menschliche Kunst zu verbessern . ., so versinnbildlicht der Golem einen grundsätzlichen und letztlich unüberbrückbaren Abstand, die Dualität zwischen Geist und Materie, Schöpfer und Geschöpf; Heym 1988 Nachruf o. S. Da erkennt S. H. plötzlich, welchen Golem er sich geschaffen hat. Auf die Veröffentlichung seines Vorschlags muß notwendigerweise die Realisierung folgen, die Anfänge einer Organisation, für die er gezwungen sein wird, sich aufzureiben; taz 21.8.1990 So wenig wie Lenin, der am Ende seines Lebens, von Gehirnschlägen gelähmt, vor seinem eigenen Golem, dem Sowjetstaat und Parteiapparat, tödlich erschrak; 1993 FAZ o. Nr. Wenn noch lange an dem Golem „neuer deutscher Nationalismus" geknetet wird, wird er womöglich tatsächlich noch einmal lebendig; Frankf. Rundsch. 25.11. 1997 Die Geschichte des Prager Golem, der der Kontrolle seines Schöpfers entkommt, wie auch Karel Capeks moderne Vision derselben Geschichte über den Roboter, der der Kontrolle trotzt, haben uns ein neues Bewußtsein
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Golf1
dafür eingeflößt, daß die Welt, die wir geschaffen haben, uns unbegreiflich bleibt; Zeit 20.8.1998 Der baldige Rückzug in den Alltag, . . das ist ihre [der Tschechen] Form der Verweigerung gegen . . den „Weltgeist" (der nun Globalisierung heißt), gegen die Nachbarn, die ihnen als allzu große, als allzu plumpe Golems erscheinen. Deutsche und Russen gelten in allen Umfragen als die gefährlichsten; Berl. Ztg. 1. 3. 2000 Nun hat sich Beresowski einen Golem namens Putin geschaffen und seine Liebe zur Demokratie durch die Liebe „starke Hand" ersetzt, die seine Besitztümer schützt. Demokratie hat ausgedient. golemartig: Berl. Ztg. 12.10.1999 Wie soll man die Gedichte von Adolf Endler erklären? Sie sind aus vielerlei Materialien kunstvoll-kunstlos zusammengebacken, aus Dreck und Lehm sozusagen, aus Tradition und Versgeklingel, verfüllt mit dem Müll des zeitgenössischen Denkens . ., golemartige Gebilde von höhnischer Lebendigkeit; taz 29. 6. 2000 der Überlebenskampf in „Quest" von Thomas Stellmach, dessen Protagonist eine golemartige
Sandfigur ist, die auf der Suche nach Wasser durch wunderliche, komische Endzeitwelten taumelt. golemhaft: Th. Mann 1924 Nachtr. (W. X//J 301) Man kann den Gefühlen symbolischer Ergriffenheit Ausdruck geben, die dies merkwürdige Sprach- und Phantasiegebilde in seiner golemhaften, erdenschwer tappenden und blinden Undeutlichkeit erregt, aber man kann es nicht analysieren; Colerus 1929 Kaufherr 12 Doktor Roger, der gleichgültig in seiner eigentümlichen Art hatte weitergehen wollen (wie der Golem, hatte meine Frau einmal gesagt), kehrte um und setzte sich zu uns. Dieses Golemhafte war allerdings etwas Psychisches. Denn er war eher zart als robust; Rosenfeld 1934 Golemsage 118 Da der Golem den auftretenden Frauen liebenswert erscheinen soll, muß aus [ihm] .. ein tragisches, mitleiderregendes Geschöpf werden. Ein Menschliches wird in ihm betont und in einen tragischen Konflikt mit seinem Golemhaften gebracht; taz 4. 10. 1995 nach Ägypten . ., wo die Damen sich einen Mann aus Lehm nach Wunschmaßen gebaut haben — der dann aber naturgemäß ein golemhaftes Eigenleben führt.
Golf1 M. (-(e)s; selten -e), anfangs vereinzelt auch F., Mitte 14. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. golf o (< gleichbed. spätlat. colp(h)us, culpus, gulpus, colfus, culfus, gulfus, über spätgriech. zurückgehend auf altgriech. 'Busen, (Mutter-) Schoß; Gewandfalte, Bausch; busenartige Vertiefung, Meerbusen, Bucht; Talgrund; Wölbung, Höhlung', eventuell zu 'hohl, ausgehöhlt'; vgl. span., port., provenzal. golfo, frz. golfe, engl. gulf), anfangs auch (teilweise mit Anlautverhärtung) in den Formen chulf(us), culph(us), kulpf, galff, gulff, göelff, gelff, golff, bis ins frühere 18. Jh. häufig in der ital. Form. Zunächst meist in Berichten über Pilgerfahrten nach Palästina, dann in Reise- und Länderbeschreibungen in der Bed. '(nach angrenzenden Ländern oder Städten benannte, schmale oder weite) Einbuchtung des Meeres ins Festland, größere Meeresbucht, Meerbusen' (vgl. Bay), vereinzelt auch 'Wegstrecke auf dem offenen Meer' (s. Beleg 1557), 'Meerenge' (s. Beleg um 1600), gelegentlich 'Abgrund, Schlund' (s. Beleg 1740) und 'Strudel, Wirbel', auch bildlich (s. Beleg 1801), in Wendungen wie ein tiefer, weiter, lieblicher, prächtiger Golf, Adriatischer, Magellanischer, Persischer Golf, Golf von Neapel, Biskaya, Bengalen, Mexiko, durch/über einen Golf fahren, die Einfahrt des Golfes (passieren, verminen) und in Zss. wie Golfküste, -strand, -schifffahrt und bes. Golfstrom, Anfang 19. Jh. aus engl. gulf stream lehnübersetzte Bezeichnung für die (1770 von B. Franklin kartographierte) aus dem Golf von Mexiko in den Nordatlantik fließende (und für die klimatischen und meteorologischen Verhältnisse Europas und Nordamerikas sehr wichtige) warme Meeresströmung, auch übertragen und bildlich (s. Belege 1829, 1899, 1959), in jüngster Zeit bezogen auf Verhältnisse und Ereignisse am Persischen Golf (s. Belege 1971, 1984, 1993, 1998), z. B., Aufmarsch, Eskalation am Golf; Golfanrainer (-Staaten), -emirate, -lander, -region, -Staaten, -krise, -rat sowie v. a. (erster, zweiter, dritter) Golfkrieg
Golf
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'militärische Auseinandersetzung zwischen den (am Persischen Golf liegenden) Ländern Iran und Irak 1980—88 sowie dem Irak und US-geführten alliierten Streitkräften 1991 und 2003'. Jacob von Bern 1346 (Röhricht, Pilgerreisen 49) do wir chamen zu der chullfen zu Satellia, mitten in den zwaihundert meil von dem sucht unns got haim, wann der selb chulfus macht sollich guss und tunnen sieg ainen ganntzen tag und ein nacht, das wir über hundert malen scheffbruchung besorgten; Georg Pfintzing 1436 (Röhricht, Pilgerreisen 69) Dornach am suntag an der zwelffpoten tag füren wir durch einen weyten und schönen culphum und der wint was für uns und komen gen Rodis an allerheyligen tag; Brunner 1470 Jerusalemfahrt (Zs. d. dt. Palästina-Vereins XXIX 25) am dinstag frue füren wir zu Rodis aus unnd kamen uff den abet uff den golff sandt Helene, und ist doselbst das mere sere ungestüme; Rieter d. J. 1479 Reisebuch 111 an dem gepirg Süess da endett der golff des roten meres, der von Althor da hin gat; Peter Rindfleisch 1496 (Röhricht, Pilgerreisen 323) wir seind von Zara kommen auf 2 deutsche meilen zwischen den bergen und man haists auff dem Göelff, da ist ein grosser windt kohmmen; Adelpbus 1513 Türck. Chronica (Ausgew. Sehr. II 380) Item uf den achtzehenden tag des monats ist sein armada gefaren uß dem golff von Leponto mit .ccc. segelen; Otto Heinrich, Pfalzgraf bei Rhein 1521 (Röhricht, Pilgerreisen 375) St. Helena sey über diessen Golff gefahren unndt hab heyltumb Sachen unsers herrn Negel allda dor eingesenckt, die Ungestimmigkeit diesses Golffs zu sturen, olss dann geschehen, dor fer hat dieser Golff des mers so sehr gewüt, dass man nit oder kaum hat mit grossen sorgen mögen fahren; Franck 1534 Weltbuch 209b von Cannonor fort man gegen Ethiopiam über ein cholfen des mors bey 3 tausent meil, und kumpt zu einer insel Mozambich (DWB); Federmann 1557 Reisen 9 das wir von der Gemoria auß, neinhundert meil wegs faren, ehe und wir land sehen. Disc fart ist der gröst Golffo, des Occianischen Mors, und bißher ahn keinem ort der weit, khain grösserer Golffo, da man lenger ahn land zuerraichen faret, erfaren oder geschiffet worden; Rauwolff 1582 Reise 478 Also seind wir endtlich kommen zu dem grossen vnnd sehr tieffen Golfo Carnaro . . Diser Golfo ist inn 100 meylen lang/ vnnd 30 brait/ das im haiteren wetter sein braite gantz wol zu vbersehen; Bueseck 1587—88 (Röhricht, Pilgerreisen 460) Zwischen Cippern unnd Candia ist diesser Golf sehr böss; 1598 Orientalisch Indien II 30 so kommen sie an ein klein Golfo/ oder Ingang deß Meers/ von den Portugalesern Enseda genandt; Kiechel um 1600 Reisen 211 dann wür wollten von do iber das canal oder golfo
nach Calabria zufaren; Megiser 1613 Nort Welt 80 darbey das Eyß Meer ein Schoß oder Golfo hab; Furttenbach 1627 Itinerarium Italiae 62 Von da an erstreckt sich ein grosser Golfo, oder gar ansehenlicher Meerhafen/ der bey seiner Einfahrt wol .5. Meil offen; Mandelslow 1645 Reise 7 In dieser Zeit müssen sich alle Schiff von dieser Coste hinter Capo Comorien zu der Coste Cormondel und in dem Golfo Bengala retiriren (KLUGE, Seemannssprache); Schweitzer 1688 Journal 112 an[no] 1678 ist er widerumb selthin gefahren, und wie gemutmasset wird, in dem daselbigen Golfo, mit seinem Schiff und Leuten deß Nachts in einem Orcan umbgekommen (KLUGE, Seemannssprache); Roberts 1717 Severambes 26 allwo wir die See/ und an der Ober-Seite eines Meer-Schosses/ den dieselbe allhier machte/ andere Bäume sahen. Dieser Golff oder Meer-Schoß war gelegen zwischen zweyen grossen Vor-Gebirgen/ die sich sehr weit in die See erstreckten; Marperger 1726 Anleitung 41 [man nennt] Golfo, einen weit und breit sich zwischen zwey zu beyden Seiten habenden vesten Ländern, hinein erstreckenden, aber keinen Ausgang habenden Theil des Meers, oder grossen Meer-Busens, eine Baye, eben das, jedoch weit kleiner, und nur etwan zwischen 2. Gebürgen hinein gehenden Wasser-Busen oder Kessel, in welchem die Schiffe sicher anckern und liegen können; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 279 Golfo, ist ein Meerbusen oder ein grosser und schmaler Arm von einem Meer, welcher zwischen zwey Vorgebürgen sich ins Land hinein erstrecket, und gemeiniglich den Zunahmen von dem angräntzendem Lande bekommt; Bodmer 1740 Krit. Abhandlung 131 Jaget sie bis an das äusserste Ende des Himmels und stosset sie von Gott und der Seligkeit aus, in ihre Gerichtesstätte, den Golfo des Tartarus, welcher sein feuriges Chaos schon weit aufspärret, sie im fallen zu empfangen (DiBi 125); Danziger Ztg. 21. 7. 1798 Nach ändern Berichten soll eine Engl. Flotte in dem Golfo von Neapolis eingelaufen seyn; Seume 1801 (Planer-Reißmann 303) die peripherie mit den Vorstädten ist für mich ein wahrer gulph, in den ich . . mich mit betäubung verliere (DWB); Jean Paul 1803 Titan (W. I 3,614) Wie eine Sphinx lag dunkel das zackige Kapri am Horizont im Wasser und bewachte die Pforte des Golfs; Goethe 1816-17 Italien. Reise (HA XI 323) Nun ich alle diese Küsten und Vorgebirge, Golfe und Buchten . . im Geiste gegenwärtig habe, nun ist mir erst die Odyssee ein lebendiges Wort; Grabbe 1829 Don Juan (Ges. W. II 336) Als mich, zwischen HöllY
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Golf 2
Und Himmel irrend, jener Golfstrom, der/ Aus ihrem Blick in Feuerfluten strömt,/ Aus kaltem Schlamm, von der Verzweiflung Meer/ Umflutet, losriß und geläutert an/ Der Wellen Oberfläche spülte; Bobrik 1848 Handb. d. Seefahrtskunde l 217 Sobald der Aequinoktialstrom des Atlantischen Ozeans das Karaibischc Meer durchschnitten hat . . und . . in den Meerbusen oder Golf von Mejiko eingetreten ist, erhält er den Namen Golfstrom. Vorzugsweise führt er jedoch den Namen Golfstrom längs der Ostküste von Nordamerika; Goedsche 1855 Sebastopol I 35 zur Seite einschneidend die Wässer des Golfs zwischen den Bergen, eine Bucht tief hinein, deren Ufer von den zierlichen Landhäusern des Dorfes Bournabat besetzt sind (DiBi 125); Brommy 1865 Marine 21 Ausser dem grossen Golfstrome giebt es in verschiedenen Theilen des Meeres Ströme, welche abwechselnd Ost oder West fliesscn; Auswanderer-Ztg. 2. 10. 1871 New-Orleans und seine Vorstädte sollen, wie es scheint, unrettbar dem Verderben geweiht sein. Vor einigen Jahren prophezeite ein Gelehrter der Crescent City einen Erdrutsch, welcher die schöne Golfstadt und Alles, was darum und daran hängt, demnächst in den mexikanischen Meerbusen schleudern sollte; Proelß 1891 Modelle 66 in dem herrlichsten der Meercsgolfe, welche die Sonne Italiens bescheint; Ilse Prapan 1899 Wir Frauen 101 das heiße, leidenschaftliche Gefühl! Dieser freie Ueberschuß, der nicht einem Einzelnen, sondern der Menschheit gilt, er wird die ganze Erde umfassen, ein warmer, sanfter Golfstrom, wird er die
kalte Erde heizen von Pol zu Pol, und behaglich wird den Menschen werden (DiBi 45); Rilke 1923 Orpheus (S. W. l 767) Städte entstanden trotzdem an beseligten Golfen,/ Wasser und Öl füllten die Krüge trotzdem (DiBi 1); Frisch 1957 Homo faber 17 Ich rauchte, Blick zum Fenster hinaus: unter uns der blaue Golf von Mexico, lauter kleine Wolken, und ihre violetten Schatten auf dem grünlichen Meer; Süddtsch. Ztg. 27. 10. 1959 In diesem Zusammenhang fand der künstliche „Golfstrom" Beachtung: das Kühlwasser, das etwa 10 Grad wärmer ist als das Mainwasscr, bewirkt bei seinem Abfluß in den Hafen, daß dieser auch im strengsten Winter eisfrei bleibt; Bildztg. 26. 5. 1967 Zum erstenmal seit der Verminung der Einfahrt des Golfes passierten gestern zwei Schiffe die Meerenge; FAZ 15. 2, 1971 Das Abkommen, das am Sonntag von Vertretern der sechs Golfstaaten und dem Delegationsleiter der westlichen Ölgesellschaften . . unterzeichnet worden ist, soll fünf Jahre laufen; Zeit 28. 12. 1984 Der Golfkrieg weitete sich nicht aus. Iran und Irak gruben sich an der Front ein . . Die Anrainerstaaten des Golfes konnten sich aus dem Gemetzel heraushalten; Spiegel 2. 8. 1993 Um den Triumph am Golf möglichst makellos erscheinen zu lassen, waren Schwarzkopf auch Falschmeldungen recht; Berl. Ztg. 30. 1. 1998 Der US-Flugzeugträger „Nimitz" kreuzt mit 70 Flugzeugen an Bord im Golf; Hamb. Morgenpost 22. 9. 2006 Es traf die Ärmsten der Armen: Ein heftiger Sturm über dem Golf von Bengalen hat in Indien und Bangladesch mindestens 69 Menschen getötet.
Golf2 N., selten auch M. (-s; ohne PL), seit späterem 18. Jh. zunächst v. a. in Reisebeschreibungen, erst seit Anfang 20. Jh. allgemein nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. engl. golf ungeklärter Herkunft (wohl zurückgehend auf Mitte 15. Jh. urkundlich erwähntes schott. gowf, gouff, goulf 'Schlag mit der flachen Hand' bzw. gowf 'schlagen', der Zusammenhang mit niederl. kolf, kolfen 'Schläger, Kolben', verw. mit dtsch. Kolben, ist umstritten). Anfangs auf schottische Verhältnisse bezogene Bezeichnung für das Rasenballspiel, bei dem ein Hartgummiball auf einem 20—50 ha großen, naturnah gestalteten Gelände mittels verschiedener Schläger über unterschiedlich lange, mit Hindernissen versehene Bahnen mit möglichst wenigen Schlägen in insgesamt 9 oder 18 Löcher gespielt werden muss, wohl aus Schottland stammend und Ende 19. Jh. in Deutschland eingeführt, als typische Sportart v. a. gehobener und wohlhabender Kreise, von daher meist konnotiert mit „vornehm, teuer, exklusiv", auch eher pejorativ „elitär, snobistisch", in Wendungen wie (eine Partie) Golf spielen, sich zum Golf verabreden und subst. und adj. Zss. wie Golf spiel (er), -profi, -trainer, -lehrer, -talent, -sport, -match, -partie, -turnier, -meisterschaft, -saison, -club, -platz, -anläge, -ball, -schläger, -lasche, -socken, -schuhe, Bahnen-/Klein-/Pisten-/Minigolf 'auf kleinen betonierten Bahnen gespielte Variante des Golfspiels'; golfsüchtig, -interessiert, -be-
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geistert, -ver-/-besessen, -sportlich, -technisch, golfsportfreudig; dazu gleichzeitig die aus gleichbed. engl. golfer entlehnte Personenbezeichnung Golfer M. (-s; -, selten auch -s), auch Golferin F. (-; -nen) 'Golfspieler/-in\ in Wendungen wie ein begeisterter, leidenschaftlicher, erfahrener Golfer, das Mekka der Golfer und Zss. wie Golferkreise, -szene, -leben, -jargon; Amateur-, Freizeit-, Hobby-, Meister-, Profi-, Spitzen-, Weltklassegolfer(in), mit der in jüngster Zeit aufgekommenen adj. Ableitung golferisch 'das Spiel des Golfers betreffend', in Wendungen wie golferisches Können, Wissen, Talent, golferische Qualitäten; dazu die im früheren 19. Jh. vereinzelt, in neuerer Zeit kontinuierlich belegte, aus gleichbed. engl. to golf entlehnte verbale Ableitung golfen V. intrans. 'Golf spielen", in Wendungen wie um die Wette/die Meisterschaft golfen, es darf gegolft werden, mit jmdm. golfen (gehen), beim Golfen und Zss. wie Cross-, Öko-, Vereinsgolfen. Golf: Smollet 1772. Klinkers Reisen (Übers.) U 232 Dicht dabey auf einem Felde, das sie Lincks nennen, ergötzen sich die Einwohner aus Edimburg mit einem Spiele, Golf genannt; hierbey bedienen sie sich artig gemachter Ketzer, die mit Hörn eingefaßt sind, und kleiner elastischer Bälle von Leder mit Federn ausgestopft . .; diese schlagen sie mit einer solchen Gewalt und Geschicklichkeit von einem Loche zum ändern, daß sie eine unglaubliche Weite fortfliegen; 1780 Allg. dtsch. Bibl. (Anh. z. Bd. XXXVU-L1I) 1291 golf ist eine an ballspiel, das in Schottland sehr beliebt ist (DWB); Sollau 1808 Reise durch Schottland l 90 ich begleitete heute eine gesellschaft von vier herren nach einem rasenplatze . . wo sie sich drei stunden lang mit einem spiele belustigten, welches diesem lande eigcnthümlich ist, golf (spr. gohf) genannt (DWB); W. Grimm 1819 Kl. Sehr, l 373 ähnlich ist das schottische golfspiel, nur ausgebildeter (DWB); Beer 1838 Neuestes Fremdwb. o. S. Golf . . ein schottisches Spiel, bei welchem ein Ball nach gewissen Regeln in ein ausgegrabenes Loch getrieben wird; Kohl 1844 Schottland I 181 Denn .. das zweite große schottische Nationalspiel ist der Golf. . . Auch für den Golf giebt es große und berühmte Clubs in Edinburgh; Eberbach 1901 Rasenspiele l 20 Nicht unerwähnt kann ich lassen, dass das Golfspiel eins der wenigen Spiele ist, welches nicht nur von der Jugend, sondern auch vom Alter mit grösstem Nutzen und Vergnügen getrieben werden wird; Meisel-Hess 1911 D. Intellektuellen 116 Mit derselben zähen Hartnäckigkeit, mit der er sich bei einem Automobilrennen oder bei einer Golfpartie ganz in die Situation versenkte, nichts sah und hörte, als was mit dem Match zusammenhing (DiBi 45); Rubiner 1917 Zurufe (Rubiner 1976 Dichter 43) Die dichten Wiesen so sanft wie große Tieraugen, weit drüben vorm Wald staunt wie Hornton das rote Kleid einer Golfspielerin im Abendglück (DiBi 1); B. Z. am Mittag 2.5. 1929 Die meist schon stark angegrauten Golfberichter-
statter der großen Londoner Blätter singen ein Trauerlied darüber, daß Golf in England von seinen olympischen, gesellschaftlichen und finanziellen Höhen in die „niederen" Regionen des Volkssportes hcrabgestiegen sei; Lokal-Anz. 10. 7. 1934 Das golfsportfreudige Frankfurt am Main übergibt bereits in wenigen Wochen den ersten deutschen Volksgolfplatz der Oeffentlichkeit; ebd. 18.10. 1934 Obgleich Golf in Deutschland noch recht jung ist und erst um die Jahrhundertwende hier Eingang fand, besitzen wir doch schon mehr als 50 Golfplätze, die . . selbst die verwöhntesten Spieler befriedigen; Welt 18. 6. 1949 Auch Golf ist ein ausgezeichneter Sport; es fördert die graziösen Bewegungen ebenso wie Fechten und Bogenschießen; Lenz 1959 Brot u. Spiele (W. IV 133) und ich hörte, wie sie sich geringschätzig über die Golfplätze in der Bundesrepublik unterhielten; es mußten furchtbare Plätze sein, alles nur Wiesen mit Kuhscheiße und Maulwurfshügeln drauf, denn sie ließen kaum einen Platz gelten; Welt 25. 7. 1969 Golf könnte auch in Deutschland wesentlich billiger sein, wenn die Gemeinden den Bau öffentlicher Golfanlagen finanzieren würden, auf denen jeder — wie beim Minigolf — für eine geringe Gebühr seine Runden spielen kann; Mannh. Morgen 8. 6. 1985 Als positives Beispiel wurde der Golfsport in England als Möglichkeit angeführt, daß eine Sportorganisation Mitträger des Naturschutzes sein kann; 1995 FAZ o. Nr. Erst mit dem langsam steigenden Wohlstand wächst auch das Interesse an Golf. Golfclubs, die einst mit Exklusivität warben, geben sich auf einmal fast volkstümlich; taz 27. l. 2005 „Beim Tennis, beim Golf und bei der Jagd", so Tiriac, „macht man die besten Geschäfte." golfen: Kohl 1844 Schottland l 182 Obgleich die Könige persönlich oft dem Golfen mit Leidenschaft ergeben waren, so suchte doch die Staatsgewalt zuweilen diese Leidenschaft bei den Leuten durch Verbote abzukühlen; Welt 18.2.1969 Wandern,
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reiten, golfen, Meerwasserbaden, radfahren, herumtollen, fröhlich sein . ., aktiv Urlaub machen, mit der ganzen Familie; taz 13. 9. 1988 Daß wenigstens in der Bundesrepublik das Golfen noch immer als Domäne der Reichen gilt, hat neben vielen anderen Gründen auch den, daß für die parklosen und beengteren Schichten nur Schrebergärten zur Verfügung stehen, wo Golfbälle die Gartenzwerge der Nachbarn gefährdeten; 1993 FAZ o. Nr. Kein Wunder, daß der golfende Zeitgenosse von Bahn zu Bahn eine neue Einstellung zur Natur bekommt, insbesondere zu Schilf und Morast. Das hämische Quaken der Frösche begleitet jeden Fehlschlag; Frcmkf. Rundsch. 18. 11. 1997 Auf dem 300 Hektar großen Gelände des Sporting-Clubs Berlin golft die Prominenz; Mannh. Morgen 16.5.2003 Für wohltätige Zwecke hat Netto mit Prominenten fast rund um den Globus gegolft. GolferAin: Smollet 1772 Klinkers Reisen (Übers.) II 232 Unter ändern zeigte man mir eine eigne Kammeradschaft Golfers, wovon der jüngste über achtzig Jahre alt war — Es waren lauter Männer, die von ihren eignen Mitteln lebten, und sich den grössesten Theil eines Sekulums mit diesem Spiele belustigt hatten, ohne es jemals müde, oder krank zu werden; Kohl 1844 Schottland I 182 Denn im Jahre 1744 votirte die Stadt Edinburgh den Golfern jährlich einen Silberbecher, um darum zu spielen; Eberbach 1901 Rasenspiele l 41 Nur wird bei [Damen] nicht jede Bewegung so weit ausgeführt, wie bei Herren. Hier tritt die natürliche Grazie in ihre Rechte, welche eine gute Golferin aber nicht verhindert, den Ball 200 m weit zu treiben; Voss. Zig. 1. 12. 1929 Morris entstammt einer hervorragenden Golferfamilie; Berl. lllustr. Nachtausg.
14.4.1932 In Wannsee siegten gestern bei den Wettspielen um die Aprilmedaillen der Golferinnen in Gruppe A: . .; Lokal-Anz. 6.11.1934 die USAGolfer Walter Hagen und Joe Kirkwood, die zu den Spitzenspielern der Welt gehören; Süddtsch. Ztg. 28. 5. 1963 Im Herbst hoffen die Golfer ihre Bälle zum erstenmal fliegen lassen zu können; Welt 25. 7. 1969 1949 spielten noch nicht einmal 1000 Golfer; Zeit 19. 4. 1985 Bernhard Langer, einziger Professional von Rang aus dem Golf-Entwicklungsland Bundesrepublik, gewann auf den Grüns von Augusta im US-Bundesstaat Georgia das Masters-Turnier, Traumziel aller Golfer; Salzb. Nachr. 14. 5. 1993 Eine Golf anläge bringt einem Fremdenverkehrsgebiet mehrere Vorteile: Golf ist imagefördernd . . Golfer sind einkommensstarke, relativ konjunkturunabhängige Zielgruppen; Berl. Morgenpost 19. 9. 1999 Sandrine Mendiburu glänzte bei der „Hannover Expo 2000 Ladies Open" der Profigolferinnen mit einem neuen Platzrekord von 64 Schlägen bei Par 72; Mannh. Morgen 3. 11. 2004 Ein Rekord-Teilnehmerfeld von insgesamt 120 Golfern, dazu spätsommerliches Wetter mit viel Sonnenschein und angenehm warmen Temperaturen — Golfer-Herz, was willst Du mehr? golferisch: 993 FAZ o. Nr. Die 18 Löcher von „Le Vivier" verlangen golferisches Können mit hügeligen Spielbahnen und Wasserhindernissen; Züricher Tagesanz. 26. 3. 1997 Er glaube, dass er auch golferisch besser geworden sei, dass er „mehr Schläge im Sack" habe; Mannh. Morgen 21.5.2004 Von den 156 gestern gestarteten Profis hat mindestens die Hälfte das golferische Zeug dazu, dieses Turnier (noch) zu gewinnen.
Goliath M. (-s; ohne PL), im späten 15. Jh. aus der Bibel (1. Sam. 17,4) übernommener Name des riesenhaften und schwerbewaffneten Kriegers der Philister, der, nachdem er 40 Tage lang die Israeliten herausgefordert und verhöhnt hat, von David mit einer Steinschleuder zu Fall gebracht und enthauptet wird; Herkunft und Deutung des Namens sind ungeklärt; anfangs auch in den (latinisierten) Formen Golyas, Golias sowie Golyat und Goliad. a Zunächst in uneigentlicher Verwendung des Namens der biblischen Figur meist zur Bezeichnung eines (über-)mächtigen Gegners und durchweg negativ konnotiert mit „feindlich, furchterregend, monströs, böse; von übermenschlicher Körperkraft, aber tumb; prahlerisch, überheblich, eitel; gotteslästerlich", in z. T. sprichwortähnlichen Wendungen wie der/ein Kampf Davids gegen Goliath 'siegreicher Kampf eines Schwachen gegen einen (eigentlich) weit überlegenen Gegner, ungleicher Kampf, der wider Erwarten vom Schwächeren gewonnen wird', den Goliath mit seinem eigenen Schwert schlagen (z. B. 'Andersgläubige mit Stellen aus deren eigenen heiligen Texten überzeugen/bekehren') und in Zss. wie Goliathbezwinger, -gehabe, -schwert, -spieß, -streiche, Goliathskopf; goliathstark.
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b Seit früherem 18. Jh. als Appellativum Goliath M. (-s; -e, auch -s) entweder bezogen auf Personen für 'großgewachsener, kräftiger, riesenhafter Mann, Riese, Hüne' (—* Gigant, —» Koloss, vgl. Lulatsch; Ggs. David 'Mann von geringer Körpergröße'), in Zss. wie Goliathstatur, 2,10 m-Goliath, oft auch übertragen in Bezug auf bedeutende Persönlichkeiten (s. Belege 1792, 1835, 1874, 1990), in Wendungen wie ein wahrer/der reinste Goliath, die Goliathe unter den Genies, die Goliaths der Tenniswelt, oder allgemeiner mit Bezug auf andere Lebewesen, Objekte, Korporationen von ungewöhnlicher Größe (s. Belege 1745, 1854, 1855, 1909, 1949, 1971, 1985, 1997, 2002), gelegentlich auch konnotiert mit „allzu groß, bedrohlich", in Wendungen wie der Goliath unter den Fluggesellschaften, ein Goliath von Turm, die kommunistischen Goliaths ('China und Sowjetunion') und v. a. als Bestimmungswort in der Bed. 'Riesen-' in Zss. wie Goliathfrosch, -käfer, -lokomotive, -messer, -schiene und als Grundwort in Zss. wie Branchen-, Chemie-, Fastfood-, Wirtschafts-, Fußball-, Kran-, Hundegoliath; dazu Anfang 20. Jh. die okkasionelle adj. Ableitung goliathmäßig 'riesig, riesengroß'; vgl. daneben die fachspr. Bildungen (Entomologie) Goliathus und Goliathiden zur Bezeichnung einer Gattung bzw. Familie riesenhafter Käfer (vgl. oben Goliath käfer). Dazu seit frühem 16. Jh. die seltene adj. Ableitung goliathisch 'großmäulig (FRNHD.WB), prahlerisch, jähzornig (wie der biblische Goliath)', in Wendungen wie goliathisches Lästern, goliathisch toben (zu a), bzw. 'von bes. hohem Wuchs, bes. großgewachsen, riesig; riesengroß' (zu b); dazu die Mitte 19. Jh. vereinzelt belegte französisierende subst. Ableitung Goliatherie F. (-; PL nicht belegt) 'Großsprecherei' (zu a). Goliath a: Folz um 1480 Meisterlieder 372 nembt daz swert des geists, das do ist das wort Gots, uff das . . mit den czeugnußen des gesetz und der propheten der hochfertig Golias, das ist das jüdisch volk, gleich als mit seinem eygen swert werd überwunden; Luther 1521 W. (WA Vll 660) Wo bistu nu, Goliath Emser, mit deynem spieß und schwerd? du hast diß schwerd an dich gürttet, vnnd lessist dir den kopff damit abhawen, wie hettistu ynn der gantzen Biblien mocht eynen Spruch finden, der mir ßo woll wider dich dienet als diser? . . Nu, weyl ich dir das schwerd abgürttet hab, unnd deyner vormessenheit den kopff abschlagen, wollen wir wider auff deynen spieß, degen und gantzen hämisch kummen, ich hoff, ich will eynen todten Goliath wol außtzihen und den kopff empohr tragen; ders. 1542 S. W. Llll 286 den Goliath mit seinem eigen seh wert schlagen (DWB); Nas 1581 Examen 378 Behütt GOTT/ behütt/ vor GabelStichen/ wol ein Schrecklicher Goliath/ Sieben in einem Streich; 1669 )us Potandi D3a Hat einer so grosse Lust zu disputiren, je der begebe sich ins Auditorium uff die Cathedram, und ist wol ehe einer auffgetreten/ der zuvor zu Hause in Gegenwart der Frau Wirthin/ grosse Goliathsstreiche vorgab/ hundertjährige Eichbäume/ und Berge versetzen wolte/ hernach aber ihm der Fetzer so enge worden/ daß er kaum so viel als ein Fisch . . können reden; Phtlippi 1743 Reimschmiede-Kunst 127
So ist es denen Kampf-Regeln gemäß, daß höchstens nur ein poetischer Goliath oder Riese gegen uns auftrete, und einen von uns heraus fordere; da ich denn vielleicht Herz genug habe, auf etliche Schleuder-Steine, weil ich ihm sonst nicht an den Kopf würde kommen können, es mit ihm anzunehmen; Sonnenfels 1769 Theresie 66 die ohne Zweifel witzigsten Schriftsteller . ., die Deutschland von Ewigkeit her gebohren hat, die aber ohne Zweifel auch keine einzige Zeile geschrieben haben, die bey einer standhaften Untersuchung Stich hält — Wo sind sie, diese unbehülflichen Goliats, daß mein David mit seiner Hirtentasche und dem Schäferstabe, sie in den Sand hinstrecke?; Lang 1792 Memoiren l 246 ließ sich eine günstige Stimmung für die Grundsätze einer politischen Restauration . . mehr unter der übrigen Bürgerschaft, als bei der Universität selbst vernehmen, wo überdies noch das winzig kleine Männlein Girtanner auf allen Plätzen seine Schleudern gegen den bösen Goliath schwang; Dingelstedt 1839-43 Wanderbuch (V 184) Mich reizt dieser gewaltsame, erlogene Humor nicht mehr zum Lachen, und euer groteskes Genre [Winterlandschaften mit bäuerlichen Szenen] däucht mich eine schale Goliaths-Bouffonnerie, wenn ich es an zwei winzige Davide des alten Bundes halte, an David Teniers und an David Rykkaert; Hahn-Hahn 1860 Maria Regina (Ges. W. II 274) die Demut ist ein David, welcher den Goliath
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des Stolzes besiegt (DiBi 45); Suttner 1889 Waffen II 42 Ein Anderer von den feindlichen Dragonern, ebenso goliathstark, knapp vor mir, faßt meinen Nebenmann an und biegt ihn so kräftig im Sattel nach rückwärts, daß ihm . . das Rückgrat bricht (DiBi 45); Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. XU 860) alles, was die Zeit uns erdulden läßt, wird überwogen von dem jungen Glück des Geistes, sich in der ihm ewig zugedachten Rolle wiederzufinden, in der Rolle Davids gegen Goliath, im Bilde Sankt Georgs gegen den Lindwurm der Lüge und der Gewalt; Zeit 24. 4. 1987 Der Bibelzorn des Elias Canetti bewegt Worte in der Größe der Quader alttcstamentarischer Tempelbauten. Es sind die Steine, die ein David auf Goliath schleudert, die Verkörperung der Macht. Im Tod haßt Canetti die Macht, die nicht besiegbar ist; 1993 FAZ o. Nr. Es geht vermutlich auf die amerikanische Neigung zur Personalisierung von Konflikten zurück, daß die Somalia-Aktion inzwischen die Form eines Duells zwischen den UN und dem Banditenführer Aidid angenommen hat — mit allen „David gegen Goliath-Effekten, die eine solche Simplifizierung hat; Berl. Ztg. 15. 3. 2003 Das Amoco-Mutterhaus mobilisierte über hundert Anwälte zur Abwehr. Doch der bretonische David siegte gegen den US-Goliath: Am 28. Juni 1984 erklärte der Bundesrichter Franck McGarr die Ölfirma für schuldig. Goliatherie: 1867 Mag. d. Auslands XXXVI 691b Aber es ist in der Literatur wie im lieben Alltagsleben: — hinter der lautesten Anmaßung steckt oft nur die kläglichste, sich in eitler Selbstüberschätzung wiegende Unzulänglichkeit . . müssen wir jetzt, nachdem wir, herausgefordert durch obige Goliatherie, das Werk der kritischen Lupe unterzogen, mit aller Entschiedenheit gegen den werthlosen Dilettantismus Front machen. goliathisch: Luther 1521 W. (WA VII 660) Wo bistu nu, Goliath Emser, mit deynem spieß und schwerd? . . ich hoff, ich will eynen todten Goliath wol außtzihen und den kopff empohr tragen, yderman zu schawenn geben deyne frevel, drewen und Goliatisch lesternn: laß sehen, wo nu der Bapst, deyn abgot, wil bleyben mit seynen gesetzen; Großmann/Schwarzschild 1926 Tage-Buch VII162 Präsident Millerand, der nach der Besetzung Frankfurts von dem goliathisch tobenden David Lloyd George „wie ein Schuljunge gescholten" wurde und seitdem nicht zärtlich auf den Magister aus Wales blickt. Goliath b: Stoppe 1745 N. F. I 256 Packan, ein großer Fleischerhund,/ Ein rechter Hundegoliath,/ Der bey den Hunden in der Stadt/ In trefflich gro-
ßem Ansehn stund; Joh. G. Müller 1792 Briefw. 35 Daß Wieland, Göthe und andere Goliathe unter den Genies das Individuelle der Geschichte Jesu, Geburt, Auferstehung, Himmelfahrt, Weltgericht etc. nun endlich laut für poetische Einkleidung erklären, wundert mich nicht; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland I 66 An der nördlichen Kirchenwand hängt ein Gemälde, den großen Christoph vorstellend, den ungeheuersten, der mir vorgekommen ist. Er hat ein Goliaths-Schwert umgürtet, an dessen Gefäß ein Korb mit jungen Wallfischen hängt; Jean Paul 1809 W. l 6,103 Ich habe nämlich einen und denselben längsten Lakaienrock, den jeder tragen muß, Goliath wie David (DiBi 1); Heine 1835 W. u. Br. V 169 Äußerte ich mich in meinem Unmut über das alte, offizielle Deutschland, das verschimmelte Philisterland — das aber keinen Goliath, keinen einzigen großen Mann hervorgebracht hat (DiBi 1); Bettina v. Arnim 1840 Günderode (W. u. Br. l 287) auf einmal tut sich ein Loch am Boden auf, und unter der Erde kommt herauf ein in braunem Pelz eingehüllter Riese . ., er setzt sich in Trapp . . So marschierte denn der Goliath vor uns her (DiBi 1); A. v. Droste-Hülshoff 1842 Br. 130 Hier erwarten wir nächstens viel Besuch: einen weiblichen Goliath, Fräulein v. Dücker; Niendorf 1854 Paris 167 Darauf wird mit Goliathmesser der Crayon gespitzt, nach einem Papierbogen gegriffen, und endlich aus der Menge dieser, jener Zuschauer gezeichnet; &55 Prutz' Museum V 210 Dort liegen sie, die russischen Goliathe und Leviathans [Kriegsschiffe] des Schwarzen Meeres; riesige, träge, reglose Massen, nur ein und das andere unter ihnen sich schwerfällig und langsam, aber entsetzlich wie das Verhängniß vorwärts bewegend!; Dohm 1874 Emancipation 145 Die Materialisten des vorigen Jahrhunderts sind nur Zwerge im Vergleich zu diesem materialistischen Goliath, Herrn von Bischof, der den Daseinszweck der Hälfte des menschlichen Geschlechtes in einer animalischen Funktion sieht (DiBi 45); Marlitt 1885 Ges. Romane VI 167 Der gute Hans Billingen . . ! Der lange, dicke Goliath ist ein Hasenfuß, der ganz gehörig unter dem mütterlichen Pantoffel steht, und diese Mama ragt ebenso turmhaft und vierschrötig neben dem Sohne in die Höhe (DiBi 45); Alten 1909 Handb. f. Heer u. Flotte IV 308 Goliathschiene, eine Eisenbahnschiene von besonders kräftigem Querschnitt; Welt 1.11.1949 Es gilt, endlich die lähmende Schockwirkung nach dem verlorenen Feldzug in Palästina zu überwinden und den saft- und kraftlosen „Goliath" [Arabische Liga], der sich durch den israelischen „David" einfach überrumpeln ließ, lebens- und widerstandsfähig zu machen; Grass 1962 Blechtrommel 47 Kleine und große Leut', kleiner und großer Belt, kleines und großes ABC, Hänschenklein und Karl
Gondel der Große, David und Goliath, Mann im Ohr und Gardemaß; ich blieb der Dreijährige, der Gnom, der Däumling; FAZ 19. 3. 1971 marschiert der totgesagte Patient [FDP], gekräftigt wie selten zuvor, durch die politische Landschaft, demonstriert Stärke des David, kaum Dankbarkeit für den SPDGoliath, der ihm doch bei der hessischen Landtagswahl mit Wahlstimmenspritzcn den Exitus ersparte; Zeit 4. 1. 1985 Diese Demonstrationen fast vergessener Brüderlichkeit mit dem stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten . . bei seinem neuntägigen Chinabesuch ließen Erinnerungen an die fünfziger Jahre wach werden, als ideologischer Zwist und machtpolitischc Rivalität den Bund der kommunistischen Goliaths noch nicht zerrissen hatten; taz 5.2.1990 Die Überfliegersiege, die One-Man-Shows und erfolgreichen Fights gegen die Goliaths der Tenniswelt gehören zunächst einmal der Vergangenheit an; Neue Kronen-Ztg. 18. l. 1997 Die Davidfunktion der Stadt Linz — zwischen den „Goliathen Salzburg und Wien" — reizt ihn; Mannh. Morgen 19. 10.2002 Goliath trifft Zwerg — die Deutsche Kurzhaardogge Famous und Quirly, ein Kaninchen Rauhaar
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Teckel, beschnuppern sich vorsichtig bei der Rassehunde-Zuchtschau. goliathisch: Fischart 1590 Geschichtklitterung 55 sagt man hingegen von Risen und Haunen, zeigt ihr gebein in den Kirchen, unter den Rahtsheusern, ihre Nimrotische spiß, Stalin Stangen, Goliatische Weberbäum, Starckarterisch Degen, Palladisch Schäfelin, Hörnenseifrige Wurmstecher, Durandal, Rolanden, etc. (DiBi 125); Abr. a S. Clara 1686 Judas I (S. W. VII 174) Kommt her, ihr überwachsenen Beschnarcher, ihr aufbäumte Hopfen-Sack', ihr goliathische Großschädel, die ihr allein auf das äußerliche Gesicht und Gewicht viel haltet! kommt her und beschaut viel kleine Leut', die euch im Ruhm und Glorie weit übersteigen! (DiBi 125); Usinger 1948 Geist 151 Der Mikrokosmos blieb Sieger im Kampf mit seinem goliathischen Gegenüber [dem Makrokosmos]. goliathmäßig: Sohle 1902 Musikanten-Gesch. l 36 Und welche Säbelmöglichkeiten! Goliathmäßige Kürassierschleppsäbel, aus den Befreiungskriegen vom General Altenschen Korps . . und die verschiedensten Kommißkäsemesser.
Gondel F. (selten auch N.) (-; -n), im frühen 16. Jh. vereinzelt, seit spätem 16. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus gleichbed. ital. gondola ungeklärter Herkunft (eventuell < lat. gandeia 'afrikanischer Schiffstyp' bzw. griech. 'mit Staken versehene und damit vorwärtsbewegte Schiffe'); anfangs auch in ital. (flekt.) Form und in den (z.T. mit dtsch. Diminutivsuffix versehenen) (Schreib-)Varianten gundole, gondalen, gondol, gundel, gundelle, gündelein, gundelein. l Zunächst meist als Bezeichnung für die in Venedig erstmals Ende des 11. Jhs. bezeugten, seit dem 17. Jh. typisch geformten schmalen, flachen Barken von einheitlich schwarzer Farbe, mit (am Bug etwas höher) aufgebogenen, schnabelförmigen Enden und einem auffälligen Bugbeschlag aus Metall, früher mit einem geschlossenen kastenförmigen Aufbau für Passagiere und mit zwei Bootslenkern, heute offen und von nur einem, am Heck aufrecht stehenden Ruderer mittels eines langen Riemens fortbewegt (s.u. Gondoliere], oft (wohl wegen der schwarzen Farbe) konnotiert mit „düster, melancholisch, unheimlich" (s. Belege 1754, 1789, 1821, 1897), in neuerer Zeit v. a. mit „romantisch-sentimental" (s. Belege 1992, 2004), daneben bis ins spätere 19. Jh. auch auf außerhalb Venedigs verwendete Schiffstypen bezogen in der allgemeineren Bed. 'kleines Boot, Beiboot, Nachen, Barke' (s. Belege 1521, 1527, 1589/90, 1647, 1821, 1868), seit früherem 18. Jh. auch für 'Lustschiffchen auf künstlich angelegten Gewässern in Parks' (s. Belege 1731, 1777, 1834), auch bildlich (s. Belege 1768, 1846), in Wendungen wie eine schwankende, geschmückte, schwarze, zierliche Gondel, venezianische Gondel, eine Gondel mieten, besteigen, die Gondeln gleiten, schaukeln, schweben, schießen über das Wasser und Zss. wie Gondelfahrer, -form, -führer, -lenker, -schiffet, -fahrt, -käfig, -lied, -romantik, -werft; Bestattungs-, Pracht-, Privat-, Trauergondel; gondelbefahren; dazu seit Mitte 19. Jh. die adj. Ableitung gondelartig.
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Gondel
2 Seit spätem 18. Jh. (Wieland?) übertragen (zunächst wohl aufgrund der ähnlichen äußeren Form) auf eine Reihe technischer, meist hängend montierter und überwiegend der Aufnahme von Personen dienender Vorrichtungen an Flugapparaten u. a. Fortbewegungsmitteln (—> Kabine), zunächst in der Bed. 'an einer Montgolfiere/ einem Fesselballon mit Tauen befestigter Korb für den Luftschiffer und die Passagiere, Ballonkorb', in Wendungen wie in die/aus der Gondel springen, die Gondel steigt immer höher und Zss. wie Ballongondel, dann auch für 'Fahrgastkabine bzw. Motorgehäuse an einem Luftschiff (Zeppelin)' (s. Beleg 1992), '(an einer Trosse befestigte und daran ins Wasser abzulassende) Taucherglocke, Tauchboot' (s. Beleg 1947), 'Fahrgastkabine einer Seil/Schwebebahn' (s. Beleg 1964), 'Triebwerksgehäuse an einem Flugzeug' (s. Beleg 1971), 'freischwingend angebrachte Sitzkabine an einem Riesenrad oder anderen rotierenden Fahrgeschäften' (s. Beleg 1987), 'an Tragseilen hängende Arbeitsplattform für Gebäudereiniger oder Maler' usw., in Wendungen wie schwebende Gondeln, die Gondel schaukelt bedenklich im Wind, mit der Gondel auf den Berg fahren, die letzte Gondel ins Tal nehmen und Zss. wie Gondelbahn, -lift, -anläge, -absturz, -insassen, -seil, -station; Aussichts-, Fahrgast-, Führer-, Fensterputz (er)-, Hänge-, Jahrmarkts-, Maschinen-, Panorama-, Riesenrad-, Seilbahn-, Tauch(er)gondel; in jüngster Zeit auch für 'beweglicher, frei im Verkaufsraum aufgestellter Warenständer in Kaufhäusern oder Supermärkten' (s. Beleg 1990) und 'schwenkbar gelagertes Generatorgehäuse an einer Windenergieanlage' (s. Beleg 2005). Dazu seit Anfang 17. Jh. die aus gleichbed. ital. gondoliere entlehnte Berufsbezeichnung Gondoliere M. (-; Gondolieri), anfangs überwiegend und bis ins 19. Jh. häufig in den z. T. eindeutschenden oder französisierenden Nebenformen Gondelier(er), Gondolier(er), Gondalierer, für 'Führer, Ruderer einer (venezianischen) Gondel', bis Ende 19. Jh. auch (meist ironisierend) zur Bezeichnung nichtvenezianischer Bootslenker bzw. Fahrer anderer Fahrzeuge (s. Belege 1795, 1806), selten (in unterschiedlichen Formen) in Zss. wie Gondoliereprüfung, Gondolieri-Romantik; Schlitten-Gondelierer (zu 1). Dazu vom späteren 18. bis Ende 19. Jh. selten die (wohl zu Gondoliere gebildete) verbale Ableitung gondolieren V. (in)trans. 'mit einer Gondel fahren; jmdn. mit einer Gondel befördern', zunächst belegt in der Präfixbildung herumgondolieren (zu 1); dafür seit frühem 19. Jh. (zunächst gleichbed.) gondeln V. trans, und intrans., dann seit späterem 19. Jh. salopp (anfangs v. a. in der Berliner Mundart), meist mit Bezug auf schaukelnde Fortbewegungsmittel, in der allgemeineren Bed. '(langsam, gemächlich per Boot, Kutsche oder Bahn) fahren, spazierenfahren; ziellos, aufs Geratewohl umherfahren; auf einer (Vergnügungs-)Reise Umwege machen', auch abwertend für 'sinnlos, nutzlos herumfahren', oft in meist intensivierenden Präfixbildungen wie (he)rum-, umher-, dahin-, daher-, (he)rauf-, (he)runter-, hinauf-, hinunter-, (her)an-, hinweg-, entgegen-, mit-, heim-, zurück-, losgondeln, in Wendungen wie durch die Gegend gondeln, hin und her, kreuz und quer durchs Land gondeln, er gondelte in der Welt herum, wir gondeln mal los (zu 1); in neuerer Zeit in der Bed. 'mit dem Ballon/der Seilbahn/dem Sessellift/dem Riesenrad/dem Fahrgeschäft fahren', in Wendungen wie durch die Lüfte, zur Talstation, auf und ab gondeln, sich auf den Berg gondeln lassen (zu 2). Gondel 1: 1521 Itinerarium l 216 vnd als dis auf vesper nahend zw vnns körnen theten, schickht
man vnnser gundelin zw in, zu erfragen die newen mer; 1527 Jerusalemfahrt 57 Also schuf der patron
Gondel den anker zu werfen an . . der selbigen insel und sendet das klainer scheff oder gundola zu dem land umb frisch wasser; Giannotti 1557 Respublica Venetum (Übers.) B 5r Zu disem brauch haben wir ain Form von Schiflen/ (Barcete/ die wir haissen Gondole) fast zierlich gemacht . . Wir halten vnd brauchen dise Gondole (Schiflen) ann stat der Roß/ Esel vnd Wegelen; Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 51 Es werden auch zu Venedig in die 8000 klaine schifflen gefunden, gondele genant, thails dem vom adl, thails sonst zur notturfft der statt und zur überfart; Wunderer 1589—90 Reisen 173 Folgenden Tag binn ich uff Trinitatis in einem Bode oder Gundel uf die königliche Schiff [bei Kopenhagen] . . geführet worden; Kiechet um 1600 Reisen 160 Ittem es hat zu Vönedig öttlich tausendt deiner schiflin, wölche mann gondula nennt, düe ein mann regieren kahn, und nören such düe selbigen allein mitt hin und wüder füehren des volckhs; um 1608 ]ud von Venedig 144 Es ist Bey Jetzigen fastnachts Carnoval einen jeden vergönet sich lustig vnd freilich Zu erzeigen, derowegen wollen wir Vnss ine Gundälen setzen, mit der treflichsten Music, die wir Bekommen können; Hulsius 1630 22. Schiffart 57 Sie nehmen ein gantze Rinden von einem auß den dicksten Bäumen/ so sie der gestalt wissen zu biegen/ Riemen darauß zu schneiden/ vnd widerumb zuzunähen/ daß es auff letzt die form bekompt einer Venedischen Gondala. . . Wann nun die Rinde die Form einer Gondel habend gebrochen .. ist; 1636 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 121) Gestern hat hiesige Signoria Ihme vnterschiedliche köstliche essende Sachen vnd Geträncke verehren/ vnd in siben Gundeln nach seiner Behausung führen lassen; Olearius 1647 Reisebeschr. (NL XXVIII 238) Den 2 Junn seynd wir zu Nöteburg [Russland] ankommen und von dem Stadthalter . ., welcher auff einer Gundel oder bedeckten Boette uns entgegen kam, auff dem Wasser wol empfangen worden; Stieler 1695 Zeitungs Lust 202 Gondel, ist ein Venedisches Bot oder Kahn/ die Leute aus dem Schiffe und sonsten überzufüren; Stranitzky 1717 Reisebeschr. 31 daß ich auf den Abend zu Venedig war/ ich käme dahin in einer kleinen Gondel/ und stiege auff dem Marcus-Platz aus; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 279 Gondeln, eine Art kleiner bedeckter Nachen oder Boot, deren man sich zu Venedig bedienet, von einem Canal in den ändern zu fahren; Le Blond 1731 Gärtnerey (Übers.) 116 Kan man das Wasser leicht haben, so macht man [im Park] Wasser-Stücke und Canäle . . Auf diesen Canälen hat man kleine Schiffe, oder vergüldete Gondeln, um darauf spatzieren zu fahren; Büsching 1754 Erdbeschr. II 843 zu welchem Ende man sich [in Venedig] der Gondeln bedienet, welche Fahrzeuge ein trauriges Ansehen haben, weil sie insgesammt entweder mit
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schwarzem Tuche . . beschlagen, oder schwarz angestrichen sind, und daher den Leichenwagen nicht unähnlich sehen; 1768 Hallische Bibl. U 506 Aber an die Klippen auf diesem Meere, wo Herr Schmidt auf einer halbfranzösischen Gondel gescheitert ist, will sich unser Autor nicht wagen; Wekhrlin 1777 Denkw. 33 Im Vorgrunde liegt ein stolzer und geraumer Teich, worauf man, selbst mit Gondeln fahren kann; Goethe 1789 Volksgesang (WA I 32,347) Die stillen Canäle,. . der Glanz des Mondes, . . das Geistermäßige der wenigen hin und wider wandelnden schwarzen Gondeln vermehrte das Eigenthümliche dieser Scene; 28I5 Wiss. d. Seekrieges 119 Gondel. Ein kleines offenes Fahrzeug, in dessen Mitte einige bedeckte Sitze sind, ungefähr wie in einer Kutsche. . . Außer den Kanälen von Venedig findet man sie nicht; Goethe 1821 Wanderfahre (WA l 24,363) man sah die Damen in ihrer blendend-muntern Gondel gar bald wieder heranfahren. Das Wort Gondel nehme man aber nicht im traurigen venezianischen Sinne; hier bezeichnet es ein lustig-bequem-gefälliges Schiff; Pückler-Muskau 1834 Landschaftsgärtnerei 90b Eine Steintreppe führt hier nach dem Wasser hinab zu einigen leichten Gondeln, mit denen die Liebhaber des, jetzt so modern werdenden, Ruderns, den See befahren können, ohne auf dem friedlichen Becken Sturm und Schiffbruch besorgen zu dürfen; Droste-Hülshoff 1846 S. W. l 460 Gleich einer Lampe aus dem Hünenmale/ Hervor des Mondes Silbergondel schwimmt (DiBi 125); Scheffel 1855 Er. 41 wie die vollen Männerstimmen . . erklangen . ., da ward's still im Gewimmel und ringsum kamen die Gondeln angefahren und legten sich mit ihren Schnäbeln dicht und lauschig an das Sängerschiff an; Hoffmann v. Fallersieben 1868 Leben I 339 Noch ehe wir uns zu Tische setzen, kommt eine Gondel mit bunten Laternen den Main herauf und legt uns gegenüber mitten im Flusse vor Anker (DiBi 125); Rilke 1897 S. W. III 563 Nacht am Kanal. Die Marmorgnade/ der Kuppelkirchen schimmert her./ Und Lichter gleiten leise Pfade,/ und schwarze Gondeln atmen schwer; Brachvogel 1915 Gauklerin 55 Seine Gondel kam jetzt hergeschwommen, schwarz wie alle ändern, aber reich vergoldet am Steuer und am Schnabel und mit schwellenden Sammetkissen belegt; Werfe! 1924 Verdi 77 Er stand auf der wasserumspülten Stufe, um seine Gondel zu besteigen; Munch. N. N. 31.3.1938 Venedig baut keine Gondeln mehr (Überschr.); Welt 19. 12. 1964 Das war eine Privatgondel. Hast du die besondere Livree des Gondoliere, den thronartigen Stuhl und das polierte Messingwappen nicht bemerkt?; tat 4. 8. 1992 Gondelromantik (Überschr.) Tödlich endete für eine Touristin aus den USA das romantische Pflichterlebnis einer Gondelfahrt auf dem Canäle Grande in Vene-
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Gondel
dig; Mannh. Morgen 8. W. 2004 Ganz romantisch bei gedämpftem Licht kommt Beatrix Hölscher als „die Pfauentaubenprinzessin in ihrer Seerosengondel" daher und präsentiert mit einem gehörigen Schuss Kitsch eine Taubennummer. gondelartig: König 1857 Clubisten H 3 Niemand würde begriffen haben, warum in dem gondelartigen Schiffchen, das man eines Nachmittags so still den Rhein hinunterschwimmen sah, ein Sonderling gerade jetzt absichtlich der Stadt . . zu entfliehen suchte; Salzb. Nachr. 13. 7. 1991 Insbesondere auf den Hausbooten ist man den Händlern auf den Shikaras — die gondelartigen Boote bilden auf den Seen das Hauptverkehrsmittel — ausgeliefert. gondeln: E. T. A. Hoffmann 1821 Serapionsbrüder (Poet. W. 1 462) jenen sauber gekleideten bildschönen Jüngling, der . . den Rialto auf- und abgeht, .. und endlich sich nach dem Markusplatz gondeln läßt (DiBi 125); ebd. 491 Antonio . . erfuhr aber nichts Geringeres, als daß Pietro beinahe täglich in den Abendstunden den Dogen mit der Dogaressa hinübergondeln mußte nach der Giudekka (DiBi 125); Fallmerayer 1845 Fragmente l 3 während ich die Donau herabglitt, im Goldenen Hörn herumgondelte, die fluthende Strömung des Bosporus durchschnitt (DWB); Räder 1867 Robert u. Bertram 60 Jondle mir, Jondel, still jondelnd zum Strand,/ Wo ich die Holde zum erstenmal fand,/ Und wenn sie dann Liebe für ewig mich schwur,/ Dann jondle mir, Gondelf!], still jondelnd retour!; Fontäne 1880 L'AduItera (Romane u. Erz. Ill 126) „Und nun sage, was beginnen wir, wohin gondeln wir?" — „Ich bitte dich, Ezel, nur keine Berolinismen." (DiBi 125); Duncker 1900 Großstadt 116 Wir werden wahrscheinlich allein fahren. Strehsen wird wohl schon gleich nach dem Dienst nach Dahlow 'rausgegondelt sein (DiBi 125); Ganghofer 1911 Lebenslauf III 76 Ich hatte mein Gepäck auf dem Bahnhof gelassen, war in eine Droschke gesprungen und ließ mich hineingondeln in dieses neue, große Leben (DiBi 125); Nora 1932 Am Färbergraben 181 Jede Mutter suchte mit ihrem Impfling den Rekord an Dicke, Sauberkeit und Eleganz zu schlagen, sogar die Ärmsten, die im Kinderwagen angondelten, trugen blau oder rosa Schleifen auf Hemdlein und Haar; Tb. Mann 1953 Betrogene (W. VIII 938) so leisten wir's uns und mieten ein Privat-Motorboot für die Fahrt rheinauf. . . Fragt sich nur, ob wir vor- oder nachmittags losgondeln wollen; Lenz 1978 Heimatmuseum (W. VIII 356) danach stiegen sie beide aufs Fahrrad und gondelten los, Richtung Marktplatz . . Meister Weinknecht trat in die Pedale, Conny saß geduckt auf der Rahmenstange; 1993 FAZ o. Nr. Seit dem Zusammenbruch der DDR gondelt er
mit seinem Wagen durch die Welt, um neben .. Hans-Dietrich Genscher der zweite international bekannte Bürger Halles zu werden; Mannh. Morgen 18. 9. 2003 Ich bin ein Familienmensch und wollte nicht ein halbes Leben lang quer durch die Welt gondeln und nur aus Koffern leben. Gondoliere: Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 290 So gar müssen die vnedlen (allermassen die Gondelierer zu Venedig thun) sich auff der Gassen schreyendt melden/ damit sie nicht etwan zu sammen stossen; Garzoni 1641 Allg. Schaupl. 1007a die gondeln haben sie [die Römer] cimbulas genennet, und haben auch die gondolierer hiervon ihren namen (DWB); Menantes 1710 Satyr. Roman 1102 durch dieses Douceur erlangte er den süssen Trost/ daß ihn Flavia durch ein paar Gondelirer nach ihren[!] Zimmer tragen/ und .. hinter ihren Ofen trocken werden ließ; Brookes 1724-35 Selbstbiogr. 184 Sowol die Bestürzung als die noch nicht völlig begriffene Sprache hinderten mich zu anfangs an einer förmlichen Antwort, worauf sie mir sagte, ich möchte nur teutsch reden, mein Gondolier würde es ihr schon verdolmetschen (DiBi 125); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 279 [Die Gondeln] haben .. keine Ruder Bäncke, indem der Gondoliere oder Schiffmann hinten auf der Spitze mit dem Ruder aufrechte stehet; Comenius 1769 Orbis II 74 Der Gondelierer oder Gondelfahrer (Überschr.). Wer zu Venedig gute Freunde besuchen, oder Geschaffte auch Lust halben ausfahren will, bestellt einen Gondelierer, der ihn in seiner Gondel, öffentlich oder verdeckt in der Stadt umher führet; Volkmann 1778 Italien III 663 Die Gondelierer tragen eine Art von Schifferkleidung, mit langen Hosen, kurzen Westen und runden Mützen von der Farbe der Livree ihres Herrn, es darf aber weder Gold noch Silber darauf seyn; Goethe 1789 Volksgesang (WA I 32,345) Es ist bekannt, daß in Venedig die Gondoliere große Stellen aus Ariost und Tasso auswendig wissen und solche auf ihre eigne Melodie zu singen pflegen; Jean Paul 1795 Hesperus (W. l 1,935) Da es noch fortschneiete: so bot er Klotilden auf morgen seinen MuschelSchlitten und sich . . zum fahrenden Ritter an — wodurch er den Evangelisten nötigte, sich als Schlitten-Gondelierer der Stiefmutter anzutragen (DiBi 125); Seume 1806 Sommer (W. I 676) Die Fahrt über den [Bosnischen] Meerbusen ist gar nicht unangenehm . . Meine Gondoliere waren zwei alte wackere schwedische Matrosen, die Weltteile gesehen hatten; Ranke 1830 Brief werk 225 Der Gesang der Gondoliere tönt zu mir herauf; Ad. Schopenhauer 1845 Anna II 327 Sie lehnte den Kopf zurück und summte mit halber Stimme ein venetianiscb.es Gondelierlied vor sich hin (DiBi 125); Rilke 1898 S. W. Ill 153 Fern aus heller
Gondel Kehle/ am Canal grande singt ein Gondolier,/ und suchend irrt sein Lied durch die Kanäle; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 481) Er hatte Mühe, dorthin zu gelangen, denn der Gondolier, der mit Spitzenfabriken und Glasbläsereien im Bunde stand, versuchte überall, ihn zu Besichtigung und Einkauf abzusetzen; Abendztg. (München) Ende August 1952 Die Gondoliere Venedigs fürchten für ihren Broterwerb, da ihnen das Motorboot neuerdings auch in die engsten Kanäle folgt und zur ernsten Konkurrenz geworden ist; Offenburger Tagebl. 31. 7. 1961 Aus Protest gegen diese Entwicklung brachte einer der Gondolieri an seinem Fahrzeug einen Außenbordmotor an und wühlte damit das Wasser derart auf, daß viele der insgesamt 550 Gondolieri der Lagunenstadt erheblich mit den Wellen zu kämpfen hatten; taz 9. 8. 1988 Die Lagune von Venedig ist umgekippt. Hunderttausende Tonnen Algen sterben und faulen in Venedigs Kanälen. . . Manche Gondolieri reichen ihren Fahrgästen Operationsmasken, um sie vor den Ausdünstungen der Lagune zu schützen; Mannh. Morgen 27. 10. 2004 Denn der Job der Gondelfahrer ist trotz aller Probleme beliebt: Über 400 Gondolieri befahren die venezianischen Kanäle — Frauen und Ausländer gibt es übrigens nicht unter ihnen. gondolieren: Goethe 1775 Er. (WA IV 2,278) zu Ende dieses Jahres muß ich fort [nach Italien]. Daur' es kaum bis dahin, auf diesem Bassin [Frankfurt] herum zu gondoliren, und auf dieFröschund Spinnenjagd mit großer Feyerlichkeit auszuziehen; Fontäne vor 1899 (Ges. W. U 5,426) so als Singleton von Lehde bis Leipe gondolieren, ist immer langweilig (DWB). Gondel 2: Wieland 1784 Aeronauten (Teutscher Merkur l 90) Die Maschine [Montgolfiere] . . bestund aus einem beynahe eyförmigen Globus von 26 Fuß im Durchmesser, an welchem eine Art von Mittelding zwischen Wagen und Gondel, von sehr zierlicher Form, mit Seilen befestigt hieng; 1784 Teutscher Merkur II 173 Als einen ändern Fehler des Montgolfierischen Gas führen E. W. dies an, daß man das Feuer beständig unterhalten, und also viel Stroh mit sich nehmen müsse . . Zur Ersparung des Raumes in der Gondel könnte man ja eine leichte Einrichtung treffen, dies aussen anzuhängen; Pfeffel 1785 Poet. Vers. Ill 117 Den ersten Schöps, der durch die Lüfte/ Mit einer zwilchnen Gondel schiffte/ Und kecker als Bellerophon/ Sich bis ins Reich der Sylphen wagte (DiBi 125); 1786 Aug. Dtsch. Bibl. LXVH 198 Ein wilder Student aus der Vieharzneyschule . . sprang noch da der Ball abfahren wollte, mit bloßem Degen in die Gondel; Busch 1891 Eduards Traum (W. IV 184) Wir schwebten über der Stadt. Den Fallschirm in
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kundigen Händen, sprang der Luftschiffer aus der Gondel (DiBi 125); Dehmel 1908 Kindergarten (Ges. W. VI 57) Ich kann ein Luftschiffer werden,/ immer höher schlägt mein Herz;/ da fliehn die Flüsse unter mir/ wie dünne Adern Erz,/ meine Gondel steigt und steigt (DiBi 125); Ringelnatz 1929 Ges. W. I 384 Gewichte lösen sich. Man läßt uns frei./ Die Menge winkt. Wir steigen munter./ Als Blick nicht ausreicht mehr noch Winkehand,/ Schwing ich mich auf der Gondel Rand/ Und schleudre meinen Hut hinunter (DiBi 125); Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 355) Da also gefiel Adrian sich in dem Scherz, mir höchst anschaulich vorzuerzählen, wie er mit Mr. Capercailzie eine kugelförmige Tauchergondel von nur 1,20m Innendurchmesser . . bestiegen habe und sich mit ihm darin . . in das hier ungeheuer tiefe Meer habe versenken lassen; Gail 1958 Weltraumfahrt 105 Das geschieht sehr einfach in einer großen Zentrifuge, die wie ein überschnelles Jahrmarktskarussel gebaut ist. An einem drehbaren, waagerechten Tragarm hängen in starken Scharnieren zwei Gondeln. In jeder der Gondeln nimmt ein Prüfling Platz, indem er sich der Länge nach auf einer dicken Matratze am Gondelboden ausstreckt; Neues Deutschi. 21. 12. 1964 Die [Fichtelberg-Schwebebahn] . . erhielt neue Antriebsmaschinen, so daß jetzt 44 statt 12 Personen in jeder Gondel befördert werden können; Ganzer 1971 Untersuchungen o. S. zusätzliche Verdrängungskörper an einer Flügel-RumpfVerbindung [beim Flugzeug], wie beispielweise Triebwerksgondeln, werden in Längsachsenrichtung gestaffelt angeordnet; taz 1. 7. 1987 Kurzfristig grünlich-blau färbte sich der Himmel am vergangenen Samstag über der traditionellen Großkirmes in Münster. Rund 2.000 leere Volkszählungsbogen flatterten aus den Gondeln des größten Riesenrads Europas; ebd. 22. 12. 1990 In Wirklichkeit werden in ein paar Tagen die Leckereien in das kümmerliche Nichts der Kaufhausgondeln . . zurückfallen, dem sie entstammen; Salzb. Nachr. 29. 8. 1992 Die meisten jener 34 unglücklichen Passagiere kamen .. u m , . . weil sie aus der Gondel fielen oder in Panik von ihr absprangen. Fast alle Passagiere, die mit dem sinkenden Luftschiff den Boden erreichten, blieben am Leben; Zeit 8. 11. 1996 Mit der Gondelbahn fahren wir von Bad Ragaz hinauf ins Pizolgebiet, eine beliebte Wanderund Skiregion; Mannh. Morgen 18. 9. 2007 Schon im kommenden Jahr sollen die ersten von insgesamt zwölf Windenergieanlagen . . 45 Kilometer vor der Küste Borkums in der Nordsee stehen, 148 Meter hoch, mit Gondeln von der Größe eines Einfamilienhauses. gondeln: taz 25. 11. 1989 Der Abenteuerspielplatz Alpen, mit dessen Liftanlagen man mittlerweile dreimal um die Erde gondeln könnte; ebd.
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Gong
22. 4. 1991 vergnügten sie sich auf den betriebseigenen Fahrgeschäften, gondelten auf dem Riesenrad . . und quietschten auf der Achterbahn; Neue Kronen-Ztg. 7. 2. 1998 Seit 1928 gondelte eine Million Gäste unfallfrei auf den Berg und über-
wanden so die 376 Meter Höhenunterschied von der Tal- zur Bergstation; taz 29. 10. 2004 Wer braucht überhaupt ein Riesenrad? Niemand. Außer vielleicht ein paar frisch Verliebte, die romantisch durch den Himmel gondeln wollen.
Gong M., selten auch N. (-s; -s), seit dem späteren 17. Jh. und bis ins 19. Jh. vereinzelt in der (engl. vermittelten) Nebenform Gom (Pl. Gommen), seit dem früheren 18. Jh. in der heutigen Form und seit Mitte 19. Jh. (zunächst bes. in Reiseberichten) kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. engl./angloind. gong (< malaiisch (a)gong, (e)gung 'metallenes Schallbecken', ursprünglich wohl lautmalend); anfangs auch in den Nebenformen Gung und (mit Reduplikation) Gomgom, Gonggong. Zunächst auf ostasiatische Verhältnisse bezogene Bezeichnung für ein zeremoniell (in buddhistischen Klöstern oder an Fürstenhöfen) eingesetztes Schlaginstrument, bestehend aus einer runden, am Rand umgebogenen, beckenartigen, oft senkrecht aufgehängten Bronze- oder Messingplatte unterschiedlicher Größe, die, mit einem filz- oder lederüberzogenen Holzklöppel angeschlagen, einen lauten, dröhnenden Klang hervorbringt, seit Ende 18. Jh. gelegentlich in der westlichen Musik als Orchesterinstrument verwendet (Gossec, Puccini, Orff, Penderecki u.a.), in Wendungen wie riesige, schwere, melodische, tibetanische Gongs, Gongs werden geschlagen, der betäubende Lärm von Gongs, ein Gong dröhnt/gellt/hallt/tönt und Zss. wie Gongspiel 'mehrere in Reihen angeordnete, melodietragende Buckelgongs in der indonesischen und hinterindischen Musik' (bes. im Gamelan), -reihe, -form, -musik, -klänge, -schlag; Buckel-, Einzel-, Flach-, Kessel-, Konzert-, Schüssel-, Teller-, Tempel-, Zeremonialgong; Gonggongmetall, seit Ende 19. Jh. zunehmend als Bezeichnung für ein in vornehmen Privathaushalten und Hotels, dann auch in Heimen, Anstalten und Lagern verwendetes Gerät zur akustischen Ankündigung von Mahlzeiten (s. Belege 1900, 1924, 1928, 1935, 1942-44), schließlich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens für eine Vorrichtung zur Erzeugung lauter, gut vernehmbarer Klangsignale, die den Beginn oder das Ende von etwas markieren: z. B. bei Theateraufführungen oder Boxkämpfen (s. Belege 1929, 1933, 1949, 1968), in Betrieben und Schulen (s. Beleg 1998), in Rundfunk und Fernsehen als Auftakt einer (Nachrichten-)Sendung (s. Belege 1934, 1985), in Bahnhöfen und Flughäfen zur Ankündigung einer Lautsprecherdurchsage usw., oft metonymisch für das durch einen Gong erzeugte Klangsignal (vgl. Gongschlag, s. Belege 1968, 1998), auch übertragen für 'Auftakt, Startsignal' (s. Beleg 1990, vgl. Startschuss) bzw. metaphorisch für 'Ende', seltener 'Anfang', in Wendungen wie der Gong schlägt an/ertönt/ruft zu Tisch, der Tischruf des Gong, der Gong zum Souper, der Gong zur ersten Runde und Zss. wie Pausen-, Runden-, Schul-, Flughafen-, Tür-, Schlussgong und v. a. Gongschlag, bes. in Wendungen wie der rettende, erlösende Gongschlag, beim Gongschlag ist es genau 17 Uhr; dazu seit frühem 20. Jh. das aus gleichbed. engl. gong entlehnte V. intrans. gongen 'einen/den Gong ertönen lassen/anschlagen, einen gongähnlichen Klang erzeugen', meist unpersönlich in Wendungen wie es hat gegongt, es gongt zum Mittagessen, in neuerer und jüngster Zeit mit den eher okkasionellen Präfixbildungen ausgongen V. trans, 'jmdn. durch Gongschläge aus einem Boxkampf oder Wettbewerb ausschließen', auch bildlich (s. Beleg 1990), eingongen V. (in)trans. '(eine Veranstal-
Gong
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tung) eröffnen, einläuten', auch ugs. (Sport) für 'einen Ball ins Tor schießen' (s. Beleg 1990). Gong(-gong): Arnold 1672 Beschreibungen 462 neben etzlichen Instrumenten, als pfeiffen, gommen, becken, trommeln, glöcklein und noch andres seitenspiel, das bey uns gantz unbekant ist (DWB); Happel 1685 Relationes II 649a diesen [Elefanten im Festzug des Königs von Siam] folgen viel musicanten mit gommen und pauken (DWB); Walther 1732 Musikal. Lex. 286 Gong, ist bey den Indianern ein Becken, darauf man mit einem höltzernen Klöppel schlaget, wodurch, weil es aus Glockenspeiß gemacht ist, einen hellen Laut giebt. Gongong ist der Pluralis, wiewol man insgemein auch ein eintzig Becken Gonggong, oder, wie es ausgesprochen zu werden pflegt, Gomgom nennet; Chomel 1750 Öcon. Lex. IV 1255 Gong, Gongon, Gomgom, ist ein aus Glocken-Speise verfertigtes Becken, worauf die Indianer mit einem Klöppel schlagen, und dadurch einen hellen Laut hervor bringen; 1781 Dtsch. Museum U 115 Die Musik . . ist immer die nemliche. Die Instrumente, wodurch sie hervorgebracht wird, sind die Gom-gom, eine grosse Trommel, auf der mit einem starken Klöpfel starke Schläge gethan werden. Einige bekkenförmige Glokken von Metal, die an einem Bambus eben so aufgehangen sind, als die Scheerbekken in unserm Lande vor den Häusern der Barbierer, werden mit einem Klöpfel zum Klange gebracht; 1781 Götting. Mag. d. Wiss. IV 287 Während dem Rudern, werden kupferne Pauken (gongs) geschlagen, und die Mannschaft stimmt ein Lied an, welches den doppelten Effect hat, sie aufzumuntern, und ihre Arbeit durch das regelmässige des Takts zu erleichtern; 1824 Dinglers Polytechn. Journal XIII 48 Gongs, Tam-tams und Cymbals. Die Chineser bedienen sich gewisser Instrumente aus Erz, die mit dem Hammer sehr dünn in Form von Scheiben geschlagen werden, und in der Mitte mit einer rundlichen Erhabenheit versehen sind. Diese Instrumente nennen sie Tam-tams, Gong-Gongs (von Tschung, was im Chinesischen Gloke bedeutet); Heyse 1838 Fremdwb. I 459 Gong od. Gonggong, die Handtrommel der Indianer, ein beckenförmiges metallenes Tonwerkzeug, das zum Gesang mit einem hölzernen Klöppel geschlagen wird; Görtz 1854 Reise III 23 Wir besuchen auch noch einen Laden mit Gongs und finden eine reiche Auswahl dieser Lärminstrumente, deren chemische Zusammensetzung zwar leicht erkennbar ist, die aber so künstlich getrieben sind, dass europäische Kunst nicht im Stande ist ein zersprungenes Instrument durch Umgiessen oder Umarbeiten wieder tönend zu machen; Schliemann 1865 Br. II 29 die herumziehenden Schmiede [in Peking], welche mit einer kleinen Schmiede u[nd] den nöthigen Instrumenten
auf dem Rücken ihr Dasein zu erkennen geben indem sie auf ein Gung (Art Musikinstrument in Form einer großen flachen Schüssel) von Glockenerz schlagen; Nordau 1881 Kreml II 144 beim Diner, zu dem die Schläge des in der Vorhalle hängenden Gongs die Hausgenossen rufen; 1884 Brockhaus VIII 189 Gonggong oder Gong, ein aus dem Orient stammendes, in einer Bronzeplatte mit aufgebogenem Rand bestehendes Instrument, das zur Begleitung beim Gesang oder beim Rudern mittels eines hölzernen Klöpfels geschlagen wird. Gonggongmetall, eine Legierung von 80 Teilen Kupfer und 20 Teilen Zinn, aus welcher die . . ind. und chines. Gonggongs . . hergestellt werden; Fontäne 1891 S. W. XX 48 Die Damen schließen einen Kreis,/ Und in den Kreis, auf den Schlag des Gong,/ Tritt jetzt die Schönheit der Saison (DiBi 1); Senden 1900 Tänzerin 105 Der grosse Gong rief zu Tisch; Trakl 1913 Traum d. Bösen (D. dicht. W. 18) Verhallend eines Gongs braungoldne Klänge (DiBi l);Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 266) Man hatte kaum . . ein wenig zur Decke geblickt und einem Gedanken nachgehangen, so dröhnte das Gong, das die nicht Bettlägrigen und Moribunden aufforderte, sich zur großen Mahlzeit instandzusetzen; Kesser 1928 Musik 172 Gongschläge hallten bis auf die Straße hinaus. Das Zeichen zum Abendessen!; Baum 1929 Menschen 237 Gongschlag, Männer springen über die Seile, . . die Boxer liegen in ihren Ecken und atmen, sie hängen die Zungen heraus wie abgehetzte Hunde; LokalAnz. 17.8.1933 Ebenso dramatisch verlief das Halbschwergewichtstreffen, in dem Kubahle (Heros) vor dem sicheren k.o. nur durch den Gong gerettet wurde; Berl. Illustr. Nachtausg. 12. 3. 1934 Punkt halb neun ertönte ein Gongschlag, und der Ansager kündigte an, daß jetzt das Gespräch mit Herbert Prinz, dem berühmten Autofahrer, beginnen würde; ß. Z. am Mittag 21. 12. 1935 Mein erster voller Tag beim Freiwilligen Frauen-Arbeitsdienst. Ein furchtbarer Ton weckt mich auf. „Der Gong", rufen alle neben mir und springen schnell aus ihren Betten, „der Gong, der Gong, aufstehen!" . . Der Gong beherrscht das ganze Lager, er ordnet jede Handlung, zeigt Anfang und Ende der Arbeit, — des Essens an; Singer 1942—44 Gettotag 218 und schon ertönt der Gongschlag zur ersten Mahlzeit. Und nun vergeht der Tag mit Gongschlägen, die immer wieder herrlicher klingen als alle gewaltigen Symphonien; Neues Deutschi. 12.2. 1949 Polizei-Boxen Berlin-Chemnitz. . . Beide Mannschaften haben sich sehr eifrig auf dieses Treffen vorbereitet, so daß es zwischen den Seilen vom ersten Gongschlag an interessant zugehen
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Gorilla
dürfte; Stuttgarter Ztg. 13. 4. 1968 denn immer wieder rettete sich der völlig übermatchte Deutschamerikaner und kam schließlich als hoher Punktverlierer zum Schlußgong; FAZ 22. 3. 1971 Tschepone ist zum hallenden Gongschlag des beschleunigten Abmarsches [der Amerikaner aus Vietnam] geworden; Zeit 16. 8. 1985 Die Uhr im Bahnhofsstil tickt auf die volle Minute zu, im HalbdunkelHintergrund erkennt man das Studio, eine Figur macht sich am Pult zu schaffen, beim Gongschlag geht das Licht an, guten Abend, meine Damen und Herren; Rhein. Merkur 29. 6. 1990 Am 1. Juli ertönt der Gong: alle 8000 Kombinate und Volkseigenen Betriebe der DDR verwandeln sich in Kapitalgesellschaften, also in AGs und GmbHs; taz 6.11. 1993 Gongs in verschiedenen Größen, die Hunde-, Tigerstimmen und Wind imitieren, Becken, Schellen, Klappern und vieles mehr gehört zum Instrumentarium des chinesischen Ensembles; Berl. Ztg. 30.11. 1998 Sechste Stunde, Deutsch, gähnende Langeweile. Noch immer 20 Minuten bis zum erlösenden Gong; Mannh. Morgen 2. 3. 2002 Auch die Türklingel kann der Stimmung oftmals zu- oder abträglich sein. Viele Wohnungen sind mit einem Gong ausgestattet, der entweder an das Pausenschrillen aus längst vergessenen Schulzeiten erinnert, oder gar Fliegeralarm simuliert. gongen: Heyck 1928 Außenseiter 139 Endlich gongt es zum Mittagessen; Kluge 1938 Kortüm 142 die wanduhr .. besaß kein Schlagwerk, wenn er [der Vater] klavier spielte, wollte er sich nicht plötzlich von der plumpen zeit dazwischen gongen lassen (DWB); Frisch 1957 Homo faber 88 Als ich in die Kabine hinunterging, um meinen Mantel zu
holen, mußte ich nochmals durch das Promenadendeck . ., und bald darauf gongte es zum Ersten Service; Lenz 1968 Deutschstunde 354 So ist es, sagte der Maler und schwieg und lächelte resigniert, als die Standuhren, eigensinnig und jede für sich, behaupteten, daß es halb sei; es schlug und gongte und dröhnte; taz 18. 9. 1989 Ein Hochsicherheitsgefängnis mitten im Nirgendwo. . . Kalte Mauern, kahle Gänge, Flughafenatmosphäre, ein sanftes Gongen und eine schmeichelnde Frauenstimme kündigt das Löschen der Beleuchtung an; Frankf. Kundsch. 8. 5. 1998 Voll wird's dann wieder, wenn die Glocke der Ernst-Reuter-Schule zu den Pausen gongt; taz 11.5.2002 Es gongt. Die silberne Fahrstuhltür in den Loft öffnet sich. ausgongen: taz 24. 10. 1988 oder man bittet die Jury auf die Bühne und zelebriert den Wettbewerb nach Art der amerikanischen „Gong Show", bei der die Gruppen [!] von jedem Jurymitglied nach Belieben ausgegongt werden kann, wenn sie seinem/ihrem Geschmack nicht entspricht; ebd. 1.3.1990 Springer ausgegongt [Überschr.] Gericht: Zeitungsverlage müssen bei marktbeherrschender Stellung auch Anzeigen von Konkurrenzblättern abdrucken; ebd. 12. 11.2002 Denn auch wenn das Berliner Event grundsätzlich der Tradition des Poetry Slam verpflichtet ist, wird niemand vor der Zeit ausgegongt oder abgepfiffen. eingongen: taz 19. 3. 1990 Denn in der 30. Minute gab's schon wieder was vor die Domglocke: Der zornige Votava gongte aus 16 Metern unbarmherzig ein; Presse 26. 9. 1998 Die vorletzte Runde der Formel-1-WM ist eingegongt.
Gorilla M. (-s; -s), im späteren 18. Jh. vereinzelt in der Pluralform Gorillen als Eindeutschung von griech. , Akk. von (Nom. PL), wohl zurückgehend auf ein altes westafrikanisches Wort, das in der griech. Übersetzung des Berichts des Karthagers Hanno über seine Afrikaexpedition im 5. Jh. v. Chr. überliefert und dort als Bezeichnung für (weibliche) Angehörige eines Stammes behaarter Waldmenschen (bei denen es sich vermutlich um Menschenaffen handelte) genannt wird, seit späterem 19. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus gleichbed. engl. gorilla (1847 vom amerikan. Naturforscher T. S. Savage erstmals in der auf eine Affenart bezogenen Bed. verwendet); anfangs vereinzelt auch in der Form Gorill. a Zunächst vereinzelt zur Bezeichnung der von Hanno während seiner Expedition nach Westafrika beobachteten Waldmenschen (s. Beleg 1764), dann fachspr. (Zoologie) eingeengt im terminologischen Syntagma (troglodytes) gorilla., von daher schnell allgemein in der Bed. 'in den Regenwäldern West- und Zentralafrikas lebender größter Menschenaffe mit stark vorspringender Schnauze, ausgeprägten Brauenwülsten, kräftigen langen Armen und graubrauner oder schwarzer, dichter Behaarung' (vgl. Orang-Utan, Schimpanse), in Wendungen wie ein wütender, zähnefletschender
Gorilla
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Gorilla, ein Gorilla im Zoo, sich wie ein Gorilla gebärden, Gorillas beobachten/ jagen und selten in Zss. wie Gorillamann, -weibchen, -baby, -kind, -familie, -fährte, -pranke, -fleisch, -gebiet, -tourismus, -forscher, -gehege, -kostüm, -maske; Berg-, Tiefland-, Riesengorilla; gorillaähnlich, -gleich, -groß; dazu die adj. Ableitungen gorillahaft und gorillaartig. b Seit frühem 20. Jh. ugs. übertragen auf Personen nach entsprechenden körperlichen und Verhaltenseigenschaften für 'affenähnlicher, hässlicher, stark behaarter Mann; primitiver, aggressiver, gewalttätiger, vierschrötiger, bulliger, muskulöser Mensch' (s. Belege 1929, 1945; vgl. a), von daher bes. für '(krimineller) Schläger, Verbrecher; (Saal-)Ordner, Türsteher, Rausschmeißer' (s. Belege 1933, 1971, 1994; —* Killer, —> Gangster, —» Ganove), in neuerer Zeit speziell für 'professioneller Leibwächter (eines Politikers, Prominenten, Reichen)' (s. Belege 1962, 1995, 1998, 2001, 2006; vgl. Bodyguard, —" Body, —> Garde a), in Wendungen wie der Gorilla vor der Disco, ein Aufgebot bewaffneter Gorillas, er hat seine Gorillas mitgebracht, zwei Gorillas schieben Wache und Zss. wie Chef-, Muskel-, Privat-, Security-, Türgorilla. Gorilla a: Schmid 1764 Arrians indische Merkwürdigkeiten u. Hannons Seereise (Übers.) 161 eine .. insel, die mit einer menge von wilden besetzt war. die mehresten derselben waren weiber, die rauhe leiber hatten, unsere dollmetscher nannten sie gorillen (DWB); 1863 Staats- u. Gesellschaftslex. 231 Nur der Mensch hat zwei Füße zum Gehen und zwei Hände, d. h. Werkzeuge zum Handeln; er ist das einzige Wesen, das Hand und Fuß hat, d.h. vollkommen ist. Auch der vollkommenste Affe, der in unsern Tagen so viel besprochene Gorilla, ist ein Kletterer, d.h. ein Thier, und kann sich nur für eine Zeit lang auf den hintern Extremitäten halten; Raabe 1867 Abu Telfan (Ausgew. W. IV 84) Die Feuer zur Bereitung der Nachtkost wurden soeben angezündet .., einige Brüllaffen, ein junger Gorilla und zwei Rieseneidechsen waren bereits an die Spieße gesteckt (DiBi 1); 1884 Brockhaus XIII 202 Der männliche G[orilla] ist mit . . der vorspringenden Schnauze, aus welcher ein furchtbares Gebiß mit scharfen Eckzähnen hervorfletscht, . . eins der scheußlichsten Geschöpfe, das man sich vorstellen kann; Proelß 1891 Modelle 138 Wie dieser Pariser Bildhauer den häßlichen Nebenbuhler, der durch seinen Reichtum ihm die Geliebte abwendig gemacht, als einen Gorilla darstellte, der mit tierischer Gier ein nacktes Weib entführt; Altenberg 1902 Tag 24 Man möchte am liebsten kreischen, die Zähne fletschen, kurz wie der Gorilla auf den Feind losgehen mit gesträubtem Haupthaare und herunterhängender bebender Unterlippe (DiBi 1); Tucholsky 1931 Ges. W. IX 224 Sie haben da in Ebrach einen Mörder, der ein Leben wie ein gefangener Gorilla hinter sich hat. Monate und Monate hat er — . . nach Anfällen und Getobe — in diesen Mauerlöchern des Dunkelarrests hingebracht . . sie haben seinen Willen nicht gebrochen (DiBi 15); Kladderadatsch 25.8.1940
Die Blockade, der sich England mehr und mehr ausgesetzt sieht, hat zu der Absicht geführt, den großen Gorilla des Londoner Zoologischen Gartens zu töten, um Futter zu sparen; Welt 17. 11. 1949 An gemeinsamen Erbmerkmalen weisen Mensch, Schimpanse und auch noch der Gorilla die Stirnhöhle auf, die sich in der Pubertätszeit entwickelt, während sie bei ändern Herrentieren völlig fehlt; Grzimek 1959 Serengeti 182 Er hat in Westafrika für den Frankfurter Zoo unsere beiden jungen Gorillaf!] und auch die riesigen Kamerunfrösche gefangen; Eibl-Eihesfeld 1971 Liebe u. Hass o. S. Obgleich Gorillas, Schimpansen und Orangs über gewaltige Körperkräfte und ein kräftiges Gebiß verfügen, ist bisher nur einmal beschrieben worden, wie ein Gorilla-Mann einen anderen erwürgte; taz 9. 2. 1989 Mit 31 .. Wildhütern hat sie immerhin 20 Jahre lang . . versucht, ein Gebiet so groß wie ein deutsches Bundesland vor Menschen zu schützen, die Berggorillas für eine touristische Attraktion, Aschenbecher-Lieferanten (Hände) oder Sammlertrophäen (Köpfe) halten; Zeit 23. 8. 1996 Erst im vergangenen Jahr versuchten Unbekannte, für einen reichen Privatzoo-Besitzer ein Gorilla-Baby zu entführen, und töteten dabei vier ausgewachsene Tiere und das Baby; Oberösterr. Nachr. 10. 5. 1997 Die ersten Menschenartigen, die Australopithecinen . . entwickelten alternative Strategien. Eine kräftige, gorillaähnliche Art suchte ihr Heil in einem mächtigen Kauapparat; Bert. Ztg. 3. 4. 2000 Bevor der Kampfrichter das Kommando zum Kampf gibt, stehen sich die Gegner gorillagleich gegenüber, die Fäuste in den Boden gestemmt, das Gesäß in die Luft gereckt, die Augen aufeinander gerichtet; Berl. Ztg. 17.5.2003 Spätestens seit dem Film „Gorillas im Nebel" weiß ein großes Publikum, dass der ostafrikanische Berggorilla vom Ausster-
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ben bedroht ist, weil der Mensch ihm immer mehr von seinem Lebensraum nimmt. gorillaartig: Klemperer 1946 LT1112 In dieser Stellung hatte er etwas Gorillaartiges, etwas halb Märchenhaftes an sich: Die Arme waren Affenarme, der breite Oberkörper saß auf zu kurzen dicken Schenkeln, die Beine bildeten ein O; taz 30. 11. 1988 Dieser Effekt kehrt sich dann um, als das Standbild des Komturs riesenhaft, gorillaartig im zweiten Finale in Erscheinung tritt; ebd. 31.5. 1991 Von draußen war bereits auffälliges Lalülala der einrückenden Sicherheitskräfte zu vernehmen, und plötzlich kurvte eine Hundertschaft gorillaartiger Ordner heran, die sich bedrohlich vor der Bühne aufbauten; Berl. Zig. 23. 2. 1998 Ohnehin ist das öffentliche Bild von ihm [Oliver Kahn], in dem er als lumber gorillaartiger Instinkt-Zerberus dasteht, so falsch wie nur irgend etwas. gorillahaft: Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1059) Dies, die Erfahrung am eigenen Leibe, scheint unbedingt nötig zu sein, um [den Nationalsozialismus] zu begreifen: aus dem einfachen Grunde, weil ohne das unmittelbare und handgreifliche Erlebnis die Menschennatur unfähig ist, an ein solches Maß schamloser Niedertracht und gorillahaften Tiefstandes zu glauben; taz 17.6. 2000 Stattdessen ermuntern sie jeden Schriftsteller von auch nur einigem Ehrgeiz zu jenen gorillahaftleeren Imponierauftritten (das Maßanzug-Herzeigen; das Exhibieren der eigenen, ganz besonders dicken Moral; das Kollern gegen die „Beschreibungsimpotenz"; das Schimpfen mit den Schlappschwänzen). Gorilla b: Rundt 1929 Revue-Girl 36 Na, ich dachte mir, es hat doch gar keinen Zweck, sich mit diesem großen Gorilla herumzuraufen, also wollte ich ein bißchen nachgeben, um irgendwie aus der Zwickmühle herauszukommen und hörte auf zu zappeln; Langewiesche 1933 Abenteuer 204 Und
der Mann mir gegenüber . . hatte gedacht, ich sei ein „Killer", ein „Gorilla", ein „Gunman", kurzum ich sei gekommen mit geschwärztem Gesicht und dem Auftrag einer Verbrecherorganisation, um ihn abzutun; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1060) alle gefallenen Völker Europas wissen es, und schrecklich genau weiß es das arme, edle französische Volk, gegen das der Gorilla [Hitler] anfangs sogar gewisse Höflichkeitsvorsätze hatte. Aber er hat nicht aus seiner Haut gekonnt; Offenburger Tagebl. 23. 5.1962 Den vier Leibwächtern [General de Gaulies], den berühmten Gorillas, wurde eine ganze Abteilung ausgesuchter Kriminalpolizisten zur Seite gestellt; Schiff 1971 Mondurlaub o. S. Ein widerlicher Typ . . wird in die Bar zitiert, behängt sich mit einigen Kanonen und geht mit. Wacheschiebend vor der Tür der Süßen. . . Dann allgemeiner Marsch zum Bett der Dame. Vor der Tür der schwerbewaffnete Gorilla. Dann marschiert man in das Zimmer; taz 31. 3. 1987 Sie treten in das Oval Office, wo Reagan, Bush, Weinberger und eine Reihe von Gorillas sitzen; Spiegel 25. 7. 1994 Er lud seine Gorillas mit ihren Amüsiermädchen zum Essen und anschließend ins Regine's ein; Presse 20. 7. 1995 Und, genau besehen, braucht Boris Jelzin ja nur zwei [Hemden]: ein weißes, das allnächtlich von der Frau des Chefgorillas gewaschen, getrocknet und gebügelt wird; und das Lieblingshemd; taz 2. 2. 1998 Ein großes Polizeiaufgebot, verstärkt durch eine Truppe privater Security-Gorillas . . vermittelten eher den Eindruck, daß hier mit aller Gewalt etwas vor den Blicken der Öffentlichkeit versteckt werden muß; St. Galler Tagbl. 24. 7. 2001 Armstrong ist ein Fahrer, der respektiert, aber nicht geliebt wird. Er spricht kein Französisch, er strahlt keine Wärme aus, zwei Gorillas begleiten ihn an Start und Ziel; taz 13. 2. 2006 Einige Monate lang konnte man sicher sein, dass der kleine grauhaarige Mann in Begleitung von drei riesigen Gorillas der [polnische] Präsident war, der andere ohne Bodyguards also der Parteichef sein muss.
Gospel M., auch N. (-s, selten -; -(s)), Mitte 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. amerikan.-engl. gospel, eigentlich 'Evangelium' (< altengl. god-spell 'gute Botschaft', einer wörtlichen Übersetzung von lat. bona adnuntiatio bzw. bonum nuntiutn, womit in zeitgenössischen Glossaren die eigentliche Bed. von lat. evangelium/gnech. wiedergegeben wurde; —> Evangelium). Zunächst nur als Bestimmungswort in der Zs. Gospelsong, dann als Kurzform dafür in der Bed. 'rhythmisches, ekstatisches religiöses Lied bes. der Afroamerikaner im Süden der USA, ursprünglich im Gottesdienst aus Zurufen der Gemeinde während der Auslegung des Evangeliums durch den Prediger entstanden und Elemente des herkömmlichen Spirituals mit solchen von Blues, Jazz und Rock verbindend', auch
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artikellos in absoluter Verwendung als Bezeichnung für die Musikgattung (s. Belege 1994, 1998), in Wendungen wie ein Gospel singen, ein traditionelles, bekanntes, mitreißendes, leidenschaftlich vorgetragenes Gospel, vom Gospel zum Blues wechseln, die Botschaft der Gospel, Gospel und Blues und Zss. wie Gospelchor, -gesang, -konzert, -musik, -quartett, -sänger, -song, -sound, -workshop; Country-, Erbauungs-, Weihnachtsgospel; gospelähnlich, -typisch, -begeistert; dazu in neuerer Zeit die verbale Ableitung gospeln V. intrans. 'Gospels singen, spielen; wie ein Gospel klingen', z. B. inbrünstig gospeln, die Musiker gospeln: „Jesus macht dich high", der Refrain gospelt heftig, der mehrstimmige, soulig gospelnde Gesang, und in jüngster Zeit die adj. Ableitung gospelig 'in der Art, im Stil eines Gospels'. Gospel: Berendt 1953 Jazzbuch 184 Mahalia Jackson . . singt die moderne Form des Spirituals — den Gospelsong —, wie er in den Negerkirchen des heutigen Amerika zu hören ist (AWB); 1957 Knaurs Jazz Lex. 124 Teilweise ist in den Gospels auch noch die alte volkstümliche Gesangsform des Mining out' erhalten, die von den Kolonisatoren im 16. und 17. Jahrhundert aus dem Abendland mitgebracht wurde; Stuttgarter Ztg. 5.5. 1962 Darbietung sechs ausländischer Volkslieder in den Originalsprachen . ., darunter auch einem jener angloamerikanischen Gospelsongs (eine Art liturgischen Evangeliengesangs), wie sie vor allem Mahalia Jackson in den letzten Jahren auch unter den deutschen Schallplattenfreunden zu einem Begriff gemacht hat; Zeit 15. 11. 1985 Seine Frau Daisy . . hält sich schon seit Monaten für eine Gospelsängerin. „Innen bin ich schwarz", sagt Daisy, die lange blonde Haare hat; taz 29. 9. 1990 Furioses Finale war der Gospel der Zugabe, zu der auch Daryle Rice nochmal auf die Bühne kam; ebd. 31.8.1992 Gospel ist die religöse Musik der Afroamerikanerinnen. Im Gospel wird Sein Hohelied gesungen und das Seines Sohnes. . . Was fasziniert eine Nichtgläubige an dieser Musik? Die Inbrunst, mit der Gospelsängerlnnen sich zu ihrer Überzeugung bekennen, das tiefe Vertrauen in den Glauben, das sich in der Musik widerspiegelt und die offen zur Schau getragene Emotionalität, das sind die Momente, die zumindest mich berühren; Spiegel 24. 10. 1994 Anders als in Deutschlands großen müden Amtskirchen ist das religiöse Gefühl in Amerika Verzückung, Gospel, heiliges Gelächter, Trance; 1998 Musik i. Gesch. u. Gegenwart l Sacht. VIII 815 Bekannte Erscheinungen sind der Zusammenhang von Gospel mit Rhythm & Blues, die Motownwelle, die Soulwelle, weiterhin die Konzerte in massenfassenden Convention-
halls der Gospelquartette, der Soloensembles und Gospelchöre, schließlich einmündend in die Kommerzialisierung der religiösen Musiksphäre; Mannh. Morgen 27. 12. 2006 Ähnlich wie Ray Charles verweltlicht James Brown den Gospel, verbindet das spirituelle Flehen nach Gottes Gnade mit dem säkularisierten Sound eines fast komplett auf Rhythmus reduzierten R&B. gospelig: taz 14. 12. 1989 und so gaben die Tubes trotz langer Fahrt und verständlicher Müdigkeit noch eine glanzvolle Zugabe: ein schwankendes New-Orleans-Funeral-Intro erweiterte sich zu einem gospeligen Traditional, voll klagender Lebenslust; Züricher Tagesanz. 30. 10. 1998 Nach einem gospeligen Intro des Bandleaders groovte die Band heftig los; Mannh. Morgen 13. 10. 2004 Von dort schmetterte der Kirchenchor ein gospelig anmutendes Alleluja und später ein inniges „Jauchzet dem Herrn, alle Welt" von Felix Mendelssohn-Bartholdy. gospeln: Spiegel 30. 10. 1967 Die Neger gospeln zu Gott und leiden wie Lämmer (AWB); ebd. 17.1. 1972 Auf der Sesam-Straße macht Burt Lancaster Liegestütz, . . gospelt Mahalia Jackson (AWB); Stern 19. 12. 1979 Zu deren Blues, solo und im Duett, würden zum erstenmal die Bee Gees im Background gospeln (AWB); taz 19.3.1990 Schon vorher war „Reverend Burke", wie man ihn in der Schule liebevoll nannte, in der Kirchenkette seiner Großmutter gospelnd aufgetreten; Frankf. Rundsch. 18. 10. 1997 „Jäh Work" ist gegospelter Reggae vom feinsten, mit Bongo-Geklopfe, vibrierenden Saiten und einer abgeklebten Snare; taz 1. 8. 2003 Lange hat man ihn nicht mehr so inbrunstig gospeln und krächzen gehört; zum Schluss ist er ganz heiser.
gotisch Adj., im früheren 16. Jh. wohl entlehnt aus gleichbed. mlat. gothicus, der adj. Ableitung zu lat. Gothones, spätlat. Gothi, zurückgehend auf den aus got. Gutfyiuda 'Volk der Goten' erschließbaren Volksnamen got. *Gutans PL 'Goten' (vgl.
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gotisch
ital. gotico, frz. gotique/gothique, engl. gothic), früher auch in den Schreibungen gottisch, gotisch, göthisch, göttisch und, bis ins 20. Jh. überwiegend, gothisch. 1 Zunächst mit Bezug auf den ostgermanischen Volksstamm und seine Kultur in der Bed. 'den Goten zugehörig, zugeordnet, von ihnen hervorgebracht', in Wendungen wie das gotische Reich, Heer, die gotische Königstochter, die gotischen Stämme, Scharen, Götzen und Zss. wie west-, ost-, krimgotisch, oft mit Bezug auf die gotische Sprache (s. Belege 1536, 1591, 1644, 1741, 1816, 1857, 1877, 1890, 1985) bzw. subst. als Sprachbezeichnung (s. Belege 1664-67, 1827, 1838, 1919, 1934, 1969) und bezogen auf die von Wulfila, Bischof der Westgoten (um 311—383 n.Chr.) entwickelte gotische Schrift (s. Belege 1575, 1663, 1970), gelegentlich in Unkenntnis der genauen Verhältnisse zur Völkerwanderungszeit auch für 'germanisch-frühzeitlich, altertümlich' (ohne klare Abgrenzung zu 2a, s. Belege 1682, 1891). 2 Seit früherem 17. Jh. unter Einfluss der wertenden Adj. ital. gotico, frz. gothique und engl. gothic zunächst meist ohne Trennung von Benennung und Wertung bezogen auf die gesamtmittelalterliche Architektur, bis sich die auf den Stil (18. Jh.) und Epochenbegriff (19. Jh.) bezogenen Bedd. (2b und 2c) verselbständigen. a Zunächst (vorbereitet in Paraphrasen wie ein grobe vnuerstendige art für die lat. Wendung Gothicum ingenium bei Dasypodius 1536) gelegentlich mit Bezug auf das Individuum und sein durch einen Mangel an Kultiviertheit geprägtes Verhalten in der Bed. 'grob, roh, ungeschliffen, ohne Sinn für maßvolle Beschränkung' (—>· barbarisch 4a und b, —» primitiv, vgl. vandalisch, —»· Vandale), z. T. assoziiert mit „(Kultur-) Verfall, Rückschritt, Barbarentum", auch bezogen auf die ästhetische Urteilskraft für Dinge des täglichen Lebens (Kleidung, Schmuck und Accessoires), die Kunst etc. in der Bed. 'geschmacklos, zu Übertreibung, Überfluss und Maßlosigkeit neigend' (s. Belege 1723 — 27, 1755, 1778), teilweise nicht klar von 5a abzugrenzen (s. Beleg 1920); dann, zurückgehend auf die Künstlerviten des G. Vasari (1550), der die mittelalterliche Kunst als minderwertig und als Niedergang der erst in der Renaissance wieder auflebenden Ästhetik der Antike ansah und den barbarischen Goten zuschrieb, im Bereich von Architektur (und Kunst) vorwiegend in der Bed. 'der natürlichen Ordnung zuwiderlaufend, ungeordnet, barbarisch-roh, verworren-kraus, mit den aus klassisch-antiker Kunst abgeleiteten Regeln der Harmonie nicht übereinstimmend, überladen, wie zusammengestückelt wirkend' (s. Belege 1691, 1729, 1773, 1794, 1806, 1831, 1854, 1871, 1890, 1911), vereinzelt auch mit Bezug auf andere Künste (s. Beleg 1920), in Wendungen wie gotischer Geschmack, im gotischen Geschmack erbaut, gemalt, der pejorative Gebrauch seit dem späten 19. Jh. meist nur noch in historischer Rückschau (s. Belege 1890, 1896, 1933, 1937, 1965, 1985). b Von daher seit frühem 18. Jh. mit Bezug auf den Baustil des Hochmittelalters, anfangs noch (an ital. gotico angelehnt) abwertend 'charakteristisch für die (auf das Volk der Goten/Germanen zurückgehende) barbarisch-rohe und daher hässliche (auch: „(deutsch-)katholische") Architektur des Mittelalters als Zeit des kulturellen Niedergangs' (s. Belege 1766, 1784, 1808), erst im Verlauf des 18. Jhs. (aber bereits deutlich vor Goethes Schrift „Von deutscher Baukunst" 1772), seit dem späten 19. Jh. dann vorwiegend in wertfreier oder positiver Beschreibung mittelalterlicher Baukunst und sich von daher, oft unter Betonung der tiefempfundenen Religiosität der Erbauer und bestimmter rein formal-ästhetischer Aspekte, zum Stilbegriff entwickelnd in der Bed. 'charakteristisch für den nach 1170 in Frankreich entstandenen
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und die gesamte europäische Architektur zwischen dem 13. und dem 16. Jh. prägenden (Profan- und) Sakralbaustil zwischen Romanik und Renaissance, der v. a. durch seine formalen, strukturellen und statischen Besonderheiten (Vertikalorientierung, spitzbogige Formen v. a. der Fenster, Strebewerk, große Fensterflächen) bestimmt ist (und auch historisierend wieder aufgegriffen werden kann)' (s. Belege 1721, 1741, 1795, 1885, 1896, 1931.1, 1959, 1982, 2004), in Wendungen wie der gotische Baustil, im gotischen Stil erbaut, in England wurde noch gotisch gebaut, eine Kirche in gotischem Geschmack, ein Fenster in gotischen Formen, zunächst und bis ins frühe 20. Jh. auch mit der Auffassung verbunden, der Baustil sei deutschen Ursprungs (s. Belege 1833, 1850, 1856) oder gar auf die Goten zurückzuführen (s. Beleg 1879), aber schon im späten 18. Jh. auch auf Gebäude außerhalb des deutschen Kulturraums bezogen (s. Beleg 1784); seit frühem 19. Jh. im Sinne des reinen Stilbegriffs auch mit Bezug auf historisierend-neogotische Bauten (s. Belege 1820, 1931.1, 1959, 2004), vgl. Zss. wie neo-, neugotisch, daneben schon früh ausgeweitet auf andere Zweige der Kunst (s. Belege 1766, 1856, 1933) und vergleichend 'wie für gotische Kunstwerke typisch' (s. Beleg 1934). c Seit frühem 19. Jh. zunehmend zeitlich aufgefasst und als fachspr. Terminus für die Periodisierung der Kunstgeschichte verwendet in der Bed. 'aus der Bau- und Kunstepoche stammend, die das 13. —15. Jh. umfasst und aufgrund stilistischer Unterschiede von der voraufgehenden (Romanik) und der nachfolgenden Epoche (Renaissance) klar abzugrenzen ist, diese repräsentierend', anfangs ausschließlich auf die (Sakral-)Architektur (zunächst nur auf die Deutschlands) bezogen, mit der Erkenntnis des französischen Ursprungs der Gotik dann ausgeweitet auf französische und andere europäische Bauten (s. Belege 1880, 1918), auch von Werken aus anderen Bereichen bildender Kunst und der Gestaltung (s. Belege 1860.2, 1900, 1964, 1970, 1985) und allgemein von mittelalterlichen oder auf das Mittelalter zurückgehenden Verhältnissen (s. Belege 1945, 1970), in Wendungen wie die gotische Kunst des 14. bis 16. Jahrhunderts, ein Bau aus gotischer Zeit, gotische Schöpfungen, die gotischen Dome blieben unvollendet, gotische Majuskel, Minuskel 'aus der gotischen Epoche stammende Schrifttypen' und Zss. wie vor-, früh-, hoch-, spätgotisch. 3 Seit Mitte 17. Jh. mit Bezug auf historische Personen und Verhältnisse (und oft nicht sicher gegen l und 2a abzugrenzen) in der Bed. 'mittelalterlich', zunächst noch ohne klare Vorstellung der Epoche für die Zeit zwischen Antike und Renaissance, oft mit negativer Wertung, z. B. assoziiert mit „dunkles, papistisches, barbarisches Mittelalter" (s. Beleg 1769), in Wendungen wie in denen mittlern oder gotischen Zeiten, die gotische Reichsverfassung, seit Anfang 19. Jh. unter Zurücktreten des Mittelalterbezugs in der abgeflachten Bed. 'altertümlich, altvaterisch, altmodisch, überholt' (s. Belege 1802, 1821, 1879, 1909, 1911) oder 'voraufklärerisch, irrationalistisch' (s. Belege 1931, 1945); daneben wertfrei und positiv konnotiert mit Bezug auf das Mittelalter, bes. das Spätmittelalter, die Spätgotik, in der (seit Mitte 19. Jh. vorwiegend gebuchten) Bed. 'altdeutsch, altfränkisch', z.T. vor dem Hintergrund aktueller geistesgeschichtlich-politischer Verhältnisse (Napoleonische Kriege) (s. Belege 1782, 1833.2, 1840, 1863, 1870) und oft assoziiert mit „deutsches Kaiserreich des Mittelalters, spätmittelalterlicher fränkischer Kulturraum; vorreformatorische Zeit", seit früherem 20. Jh. nur noch historisierend oder in historischer Rückschau (s. Belege 1935, 2004.1).
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4 Seit frühem 18. Jh. mit Bezug auf formale Charakteristika einiger oft Mönchsschrift genannter gebrochener Schriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Textura, —+ Fraktur 1), unabhängig von der Epoche ihrer Entstehung, in der Bed. 'kantig gebrochen und schlank, dornig' (s. Belege 1721, 1808, 1881, 1933), dabei meist ohne genaue Differenzierung der Schriftarten und seit Mitte 20. Jh. vereinzelt mit Bezug auf die „deutsche Schrift" genannte Kurrent- oder Sütterlinschrift (s. Belege 1957, 1983), schon früh konnotiert mit „Mittelalter, Altertümlichkeit, Antiquiertheit" (vgl. 3) und mit „grobe, eckige Formen; Schnörkel" (s. Belege 1721, 1747, 1801, 1933), seit dem früheren 20. Jh. auch mit „Deutschtümelei, (Deutsch-) Nationalismus, Nationalsozialismus" (s. Belege 1957, 1992, 2004), in Wendungen wie die gotische Schrift, gotische Buchstaben, Lettern, Inschriften. 5a Seit Anfang 20. Jh., zurückgehend auf Versuche, mittelalterliche Kunst stilpsychologisch zu interpretieren (W. Worringer, R. Benz) und ausgehend von einer für den nordisch-deutschen Menschen angeblich typischen, Germanisches und Katholisches vereinenden geistig-seelischen Grundhaltung, die sich in der gotischen Kunst und Architektur manifestiert habe, als schlagwortartiger, von Beginn an (etwa als unhistorisch) kritisierter Begriff der Völker-, National- und Individualpsychologie in der Bed. '(wie für germanisch-deutsche Menschen charakteristisch) an der Wirklichkeit leidend und daher inbrünstig-religiös, dabei unruhig, entschlossen und tatkräftig', im Gegensatz zum Konzept des selbstdiszipliniert-maßvollen und nach Harmonie strebenden Menschen der Antike bzw. der Renaissance (J. Burckhardt, s. Belege 1922, 1924, 1931.2, 1986); dann vom Mittelalter losgelöst, aufgrund vermeintlicher Ähnlichkeiten zu Charakterzügen, die für andere Epochen als typisch galten, im Sinne einer (archetypischen) menschlichen Grundveranlagung (s. Beleg 1924), oft nationalcharakterologisch oder politisch gewendet, z. T. gleichgesetzt mit faustisch und mit meist negativen Konnotationen wie „Monarchismus/Royalismus", „Katholizismus", „Nationalismus" (s. Belege 1918, 1921), meist in der Wendung der gotische Mensch, daneben gotischer Geist, gotisches Pathos. b Von daher seit frühem 20. Jh. auch auf Einzelpersonen und deren Aussehen bezogen, das mit dem z. T. krassen Realismus (spät-)gotischer Heiligenfiguren (insbes. des leidenden Christus) in Beziehung gesetzt wird, in der Bed. 'durch Erfahrungen intensiven Leidens oder demütiger Entsagung verhärmte, von Schmerz beseelte (oder sehnsüchtig-ausdrucksvolle) Gesichtszüge tragend', in Wendungen wie gotischer Leidenszug, gotisches Gesicht. 6 Seit früherem 20. Jh. mit Bezug auf literarische und filmische Motive, anknüpfend an die Literatur der deutschen Romantik (C. H. Spieß, E. T. A. Hoffmann) und v. a. an die Tradition der „gothic novel", des im späteren 18. Jh. aufgekommenen englischen Schauerromans (H. Walpole, A. Radcliffe) mit seinen typischen Themen (Übernatürliches, Irrsinn, Verfall, Tod) und Schauplätzen bzw. Requisiten (gotische Kirchen, Klöster, Burgen, Wohnhäuser oder deren Ruinen als Symbole des Verfalls), die als Relikte einer finsteren, unaufgeklärten Zeit angesehen und (von den protestantischen, englischen Literaten) zur Schaffung einer unheimlichen Atmosphäre verwendet wurden, in der Bed. 'düster, geheimnisvoll, mysteriös (und deshalb unheimlich, furchterregend)', häufig mit diffusem, dunkel-religiösem oder okkultem Hintergrund, in Wendungen wie gotischer Horror, Schauer, Roman, häufig in der archaisierend-anglisierenden Schreibung gothisch (s. Belege 1993, 2001.2, 2004); von daher in jüngster Zeit auch bezogen auf eine Reihe unterschiedlicher, von der sog.
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Gothic-Szene (s.u.) getragener Stilrichtungen der Popmusik seit den 1980er Jahren (Gothic Punk, Gothic Rock, Gothic Metal, Electrogoth), häufig geprägt durch monoton-repetitive Klänge von düsterer, melancholischer Wirkung und Texte, die sich mit Okkultismus, bisweilen Satanismus und Todessehnsucht beschäftigen, in Wendungen wie die gotischen Klänge von „Bauhaus", brutal-gotische Metalbands wie „Paradise Lost" oder „Tiamat" (s. Belege 1992, 2001.1, 2003). Dazu seit späterem 18. Jh. vereinzelt (1768 noch N. und eventuell adj. aufgefasst, dabei nicht klar von Bed. 3 abzugrenzen), seit Mitte 19. Jh. kontinuierlich belegt die wahrscheinlich durch gleichbed. frz. gotique subst. Adj. beeinflusste subst. Ableitung Gotik F. (-; ohne PL), anfangs auch in den Schreibungen Gothique, Gothik, zunächst ausschließlich auf (Sakral-)Architektur bezogen in der Bed. 'Epoche der Baukunst, die das 13. bis frühe 16. Jh. umfasst und zwischen Romanik und Renaissance angesiedelt ist', meist schon ebensogut auf französische und andere europäische wie auf deutsche Bauten bezogen, später auch von anderen Bereichen der Kunst (s. Belege 1909, 1946) und im Kontext der Wiederbelebung der Gotik im Historismus (Neogotik), daneben mit Übergängen zum Stilbegriff der Gotik (vgl. 2b; s. Belege 1863, 1964), in Wendungen wie zwischen Romanik und Gotik, die aus der Gotik stammende Kirche und Zss. wie Vor-, Früh-, Hoch-, Spät-, Sonder-, Neo-/ Neugotik 'Architekturströmung vom späten 18. bis zum frühen 20. Jh., in der Stilelemente der mittelalterlichen Gotik wiederaufgegriffen wurden' (zu 2c); im 18. und 19. Jh. vereinzelt in der übertragenen Bed. 'ungeordnete, disharmonische, maßlose und übertrieben reiche Fülle an rohen, ungeschliffenen Elementen, die nicht zueinander passen', in Wendungen wie Gotik der Phantasie (zu 2a); seit frühem 19. Jh. auch in der Bed. 'die Zeit zwischen dem 13. und dem 16. Jh. prägender europäischer (Profan- und) Sakralbaustil, der v. a. formal, durch die Vertikalorientierung, die große Anzahl der Säulen und die schlanke, spitze Form der Bögen und Fenster bestimmt ist', nur vereinzelt oder in historisierender Sprechweise mit explizitem Bezug auf die angebliche Entstehung des Stils auf deutschem Boden (s. Beleg 1939), heute kunstwissenschaftlich präzisiert mit Bezug auf seine strukturellen und statischen Besonderheiten (Strebewerk und große Fensterflächen), seit dem 19. Jh. als reiner Stilbegriff auch in Bezug auf neogotische Bauten (s. Belege 1883, 1906, 1959), in Zss. wie Neo-/Neugotik 'historisierender Stil vom späten 18. bis ins frühe 20. Jh., der seine Vorbilder in der Gotik des Mittelalters hat', oft nicht sicher gegen 2c abzugrenzen (s. Belege 1873, 1920, 2004), selten auch mit Bezug auf andere Zweige der bildenden Kunst (s. Beleg 2004), in Wendungen wie deutsche (Sonder-)Gotik, in englischer, französischer Gotik erbaut, im Stil der Gotik gestaltet, die Gotik des Doms, am Profanbau, eine in französischer Gotik erbaute Kapelle, der Dom in seiner filigranen Gotik und (z. T. abwertenden) Zss. wie Kathedral-, Reduktions-, Sonder-, Backstein-, Schnörkel-, Zuckerbäckergotik (zu 2b). Dazu seit früherem 19. Jh. die Personenbezeichnung Gotiker M. (-s; -) 'der Gotik, dem gotischen Baustil verpflichteter Baumeister/Architekt' mit Bezug sowohl auf mittelalterliche (s. Belege 1911.2, 1996) wie auf neuzeitliche, neogotisch bauende Architekten (s. Belege 1862, 1890), in Wendungen wie die Gotiker des Mittelalters, der Neuzeit, überzeugte Gotiker, dann auch mit Bezug auf Künstler anderer Gattungen (s. Belege 1946, 2004) in Zss. wie Früh-, Spätgotiker, bzw. für 'Kenner, Liebhaber der gotischen Kunst/Epoche' (s. Belege 1871, 1890, 1911.1, 1928, 1933) (zu 2b, oft nicht sicher gegen 2c abzugrenzen oder mit Übergang zu 5a, s. Beleg 2000);
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daneben seit Mitte 20. Jh. vereinzelt, auch in der movierten Form Gotikerin F. (-; -nen), als Bezeichnung für den nordisch-deutschen Menschen und seine angeblich germanisch-katholische Grundhaltung in der Bed. 'an der Wirklichkeit leidender, daher inbrünstig-religiöser, entschlossener und unruhig-tatkräftiger Mensch' (zu 5a). Dazu seit späterem 19. Jh. die verbale Ableitung gotisieren V. trans, 'ein aus einer anderen Epoche stammendes Gebäude dem (neo-)gotischen Stil anpassen, es entsprechend umgestalten' (s. Belege 1964, 1985), z. B. im 15. Jh. wurde die romanische Kirche gotisiert, meist adj. verwendet im Part. Präs, gotisierend 'den (Bau-)stil des 13.-15. Jh. historisierend nachahmend' (s. Belege 1890, 1905, 1929, 1931, 2004), vereinzelt auch von vorgotischen Bauelementen 'bereits gotisches Gepräge aufweisend' (s. Beleg 1883), z.B. gotisierende Ornamente, Formen, Tafeln, Ablauf flächen, das gotisierende Münchener Rathaus (zu 2b); im späten 19. Jh. vereinzelt auch reflex, sich gotisieren 'sich der Kultur, Lebensweise, Sprache etc. der Goten anpassen', im Part. Perf. gotisiert in der Bed. 'von der gotischen Sprache geprägt' (zu 1), in jüngster Zeit vereinzelt in der Bed. 'der gotischen Schrift (des Mittelalters) ähneln', konnotiert mit „(deutsch-)nationalistisch, nationalsozialistisch" (zu 4); dazu seit späterem 19. Jh. das Verbalsubst. Gotisierung F. (-; -en) '(nachträgliche) Umgestaltung eines Gebäudes im Stil der Gotik' mit den Präfixbildungen Ent-, Re-, Vergotisierung (zu 2b) und vereinzelt 'Vorgang, bei dem eine Schrift dem Aussehen der gotischen Schrift (des Mittelalters) angepasst wird' (zu 4). Seit Anfang 20. Jh. die subst. Ableitung Gotizismus M. (-; -en) 'historisierende Nachahmung des gotischen Stils in nachgotischer Zeit, Neogotik', um 1931 von F. Landsberger („Kunst der Goethezeit") aufgegriffen und als Gegenbegriff zu Klassizismus geprägt (s. Beleg 1943) (zu 2b), daneben fachspr. in der Sprachwiss. 'aus dem Gotischen stammendes oder für das Gotische typisches Element in einer anderen Sprache, das Bestandteil dieser Sprache geworden ist' (s. Belege 1957, 2000, vgl. Anglizismus, halianismus, Gallizismus), in der Geschichtswiss. 'bewusste (ethnologisch-genealogisch legitimierende und identitätsstiftende) Rückführung des schwed. Volks/Herrscherhauses auf den Volksstamm der Goten in der frühen Neuzeit', auch in der vom Schwed. beeinflussten Lautform Gotizismus (s. Belege 1977, 1997, 2004) (beide zu 1); dazu etwa gleichzeitig die adj. Ableitung gotizistisch für 'den gotischen Stil in nachgotischer Zeit nachahmend, neogotisch' (zu 2b) und, meist in der an schwed. götisk angelehnten Form gotizistisch 'dem Gotizismus zugehörig, aus ihm abgeleitet, durch ihn motiviert' (zu 1). Dazu in jüngster Zeit aus gleichbed. engl. gothic entlehntes Gothic N. (-; ohne PL), auch in den Formen Gothik und Gotik, als Name für eine in den frühen 1980er Jahren aufgekommene, heute weit verbreitete individualistische Subkultur und ihre Musik (s. Beleg 1991), häufig geprägt durch einen Hang zu Melancholie (bis hin zur Todessehnsucht), Okkultismus (auch Satanismus) und eskapistische Mittelaltersehnsucht (z.T. auch sadomasochistisches Gebaren), deren Anhänger sich durch vorwiegend schwarze Kleidung, Piercings, das Tragen okkulter Symbole und ungewöhnliche Haarschnitte zu erkennen geben, in Wendungen wie im aktuellen Gothic-Look daherkommen, neue Modeströmungen wie Punk, Gothic, Industrial und Zss. wie Gothic-Subkultur, -Szene, -Kult, -Party, -Festival; dazu die adv. Ableitung gothic und die Personenbezeichnung Goth (alle zu 6). gotisch 1: Wicelius 1536 Annotat, d3b die Gothi haben vorzeiten die heiligen bibel in jhre gothische
zungen gewandelt (DWB); Fischart 1575 Geschichtklitterung 218 die Gottische Schrifft . . de-
gotisch ren Exempel etlich Lazius und Goropius zeigen; Spangenberg 1591 Adels-Spiegel 5b In Gottischer Sprache setzt das tegliche gebet das vater unser also an: Hatta unsar in Himmina; Harsdörffer 1644 Gesprechspiele I 357 wie wir sehen daß die Frantzösische Sprache von der Celtischen/ Griechischen und Römischen oder Lateinischen/ die Welsche von der Lateinischen und Gotthischen/ die Spanische von der Gotthischen/ Arabischen und Lateinischen gemenget sind; Schottet 1663 Haubt Sprache 54 Daß aber die Gotische Sprache eben diese/ welche man die Teutsche nennet/ im Grunde gewesen sey/ ist gar gewiß/ wie solches aus den uhralten Nahmen der Gotischen Männer und Weiber/ auch aus ihren alten Reimen abzunehmen; ebd. 56 die uhralten Teutische oder Ccltische oder Gotische Buchstaben; Rachel 1664—67 Satyr. Gedichte 118 Welch' eine Sprache soll' in Teutschland endlich sey n?/ So hat die Barbarey das gut Latein zerstükket,/ Und Gotisch, Wendisch, Teutsch mit Macht hinein geflikket; Ammersbach 1682 ChurBrandenb. Chronik 19 f. (Grässe 1868 Sagenb. d. Preuß. Staats I 27) Diese Saca oder Sachsen haben mit den Dähnen große vielfältige Kriege geführet, vornemblich umb Juciam, daraus sie die Thüringer vertrieben hatten, die alda als Gottische Völcker gewohnet haben (DiBi 125); Canitz 1700 Satyren u. Übers, o. S. wie die Gothen ihren Heydnischen Gottesdienst in Preussen eingeführt, . . wovon die Übereinstimmung der Gothischen und Preußischen Götzen in allen Dingen sattsam zeuget (DiBi 125); Jablonski 1721 Allg. Lex. 255b durch die gothischen, vandalischen, langobardischen und andere völcker angerichtete allgemeine Verwüstung (DWB); Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 361 Gothisch . . nach der Aussprach der alten Gothen, davon wir noch eine Übersetzung der Evangelisten haben, unter dem Namen des Codicis argentei des Ulfilae; Abbt 1781 Port. Geschichte 12 Die Kalifen . . zerstören das Gothische Reich; Campe 1808 DWB II 425 Gothisch .. den Gothen eigen, ähnlich von ihnen herrührend; 1816 Urspr. d. Hunnen 350 wahrsagende Weiber, die in gotischer Sprache Alirunen hießen; 1827 Rez. üb. Ludens Gesch. d. teutschen Volkes 158 Uebersetzen wir dieses Wort gentes ins Gothische, so heisst es thiudos; Oertel 1831 Fremdwb. 368 Gothisch, v. den alten Gothen, einem germanischen Völkerstamme; Heyse 1838 Grammatik (1972 Sprachgesetze 131 Anm.) Nach Bopp . . giebt es im Germanischen, schon im Gothischen, keine reinen nominalen Wurzelwörter; Marx 1843-45 MEG A IV 2 o. S. [Das] Gothische Heer 2 Meilen diesseits Poitiers, an der Vienne; Chlodwig über den Fluß, schlägt die Westgothen; Hasemann 1857 Gewerbe 352 spricht sich der Grundbegriff des Wortes in der Bedeutung Drehepunkt, Gesinde aus, gemäß der Abstammung von
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werben, gothisch hvairban, althochteutsch hwerpan; Dahn 1876 Kampf um Rom 114 Wir sind Goten und leben nach gotischem Recht. Germanische Jünglinge werden mündig, wann sie das gesammelte Volksheer waffenreif erklärt (DiBi 125); Söltl 1877 Volk 31 Gothische Schaaren drangen über die Donau verheerend bis nach Macedonien vor; ebd. 32 Er [Wulfila] . . übersetzte die heilige Schrift in die klangvolle, aber noch ungebildete Deutsche Gothische Sprache und erfand zur schriftlichen Aufzeichnung eigene Zeichen; Paul 1890 Grundriß I 79 sogenannten gotischen, d. h. germanischen sprachen (DWB); Wetgand 1909 fremdwb. l 751 gotisch . . den Goten eigen; Klemperer 1919 Tagebücher 205 In ein paar Minuten hatte man ein lebendiges Bild von dem halb verkommenen genialischen Professor. Der Mann . . doziert was ihm einfällt, beginnt beim Gothischen, endet bei den Düngemitteln; 1934 ZfdA LXXI 188 im Gotischen Ulfilas gibt es stabreimende Verbindungen; Partner 1964 Erben 29 die gotische Königstochter, die in diesem Kampf die angestammten Rechte des merowingischen Hauses vertrat; Lenz 1969 Examen (W. XV 353) Wenn sie ihm nur Gotisch ersparen und Althochdeutsch, oder wenn ich für ihn antworten könnte, falls sie mit Ablautreihen anfangen; Krause 1970 Runen o. S. Verwendung einiger Runen in der gotischen Schrift Ulfilas; Zeit 24. 5. 1985 Vulfila (um 311 - etwa 383, geistliches Oberhaupt der gotischen Stämme auf dem Balkan . .); taz 30. 11. 2004 Kieler und Magdeburger haben gotische Urahnen; ebd. 7. 3. 2005 Der Bischof Wulfila (gotische Fragmente christlicher Texte) und Franz Kafka befanden sich in ein und demselben Raum. (sich) gotisieren: Pflugk-Hartung 1886 Gesch. d. Mittelalters I 173 die hunnischen fürsten begannen gotische namen zu tragen, . . die Hunnen fingen an sich zu gotisieren (DWB); Wrede 1924 (Zs. f. dt. Maa. XIX 282) wie unser Niederdeutsch ein verdeutschtes Ingwäonisch darzustellen schien, so wäre ähnlich unser Deutsch ein gotisiertes Westgermanisch! Gotizismus/Götizismus: 1957 Sprache 111 73 Gotizismen im Finnischen; Lahmer 1977 Das gotische Evangelium und die cimbrischen Heiden: Daniel Georg Morhof, Johann Daniel Major und der Gotizismus (Titel); Hillebrecht 1997 Skandinavien o. S. Götizismus . . Die Überzeugung, der Norden sei das Ursprungsgebiet der sagenhaften Goten, ist in Schweden seit König Gustav II. Adolf (1594— 1632) etabliert. Die Vorstellung, daß die Goten, nachdem sie aus Skandinavien ausgewandert sind, sich fast die ganze bekannte Welt unterworfen und dann ansehnliche Gebiete Europas bevölkert hat-
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ten, wird seither als identitätsstiftend tradiert; ebd. o. S. Götizismus in Skandinavien . . umfaßt nationalistische Geschichtsschreibung, die Übertragung von vermeintlichen altnordischen Attributen auf die Gegenwart ebenso wie die ästhetische Untersuchung und Übersetzung von Eddagedichten .. Beschäftigung mit vorgeblich genuin nordischen Eigenschaften; 2000 Duden Fremdwb. 514 Götizismus . . Übertragung einer für das Gotische charakteristischen sprachlichen Erscheinung auf eine nicht gotische Sprache; Busch 2002 Großmachtstatus 9 Unter dem Begriff Götizismus (schwedisch: 'göticism') verstehen wir eine altertümelnde geistige Strömung, welche in Europa seit dem Ausgang des Mittelalters an Einfluß gewann . . Wesentliches Merkmal ist der Bezug der Geschichte des jeweiligen Landes auf die mythischen Überlieferungen vom nordostgermanischen Volkstamm der Goten. gotizistisch/götizistisch: Ektnans 1949 Arbeiten 137 gegen den Hintergrund seiner götizistischen Einstellung betrachtet; 1967 Revue Int. d'Ethnologie 86 Die Fragen, die man zuvor mit Hilfe einer spekulativen Geschichtsforschung götizistischer Art zu beantworten gesucht hatte, griff man nun mit neuen Methoden auf; Hillebrecht 1997 Skandinavien o. S. Bezugspunkt für eine nationalistische Geschichtsschreibung in Schweden ist die ausschließlich retrospektive Konstruktion der Vergangenheit . . Die von der götizistischen Bewegung verfolgte Konzeption zur Durchsetzung eines kollektiven Empfindens gewinnt in Schweden eine spezielle Ausprägung; Busch 2002 Großmachtstatus 9 Die schwedische Kulturgeschichte wurde besonders im ausgehenden 17. Jahrhundert stark von götizistischen Strömungen beeinflußt; Schmidt-Voges 2004 Götizismus 55 Aber auch innerhalb des Deutschen Reiches gab es unterschiedliche Einbindungen götizistischer Mythen. gotisch 2a: Opitz 1644 Weltl. Poemata Vorr. o. S. Nach diesem [dem Poeten Claudian (?)] ist auf einmal die Gewalt und Wissenschafft der ewigen Statt gemach und gemach verdorret/ und sind auß Römischen Keysern Gottische Tyrannen/ auß Lateinischen Poeten Barbarische Reimenmacher unnd Bettler worden Daß man also beydes fast nichts löbliches gethan/ und wenig artliches geschrieben hat; Goldmann 1691 Civil-Bau-Kunst 41 bey den wilden Völckern befand sich alles widersinns, und müssen wir von der wilden und gothischen BauArt diese Ungebundenheit, daß ihre Meister fast keine gute Verhältnüss erkenneten, sondern auss ihren unverständigen Köpffen machten sie Erfindungen, der durchbrochenen steinern Spinneweben, und dünnen steinernen Stangen [!]; Haller 1723—27 Tagebücher 114 ein Zeichen des Gothi-
schen Geschmakes der Teutschen, die ein feines agrement nicht fühlen und änderst nicht als durch grobe zweydeutige Wörter gerührt werden; Keyssler 1729 Reisen (Ausg. 1776) l 343 Die [romanische] Domkirche [in Lucca] nimmt einen großen Platz ein und ist von gothischer Baukunst oder Architectura Tedesca, wie man sie in Italien zu nennen pfleget; Bodmer/Breitinger 1746 Mahler d. Sitten H 209 In denen gothischen Jahrhunderten, wo die Barbarie den guten Geschmack verdrungen hatte, ward das Ebenmaß der Natur . . aus der Acht gelassen; Nicolai 1755 Br. (Ndr. Ill 2,124) die unnöthige Pracht eurer Haarbeutel abzuschaffen, sie sind gothische eckigte Zierrathen; Goethe 1773 Baukunst (WA l 37,144) Unter die Rubrik „Gotisch" gleich dem Artikel eines Wörterbuchs, häufte ich alle synonymische Missverständnisse, die mir von Unbestimmtem, Ungeordnetem, Unnatürlichem, Zusammengestöppeltem, Aufgeflicktem, Überladenem jemals durch den Kopf gezogen waren. Nicht gescheiter als ein Volk, das die ganze fremde Welt barbarisch nennt, hieß alles „Gotisch", was nicht in mein System passte, von dem gedrechselten bunten Puppen- und Bilderwerk an, womit unsre bürgerliche Edelleute ihre Häuser schmücken, bis zu den ernsten Resten der älteren deutschen Baukunst; Wagner 1776 Kindermörderin 11 Fr. Humbrecht. . . ich war nächst an den vier und zwanzigen .. und doch lachten mich meine Kameraden all aus, daß ich so jung heyrathete. v. Gröningseck. Gothische Zeiten! Gothische Sitten!; Sulzer 1778 Theorie 347 Man mache einen, im niedrigen Stande geborenen und unter dem Pöbel aufgewachsenen, Menschen auf einmal groß und reich, so wird er, wenn er in Kleidung, in Manieren, in seinen Häusern und Gärten und in seiner Lebensart, die feinere Welt nachahmet, in allen diesen Dingen gothisch sein. Das Gotische ist überhaupt ein ohne allen Geschmack gemachter Aufwand auf Werke der Kunst; Stieglitz 1794 Baukunst H 539 f. Daher nennt man eine Bauart Gotisch, welche von dem Charakter und den Proportionen der Griechischen und Römischen Bauart gänzlich abweicht, eine Bauart, die zwar dauerhaft, prächtig und zierlich, aber auch mit einer Menge unnötiger und unschicklich angebrachter Zierraten überladen ist; Bouterwek 1806 Aesthetik 7 Vieles hat dann Derjenige für sich, wer mit dem mißhandelten Worte Schön vorzüglich den antiken Sinn verbindet, der sich mit der griechischen Cultur entwickelte, mit ihr unterging, und in den neueren Zeiten, die auf die gothischen Jahrhunderte folgten, . . nur mühsam, wieder hergestellt wurde; Gerstenberg 1816 Verm. Sehr. Ill 403f. den Kontrapunkt geringschätzen oder gar ihn mit Rousseau für eine gothische und barbarische Erfindung halten; Oertel 1831 Fremdwb. 368 Gothisch . . regel-
gotisch los, geschmacklos, verhältniswidrig; Menzel 1854 Kunstwerke H 62 daß König Chlotar . . um 560 . . habe eine Kirche bauen lassen, und daß die Baumeister Gothen aus Italien gewesen seien. Dies scheinen uns Gründe zu sein, mit denen vielleicht die Entstehung der Bezeichnung: „gothisch" sich darthun .. läßt in Bezug auf alles dasjenige, was im Kirchenbau mit dem echt Römischen im Widerspruche stand; Sanders 1871 Fremdwb. I 451 gothisch . . Oft mit tadelhaftem Nebensinn, nam. des Schnörkelhaften od. auch des Rohen, Rauhen, Barbarischen; Heyne 1890 DWB l 1223 Die Franzosen des 17. Jh., besonders Boileau, brauchten das Adj. gothique im Sinne des Mittelalterlichen, mit dem Beisinne des Barbarischen, Rohen, Geschmacklosen, was bei den Deutschen des 18. Jh. Nachahmung fand . . geblieben von dieser Anwendung ist gotische Baukunst, gotischer Stil, ursprünglich verächtlich gemeint; Paulsen 1896 Gesch. d. gel. Unterrichts l 72 Dagegen ist .. bei den Humanisten als solchen die Geringschätzung des Heimischen ein wesentlicher Zug . . sie schämen sich der Heimat als des Landes der Barbarei. Die Sprache und Dichtung ihres Volkes ist ihnen ein Gespött, der Reim eine Erfindung der Goten oder Hunnen, Baukunst und Bildnerei ein Erzeugnis gotischer Barbarei; bis ins 18. Jahrhundert, bis zu den Tagen, da Goethen die Schönheit des Straßburger Doms aufging, ist „gotische" Baukunst ein Beiwort, das wegwerfende Verachtung ausdrückt; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 373 gotisch . . roh, barbarisch; 1920 Almanach d. Musikbücherei 85 Das ewig Gärende, Revolutionäre in Regers Werk, dieses rastlose Nachobendrängen . . die Überfrachtung mit Einzelheiten, dann seine Vielgliedrigkeit . . endlich aber das Mystische, Dunkle, das Ekstatische, religiös Feierliche in seiner Sprache, das alles sind Kennzeichen und Äußerungen gotischen Geistes; Genius 1933 Fremdwb. 373 gotisch . . früher auch: fremdartig, geschmacklos; Schlosser 1937 Magistra 49 jenes von den Italienern als „gotisch" gebrandmarkten Weltstils; Heimpel 1956 Kapitulation 101 nach der alten Freiheit sehnt sich niemand, nach jener mittelalterlichen Immunität, nach jenem gotischen Zustand [der Universität] . . da die Rektoren mit ihren Gerichtsbarkeiten nicht zu Rande kamen und die Professoren einen guten Teil ihrer Zeit damit zubrachten, Getreidezehnten zu versilbern, Zollwächter zur Ablieferung ihrer Turnosen zu veranlassen oder aus Schankgerechtigkeiten Geld zu machen; Krauss 1965 Perspektive 269 dass im 18. Jh. die „gotischen Sitten" immer wieder verspottet wurden; Zeit 29. 3. 1985 Hatte in der Renaissance Vasari die mittelalterliche Kunst als „gotisch", nämlich barbarisch abgewertet, weil sie minderwertig sei gemessen an den strengen Kriterien der Abbildlichkeit der Renaissance.
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Gotik: Oeser vor 1799 (Hallo 1934 Raspe 202) Alles, was man unter dem Namen der Gotik verstehet, ist übertrieben, mit einem ängstlichen Fleiß überladen, ohne vernünftige Verhältnisse; Lange 1866 Materialismus 8 wird nicht die ganze frucht der modernen aufklärung . . mit der Vernichtung bedroht, wenn . . der extremste radikalismus des kritischen Verstandes sich mit den bunten gebilden einer großartig wilden gothik der phantasie versöhnt? (DWB). gotisch 2b: Jablonski 1721 Aug. Lex. 255b gothisch, gothicus, gothique in der bau-kunst eine bau- und seulen-ordnung, die von der alten griechischen und römischen art weit entfernet und besondere proportiones hat. sie ist zu der zeit aufgekommen, da nach der . . allgemeinen Verwüstung . . die länder sich wieder zu erholen und zu erbauen angefangen, sie ist beständig und prächtig, wie die davon allenthalben noch übrige ansehnliche gebäude zeugen, auch zierlich, wie wohl von einer ändern art der Zierlichkeit, darum sie den heutigen baumeistern nicht gefallen will (DWB); Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 361 Gothisch, in der Bau-Kunst, methodus aedificandi, hodie obsoleta. Die Gothische Bau-Art ist nicht mehr im Brauch; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 86) Sie ist hier nichts besser, als die beschriebenen Zettelchen, die auf alten gotischen Gemälden den Personen aus dem Munde gehen; 1784 Merkur l 235 CatedralKirche zu York, die eines der gräßlichsten Denkmäler im Gothischen Geschmacke ist; Wölfling 1795 Reise I 8 [Straßburger Münster] in dem schönen gothischen Style; Kotzebue 1803 Kleinstädter (DNL CXXX/X 214,8) Vor allen Dingen werd ich dem Herrn unser Rathaus zeigen. Ein Baumeister aus Gotha hat es vor 300 Jahren erbaut. Es ist im echt gotischen Geschmack; Campe 1808 DWB II 425 Die Gothische Bauart, die sich durch lange, dünne und meist gekünstelte Säulen, durch spitz auslaufende Gewölbe und Fensterbogen, überhaupt meist durch unförmliche Massen, steife und überladene Schnörkel auszeichnet, dafür aber doch nicht selten Erhabenheit zeigt; 1820 Kunst-Blatt 199 In England ist die Verehrung für die gothische baukunst so groß, daß man nicht nur . . in diesem reichen Styl aufgeführte Denkmale . . wiederherstellen . . lässt, sondern es werden .. neue . . Gebäude in dieser Art errichtet; Heyse 1833 DWB l 459 Gothische Bauart, richtiger altdeutsche, da zur Zeit ihrer Blüthe der Volksnamen der Gothen längst erloschen war; 1850 Beschr. OA Böblingen 184 die alte im germanischen (gothischen) Style erbaute Pfarrkirche; Springer 1854 Baukunst d. christl. Mittelalters 117 Von den vorgeschlagenen Namen ist jener des gotischen Stils unstreitig am wenigsten sachgemäß, er hat aber das Alter und
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die Gewohnheit für sich, während die übrigen: deutscher, germanischer, Spitzbogenstil die Mängel des ersteren nicht völlig aufheben; 1856 Ber. Pariser Ausstellung 613 den mittel-altdeutschen Styl (Gothisch) [bei Möbeln]; Petri 1879 Handb. a. Fremdwörter 376 Gothisch, den Gothen eigene gothische Baukunst, der vom 13. Jahrhundert an herrschend werdende, besonders in Deutschland ausgebildete Baustil, Spitzbogenstil; Hackländer 188!) Sklavenleben 268 ein spitzes Gewölbe in gothischer Form, bestand auf beiden Seiten aus Eisen und Glas; Kerr 1896 Br. a. d. Reichshauptstadt 219 man steht im Justizgebäude (nicht byzantinisch gebaut, auch nicht gotisch, sondern modern); Landsberger 1931 Kunst 124 Überall sonst tritt die gotische Baukunst nur ganz gelegentlich auf, etwa wenn es gilt, einer alten Kirche eine neue Turmspitze aufzusetzen, wie es [Carl Gotthard] Langhans an der Marienkirche in Berlin tat [1789 — 90], oder wenn in Gärten gotische Kapellen zu errichten waren, wie im Schloß Hohenheim bei Stuttgart; TA. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. X 319) es wurde in England noch gotisch gebaut, als auf dem Kontinent der neue Stil sich durchzusetzen begann; 1933 Festschr. a. Egger 19 die polar dem „Klassisch"-Antiken entgegengesetzte „gotische" Musik des abendländischen Mittelalters; Penzoldt 1934 Erdenwurm 184 die schöngeistige Corona Freese reichte mir . . lächelnd ihre gotisch schmale Hand; Münch. Stadtanz. 28.8.1959 Münchner, welche die das gotische Neue Rathaus bewundernden . . Fremden mit spöttischer Miene betrachten . . „Mei, wenn die wüßten, daß des Rathaus gar net echt is."; Knoepfli 1982 Spr. d. Kunsthistorikers 184 sie [die Kunstwissenschaft] streite ja heute noch darüber, ob die Bewegung des gotischen Kathedralraumes von unten nach oben strebend zu lesen sei oder in umgekehrter Richtung; Berl. Zfg. 12. 1. 2004 Friedrichshain-Kreuzberg: . . gotischer Saal in der ehemaligen Schultheiss-Brauerei an der Methfesselstraße. Gotik: 1830 Kunstblatt 63 Madonna della Spina [in Pisa], eine kleine aus Marmor in italienischer Gothik erbaute Kapelle; Burckhardt 1842 Kunstwerke I 115 f. Hauptformen der Gotik im Kölner Dom; i 855 Prutz' Museum II 324 An den seltenen romanischen Bau auf der Burg und an der Sebaldkirche reiht sich die Gothik; Renaissance ist vorhanden; Barockstil und Zopf machen sich vor allem breit; Fontäne 1873 Wanderungen (S. W. IX 426) Es ist bemerkenswert, daß alles Gotische oder aus der Gotik Hergeleitete auf unserem märkischen Boden seit Wiederbelebung dieses Stils (eine Epoche, die kaum zwei Menschenalter zurückliegt) nicht gelingen wollte; ders. 1878 Vor d. Sturm (Romane u. Erz. II 330) Grell, seiner Gewohnheit
nach, musterte das Zimmer, das aus der Zeit stammte, wo Gotik und Renaissance sich um die Herrschaft gestritten hatten. Der Erker war noch gotisch, während die großen Wandflächen und insonderheit die Stuckornamente schon auf Etablierung der Renaissance deuteten (DiBi 125); Lichtwark 1883 Studien H 103 Es fehlt nicht viel, so wird auch am Profanbau die Gothik in Berlin einziehen; Heigel 1906 Essays 174 Das . . Rathaus ist [um 1850] . . in der unseligen Periode der Herrschaft der Heydeloffschen Gotik restauriert, d. h. verunstaltet worden; Hertling 1920 Erinn, II 135 Gilt doch die lie de France, auf der die Kathedrale [Notre Dame, Paris] erbaut ist, als die Geburtsstätte der Gotik; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 642) [Sulpiz Boisseree] Gab sich alle Müh, mich die eigene vaterländische Erfindung des altdeutschen Bauwesens sehen zu lassen, und daß die Gotik mehr gewesen als die Frucht der verfallenen römischen und griechischen Architectur; Münch. Stadtanz. 28. 8. 1959 In der Tat, die „Gotik" des Neuen Rathauses [Münchens] . . entstand in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als man in alten Baustilen schwelgte; Mannh. Morgen 2.3.1985 Bis auf den Dom, der in seiner gebrechlichen Gotik die Trümmer einsam überragte, fand man in Köln nach dem Kriege kaum etwas von der berühmten . . Stadtansicht; ebd. 8. 4. 2004 Im Stil der Spätgotik oder Renaissance gestaltet, sind die Kalvarienberge das Herzstück des „Enclos paroissial", des umfriedeten Pfarrbezirks mit Kirche, Beinhaus und Totenkapelle. Gotiker: 1837 Zs. f. h ess. Gesch. 115 den großen hessischen Gothiker und Lehrer der Bauwissenschaft an der polytechnischen Schule zu Cassel, Georg Gottlob Ungewitter; 1841 ZfdA I 209 Der Verfasser des Antichristspiels war ein Gotiker, der in symbolischen Gestalten und Handlungen die mystischen Tiefen der deutschen Staatsauffassung und des religiösen Erlebens zum Ausdruck brachte; der Archipoeta aber war ein Renaissancemensch, hundert (?) Jahre vor der Renaissance; Fontäne 1862 Wanderungen (N. A. IX 116) daß er [Schinkel] diesen Erinnerungsbau [die geplante, aber nie gebaute Friedenskathedrale] .. als einen großen gotischen Dom (mit Kuppel) auszuführen gedachte. Also 1818 noch Gotiker (DiBi 125); Sanders 1871 Fremdwb. I 451 Gothiker . . ein der Gothik Huldigender; l·ritsch 1890 Stil-Betrachtungen (Dtsch. Bauztg. XXIV 434) unter den Gothikern „christlich-germanischer" Färbung . . erwarten Manche, dass der augenblicklichen Stil-Fastnacht . . demnächst ein Aschermittwoch folgen werde; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 373 Gotiker . . Kenner des gotischen Stils; Worringer 1911 Formprobleme 71 der gotiker baut seine dorne ins un-
gotisch endliche (DWB); Pauli 2925 Klassizismus u. Romantik 44 bald aber fanden sich . . überzeugte gotiker, die sich namentlich des kirchenbaues bemächtigten (DWB); Fnedell 1928 Kulturgesch. 475 Durch den Anblick des Straßburger Münsters wird er [Goethe] zum „Gotiker"; Dtsch. AZ. 10.11.1932 Mell ist in linie, Haltung und und spräche reinster gothiker; sein Christentum basiert nicht auf dem 17. Jahrhundert (DWB); Genius 1933 fremdwb. 373 Gotiker . . Kenner des gotischen Stiles, bes. der gotischen Baukunst; Riecke 1946 Der letzte Gotiker Tilman Riemenschneider (Titel); Neue Kronen-Ztg. 29. 3. 1996 würden nur die Gotiker, die St. Stephan erbauten, . . der heutigen Gesellschaft ein Vorbild sein!; St. Galler Tagbl. 17.4.2000 Ich [August Rausch] bin ein Gotiker, kein Barockmensch. Im Mittelalter blieben die Schöpfer einer Figur anonym. Gotische Figuren sind nicht signiert. Ich finde das großartig; Mannh. Morgen 20. 1. 2004 Von Dürer wiederum übernahm Lucas das Monogramm mit dem großen A und ergänzte es durch ein kleines L. Wer folglich nur flüchtig hinblickt, meint im ersten Moment ein Blatt des Spätgotikers vor sich zu haben. gotisieren: Lisch 1868 Nicolai-Kirche (Jb. d. Ver. f. Mecklenb. Gesch. XXXlll 154 f.) In großen und hohen gothischen und gothisirenden Kirchen . . scheint hier Malerei sehr selten vorzukommen; Otte 1883 Archäol. Wb. 90 Gothisirend werden solche spätromanische Gebäude, Gebäudetheile, Gliederungen und Ornamente genannt, an denen einzelne gothische Elemente vorkommen; Fritsch 1890 Stil-Betrachtungen (Dtsch. Bauztg. XXIV 418) dass der Berliner Ober-Baudirektor Carl Gotthard Langhans . . neben mehren bedeutenden Werken dieses Stils [der Renaissance] gleichzeitig .. die in gothisirenden Formen gehaltene, aus Gusseisen hergestellte Spitze des Marien-Kirchthurms schuf; Krings 1905 Br. an Bürgermeisteramt Euskirchen Bezüglich der Facade . .: Ich habe dieselbe anstatt in der bisherigen gothisirenden Richtung mehr in Renaissancecharakter gehalten; Klemperer 1929 Tagebücher 528 Erst habe ich mich in der Auskunftshalle, einem alten gothisierenden Gymnasium am Beethovenplatz informiert; Friedell 1931 Kulturgesch. Ill 251 [die] gotisierenden Tafeln von Burne-Jones; Partner 1964 Erben 309 Nachdem es [das Rathaus] sich, wenn auch nur äußerlich, in einen barocken Palast verwandelt hatte, wurde es im 19. Jahrhundert wieder „gotisiert" . . aber auch diesem neugotischen Bau war nur eine kurze Zeit beschieden; Zeit 22. 11. 1985 Das ist das richtige Haus für einen Mächtigen: spätromanisch, angenehm gotisiert im 15. Jahrhundert; Berl. Ztg. 15. 1. 2004 Der Sandsteinbelag der Wände [des Berliner Ritz-Carlton] wird über
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viele Geschosse hohe Scheinfenster gezogen, die gar gotisierende Ablaufflächen haben. (Ent-, Re-, Ver-)Gotisierung: Stahr 1847 Italien I 329 wie heftig sich Raggi über die Vergothisierung der Kirchenfacade in Grottaferrata ausgesprochen habe; Fontäne 1873 Wanderungen (S. W. IX 325) 1539. Um eben diese Zeit, so schließen wir, oder doch nicht viel früher, erfolgte die Gotisierung des Baues, der vorher längst vorhanden und . . romanisch war; Huhn 1893 Hl. Geist-Spital München 179 Entgotisierung der [Hl.-Geist-]Kirche [um das Jahr 1730]; Frey 1929 Gotik 92 Gotisierung der italienischen Renaissanceformen; Pinder 1939 Dürerzeit 161 der gemeinsame zug der neunziger jähre (des 15. jhs.) ist . .. eine leise regotisierung, erinnerung also an gewisse grundzüge der plastik des 14. Jahrhunderts (DWB);Safcb. Nachr. 21. 5. 1992 Um 1300 fand die Gotisierung des Gotteshauses statt; St. Galler Tagbl. 14. 7. 1999 in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts . . wurde die Bischofszeller Stiftskirche im Stile der Neugotik umgestaltet. . . das Bemühen um eine „Gotisierung" des Gotteshauses. Gotizismus: 1903 Neues Hochland 495 Gotizismus . . fehlt in den meisten Beispielen [für diesen] noch die letzte Spannung, die ein Werk zu einem Kunstwerk macht; Landsherger 1931 Kunst 9 Für die bildende Kunst ist die auffallendste . . Gemeinsamkeit eine Verehrung der Gotik, die sich der Antikenbewunderung des Klassizismus entgegenstellt. Es wäre darum zu empfehlen, die ganze Bewegung — schon des Gleichklangs wegen — als Gotizismus zu bezeichnen. . . In der Malerei . . In der Baukunst . . Nachahmung der Gotik; ebd. 204 Die beiden größten Maler des hohen Gotizismus, Runge und Friedrich, haben italienischen Boden niemals betreten, nicht aus einem Müssen heraus, sondern aus freiwilligem Verzicht, ja aus Abwehr; /943 Worringer-Festschr. 45 Für diese Anfänge der Neugotik hat Franz Landsberger in seinem Buch über die Kunst der Goethezeit den Ausdruck „früher Goticismus" geprägt — „gewiß nicht schön, aber nicht häßlicher als das Wort Klassicismus und wegen der Parallelität des Phänomens wohl geeignet"; 1974 Duden Fremdwb. 271 Gotizismus . . Nachahmung des gotischen . . Stils; Berl. Ztg. 20. 7. 2002 Wo Messel die Hervorhebung durch filigranen Gotizismus vorsah, soll nun eine dünnblütige „kritische Rekonstruktion" entstehen. gotizistisch: 1898 Zs. d. Hist. schen Bauten, wie 1773 Georg an seinem Gotischen Haus; Kunst 199 f. Was allen diesen
Vereins 35 gotizistiChristoph Hesekiel Landsberger 1931 Frühschriften einer
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hochgotizistischen Kunstanschauung, zu denen noch die ersten Dichtungen und P rosa Schriften der Brüder Schlegel zu zählen wären, gemeinsam ist, das ist eine stärkere Gefühlsbetonung gegenüber der Klarheit und Verstandeskühle des reifen Klassizismus; ebd. 299 Erst der hohe Gotizismus, vor allem die Kunst eines C. D. Friedrich, löst die barocken Bindungen und läßt den Gefühlsstrom der Zeit restlos in seine Bilder einfließen . . Die spätgotizistische Malerei der Nazarener hat diese Entschlossenheit bereits wieder aufgegeben; 1974 Duden Fremdwb. 271 gotizistisch . . den gotischen . . Stil nachahmend; Welt 19. 8. 2000 angesichts des Reichstags Fosters geniert man sich nicht mehr, wenn man an die Londoner Houses of Parliament, die Pariser Assemblee Nationale und das gotizistische Parlamentsgebäude Budapests denkt. gotisch 2c: Creuzer 1819 Symbolik 223 Die Bemühungen der Deutschen Malerei in Darstellung christlicher Religionsideale werden künftig besser gewürdigt werden können, nachdem einmal auf die Ueberbleibsel dieser Art aus der Vor-Dürerischen Periode die Aufmerksamkeit der Kenner gelenkt worden ist. An den allegorischen Charakter, den die Gothische Baukunst . . angenommen und ausgebildet hatte, ist bereits erinnert worden; Parthey 1840 Wanderungen II 116 Nicht nur an die Pyramiden, sondern an alle bedeutenden Bauwerke knüpft das spätere, schwächere Geschlecht, dem jede Grossheit etwas Unheimliches hat, eine Schreckenssage. Kein einziger gothischer Dom ist ohne Hülfe des Teufels entstanden, die indischen Riesenbauten sind alle von Genien ausgeführt; Semper 1860 Stil 334 wenn sogar eingeräumt werden muß, dass dabei noch weniger auf die Zusammenstimmung der dekorativen Konstruktion mit der wirklichen gesehen wurde, als diess [!] in der gothischen Zeit der Fall war, so bleibt es doch immer ein Fortschritt, dass nicht mehr die nackte, sondern die schon symbolisierte Struktur rein dekorativen Zwecken dient; ebd. 340 Viollet-Le-Duc theilt dieses günstige Unheil über das Möbelwesen der Renaissance bis in das 18. Jahrhundert hinein, verglichen mit dem gothischen, wenigstens der Spätzeit; 1880 Hist. Jahrb. d. Görres-Ges. 200 Besonders interessant ist in der romanischen und gotischen Periode die Wiederkehr mancher heidnischer (Antik-griechisch-römischer wie auch der germanischen Mythologie entnommenen) Motive wie Flechtwerke, Tier- und Ungeheuerdarstellungen u.a.; Kayser 1881 Kirchen-Hymnen 182 Pietä von Malern und Bildhauern aus gotischer Zeit; 2900 Dtsch. Revue XXV 3,94 der „Totentanz" von Holbein. . . Seine fieberhafte Aufregung, sein düsteres Lachen, seine höhnischen Attribute drücken im Gegensatz zu der strengen Majestät der goti-
schen Statuen die grimassierende Freude der Verdammten aus; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 516) Der französische Kunstgenius habe in den gotischen Schöpfungen seine größte Höhe erreicht; er sei dann, obgleich auch die folgenden Jahrhunderte noch neue, originelle Ausdrucksformen erzeugten, langsam schwächer geworden; Welt 13. 12. 1949 Seine [Claudels] geistige Welt umfaßt alles, was christlich und katholisch heißt. Da ist der fromme französische Dombauer des gotischen Mittelalters und der spanische Konquistador des Barock, der Farmer unserer Zeit in der amerikanischen Steppe; Partner 1964 Erben 428 Im ersten Fall hätte man nicht nur auf den Torcharakter der „Ehrenpforte" [Lorscher Torhalle] verzichtet, sondern auch auf den Anblick der herrlichen gotischen Malereien; Kahsnitz 1970 Typare o. S. Auf der inneren Rahmung des Bildfeldes kleine aufgesetzte Rosetten. Umschrift in gotischen Majuskeln; Biewend 1970 Nacht o. S. das Nonnenkloster Zur Himmelsrose war eine Gründung der Zisterzienser aus gotischer Zeit; Zeit 21. 6. 1985 Unter den 60 Exponaten gotischer Kunst des 14. bis beginnenden 16. Jahrhunderts — Tafel- und Buchmalerei, Plastik und Kunstgewerbe — gilt den Madonnenbildnissen . . höchste Aufmerksamkeit."; taz 31. 1. 2005 Die spätgotische, rund 650 Jahre alte Kirche [Johanniskirche] mit ihren ungleichen Doppeltürmen, . . liegt im Zentrum Göttingens. Gotik: Raspe 1768 (Hallo 1934 Raspe 2) sie wird auch ew. hochfürstl. Durchlaucht übrigen Kunstsamlung dadurch noch einen merklichen Vortheil schaffen, dasz nemlich inskünftige das Gothique von denen antiquen und neuern Kunstwerken zu beider Vortheil, ganz separiret werden wird; Otto 1859 Nürnberg l 175 f. Die Steine selbst wurden . . zu jenen bald plastisch schönen, bald wunderlich komischen Gestalten vollendet, welche wir noch heute an den Werken der Gothik bewundern (DiBi 125); Fontäne 1863 Oderland 148 Das Refektorium, jetzt als Malzplatz benutzt, läßt sich in seinen Einzelheiten am besten verfolgen. Es scheint der Stil früherer Gotik (DiBi 125); Springer 1895 Handb. d. Kunstgesch. II 186 von der späteren romanischdeutschen baukunst, insbesondere von der rheinischen, giebt es keinen unmittelbaren Übergang zur gotik (DWB); Braun 1909 Sozialistin I 299 Die Möbel, die Schaustücke, das reiche Silbergerät in ihren Häusern ist ererbter Familienbesitz aus den Glanzzeiten der Gotik, der Renaissance, des Rokoko (DiBi 125); Worringer 1911 Formprobleme d. Gotik 60 diese notwendige Ideenverbindung zwischen Gotik und Architektur deckt sich mit der historischen Tatsache, daß die Stilepoche Gotik von der Architektur ganz beherrscht wird; Haferkorn 1924 Gotik u. Ruine 5 die Stilperiode
gotisch .., die wir in der kunstgeschichte 'gotik' nennen (DWB); Klemperer 1925 Tagebücher 52 wie die Strebepfeiler [des Kölner Doms] ganz in Spitzenwerk aufgelöst sind, das ist gewiß schön. . . Dabei alles wohlgegliedert dort u. klar, einfach. Das Versailles der Gothik, sagte Eva, womit sie vor allem auch die häufige Copierung meinte; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. X 763) eine deutsche geistige Bewegung jener Zeit [der Expressionismus], welche . . einen explosiven Aktivismus der Kunst forderte, verbunden mit dem Willen zum höchsten und stärksten seelischen Ausdruck, einem Willen, der die Sympathie mit dem Seelenleben der Gotik und die Ablehnung der von der Renaissance her bestimmten bürgerlichen Kultur zeitigte; SchmidtGörg 1946 Musik d. Gotik 7 musik der gotik — damit meinen wir die musik, die mit den kathedralen wuchs, die neue klangweit, die diese geheimnisvollen Säulenwälder erfüllte (DWB); Partner 1964 Erben 184 Gotik und Renaissance und Barock hinterließen in dem romanischen Gehäuse ihre unauslöschlichen Spuren. Noch im 13. Jahrhundert entstand die erste Anlage des dreiflügeligen Kreuzganges; Zeit 5.4. 1985 eine exakte Abgrenzung der Romanik sowohl zur vorromanischen Kunst wie zur Gotik; taz 26. 2. 2005 Alles in allem präsentieren sich die Epochen von der Gotik bis zum Jugendstil. gotisch 3: Zeiller 1653 Dialogi 401 Ich hab einmal erzehlen gehört/ daß ein Frantzoß/ Bodin genant/ schreibe/ daß/ wie die Aertzte/ die schlechteste Artzneyen mit gar verdunkelten Gothischen Buchstaben/ vnd etlichen Arabischen Worten/ Gewichten/ und Zeichen der Griechen/ dem vnverständigen Volck geben thäten/ damit ihre Geheimnussen nicht jederman bekannt würde: Also hätten die Müntzmeister/ auff ein neue weise zu reden/ ein an sich Selbsten gantz klare Sach/ gantz vnlauter/ vnd finster gemacht; Ammersbach 1682 ChurBrandenb. Chronik 19 f. (Grässe 1868 Sagenb. d. Preuß. Staats l 27) Es seyn auch noch der Thüringer Graffen, als Schwartzburg, Gleichen, Orlamünd und Weymar sampt andere Gottische Edle Geschlechte (DiBi 125); Raspe 1768 (Hallo 1934 Raspe 1) alle kunst-sachen, die in denen sogenanten mitlern oder gothischen Zeiten von Carl dem Großen an bis auf Albrecht Dürer und Rafael oder bis gegen die mitte des sechszehnten Jahrhunderts in Teutschland sowohl als in denen übrigen theilen von Europa verfertigt worden sind (DWB); Herder 1769 S. W. /!/ 400 f. Die Wapen . . sind eine Erfindung und Anordnung der mitlern Gothisch-Barbarischen Turnierzeiten; . . So verschiedene Geschöpfe ein alter Griechischer und ein Gothischer Held der mittlern Zeiten: ein Römischer Patriot, der für sein Vaterland, und ein andächtiger Kreuz-
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krieger, der . . für Papst und Kirche föchte; Christ 1776 Lit. u. Kunstwerke 39 f. so kann man sie [die Literatur im Hinblick auf die Beschaffenheit der Feinheit und Schönheit] füglich in die alten oder Antiken, in die mittlern oder gothischen, und in die neuern oder modernen Werke der Kunst und des Witzes eintheilen. . . Das Mittlere und Gothische (medii temporis) erstrecket sich ohngefähr von dem Einfall der Gothen oder der Regierung des Kaisers Justinians bis auf den Untergang des byzantinischen Kaiserthums durch die Einnahme der Stadt Konstantinopel von den Sarazenen; und in etlichen Ländern, z. E. in Deutschland dauert sie bis auf die Regierung des Kaisers Maximilian des ersten; 1782 Alemannia X 182 dasz die menschen die göttliche kraft der religion nicht fühlen und die ihr hergebrachtes, gotisches ansehen ewig behaupten werden (DWB); Bouterwek 1802 Gesch. 11 173 Guckkasten-Stücke im gothischen Style; Lady Morgan 1821 Reisen. Frankreich (Übers.) I 270 [die] kleinen Großen aus der adeligen Vorstadt, welche die gute alte, mit Frohnden und Leibeigenschaft gesegnete Zeit repräsentiren und keine andre Erbschaft erwarten, als die der Vorurtheile und der gothischen Ideen, deren sie sich übrigens selbst schon etwas zu schämen anfangen; Heyse 1833 DWB l 459 Gothisch, . . einem herrschend gewordenen Mißbrauch gemäß überhaupt für altdeutsch; Heinrich 1833 Baden 121 Rheinbund . ., welcher den 1000jährigen gothischen Reichsbau auflöste; Immermann 1840 Mem. I 368 Diese gothische Machtschöpfung [Napoleons in seinen Eroberungskriegen] mit feudalistischen Unterlagen im entfeudalisirten Europa hatte nichts Organisches. Sie ist vorübergegangen wie eine große Theaterscene; Kiesselbach 1850 Continentalsperre 76 Anm. eine Bezeichnung [„gotisches Europa"], welche in unsern romantischen Tagen für die feudale Gliederung des Staats technisch geworden ist; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 324 gothisch . . altdeutsch; Heyse 1870 Fremdwb. 338 gothisch . . uneig. für altdeutsch, aus dem 11. bis 15. Jahrhundert; Petri 1879 Handb. d. Fremdwörter 376 gothisch, altvaterisch; Weigand 1909 DWB I 751 gotisch . . altdeutsch . .; im 18. Jh. altfränkisch, altmodisch . . nach franz. gothique „altvaterisch"; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 373 gotisch . . überh. altdeutsch; auch altvaterisch, altfränkisch, altertümlich; Th. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. X 309) Es hockt in ihren [Lübecks] gotischen Winkeln und schleicht durch ihre Giebelgassen etwas Spukhaftes, allzu Altes, Erblasthaftes — hysterisches Mittelalter, verjährte Nervenexzentrizität, etwas wie religiöse Seelenkrankheit —, man würde sich nicht übermäßig wundern, wenn dort, dem marxistischen Bürgermeister zum Trotz, noch heutigen Tages plötzlich der Sankt Veitstanz oder
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gotisch
ein Kinderkreuzzug ausbräche; Hausenstein 1935 Wanderungen 199 [der Speyerer Dom, um 1800 heinahe] als ein vermeintlich wertloses Überbleibsel „gotischer" Zeiten (dies Wort bezeichnete das damals verachtete Mittelalter überhaupt) auf Abbruch versteigert; Tb. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1130) wie Luther, der Reformator, nach Denkungsweise und Seelenform zum guten Teil ein mittelalterlicher Mensch war und sich zeit seines Lebens mit dem Teufel herumschlug, so wandelte man auch in dem protestantischen Lübeck, sogar in dem Lübeck, das ein republikanisches Glied des Bismarck'sehen Reiches geworden war, tief im gotischen Mittelalter; Berl. Ztg. 25. 2. 2003 Die gotische Reichsverfassung, die er [der Reichsdeputationshauptschluss] nochmals hatte modernisieren sollen, stürzte nur drei Jahre später ganz ein; Zeit 12. 2. 2004 Von Johann Sebastian Bachs Musik der schönsten Frucht des Luthertums — hat man lange gesagt, sie sei „gotisch", mit anderen Worten: rückwärts gewandt, das glorreiche Finale einer vergangenen Epoche; taz 31. 8. 2004 Weiter unten brummt und summt etwas: ein Männerchor, archaischer und gotischer als die russischen Geistlichen mit den langen Barten. gotisch 4: Jablonski 1721 Allg. Lex. 255b in der bücherey heißet gothische schrifft eine alte art schrifft, die gegen der heutigen etwas gröber erscheinet, wird auch mönchschrift genennet (DWB); Christ 1747 Anzeige u. Auslegung 39 daraus [aus der römischen Quadrata-Schrift] seynd allerhand verdorbene grobe buchstaben entstanden, . . welche zusammen von Mabillon und den meisten gelehrten gemeiniglich, obschon nicht allerdings recht, die gotthischen genennet werden. . . wir laßen es aber dicsesmahl bey den gemeinen begriffen und nennen iene mit dem großen hauffen schlechthin die gotthischen, und alle kleinere schrifft mittlerer zeiten oder die so genannte alte mönchschrifft, auch mit vielen gelehrten, schlechthin die langobardischen buchstaben (DWB); 1771 Akzidenzdruck Nr. 130 Diese runden lat. Charaktere sind nach dem Beyspiele unserer vortrefflichen Dichter . . an statt unserer gewöhnlichen gothischen Buchstaben erwählt worden; Arcbenholtz 1801 Gustav Wasa I 6 die unzierlichen, noch bey großen aufgeklärten Völkern üblichen gothischen Buchstaben; Campe 1808 DWB H 425 Die Gothische Schrift, die eckige Mönchsschrift; Heller-Blatt 22. 2. 1834 Hoch oben am Thurm [der gotischen Fountains Abbey] aber liest man mit gothischen Riesen-Buchstaben eine lateinische Inschrift; 1860 Beschr. OA. Weinsberg 392 Auf ihm hängen drei Glocken, wovon . . die mittlere die Jahrszahl 1436 trägt, mit den Namen der vier Evangelisten: Lukas, Markus, Matthäus, Johannes — in gothischen
Buchstaben; 1881 Rhein. Mus. f. Philol. XXXV/ 153 Neben der gothischen, Mönchsschrift tritt auf dem ersten, besonders aber auf dem zweiten Blatte in ihnen eine zweite Hand hervor, welche die Cursive XIV. saec. zeigt; Seidel 1907 Ges. Sehr. II 253 In großen schönen gothischen lettern stand dort „blumenbuch" (DWB); Schaffner 1922 Johannes H 157 die gotische schrift herrschte durchaus, antiqua hatte ich nie leiden können (DWB); Genius 1933 fremdwb. 373 gotische Schrift, mittelalterliche eckige, vielfach verschnörkelte, sog. Mönchsschrift; jetzt: eine Art deutscher Druckschrift; 1936 AfdA LV 76 Die gotischen Schriftarten; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 220 Er ist eine deutsche Kernnatur: blank geputzte Stiefel, gebürsteter Rock und gotische Handschrift; ders. 1983 Laden 17 in Großmutters krakelig-gotischen Buchstaben; taz 22. 7. 1992 Adler, Eichenlaub und gotische Initialien [!] der Leibstandarte; Berl. Ztg. 1. 10. 2004 Hermann, der cheruskische Hotelangestellte mit dem sesshaften Fünfneuländergesicht, liest eine Zeitung in gotischen Buchstaben: „Ganz Deutschland ist verlorn schon." gotisieren: Berl. Ztg. 9. 11. 2000 der dunkelhäutige junge Mann auf dem Plakat, auf dessen weißem TShirt in gotisierender Schrift steht „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein". Gotisierung: Schwarze 1913 Boeci 7 leichte Tendenz zur „Gotisierung" der Buchstaben [in der Handschrift des altprovencalischen „Boeci"Texts]. gotisch 5a: Worringer 1911 Formprobleme 27 [der Stilpsychologe] erkennt, daß dieser gotische formwille nicht äußerlich, aber innerlich die romanische kunst, die Merowingerkunst, die Völkerwanderungskunst, kurz den ganzen nord- und mitteleuropäischen kunstverlauf beherrscht (DWB); ebd. 29 daß die disposition zur gotik nur da eintritt, wo germanisches blut sich mit dem blute der anderen europäischen rassen mischt; . . Kelten und Romanen haben denselben wichtigen anteil an der gotischen entwicklung. wohl aber sind Germanen die conditio sine qua non (DWB); Tb. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 496) Die Zeitschriften sagen es . . Wißt ihr, wer angekommen ist? Der gotische Mensch! . . Der gotische Mensch ist der Mensch der neuen Intoleranz, der neuen Antihumanität des Geistes, der neuen Geschlossenheit und Entschlossenheit, des Glaubens an den Glauben; er ist der nicht mehr bürgerliche, der fanatische Mensch; Meinecke 1919 Nach d. Revol. 70 der Widerschein unserer Landschaft im Auge des Künstlers, — jene ganz eigene Verbindung idyllischer Herzlichkeit
gotisch mit aufsteigenden, übermächtigen Unendlichkeitsempfindungen, jenes wunderlich-gotische Ineinander von Engem und Weitem, Wurzelhaftem und Himmelstrebendem, Heimatsliebe und Weltbürgersinn . . So manchen von uns packt heute in unserem Elend eine Sehnsucht . . nach diesem deutschesten Deutschland in Natur und Geist; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. X 601) Was schadet es dem größten Dichter des heutigen Frankreich, Paul Claudel, daß er Royalist, Katholik und gotischer Reaktionär ist und jeden republikanischen Tugendsinn vermissen läßt; Müller-Freienfels 1922 Psych. 12 So pflegt man die großen zeitlichen Gemeinsamkeiten auf typische Träger zurückzuführen, indem man von einem „antiken", einem „gotischen", einem „Renaissancemenschen" spricht . . und damit typische Verhaltensweisen einleuchtend [kennzeichnet]; Haferkorn 1924 Gotik u. Ruine 5 'gotisch' . . in dem weiten sinne, wie Worringer und Scheffler das wort gebrauchen, um eine Weltanschauung zu bezeichnen, die der klassischen polar entgegengesetzt ist. der 'griechische geist' und der 'gotische geist' sind an keine bestimmte zeit gebunden, sondern wirken sich als gestaltende formkräfte durch die geschiente des menschlichen Schaffens und strebens hin aus (DWB); Weise 1931 Schlagwort vom got. Menschen 405 f. Der gotische Mensch ist der faustische Mensch. Die Disposition zu dem, was Worringer den gotischen Formtrieb nennt, wird in einem seelischen Unbefriedigtsein gesehen . ., in einer ins Religiöse gewandten, angstvollen Phantastik . . die jene Ornamente der Angst hervorgebracht hat, in deren krampfhafter Bewegtheit der Drang nach Erlösung Betäubung sucht; ebd. 406 Der griechische Mensch schafft Formen der Ruhe und des Glücks, der gotische Mensch Formen der Unruhe und des Leidens; Müller 1939 Gesch. d. dt. Seele 3 es ist nordischer drang in die form und weite, der diesen gotischen grundzug [der deutschen Romantik] bestimmt (DWB); Trübner 1939 DWB III 216 Heute gilt g[otisch] nicht nur für einen bestimmten künstlerischen Stil des german. Mittelalters, sondern wird .. auf die ganze Zeit, ihr Fühlen und Denken verwendet; man hat den „gotischen Menschen" geschaffen und meint damit den mittelalterlichen Menschen nordischer Prägung; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1130) so wandelte man auch in dem protestantischen Lübeck . . tief im gotischen Mittelalter, . . in der Atmosphäre selbst war etwas hängengeblieben von der Verfassung des Menschengemütes . . Hysterie des ausgehenden Mittelalters, etwas von latenter seelischer Epidemie . . man konnte sich denken, daß plötzlich hier eine Kinderzug-Bewegung, ein Sankt-Veits-Tanz, eine Kreuzwunder-Exsitation mit mystischem Herumziehen des Volkes oder dergleichen ausbrä-
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che, — kurzum, ein altertümlich-neurotischer Untergrund war spürbar; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 948) als man es sich eingestand [daß der Krieg verloren war), hatten der eingelernte Fanatismus, gotisches Untergangspathos für den verlorenen Siegcsglauben aufzukommen. Zu sehen, wie ein Land . . mit Fleiß der Hölle zurennt; Paul 1966 DWB 169 g[otisch] als Bezeichnung eines Kulturzustandes (W. Worringer 1911) der g[otische] Mensch; Zeit 15. B. 1986 Veit Stoß . . der wie Dürer zwei Seelen in seiner Brust trug: eine gotische, nach Ausdruck suchende, und eine renaissancehafte, nach Form drängende; ebd. 3. 4. 2003 Unversehens vermischten sich kommunistische Utopien, gotische Heileweltträumc und völkisches Stammesdenkcn. Ein Ideologiegebräu entstand, dem sich auch das freudig-wogende Paula Modersohn-Becker-Museum in der Bremer Böttcherstraße verdankt . . Selbst vor nordischem Götzenkult machte man damals nicht Halt und schmückte die Fassade des Backsteinbaus . . mit einer christusgleich gekreuzigten Odin-Gestalt. Gotiker: Worringer 1911 Formprobleme 71 des gotikers lebensgefühl steht unter dem druck einer dualistischen Zerrissenheit und friedlosigkeit (DWB); Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XU 515) „Et certes", läßt Glaudel seine aussätzige Violainc sagen, „le malheur de ce temps est grand. Ils n'ont point de pere. Ils regardent et ne savent plus oü est le Roi et le Pape. C'est pourquoi voici mon corps en travail a la place de la chretiente qui se dissout". Ist nicht dies die Stimme der Zeit? Es ist die Stimme eines Gotikers; Curtius 1950 Welt 114 Die meisten von uns sind heimliche Gotiker, auch wenn wir erst im 19. Jahrhundert geboren und mit allen Wassern moderner liberaler, nationalistischer und sozialistischer Ideen gewaschen sind. . . Unter Gotik verstehe ich dabei . . die aus dem Mittelalter weiter tradierte religiöse, geistige, moralische Welt, die im pietistischen Protestantismus, in der Mystik der Schlesier oder in der Musik Johann Sebastian Bachs weiterlebt. gotisch 5b: Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 122) Im Gegenteil ist es eben dies Pathos der Entsagung, das die gotteskindlich-heidnisch-naturadelige Wohligkeit von Goethe's Leben so christlich überschattet, seinem geistigen Antlitz einen so ausdrucksvoll gotischen Leidenszug verleiht; Mannh. Morgen 12. l. 1987 Bei Scheib, von dem eine Holzgruppe bereits in der vorhergehenden „Totentanz"-Ausstellung des Mannheimer Kunstvereins zu sehen war, sind die Brutalität und der forcierte Mythizismus der „Wilden" jedoch verwandelt in einen geradezu „gotisch" schmerzlichen, mitempfindenden Ausdruck; taz 19. 10. 1991
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Wo bei Kresnik ein Meer aus Wut, Blut und Qual in der Erinnerung bleibt, erinnere ich hier unzerstörte Haut, ein dünnes gotisches Gesicht und kleine Gesten aus Sehnen und Sehnsucht und so etwas wie Demut; ebd. 29. 1. 2005 Im Laufe der vergangenen dreißig Jahre haben sich ihre Frauenfiguren . . erholt. Nackt und schutzlos sind sie immer noch, aber nun kommen sie als Synthesen der Kunstgeschichte der letzten 500 Jahre daher. Gotische Entsagung zelebrieren sie und barocke Opulenz. gotisch 6: Th. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. X 309) Lübecker Gotik und ein Schuß Latinität — es wäre ja ein Irrtum, wollte man bei jedem von uns nur das eine oder andere finden: das Altdeutsche bei mir, weil ich 'Buddenbrooks' schrieb, das Romanische bei dir .. in 'Professor Unrat', ist von dem heimatlichen gotischen Spuk so viel, daß man sagen kann: er ist ganz darin; Mannh. Morgen 19. 7. 1985 Die gotische Ruine, das offene Grab auf dem Friedhof im Schnee, die bei ihm [Caspar David Friedrich] noch von tief erregtem Schauder vor Tod und Erstarrung künden; taz 27. 11.1992 Pionierarbeit im Platttreten von Gothic-Klischees leisteten die jungen Mannen von Pink Turns Blue, beheimatet am Niederrhein. .. Die Gitarre klingelt dünn und gotisch; ebd. 4. 6. 1993 Im Gegensatz zur gothischen Horrortradition - wo „das Böse" nach dem Muster von „Dr. Jeckyll & Mr. Hyde" abgespalten und somit die repressive Gesellschaftsordnung wieder bestätigt wird — ist „das Böse" als identifizierbare Instanz in „Tanz der Teufel" nicht enthalten; ebd. 27. 11. 2001 ein Pop-Art-Künstler, der in die Popmusikwelt will, sucht sich Popmusiker, die sich im Gegenverkehr nach großer Kunst sehnen — den Dandy-Poeten (Lou Reed), die gotisch-romantische Harmoniumspielerin (Nico); ebd. 13. 8. 2001 Das in diesen Filmen angelegte Tableau aus gothischen Bildern, de Sadeschen Metaphern, sexueller Gier, Wahnsinn und metastatischen Körpermutationen war äußerst kunstvoll
und etablierte ein ganz eigene Lovecraftsche FilmÄsthetik; ebd. 7.11. 2003 Auf die überkandidelte Country-Parodie folgt eine düster schabende Sound-Miniatur mit Hang zum Avantgardistischen. Weiter besucht .. Cobra Killer . . auf ihrem Solo-Debüt die Abgründe des Gotischen; Zeit (online) 15.7. 2004 Was Castorf auf dem Theater macht, kennen die Franzosen aus ihren Comics — eine Verschmelzung der pornografischen Ästhetik mit jener der „gothischen" Horrorgeschichte. .. Man geht durch die Schleuse der Lust oder des Grauens und hofft, ins Freie zu gelangen. Gothic: taz 12. 10. 1991 der Gesang ist düster, gewollt verrucht . . Bestenfalls, Industrial-Wave, wenn's denn sowas gibt, mit schwerblütigem Gothic-Einschlag .. Fair Sex machen Stimmungsmusik, melancholisch bis verhalten aggressiv; Züricher Tagesanz. 24. 4. 1996 Wer unter Gothic nichts andereres versteht als einen mittelalterlichen Baustil, wird das Treiben an einer Gothic-Party mit einigem Befremden beobachten. Zwischen leuchtenden Pentagrammen, Wiegen mit Babymumien und Totenköpfen in Vogelkäfigen tummeln sich Partygänger, die in jedem Vampirfilm problemlos eine Statistenrolle übernehmen könnten; Berl. Ztg. 16.7.2004 Über 70 Aussteller zeigen Mode und Accessoires aus den Segmenten Punk, Gothic, . . Industrial, Dance, Fetisch, . . Tattoo, Piercing. gothic: taz 16.9. 1994 Songs, die so angelegt sind, daß man in zahlreichen, soundcollagigen klassisch anmutenden Zotten und Krypten hängenbleibt und sich nur schwer daraus befreien kann. Dunkel und ein wenig gothic; Mannh. Morgen 31. 10. 2003 Grobe Kettenglieder bilden die aktuelle Gürtelform . . So richtig gothic wie Drakulas Braut machen erst Armstulpen aus schwarzem Satin, Kapuzenumhang und Ringe mit Reptilien- oder Totenkopf-Ornamenten.
Gourmand M. (-s; -s), im frühen 18. Jh. entlehnt aus frz. gourmand 'jmd., der gern viel (und gut) isst, Schlemmer' (zu gourmand Adj. 'naschhaft, schlemmerhaft, gefräßig; genießerisch' unklarer Herkunft; am häufigsten zurückgeführt auf mittelfrz. gourmet, gro(u)met, —> Gourmet (zur weiteren Etymologie s. dort). Zunächst in der Bed. 'jmd., der mit Lust und Gier (viel) isst, Vielesser, Vielfraß, Schlinger', z.B. der maßlose, gierige Gourmand, der Gourmand ist immer auf der Suche nach Essbarem, seit späterem 18. Jh. gemildert zu 'jmd., der eine bestimmte Speise bevorzugt, Feinschmecker, Genießer, Schlemmer; naschhafter Mensch, Leckermaul; jmd., der gern viel (und gut) isst' (s. Belege 1765, 1788, 1812, 1877), dabei einen Esser von (im Unterschied zum —* Gourmet) geringerer Sachkenntnis und fehlender Mäßigung bezeichnend (vgl. er ist ein Gourmet, aber kein Gourmand),
Gourmand
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heute aber auf Grund des ähnlichen Klangs häufig mit diesem verwechselt und überwiegend (fälschlich) gleichbed. mit positiver Konnotation gebraucht in Wendungen wie das exquisite Büffet ist eine Paradies für einen Gourmand, er ist ein richtiger Gourmand, seit spätem 18. Jh. häufig übertragen verwendet im abwertenden Sinne von 'jmd., der von etwas nicht genug bekommen kann, Gierschlund' (s. Belege 1779, 1823, 1832.2, 1892, 1952, 1997), z. B. ein Gourmand der Liebe, Film-, Swing-, Theatergourmand, aber auch (konkurrierend mit —+ Gourmet) ins Positive gewendet 'Kenner, Genießer, Genussmensch' (s. Belege 1853, 1890, 1903, 1989); daneben vereinzelt gourmand Adj. 'naschhaft, genießerisch; gierig', z.B. er ist ein wenig gourmand. Dazu seit Mitte 18. Jh. aus frz. gourmandise 'Schlemmerei, Esslust; Naschhaftigkeit' entlehntes Gourmandise F. (-, -n), zunächst in der Bed. '(Hang zur) Schlemmerei, Völlerei, Feinschmeckerei; Gefräßigkeit, Esssucht', bes. in der Wendung aus (reiner) Gourmandise, dann gelegentlich auch in der Bed. 'besonders schmackhaft, wohlschmeckend zubereitete Speise, Leckerbissen' (s. Belege 1779.1, 1837, 1838, 1949; —* Delikatesse 2a, —*· Spezialität 3a), seit Mitte 19. Jh. öfters übertragen (s. Belege 1850, 1912, 1971), und vereinzelt gourmandis Adj. 'geschmäcklerisch', z.B. gourmandise Neigungen, Ausflüge; dazu im 19. Jh. selten bezeugtes (auf frz. gourmanderie, eine ältere Nebenform von gourmandise zurückgehendes) Gourmanderie F. (-; -(e)n) 'Gefräßigkeit; Feinschmeckerei', auch im übertragenen Sinne verwendet (s. Belege 1843-44, 1855, 1965). Gourmand: 1723 Gundlingiana XXXI 8 er würde dir dein biscuit, deine Macarons annoch entnehmen können, wann du sie schon eingepacket, oder schon mit der Hand nach dem Munde eiltest, .. So machen es die Zäncker, Gourmans, Grobians und Feinde, vor denen nichts sicher ist, gleichwie vor den Harpyien, wann nicht alles verschlossen, und verwahret lieget; Richey 1755 Idiot. Hamburg 66 Vielfraß: Gourmand; Sterne 1765 Tristram Shandy (Übers.) Vll 40 Die Franzosen essen gern was gutes — sie sind insgesammt gourmands; Lessing 1779 Br. (S. Sehr. XVIII 248) Sie sind ja ein rechter Gourmand im Arbeiten; Bretzner 1788 Leben III 103 ein Stück Cervelatwurst . ., die der Theolog als ein berühmter Gourmand sehr delikat fand; Hess 1800 Durcbflüge d. Dtschl. V 19 einem Gourmand, den die Wahl unter 100 Schüsseln in einer Französischen Restauration quält; Sartori 1812 Reise l 71 wo mich mein Führer, welcher der größte Gourmand im Wassertrinken war, zu einer Quelle führte, deren körniges steinernes Felsenwasser sicher zu den besten gehört, die Unterösterreich aufzuweisen hat; 1823 Eos 847 Was die Leute irregeführt haben mag, ist der Titel: Geist, und dieser Titel dürfte die ungeistigen Schmecker (Gourmands) abhalten, sich dieses Buch anzuschaffen; Marianus 1832 Komische Scenen 151 Da hängen die Würste, und Keulen und Schinken, Wie sie nur der lüsternste Gourmand begehrt; Borne 1832 Briefe a. Paris (S. Sehr. III 288) Einem moralischen Gourmand wie Goethe mußte Cagliostros Lehre,
die er im höchsten Grade seiner Mysterien, nach langer, langer Prüfung, endlich dem Eingeweihten offenbarte . . munden (DiBi 125); Anthus 1838 Esskunst 43 Wie bei uns passionirte Austernesser, giebt es dort [China] eigentliche Hunde-Gourmands; Heine 1840 Über d. frz. Bühne (W. u. Br VI 64) Das ist hart, denn Rossini war immer einer der größten Gourmands. Meyerbeer ist just das Gegenteil; wie in seiner äußeren Erscheinung, so ist er auch in seinen Genüssen die Bescheidenheit selbst (DiBi 125); Vaerst 1851 Gastrosophie l Vorw. VII Der Gourmand ist begierig auf Alles, was gut schmeckt, ohne Rücksicht auf die Gesundheit, auf das Maß und die Gesetze der Grazien; 1853 Prutz' Museum l 259 die tigerartige Wildheit, mit der er als Othello den Jago an die Gurgel packte . . aber nur wenige ästhetische Gourmands haben einen wirklichen Genuß in diesen pikanten Originalitäten gefunden; Rosegger 1877 Waldheimat III 159 Und gerade nach dem Handwerkerlobe steht ihr der Gaumen, wie es dem Gourmand nach Nachtigallzungen gelüstet (DiBi 125); Hauff 1890 S. W. II 329 nur einige gourmands im lesen nehmen hie und da ein Kampanerthal oder einen Titan nach hause und schmecken allerlei feines heraus (DWB); Harden 1892 Apostata N.F. 43 Er ist ein Gourmand der Liebe; er genießt mit allen Sinnen; Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 253) Wie fein Sie Ihre Wahl [der Gattin] trafen! Sie sind ein Gourmand, mein Herr, ein plebejischer Gourmand, ein Bauer
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mit Geschmack; Nora 1932 Am Färbergraben 112 Wie lief dem Alten also das Wasser im Mund zusammen, da ein befreundeter Gourmand ihn zum Schneckenessen einlud; Süddtscb. Ztg. 11.5. 1950 Es soll Gourmands geben, die stundenlang in ihren [der Stadt Speycr] sieben Sälen und Kellern verweilen, um genießerisch die zweitausendjährige Geschichte des Weines zu studieren; Kesten 1952 Casanova 265 Aus dem Feinschmecker für Mädchen, aus dem Gourmet, wird ein Gourmand, ein Fresser; taz 20. 1.1989 beide Big-Bands sind Leckerbissen für die Swinggourmands; FAZ 25.3. 1997 Augengourmands leiden des öfteren an ästhetischer Verstopfung. gourmand: Lichtenberg 1794 Hogarth. Kup ferst. 353 der tropf (ein prediger) ist blos ein wenig gourmand . .. überdies treibt er sein wesen nicht im winkel, sondern er schmaußt, so zu sagen, mitten in dem schooße seiner gemeinde (DWB); Goethe 1811 Er. (WA IV 22,32) haben Sie für diese Gaben [Spickgänse, Kaviar] den besten Dank, und lieben Sie uns nicht weniger, wenn wir ihnen etwas gourmand erscheinen sollten. Gourmanderie: Momus 1829 Jocose Geschichtchen 69 In der Küche, die ich zuerst passirte, lachte mich das schönste Kupfergeschirr an, und ich sah allerhand Kochapparate, die mir noch nicht vorgekommen waren und auf Gourmanderie schließen ließen; Marx 1843-44 Z. Kritik d. Hegeischen Rechtsphilosophie (MEGA 12, o.S.) daß dieser Eklekticismus eine bisher nicht geahnte Höhe erreichen wird, dafür bürgt namentlich die politischästhetische Gourmanderie eines deutschen Königs, der alle Rollen des Königthums . . wenn nicht durch die Person des Volkes, so doch in eigner Person, wenn nicht für das Volk, so doch für sich selbst zu spielen gedenkt; Meyer 1855 Aristoteles Thierkunde 508 Die ersterc Seite . . gab den Trieb zur wissenschaftlichen Ergreifung dieses Stoffes; das Interesse, die Teleologie und die stufenweise Ausbildung an den Organismen darzustellen, ist der Angelpunkt, auf dem sich die ganze Behandlung dreht, wenn auch nicht engherzig selbst den äusserlichsten Rücksichten, denen der Gourmanderie, die Thüre oftmals geöffnet wird; Büchner 1895 Geistesleben 49 Auch Gourmanderie ist ihnen [Ameisen] eigen . .; und der Geschmack an einem guten Bissen ist so groß, daß man dadurch sogar ihrer sonst durch nichts zu besiegenden KampfesGier Einhalt thun kann; Jonge 1903 Höret Rathenau 94 der stets gut aß und trank, sich über die Pfaffen lustig machte, weil sie ihm seine gourmanderie vorwarfen; Seidel 1930 Wunschkind o. S. [er] sei nicht aus Gourmanderie, sondern wegen seines Gallenleidens zum Einhalten einer bestimmten
Diät gehalten; Maurina 1965 Jahre d. Befreiung 307 Dieser ausgesprochene Sinn für psychologische Finessen, für Gourmanderie, für Abweichung vom Normalen. Gourmandise: 1746 Grab (Übers.) 4 weil, wo ich nicht in salvo bin, die Verpflegung der Armee Noth leiden würde. . . Es werden ihm schon die Gourmandisen theuer werden. Denn der Franzoß fordert Ernst und Accuratesse; Hase 1779 Aldermann l 128 Je nun mit allen Respekt von eurer Fete gesprochen, Rebhüncr, Pasteten sezts nicht dabey, ein Budding oder eine Wurst ist die gröste Gourmandise; Sturz 1779 Sehr, l 238 Also wolten Sie alle Todesstrafen aufgehoben wissen? auch bey vorsezlichen Mördern, die der Gesellschaft den Krieg angekündigt haben? — Solche Wollüstlinge, wie der sächsische Hirt, der aus Gourmandise Kinder fraß; 1807 Miscellen f. d. neueste Weltkunde I 111 Pariser Gourmandise (Überschr.) Die Freuden der Tafel werden zu Paris kunstmäßig, man sollte sagen, wissenschaftlich, geübt; Hailbronner 1837 Cartons U 109 eine der schwedischen Gourmandisen, eine aus Syrup, Milch und Bier componirte Suppe; Heyse 1838 Fremdwb. 460 Gourmandise, s. Schmecklust, Lüsternheit, Gefräßigkeit, Eßgier, Völlerei, Schwelgerei; auch ein Leckerbissen; Steinmann 1844 Mefistofeles V 116 Gourmandisen und Delicatessen; Gutzkow 1850 Ritter 3084 mit Rudhard [konnte er] philosophircn, mit Dankmar über Rechtsfragen, mit Louis Armand über die Gewerbe reden, er war die verkörperte geistige Gourmandise dieser Zeit (DiBi 125); Noe 1869 Brennerbuch 314 könnte auch das Gedärm der Frösche ein Artikel modischer Gourmandise [!] werden; Fontäne 1886 Cecile (Romane u. Erz. IV 373) Einen ästhetischen Genuss manchmal mit Gourmandise auszukosten, das hatte er gelernt. „O gewiß. Ich entsinne mich ihrer aus meinen Kindertagen her, und bei meiner Anlage zur Gourmandise könnt ich mich allenfalls entschließen, eine Kunst- und Entdeckungsreise zu machen, um das Gelobte Land der Schmerlen [Karpfenart] kennenzulernen." (DiBi 125); ders. 1897 Stechlin (Romane u. Erz. VU1 28) „Engelke, präsentiere der gnäd'gen Frau den Fisch noch mal. Und vielleicht nimmt auch Herr von Czako ..." „Gewiß, Herr von Stechlin", sagte Czako. „Erstlich aus reiner Gourmandise, dann aber auch aus Forschertrieb oder Fortschrittsbedürfnis." (DiBi 125); 1912 Pan U 658 Man kapsele die Kategorie der zerebralen Gourmandisen sorgfältig ab . . vom Bereich der ernsten Notwendigkeiten: der gemeinplätzigen Notwendigkeiten; der lebenswichtigen Notwendigkeiten für Menschen und Menschenbünde; 1928 Scherls Magazin H. 8 Die französische Sprache kennt lediglich das Wort Gourmandise; und wenn diese bisweilen als eine
Gourmet der sieben Todsünden aufgezählt wird, so hat in der deutschen Sprache hier das Wort Völlerei anzuschwirren; Werfet 1928 Abituriententag 107 Die Kannibalen essen Menschenfleisch, nicht weil sie dazu gezwungen sind, sondern aus Gourmandise; Benn 1949 Ptolemäer 126 Reis . . die neue Gourmandise; 1971 Handelsbl. XXVI 35 Information und Gourmandise für den Cineasten verbindet sich hier auf eindringliche Weise mit dem Dienst an der Gesellschaft; taz 19. 4. 1991 das in einem Gewölbe befindliche Kellerrcstaurant . ., das mit exzellenter Küche überrascht, die wiewohl sie ihren deutschen Ursprung nicht verhehlt, keinen Vergleich mit mediterraner Gourmandise zu scheuen braucht; ebd. 24. 6. 1993 Marco Ferreris Gourmandise-Groteske „Das große Fressen"; FAZ 17.9.2005 Die nicht seltenen Schwierigkeiten von Intellektuellen mit der Gourmandise beruhen andererseits in vielen Fällen auf der herbeigeredetcn Unvereinbarkeit und Ungleichwertigkeit von Körper und Geist;
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Süddtsch. Ztg. 18. 10. 2007 Hier (Restaurant „Bofinger") zahlt der Bourgeois gern viel für sein kulturell sanktioniertes gieriges Gemetzel an prächtigsten Gourmandiscn. gourmandis: 1919-20 Die Erde //// 528 Dann mache er sich klar, daß er die Idee (z. B. des Kommunismus) nur wegen seines ästhetisch-gourmandisen Gefallens an ihrem weltbeglückerischen Reize liebt; Koeppen I960 Treibhaus 73 Es war Taktik . ., den Abgeordneten, dessen gourmandise Neigungen bekannt waren, in das Casino zu bitten; ders. 1981 D. elenden Skribenten 72 Die Brüder Goncourt tafelten im Restaurant Magny mit den gourmandisen „Spartiaten"; Frankf. Rundsch. 22. L 1999 Das ICC und die umliegenden Hallen verwandeln sich in einen gourmandisen Centerpare, der die Exotik ferner Garküchen neben das Bodenständige heimatlicher Wirtshäuser plaziert.
Gourmet M. (-s; -s), im früheren 19. Jh. entlehnt aus frz. gourmet 'Feinschmecker; Weinkenner' (wohl < mittelfrz. gro(u)met, grome 'Diener (der mit dem Prüfen und Auftischen des Weines beauftragt ist)', gourmet 'Weinprüfer, -verkoster; Weinkenner; Weinhändler', dann auch 'jmd., der die verfeinerten Tafelfreuden, das gute Essen und (Wein-)Trinken zu schätzen weiß', zurückgehend auf altfrz. gromet 'Gehilfe (des Weinhändlers)', älter grommes 'Diener; Untergebener', vgl. mitrelengl. gröm, grome, groum, engl. groom 'Bursche; Diener'). In der Bed. 'sachkundiger Kenner und Genießer ausgesuchter Delikatessen, raffinierter Speisen und Getränke; Feinschmecker, Weinkenner', oft mit Konnotationen wie „exklusiv, anspruchsvoll, verwöhnt" (s. Belege 1929, 1988) bes. in Abgrenzung vom —» Gourmand (s. Belege 1851, 1895, 1963), in Wendungen wie dieses Essen wird den verwöhntesten Gourmet zufriedenstellen, er hat den (feinen, sensiblen) Gaumen eines Gourmets, er erwies sich als ein echter, wahrer Gourmet, das ist etwas für Gourmets und als Bestimmungswort in der Bed. 'Feinschmecker-' in Zss. wie Gourmetführer 'Verzeichnis, das die Namen von gehobenen Restaurants eines Ortes, einer Region o.Ä. aufführt und nähere Angaben darüber macht', -lokal 'Feinschmeckerlokal', -tempel (leicht abwertend für) 'stark frequentiertes, renommiertes Esslokal, in dem Gourmets ihrer Vorliebe exzessiv nachgehen und in gutem Essen schwelgen können', -abteilung 'Feinkostabteilung eines Lebensmittelgeschäftes', -frühstück 'bes. delikates Frühstück', -koch, -menü, -reise, -magazin, -papst 'tonangebender, führender Feinschmecker; Restaurantkritiker'; Kaffee-, Bio-, Weingourmet, auch ironisch, z. B. Fertiggericht-Gourmet, seit Anfang 20. Jh. häufig übertragen verwendet 'jmd., der etwas für wert erachtet, (wert-)schätzt, genießt, goutiert' (s. Belege 1913, 1940, 1964, 1985, 1986), in Wendungen wie Gourmet der Schönheit, literarischer Gourmet und als Grundwort konkurrierend mit -kenner, -genießer, -liebhaber meist in Zss. wie Kleinkunst-, Klang-, Auto-, Wort-, Büchergourmet. Pückler 1831 Er. e. Verstorbenen H 156 die Mahlzeit war eine wahre Mystification für einen Gourmet (DiBi 125); Vaerst 1851 Gastrosophie l Vorw.
VII Der Gourmet ist blos lüstern, doch nur nach alle Dem, was Zunge und Auge anlockt. . . Der Engländer ist meist Gourmand, die Frauen sind
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fast immer nur Gourmets, der Franzose und manche gebildete Deutsche sind oft Gastrosophen; Michelis 1872 Reiseschule 181 Einen wirklichen Gourmet zum Lehrer zu gewinnen, ist Sache des Glücks; Winter 1888 Unbeflügelte Worte 88 Gourmet ist der Weinkenner. Das Wort kommt aus dem Holländischen: gromme oder gromet bezeichnete den Gehülfen eines Weinhändlers — von grom, englisch groom, junger Bursche — und demnächst Weinkenner, Weinschmecker; Dahn 1895 Erinn. IV 2,581 er selbst erwies sich freilich in der „Krone" . . als ebensolcher gourmet wie gourmand und ich bewunderte auch seine auf vieljährigen und gründlichen Quellenforschungen beruhenden Weinkenntnisse; Haarhaus um 1900 Blattschüsse I 99 Lehmann betrachtete den billigen Braten mit dem Behagen eines gewiegten Gourmets; Zander 1904 Neue Welt 161 die lukullischen Genüsse, die die kühnste Phantasie des Gourmets entzücken konnten; Schaukai 1913 Zettelkasten 175 es gibt Gourmets des Zur- und Aus-der-Schule-gehens, die ihre Bücher doppelt besitzen, eine Partie beim Schuldiener lassen; Der Berliner 6. 10. 1929 Wir sind drauf und dran, den in der Welt der Gourmets nicht zum besten bestellten Ruf der Berliner Küche zu bessern; Macdonell 1940 Gentleman 281 Ich bin, was
man auch sonst von mir halten mag, ein Gourmet der Schönheit. Der winzigste Makel in einer Schöpfung der Kunst oder der Natur berührt mich so schmerzlich wie eine Zote; Süddtsch. Ztg. 15. 3. 1963 Für Gourmets und Gourmands — Hotelmesse in Hamburg (Überschr.); FAZ 16. 9. 1964 Gemeinde der literarischen Gourmets; Zeit 19. 4. 1985 Gemeinde intellektueller Gourmets, die es genießen, einander auf einer besonderen Ebene des Denkens zu begegnen; Mannh. Morgen 30. 9. 1986 Für den literarischen Gourmet Horst Krüger duften die dtv-Bändchen „zartherb wie ein diskretes Herrenparfum"; ebd. 29. 6. 1988 Im Bio-Laden wogt die Freßwelle (Überschr.) .. Nach langen Jahren der Kargheit und des Verzichts huldigt man hier neuerdings dem „Natur-Gourmet", der sich ausschließlich von -Schlemmereien ernährt; Spiegel 21. 3. 1994 Bei Gourmets und Gourmands, die sich den sinnlichen Genuß liebevoll zubereiteter Speisen nicht durch Fast- und Fertigfood kaputtmachen lassen, liegen die Köche nach alter Väter Sitte richtig im Trend; taz 13. 3. 2006 Es wirkte sich . . nachteilig für die Firma aus, dass der Engländer in Ermangelung einer Esskultur den Kartoffelchip zur Gourmetmahlzeit erhob.
Gout M. (-s; -s), im späten 17. Jh. entlehnt aus frz. goüt t Geschmack(ssinn)' (< lat. gustus 'das Kosten, Genießen; Geschmack', zu gustare 'kosten, genießen'; —> Gusto; verw. mit kosten, Kür), früher auch in etymologisierenden Formen wie G(o)ust und gelegentlich in der frz. Schreibung. a Zunächst eher im südwestdtsch. Sprachraum mundartlich (vgl. Fischer, Schwab. Wb. III 890), erst in jüngster Zeit wieder allgemeiner verbreitet bezogen auf die physiologische Sinneswahrnehmung des Schmeckens und Riechens in der Bed. '(typischer) (Bei-)Geschmack oder Geruch, (markante) Geschmacksrichtung von Speisen oder Spirituosen (als objektive Eigenschaft); sinnlicher, verfeinerter Genuss, den eine Speise vermittelt (als dieser Eigenschaft entsprechende Empfindung)' (—>· Aroma, —> Bukett), z.B. der Gout von Hummer, eine Arbeiterzigarette „Gout Maryland", mit einem Gout von Brombeeren, Lavendelhonig verleiht den Lammkoteletts einen ganz eigenen Gout, der pikante Gout der Kapern entsteht beim Einlegen in salzigen Weißweinessig; Bitter-, Hanf-, Käsegout, auch 'schlechter (Bei-)Geschmack, Geruch' (s. Beleg 1999), z.B. dieser Wein hat einen Gout 'schmeckt nach Fass', seltsamer, schlechter, verdorbener Gout. b Gleichzeitig zunächst auf frz. Verhältnisse bezogen als Schlagwort der höheren französischen Bildung, v. a. im schöngeistigen Bereich (bes. Literatur, Musik, bildende und darstellende Kunst), bald weitgehend durch Geschmack verdrängt in der Bed. 'rezeptives ästhetisches Urteilsvermögen des Betrachters, Zuhörers/-schauers, Kenners in Fragen der bildenden, darstellenden Künste' (s. Beleg 1687), z.B. er hat einen untrüglichen, sicheren Gout in Kunstfragen, einen guten/schlechten, vornehmen Gout haben, und 'produktiv-gestalterische Fähigkeit des Künstlers, mit der etwas (z. B. ein künstlerisches oder handwerkliches Erzeugnis) ausgeführt wird' (s.
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Belege 1736, 1745; —* Manier), z. B. ein Bild im Rembrandtschen Gout, der für seine Musik charakteristische, typische Gout, und 'stilistische Eigenheiten eines Künstlers, einer Schule o. Ä., wie sie in den entsprechenden Werken zum Ausdruck kommen, eine Epoche prägender, definierender Kunststil' (s. Belege 1761, 1783, 1996); seit späterem 17. Jh. auf den alltäglichen Lebensbereich ausgeweitet 'subjektives ästhetisches Unterscheidungsvermögen, Urteilsfähigkeit in Dingen des täglichen Lebens (Einrichtung, Kleidung, Benehmen/Lebensart, äußere Erscheinung von Menschen); subjektiver (guter, feiner) Geschmack, den jmd. (z. B. in seiner Kleidung, seinem Benehmen) beweist, der darin zum Ausdruck kommt' (s. Belege 1731, 1882; —»· Delikatesse, —* Hautgout, —» Niveau, —* Raffinesse, Ggs. Degout), z.B. er beweist einen hervorragenden Gout in der Wahl seiner Begleiterinnen, ihr Gout in Bezug auf Kleidung, auch '(richtiger) Sinn, Verstand, Gespür für etwas, adäquater Ton, Urteilsfähigkeit in Fragen des Anstands und der Moral, in der Fähigkeit, Gut und Böse unterscheiden zu können' (s. Belege 1687, 1771), z. B. der Gout trennt Gut und Böse, genau den richtigen Gout treffen, seinen Gout verbessern, und '(allgemeine) Geschmacksrichtung' (—>· Mode, —* Trend), z. B. nach dem Gout der heutigen Welt, bes. in frz. Syntagmen wie (du/au) dernier gout ('nach neuester Mode, dem letzten Schrei, im Trend') (s. Belege 1795, 1802, 1844), (le) bon goüt ('guter, feiner Geschmack'), sowie '(Wohl-)Gefallen, individuelle Neigung, Vorliebe (die jmd. für etwas empfindet); Gutdünken, Belieben' (s. Belege 1709.1, 1709.2, 1730, 1794, 1908, 1920, 1998; -» Affinität, -> Appeal, -> Faible), z. B. in (frz. beeinflussten) Wendungen wie (nach frz. chacun a son goüt) jeder nach seinem Gout ('jeder nach seinem Sinn, Belieben'), das ist (nicht) so recht nach meinem Gout ('wie es mir gefällt, zusagt'), nach eigenem, französischem, englischem Gout, das war durchaus nach dem Gout der Zuhörerschaft, dem Gout „Rothschild" entsprechend, er hat einen gewissen Gout für Reisen in fremde Länder, einen Gout für exotische Frauen, c In neuerer Zeit (in z.T. sehr engem Anschluss an die physiologische Bed., s. Beleg 1998, vgl. a) bildlich und übertragen verwendet im pejorativen Sinne von '(unangenehmer Bei-/Neben-)Geschmack/Geruch, Hauch, Anflug, Gerücht, Eindruck, der von einer Sache ausgeht, ihr anhaftet' (—» Flair, —> Hautgout, —> Look), z.B. dieser Gout von Dekadenz, befreit vom Gout der Rückständigkeit, mit dem Gout des Amateurhaften, da bleibt ein schlechter Gout zurück, dem haftet der Gout der Korruption an. Dazu die im frühen 18. Jh. aus gleichbed. frz. gouter (< lat. gustare, s.o.) entlehnte Ableitung goutieren V. trans., bes. im feuilletonistischen Zusammenhang bezogen auf Literatur und Musik in der Bed. 'Geschmack, Gefallen an etwas/jmdm. finden, etwas beifällig aufnehmen, anerkennen, gutheißen; etwas (zu) schätzen (wissen, lernen)' (—»· akzeptieren, —* tolerieren), in Wendungen wie ein Schriftsteller, der von manchen gar nicht goutiert wird, Richard Wagner werden die Italiener nie goutieren, ein vom Publikum sehr goutiertes Konzert, er habe stets Österreich mehr als Deutschland goutiert, die neuen Möbel scheinen nicht goutiert zu werden, goutiert wird dieses Verhalten aber noch lange nicht, er ist so tolerant, dass er alles zu goutieren weiß, und in neuerer Zeit übertragen im Sinne von 'etwas (als Kenner oder Bewunderer) genießen, genießerisch betrachten, bei etwas verweilen' (s. Belege 1990, 1994, 2000; vgl. sich delektieren, zelebrieren), z. B. beim Goutieren der nun vorliegenden Gedichtsammlung, sie goutierten den Schaufensterbummel ausgiebigst, die Pfalz lädt auf den Weinfesten zum Flanieren und Goutieren ein (zu b); seit
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spätem 18. Jh. vereinzelt (schweiz.), erst seit frühem 20. Jh. häufiger im kulinarischen Zusammenhang 'etwas (Speisen, Getränke) genussvoll/genießerisch (ver-)kosten, verzehren; einen kleinen Imbiss zu sich nehmen' (s. Belege 1776, 1785; vgl. konsumieren, vespern), seit Anfang 20. Jh. auch bildlich (s. Belege 1910, 1931) (zu a); mit dem vom späten 19. Jh. bis in jüngste Zeit selten nachgewiesenen Verbalsubst. Goutierung F. 'Zurkenntnisnahme, Aneignung, Aufnahme; Billigung, Zustimmung' (—» Akzeptanz, —*· Rezeption, vgl. Konsumierung), z.B. optische, ästhetische Goutierung, und der seit Mitte 19. Jh. bezeugten adj. Ableitung goutierbar 'anerkennenswert, annehmbar; (leicht) verdaulich, erträglich' (vgl. akzeptabel, tolerabel) mit Goutierbarkeit F. (-; PL ungebr.) (alle zu b). Gout a: Thomasius 1687 Nachahmung 110 Le bon gout, gleichwie es eigentlich einen guten und subtilen Geschmack bedeutet, und dannenhero von solchen Leuten gebraucht wird, die nicht alleine das was gut schmeckt von ändern gemeinen Speisen wol zu unterscheiden wissen, sondern auch geschwinde durch ihren scharffsinnigen Geschmack urtheilen können, woran es einem essen mangele; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 154 welche hernach ein jeder nach seinem goüt zubereiten und essen kan; Fischer 1904 Schwab. Wb. Ill 890 Gu . . ob].: Geschmack, Geruch . . Eine Speise, ein Getränk hat einen besonderen Gu, einen guten Gu . . weit gewöhnlicher von einem seltsamen, schlechten, verdorbenen Geschmack oder Geruch; taz 24. 3. 1990 Ist Didie etwa nachts aufgewesen, ohne daß ich es gemerkt habe, und hat noch so eine frz. Arbeiterzigarette „Gout Maryland" durchgezogen?; Züricher Tagesanz. 11.3. 1998 Nur: die richtige Würze fehlt. Und im Abgang hinterlässt Raguletto einen leichten Kartongout; ebd. 19. 3. 1999 diese Pralines hatten einen penetranten Goüt, der auch nach zwanzig Minuten noch unangenehm im Mund klebte. Auf die Frage, woher der Geschmack komme, hiess es: Das sei Parfait-Aroma; St. Galler Tagbl. 10.2001 Im Gegensatz zu den Lagcrsorten [von Äpfeln], die während der Lagerzeit noch nachreifen, werden Herbstsorten erst vom Baum genommen, wenn sie den vollen, sortentypischen „Goüt" erreicht haben. goutieren: Hirschfeld 1776 Br. d. Schweiz, betr. 159 wird in allen Häusern des Nachmittags . . wieder eine Menge Speisen . . aufgetragen . . Man nennt dieses goutiren [Nachmittagskaffee halten]; Meiners 1785 Br. Schweiz II 167 noch viel weniger würden Sie zum Caffee oder Goutiren kommen, wenn Sie zum Abend-Essen wären gebeten worden; Oertel 1831 Fremdwb. 368 gutiren . . eig. schmecken, kosten . . Geschmack daran finden, leiden mögen; Sanders 1871 Fremdwb. l 451 Gou-
tieren . . Etwas kosten, schmecken; Kassner 1910 Dilettantismus 38 Er schmeckt einen Lehrsatz aus der Ethik des Spinoza so wie er . . eine Landschaft, eine Frau goutiert. Er goutiert das Fremde wie das Nahe und verleugnet das Gefühl; Voss. Ztg. 3. 6. 1931 Professor Fleischmann, der als Völkerrechtler viel Wasser in den hier goutierten, trüb schäumenden Wein goß; Salzb. Nachr. 22. 5. 1993 Die Veranstalter haben dem Rechnung getragen und bieten heuer eine interessante Auswahl an Verköstigungsmöglichkeiten. Die meisten Besucher waren eher zum Goutieren und zur Information über die Zeller Wirtschaft gekommen; St. Galler Tagbl. 17.4.1998 Bei jedem Goutieren bestätigt sich das Knusperzüngli als hochwertiges Schweizer Markenprodukt für . . jederzeitigen Genuss zu Hause und für unterwegs; taz 11. 2. 1999 all das, was man nach dem Goutieren eines der fünf Zentimeter dicken Koteletts . . braucht; Züricher Tagesanz. 19.2.1999 Im Allgemeinen sind die Leute jedoch kritischer geworden, was das Goutieren ostasiatischer Küchen anbelangt. Gout b: Thomasius 1687 Nachahmung 110 also haben die Franzosen nicht uneben dies Wort hernach figürlicher Weis von allen denen zu brauchen angefangen, die wohl und vernünftig das Gute von dem Bösen oder das artige von dem unartigen unterscheiden, daß also den Nahmen d'un homme de bon goust der jenige verdienet, der so viel die Sinne betrifft, zum Exempel eine artige und geschickte Lieberey auszusuchen weiß, oder der sich lieber an einer anmuthigen Laute oder wohlgestrichenen Violine als an den besten Brumeisen oder der zierlichsten Sackpfeiffen delectiret; Mischer 1709 Informator Vorr. lla Dabey bin ich .. bange, es nicht nach eines jeden goüt zu treffen; ebd. 126 Es wähle aber jeder Lehr-Meister eine [lat. Grammatik] nach seinem Goüt; Kurfürstin Sophie 1710 Br. an Friedrich l. 204 daß zu Saltzthal so viel verendert ist, körnt vom Hertzog her, welcher einen solchen guh-
Gout ten goust haben; Offenbach 1728 Tagebuch 11 man sicher hier zwar keine übermäßige angewandte Unkosten, aber jedoch einen recht guten Goust von Bau und Meubles; Fleischer 1730 Herr v. Lydia I 2h Derjenige nun, der es nicht nach seinem Gout findet, ist ja nicht gehalten es durchzulesen; Biantes 1731 Historicus 46 dass der gout des Frauenzimmers [in Bezug auf den Mann aber auch allgemein] mannigfaltig ist; Richter 1736 Von Fenstern 22 den besonderen Goüt und mancherleyen genie der Künstler . . bewundern; Scheibe 1745 Musikus 121 Die Wörter: Methode, Gout oder Gusto werden insgemein verwechselt, oder wohl gar zu einer Sache gebrauchet, worauf sie gar nicht zielen. Alle Welt schreyet: Methode, Gusto und dergleichen . . Der gout oder eigentlich der Geschmack, wenn er gut ist, ist eine Sache, die allen Stücken eine wahre Schönheit zuwege bringt, wenn ihn der Componist selbst besitzt . . Man saget insgemein: . . dieser Componist hat einen ganz neuen Gout; Möser 1761 Harlequin (IX 85) der sogenannte gout baroc; Ayrenhoff 1771 Postzug 56 Sie sind zu delikat, Herr Graf, gar zu delikat . . ich kann mir nicht helfen, daß mein gout für diese Länder zu fein ist; Landerer 1783 Anl. 11 Goüt, Geschmack. Diese Worte sind keiner Erklärung fähig, weil das Geschmackvolle zu viel auf den Empfindungen beruhet, als daß es recht könnte beschrieben werden. Inzwischen sagt man von einem wohl ausgesonnenen und auch so ausgeführten Werke, daß Goüt, Geschmack darinnen sey; Joh. G. Mueller 1794 Briefw. 49 Nun kam die Kantische Philosophie, die, so richtig sie an sich ist, bei ihren blinden Verfechtern gar allen Gout an dem Gott der Bibel tödete; 1795 Journal d. Moden X 43 Mode-Waaren du dernier gout fabriziren und liefern; 1802 Eunomia II 139 Rock und Weste [eines Parisers] . . ganz neu und au dernier gout; Bruckbräu 1844 Militär 23 einen Frack . . ein geborener Pariser oder Wiener du dernier gout; Gutzkow 1858-61 Zauberer (W. VII 289) Nun kann ich Ihnen aber doch sagen, daß ich Beistand fand . . Wir Kaufleute halten in Einem Punkt unter allen Umständen zusammen — Anspielungen auf unsere Branche sind in dem Grade mauvais gout (DiBi 125); Burckhardt 1882 Br. an Alioth 190 das Tun . . der Damen .. meist ganz scheussliche Moden durch vielen Goüt erträglich zu machen; Werner 1908 Heiratsannoncen 248 das ist nicht mein Gout, absolut nicht; Zoheltitz um 1920 GrossQuirlitz 71 eine haushälterische Bequemlichkeit . . sich das bissei Leben nach eigenem gout einzurichten; Sieburg 1935 Gott 151 Die Auffassung vom goüt ist eine der großen Schwierigkeiten für die Erkenntnis des französischen Wesens; Burger 1963 Dasein 95 Die Deutschen sollten nicht in allen Äusserlichkeiten die Franzosen nachäffen, sondern
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sich lieber an die französischen Ideale des honnete hommc und bei esprit, des homme de bon goüt und homme galant halten; Presse 8. 8. 1995 sein feines Gefühl für den Gout musikalischer Abläufe, seine Hellhörigkeit für jene Konturen und Akzente, die die Musik beleben; ebd. 2. 2. 1996 Nicht ganz so hautnah wurde der Gout des Dcbussy-Stücks getroffen; taz 24. 9. 1998 „Goüt" übersetzt man in [Gerhard] Schröders Aufsatz am Besten mit „Neigung". Schröder will „Europäer aus Neigung" sein und nicht etwa bloß „Europäer aus Notwendigkeit"; St. Galler Tagbl. 10. 3. 2000 Das hat mir den Gout an der Schule restlos genommen. goutieren: 1719 Recueil XVUI 17 Goutirte man dergleichen Principia nur auch erst bey unsern Teutschen Adel (BRUNT); Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,116) daß er . . das Büchlein de natura decorum besser goütiren würde, als die Mythologie; Herder 1774 S. W. VI 389 und eben, weil er nur das that . . ist seine hypothese, mehr als eine andere schaumblase seines buchs, also goutirt worden (DWB); Lessing 1778 Br. (S. Sehr. XVIII 265) besonders freue ich mich, daß Du das haut-comique der Polemik zu goütiren anfängst; Müller 1789 Emmerich VIII 301 von einem Manne, dessen Character man nicht goutirt; Alxinger 1792 Br. an Reinhold (Wiener Freunde 53) Wenn Du übrigens glaubst, dass ich Deine Schriften gar nicht brauche oder goutire so thust Du mir Unrecht; Caroline vor 1809 Br. H 361 er war lange in Coppet und fr. v. St.Jael] goutirte sein originelles wesen (DWB); 1818 (1903 Mitt. Lippische Gesch. I 87) erzählte, wie man in Bückeburg diese Reise nach England nicht goutire; Heine 1822 Berl. Br. (VII 588) ich kann seinen Humor nicht goütiren; Lord Byron 1831 S. W. 313 Bramblebears Lady Penelope bringt mich in Verwirrung. Sie ist sehr schön, aber keine meiner Schönheiten. Sie wissen, daß ich diese Art Gesichter nicht goutire, aber ihre Figur ist vollkommen schön; A. v. Droste-Hülshoff 1844 Br. 356 Junkmann hat ein zwar abnormes und deshalb nur von wenigen goutirtes, aber sonst doch unbestreitbares talent (DWB); 2855 Prutz' Museum U 549 sowol das Rott'sche Pathos wie die Gern'sche Komik gehören zu den Dingen, ohne ein eingefleischter Berliner zu sein, man nur schwer goütiren kann; Daumer 1861 Mansarde 119 dem reinen Atheismus und Materialismus . . den ich weder als Denker noch als Dichter goütiren und billigen kann; Pückler-Muskau 1873 Briefw. I 317 darin aber bin ich mit ihnen einverstanden, daß ich den detail- und engroshandel mit Offenbarungen weniger goutire (DWB); Nordau 1881 Paris l 198 schrieb Dumas . . einen Artikel, wie ihn so . . toll nur der Verfasser der
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Gout
„Dame aux camelias" schreiben und so aberwitzig nur ein Pariser Publikum goutiren kann; Suttner 1896 High-life 60 Ich kann wirklich nur unsern einheimischen Adel goutieren; diese fremden Prinzen und Grafen . . sind . . zumeist doch abenteuerlich; Hesse 1919 (1980 Magie 81) Ich .. habe neue Sachen geschrieben, die zwar niemand goutieren wird, die aber später sich doch als notwendig zeigen werden; Voss. Ztg. 8.2. 1930 Ich selbst habe für diese Art des erotischen Sports gar nichts übrig, ich goutiere die Sachlichkeit in der Liebe ebensowenig wie eine Dusche am Morgen und rationierte Frühstückskalorien; Münch. N. N. 21. 3. 1945 Daher ist einen Park anzulegen nicht seine Sache, weil er nur das „Fertige" goutiert, nicht das Werdende; Maass 1955 Geheimwiss. 84 Gespenster . . auf dem Shakespeareschen Theater zu goutieren; Geiger 1963 Demokratie ohne Dogma 177 f. Daß A Erdbeeren goutiert, aber Tabak verabscheut, sind seine primären Wertungen dieser Dinge; Bieler 1972 Gesch. d. röm. Lit. 88 Politische Satire ist das gewiß, aber kein politisches Pamphlet; das fast geniale Gelegenheitswerk war für den Kreis um den jungen Nero bestimmt, wo man die Verhöhnung des gefallenen Opfers goutierte; Haubrichs 1988 Geschichte 167 Das Publikum . . mußte .. mit den Motiven . . der einheimischen Heldensage gut bekannt sein, um Entwurf und Ziel des 'Waltharius' verstehen und goutieren zu können; taz 5. 6. 1990 Eingerahmt von kleinen Rasenstücken oder Steingärtchen, sind die Einzelstücke [bildhauerische Kunstwerke] in der luftigen Halle des Hamburger Bahnhofs so locker verteilt, daß sie den Besucher durchaus zu geschmäcklerischem Goutieren verleiten; Presse 8. 6. 1994 Älteste Ikone der Wiener Buchdruckerkunst (Überschr.) Sothebys's brachte sie am Montag zum Goutieren für einen Abend ins Palais Breuner; Vorarlb. Nachr. 2. 7. 1999 Geschäftsreisende und Vielflieger sind zahlungskräftige Käuferschichten, und dank der häufigen Verspätungen haben sie am Flughafen auch Zeit zum Goutieren; Mannh. Morgen 23. 11. 2000 Die Fachwerkkulisse lädt dann an den drei Adventswochenenden jeweils von Freitag bis Sonntag zum Flanieren und Goutieren ein; taz 3.3. 2003 in dezidiert linken Kreisen, die das Goutieren von Kontroversem als Distinktionsgewinn verbuchen. goutierbar: Faber 1846 Conversations-Lex, f. Bildende Kunst 1 98 Von dem Lucchesen Pompeo Geronimo Battoni, welcher 1708 — 1787 lebte . . ist ausser zwei minder goutirbaren Stücken ein Meisterbild vorhanden, eine büssende Magdalene, welche in einer Felsenhöhle liegt und in einem grossen Buche liest; Joel 1901 D. xenophontische Sokrates 808 [die] erste Begegnung des Anacharsis und
des . . Solon, bei der der Barbar den Attiker durch eine allenfalls beim Symposion goutirbare Pointe von seiner Fremdenscheu bekehrte und beschämte; 1951 Schweiz. Zeitschr. f. Geschichte l 676 dass noch allzu viele Beiträge traditionellen geistesgeschichtlichen Modellen folgen und daher heutzutage für den Allgemeinhistoriker, der mit neuen Forschungsmethoden umzugehen gelernt hat, nur noch schwer goutierbar sind; Schulze 1978 Marinos Lira 179 Ingeniöse Arrangements jedoch, die den Gesamtablauf eines Textes organisieren, sind ohne Zweifel dann am besten nachzuvollziehen und goutierbar, wenn der Text sich gut überblicken lässt und sein Umfang sich in Grenzen hält; Berger/Lüsebrink 1987 Literar. Kanonbildung in d. Romania 45 Unter Berufung auf Horaz, dessen Überzeugung es war, daß die Sprachkunstwerke nicht wie der Wein erst einiger Jahre des Reifens benötigten, um goutierbar zu werden; Süddtsch. Ztg. 3. 2. 1993 Im Wiener Dialekt ertönt das Stück schnarrend vital, erklingt auch nicht einfach als goutierbare Exotik, sondern jetzt kommt die . . Vulgarität des französischen Stilgestus überhaupt erst richtig heraus; taz 20. 5. 1995 Hochinteressantes, aber schwer Goutierbares . . Die Mittel sind äußerst sparsam eingesetzt, verdichten sich zu abstrakten allegorischen Bildern; ebd. 30.4.1999 Goutierbare zeitgenössische Werke . . und eher selten aufgeführte Opern. Goutierbarkeit: Richter 1977 Ziegelbrenner 131 Daß die militärische Zensur diese Glosse ganz gestrichen hat, bestätigt unsere Annahme, dass Goutierbarkeit und subversive Potenz keine einander ausschließenden Textqualitäten sind, sondern daß sie sich im günstigsten Falle immer vereinen; taz 9. 7.1998 wie soll man umgehen mit einem Film, der sämtliche Kategorien der Goutierbarkeit durcheinanderwirbelt; der Gewalt zwar vor einem real existierenden Hintergrund darstellt . . die Gewalt dann aber radikal ästhetisiert. Goutierung: Gisbert 1879 Zeit-Arabesken 68 Mancher Matrose würde wohl mit Recht sagen dürfen, daß ihm die Landratten in der Goutirung und in dem innigen Verständniß dieser Pflanzstätten der Gesangskunst [Tingel-Tangel-Lokal] „über" sind; Holländer 1905 Karikatur II 8 Das Zerrbild weist zu jeder Zeit auf einen gewissen kulturellen Hochstand hin, da es zu seiner Goutierung eines verfeinerten Geschmackes und eines gewissen Raffinements bedarf; Scholl 1973 Vom Bürger zum Untertan 83 ein Werk zu schaffen, das sich vorderhand der praktischen, sozialen Verfügbarkeit entzieht, indem es quasi immanent auf sich verweist, ein Geflecht komplexer, aufeinander bezogener Elemente herstellt und der Gefahr allein ästhetischer und in-
Gouvernante tellektueller Goutierung ausgesetzt ist; Kreuzer 1980 Fernsehforschung 248 den Vorbildcharakter der ausgezeichneten Sendungen vermochten sie durch derartige Häufungen nicht mehr deutlich zu machen — im Gegenteil deutete die prämiierte Form des vorausgesetzten Inhaltes . . dieser Gleichmäßigkeit eher die besondere Qualität des Fernsehens an, jeden Gegenstand so zu präsentieren, daß seine optische Goutierung und damit seine Unterhaltsamkeit gesichert bleibt; Kolkenbrock-Netz 1985 Wege d. Literaturwiss. 371 Die Beschimpfung findet also nicht statt, sondern es gibt ein verbales Exerzitium, in dem die Gebrauchsregeln der Sprechhandlung unbeachtet bleiben. Die Beschimpfung ist Attitüde, deren ästhetischer Goutierung nichts im Wege steht; Presse 5. 12. 1992 Ihr diesbezüglicher Wunsch wurde — wie berichtet — in der letzten Sitzung des Handelsausschusses im Parlament nach anfänglicher Goutierung schließlich doch verworfen; taz 11.6. 1993 die brutalen Geschehnisse der amerikanischen Realität und ihre
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mediale Goutierung; Neue Kronen-Ztg. 29.8. 1995 Ich sehe die Köpfe Ihrer Schweizer Leser nach Goutierung der Staberl-Kolumne reihenweise nicken. Gout c: taz 27. 5. 1991 da würd' ich doch lieber in ein Konzert von Tom Jones gehen. Diese Stimme, diese Koteletten, dieser Blick! Dieser Gout von Goldkettchen!; Salzb. Nachr. 27. 4. 1996 Mendelssohns Musik haftet auch dann noch der Gout der Garnierung an, wenn er sogar einen Choral einarbeitet; Frankf. Rundsch. 30. 4. 1998 Die Abbreviaturen der Nahrungsaufnahme, die Verfeinerungen des Genusses sind hier noch nie zur Debatte gestanden, sie haben immer noch einen Gout von Decadence. Man geht eben in die vollen. Eisbein und „Schulle", das gnadenlose Berliner Bier, das seinen regionalen Absatzmarkt nie so recht erweitern konnte; Berl. Ztg. 3. 4. 2000 So hatte die Diskussion von Anfang an den Gout des Pathologischen; die Entgegnungen waren therapeutischer Natur.
Gouvernante F. (-; -en), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. gouvernante, subst. Part. Präs, von gouverner 'regieren, verwalten, leiten; erziehen' (zu lat. gubernare '(ein Schiff) steuern; lenken, leiten'; —»· Gouverneur), zunächst und bis Ende 18. Jh. vorherrschend in der deutsch movierten Form Gouvernantin, vereinzelt auch in der Schreibung Guvernantin. 1 Zunächst, auf dasselbe lat. Etymon zurückgehendes, bereits seit späterem 16. Jh. belegtes gleichbed. Gubernantin F. (-; -nen) ersetzend (vgl. Gubernator, —» Gouverneur), in der Bed. 'Regentin, Statthalterin, Verwalterin, Gouverneurin eines Landes', meist mit Bezug auf niederländische Verhältnisse (die Statthalterinnen der habsburgischen Niederlande, 16. —18. Jh.), in Wendungen wie Maria, Gouvernante/Gouvernantin der Niederlande, Regentin und Gouvernante/Gouvernantin, selten (überwiegend gebucht) in der Bed. 'Ehefrau eines Gouverneurs' (s. Belege 1709, 1727, vor 1871). 2 Etwa gleichzeitig als Pendant zu Hofmeister, Informator, (Haus-)Lehrer auch in der Bed. 'Lehrerin und Erzieherin der Kinder und Heranwachsenden (Mädchen oft bis ins heiratsfähige Alter) in einem (meist ländlichen) wohlhabenden Privathaushalt oder einer Bildungsinstitution (Schule, Internat), die neben dem Fachunterricht (Theologie, Geschichte, Mathematik, Philosophie, Latein, Griechisch, Hebräisch, Französisch, oft auch Literatur und Musik) auch für die Erziehung in Fragen von (praktischer) Lebensführung, Sitte, Anstand und Benimm zuständig ist', meist von unverheirateten (bis ins frühe 20. Jh. oft französischen, französisch-schweizerischen oder englischen) Frauen aus der gebildeten Mittelschicht, oft konnotiert mit „(sitten-)streng, altjüngferlich, schulmeisternd, rechthaberisch, herablassend" (s. Belege 1940, 1963, 1995; s.u. gouvernantisch) und in jüngerer Zeit gelegentlich übertragen verwendet mit Bezug auf Frauen in (wirtschaftlichen, politischen) Führungspositionen (s. Belege 1989, 1995), in Wendungen wie die französische, englische Gouvernante, Hofmeister und Gouvernanten, Bonnen und Gouvernanten und Zss. wie Internats-, Medien-, Moral-, Ober-/Unter-, Polit-, Reise-, Etagengouvernante 'Vorge-
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Gouvernante
setzte einer Gruppe von Zimmermädchen in einem Hotel oder Heim' (schweiz.); Gouvernantenberuf, -dienst, -erziehung, -existenz, -stelle, -stil, -stimme, -ton, -wesen, bis ins spätere 19. Jh. auch in der vorwiegend gebuchten Bed. '(Ober-)Hofmeisterin an einem fürstlichen Hof, weibliche Person, die die Aufsicht über den weiblichen Hofstaat oder die weiblichen Hofbedienten hat' bzw. 'Frau des (Ober-)Hofmeisters' (s. Belege 1719, 1813, 1870), in jüngster Zeit vereinzelt auch ironischübertragen mit Bezug auf weisungsbefugte, übergeordnete Instanzen/Institutionen (s. Beleg 1985). Dazu seit frühem 19. Jh. die seltene adj. Ableitung gouvernantisch, meist einzelne (vermeintlich typische) Eigenschaften von Gouvernanten thematisierend in der Bed. 'gouvernantenhaft, erzieherisch, schulmeisterlich, lehrerhaft, durch Bildungsdünkel geprägt; streng, zur Strafe neigend; karg, verhärmt; sitten-, tugendwächterhaft' (zu 2). Gouvernante/-in/Gubernandn 1: 1564—66 Zimmer. Chronik 1184 Wie margraf Philips mit seinem aignen vatter gehandlet, also that er hernach mit seinem leiblichen bruder, margraf Bernharden, der mertails im Niderland bei fraw Margrethen, der gubernantin, zu hof; ebd. Ill 166 Aber nach langer underhandlung do wardt doch die künigin Maria als regentin und gubernantin erbetten, das sie nachließ; Ziegler 1695 Schau-Platz 660a die Prinzessin von Parma, gubernantin der Niederlande (DWB); ebd. 660b die von der gubernantin wider die ketzer ausgegebene befehle (DWB); Wächtler 1709 Manual 147 Gouvernantin/ . . it. des Gouverneurs Ehe-Gemahl; Sperander 1727 A la ModeSprach 280 Gouvernante, eine Regentin, z. E. die Durchlauchtigste Gouvernantin der Oesterreichischen Niederlande, it. eine Hofmeisterin. Auch eines Gouverneurs Ehe-Gemahlin; Beust 1743 Consiliarius 216 Hcrtzogin von Parma, damahligen Gouvernantin in den Niederlanden; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 67 Martin Böheim . . welcher zuerst eine Reise nach dem unbekannten America gewaget, nachdem er die berühmte Burgundische Gouvernante Isabella beredet, ihm ein Schiff zu dieser Untersuchung zu vertrauen; 1785 Gedanken ü. d. Unruhen 59 Margaretha, verwittwete Herzogin von Parma und damalige Gouvernantin der Niederlande; Forster 1791 Ansichten (W. 571) Ähnliche Reformen bedurften und erhielten jetzt alle Theile der Administration, und selbst die Gouvernantin der Niederlande, eine Schwester des Kaisers, wurde nebst ihrem Gemahl, dem Herzoge von Teschen, in ihren Einkünften auf eine bestimmte Summe eingeschränkt (DiBi 125); Oertel 1831 Fremdwb. 368 Gouvernante . . Gubernante . . Statthalterin; Pichler 1844 Denkw. l 123 Während ihres kurzen Lebens an seiner Seite hatte sich ihr Herz, vor allen ändern, einer seiner Schwestern, der wunderschönen Erzherzogin Christina, nachmaligen Gouvernantin der Niederlande, zugeneigt
(DiBi 125); Fiedler 1870 Relationen venet. Botschafter 168 Er folgte seinem Vater in der Leitung der Geschäfte des Kaisers und wurde später der vertrauteste Rathgeber der Erzherzogin Margaretha, Gouvernante der Niederlande; vor 1871 (Sanders 1871 Fremdwb. l 451) Die Kaiserin blieb in Begleitung der G[ouvernante], wie in der Martinique die strenge Gattin des Gouverneurs . . genannt wurde; Wolfsgruber 1905 Hofburgkapelle 397 Erzherzogin Marianne, Gouvernantin der Niederlande; Bittner 1936 Gesamtinventar 91 nahm Karl V. sogleich seine Schwester Maria, verwitwete Königin von Ungarn, als Gouvernantin der Niederlande in Aussicht und richtete am 3. Jan. 1531 an sie die Bitte, sie möge, um ihm zu gefallen zu sein, die Nachfolgerschaft Margaretes antreten; Brandt 1941 Kaiser Karl V. / 268 Die Aufgabe Maries als Gouvernante der Niederlande war nicht leicht, da Karl gewohnt war, von den Niederlanden mehr zu verlangen, als er ihnen gab; Arens 2001 Flandern 56 Margarete von Österreich (1480—1530), auch genannt die „Gouvernante der Niederlande". Sie, die gewiefte Diplomatin und souveräne Generalstatthalterin, hat den Frieden von Cambrai zuallererst bewirkt. Gouvernante/-in 2: Wächtler 1709 Manual 147 Gouvernantin/ Hoffmeisterin; Vischer 1709 Informator 3 Daher auch die sogenannte Gouvernantinnen und Frantzösinnen derselben [der Jugend] sich einiger Orthen, in Belehrung der Kinder bedienen; ebd. 113 Man lehrt . . heutiges Tags die Kinder par la Routine, oder den täglichen Umgang vermittelst der Gouvernantinnen, das Frantzösische fertig reden; 1719 Abentheuerl. Welt V 37 Die Gouvernantin macht, die deinem Hauß steht vor,/ Daß dir zur Züchtigung die Galle steigt empor,/ Die dann, wann man das Kind beym rechten Namen nennet,/ Ist als wie eine Kohl,/ sie schwärtzet oder brennet,/
Gouvernante Wordurch die Renomme, die du vorhin hast,/ fällt; Lindenborn 1748 Morpheana 174 [auf einen Ratschlag reagierend] Ich habe Dich zu meiner Confidentinne gemacht, nicht aber zu meiner Gouvernantinne; Geliert 1769 S. Sehr. V 279 Wo war ehedem die Art der Gedichte, die Fontenelle uns unter dem Namen der Schäfergedichte gegeben hat? Wo waren die Melaniden, die Gouvernanten, die Orakel, ehe de la Chaussee und Saint-Foix sie werden hießen?; Wezel 1773 Tob. Knaut l 47 Ammen, Kinderweiber, Kinderwärterinnen, Guvernantinnen; 1797 Berlin. Archiv l 356 Die Gouvernanten, die wie die Hofmeister Französisch verstehen müssen, erhalten einen etwas geringeren Gehalt. Die Behandlung heider ist . . erträglich; Campe 1813 Fremdwb. 340 Gouvernante . . an den Höfen die Oberhofmeisterinn; v. d. Hagen 1818 Br. l 211 Gouvernanten, welche, wie die Mietsoldaten, zu den Ausfuhrartikeln dieses mit Klugheit und Wohlgezogenheit überflüssig gesegneten Landes [Payerne, Schweiz] gehören; Wolff 1841 Gesch. d. Romans 475 [Madame der Genlis wurde] Gouverneur — so wollte sie ausdrücklich heiszen, nicht Gouvernante — der herzoglichen Kinder; Hartmann 1866 Erlebnisse 99 die Tochter mußte unter Anleitung der Gouvernante ihre Fertigkeit im Klavierspiel zeigen; Heyse 1870 Fremdwb. 393 Gouvernante . . an Höfen Oberhofmeisterinn; Einsiedel 1884 Gouvernantenwesen 39 Es gibt in der That wenig, sehr wenig Gouvernanten, die das Glück haben Jahrlang [!] auf einer und derselben Stelle zu bleiben, vielleicht ihre Schülerin ganz zu erziehen . . Das ist die sog. nursery governess, die Kinderstubengouvernante, welche die Kinder auch anund auskleidet. Nichts desto weniger liegt ihr der erste Unterricht ob; Arneth 1893 Mein Leben l 24 Lehrer und Erzieher, Gouvernanten und Bonnen wurden überall [aus Frankreich] nach Deutschland berufen; Höcker 1910 Sonne 211 Oh — ich mag gar keine Respektsperson sein. Wenn meine Freundin mich mal 'ihr Gouvernantchen' nennt, dann biete ich ihr immer an, ihr die Augen auszukratzen; Csokor 1924 Scbuss 43 Das verschüchterte Kind . . wird . . bezahlten Kräften überantwortet, Hofmeistern, Gouvernanten, Dienstboten: So wächst der Erbe des Reichen auf; Klingenberg 1940 Völker 7 Aus dem englischen Charakter . . entwickelte sich . . im Laufe der Jahrzehnte in England die Auffassung, dass es, wenn nicht als Polizei der Erde, so doch mindestens als Gouvernante auftreten müsse, um nach seiner Ansicht Ordnung in die Welt zu bringen, wo diese gestört sein sollte; Pinkwart 1963 Mord 61 „. . Woher wollen Sie meinen Namen wissen?". „. . ich habe für Namen ein verteufelt gutes Gedächtnis, Frau — Helmsdorf, gelt?". „Recte!" sagte sie, und ihre GouvernantenStimme ließ Verwunderung erkennen. „Dennoch
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bin ich wenig begeistert, namentlich von Leuten gekannt zu werden, die ich nicht kenne". Bernie stellte sich vor, was sie mit einem gnädigen Kopfnicken zur Kenntnis nahm; Zeit 19. 7. 1985 Eben hat die wirtschaftspolitische Gouvernante der westlichen Industrienationen, die OECD in Paris, Italiens Wirtschaftsentwicklung gelobt, auch wenn Inflationsrate und Staatsverschuldung nach wie vor viel zu hoch sind; taz 27. 8. 1988 Bis ins zwanzigste Jahrhundert emigrierten Tausende britischer Frauen. . . Sie . . waren gebildet, aber mittellos, viele von ihnen protestantische Pfarrerstöchter — und unverheiratet. Die viktorianische Gesellschaft ließ ihnen neben dem Missionieren nur den Beruf der Gouvernante oder Lehrerin übrig; ebd. 14. 9. 1989 Ist der Landjunker von der Gouvernante [Margaret Thatcher] abgesetzt worden? Diese Frage mag von Nichtbriten als seltsam empfunden werden, wenn es um den Falklandkrieg geht. . . Nun aber hat die Gouvernante, die Säule der Rechtschaffenheit und Engstirnigkeit, deren Loyalität niemals in Zweifel stand, die naiv an all das glaubte und als Muster an Tugend galt, beschlossen, das Ganze selbst zu übernehmen; 1995 FAZ o. Nr. Recht hat sie ja, die neue Gouvernante der SPD: Man muß Scharping auch mal loben. Heidi [!] Simonis hat zwar nicht gesagt wofür. Aber da bieten sich Möglichkeiten an; taz 18. 2. 2006 Reiche Russen, die ihre Kinder russischsprachig erziehen lassen wollen, engagierten die Lehrerin aus Sewastopol als Gouvernante. gouvernantisch: Meist 1819 Gespenst (Rommel 1913 Alt-Wiener Volkstheater II 20) Gouvernante. . . Der Ehestand ist oft nichts als ein Duett ohne Musikbegleitung! . . Marie. Was nützen alle Ihre gouvernantischen hohen Redensarten, ich mag halt einmal nicht heiraten, wenn ich nicht verliebt bin; Weehrt 1844 Br. (S.W. V 141) Ida Escher - warne auch Carl davor! — Die wird eine unausstehliche Ehefrau, philiströs, gouvernantisch — God forbid! — Aber die Lina Tendering ist eine liebe Dirne; das sollte mich freuen, wenn das Deine Frau wäre; St. Zweig 1930 (Neue Rundsch. 770) Schwer kann man sich eine Frau mit so harter Haltung, mit so bitter verschlossenenem Prophetenmund als liebend Hinschmelzende, als mütterlich tändelnde denken, schwer auch diese merkwürdig runden, diese tiefgrauen Augen jemals Heiterkeit spiegelnd oder lässig verträumt. Alles in dieser königlich hochmütigen und gleichzeitig gouvernantisch strengen Gestalt meint Vorstoß, Aggression, Vehemenz, gesammelte, gestaute, konzentrierte Energie; vor 1978 (Festschr. W. Supper 397) Dieser kritische Sonderfall müsse „zwar nicht gerade gebrandmarkt, zumindest jedoch mit dem gouvernantisch
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erhobenen, sachte strafen wollenden Zeigefinger zur mehr oder weniger freundlichen Kenntnis genommen werden"; Wohmann 1978 Frühherbst 90 Indem er dem Bruder gegenüber das bewusste Datum überhaupt beschwor, indem er es nur nannte, das Datum des Todestags vom Vater, war die alte gouvernantische und etwas trauerfibelhafte, zugleich auch anbiederungssüchtige Rollenquälerei
schon wieder im Gang; taz 4. 2. 1997 So ist beispielsweise ein Plakat von Albrecht von Bodecker (1974) anläßlich der Ausstellung „Zeichenkunst der deutschen Romantik" im Alten Museum mit barbusigen und gouvernantisch streng blickenden Grazien eines Julius Schnorr v. Carolsfeld (1794— 1872) ebenso zu bestaunen wie das PDS-Wahlplakat.
Gouverneur M. (-s; -e), Mitte 15. Jh. vereinzelt, seit Ende 16. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus gleichbed. frz. gouverneur (zu gouverner 'regieren, verwalten, leiten; erziehen' < lat. gubernare '(das Steuerruder) führen, lenken, leiten, regieren' (vgl. gubernator 'Steuermann eines Schiffes; Lenker, Leiter') < gleichbed. griech. , —* Kybernetik; vgl. engl. governor, ital. governatore], anfangs in verschiedenen, teils das lat. Etymon, teils die frz. Herkunft anzeigenden, teils kontaminierten Schreibungen wie Goivernier, Gouuerneur, Guvernor, Guvernor, Governor, Gouber-, Guver-, Guberneur, 1 Zunächst, konkurrierend mit älterem Gubernator und seltenem Gubernierer (s. u.), in der Bed. 'Herrscher, (Staaten-)Lenker', dann 'direkt vom Staatsoberhaupt ernannter (später auch vom Volk gewählter) oberster ziviler Verwaltungsbeamter, der als Statthalter, Regent, Verwalter einer (exterritorialen oder territorial untergeordneten) Region, Provinz, Kolonie eingesetzt ist; Vorsteher einer Regionalregierung' (s. Belege 1590, 1700, 1790-92, 1904, 1934, 1953, 1989, 2006; vgl. Landeshauptmann, Verwalter, Vizekönig, Ministerpräsident, —»· Intendant, —»· Minister, —> Präsident, —> Regent); seit 19. Jh. vorwiegend im Zusammenhang mit Imperialismus und Kolonialismus oder mit Bezug auf administrative Verhältnisse in den USA, Russland, Großbritannien (Commonwealth of Nations), süd- und mittelamerikanischen Staaten, in Wendungen wie der Gouverneur von Hennegau, von Ceylon, von Wisconsin, jmdn. zum Gouverneur ernennen, den Gouverneur abberufen und Zss. wie Gouverneurskandidat, -palast, -posten, -residenz, -wählen; Bezirks-, Distrikts-, Gebiets-, General-, Provinz-, Regional-, Zivilgouverneur; daneben etwa gleichzeitig 'erfahrener hochrangiger (Infanterie-)Offizier, der zum militärischen Kommandanten und Verwalter einer —>· Garnison, Festung, einer befestigten Stadt, eines militärisch besetzten Gebietes eingesetzt ist, in Friedenszeiten organisatorische, planerische, bauliche, in Kriegszeiten militärstrategische Entscheidungen fällt und dem auch die Jurisdiktion untersteht; Vorsteher einer Militärregierung' (s. Belege 1616, 1633, 1656, 1659, 1757, 1878, 1989; vgl. Kommandant, Kommandeur), in Wendungen wie der Gouverneur von Hanau ließ die Bastionen der Garnison ausbauen, der Gouverneur übergibt die Festung und Zss. wie Gouverneursrang; Militär- Vizegouverneur; daneben in neuerer Zeit selten 'Vorsitzender, Präsident einer Notenbank' (s. Beleg 1968), z. B. Bankgouverneur, sehen auch in der movierten Form Gouverneurin 'Ehefrau eines Gouverneurs' (s. Beleg 1743) bzw. Oberste Verwaltungsbeamtin' (s. Beleg 1988). 2 Vom späteren 17. bis ins frühe 20. Jh. auch in der Bed. 'Lehrer, Erzieher der Kinder und Heranwachsenden in einem wohlhabenden (meist ländlichen) Privathaushalt oder einer Bildungsinstitution (Schule, Internat), der neben dem Fachunterricht (Theologie, Geschichte, Mathematik, Philosophie, alte und neue Sprachen, oft
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auch Literatur und Musik) auch für die Erziehung in Fragen von (praktischer) Lebensführung, Sitte, Anstand und Benimm zuständig ist und der z. T. die jungen Männer als Ratgeber an die Universitäten und als Reisebegleiter auf Kavalierstouren ins Ausland begleitet' (vgl. Hauslehrer, Hofmeister, Präzeptor, Informator, —» Information, —» Mentor), meist von unverheirateten Akademikern, nur ausnahmsweise von weiblichen Erzieherinnen (s. Beleg 1841; —»· Gouvernante), vereinzelt auch in der weiteren Bed. '(Ober-)Hofmeister an einem fürstlichen Hof, Person, die die Aufsicht über den Hofstaat oder die Hofbedienten hat' (s. Beleg 1729). Daneben seit Mitte 15. Jh. auch die direkt aus lat. gubernator 'Steuermann (eines Schiffes); Lenker, Leiter' entlehnte Personenbezeichnung Gubernator M. (-s; -en; teilweise lat. flekt.), auch in Schreibungen wie Governator, Gobernattor, z.T. auch formal kontaminiert Gouernator, Gouvernator (s. Beleg 1643) und vereinzelt lat. moviert Gubernatrix (s. Beleg 1863), in der Bed. 'ziviler Statthalter, Regent, Verwalter' (s. Belege 1454, 1591, 1680, 1825), auch 'Militärkommandeur, Kommandant eines befestigten Ortes' (s. Belege 1495, 1579-1610.1, 1589, 1643), überwiegend auf fremdländische und seit späterem 19. Jh. historisierend bes. auf österreichische, ungarische und tschechische Verhältnisse bezogen; zunächst mit gleichbed. Gouverneur abwechselnd, seit Anfang 18. Jh. gegenüber diesem zurücktretend; vereinzelt auch in der Bed. 'Lenker, Leiter, Vorsteher (eines Stifts)' (s. Beleg 1475) und 'Herrscher, Staatsoberhaupt' (s. Beleg 1513) (zu 1). Gleichzeitig seltenes Gubernierer M. (-s; -) in der Bed. 'Herrscher, Regent, Verwalter', auch mit Bezug auf Gott (s. Beleg 1513.1), vereinzelt auch etymologisierend 'Steuermann' (s. Beleg 1513.2) (zu 1). Von Anfang 15. bis Anfang 18. Jh. aus lat. gubernare (s.o.) entlehntes gubernieren V. trans, in der Bed. 'lenken, leiten, beherrschen, regieren', meist mit Bezug auf die politische Machtausübung durch weltliche Herrscher, gelegentlich auch vom autoritativen Eingriff in das Weltgeschehen durch den allmächtigen Gott (s. Belege 1513.1, 1513.2, 1686) und im ethisch-moralischen Sinne für die Beherrschung der eigenen Affekte und Triebe (s. Belege vor 1452, 1678, 1688, 1709), in Wendungen wie sein Königreich, das ganze römische Reich gubernieren, regieren und gubernieren, seine Seele, sich selbst gubernieren, (bildlich:) Pietas guberniert (zu 1); im späteren 16. Jh. auch vereinzelt in der Bed. 'erziehen' (zu 2); mit dem seit Anfang 16. Jh. selten belegten, veralteten Verbalsubst. Gubernierung F. (-; -en) 'Beherrschung, Regierung(sform)' (zu 1); dafür seit Anfang 17. Jh. vereinzelt, seit Anfang 18. Jh. vorherrschend und heute veraltet das aus frz. gouverner (s. o.) entlehnte weitgehend gleichbed. V. trans, gouvernieren, auch gouverniren, gouerniren, gouernieren, 'verwalten, im Auftrag eines Potentaten befehligen, beaufsichtigen' (s. Belege um 1600, 1616.1, 1616.2, 1980), auch mit Bezug auf die Herrschaft eines Machthabers selbst in der Bed. '(autokratisch) herrschen, regieren' (s. Belege 1743, 1776, 1812, 1832), im Zuge des Rückgangs monarchistischer Herrschaftsstrukturen und der Übernahme eher repräsentativer Aufgaben königlicher Staatsoberhäupter seit dem späteren 19. Jh. (konstitutionelle Monarchie) auch in Abgrenzung zu regieren (s. Beleg 1871, vgl. engl. the monarch reigns, but does not rule), vereinzelt auch bezogen auf den eigenen Körper (s. Beleg 1705), in Wendungen wie im Namen des Kaisers eine Stadt gouvernieren, das Land willkürlich gouvernieren, Handwerksburschen und Gassenbuben wollen uns gouvernieren, mit dem im späten 17. Jh. vereinzelt belegten Verbalsubst. Gouvernierung F. '(Amtsführung einer) Regionalverwaltung, Statthalterschaft' (zu 1); im frühen 19. Jh. auch vereinzelt in der Bed. 'lehren, erziehen' (zu 2).
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Dazu seit spätem 16. Jh. aus gleichbed. frz. gouvernement entlehntes Gouvernement N. (-s; -s), auch in den Schreibungen Gouvernament, Gouuernement und bis ins frühe 18. Jh. latinisierend Gubernement, Gubernament, zunächst abstrakt in der Bed. '(Amtsperiode, Zeit, Phase, Dauer einer) Herrschaft, Regentschaft, Befehlsgewalt (eines Verwalters, Statthalters, Regenten, einer Regierung)' (s. Belege 1585 — 89, 1591, um 1600, 1730), in Wendungen wie während seines Gouvernements, die Dauer seines Gouvernements, ein Gouvernement (inne-)haben, wahrnehmen, auch scherzhaft übertragen auf die Machtverhältnisse in einer ehelichen Gemeinschaft (s. Beleg 1705), dann konkret auf die regierende Institution bezogen für 'Regierung(s-), Verwaltung(-sbehörde) eines Staates, einer Region, eines Bezirks, einer militärischen Besatzungszone' (s. Belege 1833, 1848, 1867, 1959, 2000), in Wendungen wie das Gouvernement der Vereinigten Staaten, das Gouvernement in Daressalam, Forderungen an das Gouvernement stellen, die Gouvernements zahlen keine Steuern und Zss. wie Gouvernementssekretär, dann auch bezogen auf das von einer solchen Regierung(-sbehörde) verwaltete Gebiet 'Regierungs-, Verwaltungsbezirk, militärische Besatzungszone' (s. Belege 1693, 1772, 1790-92, 1941, 1985; -» Distrikt, -»· Provinz, vgl. Departement), in Wendungen wie ein Dorf in einem spanischen Gouvernement, die Hauptstadt des Gouvernements, das Gouvernement Polen, im militärischen Bereich in der Bed. 'militärischer Oberbefehl, militärische Befehlsgewalt; Militärregierung' (s. Belege 1608, 1804), in Wendungen wie das Gouvernement einer Festung, das Gouvernement über eine Armee haben (zu 1). Seit Anfang 17. Jh. aus gleichbed. ital. governo entlehntes, oft auf italienische Verhältnisse bezogenes Governo N. (-s; Pl. ungebr.), bis ins 18. Jh. auch Gouverno, in der Bed. '(städtische, regionale) Regierung(-sbehörde)' (s. Belege 1579 — 1610, um 1830, 1870, 1888, 1996), in Wendungen wie das Governo Venedigs, wir bringen die Sache vors Governo, auch bezogen auf das von einer solchen Regierung(-sbehörde) verwaltete Gebiet für 'Regierungs-, Verwaltungsbezirk, militärische Besatzungszone' (s. Beleg 1903, 1933), im militärischen Bereich für 'militärische Befehlsgewalt' (s. Belege 1670, 1726, 1741), in Wendungen wie das Governo über eine Armee akzeptieren, unter einem Governo stehende Soldaten, vereinzelt auch übertragen auf den religiösen (s. Beleg 1751) und den ethisch-moralischen Bereich (s. Beleg 1695), in Wendungen wie das Governo über sein Herz führen; vom früheren 19. bis ins frühere 20. Jh. ausschließlich gebucht in der veralteten kaufmannsspr. Bed. 'Nachricht, Richtschnur, Regel, Weisung, an die sich z.B. ein Kommissionär zu halten hat', mit den Wendungen per governo 'zur Nachricht' per grato governo 'zur gefälligen Beachtung' (s. Belege 1865, 1870, 1888, 1933) (zu 1). Seit späterem 18. Jh. aus gleichbed. mlat. gubernium entlehntes Gubernium N. (-s; Gubernien), zunächst auf Verwaltungsinstitutionen bezogen in der Bed. '(eine die) Regierung (repräsentierende Behörde, Einrichtung), Staats-, Regionalverwaltung, Verwaltung(-sbehörde) einer militärischen Besatzungszone', auch mit Bezug auf deren Personal (s. Belege 1813, 1858), in Wendungen wie jmdn. vor dem hohen Gubernium entschuldigen, vereinzelt auch für das Gebäude, in dem diese Stelle untergebracht ist (s. Beleg 1808.2), in Wendungen wie ins, aufs Gubernium gehen, dann mit Bezug auf den Verwalter einer Region für 'Regierungsmacht, Befehlsgewalt, Herrschaft, Regentschaft' (s. Beleg 1859), in Wendungen wie das Gubernium über eine Provinz übernehmen, innehaben, im 20. Jh. vorwiegend bezogen auf das von einer solchen Regierung(-sbehörde) verwaltete Gebiet in der Bed. 'Regierungs-, Ver-
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waltungsbezirk, militärische Besatzungszone', meist mit Bezug auf österreichische Verhältnisse (s. Belege 1958, 1974, 1989, 1993, 1999) (zu 1). Dazu seit Ende 18. Jh., heute v. a. regional (österr.) die adj. Ableitung gubernial, selten auch gubernal und in den frz. beeinflussten Formen gouvernial und gouvernal, in der Bed. 'von der Regierung eingesetzt; diese repräsentierend', häufig konkreter 'von der Regierung oder ihren Repräsentanten genehmigt, bevollmächtigt, bewilligt, legitimiert', in Wendungen wie ein gubernialer Reisepaß, guberniale Komitees und Zss. wie Gubernialkommissar, -präsident, -rat; -dekret, -resolution, -Verordnung, -Stadt 'Stadt, die Sitz eines Gouverneurs ist'; dazu seit frühem 20. Jh. vereinzelt und fachspr. (Politologie) die subst. Ableitung Gubernalismus M. (-; Gubernalismen), 'Haltung, Überzeugung, die an der Unterordnung von Personen, Institutionen oder gesellschaftlichen Bereichen, Strukturen unter die (alleinige, weitgehende) Machtbefugnis einer Regierung orientiert ist' (zu 1). Dazu seit frühem 19. Jh. die adj. Ableitung gouvernemental 'durch die Regierung, eine Regierungsstelle oder einen ihrer Repräsentanten bestimmt, dominiert, vorgenommen' (s. Beleg 1848), 'zur Regierung gehörig, von ihr ausgehend' (s. Belege 1905, 1943, 2006), in Wendungen wie gouvernementale Interessen, Verantwortung, Kompetenz, 'auf die Regierung bezogen, ausgerichtet' (s. Belege 1920, 1921 — 22, 1985), in Wendungen wie gouvernementaler Respekt, selten konkreter 'zur (Idee einer starken, mit weitgehenden Befugnissen ausgestatteten) Regierung hinneigend' (s. Belege 1874, 1963), in Wendungen wie gouvernemental denken, gesinnt sein, gouvernemental werden, auch vereinzelt gebucht in der Bed. 'den Vorschlägen der Regierung folgend, ohne eine eigene politische Haltung einzunehmen' (s. Beleg 1887) (zu 1). Dazu seit Mitte 19. Jh. die selten belegte, aus gleichbed. frz. gouvernable (< mlat. gubernabilis 'leitbar') entlehnte adj. Ableitung gouvernabel, selten auch gubernabel, '(durch klare Über- und Unterordnung regierender und regierter Staatsorgane) regierbar', in Wendungen wie einen Staat, eine Gesellschaft, ein Volk gouvernabel machen, im weiteren Sinne mit Bezug auf Institutionen, Staaten u. Ä. in der Bed. '(durch starke Verwaltungsinstrumente) beherrschbar' (s. Belege 1875, 1963), vereinzelt auch 'regierungsfähig' (s. Beleg 1971), z. B. war das Kabinett noch gouvernabel? (zu 1); seit Mitte 19. Jh. die adj. Ableitung gubernativ, auch gouvernativ, 'zu den Macht- und Entscheidungsbefugnissen einer Regierung, zum Tätigkeitsbereich des Regierens gehörig, darauf bezogen' (s. Belege 1854, 1902, 1971), in Wendungen wie gubernatives Talent, auch allgemein 'regierend, exekutiv' (s. Belege 1863, 2005), in Wendungen wie gubernative Gewalt, gubernative (Staats-)Organe, in theologischen Kontexten mit Bezug auf Gott/Jesus Christus als Herrscher der Welt (s. Beleg 2002), vereinzelt 'zu den Ideen der Regierung hinneigend' (s. Beleg 1875), in Wendungen wie ich bin gubernativ gesinnt, seit späterem 20. Jh. mit der subst. Ableitung Gubernative F. (-; Pl. ungebr.), einem juristisch-politologischen Fachbegriff in der Bed. 'Regierung eines Staates und die mit ihr eng zusammenarbeitende oberste Ebene der Ministerialbürokratie in Hinblick auf ihre Eigenschaft als Staatsorgan, Teil der Exekutive zu sein', auch im Ggs. zu Administrative (die öffentliche Verwaltung als der andere Teil der Exekutive; s. Beleg 1969) (zu 1); seit späterem 19. Jh. die seltene adj. Ableitung gubernatorisch in der Bed. '(autoritativ allein-)herrschend, regierend; herrschaftlich, (ausschließlich) regierungsbestimmt', in theologischen
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Kontexten häufig mit Bezug auf Gott/Jesus Christus als allmächtigen Herrscher der Welt (s. Belege 1954, 1970, 1998) (zu 1). Dazu seit Mitte 19. Jh. die subst. Ableitung Gouvernementalismus M. (-; Gouvernementalismen), zunächst in der Bed. 'Regierungssucht', dann abstrakter 'Zustand, in dem etwas (allein, weitgehend) (dem Willen) einer Regierung zu- oder untergeordnet ist', auch '(vollständige) Unterordnung aller Individuen und gesellschaftlichen Bereiche unter die Machtbefugnisse des Staates' (s. Beleg 2003.2), dafür seit frühem 20. Jh. auch fachspr. (Politologie) Gouvernementalisierung F. (-; -en) und seit spätem 20. Jh. die Gelegenheitsbildung Gouvernementalisation F. (-; -en), dann auch '(gesellschaftstheoretische) Haltung, Überzeugung, die an der Zu- oder Unterordnung von Personen, Institutionen oder gesellschaftlichen Bereichen und Strukturen unter die (alleinige, weitgehende) Machtbefugnis einer Regierung (oder anderer weisungsbefugter Institutionen, Personen) orientiert ist' (s. Belege 1936, 1961), dafür auch seit Ende 19. Jh. Gouvernementalität F. (-; -en) (in jüngster Zeit auch als postmoderner soziologischer Begriff neuentlehnt aus dem von M. Foucault aus frz. gouverner 'regieren' und mentalite 'Denkweise' gebildeten gouvernementalite) in der Bed. 'spezifische Form des Regierungswesens in modernen, spätkapitalistischen Gesellschaften, die in einer spezifischen Gemengelage aus kodifizierten Verfahren, formalen Gesetzen und unbewussten Gewohnheiten besteht und durch das Zusammenwirken einer Fremdführung von außen und einer Selbstführung der Individuen gekennzeichnet ist', vgl. weitere fachspr. Ableitungen wie gouvernementalisieren V. trans. (seit Anfang 20. Jh.), auch in der Bed. 'jmdn., eine Partei zur Regierung machen',, gouvernementalistisch Adj. und die Personenbezeichnung Gouvernementalist M. (-en; -en) (beide seit späterem 20. Jh.), in jüngerer Zeit auch die im Rahmen der Diskussion um die EU-Verfassung aufgekommene neoklassische Bildung Intergouvernementalismus M. 'zwischenstaatliche Kooperation gleichberechtigter Regierungen, staatenbündliche Organisationsstruktur' (s. Belege 1997, 2003.1) (alle zu 1). Gouverneur 1: Meijbootn 1444 Pilgerf. träum. Mönch 4342 Ind yn [sent Benedictus] na gewonliche sede/ Van de keyser rechte machde here;/ Ind he äs guyt keiser ind goiverniere/ Sach an de konynge gebrechlichen schyn (FRNHD.WB); Eyzinger 1590 Relationen l 139 Grauuen von Lalaing Bailly, Gouuerneur oder Stathalter von Henegaw; Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Gouuerneur, Einer der in einem Platz das Haupt ist; 1633 Relationen Lützen (Droysen 1 45) In mittels hat Hertzog Bernhard . . alle Städte vnd Orter in Meißen occupiret, vnnd weil Kemnitz starck besetzet von den Wallnstein, ist selbige Stadt mit aller Macht also zugesetzet worden, daß der Wallsteinische Guvernor Obr. Contraras den 10. Nov. die Stadt . . auffgegeben; 1656 Brandenburg. Kriegs-Recht B 4a Sollte aber das gemeine Kriegesvolck/ die Gouverneurn, Vestungen auffzugeben/ zwingen/ So sollen alle Befehlshabere imgleichen am Leben gestraffet/ von den ändern aber so in solchem Zwang eingewilliget allezeit der zehende Man nach dem Looß stranguliret . . werden; Lavater 1659 Kriegsbüchlein 2a Gouverneur, Fürgesetzter einer Vestung;
Wagner 1690 Pfalz a. Rh. 23 Alles/ was in dem Zeughauß zu Heydelberg sich befindet/ wird man inventiren/ und das Inventarium dem Gouverneur, welchen der König setzen wird/ zu Händen stellen; Pastorius 1700 Beschr. Pensylvaniae 22 Gouverneur William Penn; 1710 Neue Bibliothek IX 779 des Gouverneurs zu Oxfort, der anno 1645, als Carl der I. sich dahin mit seiner Armee retiriren müssen/ allda commandiret; Marperger 1711 Beschr. d. Messen I 18 f. dahero in Franckreich ein gesuchtes privilegium über einen öffentlichen Jahrmarkt nicht ehe ertheilet wird, als biß die Gouverneurs und Intendanten der Provincien sich erst allenthalben bey denen Benachbarten erkundiget, ob ihnen auch dadurch einiger Abgang oder Schaden geschehe; Schnabel 1743 Felsenburg IV 89 Bald hernach kam eine alte Matrone, welche im Nahmen der Gouverneurin fragte: ob uns etwa beliebig, alleine auf unsern Zimmern zu speisen, oder ob wir zur ordentlichen Tafel kommen wolten?; Eggers 1757 Kriegslex. l 1086 Gouverneur einer Festung, ist ein angesehener und gedienter Officier, dem die Besorgung und Vertheidigung der Festung
Gouverneur von der Herrschaft anvertrauet ist. Ein Gouverneur muß die Vortheile und auch die Fehler derselben, die Art, wie sie angegriffen werden kann, die Stärke jeden Werks, und wie die Vertheidigung geschehen muß, wohl einsehen und zu beurtheilen wissen. . . Er ordnet die Wachen, Ronden und Patrouillen an, giebt alle Abend die Parole und Befehle aus; Schlözer 1779 Briefw. histor. Inh. IV 304 Capitain Carleton vom Slsten englischen Regiment, und erster Aide de Camp bei seinem Oncle dem General und Gouverneur, hat verschiedene Jare auf diese mit und unter den Wilden gelebt; Beckmann 1790-92 Erfindungen III 305 Baron von Hatten . . dessen Vater Gouverneur der Insel war; Berenhorst 1798 Kriegskunst II 326 achtzehn Battalione und drey und zwanzig Schwadronen . . und einige hundert Fußjäger — in zwey gegen einander aufziehende Haufen getheilt. Einen derselben führte der König, den ändern der jedesmalige Guvernör von Berlin; Rousseau 1800 Staatl. Vertrag (Übers.) 138 f. Anm. Als das Stehlen in der Stadt Moscau kein Ende nehmen wollte, ließ der Gouverneur, Fürst Galiczin die eingezogenen nächtlichen Räuber bey den Beinen aufhenken, und jämmerlich verzappeln; Prokesch v. Osten 1825 (Kl. Sehr. V 125) Alle Großen schenken dem Sultan und den Sultaninnen; . . alle Gouverneure und Pascha's dem Großvezier und ändern Ministern; so geht das Geldgeschenk durch alle Stellen und Stände; 1859 Allg. Mil.-Enc. II 168 Er [v. Bonin] erhielt darauf das Commando über die 16. Division in Trier, übernahm im Januar 1852 das Kriegsministerium, wurde bald darnach zum Generallieutenant befördert, . . wurde im März 1856 Vicegouverneur von Mainz; Fontäne 1878 Vor d. Sturm (Romane u. Erz. II 151) Er hörte auch, daß General Augereau, der Gouverneur von Berlin, der Division bis Schöneberg entgegengeritten sei, um sie feierlich einzuholen und den Berlinern in beherzigenswerter Weise zu zeigen, daß der Kaiser . . noch immer Armeen habe (DiBi 125); May 1904 Und Friede 230 Nachdem er aller Herren Länder kennen gelernt hatte, war er zuletzt nach Indien gekommen, dessen General-Gouverneur ebenso wie der Gouverneur von Ceylon ein Verwandter von ihm war, . . war . . im Auftrage des GeneralGouverneurs jetzt wieder hergekommen, um sich wichtiger Botschaften an den Statthalter zu entledigen; Lokal-Anz. 6.11. 1934 In New York war als einziger arischer Gouverneurskandidat Hylan aufgestellt worden. .. Die anderen Kandidaten für den Gouverneursposten von New York sind alle Ostjuden; Bonn 1953 Gesch. 166 Gouverneur La Follette hatte einen Feldzug gegen die private Ausbeutung der natürlichen Reichtümer Wisconsins (Wasserkräfte und Forsten) unternommen und deren Kontrolle durch den Staat angestrebt; FAZ
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8. 1. 1968 Die im Zusammenhang mit anderen Rücktritten von Athener Bankgouverneuren in der vorigen Woche bereits vorausgesagte Demission des Gouverneurs der halbstaatlichen Entwicklungsbank; taz 20. 8. 1988 Ein paar Seiten weiter zeigt das Beispiel der Gouverneurin Beatriz Paredes Rangel, daß gelegentlich auch eine Frau in dem machistischen Land politische Karriere machen kann — vorausgesetzt, sie hat das richtige Parteibuch; 1989 Brockhaus IX 36 Gouverneur . . 1) oberster Befehlshaber einer Festung. 2) Zivil-G[ouverneur], oberster Exekutivbeamter eines Gliedstaates (z.B. in den USA), einer Provinz oder einer kleineren Kolonie; taz 4. 1. 2006 Nach Regenfällen und Überflutungen hat Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger am Montag für Teile des US-Westküstenstaates den Notstand ausgerufen. gouvernabel/gubernabel: Gutzkow 1846 Pariser Eindrücke 433 Das Gouvernable im Franzosen, sein Gehorsam, seine Unterordnung springt merkwürdig in die Augen; Mohl 1855 Gesch. u. Lit. II 586 wenn die Kirche die Gesellschaft nicht „gouvernabel" mache. Die vereinigende, ausgleichende, bindende Macht, welche, indem sie freiwilligen Gehorsam des Unterthanen erzeuge, und den Gewaltigen die Verantwortlichkeit vor dem Könige aller Könige stets gegenwärtig halte, den Völkern die Möglichkeit rechtlicher Freiheit gewähre und den Fürsten ihre Throne sichere, — diese Macht sei allein in den Händen der Kirche; Schmoller 1875 Grundfragen d. Rechts 126 wir . . müssen . . die untern Klassen durch die Metternichschen Grundsätze der Schulpolitik oder wenigstens durch Stiehlsche Schulregulative wieder gubernabel machen; 1935/36 Hochland 333 die Gesellschaft . . gouvernabel macht, indem sie die Menschen zur Geduld und Liebe erzieht und so die Ergänzung des Rechts und der öffentlichen Gewalt bietet; 2963 Polit. Sem. d. staatsbürgerl. Vereinigung 35 Es bleibt im Grunde für einen Staat wie die Bundesrepublik, wenn er gouvernabel sein und zugleich . . die elementaren Rechte der Bürger vor dem inneren Übergewicht der Macht schützen soll, nur die Form der parlamentarischen rechtsstaatlichen Demokratie; Bavendamm 1971 Bonn unter Brandt 148 War das Kabinett angesichts dieser Umstände überhaupt noch gouvernabel, konnte es die anstehenden Probleme meistern, die allfälligen Reformen vorantreiben? Gouvernement: Kiechel 1585-89 Reisen 440 hat gemelter duca das gouvernament drey jähr lang (JONES); Eyzinger 1591 Relationen III 86 sie bezeugen/ daß er sich in werendem seinem Gubernament alzeit wol/ trewlich vnnd ohne einichen verweiß in seinem befelch gehalten/ vnnd nichts
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vnderlassen/ daß ihme gedaucht es möchte zu wolfahrt/ nutz/ vnnd auffnemen so wol des Landts in gemain/ als auch insonderheit zu gedeyen der Statt Brugk . . fürgenommen; Kiechel um 1600 Reisen 440 Der duca düses königreichs, wölcher von der signoria de Vönetia dohün gesantt würt, wie auch der general oder oberste iber alles krüegsvolck düser insul haben ir residentz unnd hofhaltung alhüe, halten sich brächtig unnd stattlich, unnd hat gemelter duca das gouvernament drey Jahr lanng, alsdann ein anderer mago oder edelmann von Vönedüg hüngesantt wüertt; Spangenberg 1608 Ajax (Übers.) LVCCX// 55 Agamemnon . ./ Dem ewr Consens langst zuvor schon/ Das gantz Gubernament frey eben/ Über den Heerzug hat gegeben/ Und damit selbst bezeuget frey/ Daß Er höchster Ehr würdig sey; "Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Gouuernement, Regierung; Vogel 1626 Schlacht 34 vntr seim Gubernament (JONES); Chemnitz 1648 Krieg I 71 den Praelaten . . vnd Städten ihre Policey/ jurisdiction, gouvernament; Gage 1693 Reise-Beschreibung 427 Nicoya aber ist ein sehr schönes Dorff/ und das vornehmste von einem Spanischen Gouvernement, in welchem wir einen/ nahmens Justus de Salazar, der Alcalde Major war/ antraffen; Elis. Charl. 1704 Br. l 363 Alle, die deß königs ungnadt beförgt, haben gnaden empfangen, Tallar ein schon gouvernement, Valseme ein ordre, so im mehr alß 2000 thaller eintregt, andere haben sonst waß bekomen; 1705 Herrschaft d. Männer 26 So schreibt hingegen auch Älianus von denen Sacis, daß die Braut und der Bräutigam am ersten Hochzeit Tage haben miteinander fechten müssen/ und wer die Oberhand behalten/ der hätte auch hernach im Ehestand das Gouvernement gehabt; Gottsched 1730 Dichtkunst 474 Von einer ändern Art ist die Fabel vom Eselkönig, eine wunderseltsame Erzählung, wie nämlich die Monarchei und Gubernement über die vierfüßigen Thiere geändert, das Königreich umgefallen, und die Krön auf einen Esel gerathen (DiBi 125); Huebner 1743 Fragen a. d. Geogr. 99 Vor diesem hat es zu Spanien gehöret, jetzo aber ist es in Frantzösischen Händen, und gehöret zum Gouvernement von Languedoc; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 36 In eben diesen Zeiten , . stiegen die Wissenschaften und Künste unter einer Nation, deren Gouvernement und Religion dieselbigen gar nicht begönstigte, nehmlich bei den Saracenen, zu einem nicht geringen Flor; Goethe 1772 Sehr. z. Kunst (HA Xll 147) Und so werden bis auf den heutigen Tag die unter den Gläubigen der griechischen Kirche zu Hause und auf Reisen verehrten Andachtsbilder in Susdal, einer Stadt des einundzwanzigsten Gouvernements von Rußland, und deren Umgebung unter Aufsicht der Geistlichkeit gefertigt; Beckmann 1790-92 Erfindungen HI 168 Er
wählte dazu die Waldungen in dem bergigten District Morvant, welcher zum Gouvernement Nivernois gehört; Bolte 1804 Geschäftsgang in Preussen 12 Das Commando jeder Festung aber ruht in den Händen des Gouvernements, welches aus dem Gouverneur, dem Commendanten und dem Platzmajor besteht, und seinen eigenen Justitiarius oder Auditeur hat; Blücher 1809 Br. 98 die Überzeugung, daß während meiner Abwesenheit das hiesige Gouvernement durch den Generalmajor und Brigadegeneral v. Bülow gehörig wahrgenommen werde; 1833 Jahrb. d. Gesch. l 249 Gouvernement . . die Staatsverwaltung; 1848 Grenzboten l 2,166 Die Chartisten gehören nicht der neuen Zeit an. Ihre Forderungen an das Gouvernement sind sehr alt; Hesslein 1867 Neger-Barone 36 Es würde ungerecht sein, alle diese Ungerechtigkeiten dem Gouvernement der Vereinigten Staaten zur Last zu legen, oder sie der Vernachlässigung der Eingebornen anzuklagen; 1889 Unsere Zeit I 447 daß im Jahre 1888 das Reichspostamt im Einverständnisse mit dem Auswärtigen Amte einen Postsecretär zu ihrer Verwaltung dorthin entsandte, welchem gleichzeitig daselbst die Geschäfte des Gouvernements-Secretärs übertragen wurden; Klemperer 1941 Tagebücher 589 Beamtenfamilien, die aus dem Gouvernement Polen zurückgerufen werden; Grzimek 1959 Serengeti 105 danach hatte bereits 1892 die englische Mission in Moschi an das Kaiserliche Gouvernement in Daressalam über die vermeintliche Hinrichtung der Konkubine und ihres Geliebten berichtet; Zeit 5. 4. 1985 1917 ernennt Lunatscharsky den Rückkehrer [M. Chagall] zum Kommissar für die Schönen Künste im Gouvernement Witebsk; Berl. Ztg. 24. 5. 2000 Viele [russische] Gouvernements zahlten keine Steuern mehr ans Zentrum. 20000 regionale, von den Gouverneuren illegal erlassene Gesetze brechen das föderale Recht. gouvernemental: Schlesier 1836 Oberdtsch. Staaten 69 Haller vertheidigt zunächst eigentlich nur die Vorrechte und Privilegien der Aristokratie. Die wahrhaft conservative Politik verlangt nur die Anerkennung des guvernementalen Herkommens; Marx 1848 Prozeß (MEW VI 129) Der Herr Regierungspräsident fertigt nämlich eine Liste von Individuen zu einer bestimmten Zahl an, die er aus den Geschwornenlisten des ganzen Regierungsbezirks auszieht; die gerichtlichen Repräsentanten der Regierung säubern diese Liste bis auf 36 . . Im Augenblicke der wirklichen Bildung des Geschwornengerichts endlich steht es dem öffentlichen Ministerium zu, die letzte Liste, das Ergebnis des Klassenprivilegiums und einer doppelten gouvernementalen Destillation, zum dritten Male zu säubern und bis zum letzten notwendigen Dutzend auszumer-
Gouverneur zen; Gildemeister 1874 A. d. Tagen Bismarcks 143 Das Volk . . streifte ohne alles Bedenken alle Vorurteile der Parteitradition ab und erklärte ohne eine Spur falscher Scham, daß es in der obschwebenden Streitfrage ministeriell und gouvernemental gesinnt sei; 1887 Meyers Konversationslex. Vll 578 Gouvernemental . ., auf die Regierung bezüglich, zu der Regierung gehörig; auch Bezeichnung für diejenigen, welche schlechthin mit der Regierung gehen, ohne eine selbständige politische Haltung einzunehmen. In diesem Sinn spricht man insbesondere von einer gouvernementalen Zeitung, Partei etc.; Meysenbug 1905 Stimmungsbilder 106 Früher hatte sie Tortur und Scheiterhaufen für die Brüder, welche ihre Dogmen nicht anerkannten. Jetzt hat sie gouvernementale Interessen und den Vorwand der zu gruppierenden Nationalitäten, in deren Namen die menschlichen Brüder zu Mord und Totschlag aufeinander gehetzt werden; Diehl 1920 Sozialismus 120 in seiner Schrift „The man versus the state" vertritt er [Spencer] den gouvernementalen Nihilismus. Dort sagt er: „Jeder Vorschlag, daß der Staat in die freie Tätigkeit des Bürgers einzugreifen habe, außer so, daß er die Freiheit der Verträge garantiere, ist ein Vorschlag, das Leben dadurch zu verbessern, daß man die Grundbedingungen des Lebens zerstört"; 1921 — 22 Schweizer. Monatsh. l 90 Nein, da ist der Elsässer von ganz anderem Schlag: politisch wach, kritisch, mit nicht allzuvielen gouvernementalen Respektsgefühlen ausgestattet, gern zum Raisonnieren und Reklamieren aufgelegt; N. Z. Z. 18. 10. 1943 Mehrmals gab das Kernwort dem Begriff der Verantwortung den besonderen Sinn einer „gouvernementalen" Verantwortung, und damit rückte sofort die Erfahrungstatsache in den Vordergrund, daß im Spiel der politischen Kräfte die „Gouvernementalität" gerne mit belastenden, mißbilligenden oder gar diskreditierenden Gewichten behängt wird; Heuss 1963 Erinn. 73 Daß Naumann für das Gesetz optierte . ., kostete ihn für Jahre die Freundschaft von Lujo Brentano, der sich doch gerne . . für seinen Lehrmeister hielt; war denn nun sein mit ungeduldigem Eifern geliebter Schüler „gouvernemcntal" geworden? Zeit 7.6.1985 Zwar hängt seine Regierung seit einem halben Jahr in der Luft, weil die Grünen jenes gouvernementale Zwischending namens Tolerierungsbündnis im November aufgekündigt haben; dpa 2. 4. 2006 Der deutsche Steuerzahler soll für 900 Millionen Euro Kredit gerade stehen und weder der Finanzminister noch der Kanzler wollen etwas davon gewusst haben. . . Das ist an sich schon ein skandalöser Fall von gouvernementaler Inkompetenz. Gouvernementalismus: Simon 1855 Exil l 54 Wie wir die Aufhebung des Krieges nur auf der Höhe
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der Wehrhaftigkeit Aller finden, so erscheint uns die völlige Auflösung des Gouvernementalismus nur möglich durch die Selbstherrschaft Aller; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 298 Gouvernementalismus .. Regierungssucht; Hunfalvy 1877 Literar. Ber. aus Ungarn 134 das Princip der dynastischen Legitimität, des unbeschränkten Gouvernementalismus, wie der Erhaltung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung; Mülberger 1899 Proudhon 129 Je heftiger die Fehde zwischen dem reaktionären und dem revolutionären Gouvernementalismus entbrannte, desto zwingender fühlte Proudhon die Aufforderung an sich; Wolfframm 1936 Dtsch. Außenpolitik 16 Fällt dieses individuelle Moment mit dem pressepolitischen Gesichtspunkt eines Gouvernementalismus womöglich noch zusammen, wie bei der „Kölnischen Zeitung", so findet das Blatt bei anderen Zeitungen erhöhte Beachtung als Nachrichtenquelle; Pack 1961 Sozialistengesetz 94 Natürlich mußte sich ihre Hauptkritik am Tun und Lassen der Nationalliberalen entzünden, deren Absichten und „Charakterlosigkeit" nun erst ganz klar wurden und die Hoffnungen der Opposition zuschanden machten. Man warf ihnen Prinzipienlosigkeit und Gouvernementalismus vor; Niethammer 1982 Mitläuferfabrik 323 ein dem bayerischen Gouvernementalismus vergleichbarer Pragmatismus war den Stuttgarter Liberalen fremd, auch fehlte ihnen angesichts ihres zerfetzten und zusammengestückelten Landes und ihrer verarbeitenden Industrie ein paralleles Motiv; Frankf. Rundsch. 25. 8. 1997 Europäische Integration. — Großbritanniens Zielvorstellung ist der Inrergouvernementalismus, . . Die britische Politik betont die ungeschmälerte Souveränität des Parlaments; sie setzt nicht auf die Einbindung Deutschlands durch Integration, sondern auf dessen Ausbalancierung durch zwischenstaatliche Kooperation in wechselnden Zusammensetzungen; Zeit (online) 10. 7. 2003 Alles das suggeriert der nationale Blick, der zwei und nur zwei Lesarten der europäischen Politik und Integration kennt: entweder den Bundesstaat (Föderalismus) oder den Staatenbund (Intergouvernementalismus); taz 18. 10. 2003 die verdummende Spezialisierung der parlamentarischen Arbeit; die bürokratische Transformation der Demokratie, befördert durch den „Gouvernementalismus" der Kohl-Jahre, in der sich die sozialdemokratischen Spitzenkräfte ungut eingerichtet haben. Gouvernementalität: Roggenbach 1892 Br. a. von Stosch 1943 (Heyderhoff 1943 Gegner Bismarcks 388) Seine [Benningsens] Partei bedarf mehr wie je einer einsichtigen Direktion. Zur Zeit gleicht sie Buridans Esel und weiß nicht, in welches Heubündel sie beißen soll — in das des Bismarckkultus oder blinder Gouvernementalität für ein dem
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neuen Kurs supponiertes nebelhaftes Programm; Weber/Porte 1927 Schweiz. Presse 219 Gouvernementalität in dem Sinne, dass ein Blatt infolge freundschaftlicher Beziehungen zu einer Regierung oder deren Mitgliedern sich der gegen diese Behörde gerichteten öffentlichen Meinung verschloß, war etwas alltägliches; Rennert 1973 Bindung d. Hochschullehrer 60 Niemals durfte eine Regierung oder ein anderes Staatsorgan aufgrund der Treueklausel „Gouvernementalität" über die Wissenschaft beanspruchen; Grziwotz 1985 Verfassungsverständnis 237 Gaius Saturnius . . und seine Anhänger ergaben sich zwar dem Konsul und wurden in der Kurie in Gewahrsam genommen. Bald darauf brach jedoch eine Gruppe junger Männer das Senatsgebäude auf und tötete die Inhaftierten . . nach Chr. Meier ein Akt „schrecklichster Gouvernementalität"; taz 20. 8. 2005 „Gouvernementalität" — zusammengesetzt aus den Worten gouverner (regieren) und mentalite (Denkweise). Foucault zielt auf eine Geschichte des abendländischen Staates, so wie er von seinen Akteuren und deren Souffleuren gedacht wurde. Es geht um das „Selbstbewusstsein des Regierens"; Treibet 2006 Einf. in soziolog. Theorien 72 Gouvernementalität ist eine spezifische Art und Weise modernen Regierens, die mehr ist als das bloße Tagesgeschäft einer Bundesregierung oder eines Staatspräsidenten. Es ist, so Foucault, das „Regierungsdenken". gouvernieren: Kiecbel um 1600 Reisen 316 Under gedachten nationes haben düe patres de sanct Francisco zu gouverniren erstlichen das heilige grab sampt der vohrcappell, in wölcher sue täglich cöelebriren; Krafft 1616 Reisen 12 kamen vmb Mittags Zeitt In ein Stättlin Aucrett, daselbsten ein Marschalckh vom König von Franckreych, Monsieur de Carssece genannt, Die vnRüebigkaytt des landes Zu Gouerniren, dahin gesötzt worden, für wölchen wir beede vns müeßtten erzaigen; ebd. 115 Aleppo, wie solche . . von dem Obersten Bassa mit stattlicher hofhalttung In Namen seines großmechttigsten Türckischen Kaisers wirdt Gouerniert; Elis. Chart. 1705 Br. I 392 Ich bekümere mich wenig umb der docktoren ungedult. Wie ich den meinen gewehlt, habe ichs ihm zum vorauß gesagt, daß ich ihm zwar erlaube, seine meinung zu sagen, sich aber nicht zu ärgern, wen ich sie nicht allemahl folge, daß meine gesundtheit undt mein leib mein seye, wolle ihn also gouverniren, wie ichs selber apropo finde; Fassmann 1729 Narr 115 Die Vornehmsten unter denen Gelehrten schlössen dahin . . daß er nicht geartet gewesen seye, schändlicher Weise von einem Diener sich gouverniren zu lassen, und sich selbigem zu unterwerfen; Beust 1743 Consiliarius 167 das Land nur nach ihrem Sinn und Affecten gouverniren; Klinger
1776 Simsone Grisaldo (Sturm u. Dr. U 1086) Ein wildes, garstiges, wirr, gehässig und gefräßig Ungeheuer gouverniert diese Welt hier. .. So einen Menschen auf den Thron zu lassen! (DiBi 125); Wieland 1794 Horazens Sät. U 166 wenn dein alter kindskopf/ von einem listgen weibsstük oder einem schalk/ von freygelasznen guverniert wird (DWB); Claudius 1812 Zugabe zu d.s.W.d. Wandsbecker Bothen 214 Wenn es nur halb wahr ist, was Seite 29. für eine „große Wahrheit!" ausgegeben wird: „que c'est la plume qui gouverne les etats; so kann denen, die gouvernirt werden sollen, nicht wohl zu Muth seyn, wenn sie an alle Hände denken, die eine plume halten können; Ranke 1832 Briefwerk 224 Leider scheint das unermeßliche Geschwätz über das Regieren die Fähigkeit zu diesem Geschäft sehr herabgedrückt zu haben . . Daß uns Handwerksburschen und Gassenbuben gouvernieren wollen, ist das erträglich?; Becker 1860 Br. a. Marx (MEW XIV 585) Alles was im Leben des von ihm gouvernirten Volkes Gutes geschieht oder keimt, wird keck von dem Staatskünstler in den eignen Schooß escamotirt; Sanders 1871 Fretndwb. I 452 der König regiert aber gouverniert nicht; 1884 Brockhaus VIII 250 Gouvernieren . . verwalten, regieren, lenken; 1914 ZDSprachver. XXIX 85 Endlich lehrt auch die Zusammenstellung der im Grisaldo angewendeten Fremdwörter einiges. Cerebellum (Gehirn), digeriren (verdauen), gouverniren, Pygme (Zwerg) sind außer Gebrauch gekommen; Genius 1933 Fremdwb. 373 gouvernieren .. eig. steuern; lenken, leiten, verwalten; Hollander 1980 Gesch. d. Domschule 103 wie alle, die mit dem Beruf und dem Sinn, uns zu gouvernieren, hierher geschickt wurden, hatten die allerkrassesten Vorurteile gegen uns, nicht nur Männer seiner Nation, auch Browne (Generalgouverneur) kam so hierher. Gouvernierung: 1677 Continuatio XXXHI 483 Solche nicht schlechte Versehung durffte er auch umb deßwillen nicht offenbaren/ darum machte er sich Freunde mit dem ungerechten Mammon/ und widerriethe den Krieg/ wordurch seine nachlässige Gouvernirung an den Tag gekommen wäre/ umb zu sehen/ daß durch fernem Frieden sein Eigennutz ferner verdecket bleiben kunte. Governo: Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 49 Was sonst diser statt [Venedig] governo belangt, hat sy ainen patriarchen über das geistliche wesen und dern zuegethane und ainen herzog über das weltliche; Leibniz 1670 Denkschr. Reich (Dtsch. Sehr. II 18) Sollen sie [Soldaten] nicht zusammengestoßen sein, noch unter einem Haupt und gouverno stehen, . . was für Soldaten wird es abgeben, die in einem jeden Land sich häuslich niederlassen, bür-
Gouverneur gerlich einrichten; Abr. a S. Clara 1695 Judas VII 233 Ein solcher Simoniacus ist auch gewest Judas, als der Gottes Sohn ums Geld verkauft, seines verruchten Geizes halber, als der völlig über sein Herz das Governo geführt, wollte wünschen, daß hierinfalls Niemand thäte treten, in die Fußstapfen Judä; 1714 Europ. Fama 679 f. daß er [der Gouverneur Graf v. Thaun] die Banditen auszurotten, die verfallenden Fortificationes auszubessern, die Magazins mit aller Nothdurfte anzufüllen, die Wiederspenstigen zu demüthigen, den Abgang der Trouppen durch Recrouten zu ergäntzen, neue Schiffe zu bauen, den Raths Versammlungen beyzuwohnen, Getreyde, Oel und Salz in leidlichem Preisse zuerhalten, ja endlich sein Governo in die beste Positur, wieder alles besorgliche Anfälle, zu setzen beschäfftiget sey; Fleming 1726 Teutscher Soldat 263 [Ein Capitain] muß ihre [der Feinde] Stärcke, Verbündnisse, Gebräuche und Sitten wissen, er muß genaue Nachricht haben, von alledem, was in ihren Festungen passiret, wie ihre Policey und Gouverno beschaffen, was sie vor Zwiespalt unter sich hegen; Marsellus 1741 Kriegs-Staat 32 das Governo über einer allzuschwachen Armee zu acceptiren; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien H 10,109) als hätte er im dritten Himmel etwas vom Abtreten des Governo der Welt an den Vater gehöret; Waiblinger um 1830 Britten II 423 „Kommt, meine Herren", sprach der Doktor ganz ruhig, „wir gehen augenblicklich vor's Governo und dann sollen diese Herren Engländer zusehen, was es kostet, wenn man in Rom ein Weib zu Boden reitet."; Kaltschmidt 1865 Gesammt-Wb. d. dtsch. Spr. 352 das Governo die Nachricht, die Regel, Richtschnur, Ermahnung, d. Wink; Heyse 1870 Fremdwb. 393 governo . . ital. die Verwaltung, Verwaltungsbehörde; Kfspr. die Nachricht, Regel, Richtschnur, wonach sich z. B. ein Commissionär zu halten hat; per governo, zur Nachricht, zur Nachachtung; per grato governo, zu beliebiger Nachachtung; 1888 Meyers Konversationslex. VII 579 Governo, Regierung, Verwaltung; im Handelswesen eine Mitteilung, wonach man sich zu richten hat; Heyse 1903 Ges. W. II 5,401 Beatrix della Scala, Bernabö's/ Gemahl, erhielt von ihm als Morgengabe/ Die reiche Flur Maderno's und Salo's.// Und sie verfügte: nicht zu herrschen habe/ Ob der Riviera, wie bisher, Madcrno;/ Sich beugen sollt's des Nachbarn Richterstabe.// Darob ein Kampf entbrannt' um das governo; Genius 1933 Fremdwb. 373 Governo . . it. Regierung; Verwaltungsbezirk; kfm. Nachricht zur Beachtung, Richtschnur; per (grato) governo, zur (gefälligen) Beachtung; Zeit 3. 5. 1996 Die Größe eines Dogen, eines governo, wurde all die glanzvollen Jahrhunderte Venedigs hindurch zuallererst daran gemessen, was er geleistet hatte, um die inneren und äußeren Was-
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serwege intakt und die Zugänge zur Adria offen zu halten. Gubernalismus: 1923 Zeitschr. f. Politik 279 Die beiden wirtschaftstheoretischen Ideale, der wirtschaftliche Liberalismus und der „wirtschaftliche Gubernalismus" (eine aus mehreren Gründen unzulängliche Bezeichnung) hätten einander . . regelmäßig abgelöst; Hermann 1943 Fragefürwörter (Sitzungsber. d. bayer. Akad. d. W. III 23) staatlicher Gubernalismus anderseits [ist] gar nicht in dem Grade geeignet zum Gruppierungsgesichtspunkt gemacht zu werden, wie das allzu gern zu geschehen pflegt. gubernativ/gouvernativ: Richthofen 1854 Republik Mexico 29 In ihm [General Paredes] verbinden sich gute und schlechte Eigenschaften: ein heller natürlicher Verstand, ohne sittliche und wissenschaftliche Bildung; . . Energie und gubernatives Talent, verdunkelt durch große moralische Fehler; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 329 gubernativ . . regierend; Burckhardt 1875 Br. an Alioth 8 Übrigens bin ich in Italien und bis zu meiner Rückkehr völlig ministeriell und governativ gesinnt; Curatulo 1902 Kunst d. Juno Lucina 130 weit davon dieselben zu verbieten, von der gouvernativen und geistlichen Gewalt abhängig zu machen; Kühne 1971 Abgeordnetenbestechung 22 Wo der Bundesrat .. einen Regierungsakt durch eine Einzelentscheidung aufheben kann, ist seine Entscheidung als Gegenakt auch gubernativ; Koelmel 2002 Regimen Christianum 366 Teilnahme an der instaurativ-inkarnatorischen Verfügung über die Welt. Die letztgenannten Eigenschaften hat Christus als Mensch nur im Sinne einer gubernativen Potenz inne; Schöpferkraft kommt der menschlichen Natur nicht zu. Mit der gubernativen Potenz führt er die vernünftigen Geschöpfe, indem er sie als deren Haupt innerlich (durch Weisheit und rechtfertigende Gnade) und äußerlich (durch Lehre und Hirtenamt) beeinflußt; FAZ 3. 5. 2005 Die Erfolgsgeschichte des Parlamentarismus besteht darin, mit Blick auf diese Strukturen die Rolle des Parlaments so zu gestalten, daß die Wahlentscheidung gehaltvoll bleibt. Diese Rolle liegt in der Hervorbringung und Kontrolle machtvoller gubernativer Organe. Gubernative: 1962 Berteismann Lexikon 296 Gubernative . . (vorwiegend) staatsleitende, regierende Gruppe der Staatsorgane („Gewalt") eines Staates mit Gewaltenteilung; eine Regierung . . im organisatorischen Sinne, im wesentlichen Staatskabinette u. -Oberhäupter; Damkowski 1969 Entstehung d. Verwaltungsbegriffes o. S. Ihre Aufgabe wird in der Vollziehung der leitenden Anordnun-
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gen gesehen, die der andere Teil der Exekutive, die Regierung (Gubernative), trifft; FAZ 24.11. 1999 Das Bundesverfassungsgericht hat im Bodenreform-Prozess den Vortrag der Bundesregierung, die Sowjetunion und die DDR hätten die Bewahrung der Eigentumsveränderungen zwischen 1945 und 1949 zur „Bedingung der Wiedervereinigung" gemacht, ohne weitere Prüfung akzeptiert und dies dem bei politischem Handeln weit zu bemessenden Spielraum der Gubernative zugeordnet. Gubernator: 1454 (Toeppen 1884 Ständetage Preußen IV 392) Wir Hans von Baysen, der lande in Preußen gubernator (FRNHD.WB); 1455 Urkundenb. Liegnitz 784 P. gubernator und hofmeister (MÖLLER); 1467 Silesiaca IX 355 und des gubernators ampt; 1475 Urkundenb. NdRhein IV 383 zu einem gubernator und regirer desselben stiffts (MÖLLER); Reuchlin 1495 1. olynth. Rede d. Demosthenes (Übers.) 12 Philippus . . vnd ein hertzog gubernator vnd regirt vber all sin here an allen orten; Adelphus 1513 Türck. Chronica (Ausgew. Sehr. II 289) under allen vorgonden gubernatoren hauptmennern und regierer der türcken; Köler 1534 Reisen in Spanien 324 da man uns auch fürhieltt, wie das wir dem Gobernattor den Eydtt thun müsten, im zu helffen streitten wider die Indianer, umb Eher und gutt zu erlangen, auch die Indianer mitt dem schwertt zu erobern und Cristen zu machen und dem Gobernattor aus kay. Mtt. befellich untherthenig zu machen, auch die erst profintzen so wir gewünen . . dem Gobernattor uberanttwortten müssen; Ernstinger 1579—1610 Raisbuch 71 Bologna, Bononia aine aus den grösten stetten Italiae, . . dem babst gehörig, alda er auch ain governator halten thuet mit 100 Schweizern zu seiner guardi; ebd. 229 Der graf von St. Paul ist gubernator über das ganz landt Picardia, und der viscomte de Taussi ist gubernator bemelter statt (S. Quintin); Lichtenstein 1589 Reisen 18 Legte ich . . unsere Rappiere auf den Tisch, also balden waren Spanische Sergeanten bey der Statt, . . trugen dieselben für die das Orts Spanische Gubernatoren und Obrigkeit; Eyzinger 1591 Relationen III 86 Statthalter oder Gubernator des Landts; Rathgeb 1592 Kriegssachen 292 Vnd wann die Beglierbe (so Gubernatores der Prouintzen seyn) solche bestelte vnderhaltne Leut auffmahnen/ stellen sie sich alsbald in dienst ein / darzu sie verpflicht vnd verbunden; Krafft 1616 Reisen 148 In dem, wie sy drey von vns abgeschiden, kompt der eine fürnembste bößwichtt mit dreyen Türckischen kriegsman widerumben Zu vns In vnser behausung, Anzaigendt, der Beeg, der Gouernator dieser Statt Trippolj, hab vernomen, wir haben ein pferdtt Im haus, Nem Ine frembd, daß wir so hochmüettig seyen vnd derfen one sein erlaubnus ein pferdtt In vnserm hauß halt-
ten, wölches vns als frembde Cristen nitt gebürtt, hette wol vrsach, vns mitt scharpffer straff anZunemen; Harsdörffer 1643 Gesprechspiele II 290 Wie nun zu Beherrschung solches Meerpasses viel am selben Orten gelegen/ als ist gebräuchlich die Gebietiger (Commendanten oder Gouvernatores, ) mit scharffen Pflichten zu belegen/ daß die bey Lebensstraff/ von dem anvertrauten Ort/ nicht zu weichen schweren; Grimmeishausen 1669 Simpl. 65 Aber ich ward also des Gubernators Page und ein solcher Kerl, den die Leute, sonderlich die Bauren, wann ich sie bei meinem Herrn anmelden sollte, bereits Herr Jung nannten; Abr. a S. Clara 1680 Mercks Wienn 364 Ihro Hochgräffliche Excellenz der Hoch- vnd Wohlgebohrne Herr Conrad Balthasar/ deß Heil. Rom: Reichs Graff vnd Herr von Starenberg/ Kayserl. Herr Gubernator, deß hinterlassenen geheimb- vnd Deputirten Raths Director, vnd Statthalter der N: O: Regierung (DiBi 125); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 284 Gubernator, der obriste Befehlshaber, Verwalter, Commendant, Statthalter, it. ein Landpfleger; 1747 Genuesische Merckwürdigkeiten 4b Von dieser Zeit an bis auf den heutigen Tag, sind die Genuesen stets von ihren eigenen Hertzogen regieret worden, . . und welche 8. Raths-Herren gleichsam zu ihren Collegen haben, welche man Gouernatori nennet; Büsching 1812 Volkssagen 153 Befehlshabern und Beamten, als da sind: Amtmänner, Hauptleute, Burggrafen, Schreiber, . . Gemeiniglich ging selbst der Gubernator und Herr des Orts mit etlichen vornehmen Gästen vor (DiBi 125); Schaaff 1825 Evang. Brüdergemeine 5 Rokyczana und Georg von Podiebrad galten damals als Oberhäupter der calixtinischen Partei; jener seit dem Basler Vertrage einstweiliger Verweser des Erzbisthums zu Prag, dieser seit 1450 Gubernator des böhmischen Reichs; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 329 Gubernator . . Steuermann, Lenker, Regent. Gubernatrix . . Regiererin, Lenkerin; Freytag 1872-80 Ahnen 1030 Bernhard sah .. den vergoldeten Sessel des Generals mit purpurnem Samt überzogen, einem Fürstenstuhle ähnlich, da General Königsmark als Gubernator von Bremen und Verden sich den regierenden Herren in Deutschland gleich achtete (DiBi 125); Voigt 1893 Wiederbelebung 316 der große Joannes Hunyady, der Gubernator des Königreichs; Wertheimer 1910 Andrassy I 19 Als der „Gubernator von Ungarn" im Mai 1849 im Ministerrate Graf Andrassy für die Sendung nach Konstantinopel vorschlug; Du Moulin-Eckart 1929 Gesch. d. dtsch. Universitäten 21 [ImJ September 1448 hat Georg von Podiebrad Prag überrumpelt und wurde zum Gubernator Böhmens ernannt; Salzb. Nachr. 22. 4. 1993 Erzherzog Leopold V. war Bischof von Passau und Straßburg und ab 1619 Gubernator von Tirol;
Gouverneur Presse 19. 6. 1999 Philippine Welser, eine Augsburger Patrizierin, konnte erleben, daß einer ihre Söhne Bischof von Konstanz und Kardinal wurde — und Gubernator der Vorlande mit Sitz in Konstanz. gubcrnatorisch: Sanders 1871 Fremdwb. 464 [Gubern]-ator . . Dazu: Die gubernatorische Partei; Hillerdal 1954 Gehorsam gegen Gott und Menschen 135 Die Sitte, die in einem Volke lebt, dient Gottes gubernatorischem Wirken. . . Der Staat hat von Gott eine besondere Aufgabe erhalten, denn durch ihn übt Gott seine Weltregierung „gubernatorisch" und „iudikatorisch" aus; Weber 1970 Theologie, Gesellschaft, Wirtschaft 66 die Seinsordnungen, in die wir durch Gottes kreatorisches oder gubernatorisches Tun hineingestellt sind; Kerner 1998 Ethik d. }oh.-Apokalypse 244 Hier greifen Ordnung, Erziehung und Gesetz ineinander: (1) hat die gubernatorische Ordnung des geschaffenen Menschen im Blick, die von Gottes Erbarmen geprägt ist; Deger/Hettlage 2007 Der europäische Raum 22 Die globale und europäische Finanzelite gibt den Ton an. Die Mitgliedsländer werden in wichtigen Teilen der Wirtschaftspolitik . . von zentralen Instanzen überwacht. Die Entscheidungswege umgehen das Subsidiaritätsprinzip. Die neue „gubernatorische Rechtsetzung" auf verschiedenen Ebenen ist für Blomert mit einem Demokratieverlust gleichzusetzen. gubernial/gubernal/gouvernial/gouvernal: Forster 1791 Ansichten (U 582) Die Einteilung der sämmtlichen Östreichischen Niederlande in neun Kreise . . Die Gubernialräthe oder Intendanten und ihre Kommissarien erhielten die Oberaufsicht über alle Magistratspersonen und alle Administratoren der öffentlichen Einkünfte, nebst einer Jurisdiktion, welche ihnen die summarische Justiz anvertraute (DiBi 125); Kleist 1808 Kohlhaas (W. u. Br. HI 75) eine, von dem Schloßhauptmann, Freiherrn Siegfried von Wenk, unterzeichnete Gubernial-Resolution, des Inhalts: „sein Gesuch um Pässe nach Kohlhaasenbrück werde des Kurfürsten Durchlaucht vorgelegt werden, auf dessen höchster Bewilligung, sobald sie einginge, ihm die Pässe zugeschickt werden würden." (DiBi 125); Sommer 1833 Taschenbuch 100 Meisterhaft sollen die Cisternen gebaut seyn, welche sich in der Nähe des Gubernial-Gebäudes befinden; Pichler 1844 Denkwürdigkeiten l 224 Die Kreisbeamten hatten außerordentlich viel mit ihnen zu tun, und dem Freunde meines Bruders, jetzt Gubernialrat Barchetti, war es daher sehr erwünscht, in dem Ankommenden einen ebenso tätigen als geschickten und geschäftskundigen Gehilfen zu finden (DiBi 125); 1861 Aug. Mil.-Enc. IV 302 Tomsk, russische Gouvernial-
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stadt in Westsibirien mit guten Umfassungswerken; Sacher-Masoch 1879 Autobiogr. 259 Mein Großvater war Gubernialrath und Administrator von Galizien und erwarb sich als solcher so viel Vertrauen und Liebe, daß ihn der galizische Adel in seine Reihen aufnahm und ihm das Indigenat verlieh (DiBi 125); Rudolf 1902 Österr.-ungar. Monarchie 113 Später erließ Leopold . . noch zwei Ergänzungsdiplome. . . Auf diesen vier Diplomen baute sich die Rechtsstellung des gubernialen Siebenbürgens bis 1848 auf; Masaryk 1913 Zur russ. Geschichts- u. Religionsphilos. 117 Alexander hat die Nutzlosigkeit dieser Geheimtuerei eingesehen und in einem Reskripte, das . . die Bildung von gubernialen „vorbereitenden Komitees" empfahl, die Frage endlich vor die Öffentlichkeit gebracht; Werner 1934 Studenten-Legionen 123 Aus Rücksicht auf den von der Bürgerschaft ausgesprochenen Wunsch erklärte er [Fürst Windischgrätz] sich jedoch nachträglich über Verwendung des Gubernial-Präsidenten Grafen Leo Thun bereit, die Batterie aus der Josefskaserne wieder auf den Hradschin bringen zu lassen; Regele 1957 Feldmarschall Radetzky 547 Heinrich Graf, Gubernial-Vizepräsident; Glassl 1975 Das Österr. Einrichtungsiverk 200 in Gegenwart der Gubernial-Kommissare; Grünwald 1991 Spittal 800 167 Die guberniale Landesstelle in Klagenfurt genehmigte diese Maßnahme. Gegenseitige Verleumdungen verschärften die gespannte Lage; taz 4. 3. 1991 In Altenburg hat eine kleine Gruppe im früher völlig machtlosen Rathaus den Kampf für eine bessere Zukunft der Stadt aufgenommen. Härtester Gegner dabei ist das von alten Genossen durchseuchte Landratsamt, welches seine gouvernale Macht vergangener Tage behaupten will; Tiroler Tagesztg. 15. 9. 1997 Bis zur Zwischenkriegszeit war es in Tirol bereits möglich gewesen, dank der Gubernalverordnung von 1831 selbsterzeugte Weine und Obstmost auszuschenken; ebd. 21. 4. 2000 Der 29. April 1825 ist das Gründungsdatum des Bürgerbräu Innsbruck. Damals hat der Magistratsrat Johann von Dietrich mittels Gubernialdekret die Braurechte erhalten und das „Bürgerliche Brauhaus" eröffnet; Ho/da/ Prahl 2000 Mezi easy 339 Er stellt fest, daß es nach 1800 möglich, wenn auch in Wirklichkeit sehr schwierig war, einen obrigkeitlichen und besonders einen gubernialen Reisepaß zu erhalten. gubernieren: um 1405 Pilgerf. träum. Mönch 5135 Gots Gnade, durch die sich regieren/ Sollen alle konnige und gubernyeren,/ An Recht Verstenteniße (FRNHD.WB); vor 1452 Über de vita philos. 96r Wann ainer sein aigne sei nicht mag gubernyeren (FRNHD.WB); Niclas v. Wyle 1478 Transl. 218 11 Gelych was jm sin sune Amon, den in dem zway vnd zwaintzigosten Jare sins alters anhub sin
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küngrych zegubernieren; Adelphus 1513 Türck. Chronica (Ausgew. Sehr. U 259) so er [der Kaiser] der gantzen weit ein Herr ist/ so würt sein glück und Händel allein/ nach willen und urtheil oder gefallen gottes des almechtigen/ guberniert und gehandelt; ders. 1513 Historia v. Rhodis (Ausgew. Sehr. 65) der ewigen fürsichtigkeit gottes/ die alle ding guberniert; 1521 Karsthans 112 Witer gibt der murnar ein hüpsche inleitung . . vß aller erfarenheit der menschen, das ein solche pollicei vnd regiment mit der vile zugubernieren nie hat mögen die lenge beston (DiBi 125); Sachs 1539 Hl 567 Ließ sie bleyben inn ir regierung,/ Und hernach, als inn gubernieren/ Alexander, der groß, erobert,/ Schier alle reich der weit erkobert (FRNHD.WB); ders. 1563 (Dicht. H 231) Als keiser Maximilian,/ der großmechtig und teure man/ löblicher gedechtnus, regiert,/ das ganz römisch reich guberniert (DiBi 125); Fischart 1575 Geschichtklitterung 435 Aber der Mönch zeigt jhm glat an, er möcht kein Mönchsampt haben, dz weder zum Himmel noch zur Erd gehört: dann, sprach er, wie solt ich andere gubernieren, da ich mich selbs nicht kan regieren; Lichtenstein 1589 Reise 14 Ein jeder Vice-Roy, so 3. Jahr zu gouberniren, hat neben dieser Spanischen Garde eine andere Leib-Garde von 50. Deutschen; Rist 1634 Perseus (S. W. / 167) sie wird auch bey künfftiger Zeit das Königreich Macedonia alß ein eintziger vnd gewaltiger Monarch glücklich vnd wol regieren vnd gubernieren können (DiBi 125); Forer 1644 Antiquität Papatus 42 wie können die Schaaf in ein Ordnung gebracht? in einen Leib vereiniget? durch das Kirchenambt regieret? guberniert? vnd vnderwisen werden; Hoyers 1650 Posaunenschall (Poemata 192) Im Regiment/ Gehts Excellent/ Concordia floriret;/ Justitia/ Ist wieder da/ Pietas Gubernieret (DiBi 125); Weise 1678 Näscher 153 wenn die gemeine Klage in der Welt geführet wird/ es lebte niemand schlimmer als die Ethici welche jhre Affecten durchaus nicht zu guberniren wüsten (DiBi 125); Abr. a S. Clara 1686 Judas l 471 Also regieret, guberniret, moderiret, ordiniret, reguliret, sustentiret der allmächtige Gott die Welt und Alles in der Welt mit solcher unergründlichen Weisheit, daß er manchsmal ein Uebel zuläßt, und weiß nachmals aus diesem Uebel etwas Gutes zu schnitzlen (DiBi 125); Thomasius 1688 MonatsGespräche 270 sie dazu anhalten möge/ daß sie in dem wenigen/ so ein Mensch durch seinen Verstand begreiffen kann/ allezeit einen rechten Grund suchen/ in übrigen aber sich befleißigen/ . . sich Selbsten also zu guberniren/ damit man sie in gemeinem/ Leben nicht auslachen möge; Stieler 1695 Zeitungs-Lust l 202 Guberniren, ist regieren/ verwalten/ anweisen. Daher Gouverneur, ein Obrister Befehligshaber und Regent; Wächtler
1709 Manual 149 Guberniren/ regieren/ herrschen/ z. E. er ist noch zu jung und unverständig/ er weiß sich nicht zu guberniren. Gubernierer: vor 1452 Liber de vita philos. 96r Wann ainer sein aigne sei nicht mag gubernyeren, wie will er sein ain gubernierer vnd ain reigierer vil menschen? (FRNHD.WB); Steinhöwel 1473 Decameron (BLV LI 578) Doch darumb on hilff vnd rate der mann wir zu nichte sein. Wer nun solicher hilffe notturftig ist so will ein yeglich recht daz die selbig person seinem helffer regierer vnd gubernirer gehorsam sey sich gen im in zucht beweisen; Adelphus 1513 Historia v. Rhodis (Ausgew. Sehr. H 65) got selb ist/ almechtig/ aller ding schöpffer und gubernierer; ebd. 127 der gubernierer des schifs; Stramberg 1856 Rhein. Antiquanus H 5,607 Christof Margraffen zu Baden etc. Graven zu Spanheim, Gubernirer der lande Lucemburg und Chini; Wackernell 1903 Beda Weber 224 Am 11. IV meldet Lentner . . „Die Redaction hat erklärt, sie müsse beide Artikel, ehe sie einen aufnehme, vorerst Sr. Excellenz, dem Gubernierer Graf Brandis, vorlegen . ."; Hammann 1989 Bucer 235 Auf dieser Ebene sollten sie als „gubernierer" der Kirche tätig werden. Gubernierung: 1457 Codex Juris Municipalis 720 Regierung, bestellung und gubernierung; 1497 Rosenberg'sche Chronik 175 In diesem so sorgfeltigen Ambt der Landtshaubtmanschafft unndt Gubernierung gestöllter, hat er nit ainen ihme wiederwartigen; Geiler 1503 Trostspiegel 217 Also das alle ding undergeworffen sind syner gubernierung/ und key n voeglin stirbt on synen anschlag/ bevelch und geheiß; Adelphus 1513 Türck. Chronica (Ausgew. Sehr. II 253) Item der genant Aristoteles im ändern buoch Politicorum sagt/ das etlich gewesen seind der alten wysen/ die do meinten/ das diß die best gubernierung und regiment gewesen sey/ so uß dysen allen vermischet und versamlet were; Kirchhof 1563 Wendunnmth IV (BLV XCVIII o. S.) und frewdige thier zuordneten, der sich der gubernierung, schütz und schirm mit allem fleiß untername; Rot 1571 Diet. 315 Gubernation, Gubernament, Gubernirung, Gwalt/ Herschung/ Regiment/ Regierung; Roeßler 1961 Entstehung d. mod. Erziehungswesens 36 Binnenfamiliärer Lebenskreis, eigene Wirtschaft und Gubernierung der Untertanen erweisen sich unauflösbar ineinander verschränkt. Gubernium: Denis um 1772 Gedichte o. S. Er war einige Zeit beym Gubernium zu Prag angestellt (DiBi 125); Kleist 1808 Kohlhaas (W. u. Br. Hl 75) Kohlhaas . . bat, ohne irgendeinen Grund anzuge-
Gouverneur ben, den Prinzen von Meißen, als Chef des Guberniums, um Pässe auf acht Tage nach Kohlhaasenbrück, und zurück (DiBi 125); ebd. 78 Kohlhaas . . verfügte sich . . mit dem Offizianten und seiner Wache in das Gubernium (DiBi 125); Campe 1813 fremdwb. 344 Gubernium, die Staatsverwaltung, die höchste oder oberste Staatsbehörde; Sommer 1833 Taschenbuch 184 Ausser den gewöhnlichen obrigkeitlichen Behörden, wie sie jede grosse Stadt besitzt, findet man zu Venedig das kk Gubernium, oder die oberste politische Behörde des Gouvernements Venedig; Gutzkow 1858 Zauberer II 147 da schickte er sämmtliches aufgehäufte Material an den damaligen Kirchenfürsten der Provinz mit der Bitte, ihn vor dem hohen Gubernium zu entschuldigen oder ihm wenigstens . . die möglichst lindeste Strafe zu erwirken (DiBi 125); ders. 1859 Zauberer V 243 Dann gibt er eine glänzende Aussicht auf Staatswirksamkeit auf! sagte Bonaventura. Oft hatte man geglaubt, gerade seine Hand würde stark genug sein, das Gubernium der aufgeregten westlichen Provinzen zu übernehmen (DiBi 125); Schlitter 1885 Beziehungen Österreichs 98 Es ist zwar für sich in den Akten des Staatsarchivs aufbewahrt . ., ist jedoch an das Gubernium von Triest gerichtet; Kaindl 1911 Gesch. d. Deutschen 11 Die bestellten Pastoren mußten dem Gubernium angezeigt und von ihm genehmigt werden; Winter 1933 Bolzano 53 Die böhmische Landesverwaltung, das Gubernium; Gold 1958 Gesch. d. Juden 26 Mit Dekret vom 16. September 1786 wurde die Bukowina offiziell .. mit Galizien vereinigt . . und als besonderer Kreis dem galizischen Gubernium unterstellt; Hellhling 1974 Osten. Verfassungs- u. Verwaltungsgesch. 330 Zum Laibacher Gubernium gehörten das westliche Kärnten (Villacher Kreis), ferner Krain; 1989 Brockhaus IX 261 f. Gubernium .. in Österreich seit 1763 Bez. für die kollegialen landesfürstl. Verwaltungsbehörden in den Kronländern, mit einem Landeshauptmann (Landmarschall, Oberst-Burggraf, später Gouverneur) an der Spitze. Die G. wurden 1848 — 1918 von den . . Statthaltereien abgelöst; Salzb. Nachr. 17. 4. 1993 Als vor 200 Jahren Leopold II. den . . Obersten Kanzler Leopold Graf Kolowrat-Krakowsky per Handbillett anwies, dem steirischen Gubernium die Einstellung der Grazer „Bauernzeitung" aufzutragen; Kleine Ztg. 2. 2. 1999 Kärnten unterstand damals [1830] dem Gubernium Laibach. Gouverneur 2: Weise 1673 Ertz-Narren 188 weiß er nicht, daß die von Adel auf ihren Vorwergen Hoffmeister haben die nicht viel besser seyn, als ein Großknecht? . . Der Teutsche Frantzos . . wolle sich a la francoise lassen Gouverneur heissen; Pufendorf 1686 Einleitung 5r Ihm war zum Gouverneur verordnet Wilhelm, Herr von Chievres
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(BRUNT); Wächtler 1709 Manual 147 Gouverneur . . Hoffmeister; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 280 Gouverneur . . Man brauchet dieses Wort auch von demjenigen, der bey einem Königlichen Printzen, oder anderer junger Herrschaft von hohem Stande die Hofmeister-Stelle vertritt, und über dessen Conduite, Sitten und Studia die Aufsicht führet; Key ssler 1729 Reisen (Ausg. 1776) 446 Daß die Speisen den Kardinalen ins Conclave gebracht werden, ist meinem Herrn bekannt; die Visitation aber, welche man dabey vornimmt, ist so schlecht, daß ich mir getrauete, ein kleines Kind, im Fall es nicht schrye, ungehindert mit hinein zu bringen. Der Gouverneur des Conclave steht zwar dabey, wenn seine Bedienten die Körbe und Kisten aufmachen; allein es geschieht weiter nichts, als daß man nur dasjenige, so oben an liegt, anschauet; Lavater 1773 Tagebuch 281 f. Wir sprachen . . vom Reisen; von dem Unsinne, junge Leute von 18 bis 20 Jahren ohne Gouverneur reisen zu lassen (DiBi 125); Klinger 1798 Gesch. eines Teutschen // 232 Seine zwei Töchter und sein Sohn empfingen von ihrer Seite die Fräulein und jungen Herren mit ihren Gouvernanten und Gouverneuren und übten sich in ihren Zimmern in den Rollen, die in dem großen Gesellschaftssaale gespielt wurden (DiBi 125); Heinsius 1818 W B II 510 Gouverneur . . der . . Hofmeister, Erzieher; Wolff 1841 Gesch. d. Romans 475 [Madame de Genlis wurde] Gouverneur — so wollte sie ausdrücklich heiszen, nicht Gouvernante — der herzoglichen Kinder; Bettina v. Arnim 1844—48 Hochgräfin Gritta (Märchen 87) der Gouverneur hat geschrieen: halten Sie sich gerade, Prinz! Es ist so eine unwürdige Neigung nach unten in Ihnen. Fassen Sie sich nicht an die Nase . . und lassen Sie die Beinchen nicht wie Perpendikel gehen, wenn ich Ihnen erzähle, daß die Welt rund ist und daß Sie so viel wie möglich von ihr besitzen müssen (DiBi 125); Lewald 1864 Geschlecht (Ges. W. IV 10) Nur um einige Jahre älter als der Baron, war er einst als Erzieher desselben in das von Arten'sche Haus gekommen und hatte später den jungen Freiherrn als Gouverneur auf dessen erster großer Reise begleitet. Er war es denn auch gewesen, der den Geschmack des jungen Edelmannes für die schönen Wissenschaften und für die Künste entwickelt und gepflegt hatte (DiBi 125); Petri 1879 Handb. d. Fremdwörter 376 Gouverneur . . Hofmeister, Erzieher; Tb. Mann 1903 Erz. (W. Vlll 324) Dann waren nur noch drei große amerikanische Jünglinge mit ihrem Gouverneur oder Hauslehrer zugegen, der . . tagüber mit ihnen Fußball spielte; ders. 1924 Zauberberg (W. Ul 566) Er hat dann noch einige Jahre als Präfekt in einem Ordensinstitut Dienst verrichtet, das heißt: als Aufseher, Präzeptor, Gouverneur der jungen Zöglinge. Das kam seinen pädagogischen Neigungen
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entgegen; ders. 1939 Reden u. Aufs. (W. IX 606) In einem Paralipomenon, einem der zahlreichen, nicht aufgenommenen Versuche zu 'Faust', sieht Mephisto sich selbst in der Rolle des korrupten Gouverneurs eines jungen Edelmanns aus dem achtzehnten Jahrhundert: der junge Herr ist freylich schwer zu führen doch als erfahrner Gouverneur weiß ich den Wildfang zu regieren. gouvernieren: E. T. A. Hoffmann 1821 Serapionsbrüder (Poet. W. Hl 403) Der Sohn befand sich, als
ich dorten war, bei der Armee, so daß die Familie außer dem Ehepaar nur noch aus zwei Töchtern und einer alten Französin bestand, die eine Art von Gouvernante vorzustellen sich mühte, unerachtet die Mädchen schon über die Zeit des Gouvernierens hinaus schienen (DiBi 125). gubernieren: Fischart 1575 Geschichtklitterung 303 Also ward Gargantua gezogen vnnd Gubernirt, vnnd pracht solche weiß durch täglichen geprauch inn ein gute gewonheit.
Grad M. (-es; -e), ahd. gräd, mhd. grät (Pl. grcete, gräte, grete), um 1000 entlehnt aus gleichbed. lat. gradus 'Schritt; Stufe, Abstufung; Rang' (zu gradi 'Schritte machen, schreiten'; —·· grassieren, —>· Aggression, —»· aggressiv, —» Aggressor, —»· degradieren, —» Ingredienz, —» Kongress, —» progressiv, —» Regreß, —»· Regression, —» regressiv), bis ins 18. Jh. gelegentlich (bes. in fachspr. Verwendung) in der lat. (flekt.) Form. 1 Anfangs und bis ins frühe 17. Jh., vereinzelt noch im frühen 18. Jh. im Bereich der Baukunst in der Bed. 'Stufe, Treppenstufe, Trittstufe', in Wendungen wie Grad oder Staffel, der unterste Grad des Altars, von Grad zu Grad, er liegt am Grad des Chors begraben, vereinzelt auch metonymisch für 'Treppe, Stiege' (s. Beleg vor 1250), daneben seit Anfang 17. Jh. auch übertragen gebraucht in der (ebenfalls schon im lat. Etymon angelegten) Bed. 'Schritt' (s. Belege 1605, 1642, 1707, 1901), in Wendungen wie der erste Grad zum Verderben, ein großer Grad zur Heiligkeit; erhalten in der seit Mitte 18. Jh. belegten lat. Wendung Gradus ad Parnassum (eigentlich 'Stufe, Schritt zum Parnass'), nach dem Titel der 1683 in lat. Sprache von Paul Aler verfassten Anweisung zur Dichtkunst in lexikalischer Form „Gradus ad Parnassum sive novus thesaurus", in der Bed. 'Lehrbuch der Dichtkunst' (s. Belege 1753, 1843, 1884, 1989), gelegentlich konnotiert mit „unreif, unselbständig, allzusehr an starren Regeln orientiert" (s. Beleg 1806), vereinzelt auch auf die Tonkunst bezogen (s. Beleg 1949). Dazu seit 13. Jh. aus gleichbed. mlat. grad(u)ale entlehntes Gradual(e) N. (-(e)s; Gradualien), früher auch in der Form Gradal und im (lat.) Pl. Gradualia, als Bezeichnung für das auf den Stufen zum Lesepult (und nicht auf dessen Plattform wie das Evangelium) gesungene Responsorium in der katholischen Liturgie (vgl. Stufen-, Staffelgesang), z. B. ein mehrstimmiges Graduate singen, auch für das entsprechende Messgesangbuch (s. Belege 1301 — 19, 1397—1400, 1513, 1970, 1998; vgl. Gradualbuch); dazu seit Mitte 17. Jh. das veraltete (lat.) Adv. gradatim (zu gradi, s. o.), gleichbed. mit gradweise und graduell (s. u.), für 'stufenweise, allmählich' (—»· sukzessiv(e)), z.B. in einer Sache gradatim (vor-)gehen. 2 Gleichzeitig bereits übertragen in der Bed. '(Rang-)Stufe in einer hierarchisch gegliederten (sozialen) Ordnung'. a Zunächst und bis ins spätere 19. Jh. für 'Rang, Stand, Würde, Position in der gesellschaftlichen Hierarchie', insbes. 'Rangstufe in der Adelshierarchie, Adelsrang' (s. Belege um 1340, 15. Jh., 1493, 1563, 1579, 1598, 1606, 1727, 2003), in Wendungen wie die verschiedenen Grade, der unterste Grad des Adels, die Adligen des höchsten Grads, zwei Personen von ungleichem Grad und Zss. wie Adelsgrad; seit 18. Jh. häufig in der festen Verbindung von (hohen/höchsten) Graden 'überdurch-
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schnittlich, beachtlich, herausragend' übertragen auf (nichtadlige) Personen von künstlerischem, musischem, intellektuellem, sportlichem Rang (s. Belege 1995, 2000, 2004) sowie auf Sachverhalte und Vorgänge (s. Beleg 1981), in Wendungen wie ein Essayist, Tonkünstler, Marathonläufer von hohen Graden, ein Konzert, Rededuell, Bildungsgespräch von Graden. b Seit 2. Hälfte 12. Jh. in der Bed. 'Rangstufe innerhalb eines religiösen Wertesystems (z.B. der christlichen Tugenden)', in Wendungen wie die Grade der Tugend, der erste Grad der Demut/Armut/Barmherzigkeit/Eintracht/Enthaltsamkeit, den Grad der Vollkommenheit erreichen, im 14. Jh. speziell für 'Stufe der mystischen Gotteserkenntnis' (s. Belege 1. Hälfte 14. Jh., vor 1361), in Wendungen wie ein besonderer Grad der Gnade, auf dem dritten Grad wird ihm die Wahrheit enthüllt, seit 16. Jh. 'Rangstufe in der kirchlichen Hierarchie, Position innerhalb des Klerus' (s. Belege 1567, 1619, 1803, 1867), in Wendungen wie geistliche, mönchische Grade, c Seit spätem 15. Jh. in der Genealogie für 'Stufe der Blutsverwandtschaft, Nähe der verwandtschaftlichen Beziehung', vereinzelt auch bildlich (s. Beleg 1778), in Wendungen wie im vierten Grad/in gleichem Grad miteinander verwandt sein, Vettern im dritten Grad, eine Cousine zweiten Grades, auch veraltet Gradus prohibitus, verbotener Grad 'naher Verwandtschaftsgrad, der eine Heirat ausschließt' (s. Belege 1521, 1531, 1735.2, 1778, 1782-86, 1855), als Grundwort in der Zs. Verwandtschaftsgrad. d Seit frühem 16. Jh. in der Bed. 'akademischer Rang, akademischer Titel, akademische Würde', bis ins 19. Jh. meist lat. flekt., in Wendungen wie den (doctorlichen) Gradum erlangen, erhalten, in Theologia gradum nehmen, Gradum Academicum, ein Mann von (vielen) Graden, einen universitären/akademischen Grad verleihen/ erwerben/erhalten, den Grad eines Doktors beider Rechte empfangen, das Studium mit einem akademischen Grad abschließen und Zss. wie Abschluss-, Akademiker-, Bachelor-, Doktor-, Ehren-, Hochschul-, Magister-, Mastergrad, e Seit Mitte 17. Jh. in der Bed. 'Rangstufe innerhalb einer Ämter- bzw. Beamtenhierarchie (Verwaltung, Polizei, Feuerwehr)' (s. Belege 1656, 1727, 1741, 1867, 2005), in Wendungen wie Beamte aller Grade und als Grundwort in der Zs. Dienstgrad, seit frühem 18. Jh. dann bes. für 'militärischer Rang, Dienstrang beim Militär' (s. Belege 1726, 1797, 1815-16, 1830, 1858, 1888, 1897, 1926, 1954, 1988, 1997, 2003), in Wendungen wie militärischer Grad, der nächste Grad am Feldmarschall, die unteren Grade bis zum Hauptmann und Zss. wie Gradabzeichen, -Sterne; Dienst-, Mannschafts-, Offiziersgrad, vereinzelt auch mit Bezug auf den Dienstrang innerhalb der (Handels-)Marine (s. Beleg 1877). f Seit spätem 18. Jh. in der Bed. 'Einweihungs-, Rangstufe innerhalb einer geheimen Gesellschaft (bes. Freimaurer), eines Geheimbundes, Ordens, einer Sekte', in jüngerer Zeit auch 'durch Ausbildung und Einweihung erlangte Stufe in der Beherrschung asiatischer Kampfsportarten und Heiltechniken' (vgl. Dan; s. Belege 1998, 2005), in Wendungen wie die drei Grade der Freimaurer, in den zweiten Grad erhoben/eingeweiht/aufgenommen werden, den dritten Grad erlangen und Zss. wie Einweihungs-, Schüler-, Lehrer-, Meistergrad. 3 Seit Anfang 14. Jh. als Bezeichnung für verschiedene Maßeinheiten überwiegend im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, oft mit Bezug auf die Stufen einer zugrundeliegenden Messskala oder eines Messinstruments.
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a Zunächst in Astronomie und Astrologie für '360. Teil des Himmelskreises, Himmelssegment zur Bestimmung des Stands der Gestirne und der Tierkreiszeichen', in Wendungen wie feststellen, in welchem Grad die Sonne steht, im 26. Grad des Schützen fängt das fünfte Haus an, 15 Grad über dem Äquinoktial. b Seit Ende 15. Jh. in der Geographie als Bezeichnung für die (zur Angabe der exakten geographischen Lage eines beliebigen Ortes auf der Erde erforderliche) Maßeinheit zur Einteilung der Erdkugel nach der Länge (als 360. Teil des Äquators) und Breite (180. Teil des Nullmeridians), gelegentlich auch zur Bezeichnung einer Strecke von der Länge eines Äquatorgrades (s. Belege 1581, 1727), in Wendungen wie Grad der Länge (vgl. veraltetes lat. Gradus longitudinis), Grad der Breite (lat. Gradus latitudinis), zwei Grad östlich, die Insel liegt unter dem 16. Grad, unter dem 48. Grad südlicher Breite, den Grad der geographischen Länge bestimmen und Zss. wie Gradbuch 'Buch mit nautischen Karten, auf denen die Längen- und Breitengrade genau angegeben sind', Gradnetz, -einteilung; Längen-, Breitengrad. c Von daher etwa gleichzeitig allgemeiner in der Mathematik (Geometrie) in der Bed. '360. Teil eines Kreises' als Maßeinheit zur Winkelberechnung, insbes. zur Angabe des Winkels von Neigungen, Steigungen und Gefallen (s. Belege 1876, 1913, 1997, 2004), in Wendungen wie Grad der Neigung, 20-Grad-Winkel, dreißig Grad steil, 15 Grad Gefalle/Steigung, etwas um 30 Grad schwenken/drehen, um 180 Grad schwenkbar, gedreht, (auch übertragen:) (eine Meinung/Strategie) um 180 Grad ändern 'ins genaue Gegenteil verkehren' und in Zss. wie Neigungsgrad, (auch übertragen gebraucht:) 180-Grad-Abweichung/-Drehung/-Kehre/-Neigung/-Wendung/ -Winkel, auch für nautische Richtungsangaben, in Wendungen wie zehn Grad Backbord, fünf Grad Steuerbord. d Seit frühem 17. Jh. (vereinzelt bereits Anfang 15. Jh., s. Beleg um 1400) mit Bezug auf die Skalierung verschiedener Messinstrumente (Sonnenuhr, Barometer, Thermometer u. a.) für 'Messstrecke, Messmarke auf einer Skala', auch bildlich (s. Belege 1715—19, 1814, vor 1837), in Wendungen wie eine Skala in Grade einteilen, der Schatten der Sonnenuhr rückt einen Grad weiter, das Barometer ist um mehrere Grade gefallen, die Quecksilbersäule des Thermometers nähert sich dem dreißigsten Grad und Zss. wie Gradbogen (fachspr. für 'Gerät in Form eines mit Markierungen versehenen Halbkreisbogens zum Messen von Neigungswinkeln'; s. Belege 1669, 1716, 1797, 1848), Gradmesser ('mit einer Gradeinteilung versehenes Instrument zum Messen von Winkeln', auch übertragen; s.u. 5c), Gradeinteilung, -leiter, -ring, e Von daher seit Ende 18. Jh. (durch Übertragung von der Messmarke oder -strecke auf einem Thermometer auf die zugrundeliegende Wärmemenge) als physikalische Maßeinheit der Temperatur, bezogen auf verschiedene, nach ihren Erfindern benannte Temperaturskalen: Celsius (seit 1742, nach Anders Celsius, weltweit gebräuchlich; Abk. C), Fahrenheit (seit 1714, nach Daniel Fahrenheit, in den USA gebräuchlich; Abk. F), Reaumur (seit 1730, nach Rene-Antoine Ferchault de Reaumur, in Westeuropa gebräuchlich bis Ende 19. Jh.; Abk. Ke, Re, R) u. a., oft ohne Angabe dieser Bezugsgrößen, in Wendungen wie 10 Grad Celsius (10° C), 25 Grad Reaumur, 80 Grad Fahrenheit, (auf die Lufttemperatur bezogen:) fünf Grad Kälte, neun Grad unter Null, 20 Grad Wärme, bei einer Temperatur von 35—40 Grad (im Schatten), das Quecksilber fällt bis auf minus 15 Grad, das Thermometer klettert auf frühlingshafte 16 Grad, gefühlte 20 Grad, (im Haushalt:) den Herd auf 180 Grad vorheizen, den Kuchen bei 200 Grad backen, die Flüssigkeit auf achtzig Grad
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erhitzen, (auf die menschliche Körpertemperatur bezogen:) mit vierzig Grad Fieber im Bett liegen, sie hatte 39 Grad Fieber, das Fieber stieg auf 41 Grad und meist im PL gebraucht in Zss. wie Hitze-, Hochsommer-, Kälte-, Minus-, Plusgrade, f Seit frühem 19. Jh. als Maßeinheit zur Bestimmung des Anteils an gelösten Stoffen in Flüssigkeiten, z. B. des Alkoholgehalts geistiger Getränke (vgl. (Volumen-)Prozent; s. Belege 1816, 1846), des Gehalts an Salz in Sole (s. Beleg 1894), an Kalk in Leitungswasser (s. Beleg 2005) u.a.; in jüngerer Zeit die Maßeinheit Grad Oechsle für das Mostgewicht (Anteil der gelösten Stoffe, v. a. des Zuckers) in Traubenmost (s. Belege 1997, 2002, 2004), in Wendungen wie der Branntwein hält 30 Grad, Rotwein von 20 Grad, Trauben mit einer Durchschnittsgüte von 93 Grad Oechsle und Zss. wie Alkohol-, Oechsle-, Promille-, Reinheits-, Sättigungs-, Säure-, Verdünnungs-, Härtegrad 'Kalkgehalt (des Wassers)'. g Von Ende 14. bis ins frühere 18. Jh. im Bereich des Münzwesens als Gewichtseinheit zur Angabe des Goldanteils in Goldmünzen, oft irrtümlich gleichgesetzt mit —> Karat, in Wendungen wie eine Goldmünze mit 19 Grad Feingold, vereinzelt auch in poetischer Übertreibung in der Wendung Gold von tausend Graden (s. Beleg Ende 14. Jh.). h Seit früherem 20. Jh. in der Fachsprache des Buchdrucks als Maßeinheit für die Schriftgröße, in Wendungen wie ein größerer, kleinerer, der kleinste Grad, die sieben gebräuchlichsten Grade und bes. in der Zs. Schriftgrad. 4 Seit Ende 15. Jh. in verschiedenen Fachsprachen mit Bezug auf (hierarchisch gegliederte oder in einer bestimmten Reihenfolge angeordnete) abstrakte (sprachliche, mathematische u.a.) Phänomene in der Bed. 'Rang, Stufe'. a Zunächst in der Fachsprache der Sprachwissenschaft (Grammatik) für 'Steigerungsstufe des Adjektivs und Adverbs' (s. Belege Ende 15. Jh., 1597, 1619, 1822, 1995), in Wendungen wie der erste, niedrigste, unterste Grad 'Positiv', der zweite, mittlere Grad 'Komparativ', der dritte, oberste Grad 'Superlativ'; seit Mitte 20. Jh. im Bereich der Syntax mit Bezug auf die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Teilsätzen in der Bed. 'Rangordnung von Nebensätzen' (s. Belege 1949, 1955, 1984, 1989), in Wendungen wie Nebensätze gleichen Grades, ein schwerfälliger Nebensatz dritten Grades. b Seit Anfang 18. Jh. in der Fachsprache der Mathematik für 'Höhe des Exponenten (bei Potenzen)' und 'Exponent der höchsten Potenz der Unbekannten (bei Gleichungen)', in Wendungen wie Gleichungen ersten, zweiten, dritten, vierten Grades, Wurzel zweiten Grades 'Quadratwurzel'. c Seit Mitte 20. Jh. auch zur Angabe genau definierter Abstufungen bei verschiedenen sozialen oder abstrakten Phänomenen, z.B. bei Literaturpreisen (s. Beleg 1949), Risiken (s. Beleg 1997) usw., in Wendungen wie Stalin-Preis ersten Grades und in der Zs. Schwierigkeitsgrad 'Bewertung und Einstufung einer Kletterroute nach den alpinistischen Fähigkeiten, die sie dem Bergsteiger abverlangt'. 5 Seit 13. Jh. in unterschiedlichen Verwendungsbereichen mit (z.T. fließendem) Übergang von der (eher qualitativen) Vorstellung einer Rang- oder Stufenhöhe zu der (eher quantitativen) von Maß, Ausmaß, Intensität, Stärke, Ausprägung eines (physikalischen oder abstrakten) Phänomens. a Zunächst bezogen auf physikalische Sachverhalte in der Bed. 'Maß, Intensität, Stärke (von Kälte, Wärme, Trockenheit, Feuchtigkeit)', bis in die frühe Neuzeit meist bei der Beschreibung von (Heil-)Pflanzen und Substanzen als Maßangabe für die
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vier Qualitäten und Körpersäfte der Galenischen Medizin, dann auch bezogen auf Licht und Farbe (—» Nuance; s. Beleg 1738) und auf Naturereignisse wie Sonnenfinsternisse und Unwetter (s. Belege 1731, 1830), in Wendungen wie Grad der Wärme, die Früchte sind warm und trocken im ersten Grad, der höchste Grad der Sonnenfinsternis, des Unwetters, verschiedene Grade des Lichts, der Farbe, den Grad der Glätte des Papiers bestimmen und in Zss. wie Festigkeits-, Feuchtigkeits-, Helligkeits-, Härtegrad 'Maß der Härte eines Metalls'. b Seit Anfang 16. Jh. mit Bezug auf menschliche Affekte, Stimmungen, Charaktereigenschaften, Einstellungen, Verhaltensweisen für 'Intensität, Stärke, Maß', in Wendungen wie Grad der Dankbarkeit, Begeisterung, Bewunderung, Liebe, Leidenschaft, Eitelkeit, die äußersten Grade des Lasters, der Grad ihres Amüsements, Weisheit in einem hohen Grad besitzen, ohne den geringsten Grad von Mitleid oder Reue, der höchste Grad stoischer Ruhe, er besitzt einen sehr hohen Grad von Schlauheit und Unverschämtheit, ein bemerkenswerter Grad an Zufriedenheit und in der Zs. Bildungsgrad. c Von daher seit Ende 17. Jh. erweitert auf abstrakte (politische, gesellschaftliche, künstlerische, philosophische u. a.) Sachverhalte in der allgemeinen Bed. 'Maß, Ausmaß, Ausprägung', in Wendungen wie Grad der Differenziertheit, Nützlichkeit, Vollkommenheit, das hängt in hohem Grade von dir selbst ab, ein hoher Grad an Authentizität, ein höherer Grad der Wahrscheinlichkeit, der höchste Grad der Anmut, des Geschmacks, Wohlstands, verschiedene Grade von Klarheit, ein Grad des Elends, den man in Europa nicht kennt, die Konzentration des Reichtums hat einen solchen Grad erreicht, dass . ., nur dem Grad nach 'geringfügig', in zahlreichen präpositionalen Verbindungen (z. T. in der Funktion von Steigerungsadverbien oder als deiktische Vergleichspartikel) wie in hohem, geringem, vorzüglichem, gewissem Grad, bis zu einem gewissen Grad, in höherem, geringerem Grad, in höchstem Grad, bis auf den höchsten, letzten, äußersten Grad, in dem Grad wie, im gleichen Grad wie, auf einen solchen Grad, dass . . und in Zss. wie Gradmesser (s. o. 3d) in der übertragenen Bed. 'Maßstab, Kriterium' (s. Belege 1808, 1856, 1887, 1914, 2004; vgl. Indikator); Abhängigkeits-, Bekanntheits-, Beliebtheits-, Popularitäts-, Abstraktions-, Behinderungs-, Demokratisierungs-, Häufigkeits-, Höchst-, Innovations-, Komplexitäts-, Mobilisierungs-, Modernisierungs-, Motivations-, Näherungs-, Optimierungs-, Organisations-, Perfektions-, Präzisions-, Qualitäts-, Reflexions-, Schwere-, Seltenheits-, Sicherheits-, Spezialisierungs-, Tauglichkeits-, Verbreitungs-, Zersetzungsgrad. d Seit Anfang 17. Jh. auch für '(Intensitäts-)Stufe einer Krankheit' (—> Stadium), auch mit Bezug auf akute Anfälle (Tobsucht oder Epilepsie; s. Beleg 1778), Hypnose (s. Beleg 1819-21) und (Brand-)Verletzungen (s. Belege 1909, 2004, 2006), in Wendungen wie den Grad der Krankheit erkunden, der höchste Grad der Schwindsucht, Verbrennungen dritten Grades. e Seit Mitte 17. Jh. speziell für '(Intensitäts-)Stufe der Tortur', in Wendungen wie jmdn. durch alle Grade der Tortur peinigen, den ersten Grad der Tortur überstehen, ausstehen, aushaken, im veralteten lat. Syntagma Gradus torturae und in der Zs. Foltergrad. Dazu seit Ende 14. Jh. aus mlat. graduare (eventuell unter Einfluss von gleichbed. frz. graduer) entlehntes graduieren V. trans, in der Bed. 'jmdm. einen akademischen Titel, Grad verleihen', in Wendungen wie einen Doktor graduieren, zumeist attr. im
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Part. Perf. graduiert, z. B. ein graduierter Mann, Doktor, Ingenieur, eine graduierte Person, Studentin, Dozentin, Designerin, mit der Abkürzung grad., z.B. er trägt den Titel „Ingenieur grad." (s. Belege 1966, 1989.1), bis ins späte 20. Jh. auch zur Bezeichnung des Fachhochschulabschlusses in den Ingenieurfächern (s. Beleg 1989.1), häufig subst., z.B. ein akademisch Graduierter, Gelehrte und Graduierte (s. Belege 1672,1896,1947, 2005), insbes. als Bestimmungswort in Zss. wie Graduiertenförderung, -kolleg, -Stipendium, -Studium, im 17. Jh. die adj. Zs. hochgraduiert (s. Belege 1642, 1661), in jüngster Zeit postgraduiert 'in einer an eine Graduierung anschließenden Studienphase befindlich' (s. Beleg 1993.2), mit der Personenbezeichnung Postgraduierte(r) und der Zs. Postgraduiertenstudium (zu 2d); seit Anfang 15. Jh. allgemeiner in der heute veralteten Bed. 'jmdn. in einen höheren Rang erheben, jmdm. eine Würde verleihen', in Wendungen wie jmdn. graduieren, meist attr. im Part. Perf., z.B. graduierte Person, graduierte vornehme Herren (zu 2a); seit frühem 17. Jh. selten und v. a. fachspr. 'etwas mit einer Gradeinteilung versehen', z.B. ein Instrument graduieren, graduieren und abteilen (zu 3d); dazu seit frühem 19. Jh. das Verbalsubst. Graduierung F. (-; -en), zunächst vereinzelt in der Bed. 'Gradeinteilung' (zu 3d), seit spätem 19. Jh. auch 'Verleihung eines akademischen Grads, Titels', vgl. die Wendung akademische Graduierung (zu 2d); seit frühem 20. Jh. auch vereinzelt für 'Einführung, Aufstieg in einen höheren gesellschaftlichen Rang' (—» Initiation) (zu 2a); in der 2. Hälfte des 20. Jhs. auch fachspr. (Sprachwissenschaft) für 'der Komparation zugrundeliegende semantische Kategorie der Zuschreibung von Eigenschaften in unterschiedlichem Maß oder gradueller Abstufung' (zu 4a). Seit frühem 16. Jh. französisierendes gradieren V. trans., zunächst selten und bis ins späte 18. Jh. konkurrierend mit graduieren (s. o.) in der Bed. 'jmdm. einen akademischen Grad, Titel verleihen', zumeist attr. im Part. Perf. gradiert gebraucht, z.B. gradierte Doktoren (zu 2d), seit früherem 16. Jh. im Bereich der Naturwissenschaften für 'Substanzen nach dem Maß bestimmter physikalischer Eigenschaften einteilen, nach ihrem Gehalt an bestimmten Inhaltsstoffen klassifizieren' (s. Belege 1528, 1565, 1571), dann auch 'das Maß, die Intensität, die Stärke bestimmter physikalischer Eigenschaften von Substanzen (stufenweise) erhöhen; eine Substanz anreichern, verbessern, veredeln' (s. Belege 1530, 1539, 1653, 1672, 1901; —»· raffinieren), in Wendungen wie Öl, Getreide, Silber, Gold gradieren, seit Mitte 18. Jh. v. a. in der speziellen Bed. 'den Salzgehalt salzhaltigen Wassers durch Verdunstung erhöhen, Sole konzentrieren' (s. Belege 1732, 1844, 1989), als Bestimmungswort Gradier- in Zss. wie Gradierhaus, -wand und v. a. Gradierwerk 'Gerüst aus Holzreisig, über das zur Verdunstung des Wassers Sole rieselt (auch in Kurorten zur Erhöhung des Salzgehalts der Luft zu therapeutischen Zwecken)' (vgl. Saline], in jüngster Zeit auch übertragen mit Bezug auf Ton- und Filmaufnahmen für 'ver-, nachbessern, nachträglich aufbereiten' (s. Beleg 2005), in Wendungen wie einen Film digital gradieren (zu 5a), mit dem seit spätem 16. Jh. belegten Verbalsubst. Gradierung F. (-; -en), zunächst in der Bed. '(Metall-)Veredelung' (s. u. Gradation), auch seit Mitte 18. Jh. im Zusammenhang mit der Salzgewinnung für 'Erhöhung des Salzgehalts von salzhaltigem Wasser durch Verdunstung, Konzentrierung von Sole', als Grundwort in Zss. wie Eis-, Sonnen-, Tröpfeigradierung (zu 5a). Seit früherem 16. Jh. aus lat. gradatio 'Errichtung von Stufen' entlehntes Gradation F. (-; -en), anfangs und bis Mitte 18. Jh. fachspr. (Naturwissenschaften, Alchimie)
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in der Bed. '(Metall-)Veredelung' (s. o. Gradierung; s. Belege 1533-34, 1583, 179599), im späten 18. Jh. vereinzelt auch mit Bezug auf Farben für 'Abstufung nach der Intensität' (s. Beleg 1782), in Wendungen wie Gradation der Metalle, Gradationen der Farbe, des Lichts (zu 5a), seit späterem 16. Jh. zunächst als Fachwort der Rhetorik für die Redefigur der Steigerung (s. Belege 1571, 1844, 1989; —» Klimax), dann bildungsspr. (und heute selten) mit Bezug auf abstrakte Sachverhalte allgemeiner für 'Abstufung, stufenweise Verstärkung, Steigerung(sstufe), stufenweises Anwachsen' (s. Belege 1766, 1773, 1779, 1788, 1792, 1797.1, 1833, 1995), in Wendungen wie Gradation des Effekts, Gradationen der Entwicklung, von der Demokratie durch hundert Gradationen bis zur Tyrannei, der Aberglaube nimmt in derselben Gradation ab, in der die Aufklärung zunimmt, Gradation der Zinsrente (zu 5c), vom späten 18. bis ins späte 19. Jh. auch selten im medizinischen Bereich für 'Intensitätsstufe (eines Symptoms, eines Krankheitsverlaufs)' (zu 5d), in jüngerer Zeit speziell im Weinbau für 'Alkoholgehalt von Wein' (zu 3f.). Seit Mitte 16. Jh. die gelegentlich auch attr. gebrauchte adv. Ableitung gradweise, zunächst vereinzelt in der veralteten Bed. 'in der Art einer Treppe, Stufe, Leiter', seit dem 17. Jh. übertragen für 'Stufe für Stufe, Schritt für Schritt, stufen-, schrittweise, allmählich, nach und nach' (s. o. gradatim, s. u. graduell; s. Belege 1792, 1874, 1917, 1922—23), z.B. etwas (nur) gradweise verändern, der Schatten wandert gradweise über das Pflaster, gradweises Hineinwachsen in den Sozialismus, gradweise Verbesserung, Vollendung (zu 1), seit spätem 18. Jh. auch in der Bed. 'dem Umfang, Maß, Ausmaß nach, von der Intensität, Ausprägung her', in Wendungen wie der Unterschied ist nicht spezifisch, sondern nur gradweise (zu 5c), in jüngerer Zeit in der Meteorologie auf Temperaturveränderungen (in Grad Celsius) bezogen für 'Grad um Grad' (zu 3e). Seit Anfang 19. Jh. das aus gleichbed. frz. graduel (aus gleichbed. mlat. gradualis, zu gradus, s. o.) entlehnte Adj. und Adv. graduell, zunächst in eher quantitativem Sinn für 'auf das Ausmaß, die Intensität bezogen; in (geringem/gewissem) Umfang, vom Grad, von der Intensitätsstufe her', in festen Verbindungen wie (nur) ein gradueller Unterschied, graduelle Veränderungen, (nicht prinzipiell, sondern nur) graduell verschieden/unterschiedlich, etwas graduell verändern (zu 5c), dann auch in der (in übertragenem Sinne auf Grad l '(Treppen-)Stufe; Schritt' bezüglichen) Bed. 'schrittweise, stufenweise, allmählich' (s.o. gradatim, gradweise; —> sukzessiv(e)), vgl. die Wendung gradueller Übergang, graduelle Intensivierung, die Flugpreise graduell anheben, Zuschüsse graduell kürzen (zu 1). Seit frühem 19. Jh. aus mlat. gradualis entlehntes, seltenes gradual Adj. in der Bed. 'die Stufe der Verwandtschaft betreffend', zunächst nur vereinzelt belegt als Bestimmungswort Gradual- in der Zs. Gradualerbfolge (zu 2c), heute v. a. für 'den akademischen Rang, Abschluss betreffend', meist in der Zs. postgradual 'nach dem akademischen Abschluss (erfolgend)', in Wendungen wie postgraduale Weiterbildung, Ausbildung (zu 2d); dazu seit frühem 20. Jh. die subst. Weiterbildung Gradualismus M. (-; ohne PL), zunächst fachspr. mit Bezug auf die Evolutionstheorie Charles Darwins für 'allmählicher, langsamer, über die Dauer von vielen Generationen und in kleinen Schritten sich vollziehender Fortgang der Evolution', in jüngerer Zeit auch bildungsspr. allgemeiner in der Bed. 'durch allmählichen, bedächtigen, schrittweisen Fortgang gekennzeichnete Vorgehensweise, Politik der kleinen Schritte' (s. Belege 1968, 1984, 2000); dazu in jüngster Zeit die adj. Ableitung gradualistisch 'den Gra-
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dualismus betreffend, auf den Gradualismus bezogen' und allgemein 'abgestuft, auf eine allmähliche Vorgehensweise bezogen, diese betreffend' (s. Belege 2000, 2004) (alle zu 1). Seit Mitte 19. Jh. das aus Grad abgeleitete Wortbildungselement -gradig, meist in der adj. Zs. hochgradig in der Bed. 'von hohem Rang', in Wendungen wie eine hochgradige Jury, hochgradig besetzt (zu 2a; im Einzelfall auch Herleitung von 2d, 2e oder 2f. möglich), auch im Sinne von 'in hohem Grad, stark, ausgeprägt, sehr' in zumeist abwertend gebrauchten Wendungen wie hochgradiger Unsinn, hochgradig gefährdet, peinlich, emotional, süchtig bzw. in (auf ein hohes Maß von Gefährdung verweisenden) Verbindungen wie hochgradig giftig, infiziert, hochgradig radioaktiv verseucht (zu 5c). Seit spätem 19. Jh. das zu lat. gradiens, Gen. gradientis (subst. Part. Präs, zu gradi, s. o.) gebildete Subst. Gradient M. (-en; -en), Fachwort der Physik für 'Neigungswinkel, Winkel eines Gefälles, Anstiegs', in Zss. wie Gradientwind, Temperaturgradient, auch für 'Gefalle' (s. Belege 1986, 1989), selten auch übertragen in Zss. wie Kulturgradient (s. Beleg 2000) (zu 3c). Grad 1: Notker vor 1022 (Hs. 12. Jh.) Psalmen 118 Epil. wan er wände daz er daz werch vollevrumen solti. so liebsangoter sä dem selben werche [den Stufen zum Tempel], ih meine den quindecim gradibus (fivnfzehen graten) mit alse manigeme salmen (AHD.WB); Mitte 12. Jh. Loh Salotnonis (Müllenhoff/Scherer 1873 Denkmäler 99) sin richtüm imo vil woli schein./ sin stül was gut helphinbein,/ woli gidreit und irgrabin/ . . sechs grädi gingin dirzü; Albertus um 1200 St. Ulrichs Leben 995 [dass er nicht den dort bestatteten] Sintprecht den bisschof lieze ligen bi deme grade des chor (DWB); vor 1250 (Hs. um 1430) Lancelot l (DTM XLH 572) Er ging furbas und qwam zu eim grade der hoch uff ging zu einem schönen sal. Der grad was on lene und was ser schmal, und stunde ein gewapent ritter uff dem grade und hielt ein helmaxt mit beiden banden; Meister Eckhart vor 1298 Reden d. Unterscheidung 22 darum, der best grad, daruff man getreten mag, als man zu got in ganczer andacht wil gon, das ist, das man on sunde sy in der craft der gotlichen ruwe (DWB); 13. Jh. (Adrian 1846 Mitt. 432) diz ist von der heinliche godes. daz eine ist der erste grat. an dem trappen (DWB); Heinrich v. Neustadt um 1300 Apollonius (DTM VII12817) Er [Clarantz] gie die stiegen frolich an,/ Rech als ain verwegen man./ An dem sibenden staphen/ Er pegunde den atem schophen/ Und gewan zehant den schwinde!./ Er gie umb als ain trendel/ Und viel nider auff den grat/ Der di sechsten statt hatt; Elsbet Stagel um 1360 Leben d. Schwestern zu Töß 58,18 darnach do sach ich das sich der himel uff tet ob mir, und das wunneklich gret von dem himel herab giengent untz an die stat da ich was (DWB); 1400-20 Buch d. Maccabäer (Helm 9746) daz volc Jude unde ouch er/ leiten uf ir houbet erden/ . . unde vielen sus an der stat/ nider vor
des altaris grat (DWB); Melber 1481 Voc. o. S. gradus Staffel ordenung; Ludwig v. Eyb 1507 Wilwolt v. Schaumburg 8 Unser heiliger vatter der babst trat etlicher graden ader stafflen über die kaiserliche majestat zu hoch . . und so vil verfuegt, das die babstlich heilikhait etlich treppen nider trat, alda babst und kaiser einander zuesprachen und empfeingen; Rivius 1548 Vitruv. 166b Doch so merck das Vitruuius nennet an disem ort die spacia so die ober Staffel oder sitz von der vntersten vnterscheiden/ dann die gantz Gradition in drey theil getheilet ward/ zu yeder vnterschiedung ein grad oder Staffel geordnet/ zweymal also breit/ als der ändern einer; Rot 1571 Diet. 314 Grad. Ein trit/ Staffel an einer stiegen/ schrit/ Jtem ein zugang; Petri 1605 D. Teutschen Weißheit Mm7b liegen vnnd viel verheissen mit vnwarheit ist der erste grad zum verderben (DWB); Stevini 1608 Festung 48 von 36 Graden oder Staffeln; Lorini 1616 Fortification (Übers.) 49 ein jede Erhöhung von Grad zu Grad biß auff die höchste; Mengering 1642 Gewissensrüge 709 darumb man solche trawrige Fälle vnd böse Zeitung nicht so schlecht vnd bloß, sondern durch gewisse grad, gantz vorsichtig . . zu communiciren . . schuldig ist; Spee 1649 Tugendbuch 701 er stellet sich an den vndersten grad dess altars (DWB); Becher 1707 Psychosophie 48 der hat einen grossen grad zur heiligkeit gethan, der niemanden um seinen glauben fragt (DWB); Wächtler 1709 Manual 147 Gradus, Grad/Stuffe; Lessing 1753 Br. (P. VIII 174) Der „Gradus ad Parnassum" ist nicht zu verachten!; Goethe 1806 Sehr. z. Lit. (HA XII 275) Man sieht dieser Klage zu sehr den Gradus ad Parnassum an; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 91 Indessen hab' ich jetzt doch wieder was gelernt, und diese eure Erdwarze ist mir somit nicht bloß zum 'Gradus ad Parnassum',
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sondern sogar zur — Akademie geworden; 1884 Brockhaus VIII 265 Gradus ad Parnassum, wörtlich: Stufe zum Parnaß, nennt man ein lat. Wörterbuch mit Angabe der Qualität jedes Wortes, unter Hinzufügung der gleichbedeutenden Worte, passenden Beiwörter und poetischen Ausdrücke, zum Gebrauch der Schüler bei prosodischen Übungen; Müller 1901 Tropen 141 Kommen Sie aber davon ab, gehen Sie noch um einen Grad weiter in Ihrem Denken (DiBi 125); Süddtsch. Ztg. 17. 2. 1949 als wären Bachs Tonfolgen noch nicht Musik, sondern Etüde, Gradus ad Parnassum; 1989 Brockhaus IX 41 Gradus ad Parnassum, griech. oder lat. Wörterbuch mit Angabe von Quantitäten, Synonyma und Epitheta für die einzelnen Wörter, Versregeln u.a. als Anleitung zum Verfassen griech. oder lat. Verse. gradatim: 1641 Urk. u. Aktenstücke I 74 willigen und geben wir dir hiemit special commiss, dass du . . successive von 30.000 bis 35.000 und 40.000 fl. zum jährlichen abtrage anstatt sr. kön. maj. desiderirten hälfte an der neuen seezulage dich einlassen und dieselbe gradatim bieten mögest (DWB); Döpler 1693 Theatr. Poenarum 332 so übergibt der iudex den inquisiten dem Scharfrichter, welcher die tortur gradatim, also dasz er von der geringen anhebet und nach und nach schärffer fortfähret, an ihn vollstrecket (DWB); Wächtler 1709 Manual 147 Gradatim, Stuffenweise/ von einem zum ändern/ nichts überhüpfft/ z. E. gradatim in einer Sache gehen; Gichtel 1722 Theosophia Practica Von. A5b dass wir nach unsern anwachsenden Kräften gradatim aus der Natur in Gott kommen mögen; Goethe 1778 Br. III 220 gradatim; Bretzner 1787 Leben II 193 als aber der Spiritus des Traubenbluts ein wenig im Oberstübchen zu rumoren anfing, legten sie gradatim die Masken ab, und zeigten sich in ihrer wahren Gestalt; Pückler-Muskau 1830 Br. e. Verstorbenen III 308 Beim Hcrabsinken des Ballons steigt Stadt und Garten wieder gradatim empor (DiBi 125); ders. 1834 Landschaftsgärtnerei 50a Es ist . . durchaus nicht immer nöthig, die grossen Bäume in der Mitte und die niedriger wachsenden gradatim gegen den Rand hin . . zu placiren; 1884 Brockhaus VIII 260 Gradatim . . stufenweise, allmählich; Wedekind 1895 Erdgeist (W. I 283) Sie enthüllen mich gradatim . . Ich wußte doch, daß Sie sich darauf verstehen, Kostüme zu wechseln (DiBi 125); Wilhelm I. 1897 Milit. Sehr. I 105 es werden daher anfänglich für die junge mannschaft märschc ohne gepäck angeordnet werden müssen und mit tragung derselben gradatim fortgeschritten werden (DWB); NZ (Basel) 25.726. 3. 1950 Wir wollen gradatim vorgehen. Also: einmal in der Wochen schalten wir einen Fasttag ein; 1989 Brockhaus IX 37 Gradatim . . bil-
dungssprachlich für: schritt-, stufenweise, nach und nach. Gradual(e): 13. ]. Hs. (Dtsch. Lucidarius XL/V 6) was betütet daz gradal?. . daz ist ein wunneclicher sanc unde bezcichent die ruwe die wir in dirre weite hant unbe unser sünde. och betutet daz gradal eine stigunge, die wile wir sint in dirre weite, daz wir stigen suln von einer tugent zu der anderen (DWB); 2. Hälfte 13. Jh. St. Georgener Prediger 9 du lecce (Epistellection) bezaichent die bredige sant Johansen baptisten, daz er kunte daz unser herre kam. daz gradal bezaichent daz er unsern herren zaigte mit dem vingcr . . daz ewangelium bezaichet die süssen predi die unser herr selber tet mit sim haiigen götlichen munde (DWB); Berthold v. Regensburg vor 1271 Predigten I 498 nach der collecten lesen wir die epistcln . . dar nach singen wie ein gesanc, daz heizen wir daz gradual, daz heizet daz loufende gesanc unde daz bediutet: dö unser herre hie üf ertriche lerte mit siner lere . ., dö liefen im vil liute nach . . dar nach singen wir etewenne ze höchgeziten ein gesanc, daz heizet ein sequentie (DWB); Ottokar 1301-19 Österr. Reimchron. LIH 961 herzog Stephanen funden [die Boten]/ in unpheflicher wät/ an der zilstat/ bi anderen schützen:/ er künde vil baz nutzen/ daz ärmst [Armbrust] denne das gradal (DWB); 14. Jh. Weingartner Fred. (ZfdA XXVIIl 15) daz gradal bitütet die büze der sundasr, wan ez ist mülich ze singenne alsc diu büze ist sezre traginne (DWB); 1393 (Altdt. Predigten LXXI 96) so liset man denne die epistcl . . so singet man denne das gradal (DWB); 1397—1400 Würzburger Städtekrieg (Liliencron, Volkslieder I 173) einer las im decretal, der ander sang im gradual; Melber 1481 Voc. o. S. Graduale gesangk des furgangß des zunemenß; Adelphus 1513 Türck. Chronica (Ausgew. Sehr. U 308) alle bücher in den kirchen/ meßbücher/ . . gradualia/ . . all zerrissen und vernichtet; Keisersberg 1517 Brösamlin II 48b das brett ist das gradual hatt seine noten, sechsz strich gegeneinander, sein sechsz linien, sechsz voces (DWB); 3565 (Dtsch. Rechtswb. IV 1051) habe ich geliffert . .. die geschriben mess- und gradualbucher und antiphonaria, was in die kirchen gehört (DWB); Paullini 1695 Zeitkürtzende Lust 443 gab auch in chor ein wohlgeschrieben gut gradual-buch (DWB); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 280 Graduale wird bey dem Catholischen Gottesdienst ein Responsorium genennet, und ist ein Gesang, so immer je höher und höher steiget; Zedler 1735 Universallex. XI 495 Graduale eine Art einer Antiphone oder Responsorii in der alten Kirche, welches gleich nach der Epistel gesungen ward, und nur aus wenig Worten bestand. Die Benennung kommt daher, weil es gesungen wird, wenn der Diaconus, der die
Grad Epistel abgelesen, noch auf denen Gradibus des Ambonis befindlich, oder auch, wenn er indessen, da es gesungen wird, die Stuffcn nach der Evangelien-Seite hinaus steiget; Mozart 1788 Br. 288 ich möchte gerne, dass mir der Haydn seine 2 Hittimessen, und die graduale, die er geschrieben, in partitur auf eine zeit lehnte (DWB); Beethoven 1808 Sämtl. Br. l 231 übrigens mache ich mich verbindlich ihnen [dem Verlag Breitkopf und Härtel in Leipzig] m 't einem offertorium und graduale zu der messe in einiger zeit ein gcschenk zu machen (DWB); E. T. A. Hoffmann 1819-21 Serapionsbrüder (Poet. W. HI 520) Die drei Hauptteile des Hochamts sind bekanntlich das Kyrie, das Credo und das Sanctus. Zwischen dem ersten und zweiten tritt das Graduale (meistens eine Kirchensymphonie), zwischen dem zweiten und dritten das Offertorium (gewöhnlich als Kirchenaric behandelt) ein (DiBi 125); 1844 Brockhaus VI 317 Graduale heißt in der katholischen Kirche der kurze Zwischengesang, welcher bei der Messe nach dem Vorlesen der Epistel gesungen wird, während der Priester sich auf den Stufen (gradus) des Altars oder vor dem Lesepult befindet; Panizza 1895 Liebeskonzil 98 Wie Pulcinello mit der Pritsche dem verwirrt hin- und herlaufenden Pantalone nacheilt und auf ihn losschlägt, und Golombina, sich versteckend, hinter Pulcinello drein eilt, hört man plötzlich aus den Fenstern über der Galerie in wehmütig-schmerzlichem Ton ein mehrstimmiges Graduale singen (DiBi 125); Münch. N. N. 5. J. 1943 Bruckner trat als geistlicher Tondichter aus der Wiedergabe seiner drei Gradualicn in seiner Sonderstellung eindringlich hervor; Nagel 1970 Gesch. d. christl. Gottesdienstes o. S. Die schola cantorum benötigt ein Buch für die antiphonischen Gesänge, . . während in der Frühzeit ein besonderes „Cantatorium" die responsorischen Gesänge des Einzelsängcrs zwischen den Lesungen von den Stufen (gradus) des Ambon aus enthielt. Dessen Inhalt wurde später vom Antiphonale aufgenommen, wovon dieses den Namen „Graduale" erhielt; 1989 Brockhaus IX 41 Graduale . . 1) in der kath. Liturgie der zweite Gesang des Proprium missae, ein auf den Stufen (lat. gradus, daher G. 'Stufengesang') zum Ambo vorgetragenes Responsorium . . 2) seit dem 12. Jh. übl. Bez. für das liturg. Buch mit den Gesängen der Messen; St. Galler Tagbl. 3. 3. 1998 Nicolaus Bertschy . . nennt sich der für die spätmittelalterliche St.Galler Abtei bedeutendste Buchmaler in der einzigartigen Selbstdarstellung aus dem Jahr 1512 im Graduale der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart; ebd. 5. 8. 2000 Gestern öffnete Bothien den Sicherheitsraum ein zweites Mal und zeigte der staunenden Presse ein Faksimile des kostbaren Graduales von St. Katharinenthal und andere wertvolle Raritäten.
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Gradualismus: 1924 DVjS. 687 Gradualismus; Schaller 1943 Kulturgesch. Europas U 27 Gradualismusgcdanke; Stuttgarter Ztg. 13. 3. 1968 das militärische Konzept des „Gradualismus" akzeptiert zu haben; Zeit 28. 12. 1984 Ideologische Mäßigung, Freiwilligkeit, Gradualismus, Respekt für die „heilige Religion des Islam", für Familie, Privateigentum, Tradition und Brauchtum heißt die Parole; Zeit 29.3. 1985 Es ist nach Hildebrand freilich eine Bewährung mit Vorbehalt: „vorläufig behauptete sich die Staatsräson des behutsamen Gradualismus"; Presse 8. 5. 2000 Greenspan ist für seinen „Gradualismus" berühmt, aber jetzt wird er möglicherweise einen Gang höher schalten. Die Währungshütcr hätten ihre Geduld verloren und seien nicht mehr bereit, mit kleinen Schrittchen zu operieren, glaubt Dudley. gradualistisch: frankf. Rundsch. 10. 4. 1999 In seiner gradualistischen Evolutionstheorie hatte Charles Darwin diesen Vorgang als generellen Mechanismus bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts vorgeschlagen. Das jetzt entdeckte Merkmalsmosaik beim „Noch-Fisch" Panderichthys bestätigt Darwin einmal mehr; St. Galler Tagbl. 3. 8. 2000 Unsere Aufmerksamkeit scheint erstens interessenbestimmt und zweitens abgestuft. Nicht jeder Mensch steht jedem anderen gleich nahe. Dieses gradualistische Fühlen und Denken gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für unser Verhältnis zur Tierwelt; Zeit 29. 5. 2002 In seiner Mammutstudie zur Struktur der Evolutionstheorie breitet der . . Paläontologe Gould . . einen Gegenentwurf zur gradualistischen Standardtheorie des Darwinismus aus; Mannh. Morgen 8. 5. 2004 Die Straffreiheit der Abtreibung ist nur mit einer gradualistischen, nicht mit einer fundamentalistischen Position logisch vereinbar. graduell: 1884 Brockhaus VIII 265 Graduell, grad = , stufenweise; 1933 Verd. techn. Fremdwörter o. S. graduell allmählich, stufenweise; Offenburger Tagebl. 3. 10. 1963 man werde eben um „graduelle Veränderungen" ringen müssen; Stranzinger 1983 Gentechnik o. S. Die beschriebenen Eingriffe stellen eine graduelle Intensivierung der in der Natur vorkommenden Phänomene dar und münden mit dem Gentransfer in die zur Zeit intensivste Form der Genomveränderung, die auch als Evolution im Labor bezeichnet werden könnte; Presse 15. 1. 1993 Zuvor hatten die amerikanischen Fluggesellschaften angesichts riesiger Verluste und leicht steigender Nachfrage ihre inneramerikanischen Flugpreise seit Sommer letzten Jahres graduell angehoben; Mannh. Morgen 19. 12. 1995 Das Kabinett entschied, die sogenannten administrativen Zuschüsse graduell zu kürzen; Presse
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15. 1. 1996 Die Bedeutung der Neutralität sei auch bisher immer wieder graduell verändert worden, um die Anwendung dem aktuellen Stand anzupassen; Si. Galler Tagbl. 20. 1.2000 Graduell kommen mehr und mehr Licht, Klang und Bewegung in die Bilder; taz 14. 8. 2004 In seiner diskurstheoretisch angelegten Studie bestreitet er die These des graduellen Übergangs vom Nationalismus zum rabiaten Rassismus. gradweise: Kilian 1557 Res Publica Venetum E3b zwo benck obeinander, Staffel oder gradweis (DWB); Schiller 1792 Über d. tragische Kunst (S. W. V 388) Wenn der Anfänger den ganzen Donnerstrahl des Schreckens und der Furcht auf einmal und fruchtlos in die Gemüter schleudert, so gelangt jener Schritt vor Schritt durch lauter kleine Schläge zum Ziel und durchdringt eben dadurch die Seele ganz, daß er sie nur allmählich und gradweise rührte (DiBi 125); Meyer 1874 Jürg Jenatsch (S. W. l 504) Eines Abends stand sie neben dem Lehnstuhle der alten Dame und schaute durch das eiserne Laubwerk am Gitterkorbe des Fensters, während der Sonnenschein gradweise das Pflaster des Platzes verließ und nur noch auf dem sprudelnden Wasser des Marktbrunnens blitzte (DiBi 125); Rubiner 1917 Änderung d. Welt (Mensch 97) der Beruhigungslehre, die sich auf Marx stützen wollte: die menschliche Gesellschaft gleite durch gradweises „Hineinwachsen" in den neuen Sozialismus (DiBi 125); i922-23 Schweizer. Monatshefte 444 er glaubt, daß die Bewegung entwicklungsfähig sei, steigerungsfähig im Tempo wie nach der Qualität der von ihr erzeugten Werte — bis hin zu einer gradweise, schrittweise, stufenweise erreichten Vollendung des Menschentums; FAZ 2. 3. 2005 Brutale Anschläge nach den Wahlen im Irak waren unvermeidlich, aber die Gewalttat in Hilla zeigte die Rücksichtslosigkeit der Aufständischen, die den gradweisen Fortschritt im Land untergraben wollen. Grad 2a: Notker vor 1022 Marcianus Capella (Sehr. I 734) (Post quos complures alti pro suis gradibus caelites conuocandi . .) Uuären däranäh zeladonne. gnüoge hoho gesezene [Götter] äftir iro grädin; Nicolaus v. Jeroschin um 1340 Deutschordenschronik 122c den edlin man vor edil hat swi daz wil an im der grät, dar üf er mit geburte stät; 15. Jh. (ZfdA XXXVH 63) nota die prelaten, des gleichen die edlen des höchsten grädtz, mugen sich selbs irritzen [ihrzen] in den briefen oder reden (DWB); Schneider 1493 (Dtsch. Pilgerreisen 300) Doch her ich yecz ain fürsten klagen,/ Der hat den adel nit gehindert,/ Noch sein (g)radum nit gemindert,/ Was man zu eren sich er pot; Boltz 1551 Weltspiegel 260 Es hand üwer vyl der gradus stend,
Ja da alle zücht hatt ein end; Kirchhof 1563 Wendunmuth HI 33 so weit du lebst in höherm grad, so viel ist demut dein zierrath (DWB); Roi 1571 Diet. 314 Grad . . ein Staffel in erhebung der ehren; Entzelt 1579 Altmärk. Chronik 133 es machte auch der kayser unter den allen vom adel sonderliche Ordnung, gradt, und erhöhet sie (DWB); 1587 Historia v. D. Fausten 76 Nun so höre mich, sagt der Keyser, daß ich auff ein zeit in meinem Läger in Gedancken gestanden, wie vor mir meine Voreltern vnd Vorfahren in so hohen Grad vnd Authoritet gestiegen gewesen (DiBi 125); Münster 1598 Cosmogr. 469 zv den zeiten Ludouici des 3. welcher regiert anno 903. von derselbigen zeit seind die mancherley grad des adels nicht gewesen, außgenommen konig, fürsten vnd freyherren (DWB); Stumpf 1606 Schweizerchron. 312a item burggraven sind gewesen burgvogt, die sind etwan nur auß dem vndersten grad deß adels genommen (DWB); Czepko 1640-48 Satyr. Ged. (Weltl. Dichtg. 374) Ihr, die ihr Adel habt in euern Bauden feil,/ Zu welcher alle Welt nach Tituln kommt gelauffen,/ Und einem ieden misst sein Maaß und Grad und Theil,/ Wie theuer meint ihr wohl die Tugend zu verkauffen? (DiBi 125); Stockfleth 1669-73 Macarie l 173 Darum so haben wir lauter Herren/ wer ist aber unser Knecht? Lauter Edelleut; welcher ist aber unser Bauer? Lauter Kaiser; wer ist aber der Unterthan? Den ersten Grad verlangt ein jeder/ den ändern nicht einer (DiBi 125); Beer 1681 Narrenspital 58 Die vom Adel hatten das obere, die Bürgerstöchter aber das untere Zimmer, denn weil sich die vom Adel um etliche Grad höher aestimieren, so sind sie billig auch um etliche Grad in dem Narrenspital höher als andere logiert worden (DiBi 125); Thomasius 1692 Kunst zu lieben 41 dannenhero nicht allein dieses zu erinnern, dasz wenn zwei gute oder böse von ungleichen grad zusammen kommen, das geringere allezeit in ansehen des grösseren weichen und nachgeben müsse (DWB); Loen 1713 Mann 554 Es ist auch der Natur gemässer, daß Leute, die durch ihre grosse Handelschaften . . sich dem Adel gleichförmig aufführen, auch dessen Vorzüge geniessen: doch gönnt ihnen das Herkommen und der Gebrauch in der Welt nur den untersten Grad des Adels (DiBi 125); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 281 Gradus heist auch eine Stuffe oder Schritt von einer Person zu der ändern nach der Geburt; Raabe 1864 Hungerpastor H 19 wo alle grade . . der menschlichen gesellschaft auf dem kampfplatz vertreten waren, in den großen Städten, konnte man den menschen . . erst recht erkennen lernen (DWB); Fontäne 1878 Vor d. Sturm (Romane u. Erz. 228) „Ich heiße Kemnitz. .. das heißt mein Mann." — Sie sagte dies in einem Tone, der andeuten sollte, daß ihr väterlicher Name um einen Grad höher gewesen sei (DiBi
Grad 125); Nietzsche 1888-89 Ecce homo (W. U 1150) Das erste, woraufhin ich mir einen Menschen „nierenprüfe", ist, ob er ein Gefühl für Distanz im Leibe hat, ob er überall Rang, Grad, Ordnung zwischen Mensch und Mensch sieht, ob er distinguiert.· damit ist man gentilhomme (DiBi 125); Lenz 1981 Essays I (W. XIX 446) Da Kien sich als unwillig oder unfähig zeigt, über sich selbst zu reden, verwickelt der Arzt ihn in ein Bildungsgespräch von Graden — wissend, daß man, während man über entlegene Weisheiten spricht, auch sich selbst kommentiert; Salzb. Nachr. 17. 9. 1993 ExMonty-Python Eric Idle hat jetzt als Drehbuchautor diese sehr ähnliche Geschichte einen tiefer angesiedelt. Hier führt sich ein Amerikaner als fünfzehnter Herzog von Bournmouth ein: auf Rollerskates und mit Sturzhelm; Presse 10.8.1995 Murphy-Kopie Michael Johnson als 400-m-Original von höchsten Graden; Zeit 6. 12. 2000 Gerhard Stadelmaier gratuliert der Tragödin Edith Clever zum sechzigsten Geburtstag („preußisch hehr und eiseskarg, eine Geisterseherin und Kunstgespensterbeschwörerin von hohen Graden"); Zeit (online) 15. 5. 2003 Das Adelsprädikat war noch nie gleichbedeutend mit Reichtum: Es gab den armen Landadel und den feisten städtischen Dienstadel, es gab Dichter wie Puschkin und emporgekommene Kaufleute, allein sechs formelle Adelsgrade und daneben unzählige Varianten adligen Selbstverständnisses — von dem, was wir heute Geldadel nennen würden, bis hin zu romantisch inspiriertem Seelenadel; Zeit 25.11.2004 Alles in allem zählt das zu den wenigen Werken zwischen 1940 und 1950, die Prokofiev . . noch einmal von seiner besten Seite zeigen: als Melodiker von Graden und Rhythmiker von Herzen. graduieren: 1414—18 Des conzilis grundveste (Liliencron l 255) si hant ainen bäbst gar erlich erweit gotlich, gar herlich, und ist auf das höchst graduirt, ze bäbst gemacht und conformirt; 1588 (Schramm, Schlagworte 95) graduirte Personen; Lucae 1711 Helicon 79 Liste derer graduirten vornehmen Herren von Adel; Th. Mann 1943 Joseph (Ges. W. /V/V 1245) musizierende Hausbetreter beiderlei Geschlechts, die Daumenklappern und Sistren rührten, girlandenumwickelte Opfertiere, Streitwagen, Standartenträger, Lautenspieler, höher graduierte Priester mit Dienerschaft reihten sich an. Graduierung: Mühlmann 1926 Homo 236 beide Gruppen verhöhnten und beschimpften sich dann gegenseitig, das gehörte zum Zeremoniell der Graduierung der Jungkrieger. hochgradig: Oberösterr. Nachr. 13.9.1997 Eine hochgradige Jury unter dem Vorsitz von Dekan
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Heinz Engl hat unter 50 Einreichungen die Gewinner des Innovationspreises 1997 nach objektiven Kriterien ausgewählt; Mannh. Morgen 7. 2. 2004 In der ansonsten hochgradig besetzten und akustisch überragenden Hörbuch-Produktion ist die Stimme von Jacobi ein bedauerlicher Schwachpunkt. Sein Nemo ist oft zu weich und zu versponnen. Grad 2b: Albertus v. Augsburg 2. Hälfte 12. Jh. St. Ulrichs Leben 607 ze deme srigenne er sich bereite,/ er volgete ime, swär ern leite/ wand er ze bösheit unmaere hat,/ do steic er üf der fugende grät (DWB); 13. Jh. (ZfdA XVI 232) in di leiterboume hait diu goteliche ladunge in gespruzit di missliche grade der demüte und der züchte di man üf srige. primus humilitatis gradus. der erste gräd der demüticheit ist ob man di gotis forchte vur di ougin sezze . . und gehuge sich alle clt waz unser herre geboten habe (DWB); Hermann v. Fritslar 1. Hälfte 14. Jh. (Dtsch. Mystiker l 22) nu ist ein vräge, ab di sele in eime gemeinen grade der gnaden daz ewige wort gebern muge, oder ab si bedorfe eines sunderlkhen gratis dar zu . .. aber di lütern geiste di iz [das Wort] sullen geberen in der höhesten wisen, di muzen haben sunderliche grete der gnaden (DWB); Tattler vor 1361 Predigten 162,1 denne kumet der herre und bringet in uf den dritten grat. und in dem so tut im recht der herre den mantel von den ougen und endecket im die worheit (DWB); ebd. 129,20 wer er in dem grate iezent das er kummen möhte in den nidersten kor [der Engel] (DWB); Geiler v. Kaysersberg 1510 Seelenparadies (S. W. Ill 113) er leide es gedultiglichen denn gott will . . im ursach geben Ion/ und grad zu verdienen in ewiger Seligkeit; Nas 1567 Antipap. IV 109a die römische kirch . . helt mannigfaltigen grad vnd Würdigkeit (DWB); Spangenberg 1591 Adels-Spiegel l 368b Gradus der Pfaffheit; Schweigger 1619 Reyßbeschr. 219 der dritte grad [in der griechischen Kirche] seyn die bischoff, haben auch etliche kirchen unter jhnen (DWB); Loen 1713 Mann 476 daß hingegen die noch irrdisch gesinnte Seelen, so lang und so viel durch ihre böse Neigungen und Thorheiten herumgetrieben werden, biß sie endlich solche selbst erkennen und verfluchen lernen: da sie dann von einer Läuterung zur ändern, und von Grad zu Grad erhöhet, des Einflusses des göttlichen Lichtes fähig werden (DiBi 125); Naubert 1793-97 Alme IV 83 freylich warten die Schmerzen des Todes auf den, welcher nicht gerecht ist vor dem Auge des Himmels, und nicht selten war gänzliche Zerstörung das Loos des Elenden, der es wagte den Göttern zu nahen, ohne daß seine Seele wenigstens den siebenten Grad der Reinigkeit erlangt hatte (DiBi 125); Goethe 1803 Cellini (WA l 44,362) Alsobald thut er auf seine
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geistlichen Grade Verzicht; Ranke 1867 S. W. XVII 86 in den stürmen, welche Bischöfe und capitel stürzten, hatte sich doch das kirchliche institut in den untern graden erhalten: rectoren und pfarrer . . bestanden überall (DWB); Meisel-Hess 1911 D. Intellektuellen 426 Um die mönchischen Grade zu erringen, müßte er später nach Indien gehen und dort, in alten Klöstern, den Buddhismus an seinen Quellen studieren (DiBi 125). Grad 2c: 1484 Reformation Nuremberg, II 3 so yemandt von wegen eyner zugehörigen person im gesipte des geplüts bis in den dritten grad . . zeclagen . . vermeynte (DRW); Tengler 1509 Layenspiegel F2a eelicher heyrat halben in ungleich graden (DRW); Lutber-Emser 1521 Str. II 136 Dann yr kirch ist ein keller . ., darinnen sie sich vorsameln, beyde man vnd weyb, vnd thut ynen yr hyrt orstlich ein genßpredig, . . darnach hcyst er sie, sich selber vndcr-einander vormengen, vnnd die weit mheren. vnd ist kein grad oder sipt vorbotten, es sey Im orsten oder ändern gelid, wy sie tzu hawffen kommen; Pauli 1522 Schimpf u. Ernst 137 Sie embotten dem Bischoff, er wolt sie zusamengeben, das sie Eelüt weren, und begerten einander zu der Ee. Der Bischoff sprach, es möcht nit sein, es wer in dem dritten Grad (DiBi 125); Brentz 1531 Ehesachen D2b die verboten odder zugelassen grad vnd Staffel der blutfreundschafft; 1544 Leyenspiegel 28b gradcn, oder staffeln, sein zeichen, dadurch vermerckt vnnd erkent werden mag, wie ferr die person in sipt oder magschafft von einander gescheiden seind (DWB); 1564-66 Zimmer. Chronik II 326 sein im dozumal . . die freiherren von zimbern, auch die grafen von Lupfen die nechsten, auch in gleichem grad verwandt gewest; Rot 1571 Diet. 314 grad wirt auch genommen für ein glid der sypschafft; 1599 Churfürstl. Pfaltz Landordn. 231 ihme mit der sipschafft biß in den vierten grad weltlichem rechten nach zu rechnen, verwant (DRW); 1650 (Zs. f. Schweiz. Recht 158) da man niemand wider personen, so ime im dritten grad oder nächer in blurs- oder anderer fründschaft begriffen, zu urteilen . . nit schuldig machen wil (DRW); Canitz 1700 Satyren 273 So klopfft ein Fremder an, den ich sonst nie gekannt,/ Und spricht: Er sey mit mir im sechsten Grad verwandt,/ Will einen Dienst durch mich, als seinen Blutsfreund, kriegen (DiBi 125); Mutach 1709 Rechts-Sachen 6 die ehe zu beziehen ist auch verbotten zwischen persohnen die einandern in gewissem grad oder glied verwandt sind (DRW); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 281 Ferner sind auch gradus in der Freundschaft; Zedler 1735 Universallex. XI 496 Diese Personen sind im vierten Grade miteinander verwandt; ebd. XI 500 Gradus prohibiti, sind die verbotenen Grade, in welche man
nicht heurathen darf; Hippel 1778 Lebensläufe I 44 Wer . . einen ändern Reim in dieser Stelle aufnimmt, heyrathet im verbotenen Grade; Krünitz 1780 Oec. Enc. XIX 613 geschwister sind, nach dem kanonischen rechte, im ersten grade verwandt, oder machen den ersten grad aus, nach dem bürgerlichen römischen rechte sind sie im zweyten grade verwandt (DWB); Musäus 1782 — 86 Volksmärchen 94 Wir sind im verbotnen Grad geheuratet, Geschwisterkind, das ist bald als eine Ehe zwischen Bruder und Schwester, dafür hilft keine Absolution und keine Dispensation (DiBi 125); Grillparzer 1825 König Ottokar (S. W. / 992) Da nun seit lang die Bischöfe des Reichs/ Mich warnten meiner Eh mit Margarethen;/ Wie denn auch manches sonst dagegen spricht:/ Denn erstens ist sie alt und unfruchtbar,/ Kein Erbe läßt sich mehr von ihr erwarten;/ Dann ist sie mir verwandt in — was weiß ich,/ In welchem und wievieltem Grad (DiBi 125); Bettina v. Arnim 1840 Günderode (W. u. Br. I 293) dem Hoffmann werd ich's zwar so nicht sagen, dem werd ich den ersten, zweiten und dritten Grad aller Verwandtschaften darlegen (DiBi 125); 1844 Brockhaus VI 315 In der Genealogie bedeutet Grad die Entfernung eines oder mehrerer Nachkommen von den gemeinschaftlichen Altern. In gleichem Grade miteinander verwandt sein, heißt demnach, von den gemeinschaftlichen Altern in Ansehung der Abstammung gleich weit entfernt sein, wie dies mit Geschwistern u. s. w. der Fall ist; Grässe 1855 Sagenb. d. Preuß. Staats I 31 Da man ihn aber weiter gefraget: warumb er denn sein erbliches Fürstenthumb so eine geraume Zeit verlassen hätte? da hat er geantwortet: er hätte solches seines Gemahls halben gerne gethan, welche er im verbotenen Grad, und also viel zu nahe ins Geblüte gefreiet (DiBi 125); Keller 1874 Seldwyla II (S. W. VI 351) Erstaunt und gerührt ob solchen Reden bot ihm der Alte die Hand und hieß ihn willkommen. Die beiden Herren verständigten sich schnell über den Grad ihrer Verwandtschaft (DiBi 125); Fontäne 1887 Irrungen (Romane u. Erz. V 50) Denn erstlich wissen Sie, daß ich nichts weiß, weil Vettern im 17. Grad nicht gerade zu den Intimen und Vertrauten des Fürsten gehören (DiBi 125); 1896 Bürgerl. Gesetzb. 5 1589 der grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der zahl der sie vermittelnden geburten (DWB); Klabund 1928 Borgia 19 und gelangte in das Arbeitszimmer des Papstes, der gerade damit beschäftigt war, sich über die juristische Möglichkeit eines Ehedispenses für den dritten Grad der Blutsverwandtschaft zu orientieren (DiBi 125); Lenz 1973 Vorbild (W. VII 621) Wir nennen sie Tante, meine Schwester und ich. Der Reporter, der — vermutlich aus zu vielem Wissen — eine Art Dauerresignation über sich verhängt hatte, wollte erfahren, ob über-
Grad haupt ein Verwandtschaftsgrad bestehe; Berl. Ztg. 12. 7. 2003 Vetternwirtschaft hat auch ihr Gutes. Scipio, der Neffe von Papst Paul V., hat aus seinem Verwandtschaftsgrad höchst nützliche Dinge für die Nachwelt geschlagen; taz 1. U. 2004 1996 gewann Michelle Smith im Schwimmen dreimal Gold. Im irischen Fernsehen weinten danach alle: ihre Schwestern, die Cousine zweiten Grades und der Fernsehreporter; ebd. 19. 2. 2005 Der Inhaber eines kleinen türkischen Lebensmittelladens grüßte mich lange Zeit mit dem Verwandtschaftsgrad „Onkel", schwenkte dann irgendwann und ohne weitere Erläuterung um auf „Bruder" und beim jüngsten Erwerb von Datteln, Ayran und Knoblauchwurst nannte er mich „lieber Bürgermeister". gradual: Malier 1820 Restauration Erbfolgc.
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Grad 2d: Paracelsus 1530 W. l 8,216 wie mügen disc alten schuler, apotcker und ander, die mit der zeit in die arznei komen und den gradum erlangen, wol ston und wol gegrünt sein?; 1536 (Urk. Tübingen 188) Item das die so in Theologia gradum ncmen wollen; Rivius 1548 Vitruv. 189a In disem gemeltem baw erlüstigten sich auch vnterweilen die Fürsten . . zuzuschawen solchen künen Ritterlichem vnd Männlichem spil der Athleten/ deßgleichen auch zu hören die scharpffen disputation der Gelerten/ in mancherley alter vnd grad/ vnd auch in mancherley kunst vnnd disciplin vnd profession; Rot 1571 Diet. 314 Er hat schon ein grad vberkomen/ Er ist Baccalarius, Magister etc. worden; Rivius 1575 Vitruv. 15a daher dann die grad der ehren, es sei magister, licentiat oder doctor, jren Ursprung haben (DWB); Theobald 1609 Hussitenkrieg 14 weil die Böhmen gering an der anzahl gewesen/ so an ändern orten gcstudiret/ vnnd gradum Magisterij erlanget; Guarinonius 1610 Greuel 1310 den Doctorlichen Gradum; Meyfart 1636 V. d. Hochschulen 27 sie wollen diesen oder jenen EhrenGrad auf ändern Universitäten sich annehmen; Lassenius 1661 Tischreden 115 dass sie [Adlige] auf Academien die gradus und Titulos Academicos angenommen; Happel 1690 Roman 97 Es wird niemals dafür gehalten, dass ein Student aus Hoffart den akademischen Gradum suche; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 581 Er suchet eine närrische Ehre darinnen/ . . daß er eines Handwercks-Manns Wittwe heyrathet/ und vermitelst ihres Gelde(s) den Gradum Academicum erkauffet; Wächtler 1709 Manual 147 er hat einen gradum angenommen/ i. er ist Doctor, Licentiat, Magister etc.; Walther 1732 Musical. Lex. 9 nachdem er den gradum eines Magistri erhalten; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 51 kamen auch die sogenannten Gra-
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dus academici auf, nemlich eines Baccalaurei, Magistri, Licentiati und Doctoris; Goethe 1808 Faust I (WA I 14,126) Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:/ Er ist ein Mann von vielen Graden,/ Der manchen guten Schluck gethan; Ranke 1867 S. W. 5 sie erklärten es für eitel und unevangelisch . . grade auf den Universitäten zu empfangen (DWB); Leitner 1880 Novellen 223 Ich hatte an der Hochschule der Residenz den Gradum genommen; Fontäne 1882 Spreeland (NA XII 47) Bald danach empfing er den Grad eines Doktors beider Rechte (DiBi 125); Kaufmann 1888 Gesch. d. dtsch. Univ. U 301 Die Grade der Artistenfakultät]; Welt 13. 12. 1954 es soll u.a. erreicht werden, daß ein im ändern Land erworbener akademischer Titel und Grad sowie dort abgelegte Prüfungen im eigenen Land als gleichwertig anerkannt werden; Zeit 13. 1. 1995 Deutsche und spanische Hochschüler können ab sofort problemloser im jeweils anderen Land studieren. Nach einem jetzt unterzeichneten Abkommen werden ihre Studienzeiten und die dabei erworbenen akademischen Grade in beiden Staaten in vollem Umfang anerkannt; Presse 22. 7. 1995 Alle anderen Studien an österreichischen Universitäten schließen mit dem akademischen Grad Magister oder dem Diplom ab; taz 7.11.1998 Ab dem Wintersemester 1999/2000 sollen dann 30 „besonders qualifizierte" ausländische Studierende mit dem Bachelor-Grad — nach „strengen Maßstäbcn" ausgewählt — in den Genuß von fünf interdisziplinären Studienprogrammen kommen; Berl. Ztg. 14. 8. 2004 Qualifizierte Absolventen . . werden . . an der englischen Hochschule bevorzugt zugelassen und können dort nach nur zwei weiteren Semestern den Master-Grad erwerben. gradieren: Egranus 1522 Ungedr. Predigten 127 also promovirtt sie der her doctores und magistros, gradirtt sie, uff das sie gehen sollen in die gantze werldtt (DWB); 1736 Karlsbad 23 gradirte, auch wohl cxperimentirte . . Herren Doctores und Medici; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 51 einer unendlichen Menge von Pedanten und halbgelehrtcn Stümpern . ., die sich, sobald sie gradiert sind, für Meister halten; Blumauer 1784—94 Virgils Aeneis (l 107) Gradirte Köpf. -gradual: Presse 13. 1. 1995 postgraduale Weiterbildung ist möglich für Wirtschaftswissenschaftler, Mathematiker, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Juristen; Salzb. Nachr. 17. 11. 1997 Das Management Center Innsbruck . . bietet graduale, non-graduale und post-graduale Programme auf höchstem Niveau; Berl. Ztg. 10. 2. 2004 Die 48Jährige studierte Wirtschaftswissenschaften in Leningrad und Moskau und absolvierte nach der Un-
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Grad
abhängigkeit ihres Landes ein posrgraduales Studium in Washington zu außenpolitischen Fragen; taz 26. 3. 2005 Das Studium Tourismus- und Freizeitmedizin bietet eine maßgeschneiderte postgraduale Ausbildung für Ärzte. graduieren: 1393 (Heidelberger Urkundenb. l 56) meister und doctores und ander garduirten; Niclas v. Wyle 1478 Transl. 353 die gelerten vnnd graduwierten mag man ziehen in yetwedern stände nach dem vnd sy sint weltlich oder gaistlich; Mengering 1642 Gewissensrüge 1169 Hierzu sollten sich aber hochgraduirte Theologi nicht verstehen; Lassenius 1661 Tischreden 92 gelahrte, oder hochgraduirte Personen; Francisci 1672 Histor. Rauchfaß I 1051 Bey jedwedem Altar stehn die Doctores (denn/ von den Graduirten werden daselbst die fürnehmste Aembter bedient); Abr. a S. Clara 1686 Judas 844 Es werden bald müssen die Schneider eine hohe Schul aufrichten, auf der sie Doctormäßig graduiren; Wächtler 1709 Manual 147 er hat einen gradum angenommen/ i. er ist Doctor . . dahero: er ist eine graduirte Person; Sperander 1727 A la ModeSprach 281 Graduirte Personen, heisset man insgemein diejenigen, so die Ehren-Gradus auf Universitäten erlangen; Ramler 1766 Lieder 250 der graduirte Mann; Laukhard 1792 Leben 195 ein graduirter Mann . . müsste mehr Decenz in sein Benehmen zu bringen suchen; Heynatz 1797 Antibarbarus 71 graduiren . . In der Bedeutung zu einem akademischen Ehrengrade erheben . . kömmt . . so leicht nicht vor, ob man gleich graduirte Person sagt; Athenstadt 1823 Eur. I 289 eine ganze Fakultät graduirter Docenten der Staatslehre; Riehl 1848 Lebensrätsel 183 ein graduierter Doktor; Derblich 1889 Militärarzt I 15 Mit allen „graduirten" . . Militärärzten; Kaufmann 1896 Gesch. d. dt. Univ. II 276 Die Verleihung der Grade bildete die wichtigste Handlung der Fakultäten, zumal die Graduierten nicht bloß Rechte an der Universität .. gewannen; Peters 1900 Arzt 34 Im Jahre 1456 graduierte sie jedoch einen Doktor der Chirurgie; Zweig 1947 Welt v. gestern 116 „satisfaktionsfähig" wiederum war . . nur ein akademisch gebildeter und graduierter oder ein offizier (DWB); Stuttgarter Ztg. 14. 2.1966 Am Wochenende hat zum ersten Mal in der Geschichte der Staatlichen Ingenieurschule . . deren Direktor . . 162 Absolventen die Urkunde zur Führung des Titels „Ingenieur (grad.)" ausgehändigt; FAZ 14. 3. 1970 die „graduierten" Studenten; ebd. 29. 7. 1970 das Graduierten-Studium voll zu integrieren; ebd. 17. 5. 1971 Länder wollen weniger für Graduierte zahlen . . Der Bundesrat hat jetzt zu dem Regierungsentwurf für ein Graduierten-Förderungsgesetz den Wunsch angemeldet; Zeit 14. 3. 1986 Das Studium ist konzipiert als „Postgraduierten-Studium" für
junge Architekten, die ein Fachstudium oder entsprechende Voraussetzungen vorweisen können; 1989 Brockhaus IX 37 grad., Abk. für graduiert; zeitweise ein akadem. Grad, der in Verbindung mit einer näheren Bez. der Fachrichtung seit 1964 von Absolventen der . . Ingenieurschulen bzw. Fachhochschulen . . erworben wurde. Heute durch den Diplomtitel abgelöst; ebd. IX 41 Graduiertenkolleg, . . als Modellversuch eingerichtetes Doktorandenprogramm; taz 5. 1. 1993 Die 52-jährige graduierte Sozialwirtin will und soll sich für eine stärkere Berücksichtigung von Frauen bei der Besetzung von Stellen im NDR einsetzen; ebd. 14. 6. 1993 jene postgraduierten „Twentysomethings", die den Pflichteneintopf eines 9-to-5-Jobs umgehen, um im besten Falle kreativ herumzuhängen; Mannh. Morgen 12. 5. 2000 die 35-köpfige Darmstädter Künstlergruppe um die Malerin und graduierte Designerin Eva Dahmen-Schmitt; Zeit 24. 4. 2003 Deutsche Graduierte werden mit dem brisanten Vorhaben leicht zu locken sein. Und die vietnamesischen sind sowieso genügsam: Sie wollen unbedingt von einem deutschen Professor „entdeckt" werden; Berl. Ztg. 26. 1. 2004 „Wir gehören, denke ich, in die Gruppe der Spitzenuniversitäten in Deutschland. Wir haben die meisten Graduiertenkollegs, die meisten Nachwuchsgruppen der DFG und Volkswagenstiftung, die meisten Juniorprofessoren"; taz 5. 2. 2005 Graduierte werden Gründer. Die TU Berlin will Studierende, Absolventen und wissenschaftliche Mitarbeiter mit einer Gründerinitiative fit für die Selbstständigkeit machen. Graduierung: Mommsen 1876 Reden 406 Jeder erfahrene akademische Lehrer wird es bestätigen, daß bei persönlicher Stellung zum Examen der eigentlich infame Missbrauch der akademischen Graduierung nicht eintritt; Offenb. Tagebl. 1.10.1965 Das Problem der rückwirkenden Graduierung von Ingenieuren; Süddtsch. Ztg. 4.3.1970 Die Graduierungsrechte für die Lehrerbildungsinstitutionen (Diplom, Promotion, Habilitation) können . . noch in dieser Legislaturperiode erreicht werden. Grad 2e: Harsdörffer 1656 D. teutsche Secretarius I 1,58 Hiergegen aber hat es in etlichen Städten Pfleger/ Haubtmann/ Burggrafen/ Burgermeister/ Ambtpfleger . . darzu vornemlich die qualificirten Personen aus dem Raht erkohren werden/ derselben Grad und Ambt wird auch darinnen [in Überschriften und Briefanreden] vermeldet und mit begriffen; Fleming 1726 Soldat 185 Nachdem unter denen Krieges-Officierern unterschiedne Grade sind, so versteht sichs, daß sie insonderheit die Ordre desjenigen, dem das General-Commando zustehet, zu respectiren haben; Sperander 1727 A la
Grad Mode-Sprach 281 Gradus heist auch . . der Unterschied der Aemter; Göchhausen 1741 Notabilia venatoris 303 die [Oberforst- und Forstmeister] stehen, wenn sie zumahl bey hofe den caractere als cammer-juncker haben, ihrer Jagd- und forst-verrichtungen halber in gleichem grade (DWB); Goethe 1797 Br. (WA III 2,89) eine Gesellschaft österreichischer Officiere, . . gewöhnliche Gäste, unterhielten sich heiter und in ihren verschiedenen Verhältnissen des Alters und der Grade ganz artig; E. T. A. Hoffmann 1815-16 Elixiere (Poet. W. U 187) Francesko sollte sich im Dienst eines fremden Hofes zu einem hohen militärischen Grad aufschwingen (DiBi 125); Pückler-Muskau 1830 Br. e. Verstorbenen IV 217 Ein alter General von 80 Jahren, der bei Tisch mein Nachbar war, unterhielt mich sehr gut. Er . . hatte lange in Indien commandirt und war jetzt, was man bei uns General der Infanterie nennt, der nächste Grad am Feldmarschall (DiBi 125); Arndt 1858 Wanderungen 174 Ich weiß nicht, wie hohen Grad Scheffner da als Offizier gewonnen hat; später hat er in Königsberg bei der Kriegs- und Domänenkammer als Kriegsrat gestanden (DiBi 125); Ranke 1867 S. W. IV 4 die repräsentanten sollen das recht haben, .. beamte aller grade anzustellen (DWB); Wörishöffer 1877 Schiffsjunge 467 „Welchen Grad haben Sie in der Handelsmarine erreicht?" — „Ich bin Leichtmatrose, Herr." (DiBi 125); 1884 Brockhaus VIII 264 Gradsterne gehören zu den Gradabzeichen . . in der deutschen und der österr.-ungar. Armee. In der deutschen Armee trägt der General der Infanterie und der Kavallerie . . zwei Sterne auf den Epauletten; Bleibtreu 1888 Weltgericht 58 Mir ist der Bonaparte bekannt. Er bekleidet den Grad eines Brigadegenerals von der Artillerie (DiBi 125); Treitschke 1897 Dtsch. Gesch. I 294 in den unteren graden bis zum hauptmann erfolgte das aufrücken in der regel nach dem dienstalter (DWB); Tucholsky 1926 Ges. W. IV 390 nicht, daß ein höherer Grad den Offizier aus der Sphäre der Soldaten heraushob und einen Verwaltungsbeamten aus ihm machte: der Sinn des staatlichen Krieges selbst wird von uns verneint (DiBi 125); Welt 2. 1. 1954 Die meisten Heimkehrer sind frühere Wehrmachtangehörige aller Dienstgrade, ausgenommen Generale; Heym 1988 Nachruf 401 wo es Verhandlungen zu führen gilt auf höherer Ebene und Aufgaben zu lösen, für deren Erledigung einer im Mannschaftsgrad, und trage er noch so viele Streifen am Ärmel, einfach nicht genug Gewicht hat; St. Galler Tagbl. 12. 9. 1997 schickte ihn die St. Galler Regierung an die Offiziersschule in Thun. Beinahe ebenso rasch durchlief er die Grade bis zum Rang eines Oberstleutnants; taz 2. 5. 2003 Bezeichnend für die Hürden seien Diskussionen wie die um weibliche Diensrgradbezeichnungen wie „Ober-
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leutnantin"; ebd. 18. 8. 2004 In den nächsten zwei Wochen will sich der Minister einen Überblick über den Stand der Bundeswehrreform verschaffen. Er will dabei mit Soldaten aller Dienstgrade und zivilen Mitarbeitern Gespräche führen; ebd. 1. 2. 2005 Die Brandbekämpfer stecken im Beförderungsstau. Dutzende Wuppertaler Beamte arbeiten derzeit nicht in dem Dienstgrad, der ihnen laut Beamtenstatut zusteht. Es geht um bares Geld. Grad 2f: Goethe 1781 Br. (WA IV 5,102) Sollte es möglich seyn mich gelegentlich bis zu dem Meistergrade hinauf zu führen, so würde ich's danckbarlichst erkennen. Die Bemühungen, die ich mir bisher in nüzlichen Ordenskenntnissen gegeben, haben mich vielleicht nicht ganz eines solchen Grades unwürdig gelassen; ders. 1792 Großkophta (BA VI19) Ich brenne vor Begierde, besonders seitdem du mich in den zweiten Grad der Geheimnisse erhoben hast. Oh! daß es möglich wäre, daß du mir auch sogleich den dritten schenktest! (DiBi 125); Görres 1819 Teutschland 31 Man trug sich dort [Preußen] seit längerer Zeit mit der Existenz eines geheimen Bundes, der Tugendbund genannt . . Dieser Bund sollte aus verschiednen durch Zeichen, Attribute, Pflichten und Befugnisse voreinander ausgezeichneten Graden bestehen; Immermann 1836 Epigonen (W. II 123) Wilhelmi nahm einige Zeremonien vor, die wir unbeschrieben lassen. Dann umarmte er den Neophyten, und rief: „So nehme ich dich denn auf, mein Bruder, in den neuen Grad, den ich hiemit stifte!" (DiBi 125); Gutzkow 1850-51 Ritter v. Geiste 163 Im Reubund zeigt sich schon die Ahnung dieses neuen Evangeliums. Man hat seine Logen, seinen ersten und zweiten Grad, es gibt Brüder, es gibt Schwestern, es gibt Erkennungszeichen, verstohlene Handgriffe, geheime Einweihungen (DiBi 125); Goedsche 1855-57 Sebastopol IV 375 Ich habe das Recht, wie Sie selbst zugestehen, alle Thätigkeit aufzugeben und ein Wissender zu bleiben, da der Grad, den ich eingenommen, nicht mehr gestattet, mich ganz aus der Gemeinschaft des Bundes zu entlassen (DiBi 125); Seidel 1938 Lennacker 492 ärgerlich war ihm das gewesen, . . daß der baron Bastian unverzüglich wie einen mitverschworenen gefragt hatte, welchem grade [der Freimaurerei] er angehörte (DWB); 1993 FAZ o. Nr. Das reicht jetzt nicht mehr. Jetzt muß alles mit Priestergewändern, Einweihungsgraden, Geheimorden, Probezeiten für Novizen, Priesterintrigen, Hierarchiestufen, Exkommunikationen und so weiter zusammenhängen; Berl. Ztg. 7. 7. 1998 Wie bei den anderen Selbstverteidigungsarten gibt es auch beim Esdo Schülergrade (Kyu) und Meistergrade (Dan); Stiegnitz 2003 Religion u. Freimaurerei 20 Auch die freimaurerische Gliederung der drei Grade („Lehr-
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Grad
ling", „Geselle", „Meister") erfuhren die Freimaurer . . aus der 'Regula Benedict!'; Eerl. Ztg. 18. 8. 2005 Die Kosten für die Einweihungen sind von Lehrer zu Lehrer unterschiedlich. Durchschnittlich sind um die 150 Euro für den ersten Grad zu zahlen, 250 Euro für den zweiten Grad, 350 Euro für den Meistergrad und 500 bis 800 Euro für den Lehrergrad. Grad 3a: um 1300 Meinauer Naturlehre 13 dirre zodiacus ist zerteilit in zwelfin, unde ieglich zeichen ist geteilit in drizic stucke, und ieglich stucke heizit ein gradus, daz ist ein Staffel . . so du wellest wissen . . in welhelme gradu die sunne sie; Konrad v. Megenberg vor 1374 Dtsch. Sphaera 14,18 wanne an dez himels ümbkraizz sint dreihundert und sehzig grad oder klain stückke; und der iclichem gebent si sibenhundert rest (DWB); ebd. 18, 28 ein iegleich [Tierkreis-Jzeichen wirt getaut in dreiszig stukke und die haizzen grad. vnd da von sind in dem tyrkraizze drei hundert und sehtzig grad (DWB); Königshofen 1400-1415 Chronik 276 du rufte er zu gotte also sere, daz er ime das leben 15 jor erlengerte, und gap ime dez ein Wortzeichen, daz die sunne an dem hymel hynder sich ging 15 gradus; um 1450 Algorismus Rat. 72 so mustu vor wissen, in welichen zaichen vnd grad sy [Planeten] sein . . grad oder minuten; Dürer 1525 Messung J4b such zuo dem ersten . . wie hoch der polus ob dem erdrich erhaben sey, also zuo Nueremberg ist sein hoech neun vnd viertzig grad (DWB); Nas 1570 Antipap. 52b im 26. grad des schützen, fängt sich das fünfft hausz an (DWB); Rot 1571 Diet. 314 Die Astrologi haben auch abtheylung inn jhrer Kunst/welche sie gradus heyssen; Thurneysser 1583 Magna Alchymia 12 dass die gestirn . . 15 grad vber dem aequinoctial . . sich erheben (DWB); Stumpf 1606 Schweizerchron. 129b den 9. november hat man im ersten grad dess Steinbocks den gar grossen . . cometen gesehen (DWB); Schnabel 1731-43 Wunderl. Fata U 36 Folgendes Tages etwa zwey Stunden vorher, ehe die Sonne ihren allerhöchsten Grad über unserer Insel erreicht, versammleten sich alle Einwohner (DiBi 125); Schubert 1823 Verm. Sehr. I 72 in der Zwischenzeit war die sonne . . am 6. april vor dem Saturn im sieben und siebenzehnten grade des widders, vorübergegangen (DWB). Grad 3b: um 1490 Dtsch. Ptolemäus blv welche ynsul meroe ligt zwischen dem driten vnd vierden paralell vnd yn dem 60 meridian mit einem halben, vnd . . stet von dem Equinoxial 16 grad nach der breyt; Brant 1494 Narrenschiff 166 Ptolomeus rechnet vß mit gradt/ Was leng vnd breyt das ertrich hatt/ Die leng zücht er von oryent/ Vnd endt die selb jnn Occident/ Das hundert/ achtzig grad er
acht/ Sechtzig vnd dryg/ gen mitternacht (DiBi 125); Franck 1576 Weltb. 230a nach rechter kunst oder grundt geometric oder cosmographie, ist es [Amerika] der vierdte theil der welt, bey fünfftzig grad vber die linien equinoctialem gelegen (DWB); Riese 1581 Rechenb. 76b ein grad desselbigen circkels 15. teutscher meil in sich habe (DWB); Lorini 1616 Fortification (Übers.) 49 lernen sie nicht allein die Winde/ vnd derselbigen Vnterschied/ sondern auch die Höhen der Graduum, in welchen ein jedes Vier oder Portus ligt/ erkennen; Mengering 1661 Gewissensrecht 57 in gleicher Länge der graden etliche Ort; Grimmeishausen 1669 Continuatio 113 wo und unter welchem gradu diese insul gelegen (DWB); Hoffmann 1680 Ostind. Voyage 13 Diese Insulen .. liegen auf 28. ä 29. Graden Polus Höhe/ und 358 a 359. Graden Poli Länge; Zigler und Kliphausen 1689 (ND 1707) Asiat. Banise 358 Die neue [Stadt Pegu] aber, welche auch wegen des kaiserlichen Sitzes die vornehmste ist, lieget an einem der allerlustigsten Orte, unter dem sechzehnten Grad, und zwar gegen Mitternacht (DiBi 125); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 281 Gradus ist ein gewisser Theil des Aequatoris, und machet jeder Grad 15. teutsche Meilen. Gradus longitudinis, ist auf der Erd-Kugel ein Antheil Erde zwischen zweyen Meridianis. Gradus latitudinis, ist ein Antheil Erde auf der Erd-Kugel zwischen zweyen Parallelis; Eggers 1757 Kriegs-Lex. H 107 wenn [die Magnetnadel] an gewissen Orten von der Polar-Direction abweicht, und um etliche Gradus östlicher oder westlicher weiset; Bürger 1786 Münchhausen 146 Da wir unter einen ziemlich hohen Grad nördlicher Breite gekommen waren, nahm ich mein Teleskop . . und betrachtete die Gegenstände, die ich nun um mich hatte (DiBi 125); Jean Paul 1796-97 Blumenstücke (W. / 2,78 Fußn.) An der Küste des nordwestlichen Amerika vom 50. bis 60. Grad nördlicher Breite tragen die Weiber in der durchlöcherten Unterlippe hölzerne Suppenlöffel (DiBi 125); Mörike 1836 Schatz (S. W. I 431) „möchte nur gelegentlich sehen, wie weit es noch bis an den Pas de Calais ist, und unter welchem Grad der Länge und Breite ich bin." (DiBi 125); Forster 1843 (S. Sehr. I 16) etliche inseln im 25sten und 28sten grad der breite (DWB); Bobrik 1848 Handb. f. Seefahrtskunde U 1444 die Meereslänge oder die geographische Länge zur See bis auf einen Grad genau zu bestimmen; Pocci 1859 Lust. Komödienbüchl. 46 nun lebe ich schon ein jähr auf dieser einsamen insel unter dem achtundvierzigsten grade südlicher breite (DWB); Wörishöffer 1877 Schiffsjunge 211 Es war ganz klare, heitere Luft, natürlich unter schneidender Kälte, da man sich dem 75. Grad nördlicher Breite nahe befand (DiBi 125); 1884 Brockhaus VIII 265 Gradnetz, Entwurf der Längen- und Breitenkreise auf
Grad der ebenen Fläche eines Landkartenblatts, um danach die einzelnen Teile der Erdoberfläche nach ihrer geogr. Lage einzeichnen zu können; Meyrink 1913 Wunderhorn (Ges. W. 7V 2,29) Nö, beim 63. Grad unter Kap Hörn durch die tobende See ßtürmen. Junge, Minsch, was 'n Spaaß! (DiBi 125); 1930 Wachstum 61 Gradnetz-Linien; I960 West feste III 79 Die . . Demarkationslinie zwischen den Machtbereichen beider Nationen sollte 370 spanische Meilen westlich der Kapverdischen Inseln verlaufen. Das entspricht nach unserer heutigen Gradeinteilung etwa 49 Grad westlicher Länge. . . der Staat Brasilien . . greift heute aber weit über den 49. Längengrad nach Westen aus; taz 8.1.1993 Der Irak habe das Recht, Waffen zu seiner Verteidigung im ganzen Land zu stationieren, erklärte Asis. Im übrigen erkenne Bagdad die Flugverbotszone südlich des 32. Breitengrads nicht an; Berl. Zig. 8. 5. 1998 Die unterlegten Längen- und Breitengrade sind nicht nur Orientierung für die Steuermänner und -frauen am Spieltisch, die Kästchen stellen Zugfelder dar. Jeder Spieler ist Schiffseigentümer und nimmt von Tonga Bonga Kurs auf Palmoa; taz 18.1.2000 Unsere Breitengrade bieten einfach keine befriedigenden Äquivalente zu Kaffee, Tee, Kakao, Schokolade oder auch Bananen, die bei uns alltäglich auf dem Tisch landen. Grad 3c: um 1490 Dtsch. Ptolemäus b2r Zuuorston aber was eyn grad sey ist zumerken so ein zirkel geteilt wirf yn 360 teyl derselben teil eins ist ein grad. ein grad aber geteilt yn 60 teyl der teil eins ist ein minut; Fronsperger 1578 Kriegssbuch da solchen runden Bogen oder Zirckel Theil in etliche gleiche Theil herumb ausz, als in sechs, acht, zehen oder zwölff, etc. vnd verzeichne das eigentlich, die werden als dann Grad genannt; Lorini 1616 Fortification (Übers.) 49 [der Artillerist muss erkennen,] wie weit sein Stück tragen kan/ in seinen vnterschiedlichen Visieren: Wie vil ein jede Erhöhung von Grad zu Grad biß auff die höchste den Schuß erlange; Schwenter 1625 Geom. Pract. l 143 einen bogen von 36 '/2 Grad; Steiner 1682 Kriegs-Batt-Kunst 5 gleiche Theil [eines Kreises], welche Theil von den Lateinern Gradus, das ist Staffel, genennt werden; Pirckenstein 1694 TeutschRedender Euclides 6 Den Umbkreiß eines gantzen Circkels pflegen die Mathematici in 360 gleiche Theile einzutheilen, welche sie hernach Gradus nennen. Einen Grad abtheilen sie wiederumb in 60 Theil oder Minuten, und eine Minute in 60 Sekunden; Hübner 1732 Curieuses Lex. 869 grad wird viel von den astronomis, geographis, geometris, und ändern mathematicis gebraucht, es ist der 360ste theil von iedweden circkel, und wird wiederum in 60. minuten, gleich wie eine minute in 60. secunden . . eingeteilt (DWB); Zedler 1735
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Universallex. XI 485 Demnach haben sie die gantze Peripherie eines Circels in 360. Theile getheilet, und deren jeden einen Grad genennet, daß also auf den halben Circel 180, auf den ViertheilCircel 90, und auf den sechsten Theil desselben 60. Grad gekommen sind; Sturm 1737 Wahre Vauban 44 Damit man die Winckel nach ihrer Grosse genau unterscheiden möge, so sind alle Mathematici einig worden um den Punct des Winckels, als um das Centrum (den Mittel-Punct) einen Circul zu ziehen und in 360. Theile einzutheilen, deren jeglicher ein Grad genennet wird. Und die Grade, welche sich zwischen diesem Winckel finden, bestimmen auch seine Grosse . . Der rechte Winckel ist also derjenige, welcher eben 90. Grade hat; Wolff 1747 Math. Lex. 600 wenn man in der geometric aus der spitze des winkels, als aus einem centro nach gefallen einen bogen beschreibet, so deutet die anzahl der grade, so viel derer auf dieses bogenstücke gehen, die grösse des winkels an (DWB); Tieck 1795-96 Lebrecht (W. I 85) Mein Kopf sank um volle dreißig Grad auf meine Brust hinab, meine Atquis und Ergos kamen mir nicht mehr halb so respektabel vor, und daß ich Verse machte, hatte ich rein vergessen (DiBi 125); Heine 1824 Harzreise (W. u. Br. Hl 44) Endlich öffnete sich meine Tür, und langsam trat herein der verstorbene Doktor Saul Ascher . . Er sah aus wie sonst, derselbe transzendentalgraue Leibrock, dieselben abstrakten Beine und dasselbe mathematische Gesicht; . . auch der Mund, der sonst zwei Winkel von 22.'/2 Grad bildete, war zusammengekniffen, und die Augenkreise hatten einen größern Radius (DiBi 125); 1844 Brockhaus VI 315 In der Mathematik wird der Umfang jedes Kreises in 360 Grade eingetheilt. Die absolute Größe eines Grades aber hängt von der Größe des Halbmessers ab und kann also nur in Beziehung auf diesen bestimmt werden; Karmarsch-Heeren 1876 Techn. Wb. H 739 der grad der neigung [von Gesteinsschichten] . . wird mittelst des lothes bestimmt (DWB); Scheerbart 1913 Leabendio (Dicht. Hauptw. 639) Und bald stand auch das fünfte Stockwerk hoch oben unter einem Winkel von fünfundvierzig Grad (DiBi 125); taz 8. 5. 1990 Die Straße war feucht, zum Ausweichen zu wenig Zeit. Kurz auf die Bremse, dann kracht's. Die schwere Limousine wird um 180 Grad herumgeschleudert; Presse 12.5.1995 Deshalb entsteht nun da und dort der Eindruck, als hätte die SPÖ erst jetzt ihre Strategie gegen Haider um 180 Grad geändert: von Nicht-einmal-Ignorieren zu Frontal-Angreifen. Doch dieser Wechsel in der Taktik wurde vor mindestens sieben Monaten vollzogen; Kleine Ztg. 23. 9. 1997 Für den erfahrenen Alpinisten schien der 50 Zentimeter breite Steig im 30 Grad steilen Gelände kein Problem darzustellen; Berl. Ztg. 20.11. 2004 Die schwarze
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Grad
Piste ist mit 42 Grad Gefalle die steilste Thüringens; tat 25. l. 2005 Derzeit wird erwogen, Zebrastreifen um 90 Grad zu drehen. PKW würden dann eher anhalten. Gradient: Halber 1889 Kulturgesch. 278 Gradienten; 1933 Verd. techn. Fremdwörter o. S. Gradiente Neigungslinie; 2936 Luftwissen 232 Gradientwind; Flobn 1942 Witterung 66 Gradientwind, geostrophischer Wind; 1966 Urania XI 67 Eine Konvektion der Kammerflüssigkeit und die Entstehung eines spürbaren Temperaturgradienten sind zu vermeiden; Mannh. Morgen 14.2.1986 dieses Prinzip läßt sich verwirklichen, indem man dem homogenen Magnetfeld, das die Atomkerne ausrichtet, zusätzlich sogenannte Gradienten-Felder überlagert, deren Stärke jeweils in einer Raumrichtung mit einem bestimmten Gefalle — einem „Gradienten" — sinkt beziehungsweise steigt; 1989 Brockhaus IX 39 .. 1) Gefalle oder Anstieg einer Größe auf einer bestimmten Strecke, z. B. Temperatur-, Druck-, Dichte-G.; auch das Gefalle einer bestimmten Tendenz . . Beim G[radientwind] stehen die gleichen Kräfte im Gleichgewicht wie beim zyklostroph. Wind; Zeit 17.10. 1997 Der soziale Gradient ist offenbar mit biochemischen Vorgängen verknüpft. Die Ausschüttung von Streßhormonen spiele eine bedeutende Rolle bei Herz-Kreislauferkrankungen, vermutet Johannes Siegrist. Daß der Körper mit biochemischen Signalen auf finanzielle Not und soziale Belastung reagiert, glauben Forscher mit einer Reihe von Studien belegt zu haben; Presse 2. 12. 2000 Die Versöhnung Frankreich — Deutschland sei nur möglich gewesen, weil die Franzosen den Kulturgradienten-Begriff überwunden hätten. Grad 3d: um 1400 Geometria Culmensis 35 vnde yst yclyche syte des geczewes [Messinstruments] in 60 gradus geteilt (SCHIRMER, Mathematik); Furttenbach 1627 Halinitro-Pyrobolia 49 ein sehr fleissiges Instrument/ nit nach dem Schuch/ sonder nach wol Fundierter Astronomischer Art in seine Gradi getheylt; Andersen 1669 Orient-Reisebeschr. 189 Unser Schiffer ließ . . ins Schiffboth legen 2 Rollen Leinewand, einen Compas, einen Gradbogen, ein See-Kartenbuch (KLUGE, Seemannssprache); Lohenstein 1680 Cleopatra 201 Fußn. In dem unvergleichlichen Grabe des Königs Simandes an der See Maris war eines der fürnehmsten Wunder/ ein güldener Zirckel oder Ring/ der Simandes Grab umbgab/ dreyhundert fünff und sechzig Ellen weit war/ die Tage des Jahres/ der Sterne Auf- und Niedergang/ wie auch der Sternseher Mahlzeiten angezeigte/ Jede Staffel oder Grad war eine Elle oder vier Füsse breit/ lang und dicke (Dißi 125); Günther 1715-19 Gedichte (S. W. II 39) Warthe
doch noch, liebster Tod, da ich mich zur Seiten wende,/ Las den Schatten an dem Zeiger einen Grad zurücke gehn/ Und die Sonne meines Lebens nur noch etwas stille stehn (DiBi 125); Vogel 1716 Reisebeschr. 90 Die Steur-Leuthe bemüheten sich . . täglich des Mittags durch ihre Grad-Bogen des Polus Höhe zu erlangen (KLUGE, Seemannssprache); ]ung-Stilling 1778 Jünglings-]ahre 122 er hatte auf der Schule, deren Fenster eins gerade gegen Mittag stund, oben unter der Decke mit schwarzer Oelfarbe eine Sonnenuhr gemahlt, so groß als die Decke war, in dieselbe hatte er die zwölf himmlische Zeichen genau eingetragen, und jedes in seine dreißig Grad eingetheilet (DiBi 125); Schwan 1783 Nouv. Diet. I 782a der Wärmemesser ist bis zum dreisigsten grad gestiegen (DWB); Forster 1789 Cook (W. II 136) Es war der Sommer, den wir in dieser beeisten Weltgegend verlebten; aber ein Sommer, wo es als eine Seltenheit angezeichnet ward, wenn das Thermometer einen Grad über dem Gefrierpunkte stand! (DiBi 125); Jean Paul 1793 Loge 314 Nun fället also auf allen nächsten Blättern das Wetterglas von einem Grad zum ändern, eh' der gedrohte Sturmwind emporfährt (DiBi 125); Heynatz 1797 Antibarbarus 70 der Gradbogen wird von dem Herausgeber von Wolfs Reise nach Zeilan für Astrolabium vorgeschlagen . . Adelung . . giebt Astrolabium durch Winkelmesser, und unterscheidet es also von Gradbogen; Campe 1808 DWB II 438 Ferner nennt man auch die beliebigen Theile, in welche man manche Längenmaße und gerade und krumme Linien eintheilt, Grade. So bestimmt man den Stand des Quecksilbers und der empfindlichen Flüssigkeiten in den Wettergläsern nach Graden, indem man von einem Paare fester Punkte, den Gefrier- und Siedpunkt, zu zählen anfängt. . . Gradmesser . . ein Werkzeug den Grad der innern Stärke einer Sache, eines Zustandes etc. zu messen; £. T. A. Hoffmann 1814 Fantasiestücke (Poet. W. I 171) O sei so gut, nenne mir doch den, der als Prototypus der Menschheit überhaupt zum Verstandesmesser aufgestellt werden und dann nach der Thermometerskala seines Kopfes genau bestimmen soll, auf welchem Grad der Verstand des Patienten, oder ob er vielleicht gar über oder unter der ganzen Skala steht! (DiBi 125); Helfft 1836 Wb. d. Landbaukunst 159 gradmesser oder transporteur. ein Werkzeug zum messen des bogens, welcher die große eines winkels bestimmt (DWB); Büchner vor 1837 (Nachgel. Sehr. 72) der guillotinenthermometer darf nicht fallen; noch wenige grade, und der wohlfahrts-ausschuß kann sich sein bett auf dem revolutionsplatz suchen (DWB); Kohl 1841 Petersburg I 98 Wenn es heißt: „das Thermometer ist auf 20 Grad hinabgesunken", dann spitzt man die Ohren, beobachtet den Wärmemesser und zählt die Grade; Bobrik
Grad 1848 Handb. f. Seefahrtskunde I 350 Man hängt die Nadel an einem umgedrehten seidenen Faden auf . . Sie spielt in einem Glaskästchen, und trägt an ihren beiden Enden dünne Silberstreifen als Gradbogen in Minuten eingetheilt; Alten 1909 Handb. f. Heer u. Flotte IV 333 gradmesser . . dient als hilfsinstrument . . bei vermessungsarbeiten (DWB). graduieren: Lorini 1616 Fortification (Übers.) 49 er muß auch seinen Anfang an dem Compaß oder Quadrant .. machen/dass er die Theil/damit dieselbige graduirt vnd abgetheilet/wol erkennen; Heynatz 1797 Antibarbarus 71 graduiren heißt (in der Landkartenkunst) mit Graden versehen; Prechtl 1830 Techn. Enc. VI 551 meßgefäße zu physikalischen, chemischen und technischen zwecken in gleiche theile . . zu theilen (zu graduiren) (DWB); Liebig 1843 Handb. d. Chemie o. S. temperatur . . bei welcher dasselbe [Instrument] graduirt wurde (DWB); 1884 Brockhaus VIII 265 Graduieren . . ein in der wissenschaftlichen Sprache gebräuchlicher Ausdruck für die Herstellung und Bezeichnung stufenweise fortschreitender Einteilungen (Grade), z.B. bei Thermometern, Barometern, Quadranten usw.; 1989 Brockhaus IX 41 graduieren . . mit einer Gradierung versehen (z. B. ein Thermometer). Graduierung: 1819 Handb. d. Schiffahrtskunde 250 Graduirung oder Eintheilung des Bogens [beim Sextanten]. Grad 3e: 1792 Neues Hannover. Magazin 109 An der Inclinitionsnadel . . können nur Zehntheile von Graden beobachtet werden; v. Trebra erkannte . ., daß die Wärme der unterirdischen Regionen für jede um 150 Fuß größere Tiefe etwa einen Grad des Reaumur'schen Thermometers betrage; Kotzebue 1801 Jahr 167 Es verging kein Tag, an dem das Thermometer nicht auf 26 bis 28 Grad Reaumur stieg (DiBi 125); Borne 1831 Br. a. Paris III 303 Das Wetter hier macht einen ganz verwirrt. Im Oktober zwanzig Grad Wärme! (DiBi 125); Heine 1854 Lutetia (W. u. Br. VI 412) Ihre Gesichter sind noch rot und verschnupft, ihr Gehirn eingefroren, ihre Gedanken neun Grad unter Null (DiBi 125); Dohm 1874 Emancipation Die mit der Appretur beschäftigten Frauen arbeiten täglich 12 Stunden bei einer Temperatur von 26—40 Grad, und ihre Gesundheit wird durch die plötzlichen Uebergänge von Hitze zur Kälte untergraben (DiBi 125); Conrad 1887 Isar 69 „Schließ das Fenster, Brigitta, ich bitte Dich; ich bin ja in Hemdärmeln! Die Luft ist mir zu frisch, kaum fünfzehn Grad." (DiBi 125); Fontäne 1894 Effi Briest (Romane u. Erz. VII 34)
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Der letzte Badegast ist gestern abgereist; er badete zuletzt bei 9 Grad, und die Badewärter waren immer froh, wenn er wieder heil heraus war (DiBi 125); Ebner-Eschenbach 1915 Hofrat (Ges. W. III 434) „Heiß ist mir. Ich war in der Stadt bei der Frau Sektionsrat." — „Mußten Sie gerade heut zu ihr, bei fünfundzwanzig Grad im Schatten?" (DiBi 125); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 287) Hans Castorp, wenn er bei Tische gefragt wurde, nannte wohl ein paar Striche mehr, als er in Wahrheit [mit dem Fieberthermometer] gemessen . . Aber auch, wenn er ein wenig auftrug, blieb er immer noch, eigentlich gesprochen, eine Person von geringen Graden; Singer 1942—44 Gettotag 106 Der Prozess [Käsegerinnung] vollzieht sich in etwa 18 Stunden bei 20 Grad Wärme; Klemperer 1946 LTI 193 Dann aber liest man täglich: soundso viele wurden »liquidiert«. Liquidieren ist ein Wort der Kaufmannssprache, als Fremdwort noch um einen Grad kälter und sachlicher als seine jeweiligen deutschen Entsprechungen; 1967 Urania I 64 Minusgrade und Giraffen. Die beiden Angola-Giraffen des Berliner Tierparks schreckt ein kurzer Aufenthalt im Schnee nicht ab; Mannh. Morgen 9. 1. 1986 nicht alle Waschmaschinen [sind] gradgenau geeicht . . Sie differieren bei inländischen Produkten um 3 Grad maximal, ausländische Fabrikate können bis 10 Grad differieren; taz 28. 1.1987 Sonne, fünf Grad Kälte, Glatteis und niederschlagsfrei. . . Von Donnerstag an soll das Quecksilber bis auf minus 15 Grad fallen; Salzb. Nachr. 4. 1. 1993 Da die Anlagen weitgehend verrottet sind, kommen die Bukarester Heizwerke nicht auf die vorgeschriebene Ausgangswärme von 106 Grad Celsius. Bei 75 Grad ist Schluß, und wenn die Erdgaszufuhr nachläßt, sind es nur noch 50. Mehr als ein Drittel der Wärme geht im Leitungsnetz verloren; Tiroler Tagesztg. 8.5.1998 Anfangs der Woche hütete Robert Gardos mit 39 Grad Fieber knietief sein Bett; Kleine Ztg. 3. 8. 2000 Teig . . in eine Tortenform geben, mit halbierten Zwetschken dicht belegen und rund 35 Minuten bei 180 Grad backen; Berl. Ztg. 2. 2. 2004 Die Meteorologen erwarten tagsüber zehn Grad. Gegen Wochenmitte sollen die Temperaturen sogar auf frühlingshafte 13 bis 14 Grad steigen. Ein Rekord ist das allerdings nicht. Vor zwei Jahren wurden um diese Zeit 17 Grad gemessen; taz 29. 1.2005 Überhaupt stand die vergangene Woche im Zeichen der Erderwärmung. Am Dienstag präsentierte die Internationale Klimawandel-Task-Force ihren Abschlussbericht, in dem sie 2 Grad Erderwärmung als Obergrenze zur Verhinderung eines Klimakollapses erklärte; ebd. 18. 3. 2005 „Gefühlte 14 Grad" prognostiziert unser Wetterdienst. Tatsächlich sollen es sogar 16 Grad sein. Mit so viel Frühling muss man erstmal fertig werden.
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Grad
gradweise: taz 5.12.2002 die Temperaturen sinken weiter gradweise pro Tag. Einzelne Meteorologen geraten darüber schon in solche Euphorie, dass sie bereits weiße Weihnachten ankündigen; ebd. 9, 12.2005 Das Wetter. Die Höchsttemperatur sinkt gradweise. Gestern fünf, heute vier — wenn das so weiter geht, wirds an Weihnachten ganz schön kalt. Grad 3f: Kosegarten 1816 Gesch. seines 50. Lebens/. 120 ich werde demnach ersucht, einen tauglichen Menschen auszumitteln in meiner Gemeinde, der den Brantwein, welcher so und so viel Grad halten müsse, den Wirthen zu liefern übernehme (DiBi 125); Droste-Hülshoff 1846 Br. Ill 514 sechzehn ohm roten [Wein] . . der . . zwanzig grad zieht (DWB); Lueger 1894 Lex. d. ges. Technik IV 751 grad, im salinenwesen die in . . sole enthaltene salzmenge in loten (DWB); taz 15. 9. 1997 Die erste Pressung der nur in Sachsen vorkommenden Rebsorte Goldriesling erbrachte ein Mostgewicht von 67 Grad Oechsle; Mannh. Morgen 12. 10. 2002 Montag (14. Oktober): Riesling (aber noch keine Steillagen); Dienstag, Mittwoch und Donnerstag: Spätburgunder Weißherbst und Rotwein, sortierte Lese für Trauben mit mindestens 80 Grad Oechsle; ebd. 26. 10. 2004 Prominente Winzer ernteten gestern rund 1400 Kilogramm mit einer Durchschnittsgüte von 93 Grad Oechsle; taz 11.3. 2005 das Wasser, dessen Härtegrad durch den beständigen Raubbau fortwährend steigt, [ist] nur schwer genießbar und wird sowohl für den menschlichen Konsum als auch für die Landwirtschaft zunehmend unbrauchbar. Gradation: Salzb. Nachr. 30.11. 1991 „. . Geerntet wird bei uns ausschließlich manuell. Angestrebt werden Gradationen von mindestens 17 Grad KMW bei günstiger Säurestruktur. Danach richtet sich auch der Lesetermin"; Presse 27. 11. 1995 Vor allem bei den Sorten Weißburgunder, Chardonnay und Morillon wurden hohe Gradationen erreicht. Hingegen hat sich die feuchte Witterung auf die Sorten Grüner Veltliner und Blauer Portugieser negativ ausgewirkt; ebd. 12. 9. 1996 Traubenstichproben der Weinbauschule Retz ergaben diese Woche je nach Sorte Gradationen zwischen 10 (etwa bei Riesling) und 13,7 Grad (Frühsorten) nach der Klosterneuburger Mostwaage; Tiroler Tagesztg. 21. 10. 2000 „Es sind sehr leicht erwärmbare Böden, auf denen wir zwar geringere Erträge erzielen, dafür aber eine höhere Gradation bei der Reife", erzählt Winzer Toni Bauer über die dicken Lössböden. Grad 3g: Meister Altswert Ende 14. Jh. 160,1 o reyn fraw zart,/ ich beger von uch gnaden:/ das
gold von dusent graden/ sind ir on gunterfy [d. h. unverfälscht]; Schilter 1402 Thes. Ill 619a das iglicher gülden habe drithalbe und zwentzig grade an dem striche [d.h. bei der Münzprobe], und an der uffzale sechs und sehzig gülden uf die marcke (DWB); 1442 (Urkundenb. d. St. Lübeck Vlll 125) das die guldem muntz bey den newntzehen graden feines goldes zu gemainer lanndswerung blibe, als dann ettlich zeit gewesen ist (DWB); Emser 1528 Annotationes F8b wie hoch aber dye pfenning oder groschen am grad oder kornn gewest (DWB); 1563 (1852 ZGO /// 163) zum fünften sollen sie niemands khein gold für werckhgolt verkhaufen oder verarbeiten, das under achtzehen graten helt, doch soll das remedium ein gren sein und nicht darüber (DWB); Serarius 1604 Mogunt. rer. 759 die güldene münze soll halten 19 grait fines goldes (DWB); Micraelius 1640 Altes Pommerland 488 die müntze endlich selten sie [die Stralsunder] auff den grad des fürsten müntzen, doch auch mit dem müntzen einhalten, wenn des fürsten hammer stehet (DWB); Bodmer 1740 Krit. Abhandl. 95 Wir finden da keine Vergleichung des höllischen Goldes mit dem himmlischen; dasjenige, das in der Hölle gegraben ward, konnte auf den höchsten Grad der Feinheit geläutert worden seyn, dessen es fähig war, ohne daß es dadurch auf den noch höhern Grad des himmlischen Goldes wäre gesetzet worden (DiBi 125). Grad 3h: 1934 Brockhaus XVII 15 Die verschiedenen Größen der Schrift, die Schriftgrade . ., werden mit Namen bezeichnet, von Doppelmittel ab aber meist nur durch die Anzahl der typographischen Punkte. Außer den in Abb. 2 angegebenen gibt es noch größere Grade, u. a. Doppelcicero (24 Punkte); 1951 ABC 23 Sabon war ein tüchtiger und erfahrener Mann . . Sein Name lebt als Bezeichnung eines großen Schriftgrades fort; Käufer 1956 Setzerlehrb. 77 Ihre Namen verdanken die Schriftgrade meist einem Zufall, aber es spiegeln sich in ihnen auch Etappen der Druckkunst wider. Von den sieben Graden, die im 16. Jahrhundert die gebräuchlichsten waren, war 'Mittel' tatsächlich der mittelste; Oberösterr. Nachr. 16. 9. 1996 Die Zeitung muß leserfreundlicher sein. Als erstes haben wir deshalb eine neue Grundschrift, die Olympian, eingeführt und den Schriftgrad vergrößert; Mannh. Morgen 24. 4. 2004 Im Himmel über dem Motorrad stand in großen roten Buchstaben: David Kern. Im Asphalt unter den Reifen im gleichen Schriftgrad Lila, Lila. Grad 4a: Ende 15. ]h. (Diefenbach 449a) positiuus gradus der niderst grad; Gilhusius 1597 Grammatica IV 107 positiuus heist der erste grad./ comparatiuus der ander namen hat./ superlatiuus heist
Grad der dntt (DWB); Rattchius 1619 (Vogt 1894 Klass. d. Pädag. XV11 271) was ist vergleichung? die vergleichung ist eine Verwandlung der Bedeutung des beystendigen nennworts, durch gewisse grad (gradus). was ist ein grad? ein grad ist eine Verwandlung des beystendigen nennworts, dadurch die bedeutung desselben gesteigert wird, wie viel sind grad? drey: vnterster (positivus), mitteler (comparativus), vnd oberster (superlativus) (DWB); /. Grimm 1822 Dtsch. Gramm. (Ausg. 1870) l 677 von der Steigerung des positivs zum comparativ und Superlativ wird im dritten buche rede seyn; hieher gehört blosz eine bemerkung über die declination der beiden höheren grade (DWB); 1949 Duden Rechtschr. 57 der beistrich trennt nebensätze gleichen grades, die nicht durch und oder oder verbunden sind (DWB); i 955 Muttersprache 208 dieses erfahren wir allerdings erst am Schluß eines besonders schwerfälligen nebensatzes dritten grades (DWB); Erben 1984 Dtsch. Syntax 68 So ergibt sich nicht selten eine Kette von Nebensätzen verschiedenen Grades, die nicht alle direkt vom Hauptsatz abhängen müssen (Nebensätze ersten Grades), sondern auch Nebensätze (zweiten oder dritten Grades) zu einem übergeordneten Nebensatz . . sein können; 1989 Duden Rechtschr. 45 Das Komma trennt Nebensätze (Gliedsätze) verschiedenen Grades; i995 Duden IV (Gramm.) 293 Man unterscheidet folgende Stufen und Formen: Positiv (Grundstufe, gleicher Grad) . . Komparativ (Mehr-/Höherstufe, ungleicher Grad) .. Superlativ (Meist-/Höchststufe, höchster Grad) . . Elativ (absoluter Superlativ, sehr hoher Grad). Graduierung: Bußmann 1983 Lex. d. Sprachwiss. 174 Graduierung. Semantische Kategorie, durch die Objekten oder Sachverhalten der Realität Eigenschaften in unterschiedlichem Maße bzw. in gradueller Abstufung zugesprochen werden. Wichtigstes Mittel zur Graduierung ist die Komparation. Grad 4b: Sturm 1707 Mathesis I 165 bei den aequationibus des ersten und ändern grads (SCHIRMER, Mathematik); ders. 1710 Begriff d. ges. Mathematik l 175 exempla der unreinen äqvation zweyten grades (Überschr.) (DWB); Wolff 1716 Math. Lex. 34 [Gleichungen] von dem vierdtcn Grade (SCHIRMER, Mathematik); ders. 1747 Math. Lex. 600 also ist eine quadrat-zahl eine potenz vom zweyten grade, eine cubic-zahl wird eine dignität vom dritten grade genannt, . . eben so ist die wurtzel vom ändern grade einerley mit der quadrat-wurtzel (DWB); Klügel 1805 Mathem. Wb. 623 grad bei potenzen ist ihr exponent . . grad bey algebraischen gleichungen ist der exponent der höchsten potenz ihrer unbekannten große (DWB);
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Tropfke 1902 Gesch. d. Elementarmathematik l 284 wir finden bei den Griechen, selbst bei Diophant keine aufgäbe, die auf eine gleichung vierten grades hinauskommt (DWB); Kurosch 1954 Algebraische Gleichungen beliebigen Grades (Titel); 1989 Brockhaus IX 37 Grad . . Mathematik: die höchste Potenz, in der eine Variable in einer Gleichung oder in einem Polynom auftritt; Böge/Plaßmann 2007 Vieweg Handb. Elektrotechnik 32 Eine Gleichung vierten Grades muß nicht unbedingt eine reelle Lösung besitzen. Grad 4c: Neues Deutschi. 13. 4. 1949 mit dem Stalin-Preis ersten Grades (100000 Rubel) auf dem Gebiete der schönen Literatur wurden die Werke des jungen Schriftstellers aus dem Fernen Osten . . ausgezeichnet. Sieben Schriftstellern wurden Preise zweiten Grades (50000 Rubel) verliehen. Hinzu kommen elf Preise dritten Grades (25000 Rubel); Frankf. Rundsch. 20. 9. 1997 Es bietet eine große Auswahl von Kletterrouten von Schwierigkeitsgraden zwischen 2 und — meist 4. und 5. Grad — aber auch leichte Übungs- und Ausdauerrouten. Grad 5a: 13. Jh. Macer Floridus (1872 Wiener Sitzungsber. LXXI 530) di arcetbuch segen uns von uir greten der nature, der erste grät der ist so man sprichet warm, der andere wermer, der dirte aller wermest. der virde grät ist so man sprichet wermer den aller wermest (DWB); Konrad v. Megenberg 1349-50 Buch d. Natur 333 die früht haizent . . ze däutsch nespeln und sint an ir kraft warm und trucken in dem ersten grad und sterkent den magen; Fuchs 1543 Kräuterb. Zz6r Die letzsten zwey seind auch gleicher natur/ doch nit so hoch im grad der werme vnd trückne als die ersten zwey; Rot 1571 Diet. 314 Item die Artzt alle kreuter vnd materialia. Als wenn sie sagen/ Es ist im ersten/ ändern/ dritten oder vierten grad heiß oder kalt. Das ist souil/ als wenn ich die grad in eim wasser wolt anzeigen/ So hieß ich das den ersten grad/ wenn ich ein wasser fein lablet machet/ das wer ein geringe oder wenige krafft der wirm/ vnd heist also der erst grad der wirm. Wann ichs aber wol warm mach/ das mans wol empfindt/ doch an den bänden vnd leib gedulden mag/ solches nent man den ändern grad. Wenn ichs aber noch heisser mache/ als ob es schier sieden wolt/ vnd doch nit gar/ das ichs nimmer leyden mag so ich darein greiff/ das ist der drit grad/ Der vierdt ist wens gar siedent wirt/ das es haut vnd har hinnimbt; Orsäus 1623 Nomencl. Method. 239 gradus primus der erste grad, darin man die verenderung kaum mercken kan. gradus secundus der ander grad, darin man die verenderung eben befindet . .. extremum die höheste krafft des grads (DWB); Schnabel 1731 Felsenburg I l da die . . Sonnen-Finsterniß ihren
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höchsten und fürchterlichsten grad erreicht hatte; Zedler 1735 Universallex. XI 481 die Wärme ist eine Qualität eines Cörpers, und die Erfahrung lehret, daß solche sich bey einigen Cörpern nur auf einen gewissen Grad bringen . . Wenn wir nun ein Thermometrum in das Wasser setzen, und bemercken, wie hoch der Spiritus in selbigen stehe, wenn das Wasser im Sieden ist, so erhalten wir dadurch ein Zeichen, welches uns einen gewissen Grad der Wärme zu erkennen giebet; Brockes 1738 Auszug 491 Aller Farben funckelnd Prangen/ Hat vom Licht ihr Seyn empfangen;/ Was ihr Wesen schönes hat,/ Ist des Lichts verschied'ner Grad (DiBi 125); Herder 1784 Ideen z. Philos. I 59 Jede Erde, jede Gebürgart, jeder ähnliche Luftstrich sowie ein gleicher Grad der Hitze und Kälte ernähret seine Pflanzen (DiBi 125); Pückler-Muskau 1830 Br. e. Verstorbenen l 321 Das Unwetter hatte jetzt seinen höchsten Grad erreicht, der Sturm heulte fürchterlich, Wasser goß in Fluthen vom Himmel (DiBi 125); Hoffmann v. fdlersleben 1868 Leben I 33 Der Winter hatte sich dies Jahr ungewöhnlich früh eingestellt, die Kälte hatte bald einen hohen Grad erreicht und hemmte allen Verkehr (DiBi 125); Berger 1923 Techn. d. Aquarellmalerei 21 die auswahl des [Aquarell-jpapieres ist deshalb von entschiedener bedeutung, wenn es sich um den grad der rauheit oder der glätte handelt, weil das endresultat mit dieser eigenschaft des papieres unzertrennbar ist (DWB); Neues Deutschi. 10. 9. 1949 Mit Erfolg wurden . . Dichtflächen von Ventilkegeln und Schiebern . . gespritzt. . . Die aufgespritzten, verstählten Stellen erhalten jeden erforderlichen Härtegrad. Gradation: Paracelsus 1533-34 S. W. l 9,509 Also gleich in solcher art begegnet auch den gläsern und ihres gleichen, den goldschmiden, den münzern die solch zusez, schmeidigkeit, flüß, gradation, cement und dergleichen suchen und machen; Thurneisser 1583 Onomast. II 30 zu der Gradation des bleichen vnd leichten Goldes gebraucht; Weinlig 1782 Br. I 110 Gradationen und Mischungen der Farben; Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 328 die Gradation der Metalle bliebe immer. Gradier-: Reinhard 1761 Sehr. Ill 314 Gradierhäuser; Beckmann 1777 Anl. z. Technologie 296 Gradirwände; 1780 Getting. Mag. d. Wiss. II 20 Verbesserung der Gradirwerke; ebd. II 205 der Gradir- oder Leckhäuser, um einen beträchtlichen Theil Wasser durch die Luft von der Sohle wegzuführen; Ribbentrop 1798 Preuss. Canton-Wesen 60 Gradiermeister; 1804 Br. v. d. Univ. 127 Saline . ., deren hohe Gradierhäuser man . . sieht; PücklerMuskau 1834 Landschaftsgärtnerei 80a Hier liegt ein Alaunbergwerk mit ansehnlichen Gebäuden,
Gradir- und ändern Werken; Salzb. Nachr. 25. 6. 1993 Wels könnte als Kneipp-Kurstadt ein drittes Standbein bekommen. Ein Schritt dazu wird heute . . mit der Eröffnung des Gradierwerkes . . getan. Ein Gradierwerk ist eine Anlage, in der feinst zerstäubte Sole eingeatmet werden kann. Dabei werden die Lungenbläschen erweitert, dem Blut vermehrt Sauerstoff zugeführt und der Körper stärker entschlackt; Frankf. Rundsch. 11.9.1997 das über 150 Meter lange Industriedenkmal Gradierwerk kann von 10 bis 16 Uhr besichtigt werden. Ausnahmsweise steht dann auch die sonst nicht zugängliche Plattform oberhalb der Rieselwände offen; Zeit 24. 4. 2003 Von der klassischen finnischen Sauna und dem Kneipprondell wollen wir angesichts von Sole-Inhalationsgrotten, Gradierwerk, Wilderersauna mit offenem Feuer oder Eisbrunnen schweigen. gradieren: Paracelsus 1528 S. W. I 6,191 gleich als ein smaragd sein gradus der grüni, der saphir der bleue, also ist auch die lügend der arznei gradirt; ders. 1530 S. W. I 8,307 Nun das ich euch den vitriolum anzeig, ist das ir sein volatile auf das höchst treibent und einfassent und zum dritten mal wol abreiniget mit großem feur, gradirt ie lenger ie sterker, so kompt das oleum in die volatilitet; Begardi 1539 Index Sanitatis 20b namen sie für zu gradieren das goldt; Paracelsus 1565 S. W. 113,323 der wol schwezen kann, ist nichts änderst dan ein tier, ist gleich als ein specht über ein kranich; sind beide tier. Und wie sie sich gradiren durch einander, also auch im menschen, einer besser, einer lieblicher, einer zorniger; Rot 1573 Diet. 314 Gradirn, Erwegen/ abpfechten/ versuchen/ schetzen was grads es ist. Wie man Gold vnd silber gradirt. Item die Artzt alle kreuter vnd materialia. . . Also werden alle kreuter vnnd gewechs gradiert/ nach hitz vnd kältin/ der vier Staffel oder graden; Glauber 1653 Mir. Mundi 10 vnd gradiret die Metallen in einer stund; ders. 1654 Weinstein 23 zu Kupffer gradiren; Ercker 1672 Aula subterranea 185 Wie man Gold gradieren soll; Hübner 1732 Curieuses Lex. 869 gradiren, saltz-gradir-haus, ist ein gebäude, auf welches man durch gewisse machinen die sole oder das saltz-haltige wasser hinauf leitet, solche 3. 4. bis 5. mahl durch unterlegtes reis-holtz in gewisse pfannen abtröpfeln, dadurch evaporiren, und die schwere sole von 6. bis auf 28. loth gradiren lasset (WEIGAND); 1844 Brockhaus VI 315 Gradiren heißt die unendlich kleinen in dem Salzwasser oder der Soole aufgelösten Salztheilchen von einem Theil ihres überflüssigen Wassers befreien, damit dadurch der Aufwand beim Salzsieden vermindert werde; 1901 Stimmen d. Zeit LX 360 es wird niedriger gradiertes Getreide mit den höheren Qualitätsabstufungen eines ändern
Grad Grades vermischt und so für niedriger graduierte Getreidemengen die Möglichkeit eines Avancements in höhere Grade geschaffen; 1989 Brockhaus IX 40 gradieren . . Salzsolen geringer Konzentration aus natürl. Salzvorkommen in Gradierwerken allmählich ('gradweise') konzentrieren; taz 3. 2. 2005 wir [haben] den Film digital gradiert. Es ist das erste Mal, dass wir das getan haben. Man kann auf digitalem Weg in der Postproduktion inzwischen hervorragende Resultate erzielen. Gradierung: Ercker 1580 Mineral. Ertzt 52b man kann einem golt durch die gradierung so ein schöne hohe färb geben (DWB); Hohberg 1682 Geogr. Cur. l 83b lassens noch eine gute stunde, in seinem flusz und gradirung stehen, hernach heben sie den tiegel aus dem ofen (DWB); Zedler 1735 Universallex. XI 488 Gradirung, heisset bey der Schmeltz-Kunst die Erhöhung und Verbesserung derer Metallen, an Gewicht, Farbe und Beständigkeit; 1771 Allg. dt. Bibl. Anh. XXXVll/LH 1284 die geschwindigkeit der gradirung hängt von der höhe der dorn wände ab (DWB); Obernberg 1817-1820 Reisen Isarkreis V 189 Luft-Gradirung; 1844 Brockhaus VI 315 f. Eisgradirung .. Sonnengradirung . . Pritschen- oder Tafelgradirung, auch Dachgradirung , . Tröpfelgradirung oder die sogenannten Leckwerke. Grad 5b: Geiler 1510 Seelenparadies (S.W. Ill 493) Und das ist der minst grad der danckberkeyt/ der enpfangnen gaben allein gedencken; Eberlin t>. Günzburg 1525 S. Sehr. H 165 darzu ligt es nicht in deinem willen oder gewalt, das du glaubest oder nicht, wenig oder viel glaub ist ein gottes gab on allen verdienst . .. vnd wirt gegeben . .., in grad oder maß, von gott geordnet (DWB); Seckendorff 1665 Fürstenstaat 2 Wormit denn allerseits die eussersten gradus der Vngeschickligkeit und Laster außgeschlossen werden; Thotnasius 1691 Vernunftlehre II 221 der schon die Weißheit in einem hohen grad besitzt; Loen 1713 Mann 474 Man muß schon zu einem hohen Grad der Träumerey gelanget seyn, wenn einem solche Dinge mehr anmuthig als fürchterlich vorkommen (DiBi 125); Klopstock 1755 V. d. hl. Poesie (Ausgew. W. 1005) Man könnte, den höchsten Grad dieses Anstands, Feierlichkeit nennen (DiBi 125); Wieland 1766-67 Agathon (W. l 448) Das Vergnügen höret auf Vergnügen zu sein, so bald es über einen gewissen Grad getrieben wird (DiBi 125); La Röche 177981 Rosaliens Br. I 208 Ehrgeiz, Wollust und Neid, führeten die Schlachtopfer . . herbey, und würgten dann verdienstvolle Greise, unschuldige blühende Jugend und würdige Familienväter, ohne den geringsten Grad von Mitleiden oder Reue zu empfinden (DiBi 125); Ehrmann 1788 Amalie 9 wie es
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mich drückt, dieses Andenken; wie es mich ängstigt; meine Leiden spannen sich auf den höchsten Grad der schwarzen Schwermuth! (DiBi 125); 795 Revoluzionsgallerie 54 Er besaß einen sehr hohen Grad von Frechheit, Unverschämtheit und unmenschlicher Grausamkeit, so daß er viele in Furcht und Schrecken setzte; Schlegel 1798 Kunstlehre 289 Wolff behauptete, Verstand und Sinnlichkeit seien in dem Menschen nicht spezifisch, sondern nur dem Grade nach verschieden: Kant vor 1804 W. II 180 jede empfindung [hat] . . einen grad, d. i. eine intensive große, die noch immer vermindert werden kann, und zwischen realität und negation ist ein continuirlicher Zusammenhang . . möglicher kleinerer Wahrnehmungen (DWB); Jean Paul 1804 Vorschule (W. I 5,169) nämlich Witz und Schönheit sind an sich Vorzüge, schon ohne den Grad; aber Vernunft, Phantasie, so wie körperliche Stärke etc. zeichnen nur einen Besitzer ungewöhnlicher Grade aus (DiBi 125); Kerner 1849 Knabenzeit 75 Adam Lux, merkwürdig wegen seines Charakters eines Deputierten der Stadt Mainz . ., sah dem Tod mit dem höchsten Grad stoischer Ruhe entgegen (DiBi 125); Marlitt 1867 Goldeise (Ges. Rom. VIII 268) Hollfeld besaß nicht Geist, dafür aber einen hohen Grad von Schlauheit, wie wir sehen, mit der er wirksamer agierte, als vielleicht ein anderer mit bedeutenden Gedanken (DiBi 125); Ebner-Eschenbach 1876 Bozena (Ges. W. II 89) Einen gewissen Grad von Bewunderung vermochte er seinem wohlerzogenen Kinde nicht zu versagen (DiBi 125); Th. Mann 1896 Enttäuschung (Ges. W. VIII 67) Kenne ich Glück und Schmerz nur in den niedrigsten Graden, nur in verdünntem Zustande?; Braun 1909 Memoiren (Ges. W. 130) die jungen Mädchen, zu denen ein paar unternehmende Jünglinge sich gesellt hatten, spielten kindliche Spiele, wobei ihr Kichern den Grad ihres Amüsements bezeichnen sollte (DiBi 125); Lerchenfeld-Köfering 1935 Erinn. 39 Den sportlichen Talenten ihres Besitzers entsprach nicht dessen klassischer Bildungsgrad; Salzb. Nachr. 12. 1.1993 Bis zu 20 Prozent der Aids-Infizierten in Österreich wüßten nichts von ihrem Schicksal und gefährdeten damit nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Dieser hohe Grad an Uninformiertheit trage wesentlich zur epidemischen Verbreitung der Immunschwächekrankheit bei; Presse 25. 7. 1995 Ich habe bei der Herodiade nicht um das Wiener Publikum geworben. Ich war erstaunt und bis zu einem gewissen Grad beunruhigt, als das so ein großer Erfolg wurde; Berl. Ztg. 24. 1. 2004 60 Prozent der Brasilianer finden, ihr Land sei ein optimaler Ort zum Leben — ein bemerkenswerter Grad an Zufriedenheit, der freilich krass abweicht von der Wahrnehmung der neuntgrößten Volkswirtschaft im Ausland.
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Grad
Grad 5c: Goldmann 1696 Anweisung Civil-Baukunst Vorr. Ib Wann ich also/ zum Beyspiel/ ein Gebäude mit Toscanischen Seulen ziehren wolle/ finde ich selbige bey Goldmann in dem höchsten Grad ihrer Schönheit; Zedler 1735 Universallex. XI 480 f. Diese innerliche Unterscheide einer Qualität, mit welchen wir die Begriffe eines schwächern und stärckern combiniren können, nennet man Grade . . Es sind . . die Grade eines Wachsthums und Abnehmens fähig, oder von solcher Natur, daß sie bald groß bald klein seyn können; Gessner 1756 Idyllen 15 Diese Dichtungs-Art bekömmt daher einen besondern Vortheil, wenn man die Scenen in ein entferntes Weltalter sezt; sie erhalten dardurch einen höhern Grad der Wahrscheinlichkeit, weil sie für unsre Zeiten nicht passen (DiBi 125); Herder 1774 Auch eine Philosophie (Sturm u. Dr. I 303) Bei dem Geist ägyptischer Genauigkeit und Ackerfleißes konnten diese Künste nicht anders, als zu einem hohen Grad mechanischer Vollkommenheit gelangen (DiBi 125); Forster 1791 Ansichten v. Niederrhein (W. II 450) Allein ein geringer Grad von Naturkenntniß kann uns aus diesem Irrthum reißen (DiBi 125); Schiller 1793 Anmut u. Würde (S. W. V 486) Der höchste Grad der Anmut ist das Bezaubernde; der höchste Grad der Würde die Majestät (DiBi 125); Campe 1808 DWB II 438b der Gradmesser unsrer Kultur; Droste-Hülshoff 1845 Westfäl. Schilderungen (S. W. I 553) recht schwere Goldhauben und Silberkreuze an schwarzem Sammetbande, und bei den Ehefrauen Stirnbinden von möglichst breiter Spitze, bezeichnen hier den Grad des Wohlstandes (DiBi 125); Jahn 1856 Mozart III 34 man sah die schaubühne [in Wien] als den wahren gradmesser sittlicher und intellectueller bildung an (DWB); Freytag 1887 Ges. W. XV 76 die ehrfurcht vor dem gesetz ist der gradmesser, nach welchem man sicher werth und würde einer generation messen kann (DWB); Heyking 1903 Briefe 115 Seit ein paar Jahren herrscht in mehreren Provinzen Hungersnot, und es ist dadurch ein Grad des Elends entstanden, den man in Europa überhaupt nicht kennt (DiBi 125); 1914 Stimmen d. Zeit LXXXVII 181 die Höhe der Herstellungskosten soll der Gradmesser sein für Kunst und Wert; taz 12. 1.1996 Die Konzentration des Reichtums hat einen solchen Grad erreicht, daß die reichsten Amerikaner in ihrer Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Umgebung „allmählich den Reichen der Dritten Welt gleichen."; St. Galler Tagbl. 5. 8.2000 Das 'Literarische Quartett' oder auch der 'Literaturclub' von Fernsehen DRS sind nicht zwingend undifferenzierter als eine Rezension in der Zeitung. . . Der Grad der Differenziertheit hängt immer von der Person ab, die sich mit einem Buch befasst; Berl. Ztg. 22. W. 2004 bleiben werden die Zweifel an der
Führungsfähigkeit Angela Merkels, die in den vergangenen Wochen immer stärker geworden sind. Gradmesser dafür ist die Vielstimmigkeit, mit der höchste Unionspolitiker die innerparteiliche Debatte führen; taz 24. 3. 2005 Erstmals standen für das Drehbuch die originalen Verhörprotokolle zur Verfügung, die neben Briefen und Tagebucheintragungen in die Dialoge eingearbeitet wurden, wodurch ein hoher Grad an Authentizität erreicht wird. Gradation: Rot 1572 Diet. 314 Gradation, Ein auff Steigung von eim wort in das ander; Wieland 1755 Betrachtung (Supplementbd. IV 93) die Gradation verdient bemerkt zu werden; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 48) mich befremdet nicht das Geschrey, sondern der Mangel aller Gradation bis zu diesem Geschrey, auf welche das Kunstwerk den Dichter natürlicher Weise hätte bringen müssen; Sonnenfels 1768 Er. 447 eine ordentliche Gradation von Elenden!; Goethe 1773 Sehr. z. Lit. (HA XII 258) Mäßige ich mein Spiel nicht bei schwächeren Ausdrücken meiner Rede, so habe ich nicht Stärke genug zu den heftigeren, wodurch alsdann die Gradation des Effekts ganz verloren geht; Kindleben 1779 Schluterius Vorr. o. S. fühlen, bemerken und einsehen. Aus dieser Gradation (zu deutsch: Steigerung,) in welche ich mich . . sehr verliebt habe; Müller 1788 Fürstenbund 107 jede Gegend [hatte] ihre Verfassung, welche leztere auch im alten Germanien von der zwanglosesten Democratic durch hundert Gradationen bis zu strenger Herrschaft verschieden gewesen [ist]; Fichte 1791 Büchernachdruck (VIII 236) Diese Gradation geht in unmerklichen Abstufungen von der gemeinen Studierlampe bis zu Corregio's Nacht; Heinzmann 1792 Feyerstunden d. Geschäftsmannes 7 Der Aberglaube . . nimmt . . in der nemlichen Gradation ab, in welcher die Aufklärung einer Nation zunimmt; Goethe 1797 Br. (WA IV 12,232) Es sind Decorationen, die auf einander in zwey Akten folgen, ohne daß eine wiederkommt, sie sind mit sehr kluger Abwechslung und Gradation erfunden; Heynatz 1797 Antibarbarus 70 Gradation für Steigerung ist bekannt genug . . Ich finde aber, daß einige es unrichtig für Graduation, d. i. für Abtheilung in Grade gebraucht; Soden 1805 Nationalökonomie I 87 Gradazion der Zins-Rente; Bentham 1833 Principien (Übers.) Vorw. d. Hrsg. XXIX Alle Künste, alle Wirtschaften haben gleiche Gradationen der Entwicklung gehabt; Ranke 1836 Gespräch 48 Welche Gradation gibt es zwischen Leben und Leben?; 1844 Brockhaus VI 315 Gradation heißt überhaupt so viel als Steigerung. In der Redekunst versteht man unter Gradation das allmälige Fortschreiten der Gedanken nach dem innern Verhältnisse ihrer Be-
Grad deutung und ihres Gewichts, wodurch die Theilnahme des Hörers stufenweise gesteigert .. wird. Geschieht dieses aufwärts, . . so heißt dies Klimax oder auch vorzugsweise Gradation; 1989 Brockhaus IX 37 Gradation . . Steigerung, stufenweise Erhöhung . . rhetor. Figur, meist in Form einer aufsteigenden (Klimax) oder absteigenden (Antiklimax) Folge von Wörtern oder . . Satzgliedern; Presse 14. 2. 1995 ein Gegenbild zu den damals noch jungen Zeugen des Bauwirtschaftsfunktionalismus (mit allen Gradationen zwischen Rennbahnweg und Schöpfwerk). graduell: 1812 Allg. Lit.-Ztg. CC 749 wie kann er fragen: „ob eine graduelle oder quantitative Verschiedenheit behauptet werde, wenn man sagt: in Beziehung auf die Ureinheit gebe es keinen Gegensatz unter den Dingen"?; Knies 1857 Telegraph 63 Allein solche graduelle Unterschiede; Steinitzer 1910 Spät u. Kultur 41 Der Engländer ist eben sachlich auch beim Sport, und deshalb ist das, was er Sport nennt, wenn auch nicht im Wesen, so doch graduell sehr verschieden von unserer Sportanschauung; 8-Uhr-Blatt 22.4.1937 das galt .. wenn auch mit erheblichen graduellen Unterschieden — für die gesamte deutsche Arbeiterschaft; Böckle 1985 Gentechnologie o. S. Faktisch handelt es sich um genetisch wie morphologisch determiniertes neues menschliches Leben, das potentiell auf die Entwicklung zu einem personalen Individuum ausgerichtet ist. Darin ist es von jeder tierischen Entwicklungsform prinzipiell und nicht nur graduell unterschieden; taz 9. 4. 1990 Das Festschreiben von Werten . . führt . . zu einer nur graduell unterschiedlich ausgeprägten Ausschaltung der Selbsterkenntnisfunktionen der Gesellschaft; Spiegel 6.3. 1995 Gemessen an Hamburg und Dresden, gemessen vor allem an Tokio, stellte die Atombombe von Hiroschima zunächst nur eine graduelle Steigerung dar; Zeit 19. 12. 2000 Darwin hat Recht behalten: Die Unterschiede in den geistigen Fähigkeiten von Mensch und Tier sind „nicht grundsätzlicher, sondern nur gradueller Natur"; taz 12. 3. 2005 Fußballspiele oder Demonstrationen sind Veranstaltungen, bei denen so etwas wie eine Konsensbildung erzeugt wird: die Leute schaukeln sich hoch, sie sind einer Meinung. Messen sind dagegen mehr eine graduelle Verschiebung der Aktivitäten, die man auch im Lebensalltag hat — es ist alles ein bisschen hektischer. gradweise: Herder 1785 Ideen z. Philosophie l 338 Der Unterschied zwischen aufgeklärten und unaufgeklärten, zwischen kultivierten und unkultivierten Völkern ist also nicht spezifisch, sondern nur gradweise; Klinger 1803-05 Betr. u. Gedanken 67 jeder kann sich sehr leicht das Maß seiner moralischen
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Vollkommenheit gradweise aufstellen (DiBi 125); Schelling 1856 W. I 7,340 offenbar sind dieser Unterscheidung zufolge die dinge nicht . . bloß gradweise oder durch ihre einschränkungen, sondern toto genere von gott verschieden (DWB); 1884 Brockhaus VIII 265 Graduell, grad-, stufenweise; Weber 1970 Erziehung o. S. Jede Veröffentlichung setzt lehrend um; der Universitätslehrer unterscheidet sich darin nur gradweise und in der Weite des Forums vom Lehrer der verschiedenen Schultypen; Frankf. Rundsch. 28. 7. 1998 Wenn der Komponist Mathias Spahlinger die „temporäre", nur „gradweise herrschende Hierarchie" bevorzugt, so bezieht er diesen Wunsch auf die Dialektik innerhalb seiner Werke. hochgradig: Marx 1846-1848 Elend d. Philos. (MEW IV . S.) sofort wird auf die hochgradige Spannung der Industrie eine ungeheure Erschlaffung folgen; Th. Mann 1924 Zauberberg (Ges. W. /// 523) Beschaulichkeit, Abgeschiedenheit. Es hat was für sich, es läßt sich hören. Wir leben ja ziemlich hochgradig abgeschieden, wir hier oben, das kann man sagen. Fünftausend Fuß hoch liegen wir auf unseren Stühlen; taz 5.4.1990 Die Spielflächen von zwei Kindergärten im bayerischen Marktredwitz sind hochgradig mit Quecksilber verseucht; FAZ 26. 10. 1990 „die Probleme der Privatisierung und Finanzierung sind bisher von allen Beteiligten hochgradig unterschätzt worden"; taz 4. 1.1993 Von 17 bis 20 Uhr, wenn der Familienfrieden hochgradig gefährdet ist, sitzen Ehrenamtliche im Zentrum vor dem Steintor am Krisentelefon; Salzb. Nachr. 4. 8. 2000 Hochgradig radioaktive Abfälle wie die verbrauchten Brennelemente aus Kernkraftwerken werden gegenwärtig in Sicherheitsbehältern gelagert, die eine Lebensdauer von rund 100 Jahren haben; taz 14.8.2004 Die hochgradig des Dopings verdächtige, aber nicht überführte Leichtathletin, die sich für den Weitsprung qualifiziert hat, wurde auch für die 4 X lOOm-Staffel der USA nominiert; ebd. 10.3. 2005 Das ist hochgradiger Unsinn. In allen Gesprächen, die wir in letzter Zeit mit der Bundeswehrspitze hatten, wird ausdrücklich nicht mehr davon ausgegangen, dass Meads eventuell auch für die Landesverteidigung der Bundesrepublik gedacht wäre. Grad 5d: Fioravanti 1604 Krön d. Artzney 48 die Gradus oder Grosse der Kranckheit durch jhre Kunst zu erkündigen; Müller 1778 Fausts Leben (Nicolai, Sturm u. Dr. // 1311) Still! still! ich beobacht einen der schönsten seltensten Paroxysmen! — ei! ei! . . wenn er nur nicht so schnell vorübergeht — still! alle Symptomen — daß ich mein Tollelixier nicht zur Hand hab, sie noch um einen Grad zu verstärken (DiBi 125); Ehrmann 1788
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Amalie 99 denn wenn der Arzt den Grad der Krankheit nicht durch Zutrauen zu erfahren sucht, wenn er blos den dummen, troknen, Pulsverkündiger beim Krankenbett vorstellt, so prellt seine Kur am melankolischen Kranken ab {DiBi 125); Jean Paul 1800-03 Titan (W. 13,162) Der höchste Grad der Schwindsucht, Herr Lektor, schließet sich oft mit Erblinden (DiBi 125); E. T. A. Hoffmann 1819-21 Serapionsbrüder (Poet. W. Ill 335) Der Magnetiseur berichtete den wißbegierigen Anwesenden, daß die somnambule Dame in den fünften Grad, in den Zustand der von der äußern Sinnenweit unabhängigen Selbstanschauung übergehe (DiBi 125); Lewald 1845 Lebensfrage (Ges. W. X 324) Das Uebel hatte seinen höchsten Grad erreicht, nach furchtbarer Erregung trat ein plötzliches Ermatten ein; immer leiser wurden die Athemzüge des Kranken, immer schwächer das Schlagen seiner Pulse (DiBi 125); 1909 Meyers Gr. Konuersationslex. XX 37b man unterscheidet drei grade der Verbrennung (DWB); tat 26.11. 2004 In letzter Sekunde verhinderten zwei Polizisten gestern die Selbstverbrennung eines 21-Jährigen im Liebeskummer. Er erlitt Verbrennungen zweiten und dritten Grades; Berl. Ztg. 28.11. 2006 Bei frischen Verletzungen lässt sich der Grad der Verbrennung nur schwer erkennen. Gradation: Saussure 1781 Reise durch die Alpen l 119 (Übers.) in einigen Gattungen scheint er seine Natur zu ändern, dicker und dichter zu werden, und in Gradationen die Kennzeichen des Nierensteins anzunehmen; 1880 ZfEthnologie XII 3 daß es unter den Mikrocephalen Gradationen von „schweren und leichten Fällen" . . giebt. Grad 5e: 1656 Niederösterr. Landgerichtsordn. l 37 § 6 wann . . der verdächtige durch keine wort
zubewegen, soll der richter einen grad nach dem ändern .. vornemmen (DRW); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 281 Gradus torturae, ist diejenige Manier in der peinlichen Frage, da erst von dem geringen angehoben, und immerzu empfindlicher fortgefahren wird, um die Wahrheit von dem Beklagten zu erfahren; 1769 Const, crimin. Theresiana l 38 § 17 daß jenen falls, da jemand durch alle grad der tortur zu peinigen ist, über erstbemeldte marterarten nicht solle . . weiter geschritten werden (DRW); Schiller 1782 Fiesco (S. W. / 681) Man wird dich auf die Tortur schrauben. Den ersten Grad stehst du aus. .. Beim zweiten bekennst du (DiBi 125); Birch-Pfeiffer 1833 Pfeffer-Rösel 44 Vergebens forschte ich darnach — der Bursch scheint eisenfest. Zwei Foltergrade hat er bereits bestanden, und noch kam kein Laut über seine Lippen . . Ich denke ihm jedoch die Wahrheit zu entpressen, ehe es zum fünften Grad kommt (DiBi 125); Kurz 1855 Sonnenwirt 633 ich hab im Gefängnis schon den ersten Grad der Tortur überstanden, und sie haben nichts aus mir herausgebracht (DiBi 125); Bartsch 1879-80 Sagen aus Meklenburg I 331 Mit Ruhe und Gottergebenheit erträgt er die qualvollsten Martern und betheuert auch hier nur seine Unschuld; doch der Herzog befiehlt, nach jeder Unschuldsbetheuerung die Folter einen Grad straffer zu spannen (DiBi 125); EbnerEschenbach 1880 Lotti (Ges. W. II 932) Gottfried war ruhig wie einer, der standhaft den ersten Grad der Folter aushält, und sprach alle zehn Minuten einmal: „Vorwärts, wenn ich bitten darf." (DiBi 125); Tucholsky 1928 Ges. W. VI 340 die ungeheuerlichste Unduldsamkeit, die die Wahrheit mit Polizeiknüppeln, mit Handgranaten, mit dem dritten Grad und dem elektrischen Stuhl aus den Wahrheitssuchenden hinaustreiben will (DiBi 125).
Graffito N., auch M. (-(s); Graffiti, Graffiti(e)s, auch Graffitos), seit früherem 18. Jh. bezeugte Entlehnung aus ital. (s)graffito, neben (s)graffiato 'Eingeritztes' (Part. Perf. von (s)graffiare 'kratzen', zu graffio, provenzal. grafio 'Haken, Kralle' german. Ursprungs, vgl. ahd. kräpho, kräfo '(Wider-)Haken; dreizackige Gabel', vgl. Krapfen, Haken· —> schraffieren), daneben in den ital. beeinflussten (ital. flekt.) Formen Sgraffit(t)o, Graff(i)ato, Sgraffiato und in der Kurzform Graffit. a Kunsthistorische Bezeichnung für eine von der norditalienischen Renaissancearchitektur ausgehende Technik zur Ausschmückung von Gebäudefassaden, bei welcher auf einer zunächst geschwärzten oder gefärbten (Kratzgrund) und anschließend mit weißem Kalk (dünnere Kratzschicht) überzogenen Fläche (v. a. Hauswände, Fassaden, Mauern o. Ä.) zur Dekoration Zeichnungen so eingekratzt werden, dass der schwarze oder farbige Untergrund hervorscheint (—» Fresko, —» Stuck; vgl. Grisaille), dann auch gebucht für 'Verzierung von Tonwaren durch Auftragung einer Farbschicht, in die Ornamente eingeritzt werden' (dafür heute meist Graffiato; s. Beleg
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1885 — 92) und 'mehrfarbige, aus Ornamenten oder Figuren bestehende Verzierung auf einer Marmorfliese, bei der aus einer aufgetragenen farbigen Schicht ein Muster herausgekratzt wird' (s. Belege 1911, 1999), seit Mitte 20. Jh. selten auch übertragen verwendet (s. Belege 1959, 1989), in Wendungen wie die Kunstform, Technik des (S)Graffito, eine mit (S)Graffitos und Fresken geschmückte Fassade, die besonderen Eigenschaften des (S)Graffito und als Bestimmungswort in Zss. wie (S)Graffitobemalung, -bilder, -dekoration, -fries, -grafik, -haus, -fassade, -künstler, -maierei, -putz, -schmuck/-verzierung, -technik; (s)graffitogeschmückt. b Seit Mitte 19. Jh. fachspr. (Archäologie, Klassische Philologie), bis Anfang 20. Jh. überwiegend in der Formvariante Graffit N. (-s; -e) (s. Belege 1845, 1852, 1857, 1878, 1893, 1912), zur Bezeichnung der auf Felsen, (antiken, mittelalterlichen) Gebrauchsgegenständen und Hauswänden eingeritzten (teilweise kultur- oder auch sprachgeschichtlich aufschlussreichen) Inschriften, Zeichnungen und Kritzeleien, in den 40er Jahren des 20. Jhs. vereinzelt auch auf zeitgenössische französische Verhältnisse bezogen (s. Beleg 1944), in Wendungen wie das in Pompeji gefundene Graffit(o), ein kaum noch erkennbares Graffit(o) in der Krypta und Zss. wie GraffitInschrift; Pilgergraffiti. c Seit den 80er Jahren des 20. Jhs. unter Einfluss von gleichbed. amerikan.-engl. graffiti zunehmend schlagwortartig verbreitet, meist in der (aus dem Pl. umgedeutet) als Sing, aufgefassten Nebenform Graffiti, gelegentlich auch in der anglisierenden Schreibung Graffity, als Bezeichnung für die (meist von Jugendlichen) mit Hilfe von Farbmitteln aus Spraydosen an Hauswänden, Mauern, Brückenpfeilern, öffentlichen Verkehrsmitteln u. Ä. farbig aufgesprühten Texte (politische, witzige oder obszöne Schlagwörter, Parolen, Sprüche; —»· Slogan) oder (künstlerisch mehr oder weniger anspruchsvoll gestalteten) Bilder, Figuren und Zeichen, v. a. Namen und Pseudonyme (Tags), zunächst als Ausdruck des politischen Protests und der Provokation, seit den 80er Jahren des 20. Jhs. zur alternativen Kunstform erhoben (vgl. amerikan.-engl. graffiti-art) und (juristisch, politisch, künstlerisch) kontrovers diskutiert, vereinzelt auch bildlich gebraucht (s. Beleg 2007), in Wendungen wie Graffiti an der Berliner Mauer, ein von Jugendlichen gesprühtes, poppiges Graffito „Tod der deutschen Dummheit", die Arbeiten erinnern an Kinderzeichnungen oder Graffiti, die Bücher und Hefte der Schüler sind mit schrillem Graffiti versehen, der mit Graffiti verschandelte triste Zaun vor dem ehemaligen Palast der Republik, das Ordnungsamt kümmert sich um die Beseitigung von Graffiti, als Bestimmungswort in Zss. wie Graffitiarchiv, -bewegung, -bild/-gemälde/-kunst(-werk)/-piece/-zeichnung, -botschaften, -design, -fläche/-wand, -galerie, -kultur, -landschaft, -look, -maier/ -sprayer/-sprüher/-writer, -motive, -parolen, -spruch, -(sprüh-)aktion, -spuren, -stil, -szene, -tags; graffitibemalt, -besprüht, -verziert, (abwertend:) Graffitiaktivist, -anschlag, -bände, -delikt, -unwesen, -vandale, -schaden, -schmiererei, -plage, -bekämpfung, -beseitigung; auch in der Form Graffity- in Graffity-Sprüche, -Aktionen, -Genie, -Kunst/-Künstler, -Look, -Szene, seltener und eher okkasionell in der Form Graffito-/-graffito, z. B. Graffito-Aufdruck, -Künstler, -Kunstwerk, -Notiz, -Schrift, -Team, -Wesen; Auftrags-, Ghetto-, Kreide-, Kunst-, Toiletten-, Untergrund-, Wahlkampf-Graffito. Dazu die in den 90er Jahren des 20. Jhs. vereinzelt nachgewiesene, aus gleichbed. frz. graffiteur entlehnte Personenbezeichnung Graffiteur M. (-s; -e) mit der movierten Form Graffiteurin F. (-; -nen) 'GraffitizeichnerAin, -künstler/-in'.
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Graffito/Sgraffito a: 1734 Vollst. Mathemat. Lex. 581 Grau in grau mahlen, ist eine Art von al Fresco, worinnen man das Basso relievo in der Bildhauerey nachzumachen trachtet. Sie wird gebrauchet, wo man mit wenigen Kosten die platten Wände an denen Gebäuden verzieren, und daran Architectur, Statuen u. s. f. vorstellen will. Insonderheit giebt es hiervon eine Art, die Graffito genennet wird; wenn man nemlich eine Wand mit gestossenen Kohlen oder einer Asche schwartz machet, nach diesem aber wiederum darüber weisset, und so alles wohl getrocknet ist, die Figuren in das Weisse kratzet, dass der schwartze Grund daraus die Schattirung ausmachet; Füssli 1763 Künstlerlex. EM. XIV Sgraffitto, ist eine Arbeit, welche in Zubereitung eines schwarzen Grundes von Stucco besteht, diesen belegt man mit einem Anstriche von weisser Farbe, und kratzt mit einem eisernen Griffel Striche hinein, wodurch der schwarze Grund wieder zum Vorschein kommt, und das ganze Werk einem Kupferstich gleichet; Ramdohr 1787 Malerei U 178 daß diese Zeichnungen auf eben die Art verfertigt sind, wie unsere heutigen Sgraffiti; Lange/Bühlmann 1867 Die Anwendung des Sgraffito für Fafadendekoration (Titel); 1868 (Semper 1884 K/. Sehr. 508) Sgraffito-Dekoration; Heyse 1870 Fremdwb. 394 Graffito od. graffiato . . Grau in Grau, graue Wassermalerei an Wänden; vor 1871 Natur XX 548 Technik des Sgraffito . . Die Sgraffito-Technik ..: 2 Kalkschichten v. verschiedener Farbe werden über einander aufgetragen u. die obere wird durchgekratzt, so daß eine Zeichnung hervortritt (SANDERS 1871); 1885-92 Meyers Konversationslex. 601 Graffiato (ital.), Dekoration von Thonwaren, welche darin besteht, daß man das Stück durch Anguß mit einer Farbenschicht bedeckt, in diese das Ornament eingräbt, so daß die Farbe des Stückes wieder zum Vorschein kommt, und nun das Ganze mit farbiger oder farbloser Glasur überzieht; Hallier 1889 Kulturgesch. 571 Die Technik des Sgraffito besteht darin, dass man auf dunkelgefärbtem Grund einen hellen Ueberzug al fresco anbringt, in welchen man, bevor er austrocknet, Zeichnungen mit einem Griffel einritzt bis auf den dunklen Grund, so dass auf der hellen Fläche die Zeichnung in dunklen Linien hervortritt; Welti 1895 Br. II 32 Sgraffitofries; Allmers 1904 Schlendertage 410 Graffiti, die Einritzungen; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 375 Graffiato oder Graffito . . die graue Wassermalerei (an Wänden); Tonwarenschmuck . . Graffito .. der Marmorbelag des Fußbodens, mit eingelegten Ornamenten; 1914 Bürgerhaus in d. Schweiz IV 38 Eine reiche architektonische Sgraffitobemalung, die sich nur auf Fenstereinrahmungen und Lisenen [Mauerblenden] beschränkte, gehört . . mit zum Besten, das in Schwyz an derartiger Ornamentation geleis-
tet worden ist; Urbach 1928 Geschichtliches und Technisches vom Sgraffittoputz (Titel); Berl. IIlustr. Nachtausg. 15. 3. 1933 Wänden in Sgraffitotechnik; Karlinger 1937 Raum 147 den Schimmer südlicher Zier, mag sie Rustika heißen, Sgraffito oder Stuck; B. N. 27. 8. 1943 Das Land der Sgraffiti ist im ladinisch sprechenden Teil Graubündens aufzufinden . . Sgraffito ist eine „Kratzkunst", und bei einem Hause, das Sgraffito-Schmuck erhalten soll, wird nach genau bestimmter handwerklicher und künstlerischer Weise vorgegangen. Zuerst erhalten die ausgewählten Stellen einen meistens schwarzen Verputz, über den nachher ein weißer Verputz gelegt wirde. Der Sgraffitokünstler auf seiner Leiter kratzt nun überall da, wo er den schwarzen Untergrund hervortreten und zum Ornament werden lassen möchte, den oberen Weißverputz weg; Süddtsch. Ztg. 14. 9. 1959 Gedanken, die Ernst Jünger unter dem Titel „Sgraffiti" in dem neuen Heft der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift . . mitteilt; es handelt sich um die weiter ausgesponnenen Betrachtungen seines Tagebuchs; Grass 1962 Blechtrommel 60 die Pestalozzischule war ein neuer, ziegelroter, mit Sgraffitos und Fresken modern geschmückter . . Kasten; taz 1. 3. 1989 der heilige Gral, die Kristallschale mit dem Blut des Religionsstifters, hat sich zum Graffito verflüchtigt; ist zur Hieroglyphe kondensiert, weil der Inhalt des Kultus selbst abhanden kam; Salzb. Nachr. 10. 8. 1994 Altes Sgraffito in Mauterndorf entdeckt (Überschr.) Die Kunstform des Sgraffito stammt aus dem Italien der Renaissance. Die Muster entstehen, indem man die weiße Deckfarbe wegkratzt und damit den Kontrast zum grauen Unterputz schafft; Duden 1999 GDWB IV 1565 Graffito . . in eine Marmorfliese eingeritzte, mehrfarbige ornamentale od. figurale Dekoration; St. Galler Tagbl. 30. 7.2001 Die Sgraffito-Technik stammt aus dem Altertum, wurde in der Renaissance-Zeit neu belebt und kam von Italien her ins Engadin. Vogel entdeckte die besonderen Eigenschaften des Sgraffito, als er 1920 ein Bild zu restaurieren hatte. Graffito/Graffit b: Urlichs 1845 Beschr. Roms 180 Mehrere Tazzen und Schalen von Silber, die Graffit- und Reliefvorstellungen zeigen, welche sehr an ägyptische erinnern; Mommsen 1852 Ges. Sehr. VIII 108 wie alle sogenannten Graffite . . in Cursiv geschrieben; 1857 Jbb. f. class. Philol. Ill 393 die ebenfalls hier gefundenen Gladiatorenwaffen beweisen nur, dasz reisende Gladiatorenbanden in dem Gebäude einzukehren pflegten . ., bei welcher Gelegenheit sie die auch vom Vf. S. 137 mitgetheilten Graffite einkratzten; Becker 1878 Inschriften 31 Endlich scheint ein allerdings kaum noch erkennbares Graffit in der Krypte des hl. Cornelius
Grammatik im coemeterium Callisti den Sinn zu geben; Langen 1893 Gesch. d. röm. Kirche 55 Das in Pompeji gefundene Graffit, welches besonders de Rossi als Beweis für eine Christenverfolgung unter Nero ausserhalb Roms geltend macht; 1912 Handb. d. christl. Archäologie 285 Die Paläographie der Graffite als Grabinschriften; Münch. N. N. 7. 2. 1944 Man hat in Frankreich immer viel auf die „Graffiti" gegeben, jene durchaus nicht immer mit Bleistift, sondern oft mit aufdringlicher Farbe an allen öffentlichen und unöffentlichen Wänden angebrachten Inschriften. Nicht mit Unrecht glaubte man in ihnen ein aktuelles politisches Stimmungsbarometer des an sich recht kritzelfreudigen Franzosen zu sehen; 1986 Brockhaus IX 44 Graffiti . . auf Felsen, Mauern, Wandflächen eingeritzte oder aufgekritzelte und aufgezeichnete Texte und Zeichnungen. Bereits aus der Antike sind G[raffiti] an Hauswänden und in öffentl. Toiletten bekannt; taz 24. 5. 2003 So genannte Pilgergraffiti, zum Beispiel im Trierer Dom, zeigen hunderte in die Wand geritzte Namen von Besuchern. Graffito/Graffiti c: 1982 Spiegel Nr. 9 Stell dir vor, es gäbe Krieg und keiner geht hin, lautet ein gängiger Graffito (DUDEN 1999); Stern 10.11.1983 Dieses „Scratching" ist wie Rap und Breakdance lautmalerisches Pendant zu den „Graffiti"-Zeichnungen der amerikanischen Gettokultur und genauso anarchisch, fröhlich und schöpferisch (AWB); Zeit 11.1.1985 das subkulturelle Kunterbunt von Graffitis, Aufrufen, Schmähreden, Witzen, WG-Angeboten und Kontaktwünschen ist ablesbar; Mannh. Morgen 28. 7. 1987 daß in einer Münchner Galerie ein auf Leinwand gesprühtes Graffito für sage und schreibe 20000 Mark den Besitzer wechselte; taz 26. 6. 1989 Geordnete Graffiti-Bahnen . . Freie Fahrt für Graffiti an Bremer Straßenbahn (Überschr.) Die Höhlenmalerei unserer Tage ist das Graffito. Ein Begriff, der übrigens aus dem Italienischen kommt und „an die Wand Gekratztes" heißt; ebd. 26. 7. 1990 Charlottenburger Malermeister bietet geheimes Putzmittel gegen
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Graffiti in U-Bahnen an; ebd. 30. 1.1992 die Lust an Zerstörtem scheint in Berlin ausgeprägt. . . Auch die Bolle-Ruine gleicht bis dato einem Mahnmal für urbane Nekropsie. Ausgebrannt, ein paar Steinreste, der Originalfußboden und mit Graffities verzierte Mauern geben den Rest; Frankf. Rundsch. 25. 7. 1997 Ein Hausbesitzer darf sein eigenes Gebäude nach Lust und Laune mit großflächigen Graffiti verzieren . . „Die Graffiti-Malerei ist eine moderne Form bildender Kunst", erklärten die Richter. Die Freiheit der Kunst habe Vorrang; Neue Kronen-Ztg. 13. 3. 1999 „Graffity-Bande" in Klagenfurt erwischt . . Mehr als 90 Objekte — Häuser, Eisenbahnwaggons, sogar das Landesgericht — wurden in Klagenfurt von kreativen Graffity-Künstlern ver(un-)ziert; Berl. Ztg. 2. 4. 2001 Als 1970 ein New-Yorker Jugendlicher während seiner Botengänge in New York sein Pseudonym „Taki 183" an die Wände sprühte, ahnte keiner, dass daraus bald eine weltweite Graffitibewegung entstehen würde. Und die ewige Frage: Kunst oder nicht Kunst?; Mannh. Morgen 13. 12. 2006 Was kann ein Hausbesitzer gegen Graffiti an der Wand tun? . . Er sollte sie so schnell wie möglich mit Graffitireiniger entfernen, den es zum Beispiel auch im Fachhandel gibt; ebd. 13. 12. 2007 Freche Graffiti am Heiligtum Bach (Überschr.) . . Um halbamtliche Denkmalpflege geht es freilich nicht, Bachs junge, wilde Westverwandtschaft . . tendiert zu grellen Überschreibungen und Übermalungen des sakrosankten Notentextes. Manchmal ist das fast schon Graffiti, vor allem, wenn Lömsch Lehmanns Saxofon wie eine Martinsgans während der Schlachtung kreischt. Graffiteur: Spiegel 16. 1.1995 Unbekannt ist bis heute der Graffiteur, der als erster Ost-Berlin auf Kreuzberger Westniveau hob. Er sprayte an eine blütenweiße Wand die violette Ermunterung „Piss off - Nazi Pigs"; Berl. Ztg. 31. 3. 1998 [die] Suadicanistraßc . . besteht. . nur aus einem Haus. Daran haben Graffiteure eine Orgie gefeiert.
Grammatik F. (-; -en), schon im Ahd. (9.710. Jh.) über lat. (ars) grammatica 'Schrift-/Sprachkunst' entlehnt aus griech. ( ) 'Fertigkeit, mit Buchstaben umzugehen, Kunst des Lesens und Schreibens; Elementarlehre der Sprache' (zu 'die Buchstaben, die Schrift betreffend', zu 'Buchstabe, Schriftzeichen, Geschriebenes', vgl. 'einritzen, zeichnen, schreiben'; —> Graphik, —» Grammophon; vgl. frz. grammaire), anfangs in den Formen (ahd.) grammatih, (mhd.) grämatic, bis ins 18. Jh. in der lat. (flekt.) Form Gram(m)atica und in Schreibungen wie Gram(m)at(t)ick. a Zunächst meist mit Bezug auf die lat. Sprache im System der mittelalterlichen Wissenschaft als Terminus für das erste und grundlegende Fach des Triviums der
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Grammatik
septem artes liberales (neben Rhetorik und Dialektik) als mit Sprache allgemein befasste wissenschaftliche Disziplin und Unterrichtsfach in der Bed. 'Kunst des Schreibens und Lesens (insbes. an Hand der Lektüre und Interpretation antiker Autoren)' (s. Belege vor 1022, um 1300, um 1400, 1414-18.2, 1598, 1933, 2002), gelegentlich verdeutscht mit Buchstaben- oder Schreibkunst, etwa seit dem 17. Jh. bis heute nur noch historisch referierend verwendet, in Wendungen wie ein Meister in der Kunst der Grammatik, die jungen Geistlichen in der Grammatik unterrichten/ examinieren, die Fächer des Triviums Grammatik, Rhetorik und Dialektik, Kenntnis der Grammatik und des Lateinischen, etwa seit Ende 18. Jh. auch für die Unterweisung im Lesen und Schreiben beim Erlernen der deutschen Muttersprache (s. Beleg 1781), seit frühem 16. Jh. zunehmend eingeengt auf 'Lehre vom Bau der Sprache, von den Gesetzmäßigkeiten, Regularitäten, Ordnungsprinzipien des Sprachbaus (einer Einzelsprache)' (s. Belege um 1530, 1548, 1649, 1691, 1722), spezieller auch 'Summe der niedergeschriebenen (normativ festgelegten) Regeln einer Sprache, richtiger Sprachgebrauch' (s. Belege 1528, 1618, 1658, 1778, 1811; vgl. b), z.B. Schulgrammatik, dabei vom 16. bis 18. Jh. verdeutscht mit Sprachkunst und seit dem 17. Jh. zunehmend mit bis heute üblichem Sprachlehre; daneben schon im 16./ 17. Jh. vereinzelt mit Bezug auf die in der gültigen normativen Sprachlehre beschriebenen, der Sprache innewohnenden Gesetzmäßigkeiten selbst, vgl. die häufig bezeugte Wendung nach der Grammatik schreiben/reden (s. Beleg 1530—35); seit Mitte 18. Jh. gelegentlich, bes. aber seit Beginn der strukturalistischen Sprachwissenschaft und der schärferen Trennung von Objekt- und Beschreibungs- bzw. Metaebene mit ausschließlichem Bezug auf den Gegenstand der Sprachlehre präzisiert auf 'das einer natürlichen Sprache zugrundeliegende Regelsystem, Gesetzmäßigkeit des Baus einer Sprache, die einer Sprache immanente formale Struktur, die Summe und das System der sich in ihr ausdrückenden Regeln, Gesetzmäßigkeiten und Ordnungsprinzipien', in Wendungen wie Grundlagen der deutschen Grammatik, die Grammatik des Lateinischen beschreiben, lateinische, hebräische Grammatik, die Grammatik beherrschen, gegen die Grammatik verstoßen (s. Belege 1769.2, 1789, 1825, 1844, 1865, 1913, 1955), seit 17. Jh. vereinzelt scherzhaft-bildlich (s. Belege 1680, 1819), seit dem späteren 18. Jh. öfter auch auf verschiedene geistige Gebiete übertragen im Sinne von 'etwas Grundlegendes, Elementares, grundlegendes System, gesetzmäßige Struktur, innewohnende Systematik, systematische Regelhaftigkeit' (—> Alphabet, -* Choreographie, vgl. ABC, Einmaleins, Fibel; s. Belege 1769.1, 1798, 1803, 1822, 1829, 1832, 1956, 1984, 1985, 1994, 1996, 2005), z.B. Grammatik der Gefühle, der Beziehungen, der Sinnlichkeit, des Lustverhaltens, der Bühnenelemente, der Selbstentfremdung, der Körpersprache, der malerischen Bildsprache, des Respekts, des Kinos, des Bauhauses, des internationalen Finanzwesens, die innere Grammatik eines Genres; seit dem 19. Jh. dann als Bezeichnung für eine Teildisziplin der sich konstituierenden modernen Sprachwissenschaft (früher auch weiter gefasst unter Einschluss von Etymologie, Prosodie und Orthographie, modern meist enger Lautlehre (Phonologic), Wortlehre (Morphologie) und Satzlehre (Syntax) umfassend), die zunächst normativ-präskriptive Zwecke im Rahmen der schulischen Unterweisung verfolgt, daneben auch schon bezogen auf historisch vergangene Sprachstufen beschreibend verfährt (Grammatik des Ahd., Mhd.), erst im 20. Jh. dann aber auch zur deskriptiven Erfassung lebender Gegenwartssprachen dient (s. Belege 1947, 1997), z.B. normative, traditionelle, vergleichende, deskriptive, historische Gram-
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matik; in Folge der Weiterentwicklung der Sprachbetrachtung/-modellierung seit der 2. H lfte des 20. Jhs. ausgehend von verschiedenen Forschungs- und Vermittlungsinteressen und mit Bezug auf die herrschende Theorienvielfalt als Bezeichnung f r unterschiedliche grammatische Theoriebildungen (Schulen) oder Grammatikmodelle zum grammatischen Regelsystem, in attr. Verbindungen wie funktionale, generative, kontrastive, strukturelle Grammatik und als Grundwort in Zss. wie Konstituenten-, Struktur-, Transformations-, Dependenz-, Kategorial-, Valenz-, Text-, Phrasenstrukturgrammatik, Chomsky-, Montague-Grammatik (s. Beleg 1969), seit den 60er Jahren des 20. Jhs. in einer der bekanntesten unter den neueren linguistischen Theorien (Chomsky) speziell f r 'spezifisches, den Menschen als universale interne Grammatik angeborenes mentales Verm gen, korrekte S tze (gem den Regeln einer Sprache) zu bilden und zu verstehen, Kenntnis des kompetenten Sprechers von seiner Sprache' (s. Beleg 1998). Dazu seit sp terem 18. Jh. die ( ber subst. Adj. von lat. grammaticus auf griech. γραμματικός zur ckgehende) Personenbezeichnung Grammatiker M. (-s; -), in neuerer Zeit auch Grammatikerin F. (-; -nen), die ltere, seit Mitte 14. Jh. belegte lat. (flekt.) Form Grammaticus abl send (vgl. ahd. gramatihhari, mhd. gr maticus 'Lese- und Schreibkundiger, Lateingelehrter'), zun chst in der Bed. '(h herer) Sprachlehrer, Sprachgelehrter, der eine Sprache richtig lesen, schreiben und sprechen lehrt; Erkl rer der alten Dichter und anderen Schriftsteller'; seit 19. Jh. auch 'Sprachkundler, -forscher, Lehrer der Grammatik; Verfasser eines grammatischen Lehrbuches (vgl. b); Theoretiker, Experte, Wissenschaftler auf dem Gebiet der Grammatik', selten auch bertragen verwendet (s. Beleg 1924), z.B. Junggrammatiker als (zun chst sp ttisch-abwertende) Bezeichnung f r die (positivistisch ausgerichteten) Linguisten der sog. Leipziger Schule um A. Leskien (sp teres 19. Jh.); daneben seit fr herem 19. Jh. abwertend gebrauchtes Grammatikaster M. (-s; -) '(unwissender, pedantischer) Sprachgelehrter' und (auf gleichbed. (m)lat. gramtnatista, griech. γραμματιστής zur ckgehendes) veraltetes Grammatist M. (-en; -en) 'Lehrer in den Anfangsgr nden der Sprache, Elementarlehrer, Sprachmeister', auch 'Sch ler, der haupts chlich mit den schwierigeren Bereichen der lateinischen Grammatik zu tun hat' (vgl. Donatist, Rudimentist; s. Belege 1520, 1555, 1575, 1614, 1846, 1896). Dazu seit fr hem 16. Jh. aus lat. grammaticus (zu griech. γραμματικός, s.o.) entlehntes grammatisch Adj., anfangs auch Adv. in lat. Form grammatice und vereinzelt grammati(c)kisch (s. Beleg 1588), zun chst 'dem (von der Sprachlehre erfassten) immanenten Regelsystem einer Sprache entsprechend, danach korrekt gebildet, sprachrichtig', z. B. die u erung ist nicht grammatisch, grammatisch richtig schreiben, ein grammatischer Fehler, Versto , eine grammatische Konstruktion erkennen, grammatische Regeln beherrschen, gute grammatische Kenntnisse haben, einen Satz grammatisch zergliedern, anfangs gelegentlich (auch im R ckgriff auf die Bed. von γράμμα, s. o.) in der Bed. 'auf Sprache und Schrift bez glich; buchstabenm ig, schriftartig', auch 'zeichenhaft' (s. Beleg 1543), bes. im terminologischen Syntagma grammatischer Wechsel, eigentlich 'BuchstabenWechsel' (vgl. Vernersches Gesetz, das als Ausnahmeregel zur 1. Lautverschiebung den Wechsel von stimmhaften und stimmlosen Reibe- und Verschlusslauten innerhalb des Flexionsparadigmas starker Verben und bei etymologisch zusammenh ngenden W rtern im Germanischen und Deutschen erkl rt), dann als Terminus der Sprachwissenschaft 'die Sprachlehre betreffend, dazu geh rend', z. B. die grammatische Struktur einer Sprache, grammati-
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scher Terminus, grammatisches Geschlecht (—» Genus), grammatische Bedeutung, Angabe, Funktion, Kategorie 'Abstraktionsklasse linguistischer Einheiten', in Ableitungen und Zss. wie nichtgrammatisch, ungrammatisch 'gegen die Regeln der Grammatik verstoßend, sprachlich unkorrekt' sowie in additiven Reihen wie grammatisch-semantisch, -rhetorisch; historisch-, philosophisch-grammatisch, gelegentlich auch übertragen mit Bezug auf künstlerische Ausdrucksmittel (Musik, Film) in der Bed. 'die (gesetzmäßige) Struktur und Verlaufsform betreffend, beachtend' (s. Belege 1806, 2000), z.B. filmgrammatisch; daneben weitgehend gleichbed., Ende 16. Jh. aus lat. grammaticalis 'die Grammatik betreffend' (zu grammatica, s.o.) entlehntes grammatikalisch Adj. in der Bed. 'das einer Sprache zugrundeliegende Regelsystem betreffend, danach ausgerichtet', z.B. grammatikalische Fehler, Figuren, Formen, Schwierigkeiten; grammatikalisch korrekt schreiben, sprechen, gleichbed. mit seit Ende 18. Jh. vereinzelt bezeugtem, eventuell aus gleichbed. frz. grammatical entlehntem grammatikal Adj., vereinzelt auch als Bestimmungswort in Zss. wie Grammatikalfehler, -klasse. Seit Ende 17. Jh. seltenes, aus lat. grammaticalia Pl. (Subst. von grammaticalis, s. o.) entlehntes Grammatikalie F. (-; -n), bis heute auch in der lat. Form, meist plur. gebraucht in der Bed. 'Inhalte des grammatikalischen Regelsystems, grammatische Formen, die Grammatik einer Sprache betreffende Dinge', auch 'Verstöße gegen grammatische Regeln, grammatische Fehler' (s. Belege 1785, 1792, 1836); seit Anfang 19. Jh. die (oft okkasionell verwendeten) verbalen Ableitungen grammatikalisieren V. intrans. (vgl. lexikalisieren, engl. lexicalize, frz. lexicaliser) und grammatisieren V. intrans. sowie das Verbalsubst. Grammatikalisierung F. (-; -en), gleichbed. mit der im 20. Jh. gelegentlich nachgewiesenen, eventuell frz. beeinflussten subst. Ableitung Grammatikalisation F. (-; -en) 'Übergang eines Wortes mit eigenständiger Bedeutung zu einem Formelement mit nur noch grammatischer Funktion (bes. bei den Bindewörtern)' (z.B. ahd. lieh 'Körper, Leib' zum Suffix -lieh); gleichzeitig der aus engl.-amerikan. grammatically (von N. Chomsky 1965 eingeführt) übernommene Terminus Grammatikalität F. (-; ohne Pl.) 'Übereinstimmung mit den Regeln der Grammatik, Stimmigkeit der Segmente eines Satzes, grammatische Korrektheit, grammatische Wohlgeformtheit im Sinne der Übereinstimmung mit dem durch eine bestimmte Sprachtheorie fixierten Regelapparat'. b Seit frühem 16. Jh. (oft im Pl.) zunächst von den Elementarbüchern des Lese- und Schreibunterrichts, dann auch mit weitergehendem Anspruch in der Bed. 'Sprachlehrbuch, normatives Regelwerk; Regelsammlung in Lehrbuchform für das Erlernen und den Gebrauch einer Sprache' (dafür seit 16. Jh. auch Elementar buch, im 17./ 18. Jh. auch Sprachkunst und Sprachlehre, Unterricht usw.), moderner auch 'wissenschaftliche Darstellung der Gesetzmäßigkeiten, des Sprachbaus einer Einzelsprache', häufig auch als Buchtitel (s. Belege 1530, 1538), gelegentlich auch bezogen auf nicht normative, sondern historische Darstellungen einer Sprache oder eines Systems verschiedener Sprachen (s. Belege 1833, 1874), in Wendungen wie deutsche, russische, englische, französische, griechische Grammatik, die Grammatik von Jacob Grimm, in Zweifelsfällen in der Grammatik nachschlagen, lesen, suchen, blättern, eine neue Grammatik ist erschienen, eine kleine, kurzgefasste Grammatik der deutschen Sprache, eine Grammatik kaufen, welche Grammatik soll man im Deutschunterricht verwenden?, die Grammatiken geben darüber keine einheitliche Auskunft, in Zss. wie Grammatikschreibung; Schul-, Schüler-, Lerner-, Referenz-,
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Resultatsgrammatik, in neuerer Zeit gelegentlich auch übertragen verwendet (s. Beleg 1992), z.B. das Werk ist eine Grammatik ('ein Regelbuch, eine Darstellung des Regelsystems') der bildenden Künste. Grammatik a: Notker vor 1022 l 795 Nunc stringere. i. arguere quid grammatica regula. Et hie. Unde eteuuaz lästeron mit crämatichis eo; Albrecht um 1270 Jüngerer Titurel 174 Vil hoher tilgende lere was man im [dem jungen Titurel] willic gebende./ . . An der gramatic wart er schier vol varendc; Hugo v. Trimberg um 1300 Renner XVI 666 künste muoter und schuoler amme/ gramaticä, von der diu flamme/ gotes liebe wirt entzündet,/ di si gclertcn herzen kündet,/ diu hat sehs töhter in irm krame (DWB); um 1340 Minneburg 18 er [der Meister] künde niht ein [nicht nur eine einzige] gramaticä;/ er kund latin, er kund ebreisch,/ er kund krichisch unt kaldeisch/ mit geblümter rede gemacht guter/ reht sam die sproch siner muter (DWB); 14./15. Jh. Kolmarer Hs. 47,13 gramaticä die kunst die sol man brisen, sie kan gedankc wol ze worten wisen (LEXER); um 1400 Ackermann 32 Grammatica, gruntfeste aller guten rede, hilfet da nicht mit iren scharpfen vnd wol gegerbten Worten; 15. Jh. Fasnachtspiele II 740 Bei siben weisen meistern gra./ Briscianus mit gramaticä,/ Die lert lateinisch reden und sprechen,/ Die silben spalten, piegen und brechen; ebd. IV 219 So lernt ich [Aristoteles] euch so gerne/ Gramaticam, loicam [!],/ Philosophiam und rethoricam/ Und ander künste vil; Volkslied 1414-18 (Liliencron l 232) ein gluklich schul ist zc Tolos/ list man gramaticä die ros; ebd. 237 Guot lichter in retorica,/ guot singer in der musica;/ da was gramaticä grundlich,/ geometric ganz kundlich; um 1470 Urkundenb. Heilbronn (Württemb. Gesch.-Qu. V 496) item zu sumerzit sol der Schulmeister morgens so es fünfe siecht examinieren in grammatica ein stund und darnach lesen und darnach sollen die ciain knaben ir letz [Lektion] sagen, darnach sol man das latin examinieren und declinatz (DWB); Tünger 1486 Fazetien 143 Als ich ain Jüngling in der hohen schuol Ertfurt wonet, hat ich ainen maister in der kunst gramatic; um 1490 Reformation Sigmundi Ela [Frauen] sollen im Closter ain schuol haben daz sy lernen grammaticam vnd die hailigen geschrifft etwas zuo verston; Fries 1519 Spiegel d. Arznei 14b/c zum ersten so sie haben disciplin der zungen durch die Grammatic; Luther — Emser 1521 Sir. 84 Aber solchen buchstaben meynet S. Paulus nit. Es gehört yn die grammatick vnd kinder schulenn; Luther 1528 Unterricht (WA XXVI 238) Die Stunde vor mittag sol alleweg . . angelegt werden, das man . . nichts anders denn Grammaticam lere. Erstlich Etymologiam. Darnach Syntaxin; Ickelsamer um 1530
Grammatica o. S. Dieweil nun Quintilianus sagt/ es gehört zuo der grammatica/ zuo wissen ob etliche buoch staben mangeln oder Überfluß sein; Luther 1530-35 Tischreden (WA V 615) gleich wie einmal ein meßpfaff gewest ist, derselbe da er überm altar viel hostien sollte consecriren, meinete er, es wäre nicht congrue nach der grammatica geredt, das ist mein leib, sondern sprach: dies sind meine leibe (DWB); Begardi 1539 Index sanitatis Vorr. 7a Also die vnnergeltend ärtzet zum ersten, so sie haben bekommen disciplin der zungen durch die grammaticam; 1544 (Urk. Tübingen 233) Vnd sollen beide obgemelt Magistri . . dahin trachten, das die Jugend mit leuchten, kurtzen vnd wenig Regeln in der Grammatik auch baider Lateinischer vnd Griechischer sprachen vnderricht vnd Inen empsiger ernst vnd vleissiger trib ingebildet. . werden; Rivius 1548 Vttruv. 21a der Schrifft/ Schreiben/ Lesen/ vnd eygenschafft der Sprache/ so in der Grammatic begriffen; Rot 1571 Diet. 303 Declination . . biegung/ in der Grammatic; ebd. 315 Grammatic. Wirdt wie Micillus inn der Grammatica Philippi anzeigt/ vertcutscht. Ein schreibkunst/ die da lehret schreyben vnd Lesen; Letzner 1590 Chronica Vorr. 2b wirdt solche Kunst Grammatica, das ist Schreibe Kunst genandt; Spangenberg 1598 Musica 6 Daß allso die Grammattica, Dialectica vnnd Rhetorica vorhergehen, Darnach Arithmetica, Geometria vnnd Astronomia hernach folgen; Herlicius 1606 Musicom. C4a Wie es vmb die drey Kunst gestalt/ Grammatica, Dialectica, Darzu auch die Rhetorica; 1618 Speculum constantiae B7b Solt er wol die Grammatic recht studieret haben?; Böhme 1620 S. W. VII 397 und so e. gestr. etwas wollte lassen aus den allhie mitgeschickten Schriften abschreiben, so thut dem schreiber noth, daß er ein gelehrter, verständiger mann sei; denn die sylben sind nicht alle genug ausgestrichen, auch nicht nach der grammatica. es mögen auch wohl in vielen Worten buchstaben fehlen (DWB); Winckelmann 1649 Bed. 127 derselbe [Praeceptor] muß . . ihm das A B C und die Grammatic gleich einem Brey mit guten Worten .. einstreichen; Schupp 1658 Bücherdieb 13 Pralerey ist/ daß er junge Fürsten ohne die Grammatic . . will die Lateinische Sprache lehren; Pomey 1671 Indiculus Universalis 528 Grammatic od. Schreibkunst; Abr. a S. Clara 1680 Mercks Wien 107 und ist ein solcher ehestand eine grammatic in dero man nichts als amo conjugirt (DWB); Dalhover 1689 Gartenbeetlein // 88b Bey uns Menschen nimmt man zwar den Doctoral nit auß der Gram-
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matica wol über in den Schulen der Jugend; Fischbach 1689 Tractätlein v. d. schönen Wiss. 20 Die Grammatica ist eine Kunst wol zu Reden/ und correct zu Schreiben; Thomasius 1691 Ausübung d. Vernunftlehre 144 wenn ein Orator eine oration schreiben/ und in dem text die regeln aus der Grammatic . . mit anführen . . wolte; Leibniz 1696 Unvorgretfl. Gedanken 349 Die Reinigkeit der Sprache, Rede und Schrifft bestehet darin, dass so wol die Worte und Red-Arten gut Teutsch lauten, als dass die Grammatic oder Sprach-Kunst gebührend beobachtet . . werde; 1704 Auserlesene Antn. I 64 daß nicht allein wir Menschen selbst/ sondern auch unsere Rede (mit welcher die Grammatica, Poesie und Oratoria beschäfftiget ist) und unsere Vernunfft/ . . Item unsere Klugheit (Hier stecket die Philosophie practica) und all die Künste (die Mathesis) und Wissenschafften . . in seiner Hand sind; Vischer 1709 Informator 125 Diese Kunst heisst Grammatica, die so manchem Schüler den Schweiss auspresst; Crusius 1722 Portrait aller Wiss. 51 Grammatica ist die Sprache-Kunst, die da lehret, wie man eine Sprache recht reden und schreiben soll; Zedler 1734 Unwersallex. Vlll 909 Ellipsis ist in der Grammatica eine Figura Syntactica, nach welcher ein Wort oder auch mehrere, welche sonst zur Construction nöthig sind, zierlich weggelassen werden; Frisch 1741 Teutsch-lat, Wb. 365 Grammatik, die Kunst recht zu reden und zu schreiben, grammatica; Nicolai 1755 Zustand d. schönen Wiss. Von. o. S. daß das Gute in der Aesthetik aus der Poesie, Oratorie, Grammatik, der Critik und der Philosophie genommen sei; Herder 1769 Krit. Wälder (W. HI 472) „Sie rächet sich gegen ihre Verächter!" dies sagt Luther von der Grammatik der Worte, und noch mehr ließe es sich von der Grammatik der Gedanken, von der Philosophie, sagen; Geliert 1769 S. Sehr. V 140 Etwas von der Grammatik wissen, so viel Deutsch wissen, als man im täglichen Umgange hört; Batteux 1770 Künste 125 Grammatik war sein Element, darinnen er lebte; Lessing 1778 Nöthige Antwort (S. Sehr. XIII 374) er legt, wider alle Grammatik, wider allen Zusammenhang, einen Sinn hinein, welcher nicht der Sinn des Irenäus . . ist; Schlettwein 1781 Archiv 111 245 Nun schreitet man in der vierten Klasse mit den Kindern zur Grammatik, zu Exponirung leichter Colloquiorum, und zu Ausarbeitung leichter Exercitiorum; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 13) daß sie [hebräische Sprache] in ihrem Anfange so lebendigtönend, so unschreibbar gewesen, daß sie nur sehr unvollkommen geschrieben werden konnte, dies zeigt offenbar der ganze Bau ihrer Grammatik; Sulzer 1792 Theorie 233 je mehr die Sprachen an gewisse Regeln gebunden, oder in eine gewisse Ordnung gebracht und Grammatik und so genannte Logik
getrieben und bearbeitet worden sind; Novalis 1798 Logolog. Fragm. (Sehr. II 172) die gewöhnliche logik ist die grammatik der höhern spräche oder des denkens (DWB); Caroline 1801 Br. 45 ich habe Tancred und Cismonda übersetzt und muß es nur erst noch weiter ausbilden; es ist mir aber so sehr dabey aufgefallen, wie es mir an grammatik fehlt, daß ich mir auf diesen monat eine stunde bei dem professor Köchy nehmen werde (DWB); Matthisson 1803 Paris (VI 56) Die Grammatik dieser merkwürdigen Chiffersprache [Telegraphie] bleibt mit Recht noch unter dem Siegel des Geheimnisses; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 128) Hier fingen unsere Stunden leider an, was die Sprachübungen betrifft, lückenhaft zu werden. Lesen, Exponieren, Grammatik, Aufschreiben und Hersagen von Wörtern dauerte selten eine völlige halbe Stunde; ders. 1819 Diwan (WA I 6,265) Doch man horcht nun Dialekten,/ Wie sich Mensch und Engel kosen,/ Der Grammatik, der versteckten,/ Declinirend Mohn und Rosen; ders. 1822 Campagne (WA I 33,250) es fehlte durchaus an dem (für die Ausbildung von Schauspielern) was ich Grammatik nennen dürfte, die doch erst zum Grunde liegen muß, ehe man zu Rhetorik und Poesie gelangen kann; Koch-Sternfeld 1825 Beyträge l 283 Die gründlichen Geschichtforscher alter und neuer Zeit haben diesem Gegenstande, wobey es nicht sowohl auf die Grammatik, als vielmehr auf das Etymon und Idiom ankömmt, von jeher ein besonderes Augenmerk gewidmet; Borne 1829 Ges. Sehr. VI 137 moral ist die grammatik der religion; es ist leichter gerecht, als schön zu handeln (DWB); Goethe 1832 Br. (WA IV 49,246) Die kunstgemäße Ausbildung einer bedeutenden Naturanlage .. ehmals, wo noch jeder Anfänger an Schule, Regel, Meisterschaft glaubte und sich der Grammatik seines Faches bescheiden unterwarf; 1844 Volks-Conversations-Lex. I 231 Assimilation, Verähnlichung, . . In der Grammatik bei Wörterzusammensetzung Verwandlung des Endbuchstaben im ersten Worte in den Anfangsbuchstaben des zweiten; 1857 Basar 69a Im Ganzen mag es wenig kräftige fünfzehnjährige Bursche geben, welche sich ohne Widerstreben in die lateinische Grammatik vertiefen; Scheer 1865 Blücher U 102 Blüchers Sprechweise ist damals und später ein Krieg auf Leben und Tod gegen die deutsche Grammatik gewesen; Rumpelt 1879 Poetik 63 Die alten Rhetoriker sind unerschöpflich in der Aufstellung und Definition von Figuren, indem sie jede Abweichung von dem herkömmlichen Gleise der Grammatik mit einem stolzklingenden Namen taufen; Kaufmann 1888 Gesch. d. dtsch. Univ. 305 Es genügte eine gewisse Fertigkeit in den Elementen der Grammatik und in der üblichen lateinischen Umgangssprache; Hoff-
Grammatik mann 1894 Stolpenburg 83 die gesamte griechische Elementargrammatik; Bretter/Freud 1909 Hysterie 45 Dann verlor ihr Sprechen alle Grammatik, jede Syntax, die ganze Konjugation des Verbums, sie gebrauchte schließlich nur falsch; 1913 Zeitschr. d. allg. dtsch. Sprachvereins XXVIII 87 Von Wustmann behauptet er, . . daß er sich viel enger an die Gesetze der deutschen Grammatik halte; Steinhausen 1933 Gesch. d. dtsch. Kultur 81 Schon im 11. Jahrhundert schwand zum Teil die bisherige Weise, auf Grund der Grammatik und mit Hilfe der Kirchenväter die Heilige Schrift zu erklären; Schlosser 1935 Stilgeschichte 35 die Grammatik, jene Türhiiterin am Ruinenpalast antiker Bildung, die in dem Schema der sieben „freien" Künste kümmerlich genug weitergelebt . . hat; Klemperer 1947 Tagebücher 363 Programmaufstellung, nach der ich 8 Semesterstunden über Litgesch. u. Metrik u. historische Grammatik zu lesen habe; 1955 Studia Neophilol. XXVII 255 die universelle Grammatik zu schaffen, wie sie nach Humboldts Meinung aus den verschiedenen Sprachen erschlossen werden könne; Heimpel 1956 Kapitulation 77 das akademische Wesen ist für den Außenstehenden und somit für eine Öffentlichkeit, die einem Zuschußinstitut, wie es alle „Akademien" zunächst zu sein scheinen, Geld geben soll, eine Grammatik, in der sich vieles nicht deklinieren läßt; Chomsky 1969 Aspekte d. Syntax-Theorie (Übers.) 40 wir [verwenden] den Terminus Grammatik systematisch mehrdeutig (einmal meint er die im Sprecher intern repräsentierte „Theorie seiner Sprache", zum ändern bezeichnet er den linguistischen Zugang zu diesem Phänomen) (PAUL); Frings 1984 Liebesdinge 74 Da erzählen einem die Leute. ., was sie wollen und wie, entwerfen eine Grammatik ihres „Lustverhaltens" (DUDEN 1999); Zeit 4.1.1985 die Leistung des Architekten liegt hier nicht in den Zitaten nach Potsdamer Giebelformen, . . sondern in seiner städtebaulichen Grammatik, die aus spröden Grundvokabeln, ohne direkte Anleihen in der Geschichte, Stadträume von der Variationsvielfalt Staakens zustande brachte; Süddtsch. Ztg. 12./13. 2. 1994 Jede schnelle psychologische Etikettierung verkennt die ganz persönliche Geschichte eines Menschen, seine ureigene Grammatik der Gefühle; taz 28. 9. 1996 Die Ästhetik der Abbildung als Grammatik der Bilder; Presse 2. 8. 1997 „Die Ortsnamenforschung erfordert die Kenntnis der historischen Grammatik aller beteiligten Sprachen", erklärt Peter Wiesinger vom Institut für Germanistik an der Universität Wien; Züricher Tagesanz. 20.6. 1998 Chomskys Transformationsgrammatik geht davon aus, dass es hinter den grammatischen Regeln der einzelnen Sprachen noch universale Tiefenregeln gibt, auf die sich alle Sprachen schlechthin zurückführen lassen;
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Berl. Ztg. 15.4.2002 Die Artistenfakultät lehrte die sieben freien Künste („artes liberales"). Zu ihnen gehörten die drei Wortkünste (das Trivium) Rhetorik, Grammatik, Dialektik und die vier Zahlenkünste (das Quadrivium) Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik; taz 13. 10. 2005 jenen nicht expressiven, sondern abstrakten Zweig der Nachwirkungen des Modernismo, bei dem sich in den fünfziger Jahren die Architekturen und Farben Brasiliens mit der Grammatik des Bauhauses verbanden. Grammatikal-, grammatikal(-): Hippel 1793 Kreuzu. Querzüge l 29 schon eine Provinziale (welches die Baronin doch nicht im eigentlichen Sinne war, da sie die Ehre hatte, den Hof von Zeit zu Zeit zu sehen und sich von ihm sehen zu lassen) hätte alle die possierlich angebrachten Arabesken, Guirlanden und Devisen auf den ersten Blick als Grammatikalfehler des Putzes entdecken müssen; Grimm 1849 Kl. Sehr. I 174 grammaticale gesetze, die auf textbestimmung noch keinen einflusz gewonnen hatten; Qitzmann I860 Rel. Baiw. Vorw. VI die Wolke grammatikaler Spitzfindigkeit; 1885 Beitr. z. Anthropologie u. Urgesch. Bayerns 6,127 aufgäbe, sämtliche deutschen mundarten grammatikal zu behandeln; Paulsen 1896 Gesch. d. gel. Unterrichts l 414 Ihr [der lateinischen Sprache] Inhalt wird auf die drei Grammatikalklassen verteilt; Rein 1908 Encyklopäd. Handb. d. Pädagogik VII 551 Der Unterricht gliederte sich in drei Stufen, die Grammatikal- und Humanitätsklassen, mit denen auch der Unterricht in Philosophie verbunden war, die juridischen Fächer, und endlich die weitere spezielle Fachbildung. Grammatikalie: 1693 Bedenken 48 obgleich diese Sachen der Jugend wohl möchten einleuchten/ so ist aber diese also geartet/ daß sie hernach gleichbalden der Grammaticalien überdrüssig wird/ und immer nur etwas lustigers . . tractiren wil; 1744 Leipziger Samml. v. Finanz-Sachen l 507 Die Grammaticalia einer ieglichen Sprache lassen sich alle mit einander, so viel nemlich unsere Scholaren, als zu einiger Richtschnur davon noethig haben werden, auf 6 Tabellen darlegen, welche in den Sprach-Classen beständig aufgehangen bleiben, um bedürffenden Falls sich daraus Raths erhohlen zu können; 1785 Allgem. Lit.- Ztg. V 264 Die Lebensbeschreibung des seel. von Schrötter hebt mit abentheuerlichen Declamationen an, welche mit Grammaticalien und auffallenden Schreibfehlern oben drein versetzt sind; Laukhard 1792 Leben I 84 In der Frankfurter gelehrten Zeitung ist ihm einmal ein lateinisches Exercitium, dem er den Titel Programm gegeben hatte, häßlich korrigirt worden. Da gab es mehr als vierzig derbe Gram-
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matikalien!; Schneller 1821 Mundarten Bayerns 2 Die Bezeichnungen der zweyten Art . . heißen in den uns bekanntesten Sprachen gewöhnlich Formen oder Grammaticalien; Immermann 1836 Epigonen II 507 Es sind mir sogar Grammaticalia aufgestoßen, die freilich wohl mehr dem Abschreiber zur Last fallen; denn von Ihnen setze ich voraus, daß Sie ihren Schulkursus durchgemacht haben (DiBi 125); Gräfenhan 1843 Gesch. d. klass. Philologie im Alterthum l 307 Dass man übrigens schon anfing, solche Realien für zweckdienlicher und ihre Kenntnisse für ehrenvoller zu halten, als die Grammatikalien, davon haben wir im Platon ein recht anschauliches Beispiel; 1862 Jahrbücher f. class. Philologie VIII Ferner unterscheidet W. Synonyma, z. B. S 19 insidiator, latro . . erläutert die Bedeutungen der Tempora . . und andere Grammaticalien; Breymann 1882 Lehre vom frz. Verb 34 Auch der neusprachliche Unterricht an der Realschule hat zunächst den formalen Bildungszweck im Auge zu behalten, auch hier sind es in erster Linie die Grammatikalien, an denen die jugendliche Denkkraft geschärft . . wird; Haag 1903 Hohe Schulen zu Bern 108 Nach dem Antrag des Schulrates wurden ihm mit einer Besoldung von 1200 Pfd. fünf wöchentliche Unterrichtsstunden zugewiesen und zwar zwei mit den untern Studiosis für die Grammaticalia in der hebräischen Sprache und eine mit den obern für den Talmud; Brandt 1936 Forschungen 198 Aber der ungeduldige Eifer der Schüler erstickte bald unter der übergroßen Genauigkeit des Lehrers Dr. Willich, welcher ihnen mit wohlgemeinter Pedanterie alle Grammatikalien von Geßners 'Tod Abels' beibringen wollte; Ax 1976 Probleme d. Sprachstils 74 Nach diesem Prinzip verfährt M., wenn er die einzelnen Grammaticalia auf ihren Ausdruckswert hin überprüft und sie, wenn möglich, in stilistischen Varianten zusammenstellt. Grammatikalisation: 1920 Logos V11I 293 Nämlich nur insofern, als sie durch Formalisierung und Grammatikalisation ihre eigene, unmittelbare Bedeutungsfülle verloren haben; Pilz 1978 Phraseologie l 415 Sie geht kurz auf die Prozesse der Grammatikalisation und Lexikalisation ein (aus freien Wortgruppen können phraseologische Einheiten oder Komposita entstehen). grammatikalisch: Campianus 1599 Schräckengast (Übers.) Gla Deß Schlags vnd Geliffters ist auch, daß sie den allgemeynen althergebrachten Verstand, als den lebendigen Kern der Woerter hinder die Thuer setzen, vnnd ein Grammaticalischen Schulzanck mit den Rudimenten anstellen; Zeiller 1653 Dialogi 416 Beobachtung der Grammaticalischen Reguln; Schupp 1663 Lehrreiche Sehr.
(Ausg. 1701) 706 Ich verwundere mich über den [!] Grammaticalischen List; Becher 1668 Methodus 140 die andere Grammaticalische/ nemlich die Etymologische Connexion der Wörter/ allwo erkläret wird/ wie die Wörter der Etymologie nach/ einander verwand seyn; Beer 1683 Sommer-Tage 575 die vier Studenten, die man auch meistenteils aus dieser Ursache mit an die Tafel gesetzet, denn diese Ehre schätzten sie höher als ein Dutzent Ducaten, welche ihnen doch zur Fortsetzung und Auswendiglernung ihrer grammaticalischen Reguln viel nützlicher gewesen wären (DiBi 125); Weigel 1689 Wurtzlzug 16 wenn die kinder bisz zum zwantzigsten jähr nichts anders hören und vorhaben und lernen, als grammaticalische weißheiten und scibilien, nichts als nur wörter-wercke (phrases und sermonen), wörterwurtzeln, wort-ursachen, rede-stellungen, wort-verbindungen (DWB); Thomasius 1701 Kl. Sehr. 21 als einer der eine Grammaticalische Ketzerey begangen hätte/ seiner beneficien beraubet wurde; Fassmann 1729 Narr 28 die, welche einen gantzen Tag auf dem Marckt . . oder sonst bey einer Gesellschaft gelehrter Leute stehen und disputiren, ja sich um geringer und nichtiger grammaticalischen Sachen willen zancken; Lessing 1747 Junge Gelehrte (S. Sehr. I 369) die Akademie . . wollte nicht untersucht wissen, was das Wort Monas grammatikalisch bedeute . . ob die Monaden des Pythagoras die Atomi des Moschus gewesen; Schlettwein 1781 Archiv III 240 Damit aber die jungen Leute in dieser dritten Klasse leichte lateinische Schriftsteller lesen, übersezen, und nach den grammatikalischen Regeln beurtheilen können, so müssen sie in den niedrigen Klassen in diesen Vorbereitungsstücken, nämlich im Dekliniren und Konjugiren . . unterwiesen werden; Moritz 1794 Grammat. Wb. II 61 ohne Ziererei kann niemand, statt bestimmen, determiniren sagen. Als ein grammatikalischer Kunstausdruck muß es aber hier angeführt werden; 1811 Almanack a. Rom II 159 Daher stellen die meisten Componisten zu Entschuldigung ihrer ungrammaticalischen Freiheiten u. dergl. gern den Grundsatz auf, man schreibe nicht fürs Gesicht, sondern fürs Gehör; Schopenhauer 1844 Sprache (Nachlass I I 1 7 1 ) Die schmählichsten Gallicismen sind aber die grammatikalischen; Holtet 1863 Letzte Komödiant II 144 äußerte in allerdings nicht grammatikalisch gebauten Sätzen der gutmütige Bursche; Raabe 1864 Hungerpastor 87 weil er [Cornelius Nepos] seine Vorrede mit einem grammatikalischen Fehler anfängt und Non dubito nicht mit quin konstruiert; Nordau 1881 Paris II 72 da er das, was er sagt, grammatikalisch correct und mit dem Aplomb eines Demosthenes vorträgt; Winter 1888 Unbeflügelte Worte 143 Phrase bedeutet im Französischen: der Satz als grammatikalische Form, im Gegensatze zu der Proposition, dem
Grammatik Satze in logischer Beziehung; Ganghofer 1909—11 l^ehenslauf eines Optimisten I 281 den nächsten freien Nachmittag mußte ich . . eine lange Strafarbeit über alle grammatikalischen Fehler machen, die der Rektor in den lateinischen Reimen meiner Pedelliade aufgefunden hatte (DiBi 125); Münch. N. N. 7. 3. 1944 Als Schriftsteller hat Cellini in seiner „Vita" mit Klarheit und Unmittelbarkeit, trotz seiner grammatikalischen Fehler, ein großes Bild seines Jahrhunderts entworfen; Balint 19.59 Angstlust 38 Dieselben grammatikalischen Formen — mittlere Form, Medium, reflexive oder intransitive Formen — werden auch gebraucht, um eine weitere höchst bedeutsame Beziehung auszudrücken; Andersch 1971 Kirschen 12 zwar erwarb ich mir in Deutsch und Geschichte die besten Noten, aber ich war . . niemals in der Lage, eine Sprache nach grammatikalischen Gesetzen zu erlernen; Zeit 3. 10. 1986 Wörter [werden] aus einem gegebenen Wortschatz zu grammatikalisch korrekten Sätzen zusammengefügt; Spiegel 5. 9. 1994 ihre wortreiche, grammatikalisch verzwickte Muttersprache; taz 3. 1.2006 Wann auch immer hierzulande Lothar Matthäus seine Mannschaft eine „gut intrigierte Truppe" nennt, Berti Vogts „die Bayern gratuliert" und Trainer Lorenz-Günther Köstner findet, die Seinen hätten „fehlende Cleverness vermissen lassen", sind wir mittendrin in den Untiefen unfreiwilligen Humors und unvorteilhafter Anwendung lexikalischer und grammatikalischer Gesetzmäßigkeiten am Spielfeldrand. grammatikalisieren: 1804 Br. v. d. Univ. 76 Deines Briefes, wo Du mir das Gerundium in di vorgrammatikalisirst; Vossler 1923 Ges. Aufs. z. Sprachphilosophie 74 Das nur psychologisch bezogene „Ach!" ist zwar eine Einheit für sich, aber keine grammatikalisierte, während das „Weh!" erst mit dem folgenden „mir" zusammen eine grammatische Einheit bildet; Klemperer 1938 Tagebücher 427 Grammatikalisierte Verzweiflung, unbewußte Verzweiflung; 1940 PBB LXIV 167 Auch sollen Beispiele, wo die volle ursprüngliche Bedeutung des Wortes deutlich fühlbar ist, zurücktreten gegenüber anderen, wo es unter Abschwächung und Verdunkelung seiner speziellen Bedeutung wirklich nur als Steigerungsadverbium dient, wo es grammatikalisiert ist; Storz 1957 Sprache u. Dichtung 271 Im Deutschen nicht anders als in anderen Sprachen hebt er sich trotz äußerer Selbständigkeit von den grammatikalisierten Flexions- und Bildungssilben kaum ab; taz 8. 6. 1991 In der Türkei wird durch den bloßen Gebrauch dieser Sprache der Sprecher kriminalisiert. Darum ist Kurmanci wenig grammatikalisiert und erst auf dem Weg zur Schriftsprache; Salzb. Nachr. 5.2. 1994 Janacs schickt sich dichtend an, die umgebende Natur —
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da ist vor allem das durchgängige Baumotiv — zu grammatikalisieren („ein komma im acker") und die eigene Natur zu entdecken; taz 17. 9. 1998 Die aus den Materialbedingungen und der Medienspezifität abgeleitete Emanzipation von Video und Supcr8 als eigenständige Kunstformen war durch den Computer in Frage gestellt worden, da Bilder und Töne fortan in einer gemeinsamen digitalen Form grammatikalisiert und an unterschiedliche Ausgabegeräte weitergegeben werden konnten. Grammatikalisierung: Hofmann 1926 Lat. Umgangsspr. 50 die fliegende Hast der Erzählung gestattet keine förmliche Grammatikalisierung; 1941 Psychologie d. Spr. C/, 101 Ohne diese formalen Mittel der Grammatikalisierung könnte die Sprache ihren komplizierten Aufgaben nicht genügen; Holtus 1984 Umgangsspr. i. d. Iberoromania 145 Während im Italienischen beide Konstruktionen nebeneinander existieren als zwei Einheiten mit unterschiedlicher Grammatikalisierung und verschiedener Funktion. Grammatikalität: Bierwisch 1963 Grammatik d. dt. Verbs (Studia Grammatica // 9) [eine Sammlung von Texten] enthält . . keinerlei Feststellung über Grammatikalität, strukturelle Ähnlichkeit, Ambiguität usw.; Engel 1970 Regeln z. Wortstellung 80 immerhin kann die Grammatikalität der folgenden Sätze kaum bezweifelt werden; Presse 17. 11. 1999 Locher untersucht in Schriftbildern die Zeichenhaftigkeit und Grammatikalität von Kommunikation. Grammatikaster: Ritschi 1838 Alexandrin. Bibliotheken 147 Ton und Farbe dieser Fragmente geben den Byzantinischen Grammatikaster deutlich zu erkennen; Gräfenhan 1850 Gesch. d. klass. Philologie IV 314 Den kritischen Werth des Donat hat neuerdings Königshoff angegriffen, indem er nachzuweisen bemüht ist, dass gerade die kritische Partie am wenigsten vom Donat herrühre, sondern meist Grammatikastern verdankt wurde, die den Terenz mit Knaben gelesen und mit ihren theils falschen, theils kindischen Bemerkungen den Donatischen Kommentar interpolirt hätten; Bücheier 1866 Grundriss d. tat. Declination 25 Erwähnt seien schliesslich illa Censorii Catonis „diee hanc" dergleichen Quintilian 9, 4, 39 in alten Büchern fand, Grammaticaster aber aus Unwissenheit zu ändern pflegten; Bruno 2003 Kerzenzieher 184 Manfurio erklärt hier umständlichst einen Grammatikaster: Unterscheidung der Aussprache der Worte 'equus' (Pferd) und 'aequus' (gleich). Grarnmatiker/Grammatikerin/Grammaticus: Megenberg 1349—50 Buch d. Natur 201 grammatici
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daz sint der rede maister; Luther 1528 Bekenntnis (W. XXVI 272) alle Grammatici odder Redenmeister; Ickelsamer um 1530 Grammatica 37 Man solt denn erst auß dem teütschen schuler ainen Grammaticü machen, vnd jn leren alles was zu ainer teütschen Orthographie, Etymologia vnnd Sintaxi dienet; Rwius 1548 Vitruv. 21a der beruemt Aristarchus von Alexandria bürtig/ so zu Pergamo der fuernemst vnd oberst gewesen vber viertzig Grammaticos; Wasserleiter 1590 Logica 88b Genus heissen die Grammatici ein Nomen appelativum, das ist ein ding, welches von vielen ändern gesagt oder gedeutet kan werden; Perez 1626 Landstörtzerin l 346 er war der aller fürtrefflichste Grammaticus, ein außbündiger Philosophus vnd der aller vollkommenste Astrologus; Comenius 1631 Sprachenthür 234 Der Grammaticus lehret die buchstaben vnd sylben nach rechter schreibens-art zu mahlen; Winckelmann 1649 Bedencken 81 wan ein Grammaticus über die Grammatic, ein Philosophus über die Logic, ein Poet über die Poetic . . ein Unheil fället; Becher 1668 Method, didact. 131a arte grammaticam . ./ worinnen schier kein eintziger Grammaticus biß auff den heutigen Tag noch mit dem ändern einig; Abr. a S.Clara 1686 Judas i 284-286 (Wunderkur 57) Wissen gar wol/ daß Foemina [Weib] soll generis neutrius [neutral] seyn/ wider der Grammaticorum Außsag/ vnd solche decliniret [abgelehnt] vnd nicht conjugiret [verbunden] soll werden; Marperger 1711 Beschr. d. Messen l 175 bey denen Grammaticis die Gedächtniß-Kunst; Fassmann 1729 Narr 28 Nebst diesen seynd auch andere, die wollen gar gute und reine Grammatici seyn; Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 37 Artist . . Grammaticus, Literator; Schönaich 1754 Ästhetik 63 In der blühenden Schreibart .. ist der Botanikus und Grammatikus stark; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 10) Aus den leichten Erwähnungen, die seiner [Laokoons] einige alte Grammatiker thun, läßt sich nicht schliessen, wie der Dichter diesen Stoff behandelt habe; Zeckmann 1784-88 Erfindungen 436 Der Grammaticus Papias, der ums Jahr 1051 geschrieben hat; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 13) Diese Schreibart ist dem Lauf der gesunden Vernunft so entgegen, das Unwesentliche zu schreiben, und das Wesentliche auszulaßen, daß sie den Grammatikern unbegreiflich seyn müßte, wenn Grammatiker zu begreifen gewohnt wären; Sulzer 1792 Theorie II 588 die jetzt . . gewöhnlich, Hirtengedichte heißen, weil sie, von den Grammatikern, entweder, wegen ihres vermischten Innhaltes, oder wegen ihres geringen Stoffes und Umfanges, Idyllen . . genannt wurden; 1800 Journal d. Moden XV 62 Die zwey und zwanzig verschiedennamigten Frauenschuhe, die der tiefbelesene Grammatiker Julius Pollux in seinem Wörterbuche uns aufzählt;
Campe 1813 Fremdwb. 341 Grammatiker. Der Sprachgebrauch hat zwar schon Sprachlehrer dafür angenommen; aber eigentlich sollte man Sprachkünstler dafür sagen. Denn nicht jeder Sprachlehrer ist ein Grammatiker, d. i. ein solcher, der die Sprache, als eine Kunst, nach Regeln lehrt; Voss 1831 Zeitmessung 44 die alten Grammatiker wollten in ig Eigenschaften, in icht Menge finden, und hatten weniger Unrecht. Jetzt unterscheiden sich felsig und felsicht nur durch Wohlklang; Scheer 1865 Blücher II 102 Er ließ sich die Plänkeleien der hübschen Grammatikerinnen [Schülerinnen] gemüthlich gefallen; Kriegk 1871 Bürgertum II 124 Die [Schüler] der zweituntersten Klassen wurden . . die Donatisten genannt, weil die mit Hülfe des Donatus zu erlernende lateinische Grammatik ihr Lehrziel war. Daß auf diese aufwärts die Grammatici, dann die Metrici und Poetastri und zuletzt die Historic! und Dialectic! folgten, ist uns aus Classen's Micyllus bekannt; Paul 1880 Principien 200 die übliche Unterscheidung der Redeteile, wie sie von den antiken Grammatikern übernommen ist; 1885 Archiv f. lat. Gramm, u. Lexikographie // 581 schon die alten Grammatiker wussten nichts Bestimmtes über den Ursprung des Wortes instar zu sagen; 1910 Vietor-Festschr. 318 Die dereinst mit dem Spottnamen „Junggrammatiker" bedachten Forscher haben praktisch den Beweis geliefert, dass für die ernste Wissenschaft überhaupt nur eine Methode, nämlich die ihre in Betracht kommt; Klemperer 1919 Tagebücher 363 Es ist nicht wahr, daß Voßler gerade einen Grammatiker zur Entlastung braucht, er hat die grammatischen College immer Jordan überlassen; Werfet 1924 Verdi 83 sie standen tief unter ihm, diese Schulmeister, Winkelmaestri, Journalisten und Musikgrammatiker; 1931 Handb. d. Amerikakunde 175 die Grammatiker streiten sich um den Begriff des syntaktischen Amerikanismus ebenso wie um den des wortkundlichen; Partner 1964 Erben 289 während der „Brautzeit" von Rotrud und Konstantin weilte auch ein griechischer Grammatiker am fränkischen Hof; Schramm 1971 Ges. Aufs. IV o. S. der Verfasser, ein auch sonst bekannter Grammatiker; Zeit 19. 4. 1985 den Grammatiker, dem alle übrigen zustimmen, gibt es nicht, und den, der einem anderen in jeder Hinsicht recht gäbe, auch nicht; Mannh. Morgen 10. 1. 1989 Unser Vorschlag, die von Grammatikern eingeführte Schreib-Unterscheidung „das/daß" aufzugeben und immer „das" zu schreiben; Presse 14. 7. 2000 Gutolf war jedenfalls ein kunstreicher Prosaist und Versifikator, ein engagierter und geistreicher Lehrer namentlich weiblicher Klosterinsassinnen, er war Grammatiker, Historiker, Jurist, Historiograph und Erbauungsschriftsteller.
Grammatik grammatisch: Luther 1528 Unterricht (WA XXVI 239) Auff diesen tag auch sol man Mcttheum grammatice exponiren; ders. 1543 W. LI1I 597 sie sollen ziphra oder zalbuchstaben, nicht mehr lesebuchstaben sein, nicht grammatisch, wie man sie in der schule lieset, sondern arithmetisch, wie man sie jnn der rechenschule lieset (DWB); Rivius 1548 Vitruv. 212h Also haben wir auffs kürtzest die frembden Wörter dises capites nit Grammatischer weiß/ sondern souil zum Verstand des Text Vitruuij von nöten auch erkleren wollen; Franck 1558 Paradoxa 7b Auß disem folgt/ dfasj der buochstab vnn der Grammatisch sinn der schrifft/ auch nicht der probstein/ vnd goldwag d[er] geister sein kan; Fabricius 1588 Surius' Chronik 197b Den Ecken tadlen die Euangelischen/ vnd greiffen jn gantz bitterlich an: aber wenn sie schon all jre grammatickische theologen auff einander schmideten/ wurden sie doch kummerlich einen dem Eckio gleich können machen; Harsdörffer 1653 Poet. Trichter Hl 65 wann auch der Inhalt gut, die Wort aber nicht nach der Sprachkunst (Grammatice) Lehrrichtig gebrauchet werden; Morhof 1682 Unterricht 33 Grammatische Lehr-Sätze; 1693 Wohlgemeyntes Bedenken 25 Wäre es nicht besser, nachdem in einer Class Corn. Nepos und etwa epistolae Cic. Grammatice analysiret worden, man bliebe in der darauf folgenden Schul darbey; Leibniz 1696 U nuorgreifliehe Gedanken 354 viele Grammatische Knoten und Scrupel; 1704 Auserlesene Anm. l 53 Die Weißheit aber die man in Schulen lehret/ ist mancherley/ sie ist entweder Theologisch/ oder Juristisch/ oder Medicinisch/ oder Philosophisch. Und diese ist entweder Grammatisch/ oder Rhetorisch/ oder Logisch; Breitinger 1740 Dichtkunst l 89 die Materie zu diesen gramatischen [!] Untersuchungen; Geliert 1751 Br. (IV 29) Die Worte [eines Briefes] sind verständlich, und üblich, und grammatisch richtig; Meier 1762 Vernunftslehre 698 Man muß alle grammatischen Fehler vermeiden, alle Wörter und Wortfügungen, welche der Natur einer Sprache, und dem ganzen System der Sprachregeln, nicht gemäß sind; Geliert 1769 S. Sehr. V 128 wir haben uns eine grammatische Kenntniß der Sprachen der Alten erworben; Bürger 1787 Anweisung zur dtsch. Sprache (III 26) grammatisch richtig schreiben; Schlegel 1798 Kunstlehre 247 Die technische Poetik bezieht sich 1. auf die allgemeine Natur der Sprache, 2. auf die zufälligen Verschiedenheiten der Sprachen. Im ersten Falle ist sie grammatisch, im letzten philologisch; Novalis vor 1802 Sehr. Ill 350 überall liegt eine grammatische mystik, wie mir scheint, zum gründe, die sehr leicht das erste erstaunen über spräche und schrift erregen konnte (die wilden Völker halten die schrift noch für zauberei) (DWB); Schubart 1806 Ästhetik d. Tonkunst 293 erst übe man sich [als Klavierschüler] im
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grammatischen vortrage und treffe die musikalischen pulse aufs genaueste . . dann übe man sich im vortrage selbst (DWB); 1810 Almanach a. Rom l 159 die wunderbaren Hieroglyphen, deren Sinn uns immer unerklärbar bleiben wird, nicht, weil uns der grammatische Schlüssel dazu fehlt, sondern weil uns jener Anschauungssinn mangelt, der nur dem Zeitalter eigen war, das sie erschuf; Hebart 1841 Varies. 58 Nachforschungen über den grammatischen Bau dieser Sprachen; Humboldt 1849 Ansichten 148 Sprach-Analogien verdienen aber erst dann Vertrauen, wenn sie nicht bei Klang-Ähnlichkeiten der Wurzeln verweilen, sondern in den organischen Bau, in den grammatischen Formenreichthum, in das eindringen, was in den Sprachen sich als Product der geistigen Kraft des Menschen offenbart; Kaufmann 1888 Gesch. d. dtsch. Univ. 305 einen vorgelegten Satz grammatisch zergliedern, Hauptworte und Zeitworte bestimmen und die Fragen aus der Konjugation, Deklination, der Lehre von der Kongruenz u. s. w. beantworten; Paulsen 1896 Gesch. d. gel. Unterrichts l 266 Wie die Disputationen den philosophischen Unterricht begleiten, so begleiten die Deklamationen den grammatisch-rhetorischen Unterricht; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 636) bei dem Gedanken an das Auswendiglernen der Geschichtszahlen und grammatischen Regeln; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 91) er genoß die gebildeten, bissig behenden Wendungen und Formen, deren er sich bediente, ja selbst die grammatische Beugung und Abwandlung der Wörter mit einem offensichtlichen, sich mitteilenden und heiter stimmenden Behagen; Gebauer 1932 Kulturgesch. 271 das gegenständliche Interesse an der Antike war hinter dem grammatischen Betriebe durchaus zurückgetreten; Hankamer 1947 Gegenref. 146 Die Grundwerte humanistischer Sprachlehre sind Richtigkeit und Schönheit, Die Richtigkeit (Eleganz) ist einmal formal grammatisch und zielt auf eine klassische Sprache als eine Form, die . . jenseits des Lebens als Schriftsprache feststeht; 1962 — 63 Sprache im techn. Zeitalter 365 Da Grammatik die Sprachstruktur mitbedingt und strukturelle Eigenheiten immer auch grammatisch beschreibbar und faßbar sind; Staiger 1966 Grundbegriffe 144 wie der lyrische Dichter den Satz in Satzfragmente, ja sogar in einzelne Wörter auflösen kann, zerstört auch der Pathetiker oft grammatische Zusammenhänge und springt in seiner Rede gleichsam von einem Gipfel zum ändern hinüber; Neues Deutschi. 30.4.1974 Dieses [linguistische Gesamtanalyseund Übersetzungssystem] bildet die grammatische Grundlage für die Arbeit eines Computers, der Fachtexte aus der Textiltechnik und der Textilchemie übersetzt; Mannh. Morgen 15.3.1985 der Lektor des Verlages hatte obendrein nicht den
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Mut, seinem Autor den Text zurückzugeben, mit der Bitte, die peinlichen grammatischen Fehltritte zu korrigieren; FAZ 2. 1. 1997 Die Werbesprache arbeitet jenseits grammatischer und rationaler Grenzen; Züricher Tagesanz. 22. 4. 2000 Wie er mit einer Montage, so frech, wie ich es bei einem europäischen Film seit Jahren nicht erlebt habe, hemmungslos und gelegentlich über alle filmgrammatischen Gesetze hinweg, dem Zentralnerv des Geschehens auf der Spur bleibt. ungrammatisch: Doederlein 1784 Theolog. Bibl. 31 ist billig die unbequeme und ungrammatische Interpunktion unsrer Ausgaben geaendert; Goethe um 1791 Materialien z. Gesch. d. Farbenlehre (WA 4,161) diese, wie der Titel, fehlerhafte, ungrammatische, inkorrekte, überhaupt barbarische Übersetzung konnte freilich kein Glück machen; 1819 Theolog. Zeitschr. I 151 Denn wie will man . . konstruiren? Wie ungrammatisch ist hier, dass aus dem Genit. absol. das Subjekt . . supplirt werden muss?; Bremi 1827 Cornelius Nepos 52 Ich habe diese Lesart mehrerer der besten Handschriften in den Text aufgenommen. Sie scheint zwar auf den ersten Anblick ungrammatisch; 1850 Zeitschr. d. Dt. morgenländ. Ges. IV 81 das maghrebinische Arabisch sey ein abscheuliches Jargon, dessen Grammatik sich auf den einfachen Satz zurückführen lasse: Je ungrammatischer, desto besser spricht man, denn desto besser wird man verstanden; Steinthal 1863 Gesch. d. Sprachwiss. 277 Wenn jene stoische Logik vom Logiker völlig abgewiesen werden muss, weil sie die logischen Verhältnisse nur nach der zufälligen, äusserlichen Sprachform bestimmt; und wenn der Grammatiker seinerseits sie nicht minder als ungrammatisch zurückweist, weil sie alle sprachlichen Verhältnisse nach einem ihnen fremden Massstabe beurtheilt: was ist denn nun diese solchergestalt gebildete Disciplin?; Wahrmund 1898 Handh. d. neu-arah. Spr. 277 Die vulgäre, ungrammatische Sprechweise ist bei den Gelehrten nicht gebräuchlich, aber sie ist bei den Handelsleuten gebräuchlich; Ziehen 1917 Geisteskrankh. d. Kindesalters 267 Das Sprechen wird oft ganz ungrammatisch (Agrammatismus oder Akataphasie); Klemperer 1945 Tagebücher (Zw. allen Stühlen I 151) die Leute sprechen ungrammatisches Deutsch, aber mit bestem Inhalt u. vollkommenem Takt; Th. Mann 1951 Erwählte (W. V 10) nur ein ungrammatischer Kopf ohne Logik wäre der Aussage fähig „Es läuten die Glocken", das meint: sie werden geläutet; Engel 1970 Regeln z. Wortstellung 67 diese Folge entspricht freilich nicht der Norm, sie muß in der Schriftsprache wohl als ungrammatisch gelten; Salzb. Nachr. 16. 5. 1992 typische Elemente der mündlichen Rede — wie abgebrochene oder „ungrammatisch"
weitergeführte Sätze; FAZ 23. 11. 1999 Sie [Täter] sprechen oft leise, mit fremdem Akzent, ungrammatisch, stichwortartig oder gar elektronisch verzerrt; Berl. Ztg. 2. 9. 2002 Der Verdacht liegt nahe, daß „Silvia's Reitershop" ebenso ungrammatisch sein muß wie „Helga's Fahrradshop". grammatisieren: 1831 Allg. Lit.- Ztg. // 192 Wie Hr. St. aber um seiner Inspirationstheorie willen auch grammatisire, mag sein Gerede zu Apostelg. 11, 13 lehren; Gräfenhan 1843 Gesch. d. klass. Philologie im Alterthum l 35 f. Die berechnete Disposizion der Kunstwerke seit Euripides und Menander, sowie das fast ängstliche Abwägen der sprachlichen Darstellung trifft nun zusammen mit dem schon in gegenwärtiger Periode oft ins Kleinliche übergehenden Grammatisiren, welches die bevorstehende Aufnahme des grammatischen und philologischen Studiums ahnen lässt; 1859 Zeitschr. f. d. Österr. Gymnasien X 622 Trotz aller Berufungen auf Grimm, Graff, Schmeller u. s. w. etymologisirt er und grammatisirt er drauf los, als wenn in diesen letzten fünfzig Jahren auf dem Gebiet der Sprachforschung nichts geschehen wäre; Palmgren 1904 Erziehungsfragen 199 Klar ist, daß ein solches Grammatisieren nicht eher seinen Anfang nehmen kann, als bis der Schüler durch hierauf abzielende und geeignete Übungen im Sprechen und Begreifen der Sprache und durch vorher erlernte leichtere grammatische Übungen soweit vorbereitet ist, daß er imstande ist, mit Leichtigkeit zu folgen und diesen schwereren Teil des Sprachstudiums sich anzueignen; Komis 1930 Ungar. Kulturideale 439 Katholiken wie Protestanten beklagen sich fortwährend über das in unseren Schulen herrschende ewige trockene Grammatisieren und über das Zurückdrängen der inhaltlichen Analyse der alten Klassiker; Schmidt 1972 Grundlegung d. Literaturwiss. 147 Es ist weiter zu berücksichtigen, daß semantische Funktionen umgangssprachlich festgelegt und syntaktisch notiert (grammatisiert) . . werden können; Bachmann 2005 Sprachwerdung d. Kreolischen 94 Demgegenüber steht die als regellos gedachte Sprache der 'einfachen Leute' mit geringer Schulbildung, die nicht in dieser Form grammatisiert ist und deshalb als regellos gilt. Grammatist: Best, des Schulm. zu Eltville 1520 M. 348 item von einem donatisten XII alb., item von einem grammatisten vnd anderen, so Virgilium, Terentium vnd dergleichenn authores hoerenn (NYSTRÖM); Emser 1525 Annotationes D5a der grammatistenn alt getzenck, von wölchem Horatius schreibt; Geisenheimer Haingerichtsb. 1555 (Mitteil. Ill 104) die alphabetisten zehnn Albus, die donatisten scchzehenn albus und die Grammatisten zwcntzigk albus (NYSTRÖM); 1575 Schul-
Grammatik ordn. f. Dresden (1913 Dresdn. Geschichtsbl. 16) Von den Fünff Ciassibus und lectorijs. Die erste hatte die gclertesten/ Die ander vnd Dritten die Grammatisten/ Die Vierde die Donatisten/ die Fünfte die Abecedarios vnd die so Erst anfangen zu Buchstabiren, vnd zu Lernen; 1614 Visitat. d. Schule zu Burghausen (M. G. P. XU 137) Ex Gramatistis deren in der Anzahl. 10. mehr nit als. 5. ad syntaxin Zuezichen (NYSTRÖM); Henisch 1616 Teutsche Sprach 1728 Grammatist/ gelehrt in der Grammatick; Schuppius 1663 Sehr. 708 mit güldenen Sentenzen, welche [ich] unter der grammatisten tyrannei mit der syntax-regul umb so viel maultaschen hab kaufen müssen (DWB); Fassmann 1729 Narr 38 Gestern um zwey Uhr ist allhier, in derer Grammatisten Quartier, unversehens Allarm geschlagen worden; Weber 1734 Enc. I 571 Grammatista, . . 1) der die Sprach-Kunst verstehet. 2) der in der Schreib-Art wohl bewandt ist, guter und orthographischer Scribent . . 3) Schulmeister; Brenn u. Döderlein 1819 Philolog. Beyträge l 123 In den Schulen der Grammatisten scheint man sich bey der Erklärung Homers nicht darauf eingelassen zu haben, jene Probleme aufzustellen und zu lösen, womit Protagoras . . seine Schüler beschäftigte; Oertel 1831 fremdwb. 370 Grammatist, Grammatista, niederer Sprachlehrer, Lehrer der Anfangsgründc einer Sprache, für Kinder; 1846 Beitr. Vaterland. Gesch. (Basel) III 159 Bevor ein Jüngling als Artist, d. h. als eigentliches Mitglied der philosophischen Fakultät aufgenommen wurde, mußte er als sogenannter Grammatist Grammatik und Rhetorik und sogenannte Poesie studirt haben; Eckstein 1887 Unterricht 8 die prima litteratura . . lehrt der litterator oder grammatista, der Sprachmeister, Elementarlehrer; ebd. Der grammatista begann seinen Unterricht im Lesen und Schreiben . . mit dem Alphabet; Paulsen 1896 Gesch. d. gel. Unterrichts l 414 auch die infima kann nach Lage der Dinge in zwei Jahreskurse zerlegt werden, so daß wir dann sechs Klassen haben. Ihre Insassen heißen: Rudimentistae oder Parvistae, Principistae, Grammatistae, Poetae, Rhetores. Grammatik b: Emser 1524 Annotat. Hlb hat er die grammatick nit recht angesehen; ebd. Aa2a yhn wölcher grammatick er [Luther] aber gelesen, das iussus vnd hortatus ein feltgeschrey heyß, ist mir verborgen; Ickelsamer um 1530 Grammatica o. S. Disem Büchlin hab ich einen namen geben/ Grammatica/ darumb/ das es die besten vnd fürnemsten stuck der Grammatic handelt; Meichssner 1538 Handbüchlin gruntlichs berichts, recht vnd wolschrybens, der Orthographie vnd gramatic (Titel) (DWB); Mathesius 1566 Luther 83a Wie desmals eben des theuren vnnd grossen Grammatici Grammatiken/ fast alle Schulen inn Deutschem
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land/ die Kinder Decliniren vnnd Coniugiren lerete; Platter 1572 (Ausg. Boos) 49 der hatt ein Hebrcische grammatic geschribcn; Neander 1583 Bedencken 34h habe ich vor etlichen jähren beim Herrn Operino/ Buchdrucker zu Basel/ geschrieben gesehen/ die Hebräische Grammaticam; Rist 1647 Friedewünschendes Teutschland (S. W. II 127) Da war kein Knabe in der gantzen Schule in seinem Donat, Nomenklatur und Grammatiken so färtig als Jch beschlagen (DiBi 125); Neumark 1657 Fortgepfl. Lustwald Zuschr. 5 alle buchläden . . von solchen teutschlehrenden grammatiken und prosodien . . Wissenschaft haben (DWB); Becher 1668 Methodus 138a diser Theil meiner Gramatick . . ist eine Exempel Grammatick; Morhof 1682 Unterricht 308 Er [Karl der Große] hat eine Teutsche Grammaticam zu schreiben angefangen; Leibniz 1696 Unvorgreifl. Gedanken 353 Es ist bekandt, dass schon Kayser Karl der Grosse an einer Teutschen Grammatic arbeiten lassen; Bodmer/Breitinger 1721—22 Discourse d. Mahlern 34 GrammaticSchreibcrn; Wagner 1724 Soldatenbibl. 3 Man vertheidiget das Vaterland nicht mit der Grammatic, Corpore Juris, u. s. w. sondern mit dem Degen und Geschütz; Breitinger 1740 Dichtkunst l 49 Man fodert daß die Knaben, die noch über der griechischen Grammatick sitzen, sich schon hinter die schwersten Wercke der Poesie . . machen; 2746 Critischer Versuch (Greifswald) Hl 205 Ich dürfte nur diese beyden Theile der Sprachlehre aus einer guten französischen Grammatik schlechthin übersetzen; Lessing 1759 Literaturbr. IV (S. Sehr. VII! 178) ein Bettelbrief, seine Grammatik zu einer klaßischen Grammatik deswegen machen zu helfen, weil sie in vier Jahren drcymal gedruckt worden; Schiller 1781 Räuber (H. l 499) Nun merk ich, warum du schon gegen dreiviertel Jahr eine hebräische Grammatik herumschleifst; Herder 1789 Urspr. d. Spr. (S. W. V 12) Chaumont, der 50. Jahr unter den Huronen zugebracht, und sich an eine Grammatik ihrer Sprache gewagt; Kortum 1791 Lebensgesch. 28 Anfangs legte er mir die Gespräche in Langens Grammatik vor; Seutne 1811 Mein Leben 100 ich setzte mich, brummte ungläubig und suchte meine alte Grammatik aus dem Winkel hervor, wo ich denn fand, daß ich Recht hatte (DiBi 125); Bopp 1833 Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Litthauischen, Gothischen und Deutschen (Titel); Steffens 1840 Was ich erlebte II 51 Sie brachten ihm ein französisches Wörterbuch, Grammatik und Schriften in dieser Sprache; 1855 Prutz' Museum l 193 Von streng wissenschaftlichen Werken findet sich außer Grammatiken und Wörterbüchern nur wenig; Heyse 1868 Jugenderinn. 11 Vater, der . . schlecht besoldet war und durch seine Schulbücher, seine Lexika und Grammatiken das Fehlende hinzuer-
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werben mußte (DiBi 125); Grabbe 1874 W. IV 531 wir Deutschen um so eher, da nach Grimms grammatik das wort aus dem niederdeutschen stammt (DWB); 1885 Beitr. z. Anthropologie u. Urgesch. Bayerns 6,127 von disen arbeiten bildet die alemannische grammatik den ersten, die baiwarische den zweiten band; Paulsen 1896 Gesch. d. gel. Unterrichts l 414 Die lateinische Sprache wird nach der Grammatik des Spaniers P. Immanuel Alvarez (De institutione grammatica, 1. III, zuerst Lissabon 1572 gedruckt) gelehrt; 1908 Byzantin. Zeitschr. XVII 238 Der Direktor . . fügt nun seiner rumänischen Grammatik (Leipzig 1903) auch eine bulgarische bei; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 231) er las wohl statt dessen in seiner russischen Grammatik; Werfet 1931 Geschwister 262 Bitte, kaufe dir ein Vokabular und eine Grammatik; Hirt 1939 Hauptprobleme 55 ich habe die Darstellung der Flexion im III. und IV. Band der Indogermanischen Grammatik auf dem aufgebaut, was ich im Laufe
der Jahrzehnte erkannt zu haben glaube; Klemperer 1944 Tagebücher 491 Der Apotheker Bergmann . ., dem ich meine spanische Grammatik lieh — auf Nimmerwiedersehen; 1963 Festgabe a. Pretzel 415 Bei dem Erscheinen der Neuausgabe von Jacob Grimms Grammatik (1870); Zeit 19.4.1985 Weinrichs Grammatik entspricht den beiden großen Ausweitungen ihres Gegenstands, welche die neueste Sprachwissenschaft vorgenommen hat; taz 6. 4. 1992 Aber er [Lautrec] gehört auch nicht zu denen, wie Degas, Cezanne und van Gogh, die die Grammatik der malerischen Bildsprache neugeschrieben haben; Zeit 8. 11. 1996 Erkenntnis, daß niemand je eine Grammatik durchliest, aber viele darin auf subjektiven Pfaden Auskünfte suchen; FAZ 21.11.2005 Die Akademie verlegt Fachliteratur zu Forschungsprojekten aus ihrem Programm. Eine mittelhochdeutsche Grammatik oder Texte zur „Ethik der Lebendorganspende".
Grammophon, heute auch Grammofon N., auch (regional Schweiz.) M. (-s; -e), im späten 19. Jh. unter Einwirkung von (durch Inversion von phonogram gebildetem) engl.-amerikan. gram(m)ophone aufgekommene neoklassische Kombination zur Bezeichnung einer 1887 von E. Berliner entwickelten Verbesserung des von Edison 1877 erfundenen Phonographen (zurückgehend auf griech. 'Geschriebenes, Aufgezeichnetes, Schrift; Buchstabe', Nominalbildung zu 'schreiben', —> Grammatik, —* Grafik, vgl. Gramm, -(o)gramm, und griech. 'Laut, Stimme, Klang, Ton', also eigentlich 'Stimme des Aufgezeichneten'; vgl. -(o)phon, terminale Wortbildungseinheit zur Bezeichnung von Musikinstrumenten und elektroakustischen Geräten zur Aufnahme bzw. Wiedergabe von Tönen, vgl. Phonetik). Vgl. die ugs. und regionale (schweiz.) Kurzform Gramme N. und M. (-s; -s). Als Warenzeichen geschützter Name für einen v. a. in den 20er/30er Jahren des 20. Jhs. üblichen, nach dem Muster des Phonographen konstruierten, mit einer Kurbel aufziehbaren und einem Schalltrichter versehenen historischen Musikapparat zur Reproduktion musikalischer oder stimmlicher Darbietungen durch das Abspielen von Schellackplatten, seit etwa Mitte 20. Jh. durch den Plattenspieler verdrängt, vereinzelt übertragen verwendet (s. Beleg 1986.2), in Wendungen wie das Grammophon aufziehen, an-/abstellen, ein krächzendes, knisterndes, schepperndes, quäkendes Grammophon, eine historische Aufnahme von „La Traviata" auf dem Grammophon, da rauscht und knackst es nun wie einst auf Omas Grammophon und in Zss. wie (im Zusammenhang mit der technischen Komponente:) Grammophonapparat, -aufnähme, -fabrik, -gerät, -Ingenieur, -kästen, -kurbel, -laufwerk, -lautsprecher, -nadel, -platte, -schrank, -technik, -teller, -trichter, -walze, -wiedergäbe; Haus-, Kasten-, Koffer-, Reise-, Trichtergrammophon sowie (im Zusammenhang mit der kulturellen und wirtschaftlichen Komponente:) Grammophonhit, -Industrie, -jahre/-zeiten, -klänge, -konzert, -kultur, -kunst, -musik, -spiel, -stimme; heute nurmehr historisierend gebraucht und mit „altmodisch, nostalgisch" o. Ä. konnotiert, allerdings
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in Namen für Firmen, Orchester, Musikgruppen o. Ä. fortlebend, vgl. Deutsche Grammophon (Gesellschaft) (s. Belege 1934, 1989, 2000) und das Goldene Grammophon für einen Musik-Preis. 1889 Beibll. z. d. Annalen d. Physik XIII 638 Unabhängig von diesen Männern construirte Berliner 1887 sein Grammophon, das wesentlich auf anderem Princip beruht und neuerdings (1888) bedeutend vervollkommnet wurde; Hermann 1896 Physiologie 353 Beim Berliner'schen Grammophon dreht sich statt des Cylinders eine Metallscheibe, und eine mit der Membran verbundene Nadel lehnt so auf der Scheibe, dass sie durch die Schwingungen auf der Scheibe in radialer Richtung hin und her geht; 1900 Beil. z. Aug. Ztg. Nr. 257 und dazu spielt.. die neueste Plage, das Grammophon „in jeder besseren Familie", seine lächerlichen Töne unter Schnauben, Schnarren und Pusten; am wirkungsvollsten und allgemein am beliebtesten: vulgäre Gassenhauer; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 375 Grammophon . . eine Vorrichtung, die auf Scheiben in Wellenlinien aufgenommenes Gesprochenes und Musik wiedergibt; Hammerstein 1916 Februar 65 die englischen [Götter] sind bocksteife Pagoden mit einem Grammophon im Bauch, das „God save the King!" dröhnt . . Um [Gott] erleben zu können, muß man . . ein wahrer Mensch sein — keine Erziehungs- und Konventionspagode mit Phonographen im Bauch; Baum 1926 Feme 20 Nebenan spielte das Grammophon das Lied: Leb' wohl, du mein schönes Sorrent; ebd. 34 Es schien ihr immer mehr Betäubung nötig, und sie ließ das Grammophon den ganzen Tag spielen, um sich zu trösten; Kautz 1928 Schatten 33 Zwar sind Grammophon, Orchestrion und Pianola keine idealen Musikquellen, zuviel toter Musikkitsch lebt in ihren Platten; Colerus 1929 Kaufherr 417 wir tanzen dann zum Lautsprecher. Oder zum Grammophon; Gläser 1932 Gut 36 Ein alter Vorkriegsschlager erklang . . Das Grammophon plärrte; Volk u. Heimat 4. 6. 1932 Das Grammophon als musikalisches Bildungsmittel (Überschr.) Mit dem Grammophon begann die eigentliche Mechanisierung der Musik, das elektrische Klavier war vergleichsweise ungefährlich; Lokal-Anz. 13. 11. 1934 Polyphon hat sich 1932 die Deutsche Grammophon A.G. angegliedert, deren Namen sie übernahm; Clemen 1941 Lob 9 die kratzenden Töne der infamsten, schlechtesten, abgespieltesten Radios und
Grammophone; ebd. 13 Das Grammophon und das Radio für jedermann haben sich . . zu einer Pest ausgewachsen; Süddtsch. Ztg. 17. 10. 1950 Das sensationellste, was gegenwärtig existiert, ist das Grammophon! Es singt, schwatzt, lacht, hält Vorträge und spricht in jeder Sprache; Bettex 1954 Spiegelungen 64 Los gingen die Grammophone, Orchestrione und das Elektroklavier; 1971 Bundesminister f. Jugend 100 Tips f. Freizeitspaß o. S. Ein paar bunte Lämpchen oder Lampions, als Girlanden von Baum zu Baum, sorgen für magisches Licht. Die Musik kommt aus dem Grammophon; Kempowski 1975 Tadelloser 16 Neben dem Rauchtisch ein kommodenartiges Grammophon. Vorn eine Art Tor zum Herauslassen der Musik (DUDEN 1999); Lenz 1978 Heimatmuseum (W. VIII 567) Conny schwenkte sie mehrmals hintereinander zur Musik des Grammophons; Zeit 12.4. 1985 wie der Plattenspieler, gleich welcher Herkunft, den Firmennamen „Grammophon" erhielt; Mannh. Morgen 11.3. 1986 „His Master['s] Voice" — das Bild des Hundes Nipper vor dem Grammophontrichter ging um die Welt; Zeit 21.3.1986 Guo Moruo, den schon 1924 die Schrift „Sozialstruktur und soziale Revolution" des japanischen Marxisten Kawakami Hajime tief beeindruckt hatte, formulierte: Die Schriftsteller müßten die „Grammophone der Revolution" sein; Mannh. Morgen 30. 10. 1989 Als erster Schauspieler erhält Will Quadflieg das „Goldene Grammophon" der Deutschen Grammophon Gesellschaft; ebd. 28. 1.1998 Schellack-Platten aus fünf Jahrzehnten . . Ein Abriß der Geschichte des Grammophons gehört zu dem nostalgischen Nachmittagsprogramm; Berl. Ztg. 28. 12. 2000 Nun ist bei der Deutschen Grammophon eine Gesamtaufnahme der Symphonien erschienen; St. Galler Tagbl. 12. 12. 2001 erklang .. Musik aus einem alten Grammophon, das von Hand aufgezogen werden musste; dpa 6. 12. 2006 Das Konzert war auch eine Hommage an die 1940er Jahre. Auf einem kratzigen unscharfen Video räkelt sich Aguilera neben einem Grammophon, doch kurz darauf sitzt sie wieder breitbeinig in einem Badezuber.
Gran M. und heute meist N. (-s; -e(n), auch -), Mitte 15. Jh. über mlat. granum 'kleinste Gewichtseinheit' entlehnt aus lat. granum 'Korn, Körnchen; Kern' (—+ Granit, —* granulieren, —> Filigran; vgl. daneben weitgehend gleichbed., Mitte 14. Jh. aus frz. grain (< lat. granum) entlehntes, heute veraltetes Gran N. oder M.), auch in der lat. (flekt.) Form Granum.
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Meist in der absoluten Form (und mit unflekt. angeschlossenem subst. Attribut) verwendete Bezeichnung für eine kleine Gewichtseinheit, die sich (nach antikem Vorbild) an Pflanzenkörnern (bes. Gersten- oder Pfefferkorn) orientiert (vgl. Korn), eine heute durch Gramm verdrängte Maßeinheit zum Wiegen allerkleinster Mengen von Arzneien und Edelmetallen, z. B. ein Karat hat vier Gran, ein Gran dieser Substanz ist in jeder Mischung enthalten; seit spätem 15. Jh. selten, im Laufe des 18./ 19. Jhs. zunehmend und heute überwiegend im übertragenen Sinne 'überaus kleine, winzige Menge, eine Spur, ein Deut; ein wenig, ein bisschen' (s. Belege um 1480, 1636, 1689, 1772, 1780, 1804, 1848, 1947.1, 1991; vgl. Körnchen, Quentchen, Tröpfchen), in lat. Syntagmen wie granum salis, eigentlich 'ein Körnchen Salz', meist metaphorisch für 'ein wenig Verstand oder Urteilskraft', cum grano salis 'mit einigem Nachdenken und besonnener Unterscheidung, mit (entsprechender) Einschränkung (be-/geurteilt, erwogen, gesagt); nicht ganz ernst, wörtlich zu nehmen, nicht im eigentlichen Sinne (verstanden)', und oft negierend oder einschränkend in Wendungen wie kein Gran zuviel, ein Gran (von) Frivolität, Hoffnung, Ironie, Traurigkeit, Wahrheit, Wissen, um ein Gran schwächer, wenn sie auch nur ein Gran Sympathie für ihn übrig hätte, die Operette hat kein Gran Staub angesetzt. Dazu die seit frühem 17. Jh. selten nachgewiesene verbale Ableitung granieren V. trans., auch grainieren, in der Bed. 'etwas auf eine für die Weiterverarbeitung geeignete Körnung durch Mahlen oder Schneiden zerkleinern, (an der Oberfläche) körnig machen, in eine körnige/gekörnte Form bringen; Körnchen bilden, körnen, aufrauen' (gleichbed. mit —> granulieren), z.B. granierter Tabak; Granierstahl, in der bildenden Kunst auch 'einer Zeichnung körniges Aussehen verleihen, körnig grundieren, Oberflächen aus Edelmetall körnig bearbeiten', speziell auch (1871 bei Sanders gebucht) für 'mit punktierten Linien zeichnen' und bezogen auf Kupferstiche 'die Platte in eine körnige/gekörnte Form bringen, körnen, aufrauen' (s. Beleg 1830), im 19. Jh. vereinzelt das Verbalsubst. Granierung F. Seit früherem 20. Jh. etymologisierendes Grani-, z.B. Granivoren 'Körner fressende Vögel' (1933 bei Genius), seit den 70er Jahren Grano- als erster Bestandteil in werbespr. Kombinationen, die Produkte aus (zermahlenen) Getreidekörnern oder anderen Materialien bezeichnen, z. B. Granola, Granoterre, Granoslim, Granovita, Grano-Mehl. Gran: 1457 Acten d. Ständetage Preußens IV 560 das sie . . eyne muntcze, beide sulbers und goldes, in der genante unnsir stat Danczik haben und halden mögen wff solch körn und gran, alze itczundir gewonlich ist (DWB); Falz um 1480 Meisterlieder 22 do hastu [Christus] unß gesaget van/ durch susse ler, die von dir ran,/ wer auß unß het den minsten gran/ wores cristlichen glaubes glan,/ dem Unglauben wer wider span,/ den wolstu her nit lan (DWB); Grammateus 1518 Rechn. auff Kauffmanschafft Elb lautter goldt hielt am strich 24 karat, welcher karat ains hielt 4 gran (DWB); Rudolff 1532 Künstliche rechnung Plb Körner oder Gran tafel; Rot 1571 Diet. 315 Gran, Ein körn, oder kern/ wirf für ein gewicht gebraucht/ wie man in den Rechenbüchern vnd bey den Apoteckern findt; Mathesius 1571 Sarepta 166a Gran, granum oder körnlein, weil man etwa die kleinen gewicht nach
Poxhörnlein körner geteilet und geeicht hat (TRÜBNER); Wirsung 1588 Artzneybuch 30c gran, braucht man gerstenkörner schwer dafür, sind also gebildet Ga. in diesen werden gemeiniglich zwentzig für ein scrupel gerechnet, weil man aber bey vns wunderselten die gersten so vollkommen findet, sonder daß hart dreißig, etwa viertzig, ein scrupel wegen [wiegen], so schickt sich baß, daß ein vollkommen pfefferkorn für I Ga genommen werde (DWB); Heupold 1620 Diet. 197 gran, ein körn oder kern, wirdt für ein gewicht braucht, wie man in den rechenbüchern, vnd bey den apoteckern findet, vnd gelten zwantzig gran einen scrupel, drey scrupel machen ein quintal oder drachma, vnd 8 drachma ist ein vntz, das ist 2 loth (DWB); Dietrich v. d. Werder 1636 Ras. Roland III 229 kein herrligkeit, noch lust, noch hören music
Gran an,/ vermindern seine pcin nicht kont vmb einen graan (DWB); Glauber 1653 Mir. Mundi 35 In deme man in Abmessung der Tropffen oder Abwcgung der Granen fehlen/ (vnd der Sach entweder zuviel oder zuwenig leichtlich thun köndte); Böckler 1665 Schola militaris 863 Über Nacht 4. 5. 6. Gran in Bier/ Wein/ oder Wasser/ eingeweicht/ oder nur aufgesotten; Lohenstein 1680 Cleopatra 6 ein gran Verwegenheit ist unter ein gantz pfund/ der klugheit schon genung (DWB); ders. 1689 Arminius i 149b in allen großen heyspielen stecke ein gran Ungerechtigkeit (DWB); Ettner 1697 Doktor 513 da doch in der Composition nicht ein Gran ist/ was wurde denn das Opium eusscrlich vor einen widrigen Effect thun können?; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 281 Gran, ist ein bcy denen Apotheckern am meisten gebräuchliches Gewichte, eines Pfeffer-Korn schwer; Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 366 granum, ein Gewicht . . Noch bey dem Apotheker-Gewicht, der 20te Theil eines Scrupels, und der 60te Theil eines Quintleins. Nach dem Jubilier-Gewicht, womit sie Edel-Gesteine wägen, hat das Karat nicht mehr als 4 Gran. Und diese sind leichter als beym Gold-Gewicht. Gran, scheint zum Unterscheid des Worts Gran nach dem Französischen Grain, gemacht zu seyn . . Ein Gran ist im Gold-Gewicht der dritte Theil eines Grans. Ein Karat hat 12 Gran. Die Mark 24 Karat; 1772 Frankf. gel. Anz. 10 die wenigen Grane theoretischer Weisheit; La Röche 1780 Herz 233 Denn auch nur mit dem allerkleinsten Gran von dem, was man Reflexion nennt, hätt' ich ja voraussehen müssen, daß meine Erinnerungen diese Würkung tun und also gerade meiner Absicht entgegen würken würden; 1804 Almanack f. Leckermäuler 62 wenn man auch nur einen Gran von Kennertakt besitzt; Goethe 1812 Br. (WA IV 23,187) und wäre sowohl von seiner Seite als von der Seite des Sohns ein Gran von Bewußtseyn in dieß schätzbare Familienverhältniß getreten, so wäre beyden vieles erspart worden; Immermann 1836 W. V 112 und darin fand ich das arcanum ihrer unberufenen helferin als allgemeinen lebensbalsam gran für gran verordnet (DWB); Marx 1848 MEW VI 10 Pfuel hatte noch einige Gran Gehirn. Aber vor der absoluten Dummheit schrecken die Räsoneurs der Märzerrungenschaften zurück; Keller 1854—55 Heinrich (S. W. Ill 205) der Gran von Frivolität; Pfaff 1870 Wasser 311 Am reichsten sind die Schwefelquellen der Pyrenäen, die durchschnittlich 0,33 Gran Schwefelnatrium enthalten, das in einigen bis fast auf l Gran steigt; Kerr 1896 Br. a. d. Reichshauptstadt 164 „Gewalt" ist bei ihm cum grano salis zu verstehen. Das Pathos der früheren Schule lag ihm fern; Raabe vor 1910 S. W. I 2,14 weil die krauseminze zweitausendzweihundertachtundfünfzig gran wasser trinken muß, wenn sie nur
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fünfzehn gran schwer werden soll (DWB); Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 184) Ich leugne nicht, daß ein Gran Verachtung und Selbstverachtung dieser unerschütterlichen Überzeugung beigesetzt war; ebd. XII 544 Ich habe der Tugend einen neuen Reiz erteilt.. sie hat unsere feinste Redlichkeit gegen sich, sie ist eingesalzen in das cum grano salis des wissenschaftlichen Gewissensbisses; Weinheber 1937 O Mensch, gib acht 5 ein granum weisheit misch ich drein,/ was tun sollst und was lassen sein (DWB); Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. X 769) daß das mit dem gemachten Bett denn doch nur cum grano salis zu begreifen ist; ders. 1947 Faustus (W. VI 290) was einen Tropfen Traurigkeit, ein Gran Hoffnungslosigkeit in das Entzücken mischte; ders. 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 707) daß der gewiegte dänische Kritiker Nietzsche's Barbarismus nicht ernst, nicht eigentlich nahm, ihn cum grano salis verstand; 1967 Bild d. Wiss. l 12 Zum Copieren wird zunächst eine Lösung von 30 Gran zweifach-chromsauren Ammoniaks und zwei Drachmen verdünnter Phosphorsäure in einer Unze Wasser gelöst; Zeit 13. 3. 1987 wie an ihrem Körper ist auch an ihrem Tanz und Gesang kein Gran zuviel, sie ist ein Konzentrat ihrer selbst; taz 14. 11. 1990 und — cum grano salis — niemand verblutete mehr innerlich, wenn es zu Gewalttätigkeiten kam; ebd. 14. 11. 1991 Mantegna läßt nicht einfach die Verletzbarkeit hinter der rauhen Fassade Golds erahnen, er stellt beides gleichsam nebeneinander. Golds Souveränität mischt er ein Gran Masochismus bei; Presse 6. 5. 1992 Unter dem Beifall der Zuhörer wurde das Ende der alten Maße verkündet, als die Länge des Meters bekannt gegeben wurde: Er beträgt drei Fuß, elf Linien und 296/1000 des Peruanischen Klafters. Das Kilogramm ersetzt von nun an „zwei Unzen, fünf Lot und 35 Gran."; St. Galler Tagbl. 25. 7. 2001 Der jetzt erschienene „Barbar Rosa" hat kein Gran Staub angesetzt, obwohl die Rohfassung zehn Jahre in der Schublade schlummerte und dabei jede noch so radikale Aufräumaktion überstanden hat. Grano-: Scholz 1971 Vitamine o. S. durch Gaben von Vitamin E . . in Form von Weizenkeimvollextrakten (Granoton Sigle); taz 27.8.1990 Granovita Mischgemüse; Züricher Tagesanz. 24. 7. 1996 Dafür wird dann auch ein Frühstück aufgetischt, das diesen Namen verdient: Müesli aus Granola und Weetabix, ofenwarme Bagels mit Frischkäse, Saft, Eier, Kaffee; ebd. 17.10. 1996 Um dem Vertrag mit der Stadtcntwässerung zu genügen, solle er aber mindestens 10 Prozent mit Kali vermischen und damit das sogenannte Grano-Mehl herstellen; Vorarlb. Nachr. 4. 9. 1999 Mit probiotischen Jo-
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ghurtkulturen wird daraus ein neuer Schlankheitstrunk, der eine oder mehrere Mahlzeiten am Tag ersetzen soll (Granoslim). Mit solchen FormulaDiäten nimmt man tatsächlich ab; Berl. Ztg. 5. 12. 2000 den größten Anbietern von Frühstücksprodukten wie Quaker Oats-Haferflocken, Granola-, Reis-, Frucht- und Haferflocken-Snacks.
sen (DWB); Sanders 1871 Fremdwb. l 453 grainieren . . granieren, granieren, mit punktierten Linien zeichnen; Genius 1933 Fremdwb. 375 granieren, granieren oder granulieren, körnen, körnig machen, körniges Aussehen geben; in Körnchen verwandeln, z. B. geschmolzenes Metall durch starkes Schütteln.
granieren: Furttenbach 1627 Halinitro-Pyrobolia 8 Hundert Pfundt Salpeter vom ersten Sudt/ wol gemischt/ vnd 24. Stund lang mit Brunnenwasser abgestossen/ in mitlere Grane graniert/ es gibt 126. pf. Hackenpulver; Hagger 1719 N. Saltzb. Kochb. IV 2,58 und bestreuts mit granirtem Farm-Zucker; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 282 Graniren, körnen, körnicht machen; Jaeobsson 1793 Technol. Wb. V 728a granirter taback, granulirter (DWB); Campe 1813 fremdwb. 341 Graniren, bei den Lederbereitern, körnen oder körnicht machen, d. i. dem Leder eine solche Oberfläche geben, daß es wie mit Körnchen bestreut aussieht; Prechtl 1830 Tecbnol. Enc. IX 93 das Werkzeug, womit die rauhigkeit des kupfers (der grund, das körn, die granirung) hervorgebracht wird, ist. . das granirei-
Granierung: Prechtl 1830 Technol. Enc. IX 93 das Werkzeug, womit die rauhigkeit des kupfers (der grund, das körn, die granirung) hervorgebracht wird, ist . . das granireisen (DWB); Heller 1850 Prakt. Handb. f. Kupferstichsammler 63 Bloteling, Abraham, Zeichner; Kupferstecher mit der Nadel und dem Grabstichel, und Arbeiter in Schwarzkunst, welche er sehr verbesserte, und den Granirstahl oder die Wiege erfand; denn vor ihm brauchte man zur Granirung der Platten gestählte Walzen nach Art feiner Feilen behauen; Tecklenburg 1900 Handb. d. Tiefbohrkunde 113 Es versteht sich hier von selbst, dass hierunter die Zeit nicht begriffen sei, welche zur Granirung verwendet wird.
Granate F. (vereinzelt auch M.) (-; -n), Anfang 13. Jh. entlehnt aus ital. granata 'Granatapfel' oder aus gleichbed. altfrz. (pome) grenate/granate (< spätlat. granata F. Sing. < lat. (poma) granata, Kollektivpl. zu (malum/pomum) granatum 'mit Körnern oder Kernen versehender Apfel)', zu granum 'Korn, Kern'; —»· Gran, —» Granulat; vgl. Granat M. 'zu den Edelsteinen gehörendes, meist rotes Silikatmineral'), mhd. auch in den Formen gränät, grönät und mit schwankendem Genus, später auch (nach span, granada) Granade, (nach frz. grenade) Grenade (—» Grenadier) und (als ital.-frz. Mischform) Grenate. a Zunächst in der heute veralteten Bed. 'Granatapfelbaum, -gewächs' mit Bezug auf die aus West- und Mittelasien stammende, auch im Mittelmeerraum angebaute Pflanzenart Punica Granatum und ihre apfelähnliche, orangerote Frucht, die verbreitet als Obst gegessen wird (vgl. Granatapfel, Grenadine), z.B. im Garten wachsen Granaten, wie schmeckt dir die Granate?; Granatensaft/-sirup, und die aufgrund der großen Anzahl der Kerne im Christentum als Symbol der Ecclesia, des Priesterstandes, der Fruchtbarkeit und des Lebens angesehen wurde (s. Beleg 1964), z. B. Granaten sind Fruchtbarkeitssymbole, die Madonna mit der Granate, b Seit frühem 17. Jh. aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit den mit zahlreichen Samenkörnern gefüllten und im Reifezustand platzenden Früchten auch militärspr. als Bezeichnung für die (unter Karl V. eingeführten) seit dem Dreißigjährigen Krieg verbreiteten, zunächst kugel-, später zylinderförmigen eisernen Hohlgeschosse von verschiedener Größe, die mit einer körnigen Sprengladung gefüllt, mittels einer Brandröhre gezündet und auf den Gegner anfangs mit der Hand geworfen oder später aus Geschützen (Mörsern, Haubitzen, kleinen Kanonen) und speziellen Feuerwaffen (aus Flugzeugen, Panzern o. Ä.) abgefeuert wurden, in der Bed. 'Brand-, Spreng-, Durch-
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schlag-, StreuVSplittergeschoss (neuerdings teilweise auch mit Gift- oder Blendwirkung oder radioaktiver Ladung); Zündkugel' (—* Bombe, vgl. Kartusche, Schrapnell), häufig in Wendungen wie Granaten in einen Graben/eine Festung werfen, eine handgeschleuderte Granate, zerplatzende, zerspringende, krepierende, scharfe Granaten, jederzeit konnte eine Granate hochgehen, explodieren, detonieren, ein Dorf wurde mit Granaten beschossen, während der Kämpfe schlug eine Granate in den Keller (ein), eine Granate hatte dem Kriegsveteran im zweiten Weltkrieg das Bein zerfetzt, die Explosion einer alten Granate tötete fünf Schulkinder, die Rebellen feuerten Granaten auf einen Sicherheitsposten ab, arabische Terroristen warfen eine Granate gegen die US-Botschaft, eine Granate aus dem zweiten Weltkrieg wurde entschärft, zwei Männer wurden bei der Explosion einer Granate getötet, in der durchsuchten Wohnung stellte die Polizei Sprengstoff und Granaten sicher, als Bestimmungswort in der Form Granat(en)- in Zss. wie Granat(en)abwurf, -angriff, -batterie, -blindgänger, -einschlag, -beschuss, -detonation/-explosion, -donner/-gewitter, -entschärfung, -feuer, -geheul, -hagel, -hülse, -kartusche, -kanone, -kugel, -loch, -munition, -patrone, -regen, -salve, -Schrapnell, -schuss, -spitze, -splitter, -suche/-fund, -treffer, -trichter und bes. Granatwerfer M., zunächst gleichbed. mit —» Grenadier, dann Bezeichnung für eine im ersten Weltkrieg eingesetzte (auf Panzern montierte) Steilfeuerwaffe der Infanterie (vgl. Mörser), selten in adj. Zss. wie granatenfrei, -sicher, als Grundwort in Artillerie-, Atom-, Brand-, Blend-, Flach-, Flak-, Flieger(-abwehr)-, Gas-, Geschütz-, Gewehr-, Haubitzen-, Kampfstoff-, Leucht-, Mörser-, Nebel-/Rauch-, Panzer(-abwehr/-faust/-spreng)-, Phosphor-, Polizei-, Rauch-, Ring-, Splitter-, Spreng-, Sturm-, Wurfgranate und v. a. (Eier-, StieI-)Handgranate 'kleinere Hand-, Wurfbombe'; seit spätem 17. Jh. auch bildlich im Sinne von e (an ein Geschoss erinnernder, wie ein Geschoss gehandhabter) granatenförmiger Gegenstand, Hohlzylinder; Stück, Splitter' (s. Belege 1696, 1724, 1800), z.B. etwas in Granaten ( c in kleine Stücke') (zer-)schlagen (s. Belege 1792.1, 1817), bes. (als Fluch- und Kraftwort) in veralteten Wendungen wie (potz) Bomben und Granaten!, dreitausend Schock Millionen Granaten! (s. Belege 1792.2, 1890), und übertragen verwendet (s. Belege 1682, vor 1791, 1844), z.B. Wahrheits-, Gitarren-, Wortgranate, bes. in neuerer Zeit im Sportjargon von spektakulären sportlichen (Einzel-)Aktionen/Leistungen, speziell im Sinne von 'mächtiger, wuchtiger, schwer zu haltender Schuss (aufs Tor); weiter Wurf, harter Schlag (auf einen Ball o. Ä.)' (s. Beleg 1997.2), z.B. Freistoß-, Stürmergranate, meist (personifizierend) von herausragenden (Fußball-)Spielern, Sängern o. Ä. (s. Belege 2001.1, 2002, 2005; ähnlich Bombe, Kanone, Rakete, vgl. ASS), z.B. spielerisch eine Granate sein/wie eine Granate einschlagen, die singende Granate Tom Jones, ugs. auch allgemeiner (s. Beleg 2001.2), z. B. dieser Spitzen Jahrgang ist unter den Weinen eine echte Granate ('ein durchschlagender Erfolg'), mein Referat war keine absolute Granate. Granate a: Wolfram v. Eschenbach um 1210 Parzival o. S. der balsme und ouch der gränät bluot [Blüte] (LEXER); Pyritz um 1400 Minneburg 3434 Ob ein muscat bäum da under .. Hete die süßen aromaten/ Und dez paradises granaten/ By uns legen uff dem pallas (FRNHD.WB); Luther 1543 (WA Llll 586) Zur selbigen stunde griffen jhn die
Jsraeliten und verhülleten jhn mit tüchern, und schlugen jn mit Ruten von Granaten Beumen (FRNHD.WB); Kauwolf 1582 Raiss 24 Jtem Granatenbäum/ vnd die/ daran das S. Johanns brot/ so von Griechen Xylocerata, den Arabern aber Charnubi genennet wirf (FRNHD.WB); 1674 Lustige Schau-Bühne 1018 f. Gegen den königlichen
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Palast zu Casivin über/ sey ein . . Carte [Garten] mit . . ordentlich gesetzten Bäumen gezieret; also da seyn: Aepfel/ Birn/ Pfirsichen/ Amorellen/ Granaten/ Mandeln/ und dergleichen Bäume; l 700 Becheri Med, Schatz-Kammer 85 Nehmet GranatenRinden 20. gran/ Viol-Wurtzel Natterzünglein/ Wegerich-Saamen/ rothe Rosen/ iedes 5. gran . . mische und stoß es alles wohl zu Pulver; Hamann 1737 Poet. Lex. 489 Granaten, die Pflanze. Beywört. Die rothe, zierliche, gekrönte, faule, safftige, bekernte. Redens-Arten. Das Haupt der Granaten, das vor allen Fruechten glaenzet, weil keine sich, wie sie, mit eignem Golde kränzet. . . Granaten, die voller Kerne sind; 1773 Büschings Neue Erdbeschr. IV 235 Man hat vielerley gute Baumfrüchte, als Aepfel, Birnen, .. Feigen, Granaten, Citronen und andere edle Früchte, welche in denen nach Italien zu belegenen Landschaften gefunden werden; Krünitz 1780 Oec. Enc. XIX 708 Die Frucht gleicht einem Apfel, und wird der Granatapfel, von einigen auch die Granate, und im Oberd. der Granat, im Oestreich. Margarant, Margrant, (welches Wort aus malum granatum verderbt ist, und in einer deutschen Bibel von 1483 vorkommt,) L. Malum granatum, oder punicum, Fr. Grenade, genannt; 1786 Bernoulli's Archiv zur neuern Geschichte IV 188 Die größte Schönheit und der Reichthum dieser Gärten bestehet in einer großen Menge Orangen, Citronen und Cebras; es giebt auch viele Granaten und Feigen darin; Schiller 1796 Goethe-B A II 503 Eine Granate, o Zeus, in dem dürren stygischen Reiche! (DiBi 125); Arnim 1808 S. W. XXIII 207 Und dann spielte sie Ball sich freuend meiner Verwirrung/ Mit der Granate die schnell kehrte zu ihr aus der Luft./ Nicht der schrecklichen eine, die rings viele Häuser zerschmettert,/ Doch die feurige Frucht, mystisch als Apfel bekannt (DiBi 125); Frölich 1820 Virginia 41 Der Apfelbaum ist nützlich, aber auch die Granate in ihrer Blüte die Zierde des Gartens (DiBi 125); Daumer 1846 Hafts 7 Von deinem holden Lächeln/ Entsprang der Rose schöne Zier;/ Von meinem heißen Blicke/ Entsproßte die Granate hier (DiBi 125); Geibel 1877 Werke II 282 Da kommst auch du blauäugig Kind, Agathe,/ Im schwarzen Haar die Blüte der Granate,/ Herab den Felspfad (DiBi 125); Ball 1911 Nase d. Michelangelo 47 Rauscht nur herein,/ Granate, Myrth und Lorbeer, die ich lang genug/ Nicht sah! Ihr drängt euch vor den Fenstern (DiBi 125); Wagner 1926 Chin. Landwirtschaft 423 Die Granate, Punica granatum L., wird von den Chinesen Schi-liu und An-schi-liu genannt; Seelbach 1964 Epigramme d. Mnasalkes 88 Apfel und Granate sind auch Symbole der Fruchtbarkeit. Granate b: Wallhausen 1616 Kriegsmanual 68 Ist derhalben dieselbige Fortification gering, so sollen
sie sich mit den Schuppen, Hauwen, und Grabzeug, oder mit Leitern, oder auch mit Granaten und Feuerwercken daran machen; ebd. 75 Die Granaden soll man stettig mitten auff die Pastheyen richten; ders. 1617 Corpus militare 204 f. allerley Fewerwerck zum ernst anzurichten: Als künstliche Sprengkuglen/ Granaten auß Bölern vnd Mörseln oder auß der freyen Hand zu werffen; 1620 Relation v. Prags Eroberung Alb Kugel vnd Granaten oder eysene Sprengkugel; 1628 Zig. v. d. Victory bei Raschelt 3 mit Fewrwerck, Granaten vnnd ändern Kriegs-instrumenten; Furttenbach 1630 Architect, mart. 52 so seynd die Granaten gar vbel zu führen/ oder mitzutragen; ebd. 66 ein guter Vorrath von hand Granaten vnd Sturmkuglen bey sich zuhaben; Micraelius 1640 Pommer-Land V 205 weil . . ein geworffener granat eine tonne pulver .. anzündete (DWB); Bürster 1647 Schwed. Krieg 60 obwohl . . durch die häufige granaten, fewr- und sprängkugeln . . die tächer . . übel zerschmetteret . . worden; ebd. 157 darzue donnern daß grobe geschüz/ und schummern der granaten blüz; Schildknecht 1652 Harmonia II 64 Handgranate; Lavater 1659 Kriegsbüchlein 76 Wann der Feind grosse Granaten vnd andere Fewrwerck wirfft/ wie solches zu löschen seye; Zesen 1672 Kriegsarbeit III 132 damit der granaht in der hand des granahtwerfers nicht bärste (DWB); Caminerus 1682 Polit. Feuermäuerkehrer 242 Einer gab ihm Knittelfeigen, der andere fleischerne HandGranaten [Ohrfeigen] (TRÜBNER); Winckler 1696 Edelmann 17 Wein-Granate [Flasche]; Goulon 1709 Belagerung (Übers.) 50 Es mögen auch die Granaden der Belagerer wenig Würckung . . haben; Stranitzky 1711 Ollapatrida 107 so kann ich euch unterrichten/ was . . eine Bombe/ Granate und Spreng-Kugel . . seye; Wagner 1724 Soldatenbibl. 304 zu sauffen/ .. die Gläser aus dem Fenster zu werffen/ und . . die Wein-Granaten einander um die Nase herum fliegen zu lassen; Fleming 1726 Soldat 146 hat er [Grenadier] vor einen mousquetierer darinnen den Vorzug, daß man ihm bey sturmlaufen und bey denen gefährlichsten actionen gebraucht, um granaten zu werfen, und muß dabei ober- und untergewehr tragen (DWB); ebd. 243 allwo sie [die Grenadiere] ihre grenaden fertig machen und solche von sich werfen (DWB); 1730 (Dtsch. AZ. 23. 9. 1937) Das Grenadenwerfen ist ein gar künstlich und gefährlich Ding und scheint es fast, als ob der Teufel mit Aepfeln oder Nüssen sich kurzweilte; so fliegen die Schnellkeulchen unserer braven Soldatesque herum. Beim Eindringen der Kavallerie auf das Grenadierquarre fing ein Reuter eine Grenade auf, schleudert sie aber geschwind einem Tambour auf die Trommel, wo sie zerplatzte und das Fell sprengte (TRÜBNER); Sturm 1737 Vauban 86 Munition . . Will so viel
Granate sagen, als Kugeln, Granaten, Cartuschen u. d. g.; Wolff 1747 Math. Lex. 602 granaten . . die größten nennet man bomben .. die kleinen aber Handgranaten oder schlechtweg granaten (DWB); Eggers 1757 Kriegs-Lex. U 39 Die Brandrohrhülsen der Bomben und Granaten werden auch porte-feux genennet; Rabener 1760 Ausgew. Sehr. 179 Kurz vorher hatte ich erfahren, daß eine dreißigpfündige Granate meinen ganzen Apparat von Perücken zerschmettert habe (TRÜBNER); Schubart vor 1791 Br. (Strauß 1876 Ges. Sehr. IX 261) doch hier hat man den lunten, solche granaten springen zu machen [etwas/jmdn. in Bewegung zu bringen] (DWB); Laukhard 1792 Leben U 51 ich schlüge ihm seinen verdammten Wirsingkopf in tausend Granat Stücke; Stephanie 1792 Singsp. 250 ha! potz bomben und granaten!/ so verfährt man mit Soldaten (DWB); Jean Paul 1795 Hesperus II 21 Er handhabte die satirische Waffe wie die Grenadiere die Handgranaten, die sie nicht mehr werfen, sondern nur abgebildet auf den Mützen führen (TRÜBNER); Lichtenberg 1800 Verm. Sehr. IX 198 wenn man sie [papinianische Maschine, ein Gerät zum Sieden über 100 °C] aus einem Stoff verfertigen könnte, der den säuren widerstände, vielleicht wäre schon eine kleine eiserne granate dazu dienlich (DWB); Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 103) der Feind . . wirft Granaten und . . sie zünden, wo sie können . . In diesen Zimmern hier platzte jetzt wohl eine Feuerkugel und eine andere folgte hinterdrein; Pfeffel 1812 Poet. Versuche VI 46 die kleinen wichte/ ergrimmten, warfen huhn um huhn/ sich wie granaten an die köpfe (DWB); Hoyer 1816 Kriegsbaukunst II 89 Handgranaten (grenades) gehörten noch zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts zu den wichtigsten Angriffs- und Vertheidigungsmitteln des bedeckten Weges; Clauren 1817 Lustsp. I 1,76 ändern ehrlichen leuten die uhren in tausend granaten zu zerschlagen (DWB); Aster 1819 Festungskr. 311 Die Haubitzen schießen in diesem Zeitpunkte Grenadhagel, und die Kanonen Kartätschen, sobald deren Wirkung mörderischer als der Kugelschuß ausfällt; Goethe 1822 Campagne (HA X 196) Die Schicksale des Hauses während des Bombardements waren höchst wunderbar. Mehrere Granaten hintereinander fielen in das Familienzimmer, man flüchtete, die Mutter riß ein Kind aus der Wiege und floh, und in dem Augenblick schlug noch eine Granate gerade durch die Kissen, wo der Knabe gelegen hatte. Zum Glück war keine der Granaten gesprungen; Zschokke 1823 Humorist. Novellen II 10 Dreitausend Schock Millionen Granaten (TRÜBNER); Hackländer 1841 Soldatenleben 158 Merkwürdig; wie jede Kugel auf eigentümliche Weise sich bemerklich macht . . Die Granate zischt ungefähr wie eine sogenannte Sonne bei einem
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Feuerwerk und zerspringt dann mit einem Knall (SANDERS DWB); Gaudy 1844 S. W. VIII 94 die knatternden granaten der fragen, die ihn . . überschütteten (DWB); A. v. Arnim 1853 D. Knaben Wunderhorn (S. W. XXI 245) meine [des Prinzen Eugen] bomben und granaten/ sollten sein nun die muskaten/ die ich präsentiere dir [Belgrad] (DWB); 1861 Allg. Mil.-Enc. IV 80 Mörser . . wird zum Werfen von Kartäschen, steinernen und metallenen Vollkugeln, vorzüglich aber Hohlkugeln, Bomben und Granaten gebraucht; Götzinger 1881 Reallex. d. dtsch. Alterthümer 251a [die Grenadiere] sollten die . . granaten oder grenaten mit der hand werfen (DWB); Land 1890 Gott 85 Bomben und Granaten! Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 991) der Feind, ihres Anrückens kundig, hat Sperrfeuer von Schrapnells und großkalibrigen Granaten auf ihren Weg gelegt; Cibura 1933 M. G. 59 Durch Feuer und Rauch, Granatsplitter und Schrapnells müssen wir uns sprungweise hinarbeiten; Liitzow 1942 USA-Einmischung 28 die Granatkanone [an Stelle der mit Voll-Kugeln schießenden Geschütze] war eine Erfindung des französischen Generals Paixhans; Welt 30. 7. 1949 Dann sausten die Granaten dicht über das Krankenhaus; das Personal lief in den Keller und ließ uns bewegungslos oben liegen; De Man 1951 Vermassung 176 Da man es vom Zweiten Weltkrieg an mit einer Mischung von Völker-, Religions- und Bürgerkriegen zu tun hat . . stehen wir vor Konflagrationen, die alles vorherige ebenso in den Schatten stellen, wie die Atombombe die Sprenggranate; Stuttgarter Ztg. 9. 3. 1960 Das „Granatenschiff" hat Kiel verlassen (Überschr.) Mit rund 28000 Gasgranaten aus dem zweiten Weltkrieg an Bord hat das Hamburger Frachtschiff „August Peters" . . die Kieler Außenreede verlassen . . Der Frachter wird die in 1600 Fässer einbetonierten Tabungasgranaten in einer Tiefseerinne des Nordatlantiks versenken; Welt 10. 3. 1964 was er . . als „militärischen Kitsch" bezeichnet: Ringe, Armreifen, Aschenbecher oder Feuerzeuge aus Patronenhülsen oder Granaten; Hildesh. Allg. Ztg. 10. 9. 1973 Am Sonnabend gegen 14.30 Uhr teilte der Gemeindedirektor der Polizei fernmündlich mit, westlich der Autobahnbrücke liege eine Granate. Die Polizei stellte fest, daß es sich dabei um ein Panzerfaustübungsgerät handelte; Zeit 11.1. 1985 Tausende solcher Raketen und Flugbomben, Granaten, Minen und Rucksackbomben mit vergleichsweise geringer Sprengkraft würden Städte in Brand legen; taz 8. 12. 1994 in dieser Stimmung konnten dann Sätze abgeschossen werden wie Granaten: „Sie säen nicht, sie ernten nicht, und der Herr Senator ernährt sie doch."; Frankf. Rundsch. 31.5.1997 Arthur schießt mit großer Wucht die Gummibälle wie Granaten durch den Raum. Hier darf er das, in der Enge des Aus-
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Grande
siedlerwohnheims geht das kaum; Kleine Ztg. 17.8.1997 Vastic wartet, bis Admira-Tormann Ondruschka auf dem Bauch liegt und hebt die Kugel zum 3:0 ins Netz. 34. Minute: Vastic auf Haas, der fackelt am Sechzehnereck nicht lange, eine Granate ins untere Eck, und es steht 4:0; Tiroler Tageszg. 22.11.2000 Nach Polizeiangaben war eine der Granaten in einem Garten neben der Schule eingeschlagen, aber nicht explodiert. . Eine weitere Granate detonierte an der Fassade der Polizeikaserne und verletzte einen Beamten; Mannh. Morgen 22. 8. 2001 der Coach . . glaubt . . „Der
wird eine Granate und noch viele Tore schießen"; Zeit (online) 10.10.2001 Eine echte Granate. Schon beim ersten Riechen springen dem Weinliebhaber fette Beerenfruchtigkeit, Holz- und Vanillearomen regelrecht ins Gesicht; taz 27.11.2002 Männer, die eh nur eine suchen, die was hermacht und vor dem Chef keine Widerworte gibt, die in der Küche eine Perle und im Bett eine Granate ist; Hamburger Morgenpost 13. 7. 2005 Leela James ist wie eine Raubkatze . . Eine Granate mit Dynamit im Hintern, die tanzt als wäre sie ein weiblicher Prince oder mindestens ein James Brown.
Grande M. (-n; -n, früher auch -s und selten Grandi), im frühen 17. Jh. vereinzelt, seit Anfang 18. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus span, gründe, einem Titel der Angehörigen des höchsten Adels in Spanien (zu grande 'groß, hoch; erwachsen; bedeutend' < lat. grandis 'groß; erhaben, bedeutend'; —»· Grandezza, —»· grandios), vereinzelt auch in der Form Grand. Zunächst und bis heute historisierend in der Bed. '(männlicher) Angehöriger des (höchsten) Adelsstandes Spaniens', in Wendungen wie er kommt daher wie ein spanischer Grande, stolz wie ein spanischer Grande, dann meist im PL auch allgemeiner 'mächtiger Herr, Herrscher, Adliger' (s. Belege 1709,1828,1964,1987), z. B. die Granden des Reiches, die oberitalienischen, venezianischen Granden, in jüngerer Zeit meist in der Bed. 'Leiter, Mitglied eines leitenden Gremiums, hoher Funktionär, wichtiger, herausragender, bedeutender Vertreter einer Organisation, eines Berufsstandes etc.', v. a. in den Bereichen Politik und Sport (s. Belege 1991, 1996, 2008; -* Bonze, -» Boß, —» Chef, —» Direktor, —» Honoratioren), in Wendungen wie die Granden der Gewerkschaft, der Wirtschaft, der Koalition und Zss. wie DDR-, Partei- (CDU-, SPD-, ÖVP-), Sport-, Fußball-, Verbands- (DFB-, IOC-)Granden, Polit-, Nazi-, Faschings-, Tennisgranden. Boccalini 1616 Probierstein (Übers.) 67 sonder die grandi vnd andere fürnembste officirer [der Spanier] habens vnder sich getheilt (DWB); Wächtler 1709 Manual 147 Grandes, die großen Herren/ die Gewaltigen/ z. E. die grandes am Hofe; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 281 Grandes, seynd die vornehmsten Herren des hohen und niedern Adels in Spanien; Frisch 1741 Teutsch-laf. Wb. 366 ein Grand im Spanien, unus e proceribus aulicorum Regis Hispaniae, e principibus purpuratorum; 1763 Bibl. d. schönen Wissenschaften 77 Von den Spanischen Grandes und des itzigen Königs öffentlichem Einzüge; Schiller 1787 Don Carlos 441 König (bricht schnell auf): Folgt mir, meine Granden; 1815 Allg. Geogr. Ephemeriden 444 Ein spanischer Grande; 1828 Jahrbücher d. Lit. 204 Unsere Granden scheinen nur bestrebt, sich den Geringeren gleich zu stellen, und im täglichen Verkehre des Lebens sich so einfach als möglich zu zeigen; Brauchitsch 1852 Gesch. d. Span. Rechts 124 Bis zum 13ten Jahrhundert war die Regierung Spaniens
eine rein militairische; die Könige, Granden, Richter und Statthalter in Provinzen, Städten und Dörfern waren Soldaten . . die Gesetze waren auch so wenige und so einfache, dass sie jeder leicht wissen konnte, so dass es nicht schwer war, Richter oder Rath des Königs zu werden; die Granden waren es schon von Geburt; 1887 Meyers VII 614 Granden . . im kastilischen Königreich seit dem 13. Jahrh. Titel des höchsten Adels, der außer den Anverwandten des königlichen Hauses alle durch Ahnen und Reichtum hervorragenden Leute . . in sich begriff. Im Besitz gewisser königlicher Lehen, waren sie dem König zum Kriegsdienst und zur Stellung einer verhältnismäßigen Anzahl von Lanzen verpflichtet. Übrigens besaßen sie ihre Würde erblich, waren frei von Steuern, durften ohne besondern Befehl des Königs vor keinen Gerichtshof gezogen werden . . Außer der Anwartschaft auf die höchsten Staatsämter hatten sie das Recht, in Gegenwart des Königs das Haupt zu bedecken, wurden vom König mit „Mi primo" („mein Vetter") ange-
Grandezza redet; Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 8 Er . . ist der denkbar liebenswürdigste Kollege, auch gegen jugendliche Berufsgenossen von beschämender Kameradschaftlichkeit, seine Intimität mit den Granden steigt ihm nie zu Kopfe; Th. Mann 1911 Chamisso (W. IX 45) Gedichte, die solchen Hang zu grassen Stoffen bekunden, sind etwa: 'Don Juanito Marques Verdugo de los Leganes', die . . Geschichte jenes jungen spanischen Granden, der aus heroischen Gründen das französische Bluturteil an der eigenen Familie zu vollziehen sich unterwindet; ders. 1924 Zauberberg (W. III410) Hast du mal im Theater den Don Carlos gesehen und wie es zuging am spanischen Hof, wenn König Philipp hereinkommt . . und sagt: bedeckt euch, meine Granden oder so ähnlich, — im höchsten Grade gemessen ist das, darf man wohl sagen, von Gehenlassen und schlottrigen Sitten kann da nicht die Rede sein; Kuntze 1944 Verlorenes Blut 79 Emanuel Godoy, der es auf dem Felde der Liebe vom Gardeleutnant zum General, Großadmiral, spanischen Granden und höchsten Minister brachte; Partner 1964 Erben 439 er [Karlmann] zog 877 nach seiner Krönung mit einer star-
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ken Streitmacht nach Italien und ließ sich dort von den oberitalienischen Granden als Gegenkönig Karls des Kahlen ausrufen; Mannh. Morgen 19. 6. 1987 Dank guter Beziehungen zum Pfalztheater Mannheim kann Regisseur Morbert Dreyer seine 15 Schauspieler einkleiden, wie sich Zuschauer venezianische Granden und Dottores aus der Epoche zwischen Spätrenaissance und früher Neuzeit vorstellen; Salzb. Nachr. 17.10. 1991 Formell betrachtet ist „Ein Fall für den Volksanwalt" am Mittwoch durch die Granden des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgesetzt worden; Presse 23. 9. 1996 Dolchstoßlegenden mögen zwar Schlagzeilen liefern und Gehör bei Fans finden, es steht aber zu befürchten, daß sie bei den Daviscup-Granden auf taube Ohren stoßen; taz 13. 9. 2002 Doch Benneter war nur ein paar Wochen Chef des SPD-Nachwuchses — danach sorgten die damaligen Parteigranden Helmut Schmidt und Herbert Wehner für seinen Rauswurf wegen „Linksabweichlertums"; Mannh. Morgen 7. l. 2008 Spätestens jetzt muss man Priol also zu den absoluten Granden seiner Zunft zählen.
Grandezza F. (-; ohne PL), Anfang 17. Jh. als Alamodewort entlehnt aus span. grandeza 'Größe, Pracht; Stand, Würde eines spanischen Adligen (Granden)' (zu span, gründe 'groß, hoch; erwachsen; bedeutend' bzw. gründe 'Angehöriger des spanischen Hochadels, Grande', zurückgehend auf lat. grandis 'groß; bedeutend, erhaben'; —» Grande, —>· grandios), anfangs noch in der (span.) Schreibung Grandeza, seit früherem 17. Jh. in der durch ital. grandezza beeinflussten heutigen Schreibung und gelegentlich (bis Mitte 18. Jh.) in der ital.-frz. Mischform Grandezze (vgl. frz. grandesse). Zunächst meist (und gelegentlich bis heute) auf spanische Verhältnisse (am Habsburger Hof) bezogen als Bezeichnung für das streng nach den Regeln der höfischen Etikette ausgerichtete Verhalten der spanischen Hofadligen bzw. von Spaniern überhaupt, auch allgemeiner im Sinne von '(einer hochgestellten Persönlichkeit, höheren Gesellschaftsschicht angemessene, zukommende) Würde, Hoheit, (in formvollendeter Etikette und Ritualisierung sich ausdrückende) Vornehmheit, (großes) Ansehen, Größe' (—» Dignität, —> Majestät, —* Noblesse, —» Respekt), bes. im 17. Jh. 'einer Nation zukommender Hoheitsanspruch, nationale Größe' (s. Belege 1644, 1647), in Wendungen wie die Prinzessin erhielt eine ihrer Grandezza gemäße Begleitung, er nimmt seine Grandezza sehr/wohl in Acht, (alt-)spanische, italienische Grandezza, die Portugiesen sind darauf bedacht, ihre Grandezza zu erhalten, königliche, völkerrechtliche Grandezza; seit späterem 17. Jh. überwiegend allgemeiner von menschlichen Eigenschaften und (auf Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeit bedachten) Verhaltensweisen in der abwertenden Bed. 'gespreizte, gekünstelte Haltung, gezwungenes, übertrieben feierliches, förmliches, unnatürlich steifes Auftreten, Benehmen; großspuriges, hochmütiges, hochfahrendes, hochtrabendes Wesen; Stolz, Überheblichkeit, Hochmut, Großmannssucht, Prahlerei' (s. Belege 1669, 1693, 1791.1, 1795, 1866, 1878, 1933, 1958, 1987; -> Arroganz, -> Pathos, -* Pomp, -» Snobismus, vgl. Blasiertheit, —» blasiert, Gravität, —» gravitätisch), z. B. mit herablassender, schrof-
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Grandezza
fer, ungeduldiger Grandezza, er war frei von aller überheblichen Grandezza, seine Grandezza ließ keinen freundschaftlichen oder kollegialen Umgang zu, vereinzelt bildlich (s. Beleg 1933), auch im eher positiv-anerkennenden Sinne von '(Respekt und Eindruck erzielende) würde-/hoheitsvolle Gelassenheit, Haltung, Überlegenheit des Auftretens, Gebarens, vornehme, noble Eleganz der Sprache, Gesten und Bewegungen' (s. Belege um 1720, 1791.2, 1813); —»· Stil, —»· Verve, vgl. Eleganz, —+ elegant), speziell in der bildenden und darstellenden Kunst (bes. Malerei, Musik, Tanz, Schauspiel) 'Großartigkeit, beeindruckende Größe des Stils' (s. Belege 1762, 1886, 1992, 1999; —»· Bravour, —» Virtuosität, vgl. Grandiosität,-^ grandios; vgl. die aus dem Ital. übernommene musikalische Spielanweisung con grandezza c mit Ernst, Würde, feierlich-getragen zu spielen', s. Beleg 1986) und in jüngster Zeit im Sport 'großartige, glanzvolle Leistung; souveräne, siegessichere Überlegenheit' (s. Belege 1997, 2000; —>· Bravour, —> Souveränität), gelegentlich ironisierend konnotiert mit „liebenswert altmodisch, altväterlich, altertümlich/altertümelnd; komisch, lächerlich" (s. Belege 1848, 1852, 1895, 1947, 1989); in Wendungen wie der mit unnachahmlicher Grandezza getragene Kopfschmuck, schaupielerische, tänzerische, musikalische Grandezza, von weltstädtischer, staatsmännischer Grandezza, mit der Grandezza einer berühmten Operndiva, der Meister des Schachs besiegte seinen Gegner mit Grandezza in wenigen Spielzügen, der Palazzo strahlt noch heute die Grandezza vergangener Tage aus, seine rührend-ungeschickte Verneigung vor der Regentin war von einer gewissen liebenswerten Grandezza, mit der Grandezza eines in die Jahre gekommenen Gigolo; selten in eher okkasionellen Zss. wie Grandezzagebaren, -gehabe, -pose, -rolle; Geheimrats-, Operngrandezza. Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 376 Vil andere Statt vnd völcker köndte ich benennen/ welche die Torheit in jhrer protection/ schütz vnd schirm nemmen/ vnd sie gleichsam für ein grandeza vnd hochheit halten; 1638 Teutscher Michel Str. 209 Was ist Alteza, was ist grandeza?/ was ist forteza . .?; Rist um 1640 (N. F. V 18) Deutschland will sich mit Grandezzen Spanien an die Seite setzen (SCHEID); Boccalini 1644 Relation 656 weiln es [das heilige römische Reich deutscher Nation] keine bewegnus oder rittelns leiden mögen, auch des hocherläuchtesten hauses Österreich grandezza davon nicht wol abgesondert werden können, ist es nicht in die wag gesetzt . . worden (DWB); Risi 1647 Friedewünschendes Teutschland 28 nebenst der trefflichen Grandezza Ihres Grossmächtigsten Königreiches; 1668 Ratio Status 92 und [dass] kein Mensch sich mehr gelüsten lassen meine Grandetza und Altetza zu defentiren; Andersen 1669 Oriental. Reisebeschr. 20 [die Portugiesen in Goa] seynd zimlich hochmüthig, lassen sich gerne respectiren, umb ihre grandeza zu erhalten, sol keiner so weit biß zu seines nachbarn thür zu fusse gehen, sondern lasset sich in einer palanquin tragen . . die meisten haben den hut gegen das eine ohr und die hand in die seite gesetzet, und je saurer und tyrannischer gesichte er machen kann, je besser es ihm anstehen muß (DWB); Weise 1673 Erznarren 121
Eurylas saß in seiner Grandezze und aß Qvitten; Grillandus 1683 Polit. Hasen-Kopff 284 f. Jedermann verwunderte sich, warum doch diese Princessin . . allein/ ohne Comitat/ und mit niemand/ (ihrer Grandezza gemäß/) als nur einer geringen Aufwärterin/ begleitet wäre; Weise 1693 Näscher 69 Er selbst . . verwandelte seine hochmüthige Grandezza in eine Sclavische Niedrigkeit; Berckenmeyer 1712 Antiquarius 164 Die Engelländer sind von solchem Temperament, daß sie zwischen der Frantzosen Leichtsinnigkeit und der spanischen Grandezza gleichsam das Mittel treffen; Marperger um 1720 Reisen 28 daß sie unter sich selbst fast kein Teutsches Wort mehr, sondern lauter Frantzösische reden wollen . . gleichsam, als wenn eine sonderbahre Esprit, Grandezze und Geschicklichkeit darinn bestünde; Schnabel 1730 Felsenburg Vorr. 9 ob ich als ein Recroute unter den Regimentern der Herrn Geschichts-Beschreiber, dem . . Herrn Momo, wie nicht weniger . . Herrn Zoilo, bey bevorstehender Revue mit einer Spanischen Zähnfletzschenden grandezze, oder Pohlnischen Sub-Submission entgegen gehen müsse? (DiBi 125); Hansel 1755 Allerneueste Anweisung (Taubert 1968 Hof. Tänze 30) Soviel das Hut-Abziehen beym Grüßen betrifft, muß dasselbige noch vor der Reverence geschehen . . und muß er . . mit der gantzen Hand fest angefasset werden; jedoch nicht
grandios oben bey der Kappe, wie diejenigen thun, so nach der Spanischen Grandezze, eine besondere Gravität bezeigen wollen, sondern vielmehr am Rande ohnweit von der Spitze, so vorn über der Stirn ausstehet; Hagedorn 1762 Mahlerey 850 die regste Lebhaftigkeit (furia) und Grosse (grandezza) in den Gemählden des Rosso; Schiller 1787 S. W. V 1,79 die schaar/ der höflinge, die bebende grandezza,/ der mönche sünderbleiche zunft war zeuge (DWB); Bahrdt 1791 Leben l 363 es herrschte eine gewisse grandezza unter den professoren, daß ein magister zu keinem freundschaftlichen umgange mit ihnen gelangen konnte (DWB); 1791 Voss. Ztg. Nr. 156 Er war Patriarch einer Polnischen Religionssekte, die . . er mit Grandezza regierte (SCHEID); Kinderling 1795 Reinigkett 347 Grandezza Hoheit, Stolz, hochtrabendes Wesen; Brentano 1813 Valeria 41 Dios! Isidora, wie halten Sie sich wieder, so ohne alle Grandezza . . Sie werden einen Höcker haben, wie ein Dromedarius . . da sie jetzt schon anfangen, aus den Fugen aller adlichen Grazie zu kommen; Hauff 1825 Memoiren (W. II 213) Gekrönte Häupter, nicht zufrieden, sich aus ihrer frühern Grandezza, wo sie wie in der Bilderbibel, mit der Krone auf dem Haupt zu Bett gingen, erhoben . . haben (SCHEID); Wagner 1848 Kaukasus 9 Gewaltig warf er sich dabei in die breite Brust, während Schnurrbart und Schmeerbauch sich mit unbeschreiblicher Grandezza geberdeten. Ich konnte mich des Lachens über diese possierliche Figur nicht enthalten; Goltz 1852 Jugendleben III 185 der onkel eröffnete . . mit der tante in altvaterischer grandezza den tanz (DWB); Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 174 Das ganze Wesen des Spaniers nahm die Grandezza, den feierlichen Ernst an, der hart an das Komische streifte, das Steife und Ceremoniöse, das Zugeknöpfte und Finstere; Fontäne 1878 Romane u. Erz. I 192 der liebenswürdigste und zugleich der französischeste aller Könige, ein gallischer Kampfhahn, kein radschlagender Pfau, naiv, ritterlich, frei von Grandezza und gespreizten Manieren (DiBi 125); Lichtwark 1882 Studien II 197 Die steife Grandezza der laufenden Fürstlichkeiten hat der Künstler durch das ausgelassene Gelächter der Leibwachen . . parodiert; Böhme 1886 Gesch. d. Tanzes 139 die melodie, in der spätem zeit voll ernst und grandezza auftretend, hat gewöhnlich zwei theile von je acht takten (DWB); Dahn 1895 Erinn. IV 2,452 Der alte Principe, der . . mit echter grandezza, ein wenig
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steif-altmodisch, aber durchaus vornehm — jeder Zoll ein gentiluomo — auftauchte; Stieve 1900 Abhandlungen 97 Wie die spanische Tracht hatte er [Rudolf II.] auch die spanische „Grandezza", die steife Förmlichkeit und Gemessenheit, angenommen; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. X 616) das Auftauchen Wedekinds . ., seine Grandezza im Freudenhaus, seine Flucht von der Bühne des Münchner Schauspielhauses; 1933 Niederdtsch. Monatsh. VIII 70 Die maskierte Wahrheit der Metaphysik steltzte mit barocker Grandezza einher; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 617) man mußte die zierliche Grandezza beobachten, mit der er zwei wunderliche kleine Herrschaften am Meeresstrand sich begrüßen ließ; Torberg 1958 Voriv. z. Herzmanovsky-Orlando, Maskenspiel (H 7) Mit einer Grandezza sondergleichen, mit demonstrativem Über-Mut verstiessen [sie] gegen das herkömmliche Produktionsverfahren [in der Literatur] und die allseits gültigen Regeln der Kunst; Geitel 1971 Ballett o. S. der junge Nobelmann und Romantiker des Ensembles, beherrschte die Bühne und das Parkett mit seiner lichten Grandezza, einem biegsamen Naturell; Stockhammer 1986 Liszt 152 Durch die gesamte Satztechnik Liszts geht ein Zug imposanter Größe, ein Charakter, den man am besten mit „Grandioso" oder „Con grandezza" bezeichnen könnte; Mannh. Morgen 16. 9. 1987 sie [Maria Callas] unterwarf sich . . den Erwartungen, die das Publikum mit dem Typus der Diva verknüpfte. Dazu gehörten explosive Ungeduld, schroffe Grandezza, wütende Auseinandersetzungen mit Kollegen, Dirigenten, Regisseuren und Opern-Direktoren; ebd. 3. 6. 1989 In Großbritannien ist ein Handkuß schon verwirrend an sich und ein Zeichen altertümlicher und kontinentaler europäischer Grandezza, die auf der Insel offenbar seit Tudor-Zeiten ausgestorben ist; Presse 16. 5. 1992 Der mittlerweile 80jährige Pianist spielte mit unglaublicher Grandezza und Feingefühl; Frankf. Rundsch. 7. 10. 1997 Der Meisterschafts-Anwärter steht nach zwei Spieltagen ungeschlagen an der Tabellenspitze der Ersten Bezirksliga Frankfurt und unterstrich dank einer 32:7-Grandezza gegen Bürgel eindrucksvoll seine Absichten; taz 6. 12. 1999 Martin Lüttge . . gab den Bauamtsleiter, der sein Amt nach Gutsherrenart führt, mit leiser Grandezza; Züricher Tagesanz. 13.1.2000 Der HC Lugano ist wieder bei früherer Grosse und Grandezza angelangt.
grandios Adj., im späteren 18. Jh. übernommen aus ital. grandiose 'erhaben, großartig, prächtig' (seinerseits wohl zurückgehend auf span, grandioso, zu grandia 'Größe, Großartigkeit; Übermaß, Prahlerei', Abstraktbildung zu grande 'groß', —> Grande, —* Grandezza), vereinzelt auch (französisierend) grandios.
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grandios
Zunächst v. a. auf Malerei, Plastik und Architektur bezogen als kunstspr. Ausdruck im oft positiv konnotierten Sinne einer äußerlichen Maß- und Gradbestimmung von Bau- und Kunstwerken mit dem Merkmal des Monumentalen für Von beeindruckender Größe und Gestaltung, groß (-gestaltig, -linig, -zügig) in den Dimensionen, wuchtig, gewaltig, in großer Manier, großem Stil (und dadurch großartig, erhaben, beeindruckend, überwältigend, atemberaubend)' (vgl. gigantisch, imposant, kolossal, monumental), z.B. in grandiosem Stile gemalt, ein grandioses Wandgemälde, grandiose Farbeffekte erzielen, grandiose Bau-/Festungswerke, grandiose Trümmer/ Überreste einer vergangenen Epoche, seit frühem 19. Jh. übertragen auf Naturphänomene, (wilde, raue, ungezähmte, als großartig und erhaben empfundene) Landschaften u.Ä. (s. Belege 1829, 1834, 1844, 1851), z.B. ein grandioses Naturspektakel, der Rhein in seiner grandiosen Schönheit, die grandiose Landschaftskulisse des schottischen Hochlandes, grandiose Gebirgswelt, einen grandiosen Rundblick genießen, auch allgemeiner für 'ungeheuer viel, groß, riesig' (s. Beleg 1933; vgl. immens), z. B. er verfügt über ein grandioses Vermögen. Etwa gleichzeitig, in Abkehr von der bloß quantitativen Vorstellung der äußeren Ausmaße, verstärkt als Ausdruck der Bewunderung für die innere Qualität und Wirkung v. a. künstlerischer, sportlicher, technischer u. ä. Leistungen, auch allgemeiner von Ereignissen, Tatsachen, Entwicklungen usw. als Schlag- und Modewort in der positiv wertenden Bed. 'großartig, bedeutend; Aufsehen erregend, umwerfend; ungewöhnlich, außerordentlich', verstärkt positiv 'sagenhaft schön, bestechend; überragend, hervorragend/glänzend (gelungen); unvergleichlich, einzigartig; üppig, prächtig, herrlich; vorzüglich, fabelhaft, ausgezeichnet' (s. Belege 1786.2, 1828, 1884, 1956, 1984, 2000; vgl. bravourös, famos, fantastisch, formidabel, fulminant, genial, phänomenal, spektakulär, süperb, triumphal, virtuos), z.B. eine grandiose Opernaufführung, sein grandioses Gitarrenspiel, grandiose Sprungtechnik, die grandiosen Leistungen der Technik sind zu bewundern, das Unternehmen war ein grandioser Erfolg, nach dem grandiosen Fußballsieg Hollands, der grandiose Aufschwung in der Wirtschaft, im Bann eines grandiosen Erlebnisses, auch adv. verwendet, z. B. der grandios singende Chor; daneben schon früh auch auf herausragende (Eigenschaften, Verhaltensweisen und Leistungen von) Personen bezogen für 'großartig, hervorragend; glanzvoll' (—» brillant, —» exzellent) und 'großzügig, -mutig (gesinnt), edel; freigebig, verschwenderisch; liebenswürdig' (s. Belege 1786.1, 1826, 1836, 1842, 1861, 1914; —> generös, —>· nobel, vgl. honorig, splendid), z.B. er hat eine grandiose Art zu überzeugen, verfügt über edle und grandiose Eigenschaften, ein grandioser Redner, Dialektiker, er genießt einen grandiosen Ruf als Tänzer; gelegentlich (wie —» genial) sowohl hinsichtlich der quantitativen wie der qualitativen Geltung leicht abwertend im Sinne von 'übertrieben/eine Nummer zu groß, ungebändigt, überdimensioniert, protzig' (s. Belege 1841, 1901, 1940; vgl. bombastisch, —» Bombast, pompös), und in paradoxer Umkehrung in Verbindung mit eigentlich banal oder abschätzig bewerteten Gegenständen und Sachverhalten (s. Belege 1819, 1830, 1895, 1910-11, 1993, 2001; -» eklatant, -> frappant, —> glorreich), z.B. in grandioser Monotonie, in seinem Zimmer herrscht eine grandiose Unordnung, das war ein grandioser Flopp!, ein grandioses Durcheinander veranstalten, in grandioser Verkennung der Lage, eine grandiose Wahlniederlage, Fehlinvestition, auch als ironisch intensivierendes Adv. im Sinne von 'sehr, äußerst, ganz besonders', z.B. er hat sich grandios blamiert, verhält sich grandios ungeschickt,
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das war grandios daneben!, ein grandios misslungenes/gescheitertes Projekt, sowie in positiver (z.T. leicht ironischer) Übertreibung (s. Belege 1866, 1929, 1947), z.B. (als Interjektion:) grandios! (vgl. famos!, klasse!, kolossal!, prima!, super!, toll!), nun wird die Sache grandios!, grandios gemacht! Vgl. daneben das in jüngster Zeit aus dem Ital. übernommene, als musikalische Spielanweisung gebrauchte Adv. grandioso 'im großartigen, eindrucksvollen, donnernd und mächtig anschwellenden Stil zu spielen' (vgl. fortissimo, —»· forte, furioso, —> furios), meist in ital. Syntagmen wie allegro/molto/cellissimo grandioso, (auch attr.:) Adagio grandioso, Finale grandioso, gelegentlich (wohl unter ital. Einfluss) auf nichtmusikalische Bereiche bezogen und insbes. im Sport gleichbed. mit grandios (s. Belege 1992, 1997) verwendet, daneben schon seit frühem 20. Jh. das Subst. Grandioso N. (-s; Grandiosi) 'grandiose gespieltes/zu spielendes Musikstück', vereinzelt auch übertragen (s. Beleg 1924). Dazu seit Ende 18. Jh. (eventuell unter Einfluss von gleichbed. ital. grandiositä] die subst. Ableitung Grandiosität E (-; PL ungebr.), v. a. als Terminus der Kunst (Malerei, Architektur, Literatur) in der Bed. 'Großartigkeit, Erhabenheit (des Stils), große Manier (in der Kunst)' (s. Beleg 1822), z.B. die dramaturgische Grandiosität der Anlage dieses Romans, auch abwertend für '(leere, hohle) Übertreibung; Überschwang, Größenwahn' (s. Belege 1843, 1932, 2000, 2005) und ironisch (s. Belege 1994, 1997). grandios: Goethe 1772 Sehr. z. Kunst (HA XII 221) Einen gewissen grandiosen obgleich nicht geläuterten Sinn; Winckelmann nach 1779 Br. an Bianconi (Übers.) (S. W. // 72) sie verlangen einen faun, der mehr als faun ist, und die Zeichnung einer solchen caricatur nennen sie grandios (DWB); Wieland 1781 Teutscher Merkur II 82 In eben dieser [Sixtinische Kapelle] ist Gott, der den Adam erschafft. Eine majestätischere grandiosere Figur hat kein Künstler dieser Zeit erfunden . . [Anm.] Man erlaube uns diesen Künstlerausdruck. Er sagte viel, und besser als groß; Goethe 1786 Italien. Reise (WA I 30,87) Das muß man den Engländern lassen, daß sie von lange her das Gute zu schätzen wußten, und daß sie eine grandiose Art haben es zu verbreiten; ebd. 30,176 Überhaupt fällt es auf, wie in Toscana gleich die öffentlichen Werke, Wege, Brücken für ein schönes grandioses Ansehen haben; Brun 1800 Episoden 364 der ganze Pallast ist grandios und edel; 1811 Almanack a. Rom II 192 dann erst . . erblickt man noch grandiose Trümmer einer Wasserleitung aus einer Quelle nach Ostia; W. v. Humboldt 1817 Br. VI 39 der hauptcharakter [der Statuen] bleibt immer das grandiose, die lebendigkeit und der reichtum (DWB); E. T. A. Hoffmann 1819 S. W. VI 104 die grandiosen gestickten pantoffeln und eine silberne sirene als henkel irgendeines unentbehrlichen geschirrs (DWB); Ritter 1822 Erdkunde I 643 da sie [Tempelruinen] aus der Kindheit der Architectur herstammen, wo man durch das Colossale das Grandiose zu erreichen suchte; Goethe 1824 Xe-
nien (WA I 5,113) Welch hoher Dank ist dem zu sagen,/ der frisch uns an das Buch gebracht,/ das allem Forschen, allem Klagen/ ein grandioses Ende macht; ders. 1826 Br. (WA IV 40,284) Sie haben sich . . so klug als tüchtig, so edel als grandios gezeigt; liegner 1828 Ges. Sehr. 318 die geschichte der propheten Elias und Elisa ist eine der erhabensten Urkunden des alterthums, nicht nur in ansehung des Inhalts, sondern auch des styls, der grandiosen einfalt der darstellung (DWB); 1829 Briefw. Goethe-Zelter V 308 indem ich der Natur in ihrem grossen Thun einfachere und grandiosere Mittel zutraue; Heine 1830 Italien (III 247) grandios unbeholfen; Schottky 1834 Alpenwelt l die Vereinigung des anziehendsten Stillebens mit den grandiosen Erscheinungen der Natur zu beobachten; Glaßbrenner 1836 Bilder a. Wien I 81 Diese grandiose Dame/ Bringt ihr holdes Töchterpaar,/ Schlägt vom Thurm die zwölfte Stunde,/ Allen Männeraugen dar; Herivegh 1841 W. I 86 Der Dichter ist der Sultan Scheriar,/ Und liebt, wie dieser Herr, das Grandiose;/ Der ruht' auch zweimal nie im selben Schöße,/ Bis er Scheherezaden ward gewahr (DiBi 75); Burckhardt 1842 Br. an Schreiber 56 einen kleinen poetischen Zirkel, dessen Mittelpunkt eine hohe grandiose Frau war; Gaudy 1844 S. W. V 88 den ewigen zauber des meeres, die eigenthümlichste, grandioseste natur (DWB); Max. v. Mex. 1851 Leben l 49 Wir verließen dieses kleine und doch so grandiose Thal auf einem schmalen Pfade; Holtet 1861 Erz. XXXV 132 Die Leute sind nun einmal so albern, daß sie sämmtliche edele und grandiose
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Eigenschaften der Rolle auf den Schauspieler übertragen; Hebbel vor 1863 W. X 17 der ganze bau besteht aus zwei grandiosen bogen, die man kreuzweise durchschreiten kann und die oben in der fa9ade zusammen laufen (DWB); Meyr 1866 Gespr. 177 Er schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: „Grandios! — Weißt du, daß du dich im Umgang mit mir schon sehr gebessert hast?"; Langhans 1872 Orient 129 der Stadtmauer, deren grandiose Ueberreste zur rechten Hand konsequent zu verfolgen sind; Treitschke 1879 Dtsch. Gesch. I 213 der erste consul lebte und webte damals in den grandiosen planen der eroberung Englands (DWB); Nordau 1881 Paris 13 die neue, herrliche „Avenue de l'Opera" mit ihrer kilometerlangen Doppelreihe gewaltiger Paläste . . und den grandiosen Boulevard St. Germain; Rose 1884 Revanche 275 Die malerische Pracht einer Feier, deren grandiose Entfaltung . . selten ihres Gleichen finden mag; Dahn 1895 Erinn. IV 2,261 die grandiose Rücksichtslosigkeit des Felsens Petri; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 497) dann immer klarer und markiger, in kunstvoller Kontrapunktik ein altvaterisch grandioses, wunderlich pomphaftes Marschmotiv; Liliencron vor 1909 Kriegsnof. 205 immer näher rückten sich die beiden sich beständig schwach verschiebenden linien [einander angreifender Truppen] ein grandioserer anblick ist mir nie geworden [Anm.] ich muß das fremdwort hier zu meinem bedauern behalten; 'großartig' deckt den begriff nicht ganz (DWB); 1910-11 Pan l 640 da die Vernichtung bevorsteht in der grandiosen Allmacht ihrer Notwendigkeit; Caroline Pichler 1914 Denkw. l 416 das hinwegsetzen darüber [sittliche Gebote] war eben jenes grandiose, wie das damals in mode gekommene wort hieß, womit man jeden vorstoß gegen hergebrachte formen, jedes auflehnen gegen pflicht, ja, jede Übertretung derselben beschönigen zu können glaubte (DWB); Handel-Mazetti 1929 Maria l 35 Herrlich! Grandios! Einzig! Insuperabel!; Berl. lllustr. Nachtausg. 29. 8. 1933 Soziales Hilfswerk von grandiosen Ausmaßen; Finder 1940 Kunst d. Dürerzeit 261 wie das grandiose gespenst eines riesigen architekturtraumes (DWB); 1947 Baseball-Spiel 19 Er wartet zwei „Strikes" und einen „Ball" ab, ehe ihm beim vierten Wurf ein grandioser Schlag gelingt; Bamm 1956 Ex ovo 220 durch mathematische Deduktionen sind die Physiker zu ihrem grenzenlosen, endlichen gekrümmten Raum gelangt . . Die wahrhaft grandiose Konsequenz ihrer eigenen Genialität interessiert sie nicht; Lenz 1969 W. XIX 198 Im Fall Don Quichottes führte eine absichtsvolle, reflektierte Verkennung gesellschaftspolitischer Wirklichkeit zu grandioser Literatur; 1971 Festg. a. Klett 125 beschränke ich mich . . darauf, mit mir auszukommen, unauffällig ohne grandiose Erwartungen; Zeit 28. 12. 1984 Sa-
vary . . inszenierte eine grandiose Höllenfahrt mit Rauchwolken, Feuerschlünden und fliegenden Teufeln; Spiegel 6. 12. 1993 Zu Beginn des Superwahljahres .. hätte eine vorgezogene Landtagswahl zu einem grandiosen Absturz seiner CDU geführt; Tiro/«· Tagesztg. 10. 8. 2000 temperamentvoll vorgetragen, mit Glissandi und grandiosen Läufen und einem herrlichen Mittelsatz; Berl. Ztg. 27. 12. 2001 Nun liegt das Land wirtschaftlich und politisch am Boden und es kann getrost als weiteres Exempel in die lange Reihe grandios gescheiterter Projekte des IWF eingereiht werden. grandiose: taz 23.5. 1992 die Stilleben (z.B. das mit der Puppe — grandiose!) könnten von Man Ray stammen; Berl. Ztg. 25. 10. 1997 Das Prinzip des Stierkampfes, dem rund um die andalusische Rennstrecke von Jerez de la Frontera gehuldigt wird, mag für das Finale grandioso der Formel l nicht richtig greifen; Kleine Ztg. 13. 6. 1999 Ein „Finale grandioso" lieferte das Savaria Symphony Orchestra mit dem Soloklarinettisten der Ungarischen Nationalphilharmonie; St. Galler Tagbl. 4. 12. 2001 Geradezu pompös das Adagio grandioso mit seinen markant schreitenden Figuren in Geigen und Bratsche. Grandioso: Werfel 1924 Verdi 460 Die Gabe der Aufwallung, das Grandioso und Furioso, die dieses Volk wie kein anderes besaß; Salzb. Nachr. 4. 8. 1992 einer in den Tempo- und „Register"Wechseln atemberaubend schlüssigen symphonischen Logik, die dieses exzessive Stück bei allem Grandioso wie eine Klammer fest zusammenhält; Tiroler Tagesztg. 7. 4. 2000 Der tönende Höhepunkt wird der Schlusssatz . ., bei dem sich die Kapellen zu einem Grandioso zusammenfinden; Mannh. Morgen 20. 3. 2001 Der rezitative Charakter im zweiten Teil schwingt sich hinauf zu einem expressiven Grandioso. Grandiosität: Goethe 1797 Tagebücher (WA III 2,123) da . . die hießigen [Stuttgarter Theaterdekorationen] . . wegen der Größe des Theaters und wegen ihrer eignen Grandiosität sehr guten Effect thun müssen; Ritter 1822 Erdkunde VI 302 die alten Hindutempel . . überträfen an grandiosität, pitoreskem effect und reicher sculptur [die muselmanische Architektur] (DWB); Ampere 1840 Weg (Übers.) 78 [Giottos Fresken in Assisi sind von ungeheurer] Grandiosität; Steinmann 1843 Mefistofeles 111 243 Hamann, dessen krankhafte Grandiosität in Jean Paul . . fortwogte; Ludwig 1891 Ges. Sehr. V 497 hier durfte für andre etws mitleid erregt werden, weil dieses jene grandiosität der Richardsgestalt erhöht (DWB); Klemperer 1928 Ta-
Grandseigneur gebücher 458 Mitten in diesen Qualen las ich die Romains-Farce Monsieur Le Trouhadec saisi par la debauche. Erst lustig, dann zu flach, ohne die Tiefe u. Grandiosität Knocks; Friedeil 1931 Kulturgesch. III 52 Ibsen zum Beispiel war auch hierin [Wahl der Titel seiner Stücke] ein Genie: eine Bezeichnung wie „Die Wildente" ist von unergründlicher Grandiosität; Edschmid 1932 Zauber 307 [Spanien unter Philipp II.] Ein Imperium von Grandiosität und von seltsamem Überschwang; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 877) Aber das Lächeln, das wir uns gelegentlich zu verbeißen haben vor Schiller'scher Grandiosität, gilt einem Ewig-Knabenhaften; Stuttgarter Ztg. 4. 3. 1969 von dem Sinneswandel unter den Juden . ., die lernten, den Nathan ab- und den Shylock aufzuwerten — bis zur Grandiosität; Zeit 21.3. 1986 Weshalb hat Gogol auf der Höhe seines Ruhms die Grandiosität des „reinen" Künstlers gegen die des Moralisten eingetauscht und die missionarische Idee gefaßt, durch seine Kunst an der Verbesserung der Welt mitzuwirken?; tat 3.5. 1989 so lebe in der deutschen Automobilsucht die durch zwei Weltkriegsniederlagen gedemütigte Phantasie von der eigenen Gran-
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diosität der Deutschen fort; Spiegel 7. 11. 1994 Medienerregung und Medienlächerlichkeit, die Grandiosität des Verbrechens . . nichts anderes zeigt Stone in seinen rasenden Bildfetzen; taz 3. 2. 1997 Grandios gescheitert. . Blüms Rentenreform verdient den Namen nicht (Überschr.) Wohl nur weil die CDU-Spitze sicher war, daß die Grandiosität dieses Unterfangens das Publikum glatt verstummen lassen würde, sollte beides gleichzeitig verhandelt werden; Frankf. Rundsch. 20.11. 1999 der letzte größere Absatz beschreibt noch einmal, in eiskalter Grandiosität, die maschinenhafte Präzision und die kollektive Macht der zu Recht titelgebenden Vögel; Berl. Ztg. 28. 12. 2000 im Trio des Scherzos der Siebenten, dessen simple Motive in Kenntnis ihrer Herkunft aus einem Pilgergesang oft zu hohler Grandiosität verschleppt werden; taz 2. 7. 2005 Als Redner beeindruckte Churchill zwar durch seine ungeheure Sprachgewalt, durch die klassischen Perioden und den beinahe Shakespeareschen Rhythmus seiner Sätze, jedoch rief gerade diese Grandiosität oft einen leicht peinlichen Effekt hervor.
Grandseigneur M. (-(s); -s), im früheren 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. grand seigneur, eigentlich 'großer Herr 1 (aus grand 'groß' < lat. grandis 'groß; erhaben, bedeutend', —> Grande, —* grandios, und seigneur '(adliger, vornehmer) Herr' < lat. senior, Komparativ des Adj. senex 'alt', —» Senior), auch in der Form Grand Seigneur. Zunächst in der Bed. '(adliger, wohlhabender) Herr aus angesehenen, einflussreichen Kreisen, von hohem Rang', oft konnotiert mit „weltgewandt, nobel, souverän, elegant, gelassen, lässig" oder, mit negativer Wertung, „faul; patriarchalisch; großtuerisch, großspurig" (s. Belege 1886, 1905, 1926, 1971), daneben auch als respektvoll-anerkennende Bezeichnung für einen langjährigen, verdienten, herausragenden und bedeutenden Vertreter eines Berufsstandes v. a. in den Bereichen Kultur (Theater, Film, Musik, Literatur), Politik und Sport (s. Belege 1997, 2006; vgl. graue Eminenz), in Wendungen wie der Grandseigneur des Entertainments, Galeriewesens, Tenorgesangs, Weltfußballs, Journalismus; dazu seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung grandseigneur(i)al in der Bed. 'einem Grandseigneur angemessen, geziemend', auch 'weltgewandt, souverän, nobel' und in pejorativer Verwendung 'patriarchalisch' (s. Beleg 1987), vgl. gleichbed. grandseigneurlich, -haft, -mäßig. Daneben die z. T. auf dasselbe Etymon zurückgehende und analog gebildete, Mitte 19. Jh. aus gleichbed. frz. gründe dame entlehnte subst. Wendung Grande Dame, eigentlich 'große Dame' (—»· Dame), in der Bed. '(adlige, wohlhabende) Frau aus angesehenen, einflussreichen Kreisen', auch 'Frau von Welt', mit fließendem Übergang zum Gebrauch als respektvoll-anerkennende Bezeichnung für eine langjährige, verdiente, herausragende und bedeutende Vertreterin eines Berufsstandes v. a. in Kultur, Politik und Sport (s. Belege 1985, 2006), seit Mitte 20. Jh. auch konkurrierend mit der dtsch. Wendung große alte Dame, in Wendungen wie die Grande Dame des deutschen Schauspiels, Films, Journalismus, des Cembalos, des französischen
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Grandseigneur
Chansons, des Feminismus, des Widerstands, des Tennissports, (auch personifizierend bezogen auf den Fußballverein Juventus Turin;) die Grande Dame des italienischen Fußballs; vereinzelt auch in der Bed. "(meist für ein Jahr) gewählte Vorsteherin eines Beginenhofs' (s. Beleg 1908). Grandseigneur: Scheffer 1834 Wanderfahre II 328 die perotische Diplomatie stellte uns in griechischer Sprache, deren Kenntniß sie uns nicht zutraute, den in der That recht reizenden Grazien vor, indem sie uns als reiche und gutmüthige Oesterreicher, die dem Grandseigneur zu Hülfe gesandt seyen, qualifizierte; Laube 1835 Charakteristiken 160 Die ächten Professoren und die ächten Leute von Stande haben die Schriftsteller noch immer nicht anerkannt, ein ächter Professor und ein Grand Seigneur sehen noch heute vornehm auf Goethe herab; Kohl 1846 Petersburg 90 f. Und ein russischer Kaufmannssohn, der im Dienste des Kaisers die Leiter des Tschins zu erklimmen beginnt, schlüpft mit Leichtigkeit aus der Hülle eines Collegienassessors in die . . eines wirklichen Geheimraths hinüber, nimmt der Reihe nach alle Mienen, Sitten, Geberden und das ganze Wesen, das dieser Classe eigen ist, an und steht am Schlüsse als vollkommener russischer Grandseigneur da; fock 1863 Erinn. 42 Während der Herzog, wenn er auch nichts Gewinnendes in seinem Wesen hatte, doch bei der vornehmen Reserve eines Grandseigneur zu viel Takt besaß, um ohne Noth zu verletzen und vor den Kopf zu stoßen, war sein jüngerer Bruder . . in dieser Hinsicht von einem viel derberen Schlage; Gindely 1886 Waldstetn 10 Man hat es bei ihnen mit Grandseigneurs zu thun. Denen die Arbeit beschwerlich fällt; Oldenberg 1905 Vedaforschung 6 Er fühlte sich als Grandseigneur der Veda-erklärung: als solcher teilte er den Worten die Bedeutung zu, die sie an jeder Stelle zu haben hatten; Klemperer 1926 Tagebücher 264 An Bord regiert . . „Herr Richter". Ihn hörte ich schon früher mit Ehrfurcht nennen. Er ist einer der 4 Inhaber der Slomanfirma . . Ein glattrasierter schlanker Herr Ende der Fünfzig, ganz Grandseigneur, ganz Hausherr, uns ganz als seine Gäste aufnehmend. Sehr liebenswürdig, nicht ganz bequem, ein bißchen allzu eingebildet. .. Ein klein bißchen zu viel Pose, zu viel Admiral, aber doch ein offenbar gewichtiger Mann von guten Allüren u. mit einiger Berechtigung für seine fürstliche Haltung; ders. 1945 Tagebücher 128 Hier traf ich Magnifizenz Heydebroek, chevalereske Erscheinung, Art französischer Grandseigneur, lässig höflich-wurstig; ders. 1955 Tagebücher 473 In der Klasse Verwaltungskram, der sich wichtig tat. Frings als Grandseigneur (Händedruck für mich: „Wieder ganz gesund?"); Heger 1971 Roman 188 Über allem thront patriarchalisch der Graf, ein österreichi-
scher Grandseigneur, durch dessen Ländereien die Straße führen wird; Zeit 8. 3. 1985 Eulenburg war kein Seneca, sondern ein eher durchschnittlicher preußischer Landedelmann, der, für seine Kaste durchaus ungewöhnlich, nicht darauf verzichtet hatte, einer bescheidenen künstlerischen Begabung nachzugehen. Zum Grandseigneur reichte es nicht, sein Künstiertum blieb dilettantisch .. Er war nicht eine Spur weltmännisch; Frankf. Rundsch. 25. 10. 1997 Heesters präsentiert sich als Grand Seigneur, der seine Grenzen kennt und damit zu kokettieren weiß. Die Attitüde des lächelnd-resignierten Lebemannes steht ihm gut zu Gesicht. In den Bewegungsabläufen erstaunlich sicher, manövriert er sich durch das Bühnengeschehen; dpa 19. 5. 2006 Der Italiener [Fußballtrainer Trapattoni] sei ein „Grandseigneur des Weltfußballs, der in seiner Karriere alles erreicht hat und beim Thema Fußball trotzdem mit der Begeisterung und Leidenschaft eines 14-Jährigen dabei ist". grandseigneur(i)al: Friedeil 1927 Kulturgesch. l 228 sich mit einem grandseigneuralen Luxus zu umgeben, zu dem er sich aber mehr durch seine Leidenschaft für schöne Form und großartige Verhältnisse als durch wirkliche Genußsucht hingezogen fühlte; Lothar 1934 Burgtheater 490 Es hat immer im Burgtheater solche grandseigneuriale Schauspieler gegeben, die jede Rolle mit innerlicher Noblesse zu erfüllen wußten; Fechter 1955 Menschen 14 Die Gesamterscheinung Furtwänglers behält .. von innen her Grandseigneurales, eben von innen her souverän Beherrschtes; Süddtsch. Ztg. 27. 6. 1960 Jean Gabin, zum Zeichen grandseigneuraler Erlesenheit das Monokel im blauen Veteranenauge, spielt diesen ehrenwerten Schlawiner; Mannh. Morgen 20. 6. 1987 In grandseigneuraler Haltung saß Kantor während des ganzen Spiels auf einem Proszeniumsstuhl und gab den Darstellern dirigierende Handzeichen, als hätten sie ohne ihn nicht weiter gewußt; Zeit 30. 1. 2003 Auch die Rückkehr zum Grandseigneuralen in der gehobenen Unternehmenskultur gehört ins weite Feld. Überhaupt sind Stilfragen bedeutsamer als realpolitische Details. Mopsfidele Alte haben erfreulicherweise die Werbung erobert, wo sie Strande und Straßen unsicher machen. Grande Dame: 1860 Preuß. Jahrb. 21 Ein junger Componist aus der Provinz besteht in Paris die furchtbaren Proben des noch nicht zur öffentlichen
Granit Anerkennung durchgedrungenen Talents. Eine „grande dame," einer der Sterne der besten Gesellschaft, nimmt sich seiner Hülflosigkeit an; Ramann 1880 Liszt 273 [Wenn] eine grande dame oder ein grand seigneur den Virtuosen von ehemals durch einige freundliche Worte auszeichnete, dann verrieth seine ganze Haltung, in welche Verlegenheit ihn diese „große Ehre" gebracht; Heimbucher 1908 Orden 530 Die Grande Dame war allein berechtigt, Novizinnen sowie andere Damen aufzunehmen, welche in der Beguinage ein Asyl suchten, ohne förmlich in die Genossenschaft eintreten zu wollen; Szilassy 1921 Donau-Monarchie 187 Dieser schlaue Diplomat vernachlässigte die Salons nicht, und es gelang ihm, sich in mancher russischen „Grande Dame" eine wertvolle Mitarbeiterin für seine Ententepropaganda zu sichern; Berl 1946 Gespräche 141 Eine europäische Grande Dame. Helene von Nostitz. Es sind jetzt zwei Jahrzehnte her, daß eine große europäische Dame in
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Baden-Baden an ihren Memoiren schrieb; Brüning 1966 Drama 150 Die Malerin Marion genießt den Wettstreit um ihre Gunst, spielt die grande dame, die emanzipiert und vorurteilslos jedem Gehör schenkt; Zeit 6. 9. 1985 Gerade jetzt wieder, in einer Zeit der politischen Wende, in der an sich dickhäutige Politiker ausgesprochen dünnhäutig auf Satire reagieren, ist die Funktion einer Lore Lorentz auch für jüngere, respektlosere Kabaretts wertvoll. Da die „Grande Dame des deutschen Kabaretts", wie sie immer wieder bezeichnet wird, für sich und ihr Kom(m)ödchen einen kaum noch angreifbaren Status errungen hat, können sich vielleicht auch manche jüngere Kollegen . . ungeschorener tummeln; taz 3. 11.2006 Und es hat sich auch Prominenz angekündigt: Nancy Pelosi, die Grande Dame der Demokraten, langjährige Minderheitenführerin im Repräsentantenhaus, ist aus ihrem Wahlkreis San Francisco angereist.
Granit M. (-s; selten -e), Mitte 18. Jh. wohl über gleichbed. frz. granit entlehnt aus ital. granito (subst. Part. Perf. von granire 'körnen; körnig werden', zu grano 'Korn' < lat. granum 'Korn, Körnchen; Kern', vgl. mlat. granitum (marmor) 'Gekörntes (Marmorgestein)'; —+ Gran, —·· Granate, —»· Granulat, —> Grenadier, —> Filigran), früher auch (eindeutschend) Grandstein. In der Geologie und im Bergbau für 'Körner-, Kernstein, Urstein, aus dem Felsen oder Felsengebirge bestehen', fachspr. Bezeichnung für ein v. a. aus den Hauptbestandteilen Quarz, Feldspat und Glimmer zusammengesetztes, sehr hartes, eruptives Tiefengestein von grob- oder feinkörnigem Gefüge und verschiedenfarbigem (meist grau mit hellen Flecken) Aussehen (vgl. Basalt, Gneis, Marmor), in Wendungen wie glatt geschliffener, roter/schwarzer Granit, der Granit stammt vom Sinai, Löcher in den Granit treiben/bohren, zweihundert Tonnen Granit, Granit wird in felsigen Gebirgsregionen abgebaut, Halbinsel aus Granit, häufig als Bestimmungswort in Zss. wie (bezogen auf mineralogische Bestimmung und geologische Vorkommensweisen, Lagerung, Struktur, Schichtung, Formation o. Ä.:) Granitader, -bank, -berg/ -gebirge/-massiv, -bett, -fels(en), -findling, -formation, -gemenge, -geröll, -gestein, -gneis, -grund, -kern, -kiesel, -lager, -marmor, -porphyr, -sand, -schiebt (Oberer Bereich der Erdkruste'), -schutt/-schotter, -(stein)bruch, -wand, -zone, (bes. im Pl.) auch kurz für Granitblock/-brocken/-klotz/-quader/-stein/-stück (s. Belege 1779, 1808, 1821, 1875, 1999.2, 2006); granitfarben, -geädert, -grau/-rot/-schwarz, -haltig, -reich, -steinern, seltener als Grundwort (in Verbindung mit Bezeichnungen zur geologisch-geographischen Lokalisierung:) Alpen-, Bretagne-, Felbertauern-, Gletscher-, Gotthard-, Montblanc-, Odenwald-, Schären-, Schwarzwald-, Sinai-, Vogesengranit, (in Verbindung mit Bezeichnungen unterschiedlicher Spielarten:) Gang-, Gebirgs-, Schriftgranit ('schriftartig gemusterter Stein'); dann auch bezogen auf das bearbeitete Material, den Naturwerkstein, der in der Baukunst und Bildhauerei (beim Straßen- und Brückenbau, bei der Errichtung von Gebäuden, Monumenten, Denkmälern, Grabsteinen u.Ä.) als Baustoff Verwendung findet (s. Belege 1795 — 96, 1893, 1948; —> Asphalt, —* Beton, —> Marmor), z.B. zwei Säulen aus/von massivem Gra-
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Granit
nit, aus schlichtem Granit gefertigte/geschaffene Skulptur, der in verwitterten Granit gemeißelte/gehauene Name, Fassade aus Granit; Granitbecken, -belag, -boden, -denkmal, -fassade, -kirche, -mauer, -pfeiler, -pilaster, -quader, -relief, -säule, -sockel, -statue/-stele, -tafel; granitbelegt, -gefliest, -gemeißelt/-gehauen, -planiert, -verkleidet. Von daher seit spätem 18. Jh., anknüpfend an die besondere Härte, Festigkeit, den massiven Charakter des Granits als Urgestein, oft bildlich-vergleichend bis übertragen gebraucht im Hinblick auf äußere oder innere Charakterisierung, Verhaltensweisen und Einstellungen von Personen (s. Belege 1798, vor 1863, 1877, 1933-43, 1947, 1950), seltener auf (abstrakte) Gegenstände (s. Belege 1813, 1854, 1971, 2002), auf Sprache oder Musik bezogen (s. Beleg 1991), z. B. in Granit gemeißelte Regeln, er besaß ein Herz aus Granit, in einer Angelegenheit hart wie Granit bleiben, zwei Kerle wie Granit, ein Mann von/aus Granit und v. a. in der Wendung bei jmdm. auf Granit beißen/stoßen 'bei jmdm. mit einem Ansinnen, einer Forderung usw. auf unnachgiebigen, unüberwindlichen Widerstand, unbeugsamen Willen stoßen' (s. Belege 1927, 1985, 1999.3), vereinzelt in Zss. wie Granitbrust, -herz, -köpf, -schädel, -stil (—> Beton); granitgesichtig, -hart; Allparteien-, Gewerkschaftsgranit. Dazu seit Ende 18. Jh. die adj. Ableitung graniten 'aus Granit bestehend; aus Granit hergestellt' (vgl. bronzen, marmorn, basalten), z.B. der granitene Untergrund der Meere, granitene Steinwand, granitenes Urgebirge, das granitene Grabmal, granitene Taufsteine, granitene Straße, Skulptur, granitener Sarkophag, auf dem mit granitenen Kopfsteinen gepflasterten Marktplatz, daneben häufiger bildlich und übertragen verwendet von abstrakten Größen und Sachverhalten 'wie aus Granit, Stein (gehauen, gemeißelt), wie aus Beton, Eisen (gefügt, gegossen, geschmiedet o. Ä.), steinern/versteinert, eisern, ehern; fest(-gegründet), starr, unumstößlich, unerschütterlich' (s. Belege 1835, 1902, 1942, 1989, 1997, 2001; vgl. (ein-)betoniert, -» Beton), z. B. granitene Regeln, ein Eingriff in die granitenen Einkommensverhältnisse, das granitene Fundament der Marktwirtschaft, die granitene Hierarchie der Verwaltung, gelegentlich auch auf Sprache und Musik bezogen (s. Belege 1876, 1990, 1999; vgl. monumental), z.B. die granitene Härte seiner Sprache, granitene ('wuchtige') Verse, seit Mitte 19. Jh. v. a. in Bezug auf Ausdruck und Äußerung der inneren Haltung von Personen 'unerschütterlich, verlässlich; gelassen, stoisch' (s. Beleg 1858 — 61), meist im negativen Sinne von 'hart(-herzig/-gesotten), unnachgiebig, unbeugsam, kompromisslos, unflexibel; unerbittlich, engstirnig, stur' (s. Belege 1882, 1933—43, 1938, 1948, 1985, 1993, 1995); in Wendungen wie mit granitener Miene reagieren, mit granitenem Selbstbewusstsein auftreten, auf granitenen Widerstand stoßen, eine granitene Position einnehmen, vertreten, ein Charakter/Wille von granitener Härte; weitgehend gleichbed. mit seit spätem 18. Jh. meist im geologischen, in neuerer Zeit vereinzelt auch im übertragenen Sinne (s. Beleg 1986) verwendetem Adj. granitisch, neben von Anfang 19. bis ins 20. Jh. vereinzelt nachgewiesenem granitig und den z.T. auch übertragen verwendeten adj. Ableitungen granitähnlich, -artig; dazu die seit Mitte 20. Jh. nur fachspr. (Geologie) verwendeten subst. Ableitungen Granitisation E (-; -en) und Granitisierung F. (-; -en) 'Entstehung der verschiedenen Granite durch Umwandlung von Sedimentgesteinen bis zur Aufschmelzung'. Granit: 1750 Reisegeschichten Hl 6 Es befindet sich nämlich, gegen die Mitte des Thals Raphidim,
und mehr als hundert Schritte von dem Berg Horeb, ein ungeheurer Klumpen von rothem Granit-
Granit marmor; Wieland 1753 Ges. Sehr, l 2,126 ein saal von schwarzem granitstein that sich uns auf (DWB); 1757 Noel Chomel V1I1 1812 syenites .. bey den Italienern granito, bey den Frantzosen aber granit genannt (DWB); Reinhard 1764 Verm. Sehr. V/V/// 901 dieser [ein Marmorsteinhauer] untersuchete den bruch und sendete uns nicht allein grose stücke von solchem granite . ., welche vornehmlich aus einem chalcedonier bestunden (DWB); Goethe 1779 Br. (WA IV 4,133) Von unsern Diskursen geht's nicht an, dass ich etwas aus der Reihe mittheile, an Graniten, Gestellsteinen, Lerchen und Zirbelbäumen finden Sie auch keine große Erbauung; Saussure 1781 Reisen durch d. Alpen (Übers.) I 112 Die Granite gehören zu der Klasse von Steinen, welche die Naturforscher zusammengesetzte Steine, Felsarten (Roches; Roc vif) oder auch . . saxa mixta nennen; Goethe 1782 Br. (WA IV 6,83) Wegen des Granits, ob ich gleich überzeugt bin, daß er die Basis unserer bekannten Oberfläche ist, werden wir aber doch wohl nachgeben und einen granit secondairc statuiren müßen . . wir sehen, daß der aufgelöste Granit als Gneuß wieder zum festen Steine wird; ders. 1785 Naturwiss. Sehr. (WA // 9,169 f.) Über den G r a n i t . . Der Granit war in den ältesten Zeiten schon eine merkwürdige Steinart . . Die Alten . . nannten . . ihn Syenit, von Syene, einem Ort an den Gränzen von Äthyopien . . Die Neuern gaben dieser Gesteinart den Namen . . von ihrem körnichten Ansehen; Werner 1787 Kurze Klassifikation 7 granit ist eine gemengte gebirgsart, die aus feldspath, quarz und glimmer bestehet (DWB); Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA l 23,197) Sie führte ihn . . auf eine Thüre zu, vor der zwei Sphinxe von Granit lagen; Caroline 1798 Br. I 219 er ist als mensch interessanter als sie zugeben, eine rechte urnatur, als mineralie betrachtet, ächter granit; Goethe 1808 Gedichte (WA l 4,237) Doch sie kömmt geschritten! Schaut nur, wie sie steigt,/ wo sich auf Graniten manche Blume zeigt; Stägemann 1813 Kriegsgesänge 10 [die Geschichte gräbt] den namen Alexander mit flammenschrift. . tief in den grauen granit der zeit ein (DWB); Goethe 1821 Wanderjahre (WA l 24,59) Felix verkürzte sich den beschwerlichen Pfad durch lebhaften Schritt und Sprung von Fels zu Fels und freute sich über sein erworbenes Wissen, daß er nun von Granit zu Granit hüpfe; Aurbacher 1835 Volksbüchlein l 46 Alte Throne stürzen ein, die auf Granitvesten erbaut zu sein schienen; Steffens 1840 Was ich erlebte V11 14 die grundlage seiner geognosie, die den granit als grundgebirge betrachtete (DWB); A. v. Humboldt 1845 Kosmos l 27 Nach den immer so genauen Untersuchungen von Mitscherlich ist der Schmelzpunkt des Granits wohl nicht höher als 1300°; Frankf. Postztg. 8. 4. 1854 Die Geschichte der Cor-
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sen, ganz Granit wie ihre Berge und wunderbar eins mit ihrer Natur, hat einen ganz abgeschlossenen eigenthümlichen Charakter; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen l 30 das Monument Wellington's . . ist eine riesige Granitpyramide, die auf ihren Seitenflächen in goldblitzenden Buchstaben die Namen der vom Sieger von Waterloo gewonnenen Schlachten trägt; Hebbel vor 1863 Br. IV 208 er kam von Egypten und ist ein mann von granit (DWB); Laube 1875 Ges. Sehr. IV 187 die Hesperiden, Majorka, Minorka . . wehren sich blauen granites gegen das meer (DWB); Spielhagen 1877 S. W. II 48 die massive, wie aus Granit gehauene Stirn schien, da die Schläfen kahl geworden waren, noch gewaltiger und imponirender (DiBi 125); Nordau um 1880 Kreml 177 Ein blos halbstündiger Spaziergang führt hier . . auf Felsenberge, wo der kahle Granit seine abenteuerlich wilden Formen gen Himmel reckt; Ebner-Eschenbach 1893 Ges. Sehr. Ill 37 und die Platte aus geschliffenem Granit spiegelt wie blankes Eis im Sonnenschein (DiBi 125); Harden 1927 Versailles 534 auf Granit beissen; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 997) Auf ihn will ich deuten . . ohne Wanken auf ihn und keinen anderen . . und soll's nur einer mit Dreinreden probieren, er wird gewahr werden, daß mein Wille erzen ist und gleich schwarzem Granit aus den Brüchen von Rehenu; Lerchenfeld 1935 Erinn. 410 Lasst den Mann laufen, er beisst auf Granit! [als zuerst von Friedrich II., später von Reichskanzler Bernhard von Bülow ausgesprochenes geflügeltes Wort); Dtsch. AZ. 5. 8. 1935 Partei, Armee und Staat bilden einen harten und festen Granitblock, und man kann sich an diesem Granitblock die Zähne ausbeißen; Wolf 1947 Besinnung 108 und die muß stehn wie eisen, wie granit, für die nächsten hundert jähre (DWB); Werfe! 1948 Bernadette 68 die steinbildnerei ist ein wortkarges handwerk, gelten doch granit und marmor, vorzüglich zu grabkrcuzen verarbeitet, als Sinnbilder des Schweigens (DWB); Seghers 1950 D. siebte Kreuz 87 das junge gesicht, das er eben noch hatte ohrfeigen wollen, war plötzlich aus granit, das undurchdringliche bildnis der macht (DWB); Seydlitz 1960 West feste 78 Die Bergländer im Osten des Erdteils bestehen aus Urgesteinen, wie Granit und Gneis; Ball 1963 Clown 134 daß ein Künstler gar nicht anders kann, als machen, was er macht: Bilder malen, als Clown durch die Lande ziehen, Lieder singen, aus Stein oder Granit „Bleibendes" herauszuhauen; Meissner 1969 Wildes Land 12 Da knirschten die Kräne, Zementmischer quietschten, und Preßlufthämmer bohrten sich in Granit; Dedecius 1971 Deutsche o. S. Jeder Pole, der durch die Bundesrepublik reist, trifft gewollt oder ungewollt auf verschiedene, überall gegenwärtige Spuren der Polenfreundschaft, die sich durch dieses Land wie
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Granit
Quarzadern durch Granit ziehen; Z,eit 6. 9.1985 bevor sie zur Kohle ins Grüne vorstoßen können, stoßen die Bergbaugesellschaften zunächst mal auf den sprichwörtlichen Granit bei umweltbewußten Bürgern, Naturschützern und Landschaftsplanern; taz 8. 10. 1988 Gigantische Quader aus hellem Granit, vollkommen geglättet und haargenau ineinandergepaßt. Die Inkas . . bauten ihre Städte für die Ewigkeit; Salzb. Nachr. 20. 6. 1991 Alexander Mullenbach bezeichnet „Karma I" als eine „Urmusik", als ein „steinernes Ritual, aus Urzeiten zu uns herüberwehend", als eine „Granitliturgie". Wie dem Granit fehlt es dem siebenteiligen, so streng wie schlüssig gebauten Stück in seinen Akkordschlägen nicht an Härte, an archaisch anmutender Kraft; St. Galler Tagbl. 11.3.1999 Gegen Wildhaus hinauf ist der Himmel graublauer Granit. Nur gerade in einem schmalen Streifen über dem Horizont wird er wässrig; Neue Kronen-Ztg. 16. 5. 1999 Granit in verschiedenen Größen und Granulierungen.· Er ist sehr hart und eignet sich für Auffahrten; Berl. Ztg. 27. 5. 1999 Bei der künftigen Begrenzung des Ausgabenzuwachses würden die Ärzte „auf Granit beißen", sagte Dreßler im Deutschlandfunk; Tiroler Tagesztg. 8.9.2000 Kein anderer Werkstoff verleiht der Küche größere Individualität und gefällt auch noch nach Jahren als Granit . . Die Vielfalt an Farben und fantasievollen Strukturen in- und ausländischer Granite lassen keine Gestaltungswünsche offen. Granit ist sprichwörtlich dauerhaft, hitze- und säurebeständig, hygienisch und pflegeleicht; Berl. Ztg. 2. 2. 2002 Zwar steht der SLK [Cabrio] nach wie vor wie Granit auf Platz eins der Hitliste, doch schon kratzt die Konkurrenz vor allem mit preiswerteren Angeboten am Thron; Mannh. Morgen 1. 3. 2006 eine Gedenkstätte, die man gerne aufsucht, an der Trost erfahrbar wird. In der Gunst vorne liegen Granite in allen Farbschattierungen, Marmor, Sandsteine, Findlinge und Kalksteine, die je nach Bearbeitung viele Formen annehmen können — vom Kreuz über eingearbeitete Engelsfiguren oder Türen bis hin zu modernen Ornamenten. granitähnlich: Goethe 1785 Naturwiss. Sehr. (WA H 9,164) Hinaufwärts den Fluß [Bode] linker Hand steht der merkwürdige Porphyrfels. Er hat in seiner Gestalt viel Granitähnliches; taz 1.2. 1992 Im Zentrum stehen die Bronzeskulptur der „Mutter Heimat" und ein 30 Meter hoher Obelisk aus Syenit, einem grauen, granitähnlichen Gestein. granitartig: Goethe um 1817 Gespr. (He 603) der Herzog [Carl August] gehört zu den Urdämonen, deren granitartiger Charakter sich niemals beugt (GWB); A. v. Humboldt 1845 Kosmos l 11 Unter dem Schatten der cederartigen Deodwara-Fichte
und großblättriger Eichen bedecken das granitartige Gestein europäische und nordasiatische Pflanzenformen; Berl. Ztg. 31. 8. 2001 Alles ist so grau wie die granitartigen Bodenfliesen. graniten: Schiller 1799 S. W. 1199 Auch den Meergott sieht man eilen,/ Rasch mit des Tridentes Stoß/ Bricht er die granitnen Säulen/ Aus dem Erdgerippe los (DiBi 125); Schenkendorf 1815 Gedichte 170 Wo die granit'nen Säulen/ Noch stehn aus Karls Palast (DiBi 125); Goethe 1828 Gespr. (He III 382) Sie wohnen also im Schöße der granitenen Urgebirge? (GWB); Beer 1835 S. W. 288 und dieser thron ruht auf den granitnen pfeilern des Vertrages, den ihr königlicher schwur besiegelt hat (DWB); Gutzkow 1858-61 Zauberer III 352 Wir schildern nicht die galonirten Diener, die mit gründlich einstudirter Ruhe serviren. Wir schildern nicht diese scheinbar granitne Sicherheit, die Bernhard über die Folge der Gänge, das Abnehmen der Teller und Präsentiren der Weine zur Schau trägt (DiBi 125); Kinkel 1868 Gedichte II 182 bedeckt mit weißen granitnen kolossen,/ wie öd in der sonne die halde (DWB); Hillebrand 1876 England 197 ein gewisses ungesundes Behagen am Wollüstigen, . . das mit der unbefangenen Freude der Alten am Nackten so wenig gemein hat, als gewisse orakelhaft symbolische Reimerei mit Aeschylos granitnen Versen; Fontäne 1878 Vor d. Sturm (Romane u. Erz. l 42) dicht an der Schwelle lag ein granitner Taufstein (DiBi 125); Nordau um 1880 Kreml 169 Selten kamen wir durch einen dunkeln Föhrenwald; noch seltener durch steiniges, unfruchtbares Gefild, wo der granitene Urfelsen durch die dünne Schichte urbaren Landes an zahlreichen Stellen hervorbrach; Wildenbruch 1882 Karolinger 24 und der es trug [Karl d. Gr. das Reich] auf dem granitnen nacken (DWB); Muspratt 1898 Chemie VI 351 die granitenen reibwalzen . .. haben eiserne . .. achsen (DWB); Dohm 1902 Christa Ruland 286 selbst der kühnste Aufstieg der inspiriertesten Geistseher ist Titanentrotz, der sich an granitenen Unmöglichkeiten brechen muß (DiBi 125); Rilke 1911 S. W. // 378 um diesen Kern granitenen Gesteins/ der eingelegt in eine Palmenlichtung nicht aufhört zu bedeuten; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 132) Im ganzen aber hatte der andalusische Süden mir weniger zu sagen als das klassisch-hispanische Gebiet, Kastilien, Toledo, Aranjuez, Philipps granitne Klosterfestung; ders. 1933-43 Joseph (W. IVIV 1060) die erzene Festigkeit deiner Beschlüsse, dein granitener Wille treten mir eindrucksvoll daraus entgegen; Münch. N. N. 10. 5. 1938 Ich sprach . . von unserer granitenen Freundschaft und Solidarität, die . . noch zwischen Römertum und Germanentum vielleicht bestehen könnten; ebd. 10. 1. 1942 was in den nun
Granit zurückliegenden neun Jahren seit dem granitenen Datum des 20. Januar 1933 von einem fleißigen Volk unter einer entschlossenen Führung aufgebaut wurde; Werfet 1948 Bernadette 424 nicht einmal das granitene widerstreben der nonne Vauzous (DWB); Carossa 1955 Tag d. jungen Arztes CVII 2 den fußweg begleitete der Setzenbach, der zwischen granitenen platten und riffen der Donau zueilte (DWB); Grass 1962 Blechtrommel 60 Auf den Fliesen der Halle standen zwanglos angeordnet vier oder fünf granitene Becken, aus deren Vertiefungen Wasser aus mehreren Quellen gleichzeitig hochsprudelte; Mannh. Morgen 12.3.1985 Der granitene Diktator nach dem Muster Stalins ist künftig wohl nicht mehr vorstellbar; taz 15. 3. 1989 kein Futurologe hatte vor einem halben Jahr der AL [Alternative Liste] den rasanten Lernprozeß prognostiziert, den sie nun gemacht hat und in dem sie in gradezu beängstigender Geschwindigkeit das ehedem granitene Gebirge ihrer radikalen Phraseologie beiseite geräumt hat; ebd. 5. 9. J990 Ich würde diese Musik als graniten charakterisieren . . Vielleicht war es diese Haltung, die romantische Monumentalität und das ungewöhnliche Musikdenken, die die Kritiker irritierte; ebd. 24. 5. 1993 während in Bonn die Versuche des SPD-Fraktionsvorsitzenden um Nachbesserungen des ausgehandelten „Kompromisses" auf granitene Ablehnung stoßen; Salzb. Nachr. 5. 10. 1995 Die ÖVP hat damit eine wochenlange granitene Position aufgegeben, weil sie damit bei uns auf Granit gebissen hat; Züricher Tagesanz. 10.1. 1997 Wie der Fall Gaillot zeigt, ist der granitene Monolith Vatikan durch politischen Druck sehr wohl zu bewegen; Frankf. Rundsch. 29. 5. 1999 Für . . den 60jährigen Nicolaus A. Huber waren Goethes Metamorphosen-Ideen Gelegenheit zu einem SprachKlangspiel mit dem Titel Lob des Granits. Hier verband sich die unaufbrechbare, granitene Härte der Goetheschen Sprache schön mit marmorner Glätte; taz 13. 12. 2001 So graniten der Satz dasteht, so evoziert er doch mehrere Fragen. granitig: 1804 Neues allg. Journ. d. Chemie II 386 den Sand, wie ihn die Geschiebe insonderheit in granitigen Gebirgsgegenden liefern; Sponeck 1817 Schwarzwald 4 Sein Gerippe durchaus granitig, seine höheren Punkte mit Sandstein bedeckt, von wenig untergeordneten Gebirgslagern begleitet; 1843 Neues Jahrb. f. Mineralogie 181 Auf dem Unteraar-Gletscher zieht sich die Höhen-Linie der Rund-Höcker in einer absoluten Höhe von 9000 [Fuß] hin, im granitigen Abschwung wie am schiefrigen Lauteraarhorn, an Rothhorn (Granit) und Mifelen (Schiefer); 1860 Jahresber. Agriculturchemie 211 Im thonigen, schiefrigen, granitigen und kiesigen Boden, der an organischen Resten
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reich ist, im natürlich gepulverten Zustände; Schlechtendal 1880 Flora v. Deutschi. XXII 217 auf den granitigen gipfeln der höchsten berge des Riesengebirges (DWB); Gregorofius 1936 Korsika 451 Alle Häuser, selbst der Turm der Hauptkirche sind aus braunem granitigem Gestein gebaut, das übereinandergelegt und mit Lehm verfestigt ist. Granitisation/Granitisierung: 1986 Brockhaus IX 57 Die meisten G[ranite] entstanden offensichtlich in der tieferen Erdkruste durch Umwandlung von Sedimentgesteinen bis zur völligen Aufschmelzung . . Dieser Vorgang wird Granitisation oder Granitisierung genannt. granitisch: Goethe 1785 Naturwiss. Sehr. (WA // 9,188 um die Mitte des vorigen Jahrhunderts reducirte Guettard seine Laven, mit Einschluß der Basalte, auf eine granitische, oder wenigstens granitähnliche Basis, veranlaßt durch die Wahrnehmungen in der Auvergne; ders. um 1790 Naturwiss. Sehr. (WA II 13,283 f.) Wir wenden uns nun zu der Schlucht über dem Kreuzbrunnen [in Marienbad], wo der Glimmer überhand nimmt, ohne jedoch den granitischen Charakter zu zerstören; Ritter 1822 Erdkunde l 71 daß das granitische Cap Corte auf Corsika . . eine fortsetzung des Genuesischen . . Cap della Malle sey (DWB); Cotta 1842 Geognosie 268 ist die Oberfläche granitischer Gegenden oft dick mit Granitgrus bedeckt, welcher, wie der Granit überhaupt, gewöhnlich einen fruchtbaren Boden liefert; Naumann 1862 Lehrb. d. Geognosie H 218 Dergleichen reihenförmige Systeme von Granit-Inseln lassen sich gewissermaassen mit den Vulcanreihen vergleichen, und verweisen uns auf granitische Eruptionen, welche längs einer und derselben Spalte Statt gefunden, aber die Erdoberfläche nur an einzelnen Stellen erreicht haben; Hochstetter-Bisching 1898 Mineralogie u. Geol. 143 Granitische Gesteine (Überschr.) Zu diesen gehören die ältesten und am weitesten verbreiteten vollkrystallinischen Massengesteine; Bauer 1919 Nordwestamazonien 30 Demnach fänden sich in den sonst ebenen Savannen und Galeriewäldern des linken Orinoco-Ufers zahlreiche granitische Hügel und Haufwerke großer Felsblöcke sowie ausgedehnte Felsplatten; Krenkel 1939 Geol. d. dtsch. Kolonien 2 Keine der zahlreichen anderen granitischen Intrusionen im afrizidischen Grundgebirge wirkte in gleich starker Weise; Caddisch/Niggli 1953 Geol. d. Schweizer Alpen 11 Die Verdickung des Sials führt zu neuer Aufschmelzung von unten her, granitische Massen brechen diapirartig in die Kruste ein; Uzkut 1974 Geochemie d. Molybdäns (Clausthaler Hefte XII 36) Diese Magmen haben meist granitische bis granodioritische Zusammensetzung; Mannh. Morgen 11.7. 1986 Der
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granulär
Mann [H. Wehner] hat etwas granitisch Hartes und Ungetümes, das ihn wuchtig und mächtig wie einen politischen Rübezahl oder Knecht Rupprecht daherschreiten und manchmal auch heftig aufpoltern läßt; St. Galler Tagbl. 4. 6. 1998 Dieses Gestein bildete sich aus dem geschmolzenen, granitischen Kraterboden, ein Kilometer in der Tiefe; ebd. 15. 8. 2001 Hergestellt wurden die Objekte
aus verschiedenen Steinen vom Appenzeller Sandstein über Marmor bis hin zum granitischen Konglomerat aus dem Amazonasgebiet; taz 31. 8. 2006 Höhere Radioaktivitätswerte treten dem Amt zufolge oftmals in Wasser aus granitisch geprägten Gebieten auf, weil im Granit Uranspuren enthalten seien, zum Beispiel im Erzgebirge, Schwarzwald oder im Bayerischen Wald.
granulär Adj., in den 70er Jahren des 20. Jhs. wohl unter Einfluss von gleichbed. frz. granulair aufgekommene gelehrte Bildung zu lat. granulum (—> Granulat, —> granulieren). In der Bed. 'sich aus Körnchen, Kügelchen zusammensetzend, von körniger Konsistenz, körnig', z. B. in der Medizin bezogen auf Gewebestrukturen, in der Technik auf die Beschaffenheit von Materialien, in der Fototechnik auf kleinste Strukturen eines (analogen) fotografischen Films, die dessen Auflösungsvermögen bestimmen (vgl. Pixel, Rasterpunkt); seit den 90er Jahren des 20. Jhs. zunehmend konkurrierend mit (unter Einfluss von engl. granulär aufgekommenem) granular Adj. (Ggs. kolloidal), v. a. in (einem größeren Verwendungsspektrum) der Informatik für 'kleinteilig, (fein-, grob-)körnig (in Bezug auf die Verteilung der Software-Information im Prozessorspeicher)', auch zur Charakterisierung des Körnigkeitsgrads der Entwicklung einer Hypertextanwendung (Größe der Knoten und Menge an Informationen, die der Entwickler an einen Knoten bindet), der Rechteverwaltung eines Betriebssystems, der hierarchischen Zerlegbarkeit eines Datenstroms, der Engmaschigkeit und Auflösung einer Suchmaschine, der Systemarchitektur . ., z. B. granuläre Mischung, Suspension, die Dynamik granulärer Teilchen, Sand oder Getreide in Silos sind granuläre Materialien, auf die Reibungskräfte einwirken, granuläre Materie spielt bei vielen industriellen Prozessen und auch in der Natur eine große Rolle, die Auswirkungen von sehr granulären Ereignissen in der globalen Planung berücksichtigen, Softwarearchitektur auf höchstmöglicher granulärer Detailebene, mit der gleichzeitig nachgewiesenen subst. Ableitung Granularität F. (-; -ohne Pl.) 'Feinkörnigkeit einer stofflichen Textur', speziell in Fotografie und Bildbearbeitung 'Korngröße eines Bildes', in Biologie und Medizin 'Größe und Struktur des Systems der Zellen körpereigenen Gewebes', z. B. die Zubereitung des Tees hängt von Herkunftsregion und Granularität ab; daneben übertragen verwendet für 'Maß für die Feinkörnigkeit/-teiligkeit, Grad der Differenziertheit, Engmaschigkeit eines Systems' in verschiedenen fachspr. Zusammenhängen in der Linguistik 'Grad der Detailliertheit einer Äußerung, semantische Schärfe eines sprachlichen Ausdrucks', im Bereich logistischer und technologischer Abläufe und Prozesse 'Maß der Differenzierung der Ebenen einer (hierarchischen) Organisation', bes. in Kreditwesen und Bankbetriebslehre 'Größenstruktur der Kredite, Verhältnis von Klein- und Großkrediten in einem Kredit-Portfolio; Maß für die Anzahl und Höhe der einzelnen Forderungen im Verhältnis zum Gesamtumfang der Kredite einer Bank' und v. a. in der Informatik 'Grad der Körnigkeit in Bezug auf die Verteilung der Software-Information im Prozessorspeicher', z.B. es hängt davon ab, mit welcher Granularität man das System betrachtet, Granularität der Modellierung, der Side Scatter tastet die Zelle nach ihrer inneren Granularität ab, eine feinere Granularität bei der Auszeichnung biblio-
Granulat
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graphischer Elemente, damit erhält die Modellreihe eine höhere Granularität; Granularitätsgrad, -kriterium, -prinzip; Fein-, Knoten-, Speichergranularität. granulär: Becker 1970—71 Normale u. patholog. Kreislaufbefunde o. S. Bei Neugeborenen, die nur eine Stunde überlebten, enthält die Lunge noch keine typischen Membranen, die Alveolen sind von eosinophilem, granulären Material ausgefüllt, das als Vorstufe der Membranen angesehen werden kann; Presse 8. 7. 1993 Für die granulären Aerogcle der BASF ist eine Produktionsanlage bereits geplant; Zeit 11.7. 1997 Und zweitens gilt ihnen der Sand als Stellvertreter eines ganzen Lagers von Materialien. Dazu zählen Kiesel, Glaskugeln, Getreide, Zucker, Salz, Zement, Pulver aller Art — mit einem Wort: granuläre Materie. granulär: Computerztg. 17.4.1997 Diese Volumenteilchen, die sich je nach Bedarf unterschiedlich fein granulär einstellen lassen, bleiben dabei Träger genauer geometrischer Informationen des CAD-konstruierten Originalbauteils; ebd. 5. 6. 1997 Möglich machen soll diese Zukunftsvision eine Modulbibliothek, die alle Funktionen eines Auftragsmanagement- oder PPS-Systems enthält und aus der dann bestimmte, „sehr fcingranular entworfene" Module entnommen und für den jeweiligen Betrieb passend „zusammengestöpselt" werden können; ebd. 13. 11. 1997 Gute Noten erzielen beide Systeme dagegen in der Darstellung der Informationen. In der Ausrichtung zielt das Triton-EIS eher auf die mittlere Managemcntebene und Controller, da es auch sehr granulär Informationen zur Verfügung stellen kann; ebd. 5. 3. 1998 Neue Sicherheitsmechanismen erlauben es, den Zugang zum Data Warehouse für einzelne Anwender einzuschränken. Die Rechte können dabei sehr granulär vergeben werden; Zeit 8. 8. 2001 Die Industrie nutzt Misch- und Entmischverfahren etwa bei der Herstellung von Medikamenten, zum Sortieren von Körnern oder in der Lebensmittelproduktion . . Leider ist die Dynamik granulärer
Medien bisher ziemlich resistent gegenüber einer globalen Theorie. Noch muss der Spezialist für Kugclmischungcn in seinen aufwändigen Computersimulationen den Weg jeder einzelnen Kugel verfolgen; FAZ 8. 1. 2003 Sand — oder allgemeiner: granuläre Materie — wird gern auch als vierter Aggregatzustand bezeichnet. Die Forscher wissen bislang nicht, ob sie ihn eher als Festkörper oder als Flüssigkeit behandeln sollen; spektrumdirekt 13.5. 2003 Wahrscheinlich hat jeder schon einmal Bekanntschaft mit dem Paranuss-Effekt gemacht. Er bewirkt, dass in einer granulären Mischung — zum Beispiel in einer Packung Studentenfutter — die großen Teile oft ganz oben zu finden sind; FAZ 20. 5. 2005 Giesc hat 1996 über die „Dynamik granulärer Teilchen" seinen Doktor in Physik gemacht. Granularität: Computerztg. 18. 2. 1993 Die Erweiterung des Prozessorspeichers kann jetzt in Zwischenstufen erfolgen, womit die Speichergröße in feinerer Granularität an die Anforderungen angepaßt werden kann; ebd. 16.3.1995 Dabei wird aber wegen der heutigen Anforderungen an wirksame Entscheidungsunterstützung eine Feingranularität der Programme benötigt; ebd. 24. 7. 1997 [in den] Locking-Mechanismen . . spielt die Granularität eine wichtige Rolle. Wird nur eine Zeile gesperrt, können mehr Anwender weiterarbeiten als wenn gleich die gesamte Tabelle abgeriegelt wird; die verschiedenen Schnittstellen zeichnen sich durch unterschiedliche Granularität und Nähe zur Technik aus; ebd. 15. l. 1998 Die große Schwierigkeit beim Entwurf objektorientierter Software ist, die richtige Granularität zu erzielen; FAZ 3. 9. 2003 Eine Benachteiligung kleinerer Banken und Sparkassen sieht das Parlament in der geplanten Auflage („Granularitätskriterium") die erleichterte Vergabe von Krediten nur bis zu 0,2 Prozent des Kreditvolumens zuzulassen.
Granulat N. (-(e)s; -e), in den 70er Jahren des 20. Jhs. aufgekommene latinisierende Analogbildung zu Aggregat, Konglomerat usw. (—» granulieren). In der Bed. 'feinkörniges, rieselfähiges Gemenge von Körnchen ähnlicher Größe und Form' (—» Pulver, vgl. Kiesel, Sand, Schotter, Splitt), speziell in der Pharmazie für 'Arzneikörnchen, -kügelchen; Arzneimittel in granulierter Form', dann v. a. in der Chemie und (Umwelt-)Technologie und Werkstofftechnik als Bezeichnung für eine (aus zurückgewonnenen und zusammengeschmolzenen Abfällen) durch Zerkleinern in Körner, Splitter oder Kügelchen hergestellte, für Löse-, Schmelz- und Umsetzungsprozesse bei der Verarbeitung und Wiederverwertung von industriellen Produkten
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(bes. Kunststoffen und Düngemitteln) benötigte Substanz, von daher ausgedehnt auf feinkörnige Konsistenzen und Oberflächen in unterschiedlichen Fachbereichen (Astronomie, Optik, Goldschmiedekunst) und allgemeiner verwendet, vereinzelt auch übertragen (s. Belege 1990, 1992), in Wendungen wie gereinigtes, schmutziges, wertvolles, minderwertiges Granulat, wasserspeicherndes Granulat aus porösen Tonkügelchen, das Granulat muss teelöffei weise eingenommen werden, Kunststoffabfälle werden zu hochwertigem Granulat verarbeitet/geschreddert, zu Granulat vermahlene und als Dämmmaterial eingesetzte Flaschenkorken, ein gesundes Granulat aus Walnüssen, Hasel- und Kokosnüssen, als Bestimmungswort in Zss. wie Granulatboden, -dünger, -filter, -gewinnung/-herstellung, -mühle, -silo, -Stückchen, -trockner, -wender, -gewebe; granulatgefüllt, -hart, häufiger als Grundwort in Altpapier-, Eis-, Beton-, Chlor-, Dämm-, Eisen-, Glas-, Holz-, Hydro-, Kartoffel-, Kerzen-, Kies-, Knoblauch-, Lava-, Metall-, Naturstein-, Pflanzen-, Recycling-, Rinden-, Salz-, Schmelz-, Soja-, Stein-, Straßen-, Suppen-, Tee-, Zuckerrohr-Granulat, mit den adj. Ableitungen granulatähnlich, -artig, -förmig, -haft und v. a. granulär, —»· granulär. Hergenröder 1970 Männer o. S. Der Chemiekonzern liefert das Makroion als feines Granulat; Mannh. Morgen 14. 1. 1985 Das haushoch aufgetürmte Material auf der Schuttdeponie Rheingönheim ist unter Schneelasten verborgen, die in verschiedenen Korngrößen als Recyclingprodukte bereitliegenden Granulate warten auf potentielle Käufer; ebd. 27. 2. 1986 Zum Umweltschutz trägt aber auch jeder bei, der das von der Stadt erlassene Streusalzverbot auf den Gehwegen befolgt und stattdessen mit abstumpfenden Mitteln wie Sand, Split und Granulat streut; Zeit 13. 2. 1987 den Zucker für das staubfeine, auf diese Weise in Granulaten zu bindende Teepulver zu brauchen; Mannh. Morgen 24. 12. 1989 die Metamorphose des Silbers vom erbsen- bis haselnußgroßen Granulat zu herrlichen, schimmernden Leuchtern, Bechern, Kannen; taz 16. 5. 1990 jener vier . . „Kritiker" . ., die sich . . mit festgetipptem feuilletonistischem Granulat über die offenkundig hohle, dekadente Borniertheit selbiger Damen auslassen; ebd.
24. 2. 1992 Offensichtlich wollten nicht einmal die Journalisten erfahren, warum die Ostberliner nach den prächtigen Eis-Shows der letzten Wochen über weite Strecken der Freitagspartie fast wie Granulat on the rocks wirkten; Computer Ztg. 9.9. 1993 Sehnenscheidenentzündungen, Rückenschmerzen und Haltungsfehler sollten damit für immer aus dem Weg geräumt werden, weil die mit Granulat gefüllten Polster, wahlweise und je nach Geldbeutel in Leder- oder Kunststoffausführung, die Gelenke entsprechend stützen sollen; taz 16. 8. 1997 Ob Knödel im Kochsäckchen, klümpchenfreie Soßenbinder, Salat-Fix oder Kartoffelpüree in der leckeren Granulatform — Maggi ist immer dabei; Salzb. Nachr. 3. 1. 1998 Da helfen Abführmittel, wenn sie richtig angewendet werden. Ein Granulat aus Ballaststoffen mit Senna ist ein sicheres, wirksames, standardisiert hergestelltes Arzneimittel; St. Galler Tagbl. 5. 4. 2000 die Brech- und Siebanlage . . schreddert den Altbelag zu Granulat und sortiert ihn.
granulieren V. (in)trans., im frühen 16. Jh. aufgekommene gelehrte Bildung zu spätlat. granulum 'Körnchen' (Diminutiv zu lat. granum 'Korn; Kern'; —> Gran, —» Granate, —>· Granit, —» Granulat). Fachspr. in den Bereichen Metallurgie, Bergbau und Chemie für 'geschmolzene Metalle mittels technischer Verfahren (z. B. durch langsames Eingießen unter beständigem Umrühren in kaltes Wasser) in Tropfenform bringen und zu Körnchen abkühlen, in ein grobes, körniges Pulver verwandeln, körnen', im 16. Jh. vereinzelt übertragen und abwertend verwendet im Zusammenhang mit einer den Münzwert verringernden Fälscherpraxis (s. Beleg 1571), dann auch ausgedehnt auf nichtmetallische Stoffe (z.B. Pflanzenfasern, Holz, Nahrungsmittel, Wolle) für 'etwas durch Mahlen oder Schneiden auf eine für die Weiterverarbeitung geeignete Körnung zer-
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kleinern, in eine gekörnte Form bringen, körnig machen' (vgl. grameren, —» Gran), vereinzelt reflex, (s. Beleg 1530—34), im Kunsthandwerk auch 'einer Zeichnung körniges Aussehen verleihen, körnig grundieren, Oberflächen körnig bearbeiten' (s. Beleg 1998), z. B. Metall, Münzen im Schmelztiegel granulieren, Gestein zu Schotter granulieren, granulierter Tabak, Dünger, Altmaterial wird für die Sekundärverwertung granuliert; Granulieranlage, -büchse, -eisen, -kästen, -maschine, -rost, -technik, -werk, sowie allgemeiner in Bezug auf Gegenstände, die von Natur aus eine körnige Konsistenz oder Oberfläche aufweisen, bes. in der Medizin intrans. verwendet für 'körnchenförmiges, wucherndes Gewebe bilden (von heilenden Wunden, Narben, Geschwüren)' (s. Belege 1889, 1991), z.B. die Wunde granuliert, granulierte Augenentzündung, Leber. Dazu das seit Anfang 19. Jh. nachgewiesene Verbalsubst. Granulierung F. (-; -en), weitgehend gleichbed. mit der bereits seit früherem 16. Jh. vereinzelt bezeugten latinisierenden subst. Ableitung Granulation F. (-; -en), in verschiedenen Fachbereichen, z.B. der Metallverarbeitung 'Zerreibung, Verarbeitung zu Körnern, Körnung', auch bezogen auf nichtmetallische Stoffe und allgemeiner 'Bildung einer körnigen Oberflächenstruktur; körnige Oberflächenstruktur, körnchenförmiges Gebilde' (s. Belege 1866, 1951), in der Astronomie 'aus hellen Flecken und dunkleren Zwischenräumen bestehende, durch auf- und absteigende Gasmassen verursachte unregelmäßig körnige Struktur der Sonnenoberfläche' (s. Belege 1910.1, 1967, 1986), in der Goldschmiedekunst '(antike) Ziertechnik, Dekor bei Gold- und Silberschmuck, bei dem dicht an dicht stehende Kügelchen aus demselben Material Muster und Ornamente bilden' (s. Beleg 2000), in der Informatik (s. Beleg 1995) und v. a. in der Biologie und Medizin 'Bildung von Wucherungen an organischen Körpern, Gewebeneubildung; körnige Oberflächenbeschaffenheit von jungem Narbengewebe; Ausstülpungen der weichen Hirnhaut in die harte Hirnhaut' (s. Belege 1799, 1802, 1808, 1823, 1839, 1855, 1980), z.B. Granulationsgewebe 'junges, gefäßreiches Bindegewebe, das sich nach Gewebeverlusten bildet', -geschwulst 'durch überschießendes Wachstum aus Granulationsgewebe hervorgegangene geschwulstartige Bindegewebsbildung'; seit Anfang 19. Jh. vereinzelt die wohl aus gleichbed. frz. granuleux entlehnte adj. Ableitung granulös 'körnige Beschaffenheit aufweisend (bes. von Körpergewebe)', mit der vom späteren 19. bis ins 20. Jh. selten bezeugten subst. Ableitung Granulosität. granulieren: Paracelsus um 1520 S. W. I 1,352 coagulirt sich daselbs und granulirt, als kom ein hagel daher; ders. 1520-27 Opera I 891 die calcination so durch das aquafort geschieht, ist, dass man das metall granulier vnd in aquafort resoluier (DWB); 1530—34 ebd. II 88 im selbigen so granulieren vnd guttieren sie sich in funcken, das ist in schneefuncken (DWB); Paracelsus 1567 S. W. 113 so er [Tau] gefreurt, so wird er granulirt und congelirt sich in körnlin; Mathesius 1571 Sarepta 156a wenn man mancherley böse müntze hat, die setzt man in tigel, vnd granuliert sie, oder lest sie durch den schmeltzofen gehen (DWB); ebd. 162b etwan feiret man die heiligen und verbrandte die so gute müntz granulierten (DWB); Fischart 1575 Geschichtklitterung 279 O Müntzringerer, Müntz schwecher,
Müntzabgieser, müntzaufzieher, müntz Contrafeiter, O wie wird man euch für zerschrickte Ziesalien oder Pagament im Höllchimischen SchmeltzDigel granuliern, als wann man euch über Bäsem reiß schüß: Ja diesen Diebischen grempel wissen auch wol die, so Sperber auff der Hand tragen, damit sie nur des Sebastians Francken Adler war machen, das krumbschnäbel müssen geraubt haben. (DiBi 125); Thurneisser 1583 Onomasticum II 157 Bley das gekörnt, oder granulirt ist; Woyt 1696 Thes. 172 halbanum ist ein hartz, so stets weich ist, kommt von einem kraut ferula, . . und heist eigentlich methopium, ist schön granulirt (DWB); Sude 1704 D. gel. Criticus I 127 und kommt aus der klufft eine schöne Jungfrau, . . und hatt ein köstlich silbern geschirr, so vergült war,
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in gestalt eines jäger-horn, wohl und gar künstlich gemacht, granulirt und schön zugerichtet (DWB); Glauber 1715 Blauberische Schrifften 416 Die Scheidung durch den Guß/ da die metallische Mixtur granulirt/ . . / dann geschmoltzen/ .. / wird wegen Unerkaenntniß der Ursachen/ daß gleich sich am ersten mit seines gleichen vereinigt/ und das Gegentheil von sich stoesset/ von wenigen practiciret; Ettner 1719 Maulaffe 94 welche reiben ihn [den Tabak] ganz zart, fast einem Staube gleich zu Pulver, andere granuliren und körnen ihn (DWB); Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 366 granuliren, bey den Chymicis und Silber-Schmeltern, das zerschmelzte Silber durch Reißig giessen, daß es Körnerweis in das darunter stehende Wasser fällt; Stahl 1762 Gewehrgerecht. Jäger 238 wann es wohl gemischt, so nimm eben so schwer granulirt bley (DWB); Goethe 1784 Zur Naturwiss. (WA H 9,162) Der Blanke Wormke [Eisenerzgrube bzw. das dort gewonnene Erz] . . ist wegen der Kiese und seiner Strengflüssigkeit untauglich zu Stabund Gußeisen; sie brauchen ihn nur zum Granuliren; Jacobsson 1793 Technol. Wb. V 728a granirter taback, granulirter (DWB); Geißler 1798 Beschr. u. Gesch. d. neuesten Instrumente 110 Er schien weniger schwer als der vorhergehende zu seyn, und war von einer Purpurblauen Farbe, nachdem er trocken geworden, so wie er denn lose, und zwischen den Fingern zerreiblich war, und granulirt und stumpf zu seyn schien, nachdem er zerbrochen worden; 1805 Archiv f. d. Physiologie VI 413 Ihr Geschäft tritt ein in der letzten Periode der Schwangerschaft und nach der Geburt; die Brustdrüse, die bis dahin im Schnitt einem halbweichen und milchweissen Knorpel ähnelte, granulirt sich; Klaproth 1807 Chetn. Wb. 11 527 Granuliren, körnen; 1819 Annalen d. Physik XXXIf 373 Baryum und Silber vereinigen sich vor der Flamme des Gebläses zu einem dem granulirten Zinn oder dem Blei an Farbe ähnlichen Metallgemisch, aus welchem, bei fortdauernder Wirkung des Gebläses, das Silber sich als ein dichter weisser Rauch sublimirt; Poppe 1837 Erfindungen 526 Granuliren der Metalle . . Granulierwerke; Karmarsch 1837 ff. Technologie 198 Um leicht schmelzbare Metalle . . fein zu körnen, bedient man sich der Granulierbüchse (SANDERS 1871); 1839 Allgem. Lit.-Ztg. l 74 Die Eiterkörperchen sind kreisrunde Kügelchen, grosser als die Blutkügelchen . .; sie sind in der Oberfläche zart granuliert, mit Körnchen besetzt, undurchsichtig; 1860 Neues Repertorium f. Pharmacie IX Die Schleimhaut des Magens blass, an mehreren Stellen tritt die Pepsindrüsenschicht stärker hervor als granulirte Masse; Orth 1878 Gebrauch d. Mikroskopes 262 Der äussere Fortsatz dieser Zelle löst sich in der äusseren granulirten Schicht abermals in ein feines Netzwerk auf; Eck-
stein 1889 Camilla 235 Drei Knochensplitter hatten wir ihm entfernt . . nun granulirte die Wunde; Schnabel 1894 Handb. d. Metallhüttenkunde 880 Die Herstellung einer für die Scheidung geeigneten Legirung bzw. das Granuliren derselben; 1911 Brockhaus l 811 Hochofenschlacke, die Schlacke vom Hochofen (s. Eisenerzeugung); wird verwendet als Schotter, Pflastersteine und Straßensand (granulierte Schlacke); im Hochbau als Schlackenzement und -ziegel; 1933—34 Verd. techn. Frw. o. S. granulieren . . körnen, zerkörnen; Neues Deutschi. 29. 2. 1964 die Produktion von granulierten und freifließenden Stickstoffdüngemitteln auf moderner Grundlage; Zeit 12. 4. 1985 Sie verschmelzen, granulieren oder pressen das Altgut zu Material, das die Industrie gerne aufkauft; Mannh. Morgen 5. 3. 1989 Linomel ist ein Leinsaat-Honig . . Es besteht aus gequetschten Leinsamen, granuliert mit Bienenhonig (im Reformhaus erhältlich); taz 20. 6. 1991 Wie die Beklagte dem Gericht erläuterte, habe sie Wundliegegeschwüre mit einem „Wunderheilmittel" behandelt. Sie habe einfach Haushaltszucker auf die Wunden gestreut: „Das desinfiziert und granuliert."; Salzb. Nachr. 30. 7. 1993 Damals war noch von Totalrecycling die Rede; davon, daß die geschnetzelten oder granulierten Getränkekartons zu Parkbänken mutieren; Frankf. Rundsch. 23. 1. 1998 das von den Etruskern überlieferte Granulieren, wobei kleine Goldkügelchen auf Blech geschweißt werden; Mannh. Morgen 26. 10. 2000 In den Aluminiumbehältern können pulverisierte und granulierte Güter wie Baustoffe, Lebens- und Futtermittel, chemische Produkte und Gefahrstoffe transportiert werden. Granulation: Paracelsus 1530-34 Opera 124 wann ein jegliche impression, die da von saltz kompt vnd geht in die coagulierung ohn ander materia, geht an die granulatz (DWB); 1799 Journal f. Botanik l 146 Den Trivialnamen decorticata erhielt sie [Pflanze], weil die äussern Granulationen ganz nackend und mit keiner Haut oder epidermis bedeckt waren; Reit 1802 Archiv f. d. Physiologie 232 Dies Häutchen unterscheidet sich von den gewöhnlichen Membranen bloss darin, dass es eine höckrigte Oberfläche nach der Gestalt der Granulationen hat. . . Wenn also die Granulationen erst vereinigt sind: so ist die ganze Wunde schon durch dies Häutchen für den Zugang der Luft geschützt. Die Granulationen bestehen aus Zellen, die mit einer dicken, weissen und speckartigen Materie angefüllt sind, welche noch nicht untersucht ist; ders. 1808 Beyträge l 210 Sinuöse Geschwüre . . bekommen Eiter und Granulation, und heilen jetzt; Meckel 1816 Handb. d. patholog. Anatomie II 39 Je kleiner diese Körnchen sind, desto besser und voll-
granulieren kommner ist die Granulation; Bichat 1823 Anatomie (Übers.) Hl 313 Die kleinen, mit dem unpassenden Namen Fleischwärzchen, belegten Körper, die auch noch Auswüchse, Granulationen .. genannt werden; Sömmering 1839 Menschl. Körper VIII 1,218 Wucherungen . ., die den granulationen oder unregelmäßigen papillen der cutis und Schleimhäute glichen (DWB); Valentin 1855 Physiologie 378 Die Aggregate derselben heissen die Fleischwärzchen oder die Granulationen der Wunde. Sie bilden einen Vorläufer des Vcrnarbungsprocesses; Ratzeburg 1866 Waldverderbnis 77 auch erschienen die schälstellen mehr schwarz, wahrend die der lärchen röthlich schimmerten, also überhaupt gewissermaßen eine gesunde granulation zeigten (DWB); Derblich 1889 Militärarzt I 100 harte, größere, meist in den äußeren Winkeln der oberen Augenlidschleimhaut sitzende, üppig entwickelte Granulationen; Pringsheim 1910 Physik d. Sonne 30 Wie weit aber auch bei den verschiedenen Darstellungen der feinsten Struktur der Granulation subjektive Anschauungen und Eigenarten der Beobachter mitgespielt haben mögen; ebd. 35 Ebenso wie die Granulation sind auch die Fackeln keine stabilen, unveränderlichen Erscheinungen, . . sondern sind ebenfalls sehr wechselnde Gebilde; Gartenlaube 14. 2. 1935 Die Reichsgemeinschaft der technisch-wissenschaftlichen Arbeit empfiehlt heute die schönen deutschen Wörter Zerkörnung und zerkörnen für Granulation und granulieren; 1952 Süddtsch. Ztg. Nr. 153 die heute wieder der Vergessenheit entrissene Granulationstechnik, die eine Fläche gleichsam mit einem goldenen Sand überdeckt, sozusagen der Gegenpol zur Hochglanzpolitur; 1967 Bild d. Wiss. U 102 dicht unter der Oberfläche ist eine turbulent brodelnde, konvektive Schicht, deren Ausläufer der Sonnenscheibe im Fernrohr das bekannte körnige Aussehen geben (Granulation); Lenz 1980 Siegfried (W. XVil 274) Auf der Bindehaut . . sind das Granulationen?; Zeit 19. 9. 1986 Diese Bewegung ruft eine seit langem bekannte . . körnige Helligkeitsverteilung auf der Sonnenoberfläche hervor, die sogenannte Granulation; Computer Ztg. 7. 12. 1995 Je feiner die Granulation, desto genauer können zur Replikation anstehende Daten festgelegt werden. Je weniger Daten übertragen werden müssen, desto geringer fällt die Mehrbelastung von Netz und Systemen aus; Tiroler Tagesztg. 31. 10.2000 Die Technik [der GoldverarbeitungJ heißt Granulation und war vor allem vom 8. bis 4. Jahrhundert vor Christus bei den Etruskern weit verbreitet. Granulierung: 1811 Allg. Lit.-Ztg. H Sp. 298 f. Nach dem Willen des Schicksals ist Gott in steter Gefahr, am Daseyn Bankerott zu machen, das ein-
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zige Mittel, welches ihm das Schicksal anbietet, um ins Unendliche da zu seyn, ist die Granulirung seiner Form in unendlich viele freye individuelle Ichs gegenüber seinem todten Seyn; 1#35 Medicin. Annalen l 322 Die letzten warmen Umschläge hatten ihm sichtlich wohlgethan, die Eiterquelle erschöpft, die Granulirung der Schnittwunden, so wie deren Vernarbung zuwege gebracht und die Umgebung der Augen natürlich geformt; Münster 1841 Petrefacten-Kunde 47 f. Vorn über den Stiel zeigen sich aber zwei bis sechs abwärts gebogene, mehr oder weniger crenulirte Leisten, zwischen welchen sich eine sparsame Granulirung zeigt; 1861 Archiv f. Ophthalmologie VIII, 1. Abt. 74 Die Granulirung ist aber nur die Einleitung zu dem Proccsse, welcher sich nun in den Nervenzellen und in den Radialfasern gleichförmig geltend macht. Es verliert der Inhalt die feine Granulirung und wird krümlig; Bregger 1882 D. silurischen Etagen 126 An der Achse [eines Fossils] ist diese Granulirung auch dann noch deutlich, wenn die Schale selbst fehlt; Loewit 1900 Leukämie als Protozoeninfektion 49 nur in dem größeren birnförmig gestalteten Körperchen war gleich von vornherein an dem zugespitzten Ende ein kleines etwas stärker lichtbrechendcs Pünktchen zu sehen: eine Granulierung oder sonstige Strukturverhältnissc waren nicht kenntlich; 1911 Dtsch. Archiv f. klin. Medizin C/7 210 Seit Cabot, Schleip, Gabriel, Rosen-Runge, Sluka über Ringkörper in roten Blutkörperchen berichtet haben, sind, wie es scheint, keine weiteren Mitteilungen speziell hierüber erschienen, wohl aber wird diese Erscheinung in den zahlreichen und intensiv geführten Kontroversen über basophile Granulierung und Polychromatophilie der Erythrocythen besprochen; 1925 Dt. Zettschr. f. Chirurgie CXCI 326 Bei der Beobachtung der Plättchengestalt und -Struktur wurden überwiegend runde Formen in der Größe von 3 —5 angetroffen mit feinkörniger Granulierung; Zimmer 1944 Wehrmedizin 40 Am häufigsten finden wir dabei die toxische Granulierung, die zunächst als eine Vergröberung der neutrophilen Körnelung aufgefaßt wurde; Biczok 1960 Betonkorrosion 245 Dagegen ist das aus der Granulierung der Schlacke stammende Wasser aggressiv, weil es Schwefelwasserstoff, Sulfate und viele Schwebestoffe enthält; Korsching 1980 Beduinen im Negev 134 Kopie eines mit Filigran und Granulierung verzierten Ringes; Presse 2. 7. 1993 Bereits vor 15 Jahren erhoffte man, durch die Granulierung der Altreifen den wichtigen Rohstoff Gummi einer Wiederverwendung in der Bau-, Straßenbauund Gummi-Industrie zuführen zu können; Neue Kronen-Ztg. 16. 5. 1999 Granit in verschiedenen
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Größen und Granulierungen: Er ist sehr hart und eignet sich für Auffahrten. granulös: Meckel 1808 Beytr. z. vergl. Anatomie I, 1. Heft 25 Längs des ganzen Randes ist eine, gewissermassen warzige, granulöse Structur an der unteren Fläche wahrnehmbar; 1825 Leipziger Lit.-Ztg. Sp. 470 wenn er [der Verfasser] den Nutzen der so nothwendigen pharmaceutischen Mittel nach dem verschiedenartigen Zustande der Schleimhaut, ob sie blos aufgedunsen, oder granulös, oder wahrhaft scirrhös ist, so wenig zu würdigen weiss; Puchelt 1826 System d. Med. II 2,175 Die kranke Stelle ist dunkel . . wie Coagulum von venösem Blute. Die Flächen der Einschnitte sind eben so granulös, wie bei der Hepatisation; Valentin 1837 Repertorium f. Anatomie u. Physiologie 55 Meist ist er [Zellkern] im Ganzen granulös, ohne dass sich seine einzelnen Körnchen isolirt erkennen Hessen; bald ist er so weich, dass er sich im Wasser auflöst, bald so hart, dass er dem Drucke des Pressschiebers widersteht; 1848 Handwb. d. reinen u. angewandten Chemie III 3 Tertiärer Bildung endlich ist die granulöse Form der Niederschläge; Hermann 1863 Grundriss d. Physiologie d. Menschen 39 Die farblosen Blutkörperchen (Lymphkörperchen) sind runde kernhaltige Zellen, mit etwas granulöser, maulbeerförmiger Oberfläche, grosser als die rothen; Kohn 1875 Syphilis 108 Die Kruste ist weniger erhaben, granulös; Derblich 1889 Militärarzt
l 39 granulöse oder egyptische Augenentzündung; Eversbusch 1911 Augenkrankheiten im Kindesalter 711 Reichen die granulösen Infiltrate bis in die untere Hornhauthälfte herab, so sprossen auch von den seitlichen und den unteren Limbusteilen neugebildete Gefäße ein; Krenkel 1925 Geologie Afrikas I 741 Sekundäre granulöse Kieselsäure verkittet das „Witwatersrand-Konglomerat", das unverwittert bläulich gefärbt ist; Th. Mann 1953 Betrogene 125 von unbenutzten granulösen Zellen . ., die . . nach dem Einsetzen der Wechseljahre .. zu maligner Entwicklung kommen; Ostertag 1955 Schlachttier- u. Fleischuntersuchung 348 bei . . eitrig-granulösen Erkrankungen des Schweinegesäuges; Lützeler 1975 Kunsterfahrung 1171 die Konsistenz der Farbe ist gewöhnlich granulös und matt, und nicht weich verlaufend; Krause/Ulbricht 2000 Batrafen 32 Morphologisch dominieren zwei Formen [Hautpilz], der seltenere primär flaumige und der granulöse (gipsige) Typ; Yin/Nolte 2007 Praxisleitfaden Hund u. Katze 99 Wenn sich aus der Follikulitis eine Furunkulose entwickelt, sind Knötchen zu fühlen (granulös oder pyogranulomatös). Granulosität: Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 326 Granulosität . . Körnigkeit; 1887 Archiv f. experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 399 grössere Granulosität des Protoplasmas; Petri 1911 Fremdwb. 377 Granulosität .. die Körnigkeit, Genius 1933 Fremdwb, 376 Granulosität. . körniges Aussehen.
Graph(o)-, graph(o)-, heute auch eingedeutscht Graf(o)-, graf(o)-, seit etwa Mitte 18. Jh. nachgewiesene initiale Wortbildungseinheit, zurückgehend auf griech. '(ein-)ritzen, schreiben' (vgl. Graph, Graphem, Graphic, —> Graphik, —>· Graphit; urverw. mit dtsch. kerben, vgl. Griffel). In der Bed. 'auf das Schreiben, die Schrift bezogen; Schreib-, Schrift-' in eher veralteten neoklassischen Kombinationen wie Graphodrom M. 'Schnellschreiber', Grapholith M. 'Schreibstein, Tafelschiefer', Graphostatik M. 'zeichnerische Ermittlung statischer Kräfte' mit graphostatisch Adj., Graphoskop N. 'Fernrohr, das nach Einwurf einer Münze einen Blick auf die Landschaft freigibt', Graphospasmus M. 'Schreibkrampf, bis heute nachgewiesenem Graphomanie F. (-; ohne PL) 'krankhafter Zwang zum Schreiben, Schreibwut' mit der Personenbezeichnung Graphomane M. (-; -n), auch moviert Graphomanin F. (-; -nen), 'Schreibwütige/-r' und dem Adj. graphomanisch, Graphometer M. (-s; -)/-metrie F. (-; ohne PL) 'Schriftmesser/-messung' mit graphometrisch Adj., in neuerer Zeit Graphomotorik F. (-; ohne PL) 'Schreibbewegung, -führung der Hand' mit graphotnotorisch Adj., sowie Grapholekt M. 'Schriftsprache', (okkasionelles) Graphosphäre F. 'Bereich, Zeitalter des geschriebenen/gedruckten Wortes' (im Unterschied zur Videosphäre) und v. a. —> Graphologie. Seit den 80er Jahren des 20. Jhs. seltener in der Bed. 'auf bildliche, grafische Darstellung und Kunst bezogen' in neoklassischen Kombinationen wie (analog zu —> Videothek, —* Bibliothek und Audiothek, —» Audio-, audio- gebildetes) Graphothek, neben Grafo-
Graphik
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thek F. (-; -en) 'Sammel- und Ausleihstelle für Bilder und Originalgrafiken' mit Grafothekar M. (s; -e) 'Angestellter in einer Grafothek'. 1750 (Bergmann 1913 Maschine 66) daß ich wie alle echten Gelehrten an der Graphomanie leide. Habe ich keine Feder in der Hand, dann jucken [!] mich die Finger; Saussure 1781 Reisen durch d. Alpen (Übers.) I Vorr. XXIV Die Aussichten von Bergen . . sind . . mit einer Genauigkeit aufgenommen worden, die man mathematisch nennen könnte, weil ich öfters ihr Verhältniß mit einem Graphometer zu berichtigen bemüht war, ohne Fehler darin zu finden; 1784 Göttinger TaschenCalender 78 Graphometer .. ein weitläufiges und altes Wort für gewisse geometrische Instrumente; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 237 während sein [Dantes] Nacheiferer Rosetti in seinen Gedichten . . eine besondere Liebhaberei für endlose Wiederholungen gewisser Reime hat (eine Spracheigentümlichkeit der Schwachsinnigen und Graphomanen) .. Seine und die übrige Dichtung der Symbolisten ist einfach Irrenhaus-Litteratur, Graphomanie der niedrigsten Sorte; 1914 Technik u. Wirtsch. VII 203 Eine andere Absonderlichkeit von ihm ist der geradezu unglückselige Eifer seiner Ingenieurseele, sich in mathematischer, geometrischer und graphostatischer Darstellungsweise zu ergehen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 53) Sein Kopf . . füllte sich mit analytischer Geometrie, Differentialrechnung, Mechanik, Projektionslehre und Graphostatik; Lokal-Anz. 10.3.1933 Im neuen Scalaprogramm wirkt der Hellseher Hanussen als große Kanone . . Zuerst das „Briefaustragen", dann das Stecknadelsuchen, dann die „Graphopathologie"; Dreyer 1939 Elemente der Graphostatik. Lehrbuch für höhere technische Lehranstalten und für den Selbstunterricht (Titel); Süddtsch. Ztg. 28.9.1953 Auf der Galerie des Petersturms wurde ein „Graphoskop" aufgestellt. Es ist ein Fernrohr, das sich nach dem Einwurf eines Zehnerls zu einem Blick auf die Alpen öffnet; 1967 Bild d. Wiss. l 63 Ihre Testleistungen wurden nach bestimmten Meßtechniken „graphometrisch" ausgewertet und mit denen einer sorgfältig parallelgelagerten, altersentsprechenden Gruppe normaler Kinder statistisch verglichen; ebd. Diese im Allgemeinverhalten zum Ausdruck kommende Impulsivität und Zügellosigkeit ließ sich unter genau festgelegten Bedingungen an der Art der Schreibbewegungen, der sogenannten Graphomotorik, sehr schön zeigen; Mannh. Morgen 3.4. 1985 Weitere
Sehenswürdigkeiten: unter anderem ein Graphometer, ein Heliometer zur Bestimmung des Sonnen- und Monddurchmessers sowie ein Himmelglobus; ebd. 4. 2. 1986 Ist Schreibwut gefährlich? (Überschr.) Gutachten muß Fahrtüchtigkeit eines „Graphomanen" klären . . Mit einem fachärztlichen Gutachten muß das Landratsamt VillingenSchwenningen prüfen, ob die krankhafte Neigung, ständig Beschwerden, Anträge oder sonstige Briefe zu schreiben — „Graphomanie" genannt — ein Grund zum Führerscheinentzug ist; taz 23. 8. 1988 Seit 1975 verleiht die Graphothek an Besitzer von Stadtbibliotheks-Benutzerausweisen drei Kunstwerke mit Silberrahmen und Pappkarton . . bildschöne Volksbildung zum Motto „Öfter mal ein neues Bild"; Neue Kronen-Ztg. 11.1.1997 Schon bisher stand in der Babenbergerstraße mit dem Grafolabor der mit 120 Mitarbeitern diesbezüglich größte heimische Betrieb; taz 14. 3. 1997 Der Fernunterricht unserer Väter war — gebunden an das Monopol des geschriebenen Wortes — der Graphosphäre zuzuordnen. Das Telekolleg hingegen gehört zur Videosphäre; St. Galler Tagbl. 10. 7. 1999 Gerade Schülerinnen und Schüler, die im graphomotorischen Bereich, also bei der Umsetzung der Bewegung in Schrift, Mühe hätten, profitieren laut Schulleiter Andreas Maeder von der Computerunterstützung; Frankf. Rundsch. 7. 8. 1999 Das professionelle Verleihen von Kunst überlässt die Galerie lieber Museen und Grafotheken; taz 16. 11. 1999 In einer kurzen Vorrede verherrlichte der Professor das Minimum und verunglimpfte das Maximum, indem er Letzteres als „grafomanen monumentalen Exzess und sensorische Ekstase des Visuellen und Taktilen" bezeichnete; Berl. Ztg. 6.6.2000 Das Ende der „Graphosphäre" (des Zeitalters des Gedruckten) und der Anbruch der „Videosphäre" (des Zeitalters des Audiovisuellen) bedeute den Tod der Ideologien und der Ideen; taz 15. 6. 2001 Dass die Unesco sich den neuen Begriff des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit zu eigen gemacht hat, ist ein wichtiger Schritt hin zur Bewahrung der mündlichen Kultur Hunderter von Sprachen ohne „Grapholekt"; Berl. Ztg. 30. 1. 2002 De Sades Grafomanie duldet keine unbeschriebenen Stellen, keine weißen Flecke, kein Zwischen-den-Zeilen.
Graphik, heute meist Grafik F. (-; -en), Anfang 18. Jh. aufgekommen, zurückgehend auf lat. graphice/griech. ( ) 'Kunst des Schreibens, Zeichnens, Malens' (subst. F. zu 'das Schreiben betreffend; zum Malen geeignet, male-
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Graphik
risch', zu '(ein-)ritzen, schreiben'; —> Graph(o)-, graph(o)-, —* Graphologie; urverw. mit kerben), anfangs in den lat. Formen Graphica, Graphics. In der Bed. 'Mal-, Zeichenkunst', speziell 'Kunst, mit Kohle oder Kreide einen Schattenriss an die Wand zu reißen, zu malen, zu zeichnen', auch 'Schreibkunst; Schriftkunde' (s. Belege 1813, 1858, 1884), im engeren Sinne 'Anleitung zum Verständnis und zur Beurteilung von Urkunden, diplomatische Schrift(-en)kunde (neben der Zeichen- und Formelkunde)' (s. Beleg 1884; vgl. Diplomatik, —* Diplom a), als kunstwissenschaftlicher Terminus seit der 1. Hälfte des 20. Jhs. älteres Graphie verdrängende Sammelbezeichnung für '(Kunst, Vorgang und Ergebnis der) ein Motiv in vereinfachender Weise durch die Umrisse betonende Linien und Striche (Schraffuren) darstellende(n) (Frei-)Handzeichnung' (s. Belege 1793, 1926; —* Illustration, —»· Skizze, vgl. graphische Künste}, auch 'Gesamtheit der verschiedenen (künstlerisch und gewerblich genutzten) Verfahren der Reproduktion und Vervielfältigung und das so entstandene einzelne Erzeugnis oder Werk (Kupfer-/Stahlstich, Holzschnitt, Radierung, Lithographie)' (vgl. Druckindustrie/-technik, graphisches Gewerbe, s. u.) sowie 'Gesamtheit der graphischen Erzeugnisse eines Künstlers, einer Epoche oder Kultur' (s. Beleg 1965), z.B. Frankfurter Schule für Mode, Graphik und Design, eine kolorierte Graphik von Picasso, ein Sammler wertvoller Graphiken, dekorative Graphik, die Graphik Dürers, die chinesische Graphik, speziell, meist in der Schreibung Grafik, für die Bildkomponente der registrierenden Instrumente in Medizin (Physiologie), Technik, Statistik und Informatik in der Bed. 'mit Hilfsmitteln (Lineale, Schablonen) gestaltete oder mit dem Computer hergestellte erklärende, einen Text ergänzende, vertiefende, zeichnerisch-bildliche Darstellung von (komplexen, abstrakten) Sachverhalten, Vorgängen, Abläufen, auch von Gegenständen (meist im Hinblick auf ihre Zusammensetzung oder Funktionsweise); schematische Zeichnung, Schaubild, (Plan-)Skizze, Aufriss, zeichnerischer Entwurf (s. Belege 1898, 1959, 1966, 1985.1; -» Figur 3b, -»· Tabelle, vgl. Diagramm, Graph, -» Skizze), z.B. siehe/vgl. (untenstehende) Grafik, aus der Grafik wird deutlich, dass ..., die vorliegende Grafik gibt einen Überblick über ..., wie in der Grafik dargestellt, sowie in jüngster Zeit in der Medien-/Kommunikationstechnik und Informatik quasi kurz für Computergrafik in der Bed. 'computergestützte Erzeugung und Verarbeitung von Bildern' (s. Beleg 2003; vgl. maschinelles Sehen); als Bestimmungswort in Zss. wie Graphikarbeiten, -atelier, -auflösung, -ausstellung, -blatt, -branche, -computer, -darstellung, -design, -edition, -format, -funktion, -karte, -mappe, -Sammlung, -software, -Unterstützung, -Wettbewerb, -zyklus, als Grundwort in 3D-, Bilanz-, Bild-, Bildschirm-, Buch-, Computer-, Druck-, Foto-, Gebrauchs-, Original-, Schrift-, Werbe-, Wetter-, Luftbild-, Rembrandt-, Schnittmengen-, SchwarzweißGraphik. Dazu bereits seit Ende 18. Jh. das eventuell unter Einfluss von gleichbed. frz. graphique aufgekommene (vgl. griech. , s. o.), von Graphie oder Graphik abgeleitete Adj. graphisch, seit Mitte des 20. Jhs. auch zunehmend grafisch, zunächst im engeren Sinne auf das Schreiben oder etwas Geschriebenes bezogen 'durch Schriftzeichen, schriftlich (dargestellt); die zeichnerische Gestalt der Schriftzeichen betreffend' (s. Belege 1795, 1801, 1947), bes. im Syntagma graphische Zeichen/Figuren 'Schriftzeichen', seit der 1. Hälfte des 19. Jhs. in der erweiterten Bed. 'zeichnerisch, bildlich (zweidimensional, flächig, im Unterschied zu plastisch) gestaltet, dargestellt' (s. Belege 1845, 1921, 1925, 2000, 2002; vgl. deskriptiv, figural, linear), z.B. graphische
Graphik
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Darstellung, graphisches Material, graphischer Stil, in graphischer Schwarzweiß-Manier, mit einem dekorativen graphischen Schmuck versehen, graphisch bearbeitet/aufbereitet, künstlerisch gestaltete graphische Motive, das graphische Design, Layout, gelegentlich mit Konnotationen wie „genau, exakt; klar umrissen, deutlich, verständlich" (s. Belege 1943, 2001), in verschiedenen technischen Fachbereichen von (Mess-)Daten, Zahlen- und Notenwerten, abstrakten, begrifflichen o.a. Sachverhalten für 'graphisch aufgezeichnet, durch Zeichnungen, Schaubilder u. Ä. schematisch dargestellt, veranschaulicht, schaubildlich' (s. Belege 1819, 1824, 1874), z.B. graphische Darstellung (vgl. Dia-, Kartogramm), graphische Statik 'geometrische (statt berechnender) Betrachtungs- und Vorgehensweise bei statischen Aufgaben', speziell in der Mathematik (s. Belege 1897.2, 1937, 1970) und Musik (s. Beleg vor 1926), z.B. graphisches Rechnen, graphischer Niederschlag von Tönen; seit Ende 19. Jh. v. a. als Fachausdruck des Kunst- und Printgewerbes bezogen auf reproduzierende Verfahren und so entstandene Werke 'die Schreib- oder Zeichenkunst, die Vervielfältigung von Bild, Schrift und Druck betreffend, drucktechnisch; Grafik (als Disziplin, Kunst oder gewerbemäßig) (be-)treibend' (s. Belege 1891, 1897.1), z. B. im graphischen Gewerbe, Begegnung mit dem graphischen Werk/Wirken des Malers, die graphische Kunst der letzten Jahrzehnte, die graphische Sammlung der Staatlichen Museen Kassel, graphische Künste (zusammenfassende Bezeichnung für Schreiben, Zeichnen und Druckverfahren), graphische Techniken (zusammenfassende Bezeichnung für Satz- und Reproduktionstechnik, Druckverfahren), graphische Methode, graphisches System sowie graphisches Gewerbe als zusammenfassende Bezeichnung für das die Vervielfältigung von Schrift und Druck ausübende Gewerbe (vgl. graphisches Büro, graphischer Verlag), in jüngster Zeit speziell in der Datenverarbeitung mit Bezug auf die Bildkomponente bei Computern und Telekommunikation (s. Belege 1991, 1994, 2000), z.B. die grafische Gestaltung der Homepage, grafische Benutzeroberfläche, Datenverarbeitung; in additiven Zss. wie graphisch-/grafisch-abstrahierend, -akkurat, -dekorativ, -flächig, -künstlerisch, -mathematisch, -plakativ, -räumlich, -skulptural, -streng, -symbolisch, -technisch, -visuell; computer-, werbegraphisch. Dazu seit Anfang 19. Jh. die Berufsbezeichnung Graphiker, heute meist Grafiker M. (-s; -) mit Graphikerin/Grafikerin F. (-; -nen) 'Person, die Handzeichnungen, Holzschnitte, Kupferstiche, Radierungen u. Ä. verfertigt, (Werbe-)Zeichner/-in, Mediengestalter/-in' (vgl. Illustrator), z.B. Grafikeratelier, -generation, -lehre, -schule, -team, -verband/-verein, Grafiker-Beruf, -Entwurf, -Wettbewerb; Buch-, Berufs-, Computer-, Druck-, Foto-, Gebrauchs-, Industrie-, Mode-, Werbe-, Zeitungsgrafiker/-in. Graphik/Grafik: 1709 Neue Bibl. l 13 Dieses curieuse Buch . . zeiget/ was es vor eine Beschaffenheit mit der Theologia, . . Musica, Graphice, Grammatica, Rhetorica . . gehabt; Bertram 1728 Einl. 5 Graphica oder Mahlerkunst; Zedler 1735 Universallex. XI 603 Graphice siehe Mahlerey . . ist so viel als die Mahler-Kunst . . es wird aber auch selbst vor die Wercke dieser Kunst oder vor die Gemähide genommen; Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge I 543 auch verstand man nicht die gra-
phik des irdischen Jerusalems, und konnte keinen bauentwurf auf das papier bringen (DWB); Humboldt 1797 Br. (Ges. Sehr. Vll 2,584) Kunst der Bilder, Graphik, oder bloss Zeichen, nach welchen die Einbildungskraft des Betrachters den sinnlichen Gegenstand selbst zusammensetzen muss; Herder 1800 S. W. XXII 301 gymnastik, grammatik, musik, graphik, rhetorik übten jene [Griechen und Römer] als bildende, d.i. den menschen und bürger ausbildende künste (DWB); Campe 1813
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Graphik
Fremdwb. 342 Graphic, die Schreibekunst; Görres 1858 Ges. Br. H 295 so enthalten doch die seinigen [Ideen] viel belehrendes . . über diesen noch ganz im dunkel liegenden theil der philologie und alten graphik [mit Bezug auf die Keilschrift] (DWB); 1884 Brockhaus VIII 297 Graphik . . Schreib- und Zeichenkunst; speziell die diplomatische Schriftenkunde, welche neben der Zeichen- und Formelkunde einen Hauptteil der Diplomatik bildet; Boruttau 1898 Physiologie 73 dass die Untersuchung des Pulses von jeher Hauptobject der ärztlichen Diagnostik war und bald nach Erfindung der physiologischen Graphik der Ersatz des tastenden Fingers durch ein registrierendes Instrument angestrebt wurde; Benjamin 1917 Br. I 154 Nachdem ich .. über das Wesen der Graphik nachgedacht hatte; Dehio 1926 Kunst III 4 aus dieser läge [der Schwächung des monumentalen Gefühls] erwuchs der reformationszeit die ihr eigentlich die Signatur gebende blute der graphik (DWB); Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI108) Alfred Kubin . ., dessen unheimliche und laszive Graphik mich stark erschütterte und der später die melancholisch-groteske Umschlagzeichnung zur ersten Ausgabe der 'Tristan-Novellen' lieferte; Frankf. Ztg. 4. 8. 1932 Den ersten Preis in der Abteilung Malerei erhielt Schweden, die ersten Preise für Zeichnungen, Graphik und Skulpturen Amerika; Klemperer 1946 LTI 113 es war mir kein Fall bekannt, wo ein Spruch oder Wort und eine Graphik derart zusammengehörten, daß sie sich wechselseitig evozierten; Neues Deutschi. 7. 11. 1959 Hinzu kommen Anschauungsexponate, Vorführungen, Modelle und Grafiken; Stuttgarter Ztg. 7. 10. 1965 eröffnet der bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultur die Ausstellung „Fünf Jahrhunderte europäische Graphik"; 1966 Urania XI 72 Die Schrägstellung der geographischen und geomagnetischen Erdachse gegen die Ekliptikebene (direkte Linien Sonne-Erde) konnte in der Grafik noch berücksichtigt werden; FAZ 28. 1.1970 Kunst auf Papier (Überschr.) Kleine Geschichte der Graphik . . Unter dem etwas voluminösen Titel 'Als das Papier kam, entstand die Kunst der Graphik' legt der Verlag . . ein köstliches Bilderbuch vor; Neues Deutschi. 1. 6. 1974 eine Anzahl Originale von unschätzbarem Wert, ferner handsignierte Exemplare, kostbare Grafiken; Zeit 22. 2. 1985 die Zahl der Sterbefälle war die niedrigste seit Ende der sechziger Jahre. Unsere Graphik zeigt, wie sich die Bevölkerungsstruktur nach einer Prognose der Bundesregierung bis zum Jahr 2030 entwickeln kann; Mannh. Morgen 4. 5. 1985 Reliefartig wölbt sich das Papier oder erhält feine Gewebsstrukturen, die die Grafik mit einem zarten Gitternetz unterlegen; taz 6. 4. 1992 Die Malerei ist, gegen alle Wahrscheinlichkeit, eine heroische Angelegenheit
geblieben; vielleicht deshalb, weil sie eine Technik ohne die Möglichkeit praktischer Anwendung ist. Das gilt nicht für Grafik und für Fotografie; Berl. Ztg. 8. 3. 1999 Von Sarkasmus bis Melancholie . . Polnische Grafik im Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder); ebd. 14. 1. 2000 der Kunde kritisiert seine Texte, die Grafiken gefallen nicht [für die Gestaltung eines Werbauftritts]; ebd. 29.4. 2003 Die „Editionen Rubin und Saphir" sind die ersten, die speziell für den Game Boy Advance entwickelt wurden. Das heißt: „Die Grafik wird noch bunter, der Sound noch mitreißender und der Spielspaß noch spannender und abwechslungsreicher". Graphiker/Grafiker: 1811 Monatl. Correspondenz Era- u. Himmels-Kunde XXIV 251 Es ist demnach nicht zu läugnen, dass die Herren Z. und I. hier gründlicher als ihre Vorgänger gearbeitet und künftigen Graphikern nur wenig zu verbessern übrig gelassen haben; 1822 Neue allg. geograph. Ephemeriden X 351 f. Gleichviel, der Sprachforscher, der Geschichtskundige, der Geograph beugt sein Haupt vor diesem ehrwürdigen Namen [Cluver] . . ein trefflicher Graphiker, welcher unserm Zeitalter wenig zu verbessern übrig gelassen haben würde, wenn die Geographie damals die Stufe erreicht hätte, zu der sie jetzt emporgestiegen ist; Dühring 1884 Neue Grundmittel u. Erfindungen zur Analysis 329 Die imaginären Graphiker sind nicht einmal bis zu diesem Punkt, geschweige weiter zu wirklichen geometrischen Thatsachen gelangt; Fritnmel 1904 Modernste Kunst 69 als Graphiker tätig, indem er häufig nicht nur malt, sondern auch radiert, lithographiert, algraphiert, schabt, sticht oder in Holz schneidet; Deri 1920 Malerei im XIX. Jh. l 383 Mehr noch, als bei Böcklin und Feuerbach, muß so bei diesem Manne, der Graphiker, Maler und Bildhauer war, zum seelischen Fragment werden, was die prinzipielle und räumliche Beschränkung einer auf die allgemeine Entwicklung hin orientierten Darstellung zu geben vermag; Lokal-Anz. 6. 6. 1933 Der Bund Deutscher Gebrauchsgraphiker e. V. hat sich an den Kampfbund für deutsche Kultur angeschlossen; ebd. 24. 7. 1934 Franz Hermann Meißner hat in seiner herrlich ausgestatteten Biographie das Wesen und Werden des Graphikers und Malers der Allgemeinheit erschlossen; Finder 1935 Kunst d. dtsch. Kaiserzeit I 20 daß er [Dürer] also doch nicht nur ein guter graphiker sei, sondern auch das malen verstünde (DWB); N. Z. Z. 22. 10. 1944 Grafikerin mit mehrjähriger Praxis, sucht freie Mitarbeit (Anzeige); Welt 28.8.1969 Was nicht der Sonntagsmalerei zuzuordnen und künstlerisch meistens belanglos ist, gehört oft einem Grenzbe-
Graphik reich an, in dem bewußt ein naiver Stil gepflegt wird, wie das heute zahlreiche Grafiker und Bilderbuchillustratoren tun; FAZ 19. 5. 1971 Graphiker (40) . . sucht nach lOjähriger Tätigkeit in den verschiedensten Teilbereichen der Werbung (Agentur, Verlag, Druckerei, Investitionsgüterindustrie) eine . . Position mit der Verantwortung für den Gesamtbereich Gestaltung, Angebote (Anzeige); Mannh. Morgen 16. 9. 1986 eine Open-Air-Ausstellung, die . . deutlich werden ließ, daß Meinerz ein exzellenter Grafiker und Zeichner ist; taz 21.3.1994 Der mit 12.500 Mark dotierte und jährlich von der Akademie an junge Maler, Grafiker und Bildhauer verliehene Will-GrohmannPreis; Berl. Ztg. 16. 9. 2002 Den Werbetextern, Grafikern, Mediengestaltern und der Druckerei ist es zu verdanken, dass auch in kürzester Zeit ein Konzept promotet werden kann. graphisch/grafisch: Denis 1795 Einl. I 290 die graphische oder Abhandlungen von der Schreibkunst und den Buchstaben; Wieland 1801 Anstipp (S. W. l 24,308) Alle diese einzelnen Personen und Sachen, die er [Autor] uns so graphisch als ihm möglich ist verzeichnet, in unserm Kopfe zusammen zu ordnen, und ein Ganzes daraus zu machen, überläßt er uns selbst (DiBi 125); Campe 1813 Fremdwb. 342 graphische Figuren, Schriftzeichen; 1819 Handb. d. Schiffahrtskunde 358 Wir können . . diese und ähnliche graphische und mechanische Behelfe . . unsern Landsleuten nicht empfehlen, sondern stellen ihnen . . die Holländischen Navigationslehrer zum Muster vor; Goethe 1824 Tagebücher (WA III 9,306) Ich bedachte die Versendung der Morphologie, Herr Geh. Cammerrath Heibig wegen eines von Lindenauischen Briefes, nicht weniger die sämmtlichen graphischen Darstellungen zurückbringend; A. v. Humboldt 1845 Kosmos I 60 gleichsam mit dem entwurf einer graphischen darstellung des Universums, einer eigentlichen weitkarte; Barth 1874 Kalkalpen 636 ohne anderen behelf als graphisches material [Kartenmaterial], fernglas, stock und eisen [Steigeisen] (DWB); Wessely 1891 Gesch. d. graph. Künste l die werke der graphischen künste treten uns auf der fläche des papiers (oder pergaments) entgegen, was hier dargestellt wird, ist nicht das werk eines Zeichners oder maiers, das dieser unmittelbar auf das papier bringt, sondern das ergebniß eines besonderen Verfahrens, indem die auf einer platte hergestellte Zeichnung mit färbe vermittelst druck auf das papier übertragen wird (DWB); Lueger 1897 Lex, d. ges. Techn. IV 759 graphische künste . . die verfahren, welche zur Vervielfältigung des gemalten, gezeichneten oder geschriebenen dienen, und von denen einige den bildenden, die große mehrzahl aber
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den reproduzierenden künsten angehören; ebd. IV 760 graphisches rechnen: lösung von aufgaben der algebra durch konstruktionen, die mit lineal, zirkel, maßstab und anderen Zeichenwerkzeugen ausgeführt werden (DWB); Stavenhagen 1909 Verkehrs-Mittel 304 Es gibt für die Stenographie je nach den angewandten Zeichen geometrische und graphische Systeme; Dehio 1919 Kunst I 41 noch anschaulicher ist die graphische Zusammenfassung in der unter dem namen des baurisses von St. Gallen bekannten großen planzeichnung (DWB); Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. XI 582) Mit Vergnügen betrachte ich Ihre graphischen Phantasien zu meiner Erzählung 'der Tod in Venedig'; Finder 1925 Naumburger Dom 34 bei Reglindis [einer der Naumburger Stifterfiguren] ist schon im gründe alles graphisch verflacht, aufgeschrieben auf den block (DWB); Rilke vor 1926 Er. II 501 da das wesen des grammophons im graphischen niederschlag von tönen seinen Ursprung hat (DWB); Tropfke 1937 Gesch. d. Elementarmath. III 134 den fachausdruck 'graphische lösung' benutzt A. L. Grelle 1833 [für die zeichnerische Lösung von Gleichungen 3. Grades] (DWB); Hesse 1943 Glasperlenspiel l 49 eine internationale Zeichensprache auszubauen, welche . . es erlaube, das komplizierteste . . in einer weise graphisch auszudrücken, welche allen gelehrten . . verständlich wäre (DWB); St. Zweig 1947 Welt v. gestern 192 jene geheimnisvollste Sekunde des Übergangs, da ein vers, eine melodie aus dem unsichtbaren, aus der vision und intuition eines genies durch graphische fixierung ins irdische tritt (DWB); Neues Deutschi. 17. 1. 1959 mit wieviel Aufmerksamkeit sind grafische Blätter aus der DDR durchgesehen worden; Stuttgarter Ztg. 7. 10. 1965 Aus dem Besitz der . . „Graphischen Sammlung" München werden 200 seltene, zum Teil einmalige Arbeiten aus fünf Jahrhunderten gezeigt; Kuske 1970 Spannungsoptik im Bauwesen o. S. Die graphische Integration der Gleichung . . liefert die unbekannte Spannung; Mannh. Morgen 24.4. 1985 Die markanten, graphisch gestalteten Fenster an dem Neubau sind bereits fertig; ebd. 23. 1. 1987 Da darf man zwar schon nach Herzenslust stöbern in über 700 grafisch und typografisch ausgesprochen einladend aufgemachten Seiten; Presse 7. 11. 1991 Ein Graphikbeschleuniger verbessert die Bildschirmdarstellung bei graphisch orientierten Anwendungen; Computerztg. 10.3. 1994 die Bedienung ist dank ausgereifter grafischer Benutzeroberflächen denkbar einfach; Presse 6. 6. 2000 Auch graphische Logos für das Handy sind zu haben; taz 6. 10. 2001 Die neue [Stoff-]Kollektion sei „eher graphisch", sagt die Designerin. „Mich hat interessiert, ver-
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Graphit
schiedene Farbflächen gegeneinanderzusetzen."; ebd. 23. 5. 2002 die Maus-Aktionen von Besuchern
eines virtuellen Raumes im Netz mit grafischen Mustern und Farbverläufen verknüpft.
Graphit, heute auch Grafit M. (-s; selten -e), Ende 18. Jh. wohl von dem Chemiker und Mineralogen Abraham Gottlob Werner geprägte gelehrte Neubildung zu griech. 'einritzen, schreiben, zeichnen, malen'; —> Graphik, —> Graphologie. Fachspr. (Geologie, Mineralogie) Bezeichnung für ein kristallisiertes, stark abfärbendes, reines, brennbares und leicht zu schneidendes, im Bergbau gewonnenes Kohlenstoffmineral von metallisch glänzendem Aussehen und schwarzgrauer Farbe (vgl. Anthrazit), das hauptsächlich in sog. „Blei-" und Zeichenstiften verarbeitet wird, seine Benennung also seiner Verwendbarkeit zum Schreiben verdankt (s. Belege 1837, 1842, 1876, 1938, 1947, 1987; vgl. Verdeutschungen wie Asch-/Reiß-/Wasserblei, Eisenkohle, Ofenfarbe/-schwärze, vgl. Molybdän), z.B. Graphitfaser, -fabrik, -gas, -grübe, -lager, -kristall, -pulver, -staub, -werk, -wölke, daneben speziell als Bezeichnung für eine in der bildenden Kunst verwendete (Wasser-)Farbe, die dabei angewandte Maltechnik oder (kurz für Graphitstift u. A.) das entsprechende Werkzeug (s. Belege 1923, 1999), z.B. die versierte Handhabung des Graphits für die Verteilung von Schatten und Aufhellung der Gesichtsflächen; Graphitbild, -feder/ -griffel/-stift 'Bleistift", -linien, -skulptur, -schient, -schraffur, -Zeichnung; graphitgrau, -schwarz; seit 19. Jh. auch mit Bezug auf weitere Verwendungsmöglichkeiten im technischen Bereich, z. B. im Zusammenhang mit der Herstellung technischer Elektroden in der Halbleiterindustrie, von Gießformen und Ofenauskleidungen in der Metallurgie (s. Belege 1938, 1989, 2001) und v. a. in der Atom-/Reaktorindustrie bei der Verhütung unkontrollierter Kernschmelze (s. Belege 1966, 1986), z.B. Graphit ist ein guter Stromleiter, die Freisetzung der radioaktiven Strahlung ist auf einen Brand des Graphits zurückzuführen; Graphitblock, -brand, -elektrode, -hülle, -reaktor, -zement 'zur Verbindung von Eisenteilen, Dichten von Rohrleitungen u. Ä. verwendeter Kitt aus Graphit, Kreide, Schwerspat und Leinölfirnis', Graphitzylinder; graphitmoderiert. Dazu seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitungen graphitähnlich, -artig sowie graphitisch und bes. graphiten 'Graphit(-anteile) enthaltend, aus Graphit bestehend', auch (z.B. in poetischer Sprache) 'graphitfarben; dunkelgrau' (s. Belege 1979, 1997.2); seit späterem 19. Jh. die verbale Ableitung graphitieren V. trans, 'mit Graphit überziehen, bearbeiten', mit dem Verbalsubst. Graphitierung F. (-; -en), z.B. Graphitierungsofen, -Vorgang, seit späterem 19. Jh. Graphitoid N. (-s; -e) als Bezeichnung für eine feinkörnig-dichte, graphitähnliche Substanz. Graphit: Werner 1791 Verz. d. Mineralienkabinetts I 368 Graphit; Flurl 1792 Gebirge 305 Es ist dieses der sogenannte Graphit, . . welcher hier im Jahre 1764 zu Tage gefördert, und zur Verfertigung der Schmelztiegel in der kurfürstlichen Münzstatt versucht wurde; Klaproth 1807 Chem. Wb. H 528 Der Graphit ist gewöhnlich von einer Mittelfarbe . ., die zuweilen dem Stahlgrauen sich etwas nähert; Leonhard 1823 Felsarten l 148 ff. der Glimmer wird zuweilen gleichsam vertreten im Gemenge des Gneisses durch andere Substanzen; dahin gehören
vorzüglich: Talk, Chlorit . . Graphit; Poppe 1837 Erfindungen 371 Schon die Alten bedienten sich der Bleistifte zur Ziehung von Linien auf Pergament, aber nicht unserer Bleistifte aus Reißblei (Graphit), sondern Stifte von wirklichem Blei, womit man ebenfalls schwärzliche Striche machen kann; Oken 1839 Allg. Naturgesch. / 303 nur mineralien von geringer härte, wie graphit, molybdän sind mild (DWB); Cotta 1842 Geognosie 479 Graphit findet sich am häufigsten im Glimmer- und Thonschiefer . . Man macht daraus Bleistifte und
Graphit Schmelztiegel, streicht Oefen damit an und verwendet ihn . . als Schmiere von Maschinenteilen; Karmarsch/Heeren 1876 Techn. Wh. l 635 die ausgiebigen graphitlager bei Passau . . versorgen alle bleistiftfabriken des continents (DWB); Hertling 1893 Kl. Sehr. 285 Im Jahr 1847 entdeckte . . ein junger französischer Ingenieur, auf einer mineralogischen Forschungsreise in Ostsibirien . . ein Lager von Graphit; Lueger 1894 Lex. d. ges. Techn. II 478 auch ist der preis der aus natürlichem graphit geschnittenen stifte . . höher als derjenige der künstlich hergestellten (DWB); 1897 ebd. IV 763 graphit, auch aschblei, potelot (pottlot), ofenfarbe, ofenschwärze, graphitglimmer, rcißblei . . fälschlich molybdän, wasserblei, plumbago (DWB); Hochstetter-Bisching 1898 MG. 48 ff. Graphit (Überschr.) Ein Mineral, welches meist in krystallinisch-blätterigen oder in dichten Massen vorkommt; Berger 1923 Techn. d. Aquarellmalerei 59 graphit (black lead) [unter den schwarzen Wasserfarben] neigt mehr nach grau und hat den für manche effekte tauglichen graphitglanz (DWB); LokalAnz. 8. L 1933 Stellt der Graphit die kristallinische Abart des Kohlenstoffes dar, so ist der Ruß die amorphe, d.h. die kristallose; Münch. N. N. 16. 3. 1938 Graphit, ein wichtiger Rohstoff für die Eisengießerei und die Bleistiftindustrie; T/7. Mann 1947 Faustus (W. VI 556) einem darübcrgezogenen knielangen Arbeitskittel, den sie anlegte, wenn sie an ihrem Reißbrett mit Graphit- und Buntstiften hantierte. Denn sie war Zeichnerin; 1966 Urania XI 6 Das Erste Atomkraftwerk gehört zum Typ der graphitmoderierten wassergekühlten Druckröhrenreaktoren, seine Spaltzone besteht aus einem zylindrischen Moderatorblock aus Graphit . . der in 128 vertikalen Arbeitskanälen jeweils ein Bündel von 4 rohrförmigen Brennstoffelementen und ein zentrales Druckrohr, eingebettet in Graphit, enthält; Matting 1970 Kunststoffe o. S. Dieser große Abstand läßt sich durch . . Gold- oder Silberflocken bzw. Gold- oder Silberpulvcr sowie feinverteiltem Ruß oder Graphit überbrücken; Mannh. Morgen 29. 4. 1986 Zum Abbremsen der Spaltneutronen der Kettenreaktion (Moderatorwirkung) werden Graphitziegelröhrcn verwendet; ebd. 5. 1. 1987 Was bei der Zeichnung vor allem Tempera, Graphit- und Buntstift in der Künstlerhand erarbeiten; taz 22. 12. 1989 Produziert werden Graphitelektroden für die Stahlindustrie; Neue Kronen-Ztg. 17.1. 1994 Eisenschrauben sollten Sie vor dem Einschrauben mit einer Mischung aus Schmieröl und Graphitpulver bcstreichen. So bleiben die Schrauben lange rostfrei; St. Galler Tagbl. 25. . J999 Der erste Kursabend ist der Einführung in die Maltechniken (Kohle, Acryl, Graphit) und dem Ausprobieren gewidmet; taz 5. 5. 2000 Mit Graphit gefüllte Bomben. Der feine Graphitstaub
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wird beim Einschlag des Geschosses freigesetzt und soll, vom Winde verweht, elektrische Systeme kurzschließen; Mannh. Morgen 16.11.2001 Das Seitenruder [des Flugzeugs) war mit Bolzen aus Grafit und Fiberglas am Rumpf befestigt. Über die Belastbarkeit dieses Materials ist im Vergleich zu der Haltbarkeit reiner Metallteile vergleichsweise wenig bekannt . . Einer der Grafit-Bolzen an dem Unglücks-Airbus habe sich schon einmal gelöst. graphiten: 1830 Jahrbücher des k. k. polytechn. Institutes in Wien XVI 314 Dann erhitzt man ihn mit der äussersten Vorsicht in einem graphitenen Topfe oder Tiegel; Wittstein 1857 Prüfung ehem. u. pharntaceut. Präparate 725 Zincum purum (Reines Zink), Formel: Zn. Bereitung. Eine irdene (am besten graphitene) Retorte fülle man etwa zur Hälfte ihres Inhalts mit käuflichem Zink; Baer 1878 Bewegung d. Wärme 25 Beim Gebrauche werden dieselben einzeln in graphitenen Testen dem zu bestimmenden Hitzegrade ausgesetzt; Graham/Otto 1884 Lehrb. d. Chemie 766 Die Destillation wird aus irdenen oder graphitenen Retorten . . [durchgeführt]; Sachs 1913 Real-Lex, d. Musikinstrumente 410 [an den] Wirbeln aus drei Saiten ohne die Vermittlung eines Sattels über einen flachen geraden Steg zu dem graphitenen Saitenhalter laufen; Leip 1940 Muschelhorn 370 Es reizte ihn insgeheim und zugleich empfand er eine ablehnende Scheu, wenn er die graphitenen Schmelztiegel ansah; Beuchler 1953 Schwarzes Land 132 Wie vor 200 Jahren schwappt glühendes Metall in graphitenen Pfannen, reißen muskulöse Männer die Tiegel mit langen Zangen vom Feuer, schleppen sie durch den Raum, gießen die funkensprühende Flüssigkeit in tiefgebettete Formen; 979 Frauenjahrb. 132 Die beiden Bäume am Bach . . das graphitene Wasser des Flüsschens; Neue Kronen-Ztg. 2. 6. 1994 Dunkelgrau und Schwarz bevorzugt . . in Form von graphitenen Blöcken und Stelen; Berl. Ztg. 13.11. 1997 In ihrem Werk blieben die jähen Wendungen und Brüche des Jahrhunderts als ölfarbenc, pastellene, graphitene oder aquarellierte Narben auf Leinwand und Papier zurück; Vorarlb. Nachr. 18. 11. 1997 So etwa korrespondiert die graphitene Oberfläche der Bilderwelten mit der grauen Farbigkeit bzw. Nichtfarbigkeit des Granits. graphitieren: Kerl 1861 Handb. d. metallurg. Hüttenkunde 585 Die Kästen werden in einem Holzgerüst mittelst Anker und Schraubenbolzen befestigt, innen entweder glattgehobelt (ältere Methode), oder mit einem glattgehobelten Futter von Espen-, Linden- oder Erlenholz bekleidet, oder mit einem erwärmten Brei aus 10—15 Pfd. feingeschlämmtem Graphit, 2 Maass Wasser und 3—4 Pfd. Tischlerleim mehrmals überpinselt, die trockne Fläche mit
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Graphit
Bimsstein glatt geschliffen und das Ueberpinseln, Trocknen und Abschleifen noch einige Mal wiederholt (das Graphitiren); Hauer 1876 HüttenwesensMaschinen 205 Der Kasten besteht aus 5 bis 10 Cent, starken Bohlen; die Innenwände desselben werden durch Graphitiren glatt und dauerhaft gemacht; Waldow 1884 Illustr. Enc. d. Graph. Künste 362 Die radierte Platte wird graphitiert und im galvanoplastischen Apparat eine Hochdruckplatte erzeugt, welche behufs des Drückens auf einen [!] Holzklotz befestigt wird; 1885-92 Meyers Konversationslex. VII 627 Hierauf wird die Platte zur Härtung in eine Flüssigkeit getaucht und dient nun auf gewöhnliche Weise zur Herstellung eines Stereotyps, oder sie wird graphitiert und auf galvanoplastischem Weg ein Niederschlag gewonnen; Muspratt 1900 Chemie VII 945 die fertigen pulver werden häufig graphitiert (DWB); Arndt 1915 Handb. d. physikal.-chem. Technik 598 Die Endflächen des Plättchens wurden sorgfältig mit einem Bleistift graphitiert und unter starkem Druck mit einer dünnen, sehr festhaftenden Graphitschicht bedeckt; Voltz 1921 Messung u. Dosierung d. Röntgenstrahlen 239 Krönig und Friedrich verwenden für ihre lonisationsmessungen Ionisationskammern aus Hörn, die innen gleichfalls graphitiert sind und in dessen Inneres ebenfalls ein Graphitstift hineinragt; Bittel/Rieth 1951 Heuneburg 37 Zwischen der linear gehaltenen Umrahmung der Felder ein breites rotes Band. Das Halsfeld ist rot bemalt, mit hängenden grafitierten Dreiecken; Kolling 1968 Späte Bronzezeit 31 Abgesehen vom graphitierten Geschirr fehlt bemalte Tonware im ganzen Saar-Moselgebiet überhaupt; Krüger 1979 Germanen I 156 Mit dem handgearbeiteten graphitierten Gefäß von Groß Soltholz, Kr. Flensburg, deutet sich allerdings an, dass vereinzelt auch Graphit als Rohstoff eingetauscht wurde; Beck/Steuerl Timpe 1998 Reallex. d. Germ. Altertumskunde XII 594 Auch in den bayer. Regionalgruppen der Hallstattkultur sind graphitierte Gefäße allg. verbreitet; Krüger 2007 Neue Kohlenstoffmaterialien 15 Dieser Kunstkohlenstoff wird anschließend in einem Elektroofen in Koks eingebettet und durch Widerstandserhitzung graphitiert. Graphitierung: Kerl 1861 Handb. d. metallurg. Hüttenkunde 570 Nach Tunner gibt ein Wassertonnengebläse bei oberschlächtigem Wasserrade 65%, . . gute Kastengebläse mit Graphitirung bei oberschlächtigen Rädern 35-40%; Japing 1883 Elektrolyse 176 Das vorstehende Verfahren, die Verkupferung vom Boden aus zu beginnen und erst durch successives Nachschütten von Vitriol nach und nach zu den höheren Schichten fortzuschreiten, lässt sich in der Weise vereinfachen und umkehren, dass man gleich Anfangs die ganze Vertie-
fung bis an den Rand mit Kupfervitriol füllt und den negativen Leitungsdraht nicht auf den Boden herabführt, sondern ihn in der Nähe des Randes mit der Graphitirung in Berührung bringt; Ahrens 1903 Handb. d. Elektrochemie 361 Die Bildung von Graphit erfolgt nämlich durch Zersetzung von Karbiden schneller und ausgiebiger als durch Umwandlung reiner Kohle, so daß ein Zusatz von Kieselsäure, Tonerde, Ton, Eisenoxyd, Magnesia, Kalk die Graphitierung durch Zwischenbildung von Karbiden ganz wesentlich beschleunigt; Pfeiffer 1920 Werkzeuge d. Steinzeit-Menschen 382 Rot gebrannte Scherben mit Graphitierung können dementsprechend nur auf kaltem Wege — durch Einreihen und Polieren — hergestellt worden sein; Ryschkewitsch 1926 Graphit VII 245 Bei der Graphitierung schwinden die Formstücke stark. Ihre scheinbare Dichte nimmt um etwa 10 Prozent zu; 1933 Lokal-Anz. o. Nr. Ich erwähne hier nur die Möglichkeit der Graphitierung, die gerade gegen diese Schäden [an den Motorkolben beim Kraftfahrzeug] einen sicheren Schutz gewährt; Holm 1941 Techn. Physik 129 Nach dieser Graphitierung benimmt sich auch der Kohlekontakt, als ob er zu Graphit gehörte; Rodewald 1960 Genesis d. Diamanten 24 Bei ca. 2700° C tritt keine Graphitierung des Diamanten ein, wenn der hydrostatische Druck mindestens 30000 Atmosphären beträgt; Pescheck 1978 German. Bodenfunde d. röm. Kaiserzeit 208 Dunkelgrauer Ton mit schwarzer Oberfläche und Graphitierung außen; Weiß 1986 Glas, Keramik u. Porzellan 106 Eine Graphitierung dieses Kohlenstoffes hat jedoch nicht stattgefunden; Berl. Ztg. 3. 2. 1999 Geplant ist die Schließung eines Graphitelektroden-Werks in Europa und die Stilliegung von Graphitierungsöfen im Werk Meitingen bei Augsburg und Morganton (North Carolina/USA). graphitisch: Muspratt 1889 Chemie I I 1 1 1 1 graphitische temperkohle, in . . säure unlöslich (DWB); Presse 27. 12. 1999 Der schwarze Schlamm stamme vielmehr aus der wenige Meter neben dem Unglücksort befindlichen „Paltenstörung", die aus graphitischem Schiefer besteht. Schlußfolgerung der Gutachter: In der Paltenstörung habe es eine „chemische Erosion" (Ausspülen löslicher Materialien) gegeben. Graphitoid: Zirkel 1866 Lehrb. d. Petrographie 352 Kleine schwarze fettglänzende Pünktchen von Graphitoid, Mikrolithen von Apatit; 1886 Jahrb. d. Naturtviss. 259 f. Graphitoid, ein neues Mineral; Rosenbusch 1901 Elemente d. Gesteinslehre 421 Unter den pigmentirenden Substanzen haben Gra-
Graphologie phitoid, Graphit und Eisenglanz die weiteste Verbreitung; Eichenberger 1924 Geologisch-petrograph. Untersuchungen 468 Das Mineral ist relativ einschlussarm (Chloritoid, Erz), zeigt aber immer einen hohen Graphitoidgehalt; Witzig 1948 Geo-
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log. Untersuchungen 17 Beschreibt das gleiche mikroskopische Bild von Chlorit und Biotit, der in Umwandlung zu Chlorit begriffen ist, und Graphitoidschuppen; 1989 Brockhaus IX 62 Graphit . . seltener feinkörnig-dicht (Graphitoid).
Graphologie, heute auch Grafologie F. (-; Pl. ungebr.), Mitte 19. Jh. bes. in wissenschaftlichen Abhandlungen aufgekommene (Jean-Hippolyte Michon aufgrund seiner Schrift „Systeme de graphologie" von 1875 zugeschriebene) gelehrte Neubildung aus —> Graph(o)-/graph(o)- und -(o)logie, terminale Wortbildungseinheit mit der Bed. 'Wissenschaft, Lehre von ...; -künde, -lehre, -wesen' (zurückgehend auf griech. 'Wort; Kunde, Bedeutung'; —» Logik; vgl. gleichbed. frz. graphologie}. Zunächst als Bezeichnung für die von Ludwig Klages mitbegründete, in Fachliteratur und -kritik kontrovers, z. T. auch leicht abschätzig als unwissenschaftlich (s. Beleg 1926) diskutierte Kunst oder Disziplin von der Analyse und Deutung der Handschrift einer Person im Hinblick auf ihren Charakter, insbes. in der Psychologie präzisiert auf 'zu psychodiagnostischen Zwecken in der Erziehungs- und Berufsberatung, in der betrieblichen Personalpolitik und zur Verbrechensaufklärung geübte Praxis, aus der Handschrift auf die Persönlichkeitsstruktur rückzuschließen' (—» Astrologie, vgl. Schriftpsychologie), z. B. wissenschaftliche Graphologie, Internationaler Kongress für Graphologie; Graphologie-Seminar, -Gutachten, -Kurs; Merkmalsgraphologie. Dazu etwa gleichzeitig die (aus graph(o)-, s. o., und -(o)loge, terminale Wortbildungseinheit mit der Bed. 'Gelehrter, Sachverständiger, Kenner von ...; -Wissenschaftler, -kundiger', gebildete) Berufsbezeichnung Graphologe, heute auch Grafologe M. (-n; -n), moviert Graphologin/Grafologin F. (-; -nen) 'psychologischer Gutachter, der aus der Handschrift Rückschlüsse auf Charakter und Begabungen eines Menschen zieht', gelegentlich im metasprachlichen Diskurs (fälschlich) gleichgesetzt mit Schriftsachverständiger in der Bed. 'Schriftgutachter, der bei Gericht durch den Vergleich von Schriftproben die Identität des Urhebers, Echtheit oder Unechtheit einer Unterschrift feststellt' (s. Belege 1959.2, 2003), z.B. die Gerichte ziehen Graphologen bei zur Ermittlung von Testaments- und Unterschriftenfälschungen; seit Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung graphologisch, heute auch grafologisch, 'schriftanalytisch (in der Psychodiagnostik)' und vereinzelt (fälschlich) 'schriftvergleichend (in der Kriminalistik)' (s. Belege 1987, 1991), z.B. graphologischer Befund, graphologisches Gutachten, graphologische Beratungsstelle, Analyse/ Untersuchung, graphologische Fähigkeiten/Kenntnisse, in namenartigen Bezeichnungen für Zeitschriften, Institutionen usw. wie Graphologische Monatshefte, Deutsche Graphologische Gesellschaft. Graphologie/Grafologie: Merleker 1857 Musologie 8 Graphologie. Die Schrift, jünger als die Sprache, ist für das Auge durch conventionell eingeführte Zeichen festgehaltene Tonsprache. Gewisse Stufen der Cultur kann ein Volk erreichen, ohne zu schreiben, aber zu einer wissenschaftlichen Bildung gelangt man nur mit Hülfe der Schreibkunst; Petri 1879 Handb. d. Fremdwörter 378 Graphologie . . die Kunst, den Menschen aus seiner Schrift
kennen zu lernen; 1884 Brockhaus Vlll 301 Graphologie . . oder Handschriftendeutung ist die von dem Abbe Jean-Hippolyte Michon . . so benannte Kunst, die Menschen aus ihrer Schrift kennen zu lernen; Henne-am Khyn 1897 Kulturgesch. VII 306 Graphologie oder Handschriftendeutung; Kretzer 1910 Stehe auf 95 Die Handschrift war außergewöhnlich, klar und deutlich . . und mit Rundungen versehen, die auf Weichheit des Gemüts hindeute-
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Graphologie
ten . . Er verstand sich darauf, denn es war noch nicht lange her, daß er sich mit Graphologie beschäftigt hatte; Voss. Ztg. 17. 10. 1926 Graphologie (Überschr.) Der Laie hält vielleicht noch die Graphologie für eine geheimnisvolle Kunst, der er mit neugierigem Staunen gegenübersteht. Und der Forscher ist von Mißtrauen erfüllt, weil er den gefährlichen Dilettantismus der Graphologie fürchtet; Dtsch. AZ. 6. 2. 1935 Das Zentralinstitut für wissenschaftliche Graphologie hat eine graphologische Beratungsstelle eingerichtet; Münch. N. N. 3. 6. 1942 So haben die letzten Jahre bereits intuitive, experimentelle, mathematische, individualpsychologische, typologische, konstitutionelle, symbolische und andere .. Graphologien gebracht . . eine ganz neue Wissenschaft von der Handschrift . . nennt sich „Exakte Graphologie"; Arbeitgeber 5. 5. 1959 „Graphologie" (Überschr.) .. Dem Fachmann wie dem Laien bietet sich hier eine Möglichkeit, den Menschen besser als sonst zu erkennen. Die vorliegenden Bände vermitteln die Grundkenntnisse der Graphologie .. sowie das Erlernen graphologischer Beurteilung; Stuttgarter Ztg. 12. 4. 1962 Jede Hand schreibt anders (Überschr.) Psychologen besprechen in Heidelberg Neues aus der Graphologie . . Die Graphologie betrachtet sich seit langem als Teildisziplin der im weiten Feld der Erscheinungswissenschaften angesiedelten, von Klages wesentlich mitbegründeten Ausdruckspsychologie; Mannh. Morgen 1. 10. 1987 Die Geheimnisse der Handschrift (Überschr.) Eine Anzahl nicht kontrollierbarer Unwillkürlichkeiten fließt unbewußt in den Schreibvorgang ein. Dadurch erhält jede Handschrift ihren unverwechselbaren Charakter. Die Graphologie entwickelte besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Theorien, die eine möglichst lückenlose Persönlichkeitsbeurteilung aus der Handschrift gewährleisten sollten; Neue Kronen-Ztg. 9. 8. 1997 Rätselraten und Kopfschütteln verursachen bei vielen aber auch neue Wörter wie „Grafologie" (die Wissenschaft der Grafen?) — schreibt man es hingegen mit ph, ist die Lehre und Deutung der Handschrift auf Anhieb zu erkennen; St. Galler Tagbl. 22. 3. 2001 Graphologie im Frauenforum (Überschr.) Annemarie Baumann führt seit einigen Jahren eine eigene Praxis für Graphologie. Sie arbeitet im Auftrag von Unternehmen und Schulen. Ausserdem erstellt sie ihre Persönlichkeitsgutachten auch für Privatpersonen; Mannh. Morgen 23. 10. 2004 Personalabteilungen in den USA haben jetzt ein uraltes Verfahren ausgegraben, um den perfekten Kandidaten für eine Stelle zu ermitteln: die Graphologie. Graphologe/-in, Grafologe/-in: Eckstein 1889 Camilla 16 Der obere Bogen hier am E deutet auf
Kunstsinn . . ich bin schon die vollkommene Graphologin; Voss. Ztg. 17. 10. 1926 gewiß erscheint die Zahl wirklich zuverlässiger Graphologen sehr gering; Berl. Börsenztg. 14. 6. 1932 ein Teil der sich als Graphologen bezeichnenden Schriftsachverständigen besitzt nicht die erforderlichen wissenschaftlichen (physiologischen und psychologischen) Vorkenntnisse und urteilt meist auf Grund der alten Zeichendeutungsmethode; Münch. Abendztg. 19. 6. 1944 Urlaubsgrüße .. mit Tintenstift und weich und locker wie eine Walzermelodie geschrieben. Diese Schrift .. wäre ein Fressen für Graphologen; 2959 Freundin Nr. 4 Die Grafologen, diese unfeinen Seelenschnüffler; Stuttgarter Ztg. 19. 12. 1959 Es ist ein großer Unterschied zwischen einem Graphologen und einem Schriftsachverständigen. Der Graphologe untersucht die Handschrift als individuelle graphisch fixierte Ausdrucksbewegung eines Menschen und beurteilt nach ihr Charakter und gewisse Begabungen ihres Urhebers. Der Schriftsachverständige hingegen vergleicht verschiedene Handschriften bzw. verschiedenartige Schriftstücke auf die Identität ihrer Urheber hin; Zeit 25.10. 1985 Sollten Bonner Behörden künftig auch den Rat eines Graphologen bei der Einstellung ihrer Sekretärinnen einholen?; taz 18. 11. 1989 Lordrichter Lane sprach die Angeklagten jedoch frei, nachdem ein Graphologe Zweifel an der Echtheit der schriftlichen Geständnisse geäußert hatte; St. Galler Tagbl. 15. 10. 1998 Graphologie sei kein Lesen im Kaffeesatz, sondern ein Verfahren, bei dem der Graphologe wichtige Aussagen in bezug auf Persönlichkeitsstruktur wie Vitalität, Wille, Denkweise, Art der Intelligenz, Führungs- und Teamfähigkeit, Antrieb und Kontaktfähigkeit machen könne; Berl. Ztg. 4. 4. 2003 Wir haben hier, dazu muß man gar keinen Grafologen fragen, eine andere Handschrift. Andere Druckbuchstaben, eine andere Kugelschreibermine; Mannh. Morgen 23. 10. 2004 Durch Analyse der Handschrift soll herausgefunden werden, ob der künftige Mitarbeiter zuverlässig und kreativ ist oder gute Einfalle hat. Eine Graphologin in New York hat beispielsweise in den vergangenen drei Jahren einen Geschäftszuwachs von 22 Prozent zu verzeichnen — viele ihrer Kunden sind große Unternehmen. graphologisch/grafologisch: Werner 1908 Heiratsannoncen 146 Sollten Sie, meine Gnädige, mich einer Antwort würdigen, so wäre Ihnen vielleicht vor der Hand mit einem graphologischen Urtheil über meine Person gedient; Meyer 1908 Konversationslex. VIII 763a deutsche graphologische gesellschaft [seit 1896] (DWB); Benjamin 1920 Br. l 241 Diesen Monat habe ich 110 M mit drei graphologischen Analysen verdient; Dtsch. AZ. 6.2.1935
grassieren Das Zentralinstitut für wissenschaftliche Graphologie hat eine graphologische Beratungsstelle eingerichtet; Klages 1941 Graphologisches Lesebuch. Hundert Gutachten aus der Praxis (Titel); Münch. N. N. 3. 6. 1942 Alljährlich versucht eine andere Buchlerche einen graphologischen Frühling zu verkünden; Stuttgarter Ztg. 19. 12. 1959 Sie bringen in Ihrer Ausgabe . . einen Aufsatz unter der Überschrift „Fragwürdige graphologische Gutachten" und bezeichnen darin irrtümlich Schriftsachverständige der Gerichte als Graphologen; Ullrich 1960 Bürger 121 Ebensowenig wie der Arbeitgeber gegen den Graphologen vorgehen kann, wenn sich später herausstellt, daß der graphologisch so günstig Beurteilte ein Betrüger ist, läßt sich etwas gegen ein ungünstiges graphologisches Gutachten unternehmen; Welt 13. 7. 1974 Graphologisches Gutachten mit Psycholog. Beratung . . Dipl.-Psych. Peter Lauster; Mannh. Morgen 1. 10. 1987 Die Ge-
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heimnisse der Handschrift (Überschr.) Unbelastet von Deutungsregeln und Merkmalsuntersuchungen wird der Leser aufgefordert, sich im ganzheitlichen, intuitiven Betrachten und Vergleichen der über 150 abgebildeten Schriftproben graphologische Kompetenz anzueignen . . Um dem Ungeübten das graphologische Sehen zu erleichtern, werden die Schriftproben nach Ähnlichkeitsmerkmalen verschiedenen Gruppen zugeteilt; taz 21. 9. 1991 Der auf Betreiben seines Anwalts eingeschaltete graphologische Sachverständige . . habe bereits verdächtige Unterschiede zwischen der . . Originalunterschrift und den Kringeln auf der Verpflichtungserklärung festgestellt; St. Galler Tagbl. 3. 10. 2001 Erst im zweiten Teil werden die grossen Meister grafologisch „seziert". Und da tauchen sie alle auf, die lebenden und verstorbenen Giganten des Schachs.
grassieren V. intrans., im früheren 16. Jh. entlehnt aus lat. grassari 'losschreiten, hart zu Werke gehen, wüten; herumschwärmen, -schweifen' (Intensivum zu gradi 'schreiten', —» Grad, —> Aggression), spätlat. auch 'wüten, herrschen (von Krankheiten)'; früher vereinzelt auch in der (studentenspr. an dtsch. Gasse angelehnten) Form gassieren. Zunächst in Bezug auf Personen in der veralteten Bed. '(ungezügelt) umherziehen, rücksichtslos, hart vorgehen; ungestüm, heftig wüten, toben (von Soldaten, Räubern, Raufbolden u. Ä.)' (s. Belege 1537-38, 1559, 1562, 1706, 1946; vgl. marodieren), z.B. in eines anderen Gütern grassieren, die Soldateska grassierte im ganzen Land hin und her, auch personifizierend von Gegenständen (s. Beleg vor 1624), und bes. studentenspr. '(nächtens) umherstreichen, -streifen, -schweifen, -schwärmen, Unfug treiben' (s. Belege 1583, 1642, 1665, 1681; vgl. die veralteten studentenspr. Synonyme g(r)assatim gehen, g(r)assaten); seit der 2. Hälfte des 16. Jhs. ausgedehnt auf abstrakte Gegebenheiten und Sachverhalte, bes. Elementargewalten und äußere Ereignisse (Natur-, Hungerkatastrophen, Kriege usw.) (s. Belege 1595, 1699), in Wendungen wie grassierende Hungersnot, die Feuersbrunst grassierte durch die ganze Stadt, und v. a. (nach spätlat. Vorbild, s. o.) zunächst in fester Verbindung mit Pestilenz/Pest, dann auch von anderen seuchenartig verbreiteten Krankheiten in der heute dominanten Bed. 'epidemisch auftreten, um sich greifen, sich ausbreiten; wüten, toben, rasen' (s. Belege 1571, 1582, 1589, 1666, 1715, 1728, vor 1799, 1801, 1841, 1949, 2000; vgl. regieren), z. B. es grassiert eine ansteckende Seuche unter den Rindern, die Grippe grassiert stark/heftig/fürchterlich/schrecklich; seit früherem 17. Jh. übertragen im (leicht) abwertenden, nur vereinzelt auch neutralen (s. Beleg 1802) Sinne, bes. in der Kunst, Literatur, Ästhetik bezogen auf (lästige, schlechte) Gewohnheiten/Laster, (übertriebene) Modeerscheinungen o. Ä., in neuerer Zeit verstärkt bezogen auf negative gesellschaftliche Phänomene (Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Korruption, Krisenstimmung u. Ä.) für '(wie eine Krankheit, Seuche) in Umlauf kommen, sich verbreiten, im Schwange, in Mode, verbreitet sein' (s. Belege 1630, 1674, 1677, 1712, 1778, 1789, 1844, 1857, 1866, 1875, 1880, 1959, 1974, 1985, 1994), z. B als er studierte, grassierten die Genies noch nicht, die Briefmarken-
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grassieren
sammelmanie grassiert in Paris in besonderem Maße, in Berlin grassiert die Gewohnheit des Messerstechens, in Amerika grassiert die Angst vor dem Terrorismus; seit Anfang 17. Jh. häufig in der adj. gebrauchten Part. Präs.-Form grassierend, gelegentlich von Personen (s. Belege 1608, 1636), z.B. grassierende Räuber, meist von Krankheiten (s. Belege 1607, 1611, 1650, um 1670, 1734, 1750, 1801, 1814, 1966), z. B. die weit und breit grassierende Pest, Ruhr, Schwindsucht, die (zur Zeit/jetzt/ hier) grassierende Viehseuche, die in dieser Stadt grassierende Grippewelle, vereinzelt in der konkreten lokalen Bed. (s. Belege 1716, 1867), z.B. der in der Küche grassierende Rauch und häufig übertragen (s. Belege 1780, 1786, 1799, 1835, 1843, 1844, 1853, 1893, 1926, 1949, 1951, 1993, 2000), z.B. die (heutzutage) in Berlin grassierende Bausucht, der allgemein grassierende Unglaube, grassierende Mode, Unkenntnis, Angst, Armut, Hysterie, die extreme Rechte profitiert vom grassierenden Rassismus. Dazu im 18.719. Jh. die veraltete latinisierende Personenbezeichnung Grassator M. (-s; -en, auch -es) 'jmd, der unbekümmert umherstreift/-streunt/-strolcht, ein ausschweifendes Leben führt; Strolch, Streuner, Landstreicher' (—» Brigant, vgl. Gardeknecht, -bruder, —> Garde b, Marodeur, —> marodieren, —» Vagabund), sowie die subst. Ableitung Grassation F. (-; -en) für 'Überhandnähme, das Hinreißen; Herrschen, Wüten'. grassieren: Luther 1537-38 WA XLVl 607 darumb hat der Türcke auch also grassirt und gewütet, auch alles eingenomen (DWB); 559 Briefw. d. Herzogs Christoph v. Wirtemberg IV 719 Anm. [Gott gebe] das sie [die Katholiken] nit also in Blindheit beharren und auch in die toten [gegen verstorbene Protestanten] grassieren thun (DWB); Menius 1562 Chronica Carionis H 182a so begab sichs auch, das bald nach des keisers Leonis tode Odoacer der Rugianer könig inn Welschland einfiel, und gantze 14 jar grausamlich darin wütet und grassiret (DWB); Roi 1571 Diet. 315 Grassirn . . Wüten/ toben/ vngestüm sein/ wüllen/ grewlich durch gehn. Als/ die pestes haben im 62. Jar an vilen orten grewlich grassiert; Rhode 1582 Neidteufel (Theatrum Diabolorum 99 ) da kein Pestis grassiret; 1583 Nordhäuser Schulordn. Mitt. II 104 Unsere Schüler sollen . . alles nächtliche gassieren . . gantz und gar vermeiden (NYSTRÖM); Nigrinus 1589 Papist. Inquis. 223 als die pestilentz da grassierte, sollen bey die achtzig menschen vnter dem singen [einer Litanei] den geist auffgeben haben (DWB); Lewenklaw 1595 Neuwe Chronica türck. Nation 139 [Feuer] welches . . durch die gantze statt grassiert vnd vmb sich gefressen (DWB); 1598 Orientalisch Indien II 2 alda er in ein Schwachheit fiel, welche zu der zeit durch gantz Spanien grassirte . . an welcher vieltausent tot blieben; Privatus 1598 Remigius Daemonolatria 60 Obwohl der Sathan . . die Menschen durch jnnerliches vnd heimliches grassiren . . treibet; Geizkofler um 1600 Lebensbeschr. 110 Weil aber damals die sterbende läuff [Pest] zu Trient angefangen zu
grassiren, haben sie . . zurückziehen müssen; Böhme vor 1624 S. W. VII 487 denn das schwert gottes zornes wird mächtig grassiren, und an leib und seele gesetzet werden (DWB); Ammann 1630 Reise ins Hl. Land o. S. des . . Strebertums, das im Osmanenreiche, wie kaum anderswo, grassierte; Moscherosch 1642 Gesichte I 348 [Studenten] welche jhrer eitern sauren schweiß mit . . fressen vnd sauffen, mit spielen vnd grassiren, mit buhlen vnnd stoltziren . . durchjagen vnd verzehren (DWB); 1665 (Samml. würzb. Landesverordn. l 272a) [Studenten] so sich ihrer Nothdurft und Gelegenheit nach allhier aufhalten [wird befohlen] dass dieselben sich hinführo dieses nächtlichen Grassirens und muthwilligen Herumlaufens allerdings [enthalten]; Prätorius 1666 Anthropodemus l 189 daß . . die seuche dermassen unters vieh grassire, daß auch die stärckesten ochsen vorm pflüge unvermuthet niederfielen (DWB); Abr. a S. Clara 1674 Neue Predigten 106 in Österreich, alwo for 60 70 Jahren eben gedachte irtum [des Protestantismus] seint grassiert (DWB); Butschky 1677 Pathmos 675 ehrsucht ist das älteste laster, und grassiret durch alle stände (DWB); Riemer 1681 Stockfisch 5b des Nachts in Mannes-Habit auf der Gasse mit vollen Kerlen herum grassiren; Lehmann 1699 Hist. Schauplatz 293 anno 1692 ergoß sich ein gewaltsamer wettersturm über die Ingol- und Johan Georgen Stadt, welche . . mit grosser gewalt bey gedachter Stadt vorbey grassirte (DWB); Gundling 1706 Otia II Vorr. 5b dass in Spanien alle gute Gelehrsamkeit fast darnieder lieget; aber du weist auch wohl, dass die Inquisition darinnen grassire, und
grassieren die behende Verketzung ehrlicher Leute daran schuldig seye; Prambhofer 1712 Traum-Ges. 326 Die Ehrsucht ist ein General und allgemeine Pest/ die alle ansteckt/ und durch die gantze Welt grassirt; 1715 Berl. geschr. Ztgn. 17 die hietze Fieber und andere kranckheiten grassiren hier starck und nehmen viele leute weg (DWB); Belemnon 1728 Bauernlex. 84 Grassiren. Wüten, toben, fortfahren, einreissen, so von grossen und gifftigen Seuchen gesagt wird; Mittelberger 1756 Pennsylvanien 12 Seuchen . . grassiren; Hippel 1778 Lebensläufe II 220 mein vater hatt die gewohnheit nicht angenommen, die häufig graßirt, das griechische zu verlateinen (DWB); Hermes 1789 Für Eltern III 173 Seit der Obristinn Krankheit .. grassirt das Frühaufstehen fürchterlich; 1790 Journal v. u. f. Deutschland // 183 eine Zeit, da der sogenannte Kraftstil in einigen Gegenden in Deutschland grassirte; da wimmelte es von Kraftgenies, die alle mehr dachten als sagten; Lichtenberg vor 1799 Er. l 54 daß in Göttingen eine ansteckende seuche grassire (DWB); Schiller 1801 Br. VI 319 mein kleiner Ernst hat in diesen tagen die masern, die hier sehr stark grassieren (DWB); Goethe 1802 Br. (WA IV 16,115) das Vorspiel habe ich nochmals durchgesehen und es an Cotta abgeschickt, es mag nun auch in der weiten Welt grassiren; Heine 1835 Romant. Schule 181 Diese flache Art und leichte Weise grassiert heutigen Tags in Deutschland eben so gut wie in England und Frankreich; DrosteHülshoff 1841 Br. I 484 hier hat das nervenfieber schrecklich grassiert (DWB); Hahn-Hahn 1844 Oriental. Br. I 96 Das Talent wuchert, es grassirt, es befällt unmündige Kinder, es scheint eine Art von Krankheit zu sein; Keller 1857 Br. u. Tagebücher II 434 die bildungssucht in Zürich grassiert immer fort, alle wochen wenigstens zwei Vorlesungen vor damen und herren (DWB); Oppenheim 1866 Verm. Sehr. 197 Am ärgsten grassirt die Ausländerei unter den Deutschen im Auslande; Laube 1875 Ges. Sehr. IX 42 das wort künstlet grassirt sehr in Wien (DWB); Seidel 1880 Vorstadtgesch. 142 um diese zeit grassirte in diesen romantischen erzeugnissen [der Romanliteratur] der junge professor oder sonstige hochgebildete mann, der . . gegen Frankreich ins feld zieht (DWB); Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. Xll 696) Dozenten des Irrationalen, wie sie im Deutschland des heraufkommenden Nationalsozialismus massenweise grassierten, erziehen das Volk zum moralischen Sansculottismus und zur Stumpfheit gegen alle Greuel; Klemperer 1949 LTl 220 seuchen sollen ja immer dort am heftigsten wüten, wo sie zum erstenmal grassieren (DWB); Neues Deutschi. 8. 3. 1959 Im Ruhrgebiet grassiert die Angst . . Die Löhne sinken unter die Fürsorgesätze; Welt 26. 8. 1974 in der Bundesrepublik grassieren, wenn
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auch mit unterschiedlicher Intensität, Inflation und Arbeitslosigkeit; Zeit 15.3. 1985 jene Stimmung, die seit dem Wahltag grassiert: die Grünen haben ihren Höhepunkt überschritten; taz 13. 1. 1994 Die Bundesrepublik erlebt die schwerste Wirtschaftsund Strukturkrise. In allen Industriestaaten grassiert eine wachsende Massenarbeitslosigkeit; ebd. 3. 7. 2000 wenn Seuchen entstehen, Aids grassiert und Hunderttausende früher sterben. grassierend: Federer 1607 Rothe Ruhr. Rathschlag, von jetz [!] grassierender Epidemischer Rothen Ruhr (Titel); Peccenstein 1608 Theatrum Saxonicum III 75 und unter sich ein brüderliche verbundnuß, wider die grassirenden räuber und andere jhre künfftige feinde gemacht (DWB); Schleher 1611 Bericht A3b grassierender Pestilentz; 7636 (Dtsch. Ztg. 17. ]h. 75) den Confederisten vnd noch im Römischen Reich grassirenden Schwedischen Partheyen; 1641 Urkunden u. Aktenst. z. Gesch. d. Kurf. Friedrich Wilhelm v. Brandenburg V 141 bei gegenwärtigen allenthalben in Deutschland grassirenden kriegswesen (DWB); Moscherosch 1650 Gesichte H 478 das podagram ist nicht eine so grausame, allgemeine, grassirende, grewliche . . kranckheit, als andere seyn möchten (DWB); um 1670 Gepflückte Fincken 7 aus Furcht und Abscheu der grassirenden Seuche; Marperger 1716 Küchendict. 945 den in der Küche hefftig grassirenden Rauch; 1734 Last am Rhein-Strom 70 starck grassirende Pestilenzialische Seuche; 1750 Leipz. Samml. VI 1004 bey grassirenden Viehstaupen; 1779 Hufelands Journal XXIX 1,89 grassirende Rötheln; Schubart 1780 Originalien 100 die grassierende Unkenntnis der Alten; 1786 Journal d. Moden 93 mit der damals grassierenden Empfindung behaftet; Thümmel 1791 Reise IX 38 daß er die hier grassirende poesie zu hülfe nahm (DWB); 1799 Berlin. Archiv I 534 den grassirenden Kantianismus; 1801 Ztg. f. Naturforscher III 110 die jetzt in Süddeutschland grassirende Viehseuche; Reichard 1814 Passagier l 73 grassirenden Krankheiten; Gutzkow 1835 Vorr. z. Schleiermacher, Br. Luc. XXX grassirende Unschuld; Steinmann 1843 Mefistofeles IV 43 bei der choleraartig grassirenden Manie der [Buch-]Ausgaben in einem Bande; Hahn-Hahn 1844 Oriental. Br. II 61 das seit langen Jahrhunderten grassierende Märchen: [die Juden] brauchten Christenblut zu ihren religiösen Ceremonien; 1853 Prutz' Museum H 260 der jetzt grassirenden Denkmalssucht; Hildebrandt 1867 Reise I 110 das gräuliche Wetter der letzten Tage hatte die überall grassirenden Ameisen an das Haus gefesselt, und sie waren in ihrer Muße über die Bibliothek des Consuls gerathen; Fliess 1893 Miasmen 22 die unter den slavischen Ureinwohnern grassirenden Laster des Trunks und des
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Gratifikation
Spiels; Dehio 1926 Kunst III 353 die einsiedlerabteien . . waren im zweiten und dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts eine an den deutschen fürstenhöfen grassierende mode (DWB); Dörfler 1947 Sohn 22 das grassierende Bettelwesen, das parasitische Streunerwesen, das vagierende Volk der Strassen; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 505) daß ich mich weigere, an der grassierenden Hysterie der Kommunistenverfolgungen teilzunehmen; 1951 Wort u. Wahrh. VI 1,1 Dieser grassierende Fatalismus [dass Europa zu Grunde geht] scheint nicht ohne Rechtfertigung; FAZ 27. 1. 1966 Das Presseamt des Zonenministerrats begründet die Beschränkungen damit, daß ein Übergreifen der in der Bundesrepublik und mehreren westeuropäischen Ländern grassierenden Maul- und Klauenseuche auf den Tierbestand der Zone verhindert werden solle; Schipperges 1985 Garten 85 erschwerend wirkten sich die oftmals grassierenden Hungersnöte aus; taz 4. 12. 1993 Die allseits grassierende Korruption, eine lange illegale Tradition und große soziale Gefalle prädestinierten Kolumbien regelrecht zur Drehscheibe des Kokainbooms; Salzb. Nachr. 10. 6. 2000 die grassierende „Fusionitis" richte in den meisten Fällen nur Schaden an, sie sei mit wirtschaftlicher Vernunft nicht begründbar.
Grassation: Basedow 1768 Vorstellung 34 Grassationen der Pursche [Studenten]; 1835 Hygea II 393 Im Herbst 1834 war auch Upsala von einer extensiv-gelinden Grassation der orientalischen Cholera heimgesucht; 1837 ebd. VI 503 Die Grassation der Influenza war auch so allgemein, dass wohl mehr als die Hälfte der Population daran litt; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 326 Grassation . . die Überhandnähme, Hinreißen, Herrschen, Wüthen; Nyström 1915 Schulterm. 224 Anm. Da in der Regel die Gasse der Schauplatz der nächtlichen 'Grassationen' war, wurde scherzhaft statt grassieren, grassatum, grassatim, grassaten auch (nacht)gassieren, gassatum, gassatim, gassaten gesagt. Grassator: 1739 Etwas v. Rostockschen Sachen 173 Es werden Grassatores beschrieben als solche Frey-Beuter, die von den Strassen-Räubern darinn unterschieden, dass sie niemand tödten umbs Raubes willen. Sie heissen auch sonst Gardende Knechte, Taschen-Klopfer; Herrig nach 1838 Archiv XXXIX 161 schliesslich Günther, der unselige, früh verwelkte Grassator; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 327 Grassator . . Herumschwärmer auf den Straßen.
Gratifikation F. (-; -en), seit Anfang 16. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus (flekt. Form von) lat. gratificatio 'Gefälligkeit, Willfährigkeit' (zu gratificari 'sich jmdm. willfährig erweisen, gefällig zeigen, ihm eine Gefälligkeit erweisen', aus gratus 'erwünscht, willkommen, angenehm' und facere 'machen, tun'; —»· Grazie, —* Faktum, —» Fazit), früher auch in der lat. (flekt.) Form und in der Schreibung Gratifikazion. Zunächst bes. im kaufmännischen und militärischen Bereich in der Bed. 'im Voraus oder nachträglich entrichtete, einmalige, außerordentliche freiwillige (Geld-)Zuwendung, (geldwerte) Vergünstigung, (Ehren-/Werbe-)Geschenk (als Anerkennung erbrachter oder Anreiz für zu erbringende Arbeits-/Dienstleistungen, erwartete oder erwiesene Gefälligkeiten o. Ä.); Hand-, Trinkgeld' (—»· Extra, —>· Obolus, —»· Rabatt), in Wendungen wie die ihm gnädigst bewilligte Gratifikation von fünf Talern, mit lukrativen, materiellen Gratifikationen nachhelfen, als Gratifikation für seine Bemühung, seltener und heute ungebräuchlich 'Gefälligkeit, Freundschaftsdienst, Unterstützung' (s. Belege 1682, 1709, 1727) und 'als laufende Vergütung, Entgelt für eine (regelmäßig) erbrachte Leistung, Tätigkeit (vertraglich) vereinbarte (jährliche, monatliche, tägliche, einmalige) Zahlung' (s. Belege 1798, vor 1805, 1857; —» Apanage, —» Gage, —» Honorar, —* Sold), z. B. gegen eine tägliche Gratifikation von drei Francs, einen Auftrag gegen Zahlung einer Gratifikation übernehmen, seit Mitte 19. Jh. und dann zunehmend arbeitsrechtlich präzisiert auf '(tariflich festgesetzte) Sonderzuwendung, finanzielle Zulage, die dem Untergebenen/Arbeitnehmer aus bestimmten Anlässen (Jubiläen, Weihnachten u. Ä.) neben der eigentlichen Arbeitsvergütung gewährt wird' (s. Belege 1853, 1893, 1931, 1950, 1963, 1970, 1989), z.B. eine Gratifikation (am Jahresende) bekommen, erhalten, (aus-)zahlen, junge Firmen
Gratifikation
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geben keine Gratifikation aus, wann besteht die Pflicht zur Zahlung einer Gratifikation?; Abschluss-, Extra-, Jahres-, Mindest-, Sonder-, Spezial-, Treue-, Winter- und v. a. Weihnachtsgratifikation 'Geldgeschenk an die Angestellten zu Weihnachten'; Gratifikationszahlung, -aufschub, -abgäbe, -höhe, -modell, -schema, -system; in jüngster Zeit vereinzelt auch im übertragenen Sinne 'Dank, Anerkennung, Belohnung' (s. Belege 1998, 2001, 2004), z. B. eine Art politische Gratifikation, als Gratifikation für Bürgerarbeit. Dazu seit späterem 16. Jh. die auf lat. gratificari (s. o.) zurückgehende verbale Ableitung gratifizieren V. trans, 'jmdm. etwas (gesondert) zuwenden, vergüten, bezahlen, jmdn. entlohnen, auszahlen' (vgl. honorieren, —» Honorar), früher auch 'jmdm. willfährig, zu Diensten, gefällig sein; jmdn. begünstigen, jmdm. Dank, Anerkennung, Genugtuung, einen Gefallen erweisen, ihm etwas lohnen, danken' (s. Belege 1570, 1641, 1652, um 1663, 1675, 1711, 1727). Gratifikation: 1514 (Schulte, Fugger in Rom H 87) zue dangbarkait und gratification bescheener postulation (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Beer 1677—79 Welt-Kucker 36 er bedanckt sich meiner gratification (CARMESIN); Beer 1682 WinterNächte 337 Hierauf eröffnete ich dem Studenten meine Meinung und schickte ihn mit einem Recommendation-Schreiben an den Caspar, weil er ihm zu seinem Vorhaben bestermaßen konnte beförderlich sein und ihm auf eine Pfarr zu helfen gar wohl vermochte. Er bedankte sich wegen meiner Gratification; Abr. a S. Clara 1689 Judas U 11 verspricht nit nur allein alle Reis'- und Führ-Unkosten abzustatten, sondern noch darzu eine beliebige Gratifikation zuzusetzen (DiBi 125); Wächtler 1709 Manual 148 Gratification, Willfahrung; 1717 Berl. geschr. Ztgn. 5 der könig hat ihm auch keine equippage-gelder accordiren wollen und bekömpt monatlich nicht mehr als 150 rthlr., da doch der baron von Knyphausen 400 rthlr. und noch extraordinaire gratificationes gehabt (DWB); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 282 Gratification, Willfahrung, Dienst-Erweisung; Lucian 1788 W. I 134 sie . . zittern, und fürchten sich vor dir, und suchen dich durch Gratificationen aus dem öffentlichen Schatze bey guter Laune zu erhalten; Schiller 1798 Br. V 355 da er [der Verleger Göschen] . . den gedanken aufgegeben, eine pracht-edition von dem Carlos zu machen, so ist er vielleicht zu bewegen, daß der Carlos in 3 oder 4 jähren wenigstens in unserer Sammlung, gegen eine gratification an ihn, mit darf abgedruckt werden (DWB); ders. vor 1805 S. W. 1 525 Friedrich Schiller erbietet sich gegen eine jährliche gratifikation von 50 ducaten eine dramaturgic . . zu liefern (DWB); Blücher 1815 Br. 299 Vor der Armee habe ich alles bewirkt; sie wird ganz eingekleidet und erhält 2 Monat Traktament Douceur, und der Subalternenoffizier noch 50 Taler Gratifikation; Buchholz 1821 Taschenb. 163 daß bei demselben [Kriegsministerium] jährlich be-
deutende Gratifikationen von 2000 bis 6000 Gulden vertheilt würden; Schall 1825 Wahl (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele V 26) (. . gibt dem Diener einen Dukaten) Fuchs, hier hast Du Deines Gleichen! das ist nicht Gage, sondern Gratification — das heisst etwas Extraes; Heine um 1830 Reisebilder (W. u. Br. Ill 440) als ich Old Bailey besuchte, fand auch ich Platz auf einer solchen Galerie, die mir von einer alten Pförtnerin gegen Gratifikation eines Schillings erschlossen wurde (DiBi 125); Grillparzer 1832 Aktenbücher (VI 93) Ich erlaube mir daher sowohl für die Einen als für die Ändern auf Ertheilung einer Gratifikazion . . aus den bei der heurigen Archivs-Reinigung ersparten Geldern gehorsamst anzutragen; 1842 Naturgesch. d. dtsch. Studenten 135 um eine mögliche Erhöhung seines Wechsels oder wenigstens irgend eine Extragratifikation zu erlangen; Scholl 1853 Fuhrer 16 Eine sehr gute Art der Belohnung, welche . . die an der Maschine und den Kesseln Angestellten zur Erreichung von allem nur Möglichen anspornt, ist die der freiwilligen Gratifikation von Seite des Besitzers, z. B. am Jahresschlüsse und bei anderen Gelegenheiten; Spielhagen 1857 Engl. Charakterzüge (Übers.) l Die Gratification [für Vorlesungen] stand auf gleicher Höhe mit dem Honorar, welches zu jener Zeit bei uns für dergleichen Dienstleistungen gezahlt wurde; Raabe 1864 S. W. / 6,282 man hatte [in Hallstatt] eine eigentümliche Vorrichtung getroffen, um die aufgedeckten gräber mit ihren gerippen zu konservieren und sie dem neu- oder wißbegierigen publikum gegen eine gratifikation vorführen zu können (DWB); Weigel 1893 Gedenkschr. d. Thür. Gasgesellschaft 23 Weihnachtsgratificationen; Poppenberg 1913 Rokoko 47 der Herzog erklärte sich bereit, ihn „bei völliger Übergabe des Arkani mit einer besonderen Gratifikation von 100 Dukaten gnädigst konsolidieren zu wollen"; Grüne Post (Berlin) 4. 1. 1931 In vielen Betrieben Deutschlands besteht der Brauch, alljähr-
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Gratifikation
lieh den Angestellten zu Weihnachten ein kleines Geldgeschenk zu machen . . Für treue Dienste sollen die Mitarbeiter . . eine besondere Anerkennung in Form der sogenannten Weihnachtsgratifikation erhalten; NZ. (Basel) 26. 6. 1949 die „Frische Luft Gratifikation" wie man die Ferienzulage in Frankreich so hübsch nennt; Süddtsch. Ztg. 15. 12. 1950 Unsere Arbeiter und Angestellten bekamen die gleiche Gratifikation wie im Vorjahre . . Die Höhe der Zuwendung richtet sich nach der Zeit der Zugehörigkeit zum Betrieb und dem Verdienst; ebd. 4. 1. 1963 Das Weihnachtsgeschäft und der JanuarZinstermin machen den Geldmarkt flüssiger; von mancher Gratifikation wird ein Teil zurückgelegt; FAZ 28. 6. 1970 Deshalb wäre es mit dem Gesetz nicht vereinbar, wenn beispielsweise die Weihnachts-Gratifikation für 1970 bereits im Juli ausgezahlt würde, weil der Anspruch darauf erst im Dezember und nur für die im Dezember bei dem Unternehmen tätigen Arbeitnehmer entsteht; taz 24.11. 1989 Boeing: Weihnachtsgeld statt Arbeitskampf . . Umwandlung von Gratifikationen in feste Lohnerhöhungen nicht durchgesetzt; Berl. Ztg. 2. 1. 1998 Die enorme Gratifikation der moralischen Rechthaberei gibt's ganz gratis dazu; Presse 1. 4. 2001 Die autoritäre Schule mit ihrer „schwarzen Pädagogik" stützte sich auf Sanktionen; nur Gratifikationen jedoch motivieren nachhaltiges Lernen; Süddtsch. Ztg. 15./16. 5. 2004 Während die Frauen das zusammengeraffte Geld ausgeben, beanspruchen die Männer als Gratifikation für ihre Leistung die Geliebte. gratifizieren: Halverius 1570 War/?. Beschr. U 329 vnd doch hiezwischen [= inzwischen] dem gemeinen nudz vnd etlichen eintzigen knechten, als [= indem] sie [die Behörden] durch die finger sahen, vnd die hinziehenden nicht auffhielten, listiger weiß gratificieren vnd gnug thun wollten (DWB); Wedel um 1600 Hausbuch 78 den Städten in erlassung des halben zolls zu Wolgast, und in mehrem ändern gratificiret; 1603 (1894 Hanseat. Gesch.Quellen Vll 38) baldt nach mittage haben die Lubecenses [eine lübische Gesandtschaft auf dem Durchzug nach Moskau] mir [dem Danziger Stadtsekretär Mittendorff] zur andtwortt gegeben, das sie wegen habender befelich .. e. e. radt dieser Stadt nicht gratificiren könten (DWB); Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 64 Mit deme/ was solche Officier jhrem Herren stehlen . ./ köndten sie sechs Diener gratificiren; Furttenbach 1627 HalinitroPyrobolia Vorr. daß ich mit diesen principiis, vnd leichterem Vnterricht meinen Wolbesagten Hochgünstig-Geneigten Fautorn müglichst zu gratificirn gewünschet; Perez 1627 Landstörtzerin II 181 daß sie jhre Lieb heimlich halten vnd gleichwohl ihren Liebhabern gratificiern könne; 1636 (Bolte 1895
Danziger Theater 65) bitten wir vnterthänigstes, vns morgendes Tages Dienstages . . hochgünstig aus gunst Eines Ehrnuesten hochweyßen Raths mögte gratificiret werden; 1641 Urk. Kurf. Priedr. Wilh. v. Brandenburg I 766 Nun hätten ihre kais. Maj. die Dienste und Meriten des Grafens zu consideriren und möchten ihm gerne gratificiren; Abelin 1652 Theatrum Europaeum I 414a [Offiziere des Königreichs] deren etliche nur darauff sahen, wie sie ihren brüdern und freunden gratificiren . . möchten (DWB); Gryphius um 1663 Trauersp. 474 demnach nun die Schotten gekommen und in norden gute dienste geleistet, erachtete man für gut, sie mit selbigem blute, darnach ihnen so hefftig gedurstet hatte, zu gratificiren (DWB); Weise 1675 Kl. Leute 97 Ich habe eine Hochzeit vor mir/ da wollte ich gerne das Ansehen von ändern haben; derhalben wirstu auch desto williger seyn/ mir zu gratificiren; Wächtler 1709 Manual 148 Gratificiren/ willfahren . . ich verhoffe/ sie werden mir hierinne gratificiren; ich will ihm schon damit gratificiren; Marperger 1711 Beschr. d. Messen II 88 Geschehe es, daß der/ so zahlen soll/ den WechselBrief bis zur gesetzten Zahlungs-Zeit zurück zu behalten/ verlangete/ soll ihm der Inhaber darinne gratificiren; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 282 Gratificiren, zu Willen werden, zu Gefallen thun, willfahren; Boltz 1752 Amts-Actuarius 56 Als hat man in Absicht der vorkommenden Circumstantien mit der gebetteten Amtlichen Approbation hierdurch zu gratificiren keinen Anstand gefunden; Schollenberg 1778 Anm. 34 daß sie sich von den Gemeinwaldungen gleichsam als Herren geriren, und jene, welche ihnen besser in die Büchse blasen, mit der Holzabgabe nach eigenem Gefallen gratificiren, zu dörfen sich befugt glauben; Wieland 1781 Abderiten (W. H 259) die Abderiten wöchentlich viermal mit Schauspielen zu tractieren . . und überdies noch die beiden untersten Classen der Zuschauer bei jeder Vorstellung viritim mit einem Pfennigbrot und zwo trocknen Feigen zu gratificieren (DiBi 125); Campe 1813 Premdwb. 342 Gratificiren, verwilligen, verehren; Heyse 1838 Premdwb. 464 gratificiren, begnadigen, begünstigen, willfahren, verehren, belohnen, beschenken; Baur 1842 Dreieinigkeit u. Menschwerdung Gottes II 653 Wenn der Verstand dem göttlichen Willen ein Gesez [!] vorhält, wie z. B. daß, wer glorificirt werden soll, vorher gratificirt werden muß, so ist das Gesez recht, wenn es dem freien Willen Gottes gefällt, und ebenso verhält es sich mit ändern Gesezen (DiBi 125); Strauß 1856 Priscblin 340 f. Wenn es menschlich und möglich, so wollte man dem Herzog gern gratificiren, aber es gehe nicht; Sanders 1871 Premdwb. l 457 gratificieren . . Einem Etwas aus Gunst verehren, schenken; ihm einen Gefallen erweisen; Strittmatter 1957 Wundertäter 229 Ich
gratis hatte vor, dir mehr als zehn Mark Zulage für deine Sonderleistung . . zu gratifizieren (DUDEN 1999); taz 8. 12. 1990 Sie [die Jugend] wird schlecht bezahlt, ausgebeutet und darf an dem ausgeklügelten Verteilungsprinzip noch nicht teilhaben. Es ist ein Seniorensystem, das die Menschen nach ihren Dienstjahren gratifiziert; ebd. 5. 3. 1996 Besonders erfolgreiche Anstrengungen werden mit Anerken-
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nung und Orden gratifiziert; Frankf. Rundsch. 5. 5. 1998 die bewundernswerte, oft belastende und finanziell nicht gratifizierte Mitarbeit von niedergelassenen Ärzten an allgemeinmedizinischer Forschung; taz 23. 5. 2005 Gratifiziert wurden sowohl [beim Grand Prix d'Eurovision] Disko, Ethno, jugoslawische Halbfolklore und überhaupt zeitgenössische Unterhaltungsmusik.
gratis Adv., Mitte 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. lat. gratis (kontrahiert aus gratiis, Ablativ PL zu gratia 'Gunst, Gnade; Freundlichkeit; Dank, Erkenntlichkeit', also eigentlich 'aus Gunst, Freundlichkeit, um des bloßen Dankes (und nicht einer Belohnung) willen'; —> Grazie, —* Gratifikation, —»· Gratulation). In der Bed. Ohne Entgelt, Bezahlung, Gegenleistung (zu erhalten/verlangen), umsonst, kostenlos, unentgeltlich; aus Freundlichkeit/Gefälligkeit, gefälligkeitshalber, als Geschenk, schenkungsweise' (—» franko), anfangs und vereinzelt noch im 20. Jh. (mit direkter Beziehung zu gratia) religiös gedeutet 'aus/mit der Gnade Gottes, gnadenhalber' (s. Belege 1566, 1932 — 33), vereinzelt auch 'vergebens, umsonst' (s. Beleg 1688), schon früh und bis ins 19. Jh. häufig im universitären Bereich (s. Belege 1558, 1773, 1780, 1792, 1884), z. B. eine Vorlesung vor Studenten publice und gratis abhalten, alle Kollegien gratis lesen; Gratishörer (bei einer Universitätsvorlesung), seit Mitte 20. Jh. auch im Börsenwesen (s. Belege 1959, 1965, 2005), z.B. Gratisaktien 'kostenlose Neuaktien, die (als Gewinnausschüttung) anteilig an die Besitzer der Altaktien ausgegeben werden, Zusatz-, Berichtigungsaktien', heute überwiegend in den Bereichen Dienstleistung, Einzelhandel und Werbung, in Wendungen wie etwas gratis bekommen/hergeben, Lebensmittel gratis an die Armen verteilen, der Besuch des Informationsabends ist gratis und unverbindlich, gratis und franko, es ist nicht einzusehen, dass die Benützung der Autobahn gratis sein soll, die Broschüre ist beim Tourismusverband gratis erhältlich, das 100. Exemplar, die ersten drei Ausgaben gratis erhalten und als Bestimmungswort in Zss. wie Gratis-Gage 'monatliche Extragratifikation der Offiziere (zu Beginn eines Feldzugs)', Gratisabgabe, -angebet, -auskunft/'information, -behandlung, -broschüre, -exemplar, -fahrt, -gutschein, -kaffee, -(eintritts-)karten, -konzert, -leistung, -mahlzeit, -parken, -teilnähme, -Verpflegung, -Vorstellung, -Werbung, -zugäbe. 1558 Heidelb. Statuten 44 das nun furtan in diser faculteten der theologi zu iedem halben iar ordinarie ein disputation furgenomen und gratis, ohne beschwerung und entgeltnus des respondenten gehalten werde; Mathesius 1566 Luther 117a das heisset denn auß gnaden, gratis, nicht auß vns selber; ebd. 149a da vns Gott seines Sones gehorsam vnd gerechtigkeyt, gratis vnd allein durch den glauben, wie Abraham, zurechnet; 1588 Heidelb. Statuten 223 es were dann sein naher verwandter und guter bekanter freund, den er gratis und freundschaft halber herberig gebe; Guarinonius 1610 Greuel 831 gratis oder vmbsonst tractiern; Hainhofer 1611 Relation 111 allweilen Ihnen iedermann, sonderlich die Würth vnd Bierbrawen gratis darzu [Klosterbau und -bewirtung] geholffen; 7629 Kälberarzt 64 der
Teuffei kans auch vnd lehret seine Schüler gratis, vergebens vnd vmb sonst; Abr. a S. Clara 1688 Auf, auf ihr Christen 56 Petrus hat ein gantze Nacht gefischt . . vnd nicht ein . . Fischel erhalten, er hat nicht ein Grätel bekommen, deßwegen gratis gefischt; 1716 Bert, geschr. Ztgn. 18 dem raht Gundling hat der könig auf die erste canonical[-stelle] des besten stiffts zu Halberstadt expectiviret und die marinengebühren und expidition gratis gegeben (DWB); Belemnon 1728 Bauernlex. 84 Gratis. Umsonst, ohnentgeltlich; Göiz v. Berlichingen 1731 Lebensbeschr. 154 f. und wolt gleichwol. . uns beyd auslösen und Geld geben, aber wir waren nit dergestalt da, sondern wollten ihme vergebens . . dienen . . (Anm.:) D. i. umsonst,gratis; Breitinger 1740 Dichtkunst H 114 Wie dann noch heut zu Tag an einigen
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gratulieren
Orten in der Schweitz vergäbe« für . . gratis, d. i. ohne Absicht auf einige Wiedergeltung gebraucht wird; Boltz 1752 Amts-Actuarius 131 Sie mögten Gnädigst geruhen, mir .. erst-specificirtes Bauholtz aus einer nahe gelegenen Waldung gratis verabfolgen zu lassen; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 179) den Herren Rectoren und Conrectoren in jedes Dutzend Exemplare, die ihre Schüler verbrauchen würden, das dreyzehnte gratis obenein zu versprechen; Michaelis 1773 Raisonnetnent III 253 [Vorlesungen] publice und gratis; Mozart 1778 Er. l 162 ich hoffe, sie [der Vater] werden mir die gefälligkeit erweisen und mir selbe [Arien] schicken; aber gratis das bitte ich sie, sie thun wahrlich ein gutes werk (DWB); Schlözer 1780 Briefw. histor. Inh. VI 140 f. was aber ein Docent publice und gratis lieset, darüber darf ein anderer Docent ein priuatissimum halten; 1783 Wiener. Musenalmanach 164 Ein Mädel, das dich gratis küsst; Laukhard 1792 Leben I 79 Gratis-Zuhörer; ebd. 171 Diese Vorlesung war gratis; 1804 Almanach f. Leckermäuler 210 da wir selbst nie so glücklich gewesen sind, Teilnehmer solcher Gratisspenden zu seyn; Goethe 1816 Literatur (WA l 41.1,82) Diejenigen, welche sich dem Sammeln der Subscribenten, der Einziehung der Gelder und Abgabe der Exemplare unterziehen wollen, erhalten auf sechs Exemplare das siebente gratis; Heine 1822 Br. a. Berlin (W. u. Br. Ill 543) Ich habe im vorigen Briefe eine hiesige Redoute beschrieben. Sie unterschied sich diesmal nur dadurch, daß keine schwarze Dominos zugelassen wurden,.. daß man sich um ein Uhr im Saale demaskieren konnte und daß die Einlaßbillette und Erfrischungen gratis gegeben wurden. Letzteres war wohl die Hauptsache (DiBi 125); Jäger 1835 F. Schnabel 378 Mädchen und Bier . . Beide waren wohlfeil, oft bekam man dieses durch jene gratis; Kohl 1841 Petersburg 617 Der russische Kaufmann . . würde gewiß nie einen amerikanischen Dampfschiffahrer nachahmen, der jahrelang Passagiere von einem Orte zum anderen gratis transportirte; 1856 Bericht Paris. Ausst. 673 daß alle diese Werke . . solchen Studirenden, welche sich durch besondere Talente bemerkbar machen, vom Staate gratis verabfolgt zu werden pflegen; Raabe 1864 Hungerpastor 207 was man . . in einer Bude auf dem Jahrmarkt für seine Groschen sieht, das werdet Ihr gratis zu sehen kriegen; Rindfleisch 1870 Feldbr. 3 eine Badekur samt Fußreise hat man gratis dazu; Keller 1884 Br. u. Tagebücher III 473 auch an der Universität besteht seit jähren keine ordentliche professur für deutsche literatur, während drei bis vier privatdozenten beinahe gratis lesen
(DWB); Schneegans um 1890 Memoiren 292 Herr Teutsch machte nun von diesen Erlaubniskarten Gebrauch und reiste gratis — zu seinem Vergnügen und im Interesse seiner Geschäftsangelegenheiten — drei Jahre in Deutschland umher; 1911 Grenzboten 1169 Er braucht nur sein Eintrittsgeld zu zahlen, . . die Tasse Kaffee im Kaffeehaus, zu der er die Zeitungen und Zeitschriften gratis geliefert bekommt; Dombrowski 1919 System 182 Unter dem harmlosen Titel 'Mitteilungen' werden den Zeitungen dauernd Nachrichten und Marine-Artikel gratis und franko zur Verfügung gestellt; Graf 1925 Gesicht 175 verkauft um 5 Mark eine Brieftasche, eine Banknotentasche und ein Portemonnaie. Gratis gibt er noch eine goldene Uhr mit Kette, eine Krawattennadel.. und eine Zigarrenspitze dazu; 1932—33 Schweizer. Rundsch. XXII 2,983 So sagt das Tridentinum ausdrücklich: Wir werden gratis, also „aus Gnaden" erlöst; Süddtsch. Ztg. 6. 7. 1951 die Kinder [fanden] ihre Freude an den Karussels und am Feuerwerk („mit sechs Kanonenschläg separat und gratis"); Welt 5. 6. 1959 Von den Rückstellungen haben wieder mehr als 17 Mill. DM Rücklagencharakter, was sowohl für die Eigenkapitalbasis als auch für die ja immer noch nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit einer Ausgabe von Gratisaktien eine solide Reserve darstellt; Bad. Ztg. 26. 2. 1965 Ein Jahr Gratisaktien (Überschr.) Wenn nicht alles täuscht, wird das Jahr 1965 unseren Aktionären einen reichen Segen an Zusatzaktien bringen; 1971 Praline (Reiseberatung) Nr. 4 Auf Korsika gibt's eine Menge gratis zum Beispiel: die Kinderbetreuung, Segel- und Ruderboote, Wasserski, Tennis und Reiten; Zeit 16. 5. 1986 warum die 420-Mark-Zahler nicht auch ein Zehntel des Betrages.. für . . das . . Konzert des Alban-Berg-Quartetts mit Bartok anzulegen bereit sind, geschweige denn eines der gratis gegebenen Konzerte im „Neuen Werk" besuchen; Satzb. Nachr. 29. 11. 1991 Ein paar Millionen Kaffeetassen sind inzwischen wohl schon durch die Hände der Frau Marianne gegangen. Und ein paar Millionen Mal hat sie ihr Lächeln dazugeschenkt. Gratis — weil es einfach unbezahlbar ist; Kleine Ztg. 29. 7, 1998 Alles (außer Mittag- und Abendessen) inklusive . .. „Gratis im Paket auch die Besichtigung von Bergamo"; Presse 14. 7. 2000 Menschenmengen, eine lange Schlange vor den Kassen. Als Gruppe hat man Vortritt. Als Senioren kommen wir gar gratis hinein; FAZ 18. 3. 2005 Um das Papier optisch billiger zu machen, will Solarworld Gratisaktien an die Anleger ausgeben.
gratulieren V. intrans., Mitte 16. Jh. entlehnt aus lat. gratulari 'seine Freude, frohe Teilnahme bezeigen, zu erkennen geben, bekunden; Glück (für die Zukunft) wünschen; willkommen heißen', ursprünglich auch '(einer Gottheit) freudig danken,
gratulieren
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Dank sagen' (eventuell kontrahiert aus *gratitulari, zu grates und tollere, also eigentlich 'Angenehmes darbringen', zu gratus 'gefällig, angenehm, willkommen; dankbar'/grai/'d 'Gunst; Dank; Anmut'; —» gratis, —* Grazie). In der Bed. 'jmdm. zu einem eingetretenen frohen Ereignis (Erfolg, Vertragsabschluss, Sieg, Frieden, Titel, Beförderung, Wahl, Lottogewinn usw.) seine freudige (An-)Teilnahme daran bekunden, Freude darüber zum Ausdruck bringen', und v. a. 'jmdm. an/zu einem wichtigen (persönlichen) Lebensabschnitt (Geburts-/Namens-/ Ehrentag, Neujahr, Jubiläum, Hochzeit/Verlobung) Glück und Segen (für die Zukunft) wünschen; Glückwünsche aussprechen, darbringen, jmdn. beglückwünschen' (Ggs. kondolieren], meist mit personalem Dativobjekt zur Angabe dessen, dem gratuliert wird und präp. Ergänzung zur Bestimmung des Anlasses, in Wendungen wie ich gratuliere Ihnen (nachträglich) zum Geburtstag, er gratulierte ihm in aller Form zu seiner Beförderung, darf man bald zur Verlobung gratulieren?, du hast mir als einziger nicht zur Wahl gratuliert, ich gratuliere herzlich(st)/untertänig(st)/aufrichtig(st), jmdm. zu seiner Genesung, zu einer Erkenntnis, mutigen Tat, Preisverleihung, sportlichen Leistung gratulieren, alle gratulierten ihm zu seinem schönen Erfolg, er gratuliert seinem Vater (dazu), dass er einen treuen Freund hat, (ohne Angabe des Anlasses und/oder des Adressaten:) ich gratuliere meinem Nachfolger, kommen Sie und gratulieren Sie mir, ich gratuliere von ganzem Herzen (zur Hochzeit, zur bestandenen Prüfung)!, die Abgesandten gratulierten (höflich), da kann man nur gratulieren!, darf man gratulieren?, (in forscher, oft ironischer ugs. Redeweise:) gratuliere (gehorsamst)!, (na) da/dann gratuliere ich (aber/doch)!, daneben vom 17. bis ins 19. Jh. selten auch mit Akkusativobjekt jmdn. gratulieren (s. Belege 1648, 1813 — 15.1, 1813 — 15.2) und bis heute reflex, (nach lat. sibi gratulari) sich (zu etwas) gratulieren 'sich glücklich preisen/schätzen, sich freuen, froh, stolz sein' (s. Belege 1688, 1697, 1743, 1765, 1900, 2004). Dazu die im späteren 16. Jh. aus lat. gratulatio 'den Göttern dargebrachte Danksagung, Dank- und Freudenfest (aus Freude über einen Sieg o.a.); (Be-)Glückwünschung; glücklicher Fortgang, Begebenheit' (zu gratulari, s. o.) übernommene, erst im 17. Jh. wohl unter Einfluss von frz. gratulation häufiger nachgewiesene subst. Ableitung Gratulation F. (-; -en) '(offizieller) Vorgang des Beglückwünschens; (dargebrachter) Glück-, Segenswunsch', dann auch '(offizielle, schriftliche) Glückwunschadresse, -gedieht' (s. Belege 1786, 1792, 1853, 1885), z.B. (nach lat. gratulationem facere] (s)eine Gratulation (gegen jmdn.) machen, vor-/dar-/überbringen, ablegen/-statten/-leisten, offizielle, herzliche Gratulation, mit großer Rührung/ sichtlicher Freude nahm er die Gratulationen entgegen, zum hohen Geburtstag die allerherzlichsten Gratulationen, (empfangen Sie) meine aufrichtigste Gratulation!, er bedankte sich für die zahlreichen Gratulationen zu seinem 70. Geburtstag, Gratulation! Sie haben gewonnen!, Gratulation zur bestandenen Prüfung!, als Bestimmungswort konkurrierend mit Glückwunsch- in Zss. wie (nach lat. epistula gratulatoria) Gratulationsadresse, -akt, -anspräche, -besuch, -brief/-schreiben, -buch, -chor, -cour/-defilee/-tour 'Reihe, Defilee der Gratulanten', -empfang/-visite, -feier, -floskel, -flut, -gala, -gedicht/-vers, -grüß, -inserat, -karte, -konzert, -rede, -reigen, -schar, -Ständchen, -telegramm, -worte, seltener als Grundwort in Geburtstags-, Hochzeits-, Jubiläums-, Neujahrsgratulation, daneben seit dem 17. Jh. vereinzelt gleichbed. Gratulierung F.; seit Mitte 18. Jh. die auf (flekt. Form von) lat. gratulans (Part. Präs, zu gratulari, s. o.) zurückgehende Personenbezeichnung Gratulant M.
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gratulieren
(-en; -en), auch Gratulantin F. (-; -nen), c jmd., der gratuliert, (s)einen Glückwunsch (z. B. in Form eines Gedichts oder einer Ansprache) ausdrückt/vorbringt, Überbringer/-^ von Glückwünschen', z.B. sich als Gratulanten einstellen, die Gratulanten stehen Schlange, zu den Gratulanten gehören/unter die Gratulanten reihen sich der Bürgermeister und alle Gemeinderäte; Gratulantenpoesie, -schar, -vers; Neujahrsgratulant, bes. im 18. Jh. auch 'Verfasser von Glückwunschgedichten/-adressen für gegebene, besondere Anlässe auf Bestellung; (Gelegenheits-)Dichter' (s. Belege 1762, 1853). gratulieren: Luther vor 1546 Tischreden (WA V 134) itzo wirf mans [die Wurzener Fehde von 1542] bereidt zcu Rom wissen, der bapst wirts dem keiser schreiben vnd im gratulirn (DWB); Kirchhof 1563 Wendunmuth l 51 dann da er erstlich die krönung empfangen, wollten ihm die Juden allenthalben her versamlet, gratuliren; Rot 1571 Diet. 315 Gratulirn, Sich frewen/ frolocken/ einem guots günnen oder wünschen/ glück zu einem ding geben; Carolus 1614 Relation 10 wegen deß Heurahts mit des Pfaltzgraffen Schwester zu gratuliren; ebd. 15d Die Turckische Bottschafft soll . . den Frieden . . bestettigen/ Kay. May. zum Keyserthum zu gratulieren; Opel-Cohn 1622 Dreißig/. Krieg 152 ich muß gehen und ihm gratuliern,/ ob mirs auch schon wollt nicht gebührn (DWB); 1648 Urkunden u. Aktenst. z. Gesch. d. Kurf. Friedrich Wilhelm v. Brandenburg IV 733 als haben wir unser Schuldigkeit zu sein erachtet, .. sie [die Herren] zu diesem nunmehr geschlossenen frieden herzlich zu gratuliren (DWB); Albert 1650 Arien 276 Dem Edlen Herrn Doct. M. F., Als er durch Gottes Gnade um 15. Jahr den gradum Doctoris hochrühmlich geführet, gratulirten mit diesem Lied S. Dach und H. Albert; Seckendorff 1656 Fürstenstaat 1192 man gratuliret ihnen bey Freuden oder condoliret in Leides-Fällen; Hartmann 1678 Anatomia 69 Der Geitzige und Wucherer segnet sich und gratulirt ihm selber und ist froh; 1682 D, teutsche Franzos 197 zumalen weiln die übrigen ihm zugetruncken und wegen deß neuen Kleyds gratuliret; Thomasius 1688 Monats-Gespräche I 53 weil sie dannenhero mir hierinnen beygepflichtet, so habe ich mir desto mehr zu gratuliren; Weise 1697 Vertr. Gespräche 44 auff die Maße müssen sich etliche Väter gratuliren, daß ihre Söhne zu dergleichen Ungelegenheiten nicht Anlaß geben; Schock um 1700 Phantasten 7 Jch kann mit meinem Compliment/ Fast nie gelangen zu dem End./ Jch gratulier, und condolier,/ Mit Reverenz, jetzt deprecier./ Wann ich die gantze Red vollbracht,/ Der grossen Falschheit jeder lacht; Menantes 1710 Satyr. Roman l 116 f. gratulirten ihm viele in galanten Hochzeit-Versen; Lünig 1719 Theatrum ceremon. I 836a Ob sie denen Polen wegen des Siegs über die Cosacken und Tatarn gratulieren wollen; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 282 Gratuliren, Glück wünschen; Rohr 1729 Zere-
moniellwiss. U 153 Die ändern abwesenden Fürsten pflegen nicht eher zu felicitiren als biß die Notificationen . . bey ihnen eingelauffen, alsdenn gratulieren sie entweder schrifftlich, oder lassen durch ihre Ministres . . mündliche Felicitationen abstatten; Holberg 1743 Dän. Schaubühne HI 253 ich condolire ihnen, als ihrem herrn vater .. und ich gratulire mir, dass es also ergangen ist (DWB); Edelmann 1752 Selbstbiographie 97 sonst ich mir gratuliren würde, die Stelle eines Hofmeisters . . bey seinen Hrn. Schwager zu bekleiden; 1765 Allg. dtsch. Bibl. l 2,292 herr Ernesti hat sich deswegen vorzüglich zu gratuliren Ursache (DWB); Lessing 1767—68 Dramaturgie (S. Sehr. X 15) sie gratuliren ihrem Landsmanne zu einer so schönen Erfindung; 1805 Paris I 4 Jetzt erschein mein voriger Wirth . . um zu meiner Ankunft zu gratuliren; Mutius 1811 Br. 255 Zu Deinem Geburtstage . . gratuliere ich von ganzem Herzen, wünsche alles Schöne und Gute, vor allem aber, daß du uns gesund wiedersehen mögest; 1813—25 Prinzenbr. 83 Grüße vielmals den Obristen v. Luck und gratuliere ihn in meinem Namen zu seinem Avancement; ebd. 202 gratuliere Dich recht sehr dazu [Verlobung der Tochter] (KEHREIN); der s. 1838 Br. an Cotta (1928 Zentralbl. f. Bibl'wesen XLV 424) Zu dem beginnenden neuen Jahr habe ich das Vergnügen, Ihnen .. freundlichst zu gratulieren. Man sollte sich diesmal eigentlich rückwärts gratulieren, nämlich, dass man im vorigen Jahr am Leben geblieben [1832 wütete in Paris die Cholera]; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 91 Wie mir dann später von allen Avancirten und von den Kanonieren meiner Korporalschaft . . gratulirt wurde; Polenz 1898 Grabenhäger / 75 na, dann gratuliere ich, ich kann ihnen versichern, wenn mir Ulrich so etwas zumuten wollte, ich ließe mich scheiden (DWB); Polenz 1900 Liebe 223 Bruno könne sich gratulieren, daß er dem Schicksal entgehe, mit ihr zusammenleben zu müssen; Schmilz 1913 Frauen 59 Man gratulierte ihr, sie wurde geküßt, alles war ihr sehr lästig; Colerus 1929 Kaufherr 207 mit allem Zubehör von Standesamt, Pastor, gratulierenden Verwandten und bräutlichem Beilager; Freksa 1931 Sommer 229 Da habe ich ihr gesagt, daß ich mich mit Hilde verlobt fühle. Sie hat mir darauf in aller Form gratuliert; Munch. N. N. 29. 12. 1940 konnten die
gratulieren Gastwirte sich gratulieren; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. X 515) sind es also wirklich schon zehn Jahre, daß ich unserem Hermann Hesse zu seinem sechzigsten Geburtstag gratulierte?; Johnson 1961 Buch 302 das dicke Gedränge, in dem Karin, schüchtern wie wir sie kennen, aus der gratulierenden Gasse gedrückt wurde; FrankenpostTagesztg. 11.9.1973 Georg Weigel, Hauptstraße 24, feiert am heutigen Dienstag seinen 72. Geburtstag. Wir gratulieren; Mannh. Morgen 10. 1. 1986 Otto Hahn, dem die erste kontrollierte Atomspaltung gelungen war und dem Planck selbst noch zur Verleihung des Nobelpreises gratulieren konnte; St. Galler Tagbl. 23. 6. 1997 Auch Valentin Bischof, Präsident des St.Gallischen Kantonal-Musikverbandes, überbrachte die Glückwünsche und gratulierte zur Durchführung des 51. Neckertaler Kreismusiktages; ebd. 19.5. 1998 Bei den Gratulierenden reihte sich auch . . die frühere Präsidentin der Frauenzentrale AR ein; Mannh. Morgen 26.2. 2001 Zwei Kinder, zwei Enkel und drei Urenkel gratulierten dem Ehepaar Wolf zu ihrem Ehrentag; taz 3. 9. 2004 Gestern als Kabinett der Versager verschrien, gratulieren sich Schröders Minister heute in Bonn zu kleinen, aber feinen Erfolgen. Gratulant: Schwabe 1741 Belust. Ill 5,1 gratulantenschaar (DWB); Philippi 1743 Reimschmiedekunst 67 in einem Gratulanten-Vers an einen Kaufmann oder Bürgermeister; Holberg 1743 Dän. Schaubühne IV 609 der kerl sah mir so poetisch aus, als irgend ein gratulante aussehen kann (DWB); 1762 Br. d. neueste Litt. betr. XIV 202 satiren auf die sogenannten gratulanten oder gelegenheitsdichter (DWB); Mozart 1770 Br. I 19 ich schliepf auch unter die zahl der gratulanten [für Lorenz Hagenauer in Salzburg] hinein und bekräftige alles, was mein lieber vater ganz gewiß aufrichtig gewunschen hat (DWB); 1783 Göttinger Musen-Almanack 6 Und last uns dann noch allesammt/ Einander herzlich grüssen!/ Und unser Gratulantenamt/ In Gottes Namen schliessen!; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 40) daß zu Hause im stillen alles zum Empfang der Gäste und Gratulanten solle eingerichtet werden; Raimund 1834 Verschwender (H 437) Da bring' ich noch einen Gratulanten [zum Geburtstag); Gaudy 1844 S. W. Ill 158 die staatsequipagen der reichen gratulanten flogen blitzschnell über . . den . . schnee (DWB); Gervmus 1853 Gesch d. dtsch. Dichtung III 211 poet und gratulant, bänkelsänger und bettler waren damals einerlei; zu Rists zeit war es damit soweit gekommen, daß in einer großen Stadt die hochzeit und leichengedichte polizeilich verboten werden mußten (DWB); Winterfeld um 1880 Exzellenz 115 der General, der durchaus
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nicht zu wissen schien, was der neue Gratulant eigentlich sagen wollte; 1888 Vjs f. Lit. gesch. l 213 „Gratulanten-Poesie" [Schlegel]; Kerr 1895 Br. 9 Man konnte kaum zur Tür hinein, so dicht gedrängt standen, saßen, schoben und pufften die Gratulanten; Th. Mann 1904 Reden u. Aufs. (W. X 405) wenn er nun unter uns tritt, unter die Menge der Gratulanten, und ein Wort an mich richtet; Storm 1919 S. W. Ill 95 hörst du die kleinen gratulanten . . ? (DWB); Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 137) An diesem Tage nennt Goethe sich den „beglücktesten Diener seines Herrn". Er ist der erste Gratulant, früh sechs Uhr im Römischen Hause des Parks; Lokal-Anz. 2. 1. 1933 Ansturm der Gratulanten (Überseht.) Dem Reichspräsidenten sind ferner eine sehr große Anzahl von Glückwünschen fremder Staatsoberhäupter . . und anderer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zugegangen; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 278) daß mir 1929 der Nobel-Preis zufiel, war nicht zuletzt und vielleicht vor allem sein Werk. Er rief mich in München . . an, um mir zu berichten, er . . freue sich, der erste Gratulant zu sein; Kieler Nachr. 5. 9. 1973 Nach seiner schweren Erkrankung ist Bürgermeister Hans Wagner soweit wiederhergestellt, daß er gestern zu seinem 65. Geburtstag zahlreiche Gratulanten empfangen konnte; Mannh. Morgen 12. 7. 1986 Auch nach der offiziellen Feier wollte der Strom der Gratulanten nicht abreißen. Im Foyer des Festspielhauses drängten sich die Gäste, um Wehner die Hand zu schütteln oder ihn zu umarmen; Presse 10. 8. 1992 Teamkollegen, Trainer, Funktionäre und Betreuer stellten sich als Gratulanten ein; Berl. Ztg. 30. 11. 2006 Erster Gratulant war übrigens Thierry Fremaux, der künstlerische Leiter der Filmfestspiele Cannes, der sich per SMS meldete. Unter den Gratulanten in der Botschaft: Wim Wenders, Präsident der Europäischen Filmakademie. Gratulation: 1561 (Bienemann 1865 Br. u. Urkunden V 212) nach angehörter dieser gratulationnotel die gesandten sich in ihre herberge vorfueget (DWB); Rot 1571 Diet. 315 Gratulation, Solche frewd vnnd glückwünschung. Jtem ein dancksagung; Spangenberg 1607 Ganß König (XL 16) Gratulation, Vnd Glückwünschung; ders. 1611 Anbindbr. 164 weil ich dann auch auff diessmahl hab,/ mein lieber Bernd, kein andre gab [als dies Gedicht],/ damit ich dir könd ehr anthon/ zu einer gratulation; Hainhofer 1612 Corr. 236 weil unterdessen . . ihme Philippe, abermahlen eine gratulation an Kays. May. und neue Compliment-Schreiben an Hrn. Kurf. Ferdinand zu Coin . . zukommen; 1631 (1895 Beitr. z. bayer. Kirchengesch. l 38) Wir haben Dr. L. [ = Deiner Liebden] gratulation Brieflein zu diesem eingetrettnen Neuen Jahr
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. . wol empfangen; 1646 (Holte, Danziger Theater 75) gar schöne Kinder wie Engel angethan, mit Krentzen auf den Häuptern vnd Blumen in den Händen, die theten das jhrige mit gleichmessiger Gratulation; Chemnitz 1653 Schwed. Krieg U 1037 [der] reichs cantzler hierauff bedanckte sich . . gegen den könig wegen gethaner gratulation und glückwünschung (DWB); Riemer 1679 Maulaffe 147 dieser kam alsobald und legte seine gratulation ab (DWB); Weise 1683 Masaniello 140 dieses gantze Königreich [Spanien und Neapel] mit neuer Gratulation erfreuen; Menantes 1710 Satyr. Roman I 3 eine freudige Gratulation; Cleander 1710 Cabinet II 3 Fürstl. Gratulation an Kayserl. Maj. über befochtene Schlacht bey Mohaz; Fassmann 1729 Narr B4b wartete ich gantz gewiß mit einem Carmine auf, meine Gratulation darinnen abzustatten, und meine Freude zu bezeugen, daß Sie mein vortrefflicher Patron . . so viele Titel erworben; Philander 1743 Vorratb 74 Von denen Gratulations- oder Glückwunsch-Schreiben; Weissei 1769 Beytrag (IV 416) Gratulationsvisiten; 1779 Baiern 42 [wer] seine Gratulationen am Neuen Jahr mit der gewöhnlichen Verbeugung recht demüthig, nicht beobachtet [gilt als Mann von roher Lebensart]; Goethe 1781 Br. (WA IV 5,244) Auf den Neujahrstag habe ich mir etwas ausgedacht. Ich komme zu dir in aller Frühe um den Gratulationen auszuweichen; ders. 1786 Br. (WA IV 8,9) die Asseburg hat . . eine recht artige Gratulation gemacht, die einen guten Ton hat und überhaupt wohl gerathen ist; Laukhard 1792 Leben I 333 gereimte und ungereimte Gratulationen; Mutius 1806-19 Br. 363 Parade, Gratulation beim Prinzen, bei der Großfürstin, Handkuß, bei der Gräfin Liewen; 1813-15 Prinzenbr. 82 Er will Dir einen großen Gratulations-Brief zu Neujahr . . schreiben; Bäuerle 1820 Korn. Theater l 90 mit verlaub, daß ich allerseits meine gratulation anbring (DWB); Goethe 1831 Tagebücher (WA HI 13,1) Visitenkarten herumgeschickt in Erwiderung der gestrigen Gratulation; Bettine 1840 D. Günderode l 275 als nach der thronbesteigung der Maria Theresia . . die gratulationen abgefertigt waren (DWB); Gervinus 1853 Gesch. d. dtsch. Dichtung III 313 in hochzeitsgedichten, gratulationen, ehrengedichten, stammbuchblättern, epitaphien (DWB); Hohen-
lohe-Ingelfingen 1864-70 Leben 111 117 Es war der Geburtstag des Prinzen Friedrich Karl, Wir wollten ihm gratulieren, aber er war aus seiner Wohnung allen Gratulationen durch eine Hinterpforte entschlüpft; 1885 Briefw. zw. }. u. W. Grimm, Dahlmann u. Gervinus l 171 ich hatte eine lateinische gratulation, so gut ich in der eile konnte, entworfen und drucken lassen (DWB); Schack 1894 Erinn. l 167 ein Hof marschall, der . . zur Gratulation bei einer Tauffeier abgesandt ist; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 111) dann fand große Gratulation statt, in Form einer Defiliercour, geleitet von dem schwänzelnden Herrn von Bühl; Presber 1912 Von Ihr 89 Ich gratuliere ihm zu dem neuen Titel . . Ich habe dich selten bei einer Gratulation so erregt gesehen; Thoma 1923 Münchnerin (Vll 357) Der Herr Globerger hat ja sein Namenstag . . mach meine Gratulation; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 272) Sie haben Profeß getan. Meine feierliche Gratulation; ders. 1939 Lotte (W. II 597) Lassen Sie mich . . meine Gratulation nicht vergessen zu der neuen Ernennung und Beiträtigkeit; Klemperer 1948 Tagebücher 596 Am Sonnabend also . . kamen Winters zur Gratulation; Lenz 1959 Brot u. Spiele (W. IV 45) Ich hatte ihm bisher nicht gratuliert, denn ich fürchtete die ganze Zeit, daß er meine Gratulation nicht annehmen werde; Süddtsch. Welt 5.2.1966 Mit „Achtung und Anerkennung" schloß sich auch die Bundesregierung den Gratulationen an; taz 14. 7. 1988 Gratulation der taz, die es fertigbringt, einen antikommunistischen Hetzer vom Schlage R. Neudecks mittels Interview auf Seite 3 zu plazieren; Salzb. Nachr. 10. 1. 1992 Meine Gratulation, und: Weiter so!; Vorarlb. Nachr. 20. 5. 2000 Das Fest der goldenen Hochzeit feiern Imma und Toni Weithaler . . Die herzlichsten Gratulationen zu diesem Fest; taz 8. 9. 2001 Die Konferenz wird also mit viel Händeschütteln und Gratulationen schließen. Gratulierung: Abr. a S. Clara 1681 Soldat 50 mit Verwunderung der Heiligen, mit Gratulirung der Engeln; Myra Richards Jessen 1932 Goethe als Kritiker 139 Festgedicht und Gratulierung jeder Art. Scherz, Ernst und Spott verdankt es den Gehalt und unterscheidet sich als Gattung durch momentane Wirkung.
gravieren1 s. gravierend gravieren2 V. trans., im frühen 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. graver (< altfrz. graver, ursprünglich 'eine Furche graben; einen Scheitel ziehen' (zurückgehend auf german. *graban, vgl. dtsch. graben; vgl. über mittelniederl. graveren, niederl. graveeren vermitteltes mittelniederdtsch. graven·., vgl. dagegen gravieren1,—* gravierend). In der Bed. 'mit einem (Grab-)Stichel (Ornamente oder Schriftzeichen) in Metall,
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Stein, Glas, Elfenbein, Leder, Kunststoff, Holz (ein-)schneiden, -graben, -ritzen oder reliefartig herausarbeiten' (vgl. ziselieren, vgl. dtsch. graben), bes. von Gedenksteinen und -tafeln, Schmuckstücken, edlem Geschirr und Gerät, Waffen, auch mit Bezug auf (die Beschriftung, Prägung u. Ä. von) Papier (s. Belege 1949, 1990), öfters auf die Markierung von Wertgegenständen bezogen (s. Beleg 1999; vgl. codieren, —> Code), oft mit Präp. in (s. Belege 1822, 1839, 1963, 1970, 1990, 2000), seltener auf (s. Belege vor 1813, 1861, 1990, 2001), vereinzelt bildlich verwendet (s. Belege vor 1813, 2000), in Wendungen wie Hochzeitsdaten in die Trauringe gravieren, eine Nummer in den Fahrradrahmen gravieren, als Bestimmungswort in Zss. wie Gravieranstalt, -arbeit, -bank, -eisen, -kunst, -maschine, -meißel, -nadel, -Stichel, auch attr. in der Part. Perf.-Form graviert '(ein-)geschnitten/-gestochen/-geätzt/-geritzt' und 'mit einer Gravur versehen', z.B. gravierte Becher, Glasschale, Manschettenknöpfe, Pokale, Zinnteller, schön gravierte, moderne Jagdwaffen, eine elegant gravierte Karte; oft kurz für die seit späterem 19. Jh. nachgewiesenen, intensivierenden Präfixbildungen eingravieren V. trans., vereinzelt übertragen (s. Belege 1986, 2000.1), z. B. eine Zahl eingravieren, eingravierter Name, eingraviertes Datum und (veraltet) ausgravieren 'erhaben herausarbeiten' und 'durch Gravieren entfernen', z.B. ausgravierte Buchstaben. Dazu seit frühem 18. Jh. die aus frz. graveur übernommene Berufsbezeichnung Graveur M. (-s; -e, -s), auch moviert Graveurin F. (-; -nen), neben Gravierer M. (-s; -) mit Graviererin F. (-; -nen), '(Kupfer-/Stempel-)Stecher/-in, Stein-/Holz-/Metall-/Stahlschneider/-in' (vgl. Ziseleur), z.B. Gold-, Stahlgraveur; seit späterem 18. Jh. das aus frz. gravure übernommene, bis ins 19. Jh. überwiegend in der frz. Form Gravüre gebuchte Subst. Gravüre F. (-; -n), selten als Nomen actionis in der Bed. 'Kunst, Technik, Handwerk, Vorgang des Kunststechens, des Gravierens in Metall (Kupfer, Stahl)' (s. Belege 1838, 1871, 1879, 1997), meist als Nomen acti 'Erzeugnis der Gravierkunst, (Kupfer-/Stahl-)Stich, Steinschnitt; auf fotomechanischem Wege hergestellte Tiefdruckform und daraus hergestellter Druck' (s. Belege 1838, 1905, 1924, 1965, 1992, 2000), verdrängt durch das seit spätem 18. Jh. nachgewiesene Verbalsubst. Gravierung F. (-; -en) meist als Nomen acti in der Bed. 'zeichnerische Darstellung (speziell auf Metall oder Stein), eingeritzte Schrift, Verzierung als Ergebnis des Gravierens, Erzeugnis der Gravierkunst' (vgl. Ziselierung), z.B. Versteigerung wertvoller Gravierungen und Radierungen, seit Anfang 20. Jh. seltener 'Vorgang, Verfahren/Technik, Kunst des Gravierens' (s. Belege 1904, 1999), z. B. durch Gravierung werden Fahrräder leichter identifizierbar, gleichbed. neben der im frühen 20. Jh. latinisierend (vgl. Skulptur usw.) gebildeten subst. Ableitung Gravur F. (-; -en), meist als Nomen acti, vereinzelt als Nomen actionis (s. Beleg 1994), z.B. er schenkte mir ein paar schöne Gravuren, empfohlen wird die Gravur mit einer zentral erfassten Nummer; Gravurarbeiten, -technik, -betrieb, -maschine, -nadel, -stift, -verfahren, -Atelier, -Service, -kunst, -platte; Ätz-, Glas-, Haut-, Kupferplatten-, Laser-, Namens-, Ring-, Sandstrahl-, Schrift-, Stein-, Wappengravur. gravieren2: Apinus 1728 Gl. 254 grauiren . . in das ertz graben (DWB); Dippel 1734 Analysis 19 die Spitze des Gravier-Eisens . . verkleinern; 1735 Berl. geschr. Ztgn. 686 einen goldenen ring, worin diese worte graviret seyn würden (DWB); Halle 1761 Werkstäte d. Künste l 99 Graviren heist: mit dem Grabstichel auf einer flachen Silber- oder Gold-
platte erhabne Figuren herausschneiden; L. Mozart 1778 Br. W. A. Mozarts IV 7 könntest du [Wolfgang] einige mahl par subscription etwas gravieren lassen (DWB); Nicolai 17S3 Reise Vlll 137 er lernte in Ulm die büchsenschäfterkunst, wobey er sich zuerst auf das graviren legte (DWB); Archenholz 1787 England II 211 er machte Kupferplatten,
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gravirte solche, druckte die Banknoten; Germershausen 1794 Hausmutter IV 27 Wenigsten sechs und dreyßig Brandtweinsviertel, jedes zwey und vierzig Stübgen von vier Maaß, und das Maaß zwey Pfund haltend; welches genau beobachtet [und] in der Brandtweinbrennerey mit einem kupfernen Maaße .. gemessen, und der Gehalt, nämlich zwey und vierzig Stübgen mit römischen Ziffern, mittelst eines kleinen Hohlbohrers . . graviret werden muß; Wieland vor 1813 S. W. 77 Die ganze Theologie der Vernunft auf ein Hirsenkorn zu gravieren (KEHREIN); Ritter 1822 Erdkunde VII 368 sie graviren petschafte in ju-stein (DWB); Oken 1839 Allg. Naturgesch. l 149 womit man in glas graviert (DWB); Keller 1854-55 Heinrich (S. W. l 266) mit Kreide, Feder, graviert oder getuscht; Werther 1861 Kl. Deutschland I 102 worauf als Eselgrimmsches Wappen ein auf den Hinterbeinen sitzender Esel in der Grafenkrone .. gravirt werden sollte; Bittmann 1907 Hausindustrie in Baden 52 Gravieren. Die Arbeiten zerfallen in die der Gold- und der Stahlgraveure. Die Goldgraveure gravieren und ziselieren Broschen, Ketten, Ohrringe . . und dergl.; Röhrig 1918 (1922 Dtsch. Spr. Ehrenkr. 573) Das Monument wird ciseliert,/ In Lapidarschrift steht graviert,/ ja nicht Minuskeln und Fraktur,/ Majuskeln und antiqua nur; 1936 Meyers Nachr. Nr. 12 Mit sehr scharf geschliffenen und spitzen Stahlnadeln (Graviernadeln) wird die Situation vorgerissen und später . . verstärkt. Bei dem Gravieren wird nun die polierte Schicht herausgestochen, so daß auf der schwarz grundierten Platte das Flußnetz weiß erscheint; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 176) In die poetisierenden Wort-Unterlegungen . . gravierte ich, als versteckte Dankbarkeitsdemonstration, den Namen 'Wiesengrund', Adorno's Vatersnamen, mit ein; Süddtsch. Ztg. 24. 8. 1950 die . . Tendenz zur charakterisierenden Physiognomik durch graphische Mittel, wofür Ernst Buschor die glückliche Formulierung „Gravierstil" fand; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 324 In den gläsernen Stiefelschaft ist eine Inschrift graviert; 1970 Jasmin Nr. 14 Eine Geliebte, der man ein Datum ins Armband gravieren läßt; Mannh. Morgen 24. 12. 1989 Sie ziselieren, gravieren und hämmern in Handarbeit wie eh und je, bis zu guter Letzt noch ein Stempelschlag das Werk .. besiegelt; taz 17.4.1990 Vor sich meist seine . . Ausgabe des Kapitals, um sich herum ein heilloses Durcheinander von Büchern und Manuskripten, gravierte er kleine „spitze" Zeichen entweder in seine Bücher oder auf einzelne, halbierte Blätter; ebd. 2.11.1999 Die Zahlenreihe kann eingeprägt, gestanzt, graviert, gefräst, geschweißt, geätzt werden, man kann sie aufbrennen, mit Farbe oder sogar mit einer speziellen UV-Markierung aufbringen . . bei den Bürgerdiens-
ten der Stadt . . bekommt man auch ein Merkblatt mit Betrieben, die den Code auf Wertgegenständen anbringen; ebd. 21. 8. 2000 Klebanow . . äußerlich ein gutmütiger Hollywood-Gauner, dem die Lüge noch nicht ins Gesicht graviert ist, hat es schwer; St. Galler Tagbl. 18. 1. 2001 Längst gravieren Kurt Faller und sein mittlerweile vierköpfiges Team nicht mehr nur auf Glas. „Ob Leder, Kunststoff, Holz oder anderes Material — wir gravieren alles". graviert: 1765 Allg. dtsch. Bibl. 2,149 bey seiner vortreflichen Sammlung von alten gravirten steinen (DWB); Ave-Lallemant 1858 Gaunerthum II 315 [die] in stahl gravirten siegel (DWB); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 754) seine flache, glattgoldene Taschenuhr, deren Deckel mit dem gravierten Monogramm er hatte springen lassen; ders. 1933 ~ 43 Joseph (W. IV/V 472) Jaakob selbst saß mit Joseph in der Nähe des Eingangs auf Polstern an einem niedrigen Taburett, auf dessen gravierter Bronzeplatte das Brettspiel aufgeschlagen war; Mannh. Morgen 7. 5. 1991 Nach 1492 war das wieder im Jahre 1581 der Fall, wie die auf dem unteren Teil des runden Schaftes gravierte lateinische Inschrift mitteilt. ausgravieren: Roser 1868 Handb. d. anatom. Chirurgie 21 Für eingetriebene Bleifragmente mag oft ein derb gestielter Hohlmeisel, der zum Ausgraviren benützt wird . . das beste Mittel sein; Andersen 1879 Chronolog. Sammlung d. dan. Könige 38 die beiden grossen Tellerwärmer vor dem Kamin: hübsch gearbeitete und ausgravirte Schüsseln mit dazu gehörigen Gestellen aus Silber; Otte 1898 Archäolog. Katechismus 123 f. Bei Bronzegüssen sind die Buchstaben entweder nachträglich vertieft eingeschnitten, erhöht ausgraviert, aufgelötet oder anfänglich mitgegossen, indem sie teils in die Form geschrieben, mit Holzstempeln eingedrückt oder über aufgeklebten Wachsmodellen geformt wurden; Barsch 1905 Von einem, der auszog VII 166 Mit einer Feinheit, die ich gar nicht für möglich gehalten hätte, waren sie [Zinken] ausgraviert; Bohatta 1927 Einf. in d. Buchkunde 273 Es wurden in dem Kupfergrund nicht mehr kleine Zellen, sondern größere Flächen, Gruben, ausgehoben und nur die verschiedenfarbigen Glasflüsse durch stehengebliebene, also nicht ausgravierte Stege getrennt; Haase 1943 Kleinbildkamera 314 Kristall herstellen, wenn man hinter die ausgravierte Marke, Skala oder Strichteilung eine zweite polarisierende Platte setzt oder gleich damit verkittet, deren Schwingungsrichtung von der ersten abweicht; Röttger 1954 Kunstdenkmäler f. Oberfranken l 453 Unter und über dem Nodus zwischen geriefelten Reifchen je ein sechsseitiger Fries mit erhaben ausgravierten Minuskeln; Ruppel 1961 Technik
gravieren Gutenbergs 17 Kleine und kleinste scharfkantige Buchstaben waren sehr schwer vertieft einzugraben, konnten aber leicht auf der Spitze von Stahlstängelchen ausgraviert und dann noch leichter mit dem Hammer in Messing eingeschlagen werden. eingravieren: 1866 Gartenlaube 240 Durch sie [Graphotypie] würde man das mühsame Schneiden in Holz oder Eingraviren in Kupfer oder Stahl ganz sparen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 403) einem sehr großen, runden Teller, in dessen Mitte das Monogramm des Empfängers eingraviert war; Klemperer 1925 Tagebücher 134 schöne Terracottakrüge für billigstes Geld, schöne Hornschalen mit eingraviertem Muster; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 521} Der Härte des Edel-Berylls nämlich, seiner oberen Schleiffläche, waren in feinsten griechischen Lettern zwei Verse eingraviert; Neues Deutschi. 16.5. 1954 ein zur Zeit des 30jährigen Krieges vergrabener Schatz . . besteht aus 6 goldenen Bechern, von denen einer die Jahreszahl 1614 trägt. Auf allen Stücken sind Initialen eingraviert; Partner 1964 Erben 132 ein familiäres Erinnerungsstück . ., auf dem eine adlige Dame aus dem fränkischen Rheinland vielleicht die Grabinschrift ihrer Mutter eingravieren ließ; Simmel 1970 Jimmy o. S. In das silberne Band waren Zahlen eingraviert; taz 8. 11. 1986 Eine Hölle, die darin besteht, daß der Mann eine von ihm gemachte Gefahr in die Natur eingraviert hat, so daß sie nun tatsächlich als Feindin erscheint, zu der sie seit der Neuzeit erklärt wurde; Neue Kronen-Ztg. 6.2. 1994 ein Feuerzeug . ., auf dem „Erinnert euch an Sarajevo" eingraviert ist; Züricher Tagesanz. 26.4. 2000 ein Verwaltungszentrum, dem die erhabensten Ziele — Gleichheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit — gewissermassen in den betonierten Leib eingraviert wurden; taz 12.7.2000 Wohlgelittene Stammtrinker haben ihr eigenes Bierglas hinter der Bar deponiert, inklusive eingraviertem Namensschriftzug. Graveur: Elis. Chan. 1715 Br. 530 Alleweil habe ich einen brieff ahn mein dochter schreiben müßen durch einen graveur, der sie, ihren herrn undt gantze famille gern in wax possiren wollte; Uffenbach 1728 Tagebuch 59 einen sehr berühmten und habilen Graveur in Elfenbein und Bernstein zu sprechen (BRUNT); Möser 1775 Phantasien I 183 Ein Mahler, Modelleur, Vergulder, Bildhauer, Vernisseur und Graveur gehören unstreitig mit dazu, um allen Arten von Handwerkern ihre wahre Vollkommenheit zu geben; Nicolai 1779 Berlin 411 Zu diesen Arbeiten sind auch sehr geschickte Graveurs und Ziseleurs vorhanden; Heynatz 1797 Antibarbarus II 69 f. Grabstecher schlägt Campe für Graveur vor, und beruft sich auf die Gleichförmigkeit
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des Wortes Grabstichel; Jäger 1835 F. Schnabel 202 ein Graveur, der nicht aus Liebe zur Kunst, sondern aus der zu einer der Actrizen diese Laufbahn betreten [hatte]; 1867 Beschr. O A. Tübingen 246 Graveure [als Gewerbe]; Springer 1868 Berlin 137 Die Tanzenden .. bekunden durch eine bessere Haltung und feinere Manieren, daß ihre tägliche Beschäftigung als Silberarbeter, Graveur, Lithograph, Schablonenmacher, an das Gebiet der Kunst oder höheren Technik streift; 1870 Beschr. OA. Gmünd 113 Mechanische Künstler und Handwerker . . Graveure; Freud 1882 (1972 Br. 17) Ein M und S innig verschlungen, wie dies uns die Großherzigkeit der Graveure verstattet; Bittmann 1907 Hausindustrie in Baden 53 Stahlgraveur; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1807) Mit ihnen waren Zimmerleute und Steinmetzen, Goldschmiede und Graveure, die sogleich bei dem härenen Todeshaus eine Werkstatt eröffneten; N. Z. Z. 12. 5. 1943 ist . . der Stichel, mit dem der lupenbewehrte Graveur das Metall ritzt, noch immer das gleiche Instrument wie bei den Kupferstechern in der Zeit Dürers; Th. Mann 1948 Reden u. Aufs. (W. IX 732) Ich kenne alle Graveurs. Die griechische Prägung vor und zu Alexanders Zeit ist noch nicht erreicht; Heuss 1963 Erinn. 17 Das „Feuilleton" sollte zwei Bedingungen erfüllen: der Professor Sohm in Leipzig müsse die „Hilfe" in seiner Stube liegen lassen dürfen, daß auch die Töchter sie lesen können . . Und der Graveur Hahn in Frankfurt müsse sie verstehen — also auch weniger Fremdwörter; taz 7.11.1989 Das sind kleine schwarze Flecken, die gelegentlich auf dem Notenblatt auftreten, wenn die vom Graveur bearbeitete Druckplatte Kratzer bekommen hat; Frankf. Rundsch. 24.3. 1998 Damit der Glasstaub nicht die Hände der Graveurin verletzt, trägt sie dünne Gummihandschuhe; Berl. Morgenpost 9. 11. 1999 Kerstin Krüger, die für den Aussiedler-Service verantwortlich ist, lernte Graveurin; Salzb. Nachr. 27. 9. 2000 Es gelingt den Graveuren immer wieder, auf den kleinen runden Flächen die mächtigen Burgen voll zur Geltung zu bringen. Gravierer: 1786 Journal d. Moden I 385 Bildhauer, Maler, Gravirer; Heyse 1838 Fremdwb. l 464 Gravirer, ein Kunststecher, Grabstichler, Bildstecher, Kupferstecher, Stein-, Form-, Holz-, Stahlschneider od. -Graber, Stempelstecher; 1995 FAZ o. Nr. Turner . . soll entsetzt gewesen sein, als der Gravierer das Detail für die erste Druckfassung nachbesserte. Gravierung: Müller 1789 Emmerich VII 182 Gravierung; Appel 1820 Münzkunde d. Mittelalters / 319 Unten ist der Kopf zwischen beyden Wappen ohne Gravierung; 1829 Jahrbücher d. kaiserl. Königl. Polytechn. Institutes XV 139f. Man hat
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Werkzeuge von feinem Stahl, welche sehr rein polirt sind, und mit welchen alle, sowohl erhabenen als flachen, Theile der Gravirung übergangen werden; 1850 Chem.-Pharmaceut. Central-Blatt 438 f. Das Periderm weisslich oder schwärzlich, meist dicker als bei anderen Arten derselben Gattung, leicht vom Splinte zu trennen, und nach der Trennung auf der Oberfläche des letzteren Furchen oder Eindrücke zeigend, die Gravirungen gleichen; mit verticalen paralellen [!], und mehr oder weniger mit transversalen ringförmigen Rissen versehen; Sacken 1868 Grabfeld v. Hallstatt 69 So sind die Kerben und Gravirungen gerade an jenen stellen, welche beim Tragen am meisten leiden müssen, oft bis zur Unkenntlichkeit verwischt und abgeglättet, während sie an den Rändern und Enden, wo sie der Berührung mit anderen Gegenständen weniger ausgesetzt waren, noch ganz deutlich sichtbar sind; Rein 1886 Japan U .529 Die in vielen Fällen recht geschmackvolle Verzierung ist sehr einfach, meist im Flachrelief ausgeführt, vornehmlich durch Ciselierung und Gravierung; Brunn 1898 Kl. Sehr. Ill 169 in den gravierungen der Ficoronischen eiste (DWB); 1901 Stimmen d. Zeit LXI 170 Wenn auch die . . noch viel feinere Gravierung eines grasenden Renntiers auf einem Renntiergeweih . . ziemlich sicher eine moderne Fälschung ist; Luschin v. Ehengreuth 1904 Münzkunde 131 gewisse neue verfahren, welche die gravierung von stempeln durch . . chemische arbeit ersetzen (DWB); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 365) der in das Messing gearbeiteten Gravierungen, deren Flächen blank aus dem matt gehaltenen Grunde traten; Partner 1964 Erben 57 wer war die Dame, der ein so außerordentliches Begräbnis zuteil geworden war? Keine Inschrift, keine Gravierung nannte ihren Namen; v. Khuon 1970 Götter o. S. der Höhle Lascaux bei Montignac . . mit vielen Malereien und Gravierungen der Eiszeit; Mannh. Morgen 3. 5. 1986 Seine Studenten haben die Camuner-Felsen gesäubert, fotografiert und von den Gravierungen Pausen und Abdrücke hergestellt; Kleine Ztg. 12. 9. 1999 Die Aktion ist kostenlos, Interessenten müssen ihr Fahrrad lediglich am Aktionstag zur Gravierung bringen; Vorarlb. Nachr. 3. 6. 2000 Die Gravierungen an den Höhlenwänden stammten aus dem Paläolithikum, der Altsteinzeit. Gravur: Klemperer 1925 Tagebücher 50 Wir gingen . . durch die Rue de Seine, die von Kunsthandlungen wimmelt. Wir kauften dort für wenige Franken ein paar schöne Gravuren; N. Z. Z. 12.5. 1943 In der Gravuranstalt begegnet sich altes Herkommen mit neuen Arbeitsmethoden; Zazoff 1970 Gemmen o. S. Seichte, stellenweise summarische Gravuren. Motiv für weibliche Figu-
ren nicht ungewöhnlich auf hellenistischen Gemmen . . In den Gravuren blank, sonst matt poliert; Kant 1972 Impressum 46 eine silberne Taschenuhr . . mit der Gravur versehen: „Für David Groth von David Blumenthal" (DUDEN 1999); Mannh. Morgen 22.1. 1985 Die Analyse der Stile und Techniken gibt zusätzliche Informationen zur Einordnung der Gravuren und Malereien in bestimmte Epochen. Beispielsweise ist eine Gravur mit kontinuierlich geformten Linien wahrscheinlich älter als eine Gravur, die eine Punktetechnik erkennen läßt; Bild 18. 12. 1989 in der Mitte eine imposante, 36 Meter hohe Säule, eingerahmt von Statuen und Gravuren ungarischer Könige, Feldherren und Staatsmänner; Spiegel 14. 11. 1994 Ganz ähnlich kann nun jeder Autobesitzer seinen Wagen kodieren lassen, etwa durch die Gravur aller Scheiben mit einer Nummer, die in einer zentralen Datenbank erfaßt wird; St. Galler Tagbl. 18.1. 2001 handelsübll· ehe Kaffeegläser werden mit Gravur zum ganz individuellen Ausstattungsgegenstand, Wein- und andere Flaschen. . erhalten mit der von der Firma Lüfa versehenen Gravur die individuelle Note. Gravüre: Lavater 1775 Physiognom. Fragm. II 212 die zarte, feine gravüre, wo jeder einzelne zug . . mit bewundernswürdiger kunst geführt . . ist (DWB); Mueller 1798 Briefw. 149 Der Stein selbst ist das Schönste: sein Grund ist dunkelbraun, dann folgt eine perlenblaue Schicht . . lauter angenehme Farben, die in der Gravüre vortrefflich benuzt sind; Heyse 1838 Fremdwb. I 464 Gravir-Kunst, auch Gravüre . . die Stech- oder Bildgrabekunst, Kunststecherei, Bildgräberei; auch ein Kupferstich, Stich; Sanders 1871 Fremdwb. I 458 Gravüre . . Gravierkunst . . Erzeugnis derselben; Petri 1879 Handb. d. Fremdwörter I 379 Gravüre . . die Bildgrabekunst, Stechkunst; Hoops 1905 Waldbäume u. Kulturpfl. 280 das getreide, welches in jenen Skulpturen und gravüren dargestellt ist (DWB); Werfet 1924 Verdi 73 tausend Bilder von Sängern und Sängerinnen . . auf Lithographien und Gravüren. Nur wenige Photographien sah man; Klemperer 1942 Tagebücher 63 Glaser . . ist Kunstsammler (Gravüren etc.); Sedlmayr 1955 Revolution 129 Montagen aus Abfallstoffen . ., aus zerstückelten Photos und Gravüren; Wachtel 1963 A la mode 59 Es bedurfte eines sehr sicheren persönlichen Geschmacks, um unter all den [Kleider-] Schnitten . . zu wählen und den Skizzen spezialisierter Zeichner . . das anzubieten, was man noch heute „Gravures" nennt; Hildesheimer 1965 Tynset 146 eine eisenbeschlagene Truhe voller Gravüren und Alben (DUDEN 1999); Presse 21.8.1992 Eine einmalige Sammlung verlorengeglaubter Gravüren japanischer Meister aus dem 18. und 19. Jahrhundert wurde im Depot der Leningrader Eremitage ent-
gravierend deckt; Salzb. Nachr. 4. 4. 1997 Seine ungewöhnliche Bildtechnik vermittelte er erfolgreich als Lehrer an der Münchner Lehr- und Versuchsanstalt für Fotografie, Lichtdruck und Gravüre; Mannh. Mor-
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gen 8. 8. 2000 Wer das Besondere sucht, kann sich im vergrößerten und modernisierten „Cabinet des dessins" Zeichnungen und Gravüren ansehen — mit Anmeldung.
gravierend Adj., seit späterem 18. Jh. belegte Part. Präs.-Form zu dem seit dem 14. Jh. nachgewiesenen, veralteten Verb gravieren1 (s.u.). In der Bed. 'schwerwiegend, stark ins Gewicht fallend, belastend', zunächst bes. im juristischen, strafrechtlichen Bereich in Wendungen wie in besonders gravierenden Fällen, gravierende Indizien, Tatsachen, Vorfälle und v. a. gravierende Umstände 'schuld- und strafverschärfende Momente' (Ggs. mildernde Umstände), dann auch allgemeiner 'von großer Bedeutung in negativer Hinsicht, einschneidend; ernst (-haft), ernstzunehmend/-gemeint', z. B. gravierende Belastungen, Bedenken, Folgen, Fehler, Schäden, Veränderungen, gravierende Einschränkung, Ungerechtigkeit, gravierender Mangel, Missstand, Nachteil, ein gravierender Unterschied, etwas als gravierend ansehen/werten, gravierendes Problem, gravierende Umstände haben dazu geführt, dass die Versicherung zahlen musste. Vgl. das zugrundeliegende, von Mitte 14. bis vereinzelt ins 20. Jh. nachgewiesene, aus lat. gravare, gravari 'zu Schulden kommen, schuldig, verdächtig machen; zur Last fallen, legen, belasten; beschweren, belästigen, bedrücken' (zu gravis 'schwer, belastet, beschwerlich, verdrießlich; ernst, wichtig; ansehnlich, glaubwürdig') entlehnte Verb gravieren1 V. trans, 'jmdm. etwas zur Last legen, ihn mit etwas belasten' (s. Belege 1347, 1648.2, 1836), insbes. im juristischen Zusammenhang 'jmdn./eine Institution mit einer Schuld, einem Gerichtsurteil, einem (politischen) Verdacht belasten; beschuldigen, anklagen' (s. Belege 1468, 1693, 1722, 1792), bes. im 17. Jh. im Kriegswesen 'jmdm. (Bevölkerung, Stadt, Land) etwas (z.B. finanzielle Lasten, Bürden, militärische Maßnahmen, Strafen) auferlegen, ihn damit beschweren, beladen und dadurch niederdrücken' (s. Belege 1631, 1640, 1648.1, 1683, 1715), seit dem 18. Jh. allgemeiner bezogen auf Gefühle, Einstellungen usw. 'jmdn. belästigen, betroffen machen, bedrücken, bekümmern, ihm Unannehmlichkeiten bereiten' (s. Belege 1619, 1709), z.B. ich werde dadurch merklich/erheblich graviert, es graviert ihn, dass ..., vereinzelt als V. reflex, 'sich beschwert fühlen; sich grämen' (s. Beleg 1661); im 19./20. Jh. gelegentlich adj. im Part. Perf. graviert '(politisch) verdächtigt, verfolgt, beschuldigt, diskriminiert', bes. subst. (s. Belege 1854, 1879-1909, 1910), z. B. ein politisch Gravierter. gravierend: Kirchhof 1768 Schutzreden III 525 gravierende Umstände; Lichtenberg 1795 Hogarth II 350 gravierende Umstände; Laukhard 1797 Leben IV 2,16 Ich fand, dass man nicht viel mehr gravirendes gegen mich wusste, als man schon in Landau gewusst hatte; Gotter 1802 Nachlass 354 gravirende Indicien; Droste-Hülshoff 1842 Judenbuche (S. W. l 517) Die Untersuchung war kurz, gewaltsamer Tod erwiesen, der vermutliche Täter entflohen, die Anzeigen gegen ihn zwar gravierend, doch ohne persönliches Geständnis nicht bewei-
send; Meissner 1866 Schwarzgelb 58 Die Erinnerung an diesen Vorfall wäre ihm beinahe entwischt, wenn er sich nicht schnell besonnen hätte, daß er damit eine gravirende Waffe gegen den Mann, den er seinen Schwiegervater nennen wollte, in fremde Hände gäbe; ebd. 182 Obwohl sonach der Commissair bei der Dame nichts Gravirendes finden konnte, wurde sie auf das Bureau geführt, dort verhört und angehalten, sofort abzureisen; Potenz 1898 Grabenhäger I 185 haben sie etwas Gravierendes gegen ihn anzuführen?; Fontäne vor 1898 Ges. W. // 4,284 die sache lag aber
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gravierend
wirklich anscheinend so gravierend, wie nur je das taschentuch der Desdemona (DWB); 1929 Neue Nachr. (Berlin) Nof. Das gravierende Moment in ihrem Leben ist die maßlose Eifersucht allen denen gegenüber, die außer und neben ihr auch einen Erfolg haben könnten; Lokal-Anz. 4. 7. 1934 Wer hätte geglaubt, daß . . sogar winzige Bleistiftspuren als gravierende Indizien zu dienen vermögen; Dtsch. AZ. 9. 7. 1944 Seit den Septembertagen des Vorjahres mit seinen bewegten darauf folgenden Herbstmonaten ist im Süden Europas diese gravierende Belastung der Gesamtfront gemildert; Süddtsch. Ztg. 25. 9. 1950 diese Vorfälle seien besonders gravierend, da sie sich gegen den Bundespräsidenten selbst richteten; ebd. 1. 8. 1958 Die wirklichen Verfehlungen des Beschuldigten . . seien nicht so gravierend, dass durch seine weitere Dienstausübung die Interessen seiner Dienstbehörde . . beeinträchtigt würden; Offenburger Tagebl. 18. 6. 1969 Daher würden Ausnahmegenehmigungen nur in ganz gravierenden Fällen erteilt; Der Weg 11. 10. 1970 Die Zeit aber drängt. Der Mangel an Pflegepersonal wirkt sich immer gravierender aus; taz 10. 9. 1988 Nun haben wir an dieser Schule gravierende Mißstände festgestellt, die uns den Aufenthalt hier unzumutbar erscheinen lassen; Spiegel 30. 11. 1992 Der naturwissenschaftliche Unterricht an Deutschlands Schulen . . kranke an gravierenden Mängeln; Berl. Ztg. 21. 4. 2001 Der bereits im Internet verfügbare neue Fahrplan zeigt, dass die Einschränkungen im Interregio-Verkehr gravierender sind als bisher mitgeteilt. gravieren1: 1347 (Brandts Anfang 17. Jh. Landeshauptleute 62) das wür . . weder mit Worten, noch khainen werckhen, haimlich noch öffentlich nimmermehr das [was geschehen ist] grafern, noch gedennckhen sollen (DWB); 1468 Urkundenb. Göttingen II 287 we [wer] ok mit processen [gerichtlichen Entscheidungen, Urteilen] graveret unde banne bracht were, deme enscholde we neyne absolutien geven (DWB); 1487 Urkundenb. NdRhein IV 544 so mach onser gnediger her van Colne dat interdict amplieren unnd graveren und myt recht werder sy so voell sich geboret procedieren (DWB); Carolus 1614 Relation 14a haben jhre May. an die Fürsten dess Geblüts geschrieben/ das durch diesen [!] Heirath keiner solle gravirt werden; 1619 V. d. Bonorum Cession 27 So hat man wol auch Exempla, dass der Schuldener, so zu sehr graviret vnnd bedrängt worden, von grossem Leydt vnd Bekümmerniss in Melancholey . . gerahten; 1631 Wallensteins Verhandl. mit d. Schweden u. Sachsen 112 sollten nun die unterthanen hier-
über [über Einquartierungen, Plündereien usw. hinaus] noch ferner mit musterpläzen graviret werden, musten sie endlich zu sumpf und boden gehen (DWB); Michaelius 1640 Pommer-Land V 181 damit Pommern . . mit einiger vnnötig- oder beschwerlichen einquartierung . . nicht graviert oder beleydigt werden solle (DWB); Chemnitz 1648 Schwed. Krieg l 66a da . . die fürstliche räthe . . sie [Stadt] mit vielen beschwerlichen fürstlichen mandaten, verweislichen aufrückungen, imputationen, protestationen vnd bedrohungen graviret (DWB); ebd. 1199b allen vnglimpff vnd vnfug, womitt in vorigen keyserlichen schreiben vnd proposition die Leipziger schlusverwandte graviret worden (DWB); 1661 Badische Weist. I 1,69 dahero sich der pfarrer des geringen soldes sehr gravirt (DWB); Brulig 1683 Wien 401 dass der könig in Frankreich . . dass Rom. reich mit einen offendtlichen krieg graviren werde; Döpler 1693 Theatrum poen. 264 [eine Edelfrau] die in verdacht gerathen, als wenn sie ihren ehemann ums leben gebracht hätte, auch sehr graviret war (DWB); Wächtler 1709 Manual 149 Graviren/ beschweren/ belästigen/ z. E. ich werde dadurch merklich graviret; 1714 Berl. geschr. Ztgn. 98 viele documente . ., so das Hollsteinische ministerium, voraus aber den herrn von Goertz sehr graviren (DWB); 1715 Österr. Weist. VI 252,8 da . . der herr hauptmann befunde, daß die Stadt [bereits mit Sachleistungen] gravirt (DWB); Guggenberger 1722 Prozesse 73 dahero ich seines [des Verhafteten] alldort geführten Wandel/ und Beruffs halb/ beyligende Erfahrung . . angeholt/ in welcher er dahin gravirt ist/ daß man ihne in Diebstähln für verdächtig gehalten; Wezel 1776 Tob. Knaut IV 79 Meinen Kopf werde ich mir . . mit dergleichen Grübeleyen nicht graviren; 1788 Journal d. Moden III 264 weil ich sehr ungerne eine ganze Gegend mit etwas gravire, was ihr keinen guten Namen bringt; Laukhard 3792 Leben l 21 Die Beweise fehlten gänzlich. So konnte man doch nicht das geringste herausbringen, das meinen Vater auch nur aus der Ferne wirklich gravirt hätte; Ranke 1836 Gespräch 40 dass die grossen Kontinentalmächte dadurch graviert würden, kann ich nicht einsehen; 1847 Mola 139 dass ihn seine Flucht [nach dem Duell mit tödlichem Ausgang für den Gegner] sehr gravire; Reich 1854 Novellen 158 vermutheten in mir einen politisch Gravierten; 1861 Allg. Mil.-Enc IV 52 Christian Freiherr . . machte die preußischen Feldzüge . . mit, war bei der Capitulation von Prenzlau gravirt; Hansjakob 1879-1909 Jugendzeit (I 259) flohen die Rädelsführer der heimischen Revolution nach allen Seiten, die ärger Gravierten der Schweiz zu; 1886 Verbrecherwelt 13 Fernerhin gravierte es den Dickhoff, daß er . . ein auffallend unruhiges
Gravitation Wesen zeigte . . auch wiederholt die Absicht aussprach, nach Amerika auszuwandern; Derblich 1889 Militärarzt l 140 Bald schleuderten die vielfach gravirten Flüchtlinge . . die Falschwerber und Verschwörer . . Brandfackeln in die Bevölkerung; Voss 1910 Ges. Reden 114 Die Gravierten dieser
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Verbindungen wurden dagegen zu dem Rade verurteilt und später zu lebenslänglicher Festungsstrafe begnadigt; Klemperer 1953 Tagebücher 413 Der Mann [war] als Nazi so graviert, daß man ihm selbst in München nur bescheidensten Posten, nicht etwa volle Professur, gegeben hat.
Gravitation F. (-; -en), im früheren 18. Jh. aufgekommen, über frz. gravitation entlehnt aus engl. gravitation, einer von engl. Physikern etwa Mitte 17. Jh. in Anlehnung an (flekt. Form von) lat. gravitas (vgl. Gravität, —» gravitätisch) geprägten gelehrtenlat. Bildung. a Als terminologische Bezeichnung der Mathematik, Physik und Astronomie für die von Newton formulierte, Keplers Himmelsmechanik und Galileis terrestrische Mechanik zusammenfassende naturgesetzliche Theorie in der Bed. 'Kraft, Wechselwirkung der Anziehung zwischen Massen', speziell 'die (auf den Mittelpunkt der Erde hin wirkende) Anziehung, (Erd-)Anziehungs-, Schwerkraft, die einem auf der Erde befindlichen Körper eigentümliche Schwere' (—* Attraktion a), z.B. die Gravitation der Erde, des Mondes, der Planeten, im Weltall ist die Gravitation aufgehoben, Gravitation zum Mittelpunkt der Erde; Gravitationsenergie, -feld 'Bereich in der Umgebung eines Körpers, in dem er auf andere Körper eine (spür- und messbare) Anziehungskraft ausübt', -gesetz 'Gesetz der Abhängigkeit der Massenbeschleunigung vom Quadrat der Entfernungen', -kern, -konstante, -kraft, -lehre, -masse, -messung, -physik, -punkt, -regel, -richtung, -Strahlung, -system, -theorie, -Verschiebung, -welle, -Wirkung, -Zentrum; Anti-, Bio-, Eigen-, Erd-/Mond-, Quanten-, Supergravitation, auch in der verkürzten Form Gravi- in Gravimetric 'Messung der Schwerkraft', -Sphäre 'Bereich, in dem die Schwerkraft eines Himmelskörpers die anderer Himmelskörper übersteigt'. Dazu weitgehend gleichbed. adj. Ableitungen wie seit Ende 19. Jh. gravitativ, in jüngster Zeit (seltener) gravitiv, und seit Anfang 20. Jh. gravitationell, vereinzelt regional (österr.) auch gravitionell, in der Bed. 'auf die Schwerkraft bezogen', sowie das Subst. Graviton (aus Gravit(ation) und dem fachspr. Suffix -on 'Einheit, Zusammenfassung; Wirkstoff < griech. (Sing. Neutr. bezeichnendem) -ov; vgl. Elektron, Proton, Hormon) 'Elementarteilchen, das die Anziehungskraft von Massen vermittelt'. b Seit späterem 18. Jh. bes. in der Politik und Wirtschaft bildlich und übertragen verwendet, selten auch bezogen auf menschliche Verhaltensweisen (s. Beleg 1771), im Sinne von '(bevorzugte, eingeschlagene) Richtung, Neigung, Orientierung, (gegenseitige) Anziehung' (—> Pendel, —* Tendenz), z.B. politische Gravitation, eine bindungslose Generation ohne Gravitation, Gravitation des Tauschpreises, auch 'Anziehung' (s. Beleg 1995; —* Attraktion b), vgl. die Zs. Gravitationszentrum 'zentraler Bezugs- oder Anziehungspunkt'. Daneben bereits im frühen 17. Jh. das aus frz. graviter entlehnte Verb gravitieren V. intrans., zunächst in der veralteten mathematisch-physikalischen und astronomischen Bed. 'der Flieh-, Schwerkraft unterliegen, angezogen werden; sich in einer bestimmten Richtung bewegen, sich gegenseitig anziehen (von Himmelskörpern)', z. B. das Gewicht gravitiert auf der Linie, die Bahnen der gravitierenden Massen (zu a), seit der 2. Hälfte des 18. Jhs. vergleichend (s. Beleg 1767—68) und übertragen verwendet im Sinne von 'den (gedanklichen) Schwerpunkt auf etwas legen, lenken,
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Gravitation
verlagern, irgendwohin, in eine bestimmte Richtung pendeln (lassen); tendieren nach, hinstreben, (sich) neigen zu, sich von etwas (magnetisch) angezogen fühlen' (s. Belege 1800, 1845, 1891, 1963, 2000; -* tendieren), meist mit präp. Direktivoder Situativangabe in Wendungen wie zu/nach etwas (hin) gravitieren, zwischen zwei extremen Standpunkten gravitieren, ich gravitiere zu Ihnen, seltener ohne präp. Objekt (s. Beleg 1885), z.B. Salzburg gravitierte östlich, das historische Interesse gravitiert bei uns Schweizern noch immer, mit dem seit frühem 18. Jh. vereinzelt bezeugten Verbalsubst. Gravitierung F. 'Anziehung' (zu a), auch 'Gewichtung; Betonung' (zu b). Gravitation a: 1738 Hamb. Ber. 714 daß die Gravidation durch die Entdeckungen des Galiläus und Nevtons erwiesen werde, und daß der Mond durch seinen Kreis, vermöge dieser Gravidation, herumlaufe . . daß diese Gravidation und Attraction alle Planeten in ihrem Lauf regieren; 1787 Gehlers Physical. Wh. o.S. [unter Gravitation:] Zween neben einander herabfallende Steine z. B. scheinen nicht die mindeste Anziehung gegen einander zu äussern; sie setzen ungestört ihren lothrechten Fall in parallelen Linien fort, ohne durch ihre Gravitation gegen einander selbst näher zusammenzukommen; ebd. Es muß uns genug seyn zu wissen, und durch unzählbare Erfahrungen bestätiget zu sehen, daß alle im Welträume vorhandene Materie gegen einander nach gewissen sehr bestimmten Gesetzen schwer ist, wir müssen aber nicht glauben, durch die Worte: Attraction, Gravitation, Schwerkraft rc. die Ursache hievon, und den Mechanismus, wodurch die Schwere bewirkt wird, erklärt zu haben; Schiller 1793 Er. III 381 die natur treibt die masse durch die gravitation, das organ durch die vegetation, das vernunftslose und vernünftige thier durch begehrungskraft und empfindung (DWB); Kant vor 1804 S. W. VIII 506 die Wirkung von der allgemeinen anziehung, die alle materie auf alle und in allen entfernungen unmittelbar ausübt, heißt die gravitation; die bestrebung, in der richtung der größeren gravitation sich zu bewegen, ist die schwere (DWB); Campe 1813 Fremdwb. 342 Gravitation, die Schwerkraft, oder die allgemeine Schwere, d.i. die Wirkung der allgemeinen Anziehung, welche die Körper gegen einander äußern; Schubert 1823 Verm. Sehr. II 34 die [Entdeckung] der allgemeinen gravitation, diese kraft ist es, die den apfel vom bäume fallen läßt und die weltkörper in ihren bahnen führt (DWB); 1836 Gehlers Physical. Wb. VIII 635 Die Gravitation eines Planeten gegen die Sonne steht im umgekehrten quadratischen Verhältnisse der Entfernung; 1859 Fortschritte d. Physik XIII 98 Er [Faraday] denkt sich deshalb die Gravitation als eine gewisse Aeusserung einer Kraft von bestimmtem Maass, die aber auch andere Aeusserungsweisen annehmen kann, und mit desto grösserer Intensität wirklich an-
nimmt, je mehr mit der Entfernung die Gravitation abnimmt; 1862 Zeitschr. f. Mathematik u. Physik VII 76 f. Der erste Abschnitt handelt von dem Gleichgewicht und der Bewegung der Körper, als solcher und zwar im ersten Capitel von der fortschreitenden Bewegung, im zweiten Capitel von den drehenden Bewegungen und im dritten Capitel von der allgemeinen Gravitation; Hartmann 1869 Philosophie 235 f. Die grössten Erfindungen der theoretischen Wissenschaft bestehen oft bloss . . in der Erkenntnis eines bisher unbeachtet gebliebenen gemeinsamen Stückes in mehreren anderen Begriffen, z. B. die Entdeckung des Begriffes Gravitation durch Newton; Hallier 1889 Kultttrgesch. 405 Ebenso verkehrt ist es, bei der Abstammungslehre von einer kausalen und mechanischen Begründung zu reden und sie mit Newtons Gravitationslehre auf eine Stufe zu stellen; Volkmann 1900 Einf. in d. Studium d. theoret. Physik 322 Der innere Zusammenhang zwischen Schwere und Gravitation trat in den bisherigen Untersuchungen mehr indirect hervor; Haeckel 1913 Lebenswunder 93 Massenanziehung (Gravitation); Friedell 1931 Kulturgesch. HI 553 Schon Newton hatte betont, es gebe keine einseitige Gravitation, der fallende Stein ziehe ebenso die Erde an wie die Erde den Stein; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 543) er sprach mir von . . dem Weltall, . . angefüllt mit materiellen Körpern ohne Zahl, Meteoren, Monden, Kometen, Nebeln, Abermillionen von Sternen, die aufeinander bezogen, zueinander geordnet waren durch die Wirksamkeit ihrer Gravitationsfelder zu Haufen, Wolken, Milchstraßen und Übersystemen von Milchstraßen; FAZ 13. 11. 1971 Die geringe Gravitation des Mars erklärt den wochenlangen Verbleib der Staubpartikel in der Atmosphäre; Mannh. Morgen 15. 2. 1985 Stellen Sie sich eine allgegenwärtige, von sämtlicher Materie des Universums ausgehende Kraft vor, die selbst über ungeheure Entfernungen alle Objekte zueinander hinzieht. Das ist die Gravitation, auch Massenanziehung oder Schwerkraft genannt, die mit zunehmender Masse und abnehmender Entfernung rasch wächst; Altner 1991 Naturvergessenheit 128 Newtons Gravitationsfeldtheorie (1686), mit der dieser Keplers
Gravitation Himmelsmechanik und Galileis terrestrische Mechanik zusammenfaßte; Berl. Ztg. 25. 10. 2006 Im Sonderforschungsbereich „Raum Zeit Materie" arbeiten Mathematiker und Physiker eng zusammen, um ein einheitlicheres Verständnis von Quantenphysik und Gravitation voranzubringen. gravitationell: 1905-06 Erdbebenwarte V 9 In den Diagrammen von Fernbeben herrschen dagegen die gravitationellen Wellen, wie bei der Bewegung des Wassers, vor; Pecsi 1908 Krisis d. Axiome d. modernen Physik 67 Wie immer es aber mit der Natur . . oder elektrischen Anziehung stehen mag, so bliebe dieses dritte Gesetz im besten Falle ein Gesetz der elektromagnetischen (und gravitationellen) Anziehung; Einstein 1934 Raum-, Äther- u. Feld-Problem d. Physik 147 Es war aber für den theoretischen Geist der Gedanke unerträglich, daß es zwei voneinander unabhängige Strukturen des Raumes gäbe, nämlich die mctrisch-gravitationelle und die elektromagnetische; Wolters 1987 Mach I, Mach II 65 Denn von der Auffassung der Trägheit als eines möglicherweise gravitationellen Phänomens bis zur Gleichheit von träger und schwerer Masse ist es nicht eben ein weiter konzeptioneller Weg, worauf z. B. Reichenbach . . bereits hinwies; Schurz 1990 Erklären u. Verstehen i. d. Wissenschaft 202 Die Principia hatten gezeigt, wie die Bewegungen von Körpern aus dem Wissen über die auf sie wirkenden Kräfte ermittelt werden können, und sie hatten auch die Möglichkeit vorgeführt, gravitationelle Systeme in vereinheitlichter Weise zu behandeln; Presse 28. 12. 1996 Wir kennen von zu wenigen Kometen die gravitionclle Geschichte — wir beobachten ja nur einen kleinen Teil ihrer Bewegung; Salzb. Nachr. 15. 7. 2000 im Raumkreuzer Orion, wo „Magnetkissen geflutet" wurden sowie „schnell wechselnde gravitionelle Felder" manche Aktivität der „Frogs" anzeigten; Hagemann 2002 Schlüsselbegriffe d. gesellsch. Wirklichkeit 458 Sie würden physikalisch betrachtet ein eigenes Inertialsystem darstellen, wären also ganz unabhängig, und würden den Vortrieb erzeugen durch gravitationeile parametrische Verstärkung (wie bei einer Schaukel). gravitativ: Langerhans 1896 Grundriss d. patholog. Anatomie 71 [begünstigt] (mit Herzschwäche) längeres Stehen in Folge der gravitativen Stockung die Ausbildung eines Hydrops gravitativus; Lodge 1907 Elektronen 188 es widerspricht nichts der Annahme, daß die beiden Arten von Kraft, die gravitative und die elektrische, auf wesentlich verschiedenen Eigenschaften des Äthers beruhen; Louis 1960 Allg. Geomorphologie 65 In der Restschmelze erfolgt wegen dieser gravitativen Differentiation eine Gasanreicherung (u. a. Wasser-
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dampf, CO2, Schwefelverbindungen), die zum Aufstieg von Gasblasen im Pyromagma, also zu einer Phasentrennung von flüssigen und gasförmigen Bestandteilen und zu Störungen des hydrostatischen Gleichgewichts führt; Hartmann 1980 Philosophie d. Natur 495 Nun ist aber das gravitative Gefalle der Massen gegeneinander eine Funktion ihrer Verteilung im Räume, also jedenfalls die einer Ganzheit von weit größerem Ausmaße; Hsü/Briegel 1991 Geologie d. Schweiz 91 Die Entstehung der jurassischen Breccien der Breccien Decke wurde von den Pionieren der Alpengeologie einem gravitativen Materialtransport hangabwärts zugeschrieben; Salzb. Nachr. 27. 12. 1993 Die Bewegungen der interstellaren Gase und Sterne an den äußeren Grenzen der Galaxien und der gravitive Zusammenhalt ganzer Gruppen von Sterninseln sprechen unter anderem für eine mindestens viermal größere Masse der Milchstraße, als es die hundert Milliarden sichtbaren Sonnen erwarten lassen; Evers 2000 Raum-Materie-Zeit 346 das Zusammenspiel von Expansion des Kosmos, gravitiver Wechselwirkung und asymmetrischen Materiezuständen; Petry/ Metsch 2005 Theoret. Mechanik 4 Der Term proportional zu den Massen ist der gravitive, der Term proportional zu den Ladungen der elektrostatische. gravitieren: Mögling 1629 Mechan. Kunsthammer l 61 vmb ebenmäßiger vrsach willen wird das gcwicht in k vff der linien c k weniger grauitiren oder belästigen . . vnd zwar je weniger, je näher dem f oder g (DWB); Sturm 1720 Fang-Schleußen E2a weil aber das theil n. b. a. [der waagrechte Anschlagbalken eines Schleusentores] . . eine grausame überwucht hat, wegen seiner länge von 20 fuß, also daß . . sein äußerster fuß bey a. alleine gegen dem ruhe-punct n. [dem Drehpunkt des Balkens] gravitiret (DWB); 1787 Gehlers Physical. Wörterbuch o. S. Die Steine gravitiren nemlich gegen die ganze Masse der Erdkugel unendlich stärker, als gegen einander selbst; daher ist ihr Bestreben in lothrechten Linien zu fallen unendlich größer, als ihr wechselseitiges Streben nach Annäherung, und das letztere kan in dem ersten nicht die mindeste merkliche Aenderung bewirken; 1799 Allg. Lit.-Ztg. I 332 Jene müssen den Gesetzen der allgemeinen Schwere folgen, und sind von den Wirkungen derselben abhängig; die Dünste, die dem Pferde und dem Eisen entfliehen, gravitiren nicht gegen das Pferd und das Eisen, sondern, so wie diese Körper selbst, gegen die Erde; Reil/Autenrieth 1809 Archiv f. d. Physiologie IX l f. Im Unendlichen ist jede Idee beides zugleich, in sich und in allen anderen Ideen, selbst ein Centrum unendlicher Realitäten und doch auch Ausgeburt eines gemeinsamen Centrums. Sie ruht in sich als in ihrem
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Gravitation
Centrum, gravitirt aber auch gegen ein Centrum, gegen welches sie alle gravitiren; Rixner/Siber (Hrsg.) 1820 Leben u. Lehrmeinungen berühmter Physiker, Telesius III 171 Dass aber weder das Wasser, noch die Erde (absolut) schwer seyen, zeigt sich auch daraus, dass keines derselben, seinen natürlichen Ort einnehmend, weiter gravitirt; A. v. Humboldt 1858 Kosmos IV 8 das einförmige Bild stoffgleicher gravitirender Materie, zu Himmelskörpern geballt; Hartmann 1872 D. Vnbewusste v. Standpunkt d. Physiologie 226 Für das metaphysische Unbewusste behält der Satz volle Geltung, denn die Atome der Himmelskörper gravitiren nun schon recht lange auf einander zu, ohne irgend welchen Nachlass in ihrer Kraftentfaltung zu zeigen; Mach 1889 Mechanik 187 Er denkt sich die Erde, deren einzelne Theile gegeneinander gravitiren, durch irgendeine Ebene getheilt; Dacque 1915 Paläogeographie 462 Zudem noch die Gewichtsdifferenz zwischen der vereisten und unvereisten Polarzone den Erdschwerpunkt, was eine Verlegung der Hydrosphäre im Gefolge hat, die nach der durch Eis belasteten Hemisphäre gravitiert und dort weitere Feuchtigkeitsansammlungen in der Luft fördert; 1928 Mathemat. Zeitschr. XXVII 608 Dem Bewegungsproblem, das in diesem Aufsatz seine Erledigung findet, liegt ein kontinuierlich verteiltes, vollkommen inkohärentes, gravitierendes Medium zugrunde, d. h. ein Medium, dessen Teilchen zwar der universellen Attraktion unterworfen sind, sich im übrigen aber, voneinander ganz ungehindert, ohne Spannkräfte bewegen können; 1930 ebd. XXXI 366 Ein Satz über die Winkelgeschwindigkeit der Gleichgewichtsfiguren rotierender, gravitierender Flüssigkeiten (Artikeltitel); Keil 2000 Handeln u. Verursachen 250 Nun gravitieren aber niemals nur zwei Körper gegeneinander, sondern, woran Mach die Physiker erinnern musste, alle im Universum befindlichen. Gravitierung: Raschuben 1717 Cursus Mathematicus 428 Daß man dahero wohl schliessen kan, es sey um die Sonne eben ein flueßiger Koerper, so unten dichter als oben, und also von verschiedener Schwere, . . welcher denen Sonnenwolcken oder Flecken biß auff eine gewisse Hoehe zusteigen erlaube, und die Ursache zugleich, nebst ihrer Schwerung in die Sonne (gravitirung) sey, daß sie sich wieder, wie unsere Wolcken, mit Donner und Blitzen in die Sonne herab lassen, und verschiedene veraenderungen in selbiger verursachen. Graviton: FAZ 15. 1. 1997 Diese fundamentale Theorie soll die Schwerkraft mit den übrigen Kräften in Einklang bringen, die zwischen den Elementarteilchen herrschen. Einer der Stringzustände hat automatisch dieselben Eigenschaften wie das Gra-
viton, das Quantenteilchen des Schwerefeldes; Presse 15. 4. 2000 Doch als großen Triumph feiert die Superstring-Gemeinde seit Jahren, daß ein Muster von Stringschwingungen Eigenschaften hat wie das Graviton, das — hypothetische — Botenteilchen der Gravitation, nämlich eine Masse von null und einen Spin von +2. Gravitation b: Goethe 1771 Br. (WA IV 2,11) Jetzo studir' ich . . Sokrates, den philosophischen Heldengeist . . das Pharisäische Philisterthum . . die Verhältnisse nur der Gravitation und endlichen Uebergewichts der Nichtswürdigkeit; Lotz 1821 Staatswirthschaftslehre l 53 Anm. Gravitation des Tauschpreises; Buss 1843 Armenpflege I Vorr. XXVI durch die Rotation eines Jeden um sein Selbst erlischt jede moralische Cohäsion, und es sinkt ohne die Sollicitation durch eine höhere Kraft Jedes in sinnlicher Gravitation der Tiefe zu; Marx 1844 Kritik (MEGA l 3,40) Bei der Gravitation des Marktpreises zum natürlichen Preise verliert also der Arbeiter am meisten und unbedingt; 1852 Prutz' Museum II492 von den Gründen und Zielen der geistigen Gravitation; 1871 (1962 Ostdtsch. Wiss. IX 223) [politische] Gravitation nach Wien . . Gravitation nach Berlin; Willmann 1897 Gesch. III 332 dass die soziale Gravitation die Summe unzähliger Abstossungen sei; Rilke 1921 Br. II 225 seine [des geselligen Menschen] aktivität ist der des einsamen durchaus entgegengesetzt, sie ist zentrifugal und die gravitation, die sich in ihr auswirkt, unabsehlich (DWB); Spann 1932 Haupttheorien 83 das Gesetz der Gravitation der Preise nach den geringsten Kosten bei beliebig vermehrbaren Gütern und freiem Wettbewerbe; Münch. N. N. 16.2. 1943 Gesetz der „politischen Gravitation"; Lenz 1953 Duell (W. 34) Die wenigen verbliebenen Kräfte mußten ihn verlassen, damit er sich auflösen könnte. Sie verzehrten sich selbst in einer unnützen Tat: Gravitation zum Nichts; Ch. Meier 1978 Prozesse o. S. Die Gravitation der Wahrnehmung schlägt zugunsten des Wandels aus; Minx 1980 Von d. Liberalisierungs- z. Wettbewerbspolitik 273 Als nach dem Zweiten Weltkrieg nur ein intaktes Gravitationszentrum (Nordamerika) vorhanden war, erschien der globale Integrationsansatz als der einzig gangbare Weg; denn die Handelsströme gravitieren zentrifugal; taz 16. 3. 1995 Eine Gravitationsbeziehung wie zwischen Andy Warhol und Velvet Underground transformiert sich . . in ein Rotationsprinzip; Salzb. Nachr. 17. 8. 2000 Eine seltsame Neugierde treibt ihre Personen an, eine unerforschte Kraft der Gravitation und des Strömens, Sehnsucht statt Leidenschaft; taz 13. 9. 2001 Wie kalte Sterne, denen das zu umkreisende Zentralgestirn verloren ging, wirken die
gravitätisch Menschen, die ohne Gravitation bzw. dauerhafte Bindung orientierungslos durchs All fliegen. gravitieren: Herder 1767—68 S.W. 230 vermöge dieser zwei kräfte [des Erhabenen und des Schönen] gravitirt und erhält sich das moralische weitall, wie das physische durch jene zwei ähnliche kräfte Newtons (DWB); Lichtenberg 1768 Aphorismen l 100 Der Mensch als ein Thier betrachtet, dessen Triebe und Handlungen alle gegen einen Punckt gravitiren, der . . durch die Sätze ausgedrückt wird: suche deine Bequemlichkeit; 1795 Neue allg. dtsch. Bibl. XIV 4 Indem nun der menschliche Geist nach dem Höchsten, Letzten und Allgemeinsten strebt, so gravitiren alle seine Vorstellungen zur Einheit; Görres 1800 Resultate (I 27) wenn alles wieder ernsthaft und richtig auf seinem Platze gravitirt, oder in der schulgerechten Form, wie der Hund im Rade, trottirt; 1838 Jahrbücher f. wiss. Kritik H 903 So wenig jedoch scheint dies der Fall, dass zur Zeit Vielen eine deutsche katholische bischöfliche Kirche, die nicht nach Rom hin gravitirt, sogar lächerlich erscheint, obschon nicht gesagt werden kann, was der Glaube verliert, wenn eine solche Ablösung erfolgt; Stahl 1845 Princip 11 [das von Stahl so genannte] parlamentarische Prinzip . . ist . . unverkennbar ein Gravitiren zur Republik; Drobisch 1850 Grundlehren d. mathetnat. Psychologie 39 von den gegebenen Vorstellungen gravitiren gleichsam gegen eine derselben alle übrigen, und zwar immer gegen diejenige, welche dadurch einen geringeren Druck erfährt als jede andre unter den nämlichen Umständen erfahren würde; Hartmann 1866 Erlebn. 229 eine aus Bayern und den kleineren süddeutschen Ländern bestehende Staatenbildung, die nach Österreich gravitierte und auf deren preußenfeindliche Gesinnung Frankreich rechnete; Pecht 1876 Glaspalast 4 ein Drittel nach Rom, ein anderes gar nach Utopien gravitire; Riehl 1885 Vortr. II 2 und die äußere Macht des Reiches gravitierte am Rhein, wo später die deutsche Ohnmacht sich am gründlichsten offenbaren sollte; Fischer 1891 LG Schwabens l 55 Nehmen wir alles zusammen, so gravitiert freilich auch Haug ganz entschieden nach der vorgoethischen Litteratur hin; Ruederer 1916 Erwachen 23 Allerdings gravitierte sie nach höheren Regionen als in das Braugewerbe; sie hatte in hohe Beamtenkreise geheiratet und
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wurde durchweg die Frau Geheimsekretär genannt; 1930 Dtsch. Offiziersbund 859 Nach dem Krimkriege „gravitierte" man in ganz Deutschland unwillkürlich mehr nach dem Westen; Lokal-Anz. 11.8. 1934 Während die Alten noch immer nach Wien gravitieren, sprechen die Jungen schon fließend tschechisch; N. Z. Z. 15. 4. 1943 Das historische Interesse gravitiert bei uns [Schweizern] nach innen; Reitzenstein 1963 Städte 10 das Erzstift [Salzburg] war immediat, ein Staat für sich, es gravitierte östlich. Sein Magnet hiess nicht München sondern Wien; Kimpel 1970 Theorie u. Technik d. Romans 100 Man sieht, die innere Ähnlichkeit zwischen dem Dichter und seinem Helden oscilliert im Ich-Roman kaum weniger zwischen den Punkten möglichster Annäherung und weitester Entfernung als in dem Er-Roman, nur dass sie vielleicht doch noch ein wenig mehr nach jenem als nach diesem gravitiert; Zeit 8. 8. 1986 die Philosophie, die aufs Ganze geht, gravitiert zur Einzigkeit, zum Monismus, zum Dogmatismus; taz 12.6.1999 Man kann, das hat Luhmann gezeigt, unter modernen Bedingungen um eine Theorie gleichsam gravitieren, aber man kann sie nicht stillstellen, abschotten und für sakrosankt erklären; Berl. Ztg. 9. 2. 2000 Trotz aller Volten gravitiert die FPÖ unter Jörg Haider jedoch eindeutig nach extrem rechts. Gravitierung: Bismarck 1877 (Schtvertfeger 1929) 45 In der Sorge vor diesen Eventualitäten, nicht sofort, aber im Laufe der Jahre würde ich als wünschenswerte Ergebnisse der orientalischen Krisis für uns ansehen: 1. Gravitierung der russischen und der österreichischen Interessen und gegenseitigen Rivalitäten nach Osten hin; Rutz 1908 Entdeckungen v. d. menschl. Stimme 43 Betonung nach der Höhe (Gravitierung nach der Höhe); Simmel 1910 Hauptprobleme d. Philosophie 149 Endlich kommt ein drittes Motiv in Frage, das die Gravitierung aller ethisch genannten Handlungen auf den Endzweck der Glückssteigerung . . durchbricht; Quesel 1989 Soziologie u. soziale Frage 84 Sein Versuch, theoretische Stringenz durch die Gravitierung auf Ökonomie und Interesse zu gewinnen, scheitert daran, daß er den metaphysischen Ballast nicht loszuwerden vermag, den er sich mit seinem Konstrukt der Persönlichkeit aufgeladen hat.
gravitätisch Adj. und Adv., Mitte 16. Jh. aufgekommene Ableitung von Gravität (< lat. gravitas, s. u.). Zunächst in der auf typische Charaktereigenschaften, Temperamente, gewohnheitsmäßige innere Haltung, (moralische) Gesinnung und Verhalten bezogenen Bed. s (ehr-)würdig, ehrbar, ernst(-haft), (ge-)wichtig, gediegen; eindrucks-/würde-/ho-
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heitsvoll, vornehm; Ehrfurcht, Respekt, Autorität gebietend; altväterlich' (vgl. imposant, majestätisch, —* nobel, —* seriös), insbes. von bestimmten Personen(-gruppen) (Geistliche, Gelehrte, Adelige) (s. Belege 1655, 1697, 1794, 1807, 1832) und Nationen (s. Belege 1610, 1632, 1704), auch (positiv) konnotiert mit „zuverlässig/verlässlich, unbeirrbar; züchtig, (sitten-)streng" (s. Belege 1598.1, 1889.1; —> akkurat, —» korrekt, vgl. konsequent) und (negativ) mit „streng, unflexibel; stur" (vgl. penibel, pedantisch), z. B. mit gravitätischer Konsequenz handeln, gravitätische Grundsätze, die gravitätische Ehrwürdigkeit und Sittenstrenge ist dem Spanier angeboren, das ist eine typische Eigenart der gravitätischen Deutschen, in adj. Reihen wie gravitätisch-feierlich, -freundlich, -konservativ, -steif, -streng, -unerschütterlich, -würdevoll, -zurückhaltend, auch übertragen auf Sachverhalte, bes. Gefühle und emotionale Reaktionen 'ernst, wichtig zu nehmen, verbürgt; tiefgehend/-greifend/-schürfend, tiefempfunden, aufwühlend; düster, schwermütig' (s. Belege 1584, 1657; —> gravierend, —·* authentisch, —·· trist; vgl. melancholisch), z.B. die gravitätische Gelehrsamkeit, eine gravitätische Nachricht, Angelegenheit; gravitätisch-bedeutungsschwer, -bedrückend, -diabolisch. Seit Anfang 17. Jh. bezogen auf das äußere Erscheinungsbild, das (ritualisierte) Auftreten und Gebaren von Personen (v. a. älteren Männern), bes. von Gesten, Bewegungsabläufen, Mienenspiel für 'würdevoll, feierlich, bedächtig, nachdrücklich, bedeutungs-, eindrucksvoll (auftretend, sich gebend, aussehend); langsam, gemessen (einher-, daherschreitend)' (s. Belege 1689, 1721.2, 1767, um 1850, 1871; —* theatralisch, —> rituell, vgl. zeremoniell), in Wendungen wie ein gravitätischer Bürgermeister, Patron, Richter, gravitätische Herren in schwarzer Toilette, der gravitätische Gesangslehrer im steifen Gehrock, ein gravitätischer Kniefall, Handkuss, Gang, eine gravitätische Pause einlegen, gravitätisch auf und ab schreiten, marschieren, stolzieren, sich mit einer gravitätischen Verbeugung/Geste vorstellen, verabschieden, mit der gravitätischen Miene eines Arztes, gravitätisches Kopfnicken, mit gravitätischen Schritten die Treppe zur Bühne hinaufsteigen und additiven adj. Zss. wie gravitätisch-eindrucksvoll, auch bildlich von den charakteristischen äußeren Merkmalen und Bewegungen einiger Tierarten (s. Belege 1778, 1844), z.B. Störche/Pelikane stelzen gravitätisch umher, der Haushahn thronte gravitätisch auf dem Misthaufen und vereinzelt von Gegenständen (s. Beleg 1985), speziell auch von sprachlicher oder künstlerischer Ausdrucksweise (s. Belege 1598.2, 1619, 1647, 1682, 1700, 1721.1, 1757—58, 1947; vgl. emphatisch, pathetisch), z.B. in gravitätischem Tonfall, mit gravitätischer Stimme, die gravitätische Sprache der Tragödien, gravitätisch reden wie ein Pfarrer von der Kanzel, es erklang eine gravitätische Musik, sein gravitätischer Bariton ertönte durch den Saal, sie tanzten einen alten, gravitätischen Volkstanz; demgemäß (in Bezug auf die Einschätzung einer Person durch andere und ihre Wirkung auf andere) für '(hoch) angesehen, berühmt, ansehnlich' (s. Belege 1563, 1625, 1646; —» repräsentativ, vgl. respektabel), auch erweitert auf konkrete Gegenstände, Bauwerke o. Ä. 'feierlich, gewichtig, stattlich (wirkend), prunkvoll, prächtig' (s. Belege 1640, 1889.2, 1919, 1968.1, 1988; -» pompös), z.B. große gravitätische Bodenvasen standen in der Eingangshalle, ein düsterer Raum mit gravitätischen Ledersesseln; schon früh als äußerer Ausdruck übertriebenen Dünkels, eitlen Hochmuts und Überheblichkeit negativ wertend im Sinne von 'lächerlich steif, gestelzt, gespreizt, affektiert; eingebildet, aufgeblasen; ein Missverhältnis zwischen dem inneren Wesen und dem äußeren Eindruck darstellend, unverhältnismäßig, aufgesetzt, aufgebauscht' (s. Belege 1605, 1615, 1697, 1853, 1930), z.B. in gravitätischer Selbstzufrie-
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denheit schwelgen; gravitätisch-geziert, -lächerlich, -komisch; lächerlich-, albern-gravitätisch. Dazu bereits seit früherem 16. Jh. aus (flekt. Form von) lat. gravitas 'Schwere, Beschwerlichkeit, Last; Ansehen, würdevolles Wesen' (zu gravis 'schwer'; vgl. frz. gravite; —+ gravieren 2 , —»· gravierend, —·· Gravitation) entlehntes Gravität F., selten M. (-; ohne PL), bis Ende 17. Jh. in der Schreibung Gravitet, in jüngster Zeit vereinzelt archaisierend und verstärkend in der relatinisierten Form Gravitas (s. Beleg 2005), zunächst bezogen auf (innere) Eigenschaften in der Bed. 'Würde, Ernst(-haftigkeit), Ehrwürdigkeit, beeindruckende Wesensart und das daraus entspringende Verhalten, die davon abgeleitete Lebenshaltung, die für eine (meist männliche) Person(-engruppe), einen Stand oder als Nationalcharakter einer Nation wesensgemäß, eigentümlich, typisch ist' (—»· Grandezza, —> Seriosität, —»· Solidität), insbes. bezogen auf den Nationalcharakter der Spanier (s. Belege 1626, 1691, 1706, 1800), auf geistliche, gelehrte, politische o.a. Würdenträger (s. Belege um 1564, 1921), gelegentlich auch abwertend '(Sitten-)Strenge, Härte; Schwerfälligkeit, Sturheit' (s. Belege vor 1835, 1844; vgl. Pedanterie, Prüderie], z. B. die sprichwörtliche spanische Gravität, die angeborene bäuerliche Gravität tut sich schwer, objektiviert zu 'angemessene Würde, Wichtigkeit, Gewicht, gehöriges Ansehen, Ehrfurcht, die einer Person(-engruppe), einem Amt standesgemäß, rechtmäßig zukommt' (s. Belege 1595, 1604, 1819; —·· Autorität, —» Reputation, —> Respekt), z. B. einen vornehmen Herrn mit der nötigen, gehörigen Gravität empfangen, und kollektiv für eine Gesamtheit von Würdenträgern oder als Ehrentitel für einen einzelnen Würdenträger, z. B. die geistliche Gravität (s. Belege 1801, 1946; vgl. Eminenz, —* eminent, Magnifizenz); seit Ende 16. Jh., gelegentlich leicht abwertend, bezogen auf eher äußerliches (ritualisiertes), optisch wahrgenommenes Verhalten in der Bed. '(unnötiger) feierlich-steifer Ernst, Würde, zeremonielle Förmlichkeit, Feierlichkeit in den Umgangsformen; effekt-/prunkvolles Gebaren, Auftreten, beeindruckende, stattliche Erscheinung' (s. Belege 1695, 2000; —> Pathos, —> Zeremonie, —> Zeremoniell), auch 'steife, feierliche Gemessenheit der (Tanz-)Bewegungen' (s. Belege 1594, 1721), und 'nachdrückliche Sprechweise; nachhaltiger Eindruck, Ausdruckskraft künstlerischer Darstellung (Sprach-, Musizier-, Malstil)' (s. Belege 1598, 1609, 1726, 1746, 1954; -> Emphase, -» Pathos), z.B. sich mit altmodischer Gravität verbeugen, die unerschütterliche Gravität der Tänzer, Gravität im gesanglichen Vortrag, die einschüchternde Gravität seiner Rede/Stimme, schon früh auch ironisch bis abwertend gebraucht für '(falsche, unangemessene) Würde bezeugendes Auftreten, Verhalten (als Zeichen von innerem Hochmut, Dünkel, affektierter Überheblichkeit und Heuchelei)' (s. Belege 1555, 1563, 1701, 176768, 1791, 1864; —» Attitüde, —> Arroganz), z.B. etwas Unbedeutendes mit überzogener Gravität behandeln. gravitätisch: Frisius 1556 Diet. 1139b von seinem ernst lasen, nit mer so grauitetisch oder so crnsthafft seyn (DWB); Kirchhof 1563 Wendunmut h II 351 wie dieser großtha'tige, gravitetische kriegsfürst auff ein zeit zu tisch gesessen (DWB); Platz 1578 Christi. Rettung 10 mehr . . ein schalknarr . . und lotterbub dann ein gravitätischer theologus (DWB); 1584 Script, rer. Livon. II 44 man ock . . in erer vorsammelingen, van keinen grauitetischen vnde wichtigen saken vnde hendelen, bcsondern . . van
ändern vnnütten dingen gehöret hefft (DWB); Spangenberg 1598 Musica 16 wo mann vber seinen Alken Erlichen, Grauitetischen Landtgebreuchen vnnd gewohnhciten Ernst und steiff hellt (DWB); ebd. 84 in allem gesang, diese vnderschiedtliche töne zu vermerckhen, entweder ein frölicher oder kläglicher, oder mittelmeßiger grauitetischer lautt oder ton (DWB); Sommer 1605 Empl. Corn. A4b etliche sawrsehende gravitetische Narren; Guarinonius 1610 Greuel 240 der landsart nach, wie die
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Italiener zornig, die Spanier prächtig, die Teutschen grauiterisch vnd ernstlich, stehet jeder nation ihr brauch wohl an; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 170 sie [eselische Personen] ziehen mit grossen dicken Leibern/ mit langen Bärthen und gravitetischen Sitten auf; Prätorius 1619 Syntagma tnus. II 16 je gravitetischer und prechtiger sie [Bassgeigen] einher prangen; Drexel 1625 Schutz Engel (Übers.) 377 einen ansehnlichen vnd grauitetischen Mann; Zeiller 1632 Reyssbuch Vorr, A3a [in Deutschland kann man] die Civilitet, rechte Adeliche Vbungen, Sitten, vnd Tugenden, . . gravitetische vnnd ernstliche Caeremonien [erlernen]; ders. 1640 hin. ital. 102b die kirche, . . welche der zu S. Peter in Rom, der Stellung nach, gleich seyn solle, . . ist wegen jhres gravitetischen gebäws die allerschöneste (DWB); Corvinus 1646 Föns lat. 106 baro . . ein freiherr . . ein baner herr oder sonst ein ansehnlicher gravitetischer dapfferer mann (DWB); Rist 1647 Friedewünschende Teutschland 49 eine gravitetische musik mit unterschiedlichen Instrumenten . ., daß alles gantz ernsthafft und beweglich abgehandelt wurde (DWB); Moscherosch 1650 Philander (Bobertag 92) sie stelleten sich alle gar gravitätisch, züchtig und still; Abelin 1655 Antipod. 411 die edelleut, vnd die etlicher massen dem könig verwandt seyn, halten sich .. im reden gar gravitätisch (DWB); Harsdörffer 1657 Gesprechsp. U 354 ich habe mit dem herrn doctor Thesauro ein gravitetisches mitleiden [über den Verlust seiner Tochter] (DWB); Butschky 1677 Pathmos 487 nach dem absteigen treten sie mit einem gravitätischen, hoch-ansehnlichen gange in ihr haus, und machen ein solches paar äugen, das ihr die hochmüthige einbildung selbst, kein besseres muster hefte erlesen können (DWB); 1682 Frantz. Kriegs-Simpl. 5 [ein zerlumpter Soldat] hübe darauf mit so heroischen, gravitätischen, und centnerschwerigen werten sich aufzuführen (DWB); Ziegler 1689 Asiat. Banise 52 er gieng mit solchen gravitätischen Schritten nach der Gartenthüre zu, als ob er dem Actäon ein Hörn abgerannt hätte; Hoffmannswaldau 1697 Gedichte VII 234 seht doch unsern Meyer an, leute! seht doch! wie er stutzet,/ wie er gravitätisch geht! wie er sich so prächtig putzet!/ [nachdem er Magister geworden ist] (DWB); 1700 Monatl. Auszug Jan. 37 In den Apologien sey eine gravitätische/ im Dialogo eine leichte und niedrige Manier zu schreiben; Abr. a S. Clara 1704 Gemisch Gemach 250 der Kopf [des Teufels bei seinem Sturz vom Himmel] ist gefallen in Spanien, darumb seynd sie also hochmütig, aufgeblasen vnd gravitätisch; Elis. Charl. 1718 Br. III 309 Ich burtzelte aber so poßirlich, daß ich . . noch lachen muß, wen ich dran gedencke, insonderheit wie mich 2 große Jessuwitter so gar gravittätisch auffgehoben haben; Heraus 1721 Gedichte 17 wem
dürfen nachgehen in gravitetischer spräche der tragödien ein Lohenstein, ein Gryphius? (DWB); 1721 Poesie d. Niedersachsen VI 140 die ehrentänze, sonder hüpfen,/ mit stiller gravität verknüpfen,/ und par bey par in Ordnung stehn:/ hierauf mit wolanständgen grüssen,/ und ernsthaft fortgesetzten Rissen,/ bedachtsam auf und nieder gehn (DWB); Rieger 1734 Böhm. Brüder I 117 wenn einer jetzt gegen diese köstliche und gravitätische nachricht die gemeine böhmische erzehlungen hält (DWB); Liscow 1739 Satir. Sehr. 279 wenn man ofenbare thorheiten ganz ernsthaft und gravitätisch widerlegen wollte (DWB); Bodmer 1747 (Br. dtsch. Gelehrter I 72) ein Blick auf die gravitätische Rathskleidung, die ich noch nicht abgelegt hatte; Gottsched 1751 Crit. Dichtkunst 391 ein spondäus aber besteht aus zwoen langen sylben, und geht also auf eine recht gravitätische ernsthafte art einher (DWB); Müller 1757-58 Nachtgedanken 260 Der hochansehnliche Director selbst hält seine feyerliche Rede, und das Gewichte der gelehrten Abhandlung wird mit erhabenen [!] Ernst und gravitätischer Stimme recht lebhaft vorgestellt; Herder 1767 Dtsch. Literatur (S. W. / 432) das gravitätische Kopfnicken des Präceptors schreckte mich; Müller 1778 Fausts Leben 20 gehen meistens mit vollgestäubten Perücken gravitätisch einher wie Gänse; Nicolai 1783 Reise I 224 einige der Knäblein dankten den männern, für deren Verdienste und Alter sie billig Respekt hätten haben sollen, mit einem gnädigen Kopfnicken, und hätten gern einen gravitätischen blick dazu gemacht, wenn sie schon gekonnt hätten (DWB); Jacobi 1794 Woldetnar I 42 die Vornehmen lächelten oder schielten gravitätisch hin und wieder weg [nachdem jmd. auf den Boden gefallen ist]; Bouterwek 1807 Gesch. VI 26 Gärten .., in deren steifen Alleen die Herren und Damen gravitätisch, wie Ludwig mit seinem Hofstaate, spazieren gingen; Iffland 1827 Theatral. W. VIH 57 daß sie [zukünftige Gattin] wohl lustig bleibt, wenn wir unter uns sind, . . sobald leute kommen, muß sie gravitätisch werden (DWB); Marianus 1832 Korn. Scenen 151 Indessen die Bursche, wie Domherren, steigen/ Den Markt gravitätisch bald auf und bald ab; Gaudy 1844 S. W. XIII 29 kam ein purpurfarbener storch gravitätisch, wie ein haushofmeister, hervorgeschritten (DWB); Böhmen um 1850 Br. zweier Handwerker 3 Wie schritten sie gravitätisch und ihrer Würde bewusst einher bei ihren Festen und Aufzügen; Gervinus 1853 Gesch. d. dtsch. Dichtung III 119 der held [der Komödie] ist eine art don Quixote . ., ein gedankenvoller, pfauenartiger, hochredender, gravitätischer junker, der alles stolz, mit bedacht, nach der tabulatur thut, und sich so viel einbildet, daß er zu sich selbst redend sich ihrzet (DWB); Bauernfeld 1871 Ges. Sehr. IV
gravitätisch 200 die frauen mit gravitätischen und ernsten mienen, die ihren männern immer mit der würde der Weiblichkeit jedwede Schüssel reichen (DWB); Heidel 1881 A. drei Jahrhunderten 13 es wurde nicht an Stelle der gravitätischen Gelehrsamkeit der französische Esprit eingetauscht, sondern nur die französische Genußsucht; Keller 1889 Ges. W. VI 296 reitet ihn denn der teufel, dich diesem strolch und tagedieb [zur Frau] zu geben? wo bleiben denn seine gravitätischen Grundsätze? (DWB); ebd. V 190 die [große Ratsstube] war . . düster anzusehen, wände und decke ganz mit schwarz gefärbtem ebenholz getäfert . . ein gar kunstreiches bildwerk von sehr fröhlichen göttergeschichten . . wie man sie in diesem gravitätischen saale am wenigsten vermutet hätte (DWB); Roberts 1891 Mitleid 239 einer jener gravitätischen Herren in schwarzer Toilette, die zwischen den Tischen hin und her kreuzen, Rilke 1900 Er. u. Tagebücher 1899-1902 274 diese manner in den argen sonntagsröcken . . gravitätisch, fast unbewegt würdig im tanz (DWB); Dehio 1919 Kunst l 248 so liegt auch in den kirchlichen bauten dieser Sphäre [Elsass] etwas gravitätisch prunkvolles, markiges und wehrhaftes, das gar nicht nach mönchtum schmeckt (DWB); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 40) dieser ernsten, ja frommen Bürgertracht [eines Ratsherren] . ., die ein zugleich gravitätisches und verwegenes Gemeinwesen durch die Zeiten mitgeführt und in pomphaftem Gebrauch erhalten hatte, um zeremoniellerweise die Vergangenheit zur Gegenwart, die Gegenwart zur Vergangenheit zu machen; ders. 1930 Erz. (W. Vlll 700) Gravitätisch und gebläht kehrte der Cavaliere aufs Podium zurück unter einem Beifall, dem seine Beredsamkeit doppelte Fülle verliehen hatte; Berend 1932 Kapitän 33 [im Nebenraum einer Apotheke] stehen gravitätisch schwarze Ledermöbel; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 420) daß all diese in einem gravitätisch latinisierenden und unbeschreiblich einfältigen Übersetzungsstil vorgetragenen Fabeln . . außerordentlich erheiternd wirken können; Welt 5. 9. 1959 bei diesem kleinen, etwas gravitätischen Mann wird das Anliegen spürbar . . und der tiefe Ernst; Lenz 1968 Deutschstunde (W. VI 48) Kisten stellten die Tische vor, Marmeladengläser und gravitätische Krüge die Vasen; ebd. VI 661 sein Gang . . schien passend zur Verkleidung gewählt: gravitätisch, mit besitznehmendem Schritt und freie Bahn für sich beanspruchend kam er die Treppe herauf; ders. 1973 Vorbild (W. VII 537) Pundt wehrt gravitätisch ab, senst mit versteifter Hand die Frage nieder; Zeit 10.2. 1985 Drei bunte Buchstaben schweben gravitätisch auf dem Bildschirmgrund: dann entfalten sie sich mit Rauschen und Piepsen in den Farben schwarz, rot und gold; taz 23. 7. 1988 Das Flachdach des vorgezogenen Ein-
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gangsbereichs überträgt die gravitätische Breite in den eigentlichen Saalbau mit dem höheren Kupferdach; Presse 19. 5. 1995 Da es keinen deutschen Begriff wie „science" gibt und das Wort „Naturwissenschaft" etwas gravitätisch klingt, hat man sich für die futuristische Genre-Bezeichnung entschieden; Bert. Ztg. 21. 3. 2000 Gravitätisches Auftreten ist ein Geheimnis des Körpers, erfunden, um die Mängel des Geistes zu verbergen; Mannh. Morgen 26. 9. 2001 Mitten unter modernen Menschen schreiten barocke Gestalten gravitätisch daher und rezitieren recht gestelzte Texte aus „ihrer" Epoche. Gravität: St. Vigilius 1541 De rebus memorandis 18b das inn Demosthene mehr kunst vnd krafft wol zureden, inn Platone aber mehr philosophischen grauitet vnnd dapfferkeyt (DWB); Waldis 1555 Päpstisch Reych Q2a Doch ists nur alles heucheley/ Falsch gleissen, list vnd triegerey./ Ir schmeicheln vnd freuntliche wort/ Ir grauitet an allem ort; Kirchhof 1563 Wendunmuth II 505 wo ein breymaul und junger gauch/ sich auff haußhalten nicht versteht,/ denckt ihr: was für ein gravitet! (DWB); um 1564 Zimtner. Chronik III 113 es solten die herren assessores ire gravitet nit allain in publico, sonder auch in private halten (DWB); 1594 (Böhme 1886 Gesch. d. Tanzes 84) [der Vortanz] gehet mit ziemlicher gravität ab, denn in diesem nicht soviel ungebührlichen tummelns geschieht (DWB); Lorichius 1595 Pädagog. Princip. 27 wirt insonderheit auß guter Unterweisung und lehr jungen herrn groß ehre, grauitet, zier und dapffer ansehens entspriessen (DWB); Spangenberg 1598 Musica 75 Melampides hart vil von der Newen Musica geschriben, Vnnd würdt hartt beschultiget, Daß er gahr Zu weitt von der Alltten Erbarkeit vnnd grauitet Außgeschritten, Vnnd mehr leichtferttigkheit, Dann kheiner seiner vorfahren eingefüret; Fioravanti 1604 Krön d. Artzney 78 dass er [Arzt] seiner Gravitet nicht vergesse, sich frölich von Angesicht vnd freundlich im Gespräch erzeige; Lopez 1609 Congo 63 Sie haben auch Pfeiffer am Hoff, die auss der Kunst pfeiffen, vnnd mit dem Gepfiff zugleich dantzen, mit sonderlicher Züchtigkeit vnd Grauitet; Fröreisen 1613 Wolken (Übers.) 184 Dieweil du so stattlicher massen/ Einher prangest auff allen gassen,/ Wirffst die äugen im Kopff herumb,/ Bald auff die seit, bald dort hinumb,/ Erhaltetst hiemit in der stillen,/ Dein gravitet umb unsert willen; Perez 1626 Landstörtzerin I 157 Da dann mein erbahrer Admiral in seinen [!] Castilianischen Gravität fleissig in acht nam/ ob mich vielleicht einer von den Trägern . . wollte berühren; Boccalini 1644 Relation a. Parnasso 637 was er für ein hofmann sey, wann er nicht weiß, daß ein fürst ohne gravität nur ein
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gravitätisch
pfaw ohne ein schwantz seye (DWB); Lauremberg 1652 Scherzgedichte XH 268 de supp' ist von verstand, .. dat brod von gravitet, de tarten von courage; Thomasius 1691 Ausübung d. Vernunftlehre 136 daß du nicht durch eine spanische und pedantische gravität deine Zuhörer verdrüßlich machst (DWB); E/K. Charl. 1695 Br. l 43 hernach war die audientz, so all zimblich lang gewehrt; den es geht mitt gravitet und ceremonien her; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 87 ihre [der Franzosen] ohnerzwungene ehrerbietige Freyheit ist geschickter sich in die Gemüther der Menschen einzuschleichen als eine affectirtc bauerstolze gravität; Gundling 1706 Otia Vorr. 5a Ein Spaniol thut sehr unrecht, wenn er wegen seiner angebohrnen Traurigkeit und Grauität die etwas listigere Gedanken der Frantzosen hasset; 1718 Abentbeuerl. Welt l 30 Er war ein Cavalier von Resolution/ Voll Gravität, und doch darbey von Raison; ebd. Hl 4 da der Schneider mir bringt auff das Oster-Feste/ Mit aller gravitaet den Mantel, Rock und Veste; 1721 Poesie d. Niedersachsen VI 140 die ehrentänze, sonder hüpfen,/ mit stiller gravität verknüpfen,/ und par bey par in Ordnung stehn .. hierauf mit wolanständgcn grüssen,/ und ernsthaft fortgesetzten füssen,/ bedachtsam auf und nieder gehen (DWB); Musig 1726 Licht d. Weisheit l 268 stehet er [Redner] aber auf [der] Cantzel, und hat zu Ichren, so wird eine mittelmässige Red-Art, welche mit einer gravität verknüpffet ist, das beste Geschicke haben; 1741 Dtsch. Schaubühne Hl 531 bey solchen beleidigungen hat die gravität ein ende; sie sollen mir satisfaction thun (DWB); Shaftesbury 1746 Soliloquium (Übers.) 294 Gravitaet und Ernsthaftigkeit [im literarischen Stil]; Lessing 1767-68 Dramaturgie (S. Sehr. X 79) Wie oft [wird] das Ernsthafte und Wichtige mit einer leichtsinnigen Art, und das Nichtsbedeutende mit lächerlicher Gravität behandelt; Wezel 1777 Erz. I 28 mit der finstersten Maske der Gravität auf dem Gesichte; Nicolai 1783 Reise l 311 [leichtfertige „Weibergesellen"] setzen die bevölkerung, um deren willen sie aus Nürnberg sind vertrieben worden, in Fürth fleißig fort; welcher ort daher an bewohnern zunimmt, zumahl da ihm die Nürnbergische gravität noch von zeit zu zeit kolonisten zusendet (DWB); Schubart 1791 Leben l 146 diese beleidigende gravität findet man nicht so in deutschen reichsstädten; denn da ist alles offen, gerade, gleich, deutsch, gutherzig (DWB); Jenisch 1800 Geist II 527 Angeborne Gravität und Ehrwürdigkeit seines Standes halten selbst den spanischen Geistlichen von dem Besuch des abentheuerlichen und zotenreichen Theaters nicht zurück; Herder 1801 Adrastea (S. W. XXIII 153) die beleidigte, insonderheit geistliche gravität hat jedes kleine übermaas in ihnen
[den polemischen Scherzen Shaftesburys] gnugsam gerüget (DWB); Schiller vor 1805 S. W. VII 314 mißtrauen und furcht hatten den geist des muthwillens und der fröhlichkeit verscheucht, eine gezwungene gravität sogar das minenspiel gebunden (DWB); ebd. X 124 wenn die wahre würde . . noch stets frcy und offen bleibt, wenn . . der heitre stille geist auf der beredten stirne ruht, so legt die gravität die ihrige in falten, wird verschlossen und mysteriös und bewacht sorgfältig wie ein komödiant ihre züge (DWB); /. v. Müller 1810 S. W. III 54 den . . aufbruch der Bernischen landleute stillte mit altrömischer gravität der Schultheiß Jacob von Wattewyl (DWB); Pouque 1819 Gefühle, Bilder l 129 ich wäre schon ein paar mal ganz artig aus der bekannten gravität und ruhe, die ich mir als Staatsbürger und vierzigjähriger mann schuldig bin, herausgetanzt (DWB); Ritter 1822 Erdkunde IV 636 bei ihrer [der Koreaner] natürlichen gravität sprechen sie sehr emphatisch (DWB); W. v. Humboldt vor 1835 Latium u. Hellas 138 [dass die Griechen] hierin [in der Päderastie] von einer gewissen pedanterei und gravität der Sittlichkeit frei waren (DWB); Gaudy 1844 S. W. XIII 108 don Hernandez mochte sie [die Tränen der Tochter] in seiner verknöcherten gravität wohl kaum bemerkt haben (DWB); Grimme 1856 Kind 284 Dies fügte sie mit einiger Gravität hinzu, um das Lachen zu unterdrücken; Brunner 1864 Erz. u. Sehr. II 108 Gockel . . ertheilte jeden bescheid nach geckenmanier mit einer . . absonderlichen gravität, einem angebornen hochmuth und einer verletzenden arroganz (DWB); Keller 1889 Ges. W. V 40 in dem letzten schütten [des Maskenzuges] sassen nämlich .. ehrwürdige kaiser und könige, ratsherren und Stabsoffiziere, prälaten und stiftsdamen in höchster gravität (DWB); Hehn 1893 Goethes H. u. D. 87 Eine gewisse Gravität und bürgerlich-stattliche Haltung ist ihm [Vater] angeboren; Scheffel 1907 Ges. W. I 111 eure gravität, eure eminenz (DWB); Dehio 1921 Kunst II 103 genaue angäbe der standesmerkmale in tracht und haltung — geistliche gravität, fürstliche pracht, ritterliche schneidigkeit, weibliche huld und anmut (DWB); Schröder 1946 T. Eliots Mord im Dom 22 [Ich] hoff, eure [des Erzbischofs] gegenwärtige gravität/ entschuldigt meine ergebenste frivolität (DWB); Uhde-Bernays 1954 Haus 125 Die repräsentative Haltung des Bildes wird durch die Gravität der Farben, der Stattlichkeit und der Schärpe gesteigert; Klemperer 1957 Tagebücher 659 Ich . . wundere mich regelmäßig über die Gravität, mit der jedesmal das gleiche Thema durchgekaut u. die tatsächliche Belanglosigkeit des eigenen Tuns ignoriert wird; Heuss 1963 Erinn. 100 Das war mein erster Eindruck von
Grazie Männern, die ganz offenkundig „Künstler" waren. Sie schritten mit leichter Gravität am väterlichen Haus vorbei; Mannh. Morgen 12. 4. 1989 der klassische Beethoven. Ein wenig breit in den Konturen, ein bißchen altväterlich in seiner Gravität und dem dunklen, manchmal sogar ein bißchen stumpfen Klang der Wiener; Frankf. Rundsch. 15.3.1999 Gravität .. als Zeichen von Solidität; Begabung, Ernst und Importanz sind Tugenden, die etwas auf
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die Waage bringen; Mannh. Morgen 8. 9. 2000 In den ausgewählten Tänzen des 15. bis 18. Jahrhunderts leben das höfische Zeremoniell und die majestätische Gravität der Adelsgesellschaft bei festlichen Begegnungen wieder auf; Süddtsch. Zig. 30. 3. 2005 Die unverschämte Leichtigkeit, mit der die tiefen Fragen . . gestellt werden, ist weit entfernt von der Gravitas, mit der sie in der russischen und deutschen Literatur auftreten.
Grazie F. (-; -n), im früheren 16. Jh. in der Pl.-Form entlehnt aus lat. Gratiae, dem Namen für die drei Grazien (die Chariten < griech. $ der griech. Mythologie), drei Göttinnen der Anmut (personifizierter PL von gratia 'Gunst, Dank, Erkenntlichkeit; Anmut, Lieblichkeit, Liebreiz, wohlgefälliges Wesen' (zu gratus 'willkommen, angenehm'; —» gratis, —»· graziös); vgl. veraltetes Graue, Grade 'Gnade (Gottes)'); zunächst und bis Ende 19./Anfang 20. Jh. (vereinzelt noch in den 60er Jahren des 20. Jhs.) unter Rückgriff auf das lat. Wort in der Form Graue, im 18. Jh. unter Einfluss von frz. grace/engl. grace 'Anmut' (< lat. gratia, s.o.) auch in der Form Grace, seit etwa Mitte 18. Jh. (Winckelmann) als ästhetischer Begriff in der kunstwissenschaftlichen Terminologie zunehmend in der Form Grazie (vgl. b). a Zunächst, meist im PL, im mythologisierenden Stil humanistischer Literatur als um die Mitte des 18. Jhs. v. a. in der anakreontischen Dichtung und bei Wieland stark verbreiteter, meist plur. verwendeter und bis in die 2. Hälfte des 18. Jhs. überwiegend in der Schreibung Gratie bezeugter lat. Name für die (seltener eine der) drei weiblichen Figuren der griechischen Mythologie (Töchter des Jupiter und Begleiterinnen von Venus und Amor mit den Namen Aglaja, Euphrosyne, Thalia; vgl. Charitinnen, Nymphen, Parzen, Furien, Musen), oft in Poesie und Bildender Kunst dargestellte Göttinnen, Trägerinnen und Hüterinnen der körperlichen Schönheit als personifizierter Inbegriff jugendlicher, weiblicher Anmut und Lebensfreude, z. B. die Rosen unter den Füßen der Grazien, der Maler der Grazien, die drei umschlungenen, in Stein gemeißelten Grazien, im Anschluss an die (bildhaft/literarisch umgesetzte) mythologische Vorstellung in Zss. wie Grazienchor, -dichtung, -gemälde, -trio, Dreigrazienbrunnen; Kupfergrazien, bildlich übertragen auf äußere und innere Eigenschaften von Menschen, bes. Frauen, z. B. den Grazien gleich an Schönheit, die (drei) Grazien hatten (nicht) an ihrer Wiege gestanden, leicht und zierlich wie eine Grazie; Grazienantlitz, -gestalt, -lächeln, -leib, -liebe, -milde, -mund, -profil, -lügend, -wuchs, auch, oft (wegen der Identität der Grazie Thalia mit einer der Musen) syntagmatisch verknüpft mit Musen, zur Bezeichnung der für die Inspiration des Dichters zuständigen Schutzgöttinnen der kunstvollen Rede wie der Schönen Künste überhaupt (s. Belege 1751, 1793, 1865), z.B. Gleim als Liebling der Grazien und Musen; Graziendichter, -gesang, -liebling, -lied, -lyrik, -maier, -Sänger, gelegentlich auch allgemein 'gute (Schutz-)Geister' (s. Beleg 1791); häufig (wie Muse, Nymphe, Venus) als Appellativum verwendet für Merkmale und Attribute der Schönheit aufweisende Frauen in der Bed. 'Holde, Schöne' (s. Belege 1679, 1768, 1832, 2000), z. B. drei wahre Grazien kamen des Weges, der Liebling aller Grazien des Hofes, holde Grazien vom Lande; Kleinstadt-, Küchengrazien, gelegentlich in ironischer
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Grazie
Umkehrung ästhetisch abwertend (für Prostituierte oder Kriminelle) (s. Belege 1781, 1901, 1907, 1940). b Seit späterem 16. Jh. zuerst vereinzelt in der lat. (fielet.) Form gratia, gratia und gelegentlich in der frz./engl. beeinflussten Form Grace, seit etwa Mitte 18. Jh. zunehmend, unter dem Einfluss von Winckelmann (durch Eigenschaftsabstraktion aus a) im Bereich der Kunstbetrachtung und Literaturkritik als Ausdruck eines neuartigen Schönheitsempfindens (in Abkehr vom monumental-heroisch bestimmten Schönheitsideal des Barock) bezogen auf Form, Stil, Ausführung und Gestaltung sowie die ästhetische Wirkung von Produkten und Darbietungen der Schönen Künste, überwiegend im Sing., in der Bed. 'Anmut, Reiz, Zartheit, Feinheit, (Wohl-)Gefälligkeit, schlichte Natürlichkeit in der Wirkung, dem Eindruck, den ein Kunstwerk (Gemälde, Musikstück, Poesie usw.) macht' (—» Charme, —» Delikatesse, —> Finesse, —»· Noblesse, —> Raffinesse 2a, —> Raffinement 1), bis Anfang 19. Jh. auch noch (assoziiert mit den drei Göttinnen) im PL (s. Belege 1775, 1784), bes. im Syntagma mit allen Grazien (ausgestattet, geschmückt), gelegentlich ausgedehnt auf (gestaltete) Landschaften und Natur (s. Belege 1834, 1863, 1914.2), in Wendungen wie die sensitive Grazie seiner Sprache, seines Gesangs, Grazie in den Werken der Kunst, Grazie des Geistes, ein Instrument mit Grazie spielen, die natürliche Grazie der Gartengestaltung; im Laufe des 18. Jhs. zunehmend auf körperliche Eigenschaften und Merkmale von Personen, bes. Ausdruck und Bewegung, seltener gegenständliche Erscheinungen übertragen in der Bed. 'ansprechender, angenehmer Anblick, (natürliche) Anmut, Liebreiz der Gestalt, Beschwingtheit, Leichtigkeit, Gefälligkeit, Ungezwungenheit (der Bewegung, des Ausdrucks)' (s. Belege 1818, 1822, 1852, 1920, 2001; —· Charme, —> Schick; vgl. Galanterie, —> galant, Eleganz, —* elegant, —» Harmonie), seltener von Einstellungen und Verhaltensweisen im Sinne von 'feine Lebensart; gefälliges, liebenswürdiges, verbindliches Benehmen; tugendhaftes, holdseliges, ansprechendes, einnehmendes Wesen' (s. Belege 1759, 1909), z. B. moralische, sittliche Grazie, sowie allgemeiner verwendet (s. Belege 1764, 1929), gelegentlich ironisierend in antonymen/inadäquaten Kontexten verwendet (s. Belege 1801, vor 1813, 1874, 1907; vgl. Koketterie), in Wendungen wie er verneigte sich mit der ihm eigenen Grazie, unnachahmliche, unübertroffene, unbeschreibliche, unwiderstehliche Grazie der Gestalt, die natürliche Grazie der Bewegung, ein Bild der Grazie holder Jugend, von lieblicher, freier, südlicher Grazie, unter dem Schleier der Grazie, es fehlt ihm an der nötigen Grazie, voller Grazie, mit (viel)/ohne (jede) Grazie in der Bewegung der Glieder, Grazie des Geistes, sittliche Grazie, sich mit Grazie amüsieren, mit welcher Grazie!, mit Grazie vorgebrachte Beschimpfungen, das ging mit Grazie daneben; Gazellen-, Klang-, Mädchengrazie, oft tautologisch in Verbindung mit Synonymen in Paarformeln wie Grazie und Anmut, Liebenswürdigkeit, Leichtigkeit und Grazie. Grazie a: Hedio 1531 Josephus Vorr. Villa Es haben die alten gesagt, es weren drey gratie, die erst Aglaia, das ist freid, die and' Thalia, das ist grünheit, die drit Euphrosini, das ist lust, vnd denen göttin haben sye ein tempel gebauwen; Gebwiler 1545 Straßburger Chronik 57 doch sint die dignitates und praelaturen der römischen bullen und gratien nit fry, wiewol auch diese 24 tumherren (so capitulates seint) alle in weissen hermelin kutzheiten . . oder dalmatien zu kor konde; Münster 1555
Cosmographia 854 drey bloß junckfrauwen, die hetten einander mit den henden gefaßt . . die Latiner nennen soliche göttin gratias, vnd die Griechen charites . . es folgen jr [Venus] nach die drey grauen oder gnaden, freüd, lust vnd hübsche (DWB); 1560 Sachs XX 193 zirckelweiß stund umb sie [Venus] herumb/ der göttin schar gratiarum (DWB); Held 1566 Lib. Embl. (Griech. Epigr. EM. CLXV) die Kirchen und capellen Charitum . . drey Jungkfrauwen Gratiae oder Charites; Fischart 1575 Ge-
Grazie Schichtklitterung 136 Was soll ich den drei Gratien zu lieb nur treimal trincken; Opitz 1624 Poemata 126 Die schöne Venus gieng mit ihrem kleinen Sohne,/ Vnd dreyen Gratien, zu der Junonis Throne; Perez 1627 Landstörtzerin 142 Vnd diese nenneten sie die drey Gratias, mit Vermelden/ daß der Juppiter jhr Vatter: vnd die Venus jhr gute Freundin vnnd Gespiel; Schill 1644 Ehrenkranz 311 Gratiae . . Huld-Göttin; Harsdörffer 1647 Gesprechspiele VII 48 Gratien . . Huldgöttinnen; Butschky 1677 Pathmos 506 die gratien helfen jhme [dem Dichter] eine schöne färbe daran streichen (DWB); Riemer 1679 Maulaffe 123 kamen drey von ferne feinscheinende Nymphen, in aller Ehrbarkeit von der Kirchen hergegangen . . Es ist leicht zu denken, dass wir also fort nach dieser drey Gratien Herkommen fragten. Das wir nun Nachricht erhielten, dass sie des Predigers Töchter wären; Morhof 1682 Unterr. v. d. ätsch. Sprache H 11 die gratien hauchten dir jhr mildes wesen ein (DWB); Lohenstein 1689 Arminius 11 297b die Römer wiedmeten ihren ersten trunck den hausgöttern, die Griechen den gratien (DWB); 1697 Hoffmannswaldau u. a. Deutschen Gedichte l 38 mund, den die gratien mit ihren quellen netzen (DWB); Decker 1711 Baumeister l Ba zwey Gratien, [die] aus einem Korbe, Blumen herab[streuen] [Beschreibung eines Gemäldes]; 1726 Patriot 111 401 Nach ihr [Venus] kamen die Gratien, die sich einander in die Arme gefasset hatten; König 1745 Gedichte 29 Komm denn, du an Verstand, Holdseligeit und Mine/ Dreyfache Gratie, Durchlauchtste Josephine!; Gottsched 1751 Gedichte l 163 du [Pfalzgraf] warst ja, rufft sie, an der Pleiße/ der gratien und musen lust (DWB); Shaftesbury 1768 Char. (Übers.) 160 [Jeder Liebhaber] dient einer Grazie, und bewirbt sich um eine Venus von dieser oder jener Art; Sonnenfels 1771 Urbanität d. Künstler (VIII 308) Können Menschen, die die Grazie [als idealisierte Göttin der Schönheit] mit aufgelöstem Gürtel täglich ihres Besuchs würdiget, ihre Reize nachbilden, ohne zuerst selbst davon gerühret zu seyn?; Richter 1781 Reise Wien-Paris 65 als ich mich das erstemal von drey solchen Grazien [ironisch für Pariser Dirnen] umrungen sah, die mit den zügellosesten Ausdrücken für einen petit Ecu ihre faveurs anboten; Thütnmel 1791 Reise H 210 die drey grazien des menschlichen lebens — Wahrheit, natur und Freundschaft (DWB); Schiller 1793 Er. Ill 376 ehe sie [Römer] die griechische kunst adoptierten und den sanften einfluß der grazien und musen empfanden (DWB); Sulzer 1794 Theorie IV 88 Schon zu Homers Zeiten waren die Grazien als beständige Begleiterinnen und Aufwärterinnen der Venus bekannt .. Vermutlich erst lange nachher wurde das Gebiet ihrer Herrschaft allmählig weiter ausgedehnt, bis endlich nicht blos
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das schöne Geschlecht, sondern auch Dichter, Philosophen . . kurz alles, was durch irgend eine besondere Art zu sprechen und zu handeln sich angenehm zu machen wünschte, den Grazien opferte, um ihren Beystand zu erhalten; Matthisson 1802 Evian (Sehr. V 376) unter Anrufung der, den Grazien opfernden, Lebensweisheit; Seume 1813 Leben (W. l 42) So fiel mir damals Fischer's Anakreon . . in die Hände, wo des Dichters Grazien in einem Oceane von Notenkrämerei zu Grunde zu gehen in Gefahr sind; E. T. A. Hoffmann 1815—16 Elixiere (S. W. 139) Sie soll ausnehmend schön, und überhaupt die Grazie, die Anmut selbst gewesen sein; Ramler 1820 Mythologie 78 Die . . Gratien od. Charitinnen, Göttinnen der Anmuth heißen Aglaia . . Thalia . . Euphrosyne; Rumohr 1832 Denkw. I 104 unter dem Vorsitze der Grazie der Grazien [vornehme, adlige, schöne und schöngeistige Frauen]; Kohl 1844 Brit. Inseln I 452 Sie sind ohne Zartgefühl und ohne den feinen Geschmack, der uns, unter denen die Musen und Grazien schon länger weilen, auszeichnet; Gaudy 1844 S. W. IV 35 geistvolle anmuth sitt'gen lebens,/ der grazien weihe (DWB); Raabe 1865 S. W. I 6,388 weder von den menschen, noch den grazien, noch den musen aufgesucht (DWB); Nürnberger 1877 Herzenssachen 262 Siehe Aristophanes, Boccaccio, Rabelais und den jüngsten Repräsentanten des „ungezogenen Lieblings der Grazien", — Heine; Wickede 1878 Leutnant 121 die drei Töchter des Obersten, im Geheimen wohl mitunter von den spottlustigen Officieren die drei Grazien genannt; Pomezny 1900 Grazie 26 Gratien oder Huldgöttinnen; ebd. 28 in der galanten Lyrik treten die „Gratien", die den frz. „graces" näher standen, in den Vordergrund; Voss 1901 Prä Checco 57 Unsre drei Grazien zerflossen in Thränen, vergingen vor Jammer und wurden überdies einem scharfen polizeilichen Verhör unterworfen; Bierbaum 1907 Musenkrieg 55 Es leben die Scharmanten,/ Die Grazienverwandten,/ Die kühn auf unsrer [Studenten] Seite stehn; Münch. N. N. 29. 10. 1940 Anni, Emma und Marie, diese drei Grazien, bildeten zusammen ein Sternbild, das unter dem Zeichen schwerer Diebereien stand; Th. Mann 1951 Reden u. Aufs. (W. XI 801) dank seiner Wärme und seiner Geschicklichkeit als Schöpfung eines in Liebe bescheidenen und von den Grazien gesegneten Menschen; Zeit 19. 4. 1985 Hexen werden Updikes fatale drei Grazien, zu denen sich später eine vierte gesellt, in dem Moment, da sie ihre Ehen auflösen; Berl. Ztg. 18. 12. 2000 Drei Grazien im „Dschungel": Im Schaufenster der Disko in der Nürnberger Straße 53 posierten Freitagnacht drei Damen als lebende Dekoration; Mannh. Morgen 8. 1. 2001 Die zwölf Grazien der Turngemeinschaft Mannheim machen nicht nur für das Gruppenbild die dollsten Verrenkungen.
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Grazie
Grazie b: um 1564—66 Zimmer. Chronik II 393 Dieses alles sagt der münch mit ainer sonderlichen pronunciatz und aussprechen, also das der accent [der Stimme] lenger ie höcher stig und ain sondere gratiam het; ebd. 557 mit ainer besondern gratia fur sie herfür und sprach offenlich zu irer widerpart; Fleming 1660 Poemata Vorr. Vlb dass Ihme [P. Fleming] mit herrlicher gratiä zu fassen, keine Arbeit gewesen; Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 47 ich spielt auff meinen 3 Saiten die Sonata mit einer solchen Grace und Anmuth fort, als wenn die Geige noch vollkommen bezogen wäre; ebd. 202 sein Instrument mit schönster Grace anzugreiffen; Gundling 1702 Sehr. 105 wie denn die Patiniana, so man vor kurtzem zusammen gesammlet, nicht so viel Grace gehabt; Philippi 1743 Reimschmiedekunst 147 der poetische Gedanke . . verliere alle grace und gewicht, wenn er an einer unrechten Stelle angebracht worden; Winckelmann 1759 V. d. Grazie i.d. Werken d. Kunst 13 die grazie ist das vernünftig gefällige. Es ist ein begrif von weitem umfange, weil er sich auf alle handlungen erstreket.. die grazie . . ist ferne vom zwange und gesuchtem witze . . in der einfalt und in der stille der seele wirket sie, und wird durch ein wildes feuer und in aufgebrachten neigungen verdunkelt, aller menschen thun und handeln wird durch dieselbe angenehm (DWB); ders. 1764 Gesch. d. Kunst I 212 die Gratie wurde nicht allein in Gebehrden und Handlungen, sondern auch in der Kleidung gesucht; Schubart 1765 Er. (Strauß 1876 Ges. Sehr. VIII 49) da kommt ihnen denn mit allen grazien der kindheit geschmükt, ein knäblein entgegen (DWB); Herder 1775 S. W. V 656 mit alle dem reichthum von gelehrsamkeit und den grazien der Schreibart (DWB); Hermes 1778 Sophiens Reise V 722 sie konnte auch mit einer Art von grace ihren Geifer speien; Kretschmann 1784 S. W. /// 2,17 [sie ist das] ideal weiblicher sanftmuth, mit allen grazien des wizes und Verstandes verbunden (DWB); Schiller 1793 Anmut (S. Sehr. X 117) er [Winckelmann] verwirrt den begriff der grazie, da er züge, die offenbar nur der würde zukommen, in diesen begriff mit aufnimmt, grazie und würde sind aber wesentlich verschieden . . was Winckelmann die hohe, himmlische grazie nennt, ist nichts anders, als Schönheit und grazie mit überwiegender würde . . die gracie macht sich sinnlich, und ist auch nicht erhaben sondern schön (DWB); Sulzer 1794 Theorie IV 88 Reiz (Überschr.) Wir nehmen dieses Wort in der Bedeutung, für welche verschiedene unsrer neuesten Kunstrichter das Wort Grazie brauchen . . Seitdem ist viel von der Grazie, nicht blos als einer Eigenschaft der sichtbaren Formen, sondern auch der Gedanken, der Phantasien, der Empfindungen und der Handlungen gespro-
chen worden; Fichte 1801 Nicolais Leben (S. W. VIII 40) wenn Nicolai schimpfte, so that er es immer am rechten Orte, zu rechter Zeit, und schimpfte mit Grazie; Bouterwek 1807 Ästhetik 87 Grazie der Natur . . Grazie der Kunst; 1810 Almanach a. Rom I 244 als jugendliches Mädchen . . mit allen Grazien der Gestalt von der Natur reichlich ausgestattet; Wieland vor 1813 S. W. 267 Durch diese unwiderstehliche Grazie, die ihren Lastern selbst etwas Gefälliges und Liebreizendes giebt .. Ihre Untugenden . . unter dem Schleier der Grazie zuletzt sogar liebenswürdig zu finden; Schopenhauer 1818 Welt (S. W. I 299) daß pflanzen zwar Schönheit, aber keine grazie beigelegt werden kann, . . thieren und menschen aber beides, Schönheit und grazie, die grazie besteht . . darin, daß jede bewegung und Stellung auf die leichteste, angemessenste und bequemste art ausgeführt werde (DWB); Pückler-Muskau 1834 Landschaftsgärtnerei 44a mittlere Bäume . . so einzustutzen, dass sie eine gute Form behalten, und sie bald wider zu natürlicher Grazie auswachsen können; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre I 107 Sie [schwäbische Frauen des Mittelstandes] schienen ihm mehr südliche Grazie in ihren Bewegungen zu haben als ihre übrigen Stammesgenossinnen; Ziegler 1852 Spanien l 295 indem sie [Tänzerin] keine Gelegenheit versäumt. . durch Grazie und durch die Proportionen ihrer Gestalt die Leidenschaft des Liebhabers zu reizen; Banck 1863 Alpenbilder i 134 die Grazie und Großartigkeit der Bergformen; Hillebrand 1874 Wälsches 419 „mit Grazie" sterben; Arneth 1893 Mein Leben 114 einen wirklich seltenen Liebreiz der Gesichtszüge und eine bezaubernde Grazie der Erscheinung; Pomezny 1900 Grazie u. Grazien 213 Jacobis sittliche Grazie; Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 136 sich mit Grazie zwischen zwei Stühle zu setzen; Reck 1909 Großmutter 26 Cherie .. plauderte stundenlang mit einer lebhaften Grazie, die ihr reizend stand; Gothein 1914 Gartenkunst II 270 feines Empfinden für Anmut und Grazie zeigt er in solchen Anlagen wie dem Naturtheater mit dem Apollotempel; ebd. II 451 der unorganischen Steifheit der Teppichbeete wurde die rhythmische leichte Grazie des neuen Architekturgartens . . entgegengesetzt; Heilborn 1929 Revolutionen I 74 man darf dem Wort den vollen Klang und den weithin reichenden Hall geben; denn Grazie muß man in allem sein: in dem Kleid, das du trägst; in dem Glas, das deine Hand umspannt; Bonn 1953 Gesch. 153 Einige seiner [Heyses] italienischen Novellen . . verraten noch heute die Grazie und den Charme, die dem Autor in jüngeren Jahren zu eigen waren; Bosshard 1960 Winckelmann 103 von der „hohen", nur eben ge-
grazil rade noch knapp sinnlich werdenden Gratie; Nattkämper 1970 Morphologie o. S. So bleibt ein Tanz, ausgeführt mit den Prinzipien des Denkens und Reflektierens, ohne Anmut und Grazie, bleibt schwerfälliges, abgezirkeltes und abgezähltes Eins, Zwei, Drei; Zeit 18.1.1985 die beiden Ziegen . . liegen, in mediterraner Grazie, auf korinthischen Kapitellen und rühren sich nicht; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 44 die drei Musikantinnen [auf einem Gemälde], die in ihrer Grazie und ihrem Liebreiz kaum übertroffen werden können . . Zarte
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Gewänder und der Reiz eines nackten Frauenkörpers werden hier voll ausgespielt. Die leichte Biegung der Leiber ist von beispielhafter Anmut; Mannh. Morgen 12. 2. 2001 ein Juwel an beseeltem Ton und ins Weite ausgreifender Sanglichkeit war jedoch die Wiedergabe des Adagios, der sich das Rondo in bestrickender Grazie und Keckheit des Ausdrucks anschloss; Berl. Ztg. 27. 2. 2001 Celina Muza dominiert das Ganze mit der Grazie einer Katze, die sich auf Samtpfötchen von Song zu Song bewegt.
grazil Adj., im frühen 19. Jh. entlehnt aus lat. gracilis 'schlank, schmal; mager, dürr; einfach, schlicht' unklarer Herkunft (möglicherweise über ein ungesichertes ''cracilis verw. mit altind. krsah 'abgemagert, hager, schwächlich', vgl. lit. kärsti 'ein hohes Alter erreichen, hinfällig werden' und tschech. krsati 'abnehmen'), seit Anfang 20. Jh. wohl unter Einfluss von gleichbed. frz. gracile allgemeiner verbreitet; aufgrund lautlicher Ähnlichkeit gelegentlich etymologisch und semantisch in Verbindung gebracht mit —> graziös, früher in der Schreibung gracil und in lat. (flekt.) terminologischen Syntagmen wie Erica gracilis, Musculus gracilis. Zunächst wohl innerhalb der lat. botanisch-zoologischen Terminologie des 18. Jhs. zur Bezeichnung von Pflanzen und ihren Bestandteilen, bes. und vereinzelt bis heute medizinisch-anatomisch bezogen auf menschliche Körperteile und Knochen in der Bed. 'zart, fein; zerbrechlich, schwächlich' (s. Belege 1839, 2000; —» fragil), von daher seit etwa 1900 unter frz. Einfluss dann erweitert und v. a. auf Wuchs, Gestalt und Körperbau, seltener die Bewegungsweise von Menschen oder Tieren bezogen im Sinne von 'schmal, zierlich, zart-/feingliedrig, schmächtig, zart (gebaut); schlank, geschmeidig, anmutig' (s. Belege 1907, 1925, 1947, 1955; —* filigran, —» graziös, —» elegant), z.B. von grazilem Wuchs, eine grazile Mittvierzigerin, öfter auch auf (ästhetische) Sachverhalte und Gegenstände bes. in den Bereichen der Schönen Künste, Architektur, Musik o.Ä. übertragen (s. Belege 1910, 1918, 1926, 1987, 1992), z. B. graziles Mauerwerk, grazile Architektur, die grazile Innigkeit der Melodie, ein graziles Rokokotischchen, die grazile Silhouette eines Kirchturms, grazile Geistesformen, sowie allgemeiner verwendet (s. Beleg 1957); in additiven Adj.-Reihen wie grazil-barock, -elegant, -graziös, -kraftvoll, -ornamental, -zerbrechlich; fraulich-, jugendlich-, schlank-grazil, mit der seit Mitte 20. Jh. vereinzelt nachgewiesenen antonymen Präfixbildung ungrazil 'unschön, hässlich, plump'. Dazu die seit früherem 19. Jh. nachgewiesene subst. Ableitung Grazilität F. (-; -en) 'Zartheit; Anmut' (—» Grazie b), z. B. Anmut, Schönheit und Grazilität, Leichtigkeit und Grazilität der Bewegung. grazil: 1818 Journal d. pract. Arzneykunde M. Wundarzneykunst XLVll 34 Eine 14jährige . . Gräfin, von sehr grazilen [!] Muskel- aber ungemein mobilem Nervenbau, verdarb sich in der OsterWoche den Magen mit Harten-Eier-Essen; Sömmering 1839 Menschl. Körper H XC/V ein sehr
graciles schenkelbein von einem abgelebten menschen (DWB); Hartmann 1879 Völker Afrikas 69 Die jungen Mädchen [in Ägypten] sind ungemein gracil; ebd. 88 eine anmuthige, weich und gracil geformte Büste; Rilke 1907 Br. l 201 diese kleinen grazilen tänzerinnen (DWB); Bierbaum 1910 Reife
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grazil
Früchte 66 Das grazilere „Damen-Empire", die feinbeinigen Tischchen und wie aus Gitterwerk zierlich konstruierten Sofachen; Bartsch 1913 Hannerl 23 alle grazil gebauten Herrenmenschen (DWB); Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. X 416) sein [Keyserlings] Werk ist schmaler, graziler, später, wählerischer; ders. 1925 Erz. (W. VIII 625) sein Eleonorchen, die kleine Eva — so viel graziler, im Ausdruck süßer als der Junge; ders. 1926 Reden u. Aufs. (W. X 649) in einer Epoche, die vorderhand durchaus grazilere, schmächtigere Geistesformen aufweist als die vergangene; Münch. N. N. 26. 11. 1939 Der Esel, eins der schönsten und grazilsten Tiere, die geschaffen sind; St. Zweig 1947 Welt 92 daß eine frau, einmal in eine solche toilette verpanzert wie ein ritter in seine rüstung, nicht mehr frei, schwunghaft und grazil sich bewegen konnte (DWB); Weizsäcker 1955 Natur 5 Sein ausserordentlich feingeschnittenes Gesicht und seine höchst grazile Gestalt; 1957 Brot u. Wein 101 zum abendlichen Ballspiel auf der Wiese (eine beschleunigte, grazile Abwandlung unseres Faustballs); Grass 1962 Blechtrommel 253 jene grazile neunundneunzigjährige Greisin, die noch in hundert Jahren unverwüstlich das Kleinformat ewiger Jugend verkörpern wird; FAZ 17.1. 1970 Reizende, grazile, differenzierte Dame (Anz.); Zeit 5. 4. 1985 Zwei Rehe lösen sich aus dem Tableau, beginnen einen grazilen Tanz. Die langen Hälse berühren sich scheu; Mannh. Morgen 20. 1. 1987 ein Meister des grazilen und klaren Spiels . . gab nach vielen Konzerten im Ausland . . eine Klavier-Matinee; taz 28. 2. 1991 packt . . sein Stullenpaket aus und beginnt, manierlich und grazil, zu speisen; Spiegel 30.11. 1992 Schließlich durfte er das . . an einer Seite offene Geviert des „Zwingers", einer grazilen Barockarchitektur für höfische Feste, mit einem reichlich wuchtigen Längstrakt in Renaissanceformen schließen; Presse 4. 1.1997 Daniller öffnete die Innenseite von Chelseys Oberschenkel, fand schnell Musculus gracilis, den Schlanken Schenkelanzieher; Mannh. Morgen 2. 9. 2000 Die „recht grazilen" Knochen könnten auf eine Neandertalerin oder aber eine sehr frühe Form des „Homo sapiens" hindeuten. ungrazil: Tintelnot 1951 Mittelalterl. Baukunst Schlesiens 187 St. Marien im nachbarlichen Stargard mit ihrer nicht ganz verstandenen, völlig alleinstehenden Übersetzung westlicher, recht international beeinflusster Basilikatypen ins Pommerisch-Solide, Ungrazile; Henisch 1978 Der Mai ist vorbei 93 Er zog ein Bild aus der Brieftasche, auf dem Paul ein junges, lachendes Mädchen sah, an dem ihm vorläufig nichts besonderes auffiel, außer daß sie ein wenig unmotiviert und ungrazil in der Gegend stand, wie jemand, der nicht oft fotogra-
phiert wird; Borchert 1981 Esmeralda 201 Zwei Tänzerinnen in bunten Trikots lehnten über einer Balkonbrüstung . . Ihre ungrazile Haltung hatte etwas Herausforderndes; Frankf. Rundsch. 30. 10. 1997 Der Rest ist Beiwerk in dieser an sich schon persiflierenden Vorlage ernster barocker Verhältnisse . . Grazien fallen ganz ungrazil aufs Maul; Bert. Ztg. 25. L 2001 Sie können während des Kraulschwimmens nicht hören und nur wenig sehen. Für Sie sind die Brustschwimmer .. bleiche Schemen, die mit den üblichen ungrazilen Bewegungen vor Ihnen davonpaddeln müssen. Grazilität: 1838 Encyclopäd. Wh. d. med. Wissenschaften XVII 403 Jetzt sollen alle Theile in ihr richtiges Längenverhältniss treten, aber die Gracilität muss noch immer vorherrschen. Die Länge steigt nicht mehr bedeutend, aber das Gewicht; 1846 Journal f. Kinderkrankheiten VI 55 Die Schultern boten nur eine geringe Abweichung von der Norm. — Ausser einer allgemeinen Grazilität war keine deutlich ausgesprochene akrophulöse Affektion vorhanden; Voltolini 1871 Galvanokaustik 138 Die galvanokaustischen Instrumente dagegen haben bei grösster Gracilität noch den nicht genug hervorzuhebenden Vortheil, dass einmal trotz ihrer Feinheit ein mächtiger Effect erzielt werden kann; Hyrtl 1889 Lehrb. d. Anatomie d. Menschen 596 Das Haar vereinigt einen, im Verhältnis zu seiner Gracilität hohen Grad von Stärke und Festigkeit mit Biegsamkeit und Elastizität; Weisbach 1910 Impressionismus I 63 Die Grazilität des Quattrocento klingt in seinen Werken aus. Sein weicher, malerischer Vortrag verzichtet auf die starken Gegensätze eines Chiaroscuro; Borchardt 1930 Klin. Konstitutionslehre 257 Der asthenische Säugling ist durch Schlankheit und Grazilität des Knochenbaus charakterisiert. Vor allem ist der Brustkorb schmal und lang, nur in seinen oberen Teilen leidlich gewölbt, unten und seitlich sehr flach; Nilsson 1950 Gesch. d. griech. Religion II 182 Wenn er aber das tat, strebte er eine Entkörperung des Bildes an, die er durch die Kleinheit und Grazilität der Figur auszudrücken suchte; 1970 FAZ Nr. 251 Nun treten die ersten [balinesischen] Tänzerinnen auf, ihre schmächtigen, festlich gekleideten Körper bewegen sich mit hoher Grazilität; St. Galler Tagebl. 8. 9. 1997 ein mit Frische und Grazilität durchwobenes Gambenspiel; Mannh. Morgen 6. 10. 1998 Die Filmemacher waren sichtlich von der Schönheit und Grazilität dieser schnellsten Tiere der Welt begeistert; ebd. 12. 3. 2001 meisterhaft gestaltete . . Boden- und Wandarbeiten, die sich wie mathematisch berechnete Netzwerke vor dem Betrachter ausbreiten und sich in ihrer ausgeprägten Grazilität erschließen.
graziös
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graziös Adj., im 15.716. Jh. vereinzelt, seit frühem 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus lat. gratiosus 'Gunst erweisend/genießend, gnädig, huldvoll, wohlwollend' (vgl. a), spätlat. auch 'wohlgefällig, lieblich' (zu gratia, —* Grazie), Anfang 18. Jh. unter Einfluss von gleichbed. frz. gracieux (vgl. auch ital. grazioso} neu aufgekommen (vgl. b); anfangs in der lat. beeinflussten Schreibung gratios, bis ins 18. Jh. (nach der Lautung) gracios, graziös, (nieder!.) gracioselich und z. T. schon mit frz. Endung gratios, gratieus, im Laufe des 19. Jhs. zunehmend unter frz. Einfluss grazieux, gracios, gracieus, gracieux, erst seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. ausschließlich in der heutigen Form. a Zunächst das (höfische) Verhalten von Höhergestellten gegenüber Untergebenen betreffend in der Bed. 'gnädig, huldvoll, wohlwollend, großzügig', z. B. eine graziöse Audienz gewähren, graziöse Gebieterin, anfangs vereinzelt auch im kaufmännischen Bereich 'zuvorkommend' (s. Beleg 15.716. Jh.), im Laufe des 19. Jhs. zunehmend auf das Verhalten Gleichgestellter untereinander bezogen und bis ins 20. Jh. allgemein auf menschliche Wesensart, Eigenschaften und Manieren für 'gewinnend, einnehmend; freundlich, liebenswürdig, entgegenkommend; verbindlich, höflich, artig, formvollendet; (welt-)gewandt, geschickt' (s. Belege 1813-15, 1818, 1900, 1928.2; —> charmant, —» galant, vgl. chevaleresk), z.B. die Schwierigkeiten mit graziöser Leichtigkeit bewältigen, die graziöse Liebenswürdigkeit des Mädchens, gelegentlich leicht abwertend im Sinne von 'einschmeichelnd; in heuchlerischer Weise unterwürfig; leichtlebig, keck' (s. Belege 1830-32, 1928.1; —> kokett) und (wie —> charmant o.a.) in paradoxer Umkehrung ironisch verwendet (s. Belege 1861, 1905, 1971). b Anfang 18. Jh. in Anlehnung an —> Grazie b aufgekommen als ästhetischer Begriff zur Charakterisierung der künstlerischen Gestaltung und Wirkung von Darbietungen und Erzeugnissen der Schönen Künste (Musik, Literatur, Bildende Kunst, Architektur usw.) in der Bed. 'leicht, mühe-/schwerelos, heiter, mit Anmut, gefällig, ansprechend, unterhaltsam (dargeboten, vorgetragen)' (s. Belege 1700, 1773, 1795, 1822.1, 1890, 1921; —> delikat, —» elegant, —» exquisit, —» präziös, —» raffiniert), seltener der Naturbetrachtung (s. Beleg 1915), z.B. eine sehr graziös und lebhaft geschriebene Abhandlung, eine kleine, graziöse Melodie schwebte durch den Raum, ein graziös musiziertes Menuett; dann v. a. bezogen auf die äußere Erscheinung von Menschen (meist Frauen), seltener von Tieren, bes. deren Gestalt, Haltung, Aussehen in der Bed. 'anmutig, reizvoll, bezaubernd, lieblich, hold(-selig); angenehm, hübsch, nett, manierlich, gefällig (aussehend), fein(-gliedrig), zierlich, zart, zerbrechlich (von Gestalt)' (s. Beleg 1790; —» adrett, —» elegant, —»· galant), und Bewegungen, Gesten 'leicht(-füßig), geschmeidig, gelenkig, federnd, schwebend, frei, lässig (sich bewegend)' (s. Belege 1822.2, 1864, 1900, 1959, 1961, 2000; -> fragil, -» grazil), auch auf Gegenstände übertragen (s. Belege 1861, 1866, 1911) und gelegentlich leicht negativ konnotiert mit „ohne Tiefgang, oberflächlich, seicht" (s. Belege 1928, 1931), in Wendungen wie die feierlichen und graziösen Tänze des 17. Jahrhunderts, eine Tänzerin mit graziösem Körperbau/graziöser Figur, mit graziös erhobenem Arm, mit graziös schwebenden Schritten, ein graziöses Füßchen/Grübchen, das graziöse Kostüm des Rokoko, graziöses Spiel mit dem Fächer, sie schlug graziös ihren Schleier zurück, eine graziös tänzelnde Stute, sich mit graziöser Lässigkeit bewegen, sich graziös im Kreise drehen, die graziöse Silhouette des Eiffelturms, ein graziös
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graziös
geschwungenes Stuhlbein, eine graziöse Karaffe, ein graziöses Schreibpult und additiven adj. Zss. wie graziös-elegant, -erotisch, -frivol, -geschmeidig, -lieblich. Dazu seit spätem 18. Jh. die aus dem Ital. übernommene musikal. Vortragsanweisung grazioso, auch gratioso, gracioso, 'gefällig, angenehm, sanft-/leichtbewegt (zu spielen)' (vgl. andante, allegro, furioso, maiestoso), in (ital.) Syntagmen wie Andante/Aria/Quartetto/Rondo grazioso, allegro moderato grazioso, vereinzelt in Zss. wie Grazioso-Abschnitt, -Satz, -Tempo. Seit Ende 18. Jh. unter span. Einfluss die Personenbezeichnung Grazioso1 M. (-s; Graziosi), auch Graziosa, in der Bed. 'meist dem niederen Volk angehörende, Gefühle und Ansichten grotesk verzerrende, unterhaltsame Figur, lustige Person (im spanischen Lustspiel)' (—» Clown, —» Harlekin, vgl. Hanswurst], z.B. der Grazioso ist oft ein Feigling und kennt nur materielle Interessen, auch übertragen und allgemeiner 'Spaßmacher, Komiker' (s. Beleg 1882); seit früherem 19. Jh. Grazioso2 N. (-(s); Graziosi) als Bezeichnung bzw. Titel eines entsprechenden Musikstücks, auch kurz für Grazioso-Satz (s. Belege 1943, 2005); seit früherem 19. Jh. Graziosität F. (-; ohne Pl.) 'höfliche Art, Liebenswürdigkeit' (zu a) und v. a. als Bezeichnung für die Art und Weise literarischen, musikalischen Ausdrucks und Vertrags (s. Belege 1842, 1903, 1924, 1999) sowie (insbes. tänzerischer) Bewegungen, auch von Tieren (s. Beleg 1880), z. B. mit schwebender Graziosität und behender Leichtigkeit (zu b); daneben die seit spätem 18. Jh. nachgewiesene antonyme Präfixbildung ungraziös Adj., von menschlichen Verhaltensweisen 'unsensibel, plump, ungeschickt; unschicklich' (zu a) und im ästhetischen Sinne 'unschön, hässlich' (zu b). graziös a: Melber 1481 Voc. o. S. Gratiosus gnadricher/ volgnade/ angeneme/ ein gunstiger/ lieblicher; 15./16. }h. (Krieger 1935 Spr. d. Ravensburger Kaufleute 69) graciosß zuvorkommend [gegen Kunden] (DWB); Nemetz 1726 Nachlaß 361 der großhertzog ist so graciös, daß er frembden cavaliers, welche audience bei ihm verlangen, dieselbe nicht gerne abschlägt (DWB); Heinse 1772 Br. (IX 97) graziöseste Gebieterin; Goethe 1782 Br. (WA IV 5,287) des graziösen Lächelns einer bekannten Standsperson; Schiller 1799 Br. VI 65 die königin [Luise v. Preußen] ist sehr graziös und von dem verbindlichsten betragen (DWB); 1813-15 Prinzenbr. 162 Deine Großmama hat mir einen überaus graziösen Brief geschrieben; Schopenhauer 1818 Welt (S. W. I 99) das anziehende, gratiose, einnehmende des betragens, das liebevolle und freundliche (DWB); Schlözer 1828 Schlözers Privatleben 1148 dass ich meine Dimission aus Petersburg gutwillig, sogar gracieux erhalten hatte; Heine 1830-32 S. W. Ill 279 sie [Engländer] werden, wie sie immer gethan, der neuen macht [Russland] entgegen wedeln und graziöse lächeln (DWB); Goethe-Zelter 1831 Briefw. VI 318 [Kaiserin Elisabeth von Russland werde Zelter] die graziöseste Audienz geben; Holtei 1861 Erz. XIX 164 dieser graziöse schuldenmacher (DWB); Senden 1900 Ehen 73 [Gegensätze] in seiner sonstigen, graziösen Leichtigkeit verbindlich zu überbrücken; Fontäne
1905 Ges. W. I 1,303 die mit graziöser rücksichtslosigkeit geübte kunst, den schäum des lebens wegzuschlürfen (DWB); Friedell 1928 Kulturgesch. II 307 Die Frechheit Figaros . . gehört noch zum Rokoko, ist graziös, bijouteriehaft, aimabel und voll Selbstironie; Reibnitz 1928 Gestalten 25 Eine vollendete Weltdame, gewandt, graziös und liebenswürdig; 1954 Begegnungen 31 war .. von einer weltmännischen und graziösen Liebenswürdigkeit, wie sie mir kaum je wieder begegnet ist; Heuer 1971 Genie o. S. Den formschönen Betrug — oder wie immer man diese exquisite graziöse Art der Hochstapelei nennen will. Graziosität: Heine 1836 D. romantische Schule (W. u. Br. V 39) In der Tat, Voß ist ein niedersächsischer Bauer, so wie Luther es war; es fehlte ihm alles Chevalereske, alle Courtoisie, alle Graziosität (DiBi 125). ungraziös: Goethe 1784 Br. (WA IV 6,370) ungraziose Bewirthung; Brentano 1813 Valeria XIV ungraziöse Geschichte; Heine 1822 Bert. Br. VII 586 sich den Magen mit Kuchen anstopften . . mit einer ungraziösen Gefräßigkeit; Hillebrand 1876 England 285 die großen Gefahren, denen das englische Mädchen in seiner Freiheit ausgesetzt ist, die unweibliche Selbständigkeit und ungraciöse Vor-
graziös dringlichkeit, welche jene Freiheit oft mit sich führt; Berl. Ztg. 7. 4. 1999 man ahnt, wie die örtliche Politik in ihrer bekannt ungraziösen Art sich auf das Thema stürzen wird. graziös b: Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 204 daß die allervortrefflichsten manner in der music, wenn sie an den pfeiffen was gratieuses und ihrem hohen geiste anständiges gefunden hätten, die pfeiffen und nicht die Saiteninstrumente würden exerciret haben (DWB); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 282 gratiös, angenehm; 1771 Hallische Bibel VI 136 Vierzehntes Kap. von dem Gratiösen oder Anmuthigen; Goethe 1773 Sehr. z. Lit (WA I 41,364 f.) Lucrez in mehrfacher Eigenschaft darzustellen . . erleichtert mir zu rechter Zeit die wohlgelungene Übersetzung, sie macht es allein möglich. . . Graziös und anmutig lockt sie uns in die tiefsten Geheimnisse hinein, kommentiert ohne Umschreibung und belebt ein uraltes bedenkliches Original; Lavater 1778 Physiognom. Fragmente IV 477 Ein graziöses Gesicht; Wezel 1780 Hermann u. Ulrike 240 kaum hatte sie erfahren, daß er ein Edelmann sei, als sie sich mit einer tiefen, graziösen Verbeugung zu ihm wandte (DiBi 125); 1787 Journal d. Moden II 321 ein überaus niedliches und graziöses Ansehn; Goethe 1787 Zweiter röm. Aufenthalt (WA I 32,80) Sie haben jetzt wieder eine gar graziöse Operette auf dem Theater in Valle; den. 1790 Naturwiss. Sehr. (WA II 8,250) Dieß Geschöpfchen [Eichhörnchen], eine Nuß eröffnend, besonders aber einen reifen Fichtenzapfen abspeisend, ist höchst graziös und liebenswürdig anzuschauen; Schiller 1795 Er. IV 303 die abhandlung ist sehr graziös und lebhaft geschrieben (DWB); ders. 1796 Br. V 36 weil eine solche figur [Terpsichore] in bewegung vorgestellt, einen graziöseren effekt macht (DWB); Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,287) Die jüngste .. tanzte mit mir eine sehr graziöse Menuett, in der sie sich außerordentlich angenehm bewegte, und der Vater versicherte, nicht leicht ein hübsches und gewandteres Paar auf seinem Plane gesehen zu haben; Ritter 1822 Erdkunde l 728 in der ausführung der ornamente weniger graciöses und weiches (DWB); Heine 1822 Berl. Br. VII 587 sie legt die Hand graziös auf den Busen; Pückler-Muskau 1835 Semilasso I 16 hat . . sich eben recht gracieus zurückgelegt und schaut mit seiner Lorgnette in den Wald; Suckow 1844 Gegenwart 115 die hübsche grazieuse Königin von Griechenland; Cuendias 1847 Spanien 23 Vor den Thoren der Stadt erhebt sich das Kloster von St. Franciscus, ein Monument von zugleich strengem und graziösem Charakter; Gregorovius 1853 Wanderjahre l 260 es ist ein Genuß, ihren graziösen Bewegungen wie dem Ausdruck . . höchster Tanzseligkeit zu folgen; Holtet 1861 Erz.
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III 141 eine frau, die einen . . graziösen haarbeutel trägt (DWB); Raabe 1864 S. W. I 6,157 mit einer graziösen Verbeugung war die erscheinung [einer Frau] verschwunden (DWB); 1866 Gartenlaube 679 Cigarretten, Cigarritos oder Papelitos oder wie man sonst die mit klargeschnittenem Tabak gefüllten graciösen kleinen Rollen von chinesischem Papier oder Reisstroh nennen will; Nürnberger 1877 Herzenssachen 132 Nur ein so graziöser und im besten Sinne weiblicher Genius durfte diese Rolle so lang spielen; ebd. 254 Nur die graziöseste Dichterhand durfte nach diesem Schmucke greifen; Walloth 1886 Seelenrätsel 42 wie die schlanke, weisse Rauchsäule seines Schornsteins sich graziös abhob von dem blauen Duft des darunterliegenden Eichwalds; Rodenberg 1890 Br. an C. F. Meyer 286 eine sehr feine, graziöse novelle (DWB); Hoffmann 1894 Stolpenburg 175 ein luftiges, so elegantes wie modernes Kleid mit einer graziös herausfordernden Schulterschleife; Storm 1900 S. W. U 126 noch immer war ihr in der Haltung jene graziöse lässigkeit eigen (DWB); Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 47) eine kleine, helle, graziöse Melodie, die sinnig durch die weiten Räume schwebte; Thiersch 1911 An d. Rändern 130 in geschmeidigem, graziös geschwungenem Fluß der Falten; 1915 Liller Kriegsztg. II232 graziös und zierlich neigen sie [die jungen Birken] sich (DWB); Dehio 1921 Kunst II 194 bei wesentlich gleichartigem Stilmerkmal ist diese schule anders im temperament als die kölnische, leichter, munterer, graziöser, irdischer (DWB); Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 44) der pariserisch spricht mit slawischem Akzent und deutsch mit französischem, schwarzäugig, sanft und graziös, mit dem weichen Mittlerethos des Mischlings; 1928 Handb. d. Frankreich künde I 237 dieser alte französische Grundtrieb sproßt immer wieder auf [in der Musik], stets erneut mit leichter Hand Nettes drapierend, mit „Chic" arrangierend — selten tief gehend, aber fast immer locker fesselnd durch einen graziösen Artismus, der gefällig unterhält, in dünner Luft mühelos atmet; Friedell 1931 Kulturgesch. Ill 204 der Cancan erfüllte diesen Zweck in ausschweifender Weise. Nur geschieht hier [im Empire], was man dort [im Rokoko] mit graziöser Schlüpfrigkeit tut, mit massiver Fleischlichkeit; Bertololy 1941 Heimkehr 15 einen graziös zärtlichen Handkuss; Grzimek 1959 Serengeti 203 daß die graziösen Gazellen fünfmal mehr von dem Betäubungsmittel für jedes Kilo Körpergewicht brauchen als die derben Gnus; Niebelschütz 1961 Spiel 439 die Seele dieses mächtigen Körpers [des Königs von Polen und Kurfürsts von Sachsen] wurde regiert von . . Leidenschaften, die auf das Empfindliche und Zerbrechliche gingen: für die graziösen Damen des Rokoko mit ihren Reifröcken; Mannh. Morgen 21. 5. 1985 In diesem
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graziös
Ambiente von schier unglaubwürdiger Schönheit entfaltet das Spiel der Masken, Gefühle und Gedanken sich mit der graziösen Präzision einer Rokoko-Choreographie; taz-28. 12. 1993 Den Bewegungen selbst der Stadtjugend scheint die graziöse Teezeremonie immer noch vertrauter als der ausgelassene Rock'n Roll; ebd. 11.8.2000 wie Grazie vom 18. Jahrhundert an Diktat in der Mädchenerziehung wurde: graziös zu sein ist nicht angeboren. Mit Grazie könnten Mädchen fehlende Schönheit wettmachen — diese Anschauung galt lange Zeit. Wagt ein Mann es, graziös zu sein, wird er für homosexuell gehalten und diffamiert; Berl. Ztg. 13. 12. 2001 Es sieht aus, wie es aussehen muss: mühelos, graziös, als ob nichts dabei wäre, auf einem Arm zu stehen, und die gestreckten Beine immer weiter zu spreizen. ungraziös: Forster 1794 Ansichten (W. U 457) Die [Susanna von Dominichino] ist nun wirklich ein schön und richtig gezeichnetes Weib, und dennoch gefällt sie nicht, weil ihr gemeines Gesicht . . von dem häßlichen Schrei entstellt wird .. auch die Stellung ist ungraziös und sogar unvortheilhaft, indem sie die ganze Figur wie ein lateinisches Z zusammendrückt (DiBi 125); G. Weber 1824 Theorie d. Tonsetzkunst III 119 Ja, mancher springende Nebenton würde, wenn man ihn, ohne solche Annäherung, leitereigen nehmen wollte, sich sogar sehr ungraziös ausnehmen; Reumont 1835 Reiseschilderungen 97 Da sah man Alt und Jung, Europäerinnen und Schwarze, alle ungraciös und häßlich gekleidet; 1852 Prutz' Museum I 776 watschelte . . mit seinen ungraziösen Knien über die Scene, ein heiteres, gemütliches Intermezzo; Werther 1898 Deutsch-Ost-Afrika 225 Der Körper [der Antilopen] ist plump und ungraziös; hinter dem kurzen, dicken Halse ist der Rücken nach hinten zu stark abschüssig; 1900 Dtsch. Revue XXV 34 sie schaute recht alt aus, recht ungraziös, recht wenig hübsch; Altenberg 1906 Prodromos 95 Ich bin schwerfällig, ungraziös . . und die blonde Mizl ist anmutig und leichtfüssig (DiBi 125); Wininger 1927 ]üd. National-Biographic 22 Bis 1846 in Lemberg engagiert, gastierte er in Brieg, Breslau u. Stettin, überall abgewiesen, da man an seinem fremdländischen Akzent, seinen eckigen Bewegungen und seiner ungraziösen Haltung Anstand nahm; Winkler 1956 Dichtungen, Gestalten u. Probleme 193 Mafalda war die erste, die mit ihren molligen, aber nicht ungraziösen Händen (denn sie stammte aus dem seiner schönen Frauen wegen berühmten Chioggia) dem Erfolg ihres Ehemanns Beifall klatschte; A. Schmidt 1969 Triton 29 Sein Gang ist ausgesprochen ungraziös; eine seiner Schultern dazu noch etwas höher, als die andere; Zeit 13. 9. 1985 Er hebt ein Stück Papier auf, faltet
daraus ein kleines Flugzeug und läßt es zu Boden segeln .. hebt es wieder auf, springt mit den passenden Motorgeräuschen damit herum, sein korpulenter Torso, von der Uniform korsettiert, schwingt sich in einem ungraziösen Tanzschritt; taz 14. 6.1993 Erfrischend ungraziös, wie es sich für modern dance gehört, schütteln, hüpfen, robben, rangeln, tasten, wanken die Tänzerinnen. Graziosität: 1842 Aug. musikal. Ztg. XL/V 33 In No. 9 „Mit Myrrhen und Rosen" schadet die matte Stelle im achten Takte der Graziosität des Gesanges, so wie uns die Strophe: „Auf dem Grabe der Liebe" u. s. w. etwas schwerfällig dünkt; Heller 1853 Reisen in Mexiko 1845-48 53 Ein solcher Fandango, unter welchem ich mir eine sehr lebhafte Belustigung vorstellte, ist weiter nichts als ein Gestampfe des Bodens, bei welchem Männer und Weiber ihre ganze Graziosität mit wollüstigen Bewegungen zu entwickeln suchen; 1880 Literar. Ber. a. Ungarn IV 16 Unter allen lebendigen Wesen sind unzweifelhaft die Vögel die größten Lieblinge der Japanesen, wahrscheinlich ihres schönen Gefieders, der Graziosität ihrer Bewegungen . . wegen; Katscher 1903 Bertha v. Suttner 24 Dieses Kunststück ist nur mit Hilfe der unvergleichlichen Graziosität der Suttnerschen Schreibweise möglich, welche von Geist und Leben funkelt, bald elegant, bald paradox; Muschler 1924 Richard Strauss 354 Auch in Berlin entzückte er sofort mit der Graziosität . . besonders fesselte auch hier die Art, wie er die Seccorezitative auf dem Klavier begleitete; Podhajsky 1948 Span. Hofreitschule 58 ist, obwohl er weiterhin auf dem gleichen Boden gezüchtet wurde, größer, grobknochiger und weniger edel geworden . . und hat an Graziosität, Typus und damit auch an Eignung für die Spanische Reitschule verloren; Berl. Ztg. 5. 8. 1999 Gretrys Musik steht dabei mit ihrer gedrechselten Graziosität in einem seltsam doppelbödigen Verhältnis zu den Bühnenvorgängen. graziöse: 1785 Brief Goethes an Kayer 146 In Ihrer Composition ist mir nichts zu geschwind noch zu langsam, das . . Duett . . gefällt mir am besten wenn ich es Andante grazioso vortragen lasse; Sulzer 1794 Theorie IV 697 den besondern leidenschaftlichen Charakter, den sie durch die Worte Vivace, Moderato, Grave, Gratioso . . und dergleichen ausdrücken; A. B. Marx 1827 Berl. allg. musikal. Ztg. 204 Ein Allegro amabile e grazioso in Adur 6/4 bildet den ersten Satz, in welchem beide Instrumente mit denen dem Meister eignen Kantilenen und Figuren auf das angenehmste unterhalten; 1857-65 Pierers Universal-Lex. Vll 566 Grazioso (ital., Musik), mit Anmuth, graziös; 1885 Musikal. Wochenblatt XVI 32 die Freude am Wein
graziös wird durch öfters wiederkehrende vier Takte geschildert, welchen von dem Componisten zwar im Vorspiel zur ersten Arie des Freiherrn von Schönau das Epitheton 'gracioso' zugetheilt worden ist, die indessen doch scharf an das Banale grenzen; Müller-Reuter 1909 Lexikon d. dt. Konzertlit. l 158 Der zweite Satz trug anfangs die Überschrift Poco Adagio, der dritte Allegretto graziöse; ThomasSan-Galli 1919 Brahms 130 Das Vöglein hüpft zierlich auf den Bäumen (graziöse Nr. 6). Das siebente (Sopransolo), achte und neunte Lied gehören in ihrem weichen Gefühlston enger zusammen; Refardt 1933 Festschr. Karl Nef 179 Dazu zu rechnen [ist] ohne weiteres [K.V.] 333, der nur Allegretto grazioso überschrieben ist; Beutler 1957 Essays um Goethe 490 Mit einem Adagio graziöse leitete die Musik über; Hülsmeyer 1969 Musikpflege 54 Andantino Grazioso . . von unbekannter Hand; Buschkötter 1975 Handb. d. internal. Konzertlit. 705 Der Meininger Hofkapelle zur Erinnerung. Thema: Andante graziöse; 1983 Beih. Archiv Musikwiss. XXI 130 Die Sonate beginnt mit einer 48 Takte langen Fuge, die schon deshalb bemerkenswert ist, weil sie nicht, wie üblich, im graden Takt steht, sondern im 6/8-Takt, beruhend auf einem höchst anziehenden Thema, welches dem ganzen Satz einen Charakter verleiht, den man heute vielleicht als allegretto grazioso bezeichnen würde; Mannh. Morgen 18. 5. 1987 die Bezeichnungen der sieben Sätze wurden genau genommen und beispielsweise umgesetzt mit einem inbrünstigen Violin-Solo im Andante, munteren Allegro-Passagen und einem vornehmen Andante graziöse; Salzb. Nachr. 1.2. 1997 Schlurfend das Andante-Thema des dritten Satzes — „graziöse" steht in der Partitur!; Mannh. Morgen 14. 7. 2000 Auf der klassischen Gitarre bezauberte sie mit Mozarts „Andante gracioso"; Berl. Ztg. 24. 6. 2004 Schwerlich lässt sich Befremden unterdrücken angesichts etwa der Dramatik, die Barenboim in den dritten Satz der ersten Sinfonie von Brahms pumpt, denn der ist unter anderem mit graziöse bezeichnet. Graziöse1: Jean Paul 1796—97 Blumen-, Frucht- u. Dornenstücke II 376 daß ich in der Welt kein Amt versehen kann .. als das eines Graciosos, und kein Rat in einem Kollegium werden als bloß ein kurzweiliger, weil ich .. Kenntnisse besitze . ., die ich . . nur zum Satirisieren brauchen kann; Goethe 1820 Tag- u. ]ahresh. (WA l 36,177 f.) Auch hätte das Unvereinbare von Vossens und Stolbergs Natur sich früher ausgesprochen und entschieden, hätte nicht Agnes als Engel das irdische Unwesen besänftigt und als Grazioso eine furchtbar drohende Tra-
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gödie mit anmutiger Ironie durch die ersten Akte zu mildern gesucht; Tieck 1821 Altengl. Theater l Vorr. IX Der Engländer hat . . einen nationalen Grazioso, den vaterländischen Clown; Brentano 1823 Valeria 14 Das war eine sehr ungraziöse Geschichte mit der Graziosa Valeria . . erst läßt du die Damen allein tanzen, dann vertreibst du die Masken; Tieck 1825 Krit. Sehr. IV 76 der Clown der Engländer . . ist, sowie der Gracioso der Spanier, nur eine andere Nuance derselben Maske; Heine 1830-32 S. W. Ill 166 die clowns und graciosos mit ihren narrenkolben und pritschen (DWB); Immermann 1836—40 Memorabilien 104 f. er ist der moderne Tragiker, der auch in den ernstesten Katastrophen dem Grazioso seine Mission erteilt. . Ich habe es nicht mit einem Grazioso so vornehmen Rangs . . Mein Grazioso war ein Bürgerlicher und ein Unschuldiger, aber ein Grazioso war er doch inmitten der großen Welttragödie und des ernsten Familiendramas (DiBi 125); Eichendorff 1854 Drama 28 bei allem Patriotismus werden wir doch unsern Hanswurst größtentheils nur als eine plumpe Vergröberung des spanischen Gracioso, ja selbst des, in seiner affenartigen Beweglichkeit noch anmuthigen, italienischen Arlechin betrachten müssen; Schmidt 1857 Schauspiele Calderon's 6 f. Der Gracioso oder die Graciosa sind Karikaturen der Helden und Heldinnen: sie geben die Gesinnungen, Gefühle und Handlungen derselben in das Gemeine hinabgezogen und verzerrt wieder. Daher sind es fast immer Bediente oder Bauern, deren plumper, niedrer Sinn der adligen Ehre und Liebe als Folie dient; Heyse 1868 Jugenderinn. 129 Zum Dank dafür entfaltete der flotte Gesell, Graziano mit Namen, alle Talente eines Grazioso, sang uns die damals im Schwange gehenden Volkslieder vor; Meyer 1882 Jürg Jenatsch (S. W. I 541) sonst würde sie den Ernst meiner fast zur Reife gediehenen Geschäfte nicht mit einem komischen Intermezzo unterbrechen. — Der Witz ist würdig eines Grazioso: Üppige Länder sollen wir vertauschen an ein paar verfallene Rheinstädtchen (DiBi 125); Wurzbach 1899 Lope de Vega 90 Der Grazioso ist in der Regel der Bediente des Helden, kann aber auch ein Hirt, ein Bauer oder dergleichen sein; Koch 1905 Studien z. vergl. Literaturgesch. 316 Endlich findet sich in Calderons Dramen eine vierte Art episodischer Szenen, die komischen Szenen, deren Held Gracioso und Graciosa sind; Flögel 1914 Gesch. d. Grotesk-Komischen I 91 Bei Calderon ist Cosme weit weniger drastisch, aber immerhin noch das, wenn auch verfeinerte, Abbild des altspanischen Hanswurstes, des Gracioso; Klemperer 1926 Tagebücher 218 Die Weiber waren nicht schön, aber ganz anständig ge-
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Greenhorn
kleidet, u. sie schienen mir auch ganz gut zu tanzen. Eine Tanzform ließ den Grazioso mit roter Schärpe hervortreten; Heseler 1933 Studien z. Figur d. gracioso 11 Eine der am meisten charakteristischen Gestalten bei den großen dramatischen Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts, die auch in allen Werken über das spanische Drama die gebührende Beachtung findet, ist der sogenannte gracioso; Hempel 1960 Humor (Roman. Forschungen DXXU 341) Nein, der Gracioso biegt die Bemerkung des Königs wortspielerisch um; Fischer 1966 Kunst 7 der Gracioso [span.] [Spaßmacher, Komiker]; Müller 1977 Span. Theater 20 Die einzige Ausnahme in diesem ständischen Gefüge bildet der Gracioso, die lustige Person des Theaters, die trotz ihrer niederen Herkunft mit den Königen und Großen des Landes auf du und du steht; Frankf. Rundsch. 31. 8. 1999 Bis auf den „gracioso" Clarin, den Pit-Jan Lößer mit der nötigen bewegungssprachlichen Narrenfreiheit adelt. Graziöse2: 1833 Göttingische gelehrte Anzeigen I 540 Ein ähnlicher Hauptcharacter herrscht in den meisten Dichtungen des Gil Vicente vor; sehr oft jedoch ist er auch entschieden komisch, wie z. B. in der Klage des Gevattersmann im Viudo; in dem Invierno und überhaupt in seinen graciosos, wo
solche eingeführt werden (DiBi 125); Werfel 1924 Verdi 41 Die französische [Musik] erfüllte ihn [Verdi] mit Widerwillen . . Er fühlte die Antipathie des geradlinigen leidenschaftlichen Menschen gegen das Anmutige, Süße, Schmeichlerische, gegen das Grazioso; Gehring 1928 Grundprinzipien d. musikal. Gestaltung 106 Statt dessen ist beide Male ein Grazioso eingeschoben. In keinem Konzert kommt ein Mollsatz vor; Munch. N. N. 29.12. 1943 Mozarts Violinkonzert D-dur . . wirkt dann am schönsten, wird es wie ein einziges Grazioso aufgefaßt; Mannh. Morgen 24. 6. 1987 das Andante der vierten Variation gab sich vollends konturlos und nach einer überhastet angegangenen sechsten Veränderung suchte man im Grazioso der siebten vergebens nach dem Notturno-Charakter Brahmsscher Versonnenheit; taz 14. 9. 1989 Die Klangfetischisten werden sich an den prägnanten Rhythmen stören, und die musikalischen Rhetoriker an der Liebe zum Grazioso; FAZ 5. 11. 1999 das singende Cantabile-Spiel mit seinen RubatoRückungen und das tänzerische Grazioso seines eigenwilligen Rhythmus; ebd. 19.5.2005 Das von Mahler als „altvaterisch" überschriebene, einem Trio vergleichbare Grazioso wirkte statisch, entrückt, unwirklich.
Greenhorn N. (-s; -s), im späteren 19. Jh. übernommen aus gleichbed. amerikan.engl. greenhorn (eigentlich 'Tier mit grünen, d.h. noch jungen Hörnern'), anfangs auch in der engl. Kleinschreibung, in jüngerer Zeit gelegentlich die (eventuell sprachspielerisch in Analogie zu Nashorn/Nashörner geprägte) (teil-)lehnübersetzte Pl.Form Greenhörner. Zunächst und bis heute gelegentlich auf amerikanische Verhältnisse bezogen als spöttische Personenbezeichnung für 'neu in Nordamerika angekommener Auswanderer' (vgl. Gringo, Newcomer), dann allgemeiner, bes. in den Bereichen Politik und Sport, in der abwertenden Bed. 'jmd., der auf einem Gebiet noch unerfahren ist, Neuling, ahnungsloser Anfänger; Grün-, Gelbschnabel' (s. Belege 1896, 1927, 1934, 1943, 1971, 1977, 1991, 1997.2, 2001, 2006; -» Adept b, vgl. Debütant, -» Debüt, Laie; Ggs. —> Experte), selten mit Bezug auf Frauen, vereinzelt auch mit Bezug auf Tiere (s. Beleg 1992) und auf Nationen (s. Beleg 1989), in Wendungen wie alpinistisches, pädagogisches, politisches Greenhorn, er gilt in der Immobilienbranche als absolutes Greenhorn, ein blutiges Greenhorn auf allen Gebieten, sich wie ein Greenhorn anstellen und in eher okkasionellen Zss. wie Greenhorn-Meeting, -Mannschaft, -Mittelfeld, -Partner, -Phase, -Premier, -Turnier; Alpen-, Partei-, VideoGreenhorn. Gerstäcker 1874 Skizzen 129 's ist eigentlich ein Skandal, daß wir beiden großen, erwachsenen und vernünftigen Menschen mit solch' kleinem „greenhorn" (Anm.: Dasselbe, was Gelbschnabel ist) spielen; 1890 (Baumgarten 1928 Wanderfahrten
140) eine gewiße Scheu mich als das „Greenhorn" (Grünhorn) in Chicago hinzustellen . . Der Fremde der in den Vereinigten Staaten reist, bekommt leicht das Gefühl, daß man ihn überall für ein Greenhorn ansieht . . was Wunder, daß man sich
Gremium scheut, um Aufklärung zu bitten, wenn man noch nicht als Greenhorn entlarvt worden ist; 1890 Zs. f. roman. Philol. XIH 483 'greenhorn' (in Nordamerika; hängt dies mit span, 'gringo', „Engländer" oder überhaupt „nicht spanischer Europäer" . . zusammen?); Halbe 1896 Lebenswende 61 man mag auch nicht gern für ein Greenhorn gehalten werden; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 378 [unter green:] a green one . . ein unerfahrener Einfaltspinsel, Spottname der in Nordamerika Neuangekommenen = Greenhorn; Schmilz 1914 Land 77 hat er gelernt, mit den Wölfen zu heulen und lacht nun mit besonderem Stolz über ein „greenhorn", obgleich er oder gerade weil er vor nicht allzu langer Zeit noch eines gewesen ist; 1927 Sittengesch. d. Hafens 20 man inszeniert eine künstliche Schlägerei und läßt so die Börse des Opfers verschwinden oder man macht das „Greenhorn" in der Wohnung der Dirne „still"; Heyck 1928 Außenseiter 136 dieser junge Mann muß ein Fremdling sein, ein Greenhorn, ein „gringo", wie man hierzulande die Neulinge nennt, die unbeschriebenen Blätter, die unausgequetschten Zitronen aus Europa. Diese frisch importierten Optimisten mit den ganz großen Rosinen im Kopf, die durch rührende Unerfahrenheit nur mangelhaft entschuldigt werden; Lokal- Anz. 24. 6. 1934 Die alten Rügenkenner werden vielleicht über die Freude eines „Greenhorns", der zum ersten Male diese sommerliche Insel der Seligen durchquerte, lächeln; ß. N. 8. 12. 1943 [Ein Schweizer erlebte Berliner Bombardierung am 17. 11. 1943] als Greenhorn wurde ich natürlich beobachtet, aber ich liess mir nichts anmerken; NZ. (Basel) 17.1.1950 Fährt die Subway in New York mit Dampf? (Überschr.) Man sollte es meinen, denn da und dort fällt dem Greenhorn . . auf, wie aus Löchern im Boden . . helle, warme Dampf-
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wolken aufsteigen; Bildztg. 15. 4. 1967 Die amerikanischen Sportfans stehen dem Soccer, wie sie den europäischen Fußball nennen, unvorbereitet gegenüber . . Daß aus den Greenhorns bald Fachleute werden, hofft Amerikas riesige Fernsehgesellschaft CBS; Bad. Ztg. 28.1.1971 Ein alter WeltraumHase und zwei „Greenhorns" (Überschr.); Strittmatter 1977 Schulzenhof 29 Wir sind ja Greenhörner, was all die hohen Fragen betrifft, um die es in den internationalen Kunststreitereien geht; Mannh. Morgen 16. 3. 1989 Was gestern die Japaner waren — nämlich unterschätzte Greenhorns — sind heute die sogenannten Kleinen Tiger: Korea, Taiwan; taz 21. 6. 1991 Wir waren gestandene Pädagogen, keine Greenhorns, die alles anders machen wollten und Eltern wie Kinder verunsicherten; ebd. 7. 9. 1992 Am Start waren beileibe nicht barr- und elektroschockerprobte Gäule, sondern drei- bis sechsjährige Greenhorns; Frankf. Rundsch. 24.3.1997 Die alte Geschichte: Greenhorn kommt in den Westen, fällt auf die erstbeste Blondine rein, wird verdroschen und macht sich auf nach Las Vegas; Kleine Ztg. 6. 6. 1997 Mit mitreißender Musikalität, sagenhaftem Stimmvolumen und Körpereinsatz . . auf dem Weg vom Greenhorn zum Evergreen durch zwei Dutzend EIvis-Nummern; taz 20. 10. 2001 Dabei hat er festgestellt, dass viele Bewerber keineswegs „Greenhorns" sind, sondern selbstbewusste junge Menschen, die genau wissen, was sie wollen; Mannh. Morgen 24. 5. 2002 Bush ist als „Greenhorn" nach Europa gekommen, zum ersten Mal war er in Deutschland; Rothe 2006 Autoren 66 Wir, die IrlandGreenhörner — noch keine 24 Stunden im Land — tun aber schon so, als hätten wir den vollen Durchblick.
Gremium N. (-s; Gremien), im späten 17. Jh. entlehnt, wohl aus ital. gremio 'Innung, Zunft'/span. gremio 'Handlungsgesellschaft; Arbeitgeberverband', allgemeiner 'Zusammenkunft, Versammlung; Tribunal' oder diesen zugrundeliegendem lat. gremium 'Schoß; (Körper-)MitteVspätlat. gremium 'Armvoll, Bündel', eigentlich 'was man im Schoß aufnehmen kann' (verw. mit lat. grex, Gen. gregis 'Herde, Haufe' und aggregare, —>· Aggregat; vgl. auf gleiches Etymon zurückgehendes Gremiale 'Schoßtuch, das ein Bischof während eines sitzend abgehaltenen Hochamtes (zum Schutz des Priestergewandes bei Salbungen) trägt'); früher auch in lat. (flekt.) Formen und Syntagmen sowie in der (ital./span.) Form Gremio. Zunächst in der Bed. 'Körperschaft, Gesellschaft, Genossenschaft, Verein, Zusammenschluss zur Wahrnehmung gemeinsamer, bes. gewerblicher oder kaufmännischer Interessen bestimmter Berufsstände, Innung, Zunft' (—» Korporation, vgl. Sozietät), heute nur noch österr. auch 'Kaufmannsgenossenschaft', z.B. Handelsgremium 'Handelskammer', in (lat.) Syntagmen wie in Gremio, aus dem Gremio, auch allgemeiner im Sinne von 'Gruppe, Riege' (s. Beleg 1811; —·· Bande, —»· Clique, —> Gang);
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Gremium
seit früherem 20. Jh. und zunehmend den 50er Jahren v. a. im politischen Bereich in der heute zentralen Bed. 'zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe gebildete, zusammengesetzte Gruppe, Ausschuss mit beratender oder beschlussfassender Funktion; (hohe) Behörde, Dienststelle, Aufsichtsrat' (—» Kollegium, —·» Kommission), in Wendungen wie vor dem gesamten Gremium bedeutender Künstler/Wissenschaftler/ Politiker, die Oberaufsicht über das Gremium führt der Kreisarzt, während der Sitzung des kommunalen Gremiums im Rathaus, internationale/nationale politische Gremien, ein neutrales Gremium wurde eingerichtet/geschaffen/gegründet/organisiert, die Entscheidung darüber wurde dem zuständigen Gremium überlassen, das Gremium untersucht die Hintergründe des Falles, die Mitglieder des beratenden, beschlussfassenden Gremiums, das 23-köpfige Gremium setzt sich zusammen aus ..., das Gremium tagt/tritt zusammen/nimmt seine Arbeit auf, das höchste Gremium der Jungen Union, er sitzt in allen Gremien, Aufsichtsratsmitglieder in ein Gremium entsenden, zahlreiche Vertreter der Fraktionen gehören dem Gremium an, als Bestimmungswort in der Form Gremien- in Zss. wie Gremienarbeit, -beratung, -besetzung, -demokratie, -erfahrung, -macht, -mehrheit, -mitglied, -politik, -posten, -sitz, -Struktur, -Vertreter, -Zusammensetzung, oft negativ konnotiert in Gremienflut, -gerangel, -geschwafel, -hase/-hengst, -dickicht/-filz/-geflecht/-gestrüpp, seltener auch in der Form Gremium(s)- in Gremiumsentscheidung, -leitung, -mehrheit, -mitglied, -vorsitzender/-vorsteher, -sitzung, -Sprecher, -tätigkeit, Gremium-Prozess, -Liste; selten in Adjektiven wie gremiumseigen, gremiumübergreifend; häufiger als Grundwort in Aufsichts(-rats)-, Berater-, Beschluss-, BezirksVKreis-, Bundes(-tags)-, Dreier-/Vierer-, Eltern-, Entscheidungs-, Experten-/Fach-, Fraktions-, Gewerkschafts-, Gutachter-, Herausgeber-, Hochschul-, Kirchen-/Laien-, Landes-, Leitungs-, Mitbestimmungs-, Partei-, Regierungs-, Sachverständigen-, Schlichtungs-, Schul-, Sonder-, Sport-, Treuhand-, Übergangs-, Untersuchungs-, Vermittlungs-, Verwaltungs-, Vorstands-, Wahl-, Wirtschaftsgremium. Dazu das seit Anfang 19. Jh. überwiegend österr. v. a. im Bereich von Handel und Wirtschaft nachgewiesene Bestimmungswort Gremial- (gleichbed. mit Gremien-, s. o.), in Zss. wie Gremialausschuss, -beratung, -berichterstattung, -beschluss, -chef, -demokratie, -domherr, -einkünfte, -entscheidung, -handelsschule, -gruppe, -mitglied, -politik, -sekretär, -Sprecher, -Statistik, -Statuten, -Struktur, -tagung, -Verfassung, -vorstand, -Wirtschaft; gremialkatholisch, seit Mitte 19. Jh. das Adj. gremial und seit spätem 20. Jh. die okkasionelle verbale Ableitung gremialisieren V. trans. Gremium: 1689 Polit. Fliegenwedel l 99 daß die Senatores und Stände des Königreichs höchlich bereuen/ daß sie denselben/ als einen Mann aus dem gremio der geringen Noblesse, und nicht vielmehr als einen aus ihren mächtigen Palatinis und Weywoden in den Königs-Thron erhoben haben; Marperger 1726 Anl. 19 Das Übersetzen, Compiliren oder Collectiren solcher Lateinischer Zeitungen, aus der Teutschen oder ändern Sprachen, könten hernach Rectores & Collegae solcher Gymnasiorum wechsel-weise . . auf sich nehmen, oder einem aus ihrem Gremio, der zumahl eines fluiden Styli halber bekannt wäre, auftragen; Blumauer 1782—
87 Gedichte (Ges. W. /// 33) Aus unserm Schwestern-gremio/ Hab ich euch, Brüder, heute zwo/ Theresien auszuführen; Faber 1790 Beytr. l 233 Die Innung der Wiener Apotheker (Gremium nannten sie es) . . aufgehoben; Haschka 1804 Br. (Keil, Wiener Freunde 85) [die philosophischen Lehrstühle am Theresianum] aus ihrem Gremio besetzen; Lipowsky 1810 Almanach 77 Von diesen 499 gehörten 145 zur Klasse der stubenmässigen, oder zum Gremium der eigentlichen Kaufleute und 354 zur Krämerstube; 1811 Neue Bibl. f. Pädagogik II 9 Ich hatte . . eine Neigung zu kecken Streichen, wie die Knaben um mich her mit hohem Ruhm innerhalb des Gremii der Strassenjungen
Gremium vollführten; 1836 Courtin 371 Gremium oder Gremio . . namentl. in österr. Städten . . Handels-Gremium (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Füster 1850 Mem. 1192 Gremium der Wiener Advokaten; Mommsen 1876 Reden u. Aufs. 231 die Kontrolle der Sachverständigen durch die Abteilungsdirektoren in gremio herbeizuführen; 1911 Grenzboten IV 13 Große kulturelle Probleme pflegen in diesen Gremien [Bürgerschaftsvertreter der Reichsstadt Frankfurt] doch überhaupt nicht allzuhäufig erörtert zu werden; Speyer 1928 Kampf d. Tertia 73 vor dem gesamten Gremium dieses würdigen Schulstaates; 1929 Uhu Februarh. 14 Der Aeltestenrat, das Gremium für wichtige, geschäftsordnungsmäßige und Ehren-Entscheidungen; Voss. Ztg. 8. 12. 1929 er kann . . jedes beliebige Gremium von Fachmännern und Interessenten zusammenbringen; Berl. Stadtbl. 18. 1. 1930 Ein einziges Bauvorhaben in Berlin unterliegt bei seiner Genehmigung oder Ablehnung der Entscheidung von nicht weniger als 40 Dienststellen und Gremien; Schwab. Landesztg. 9.8.1946 Deutschland wird verwaltet von einem Gremium alliierter Militärs, von dem Kontrollrat der vier Hauptsiegermächte, und bei dieser militärischen Verwaltungsinstanz können naturgemäß wiederum nur Militärmissionen akkreditiert sein; Neue Ztg. 1. 3. 1950 daß . . die Entscheidung in Energiefragen in die Hände eines aus wenigen Fachleuten bestehenden Gremiums gelegt wird; Stuttgarter Ztg. 18. 1. 1966 Franz Josef Strauß, der . . nach Berlin gekommen war und sich dort . . zahlreichen publizistischen und politischen Gremien stellte; FAZ 8. 1. 1971 Ein „kollektives Gremium" soll künftig das Frankfurter „Theater am Turm" leiten; Dülmen 1977 Reformation 298 als er [Jan van Leiden] anstelle der ehrwürdigen Ratsverfassung ein Gremium von Zwölf Ältesten schuf und sich selbst zum Propheten und Führer der Gemeinde erhob; tat 3. 1. 1987 Wer soll vor U-Boot-Ausschuß? (Überschr.) 18 Zeugen . . sollen bei der in der kommenden Woche beginnenden Arbeit des Gremiums befragt werden, ob bei dem illegalen Verkauf von Konstruktionsplänen .. militärischer Geheimschutz verletzt wurde; Spiegel 15. 2. 1993 Im Bundesrat wird der Entwurf seither von Ausschuß zu Ausschuß geschoben, die Gremien drücken sich vor einer Entscheidung; Mannh. Morgen 28. 7. 1998 Heute bekommt der Hirschberger Gemeinderat ein neues Mitglied. Ingrid Stephan von der Grünen Liste wird als Gemeinderätin verpflichtet; ebd. 17. 10. 2000 Das neben dem Bundesparteitag höchste Gremium der Jungen Union (JU) auf Bundesebene setzt sich aus dem Bundesvorstand der CDU-Nachwuchsorganisation und den Vertretern der 16 Bundesländer zusammen; Berl. Ztg. 23. 1.2001 Über die Standards unserer Nahrungsmittel entscheiden zunehmend internationale Gremien.
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gremial: 1852 Oesterr. Vierteljahresschr. f. Forstwesen 11, 1. Heft 275 Se. Durchlaucht der regierende Fürst Alois von und zu Liechtenstein haben in Berücksichtigung der immer zunehmenden Wichtigkeit der Waldwirtschaft . . den fürstl. Wald- und Forstämtern einen selbstständigeren Wirkungskreis eingeräumt, den ersteren eine coordinirte Stellung zu den Gutsverwaltungen gegeben, und zur Wahrung der allgemeinen und öffentlichen Gutinteressen deren gremiale Berathung und Behandlung durch die drei ersten Gutsbeamten, nämlich den Gutsverwalter, den Wald- und den Rentbeamten, angeordnet; Wessely 1866 Einrichtung d. Forstdienstes in Österreich 154 Die gremiale Berathung und Abstimmung tritt jedoch nur in den administrativen Gegenständen ein; Tietze 1933 ]uden Wiens 128 Wir hören aus dieser Zeit — abgesehen von den pflichtgemäßen Tiraden magistratlicher und gremialer Stellen — eigentlich keine judenfeindlichen Äußerungen; Meisner 1950 Urkundenu. Aktenlehre d. Neuzeit 37 Die selbständigen Behördenreskripte und ihre Nachfolger im 19. Jh., die Verordnungen und die Verfügungen der Behörden . . ergehen in der ersten Person Pluralis oder Singularis, je nachdem ob die Behörde gremial oder bürokratisch-präsidial organisiert ist; Meisner 1969 Archivalienkunde 170 Je stärker sich im 19. Jh. die präsidial-monokratische Behördenorganisation auf Kosten der gremial-kollegialischen durchsetzte, desto häufiger wurden die Ausgänge im Ich-Stil; Salzb. Nachr. 31.1.1992 So kritisiert etwa das Ministerium gremiale Entscheidungsstrukturen mit dem Hinweis auf die fehlende Verantwortung des einzelnen gegenüber den gefällten Beschlüssen; ebd. 8. 6. 1993 Priester und Bischöfe müßten . . ihr Amt „sehr gremial, kollegial, geschwisterlich" ausüben. „Gremien dürfen keine Staffage sein, sondern es muß dort miteinander gerungen und entschieden werden"; Frankf. Rundsch. 6. 2. 1998 RWE Energie hätte sich dabei gewünscht, daß auch die ÖTV auf allen gremialen Ebenen so eindeutig für die Kernenergie eingetreten wäre. Gremial-: 1803 Gremial-Ordn. f. d. Land (BarthBarthenheim 1819 Oesterr. Gewerbs- u. Handelsgesetzkunde I 2,141) Die Oberaufsicht über das Gremium führt der Kreisarzt, die unmittelbare Leitung desselben aber der von sämmtlichen Mitgliedern aus ihrer Mitte gewählte Vorsteher, der die Gremialeinkünfte zu sammeln, zu verwahren, und über Einnahme und Ausgabe genaue Rechnung zu halten hat; f'essler 1825 Geschichte d. Ungern X 570 Wie zur Verwaltung der kirchlichen Angele-
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Grenadier
genheiten eine Geistliche, so verordnete Joseph auch für den öffentlichen Unterricht, zuerst eine Ober-Hof-Studiencommission zu Wien, und zwey Jahre darauf die von ihr abhängige ungrische [!] Gremial-Studiencommission zu Ofen; Thiele 1833 Königreich Ungarn 35 die ungrische Hofkammer zu Pressburg . ., welche . . gegenwärtig aus dem Präsidenten, einem Vice-Präsidenten . . und . . mehr als 200 Gremial-, Ober- und Unter-Beamten zusammen gesetzt ist; 1844 Archiv u. Ztg. d. Apotheker-Vereins in Norddeutschi, l 363 Es ward der Antrag gestellt zur Verpflichtung der Gremialmitglieder, von keiner Drogueriehandlung Arzneien zu beziehen, welche an medicinische Dispensiranstalten, Landärzte und Thierärzte Arzneiwaaren verkaufe; 1849 (1888 Wien 27) Gremial-Handelsschule; 1858 Archiv d. Pharmacie CXXXXV 210 In demselben befindet sich eine vollständige Apotheke nebst einem schön eingerichteten Laboratorium unter Leitung unsers ehrenwerthen Collegen und Gremial-Vorstandes Karl, der leider durch eine Badereise veranlasst, erst am Schlüsse der Versammlung Theil nehmen konnte; Pelesz 1880 Gesch. d. Union d. ruthen. Kirche mit Rom 1010 Michael Malinowski, Gremial-Domherr von Lemberg; Frimmel 1914 Lex. d. Wiener Gemäldesammlungen H 226 Denn in den (nachschleppenden) Angaben des Wiener Handlungs-Gremial-Almanachs für 1844 und 1845 (nicht mehr jedoch 1846) wird der Name nur durch den Anfangsbuchstaben und einige Punkte angedeutet; Wurzbach 1955 Kriehu-
ber u. d. Wiener Gesellschaft 292 Nigris, F. S., Director der Gremial-Handelsschule in Wien; Bayer 1960 Wörterb. z. Geschichte 66 Bureausystem, im Gegensatz zum Kollegial- oder Gremialsystem Organisationsform einer Behörde, bei der die Verantwortlichkeit jeweils bei einem, nicht bei mehreren Beamten liegt; Zinner 1976 Handelskammer v. Mittelfranken 230 Handels- und Gewerberäte dominierten, lediglich in Erlangen, Fürth, Schwabach und Nürnberg machte die umfangreiche Industrie eine eigene Vertretung der Fabrikanten nötig. Nürnberg erhielt keine Gremialorganisation; Presse 22. 5. 1999 Das Hochschulleben von heute ist geprägt von Gremialbeschlüssen, Gremialberatungen, kurialen Vorberatungen, Konsultationen politischer Gruppierungen, Koalitionen, Absprachen, Abstimmungen; ebd. 15. 6. 2000 Die durch dieses Gesetz auferlegte unendlich angeschwollene Gremialarbeit verbürgt jetzt schon wenig Effizienz. gremialisieren: Staininger 1977 Kulturlandschaft Österreich 123 [dass sie] im besonderen bereits ein Gremium („Kunstbeirat" o.a.) eingerichtet haben, dieser Beirat das „zuständige Organ" sein und insofern auch der Ankauf von Kunstwerken aus Bundesmitteln zum Teil gremialisiert werden wird; Salzb. Nachr. 5. 6. 1993 In Richtung Laien meinte der steirische Oberhirte, sie sollten die Kirche nicht „gremialisieren". Dies könnte leicht zu einer „Bevormundung durch Experten" führen.
Grenadier M. (-s; -e, früher auch -s), im späten 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. grenadier (zu grenade 'Granatapfel(-baum); Hand-, Wurfbombe'; —>· Granate), anfangs auch weitergebildet zu Grenadierer und, unter Einfluss von ital. granatiere, in (z.T. noch heute regional üblichen) ital.-frz. Mischformen wie Granadier(er), Granatier mit den PL-Formen Granatieri und Granatierer. Im deutschsprachigen Raum zuerst in Österreich und Brandenburg eingeführt als militärspr. Bezeichnung für einen (wegen seiner Größe, Stärke, Erfahrung und Tapferkeit) ausgewählten Soldaten, der mit der bes. schwierigen, gefährlichen Aufgabe betraut ist, Handgranaten mitzuführen, um sie beim Stürmen gegen den Feind zu werfen (vgl. die ältere Zs. Granat(en)werfer, —»· Granate; vgl. Musketier), und für dessen Uniform hohe Mützen charakteristisch sind, die das Werfen erleichtern sollen; seit späterem 18. Jh. (zur Zeit Friedrichs des Großen) mit dem Verschwinden dieser Kampftechnik allgemeiner verwendet in der Bed. 'zur Sturm-, Kern-, Elitetruppe (der Infanterie) gehörender Soldat (für besondere Aufgaben), Stürmer' (daneben auch Reitergrenadier; vgl. Dragoner, Husar), heute Name des niedrigsten Dienstgrads im Wachbataillon der deutschen Bundeswehr (s. Belege 2000, 2001.1), gelegentlich, wegen der strengen militärischen Auswahlkriterien, im bildlichen Vergleich, meist auf bes. großwüchsige, breit gebaute, starke, durchsetzungsfähige, verwegene Personen bezogen (s. Belege 1944, 1989; vgl. Dragoner) oder auf gleichförmig in Reih und Glied stehende Gegenstände (s. Belege 1826, 1867 ff., 1916), in
Grenadier
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Wendungen wie Grenadier zu Pferd (nach frz. grenadier ä cbeval) 'Sturmreiter', exerzierende, preußische, napoleonische Grenadiere, die Grenadiere stürmen und fallen, baumlange, reitende Grenadiere mit den hohen Mützen, die breite Schlachtlinie der Grenadiere, die großen, stattlichen, in Reih und Glied aufgestellten Grenadiere, als Bestimmungswort in Zss. wie Grenadierabteilung, -adjutant/-hauptmann/ -leutnant/-major/-offizier, -ausbildung, -bataillon/-konlpanie/-korps/-regiment/-truppe, -einsatz, -flinte, -garde, -gasse '(zum Spießrutenlauf aufgestellte) Doppelreihe von Grenadieren', -grüß 'militärischer Gruß mit der flachen Hand an der hohen und daher nur schwer zum Gruß abzunehmenden Mütze (im Gegensatz zum Gruß bei anderen Einheiten), der später aus Prestigegründen als allgemeiner militärischer Gruß weltweit übernommen wurde', -helm/-mütze, -kaserne, -lied/-marsch, -mädchen, -patrouille, -säbel, -lasche, -trommeln, -truppe, -uniform, -werk, -zug, auch bildlich, mit Bezug auf die Statur und v. a. die Körpergröße (s. Beleg 1846), in Grenadiergröße, -länge, -maß (vgl. Gardemaß}, -stimme, seltener als Grundwort in Garde-, Fallschirm-, Leib-, Militär-, Panzer-, Polizei-, Volks-, Waffengrenadier. 1684 (1923 MLN XXXVHl 402) nun entstünde auch ein hefftiger Brand unter den Granadirern in Luxemburg . . auch sechs Canoniers, zwey Feuerwerker, und ein Constabel darbey elendiglich verbrannten; Mieth 1688 Geschütz-Beschr. IV 34 Warum die Granatierer offtmals selbst von ihren eigenen Granaten gesprengt werden (Überschn); ebd. IV 57 Verrichtung der Granatierer in Vestungen (Überschr.); Stieler 1691 Stammbaum l 693 Granate . . Granatirer/ der; Tilemann 1691 Werbung 21 Mußqvetierer/ &c Granadirer; Gauion 1709 Belagerung (Übers.) 64 Hernach aber zehn bis zwölf Granadier/ oder sonst eine gleiche Anzahl hcrtzhafter Soldaten . . aussuchen; ebd. 65 Wenn die drey Bomben gesprungen/ sollen die Sergeanten und Grenadierer wieder in die Galerie gehen; Wächtler 1709 Manual 147 Granadier, Fußgänger/ mit Granaten; Wagner 1724 Soldatenbibl. 305 Zu der Infanterie gehören auch die Grenadiers, ob sie gleich kein apartes Corpo machen/ so sind sie doch eine besondere Militz . . Es sind Soldaten/ so die Granaten werffen/ sonderlich in den Stürmen; Fleming 1726 Soldat 146 §. 7. Ein Grenadier . . hat . . den Vorzug, daß man ihm bey Sturmlaufen und bey denen gefährlichsten Actionen gebraucht, um Granaten zu werfen .. Man erwehlt hierzu die ansehnlichsten, stärcksten, dauerhafftesten und ramassirten Leute . . §. 9. Ein Granadier muß nicht weibisch aussehen, sondern furchtbar, von schwartzbraunen Angesicht, schwartzen Haaren, mit einem starcken Knebel-Barth, nicht leicht lachen, oder freundlich thun; Humbert 1744 Vaubans Angriff l 52 zu gleicher Zeit charchiret zu werden durch die Grenadier, und die Detachirten von der Trenchee; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIH 34) der Grenadier, unser preu-
ßischer Barde, ist bey Zorndorf verwundet worden; 1773 Frauenzimmerlex. 1209 Grenadier . . ein soldat, der sich durch die hohe mutze vom musquetier unterscheidet (DWB); Adelung 1775 Grammat.-krit. Wb. 11 771 Der Granatier . . ein Soldat, welcher Granaten wirft, wozu man gemeiniglich die ältesten und erfahrensten Soldaten zu wählen pflegte. Heut zu Tage ist der Gebrauch der Granaten in den meisten Ländern abgekommen, indessen hat man doch den Namen der Granatiere, und zum Theil auch ihre ehemalige Kleidung beybehalten; Jean Paul 1795 Hesperus (W. I 812) Er handhabte die satirische Waffe wie die Grenadiere die Handgranaten, die sie nicht mehr werfen, sondern nur abgebildet auf den Mützen führen (DiBi 125); Berenhorst 1798 Kriegskunst II 150 Anm. Wegen des hinzugefügten Grenadieradjutanten, welche Einrichtung auch bey den Regimentern mit fünfzig Officieren, einen Grenadiermajor veranlaßt hatte; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 94) Zwei Grenadiere, das Gewehr beim Fuß, standen . . in allen Lustspielen ganz öffentlich zu beiden Seiten des hintersten Vorhangs; Campe 1813 Fremdwb. 343 Die Grenadiere unterscheiden sich jetzt von dem übrigen Fußvolke bloß dadurch, daß man ausgesuchte Kernleute dazu nimmt; Clauren 1817 Lustsp. I 1,114 Es waren Grenadiere mit den großen Bärenmützen (TRÜBNER); Heine 1826 Reisebilder II (W. u. Br. III 144) wie hätte ich mich späterhin zurechtfinden wollen in dem großen Berlin, wo ein Haus dem ändern gleicht, wie ein Tropfen Wasser oder wie ein Grenadier dem ändern (DiBi 125); Oertel 1831 Fremdwb. 373 Grenadier, eig. Granatirer .. Granatenwerfer, Kriegfußknecht, a) der ehemals kleine Granaten mit der Hand werfen mußte, die aber jezt blos aus Haubizzen geschossen werden, b) der jezt den vornehmsten Theil des Fußvolks ausmacht, statt des Huts eine hohe spi-
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Grill
tzige Müzze von Pelz, Tuch oder Wachsleinwand trägt, gleich dem Musketier bewaffnet ist, u. s. w.; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti II 115 einen unserer braven Generale . ., der die edle That eines seiner Grenadiere belohnt; Marr 1846 ]. Deutschland 310 Karl Heinzen, sechs Zoll mehr als das größte Grenadiermaß, tröstet sich, daß er den Orden pour le merke nicht erhalten wird; Keller 1855 W. IX 260 Die Werbetrommel hört' ich rühren/ Und trat zu Friedrichs Grenadiren; 1867 ff. Rückert III 88 [die Pappeln stehen an der Landstraße] gleich grenadieren aufgestellt,/ in langgedehnten häufen;/ weh', dem das loos der strafe fällt,/ die gass hindurch zu laufen (DWB); Hehn 1887 Italien 77 ein unbeweglicher granatiere mit der Flinte . ., mehr zur Zierde als zur Abwehr; Liliencron 1897 S. W. VII 52 Der Grenadier im strammen Schritt,/ In Schritt und Tritt und Tritt und Schritt,/ Das stampft und dröhnt und klappt und flirrt,/ Laternenglas und Fenster klirrt (TRÜBNER); Hermann 1908 Henriette 222 lag schon das kleine Haus mit seinen wenigen hohen Fenstern — es war kaum breiter als ein preußischer Grenadier; Th. Mann 1916 Reden u. Aufs. (W. X 569) Carlyle's Riesenwerk aufs neue in ungestutzter Pracht. Ein Band ist da . . und stehen die sechs erst gut ausgerichtet nebeneinander, wie Grenadiere, so werden sie ein stattliches Bibliothekswerk abgeben; Klemperer 1923 Tagebücher 695 in weiter Landschaft die breite Schlachtlinie der Grenadiere bei Leuthen; Sacerdote 1925 Italien 245 Die Granatieri (Grenadiere) unterscheiden sich von den anderen Infanterieregimentern durch rote Litzen am Kragen; Klemperer 1932 Tagebücher 755 Besonders ein Tambour einzeln voran, links „Hüfte fest", rechts der Tambourstab. Seine Bewegung schräg im Raum, ausbalanciert, gewaltsam, wirkt wie ein archaischer Tanz, wie eine Kulthandlung, der Mann ist Derwisch u. fridericianischer Grenadier in eins geschmolzen; Münch. N. N. 12.11. 1942 Grenadiere (Überschr.) Durch Führererlaß haben sämtliche Infanterie-Regimenter den Namen Grenadier-
Regimenter erhalten . . Grenadiere waren Elitesoldaten der deutschen Staaten im 18. Jahrhundert, besonders aber zur Zeit Friedrichs des Großen; Dtsch. AZ. 2. 5. 1944 Kowel sei das schönste und größte Beispiel für den Typ des wehrhaften Eisenbahners . . sei das Symbol des „Grenadiers der Schiene" geworden; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. XI 540) wenn ich sterben werde, so will ich zwar nicht, wie Heine's napoleonischer Grenadier „in Frankreichs Erde" sondern in schweizerischer begraben sein; Lenz 1968 Deutschstunde (W. VI 659) deutscher als sechs pommersche Grenadiere; Eggebrecht 1971 Vaters Haus o. S. es gesellte sich das Preussische hinzu, das tief in ihm steckte: Die Grenadiere des alten Fritzen, die mit einigen Hufen Landes Bauern und Eigentümer .. nach dem Siebenjährigen Krieg geworden waren; Zeit 5. 4. 1985 Noch heute hängt sein Soldatenherz an den Grenadieren, die er damals über den Truppenübungsplatz scheuchte; taz 28. 7. 1989 Grenadiere und zügellose Weiber (Überschr.) Daß die Mehrzahl der Republikanerinnen unverheiratet war, kam den Jakobinern gerade gelegen .. „Ich habe festgestellt, daß die Mitglieder dieser Gesellschaften keine Familienmütter sind, sondern Abenteurerinnen, ziellos umherschweifende Weiber, emanzipierte Gören und weibliche Grenadiere." Der Abgeordnete Fahre d'Eglatine erntete für seinen Beitrag lautstarken Applaus; Berl. Ztg. 21.7.2000 Gewiss braucht man nicht die vielen Soldaten, aus denen die Bundeswehr heute besteht — Kriege werden nicht mehr von Grenadieren gewonnen, sondern durch Technik; ebd. 6. 1. 2001 Gewehrlauf umfassen, Gewehr auf den Rücken, im Gleichschritt Marsch, alles ist millimetergenau abgezirkelt . . Da brauchen unsere neuen Grenadiere schon ein gutes halbes Jahr Training, bis sie das drauf haben; Mannh. Morgen 18.1.2001 Allein im vergangenen Jahr hätten die Grenadiere [des Traditionsvereins] in ihren preußisch-blauen Uniformen mit roten Hosen und weißen Gamaschen etwa 200 Mal vor Publikum exerziert.
Grill M. (-s; -s), Anfang 20. Jh. übernommen aus gleichbed. engl. grill (< frz. gn7, altfrz. gräil, greil 'Bratrost, Gitter', wohl neu gebildetes M. zu gleichbed. frz. grille F., altfrz. gräille, greille < mlat. graticula, lat. craticula 'Geflecht; kleiner Rost', Diminutiv zu cratis 'Flechtwerk; Hürde, Faschine'). la Zunächst auf engl. Verhältnisse bezogen, dann bald allgemeiner als Bezeichnung für ein meist mit Holzkohle beheiztes (vgl. Barbecue), zunächst in einem speziellen Gastraum eines Restaurants (vgl. Grill-Room), heute meist im Freien (fest eingerichtet oder beweglich) verwendetes eisernes Tisch- oder Standgerät zum Garen von Fleisch oder Fisch (seltener von Gemüse, zum Toasten von Brot o. Ä.), bestehend aus einem Bratrost über einem schüsseiförmigen Behälter für die Holzkohleglut, dann auch für ein in geschlossenen Räumen, am heimischen Esstisch (vgl. Tischgrill)
Grill
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oder in der Küche (als Bestandteil des Herdes; vgl. Elektro-Grill) benutztes, durch Strom oder Gas betriebenes Haushaltsgerät zum raschen und starken Erhitzen von Speisen, bestehend aus einem (höhenverstellbaren) Rost und einem Auffangbehältnis (Schale, Pfanne) zur Aufnahme des ablaufenden Fettes; in Wendungen wie Steaks und Würstchen vom Grill, am Wochenende den Grill aufbauen, am Grill ist mein Mann der Spezialist, du kannst schon mal den Grill anschmeißen, das Huhn brutzelt im Grill, mit fetten Würstchen frisch vom Grill, im Grill überbacken bis der Käse zerläuft, Spieße in den vorgeheizten Grill stecken, als Bestimmungswort (auch ableitbar von grillen, s. u.) zuerst v. a. in der aus gleichbed. engl. grillroom entlehnten und ebenfalls auf engl. Verhältnisse bezogenen Zs. Grillroom, teillehnübersetzt auch Grillraum, -gaststätte, -restaurant und in der Folge in zahlreichen Zss. wie (in Verbindung mit Bezeichnungen für das Grillgut:) Grill(-brat-)wurst, -fleisch, -hähnchen, -haxe, -steak, -platte/-teller, -buffet, -Spezialität, (für den Ort des Grillens:) Grillfläche, -hütte, -imbiss, -kamin, -küche, -platz, -stand, -Stube, -wiese, (für Utensilien und Ingredienzen der Zubereitung und des Verzehrs:) Grillfeuer, -anzünder, -gerät, -kohle, -marinade, -pfanne, -rost, -sauce, -zange, (für den Anlass des Grillens:) Grillabend/-nachmittag, -fest, -party, sowie Grilldüfte/-gerüche, -kultur, -verbot, -saison, -wetter, in adj. Zss. wie grillbegeistert, -bereit/-fertig, -fähig/-tauglich, -frisch, -wütig, und seltener als Grundwort in Backofen-, Balkon-, Dreh-, Freizeit-, Garten-, Gas-/Elektro-, Hähnchen-, Heißluft-, Holzkohle(n)-, Imbiss-, Infrarot-, Kamin-, Kontakt-, Party-, Schwenk-, Würstchengrill, selten bildlich und ironisch (bezogen auf das Bräunen in der Sonne:) Teutonen-, Solar-, Sonnengrill. Dazu seit frühem 18. Jh. die aus gleichbed. frz. griller entlehnte, heute meist regional (schweiz.) eingeschränkte verbale Ableitung grillieren V. trans, 'auf einem Grill rösten, braten', in Wendungen wie das Fleisch, Steak, Hähnchen grillieren, grillierte Rinderbrust, grillierter Fisch, grillierte Tomaten und Zss. wie Grilliergut, -platz, -abend, -fan, -gerate, -kunst, -plausch, -seminar, -unrat; grilliermäßig, im 18. und 19. Jh. auch in fachspr. Verwendung, so von Ende 18. bis ins späte 19. Jh. im Textilwesen für '(Stoffe, Tuche) mit einem karierten, gitterförmigen (an die Struktur eines Rosts erinnernden) Muster versehen' (s. Belege 1796 — 97, 1813) bzw. 'beim Baumwollgewebe die Fäserchen absengen' (s. Beleg 1885 — 92; vgl. appretieren), im Hüttenwesen in der 2. Hälfte des 19. Jhs. nur gebucht in der Bed. 'Erz rösten' (s. Beleg 1885 — 92); in den 30er Jahren des 20. Jhs. abgelöst und weitgehend verdrängt durch aus gleichbed. engl. grill (< frz. griller) entlehntes grillen V. (in)trans. '(Fleisch usw.) auf einem Holzkohlerost oder im gas- oder elektrobeheizten Backofen unter rascher Erhitzung garen', z. B. kleinere Fleischstücke lassen sich einfacher auf einem engmaschigen Rost grillen, einen Fisch im Backofen grillen, die Hähnchen grillen um die Wette, seit den 50er Jahren zunehmend bezogen auf die heute weitverbreitete, gelegentlich polemisch als störend und umweltschädlich abgewertete Freizeitbeschäftigung in der Bed. 'im Freien meist in geselliger Runde am offenen Feuer oder auf einem Rost über glühender Holzkohle (mariniertes) Fleisch, Geflügel, Fisch usw. braten', z.B. an Sommerabenden grillen wir am Lagerfeuer, im Sommer ist Grillen unter freiem Himmel angesagt, das Grillen im Park/auf dem Balkon verbieten, häufig auch in der Part. Perf.-Form gegrillt in adj. und adv. Verwendung, z. B. gegrilltes Hähnchen, gegrillt/in gegrilltem Zustand schmeckt das Fleisch besser, mageres und zartes Fleisch, gekocht, gegrillt oder gedünstet, auch subst. Gegrilltes N. (-n; ohne Pl.) 'Grillgut'; gelegentlich scherzhaft bildlich verwendet als V. intrans., auch reflex.
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für '(sich) (ausgiebig, übermäßig) in der Sonne bräunen, sonnen' (s. Belege 1979, 1984, 1989), z.B. (sich) stundenlang unter Spaniens Sonne grillen, und '(sich) (die Haut o. Ä.) verbrennen' (s. Beleg 1998), z.B. der Sand ist so heiß, dass man sich darin die Füße grillt, sowie als V. trans, 'jmdn. lange und andauernd verhören, in die Zange, ins Kreuzverhör nehmen, ausquetschen' (s. Belege 1985, 1987; vgl. weichkochen}, mit der in neuerer Zeit (bes. österr./schweiz.) nachgewiesenen Gelegenheitsableitung Grillerei F. (-; -en) 'Gegrilltes, Grillgut' und 'Vorgang des Grillens' (s.u. Grillade); seit den 70er Jahren des 20. Jhs. die aus gleichbed. engl. griller übernommene subst. Ableitung Griller M. (-s; -), zunächst als Bezeichnung für das Gerät (s. Beleg 1974, 1998; vgl. Grill la) und (im Engl. nicht bezeugt) 'auf dem Grill zubereitete Speise (Geflügel, Hamburger o. Ä.)' (s. Belege 1977, 1994), dann v. a. 'Person, die (freizeit- oder berufsmäßig) Gerichte auf einem Grill zubereitet' (s. Belege 1978, 1981, 1985, 1988, 2001, 2002), gleichbed. mit in jüngster Zeit (österr./ Schweiz.) nachgewiesenem, von grillieren (s.o.) abgeleitetem Grillierer M. (-s; -). Daneben schon seit Anfang 18. Jh. aus gleichbed. frz. grillade (zu griller 'rösten', zu gril, s.o.) entlehntes Grillade F. (-; -n) 'auf dem Rost gebratene Speise (bes. Fleisch), Rostbraten' (vgl. Carbonade), z.B. Grillade von Capaunen, von Schweinsfüßen, herzhafte, würzige Grilladen, anschließend besteht die Möglichkeit, mitgebrachte Grilladen auf dem Feuer zu braten, seit den 50er Jahren des 20. Jhs. v. a. regional (schweiz.) auch bezogen auf den Vorgang und das Ereignis des Grillens im Sinne von 'Grillveranstaltung, -fest' (s. Belege 1951, 1997, 1999, 2000), z.B. Garten-, Sonntagsgrillade, teilweise gleichbed. mit Grillerei, s.o.; vgl. auch die im Sprachgebrauch der DDR übliche, alternativ zum Hamburger (französisierend nach Boulette) gebildete Bezeichnung Grillette F. (-; -n). b Seit den 30er Jahren des 20. Jhs. gelegentlich als Kurzform für die bereits Anfang 20. Jh. aus engl. grillroom übernommene Zs. Grillroom (s.o.) in der Bed. 'Imbissbude, Gaststätte, Restaurant (in einem Hotel), in dem gegrilltes Fleisch als Spezialität angeboten wird', z.B. (bezogen auf die Herkunftsregion der Spezialität:) Schwarzwald-, Balkangrill bzw. (bezogen auf den Namen der Spezialität:) Hamburger-, Hähnchengrill. 2 Seit den 60er Jahren des 20. Jhs. nach gleichbed. engl. grill(e) als Kurzform von Zss. wie Auto-, Front- und v. a. Kühlergrill 'gitterartige Verkleidung des Kühlers an einem Kraftfahrzeug' (dafür scherzhaft auch Insektengrill, mit Anknüpfung an l a). Grill la: Dunger 1909 Engländerei 4 Denn der echte Berliner . . ißt zum Frühstück beileibe nicht mehr ein Eisbein oder ein Stück Rindfleisch, sondern ein Beefsteak . . oder sonst ein Steak, und das würde ihm nicht schmecken, wenn es nicht auf dem Grill und womöglich in dem besonderen Grillroom zubereitet worden wäre; ebd. 21 Nach englischem Vorbild wird jetzt auch bei uns öfter der Rost, englisch grill, zum Braten verwendet; Schmilz 1914 Land 271 eines sowohl nach dem Speisesaal, wie nach dem Grill Room geschickten Grooms; Sacerdote 1925 Italien 437 den in Deutschland unter dem Namen grill-room bekannten Anstalten, welche eine Restauration mit dem
Verkauf hergerichteten Fleisches verbinden [in Italien: Rosticceria]; Lokal-Anz. 29. 1.1933 die Bernauer Drehspieße, dasselbe, was bei uns heute Grill heißt; B. N. 24. 6. 1943 Die Hauptsache ist, daß der Fettgehalt nicht für unsern Körper verloren geht. Sehr vorteilhaft ist es auch, Fleischstücke in einer Grillpfanne zu braten, oder in einem elektrischen Backofen; NZ. (Basel) 3. 4. 1950 Ursprünglich wurde das Gas ausschließlich zur Beleuchtung verwendet; erst um 1880 baute man einen Gasrechaud, und später kamen dann noch Backofen und Grill dazu; Süddtsch. Ztg. 26. 7. 1954 Eine Hauptüberraschung für den Gast ist der Grill, der den bestimmenden Mittelpunkt des neuen Restaurant-
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teils bildet; Neues Deutschi. 11. 12. 1954 da gab es schmack sie einer Grillade durch Verwendung eigedämpfte Hammelkeule und schließlich ein Ham- ner bestimmten Holzsorte geben wollten, und melkotelett vom Grill mit Kräuterbutter (AWB); wandte sich an den Pere Frederic, ob von diesem Offenburger Tagebl. 5. 1. 1961 Grillgaststätte . . Holze noch etwas vorhanden sei; Arnet 1951 Fest krankheitshalber zu verkaufen (Anzeige); Spiegel d. Volkes 15 Rauch stieg aus den Herden und Ros11.7. 1962 Axel . . der sich pfeifenrauchend im ten, man rief lachend nach Bratwürsten mit den Grillraum des Londoner Savoy-Hotels zum Mitbraunen Zebrastreifen der Grillade, man trank tagessen niedergelassen hatte (AWB); Stuttgarter Wein mit Mass; Bondanini 1972 Schmackhafte Ztg. 17. 9. 1963 In keiner modernen Küche fehlt Grilladen für die schlanke Linie. 95 Rezepte auf heute der Grill; Süddtsch. Ztg. 17. 8. 1974 nach ei- dem Kontaktgrill (Titel); Muschg 1984 Licht 183 nem Standkonzert einer Blaskapelle werden WürstUnter den Witzen, die sich Hirn und Schädel Prochen am Grill ausgegeben (AWB); Mannh. Morgen fessor Smolders bei der Vorstellung dieser Grillade 17. 7. 1989 Das Grillgut kommt erst dann auf den gefallen lassen müssen; Zeit 3. 3. 1995 Am liebsten Grill, wenn die Holzkohle gut durchgeglüht ist; ißt er Austern und andere Schalentiere, etwas Fisch ebd. 10. 1. 1991 In unserer Wohnungseigentumsanund feine Grilladen; St. Galler Tagbl. 24.5. 1997 lage gibt es einen offenen Grill, der so gebaut ist, Sonntag . . Gemeinsamer Gottesdienst Amriswil . . daß die Bewohner des Hauses nicht von den GrillAnschliessend Thurgauer Grillade; ebd. 20. 7. düften belästigt werden; ebd. 21.5.2002 Wir su1999 Mittagessen: Grillade des Verkehrsvereins chen dringend noch einige Helfer, die uns für eiBrunnadern (Die Kosten werden von jedem Teilnige Stunden an Grill und Ausschank unterstützen; nehmer selber übernommen); Züricher Tagesanz. Berl. Ztg. 24. 2. 2003 Vier Grills und einmal Holz25.2.2000 Von der Wmterthurer Gruppe Zukohle haben wir noch da. kunftswerkstatt ist Beat Ringger der Einzige, der immer mitgearbeitet hat. Von der Gartengrillade Griliade: Glorez 1701 Hauß-BMiothec 210 Grilbis zum Abstimmungssonntag, vom Anfang bis ladc von Capaun (BRUNT); ebd. 251 Grillade Auff zum Ende; Mannh. Morgen 18. 9. 2001 für die Bedem Rost gebraten (BRUNT); Amaranthes 1715 wirtung mit „Florian"-Erbseneintopf und GrillaFrauenzimmerlex. 688 Grillade, Ist nichts anders den war dank der fleißigen Mithilfe der Feuerwehrals ein Rost-Braten, der von überbliebenen Gebrafrauen bestens gesorgt. tens, als Türckischen Hähnen, Gapaunen, KälberVierteln . . und Schweins-Füssen, Schincken und ändern Dingen mehr, auf gewisse Art zu rechte gemacht, und hernach fein safftig auf dem Rost gebraten wird; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 283 Grillade, heist ein auf dem Rost gebratenes und zubereitetes Fleisch; Krünitz 1780 Oec. Enc. XX 35 Grillade, ein auf dem Roste gebratenes und zubereitetes Fleisch, welches von ändern übrig gebliebenen Braten, als: Truthühnern, Gänsen, Kapaunen, Kälbervierteln, imgleichen von KälberSchöps- oder Lamm- und Schweins-Füßen, Schinken etc. gemacht wird; 1800 N. Hannover. Kochb. I 102 Grillade von Kalkuten. Man nehme die Keulen, wende sie im Butter um, bestreue sie mit geriebenem Weißbrodt und Salz, brate sie auf dem Roste braun, und gebe eine braune Sauce mit Zwiebeln und Zitronen dazu; Campe 1813 Fremdwb. 343 Grillade, Geröstetes, Rostfleisch; Heyse 1838 Fremdwb. l 466 Grillade . . Rostfleisch, Geröstetes, Rostbraten; 1857 Pierer's Universal-Lex. VU 650 Grillade . . auf dem Rost gebratenes Fleisch; 1885-1892 Meyers Konversationslex. VU 739 Grillade . . gekochtes oder gebackenes Fleisch, welches mit Butter, Ei und zerriebener Semmel paniert und auf dem Rost gebraten wird; Uhde 1938 V. Bismarck b. Picasso 139 So warf er eines Tages vor den Eingeladenen, die mit so raffinierten Dingen nicht vertraut waren, die Frage auf, welchen Ge-
grillen: Voss. Ztg. 9. 8. 1931 Kann man Tomaten grillen? (Überschr.); 1953 Oetker 134 Im allgemeinen versteht man unter Grillen das Braten an offener Flamme. Man kann das Braten auf dem Rost aber ebenfalls so nennen, wenn die Hitze nicht direkt ans Fleisch gelangt . . Beim Grillen wird das Fleisch auf den Rost gelegt und dabei einer Hitze von 250 bis 275 Grad Celsius ausgesetzt (AWB); Stuttgarter Ztg. 17.9.1963 Grillen am Spieß (Überschr.) Das Grillen ist keine neue Erfindung. Der Holzkohlenrost ist seit Jahrhunderten bekannt; /97l Menü X 254 auf Spieße stecken . . Mit Öl bepinseln. In einer Pfanne braten oder noch besser auf dem Rost im Ofen grillen; 1979 ADACMotorwelt II 45 Man möchte eine neue Kundschaft ins Land locken, die nicht nur nach Spanien kommt, um sich zu grillen, sondern auch an spanischer Geschichte und Kultur interessiert ist (AWB); 1984 Hörzu XXII 98 Ohne Pause in der Sonne grillen . . Richtig ist: Die ersten Urlaubstage möglichst im Schatten zu verbringen (AWB); Zeit 2. 8. 1985 Zeugenaussagen können Schimären sein. Indizien haben oft mehr Beweiskraft. Da ist es nicht nur das Recht der Verteidiger, Zeugen regelrecht zu grillen, es ist ihre Pflicht; Spiegel 25. 5. 1987 Woche um Woche grillen sie Barbie: Wer waren seine
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Kontaktleute . . wie war er . . entkommen, wer hatte ihm auf der Flucht geholfen? (AWB); Spiegel 15. 5. 1989 An den goldenen Stranden der Provinz Malaga, wo Charter-Touristen und Schickeria grillen (AWB); Mannh. Morgen 10. 1. 1991 Auf der Einladung zur nächsten Wohnungseigentümerversammlung habe ich . . gesehen, daß ein Antrag vorliegt, grundsätzlich auch das Grillen auf dem Balkon zu genehmigen; Frankf. Rundsch. 23. 6. 1998 Bei bis zu 33 Grad Celsius zeigten jedoch wenige der 8000 Freibad-Besucher Interesse, sich im Sand der Anlage die Füße zu grillen; Berl. Ztg. 4. 6. 2002 ob . . in einer innerstädtischen Anlage wie dem Görlitzer Park an heißen Tagen bis zu 15000 Menschen feierten und grillten; ebd. 24. 2. 2003 Berlin wie es grillt und lacht (Überseht.). gegrillt/Gegrilltes: Münch. N. N. 12.11. 1938 Die Heringbar will nun den Fisch in gebackenem, gegrilltem, geräuchertem . . und weiß Gott noch wie alles variiertem Zustand den Londonern vorsetzen; Stuttgarter Ztg. 17. 9. 1963 Gegrilltes Fleisch ist leicht verdaulich; Lenz 1980 W. XVII 97 Seine Lieblingsspeise war gegrillter Lachs; taz 9. 10. 1989 Wer wenig Krebserregendes essen will, sollte wenig Fett, Alkohol, Gegrilltes, Gepökeltes, Konserviertes und Gesalzenes . . zu sich nehmen; ebd. 11.8. 1994 Sonst duftet es gegen Abend schon mal nach Gegrilltem; Hamb. Morgenpost 12.1.2006 Der 400-Gramm-Lobster aus nordamerikanischem Wildfang wird in verschiedenen Variationen angeboten: abgekocht und kalt auf den Tisch, frisch aus dem Sud oder gegrillt. Griller: Kleine Ztg. 3. 7. 1974 Griller, billig, Altwaren Hasiba (Anzeige) (AWB); Neue West f. 3.3. 1977 Wir liefern aus unserem Hähnchenschlacht- und Zerlegbetrieb l a Hähnchen, Griller, Hähnchenschnitzel . . aus täglich frischer Schlachtung (Anzeige) (AWB); 1978 Playboy VI 14 Jeder Gast sucht sich sein Steak aus, zeigt es dem baumlangen Griller am Holzkohlenfeuer und bestellt, wie durchgebraten und gewürzt es gewünscht wird (AWB); Frankf. Rundsch. 11.7.1981 Steakhaus Hacienda sucht für sofortigen Eintritt. . Griller(in) (AWB); FAZ 25. 7. 1985 Passionierte Griller können an keinem markanten Hügel vorbeifahren . . ohne in den Ruf auszubrechen: „Was für ein schöner Grillplatz!" (AWB); taz 30. 7. 1988 Der unvorsichtige Griller kam mit Brandverletzungen und einem Schock davon; Spiegel 23. 5. 1994 Tabb hatte in ihrem „Burger King"-Restaurant einen sogenannten Griller auf die Speisekarte gesetzt, einen fleischlosen Hamburger aus Soya für 1,59 Dollar; Kleine Ztg. 3. S. 1998 Der Koch hatte den Griller in Betrieb genommen, worauf eine Stichflamme in die Höhe schoß; Berl. Ztg. 4. 5. 2001 Von Jahr zu
Jahr werden die Griller rücksichtsloser und missachten die Verbote; taz l. 6. 2002 gute Griller bereiten das Fleisch so vor, dass kein Fett tropft. Dann brennt nichts. Grillerei: Behnstedt/Woidich 1985 Ägypt.-arab. Dialekte 215 Und einige sagten zu ihm: Deine Grillerei war eine Katastrophe, Nasr!; Mannh. Morgen 4. 6. 1991 die Aussteller aus dem Gaststätten- und Nahrungsmittelbereich . . boten von der leckeren Grillerei bis zur erlesenen Delikatesse alles, was der verwöhnte Gaumen verlangte; Oberösterr. Nachr. 10. 6. 1998 Eine Grillerei auf dem Balkon ist für die Nachbarn mega-out. Während die einen einen lustigen Grillabend verbringen, werden die anderen eingequalmt und ausgeräuchert; ebd. 25. 5. 2000 Eine Tombola, Spielstationen für Eltern und Kinder und eine Grillerei runden das Programm ab. grillieren: Hagger 1719 N. Saltzb. Kochb. III 2,112 und legs auf den Rost/ und grilliers oder brats im Safft; Jean Paul 1796-97 Blumenstücke (W. I 2,515) und dann stieß er ab und stellete noch einige wichtige Trostgründe und einige wichtige Dukaten der gebeugten Strohwitwe zu, die in ihrem grillierten Kattun so trauerte, wie sichs gehört (DiBi 125); Campe 1813 Fremdwb. 343 Grilliren . . rösten . . In der Kunstsprache einiger Zeugwirker gittern. Gegitterter Kattun, grillirter; 1820 Jbb. polytechn. Inst. Wien H 490 Villalon-Calero, von Amiens im Somme-Departement, auf eine neue Platte zum Grillieren der Stoffe; Neudecker 1853 Köchin 59 grillirte Rindsbrust; 1885—92 Meyers Konversationslex. VII 739 Grillieren, auf dem Rost hellbraun braten; auch das Absengen der Fäserchen bei der Appretur der Baumwollgewebe und das Rösten der Erze; Beutel 1911 Mod. kalte Küche 261 nur den fleischigen Rücken nehmen, aus diesem eine Anzahl Steaks schneiden und diese entweder grillieren oder blond dünsten; Welt 17. 8. 1963 sie dünsten und grillieren (AWB); Badener Tagbl. 19. 8. 1970 Grilliertes hat Vortritt und erfreut sich großer Beliebtheit (AWB); Annabelle 24. 6. 1976 Das Barbecue, wie wir das Grillieren seit einigen Jahren nennen, kommt aus den USA und ist die einzige amerikanische Mahlzeit, die von Männern erfunden wurde (AWB); Salzb. Nachr. 6.2. 1993 Suppe aus grillierten gelben Tomaten; Züricher Tagesanz. 9. 12. 1999 Servieren Sie dieses feine Sauerkraut zu gebratenem oder zu grilliertem Fisch; St. Galler Tagbl. 30. 8.2001 Er betreibt seine Bierschwemme und grilliert; ebd. 7. 12. 2001 Er hatte im Juni 2000 in Galgenen einen 24-jähri-
Grimasse gen Spanier erschossen, weil ihn der Rauch der grillierenden Nachbarn störte. Grillierer: St. Galler Tagbl. 26. 4. 1997 Es ist die 37. Ausstellung für all jene, welche sich gerne im Freien aufhalten: Camper, Grillierer, Zelt-Begeisterte, Velofahrer und "Wohnwagenbesitzer; ebd. 24. 7. 2001 Ich habe nichts gegen Grillierer oder improvisierte Feste. Der Anstand gebietet es aber, Abfälle zu entsorgen und die Feuerstelle aufgeräumt zu hinterlassen. Grill Ib: Lokal-Anz. 29. 12. 1934 Hermann Peltzer, dessen Grill in der Neuen Wilhelmstraße internationalen Ruf hat, ist jetzt auch im Berliner Westen heimisch geworden; Spiegel 11.7. 1962 nachdem Jahn seine ersten Grills [der Restaurantkette „Wienerwald"] eröffnet hatte (AWB); N. Z. Z. 13. 9. 1968 Vom Grill im Grill - Zürcher Leberspießchen (Anzeige) (AWB); Offenburger Tagebl. 9. 9. 1971 neuer badischer Wein und badischer Zwiebelkuchen im Schwarzwald-Grill (Anzeige); Mannh. Morgen 7. 4. 1989 Serien wie „Der Nervtöter" und „Drei Damen vom Grill".
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Grill 2: J969 Prospekt Fa. Sieber, Regensburg o. S. Das Besondere beim Sprint-Coupe: Schwarzer Grill . . Sprint-Schriftzug am Heck, an den vorderen Kotflügeln und am Kühlergrill (AWB); Offenburger Tagebl. 14. 1.1971 Von vorn ist der BMW 2500 unverkennbar ein echter Repräsentant des Hauses. Das charakteristische Frontemblem in der Mitte des über die ganze Wagenbreite laufenden Grills weist ihn als solchen aus; Kleine Ztg. 10. 8. 1974 Dieser aus Kunststoff gefertigte Grill schließt die Doppelscheinwerfer ein (AWB); Auto Motor Sport 9. 1. 1985 der Heizung und den vorderen Scheibenbremsen wird Luft durch den schmalen Grill zugeführt (AWB); Neue KronenZtg. 9. 1. 1996 Im Prinzip handelt es sich aber um einen auf US-Luxus getrimmten Opel Omega mit geändertem Grill, neugestalteter Heckpartie und einem gänzlich anderen Instrumentenbrett; St. Galler Tagbl. 10. 6. 1999 Ein markanter Grill und grosse Nebelscheinwerfer prägen die bullige Front; Berl. Ztg. 19. 4. 2003 Tuner Rinspeed hat den Subaru Forester XT Turbo (177 PS) veredelt. Neu sind unter anderem Frontgrill, Heckblende, 18Zoll-Aluräder.
Grimasse F. (-; -n), im frühen 16. Jh. vereinzelt, seit Mitte 17. Jh. kontinuierlich bezeugte Entlehnung aus gleichbed. frz. grimace (vgl. span, grimazo 'Grausen, Schaudern', ital. grimazzo, port, engrimango 'Zerrbildung, Betrug', engl. grimace), ungeklärter Herkunft, wohl zurückgehend auf altfrz. grimuc(h)e 'groteske Figur, Fratze' und eventuell verwandt mit altnord. grima 'Maske; Nacht, Drachenkopf am Schiffssteven', altengl. grtma 'Maske, Helm; Gespenst, Larve', ahd. grimo 'Maske'; oft wegen der lautlichen Ähnlichkeit fälschlich mit dtsch. Grimm, krumm oder Grinsen assoziiert), anfangs in der (fälschlich an dtsch. Kramanz(e) 'übertriebene Höflichkeit, albernes, närrisches Tun' angelehnten) Form Gramas(e), bis in die 2. Hälfte des 18. Jhs. überwiegend im Pl. und häufig mit der frz. Schreibung Grimaqe/ Grimace, im Pl. vereinzelt Grimaces. a Zunächst vereinzelt wohl in volksetymologischer Vermischung mit veraltetem gleichbed. Kramanz(e) (zurückgehend auf mhd. gramazte bzw. nigramanzie 'Schwarze Kunst; Gaukeleien, Possen'; vgl. ital. gramanzia,) bzw. dieses ersetzend, bezogen auf (gestisch oder mimisch ausgedrückte) stereotype Haltungen, Verhaltensweisen und Umgangsformen des gesellschaftlichen Lebens in der heute veralteten, meist negativ mit „rein äußerlich, oberflächlich, hohl" konnotierten Bed. 'der Etikette gemäßes, (übermäßig) höfliches Gebaren, (vordergründige) glatte Miene, bloße Geste der Höflichkeit/Freundlichkeit, höfliche, belanglose Gebärde, Redensarten; oberflächliches, leeres Geschwätz' (s. Belege 1721.1, 1721.2, 1743-55, 1785, 1789; —» Etikette, —* Kompliment, —» Zeremoniell, —» Galanterie, vgl. Koketterie —* kokett, vgl. Politesse), in Wendungen wie die Zeremonien, Grimassen und Komplimente des Adels, die vielen höflichen Grimassen der Gesellschaft lernen, auch, konnotiert mit „affektiert, albern", für 'übertrieben umständliches, unnatürliches, gekünsteltes Gehabe, Getue, Aufhebens, Ziererei; sonderbare Verhaltensweise, Laune,
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Grille' (s. Belege 1728, 1855, nach 1890, 1896; -» Attitüde, -» Pose; -» Marotte, vgl. Bizarrerie, —> bizarr, Groteske, —» grotesk) in Wendungen wie sein affektiertes, komödienhaftes Wesen äußert sich in Grimassen und bes. im 18.719. Jh. zunächst 'aufgesetzter, bloß äußerer, oberflächlicher Anschein ohne echten Gehalt' (s. Belege 1727, 1779, 1780, 1821, 1832), z.B. dieses Getue ist bloß(e) Grimasse, ihr KUSS war nur Grimasse, er hält Eure Tugend für Grimasse, was den Griechen Natur war, ist den Franzosen Grimasse geworden, dann bildlich-übertragen 'vorgehaltener Schleier, Larve/Maske des falschen Scheins, der Lüge, der Täuschung, der Verstellung, der Heuchelei; Verlogenheit; Vorwand' (s. Belege 1794, vor 1809, 1851-54, vor 1874, 2000; —> Farce, —» Fiktion, —> Komödie, —·» Larve, —·» Makulatur, vgl. Maske, Schminke/Tünche, Staffage), in Wendungen wie nichts als Grimasse der Frömmigkeit, das ist alles nur eine eitle, unwahre Grimasse, unter/hinter der Grimasse geheuchelter Tugend versteckt, ganz ohne Grimasse ('ganz unverstellt'), und 'verzerrtes, fratzenhaftes Abbild, Zerrbild' (s. Belege 1985, 1995), z.B. Gnome, Trolle und Zwerge sind die Grimasse der Gesellschaft, vereinzelt mit Bezug auf Personen (s. Belege 1836, 1909). b Seit spätem 17. Jh. im physiologischen Sinne, meist plur. verwendet in der Bed. 'unnatürliche, groteske Körperbewegung, sonderbare, seltsame, auffällige Geste/Gebärde' (s. Belege 1688, 1689, 1710, 1730, vor 1871; vgl. Gestikulation, -» Geste, —> Pantomime, —* Tick), vereinzelt mit Bezug auf Tiere (s. Belege 1752, vor 1871), in Wendungen wie in Grimassen ausbrechen, mit Gesicht, Händen und Beinen Grimassen machen, beim Tanzen Grimassen machen, dann dominant für '(absichtliches, willkürliches) Verziehen der Gesichtszüge, entstellter Gesichtsausdruck, verzogene, verzerrte Miene, gekrümmter Mund als (kommunikativer) Ausdruck einer bestimmten, aktuellen (oder usuellen) negativen Gemütsverfassung oder Befindlichkeit (Scham, Trauer, Furcht, Abscheu, Spott, Hass usw.), oder (unwillkürlich) als sichtbares Zeichen von Konzentration, Anstrengung, Schmerzen oder körperlichen Gebrechen' (s. Belege 1747, 1811.2, 1826, 1860, 1903, 1921, 1954, 1963; -» Physiognomie, vgl. Maske), in Wendungen wie sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzverzerrten Grimasse, die Grimasse der Verhöhnung breitete sich in seinem Gesicht aus, das Teufelsweib umtänzelt ihn mit allen Grimassen des Spotts, sein Gesicht zu einer bösartigen, hasserfüllten Grimasse verzerren/verziehen, empfindliche, gramvolle, verächtliche, hämische Grimasse und in Zss. wie Leidens-, Schmerz-, Schreckensgrimasse, dann bezogen auf das (komische, groteske, übertriebene) Mienen- und Gebärdenspiel der Theater- oder Filmschauspieler (s. Belege 1895, 1985, 1999), z.B. ein Clown muss komische, lustige groteske Grimassen schneiden, er spielte den Don Carlos mit gespreizten Gesten und übertriebenen Grimassen, er versteckt sein mangelndes Talent hinter platten Grimassen und in Zss. wie Harlekins-, Komiker-, Theatergrimasse; Grimassenrepertoire, -spiel, oft abwertend konnotiert mit „hässlich, abscheulich, abstoßend" für 'Gesicht(-sausdruck)' oder als Schimpfwort (s. Belege 1811.1, 2002; —»· Visage, vgl. Fratze, Fresse), selten mit Bezug auf angenehme (tänzerische) Körperbewegungen (s. Beleg 1933 — 43), in Wendungen wie ich schlag' dir in die Grimasse, ein Lächeln wird durch Affektiertheit leicht zur Grimasse, sein Lächeln geriet, gefror (ihm) zur Grimasse, holde Grimassen vollziehen, dann übertragen in der heute seltenen Bed. 'geheuchelter, unechter, verstellter Gesichtsausdruck, täuschende Maske' (s. Belege 1775, 1788.1, 1828-32, 1875), z.B. sein Werk zeigt lediglich die Grimasse der Genialität, die Grimasse der Tugend verschwand aus
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seinem Gesicht, und bildlich (s. Belege 1776, 1910.1, 1910.2, 1974); heute oft in der Wendung Grimassen gegen jmdn./(gegenüber) jmdm. machen/schneiden/ziehen 'das Gesicht (unwillkürlich oder willkürlich) verziehen, verzerren' und in den Zss. Grimassenschneiden, -Schneider; dazu die adj. Ableitung grimassenhaft, z.B. die grimassenhaft verzerrten Züge, das grimassenhafte Grinsen. Dazu seit Anfang 18. Jh. die verbale Ableitung grimassieren V. (in)trans., neben vereinzeltem grimassen, auch grimacieren und (in Anlehnung an dtsch. Grimm] grimmassieren, (auf die Schauspielkunst bezogen) als V. intrans. in der Bed. 'das Gesicht absichtlich (spöttisch, traurig, hässlich, komisch usw.) oder unabsichtlich (vor Schmerz usw.) verziehen; mit verzerrtem Gesicht lächeln, grinsen; groteske Gesichter schneiden, Gebärden machen, herumfuchteln, sich (grimmig, furchterregend usw.) gebärden' (vgl. chargieren, gestikulieren), seltener trans, 'etwas (in übertriebener Weise) mimen' (s. Belege 1803.1, 1994) und subst. (s. Beleg 1803.2), auch abgeflacht 'sein Mienenspiel einsetzen' (s. Beleg 1961), z.B. er grimassierte vor lauter Schmerzen, unter heftigem, wildem Grimassieren, überbetontes Grimassieren und Gebärdenspiel, ulkig grimassierende Clowns, ein wild grimassierender Spaßvogel, grimassierende Kürbisköpfe, auch mit Bezug auf das Gesicht in mit grimassierenden Gesichtern, Zügen, Lippen und bildlich, z.B. die grimassierende Verlegenheit, Freude des Mannes, die Wände starrten grimassierend auf den Säufer herab (s. Beleg 1916) und in der Part. Perf.-Form grimassiert, z. B. ein grimassiertes ('hässlich verzerrtes') Hohngelächter (s. Beleg 1795 — 96) (zu b), seltener 'sich der Etikette gemäß, (übermäßig) höflich verhalten, (bloß vordergründig) höflich/freundlich sein' (s. Belege 1776, 1780, 1791, 1897), in Wendungen wie all das Hofieren, Grimassieren und Knixen, dann 'übertrieben, exaltiert formulieren, sich ausdrücken' (s. Belege 1854, 1859), z.B. die grimassierende Sprache des Autors, auch übertragen (s. Beleg 1821 — 23), dann 'etwas imitieren (und dabei entstellen, verzerren, verhunzen)' (s. Beleg 1786; vgl. forcieren, karikieren), z.B. die Kunst grimassiert die Natur und verstärkt '(etwas er-)heucheln/schmeicheln, schöntun, vortäuschen' (s. Belege um 1836, 1919, 1993), in Wendungen wie ein grimassiertes Gelächter, mit grimassierter ('geheuchelter, verstellter') Freundlichkeit (zu a), seit spätem 19. Jh. mit vereinzelt nachgewiesenem Grimassierung (zu a und b); seit späterem 18. Jh. die aus gleichbed. frz. grimacier entlehnten Personenbezeichnungen Grimassierer, vereinzelt moviert Grimassiererin, seit frühem 19. Jh. Grimassier, auch (frz.) Grimacier (beide zu b), in neuerer Zeit ersetzt durch französisierendes gleichbed. Grimasseur M. (-s; -e), auch Grimasseurin F. (-; -nen) für 'Gesichterschneider/-in, Fratzenmacher/-in (beim Theater)' (zu a und b). Grimasse a: 1525 Wegspruch gen Regenspurg (Schade, Satiren Hl 179) diese hausrauber aber rauben und muß einer still schwigen und groß gramasen darzu machen: so ist meine und meins nachbars und des raubers Hantierung nit simoni; 1659 Friedrich Wilhelm (UAS Vll 221) der Rest wären Grimacen und könnten sie nicht sehen, dass was sonderliches daraus werden würd (BRUNT); I674 ebd. XVII 367 dass es nur Grimassen sein, so der feldherr machet, Ew. Ch. D. aus dem Elsass wegzuziehen (BRUNT); 1721 Discourse . Mahlern II 187 die complimente, die grimatzen, die Wortspiele . . haben ungleiche Wirkungen über ungleiche gemüther (DWB); 172] Chronik d. Ges. d. Mahler
32 weil sie von den ceremonien und den grima^en der societal, welche man sonst gesetze der höflichkeit, der galanterie, der politesse etc. heisset, am allerwenigsten verderbt . . sind (DWB); Henrici 1727 Gedichte l 409 ein gläsgen wein und ein gebraten huhn/ ei? ich mit wenigen grimassen (DWB); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 283 Grimace . . eine erdichtete Gestalt einer Sache; Rohr 1728 Zeremoniellu'iss. I 201 der ihnen ihr affectirtes Comoedienhafftes Wesen und übrigen Grimacen abgewöhnte; Fleischer 1734 Herr v. Lydio III 198 [weil er] gegen das Fräulein Helena so viel Grimacen machte; Holberg 1743—55 Dän.
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Schaub. Ill 191 ich war gestern auch bey einer assemble aus der einzigen Ursache, einige vornehme grimassen zu lernen (DWB); Hase 1779 Aldermann II 87 daraus sehen sie eben, dass dies [Getue] bloss Grimasse ist. . Dass aber nur nicht etwan am Ende Ernst aus der Grimasse wird; Klinger 1780 Spieler (I 89) Womit wollen Sie einen Menschen fesseln, der eure Tugend, eure erhabnen Gefühle für schales Bedürfniss, für Grimasse, für Unerfahrenheit hält!; Zimmermann 1785 Einsamkeit III 408 tausend höfliche grimassen, womit man uns in gesellschaft beehrt, wären nichts gegen den stillen umgang mit einem freunde (DWB); Bürger 1789 Ged. l 5 Es ist daher gewiß keine Grimasse, sondern hoher und ungeheuchelter Ernst, wenn ich um die strengste, wiewohl freilich auch besonnenste, Beurteilung, und für kein einziges dieser Gedichte, ja nicht für einen Vers, nicht für ein Wort, um unverdiente Schonung bitte (DiBi 125); Wieland 1794 S. W, VIII 121 die grimassenmacher, quacksalber, gaukler, taschenspieler, kuppler, beutelschneider . . theilen sich in die weit (DWB); Pfeffel vor 1809 Pros. Versuche V 51 eine schlaue kokette, die mein herz durch die grimasse der empfindsamkeit . . täuschte (DWB); Goethe 1821 Wander jähre (WA l 24,233) so viel aber kann ich versichern, daß es nicht leere Grimassen sind, daß vielmehr den Kindern zwar nicht die höchste, aber doch eine leitende, faßliche Bedeutung überliefert wird; Platen 1832 W. H! 226 indem alles, was bei den Griechen natur war, bei ihnen [den Franzosen] zur grimasse geworden ist (DWB); Sternberg 1836 Galathee 69 Der erste ist ein ausgedienter Kammerherr, eine Hofgrimasse, ein Mann, der schon mit dem Galanteriedegen an der Seite . . zur Welt gekommen ist; ß. v. Arnim 1844 Frühlingskranz (W. u. Br. I 84) die den Geschmack, um ihn zu brauchen, zur Mode herabschänden und sogar auch manchmal jenes zweite Leben, das sie nicht haben, brauchen und es zur lächerlichsten Grimasse herabwürdigen (DiBi 125); Heine 1851-54 Lutetia (W. u. Br. VI 471) Wie im Leben, so auch in seiner Kunst bekundet Thalberg den angebornen Takt, sein Vortrag ist so . . anständig, so ganz ohne Grimasse, so ganz ohne forciertes Genialtun (DiBi 125); Häusser 1855 Dtsch. Gesch. U 242 selbst seine [Bonapartes] Sonderbarkeiten, die bisweilen in wunderliche launen und grimassen ausschlugen (DWB); Strauß vor 1874 Ges. Sehr. IV 197 ein gebet, das nur aus anbequemung gesprochen wird, ist eine widerliche grimasse (DWB); Gottschall 1885 Totenkl. 229 Diese Stücke sind maßlos vergrößerte Vaudevilles, deren Komik Grimasse ist; nach 1890 Jahrb. d. Grillparzerges. V 214 diese . . kniebeugungs- und andachtsscene vor dem versammelten reichstage, der mühe gehabt haben mag, bei der grimasse seinen ernst zu bewahren (DWB); Dohm 1896 Dalmar
201 wie lästig muß Berühmtheit sein, sie verpflichtet zu so viel Grimassen und Posen, es wäre gewiß beinahe so arg, wie Prinzessin sein (DiBi 125); Reck 1909 Großmutter 27 sie ist ja auch kein Backfisch mehr; noch ein paar Jahre und die ganze Frau wird eine Grimasse; Hofmannsthal 1924 Unbestechliche IV 520 Nie wieder, das ist alles nur eine eitle, unwahre Grimasse! Ein abscheuliches Überbleibsel aus meiner zu langen Junggesellenzeit! (DiBi 125); Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 3 Leben der Barocke [!] . . wie die fremde Grimasse eines starren Marionettenspiels; Zeit 4. 1. 1985 Erstmals . . öffnet sich der Blick auf das Häßliche und Groteske der Märchen . . Käuze und Gnome, schiefmäulige Philister, kahlköpfige Geizhälse, die Grimasse der Gesellschaft; taz 23. 3. 1995 Der Blick in die Geschichte ist also stets darauf gefaßt, sich in jenen Anfängen nicht mehr oder bestenfalls nur verzerrt und als Grimasse wiederzuerkennen; Berl. Ztg. 15. 4. 2000 Strauß' Misanthropie nämlich gilt nur dem Zeitgenossen, dem gesellschaftlich deformierten „Gegenwartsnarren", nie dem Menschen hinter den „Grimassen des Sozialen" .. Deshalb kann er im Nu den Schleier des Sozialen lüften, die konventionellen Masken seiner Figuren fallen lassen. Grimasseur: 1926 Weltbühne XXII 47 A priori sind als geistige Führer der Nation ernstzunehmen immer nur deutsche Demokraten. Geister, die dieses Kriterium nicht erfüllen, sind Ideologen, Phantasten, liebenswürdige Utopisten oder lächerliche Grimasseure, allenfalls Intellektuelle in Gänsefüßchen. grimassieren: Kästner 1740—95 Sinngedichte (Ges. W. I 60) Schaust, lieber Leser, Staxen recensiren,/ Die Sprach' verhunzen, seltsam grimassiren;/ Denkt' nur, der wird begeistert seyn:/ Und weißt' wodurch? durch Branntewein (DiBi 125); Wezel 1776 Tob. Knaut IV 277 sie . . schämte sich, grimassirte und zierte sich anfangs so artig und fein, wie eine richardsonsche heldinn (DWB); ders. 1780 Hermann u. Ulrike 748 seit gestern ist mir der Hof und die großen vornehmen Leute und das Putzen, Zieren, Tändeln, Schmeicheln, Knixen und Grimassieren so unerträglich ekelhaft geworden; 1786 Journal d. Moden I 106 Die Anlage des Englischen Gartens ist allerliebst. Die Kunst grimassirt hier die Natur gar nicht; Klinger 1791 Fausts Leben (BDK 11 56) er wird ihm schon den Floh ins Ohr setzen, und all unser Hofieren und Grimassieren wird zu weiter nichts nützen, als uns vor den Bürgern zu Narren zu machen (DiBi 125); Goethe 1810 Farbenlehre (HA XIV 233) Das Gutachten der Kommissarien ist als ein Muster anzusehen, wie grimassierend ein böser Wille sich gebärdet, um etwas,
Grimasse das sich nicht ganz verneinen läßt, wenigstens zu beseitigen; Tieck 1821-23 Gedichte III 196 Als in den Kirchen/ Der neuen Künstler Wirrwarr,/ Die alle Töne keck aufbieten/ Um zu heucheln und zu grimassiren,/ Und mit weltlichem Prunk/ Das Heilige höhnen (DiBi 125);ders. um 1836 Tischlermeister // 134 grimassirte Freundlichkeit (KEHREIN); Eichendorff 1854 Drama 187 wir schämen uns nicht, diese aus dem Deutschen ins Grimassirte übersetzte sogenannte Romantik jetzt mit blödsinnigem Eifer wieder ins Deutsche zurückzuübersetzen; Haym 1859 Ges. Aufs. 65 [in Schillers Fiesco] jene forcirte Leidenschaft und jene grimassirende Sprache, die sich ganz ähnlich bei Klinger und Gerstenberg findet; Gutzkow 1878 Schwulst 104 Grimassirt aber der Autor; Spielhagen 1897 Zeitvertreib 264 Kokettieren und grimassieren und buhlen Sie nur so weiter — seien Sie sicher, mein Fluch begleitet Sie auf Tritt und Schritt! (DiBi 125); Altenberg 1919 Lebensabend 330 Das blieb einer späteren Zeit vorbehalten, die ohne Grimassieren dahinleben würde können. Aber jetzt hieß es noch leider schlecht oder falsch Komödie spielen mit seinen Nebenmenschen, um ihnen dadurch die Verlegenheit ihrer Minderwertigkeiten zu ersparen! (DiBi 125); taz 1. 10. 1993 Wir sehen allesamt in konsequenter Raserei auf ihr Ende zustürzen, ja wir sehen sie quasi schon im freien Fall; aber sie wissen es nicht und intrigieren und grimassieren kreuz und quer, sie meucheln, tricksen, bangen und vergiften, daß Gott erbarm. Grimassierung: Scheffner 1884 Nachlieferungen 33 Was mich an dieser der Welt auf allerlei Wegen kundig gewordnen angeblich christlichen Pythia befremdet, ist die Wahl ihrer Umgebung, da . . ihrem schönen Gesangschor manches nachgesagt wird, was die wirkliche Andacht der Sänger gar sehr in den Verdacht momentaner Grimassirung bringt; Guthke 1967 Wege zur Literatur 238 Hab ich je einen Schauspieler all das ausdrücken gesehen, was der Zustand in dem er sich befand, verlangte, so ist es Reinecke in dieser Szene, und doch ist es Leidenschaft ohne alle Übertreibung und Grimassierung. Grimasse b: Leonora Christina 1686 Denkwürdigkeiten (Ziegler 162) sah Christian mich an und machte mir drey bis vier Mal eine lange Nase . . Bald nach diesen grimasses (BRUNT); Thomasius 1688 Monats-Gespräche I 217 was der arme geplagte Herr David hierbey allenthalben mit Maul und Nasen, Händen und Füssen für Abendtheuerliche grimacen machte; Tentzel 1689 Unterredungen 581 der eine blieb mit dem Fuß an der Erden hafften, darüber er eben so wunderliche Grimacen machte, als Aristoteles, da er mit dem Studier-
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Rocke hengen blieb; Londorp 1691 Acta publica XVHI 122a und hat man unsertwegen . . kaum zuweilen der Cron Franckreich über alle dero Transgressionen . . eine Grimace gemacht (BRUNT); Mencke 1710 Gedichte 184 wenn ein Tantz-Meister seinem Scholaren die Unarth, die er an ihm warnimmt durch allerhand grimacen recht natürlich vorstellen kann; Bodmer 1721 Discourse I XVlll S3r aber keiner trincket/ er habe denn zuvor eine kleine Grimace gegen die anderen gemachet/ aus welcher sie verstehen/ daß er trincken will (BRUNT); Earth 1728 Ethica 56 die Stirne anlangend, so nehme man sich in acht, damit man selbige nicht runtzele, in die Höhe ziehe, und dergleichen wunderlichen Grimacen mache (BRUNT); Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) II 1199 indem sie [Bergleute im Quecksilberbergwerk] eine Krankheit bekommen, welche ihre Nerven so sehr angreift, dass sie heftig zittern, und durch eiliges Zucken der Hände, Füsse und des Kopfes solche Grimafen machen, davor man sehr erschrickt; Geliert 1747 Betschwester (III 181) sie macht über diesen Verlust unerträgliche Grimassen; Edelmann 1752 Selbstbiographie 99 MUSS man doch einem gehezten Marder auch vergönnen, seine Grimacen gegen die Hunde zu machen, die sich aber deswegen nicht abschrecken lassen, ihn fest zu halten; Goethe 1774 Werther (WA I 19,34) Diesen Ursachen muß ich die wunderbaren Grimassen zuschreiben, in die ich mehrere Frauenzimmer ausbrechen sah; Lavater 1775 Physiognom. Fragmente l 121 es [das Porträt] könnte allenfalls ein Joseph seyn, der ohne grimasse affectirter oder in der schule gelernter frömmigkeit mehr dächt als spräche (DWB); Wezel 1776 Tob. Knaut IV 108 izt zog seine Philosophie eine verzweifelte Grimasse, da ihnen alle Achtung . . gänzlich entzogen wurde; Ehrmann 1788 Amalie 72 Ich sah ganz natürlich links und rechts nach dem Dieb, und erblikte nichts, als Grimasse der Frömmigkeit (DiBi 125); Wieland 1788 Lucian I 27 gegen die philosophic selbst eine kleine faunische grimasse machen (DWB); Schiller 1793 Anmut (H. IX 253) Aus dem Lächeln der wahren Grazie wird [durch Affektion] dann die niedrigste Grimasse, das schöne Spiel der Augen . . wird zur Verdrehung; Kortum 1799 ]obsiade II 4 dort macht vielleicht mancher herr kunstrichter/ . . grimassen und saure amtsgesichter (DWB); Schiller vor 1805 S. W. U 343 den bedrängten Roderich hör ich auf offener bühne . . seine gemüthsbewegungen sorgfältig, wie eine Pariserin ihre grimassen vor dem Spiegel, durchmustern (DWB); Maler Müller 1811 W. Ill 326 ich schmeiss' dir in deine grimasse! (DWB); Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 29,10) soll man, je bittrer der Kelch ist, eine desto süßere Miene machen, damit ja der gelassene Zuschauer nicht
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durch irgend eine Grimasse beleidigt werde; Hauff 1826 Mem. d. Satans l 66 Aber weil ihm die Übung darin abging, so schnitt er so greuliche Grimassen, daß er einigemal während des Vorlesens die Aufmerksamkeit des ganzen Zirkels auf sich zog, und die Dame des Hauses mich teilnehmend fragte, ob mein Hofmeister nicht wohl sei; Borne 1828 — 32 Theaterkritiken (S. Sehr, l 371) Bösewichter solcher Art tun keine Schandtat aus Liebhaberei, sondern nur, weil sie ihnen Vorteil bringt, und daher ohne die Grimasse der Sünde, so wie sie ohne die Verklärung der Tugend auch etwas Gutes tun (DiBi 125); Heine 1S55 Memoiren (Vll 497) Der Jupp schnitt eine säuerliche Grimasse; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 168 ich füllte . . ein Glas, nippte daran und goß das Zeug unter den Tisch. Dabei soll ich eine sehr komische Grimasse geschnitten haben; Pückler-Muskau vor 1871 Briefw. u. Tagebücher II 316 weil das pferd . . sie [Gräben] durchaus nicht überspringen wollte und nach vielen wunderlichen grimassen von roß und reiter uns zu einem weiten umwege zwang (DWB); Gu.tzk.ow 1875 Rückblicke 27 Grabbe hat nur die Grimasse der Genialität zu zeigen verstanden; Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 741 Kainz als Don Carlos. . („in einer manierierten Art mit gespreizten Gesten, teilnahmslosen Grimassen"); Seidel 1899 Leberecht Hühnchen 27 ich wußte damals nicht, . .. daß der inhaber dieser künstlichen grimassc kaum eine ahnung von ironie und sarkasmus besaß (DWB); Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 335) der Kavalier . . mußte sich . . gröblich weh getan haben . ., denn, nur halbwegs aufgerichtet, begann er unter Grimassen seine Knie mit den Händen zu reiben; Bierbaum 1910 Reife Früchte 90 was er gestaltete, hatte die scheusälige Grimasse seines Urhebers; Däubler 1910 Das Nordlicht II 89 Wo Vögel früh verblassen,/ Ob sie das Licht verletz:/ Drum sag, wie man Grimassen/ Der Nacht sich widersetz?! (DiBi 125); Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 508) Sein bleiches, stumpfnasiges Gesicht . . schien durchpflügt von Grimassen und Laster, und sonderbar wollten zum Grinsen seines beweglichen Mundes die beiden Furchen passen, die trotzig, herrisch, fast wild zwischen seinen rötlichen Brauen standen; ders. 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 91) Es wird erzählt, daß, wenn er [Tolstoi] Musik hörte, sein Gesicht erblaßte und sich zu einer leichten Grimasse verzerrte, die Schrecken auszudrücken schien; ders. 1933-43 Joseph (W. /V/V 1174) wir trinken Wonne bei Nacht, und auch am Tage ruhen wir beieinander auf Purpurpfühlen im Nardendampf, indes bekränzte Mädchen und Knaben vor uns die Saiten schlagen und holde Grimassen vollziehen, wir aber träumen im Schauen und Lauschen von der Nacht, die war, und von der, die sein wird; ders. 1954 Krull (W. VII 413) das Gesicht . .
zur Grimasse des Widerwillens verzerrt; Johnson 1961 Buch 224 Achims Vater, der . . ihrem Streit zusah als habe er Freude daran (das waren so kleine zuckende Grimassen um seinen Mund . .); Lenz 1963 Stadtgespräch (W. V 263) der Ausdruck auf dem Gesicht des Kommandanten änderte sich . . er hatte seine Lippen auseinandergezogen zu einer angestrengten Grimasse und verschränkte die Finger heftig ineinander; Welt 5. 7. 1974 Brasilien, das dem Gesicht des Fußballs in der Vergangenheit ein Lächeln aufgesetzt hat, trug 1974 eine verbissene Grimasse zur Schau; Mannh. Morgen 1. 4. 1985 Jede Gefühlsregung, die Minetti durch die Gesichtsmaske zum Vorschein bringt und bis zur Grimasse und Fratze steigert, erfährt durch Rainers Stift ein gestricheltes, gebündeltes Echo; Berl. Ztg. 29. 7. 1999 Besorgniserregend ist dieser neueste Beitrag zum Müllproblem unserer Gesellschaft, weil dabei sogar richtige Künstler wie der Schauspieler Kevin Kline neutralisiert werden. Es ist zuweilen peinlich, ihm oder Kenneth Branagh zuzuschauen. Sie scheinen sich hinter ihren Grimassen und Masken verstecken zu wollen, womöglich, um nicht mit dem Film identifiziert zu werden; ebd. 13. 1. 2000 Das Ensemble tanzt Charleston, Tango und Jig und beherrscht genauso ausgelassen die übergroßen Gesten und Grimassen der StummfilmZeit; Berl. Ztg. 9. 2. 2002 Kurz darauf fährt ein scheppernder blauer Pritschenwagen auf dem Weg vorbei, aus dem Fenster hängt die grinsende Grimasse des fiesen Spanners; ebd. 22. 2. 2003 „Es sieht tatsächlich so aus, als wollten Sie jemanden erwürgen", sagt der Richter nach Durchsicht der Fotos zu Nachbar F., der als Zeuge geladen ist. Der, ein 63-jähriger Ingenieur, antwortet, das sei doch nur eine Grimasse. Es stimme nicht, dass er die Frauen schikaniere, eher würde er laufend von ihnen angegriffen. grimassen: Schaller 1804 Stuziade II 286 Der Seher kam und hört' ihn an,/ Grimasste, wie ein Indian. grimassenhaft: Sanders 1871 Fremdwb. I 222 grimassenhaft . . grimassenartig; mit (od. voller) Grimassen; Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 43 die Genialität zeigte sich, indem er . . tragische Stellen mit leichter Betonung hinwarf, gleichgiltige mit grimassenhaft emporgezogenen Augenbrauen und rollenden Pupillen aufsagte; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 458) ein ziegenbärtiger Mann von der Physiognomie eines altmodischen Zirkusdirektors, der mit grimassenhaft leichtem Geschäftsgebaren die Personalien der Reisenden aufnahm; Presse 24. 7. 1993 grimassenhaft verzerrter Tönespuk im
Grimasse „schattenhaften" Scherzo gaben auch den brillanten Solisten an den ersten Pulten des Jugcndorchestcrs Gelegenheit, ihr Können zur Schau zu stellen; taz 11.2.2003 Oft sitzt er auf der Anklagebank mit diesem grimassenhaften Gesichtsausdruck, den auch das einzige Pressefoto vor seiner Festnahme festgehalten hat.
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renden Schauspielern kopiren, die er in der Alzire tragiren gesehn (DiBi 125); Schubart 1785 Ästhetik d. Tonkunst 136 statt seine natürliche physiognomic zu zeigen, grimassirt er (DWB); Knigge 1790 Umgang 63 Da bei soll man sein Äußeres studieren, sein Gesicht in seiner Gewalt haben, nicht grimassieren, und wenn wir wissen, daß gewisse Mienen, zum Beispiel beim Lachen, unsrer Bildung ein widerwärtiges Ansehn geben, diese zu vermeiden Grimasseur: Hurtling 1968 Väter 217 Ich wurde suchen. Der Anstand und die Gebärdensprache Grimasseur. In der Deformation meines Gesichts sollen edel sein; man soll nicht bei unbedeutenden, leistete ich Erstaunliches. So gelang es mir, mich affektlosen Unterredungen wie Personen aus der vor der Kamera in Sicherheit zu bringen; Schütz niedrigsten Volksklasse mit Kopf, Armen und än1984 Barocktheater 16 Ein eigener Schauspielerdern Gliedern herumfahren und um sich schlagen stand entwickelt sich . . Grimasseure, Geschichtenerzähler, Jokulatoren, Artisten, Spielleutc; Presse (DiBi 125); Heinse 1795-96 S. W. VII 285 ein gri10. 10. 1996 Jim Carrey, Grimasseur von Tex Avemassiertcs hohngelächter (DWB); Ayrenhoff 1803 rys Gnaden . . gibt einen TV-Servicetechniker . . S. W. II 100 einen wahnsinnigen könig Lear zu griund die Farce rollt; St. Galler Taghl. 10. 10. 1997 massiren (DWB); ebd. V 227 jeder, nur halb geDass die alten Herren der Schwedischen Akademie schickte Schauspieler, wenn er sich ein wenig auf . . ausgerechnet einen linken „Flegel" . . einen poli- grimassiren versteht, wird als könig Lear . . lärtischen Stänkerer und Grimasseur auszeichneten, menden beyfall erhalten (DWB); Tieck 1812-15 hat Verwunderung ausgelöst; Presse 14. 7. 2000 Gemälde (W. HI 19) Die jungen Leute konnten Ein später Jerry Lewis, eines der vielen „Come- kaum das Lachen unterdrücken, als sie ihn sich linbacks" des großen Grimasseurs. kisch hereindrehen, grimassierend grüßen und mit falscher Artigkeit stolpern sahen, wobei sich sein Grimassier: E. T. A. Hoffmann 1819 Seltsame Leischiefes Gesicht, die kleinen grellen Augen und die den e. Theaterdirektors (Poet. W. I 536) Während seitwärts gedrehte Nase noch wunderlicher ausmanche herumreisten und, sprachlosen Automaten nahmen (DiBi 125); E. T. A. Hoffmann 1815-16 gleich, wunderliche Posituren machten oder wie Elixiere des Teufels (PW H 275 f.) Der Geistliche Grimaciers allerlei bedenkliche Gesichter schnithatte bald mich, bald den grimassierenden Schönten, deklamierten sich andere in dramatischen feld mit Aufmerksamkeit betrachtet; er verstand, Konzerten heiser (DiBi 125); Lami 1828 Mixpickel da wir deutsch sprachen, kein Wort (DiBi 125); l 5 Als der Grimassier Ramin,/ In der Königstadt Pückler-Muskau 1835 Semtlasso 69 dazu kommt Berlin,/ Sich zu einer Rechtsperson/ Hinbegab, aber bei mademoiselle George noch hinzu, daß sie und Permission/ Sich erbat, um Darstellungen/ In in den augenblicken des höchsten affectes oft gridem Mim'schen Fach zu geben; Heyse 1838 massirt (DWB); Goltz 1847 Buch d. Kindheit 49 Fremdwb. l 466 Grimassier . . Grimacier . . ein Meine . . sehr wohl verdiente Portion [Prügel] Fratzcnmachcr; Holtet 1843 Vierzig Jahre l 48 ein stoisch entgegen zu nehmen, ohne Geschrei, ohne mann, der . . als ein gcsichterschneider, grimassier Greinen, ohne Abbitten, Grimassiren und allerlei und faxenmacher seltener art mich bald entzückte Wendungen des Körpers; nicht minder aber auch (DWB); Perthes 1856 Herbergswesen 18 die letzten ohne irgend einen bemerklichen Trotz oder Ausläufer und Caricaturen der Kunst, die jedes Grimm; Heine 1854 Geständnisse (W. u. Er. VII Dorf als Orgeldreher und Harfenistin, als Policinello und Grimassier zu sehen bekommt; 1863 Bil- 101) daß der König, der oft aufgesprungen war, um die Fortschritte des Porträts zu beobachten, in der a. Paris l 357 einen Grimassier, zu deutsch seinem Antlitze einige Unruhe und die grimassieFratzenschneider. Der Pere Rigolo hat einen grorendc Verlegenheit eines Mannes verriet, der einen ßen Ruf; seine Fratzen sind im pariser Volke längst Wunsch auf der Zunge hat, aber doch keine Worte sprichwörtlich geworden; ebd. 359 wie bei dem dafür finden kann (DiBi 125); Hamerling vor 1889 Grimassier vor der Morgue auch sonst die grellsten Gegensätze einander nahe liegen und sich be- Ahasver 111 158 [wer] ist die Silengestalt, die aufgedunsne,/ die sich von einer der ägyptischen/ gottrühren! heiten borgt die wunderlichste larve/ und drin mit tollen Sprüngen grimassiert? (DWB); nach 1890 grimassieren: Elis. Chart. 1701 Er. I 257 Mylord Oustack ist schön, wen er nicht grimassirt, aber Jahrb. d. Grillparzerges. V 5 herr Koberwein . . mitt dem grimassiren verdirbt er sich of ft, daß er grimassirte und declamirte schlecht und hohl (DWB); Panizza 1892 Tagebuch e. Hundes 177 gantz änderst außsicht; Schink 1778 Hanswurst (Schink, Marionettentheater (Epilog) 0 [!]) HansMein Herr beginnt heftig zu grimassieren mit Zuwurst muß hier nemlich einen von den grimassihilfenahme der Augenbraunen (DiBi 125); 1900
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Dtsch. Revue XXV 3,94 sein [„Totentanz" von Holbein] düsteres Lachen, seine höhnischen Attribute drücken im Gegensatz zu der strengen Majestät der gotischen Statuen die grimassierende Freude der Verdammten aus; Kahlenberg 1901 Eva Sehring 185 mit frechen, herausfordernden gliedern und grimassierenden lippen (DWB); Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 446) sei es, daß er, geblendet, gegen die untergehende Sonne grimassierte oder daß es sich um eine dauernde physiognomische Entstellung handelte; Philipp! 1916 Hagedorn 111 die Wände . . die nun schon ein bisschen wurmstichig geworden . . grimassierend oder pompös auf den einsamen Zecher [herabblicken]; Essig 1919 Taifun 129 Am Sonntagmorgen grimmassierte der Doktor eifrig vor dem Spiegel. Sodann hallte der Gartenhof von seinen Schmerzensschreien wider; der Barbier war bei ihm und riß ihm mit einer Pinzette die schlimmsten grauen Haare aus (DiBi 125); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 337) Sein Gesicht mit den schwarzen Mandelaugen grimassierte ein wenig . . ohne ganz deutlich werden zu lassen, ob es nur des genaueren Sehens wegen oder aus anderen Gründen geschah; ders. 1930 Erz. (W V1H 675) Den tief eingeatmeten Rauch stieß er, arrogant grimassierend, beide Lippen zurückgezogen . . zwischen seinen schadhaft abgenutzten, spitzigen Zähnen hervor; Stuttgarter Ztg. 37. i. 1953 daß er sofort zu einer Mädchengruppe schräg gegenüber zu zwinkern und zu grimassieren begann; Johnson 1961 Buch 166 Zu den Reden des Großvaters unterlief ihr unbewußtes Grimassieren aus Lippenschürzen und angehobenen Stirnfalten, ihr Gesicht schien spöttisch zugespitzt; Lenz 1978 Heimatmuseum (W. VIII 383) Er kam herein, ohne Gruß, ohne anzuklopfen, schweißbedeckt, mit grimassierendem Gesicht; ders. 1981 Verlust (W. IX 262) Seine Gesichtsmuskeln regten sich. Er grimassierte . . Was Uli sich als entschuldigendes Lächeln dachte, geriet ihm zu ängstlichem Grimassieren; taz 29. 1. 1994 Adam grimassiert stumm Sätze, die auf den Vorhang projiziert werden; ebd. 20. 5. 2000 all die ulkig grimassierenden Clowns und dämonisch dreinblickenden Magier üben keinen Zauber aus.
Grimassierer: Wezel 1773-1776 Tob. Knaut o. S. Clarissa kann viele tugendhafte Schönen gebildet haben, aber nicht mehrere tugendhafte Grimassiererinnen?; ders. 1777—78 Satirische Erzählungen 51 Der abgeschickte Grimassierer [ein Schauspieler] trat sein Amt an; er agierte dem Löwen die plumpen Manieren des Kameles, dem Tiger den stolzen Ernst des Löwen, dem Esel die grinsende falsche Freundlichkeit des Tigers, dem Pferde die stupide Langsamkeit des Esels . . vor; 1920 Die Zukunft CX 139 Zweifelt Ihr, Monarchisten, daß eine Institution ins Grab mußte, von der in Bewährungszeit nur eitle Grimassirer noch zeugten?; Sonnemann 1968 Institutionalismus 12 Daher ist, was in Prag im Frühjahr 1968 geschehen konnte, den Grimassierern tabu; Rebek 2006 Johnny red-headed Champ 293 Er war der geborene Grimassierer. Grimassierung: Ziemssen 1878 Geisteskrankheiten 158 Meist ist dieser aber ein unverhältnismässiger und schiesst über das Ziel hinaus, so dass irreguläre mimische Bewegungen, oft bis zu förmlichen choreatischen Grimassirungen sich steigernd, das Sprachstolpern begleiten; Panizza 1895 Liebeskonzil 97 Pulcinello tritt auf mit Colombina und seinem Gefolge. Sie führen ein mimisches Spiel auf. Pulcinello im weißen Puderkostüm mit Ledergurt, Halskrause, Tüten-Mütze und schwarzer Halbmaske, die Pritsche in der Hand, apostrophiert erst mit tiefen Verbeugungen, Grimassierungen und Verdrehungen das Publikum (DiBi 125); Jedlicka 1938 Bruegel 360 Sie sammelt sich dort, wo sie am leichtesten als Bewegung in Erscheinung treten kann: in den Gelenken. Und hier führt sie zu einer leichten Grimassierung; Gorsen 1980 Kunst u. Krankheit 51 [Es] geht die meiste medizinische Literatur an dem künstlerischen Gehalt der Produkte als auch dem Ausdruckswert schizophrenen Gebarens, wie etwa Grimassierungen, Manierismen, Puerilismen, etc. vorbei; Weshavel 2003 Persönlichkeitsstörung 73 Diese Personifizierung beinhaltet sehr oft dann auch Grimassen, Grimassierungen und Mimikry jener Leute, die Gegenstand der Personifizierung sind.
Grippe F. (-; -n ungebr.), Ende 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. grippe, eigentlich 'Laune, Grille', Verbalsubst. zu gripper '(plötzlich) (er-)haschen/-greifen/-fassen' (ausgehend von der Vorstellung des sprunghaften Ausbruchs dieser die Menschen plötzlich ergreifenden Krankheit, vgl. etre grippe '(plötzlich) erfasst/ergriffen werden') german. Ursprungs (wohl zurückgehend auf altniederfränk. *gripan, vgl. altsächs. gripan, mittelniederl. grtpen, vgl. dtsch. greifen; gelegentlich auch in Verbindung gebracht mit russ. chrip 'Heiserkeit, Röcheln' zu lautmalendem chripet' 'heiser sein, krächzen, röcheln'.
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Populärmedizinisch verbreitete, gleichzeitig aufgekommenes Influenza (< ital. influenza 'Beeinflussung; Ansteckung, Epidemie') seit dem 1. Weltkrieg verdrängende Bezeichnung für eine ursprünglich aus Russland oder Asien stammende, bes. in den Wintermonaten epidemisch oder pandemisch auftretende, durch Influenzaviren hervorgerufene und über das Trinkwasser bzw. durch Kontakt- oder Tröpfcheninfektion (beim Husten oder Niesen) übertragene akute Infektionskrankheit bei Menschen, anderen Säugetieren und Vögeln, mit Symptomen wie Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, Husten, Schnupfen, Heiserkeit, Mandelentzündung und Mattheit, die durch Folgeinfektionen zu weiteren Krankheiten (Lungen-, Gehirn-, Herzmuskelentzündungen) und darüber bis zum Tod führen kann, daneben auch in populärmedizinischer Vermischung und Verwechslung ugs. für die beim Menschen am häufigsten und unabhängig von der Jahreszeit auftretende Virusinfektion, den deutlich harmloser verlaufenden grippalen Infekt (Erkältung), der durch viele sehr verschiedene Viren (jedoch nicht durch Influenzaviren) ausgelöst, durch Kälte begünstigt und durch Kontakt- oder Tröpfcheninfektion übertragen wird, mit Symptomen wie Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, Kopf- und Gliederschmerzen, Husten, Schnupfen, seltener auch Mattheit und Fieber, und der beim Übergreifen auf Rachen, Hals, Bronchien, Stirn- und Nebenhöhlen und in den Gehörgang zu Entzündungen in diesen Bereichen (bis hin zur Lungenentzündung) führen kann; in Wendungen wie asiatische/russische/spanische Grippe, Angaben über das Ausmaß der Grippe können noch nicht gemacht werden, große Menschenansammlungen tragen zur schnellen Verbreitung der Grippe bei, dieses Jahr ist die Grippe früher ausgebrochen als sonst, die Grippe grassiert, fordert ihre Opfer, er ist an einer leichten Grippe erkrankt, liegt mit Grippe im Bett, laboriert an einer schweren Grippe, gegen (die) Grippe gibt es seit kurzem ein Medikament, haben Sie sich von Ihrer Grippe erholt?, sich rechtzeitig gegen die Grippe impfen lassen und als Bestimmungswort in Zss. wie Anti-Grippe-Medikament, Grippeanfälligkeit, -ausbruch, -beschwerden, -epidemie, -erreger, -folgen, -gefahr, -impfstoff, -kranker, -medikament, -mittel, -opfer, -patient, -saison/-zeit, -Schutzimpfung, -Statistik, -symptom, -toter, -verdacht, -virus, -Vorbeugung, -welle; grippeartig, -ähnlich, -bedingt, -geplagt, -geschwächt, -krank, -typisch, und als Grundwort in Bezeichnungen für weitere Krankheiten, die nicht mit Grippe oder Erkältung in Zusammenhang stehen wie (nach den Symptomen:) Bauch-, Darm-, Kopf-, Magen-, Magen-Darmgrippe 'durch Viren, Bakterien, Toxine oder physikalische Einwirkungen verursachte Magen-Darm-Entzündung', (nach Vorkommen und Verbreitung:) Dauer-, Langzeit-, Sommer-/Frühjahrs-/Winter-, Volksgrippe, (nach der vermuteten Herkunft:) Asien-/ Balkan-/Hongkong-/Russlandgrippe, (nach den Auslöserfaktoren:) Virusgrippe, (bei Tieren:) Ferkel-, Hühner-, Pferde-, Rinder-, Schweine-, Vogelgrippe sowie pleonastischem Erkältungs-, Influenzagrippe; gelegentlich übertragen bes. im politischen und wirtschaftlichen Bereich im Sinne von 'schlechter, ungünstiger Zeitraum, Zustand; (vorübergehende) Krise, Seuche' (s. Belege 1992, 1997), bes. in okkasionellen Zss. wie Börsen-, Teilzeit-, (Welt-)Wirtschafts-, Entlastungs-, Finanz-, Monetär-, Wachstum sgrippe. Dazu das seit Mitte des 19. Jhs. vereinzelt nachgewiesene französisierende Adj. grippös 'durch Grippe verursacht; in der Art einer Grippe', etwa gleichzeitig vereinzelt auch grippig, abgelöst von der Anfang des 20. Jhs. wohl unter Einfluss von gleichbed. frz. grippal aufgekommenen adj. Ableitung grippal zur Kennzeichnung von
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verschiedenartigen, mit der Grippe verwandten, aber weniger ernsthaft verlaufenden fiebrigen Infektionskrankheiten der oberen Luftwege, ugs. auch des Magen- und Darmtraktes, in Wendungen wie grippale Halsentzündung, grippaler Rückschlag, Schwächeanfall und bes. grippaler Infekt. Grippe: Tbümmel 1791-1805 Reise II 107 [die Hauswirtin] schimpft auf die häßliche grippe, die ihr schon manchen guten fremden verjagt hätte (DWB); Campe 1813 Fremdwb. 343 Influenza . . Die Franzosen nennen es la Grippe; Goethe vor 1832 (W. XXXVII 372) [Ich bin] mit einem kleinen Husten und Schnupfen der Grippe, die viel Unheil angerichtet hat, glücklich entwischt (KEHREIN); Streicher 1836 Schillers Flucht 49 die russische Grippe oder Influenza (KLUGE 1975); 1837 (Döderlein, Reden u. Aufs. 142) die weitverbreitete Grippe; Chamisso vor 1838 W. VI 85 das jähr 1831 . . brachte die grippe (DWB); 1860 Beschr. OA. Calw 61 Grippe (Influenza, Catarrhus cpidemicus); 1862 Briefw. G. Freytag-Herzog Ernst v. Gotha 159 Noch bin ich etwas von einer Grippe herunter und würde etwa am Mittwoch mich auf die Eisenbahn getrauen; Hebbel vor 1863 Br. l 168 die grippe, die in Hamburg so stark grassieren soll (DWB); Berlepsch 1875 Schweizerkunde 386 Die Grippe, im Kanton Luzern das „Hühnerweh" genannt; Kerr 1900 Br. a. d. Reichshauptstadt 571 Alle schleichen dahin, in diesem elenden, gottverfluchten, heimtückischen Wetter, das die Grippe herumschleppt; Klemperer 1919 Tagebücher 80 Eva ist ernstlich an der Grippe erkrankt, liegt heute den ganzen Tag. Das Fieber ist auf 39° gestiegen; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 454) Als er das letzte Mal hier bei mir war . . hatte er . . einige Tage mit Grippe im Hotel gelegen, und man sah es ihm an; Münch. N. N. 19. 12. 1939 Aber auch die Schatten des Todes senkten sich in diesem Jahr besonders schwer auf München. Die Grippe oder, wie sie damals genannt wurde, die Influenza, hatte in München ihren Einzug gehalten; N. Z. Z. 4. 1. 1944 Erhebungen über die Grippeepidemie (Überschr.) Das genaue Studium der Pandemic von 1918 — 19 führt zur Feststellung, daß die Grippe fast alle Länder der Welt ergriffen hatte .. In Europa gab man ihr den Namen „spanische Grippe"; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 211) Schon zwei Tage später stand ich während einer Abendgesellschaft . . unter heftigem Kopfschmerz-Druck, und am folgenden lag ich mit einer Grippe, die sich auf Magen und Darm warf und mich im Lauf einer Woche vierzehn Pfund meines Körpergewichts kostete; Süddtsch. Ztg. 18. 10. 1957 Grippe — die mild-wütende Pandemic (Überschr.); Bad. Ztg. 20. 10. 1969 Die Erreger der echten Grippe würden wie die zahlreichen Erreger sonstiger Erkältungskrankheiten durch Tröpfchen-
infektion, besonders beim Husten, Niesen und auch beim Sprechen von Mensch zu Mensch übertragen; Mannh. Morgen 27. 2. 1985 Grippewelle namens „Philippina" grassiert (Überschr.) Gefährlich könne die Grippe bei Kindern, älteren Menschen über 65 Jahre und chronisch Kranken verlaufen; Presse 9.11.1992 Falls . . die wirtschaftliche Grippe der USA . . noch immer umgeht, wird der neue Präsident kaum eine andere Wahl haben als sofort in Infrastrukturmaßnahmen im Lande zu investieren . . daß Amerikas wirtschaftliche Malaise aus zwei Krankheiten besteht: einer Rezessionsgrippe, die die Nation überleben wird, und einer chronischen Infektion, die sie vielleicht nicht übersteht; Zeit 31. 10. 1997 Das rasche Zusammenwachsen der Finanzzentren erhöht die Ansteckungsgefahr: Wenn in Asien die Börsengrippe grassiert, müssen heute die Anleger in London, Frankfurt und Sydney stärker niesen als früher; Bert. Ztg. 2. 10. 2002 Erst kratzt es im Hals, die Nase juckt, und irgendwann tut alles weh: Grippe! grippal: 1906-07 Excerpta medica XVI 280 Pyrenol wurde mit gutem Erfolge bei acuten und subacuten Rheumatismen, bei Gelenkserkrankungen und Neuralgien, die auf Influenza beruhten, bei den grippalen Erkrankungen des Respirationstractus angewandt; Langstein 1914 Säuglingsernährung 351 Das Auftreten asthmaartiger Zustände bei einem spasmophilen Kind ohne vorangegangene grippale Erkrankung muss an Bronchotetanie denken lassen; Brugsch 1926 Biologie d. Person I 667 So sind familiäre Dispositionen zu Affektionen der Ohren, der Bronchien, der Niere, des MagenDarm-Kanals etc. wohl bekannt, die gelegentlich des grippalen Infektes zu entsprechenden Organerkrankungen führen können; 1930 Ergebnisse d. inn. Med. u. Kinderheilkunde XXXVII 28 Diese [Erkrankungen der Siebbeinhöhle] werden schon bei ganz jungen Säuglingen im Anschluß an einen grippalen Schnupfen beobachtet; Bauer/Just 1939 Handb. d. Erbbiologie d. Menschen 647 Als Belege dienten Fälle von unterernährten und überdies durch wiederholte grippale Hausinfektionen in der Entwicklung gehemmten Kindern ohne irgend ausreichend erwiesene entzündliche Krankheitsbereitschaft; Münch. Allg. 14. 5. 1950 es handelte sich nur um eine grippale Halsentzündung; Zeit 1. 4. 1986 Ein Faulenzerurlaub oder auch wenige Tage Bettruhe etwa wegen eines grippalen Infektes
Grippe können ältere Menschen wieder auf den Trainingsnullpunkt zurückwerfen; Salzb. Nachr. 14. 9. 1991 Grippaler Infekt, fieberhafte Erkältungskrankheit — dies könne der Hausarzt diagnostizieren. Es sei aber wichtig, zwischen Influenzagrippc, also einer Grippe zu unterscheiden, die durch ein Virus verursacht wurde, und einem sogenannten banalen, für den Patienten aber auch nicht erfreulichen grippalen Infekt; taz 22.2.1992 Feuchte Minusgrade und ein lauernder grippaler Rückschlag treiben mich hurtig zur Telefonzelle auf der anderen Straßenseite; St. Galler Tagbl. 12. 1. 2001 Tatsächlich fing das Mädchen eine grippale Infektion ein, die sie „mehr schlauchte als die ganze Operation"; Mannh. Morgen 5. 1. 2002 Solidarisch reiht man sich ein in die Einheitsfront jener, die mit unzähligen Taschentüchern bewaffnet, die Pillen und Hustensäfte provozierend vor sich, dem grippalen Jammertal nie mehr zu entkommen scheinen. grippig: 1838 Krisenjahre d. Frühromantik 509 Bey uns ist Alles in hellen Husten, Schnupfen und grippigen Zuständen begriffen, auch Phillip muß sich [!] seit einigen Tagen das Sopha hüthen, (um nicht Bett zu sagen.); Arndt 1840 (1919 Heimatbriefe Arndts ISO) Und zu Dir, Du arme gichtbrüchige und grippige Trägerin und Liegerin, komme ich zuletzt mit Klagen und Wünschen!; Roon 1870 Brief (Elster 1938 Kriegsminister) 491 f. Der König ist noch immer grippig und konnte den letzten Jagden nicht beiwohnen, aber er fährt aus und macht seine Geschäfte; Bismarck vor 1898 Br. an Schwester u. Schwager 83 ich bin von den grippigen zuständen und den diners . .. in die mitte genommen (DWB); Niemöller 1938 Br. a. d. Gefangenschaft 255 Du hast mich also im Gewicht eingeholt, das ist kein schlechtes Zeichen; und ich hoffe, daß Du den grippigen Anfall nicht zum Ausbruch kommen läßt; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 253) Spät kam ich zu Bette — und verließ es dann einige Tage nicht, da eine grippige Erkrankung, nachmittags immer 39 Fieber erzeugend, mich darin festhielt; Naso 1953 Ich liebe das Leben 557 Sie fühle sich schon seit Tagen grippig, nähme gerade ein heißes Bad und werde sich dann sogleich zu Bett begeben; taz 19. 3. 1990 Rosenheims Stürmer gefährdeten das DEG-Tor . . nur bei 19 Kontern, doch vier von ihnen trafen trotz des Fehlens des grippigen Torjägers Gordon Sherven; Mannh. Morgen 14. 10. 2002 Die Hoffnung auf einen goldenen, lichtdurchfluteten Oktober dringt aber bislang nicht durch die dicke Wolkendecke. Also heißt es sich warm anziehen und sich zurückziehen. Und vor allem mit erntefrischen Vitaminen gegen die grippigen Kaltfronten und ihre Begleiterscheinungen Schnupfen, Husten, Heiserkeit saftund kraftvoll ankämpfen; Herberger 2005 Ganz-
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heitl. beraten 46 Bei beginnendem grippigem Gefühl hilft es oft, die Krankhcitskeime durch ein heißes Wannenbad mit entsprechendem Zusatz, zum Beispiel Eukalyptus, auszuschwitzen. grippös: 1853 Zeitschr. f. iviss. Therapie l 474 Diese eigenthümliche Blutveränderung , . bildet auf der muskösen [!] Fläche der Organe entzündliche Stasen mit ihren Produkten (grippöse Lokalisationen); 1854 Handb. d. speciellen Pathologie u. Therapie V 620 Einzelne Fälle von Apoplexie mögen zwar durch die grippöse Gehirncongestion vermittelt worden sein, aber eine besondere paralytische Form der Grippe zu unterscheiden . . halten wir nicht für gerechtfertigt; Politzer 1887 Lehrb. d. Ohrenheilkunde 333 Nach Hochsinger . . führt die Coryza syphilitica neonatorum viel seltener als der grippöse Schnupfen zur pcrforativen Mittelohrentzündung; 1898 Dt. Zeitschr. f. Nervenheilkunde XII 99 Die jetzige Erkrankung entwickelte sich bei unserem Patienten ganz plötzlich, ohne vorhergegangene grippöse oder irgend welche andere Infection; Economo 1918 Encephalitis lethargica 33 Diese grippösen Frühsymptome machen einem angenehmen Unbehagen Platz, das gewöhnlich ein bis zwei Tage dauert, worauf rapid anwachsend die Symptome von Seiten des Sensoriums einsetzen; Prager Rundsch. 21. 3. 1936 grippöse Erkrankung; Süddtsch. Ztg. 26. 1. 1953 Wilhelm Furtwängler, der am Freitag bei der Aufführung der Neunten Symphonie . . ohnmächtig wurde, leidet nach Mitteilung der behandelnden Ärzte an einer grippösen Infektion; Gsell/Mohr 1967 Infektionskrankheiten I 820 Treten die bronchitischen Erscheinungen in den Vordergrund, so wird eine Grippe oder eine grippöse Komplikation in Betracht gezogen; Holler 1982 Franz Ferdinand 246 Tatsächlich hatte sich Franz Joseph Ende April 1914 einen grippösen Infekt mit fieberhafter Bronchitis zugezogen; Salzb. Nachr. 24. 9. 1994 Trainer Ivica Osim, etwas fiebrig, weil grippös, ist sich des Drucks bewußt; Berl. Ztg. 12.1. 2000 gerade haben wir von der Influenza in den Nachrichten gehört, haben wir monströse Spritzen und Kanülen von den Titelbildern sorgenvoller Zeitungen prangen sehen, da fühlen wir uns auch schon schlapp und grippös, wittern um uns herum nur noch Kranke und Sieche; Mannh. Morgen 11.2.2005 Im 12. Jahrhundert machte die Infektionskrankheit als Tac und Horion von sich reden. Mailänder gaben ihr den Namen Influenza, was Ergießung des Gestirns heißt — weil man früher glaubte, dass Sterne nicht nur Schicksale bestimmen. In Frankreich, wo das tückische Erreger-Phänomen einst die Kokette oder auch Follette (Verrückte) genannt
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wurde, verpasste ihr ein gewisser Francois Boissier Sauvanges, seines Zeichens Medizin-Professor, den bis heute gültigen Namen Grippe: abgeleitet von
„gripper" (nach etwas haschen oder greifen). Schließlich befällt einen die Krankheit launenhaft plötzlich — und ist damit ganz schön „grippös".
Grobian M. (-s; -e), scherzhafte Bildung aus dtsch. grob und der verkürzten lat. Endung -iänus zur Bezeichnung von Personen (im späten 15. Jh. als Synonym zu lat. rusticus 'Bauer, Landmann' für Bauer gebucht, in S. Brants „Narrenschiff" (1494) als komischer Name des fiktiven Schutzpatrons aller groben, derben, rohen Menschen in Anlehnung an Heiligennamen wie Florian(-us), Sebastian(-us), Damian(-us), Kilian(-us) verwendet und damit zu ähnlich gebildeten (meist jüngeren) Scherznamen wie Bauerian, Blödian, Morian ('Mohr'), Schlamprian, Schlendrian, Stolprian zu stellen; von der älteren Forschung gelegentlich auch mit Jan, einer Kurzform des Namens Johannes, in Verbindung gebracht (s. Belege 1808.1, 1808.2, 1860); vgl. engl. grobian), bis ins 19. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form. Zunächst gebucht in der Bed. 'Bauer' (s. Beleg 1482), seit Ende 15. Jh., anfangs überwiegend in literarischen Texten, für 'grober, derber, ungeschliffener, ungehobelter, ungebildeter (ungelenker, grobschlächtiger) Mensch, der sich nicht gesellschaftlich angemessen (höflich) zu benehmen weiß, zu rohem, grobem, brutalem Verhalten neigt, Unflätigkeiten äußert und dadurch plump, tölpelhaft, rau, komisch wirkt; Rohling, Raubein, Flegel, Rüpel, Stoffel' (—> Barbar, —> Prolet, —»· Rowdy; Ggs. —> Dandy, —»· Gentleman, —·· Kavalier), später auch abgeschwächt in der Bed. 'unhöflicher, undiplomatischer, wenig zuvorkommender Mensch', meist von Männern, nur vereinzelt in der movierten Form Grobianin F. (s. Beleg 1800—03; daneben Grobiana F. als Name einer Figur bei Dedekind) und übertragen mit Bezug auf Nationen (s. Beleg 1571), in Wendungen wie er ist ein rechter, wahrer Grobian, du bist ein (unleidlicher, menschenfeindlicher) Grobian und seltenen Zss. wie Film-, Satire-, Slapstick-Grobian; Grobiansblick, -bruder, -bände, -laune, früh auch als Name des fiktiven Heiligen St. Grobian(-us), des Schutzpatrons ungehobelter Menschen (s. Belege 1494, 1538, vor 1562) und mit Bezug auf die literarische bzw. literarisch geprägte Figur des Grobians in der Literatur des 16. Jhs. (S. Brant, T. Murner, F. Dedekind, K. Scheidt; vgl. grobianische Literatur, s.u.), die durch die ironische Aufforderung des Lesers, sein schlechtes Benehmen bis ins Übertriebene zu steigern, den Niedergang des höflichen Benehmens lächerlich macht und bekämpft und so an die Tischzuchten des späten Mittelalters anschließt (als Name einer literarischen Figur bis ins Schauspiel des 18. Jhs. (Goethe); s. Belege 1678, 1730, 1861; vgl. Hans Wurst, Hans Plump, Hans Arsch), selten auch positiv konnotiert mit „rau, fest, stark, tatkräftig" (s. Beleg 1933). Dazu vereinzelt Anfang 16. Jh. die gleichbed. Personenbezeichnung Grobiant M. (-en; -en); seit Anfang 16. Jh. selten gleichbed. Grobianer M. (-s; -), meist von Männern, nur vereinzelt in der movierten Form Grobianerin F. (s. Beleg 1640), auch (in Anlehnung an Ordensnamen wie Franziskaner, Dominikaner) als Bezeichnung für den fiktiven Orden, dessen Schutzheiliger Grobianus ist (häufig in literaturwissenschaftlicher Rückschau; s. Belege 1551.1, 1860, 1892, 1904), in Wendungen wie die Grobianer sind die Schüler des Hl. Grobian, der Orden der Grobianer; seit frühem 17. Jh. die Personenbezeichung Grobianist M. (-en; -en), zunächst in der Bed. 'Rüpel; Anhänger des St. Grobianus', dann auch 'Autor von dem Grobianismus (s.u.)
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zuzurechnenden Schriften' (s. Beleg 1999), in Wendungen wie Fischart, der Grobianist aus dem Elsass. Dazu seit Mitte 16. Jh. wohl auf K. Scheidt zurückgehendes (DWB, KLUGE) grobianisch Adj. und Adv., in Bezug auf menschliches Verhalten 'grob, derb, ungeschliffen, ungehobelt, ungebildet, rau, roh, brutal, unflätig, plump (ungelenk, grobschlächtig), tölpel-, flegel-, rüpelhaft (und daher komisch)', in Wendungen wie grobianisch auftreten, ein grobianischer Geselle, grobianische Kraftausdrücke, auch subst. (s. Beleg 1960), mit Bezug auf literarische Einzeltexte bzw. Textgruppen v. a. des 16. Jhs. auch 'den Verfall der Umgangsformen mit Hilfe übertriebener Derbheiten thematisierend/ kritisierend; durch das Vorkommen der Figur des Grobians geprägt' (s. Belege 1551, 1572, 1640, 1847), oft in Wendungen wie grobianische Texte, grobianische Literatur, ein Vertreter des grobianischen Stils, daneben regional (schweiz., in der Lautform grob(i)änisch) auch für 'bäurisch, altväterlich' (s. Belege 1885, 1919), vereinzelt bildl. als Name einer durch Derbheiten geprägten Sprache (s. Beleg 1563), in der Wendung er sprach (auf) Grobianisch. Dazu seit früherem 17. Jh. vereinzelt grobianisieren V. trans, 'jmdn./etwas rauer, derber, ungeschliffener machen, vergröbern' mit der intensivierenden Präfixbildung vergrobianisieren. Dazu die im späteren 17. Jh. vereinzelt, seit Anfang 19. Jh. bildungsspr. kontinuierlich belegte, latinisierende subst. Ableitung Grobianismus M. (-; selten Grobianismen und latinisierend Grobianismi), auch in der Form Grobianism, für 'grobes, grobianisches Verhalten; Grobheit, Plumpheit' (s. Belege 1672, 1813, 1904, 2004), auch 'flegelhafte, unflätige, derbe Äußerung, Redeweise, Sprache' (s. Belege 1952.1, 1995), fachspr. (Literaturwiss.) 'durch die Figur des Grobian und ähnliche rüpelhafte, unflätige Protagonisten geprägte und darum „grobianisch" genannte Literaturgattung des 16. Jhs.' (s. Belege 1865, 1889, 1927, 2003), in Wendungen wie der (literarische) Grobianismus, der Grobianismus des 16. Jahrhunderts, der Grobianismus ist eine wichtige Form der Satire im 16. Jahrhundert, auch als literarischer Stilbegriff (s. Belege 1937, 1970.1). Dazu seit Mitte 20. Jh. die seltene verbale Ableitung grobianen V. intrans. 'sich (verbal) grob, ungehobelt, unhöflich benehmen, (herum-)pöbeln'. Grobian(us)/-in: 1482 Voc. Teuton.-Lat. e4a Buer Bauer. rusticus[,] grobianus; Brant 1494 Narrenschiff 70 Eyn nuwer heylig heisszt Grobian/ Den will yetz fyren yederman/ Vnd eren jnn an allem ort/ Mit schäntlich wüst werck, wis, vnd wort; Murner 1512 Narrenbeschw. 41 Den laß ich für ein Esel gon,/ Der nymmermer kann schimpff verston/ Vnd schimpfft vnd schentzlet yederman/ Vnd will das selb nit wider han;/ Darumb blybt er ein grobian,/ Das heißt zuo guottem tütsch ein loß; ders. 1512 Schelmenzunft 22 Sus saw, Grobianus haißt ain schwein/ Der nichtz kann dann ein unflat sein; ders. 1519 Geucbmatt 1102 Man findt wol einen Grobian, Der grift ein frou so schentlich an, Als wenn die frouw ein büffel wer Und von dem wald geloufen her; Wickram 1538 Narrengießen (W. V 129) Hilff, lieber herr sant Grobian,/ Das mir der narr thü grhaten schon! (DiBi 125); ders. nor 1562
Rollwagenbüchlein 68 Wunderbarliche gesellen findet man offt inn den abenzechen; insonders so es umb die fünffte kanten wirt, so mag sich sant Grobianus nit verbergen, kummt mit seinem seytenspil zum sewtrog geloffen, bald hebt man die sewglocken zu leüten; dann kan niemants nit meer verderben: ye gröber, ye hüpscher, ye wüster, ye holtseliger (DiBi 125); Rot 1571 Diet. 281 Neben dieser Nation haben auch geblüet/ Jtalia/ Hispania/ vnnd noch ander gegent Europe mehr/ außgenommen Germania oder Teutschlandt/ warde der selben zeit vnd lang hernach an kunst/ weißheit/ guotten sitten/ gewonheiten vnd allem Thuon einn rechter natürlicher Grobianus/ das Erdtrich an jhm selbs grob vngeschlacht vnd vnerbawen/die leut darinnen mehr vnuernuenfftige wilde/ grewliche vnd wuettende thier zuachten dann menschen; Moyss 1580 Missbrauch 26 Groß höfflich-
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keit erzeigt die Naß,/ Schon Mores braucht er über maß,/ Lehrnt es bey Doctorn Grobian,/ Er ist der zucht ein gelehrter Mann,/ Der Sitten will er Myster sein,/ Er hats gelehrnt von einem Schwein; Henisch 1616 Teutsehe Sprach Grobian/ tölpel . . Er ist ein rechter grobian; Harsdörffer 1652 TrincirBuch 14 An Herrn Grobian von Säuhausen; Weise 1678 Näscher 112 Was ist der also genannte Grobianus anders/ als da ein spitziger Kopff alle Höfligkeiten die vornehmlich bey der Mahlzeit gebräuchlig sind nacheinander bedacht/ und hernach durch das Wiederspiel beschrieben hat; Stieler 1695 Zeitungs Lust 1969 Ferner haben die/ so mit Zeitungs-Schreiben umgehen/ sich vor garstigen Sachen und unflätigen Worten und Red-Arten zu hüten/ nicht allein darum/ weil/ nach dem SpruchWort: Wes das Hertz voll ist/ deß gehet der Mund über/ von solchen Grobianen übel geurteilet wird/ sondern es auch dem Orte/ wo dergleichen Unfläterey gedruckt ist/ schlechte Ehre bey Inländischen und Ausländischen bringet . . Um so viel mehr/ weil auch das Frauen-Zimmer und die Geistliche bisweilen die Zeitungen zu Gesichte bekommen. Schandbare Worte und Narrenteidungen auch den Christen nicht geziemen; Günther 1721 Gedichte (S. W. IV 242) Die Jugend schminckt ein liebreich Kind, die Rosen wollen täglich brechen,/ Da schwermen Hummeln um den Strauch, ein frisches Honig auszustechen./ Trift mancher Grobian nicht Kegel und fällt nicht gleich ein holdes Ja,/ So ist das Feuer in dem Dache (DiBi 125); Jocoserius 1730 Narren Nr. 72 Die ganze Narren-Zunft hängt hier der Sau am Schwanz/ dann sie belustiget sich stets an ihren Poßen/ und wer dem Grobian recht nach der Brust geschoßen/ der ist der beste Kauz bey ihrem Narren-Danz; Lessing 1747 Junge Gelehrte (W. I 361) Anton. Komm Lisette, gib mir die Hand; ich will dich ganz ehrbar heraus führen. Lisette. Grobian, wer wird denn ein Frauenzimmer mit der bloßen Hand führen wollen? (DiBi 125); Tiling 1768 Wörterbuch 558 Runks, ein Grobian, ein tölpischer Mensch. Eigentlich nennen wir so einen Menschen, der auf eine bäurische Weise mit dem Arm über dem Tisch lieget; Adelung 1775 Grammat.-krit. Wb. 804 Der Grobian . . ein deutsches Wort mit einer lateinischen Endung, so nur in den niedrigen Sprecharten üblich ist, einen groben unhöflichen Menschen zu bezeichnen; Göchhausen 1786 Enthüllung 38 Er forderte mir 50 Dukaten ab, weil er sonst seine Leute nicht vom plündern abhalten könnte, wie er sagte! und doch wurden wir so gut als geplündert. Ich mußte den Grobian in mein Damastzimmer logiren, und er legte sich gestiefelt ins Bett, und hat mir's zerrissen; und der Kerl war nicht einmal ein Cavallier! Jean Paul 1800-03 Titan (S. W. / 3,467) der Minister . . hielt ihr es vor, daß sie ihm sein Ohr aus Magde-
burg gestohlen — blieb mit dem anwesenden Gehör taub gegen jede Einwendung, aber nicht gegen jede Unhöflichkeit — und fand sich endlich gar genötigt, die diebische Grobianin Knall und Fall aus dem Dienst zu jagen (DiBi 125); Campe 1808 DWB II 458 Der Grobian . . gleichsam ein grober Jan (Johann), ein grober unhöflicher Mensch; Adelung 1808 Grammat.-krit. Wb. 808 Der Grobian .. ein Deutsches Wort mit einer Lateinischen Endung, welches vielleicht aus grober Jan, d. i. Johann zusammen gezogen ist, einen groben unhöflichen Menschen zu bezeichnen; Grimm 1819 Kinderu. Hausmärchen 75 „O," antwortete der Bauer, „. . ich habe daheim nur eine einzige Frau, und die ist mir schon zuviel: wenn ich nach Haus komme, so ist mir nicht anders, als ob in jedem Winkel eine stände." Da ward der König zornig und sagte „du bist ein Grobian."; Heine 1844 Deutschland (W. u. Br. I 461) Der grobe Bettler, Vater Jahn,/ Der hieße jetzt Grobianus./ Me hercule! Maßmann spräche Latein,/ Der Marcus Tullius Maßmanus!; Wackernagel 1860 Germania 327 Brant . . meint auch Grobian als einen groben Hans; Riehl 1861 Land 7 Der Bauernkrieg machte der Lust an den Dorfgeschichten des 16. Jahrhunderts ein Ende. Da waren mit einemmale die „Grobiane" aus dem literarischen Rahmen herausgetreten und hatten wirkliche Arme und Fäuste bekommen; Heyse 1870 Fremdwb. 398 Grobian . . deutsch mit lat. Endung (ehemals auch Grobianus) ein grober Mensch od. Flegel, ein Hans Plump; Hauff'en 1889 Scheidt 22 Sanct Grobianus wird nun dem ganzen XVI. Jahrhundert Schutzherr und Anwalt jedes derben Spaßes, jedes unanständigen Benehmens, all des rohen Schmutzes in der Kneipe und in der Familie. Er wurde, wie Brant klagt, mit schändlichen Worten, wüsten Werken und Weisen, die man als Scherz betrachtete verehrt; Werthenau 1910 Interessante Wörter 49 Grobian. Dieses prächtige Wort hat Sebastian Brant geschaffen, der in seinem „Narrenschiff" von einem „neuen Heiligen, Grobian geheißen" spricht. Welch glücklichen Griff Brant mit dieser Wortbildung getan, beweist die schnelle Popularität, die sie sich erwarb; Lokal-Anz. 22. 8. 1933 Die zarte empfindliche Saite reißt, wenn sie von rauher Hand berührt wird! Hält ein grober Strick nicht mehr aus als ein feiner! Wo nichts mehr ein goldenes Korn aus dem Menschen hervorzulocken vermag, da kann oft ein „Grobian" mit seiner weltbezwingenden Grobheit Wunder wirken; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 118) Er [Luther] sagte ja auch: „des Teufels Saw, der Bapst" und war allerwegen ein unleidlicher Grobian, wiewohl ein großer Mann; Lenz 1967 Fest (W. XVIII 22) Wer Leidenschaft zeigt, meine Liebe, ist ein Tor oder ein Grobian; taz 30. 9. 1986 Mit Carl Merz hatte er den „Herrn Karl" erfunden, den
Grobian schlechtgelaunten, stets menschenfeindlichen Grobian . . Der dicke, wehmütige, immer etwas angetrunkene Grantier, dem nie was paßte und der urplötzlich aggressiv und gefährlich wirken konnte; FAZ 26. 7. 2005 Er [Zenturio Vorenus in der Fernsehreihe „Rom") ist ein hartgesottener, pflichtbewußter, effizienter Feldherr, der außer dem Krieg und gewissenhafter Treue zu seiner Frau nichts kennt. Die Lebensumstände, die ihn in Rom erwarten, sind ihm ein Kulturschock. „Was für ein Grobian du bist!" schimpft seine Gattin Niobe . . über sein plumpes Macho-Gehabe; Hamb. Morgenpost 20. 9. 2006 Wer einen Apfel ernten will, muss zärtlich sein. Die Frucht einfach vom Baum reißen, so etwas machen nur unwissende Grobiane. Damit die Baumrinde keinen Schaden nimmt, dreht man den Apfel stattdessen vorsichtig und knickt ihn über den Daumen ab. grobianen: Th. Mann 1954 Krall (W. VII 420) „Sind Sie jener Armand, der heute abend quittiert?". „Das geht dich einen Dreck an", grobiante er. „Etwas mehr als das . . Ich bin Ihr Nachfolger, und ich gedenke eine weniger ungehobelte Figur abzugeben als Sie"; taz 2. 8. 1988 Er poltert und grobiant durch's Interview, wie man sich das von Menschen aus der Bergpampa um Passau so vorstellt. Immer wieder muß ich den Recorder ausstellen („Mach mal aus das Ding" — ohne jedes bitte oder ähnlich rudimentäre Höflichkeitsfloskeln knüttergesichtig hingegrantelt). Grobianer/-in: Murner 1512 Narrenbeschw. 69 Wer nit so große biet geschehen,/ Ich hett sy gsetzt in die Schelmen zunfft,/ Den sy verlieren all vernunfft;/ Vil gröber sindt die selben all,/ Den vnser moren sindt im stall. Grobianer/ Schelmen/ vnflat,/ Der eyns ryffen magen hat/ Vnd meint, er mieß vil wyns verderben,/ Das er nun die flesch müg erben; Scheldt 1551 Grobianus 1097 Sag dann schmeißkeiln vnd grobe grumpen,/ Vnd würffs herauß mit gantzen klumpen./ Vnd laß die Sewglock dapffer klingen/ (Man hat jetzt lust zu solchen dingen,/ Vnd sind die töchter heimlich worden/ Vnd gern im Grobianer orden,/ Vnd haben selber lust darzuo,/ Daß man grob mit jn reden thuo.); ebd. 2223 So müsten der Grobianer seein in Eseln, sewen vnd büflen sein gestocken; Eyring 1601 Proverbiorum Copia 324 grob, ungeschickt und ungelart/ und von der grobianer art,/ dem sagt man hie est numerus,/ auf deutsch ein grober cuius sus;/ er ist nur ein Ziffer verstan,/ ja ein rechter dummer Jan (DWB); Albertinus 1610 Hofschul 52b will auch der hofmann nicht für einen grobianer oder sauhansen gehalten werden, so musz er nit mit angebissenen mumpflen wider in die Schüssel greifen noch darein tunken (DWB); Scherffer 1640 Der
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Grobianer und die Grobianerin, Das ist Drey Bücher Von Einfalt der Sitten: zu gefallen Allen denen die grobheit lieb haben (Titel); Fielding 1761 ]. Andrews (Übers.) 118 Da . . ein Bauer vorbeygieng, so fragte ihn unser Prediger, wo ein Wirthshaus wäre. Der Tölpel, der . . von einer unvernünftigen Gemüthsart war, antwortete auf eine grobe Art, er sollte seiner Nase nach — oder zum Teufel gehen. Adams, den die Antwort ärgerte, sagte zu ihm, daß er ein Grobianer wäre; Wackernagel 1860 Germania 327 Brant, der den Ausdruck Grobian zuerst gebraucht .. und zwar auch als Namen eines von ihm erfundenen Heiligen, eine Auffassung, worauf noch später in Scheidts Bearbeitung des Dedekindschen Gedichtes (1551) die Form Grobianer, gleichsam der Ordensname fußt; 3892 V;'S. f. Lit'gesch. V 161 f. Der gelehrte Basler Jurist [S. Brant] hatte für die ungeschlachten Grobianer einen eignen Orden erfunden . . 'Grobianus Tischzucht bin ich genant, den Brüdern im Se worden wol bekam' der launige Versuch . . durch eine Art Regelbuch die Roheiten und Flegeleien der Grobianer dem Gelächter preiszugeben; Rühl 1904 Grobianus in England v'u nach Anrufung der grobianischen Gottheiten, des Silvanus, der Faunen und des Bacchus . . ein Grobianer, ein rechter Schüler des Hl. Grobian; Zaehle 1933 Knigges Umgang 25 Grobheit und Unhöflichkeit. Das Bild des Grobianers mit seiner Haupteigenschaft, dem schlauen Egoismus; Oberman 1982 Luther 112 Geht es vielleicht nur um die drastische Ausformulierung der sprichwörtlichen Aufforderung, dem Teufel die Kehrseite zu zeigen? Oder . . ist Luther, der „Grobianer", in seiner Wut und Erregung zur Selbstkontrolle nicht mehr fähig? grobianisch: Scheldt 1551 Grobianus 6 Alßdann were O Friderice erstlich ewer fleiß vnd arbeit, nachmals die mein, wie gering sie sey, in disem Grobianischen büchlin, darin der vnzüchtigen, vnflätigen sitten kaum das hundertist theil, . . so zu erzelen . . vnhöflich vnd vnadelich, gesetzt sind, wol angelegt vnd einbracht; Maaler 1561 Teütsch spraach 192d Gröblich/ nit lieblich/ grobianisch. Duriter, Crasse, Aspere, Inscite, Edure, Impolite, Horride, Rustice; Kirchhof 1563 Wendunmuth I 202 sprach er auf gut westphälisch und grobianisch (DWB); Hellbach 1572 Grobianus 207fr solch lustig grobianisch stück/ gereichte jm zu großem glück (DWB); Rollenhagen 1595 Froschmeuseler H 160 Da kam ich erst zum bösen schwager,/ Der plumper, tölpscher, loser fischer,/ Der grobianischer Stiegelwischer/ In dem blinden lerman unfug/ Zu mir mit der kratzbürst einschlug,/ Eben als wenns ein prietschholz wer; Borstel 1619 Astreae u. Caledonis l 173 wir wollen sehen, sagt Silvia, ob dieser schäfer so gar grobianisch ist
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Grobian
(DWB); Grimmeishausen 1640 Courasche 123 Ich gab ihm täglich Gelt/ beydes zu spielen und zu panquetiren/ . . ihn desto kirrer/ verwegener und ausgelassener gegen mir zu machen/ damit er sich dardurch verplumpen: und durch ein rechtschaffenes grobianisches Stückel dem Besitz meiner und des Meinigen sich unwürdig machen/ mit einem Wort/ daß er mir Ursach geben solte/ mich von ihme zu scheiden; Stieler 1691 Stammbaum 706 Grobianisch/ impolitus, stupidus, grossus & crassus, barbaricus; Fassmann 1729 Narr 31 Was solle ich sagen von ihren stoltzen und übermüthigen Reden, in welchen sie alle Sprachen unter einander hacken, damit man ihre pedantische und grobianische Gelehrsamkeit überall spüre. Sollen sie etwas parliren, so muß es alles latinisiret, oder auch wohl mit dem Griechischen gespickt seyn; Marx 1847 MEW IV 332 tobend gegen die Reaktion, .. ihn [den Gegner] lächerlich scheltend durch eine ganze Stufenleiter von Tönen hindurch; Salomo und Marcolph Don Quijote und Sancho Pansa, Schwärmer und Pfahlbürger in einer Person; rüpelhafte Form der Empörung, Form des empörten Rüpels; über dem Ganzen das ehrliche Bewußtsein des selbstzufriednen Biedermanns als Atmosphäre schwebend — so war die grobianische Literatur des sechzehnten Jahrhunderts; Eichendorff 1857 Gesch. d. poet. Lit. (W. Hl 630 f.) alles Unkraut der ehemaligen Komödie: schamlose Zoten, handgreifliche Spaße, Prügeleien und Burzelbäume mit gelegentlichem Feuerwerk und anderem Schaugepränge; das alles filzte sich überwuchernd zu dem sogenannten »Mordspektakel« zusammen . . Der grobianische Gesell und Gumpelmann betrat die Bühne, daß die Bretter krachten; der Hanswurst hatte alle Helden überlebt; Martin 1878 Herrn, v. Sachsenheim 32 Etwas grobianisch treten selbst die frauen auf, vor allem die Mörin; aber Sp. 159, 20fgg. droht ebenfalls eine frau mit prügeln; Stalder 1885 Schweizer. Idiotikon II 690 grobänig . . — änig . ., -änisch . ., iänisch, (i)jänisch . . 1. grob, roh, derb, ungeschliffen, z. B. von Menschen, Arbeit, Fabrikaten . . 2. bäurisch, altvaterisch . . 'Grobänisch erzogen.' Gotth[elf]; Voss 1899 Murner (ND CLIII Einl. 52) Allein gelegentlich scheut er auch vor gut grobianischen Kraftausdrücken nicht zurück; Jegerlehner 1919 Bergluft 51 Ich bin ein verwöhntes Kind gewesen, unbarmherzig und grobiänisch gegen die Armen und so habe ich die weite Straße barfuß zurücklegen müssen, um in diesem Eise meine Sünden zu verbüßen; Th. Mann 1927 Reden u. Aufs. (W. IX 217) der Spaß liegt denn nun in der Umkehrung, daß . . die dummehrgeizige Charis ihrem geprügelten Bäuerlein, das sich mit Händen und Füßen dagegen sträubt und sich über den Verkehr zwischen Göttern und Menschen in Vergleichen derbster Mißbilligung ergeht,
die Rolle des Gottes gewaltsam aufdrängen will und sich, die sonst zänkische Ehehälfte, vor dem angenehm Verärgerten in der lächerlichsten Weise demütigt. Es gibt witzige Einzelheiten von Menschlichkeit innerhalb der grobianischen Irrung; ders. vor 1955 Reden u. Aufs. (W. XI 1133) das spezifisch Lutherische, das Cholerisch-Grobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, das fürchterlich Robuste; Friedenthal 1963 Goethe 153 Und so schreibt Goethe eine Hochzeit Hanswurstens, bei der ihm die obszönen Namen und Situationen so leicht von der Feder gehen wie einem der Dichter des grobianischen Stils im 16. Jahrhundert; taz 15. 9. 1987 Die Auseinandersetzungen um das Profil der C-Parteien werden zu laut, zu grobianisch und vor allem am völlig falschen Ort, nämlich vor den Kulissen ausgetragen; ebd. 1. 9. 2004 Nirgends hat das Erbrochene so viel Charme wie bei ÖL [dem Komiker Öl Schwarzbach]. Er hat das Genre des Trink-und-Kotz-Witzes revolutioniert, es aller grobianischen Plumpheit beraubt und es auf den Schwingen der Feinfühligkeit in olympische Kunstgefilde entführt. grobianisieren: "Lesen 1640 Anzeiger (S. W. IX 549) tireliren grobianisieren röltzeliren; Presse 1. 12. 1994 Daß sich Andreas Treichl [in einer Aufführung von „Der Schwierige" von Hofmannsthal] nicht komplett zum holsteinischen Kaltblut zu vergrobianisieren weiß, wäre ebenso anzumerken; Züricher Tagesanz. 2. 6. 1999 Das Trio aus Tokio setzt alles daran, um mit seinen Clubgrooves anzuecken, und arbeitet mit elektronischen Trashund Noise-Effekten, die den Sound aufrauhen, verrohen, grobianisieren. Grobianismus/Grobianism: Weise 1672 Erznarren 33 Drumb ist es nicht die Meynung, wenn man solche Kleider verspricht, als möchten sie nun kein Hemde mehr waschen lassen, die Hosen möchten binden und forn offen stehn, und alle Grobianismi möchten nun frey practicirt werden; Jean Paul 1804 Vorschule d. Ästhetik (W. l 5,435 f.) Die vier Herzens-Kautelen raten sanft vom Heiraten ab. Erstlich die des Grobianismus. Die Grobheit der männlichen Poetiker süßet sich in den zarten weiblichen zu bloßem kecken trotzenden Absprechen über Weiber, Männer und Bücher ab; Campe 1813 Fremdwb. 343 Grobianism', die Grobheit, Plumpheit, Bengelei; Eichendorff 1857 Gesch. d. poet. Lit. (W. 628 f.) im Mohamet schlägt der Sultan gleich anfangs seinem Bruder den Kopf ab und wundert sich, daß seine Mutter um eine Handvoll Bluts dabei weinen mag usw. Diese kleine Probe, womit Gervinus den Vorhang lüpft, mag hinreichen, von dem unerhörten Grobianismus einen ungefähren Begriff zu geben (DiBi 125); 1865 Abh. d.
Grog sacks. Akad. d. Wiss. LXXlll 6,266 Grobianismus . ., dessen berühmtester Typus — Dedekinds Grobianus — bereits 1549 erschien; Hauffen 1889 Caspar Scheidt 81 Der Grobianismus ist keine erquickende, wohl aber eine sehr wichtige Erscheinung des deutschen Lebens und der carikirenden Satire im XVI. Jahrhundert; Rühl 1904 Grobianus in England ix Der Grobianismus, die Verwerfung jeder anständigen Sitte in bezug auf Benehmen und Erscheinung; Friedell 1927 Kulturgesch. 313 der sogenannte Grobianismus. Der Ausdruck leitet sich von Sebastian Brant her, der ihn nicht erfunden, aber populär gemacht hat: „Ein neuer Heiliger heißt Grobian, den will jetzt führen jedermann."; Gebauer 1932 Kulturgesch. 146 Der Zug zur Verfeinerung des Lebens . . erstreckte sich freilich mehr auf die Oberfläche der Dinge als auf den tieferen Gehalt. Selbst in der vornehmen Gesellschaft erhielten sich noch erhebliche Reste des alten Grobianismus. Die Trunksucht war nicht auszurotten . . roh ging es in dem „Tabakskollegium" Friedrich Wilhelms I. . . zu, wo eine gebildete Unterhaltung überhaupt nicht aufkommen konnte; Ritter 1937 Erasmus 11 Gerade die elsässischen Humanisten — ich erinnere nur an Jakob Wimpfeling, Thomas Murner, Sebastian Brant — gefielen sich in einem literarischen Grobianismus, der sehr weit absteht von der glatten Eleganz, der weltmännisch-kühlen Ironie erasmischer Schreibweise; 1948 Zeitschr. f. Religions- u. Geistesgesch. 363 Luther . . antwortete 1522 dem englischen König in einer Schrift, die ohne Zweifel den Höhepunkt des Grobianismus jenes grobianischen Jahrhunderts darstellte und Heinrich VIII. kein . . ordinäres Schimpfwort ersparte; Stammler 1952 Dtsch. Philologie i 1059 Der literarische Grobianismus ist nur ein schwacher Abglanz, ein stark gedämpftes Echo dessen, was in den 20er Jahren des 16. Jhs. als Sprache der Flugschriften erscheint; 1952 Polit. Lit. l 164 Fremdenhaß und Grobianismus der „Alldeutschen" Friedrich Ludwig Jahn'scher Prägung, wie sie etwa in den Göttinger Studentenerinnerungen Heinrich Heines — damals noch mehr ergötzlich als brutal wirkend — zutage treten; Berent 1970 Auffassung d. Liebe 19 [Unter dem Namen] Grobianismus ist dieser Geschmack in die Literaturgeschichte eingegangen. An derber Direktheit und Obszönität dürfte diese Literatur, die ein Tabu grundsätzlich nicht kennt, kaum zu überbieten sein; ebd. 120 Es ist die schon besprochene sexuelle Unbefangenheit, die zusammen mit dem Grobia-
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nismus das sittliche Leben des 16. Jahrhunderts weitgehend bestimmte; taz 21. 8. 1989 Der vulgäre Grobianismus der Inszenierungen von Goethes „Götz" durch Schleef, von „Oidipus" durch Hilsdorf, zuletzt der Aufführung von „Krieg" des Rainald Goetz durch Laufenberg, machen den Besuch des Theaters zur Strapaze; 1995 FAZ o. Nr. Lasse der Arbeitsminister öffentlich verlauten, er wolle sich nicht „verarschen" oder „bescheißen" lassen . . so liege die Vermutung nahe, wir befänden uns in der Epoche des „Neogrobianismus", sagte Schlosser; ebd. 21.11. 2003 bricht der Paderborner [Eugen Drewermann] etwa alle zehn Druckseiten in antikatholische Rundumschläge aus. Die Töne, die er dabei anschlägt, hat man so zuletzt im Grobianismus des sechzehnten Jahrhunderts gehört. Vom gegenwärtigen Papst ist nur im Zusammenhang mit „Papstschauspielen" die Rede; Zeit (online) 21.10.2004 Wenn Traditionen zu pflegen sind, dann in den Regionen oder Gemeinden. Auch Bayerns starke Eigenarten verdanken sich großenteils einer Selbstschöpfung im Zeichen von Grobianismus und Tracht. Grobianist: Heidfeld 1624 Sphinx 599 An welchen Orthen höret man die Warheit selten? An Fürstenhöffen: Denn daselbst haben die Fuchßschwäntzer den ersten/ die Gäuckler den ändern/ vnd die Grobianisten den dritten Sitz; Marx 1847 MEW IV 358 f. Bei allen Dummheiten und Gemeinheiten hat der S[ank]t Grobianist die sittliche Genugtuung, daß er mit Überzeugung dumm und gemein, also ein Kerl von ganzem Zeug ist; Wander 1867 Sprichwörter II 141 Grobianist. Er gehört zu den Sanct-Grobianisten. Die lateinische Endung hat den Zweck, dem Ausdruck eine feine Spitze zu geben; Frankf. Rundsch. 15.5.1999 Schließlich rühmten die Germanisten Sprachkraft und Schöpfungsgabe, . . verglichen Wälchlis Kunst mit den Stücken eines Johann Fischart, 1546 bis 1590, des berühmten Grobianisten aus dem Elsaß. Grobiant: Guarinonius 1610 Greuel d. Verwüstung 1043 Die sibend Balbierisch Blenderey/ ist eben auch zu disern End angesehen/ dann vber das alles/ daß das Blut gech vom Leib springt/ vber das/ daß der Lasser den Treml in der Hand starck herumb walgt/ vnnd das Blut treibt/ muß er sich noch darzu starck reuspern/ vnd als diese Grobianten dauon reden/ den Schleimb von der Brust treiben/ damit er durch die Ader herauß komme.
Grog M. (-s; -s), seit spätem 18. Jh. vereinzelt, seit frühem 19. Jh. kontinuierlich nachgewiesene, von Norddeutschland her eingebürgerte Entlehnung aus engl. grog 'heißes alkoholisches Getränk aus Rum, Wasser und Zucker' ungesicherter Her-
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Grog
kunft, oft in Verbindung gebracht mit dem englischen Admiral Edward Vernon, der wegen seines Überrocks aus grobem Grogramstoff (vgl. engl. grogram 'grobes Mischgewebe aus Seide und Kamelhaarwolle' < frz. gros grain 'starker (Seiden-) Stoff, eigentlich 'grobes Korn', vgl. lat. grossus 'dick, grob' und granum 'Korn') den Spitznamen 'Admiral Grog' oder Old Grog' trug und der 1740 in Westindien den Befehl erließ, Rum nur noch mit Wasser verdünnt an die Matrosen auszuteilen (s. Beleg 1900), früher auch in Schreibungen wie Grogk, Grok und Krok. In der Bed. 'v. a. auf See, im Winter, in den norddeutschen Küstengebieten und in kälteren Regionen beliebtes, wärmendes Heißgetränk aus Rum, Arrak, Weinbrand, Whiskey oder Cognac mit Zucker und vier bis sechs Teilen Wasser' (vgl. Glühwein, Irish Coffee, Feuerzangenbowle, Pharisäer, Punsch), vereinzelt auch in der Diminutivform Grögchen (s. Beleg 1899), in Wendungen wie steifer Grog (analog zu steife Brise 'grobe See' in der Skala der Windstärken), einen gepflegten Grog brauen, abends seinen Grog schlürfen, es gab einen duftenden Grog zur Begrüßung/zum Aufwärmen, der heiße Grog dampfte in den Gläsern, bei der Kälte tut der Grog gut, der Grog ist ihm schlecht/nicht bekommen, ein scharfer Schluck Grog verbrannte ihm die Kehle und Zss. wie Grogglas, -keller, -konsum, -rezept, -stube, -stand, -stunde, -törn; grogtrinkend; Bier-, Eier-, Rum-, Seemanns-, Sanddorngrog. Forster 1784 Cooks Reise (Übers.) (S. Sehr. U 370) Ich habe schon mehrmals erinnert, daß Grog Brantwein mit Wasser vermischt ist; 1819 (MüllerFraureuth l 443b) zwei terrinen krok eine art punsch ohne citrone (DWB); £. T. A. Hoffmann 1819 Poet. W. VI 236 Hierauf wurde das Geschütz noch dreimal abgefeuert und Fleisch und Rum unter die Mannschaft verteilt. Teimotu, Kahumanu, sowie die übrigen O-Wahuer wurden mit Grog und ändern Erfrischungen bedient (DiBi 125); Nettelbeck 1821 Leben 232 Zu beiden Seiten daneben steht das Brotfaß und das Gefäß mit Grog (Wasser mit etwas Rum vermischt); Baggesen vor 1826 Poet. W. // 344 erst reich' einer vom grog mir ein tröpfeichen (DWB); Jäger 1835 F. Schnabel 45 Bald war unser junger Held durch Grog und Punsch fertig und fiel ab; Heine 1854 W. u. Er. H 250 Gleichfalls eine beßre Wärme/ Wärmt dem Menschen die Gedärme,/ Wenn er Glühwein trinkt und Punsch/ Oder Grog nach Herzenswunsch (DiBi 125); W/ckede 1854 Kriegsleben 209 ja nicht zu wenig Rum für den Grog nehmen und diesen möglichst „steif" machen; ebd. 212 einige Gläser voll steifen, heissen Grog; Wurzbach 1863 Histor. Wörter 148 Der Grog, ein geistiges, erwärmendes Getränk; König um 1875 Humoresken H 3 vor ihnen dampfte der heiße Grog in den Gläsern, und der Wasserbehälter über der Spirituslampe summte dazu seine eintönige Weise; Nordau 1881 Kreml l 178 ins Kaffeehaus, wo man die Zeitungen liest und Grog dazu trinkt; Dahn 1895 Erinn. IV 2,628 Anm. „Ostpreußischen Maitrank" (Grog) schlürfen; Liliencron 1896 Poggfred (XI 237) daß in Grogk und Bier/ Du stets besoffen seist; Seidel
1899 Leb. Hühnchen 34 ich denke, wir machen uns ein grögchen (DWB); 1900 Marine-Rundsch. XI 2,1241 Der Branntwein war früher unvermischt ausgegeben worden. Vernon führte es 1740 ein, daß er vor der Ausgabe mit der vier- bis fünffachen Menge Wasser gemischt wurde. Dieses Verfahren wurde als Fortschritt angesehen, die Mischung selbst „Grog" genannt; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 153) mit einer Stimme, die klang, als hätte soeben ein scharfer Schluck Grog seine Kehle verbrannt; Meyrink 1915 Golem (Ges. Sehr, l 237) Der Wirt brachte neuen Grog und die Gespräche fingen allmählich an, eine schwüle Richtung zu nehmen (DiBi 125); Klemperer 1925 Tagebücher 103 Den gestrigen Abend etwas langweilig bei Grogk durchplaudert; draußen war es eisekalt; ebd. Wir tranken dann (es ist noch längst nicht zu warm dazu) einen Grogk von Whisky; Volk. Beob. 30. 12. 1938 der Grog, jene wohlschmeckende Mischung aus Rum, Zucker und heißem Wasser, die feurig die Kehle durchrinnt und den erstarrten Lebensgeistern neuen Auftrieb gibt. So hat sich der Grog gerade in den nördlichen Ländern Heimatrechte erworben; Lenz 1959 Brot u. Spiele (W. IV 152) Am Hafen stieg ich aus, ging in eine kleine Kneipe, aß Sauerfleisch, trank heißen Grog; Pinkwart 1963 Mord 48 Ich mache Ihnen auch schnell einen Grog; Bildztg. 3. 2. 1967 eine Spirituosen-Fabrik will eventuell Grog in Wärmekonserven abfüllen; taz 4. 6. 1988 Erinnerung . . an ein Kneipengespräch, Duft von Grog mit verschnittenem Rum; ebd. 7. 10. 1989 Warmer Trost für kalte Tage (Überschr.) Eins haben solche „Aufwärmer" gemeinsam: alle sind beschwipst. Weltberühmt sind
groggy Pharisäer, Irish Coffee, Grog und Glühwein; ebd. 5. 10. 1991 abends säße man in einer Hütte, ein Feuer prasselte im offenen Kamin, und zu einfachen Speisen tränke man Grog und Glühwein; Eerl. Ztg. 27. 7. 2000 Berlin läuft mit Trenchcoats und muffligen Gesichtern durch die Gegend, träumt von heißem Grog oder Milch mit Honig und freut sich, wenn es endlich in der trockenen U-Bahn ist; ebd. 15. 2. 2003 Alkohol und Zucker
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gehen zwar eine recht schmackhafte, aber auch eine oft unterschätzte Verbindung ein. Im ersten Moment wärmen Grog und Glühwein, doch kühlt der Körper nach Alkoholgenuss auch schneller aus; FAZ 10.1. 2005 Wir brauchen Schnee fürs Grundwasser und wahrscheinlich auch fürs Gemüt, denn ein Grog schmeckt doch erst wirklich gut, wenn man die steifen, winterroten Finger an seinem Glase wärmen kann.
groggy Adj. (nur präd.) und Adv., in den 20er Jahren des 20. Jhs. aufgekommene Entlehnung aus gleichbed. engl. groggy, eigentlich '(wie) von zu viel Grog betrunken, beeinträchtigt, unsicher auf den Beinen, taumelnd' (zu grog, —> Grog). Zunächst im Boxsport in der Bed. 'nach gegnerischen Schlägen (bes. auf den Kopf) schwer, hart angeschlagen, halb betäubt, nicht mehr kämpf- und verteidigungsfähig' (vgl. k. o., —* Knockout), z.B. der Boxer hing groggy geschlagen in den Seilen, Cassius Clay war/wirkte nach dem ersten Schlag groggy, der nach einem Niederschlag groggy durch den Ring taumelnde Boxer, auch ausgedehnt auf andere Sportarten (s. Belege 1987, 2000.1) und bildlich (s. Belege 1964, 1991, 1993), seit den 50er Jahren zunehmend allgemeiner und ugs. verwendet in Bezug auf physische/ psychische Zustände von Personen im Sinne von '(durch Anstrengung, Kopfschmerzen, Stress, infolge von Alkoholgenuss o. Ä.) beeinträchtigt, benommen, (wie) betäubt; angeschlagen, (wie) (z)erschlagen; schwindelig, taumelig; erschöpft, schlapp, matt, schwach, müde, fix und fertig; erledigt, am Boden' (s. Belege 1977.1, 1977.2; vgl. down, —* fix 2), vereinzelt remotivierend in Verbindung gebracht mit —+ Grog (s. Beleg 2003.1), z. B. er lag mit 39 Grad Fieber groggy darnieder, noch groggy von der über vier Stunden dauernden Operation, die Partei ist ganz schön groggy von der schweren Wahlniederlage, die Jungs sind alle total groggy, die Kinder sind so groggy vom Wandern, dass sie sofort ins Bett fallen. Eerl. Illustr. Nachtausg. 28. 6. 1929 Schmeling eröffnet mit einem Doppeltreffer und Paolino wankt. Der Spanier ist im Gesicht schwer zugerichtet und am Ende der Runde groggy; Voss. Ztg. 13. 11. 1929 Wenn er nach gleichmäßigem Kampfe in der neunten Runde etwas groggy wurde, so konnte er über den toten Punkt unerwartet schnell hinwegkommen; Baum 1929 Menschen 238 „Blynx ist groggy. Er macht es nicht mehr lang", murmelt Gaigern . . Kringelein . . heftet seine Augen auf denjenigen, der „groggy" sein soll, was ein Fachausdruck für ein bewußtloses Zuendegehen zu sein scheint; Münch. N. N. 7. 10. 1938 Schon war Ciervialowski von einigen Haken seines Gegners schwer „groggy", als sich ein Eisenbahnbeamter, der das ganze für eine gewöhnliche Schlägerei hielt, einmischte; Mannh. Morgen 20. 8. 1946 Die Note der Kämpfe trug hier durchweg härteren Charakter und mancher hatte zu tun, um halb groggy über die Distanz zu kommen; Zeit 15. 5. 1964 Sowohl die USA als auch der Gemeinsame
Markt kletterten nach einem zweieinhalbtägigen Scheingefecht auf Ministerebene etwas groggy wieder aus dem Ring (AWB); Schädlich 1977 Nähe 52 Ich machte das Bett fertig, Antje hab ich solange in den Schaukelstuhl gesetzt, sie war völlig groggy; Spiegel 3. 10. 1977 Da saßen sie nun, fast sieben Kilometer hoch über dem Meeresspiegel, der eine schwer verletzt, der andere groggy vom zweiten Ansturm auf den Ogre (AWB); ebd. 2.3.1987 Dann die Verlängerung. Rummenigge kommt ins Spiel. Sein Anschlußtreffer und Fischers Ausgleichstor machten die Franzosen groggy (AWB); ebd. 20.2. 1989 Doch, obwohl groggy und kaum bei Sinnen, blieb er ohne Deckung stehen und lieferte seinen Schädel den gnadenlosen Hieben des Champions aus (AWB); taz 20. 4. 1991 Der Rest der Runde ließ sich damit ausknocken und war am Ende so groggy, daß man den Eindruck haben mußte, Vogel und Gerster hätten tatsächlich was zu sagen; Presse 13. 4. 1993 Ohne unsere umfassende Solidarität und Hilfsbereitschaft wird der
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Gros
von uns groggy geschlagene Planet Erde durch die Aufholentwicklung in der dritten und vierten Welt ausgezählt werden; Züricher Tagesanz. 24. 1. 2000 Er lenkte einen harten Schuss Gauthiers mit dem Kinn ins Tor, ging kurz groggy, kehrte mit einer genähten Wunde zurück und spurtete auch gegen den HCD unbeirrt und furchtlos die Banden entlang; taz 24. 11. 2000 Voriges Jahr „mussten meine Leute allein am Radtag 110-mal aus dem Auto. Und nach drei Tagen waren die groggyer als ich."; Berl. Ztg. 15. 2. 2003 Ziemlich groggy . . Im Win-
ter haben Glühwein, Punsch und Co. Hochsaison; 2003 Handb. gerichtl. Medizin 1301 Gelegentlich, nach einer gehäuften Schlagserie gegen den Kopf mit Subkommotionsdosen, kann ein Boxer „angeschlagen" und „groggy" sein. Die Helligkeit seines Sensoriums ist herabgesetzt, seine Bewegungen und Reaktionen sind verlangsamt; Hamb. Morgenpost 11.2.2006 Die Kombination aus schwerer körperlicher Arbeit und starker Kälte zehrt extrem an den Kräften. „Wenn Sie eine Stunde Schnee schippen, dann sind Sie völlig groggy".
Gros N. (-; -), im frühen 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. gros (Subst. zu (alt-)frz. gros 'dick, groß, stark, grob' < (m)lat. grossus 'dick, grob'; —» en gros, —» Groschen; vgl. die gleichlautende, über frz. grosse douzaine 'großes Dutzend' ebenfalls auf gros zurückgehende veraltete kaufmannsspr. Maßeinheit/Mengenangabe Gros '144 (12 X 12) Einheiten'); bis heute mit schwankender Aussprache und dadurch beeinflusster Schreibung, selten auch in den (Schreib-)Formen Gross(e) und (unter Anknüpfung an semantisch entsprechendes, aber nicht verwandtes groß fälschlich eindeutschend) Groß. Im militärischen Bereich aufgekommen in der Bed. 'Hauptmasse/-teil, größter Teil eines marschierenden Heeres (zwischen Vor- und Nachhut)' auch 'Hauptteil eines Flottenverbandes' (—» Corps, vgl. (Streit-)Macht), in Wendungen wie das Gros der Armee, des Heeres, Zuges, der Flotte, einzelne Verbände von Gros des Heeres abschneiden, sich zum Gros durchschlagen; von daher im Laufe des 18. Jhs. ausgedehnt auf nichtmilitärische Bereiche und allgemeiner verwendet im Sinne von 'überwiegender Teil, Großteil, Mehr-/Überzahl, Hauptmasse', bes. von Personen (s. Belege 1747, 1769, 1783, 1892, 1964, 1974, 1989, 1994), z.B. das Gros der Nation/ Menschheit/Bevölkerung/Gesellschaft, ein Gros der Wähler kommt aus der Mittelschicht, das Gros der Besucher machte sich auf den Heimweg, das Gros der Arbeitslosen, der Studentenschaft, der Urlauber, das internationale Gros der Journalisten, auch von (zählbaren) Gegenständen und Sachverhalten (s. Belege 1734, 1840, 1905, 1954, 1993, 2001, 2006), z.B. das Gros der Bäume fällen, das Gros seiner Überlegungen, das Gros der Veranstaltungen soll im Festspielhaus stattfinden, das Gros der Fälle (70 Prozent) war innerhalb von drei Monaten erledigt, 20 Prozent erhalten die Gemeinden, das Gros kassiert der Bund. Wallhausen 1617 Militia 47 f. der hinderste gros oder hauffen . . jederes gros oder hauffen . . das gros (JONES); Chemnitz 1648 Schwed. Krieg l 305a als General Tilly von Erlangen aufgebrochen/ kam der FeldMarschalck . . mit der Königlichen Schwedischen avantgvarde zu Winsheim an: Deme der König selbst . . den ändern Tag darauf/ mit dem gantzen gros folgete; Lohenstein 1689—90 Arminius I 34a dem Inguiomer und Arpus vertraute er das Groß des Heeres . . auf den Kampfplatz zu stellen; Scheibner 1695 Avisen-Curier o. S. Gros . . ein Tropp Kriegs-Volck biß auff 60 oder 70 Soldaten (BRUNT); 1706 Fama V 97 die Macht oder das
Gros der feindlichen Armee (BRUNT); Besser 1711 Sehr. I 46 wir aber schnitten ihn vom gross des heeres ab (DWB); Kramer 1724 Teutsch-Ital. Diet. II 569a das grosse der armee il grosso, il corpo dell'armata (DWB); Sperander 1727 A la ModeSprach 283 Gros der Armee, ist das gantze KriegsHeer, oder doch der gröste Theil der Armee; Zinzendorf 1734 Theolog. Bedencken l 23 welches ihn verhindert, sich ins gros der weltgeschäffte zu mengen (DWB); ders. 1747 Naturelle Reflexionen 6 das Gros der Menschen; Herder 1769 S. W. Ill 446 denn hat Pindar nicht schon längst einen Unterschied gemacht zwischen dem Gros seiner Ausleger
Groschen . . und zwischen denen, die sich um das Innere seiner Gesänge bemühen (DiBi 125); Wieland 1778 Br. an Merck 249 das gros der leser (DWB); Schlözer 1783 Statsanzeigen III 258 man bemerke den Begriff: Gros der Nation; Pestalozzi 1790 Lienh. II 294 die schwache gutmüthigkeit . ., die doch das höchste ist, wohin bis jetzt das grosse der menschheit hat gebracht werden können (DWB); PücklerMuskau 1835 Semilasso l 100 das Gros der Gesellschaft; ebd. 11 117 das Gros der Menschen; ders. 1840 Bildersaal II 118 mit dem Gros der Effekten; Mommsen 1866 Rom. Gesch. HI 239 das gros des zuges (DWB); Bennigsen 1892 Nationallib. Partei 157 das gros der centrumspartei (DWB); Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 72 einen lebemännischen, vollblütigen und etwas renommistischen Slawen, der . . wie das Gros der Kultur-Menschheit augenblicklich . . aus Ostende kam; Hoops 1905 Waldb. u. Kulturpfl. 63 das gros der waldbäume (DWB); vor 1918 Rosegger U 2,54 was wir 'volk' nennen, . . das ist nichts weiter als das gros und der kern der menschheit (DWB); Klemperer 1925 Tagebücher 112 mit der kleinen höchst gemischten Studiengruppe — das Gros ist in Rio geblieben; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 699) dem Gros der Ärzte, Juristen, Nationalökonomen, die in kläglichem Rausch mit den tollsten Unsinnsreden . . sich vor der Geschichte prostituiert haben; Welt 17. 11. 1954 aus dem Gros der regionalen Industrie- und Spezialwerte sind Bavaria- und St. Pauli-Brauerei sowie Wollgarn Tittel u. Krüger . .
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hervorzuheben; Partner 1964 Erben 169 Diese Provinzialrömer [bildeten] in den Städten . . das Gros der Handwerkerschaft; Welt 22. 1. 1969 Das Gros der Truppen halte sich gegenwärtig auf den Truppenübungsplätzen Mittelböhmens, an der polnischen Grenze bei Troppau und in der östlichen und mittleren Slowakei auf; Anderseh 1971 Kirschen 100 am wahrscheinlichsten ist es, daß er versprengt wurde und in einen Trupp geriet, der sich auf eigene Faust nach hinten durchschlagen wollte, zum deutschen Gros; Welt 4. 6. 1974 Das Gros des Publikums bestand aus jugendlichen Besuchern; Zeit 29. 3. 1985 Etliche Versicherte haben zwar dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Das Gros aber hält still und zahlt; taz 30. 8. 1989 Aus Marokko selbst, wie Ali, kommen nur mehr wenige, das Gros stammt aus Somalia, Äthiopien, Zentralafrika; Salzb. Nachr. 4.5.1993 das Gros der Wohnungen soll . . laut Planungsstadtrat Hannes Swoboda . . im Rahmen der Wohnbauförderung errichtet werden; Presse 24.2.1994 Eine klare Mehrheit (536 von insgesamt 615 Befragten) hält den Tourismus für wirtschaftlich wichtig. Daß durch Touristengruppen das Verkehrsaufkommen erhöht und damit für die Wiener störend wird, verneint das Gros der Befragten; taz 10.2.2001 Schmidt . . übersieht, dass ein Gros der heutigen Westukraine bis 1918 zu Österreich gehörte; Berl. Ztg. 23. 12. 2006 Das Gros der Orchideen-Arten wird heutzutage nicht mehr über Samen vermehrt, sondern wächst in Gewebekulturen heran.
Groschen M. (-s; -), Mitte 14. Jh. entlehnt entweder aus ital. (denaro) grosso, dem Namen einer seit 1194 in Venedig geprägten Münze (zu mlat. (denarius) grossus 'dicker Denar') oder aus der mlat. Bezeichnung grossus denarius turonensis, auch grossus turonus, afrz. gros (tournois) 'dicker Denar aus Tours' für eine ab 1266 von Ludwig IX. dem Heiligen eingeführte Münze (< (m)lat. grossus 'dick, grob', —» Gros, und denarius 'römische Münze im Wert von 10, später 16 Assen'), zunächst in den Formen gross, grosser, grosse(n), seit dem 14. Jh. mit der Einführung des Prager Groschens im Jahr 1300 unter tschech. Einfluss (böhmische Kanzleisprache) in der Lautung Grosch/Groschen mit dem vereinzelten Diminutiv Gröschel/Greschel, vgl. tschech. gresle, russ. grosch 'Kleingeld', poln. grosz 'hundertster Teil des Zloty', türk. kuru§ 'Untereinheit der türkischen Lira', niederl. groot, engl. groat 'mittelalterliche (englische) Münze'. Zunächst als Bezeichnung für eine von 1271 bis ins 19. Jh. geprägte Silbermünze (Abk. g/), meist im Wert von 12 Pfennigen, bei größeren Geldmengen häufig in der Wendung ein Schock Groschen (s. Belege 1399—1409, 1425), gelegentlich mit Bezug auf gesetzlich festgelegte zu leistende Abgaben (s. Beleg 1985), vgl. Bibliotheks-, Bildungs-, Kultur-, Renten-, Opfer-, Sport-, Steuergroschen, nach der Einführung der Mark im Deutschen Reich 1871 bis zur Einführung des Euro 2001 nur noch inoffiziell und regional als Name für ein 10-Pfennig-Stück (s. Belege 1920, 1949, 1963, 2006.2), daneben zwischen 1924 und 1938 und zwischen 1945 und 2001 als
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Groschen
Name des hundertsten Teils des österr. Schillings (s. Belege 1971.2, 2000), in jüngster Zeit vereinzelt auch mit Bezug auf den Euro (s. Beleg 2001), daneben auch übertragen für geringe, (eigentlich) zu vernachlässigende Beträge (s. Belege vor 1496, 1525, 1701, 1780, 1939, 1990, 2006.3) und selten allgemein für 'Geld' (s. Belege 1639, 1901), in Wendungen wie er hat keinen müden Groschen mehr, der Staat zieht den Armen den letzten Groschen aus der Tasche, von der versprochenen Abfindung habe ich noch keinen Groschen gesehen, verbreitet in der Redewendung bei ihm ist der Groschen gefallen 'er hat etwas endlich verstanden', in (meist veralteten) Sprichwörtern wie Besser heute einen Groschen als morgen einen Gulden, ein Groschen im Sack, aber für zwei Groschen Durst, wer den Heller nicht ehrt, ist des Groschens nicht wert 'wer einen geringen Wert nicht schätzt, verdient auch keinen größeren' und in Zss. wie Groschenmünze/-stück, -sammler, -grab (scherzhaft für 'Münzautomat'), (mit der Konnotation „billig, schäbig":) Groschenheft, -roman, -blatt, -krimi, -theater, -film, als Grundwort häufig in Spar-, Urlaubs-, Notgroschen 'Geld, das für schlechte Zeiten beiseite gelegt wird/wurde', Kreuz-, Silbergroschen, (mit Bezug auf Münzautomaten:) Kopier-, Park(uhr)-, Telefon-, WC-/Toilettengroschen, auch in mehrgliedrigen Zss. wie (seit Ende 19. Jh.) Achtgroschenjunge/-mann '(Polizei-)Spitzel' und (im Zusammenhang mit Brechts/Weills Dreigroschenoper) Dreigroschenroman, -film, -musik, -suite, Zweigroschenoper. 1350 Monumenta Zollerana III 255 breite großen (LEXER); Closener 1362 Straßb. Chronik 38 ein pfenningbröt galt 3 grosje turnoise (BENECKE/ MÜLLER/ZARNCKE); 1399 Urk. d. Bened.-Abtei U. L. F. zu d. Schotten o. S. ein grossen oder siben phenn (LEXER); 1399-1409 Marienburger Tresslerbuch 103,23 2 schog behmischer grossen (DWB); 1425 Urk. d. Cistercienserst. zu Hohenfurt 259 ein schock grosser (LEXER); 1446 (Löscher 1959 Erzgeb. Bergrecht 56) Dornoch gibt man von y[e]dem czentener fünf bertichte groschin zu czehenden (FRNHD.WB); Tücher 1464-75 Baumeisterbuch 101 fünf gross (davon 35 einen rhein. guld. machen) (LEXER); ebd. 112 fünf grosch oder 35 pfenn (LEXER); Spittendorf 1480 (Opel 1880 Denkwürdigkeiten 29) die sole galt vil, der zuber Deutsch galt einen grossen groschen oder 2 schwert- oder silberne groschen und nach 2 oder l '/2 hellischen pfennigk über den groschen. Guttjar galt der zuber einen grossen groschen minus l (FRNHD.WB); Folz vor 1496 Meisternder o. S. Wem nit vil gulden wonen pey,/ Der geb ein groschen oder drey (FRNHD.WB); Luther 1525 (WA XVI 514) Die kleynen dieb aber, so kaum zehen grosschen stelen, die müssen flattern (FRNHD.WB); 1545 (Heibig 1953 Wirtschaftsgesch. V 40) ab den knabenn der gewonliche lohn als sechstehalb weißer groschen zu erhöhenn sey (FRNHD.WB); Nostitz 1578 Haushaltungsbuch 51 Ich gleub, mein g. herr bekompt nicht den dritten groschen (FRNHD. WB); Rollenhagen 1608 Froschmeuseler 203 der Schelmenstücken mancherley/ Gericht auff eitl betriegerey./ Das jhm ein Groschen trag der Scherff/
Die Bratwurst ein Speckseit abwerff; Lebmann 1639 Florilegium 217 Wer darumb viel guts thut/ daß es jhme Gott belohnen soll/ der hat vor dem kein Vorteil/ der nichts thut/ vnnd bekompt dieser eben so wol seinen Groschen/ als jener (FRNHD. WB); Lohenstein 1665 Epicharis 189 Mein Schaffner soll alsbald jedwedem Knechte zehin Dreyhundert Groschen aus (DiBi 125); Stieler 1695 Zeitungs Lust 35 Die Welt ist je groß genug und steuret überflüßige Materie zur Neulichkeit: Wenn nun darneben auch angenehme und lustige Begebenheiten untermischet werden; So bringet es dem Lesenden eine Vergnügung/ und entbäret er seinen Groschen gern/ wenn er Sachen erfäret/ so das Gemüt erleichtern/ und . . eine Freude erwecken; 1701 /«dianerin 13 ihr Armut war so groß, daß sie kaum so viel erwerben kunnte, als sie und ihr Vater notdürftig hatten. Sie kam zwar nackend in das Spielhaus, ihr Rock war insgesamt keinen Groschen wert, aber es gingen kaum vier Tage vorbei, so war sie gekleidet als eine von den besten Staatsjungfern; 1724 Dtsch. Acta Eruditorum XCVll 181 Wenn sich daselbst ein Dienstbote einmahl vermiethet und den Mieth-Groschen angenommen, so darff er solchen nicht wiedergeben und den Dienst aufkündigen; Sincerus 1747 Oesterreicherin 82 Weil Clelie bey dem Hinweggehen von dem Grafen ein halb dutzend sechzehn Groschen-Stücke geschenckt bekommen, wurde sie durch solche Freygebigkeit aufgemuntert, sowohl dem Grafen als Charmanten zu ihren Verlangen behülflich zu seyn; Sperge 1765 Bergwerksgesch. 332 man giebt einem dieser Bursche des Tags nicht viel mehr, als einen
Grossist Groschen Löhnung; La Röche 1780 Herz 330 Dank, mein junger Freund, daß . . Sie finden, man könne für etliche Groschen eben so viel Vergnügen bei der Tasse Tee und einer Pfeife Tabak haben, als wenn man Taler ausgibt; Schlabrendorf 1804 Napoleon 124 Der Gensd'armes zu Pferde erhält täglich fünf Livres (Einen Thaler acht Groschen) und der zu Fuß drei Livres; Arnim 1806 Wunderhorn l 310 Die Tasche war ihm schwer,/ Ein Groschen noch drein hat:/ „Im Hundert, lustig spricht,/ Find ichs klein Gröschel nicht." (DiBi 125); Bonner Wochenbl. 26. 8. 1827 Bei selbigem ist auch zu haben aus dem Hause rother Bergwein, eigenes Gielsdorfer Wachsthum, für drei Silbergroschen das Berliner Quart; Varnhagen v. Ense 1847 Tagebücher 361 Ein Bettler verfolgte sie beharrlich und mit so beweglichen Reden, daß endlich mein Bruder, ermüdet und gerührt von den ungewöhnlichen Bitten, dem Mann ein Achtgroschenstück — er hatte kein kleineres Geldstück bei sich — einhändigte; Marx 1861 MEW XV 431 der Morning Chronicle! . . er durchlief Metamorphosen aller Art, verwandelte sich in ein penny paper (Groschenblatt) suchte von Sensationen zu leben; 1882 Häusl. Glück 46 Daneben aber halte sich die Hausfrau ihre besondere Sparkasse, in welche sie alle vom Wochengelde ersparten Groschen zurücklegt, für Anschaffung der Wintervorräthe oder besonders nöthiger Haushaltungsgegenstände; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 176) Wenn nur die Familie Deiner Mutter ihre Groschen ein wenig besser beieinanderhalten wollte; die Erbschaft wird für uns von so großer Wichtigkeit sein!; Klemperer 1920 Tagebücher 289 Vor 15 Jahren haben wir für einen drittletzten Groschen in Eberswalde einen Spritzkuchen gegessen u. mit den beiden letzten fuhren wir im Omnibus vom Stettiner Bahnhof heim. Heute haben wir in Tharandt für 17 M.[ark] Kaffee getrunken; ders. 1939 Tagebücher 500 Ich zahle jetzt jüdische Winterhilfe, „kleine" (Haussammlung) 5 M, „große" 16 M im Monat. Es ist unglaublich, wieviel Steuern sich von unseren paar Groschen (in diesem Monat bekam ich 298 M vom Ruhegeldamt) noch abzahlen lassen; Neues Deutschi. 5.4. 1949 Die Münzfernsprecher im sowjetischen Sektor werden mit der Einführung der neuen Münzen der Deutschen Notenbank weder umgebaut noch gesperrt werden . . Die neuen Münzen seien zwar leichter als der bisherige Groschen, sie gewährleisten jedoch ein einwandfreies Funktionieren der Münzfernsprecher; ebd. 6. 10.
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1954 Dieser neue Skandal zeigt vielmehr, daß die USA nicht davor zurückscheuen, über ihre Mittelsmänner, ehemalige Achtgroschenjungen der SS, ihren französischen Alliierten auszuspionieren; Böll 1963 Clown 79 er . . riß die Kasse auf und warf mir mit beiden Händen Kleingeld hin: Groschen, Fünfer und Pfennige, er streute die Münzen über die Hefte und Zeitungen; Kargel 1971 Münzen 83 1266 ließ er in . . Tours eine Münze im Werte von 12 Deniers prägen, die Grossus turonus (Gros tournois) genannt wurde. . . Die Turnose kam als Handelsmünze in die Nachbarländer und wurde im 14. Jahrhundert. . nachgeahmt. Als gegen Ende des 13. Jahrhunderts bei Kuttenberg in Böhmen überaus reiche Silbererzlager entdeckt wurden, entschloß sich König Wenzel II. . . das Münzwesen seines Landes neu zu ordnen. Eine größere Silbermünze [sollte] eingeführt werden, deren Nennwert ihrem Metallwert entsprach. Die neuen Münzen sollten Grossi Pragense (Prager Groschen) heißen; ebd. die Niederlande brachten prachtvolle Groschensorten heraus. In England kam der Croat auf. . . In Österreich gibt es heute noch den Groschen, desgleichen in der Türkei, wo er Grusch (Kurusch) heißt; Zeit 19. 4. 1985 Sind viele Leute arbeitslos, bekommen die Alterskassen heute weniger Beiträge. Die Zahlung der laufenden Renten gerät dadurch in Gefahr. Doch ob miese oder gute Konjunktur: immer müßte der Staat sich die Rentengroschen über Steuern wiederholen; taz 4. 8. 1990 Für Investitionen, zum Beispiel die Anschaffung modernen Laborgeräts, bleibt kein müder Groschen. Zum Sterben zuviel, doch für die ehrgeizigen Pläne von Irmela Wiegand und ihren Kolleginnen zuwenig; Tiroler Tagesztg. 11. 1. 2000 Wien. Der ÖAMTC fordert eine Preissenkung bei Diesel um 80 Groschen je Liter; taz 22. 5. 2001 Einen Groschen mehr: Fahrpreise werden 2002 teurer; Hamb. Morgenpost 1.3.2006 die Feinschmecker unter den Kollegen denken spontan eher an Perry Rhodan, den Weltraum-Helden aus den Groschenromanen; ebd. 2. 10. 2006 Wenn sich der lieb gewonnene Heiermann (fünf Mark), Zwickel (zwei Mark) oder Groschen (zehn Pfennig) durch die Zählmaschine verabschiedet . . Viele schauen der guten alten Mark mit Wehmut hinterher; Mannh. Morgen 28. 10. 2006 Dass Reiche sich vor dem Finanzamt arm rechnen, während man Arme per Gesetz reich rechnet und ihnen den letzten Groschen aus der Tasche zieht, ist nichts Neues.
Grossist M. (-en; -en), auch Grossistin F. (-; -nen), Anfang 19. Jh. aufgekommene Ableitung von —» en gros (vgl. jüngeres frz. grossiste, ital. grossista), anfangs vereinzelt auch in der Form Engrossist/Engroist.
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Grossist
Seit Anfang 17. Jh. (HENISCH) bezeugtes (über niederl. grassier auf frz. (marchand) grassier zurückgehendes) gleichbed. Grossier M., auch Grossierer/-in M./F. weitgehend verdrängende kaufmannsspr. Berufsbezeichnung in der Bed. 'Großkaufmann/ -frau; Großhändler/-in' (vgl. Engroshändler, frz. marchand en gros), eigentlich 'jmd., der en gros, ein großes Gros (12x12 Exemplare einer Ware) ein-/verkauft' (vgl. Discounter, Grosso-Händler, Engrossist, —> en gros, —» Gros; Ggs. Detaillist, —> Detail), gelegentlich (irrtümlich) assoziierend in Beziehung gesetzt mit dtsch. groß (s. Belege 1838, 1883), in Wendungen wie über Grossisten vertrieben, gut eingeführt bei Grossisten, beim Verkauf über Grossisten, als Bestimmungswort in Zss. wie Grossisten-Geschäft, -Kette, -Markt, -Partner, -Spanne, -Umsatz, -angebet, -branche, -preis, -Steuer, -verband, häufiger als Grundwort (meist in Verbindung mit Bezeichnungen für gehandelte Waren oder Dienstleistungen) in Bananen-, Blumen-, Brillen-, Bücher-, Computer-, Drogen-, Elektro-, Film-, Fleischwaren-, Gemüse-, Getreide-, Internet-, Kiefernholz-, Kultur-, Lebensmittel-, Musik-, Papier-, Pharma-, Rohstoff-, Schnaps-, Spiele-, Strom-, Tabak(-waren)-, Textil-, Umsatzsteuer-, Werbe-, Zeitschriftengrossist/-in. Grossist/-in: 1801 Campe Fremdwb, 391 Grossirer, wofür man auch Grossist und Engroist hört, ein Grosshändler (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Heyse 1838 Fremdwb. I 466 Grossier od. Grossirer, auch Grossist . . ein Großhändler, ein Kaufmann, der nur en gros . ., im Großen od. im Ganzen handelt; 1883 Brockhaus VI 183 [unter En gros:] Der Großhändler (Grossist, Grossierer) kauft entweder von dem Produzenten oder von Großhändlern und verkauft an Großhändler und Kleinhändler; Klemperer 1926 Tagebücher 305 bei einem Grossisten in der Amalienstr. Langes Vorspielenlassen, handeln — 140 M schließlich; Welt 20. 9. 1949 das Hamburger Amtsgericht verurteilte den Grossisten . . zu zwei Monaten Gefängnis. Der Angeklagte hatte das seit 40 Jahren im Handel befindliche Desinfektionsmittel „Liebicin" . . vertrieben, ohne das Mittel als Gift zu kennzeichnen; ebd. 11. 12. 1954 Tuchvertreter . . gut eingeführt bei Versendern, Grossisten und Großkonfektion (Anzeige); ebd. 14. 10. 1964 daß trotz mehrfacher Vorstellungen einzelne Verlage im Vertriebsgebiet einzelner Grossisten Einzelhändler direkt beliefern; taz 18. 2. 1988 bot der Verband an, mit einer von Grossisten getragenen Firma für den gestürzten Verbandskollegen in Mannheim in die Bresche zu springen . . Ohne die Großverlage überlebt . . kein Grossist; Salzb. Nachr. 26.2. 1994 Als Grund für die Pleite wird im Konkursantrag eine Preisunterbietung durch Grossisten aus Deutschland genannt; St. Galler Tagbl. 28. 6. 1999 die als Grossistin für internationale Telefon-Dienstleistungen tätige Telesonique in Genf teilte ohne nähere Präzisierung mit, ihren Basistarif anzupassen; Züricher Tagesanz. 30. 3. 2000 dass das Reglement genau vorschreibe, wie viel Rabatt Hersteller und Importeure beim Verkauf an Grossisten höchstens ge-
währen dürften; St. Galler Tagbl. 5. 1. 2001 Dass sich ein Discounter und ein Grossist nicht als Konkurrenten, sondern viel mehr als Ergänzung zueinander sehen; dpa 19. 9. 2006 Der Verband vertritt die verlagsunabhängigen Pressegroßhändler. In ihm sind 63 der bundesweit 77 Grossisten vertreten. Sie beliefern täglich 121 000 Einzelhändler und beschäftigen 13 000 Mitarbeiter. Grossier/-er: Henisch 1616 Teutsche Sprach 1751 Grossier/ so ins gros [en gros] handlet; Overbeide 1668 Buchh. 3 ein jeder vornehmer Kauffmann und Grossirer (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1676 Savary I 9 Grossierer (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 283 Grossirer, marchand grossier, ist ein Kaufmann, der ins Grosse handelt; Campe 1813 Fremdwb. 343 Grossirer, wofür man auch Grossist und Engroist. . hört, ein Großhändler; Heyse 1838 Fremdwb. l 466 Grossier od. Grossirer, auch Grossist .. ein Großhändler, ein Kaufmann, der nur en gros . ., im Großen od. im Ganzen handelt; 1883 Brockhaus VI 183 [unter En gros:] Der Großhändler (Grossist, Grossierer) kauft entweder von dem Produzenten oder von Großhändlern und verkauft an Großhändler und Kleinhändler; Sombart 1913 Bourgeois 88 In der Textilindustrie . . sind es bald reich gewordene Handwerker, bald reiche Kaufleute, „Grossierer", die den Verlag bestreiten: „ein Grossier kann schwerlich ohne Verlegung einer Manufaktur bleiben"; Genius 1933 Fremdwb. 378 Grossier oder Grossist. . Großhändler, nur en gros handelnder Kaufmann; Suter 1966 Die grossen Städte 203 ein anderer Teil vertreibt die gefertigte Ware, teils als Grossierer, teils als Krämer; Becker 2002 Kaffee-Konzentration 22 Eine weitere Unter-
grotesk teilung der Handelsstufe Großhandel ist die in Außenhandel (mittelbarer Exporteur, Transitär,
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mittelbarer Importeur) und Binnenhandel (Grossierer, Zentralgrossierer).
grotesk Adj., im späteren 16. Jh. vereinzelt, seit frühem 18. Jh. kontinuierlich bezeugte Entlehnung über gleichbed. frz. grotesque aus ital. grottesco 'nach Art der Grottengemälde; seltsam, wunderlich' (zu grotta 'Höhle, Wall'), ursprünglich in Fügungen wie grottesca pittura 'Grottenmalerei' zur Bezeichnung der in den Kavernen des alten Rom vorgefundenen Malerei, anfangs in Nebenformen wie grotteschisch, grotesque, grottesk (—> Grotte). Zunächst vereinzelt zur Charakterisierung der seltsam und fantastisch anmutenden antiken Malereien in Höhlen, Grotten u. Ä. in der Bed. 'wunderlich geformt, verzerrt, seltsam', seit frühem 18. Jh. bes. als ästhetische Kategorie im Bereich der Kunst- und Literaturbetrachtung und allgemeiner verwendet 'durch eine Übersteigerung oder Verzerrung (willkürlich) entstellt, stark übertrieben, übersteigert, übertrieben, ungeheuerlich, absonderlich, eigenartig, verworren (wirkend)' (s. Belege 1746, 1754, 1795, 1808; —> abstrus, —* bizarr, —+ pittoresk, vgl. monströs, —> Monstrum, phantastisch, —» Phantasie), auch 'unnatürlich, regellos verziert, verschnörkelt' (s. Beleg 1786; —*· arabesk), z.B. groteske Figuren, groteske Szenen in der Malerei, und von daher 'lächerlich, possierlich, komisch (wirkend)', bes. auf Körperbewegungen bezogen (s. Belege 1881, 1895-1900, 1930; -» absurd, vgl. burlesk, -> Burleske), aber auch auf abstrakte Sachverhalte übertragen (s. Beleg 1952; —» absurd), in Wendungen wie ein groteskes Konterfei, groteske Prachtentfaltung, grotesk anmutende Grabsteine, groteske Verrenkungen und Sprünge, etwas nimmt immer groteskere Formen an, eine groteske Situation, eine groteske Theorie, Idee, Schilderung, ihre Behauptung ist einfach grotesk, die Aufmachung wirkte grotesk, was er sagte, war einfach grotesk, eine groteske Verkennung der Tatsachen, häufig in additiven Zss. wie grotesk-absurd, -phantastisch, -komisch, -makaber, -satirisch, -traurig; drastisch-, ironisch-, komisch-, tragisch-grotesk; vereinzelt auch zur Steigerung von Adjektiven verwendet (s. Belege 1895 — 1900, 1928) und subst., z.B. das Groteske im modernen Drama, das Groteske einer Situation. Bereits seit früherem 16. Jh. die (über gleichbed. frz. grotesque auf ital. grottesca, subst. Femininum zu grottesco, s.o., zurückgehende) Substantivierung Groteske F. (-; -n), in engerem Sinne als Terminus der bildenden Kunst 'phantastisch gestaltete Darstellung von Tier- und Pflanzenmotiven in der Ornamentik bes. der Antike und der Renaissance; (Ranken-)Ornament mit spielerisch eingefügten pflanzlichen Formen, Tieren und stilisierten Fabelwesen (die meist auf eine durch einen Kandelaber gebildete Mittelachse bezogen sind)' (s. Belege 1548, 1794.1, 1866, 1914; — Arabeske, vgl. Schnörkel), dann erweitert 'wunderliches Bildwerk, Malerei mit unnatürlichen, seltsam verzerrten Gestalten, Fratzen' (s. Belege 1770, 1800; —> Karikatur), z. B. Groteskendekor, -fries, -maierei, -ornament, -saal, (eventuell auch als Zss. mit dem Adj. grotesk aufzufassen:) Groteskfigur, -gestalt, -köpfe, -maske, -ranken, -Zeichner, auch allgemeiner '(schauspielerische, tänzerische o.a.) Darstellung einer verzerrten Wirklichkeit, die auf paradoxe Weise Übertriebenes, Verzerrtes, Missgestaltetes, Grauenvolles mit komischen Zügen verbindet' (s. Belege 1964, 1985; —> Burleske), z.B. Groteskenmime, (eventuell auch als Zss. mit dem Adj. grotesk aufzufassen:) Groteskakrobatik, -clown, -drama, -komödie, -nummer, -puppe, -reiter,
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grotesk
-sprung, -tanz 'Form des modernen Ausdruckstanzes mit disharmonischen Bewegungen, karikierender Tanz mit drastischen Übertreibungen und verzerrenden Bewegungen' und speziell als Bezeichnung für eine Widersprüchliches (z.B. Komisches, Trauriges und Grauen Erregendes) verbindende literarische Erzählform der derbkomischen, parodistischen, närrisch-seltsamen, drastischen Darstellung, die mit bewusst karikierender Verzerrung oder satirischer Übersteigerung v. a. das Paradoxe, Dämonische herausarbeitet und so Mittel der Gesellschaftskritik werden kann (vgl. E. T. A. Hoffmann, F. Kafka, J. Ringelnatz, E. A. Poe) (s. Beleg 1968; -> Parodie), gelegentlich im musikalischen Bereich (s. Beleg 1997) und übertragen verwendet (s. Belege 1947, 2004; —»· Farce b); in Wendungen wie Grotesken schreiben, der ganze Vorgang war eine Groteske und als Bestimmungswort in Zss. wie Groteskenautor, -band, -Sammlung, -stil, -Schreiber und (eventuell auch als Zss. mit dem Adj. grotesk aufzufassen) Groteskgedicht, -krimi, -manier, -pathos, -prosa, -roman, -song, -stück, -film 'Lustspielfilm mit oft völlig sinnloser Situationskomik' (vgl. Slapstick), sowie als Grundwort in (auch übertragen verwendetem) Justiz-, Kriminal-, Polit-, Provinzgroteske. Dazu seit Anfang 20. Jh. die okkasionellen subst. Ableitungen Groteskheit F. 'Wunderlichkeit, Seltsamkeit einer Sache oder Situation' und gleichbed. Groteskerie F., die adj. Ableitung groteskartig und v. a. die adv. Ableitung groteskerweise 'durch einen seltsamen Umstand, in einer wunderlichen, absonderlichen, fantastischen, absurden Weise'. Daneben Grotesk F. (-; ohne Pl.) als Bezeichnung für eine gleichmäßig starke Antiquaschrift ohne Serifen (vgl. Antiqua, —* antik; —* Fraktur) bzw. eine Gruppe von Schriften mit sehr einfach geformten Schriftzeichen, meist in den Zss. Groteskbuchstaben, -Schriften 'im ersten Drittel des 19. Jhs. entstandene Antiquablockschriften (vgl. Gill-Grotesk, Futura, Univers) mit gleichmäßig starker Strichführung und ohne Serifen' (deshalb auch Linear-Antiqua-Schriften genannt). grotesk: Fischart 1571 Anschreiben A4a die Zimmerleut ein Holzachszt oder Richtscheit/ als Gewerkzeug haben/ die Bader Schrepfkörnlin, die Schnitzer und Stainmetzen petrame Grotteschische Vögel; ders. 1575 Geschichtklitterung 17 grubengrotteschische Krug (WEIGAND); 1721 -22 Chronik d. Ges. d. Mahler 41 Hoffmannswaldau ist der erste gewesen, der die falschen Imaginarions-Spiele, und die ungemeßenen, unvollkommenen, und ohne Ende zurückkommende metaphoren von einigen grotesquen Italiänern angenohmmen hat; Rohr 1728 Zeremoniell-^/iss. l 524 die Wände wurden mit Täfelwerck, welches mit allerhand grotesquen Zügen, theils mit Oehl-Farbe, meistentheils aber mit Wasser-Farbe überstrichen; Bodmer 1746 Mahler I 147 Ein groteskes und ungeheures Conterfeit, welches kein Original in der Natur hat!; Schönaich 1754 Ästhetik 334 das Ungeheure und die Scheußlichkeit der grotesken Stücke; Möser 1761 Harlequin IX 94 Ich gerathe in eine Art von Entzückung, wenn ich die Harmonie meiner grotesken Schöpfung betrachte; Lessing 1767 Dramaturgie I (S. Sehr. IX 258) Ich empfehle die Ab-
handlung des Herrn Möser über das Groteske-Komische, allen meinen Lesern; Hirschfeld 1779 Gartenkunst H 162 Das Fenster gegen das Wasser hat mit sonderbaren grotesken Figuren vermalte Fensterscheiben; 1786 Journal d. Moden l 396 Arabesken sind eigentlich Schnörkel von Laubwerk von zwar unnatürlicher aber phantasiereicher Composition. Man nahm diese grotesken Verzierungen von den Arabern; Sulzer 1792 Theorie H 449 Vom grotesken Tanz wird anderswo gesprochen; Moritz 1793 Reisen in Italien III 232 [Grotesk wurde] nachher zu einem allgemeinen Kunstwort, das auch zu einer besonderen Unterscheidung des komischen dienen mußte, das man nun da, wo es ins Possirliche und Phantastische fällt, das GroteskKomische nennt; Matthisson 1795 Italien 246 man möge nun den Blick auf die plumpen Sandsteinurnen und grotesken Leichensteine der nordischen Stadt- und Landkirchhöfe werfen; Schütze 1800 Handwh. f. Schauspieler 80 Grotesk . . abentheuerlich, seltsam, Grillenwerk, groteskkomisch, plattkomisch. Wer in solchen Oper- oder Lustspielsrollen gefallen will, muß sein Gesicht nicht
grotesk mahlen oder pinseln, nicht Mienen, sondern Grimassen und Gesichter schneiden; Matthisson 1808 Wallfahrt VI 285 Die geschmackvolle und einfachedle Verzierung der Zimmer des Kaisers und der Kaiserin macht einen angenehmen Abstich gegen die schwerfälligen, bisarren [!] und nicht selten grotesken Ueberladungen der altköniglichen Pracht; Lady Morgan 1821 Frankreich (Übers.) I 265 Hotels, Gärten und blühende Terrassen, vermischt mit den groteskesten und malerischsten Gebäuden; Pückler-Muskau 1834 Landschaftsgärtnerei 142b einige beim Graben gefundene groteske Steinbildungen; Goldmann 1839 Pentarchie 127 der groteske Feldzug gegen Kabul; Kohl 1842 Böhmen 46 An einem großen Wirthshause . . sieht man in grotesken Wandgemälden die Portraits der ersten 6 unter ihnen [Herzöge]; Nordau 1881 Kreml H 40 Straßensänger . ., welche . . die drolligsten Lieder sangen und dazu groteske Sprünge vollführten; 1887 Salon l 347 Lisbonne, Besitzer der grotesken „Kneipe zum Bagno" in Paris, in welcher die Kellner in der Tracht von Galeerensträflingen mit der traditionellen Kugel am Beine figuriren; Kerr 1896 Br. a. d. Reichshauptstadt 189 Er schreit, emphatisch gestikulierend, die Stimme zu höchster Höhe emporgeschraubt, und was er auch sprechen mag, er gewährt das Bild eines grotesk fanatischen Wanderredners. Bei jeder Gelegenheit springt er auf die Bank . . in dieser Kunst des Hochhüpfens wird er nur von einer französischen Delegiertin übertroffen; Polenz 1899 Wald 52 der Holzschlag mit seinem grotesken Durcheinander übereinandergestürzter Stämme; 1911 Grenzbote IV 403 Da gibt es genug häßliche Wesen und solche, bei denen sich durch das, was sie sind und das, was sie scheinen wollen, ein grotesker Kontrast ergibt; Corti 1927 Rothschild 412 das in groteskem Deutsch abgefaßte Memoire des Frankfurter Rothschild; Schmilz 1928 Essays 89 die Fürstin Metternich konnte in ihren späteren Jahren sogar grotesk häßlich aussehen; Greinz 1930 Golgatha 20 Bellte heiser und asthmatisch und führte trotz seiner körperlichen Schwerfälligkeit einen grotesken Freudentanz auf; Kesten 1952 Casanova 27 Er [Casanova] hat nur hämische oder groteske Anekdoten über seine Familie zu berichten; 1961 Häresien 428 daß gerade der Versuch, die Hybris der radikalen Rationalität zu verwirklichen, nicht etwa zur Selbstherrlichkeit des Menschen gelangt ist, sondern in einem grotesken Umschlag zu deren Gegenteil: zur Minderung des Menschlichen; Kayser 1961 Das Groteske, seine Gestaltung in Dichtung und Malerei (Titel); Offenburger Tagebl. 27. 1.1970 Für seinen grotesk-makabren neuzeitlichen Totentanz hat sich lonescu . . der Tagebuchaufzeichnungen Daniel Defoes aus den Tagen der Pest in London im Jahre 1665 bedient; Zeit 11.1.1985 der Ausnah-
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mezustand des Krieges zeigt sich hier vor allem in seinen pittoresken und grotesken Brechungen; Berl. Ztg. 9. 5. 2003 der ohnehin groteske, schwer zu durchschauende Tarifwirrwarr im Öffentlichen Dienst Berlins. Grotesk: Petri 1879 Fremdwb. 381 Grotesque, eine Schriftgattung; Klenz 1900 Dtsch. Druckerspr. 49 Grotesque . . Steinschrift, eine von der Egyptienne . . abstammende Schrift, die aber an Kopf und Fuß der Buchstaben keine übertretenden Teile hat; Pekrun 1933 D. dtsch. Wort 407 Grotesk . . (Buchdrw.) eine Schriftgattung; Graudenz/Pappritz 1956 Etikette neu 312 Als Schrifttypen wird man für die Geschäftskarte eine klare, deutlich lesbare, unkomplizierte Blockschrift wählen (eine Grotesk), deren Typen in Größe und Weite der Bedeutung der einzelnen Zeilen entsprechend gesetzt werden. (DWDS); Reimann 1970 Schriftatlas 2 Die Grotesk l ist wie ihre Nebenformen ein Kind des technischen Zeitalters, entstanden um die Mitte des 19. Jahrhunderts; Mannh. Morgen 16.1. 1989 Der Stadtname ist in fetter Groteskschrift gedruckt; taz 5. 3. 1994 Ein Wermutstropfen trübt allerdings die schnörkellose Erscheinung der neuen Schrift, obwohl nomen hier nicht omen sein soll: „Grotesk" ist ihr Name; ebd. 4. 2. 2003 Dort legte er mit einer neuen Art der Sachfotografie und neuer Groteskschrift den Grundstein für die heute legendäre „Schweizer Industriegrafik". groteskartig: Presse 5. 12. 1998 Von aller „Porträtiererei" (samt „Schönmalerei" mit Hilfe der Photographic) weit entfernt, wird eine Physiognomie ins Fratzen-, Grimassen-, Wahn-, Groteskartige oder Verstellte, Verhüllte, in ein „Gesichtstheater" also übergeführt. Groteske: Rivius 1548 Vitruv. 231 b mag das gemehl so die Italianischen Mahler Grotescas nennen/ für kein gemehl geachtet werden; Jamnitzer 1610 Neüw Grotessken-Buch (Titel); um 1650 Inventarium (Reber, Maximilian I. 39) das Früess [Fries] mit Grotesche geschnizlet; Sturm 1714 Anw. (Architektur) Gb mit . . gemahlten Grotesquen und ändern [!] Mahl-Werck gezieret; Trichter 1742 Ritterlex. 2188 Grotesque-Täntze stellen allerhand seltsame verkleidete Personen mit ihrn wunderlichen Trachten, Stellungen und Bewegungen dar; Schönaich 1754 Ästhetik 126 Ein Dichter muß sich selbst als einen Grotesken- und Fratzenmaler ansehen, der seine Werke verderben würde, wenn er der Natur nachahmte, und die Gleichförmigkeit des Risses beobachtete; 1770 D. Bibl. (Klotz) }V 45 Grotesque sind ganz seltsame ausser der Natur findbare Malereyen, oder vielmehr
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grotesk
Werke einer schwelgenden Einbildungskraft; Matthisson 1786 Rheinfahrt U 64 eine solche Menge der abscheulichsten Fratzen, Grotesken und Karikaturen; Sulzer 1794 Theorie II 448 Groteske (Überschr.) So nennt man eine besondere und seltsame phantastische Gattung der mahlerischen Verzierungen gewisser Zimmer; ebd. IV 681 ueber den Gebrauch der Grotesken und Arabesken; Schütze 1800 Handwb. f. Schauspieler 101 Auch der eigentliche Schauplatz, die Logen und Galleriebrüstungen . . fordern ihre eigne Mahlereien; man verziert diese leicht und gut mit Attributen der Künste, Büsten von Dichtern, Masken, Arabesken, Grotesken, Gnomen; Meyer 1817 Sehr. 109 Darstellungen einer neuen wundersamen Art; ihrem äußern Ansehn nach dem Fach der sogenannten Grotesken verwandt; Hailbronner 1837 Cartoons 1135 Grotesk-Reiter machten die halsbrechendsten Sachen mit der größten Sicherheit; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 58 Die Ausgrabung einiger Wohnhäuser oder Palasträume des Alterthums, damals bei ihrem ersten Auffinden aus der Nacht des Grabes „Grotten" genannt, woher diese ganze Art des Ornaments den Namen der „Grotesken" erhielt; Burkhardt 1867 Gesch. d. Renaissance (Ausg. 1904) 366 Der Name Grottesken, durch spätem Verfall der Gattung zu einer schiefen Bedeutung herabgekommen, bezeichnete damals die von den antiken Grotten abgeleitete Dekoration; Palm 1881 Br. 85 Außer einem ersten Tänzer, einem Grotesktänzer und drei Pantomimisten zählte man damals noch sechs männliche Tänzer; Schmarsow 1905 Grundbegr. 318 Es ist der nämliche „Grotteskenstil", der in den zahlreichen Publikationen über Pompeji fast allein vertreten ist; Gothein 1914 Gartenkunst l 278 entzückende Grotesken von buntem Mosaik an den Treppenwangen; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 565) der Gegensatz von impressionistischer und expressionistischer Kunst ist der von Realismus und Groteske; Berl. Tagebl. 13. 3. 1932 In Amerika scheint das gesprochene Wort den Groteskstil der Stummfilmzeit zu sprengen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 270) das München der späten Regentschaft, nur vier Jahre noch vom Kriege entfernt, dessen Folgen seine Gemütlichkeit in Gemütskrankheit verwandeln und eine trübe Groteske nach der anderen darin zeitigen sollten; Süddtsch. Ztg. 18. 7. 1957 nette Blödeleien aus dem Groteskkabinett des Stummfilmklamauks; Welt 14. 10. 1964 glücklicherweise mangelt es dem Stück nicht an komischen und burlesken Zügen, wie ja die ganze Situation im Grunde eine Groteske aus dem historischen Theaterfundus ist; Süddtsch. Ztg. 25.5. 1968 Deutschland [hat] einen neuen Groteskenschreiber; Zeit 11.1. 1985 das ehemalige „Theatre du Grand Guignol" am Montmartre in Paris — ein
Theater, das auf Grotesken und Horrorstücke spezialisiert war; taz 3. 2. 1990 gerade die Provinz kann für sich in Anspruch nehmen, die senile Politgroteske in den Farben der DDR nicht länger ertragen zu haben; ebd. 30. 8. 1990 Der de Sadesche Mummenschanz schwankt unentschlossen zwischen Klamauk, Groteske und anspruchsvoller Literaturanalyse; Züricher Tagesanz 8. 3. 1997 Kurt Sanderling weiss extreme Bögen zu spannen, und er wagt es, zu den enervierenden Klangflächen zu stehen. Den bösartig-zynischen Groteskmärschen der Sätze 2 und 3 folgt die gespenstische Melancholie des Largo; Süddtsch. Ztg. 4J5. 9. 2004 Es ist ein absurdes Theater, eine Groteske, die zeigt, wie seltsam Gesundheitspolitik manchmal sein kann; Röcke/Veiten (Hrsg.) 2005 Lachgemeinschaften 308 Nach dem merkwürdigen Groteskstück zu urteilen, das am Kopf des Blattes [Druckgrafik] steht, handelt es sich um eine deutsche Gravierung vom Ende des 16. Jahrhunderts. Das zentrale Motiv . . zeigt . . einen Mönch und eine Nonne, die auf einem großen Eierkorb sitzen, in dem winzige Mönche und Nonnen ausgebrütet werden. Groteskerie: 1928 Handb. d. Englandkunde I 228 mit einer Technik, die lauter Eckigkeit, Groteskerie, Laune, Abgebrochenheit und Isoliertheit ist; Kayser 1961 Das Groteske 85 So überwiegt auch in der Groteskerie der Rue Morgan das Entsetzliche des Verbrechens; 1995 FAZ o. Nr. Das war überhaupt keine Dichtung, hielt man ihm vor. Ja, aber was war es denn? Gedankengespinste, Monstrositäten, Groteskerien. groteskerweise: Just 1926 Franz von Lassaulx 71 es ist mehr als ein Zufall, daß die groteskerweise zum Urlied aller Revolutionen gewordene Marseillaise des jungen Royalisten Rouget de l'Isle am Rhein entstand und daß ihre Melodie von einem Schüler Haydns herrührt; Wagemann 1940 Geld 60 Man hatte groteskerweise versucht, den Panzerturm wie eine Windmühle durch Segelsetzung zu bewegen und zu richten; Süddtsch. Ztg. 4. 6. 1951 Man . . empfindet das auf den Konferenztischen anwachsende Papier und den Umstand, daß die Tische überhaupt noch besetzt sind, geradezu als ein Unterpfand des Friedens, das einzige, das wir groteskerweise besitzen; Mannh. Morgen 24. 6. 1985 die Staatsmacht nähert sich — groteskerweise in einer waffenstarrenden Welt - dem Zustand der Hilflosigkeit; taz 9. 3.1994 Werden im Streit um den geplanten Abriß des Palastes der Republik groteskerweise die Asbestfachleute zu Rettern des ungeliebten Hauses?; ebd. 13. 9. 2002 als die Taliban das Waffenlager des Forts eroberten, das sich gro-
Grotte teskerweise in demselben Areal befand, in dem sie gefangen gehalten wurden. Groteskheit: 1903 Preuss. Jahrbücher CX/// 167 Groteskheit des Grossmagyarenthums; Gothein 1914 Gartenkunst H 222 eigenartig bis zur Groteskheit war die hintere Ausgestaltung [des Schlossgeländes]; Hauser 1953 Sozialgesch. d. Kunst u. Lit. 486 Wohl war sich schon der Impressionismus der Krisenhaftigkeit der modernen ästhetischen Kultur bewußt, die Groteskheit und die Verlogenheit dieser Kultur betont aber erst die nachimpressionistische Kunst; Ternes 1975 Das
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Groteske in den Werken Thomas Manns 58 Der Erzähler ist sich der „Groteskheit dieser Situation vollkommen bewußt", anstatt die Schilderung selbst wirken zu lassen, erklärt er dem Leser, daß er Grotesken vor sich habe; Vorarlb. Nachr. 29. 2. 2000 gepflegt-morbide Abendunterhaltung, sehr ansprechend verpackt in die suggestiven Bühnenbilder von Bernd-Dieter Müller und gespielt von Schauspielern, deren Reserven an bösartiger Schwachsinnigkeit und verfaulender Groteskheit begrenzt sind; Berl. Ztg. 16. 4. 2002 die turbulenteste, die groteskeste, bunteste, virtuoseste Szene des Abends, der in der Regie von Klaus Erforth auf Turbulenz und Groteskheit setzte.
Grotte F. (-; -n), seit spätem 15. Jh. vereinzelt, seit Anfang 17. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus gleichbed. ital. grotta (über vulgärlat. *crupta, mlat. grupta 'Kreuzgang, Korridor; unterirdisches Gewölbe, Gruft' zurückgehend auf lat. crypta 'gedeckter Gang, (unterirdisches) Gewölbe, Gruft', zurückgehend auf griech. 'gedeckter Gang; unterirdische Grabanlage in einem Gewölbe'; —* Krypta; vgl. dtsch. Grube, Gruft; —> grotesk), anfangs und bis ins späte 17. Jh. häufig in der ital. Form. Zunächst selten in der Bed. '(im Altertum oft Gottheiten oder Nymphen geweihte) natürliche, häufig mit Wasser gefüllte (unterirdische) gewölbeartige Felsenhöhle', z. B. auf eine unterirdische Grotte stoßen, eine natürliche Grotte am Fuß des Berges, seit frühem 17. Jh. im Zusammenhang mit der Gartenarchitektur der Renaissance und des Barock häufiger für 'künstlich angelegte, mit Wasserkünsten versehene, mit Muscheln, Versteinerungen usw. ausgestaltete und verzierte, malerische Höhle von meist geringer Tiefe in einem Felsen, einer Fels- oder Bergwand oder als Teil eines größeren Gebäudes (Schloss, Lusthaus)' (s. Belege 1611, 1620, 1684, 1696, 1727, 1792, 1836), in Wendungen wie eine Grotte aus grauem, in den Fels gehauenen Gestein, eine Grotte künstlich anlegen; als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Stein-, Marmor-, Felsen-, Lava-, Muschel-, Tropfstein-, (Unter-)Wasser-, Feen-, Neptunsgrotte; Grottenmolch/-olm, -bau, -meister, -dekoration, -grab, -kirche, -saal, -maierei, -stein, -Verzierung, -werk 'Muscheln, Korallen, Steine, Schneckenschalen usw., womit die Oberfläche der Felswand in künstlichen Grotten verkleidet wird', -madonna, -eingang, gelegentlich vergleichend und bildlich verwendet (s. Belege 1645, 1689, 1802). Dazu seit spätem 18. Jh. die adj. Ableitung grottenartig 'in Art und Weise einer Grotte'. Seit frühem 18. Jh. die seltene, (aus frz. grottier übernommene) veraltete Berufsbezeichnung Grottierer M. (-s; -) 'Grottenaufseher, -bauer'. Grotte: Rieter 1479 Reisebuch 103 unterhalb des clusters im gartten ist ein grotta im vels; Tucher 1497 Reisen g4u ist ein enge grotte oder holen unter der erden im veils (WIS); Ernstinger 1579— 1610 Kaisbuch 80 Der garten ist in zway thail abgethailt, in dem herobern sein etliche statuae von marmlstain und zway grottae, die erst del orso genent, nicht sonderbares von Wasserkünsten habent,
die ander, del gigante, ist statlich, darinn allerlay vögl auf bäumen sizent gemacht, so singen; Lichtenstein 1589 Reisen 15 eine Grotte oder Gruben, in welche man Hunde mit einer langen Stangen neinzustosen pflegt; Kiechel um 1600 Reisen 279 aldo wurde unns ein grotta unter der erden gewüsen; Hainhofer 1611 Er. 133 vber die dissigni der Lustheuser vnd grotten habe Ich meldt; Neumayr
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Grotte
v. Ramssla 1620 Reise in Frankr. 211 kömpt man zu einer Grotta, ist ein Häusslein, fornher vnd auff beyden Seiten meistlich offen, mit grossen eisenen Gittern dafür; Furttenbach 1628 Architect, civ. 36 also hat der Grottenmaister (wann er änderst dieser Description mit fleiß nachfolgt) am wolgerathen destoweniger zu zweifflen; Birken 1645 Forts, d. Pegnitz-Schäf. 89 Morpheus die grotte meiner äugen quittiret (DWB); Zesen 1645 Adriat. Rosemund 269 Grotte, lust-höhle; Lassenius 1661 Tischreden 2 die herrliche Grotte; Elßholtz 1684 Garten-Baw 12 Von Lust-Gebäwen. Diese sind: Lust-Häuser/ Grotten/ Spring-Brunnen . . (Überschr.); Abr. a S. Clara 1689 Judas U 377 ja das gantze Angesicht, wie ein Grotta, in dero Mitte, anstatt der Wasser-Kunst, die trieffende Nasen; Goldmann 1696 Anw. Civil-Baukunst 154 Von den Kunst-Hölen oder Grotten; Decker 1711 Baumeister l Grosser Fürsten und Herren Palläste, mit ihren Höfen, Lust-Häusern, Gärten, Grotten; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 266 Grotten/ sind dunckle Holen in Lust-Gärten, welche mit Fontainen und Cascaden, ingleichen die Wände mit Muscheln, Steinen und Corallen ausgezieret sind; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 11 87 Bey den Grotten sind schöne Cascaden, welche das Wasser in die Bassins werfen; Leisewitz 1780 Tagebücher H 20 Ruinen und eine Grotte; Schiller 1781 Räuber (S. W. / 426) Echo der Grotten und Felsen; 1787 Dtsch. Museum I 39 eine kleine Reihe von Zimmern; wegen des Bades, das Appartement der Grotte genannt; Musäus 1787—88 Volksmärchen U 30 entweder hatten die wässerichten Dünste aus der Felsengrotte die Glut verschlungen, oder Frau Pathe hatte vermöge der Antipathie der Najaden gegen das Element des Feuers ihren natürlichen Feind besiegt; Sulzer 1792 Theorie II 450 Grotte (Baukunst). Gebäude, die in Gärten angebracht werden, und die aus Nachahmung natürlicher Holen . . entstanden sind; Gotter 1802 Nachlass 326 Die kleine, liebe, lose Lotte,/ Naht sich der Zeit in vollem Trotte,/ Wo, ihrem Klosterhang zum Spotte,/ Sich ihres Herzens Felsengrotte/ Eröffnen wird dem Liebesgotte; Lewald 1836 Aquarelle I 256 mit Grotten, Nymphen, Attrappen, Wasserkünsten; Gutzkow 1838 Blasedow III 93 Die Eremitage, auch die Grotte der Liebenden genannt; Freytag 1846 Valentine I 190 Die Grotte wird wenig besucht und schützt vor Regen und Beobachtung; Max v. Mex. 1852 Leben III 43 die von Schlingpflanzen umgrünte Grotte der Heiligen; Gregorovius 1854 Wanderfahre l 149 Nun gähnt die ganze Küste geisterhaft aus Grotten und Hallen alter Bäder und Villen; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 339 Alle Rampen, Balustraden, kunstvoll gemauerte Bassins und Marmorgrotten; Proelß 1891 Modelle 70 da sie den Eingang zur
Grotte als kühne Schwimmerin verteidigt hatte; Gothein 1914 Gartenkunst l 250 der Tuffstein [tritt] als Nischenverkleidung auf, dem in der Folge eine so unbestrittene Herrschaft in der Grottendekoration der Gärten zufallen sollte; Willner 1917 Höhlenkunde 8 Die Bezeichnung „Grotte" wird von manchen nur auf seichte Hohlräume mit weiter Öffnung, von anderen bloss auf Höhlen, die kein fliessendes Wasser enthalten, angewendet; Dombrowski 1920 System III 228 [Park, der] durch den Mund sprühender Wasserspiele, lauschiger Grotten . . von der großen . . Vergangenheit Polens erzählt; 1932 Potsdamer Fremdenztg, H. 17 In den Saalfelder Feengrotten, den einzigartigen farbigen Tropfsteinhöhlen, ist eine Heilstätte im Entstehen begriffen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 589) zu den sanften Höhen, auf denen, um Seen und Teiche herum, über Hügel hin, in Grotten und auf lichten Halden die berühmten Anlagen sich ausbreiten; Böschenstein 1967 Idylle o. S. die Grotten und Lauben der von Faust evozierten Felslandschaft; Mannh. Morgen 22. 8. 1987 Park von Hellbrunn . ., wo man in anmutigen Grotten steinerne Göttergestalten trifft; ebd. 7. 8. 2002 Wind und Wasser haben Klippen, bizarre Türme, zahllose Felsbögen, Höhlen und Grotten geformt. grottenartig: Hirschfeld 1779 Gartenkunst 162 Cascade, die . . über einen rauhen grottenartigen Bogen von Felsen . . stürzt; Goethe vor 1832 Gespr. mit Eckermann V 54 [die bäume] bilden hier einen halbkreis, den innern räum grottenartig überwölbend (DWB); Ritter/ldeler 1848 D. Erdkunde im Verhältniss z. Natur u. z. Gesch. 215 einem Granitfelsen, der das enge . . Tal zuschließt und an dessen Fuße einen kleinen Teich mit schönem Grün an seinen Ufern bildet, der von Bäumen überschattet ist und mit den zusammenstoßenden Felsen, grottenartig umgeben, einen schattigen, kühlen und in diesem Ländergebiete seltnen höchst romantischen Ruheort darbietet; Schönermark-Stüber 1902—04 Hochbau-Lexikon 486 die groteske bedeutet eine Zusammenstellung von grottenartigen . . Schmuckstücken zu einem . . wunderlichen ganzen (DWB); Ebner-Eschenbach 1903 Agave (Ges. W. I 352) Die Komposition war reicher als die seiner früheren Gemälde. Eine dichte Menge umdrängte einen kristallklaren, grottenartig überwölbten Wasserspiegel (DiBi 125); Gothein 1914 Gartenkunst l 79 dann wächst der durchbrochene grottenartige Sockel mit malerischer Kraft aus der grünen Bepflanzung heraus; Salzb. Nachr 27. 11. 1993 Ein paar Kilometer landeinwärts befindet sich in einer kühlen grottenartigen Landschaft ein recht beeindruckender Wasserfall; Zeit 6.8.1998 Nur wenige Lichter beleuchten die Häuser am Hafen, und die vermitteln in der Dunkelheit einen düsteren, grot-
Gruppe tenartigen Eindruck; taz 13.6.2002 in meinem grottenartigen Kreuzherger Zimmer zum Hinterhof. Grottierer: Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 69 haben noch einige andere geringere Subalternen die Inspection über gewisse Plätze, Gemächer und Behältnisse, als . . die Hof-Gärtner über die Fürstlichen Gärten und Orengericn [!], die Hof-Grotiers über die Fürstlichen Grotten und Cascaden; Oertel
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1831 Fremdwb. 375 Grottier . . Grottenaufseher; Nagler 1835 Neues allg. Künstler-Lexicon 256 Baratta, Johann und dessen Bruder Franz, lebten zu Berlin als Maler und Grottierer; Nagler 1849 Neues allg. Künstler-Lexicon IX 459 Als eigene Erfindung nennen wir die Facade der bizarren Grotte des Buontalenti in Boboli, wo Architekt und Grottirer sich in Sonderbarkeiten gefielen; Wiike 1930 Erinn. 190 es gab Handwerker, die nur Grotten anlegten und die daher die „Grottierer" hicssen.
Gruppe F. (-; -n), im späteren 16. Jh. vereinzelt, seit frühem 17. Jh. kontinuierlich bezeugt, unter Genuswechsel (analog zu Truppe) entlehnt aus frz. group(p)e M. 'aus mehreren Figuren bestehendes Kunstwerk; Anzahl von Personen oder Gegenständen', das seinerseits auf ital. gruppo in seiner Bed. 'ein Ganzes bildende Ansammlung, Schar, Vereinigung von mehreren Personen oder Gegenständen', groppo 'Block, Klumpen; Knoten, Verwicklung' zurückgeht (eventuell zurückgehend auf german. *kruppa, vgl. niederdtsch. krop, 'zusammengedrängte runde Masse; Klumpen', vgl. dtsch. Kröpf (PFEIFER), oder auf galloroman. '"croppare, "'corepare 'verknüpfen', aus lat. co- 'mit-' und westfränk. *rep 'Seil' (KLUGE/MITZKA)); bis ins spätere 18. Jh. daneben frz. und ital. beeinflusste Formen wie groupe, groppo, grup(p)o, bis Mitte 18. Jh. noch Grupp mit schwankendem Genus (analog zu Trupp), vereinzelt als Diminutiv Grüppchen. l Zunächst im konkreten Sinne im Zusammenhang mit visueller, seltener akustischer (s. Ib) Wahrnehmung einer räumlichen Nähe und situativen (An-)Ordnung: a In der Bed. 'durch ihre räumliche Anordnung innerhalb der Gesamtansicht ihrer Umgebung und in ihrer Wirkung auf den Betrachter als zusammengehörend wahrgenommene, einen zusammengehörigen Eindruck vermittelnde kleinere Anzahl, Anhäufung, (zufälliges, aktuell, ad hoc zustande gekommenes) Neben-/Beieinander, Gesamtheit von zu einer (als gegliedert/systematisch) zusammengehörenden Einheit gebündelten (gleichartigen oder als gleichartig angesehenen) künstlichen oder natürlichen Gegenständen (Pflanzen, Steine o. ä.), (statische oder bewegte) Menge' (—* Arrangement, —> Ensemble, vgl. Cluster, Konglomerat, Konstellation), entweder im deskriptiven Sinne als Ausdruck bloßer Häufung oder (in Anlehnung an Ib) verknüpft mit der Vorstellung des optisch Angenehmen und dabei konnotiert mit „malerisch; ruhend, bildartig", z. B. die drei Tannen bildeten eine Gruppe im Schnee, regungslos ragte eine Gruppe Kastanienbäume in die Höhe, wir näherten uns einer bizarren Gruppe von Granitblöcken, eine kleine Gruppe von Gebäuden am Ufer; als Grundwort mit der Bed. 'Bei-/Nebeneinanderstehen; Aneinanderreihung, Reihe, Kette' in Zss. wie Häuser-, Möbel-, Sessel-/Sitz-, Zahngruppe, (mit geographischen Namen und Entitäten:) Alpen-, Berg-, Fels-, Himalaja-, Insel-, Korallen-, Milchstraßengruppe, (in Verbindung mit Baum- und Pflanzennamen:) Baum-, Buchen-, Tannen-, Ulmen-, Zypressengruppe, (übertragen auf Schriftzeichen und Sprachmittel:) Buchstaben-, Genitiv-, Pronominal-, Zahlen-, Zeilengruppe, und als Bestimmungswort mit der Bed. 'reihenweise (angeordnet, erfolgend); Reihen-' in Zss. wie Gruppenanbau, -befestigung, -berg/-gebirge, -bestattung, -dorf/-siedlung 'Siedlung mehrerer Gemeinschaften in Häusern oder Gehöften', -haus, -pflanzung.
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Gruppe
b Seit frühem 17. Jh., bis ins frühere 18. Jh. auch in frz. oder ital. (beeinflussten) Formen, für die ästhetisch-künstlerische Realisation des in l a Beschriebenen in der Bed. 'harmonisch gegliederte Komposition, ästhetisch gewollte Zusammenstellung/ Anordnung mehrerer einzelner, eigenständiger Elemente, Objekte, Figuren o. Ä. zu einem in sich geschlossenen Ganzen (das sich in einigem Abstand zu anderen Elementen(-gruppen) der Darstellung befindet), einem eigenständigen Kunstwerk oder Teil eines solchen', zunächst (unter ital. Einfluss) und bis in die jüngste Zeit im musiktheoretischen Zusammenhang für 'Verbindung, Reihung mehrerer Töne oder (Ton-)Figuren' (s. Belege 1619, 1999; —> Komposition), z.B. Gruppen und Akzente der Stimmen im Konzert; Perioden-, Thema-, Tongruppe und (als Übernahme des mathematischen Gruppenbegriffs in die Musik:) Gruppenkomposition 'von K. Stockhausen entwickeltes Verfahren der nach Zahlen- oder Proportionsreihen prädeterminierte Tongruppen (statt Einzeltöne) verwendenden seriellen Musik'; seit Anfang 18. Jh. v. a. als Fachwort der Bildenden Kunst, Malerei, Bildhauerei, Architektur, Fotografie o. Ä. (ältere Bezeichnungen wie Klumpen verdrängend) in der Bed. '(Abbildung einer) Ansammlung von menschlichen (oder mythologischen) Figuren oder Gegenständen, die in ästhetischer Absicht in/auf/zu einem Kunstwerk (an-) geordnet und miteinander zu einem kohärenten Ensemble, einem effekt- und stilvollen Gesamteindruck in Beziehung gesetzt werden' (—»· Disposition, vgl. Kollage, Konzeption, Stillleben), z.B. angenehme, erhabene, gefällige, schöne Gruppe, im Hintergrund war eine Gruppe von drei Figuren dargestellt, die unnachahmliche Gruppe des Laokoon, die Gruppe von Kastor und Pollux, selten auch im Bereich von Literatur und Dichtung (s. Belege 1798, vor 1802), z. B. wie im epischen Gedicht die Gruppen wechseln; als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Gruppenaufnahme/-bild(-nis)/-foto/-portrait 'Darstellung mehrerer (aus familiären, beruflichen o. ä. Gründen) zusammengehöriger Menschen', -komposition, -plastik/-skulptur; Bild(-er)-, Dreifaltigkeits-, Engel-, Madonnen-, Marmor-, Motiv-, Schnitz(-er)-, Zeichner-/Zeichnungsgruppe und vereinzelt ausgedehnt auf Theater und Schauspiel 'effektvolle szenische Anordnung von Bühnenfiguren; Darstellung eines Vorganges durch Menschen (auf dem Theater), lebendes Bild' (s. Beleg 2001; vgl. Szene, Szenerie, Tableau), bes. in Zss. wie Gruppenpose, -szene, -tableau. 2 Seit spätem 18. Jh. als Struktur- und Klassifikationsbegriff zur Bezeichnung einer nach gemeinsamen, inhaltlich-qualitativen Merkmalen vorgenommenen, klassifizierenden Unterteilung typologisch ähnlicher Gegenstände: a In verschiedenen Fachbereichen und Nomenklaturen (Terminus) zur taxonomischen Bezeichnung für eine Mehr-/Vielheit von ähnlichen oder gleichartigen, habituell aufeinander bezogenen naturwissenschaftlichen Gegenständen und Phänomenen (als Teil eines umfassenden, übergeordneten, größeren Ganzen), die in einem von gemeinsamen (charakteristischen, phänotypischen, ontologischen o. ä.) Merkmalen, Funktionen, Wirkungen bestimmten Zusammenhang stehen und dementsprechend typologisiert und kategorisiert werden (vgl. Klasse, Kategorie, Typus), speziell in der Biologie, heute weitgehend durch Synonyme wie Art, Gattung, Stamm, Familie verdrängt, in der Bed. 'Reihe mehrerer Tier- oder Pflanzenarten, die nach definierten Ordnungskriterien (morphologischen, genetischen Gesichtspunkten) zusammengehören, durch gemeinsame Merkmale verknüpft sind; Gattung' (s. Belege 1822, 1840—46, 1864—69, 1924.2; —* Familie, —>· Spezies), z.B. die Gruppe einheimischer Vögel, Alpakas gehören zur Gruppe der Kleinkamele, die Sukkulenten bilden eine
Gruppe
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Gruppe unter den Pflanzen; Arten-, Bakterien-, Eichhörnchen-, Reptilien-, Seelöwen-, Wirbeltiergruppe; Gruppenmerkmal, -paar, -pflanze, -stufe, in der Chemie 'Elemente mit gleicher Anzahl von Valenzelektronen und (daher) ähnlichen chemischen Eigenschaften' (s. Belege 1920.1, 1920.2), auch in der Mineralogie und Pharmazie (von bestimmten Zusammensetzungen chemischer Verbindungen und Medikamente o.Ä.) (s. Belege 1843, 1877, 1888, 1924.1, 1967), z.B. die Gruppe SO4, funktionelle Gruppe; Aluminium-, Atom-, Carbonyl-, Chemiekalien-, Edelmetall-, Eisen-, Eiweiß-/Protein-, Gummi-, Halbleiter-, Hydrocortison-, Komponenten-, Kunststoff-, Methyl-, Molekül-, Nitro-, Östrogen-, Stammzell-, Vinylgruppe; Gruppenreagens, -potential 'Energiehaltigkeit einer Molekülgruppe', auch in (der Gruppentheorie) der Mathematik 'algebraische Struktur' (s. Beleg 1989), z.B. Ordnung (eines Elements) der Gruppe, kommutative, (un-)endliche Gruppe; Faktor-, Raum-, Unter-, Zahlengruppe; Gruppentheorie, -Verknüpfung, in der Medizin Blutgruppe 'Kategorie innerhalb eines taxonomischen Systems zur Typologisierung von (menschlichen) Blutsorten, das auf der individuell verschiedenen Zusammensetzung der Glykolipide/Proteine auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen beruht', sowie in Elektrotechnik und Maschinenbau 'Bestandteile technischer Anlagen, die in der Wirkung ineinandergreifen, aufeinander aufbauen, parallel/simultan funktionieren', z.B. Gruppenantrieb 'Kraftantrieb einer Maschine aus parallel geschalteten Motoren', -bremse 'Bremsanlage, die zugleich auf eine größere Anzahl von Wagen wirkt', -lampe 'aus mehreren Leuchtkörpern bestehende Lampe', -ofen, -Schaltung 'mehrere durch Schaltung verbundene Stromkreise', -zug. b Seit frühem 19. Jh. allgemeiner verwendet für '(aufgrund übereinstimmender, gleicher, gleichartiger, ähnlicher typologischer Merkmale) geordnete Zusammenstellung einer Anzahl inhaltlich verwandter, ähnlicher Gegenstände, Sachverhalte und Erzeugnisse (bes. handwerklicher, künstlerischer o. ä. Produktion); Kategorie, Bereich, Menge, Feld von einzelnen, typologisch zusammengehörenden Bestandteilen als Teile eines umfassenden, übergeordneten, größeren Ganzen' (—» Serie, —* Sorte, vgl. Sparte), z. B. die Aufgaben der Verwaltung lassen sich in drei Gruppen gliedern, Eier werden nach ihrer Qualität in Gruppen kategorisiert, die Substantivkomposita bilden eine Gruppe für sich; Gruppenbezeichnung/-name 'gemeinsame Bezeichnung/ Name gleichartiger Dinge gleicher Funktion', -definition, -fabrikation/-produktion, -index, -kategorie, -merkmal; Instrumenten-, Lebensmittel-, Sortimentgruppe, häufig mit Bezug auf die finanzielle Entlohnung von nichtselbständiger Arbeit Einkommens-/Gehalts-/Lohn-/Tarif-/Vergütungsgruppe, gelegentlich bezogen auf künstlerische Produkte, literarische Gattungen, sprachliche Phänomene (s. Belege 1853, 1894, 1905), z. B. eine ähnliche Gruppe bilden die transitiven Verben; Ableitungs-, Bildungs-, Bedeutungs-, Berufs-, Gedicht-, Namen-, Schriftengruppe; Gruppendichtung, -drama, -film und vereinzelt, v. a. in wissenschaftlich-kategorisierenden Kontexten bezogen auf (Test-)Personen (s. Beleg 2001). 3 Seit spätem 18. Jh. mit Bezug auf Menschen: a Ohne Attribuierung verwendet als Bezeichnung für eine aus mehreren Menschen bestehende (kleinere) Anzahl, Ansammlung, kleine Schar zufällig zusammengekommener, unter verschiedenen Aspekten, z. B. aufgrund vorübergehend gleicher Tätigkeiten und Umstände aktuell beieinander stehender, sitzender, miteinander gehender (s. Belege 1778, vor 1822, vor 1831, 1897) oder aufgrund gemeinsamer (Arbeits-, Lebens-)Bedingungen dauerhaft zusammengehörender Personen (s. Belege 1942.1,
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1954), sowie pleonastisch in und quasi kurz für Zss. wie Menschen-, Personengruppe, seltener mit (zusätzlichem) Bezug auf Tiere (s. Belege 1829, 1959.1), gelegentlich leicht ironisch für '(verliebtes) Pärchen' (s. Belege vor 1813, 1857), z.B. die Gruppe saß im Gras, in den Ecken hielten sich einzelne Gruppen auf und plauderten, sie kamen an einer dreiköpfigen Gruppe vorbei, sie saß als Mittelpunkt ihrer Gruppe auf dem Sofa, er gesellte sich zu der Gruppe vor dem Fabriktor, die Gruppe wanderte sonntags gerne gemeinsam, ich wandere am liebsten in der/einer Gruppe, unsere Gruppe ist allein für die Betreuung der Gäste zuständig. b Seit spätem 18. Jh. als Bezeichnung für eine nach explizit (durch Attribuierung) spezifizierten Kriterien bestimmte, definierte oder bestimm-/definierbare (kleinere) Anzahl von unter verschiedenen Aspekten, z.B. aufgrund vorübergehend gleicher Tätigkeiten und Umstände (zufällig) zusammengekommener, zusammen arbeitenden Personen (die einer gemeinsamen Tätigkeit nachgehen, ein gemeinsames Ziel verfolgen oder zueinander in ähnlichen Verhältnissen stehen), in Wendungen wie (mit Präpositionalattribut:) eine sympathische Gruppe von Mitmenschen, eine Gruppe von Mitarbeitern sprach dem Betriebsrat ihren aufrichtigen Dank aus, Gruppen zu/ von je fünf Schülern übernahmen eine gemeinsame Hausaufgabe, eine Gruppe von Arbeitern, Wanderern, Spaziergängern (mit Genitivattribut:) er gehört zur engeren Gruppe meiner Freunde, eine Gruppe lustiger junger Leute traf sich zum Kinobesuch, am Eingang stand eine kleine Gruppe Jugendlicher, eine Gruppe diskutierender Studenten, eine Gruppe Kinder, Reisender, Touristen, als Grundwort (alternierend mit -club, -kreis, -verein o. Ä.) in Zss. wie Besucher-, Diskutier-, Dreier-, Gäste-, Jäger-, Mitarbeiter-, Mitglieder-, Passagier-, Passanten-, Radfahrer-, Reiter-, Reise-, Touristen-, Wandergruppe; Bergsteiger-, Expeditionsgruppe, und als Bestimmungswort mit der Bed. c zu mehreren, Gemeinschafts-, gemeinschaftlich, gemeinsam (aus-/durchgeführt, begangen, vorgehend)' alternierend mit Gemeinschaft s-, Massen-, Sammel-, Kollektiv-, Kooperativ- (Ggs. Einzel-, Individual-} in Zss. wie Gruppenausflug, -besäufnis, -besichtigung, -besprechung, -besuch, -ermäßigung/-tarif 'niedrigerer Preis, der dadurch zustande kommt, dass er für eine größere Zahl von Teilnehmern gilt', -exkursion, -fahrt/-flug/-reise 'Reise, die von einem Reisebüro für eine Gruppe von Personen organisiert wird', -hochzeit, -infektion, -interview, -Selbstmord, -sex, -Unterkunft, -taxi, -tourismus, -transport, -Verpflegung, -Vorschlag, -Wanderung. 4 Seit der 2. Hälfte des 19. Jh. bezogen auf soziale Entitäten unter Betonung von Gemeinsamkeiten und gemeinschaftlicher Interessenbildung in verschiedenen, z. T. fachspr. präzisierten Verwendungszusammenhängen: a Als Kernwort der (volkswirtschaftlich begründeten) Soziallehre zur Bezeichnung der durch gemeinsame Eigenschaften gekennzeichneten, nicht organisierten (vgl. 4b) Form sozialer Strukturgebilde in der Bed. 'Personenkreis, Gemeinschaft, Gesellschaftsschicht, die aufgrund von Gemeinsamkeiten wie ihrer Wertorientierung, sozialer Normen und Verhaltensweisen, ihrer Anschauungen/Auffassungen, ihrer Lebensumstände/-bedingungen/-räume oder ihrer Kommunikationsweisen/-formen (von Soziologen, Politikern, Historikern, Demographen u. Ä.) als überschaubare, abgrenzbare, sozial definierte Einheit (im Unterschied zur Gesellschaft) kategoriell betrachtet/definiert wird oder werden kann' (—* Kaste, —>· Klasse, vgl. Schicht, Ethnie; Ggs. Individuum), oft synonym mit (und kurz für) Bevölkerungsgruppe, in Wendungen wie Gruppe als soziales Phänomen, die Gruppe hat die Klasse als sozialwis-
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senschaftliche Ordnungskategorie abgelöst, (oft mit Genitivattribut:) die Gruppe der Über-80-Jährigen/der Vegetarier/der Ingenieure/der Rockfans/der Schüler mit Migrationshintergrund, die Gruppe der Privatpatienten wird gegen die Gruppe der Kassenpatienten ausgespielt, Rentner und Arbeitslose bilden die am stärksten wachsende, zahlenmäßig größte Gruppe in der Bevölkerung, die Gruppe der über-50jährigen besserverdienenden Männer wählte überwiegend die CDU, ein Drittel dieser einkommensschwachen Gruppe; als Bestimmungswort in Zss. wie Gruppenangehöriger, -bewusstsein, -denken, -integration, -jargon, -mehrheit, -meinung, -mentalität, -moral, -norm, -spräche 'Sondersprache; Mundart', vgl. Soziolekt; gruppenintern, -spezifisch, -sprachlich und v. a. als Grundwort in spezifizierenden Zss. wie Altersgruppe 'Menge aller Personen eines bestimmten Alters' (—» Generation 2c), Angestellten-, Arbeitgeber-/-nehmer-, Arbeitslosen-, Beamten-, Benutzer-, Bevölkerungs-, Geschlechts-, Kunden-, Leser-, Migranten-, Raucher-, Rentner-, Risiko-, Sozial-, Verbraucher-, Versicherten-, Zielgruppe 'Menge von Personen mit gemeinschaftlichen oder ähnlichen Interessen, die als mögliche Interessenten für ein bestimmtes Produkt (eine Ware, ein Buch, einen Film etc.) ausgemacht oder bestimmt worden sind'. b Seit Ende 19. Jh. 'Personen, die sich aufgrund gemeinsamer Interessen und Ziele organisatorisch zusammengeschlossen haben und deren Zusammenhalt durch ein System dauerhafter privater, geschäftlicher, beruflicher u. ä. Beziehungen und wechselseitig aufeinander bezogener sozialer Interaktionen und Kooperationen gewährleistet ist; Abhängigkeits-/Zweckgemeinschaft, (Zweck-)Vereinigung/-verband', gelegentlich auf Tiere bezogen auch 'Rudel, Herde' (s. Beleg 2000), in Wendungen wie an den Wochenenden zog er mit einer Gruppe von Freunden durch die Kneipen, seit einem Jahr trifft sich hier eine Gruppe von Atomkraftgegnern, um gemeinsame Aktionen zu planen, die Gruppe rückt als sozialpsychologischer Forschungsgegenstand in den Mittelpunkt des Interesses, die Familie ist die primäre soziale Gruppe, als Bestimmungswort in Zss. wie Gruppenanführer, -beziehung, -bildung 'Entstehung einzelner Gruppen innerhalb einer größeren Gemeinschaft von Menschen oder Tieren', -diktat, -egoismus, -ehe (völkerkundliche Bezeichnung für eine nach der Theorie der Evolutionisten postulierte Art der Ehe, bei der mehrere Frauen und Männer die eheliche Gemeinschaft bilden, vgl. Promiskuität), -identität, -Ideologie, -interesse, -kodex, -kollektiv, -konflikt, -konstellation, -leben, -ritual, -Solidarität, -sozialisation, -votum/-wille 'Kollektivwille', -wohl, -ziel, -zu(-sammen-)gehörigkeit, -Zusammenhalt; gruppenintern, -paritätisch, -spezifisch, als Grundwort alternierend mit -club, -gemeinschaft, -kreis, -team, -verein o. Ä. (—> Clan, —* Kollektiv) in Zss. wie Angehörigen-, Bezugs-, Freundes-, Interessen-, Klein-, Schüler-, Verwandtschaftsgruppe; insbes. in den die Ergebnisse der empirischen Sozial- und Verhaltensforschung nutzenden Bereichen (Sozial-/Betriebs-/Medien-)Pädagogik, Unterrichtsdidaktik, Psychotherapie, Medizin, z. B. therapeutische Gruppen, abends traf ich mich mit einer Gruppe anonymer Alkoholiker, die Sozialpädagogin arbeitete mit einer Gruppe Jugendlicher, der Unterricht in der Gruppe macht den Schülern mehr Spaß, in der Gruppe werden gemeinsame Probleme bewältigt, an diesem Schulaustausch hat die gesamte Gruppe mitgewirkt, als Bestimmungswort in Zss. wie (nach engl. team work] Gruppenarbeit 'pädagogische Unterrichtsform zur Förderung der Selbständigkeit und des Sozialverhaltens; betriebswirtschaftliche Form der Arbeitsorganisation, Teamarbeit', -beratung/-besprechung, -betreuer, -diskus-
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sion/-kommunikation, -dynamik 'Gesamtheit der dynamischen Kräfte, Prozesse und wechselseitigen Einflüsse zwischen Mitgliedern einer Gruppe mit pädagogischer und therapeutischer Zielsetzung', -erziehung, -Harmonie, -Hierarchie, -Interaktion, -sitzung, -leiter, -mitarbeiterX-teilnehmer, -pädagogik 'Teilbereich der Pädagogik, der sich mit dem sozialen Lernen befasst', -Präsentation, -programm/-projekt, -psychologic, -(psycho-)therapie 'psychotherapeutische Methode, bei der mehrere psychosozial gestörte Patienten gleichzeitig und gemeinsam behandelt werden', -Universität, -Unterricht, -verhalten, (oft eher abwertend:) Gruppendruck, -egoismus, -geklüngel, -gewalt, -hass, -hysteric, -Isolierung, -keile, -koller, -konflikt, -schelte, -scheu, -Schlägerei, -streit, -stress, -zwang, in adj. Zss. wie gruppenanalytisch, -dynamisch, -fähig, -integrativ, -interaktiv, -kompatibel, -konform, -orientiert, -pädagogisch, -psychologisch, -spezifisch, -stabilisierend, -strategisch, -tauglich, seltener als Grundwort in Alkoholiker-, Diabetiker-, Englisch-, Fach-, Gesprächs-, Hochschul-, Hypnose-, Internet-, Kontroll-, Krabbel-, Mutter-Kind-, Patienten-, Probanden-, Projekt-, Selbsterfahrungs-, Senioren-, Studenten-, Sucht-, Therapie-, Vergleichs-, Volkshochschulgruppe. c Seit Ende 19. Jh. für Zusammenschlüsse mehrerer Personen mit höherem Organisationsgrad, z. B. in den Bereichen Politik, Religion, Völkerkunde und Rechtswesen, in der Bed. '(locker organisierter) Verband, Zusammenschluss zur Verfolgung bestimmter politischer, gesellschaftlicher o. ä. Ziele innerhalb einer größeren Organisation; Unterabteilung, Flügel einer Partei, die eine bestimmte Ausprägung des Parteiprogramms, eine bestimmte Linie vertritt', auch '(außerparlamentarische) politisch, ideologisch-weltanschaulich, religiös, ethnisch o. ä. motivierte Vereinigung, Bewegung' (vgl. Gruppierung, —» gruppieren 3), in Wendungen wie politische, demokratische, pazifistische, sozialistische, kommunistische Gruppen, (kurz dafür;) K-Gruppen, wir waren eine Gruppe von Funktionären der SED, die Demokraten waren eine immer kleiner werdende politische Gruppe, auch mit Bezug auf (lose) Verbände mehrerer Staaten zum Zweck der Koordination gemeinsamer (politischer, wirtschaftlicher, militärstrategischer) Interessen, meist in Verbindung mit Numeralia, die die Anzahl der Mitgliedsländer angeben, z.B. Gruppe der Acht (vgl. G8, G8+5), Gruppe der Fünfzehn (G15), Gruppe der Zwanzig (G20), Gruppe der 33 (G33), Gruppe der 77 (G77) und in Zss. wie Einwanderer-, Flüchtlings-, Fraktions-, Friedens-, Funktionärs-, Glaubens-, Interessen-, Konfessions-, Menschenrechts-, Minderheiten-, Muslim-, Partei-, Spezial(-isten)-, Splittergruppe 'Personen, die sich aufgrund von Meinungsverschiedenheiten von einer größeren Organisation abgespalten und sich gemeinsam neu formiert haben', Vertriebenen-, Volks-, Wählergruppe; Gruppendelegierter, -deportation, -kandidatur, -Wahlrecht, oft auch leicht abwertend 'Seilschaft; Klüngel; Horde' (s. Belege 1949, 1969); daneben auch '(lose) organisierte kriminelle Bande, Vereinigung; terroristische Zusammenrottung' (s. Belege 1985, 1990, 1991, 2000; ->· Bande, -» Gang), z.B. terroristische Gruppe, BaaderMeinhof-Gruppe, die Gruppe wurde bald nach dem Einbruch geschnappt und verhaftet; Autonomen-, Demonstranten-, Einbrecher-, Guerilla-, Mafia-, Terror-, Verbrechergruppe; Gruppendelikt, -mord, -täter. d Seit früherem 20. Jh. im wirtschaftlichen Bereich (Produktion, Touristik, Versicherungswesen, Arbeitsrecht u. Ä.) als Bezeichnung für ökonomisch motivierte Zusammenschlüsse von Firmen/Unternehmen zur Koordinierung finanz- und marktwirtschaftlicher Maßnahmen, von Warenverkehr und Dienstleistungen (vgl. Kon-
Gruppe
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sortium, Kooperative, Konzern, Verband, Verein), in Wendungen wie die Produktionserfolge der Gruppe Rohstahl, als Bestimmungswort in der Bed. 'für mehrere Personen- und Interessentengruppen zugleich (geltend, vorgenommen)' in Zss. wie Gruppenholding, -unternehmen; Anlage-, Banken-, Bauspar-, Export-, Finanz-, Haftpflicht-, Handels-, Immobilien-, Investment-, Kaufhaus-, Medien-, Pharma-, Unternehmens-, Supermarkt-, Verlags-, Versandhaus-, Versicherungsgruppe, (in Verbindung mit Namen und namenartigen Bezeichnungen für Firmen, kommerzielle Einrichtungen u. Ä.:) Bertelsmann-, Gerling-, Inter-, Sparkassengruppe. 5 Seit spätem 19. Jh. auf organisatorisch straff strukturierte Personengruppen bezogen: a Zunächst im militärischen Bereich als Bezeichnung bestimmter militärischer Teileinheiten im Sinne von 'eine Kampfgemeinschaft bildende Unterabteilung, kleinste (Gefechts-)Einheit aller Truppengattungen' (vgl. Geschwader, Korps, —* Truppe), im 2. Weltkrieg auch 'aus mehreren Groß verbänden bestehende höhere Truppeneinheit', in der Bundeswehr 'militärische Teileinheit zwischen Trupp und Zug, der bis zu zwölf Soldaten angehören und die von einem Unteroffizier oder einem Fahnenjunker angeführt wird', z.B. eine Gruppe besteht aus zwei Trupps, mehrere Gruppen bilden eine Zug, mit Gruppen rechts schwenkt, marsch!, die Gruppe als Einheit der SS; Generalstabs-, Heeres-, Soldatengruppe; Gruppenfeuer 'Feuer mehrerer Schützen', -formation, -führer 'Unteroffizier, Fahnenjunker, der eine Gruppe anführt', auch 'Anführer einer Gruppe von acht Feuerwehrleuten; Leiter einer Einsatzgruppe der Bereitschaftspolizei und in Einsatzzügen' sowie mit Bezug auf die NSDAP 'hoher Dienstrang in SS, SA, NSFK oder NSKK', -kolonne 'militärische Marschordnung', -kommando/-kommandant, -manöver, -offizier, -stab, -Staffel, -verband. b Seit Anfang 20. Jh. von Ensemble- und Teambildungen im künstlerischen Bereich (Theater, Ballett, Literatur; —»· Ensemble, —> Formation, —» Truppe, —»· Team), v. a. mit Bezug auf (populäre) Musik in der Bed. 'Band, Combo, Ensemble' (s. Belege 1967, 1989, 1995), in Wendungen (meist in Verbindung mit dem Namen der Gruppe) wie die Gruppe „Wind", das Unterhaltungsorchester spielte bekannte Ohrwürmer der Gruppe „Les Humphries", die weltbekannte Gruppe gab gestern auf der Berliner Waldbühne ein Konzert, auf dem Dorfplatz spielte eine Gruppe zum Tanz auf, Gruppe 47 (Name einer 1947 gegründeten Vereinigung von Schriftstellern und Kritikern mit entschieden antiautoritärer Einstellung als Antwort auf den Nationalsozialismus), als Bestimmungswort in Zss. wie Gruppenauftritt, -choreografie, -darbietung, -formation, -gesang, -Inszenierung, -klang/-sound, -konzert, -performance, -tanz, -theater, häufiger als Grundwort in Akkordeon-, Architekten-, Artisten-, Autoren-, Ballett-, Bauchtanz-, Bläser-, Chor-, Folk-/Jazz-/Pop-/Rock-, Gitarren-, Komödianten-, Komponisten-, Künstler-, Laien-/Singspiel-, Literatur-, Musik(-er)-, Rhythmusgruppe '(aus Schlagzeuger, Bassist und Gitarrist bestehender) Teil einer Rock-, Pop- oder Jazzband, der für den Rhythmus zuständig ist', Schauspieler-/ Schauspiel-, Solisten-, Sonaten-, Spiel-, Tanz-, Theater-, Vorgruppe 'Band, die als Anheizer vor der eigentlichen musikalischen Hauptattraktion auftritt', daneben auch von Verbünden und Vereinen o. Ä. (—* Club) in den Bereichen Kreativität, Geselligkeit und Freizeit, z. B. Batik-, Folklore-, Hobby-, Karnevals-, Mal-, Origami-, Spiel(-e)-, Töpfer-, Trachtengruppe; auch (als Name) von ähnlich organisierten Vereinigungen im Bereich von Wissenschaft und Forschung (Politik- und Sozialwis-
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senschaften), vorwiegend in der Zs. (und kurz für) Forschungsgruppe (s. Belege 1985, 1999), z.B. die Wahlprognose der (Forschungs-)Gruppe „Wahlen" e.V., die Mannheimer Gruppe 'Wahlen' gab erste Hochrechnungen zur Bundestagswahl bekannt, die (Forschungs-)Gruppe „Regieren" ist ein Zusammenschluss von Politikwissenschaftlern verschiedener deutscher Universitäten, die (Forschungs-)Gruppe „Weltanschauungen in Deutschland". c Seit früherem 20. Jh. im Sport auf (militärähnlich organisierte Turnbünde und) Sportvereine, -verbände, -Wettbewerbe ausgedehnt in der Bed. 'bestimmte Anzahl, Einheit von Sportlern, Spielern, Mannschaften, die in Wettkämpfen, Qualifikationsspielen u. Ä. zur Ermittlung von Siegern, Meisterschaften oder Teilnahmeberechtigungen gemeinsam oder gegeneinander antreten' (vgl. Liga, Riege), z.B. Gruppe-1-Rennen, Gruppenabfahrt, -akrobatik, -aufstellung, -cup, -doppel, -erster/ -zweiter/-letzter, -finale, Gruppenfahne/-flagge/-wimpel 'Pfadfinderflagge', -gegner, -gymnastik 'von einer Gruppe von Turnern/Turnerinnen vorgeführte, synchron ausgeführte tänzerische Gymnastikübungen', -hochsprung, -jogging, -lauf, -liga, -match, -meisterschaft, -platzierung, -reglement, -rekord, -rennen, -Schwimmer, -sieg, -spitze, -sport, -start, -trainer, -turnier, -wertung, -wettkampf; Dreikampf-, Gymnastik-, HalbWiertelfinal-, Handball-, Judo-, Läufer-, Pfadfinder-, Radsport-, Spieler-, Spitzen-, Start(-er)-, Wettkampfgruppe, auch im Bereich von Spiel und Freizeit(-sport), z. B. Bingo-, Boule-, Canasta-, Fitness-, Tango-, Wandergruppe. Dazu die seit Anfang 19. Jh. vereinzelt nachgewiesene okkasionelle verbale Ableitung (sich) gruppen V. trans. (—> gruppieren) mit der Präfigierung vergruppen. Gruppe la: Fayser 1573 Ber. ü. d. Pferdt 60 Doch ein Pferdt/ das so grosser sterck vnd von grupo zu grupo gehet/ das ist/ das sich nahe zusamen thut; Goethe 1795 Unterhaltungen (HA VI 223) Auf einem eingeschlossenen grünen Platze, in dem Schatten einer herrlichen Gruppe mannigfaltiger Bäume saß sie; Klinger 1809 W. X 126 Der Wald stieß an eine Reihe von Felsen, die sich in mancherley Gruppen gegen die Wolken thürmten; Goethe 1813 Z. Naturwiss. (WA II 9,152) eine große Druse, in welcher sich schöne Bergkrystalle, teils einzeln, teils in Gruppen fanden; Jung-Stilling 1835 S. Sehr. H 299 wir wandelten zwischen einigen gruppen von bäumen und gebüschen durch (DWB); Forster 1843 S. Sehr. I 16 zuerst fand er eine gruppe von vier inseln (DWB); Earth vor 1845 Nördl. Kalkalpen 68 die zähnestarrenden Gruppen eines Watzmann-, Hocheisspitzgebirges; Peschel 1874 Völkerkunde 99 die Vereinigung der haare zu einzelnen gruppen (DWB); Storm 1899 S. W. I 251 üppige gruppen hochstämmiger und niedriger rosen (DWB); Th. Mann 1919 Erz. (W. VIII 612) Eine kleine Gruppe von Enten flog, die Hälse gestreckt und in keilförmiger Anordnung, über den Fluß; Münch. N. N. 15. 10. 1939 Als die am besten geeignete Form für die Bildung von Neubauerntum wird jetzt die „Gruppensiedlung" in allen Gegenden Deutschlands vorwärtsgetrieben; Th. Mann
1940 Erz. (W. VIII 768) alle drei standen weinend und lachend umschlungen in inniger Gruppe; Presse 17.6.1995 Englische Rosen sind zumeist Strauchrosen . . Es empfiehlt sich, immer mehrere Pflanzen derselben Sorte in Gruppen zu pflanzen: Kletterrosen zu zweit, Strauchrosen in DreierGruppen. Gruppe Ib: Prätorius 1619 Syntagma mus. III 147 f. und in summa die Stimmen/ mit. . Gruppen, Trillen und Accenten zu rechter zeit gebraucht/ einflechte/ das er dem Concert eine Lieblikeit und geschmack gebe . . stille lange striche/ Gruppi, Trilli etc.; Marperger 1708 Kaufmann 561 groupe wird in der mahlerey eine Versammlung vielerhand leiber nahe an einander genennet, als etwan von deren oder fruchten; also ist der Laokoon eine zusammengesetzte groupe oder groppo von drey schönen figuren (DWB); 1734 Vollst. Math. Lexicon Sp. 532 Gekuppelte Bild-Säule, Groupe, Gruppo, heisset diejenige, wo zwey wegen der Historic zusammen gehörige Statuen, dergleichen Cephinus mit der Flora, Vertumnus mit Pomona, Cephalus mit Aurora, der Raub der Proserpina, die SonnenPferde mit denen Tritonen u. a. m. aus einem Stuecke gemachet und auf einem Fuß gesetzet werden; Rondeau 1740 Nouv. Diet. 453 un groupe (bey der Mahlerey): Stellung, Zusammensetzung
Gruppe vieler Bilder; un groupe de figures eine Stellung von Menschen-Bildern (TRÜBNER); Hagedorn 1762 Betracht, über d. Mahlerey II 663 das fremde Wort Gruppe habe das gute alte deutsche Kunstfachwort Klumpen verdrängt; Füßli 1763 Künstlerlex. Vorr. XI Gruppe, ist ein italiänisches Wort, und bedeutet einen Knoten. In der Bildhauer-Kunst benennt man zwey und mehr zusammengesetzte Figuren mit diesem Namen. In der Bau-Kunst tragen diesen Namen etliche miteinander verbundene Säulen; und in der Mahlerey sind es die verschiedene zusammengesetzte Figuren, Thiere, Bäume etc. welche mit ihren hellen und schattigen Theilen ein Ganzes von Licht und Schatten ausmachen; Algarotti 1769 Versuche ueber die Architectur 145 f. Um endlich eine Gruppe abzurunden, ist die beste Regel, die von Tizian befolgte Regel der Weintraube. Die vielen Beeren einer solchen Traube sind einige vom Licht erleuchtet, viele im Schatten, und die mittlern im halben Lichte. So wollte er, daß auch die Figuren einer Gruppe gestellt werden sollten, damit vermittelst des Helldunkeln aus verschiednen Dingen ein Ganzes werden moegte; Goethe 1772 Sehr. z. Kunst (HA XII 197) die höchst liebliche Gruppe der Mutter mit Kindern und Ältcrmutter fehlt ganz, welche also später von dem Künstler hinzugedacht worden; Sulzer 1771 Theorie I 501 Gruppe . . Dieses Wort ist bis itzt nur in den zeichnenden Künsten aufgenommen . . Man versteht nemlich dadurch die Zusammenstellung, oder Vereinigung mehrerer einzelner, zusammengehöriger Gegenstände, in eine einzige Masse, so daß die Gegenstände . . als Theile eines grössern Ganzen erscheinen; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA I 21,87) seine Bücher und Geräthschaften legte [er] so, daß ein niederländischer Mahler gute Gruppen zu seinen Stilleben hätte herausnehmen können; ders. 1798 Br. an Schiller (WA IV 13,8) die Gruppe des Gedichts ist so entschieden als wenn sie gemahlt wäre; Fr. Schlegel vor 1802 Pros. Jugendschr. I 222 daß im fließenden gemälde, im epischen gedieht, die gruppen wechseln (DWB); Matthison 1810 Erinn. U 254 die anordnung [des Gemäldes] ist falsch berechnet. Weder gruppe noch figuren gewähren einen harmonischen totaleindruck (DWB); Winckelmann 1825 W. HI 14 besonders in der plastik ist die verdinglichung stark: dieses grupo stellet vielmehr die Phädra und den Hippolytus vor; A. v. Arnim vor 1831 W. VIII 162 [Salicetti] verfertigte eine artige gruppe . .. in marmor (DWB); Vischer 1852-54 Ästhetik II 20 Der Zufall führt sie in manchen Augenblicken des Kampfes zu malerischen Gruppen zusammen; ebd. Ill 2,291 perspectivische Gruppenwirkungen (DWB); Mörike vor 1875 W. /// 20 [er lieferte] an reliefs, Statuetten und gruppen, was irgend zum zimmer- und garten-
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schmuck diente (DWB); Th. Mann 1896 Erz. (W. VHI 60) jenem berühmten Brunnen, der das dahineilende Gespann des Meergottes zeigt . . diese prächtig schwungvolle Gruppe, die, unaufhörlich von grellblauem Leuchten umspielt, einen nahezu zauberhaften Eindruck machte; Lokal-Anz. 2. 9. 1934 Der richtige Abstand für Gruppenaufnahmen, der die Mitte zwischen Nah und Fern hält und allen Ansprüchen auf eine gute Personenwiedergabe entspricht; Partner 1964 Erben 316 eine Gruppenkomposition der fünf Erzengel, dargestellt von einer Kolonnade, deren Säulen auf attischen Basen ruhten; Lenz 1978 Heimatmuseum (W. VIII 650) mein Blick fiel auf eine Figurengruppe: geschnitzte und kolorierte Wasserträgerinnen sahen einer Gruppe geschnitzter Reiter nach, von denen einer eine rotweiß bewimpelte Lanze trug; taz 20. 9. 1991 eine vielköpfige Gruppe von Tonskulpturen, geformt und gebrannt von Tina Schwichtenberg. Eine Armee weiblicher Leiber mit Wasserkopf oder Schlangengesicht, Totenschädel oder Doppelkopf, konturlos, hermetisch; Frankf. Rundsch. 5. 10. 1999 die expressionistische Atonalität hat sich in die serielle Gruppenkomposition verdichtet, der sich Pollini engagiert wie scharfsinnig nähert; taz 6. 2. 2001 nun führen sie ihren Lieblingstanz zur Projektion neben der Leinwand auf der Bühne simultan auf. Eingerahmt von geschickt inszenierten Gruppenposen und einer Musik von Debussy. Gruppe 2a: 1786 Journal von u. für Deutschland II 62 Eine Sammlung einheimischer [ausgestellter] Vögel in Groupen; Zappe 1817 Mineral. Handlex. I 380 die krystalle (sind) in gruppen zusammengehäuft (DWB); Naumann 1822 Naturgesch. d. Vögel I 23 [die Vögel] bilden mit [den Säugetieren] die gruppe der so genannten Warmblüter (DWB); Sprengel 1831 Chemie f. Landwirte U 118 (die senfsäure) krystallisirt in glänzenden gruppen (DWB); v. Behlen 1840-46 Real-Lex, d. Forst- u. Jagdkunde III 513 gruppe, tribus (auch zunft oder sippschaft) zeigt mehrere pflanzenfamilien an, die wieder mit einander in wesentlichen merkmalen übereinkommen (DWB); Liebig 1843 Handb. d. Chemie 76 eine gleiche ähnlichkeit in der Zusammensetzung (wie) bei den phosphor- und arseniksauren salzen (die zu der stickstoffgruppe gehören) findet man in den anderen gruppen nicht wieder (DWB); Brehm 1864-69 Thierleben (Ausg. 189093) I 2 [Linne, der das] ganze tierreich auf gruppenstufen verteilte (DWB); ebd. X 594 die andere gruppe von familien der asträaceen sind die sternkorallen mit festem, nicht porösem skelett (DWB); Karmarsch-Heeren 1877 Techn. Wb. II 60 bronze [ist] der gruppenname einer reihe von kupfer-zinnlegierungen (DWB); Muspratt 1888 Chemie I 177
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wenn eine aromatische gruppe in der ammoniumbase vorhanden ist (DWB); Remsen-Seubert 1920 Studium d. Chemie 169 die gruppe des chlors: chlor, brom, jod, fluor; ebd. 324 jede dieser familien [des periodischen, natürlichen, nach Atomgewichten geordneten Systems der Elemente] zerfällt wieder in zwei Unterabteilungen oder gruppen; Remy 1924 Chem. Wb. 131a gruppen .. in der analyt. chemie diejenigen Zusammenstellungen von Stoffen, die auf grund der gemeinsamen fällbarkeit durch bestimmte reagenzien (gruppenreagenzien) erhalten werden; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 512) er untersuchte Bau und Stellung der Kelchund Blumenblätter . . stellte die wissenschaftliche Richtigkeit in dem Bau ihm bekannter Pflanzen mit Befriedigung fest und ging dazu über, solche, die er nicht zu nennen gewußt hätte, an der Hand des Linne nach Abteilung, Gruppe, Ordnung, Art, Familie und Gattung zu bestimmen; 7967 Bild d. Wiss. l 60 eine stufenweise, über genau festgelegte zeitliche Abstände verteilte intravenöse Einspritzung von bestimmten Mengen Evipan, einem Schlaf- und Narkosemittel aus der Gruppe der Barbiturate; ebd. II 105 Ein Sternhaufen stellt also heute eine Gruppe gleichaltriger Sterne dar; Weidenbach 1970 Praenatale Infektionen o. S. Nach tierexperimentellen Befunden scheint eine Interferenz zwischen Coxsackieviren der Gruppe B und Poliomyelitisviren zu bestehen, wohingegen Viren der Gruppe A öfter zusammen mit Poliomyelitisviren gefunden werden; Fühler 1980 Gentechnohgie o. S. Zur letzteren Gruppe gehören die Rhizobien, die in Symbiose mit Leguminosen Luftstickstoff binden können; 1989 Brockhaus IX 241 Gruppe . . eine . . algebraische Struktur . . Auflösung algebraischer Gleichungen; tat 30. 9. 1991 Die zweite Gruppe besteht aus halluzinogenen Drogen, die mehr oder weniger Verwandte von LSD und Tryptaminen sind. Gruppe 2b: Goethe 1813-30 (WA I 41.1,98) Die Mehrzahl der Leser verlangt die Schrift und nicht den Schriftsteller; ihr ist darum zu thun, daß sie die Arbeiten nach ihrer verschiednen Art und Natur in Gruppen und Massen beisammen finde; Gervinus 1853 Gesch. d. dtsch. Dichtung V 153 der humoristische roman jener zeit war bei uns weit entfernt eine so reinliche gruppe zu bilden wie in England (DWB); Strauß vor 1874 Ges. Sehr. VI 99 wie auf der ändern Seite die gegenständlichen Ursachen dieser eindrücke immer mehr in gruppen sich sondern (DWB); Ludwig 1891 Ges. Sehr. IV 10 die erkenntnis dieser mängel rief die gruppe der letzten bearbeitungen hervor (DWB); Mommsen 1894 Rom. Gesch. V 189 eine ähnliche gruppe bilden die composita auf -porcis (DWB); Th. Mann 1895 Reden u. Aufs. (W. X1U 158) hinter Faust, dem ewigen
Sucher, steht die Gruppe der Grals-Dichtungen; Ebengreuth 1904 Münzk. 26 eine besondere gruppe von jetons bilden (die) krönungsjetons (DWB); Hoops 1905 Waldbäume 150 eine etymologisch zweifelhafte und umstrittene Gruppe von Namen (TRÜBNER); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 893) Eine kleine Gruppe von Platten bot die Schlußszenen des pompösen, von melodiösem Genie überquellenden Opernwerks; Fraenkel 1957 Staat 344 In der Gegenwart lassen sich die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung in drei Gruppen gliedern (DUDEN 1999); St. Galler Tagbl. 8. 2. 2000 dass die Grenzen zwischen den einzelnen Kategorien [Kunstrichtungen] fliessend seien und die Einordnung in die eine oder andere Gruppe höchstens als Hilfskonstruktion tauge; Mannh. Morgen 10.8.2001 Beide [Probanden-]Gruppen wurden derselben Menge an UV-Strahlung ausgesetzt. Das Ergebnis: Die Gruppe mit Tomatenmark hatte bis zu 40 Prozent weniger Sonnenbrand als die andere. Gruppe 3a: Hippel 1778 Lebensläufe III 2,402 Ich setzte mich ins Gras und die fünf Kleinen um mich her. Der gute Prediger sah diese Gruppe (TRÜBNER); Sonnenberg 1806 Donatoa l 230 hirten und hirtinnen grüppchen,/ die mit lautem gejuchz auseinanderflogen und rings sich/ durch die fluren zerstreuend gesellten zu anderen grüppchen (DWB); Maler Müller 1811 W. U 89 man sieht mädchen in wollüstigen gruppen auf dem canapee; Wieland vor 1813 S. W. XU 31 wohin man sah, stand die verliebte Gruppe zusammen; E. T. A. Hoffmann vor 1822 S. W. X 23 der genius schwebte jetzt fort über der gruppe, die der hofmarschall mit den kammerjunkern nebst ändern hofschargen bildete (DWB); Goethe 1829 Novelle (HA VI 505) die unerwartete Gruppe gewahr werdend, die sich auf der leeren Fläche merkwürdig auszeichnete; A. v. Arnim vor 1831 W. VII 296 als er seine frau auf eine gruppe aufmerksam machte, die den hohen weg . .. fortschritt (DWB); Anschütz 1857 Erinn. 187 hinter den Coulissen hätte man vergeblich die schmachtenden Gruppen . . gesucht (TRÜBNER); Th. Mann 1897 Erz. (W. VIII 102) auf den weiß leuchtenden Kieswegen gingen die Gäste plaudernd und rauchend umher. Eine Gruppe hatte sich um den Springbrunnen versammelt; Eyth 1902 Cheopspyramide II 163 Von Gruppe zu Gruppe gehend, wechselte er [der Vizekönig] mit diesem und jenem ein paar Worte (TRÜBNER); Klemperer 1942 Tagebücher 169 Man müßte als Gruppe auswandern, eine Kolonie schaffen; ebd. 649 Gestern Nachm. der Schwächepunkt, als ich bergauf der Gruppe nicht nachkam; Welt 21. 4. 1954 Da suchte eine Gruppe die ganze Nacht lang die Nordwand ab; Grzimek 1959 Se-
Gruppe rengeti 60 Ich bemerke eine kleine abgesprengte Gruppe . . Ein Ende weiter rennt eine zweite Gruppe . . Ich . . lerne es, sie [die Herde] allmählich nicht einzeln, sondern dutzendweise oder in Gruppen zu fünfzig zu zählen; Lenz 1959 Brot u. Spiele (W. IV 218) Fotografen erschienen, die Taufende und Getaufte zu einer vergnügten Gruppe zusammenstellten; Lenz 1978 Heimatmuseum (W. VIII 945) Eine wie in Trance dasitzende Gruppe hatte die sudanische Graburne als vielfassenden Aschenbecher in ihre Mitte gerückt; taz 24. 2. 1992 da sind Lady de la Coer und ihre Lustknaben schon wieder von den Stühlen aufgesprungen, um in abermals neuen Variationen zur zärtlichen Gruppe zusammenzutreten; Berl. Zig. 5. 7. 1999 die willkürlichen Schüsse der Serben auf die Gruppe von Männern. Gruppe 3b: Hölty vor 1776 Ged. 137 ich würde, kämen ganze gruppen/ von mädchen, traun!/ nicht aus der laube gehn; Justi 1866 Winckelmann l 205 die engste gruppe der allein bewährten freunde (DWB); Böhme 1886 Gesch. d. Tanzes 189 es bildeten sich gruppen aus verwandten und freunden, welche den wirth und die spielleute aus gemeinsamer kasse bezahlten (DWB); Bock 1920 Tagebücher 11 Heut blieb ich vor einer Gruppe Bauern stehen; Lenz 1981 Verlust (W. IX 154) Beim Stadion stieg er aus und ging sofort auf eine Gruppe von Halbwüchsigen zu und sprach sie an; taz 17.10.1988 Die Offene Frauenhochschule wird zwar einerseits von einer Gruppe von Studentinnen organisiert, ist aber andererseits Bestandteil der Hochschule und wird von ihr finanziert; ebd. 23. 12. 1989 Von hinten beantwortet eine Gruppe junger türkischer Frauen jeden „Deutschland!"-Ruf . . mit . . Trillerpfeifen; Berl. Zig. 2. 2. 2000 Dies fand eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern von der University of Belfast und der University of California durch DNA-Analysen heraus; Zeit 8. 8. 2001 Eine Gruppe gestikulierender Männer hat einen TV-Journalisten in ihre Mitte genommen. Gruppe 4a: Riehl 1861 Dtsch. Arbeit 85 Der große Grundbesitzer tritt geradezu heraus aus der sozialen Gruppe der Bauern (TRÜBNER); ders. 1864 Vortr. l 430 eine große Gattung mit mannichfachen Arten, so mannichfach wie das Volk selbst in seinen großen Gruppen; Richter 1909 Lebenserinn. 302 ich wußte, daß Wächter zu jener gruppe künstlet gehörte, [welche] die deutsche kunst in lebensvollere bahnen geführt hatten (DWB); Klemperer 1933 Tagebücher 19 Zum erstenmal in meinem Leben habe ich einen politischen Haß gegen
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das Kollektivum einer Gruppe . . einen tödlichen; Th. Mann 1934 Meerfahrt (W IX 461) Das Christentum, diese Blüte des Judentums, bleibt einer der beiden Grundpfeiler, auf denen die abendländische Gesittung ruht . . Die Verleugnung einer dieser Grundvoraussetzungen unserer Sittlichkeit und Bildung, oder gar ihrer beider, durch irgendeine Gruppe der abendländischen Gemeinschaft würde ihr Ausscheiden aus dieser . . bedeuten; 1934 Volk u. Reich 215 Kollektivismus ist die ganz unzulängliche Denkform, mit der der Individualist das soziale Phänomen „Gruppe" zu begreifen versucht; Klemperer 1942 Tagebücher 142 Nation ist ihm „eine historische Gruppe, die erkennbar zusammengehört und einen gemeinsamen Feind hat."; Süddtsch. Ztg. 25. 9. 1952 daß . . der Sinn für Unabhängigkeit bei den meisten Menschen geschwunden sei . . das „Gruppendenken" müsse als Affront gegen die Freiheit bezeichnet werden. Die wichtigste Aufgabe . . sieht der Redner darin, in dem Menschen den Willen zur Behauptung seiner Individualität zu stärken; Rosenstock-Huessy 1955 Menschen (Übers.) 135 Wo immer es für „Forschung" Geld gibt, grassiert heut ein Gruppendynamik-Fieber, wo keck die beliebig wiederholbare Gruppe der unwiederbringlichen Gruppe gleichgesetzt oder untergeschoben wird. Da reitet derselbe Teufel in Sachen „Gruppe", der die Herren La Mettrie und Robespierre in Sachen „Individuum" einst gegen die Verteidiger der Einzelseele ritt; Bild 10. 4. 1967 Sogar in der Gruppe der Beat-Anhänger ziehen die meisten . . die Schlagermusik als „musikalische Berieselung" vor; Richter 1970 Massenbefragungen o. S. Die allgemeinen Zusammenhänge gelten jedoch für die Randgruppen nur, wenn sich die Gruppe ihrer besonderen Stellung im sozialen Feld bewußt ist. Bestehen keine kommunikativen Zusammenhänge mit anderen Normsystemen in dieser Gruppe, obwohl die Befragungsgruppe in einem Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Anschauungen steht, so wirkt sich die Randposition der befragten Gruppe nicht aus; Klafki 1970 (Funk-Kolleg Erziehungswiss. II o. S.) Die Art und die Größe der Menschengruppe, für die solche Normen gelten oder gelten sollen, können sehr verschieden sein. Es kann sich um eine Familie handeln, um die Bewohner eines Dorfes, um eine bestimmte soziale Schicht, um ein ganzes Volk oder um alle Angehörigen einer bestimmten Kultur oder Religion. Der Begriff „sozio-kulturelle Normen" als solcher sagt auch noch nichts darüber, wie die Geltung der Normen in einer Gruppe begründet wird; Fackel 1. 9. 1973 Der VdK ist der Überzeugung, daß es keinen vertretbaren Grund gibt, die Kriegsopfer als einzige soziale Gruppe des deutschen Volkes in dieser eklatanten Weise zu benachteiligen; Mannh. Morgen 25.3.1986 Mit Sicher-
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heit wollen sich der ersten Altersgruppe nur 39 Prozent an der Zählung beteiligen, während aus der Gruppe der über 60jährigen 74 Prozent ihr „Ja" signalisieren; St. Galler Tagbl. 7.11.2000 Aus der Erkenntnis heraus, dass es in einer Gruppe einfacher ist, neue Verhaltensweisen in eigener Verantwortung langfristig durchzuhalten; taz 3. 1. 2004 Dort rufen seit Wochen vor allem verunsicherte Versicherte an — um sich zu informieren oder zu beschweren. Besonders rage dabei die Gruppe der Rentner heraus, so Ay. Gruppe 4b: Fischer 1897 Soziale Probleme 56 In diesen [Einzelfamilien] sind . . demnach jeder Mann mit allen Frauen derselben und jede Frau mit allen Männern derselben „verheirathet". Eine solche Familie hat das Ansehen einer „Gruppenehe"; 1906 Anl. zu wissenschaftl. Beobachtungen 3 ob [die Urmenschen] monogamisch oder in Herden oder in „Gruppenehen" gelebt haben; T/7. Mann 1915 Aufruf (W XI 742) Diese Gruppen bilden aus sich Kapitel zu je acht Köpfen, die den Charakter von Arbeitsausschüssen haben sollen. Ihnen angegliedert ist ein verwaltendes Kapitel von fünf Mitgliedern; Neues Deutschi. 2. 3. 1949 Es wird in drei Schichten gearbeitet, jede Gruppe hat die gleiche Arbeitsnorm, jeder Arbeiter seinen Normallohn bei Erreichung (notfalls auch bei Unterbietung) der Norm; FAZ 24. 1.1966 Das Bundesverteidigungsministerium teilte am Wochenende mit, daß der General eine Arbeitsgruppe leiten soll, die alle mit der Verbesserung des Starfighter-Waffensystems zusammenhängenden Fragen erörtern soll; 1973 Bundeswehr VIII 391 Das Personalvertretungsrecht ist so zu ändern, daß die Soldaten eine gleichberechtigte weitere Gruppe im Personalrat bilden; Welt 13.4.1974 Abonnieren Sie Deutschlands erstes Management-Magazin! . . Voraussetzung ist, daß Sie eine leitende Position in der Industrie oder deren beratenden Organisationen innehaben. Wir haben das Exklusiv-Frei-Abonnement geschaffen, damit wir unseren Anzeigenkunden eine klar eingegrenzte Zielgruppe „industrielles Management" bieten können; taz 8. 11. 1986 Der in San Francisco arbeitende Sexualwissenschaftler Erwin Haeberle wies auf den Doppelsinn des Begriffs hin: „Risikogruppe" könne meinen, daß eine Gruppe besonders gefährlich lebt, aber auch, daß sie eine Gefahr für andere darstellt; ebd. 8. 8. 1992 Neun Prozent der Kinder unter drei Jahren können in Bremen in einer Krabbelgruppe, einem Spielkreis (nur an zwei bis drei Tagen in der Woche) oder bei einer Tagesmutter unterkommen; Neue Kronen-Ztg. 20. 1. 1996 Selbsthilfegruppe sexuell mißbrauchter Frauen und Mädchen; Tiroler Tagesztg. 30. 9. 2000 Seit eineinhalb Monaten hält eine Gruppe von Wölfen in
Südostpolen die Jäger zum Narren; Mannh. Morgen 18. 1.2006 Sonntags ist immer Kindergottesdienst parallel zum Hauptgottesdienst . . Jungschar ist jeden Montag von 16 bis 17.30 im Gemeindehaus und Jugendgruppe IONA trifft sich Mittwochs. Gruppe 4c: Bennigsen 1892 Nationalliberale Partei 6 dort war es, wo sich die 'volkswirtschaftliche gruppe' zusammenfand; Bismarck 1892 Ged. u. Erinn. I 181 alle die nuancen von möglichkeit, Wahrscheinlichkeit oder absieht, für den fall eines kricges dieses oder jenes bündnis zu schließen, zu dieser oder jener gruppe gehören zu können (DWB); Kerr 1900 Br. a. d. Reichshauptstadt 616 So spricht die zweite Gruppe der Beurteiler. Die dritte Gruppe sagt (und vielleicht hat sie recht): das deutsche Volk ist heute merkantil vor allem; wir beginnen ein gewaltiger Erwerbsstaat zu werden; Schleicher 1932 Rede (Tägl. Rundsch. 16. 12. 1932) an verbände, gruppen und parteien möchte ich aber in dieser stunde die mahnung richten, daran zu denken, daß sie nicht Selbstzweck sind (DWB); Th. Mann 1944 Nachruf a. Carl v. Ossietzky (Ges. W. XII 939) Ossietzky . . hatte einer Gruppe pazifistisch gesinnter Intellektueller und Politiker in seiner hanseatischen Heimatstadt vorgestanden; Neues Deutschi. 1.1. 1949 Stalin hat später treffend die deutschen Linken der damaligen Zeit als „eine schwache und ohnmächtige, eine organisatorisch nicht herausgebildete, ideologisch nicht ausgebildete Gruppe" charakterisiert; ebd. 16. S. 1954 In Nordrhein-Westfalen will die sich als Umsiedlerpartei gebende Gruppe bei den bevorstehenden Wahlen in den Landtag; FAZ 29. 12. 1965 Eine Gruppe von Abgeordneten der Koalitionsparteien hat eine Änderung und Ergänzung der Geschäftsordnung des Bundestages beantragt; Stuttgarter Ztg. 14. 4. 1969 Für sinnlos hielt Ehmke ein Verbot des SDS, bei dem es sich nicht um eine Organisation, sondern um Gruppen und „Grüppchen" handele; Springer 1979 Was 56 die angedrohten Protestaktionen radikaler Gruppen gegen den im Bau befindlichen . . Reaktor (DUDEN 1999); Zeit 5. 10.1985 Im Frühjahr 1983 fragte ich Peter-Jürgen Boock, . . ob er bereit sei, . . mit mir die Gründe zu erörtern, die ihn einmal zum Eintritt in die „Rote Armee Fraktion" (RAF) und später zu seiner Lossage von dieser Gruppe bewogen hatten; taz 28. 9. 1988 Es gibt eine Gruppe in der Partei, die erkannt hat, daß es ohne weitgehende Reformen nicht geht; ebd. 12. 10. 1990 Jugendcliquen sind scharf auf Luxusjacken (Überschr.) Am Sonntag, . . meldet der Polizeibericht, überfiel eine Gruppe von einem guten Dutzend Mädchen, alle um die 15 Jahre alt, zwei Gleichaltrige und nahmen ihnen eine Armbanduhr
Gruppe und ein Paar Schlittschuhe ab; ebd. 19.9.1991 Eine Gruppe von acht Skinheads griff am Dienstag abend auf dem Lausitzer Markt in Hoyerswerda mehrere vietnamesische Händler tätlich an; Presse 7. 11. 2000 Eine mögliche Spur führt in den Osten . . Der Modus operand! ist ein Indiz für eine Straftätergruppe . . Und eine Gruppe geht eben organisiert und arbeitsteilig vor. Gruppe 4d: Lokal-Anz. 15. 3. i 933 Finanziert wurden die beiden Hochbauten von der Lawbcck Corporation . . Im August 1933 erklärte die amerikanische Gruppe, daß sie weitere Gelder nicht auszahlen könne; Bert. Tagebl. 29. 10. 1936 Der Appell des preussischen Ministerpräsidenten richtet sich nicht nur an die Einzelunternehmer; es wäre gut, wenn die Organisationen der gewerblichen Wirtschaft, die „Gruppen" ihn erst recht auf sich beziehen würden; Welt 23.6.1959 Dr. Max Möller, Mitglied des Vorstandes der Accumulatorenfabrik Aktiengesellschaft, . . verstarb im 60. Lebensjahr. Er gehörte 35 Jahre der Firmengruppe an; Bild 20. 5. 1967 Die kleine schwäbische Autofabrik NSU wird von einer amerikanischen Gruppe aufgekauft!; Welt 24. 12. 1969 In der Gruppe der Großchemie stiegen die Kurse nach knapp behauptetem Beginn im Verlauf über den Vortagsstand; ebd. 19. 6. 1974 Weil wir uns aus drei gestandenen Lebensversicherungen, Sachversicherungen und Krankenversicherungen zu einer Versicherungsgruppe zusammengeschlossen haben, hatten wir durch die Neuorganisation die Chance, uns im Service und in den Leistungen etwas einfallen zu lassen; Zeit 8. 2. 1985 Zwar ist Berteismann der umsatzstärkste Medienkonzern Europas, aber führend vornehmlich bei den alten, den gedruckten Medien. In der Filmbranche kann selbst dieser Gigant einem Leo Kirch das Wasser nicht reichen. Dafür hat Berteismann einen anderen Vorzug, der der Kirch-Gruppe fehlt: Erfahrung im Umgang mit Abonnementen; Presse 30. 9. 1991 dies soll sich nach den Vorstellungen der britischen Regierung und des British Food Consortium, einer Gruppe von Firmen mit sowjetischen Interessen bald ändern; dpa 23. 4. 2006 Heute besteht das Geschäftsfeld des Verlags längst nicht mehr nur aus der Zeitung, sondern basiert auf mehreren Säulen. Onlineangebote, Druckerei und Beteiligungen an privaten Radiosendern in mehreren Bundesländern komplettieren die Firmengruppe NWZ. Gruppe 5a: Wilhelm l vor 1888 Militär. Sehr. U 238 die Bezeichnung 'gruppe' schließt in sich, daß die schützen möglichst beisammen sind (DWB); i 906 Exerzierreglement f. d. Infant. §83 die compagnie wird vom rechten flügel aus in gruppen zu 4 rotten eingeteilt (DWB); v. Alten 1909 ff. Handb.
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IV 480 gruppe . . Unterabteilung der companie, bestehend aus 8 mann und dem gruppenführer (DWB); Ludendorff 1919 Kriegserinn. 306 die gruppe [wurde] ausgesprochen die einheit im gefechtsaufbau der Infanterie . . die Stellung der Unteroffiziere als gruppenführer gewann erheblich an Bedeutung (DWB); Hindenburg 1920 Aus m. Leben 391 In Gruppen und Griippchen leistet man Widerstand (TRÜBNER); Lokal-Anz. 6.8.1933 Dann ergriff der Breslauer Polizeipräsident, Obergruppenführer der SA . . das Wort; (Kaiser 1962 Jagd 136 eine Gruppe des Geschwaders lag damals noch an einer östlichen Front (DUDEN 1999); dpa 14. 3. 2006 Als Missbrauch der Befehlsbefugnis wurde folgender Fall bewertet: Zwei Gruppenführer befahlen einem Rekruten, einem Kühlschrank, dem sie den Namen «Olaf» gegeben hatten, Meldung zu machen. Gruppe 5b: Mörike 1905 W. Ill 60 einen äußerst wohltuenden eindruck gab ihr eines abends der erstmalige anblick eines theaters, wozu eine wandernde gruppe das publicum einlud (DWB); Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. XI 744) Nach dem Ableben oder Ausscheiden eines Mitglieds folgt durch das Kapitel derjenigen Gruppe, der es angehörte, die Zuwahl eines neuen Mitglieds aus dieser Gruppe. Im Sinne des Gesetzes ist die 'deutsche Akademie' kein Verein, sondern zunächst nur eine zwanglose Vereinigung ohne Vorstand und ohne Satzungen; Süddtsch. Ztg. 30. 10. 1962 Die Gruppe 47 hat bei ihrer Tagung in Berlin seit vier Jahren wieder den von Verlegern gestifteten . . „Preis der Gruppe 47" vergeben; Bild 13.1.1967 „going nowhere" . . ist eine neue Single und ein neuer Hit der durch „Black is Black" bekanntgewordenen spanischen Gruppe „Los Bravos"; Noack 1985 Mann o. S. 46,1 Prozent der bundesrepublikanischen Bevölkerung haben nach einer Repräsentativumfrage der Forschungsgruppe Wahlen noch nicht mal das Wort [„Demo"] gehört, geschweige denn eine Meinung dazu; taz 22. 7. 1989 Dann spielt die Gruppe „Samba Curacao" Sambarhythmen; i 995 FAZ o. Nr. „Nautilus" nennen der Lichtdesigner Jörg Rees und die vier Musiker der Gruppe „Flow" . . ihre Licht- und Toninstallation; Mannh. Morgen 19.3.1999 Die Gruppe „Wahlen" richtete den Blick nach vorn auf die bevorstehende Europawahl; Berl. Ztg. 26. 6. 2004 Als Beleg für ihren Vorwurf gab Ströver eine Gruppe von Kulturschaffenden namens „40 plus" an. Gruppe 5c: Berl. lllustr. Nacktausg. 23.2.1933 Noch 8 Paare (Überschr.) Spitzengruppe blieb unverändert . . Die letzte Nacht des Stuttgarter Sechstage-Rennens; Lokal-Anz. 21. 6. 1934 Die Fechterinnen, die gleichfalls gestern ihren Gruppenkampf
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erledigten, hatten . . unter der drückenden Hitze zu leiden; Welt 20. 8. 1959 nachdem die Dänen .. auch ihren zweiten Gruppengegner Norwegen mit 2:1 geschlagen hatten; Luschen 1968 Kleingruppenforschung und Gruppe im Sport (Titel); Salzb. Nachr. 24. 6. 1991 Gruppe B: Niederösterreich (HS Neuhofen/Ybbs) — Vorarlberg (Sport HS Bregenz/ Vorkloster) 3:3 (1:3); Neue Kronen-Ztg. 5. 1. 1994
Mit dem Sieg von Val d'Isere, dem dritten Platz von Alta Badia hat er die erste Startgruppe und natürlich das Olympia-Ticket fix in der Tasche; Frankf. Rundsch. 6. 5. 1998 Die erfolgreichen SkiKolleginnen um Katja Seizinger finden sich hingegen komplett in der Gruppe eins wieder; Mannh. Morgen 2. 9. 2005 meine Frauen hatten zuvor weder in einer Gruppe getanzt noch Sport betrieben.
gruppieren V. trans, (anfangs auch intrans.) und reflex., im späteren 18. Jh. wohl unter Einwirkung von gleichbed. frz. grouper aufgekommene verbale Ableitung zu —» Gruppe. l Zunächst auf räumliche, lokale Phänomene bezogen in der Bed. 'räumlich in Gruppen (an-)ordnen, zusammenstellen; in eine sinnvolle räumliche Anordnung, Einheit bringen': a Im künstlerisch-ästhetischen Bereich, v. a. in der bildenden Kunst, seltener in Musik, Theater und Literatur 'konkrete, eigentlich separate Gegenstände oder Personen (bes. historische, mythologische und literarische Figuren, dann auch Töne, Worte o. ä.) auf künstlerisch und ästhetisch wirkungsvolle Weise (zu einer bildlich-visuellen, musikalisch-klanglichen, literarisch-textlichen Gesamtkomposition, einem eigenständigen Kunstwerk, einem Teil eines solchen o. Ä.) als Gruppe, in Gruppen, zu einer Gruppe, (einem (lebenden) Bild) zusammenstellen/-setzen/-ordnen' (vgl. arrangieren, drapieren, komponieren), zunächst auch (in intrans. Verwendung häufig) konnotiert mit „(formale, inhaltliche) Einheitlichkeit/Stimmigkeit, Harmonie" im Sinne von '(schmückend) zusammen-/anordnen, (zusammen-)passen, harmonieren' (s. Belege 1766, 1775, 1787, vor 1791; vgl. dekorieren, —+ Dekor), oft mit Präpositionalobjekt, z. B. (sich) an/gegen/mit/um/zu etwas gruppieren (s. Belege 1783, 1792, vor 1802, 1811.1, 1882, 1974, 1997.1, 1998.2), auch mit Bezug auf die Anwendung ästhetischer Maßstäbe auf Alltagsgegenstände (Dekor, Kleidung etc.) (s. Belege 1775, 1882, 1997.1), in Wendungen wie eine Figur gegen eine andere gruppieren, (sich) kunstmäßig, schön zu einem Bild, einem Stillleben, einem malerischen Ganzen gruppieren. b Etwa gleichzeitig allgemeiner mit Bezug auf räumliche Konstellation, Situierung und Bewegung verschiedenster beliebiger, sich innerhalb ihrer Umgebung (als zusammengehörig wahrnehmbar) abhebender Gegenstände/Dinge oder Personen, als V. trans, für 'Mehreres räumlich (um ein Zentrum herum) als koordinierte Ansammlung anordnen, zusammen-, nebeneinanderstellen, aneinanderreihen', z. B. sie gruppierte Stühle um den Tisch, das Gruppieren der Truppen im offenen Terrain, meist reflex, (mit Präpositionalobjekt) in der Wendung sich (um etwas/jmdn.) gruppieren 'sich räumlich als Gruppe aufstellen, verteilen, sich in/zu Gruppen (an-)ordnen; sich nach räumlichen Gesichtspunkten (im Kreis, um einen gemeinsamen Mittelpunkt herum, der Reihe nach angeordnet o. ä.) aufstellen/-reihen, versammeln, gesellen, scharen; zusammenstehen, um etwas herum stehen, angeordnet sein' (vgl. (sich) formieren, gruppen, —* Gruppe 1), in Wendungen wie an Türen und Fenstern gruppierten sich die Bewohner, die Zuschauer gruppierten sich auf dem Rasen, ein Schwärm von Verehrern hat sich um die Diva gruppiert, die Gäste gruppierten sich im Halbkreis um den Kamin, die Kinder mussten sich immer wieder neu gruppieren,
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man gruppierte sich zu Gesprächen, und, meist von Gegenständen, '(scheinbar) räumlich als/in/zu Gruppen angeordnet, aufgestellt, verteilt sein', z.B. tiefe skandinavische Ledersessel gruppierten sich zwanglos um Teakholztische, einige Wolken haben sich um die Sonne gruppiert, gelegentlich bildlich bezogen auf (als räumlich vorstellbare) Sachverhalte und Personenkonstellationen (s. Belege 1850, vor 1860, 1860, 1898, 1933-34, 1939, 1945, 1964, 1987.1, 1987.2), z.B. hartnäckige Gerüchte gruppieren sich um die Diva, der charismatische Politiker gruppierte immer eine Schar von Anhängern um sich, sich um Liebe und Sexualität gruppierende Vorstellungen. 2 Seit spätem 18. Jh. auf nicht-räumliche Phänomene übertragen, als V. trans, in der Bed. 'beliebige konkrete oder abstrakte, bes. naturwissenschaftliche Gegenstände, Phänomene, auch Personen (-kreise), aufgrund bestimmter als gemeinsam angesehener (formaler, inhaltlicher o. ä.) Eigenschaften, Merkmale oder wechselseitiger Beziehungen nach (vorher festgelegten) Ordnungskriterien in eine bestimmte, (typologisch, organisch, hierarchisch o. ä.) gegliederte, begründete Ordnung, Reihenfolge bringen, in Gruppen/Kategorien sortieren, gliedern, (an-)/(ein-)ordnen, kategorisieren, auf-/ein-/unterteilen, einstufen, zu Gruppen zusammenfassen/formieren', meist mit Bezug auf Materialien, Pflanzen, Tiere, Gesteinsarten, Waren, Güter u. Ä. (vgl. (sub-)kategorisieren/klassifizieren), z.B. verschiedene Elemente nach ihren chemischen Eigenschaften zusammenstellen und gruppieren, Meinungen zu bestimmten Themenbereichen gewichten, bewerten und entsprechend gruppieren, zur Kurdenfrage wird sich die Diplomatie neu gruppieren müssen, Gemeinden und Kreise mit überdurchschnittlichem Mietenanstieg werden höher gruppiert (—» Gruppe 2b), häufiger reflex, (mit Präpositionalobjekt) gebraucht in Wendungen wie sich (in/zu/um etwas) gruppieren 'sich aufgrund gemeinsamer (wesentlicher) Merkmale als zusammengehörig ausweisen; sich einordnen, auf-/unterteilen/-gliedern, verteilen', in der Folge in verschiedenen fachlichen und wissenschaftlichen Verwendungszusammenhängen (z.B. in der Botanik und Zoologie) terminologisch spezifiziert 'Phänomene nach gemeinsamen (charakteristischen, phänotypischen, ontologischen o. ä.) Gesichtspunkten in einen typologisch, taxonomisch begründeten Zusammenhang stellen, zu einer Kategorie, Gattung, Sorte, einem Typus zusammenfassen' (z.B. mit Bezug auf Lebewesen, s. Belege vor 1826, 1965; —> Gruppe 2a); im soziokulturellen, gesellschaftlichen Bereich auf Personen bezogen 'eine kleinere oder größere Anzahl von Menschen nach sozialen Kriterien wie ähnlicher (Aus-)Bildungsvoraussetzungen, Einkommensverhältnisse und Berufe, gemeinsamer Wertvorstellungen und Normen, aufgrund gemeinsamer Interessen und Ziele zu einer wirtschaftlich und sozial definierten Einheit zusammenfassen' (s. Beleg 1990). 3 Seit der 2. Hälfte des 20. Jhs. insbes. im politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich weiterentwickelt mit Bezug auf organisatorisch mehr oder weniger straff strukturierte, gemeinsame Interessen und Ziele vereinende Zusammenschlüsse in der Bed. 'sich auf ein gemeinsames (weltanschaulich-politisch, wirtschaftlich, militärisch, künstlerisch o. ä. motiviertes) Ziel ausgerichtet zu größeren, übergeordneten Einheiten (mit Anderen) zusammenfinden, eine Organisation, Gemeinschaft, einen Verein, ein Firmenkonsortium o. Ä. bilden, (be-)gründen; sich aufstellen, mobilisieren; sich zusammentun, -rotten', meist von Personen, daneben auch von Staaten, Unternehmen und anderen Organisationen (vgl. (sich) formieren, organisieren, fusionieren, —* Fusion; —> Gruppe 4b, c, d, 5), z.B. sich zu einer politisch
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einflussreichen organisatorischen Einheit gruppieren, die Radikalen gruppierten sich in zwei Lager, sich um einen Konzern gruppieren, mit einer Firma gruppiert sein, die Grünen stehen ständig unter dem Druck, sich in Mehrheit und Minderheit zu gruppieren; vereinzelt in Militär und Sport 'militärische/sportliche Einheiten, (Truppen-) Verbände, Riegen bilden' (s. Belege 1989, 1991, 1998.1). Dazu seit der 2. Hälfte des 18. Jhs. das Verbalsubst. Gruppierung F. (-; -en), zunächst im konkreten, räumlichen Sinne (als Nomen acti und Nomen actionis) mit Bezug auf Malerei, Bildhauerei, Architektur, Gartenkunst, Theater, Tanz, Literatur, Musik u. Ä. 'wirkungsvolle Anordnung, Auf-/Zusammenstellung, Gliederung, Verteilung ästhetischer Mittel und Elemente in der Kunst', z.B. in bunter Gruppierung dargestellt, anmutige, malerische, schöne Gruppierung (zu la), selten allgemeiner, in Bezug auf räumliche Situierung und Bewegung verschiedenster beliebiger Gegenstände oder Personen, 'räumliche (koordinierte) Ansammlung, Anordnung, Zusammenstellung mehrerer individueller Elemente zu einer (oder mehreren) Gruppe(n)', z.B. Gruppierung der Personen, der Sessel, der Wolken (zu Ib), seit späterem 18. Jh. in (inhaltlich-)klassifizierendem Sinne 'Klassifikation, Kategorisierung, An-, Einordnung/-stufung von Gegenständen und Sachverhalten, seltener Personen(-kollektiven) nach bestimmten Kriterien', v. a. im wissenschaftlichen Bereich (s. Belege vor 1826, 1866, vor 1884, 1971; —»· Kategorie, —» Klasse), in Wendungen wie die Gruppierung der Tierarten nach ihrem Knochenbau, nach der Gruppierung und Auswertung der von den Forschern erhobenen Daten (zu 2), seit frühem 20. Jh. v. a. als Bezeichnung für größere soziale, politische (s. Belege 1949, 1966, 1974, 1990, 1997, 2003) und weltanschauliche, wirtschaftliche (s. Belege 1964, 1988) Zusammenschlüsse, Bündnisse, Vereinigungen, Gemeinschaften, Verbindungen von Individuen/Personen (-gruppen), Firmen, Staaten (s. Belege 1929, 1935) oder ähnlichen Organisationen mit gleicher Interessenausrichtung (vgl. Formierung, Fusionierung), z.B. Gruppierung der europäischen Märkte und Mächte, Angehöriger einer rechten Gruppierung, neue politische Gruppierungen sind unvermeidlich, militante, autonome Gruppierungen, die verschiedenen religiösen Gruppierungen in Amerika, parteifeindliche Gruppierungen, eine neue politische Gruppierung wurde ins Leben gerufen, extrem rechte Gruppierungen; Gruppierungssystem; Mächtegruppierung, selten auch synonym mit Gruppe (s. Beleg 1986; —»· Gruppe 5b) (zu 3). Daneben seit 19. Jh. die Präfixbildungen eingruppieren V. trans, und umgruppieren V. trans, mit den dazugehörigen Verbalsubst. Eingruppierung F. (-; -en) und Umgruppierung F. (-; -en). (sich) gruppieren la: Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 76) da er [bildender Künstler] den Tod als eine Figur betrachtet, gegen die eine andere mit Blumen gekrönet, nicht wol gruppiren möchte; Möser 1775 Patriot. Phantasten I 16a Ich wolle keinem rathen im Frühlinge, wo die Natur und die Tafel mit Blumen besetzt seyn muß, einfarbige oder wohl gar rothe und gelbe Gallerte zu geben und die Tafel mit modernen Dormans zu groupiren, wenn der ganze Aufsatz a la Romaine ist; Cramer vor 1777 Neseggab II 49 wer schwor nicht, als Lenzens hofmeister erschien, daß ihn der Verfasser
des Götz von Berlichingen gruppirt? (DWB); Eschenburg 1783 Theorie d. schönen Wissenschaften 175 [der Dichter muss] die nebencharaktere diesem gehörig unterzuordnen und so damit zu gruppiren wissen, daß der totaleindruck dadurch erhöht wird (DWB); Ramdohr 1787 Malerei II 28 Die Stellungen jeder einzelnen Figur sind sehr abwechselnd und sehr schön gewählt, aber sie stehen zu einzeln, sie gruppiren mit den übrigen nicht zusammen; Schubart vor 1791 Ästhetik d. Tonkunst 162 doch wählt er sehr gut und weiß aus verschiedenen compositionen sich eigene, seinem geiste an-
gruppieren passende stücke zu gruppieren (DWB); Goethe 1792 Campagne (WA l 33,256) Eine umgestürzte Leyer [auf einer Gemme] Amors Haupt mit Rosen bekränzt; zu derselben ist Bacchus Panther . . zierlich gruppirt; Fr. Schlegel vor 1802 Pros. ]ugendschr. l 228 daß anfang [und] ende [des Epos] nicht mit einander streiten, sondern sich zu einem schönen ganzen harmonisch gruppiren (DWB); Campe 1807 ff. DWB 478 Gruppen, v. trs. in den schönen Künsten, in Gruppen zusammenstellen, ordnen (groupiren); 1811 Almanach a. Köm U 298 Der Torso des Belvedere restaurirt und mit einer ändern Figur gruppirt; Goethe 1811 (WA l 46,120) Hackert. . ahmte [in seinen Zeichnungen] treulich . . die Schiffe nach, gruppirte mitunter Matrosen, wie sie sich ruhend darstellten; ders. 1813 Italienische Reise (HA XI 331) Es sind die Krippchen . ., die man zu Weihnachten in allen Kirchen sieht, eigentlich die Anbetung der Hirten, Engel und Könige vorstellend, mehr oder weniger vollständig, reich und kostbar zusammen gruppiert; ders. 1817 Br. an Zelter (WA IV 28,6) daß die ganze Aufführung nach alter Weimarischer Weise mit Präcision sowohl des Auftretens, Gehens und Bewegens, Gruppirens [Choreografie der darstellenden Personen/Figuren] gegeben werde; ders. 1819 Br. (WA IV 31,43) Der [Masken-]Zug bestand beinahe aus 150 Personen; diese charakteristisch zu costümieren, zu gruppiren, in Reihe und Glied zu bringen . . war keine kleine Aufgabe; 1841 Europa l 86 daß er die Sprache schmeidigte, sie gefällig wendete und gruppirte; Büchner 1850 Nachgelassene Sehr. 189 geputzte herren und damen, sorgfältig gruppiert [Bühnenanweisung]; Jahn 1856—59 Mozart 469 man erkennt hier [in einer Oper] das große talent Mozarts zu gruppieren, einen klaren, symmetrischen plan aufzustellen (DWB); Holtei 1863 Letzte Komödiant II 206 Das war ganz hübsch ausgesonnen, ganz verständig und plastisch angeordnet und gruppiert; Hoffmann v. Fallersieben vor 1874 Ges. Sehr. V 45 er studiert, wie mit dem mantel/ sie sich malerisch drapiern,/ wie sie auf dem karren sitzen,/ wie sie stehn und sich gruppiern (DWB); Kompert 1882 Monte Pincio (VII 96 f.) Die Art und Weise, wie sie [Römer] das schwarze oder blaue Mäntelchen, ich möchte fast sagen, an sich gruppiren, dieser unnachahmliche Chic, der aus dem Faltenwurf spricht, ist etwas so echt Römisches, wie ich es noch an keinem anderen Orte beobachtete; Klemperer 1939 Tagebücher 474 das „Dichten" ist nicht viel mehr als ein Formen und Gruppieren, manchmal ein Kontrahieren, manchmal ein Auslassen; Th. Mann 1948 (W. IX 748} der natur-mystisch psychologisierende Roman des Sechzigjährigen, 'die Wahlverwandtschaften', dessen Gestalten zwar lebenswahr und individuell überzeugend, zugleich aber Symbole sind, ebenmä-
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ßig gruppierte und gegeneinander bewegte Schachfiguren einer hohen Gedankenpartie; Welt 8.11. 1974 Mutterliebe und megärenhafte Grausamkeit läßt Hugo in seiner „Lucrezia Borgia" zusammenstoßen, die Geschichte bleibt Rahmen, der sich um die Darstellung ausschweifender Leidenschaften zu gruppieren hat; Mannh. Morgen 15. 3. 1985 Die Collage, ebenso vielfältig wie unübersichtlich, manchmal auch ohne alles Gespür für bildnerische Proportionen auf die Blätter gruppiert; Zeit 7. 3. 1986 Also gruppiert Stein das Liebespaar schon in der Liebesnacht wie in der Todesszene. Otellos (An-)Klage, Cassio habe ihn, mit der Verdächtigung Desdemonas, „ans Kreuz genagelt", führt zu ähnlich doppeldeutigen Bild-Zeichen; Mannh. Morgen 22.3.1986 seine harmonisch rhythmisierten Bildgliederungen wie seine dramatisch gruppierten, preziös ausgemalten Figuren und deren Gewänder . . sind des endlosen Anschauens wert; taz 9. 1. 1989 Episoden und Aphorismen . ., die allesamt um ein Thema gruppiert sind: den Tod; Oberösterr. Nachr. 29.11.1997 Wie der Fahrer, der alle Bierdosen, derer er habhaft wurde, zu einem Aluminium-Ornament gruppierte; Salzb. Nachr. 9. 12. 1997 Das „Patria oppressa" des vierten Aktes wurde so zum hinreißend gesungenen wie schön gruppierten Standbild, zu einem veritablen Chorgemälde; Presse 21.2. 1998 Wer den Raum der MAK-Galerie betritt, wird jedoch zunächst gut daran tun . . sich zunächst vom poetischen Reiz der dort gruppierten plastischen Gebilde einfangen zu lassen; St. Galler Tagblatt, 22. 6. 1998 Dann traten einzelne musikalische Figuren hervor, ein koordinierter Rhythmus bildete sich und das Chaos schied sich klar nach Rezitation und Gesang, die Töne gruppierten sich zu dissonanten Akkorden, und schliesslich wird der Text unisono und als Choral in strengster Ordnung dargeboten. Gruppierung: Goethe 1772 Sehr. z. Kunst (HA XII 58) Die alten Vasen geben uns hundert Beispiele einer solchen anmutigen Gruppierung, und es würde vielleicht möglich sein, stufenweise von der ruhigsten Vasengruppe bis zu der höchst bewegten des Laokoons die schönsten Beispiele einer symmetrisch künstlichen, den Augen gefälligen Zusammensetzung darzulegen; ders. 1773 Sehr. z. Literatur (HA XII 260) da man auf der Bühne nicht nur alles wahr, sondern auch schön dargestellt haben will, da das Auge des Zuschauers auch durch anmutige Gruppierungen und Attitüden gereizt sein will; Goethe 1800-16 Sehr. z. Kunst, Paralipomena (WA I 48,234) Den Kunstwerken jener Zeit fehlt alles, was ein Gemälde in sich selbst abschließt, zur Einheit macht. Perspectiven, Helldunckel, Haltung, Kolorit, Gruppirung; Heinse
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vor 1803 S. W. V 277 [ein Ballett] ist die darsteldie übrigen gruppiren sich mit Verstand; Novalis lung einer begebenheit durch mienen und gebervor 1801 Sehr. (1907) l 69 die kuppen sind mannigden, tanz und gruppirungen für das äuge; 1811 Al- faltig gruppiert (DWB); Schiller vor 1805 S. W. manach a. Rom U 96 Diess ist das vierte Gemälde, XIV 407 [die Landleute] sitzen auf den balken des . . das bei der sehr schönen Gruppirung, die es dar- zerbrochenen gerüstes mahlerisch gruppiert (DWB); bietet . . einen eben so physiologisch als moralisch Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (HA VI 304) schönen und richtigen Gedanken enthüllt; Borne Dort hatten sich auf des Hauptmanns Veranlas1829 Ges. Sehr. Ill 4 nicht im colorit, in der grösung die Bewohner vor ihren Häusern versammelt; ßern oder kleinern lebhaftigkeit der färben, sonsie standen nicht in Reihen, sondern familienweise dern in der Zeichnung, Stellung und gruppirung der natürlich gruppiert, teils, wie es der Abend forgedanken liegt das eigenthümliche einer Schreibart derte, beschäftigt, teils auf neuen Bänken ausru(DWB); Gutzkow 1838 Blasedow H 75 Die Gruphend; Klinger 1809 W. X 27 die päppeln lispelten pirung, der Geschmack [das ästhetische Urteilsverim leisen winde und gruppirten sich um frische, mögen] in der Anordnung verdienen schon allein murmelnde quellen (DWB); Pückler-Muskau 1819Bewunderung; Schelling vor 1854 W. / 5,528 in die22 Briefw. u. Tagebücher l 284 ob [die Bäume] ser Beziehung würden die zwei hauptbestandtheile rechts, ob sie links, ob sie so oder anders gruppirt der kunst eines gemäldes die symmetric und die stehen (DWB); ders. vor 1822 Briefw. u. Tagebügruppirung seyn (DWB); Schopenhauer vor 1860 cher I 161 ich hatte die jungen mädchen um den S. W. l 403 die untere hälfte des blattes zeigt in alten herzog gruppirt (DWB); Oken 1833-41 Allganz gleicher anordnung und gruppirung schafe, gem. Naturgesch. I 137 gewöhnlich sind die crysdenen die lämmer weggenommen werden (DWB); talle gruppiert und zu drusen verbunden (DWB); Strauß vor 1874 Ges. W. II 270 eine übertriebene Hebbel vor 1836 Tageb. 306 [rund herum] sind anstrengung der musceln, [ohne] weitere bedeudie festungen Frankreichs gruppirt (DWB); Ihering tung als die der gruppirung [ist ein] mittel, wo1850 Geist röm. Recht II 1,208 die einfachheit und durch die nachahmer des Michelangelo die äugen Sparsamkeit, die keuschheit und treue, sie gruppizu blenden suchten (DWB); Nestroy 1890 Ges. W. ren sich um das [römische] haus und die familie 206 unter passender gruppierung [szenischer als ihren eigentlichen mittelpunkt (DWB); SchoAnordnung auf der Bühne] fällt der Vorhang penhauer vor I860 S. W. I 362 [der Pflanze] ein(DWB); Gothein 1914 Gartenkunst l 4 Anordnung fachsten faser, die sich zu blatt und zweig gruppirt und Gruppierung verschiedener Pflanzungen; Tb. (DWB); Holtei I860 Eselsfresser II 213 Ihre Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 301) [Goethes] Abende hatten sich gleich von Anfang hübsch Versepen, 'Hermann und Dorothea', die 'Achilgruppirt; Justi 1866 Winckelmann II 1,116 copileis', tragen in ihrer Formung und Gruppierung rende und studirende maier . .. gruppirten sich tägden Kunstcharakter jener Zeit, sie wirken wie antilich unter dem gewölbe der gallerie (DWB); Buch kisierende, aus der Fläche hochgetriebene Bild1867 Ges. Sehr. I 58 [die Streifen im Sandstein] werke von damals; ders. 1947 Faustus (W. VI 406) sind aber nicht parallel, sondern gruppiert (DWB); anderwärts waren der harmonische ZusammenScherer vor 1886 Kl. Sehr, l 89 um den Vorauer hang und die instrumentale Gruppierung durch die fund . .. gruppierte sich mehr oder weniger die Notierung auch der übrigen Orchesterstimmen ganze wissenschaftliche thätigkeit Diemers (DWB); schon deutlich gemacht; Welt 10. 1. 1959 Piscator Hauptmann 1891 Einsame Menschen l ein bücherhat beides. Stil als Ordnungsprinzip durch geschrank, um ihn gruppiert bildnisse (DWB); Kerr schickte Gruppierung. Sehr eindrucksvoll; Zeit 1898 Br. a. d. Reichshauptstadt 369 Es gruppieren 12. 12. 1986 Bilder, die wie Momentaufnahmen sich in diesem Verein mehrere Berufsschriftsteller von Choreographien wirken, wie fließend aneinanum die Angehörigen anderer Erwerbszweige; Kahder gehängte Standphotos von Gruppierungen, delenberg 1902 Familie Barchwitz 51 man drängte ren Form ihre Ausdruckskraft bedeutet; von Kon- nach dem salon zurück, wo die damen sich schon stellationen, die den Gravitationsgesetzen zu gegruppiert hatten (DWB); Th. Mann 1902 Erz. (W. horchen scheinen; taz 23. 6. 2003 Die Neuköllner Vlll 202) Ihre schmalen, ein wenig nervös und sollen sich in die Liegestühle setzen. Sie sollen mit krampfhaft gruppierten Finger umfaßten die Hüfte den Liegestühlen Gruppierungen bilden und Liebdes Kindes; ders. 1903 Erz. (W. Vlll 323) ein belingsplätze suchen, sagt die Künstlerin. jahrtes Mädchen mit weißem Haar . ., das immer seine roten Hände auf dem Tafeltuche ein wenig (sich) gruppieren Ib: Musäus vor 1787 Volksm. l vorteilhaft zu gruppieren trachtete; Wimmer 1905 Gesch. d. dtsch. Bodens 11 [Bauernhöfe] um die 60 nach den ersten höflichkeitsbezeigungen grupsich das wohlgepflegte ackerland, die grüne wiepirte sich die assemblee wieder in verschiedene senflur und der dunkle Waldgürtel gruppierte kleine zirkel (DWB); Goethe 1792 Groß-Cophta (WA l 17,200) Der Graf steht zunächst der Nichte, (DWB); Th. Mann 1933-34 Tagebuch (W. XII
gruppieren 764) In dem nationalen wissenschaftlichen Arbeitstriebe sind . . erstrangige Forscher, als jüdisch, hinausgeworfen worden. Um jeden aber von ihnen gruppierte sich ein Schülerkreis, von wiederum je zehn oder zwölf Köpfen; ders. 1939 Reden u. Aufs. (W. IX 592) Zaubergeschichten . ., die sich um die Gestalt des Dr. Johannes Faust gruppierten; Thieß 1941 Reich 449 in sich abgerundete Stadtviertel, die man weniger nach Zweckmäßigkeit als nach den Gesetzen der Harmonie und Schönheit gruppiert hatte (DUDEN 1999); Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XIII 742) daß das Ende des um Preußen gruppierten Kriegsreiches nicht das Ende Deutschlands, den Tod des deutschen Volkes bedeutet; Langgässer 1959 Siegel 232 In der Küche gruppierte sich schon der Zug der gravitätischen Kellner (DUDEN 1999); Wolf 1964 W. IV 79 Für westdeutsche Schriftsteller, Autoren eines Landes, in dem es keine legale, wirklich sozialistische Linke gibt, um die sie sich hätten gruppieren können, kann ich das bis zu einem gewissen Grad verstehen; Zeit 18. 4. 1986 Die amerikanische Armada im Mittelmeer, insgesamt 30 Kriegsschiffe, 170 Flugzeuge und 20000 Mann Besatzung stark, gruppierte sich um die beiden Flugzeugträger; Mannb. Morgen 4. 3. 1987 daß der linke, um die Kommunisten gruppierte Flügel der Opposition seine Anhänger vor der Einschreibung warnt; taz 18. 4. 1987 Kämpfe zwischen den traditionellen Herrschern der Schwer-, Metall- und Autoindustrie, gruppiert um die FIAT-Familie Agnelli und den Staatskonzern IRI, gegen die Aufsteiger aus dem High-Tech-Bereich um Olivetti-Chef De Benedetti und einige Bankpräsidenten; St. Galler Tagblatt 20. 7. 2000 dieses Gruppieren von Setzlingen gleicher Art und gleicher Grosse in gleichem Abstand; Mannh. Morgen 12. 2. 2003 Wie bereits ausführlich berichtet, müssen über ein Dutzend der um das Stammberg gruppierten Bäume fallen; Berl. Ztg. 4. 9. 2003 In dem einen Fall waren alle Landmassen um den Äquator herum gruppiert, im anderen gab es nur einen Superkontinent südlich des Äquators. Gruppierung: Lichtenberg 1794 Hogarth l 6 schlechte Vertheilung von Licht und Schatten und seine Gruppirungen; Droste-Hülshoff vor 1848 Br. an Levin Schücking 58 die Alpen, die nach ihrer ganzen länge (in) einer durchaus neuen und pittoresken gruppirung wie aus dem spiegel auftauchen; Viscber 1848 Ästhetik II 21 die nothwendigkeit der begrenzung und der gruppierung um einen geistigen mittelpunkt; Humboldt 1849 Ansichten 215 Anblick des Luftkreises, Umriß und Gruppirung der Wolken; Peschel 1874 Völkerkunde 119 diese gruppirung zweier wurzeln; ebd. 362 die büschelförmige gruppirung der haare (DWB); Klemperer
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1948 Tagebücher 604 Ein sehr elegantes Essen mit reichlichem Wein. Dann engere Gruppierung im Nebenzimmer; Gutschick 1971 Forstbetriebsdienst . S. Gleichmäßiges „Garnieren" des ganzen Gehöftes mit Hochstämmen wirkt meist ebenso unschön wie streng symmetrische Gruppierung der Bepflanzung. (sich) gruppieren 2: Dusch 1770 Br. IV 81 Das ist indeß Thomsons Manier, Bilder und Gedanken zu gruppiren; Schubart vor 1791 (Strauß, Schubarts Leben I 18) pragmatische Übersichten, (in) denen ich personen und ereignisse zu gruppiren mich bemühe; Haller 1816 Restauration d. Staatswissensch. I 343 [die Menschen] in mannigfaltig verschlungenen geselligen Verhältnissen vereinigt und gleichsam gruppirt; Naumann vor 1826 Naturgesch. d. Vögel X 461 die zahlreichen arten [der Möwen] in familien gruppiren (DWB); Gervinus 1853 Gesch. d. dtsch. Dichtung V 410 die gedankenlosen und formfrohen lyriker, [die] sich an Schiller anlehnen, und die in dessen musenalmanach sich anfangen zusammen zu gruppiren (DWB); Justi 1866 Winckelmann I 273 [wenn] allmählich die guten Sachen hervortreten und mit hülfe der von Winckelmann angezündeten historischen lichter nach den Zeiten sich gruppiren (DWB); 1881 Bilder II 39 Um den Bundestag gruppirt sich die „Bundesarmee"; Lorenz 1965 Verhalten I 319 McDougall gruppiert . . die Instinkthandlungen von Mensch und von Tieren unter die Begriffe von . . dreizehn übergeordneten Instinkten (DUDEN 1999); 1971-72 Weißbuch o. S. Die Organisation des Bundesministeriums der Verteidigung . . hat sich bewährt. Abweichend von der sonst üblichen Behördenpyramide sind die Organisationselemente . . nach den Regeln der Teamarbeit gruppiert; Zeit 15. 5. 1987 Nicht selten ist Biedenkopf der Verführung erlegen, die Welt in Begriffe zu zerlegen und sie mit Begriffen neu zu gruppieren; taz 23. 8. 1990 Den Grund kennt der Repräsentant des Veranstalters, ein Rentner, der sich selbst in die Gruppe „wir Manager" gruppiert; Züricher Tagesanz. 23. 12. 1997 Auch sonst sind die Briefe sorgfältig präsentiert: Gruppiert nach Lebensabschnitten, die mit biographischen Angaben eingeleitet sind, stehen sie im konkreten Umfeld; Berl. Ztg. 4. 2. 2003 Vom 5. bis zum 14. Februar werde die Diplomatie sich weltweit völlig neu gruppieren. Bis dahin müsse die Türkei handlungsfähig sein. Gruppierung: Lichtenberg 1768 Aphorismen I 90 Die Gruppirung der Qualitäten und der Thaten, guter sowohl als böser, unter einander ist eine der schwersten Künste; Naumann vor 1826 Naturgesch. d. Vögel X 461 keine von diesen natürli-
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gruppieren
chen gruppirungen nach färbe und Zeichnung des gefieders hält stich; Humboldt 1849 Ansichten 395 neue Gebirgsarten . ., d. h. unbekannte Gruppierungen einfacher Stoffe; Jahn 1856 Mozart l 534 die freiere behandlung und gruppirung der blasinstrumente (DWB); Justi 1866 Winckeltnann H 2,190 in der Sammlung und gruppirung solcher climatischen, sittengeschichtlichen, politischen daten; Hillebrand 1875 Wälsches 227 Endlich müßte in einer zweckmäßigen Literaturgeschichte wenigstens Eintheilung, Gruppirung des Stoffes sein; Rieht 1883 Vorträge U 520 In unserer Personalstatistik hat sich die Gruppierung nach Studierenden aus dem „Deutschen Reiche" und dem „Auslande" ganz von selber eingebürgert; Brehm vor 1884 Tierl. (P.-L.) l 2 erst im vorigen Jahrhundert wurde (die) gruppierung der tierischen formen [gefördert] (DWB); Berl. Illustr. Nachtausg. 11.8.1933 entwickelte sich in früheren Jahren meistens eine neue Gruppierung der Generale; Gieß 1971 Phänomenologie XVII o. S. Die bloße Konfrontation, Aufzählung, Gruppierung von Phänomenen befriedigt nur ein sehr vordergründiges Erkenntnisziel; Computerztg. 26. 2. 1998 Erstens die Stichprobenbildung und das Bereitstellen von Trainings- und Testdaten, zweitens die Exploration, inklusive Variablenauswahl, Gruppierung und Visualisierung, drittens die Modifikation und Transformation der Daten, viertens die Modellbildung. (sich) gruppieren 3: Bülow 1916 Dtsch. Politik 51 f. als wir 1895 an der Seite von Frankreich und Rußland, mit denen wir uns ad hoc zu einem ostasiatischen Dreibund gruppiert hatten, das siegreiche Japan nötigten, seine Forderungen gegenüber dem besiegten China zurückzuschrauben; FAZ 8. 12. 1965 Ihr würden sich von nun an lediglich die hinter Mitterrand gruppierten verschiedenartigen Kräfte widersetzen, von denen der größte Teil die Grundsätze der Demokratie ablehne; Welt 21.3. 1969 Die Jahresproduktion der neuen BrauereiGruppe . . läge damit an zweiter Stelle hinter der „L'Europeenne de Brasseries", die um den Brauerei-Konzern Champigneulles gruppiert ist; taz 2. 7. 1988 Entlang den Abfällen der Warenwelt nähern sich die Forscher den örtlichen Eingeborenen, welche sich in sogenannten 'Gewerkschaften' gruppieren; ebd. 9. 6. 1989 In der Bundesrepublik, dem Land der diesjährigen Europameisterschaft im Football, gruppieren sich die Mannschaften in der Regel um einige US-Soldaten; ebd. 2. 3. 1991 Die USA und ihre Alliierten wollten den irakischen Streitkräften auch keine Zeit und keine Möglichkeit geben, sich in Kuwait oder im südlichen Irak neu zu gruppieren; Presse 23. 1. 1996 Demgegenüber stehen Aktiva von 435,6 Mill. S, in denen jedoch Regreßforderungen der gruppierten Firmen
enthalten sind; St. Galler Tagbl. 23. 3. 1998 Young Boys .. präsentierte sich in Genf als die besser gruppierte Mannschaft und wurde mit dem ersten Erfolg im neuen Jahr belohnt; Salzb. Nachr. 20. 6. 1998 daß im Laufe der Kriegsjahre 1939-45 die Kokoschkas bisweilen einzelne oder gruppierte Emigranten aus hitlerbesetzter Heimat unterstützen können; Presse 4. 8. 2000 Daneben erwartet Otruba drei Konsortien, die sich um die spanische Telefonica und die finnische Sonera, die France Telecom mit Orange sowie die niederländische KPN mit der japanischen NTT . . gruppieren. Gruppierung: 1929 Nord u. Süd LII 196 Gruppierung der europäischen Mächte; Berl. Börsenztg. 20. 5. 1935 Darum habe Finnland keiner Konvention beitreten wollen, die es in fremde Angelegenheiten oder in Gruppierungen hineinziehen könnte, die anderen Gruppierungen feindlich gegenüberstehen; Neues Deutschi. 1.1. 1949 im Tageskampf, im Betrieb, in den faschistischen Zwangsorganisationen, in der gewerkschaftlichen Arbeit wird die Stoßkraft der Hitler-Gegner vermehrt, werden die Gefahren für die illegalen Kämpfer vermindert, wenn die verschiedenen antifaschistischen Gruppierungen gemeinsam vorgehen; ebd. 15. 5. 1954 wenn man den Weg der Wiederaufrichtung des deutschen Militarismus und der Schaffung militärischer Gruppierungen in Europa gehe; Welt 6. 10. 1964 Ziel der Interessengemeinschaft ist die enge Zusammenarbeit mit der „zweiten Stufe" auf modischem Gebiet auf die gemeinsame Werbung für Damenoberbekleidungsstoffe. Der Gruppierung, die nicht die strengere Form des Verbunds annehmen soll, gehören an die beiden französischen Firmen . . sowie die deutschen Häuser; FAZ 11.1. 1966 Von politischen Gegnern General de Gaulies wird das neue Kabinett als eine unter dem Druck der Wahlergebnisse hastig und mühsam zusammengestellte Gruppierung bezeichnet; Welt 24. 8. 1974 macht kein Hehl aus seiner Absicht, gemeinsam mit Gesinnungsfreunden . . eine progressive Partei der linken Mitte zu gründen. „Neue politische Gruppierungen sind unvermeidlich"; Zeit 17.1. 1986 beschäftigten sich unterschiedliche Gruppierungen von Forschern mit verschiedenen aktuellen Problemen; taz 5. 8. 1988 Wenn es zu der Unternehmens-Neugruppierung kommt, wird es keinen Krieg in der Welt mehr geben, bei dem dieses Unternehmen nicht mit seiner technologischen Kompetenz . . „dabei" ist; ebd. 7. 3. 1990 Als neuen provisorischen Präsidenten . . schlugen die insgesamt 18 Oppositionsparteien und -gruppierungen ein Mitglied des obersten Berufungsgerichts vor; Frankf. Rundsch. 4. 3. 1997 zwar fleißig, was das Plakatieren und Verteilen von Prospekten angeht, aber einfallslos, was die inhaltliche Argumentation
Grusical betrifft. Doch unter diesem Defizit litten die Wahlkämpfe anderer Parteien und Gruppierungen nicht minder; Mannh. Morgen 8. 10. 2003 CDU und
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CSU sind ebenso wie die SPD klassische Volksparteien, die die Interessen aller Gruppierungen unter einen Hut bringen müssen.
Grusical N. (-s; -s), in den 60er Jahren des 20. Jhs. aufgekommene hybride Bildung aus dtsch. grus(-el, -ein, -elig) und der aus engl. musical verselbständigten terminalen Wortbildungseinheit -ical (—* Musical; vgl. weitere nach diesem Muster entstandene, zur (leicht abfälligen) Charakterisierung von (musikalischen) Film- und Bühnenveranstaltungen im Bereich der leichten Muse gebrauchte okkasionelle Kombinationen wie Comical, Historical, Jazzical, Konzertical, Krimical, Lyrical, Operettical, Popical, Political, Revoluzzical, Satirical, Titanical, sowie Bildungen mit dtsch. Wortbestandteilen wie Gespenstical, Gruftical, Kitschical, Schmusical, Schnulzical, Tanzical bzw. mit Eigennamen wie Faustical, Schlumpfical, Vaticanical). a Zunächst als Bezeichnung für einen nach Art eines Musicals aufgemachten (Musik-) Film, der Elemente des Gruseligen aufweist bzw. Gruseln hervorruft (wobei auch ein Moment des Komödiantischen und Slapstickhaften mit hereinspielen kann), dann allgemeiner als Gattungsbegriff für Gruselfilme, -stücke (mit Gespenster- und Horrorgeschichten), vereinzelt auch für ' Musical von bes. miserabler Qualität, die den Zuschauer das Gruseln lehrt' (s. Beleg 1997) und gelegentlich ausgedehnt auf Veranstaltungen, Messen, Ausstellungen o. Ä., bei denen Magisches, Makabres usw. eine Rolle spielt (s. Belege 1999, 2002), in Wendungen wie aus der Geschichte von Rotkäppchen wird ein Grusical mit viel Blut, ein schaurig-schönes, düsteres Grusical, die berühmten Grusicals „Rosemaries Baby" und „Tanz der Vampire" von Roman Polanski und Zss. wie Bienen-, Comic-, Dinosaurier-, Dracula-, Familien-, Fledermaus-, Halloween-, Heimat-, Opern-, Polanski-, Puppen-, Rock-, WeltraumGrusical; Grusical-Elemente, -Fassung, -Serie, -Show. b Von daher etwa gleichzeitig übertragen verwendet, bes. in den 60er/70er Jahren im politischen und wirtschaftlichen Bereich oft ironisierend im Sinne von 'unschöne, unangenehme Angelegenheit; negatives, Gruseln hervorrufendes Erlebnis, öffentliches Ereignis, Szenario', in Wendungen wie ein Grusical aus dem Nachtleben deutscher Großstädte und v. a. als Grundwort in Zss. wie Haushalts-, Koalitions-, Finanz-, Fußball-, Millionen-, Polit-, Prozess-Grusical. Grusical a: Süddtsch. Zig. 6. 2. 1960 Ein deutsches „Grusical" (Überschr.) . . aus der Verwandtschaft von „Spitzenhäubchen und Arsenik"; Pilmrevue 2. 8. 1960 Er nennt die moderne Gespenstergeschichte ein Grusel-Musical oder kurz und einfach ein Grusical (AWB); Spiegel 16. 1. 1963 Nach einem Musical („Das Wirtshaus im Spessart") und einem Grusical („Das Spukschloß im Spessart") gewann Kurt Hoffmann dem deutschen Film ein Frostical („Schneewittchen und die sieben Gaukler") (AWB); Zeit 1.11.1968 Marginalien zu Polanskis Grusical „Rosemaries Baby" (AWB); Spiegel 5. 1. 1970 Sie kauften . . Grusicals wie den 36 Jahre alten Film „King Kong und die weiße Frau" (AWB); Mannh. Morgen 29. 8. 1975 Tanz der Vampire, Polanskis weltberühmtes Grusical (AWB); Spiegel 28. 5. 1984 an nichts wird gespart, schon
gar nicht an Sex und Crime. Kein Wunder also, daß das Grusical [„Ärztinnen") in wenigen Monaten mehr als eine Million DDR-Menschen ins Kino zog (AWB); Zeit 29. 5. 1987 „Der kleine Horrorladen" von Frank Oz (Überschr.) Man nehme einen alten Gruselstoff, kreuze ihn mit den komödiantischen Inspirationen der Off-Broadway-Musicalschreiber, präpariere ihn „stilecht" nach Art der späten fünfziger Jahre und färbe ihn mit dem bonbonfarbenen Zynismus der späten achtziger — fertig ist das „Grusical", die neueste Zuchtpflanze aus dem Treibhaus der Kino-Stereotypen; taz 10. 1. 1991 Beide machten aus dem Spinnen-Thriller eine herrlich altmodische Geisterbahnfahrt. Endlich ist sie wieder da, die gute alte Gänsehaut und die Regel, nach der man auch im Grusical einen Lacher niemals verachten soll, wurde ebenfalls beachtet;
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Guerilla
Frankf. Kundsch. 2. 12. 1997 was machen Popstars, wenn sie in die Jahre kommen? . . sie schreiben zumindest ein Musical. Daß das mitunter . . in die Hose geht oder ein Grusical draus wird, lehrt die jüngere Popgeschichte; ebd. 4.11. 1999 „Höchst Gruselig '99", das dritte Halloween-Grusical im Schloss, dürfte damit auch das letzte gewesen sein; Züricher Tagesanz. 7. 4. 2000 Die shake musical company hat das Theater seit 1995 erfolgreich um Genres wie Bienengrusical, Nonnenmusical und Schmusical bereichert. Nun ist das Sandalical an der Reihe, das Sandalenepos. Bob Ballards Ben-Hur-Version; Mannh. Morgen 24. 10. 2002 Schaurige Gestalten auf der Suche nach Süßem. An Halloween spielt sich auf den Straßen ein Grusical ab . . Süßigkeiten besänftigen gruselige Nachtgestalten. Grusical b: Spiegel 22. 11. 1961 Der parteiamtlich designierte Thronfolger Ludwig Erhard verspielte vor allem im letzten Akt des Koalitions-Grusicals . . (AWB); ebd. 13. 2. 1963 führten Kanzler und Kronprinz . . einen Jubiläums-Sketch auf: eine Par-
odie ihres seit Jahren auf dem Bundesprogramm stehenden Grusicals: „Elf Millionen CDU-Wähler suchen einen Erben" (AWB); ebd. 27. 10. 1969 Über den Rundfunk hörten sogar die Insassen der Hamburger Strafanstalten das Fußball-Grusical mit (AWB); Industriekurier 21.2. 1970 Mit dem Auftritt des Bundesfinanzministers fing das Haushaltsgrusical an. Ein schauriges Klagelied stimmte Möller an (AWB); FAZ 20. 2. 1970 Die meisten Vorgänge .. gingen nicht auf die Alleinverantwortlichkeit des Bundesfinanzministers [Strauß] zurück, wie es das „Möllersche Finanzgrusical" vorspiegeln möchte; Spiegel 30. 11. 1976 In der 23. Woche . . des Prozeß-Grusicals in . . Los Angeles kam der Hauptangeklagte doch noch zu Wort (AWB); ebd. 2. 7. 1990 Dasselbe könnte im Norden passieren, denn das „Grusical am anderen Ende der Welt" .. wird sich in den neunziger Jahren vermutlich verstärkt über den Köpfen der Europäer und Nordamerikaner abspielen (AWB); Oberösterr. Nachr. 5. 2. 2000 hatte Haider zwei idealtypische Figuren aus dem politischen Grusical nominiert.
Guerilla F. und M. (-(s); -s), im frühen 19. Jh. im Zuge der spanischen Freiheitskämpfe gegen die französische Fremdherrschaft und Besetzung unter Napoleon Bonaparte (1808—14) über gleichbed. frz. guerilla entlehnt aus span. Guerilla 'Kleinkrieg, kleines Gefecht', auch 'Freischar, Partisaneneinheit' und im Pl. Guerillas 'Freischaren, Freischärler' (Diminutiv zu guerra 'Krieg' altniederfränk. Herkunft, vgl. ahd. werra 'Verwirrung, Ärgernis, Streit, Zwietracht', vgl. wirr, (ver-)wirren), auch in der Form Guerrilla. l Zunächst im Pl. und als F. verwendete, auf spanische Verhältnisse beschränkte Kollektivbezeichnung für die gegen die napoleonische Invasion gerichteten, aus bewaffneten Landarbeitern und Hirten rekrutierten, in kleineren beweglichen Einheiten organisiert agierenden Rebellengruppen, Freischaren und Streiftrupps, heute nur noch historisierend (s. Belege 1816, 1838, 1844, 1860, 1935, 1945), in Wendungen wie die Guerillas sind spanische Freischärlergruppen, bewaffnete Banden von Freiheitskämpfern, die in Spanien „Guerillas" heißen, oft schwierig zu unterscheiden vom Gebrauch als M. zur Bezeichnung der einzelnen Mitglieder dieser Gruppierungen oder Bewegungen, der spanischen Freischärler (s. Belege 1821.1, 1821.2, 1824, 1832), später ausgeweitet auf einzelne aufständische Untergrundkämpfer auch außerhalb Spaniens, die in Bürgerkriegen o. Ä. mit den Methoden des Kleinkriegs auf eigene Faust (in unwegsamem Gelände (Gebirge, Dschungel, Sumpf, Busch) aus dem Hinterhalt) agieren (s. Belege 1967, 1971, 1986; —* Bandit, —»· Partisan, —> Rebell, —»· Terrorist, vgl. Insurgent, Guerill(er)o, s.u.), in Wendungen wie der Guerilla zog seine Waffe, der Anführer einer Gruppe von schwer bewaffneten, militanten Guerillas, sechs Guerillas haben einen ausländischen Diplomaten entführt und in Zss. wie Guerillaanführer, -einheit/-gruppe/-verband, in älteren Zss. auch in der PL-Form Guerillas-, z. B. Guerillas-Angriff, -Bande/-Truppe, -Chef/-Führer, -Gefecht/ -Kampf, -Hinterhalt, -Streitkräfte, -Stützpunkt, -Tätigkeit, und v. a. schon im frühen
Guerilla
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19. Jh. aufgekommenes Guerilla(s)krieg 'Krieg/Kampf der (spanischen) Freischärler und Freischaren gegen die (französische) Unterdrückung (durch Napoleon L); aus dem Hinterhalt geführter Krieg, Untergrundkampf, auch bildlich und übertragen verwendet (s. Belege 1823, 1932); seit der ersten Hälfte des 20. Jhs. zunehmend ausgedehnt auf aus dem Hinterhalt operierende Kampftruppen (bzw. Kämpfer) außerhalb Spaniens, v. a. in Lateinamerika, Südostasien, Palästina usw. (s. Belege 1950, 1961, 1971, 1994), z.B. algerische, kurdische, laotische, palästinensische, vietnamesische Guerillas, die bolivianischen Rebellen schlössen sich zu Guerillas zusammen, als Bestimmungswort in Zss. (z. T. konkurrierend mit Banden-, Terror(-isten)u. Ä.) wie Guerillaabteilung, -armee, -camp/-lager, -einheit/-verband/-truppe, -forderung, -gefecht/-kampf, -kämpfer/-soldat, -kommando, -Stellungen, -Überfall, als Grundwort in Kurden-, Rebellen-, Separatisten-, Stammes-, Zapatistenguerilla, oft (konkurrierend mit -bände, -mafia o. Ä.) übertragen (auf bestimmte berufliche, weltanschauliche, soziale u. ä. Gruppierungen) in Daten-, Drogen-XNarko-, Fahrrad-, Kommunikations-, Gefängnis-, Kinderzimmer-, Schulguerilla, (auf Tiere:) Affen-, Moskito-, Vögelguerilla (s. Beleg 2000); seit Mitte 19. Jh. als F. im Sing, (mit dem bestimmten Artikel oder nicht näher spezifiziert ohne Artikel), in der generalisierenden Bed. 'Gesamtheit der mit den Methoden des Kleinkriegs agierenden paramilitärischen Einheiten und -aktivitäten; bewaffnete Terroristen-, Untergrundbewegung' (s. Belege 1851, 1888, 1984, 1995, 1999; -» Mafia, -* Razzia-, -> Terror, -* Terrorismus), z. B. Gesetze zur Bekämpfung der gesamten Guerilla im Land, sich der Guerilla anschließen, Waffenstillstand zwischen Militär und Guerilla, strategische Grundlagen der Guerilla, der Dschungel ist das Rückzugsgebiet der Guerilla und in Zss. wie Guerillakampf, -krieg, -methoden, -taktik, als Grundwort in Befreiungs-, Busch-, Gegen-/Konter-/Kontra-, Links-, Straßen-, Terror-, Untergrund- und bes. Stadtguerilla 'gezielt gegen die hochzivilisierte, verletzliche, städtische Lebensform der Metropolen gerichtete Untergrundbewegung', oft (konkurrierend mit -(untergrund-)bewegung, -mafia o. Ä.) übertragen (auf bestimmte berufliche, weltanschauliche, soziale u. ä. Bewegungen) in Medien-, Mode-, Pop-, Goethe-, Juristen-, Kultur-, Kunst-, Psycho-, Spaß-, Theater-, Umwelt-, Wirtschaftsguerilla, in dieser Bed. auch in jüngster Zeit selten nachgewiesenes Guerillera1 F. (-; ohne PL). Daneben die seit frühem 19. Jh. nachgewiesene, über gleichbed. frz. guerillero auf span, guerrillero zurückgehende, heute üblichere wertfreie bis positive Variante Guerillero M. (-s; -s), auch moviert Guerillera2 F. (-; -s) (vgl. (Tania) la Guerillera, Beiname der an der Seite Che Guevaras kämpfenden Revolutionärin Tamara Bunke), 'Guerillakämpfer(-in), Anführer(-in) einer Freischärlergruppe (bes. in Lateinamerika)', auch übertragen (s. Beleg 1995), in Zss. wie Guerillero-Bande, -Besatzungsmacht, -Disziplin, -Front, -Führer, -Gruppe, -Legende, -Offensive, -Organisation, -Seele; Alt-/Ex-, Bauern-, Exil-, Hisbollah-, Kurden-, PLO-Guerillero, auch (scherzhaft) übertragen Betriebs-, Bierhahn-, Gucci-, Comedy-, Spaß-, Dokumentär-, HipHop-, Medien-, Schreibtisch-, Szene-, Telefon-, Telekom-Guerillero, gleichbed. mit seit früherem 19. Jh. nachgewiesenem, (z.T. im selben Kontext) konkurrierendem Guerillo M. (-s; -s). 2 Seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. selten als im Sing, gebrauchtes F., vereinzelt auch M. (s. Belege 1939, 1949), auch als Exotismus, im etymologischen Sinne 'Kleinkrieg, bewaffneter Widerstand (mittels Nadelstichtaktik), paramilitärischer Kampf von
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Guerilla
(spanischen) Freischaren gegen feindliche Heere, Untergrundkampf im Hinterland feindlicher Truppen (gegen Fremd- oder Gewaltherrschaft) als Instrument der Volksbefreiung (bei ethnischen Konflikten u. Ä.) mit nationalistischen, nationalVsozialrevolutionären oder sozialistischen Zielsetzungen; Gebirgs-/Buschkrieg (einheimischer rebellierender Volksgruppen)' (—» Insurrektion, —> Razzia, —> Rebellion, —»· Sabotage, —» Terror), in Wendungen wie eine Guerilla gegen die Obrigkeit anzetteln, führen, sich aus Mangel an Ressourcen auf eine Guerilla beschränken, der bewaffnete Kampf der Rebellen nahm den Charakter einer Guerilla an, auch übertragen (s. Beleg 1926-27). Guerilla 1: Decker 1816 Art. U 188 Wären die Guerillas in Spanien besser organisiert gewesen, sie würden den Franzosen mehr Abbruch haben thun können; Craig 1816 Grundzüge (Übers.) II 13 Anm. die Guerilla's und die spanischen Städte [im Krieg gegen Napoleon]; £. T. A. Hoffmann 1821 Serapionsbrüder (S. W. IX 146) und ein Trupp Guerillas auf die übrig gebliebenen [Reiter] losstürzte; ebd. IX 150 Empecinado, das berühmte Haupt der Guerillas; Borne 1823 Ges. Sehr, i 257 Das Schmollen der Weiber ist nichts als ein Guerillas-Krieg (LADENDORF); Goethe 1824 Br. (WA IV 38,301) die Scene senkt sich immer tiefer herunter bis zum Pöbel . . da denn die Massen zuletzt durch den Anführer der Guerillas wieder ins Heldenhafte emporgehoben werden; 1826 Feldjäger / J55 Guerillasbanden [im spanischen Feldzug 1808]; Goethe 1828 WA I 42.1,302 daß ein unterjochtes Volck sich . . ins Gebirg zurückzieht . . bis es Gelegenheit findet seine Unterdrücker zu vertreiben. So die alt spanischen Guerillas in den Gebirgen Asturiens gegen die Mauren (GWB); Rumohr 1832 Reisen 128 Denn es galt nicht Räuber abzuwehren, sondern guerillas; Heyse 1838 Fremdwb. 468 Guerillas . . spanische streifende Gruppen; 1839 D. Eisenbahn 368b die weimaraner Literaturkräfte sind Guerillas; 1844 Brockhaus VI 498 Guerillas . . hießen in Spanien die bewaffneten Volksbanden, die sich seit 1808 gegen die eindringenden Franzosen erhoben; 1851 Gesch. i>. Spanien 375 die alte Guerilla [1807 gegen Napoleon in Spanien], welche die glänzendsten Siege der trefflichsten Heere fruchtlos gemacht [hatte]; Sybel 1860 KL histor. Sehr. I 262 Wo französische Truppen erschienen, stoben die Guerillas auseinander, um sich hinter ihnen wie Wellen hinter einem Schiff wieder zu schließen; 1871 Preuss. Jahrb. XXVII 378 verderblichen Einflüsse des Guerillakriegs und der wohlfeilen Siege in Algier; Kist 1888 Erlebnisse 202 führten gegen unsere Armeen einen Guerillaund Razziakrieg; Ernst 1908 Semper der Jüngling 140 Aber es war die bekannte Guerilla böser Schikanen, in deren Erfindung die Jugend grausam ist (SCHEID); Lama 1925 Hitler 15 Unser Plan war, nach dem Muster Schlageters den aktiven Wider-
stand durch Sabotageakte wie einen Guerillakrieg zu entfachen; Frankf. Nachr. 27. 12. 1932 Aus dem Ringen mit dem Meere wurde ein Duell der Bergungsgesellschaften, ein Guerilla-Krieg der Taucher (SCHEID); Hamb. Fremdenbl. 25. 10. 1935 Die Guerillas waren ursprünglich kleine bewaffnete Banden spanischer Landleute, die sich um 1807 bei der Invasion der Franzosen in Spanien bildeten und den Franzosen viel zu schaffen machten; Münch. N. N. 21. 4. 1945 670000 Mann Franzosen, Italiener, Deutsche, Polen sind auf Geheiß Napoleons von 1808 bis 1813 über die Pyrenäen nach Spanien gezogen . . Gesamtheit einer Bevölkerung, die .. sich in Freischaren — Guerillas — zusammenschloß und den Kampf gegen einen taktisch und waffentechnisch weit überlegenen Gegner entschlossen aufnahm; Wiener Kurier 7. 3. 1948 Alle Gewerkschaftsmitglieder, die Angehörigen der Armee und der Polizei . . werden gezwungen, zumindest l Prozent ihres Einkommens für die griechischen Guerillas zu „spenden"; 1950 Saeculum 571 gegenwärtig sprechen die britischen Berichte nicht mehr von „Banditen", sondern von „Guerillas", d.h. die politische Natur der Organisation dieser Dschungellager wird jetzt offiziell anerkannt; Süddtsch. Ztg. 27. 3. 1961 [Laos sei] mit Sümpfen, Dschungeln und unzugänglichen Berglandschaften . . das ideale Land für Guerillas; ebd 12. 1. 1963 Guerilla in Algerien (Überschr.) Der algerische Ministerpräsident . . hat die Unterwerfung einzelner Guerillabanden im Innern des Landes . . angekündigt. Bei den meist führerlosen Banden handelt es sich um zersplitterte Einheiten des rebellierenden Wilaja IV; Bild 27. 1.1967 Ist der junge Hamburger als „Guerilla" versehentlich erschossen oder festgenommen worden?; Stuttgarter Ztg. 19. 5. 1969 Die Vereinten Nationen streben Verhandlungen mit den arabischen Guerillas an; Offenburger Tagebl. 5. 10. 1970 Lateinamerika — mit den Guerillas leben (Überschr.) Nach dem „Minihandbuch für Stadtguerillas" . . hat der bewaffnete Kampf in den Städten zwei wesentliche Ziele: die „Liquidierung" der Ordnungskräfte und die Beschaffung von Geldmitteln durch Raub und Erpressung; FAZ 5. 10. 1971 Jordanien exekutierte Guerillas (Über-
Guerilla sehr.) Drei Angehörige der radikalmarxistischen palästinensischen Guerillaorganisation . . sind .. hingerichtet worden; Zeit 28. 12. 1984 Vorrangiges Ziel dieser russischen Kriegsführung ist die Vernichtung der Guerilla: physisch, logistisch, durch Entvölkerung und Entzug örtlicher Versorgungsbasen; Mannh. Morgen 19. 9. 1985 Eine „Internationalisierung terroristischer Aktivitäten" und der Aufbau einer „westeuropäischen Guerilla" ist nach den Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes gegenwärtig das Ziel der „Roten Armee Fraktion"; taz 15.9.1986 Militärischen Angaben vom Wochenende zufolge führte ein gefangener Guerilla Soldaten zu dem grausigen Fund: bei den Opfern soll es sich um abtrünnige NPA-Mitglieder handeln; Presse 11.1. 1994 Die Regierung unterstellt den Priestern der katholischen „Theologie der Befreiung" Sympathien mit den Rebellen und vermutet, daß die Zapatisten von kommunistischen Guerillas aus den mittelamerikanischen Nachbarländern Guatemala und El Salvador gesteuert werden; Zeit 5.5. 1995 "Wer sich einmal für die Guerilla entschieden hat, für den gibt es kaum ein Zurück; taz 5. 11. 1999 Nachdem mehr als 400 indianische Gemeinden dem Erdboden gleichgemacht worden waren, weil deren Bewohner für Unterstützer der Guerilla gehalten wurden; Berl. Ztg. 1.4.2000 Das undurchdringliche Buschland der Gebirgsschluchten Korsikas, das im Frühjahr in prächtigen Farbteppichen erblüht, bildet das Rückzugsgebiet der dreisten Guerilla verwilderter Hausschweine; ebd. 8. 8. 2001 Auf die Frage, wie man sich am besten verhalte, wenn man nicht etwa einem Gorilla, sondern einem Guerilla der Interahamwe [bewaffnete, rund 30.000 Mann starke Hutu-Miliz in Ruanda] begegne, wusste der Fährtensucher keine Antwort; taz 15. 5. 2002 Die dafür verantwortliche Rebellenbewegung . . ist eine der geheimnisvollsten Guerillas der Welt. Guerillera1: taz 16.11.1993 Alto Huallaga ist nach Angaben der Militärs der wichtigste Stützpunkt der peruanischen und kolumbianischen Rauschgiftmafia sowie Rückzugsgebiet der Guerillera; Presse 23.6. 1998 Pastrana hatte im Wahlkampf angekündigt, er werde den Guerilla-Organisationen, die derzeit fast ein Drittel des kolumbianischen Staatsgebietes kontrollieren, die Chance bieten, sich in das normale politische Leben des Landes einzugliedern. Er warnte die Guerillera-Organisationen aber gleichzeitig, daß er sie — sollten sie dazu nicht bereit sein — mit allen Machtmitteln des Staates bekämpfen werde; taz 2. 3. 2001 der Freund Jean-Paul Sartres . . erinnert sich an Kabilas Guerillerakämpfer von 1963/64: „Das waren Schwarze Khmer. Sie haben idiotische und unnütze Verbrechen begangen.".
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Guerillero/Guerillera2: 1829 Allg. Repertorium d. Lit. 178 Guerilleros in Biscaya; Carrera 1840 Erinn. a. d. span. Bürgerkrieg 285 durch die ihnen gelassene Freiheit aufgereizt, vom Feinde wenig verfolgt, erhoben sich in ganz Catalonien einzelne Guerilleros, einer vom ändern . . unabhängig, den Krieg für eigene Rechnung fortzuführen; Sanders 1871 Fremdwb. 464 Guerillero . . Guerillasoldat; 1882 Brockhaus V Hl 600 Auch litt das eigene Volk durch die Guerillas, welche polit. Abfall oder nur Verdacht, selbst Privathändel einzelner Guerilleros durch maßlose Verwüstungen rächten; Genius 1933 Fremdwb. 379 Guerillero . . Guerillasoldat; Bandenführer; FAZ 10. 9. 1969 Die Guerilleros gehen in die Städte (Überschr.) Die Entführung des amerikanischen Botschafters weist auf die neue Taktik der Terroristen hin; ebd. 25. 5. 1971 Pyongyang exportiert die Revolution (Überschr.) Guerilleros werden geschult/ Zehn geheime Ausbildungslager; Welt 26. 8. 1974 Die Pläne der linken Guerilleros für ihre Machtübernahme sind utopisch; Zeit 6. 6. 1986 Am Rio San Juan verteidigten sie den Nachschubkorridor zu den Guerilleros im Landesinnern; taz 17. 8. 1992 Doch lösten sandinistische Verhandlungsdelegationen . . eben doch nicht dieselben Begeisterungsstürme aus wie einst die siegreich aus den Bergen zurückkehrenden Guerilleras und Guerilleros,· ebd. 11.4. 1995 In ihrer Küche sitzend, hat [Marien] Haushofer sich als Guerillera in die Literatur eingeschrieben: hin und wieder ein kleiner, kurzer Anschlag auf die Sprachmauer und marsch zurück in die Tarnung; ebd. 6. 8. 2001 eine junge Frau, der sie in Mexiko begegnen und die Tochter einer gefallenen Guerillera ist. Guerillo: Witzleben 1839 Der alte Guerilla von Granada (Titel); v. Alten 1909 Handb. f. Heer u. Flotte 659 nachdem sich ihm noch 2000 eingeborene „Guerillos" angeschlossen hatten; taz 30. 10. 1986 Nach der Unabhängigkeit war Mosambik ständigen Angriffen aus Südafrika und Rhodesien, und später von den in den Anfangsjahren mehrheitlich aus Exil-Portugiesen bestehenden MNRGuerillas ausgesetzt. Heute sind die Guerillos von einst selbst von den Rebellen sehr bedrängt; ebd. 29. 1.1994 Die Form der Erhebung aber - die Evozierung und Bündelung der Kräfte . . wird nicht von einem politischen Führer bestimmt, der vom Mythos des Guerillo zehrt; Züricher Tagesanz. 10.4. 1997 Kein Verzicht auf Guerillo (Überschr.) die Frage, ob das Mai-Komitee nicht nochmals über die Bücher gehen will betreffend der Einladung eines Guerilleros als 1.-Mai-Redner; Das Parlament 4. 9. 2006 Strukturell gibt es in dieser Konfliktform dementsprechend keine Trennung von Zivilbereich und Militär. Vielmehr operiert
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der islamistische Guerillo in der Regel im und aus dem zivilen Bereich. Guerilla 2: Sanders 1871 Fremdwb. l 464 Guerilla .. der „kleine Krieg", welchen gegen den ins Land gedrungenen Feind die Einwohner in bewaffneten Haufen v. allen Seiten her führen; Krüger 1904 Gottfried Kämpfer 337 So ging es in einer stillen Guerilla Monate hindurch, bis eines Abends plötzlich ein offener Zusammenstoß erfolgte; 1926—27 ZfMenschenkunde H 1,14 häuslichen Guerilla gegen den Mann; 1939 Reichsoffizierbl. 2 Holland will überhaupt auf permanente Befestigungen verzichten und sich mit der Organisation eines Zement-Guerilla begnügen; Siiddtsch. Ztg. 4. 1. 1949
Die wenigsten lassen sich durch die raschen Waffenerfolge der holländischen Truppen in Indonesien . . darüber hinwegtäuschen, daß sich die Republikaner nur deshalb ohne nennenswerten Widerstand zurückzogen, weil sie ihre Kräfte für den unausbleiblichen Guerilla schonen wollen. Das heimtückische Ringen im Busch und in den Bergen bedeutet eine ungeheure Nervenbelastung; Zeit 6.6. 1986 Die Vereinigten Staaten hatten damals schon an der Nordgrenze von Nicaragua eine Guerilla angezettelt .. Im gebirgigen Grenzland zu Honduras unterhielten sie seit einiger Zeit . . eine kleine, jedoch immer stärker anschwellende Truppe von Landsknechten, Schmugglern und Bauern.
Guillotine F. (-; -n), Ende 18. Jh. übernommen aus gleichbed. frz. guillotine, benannt nach dem französischen Arzt J. J. Guillotin, dem Befürworter der 1791 durch ein Dekret der Nationalversammlung in Frankreich eingeführten Vorrichtung zur Enthauptung von Todeskandidaten. Bezeichnung für eine während der Französischen Revolution aufgekommene, mit der Einführung des französischen Strafrechtes in vielen deutschen Ländern verbreitete Hinrichtungsmaschine, bei welcher der Kopf des zum Tode Verurteilten mittels eines aufgrund seines Eigengewichts rasch und heftig herabfallenden Beils, das zwischen zwei durch Querbalken verbundenen Ständern angebracht ist, abgetrennt wird, in der heute überwiegend historisierenden Bed. 'Fallbeil, -schwert, Hinrichtungs-, Enthauptungsmaschine' (vgl. Schafott}, in Wendungen wie in Versailles fand die letzte öffentliche Hinrichtung mit der Guillotine statt, unter der Guillotine enden, sterben, ein Feldherr wird zur Guillotine getragen, sie zerren ihn unter die Guillotine und Zss. wie Guillotine-Flüchtiger, -Kommission, -SchauspielASpektakel, Guillotineautomatik, -bau, -maschine, -mechanik, -messer, -mörder, -tod, -Vorrichtung; guillotineähnlich, -artig, -scharf; guillotinengleich, -haft; Gefängnis-, HolzGuillotine, vereinzelt metonymisch für '(Todesurteil und die dazu gehörige) Hinrichtung, Vollstreckung eines Todesurteils mittels eines Fallbeils' (s. Belege 1918, 1970), z. B. er wurde vor der Guillotine bewahrt, entkam nur durch einen Zufall der Guillotine, im Vergleich und bildlich (s. Belege 1960, 1999) als Bezeichnung für Nachbildungen und ähnlich funktionierende Gegenstände und Vorrichtungen, z. B. Guillotinefenster 'Schiebefenster', -schere 'Gleitschere (bei der Blechbearbeitung)', Spielzeug-, Miniatur-, Holz-, Spezial-, Taschen-, Zigarren-Guillotine, sowie übertragen verwendet 'etwas (Sachverhalt, Ereignis), das für ein Land, eine Glaubensrichtung, politische Idee o. Ä. ein gewaltsames Ende, die endgültige Vernichtung, das existentielle Aus bedeutet' (s. Belege 1844, 1852, 1897, 1952, 1986, 2001), z.B. die Zensur ist eine geistige, literarische Guillotine, in einem Land religiöser Minderheiten wird eine islamische Gesetzgebung zur Guillotine für Andersgläubige; Entscheidungs-, Fünf-Prozent-, Abstimmungs-, Alters-, Amtszeit-, Arbeitsplatz-, DDR-, PC-, Polit-, Skandal-Guillotine. Dazu etwa gleichzeitig die auf gleichbed. frz. guillotiner zurückgehende verbale Ableitung guillotinieren V. trans., auch guiüautinieren, 'durch ein Fallbeil enthaupten, hinrichten', z.B. man guillotinierte desertierte Soldaten wie Verbrecher, guillotinier-
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ter Kopf; guillotinierte serbische Kriegsgefangene, auch bildlich (s. Beleg 2003), z. B. guillotiniertes Ei, und übertragen (s. Belege 1869, 1968, 1989, 1991, 1998), z.B. jmdn. politisch guillotinieren, mit dem Ende 18. Jh. vereinzelt, seit Anfang 20. Jh. selten nachgewiesenen Verbalsubst. Guillotinierung F. (-; -en), auch übertragen (s. Beleg 2001); gleichzeitig bis ins 20. Jh. vereinzelt Guillotinismus M. 'Befürwortung und Ausübung der Hinrichtung durch die Guillotine'. Guillotine: Lichtenberg 1792 Aphorismen IV 172 Die Maschine, womit man in Frankreich jetzt die Köpfe abschlägt, heißt Guillotine; Girtanner 1794 Frz. Revolution VII 4 Einführung der Guillotine in Frankreich; Goethe 1795 Unterhaltungen (WA 1,18 108) er hoffe, daß die Guillotine auch in Deutschland eine gesegnete Ernte finden und kein schuldiges Haupt verfehlen werde; Kotzebue 1796 Witwe 11 dass ich lieber mein Haupt unter die Guillotine legen will; Laukhard 1798 Annalen l 48 [die Illuministen wollen nichts als] alle Fürsten unter die Guillotine bringen; Görres 1800 Sendung n. Paris (I 65) die Guillotine mochte noch so gefräßig aufräumen; Iffland 1802 Erbteil (Theatral. W. VI 167) Ich ward verhaftet, der Guillotine durch ein Wunder entrissen; Wieland vor 1813 S. W. XL 355 Sonst sollte wahrscheinlich der arme Ludewig den seinigen [Kopf] nicht unter die Guillotine habe legen müssen! (KEHREIN); 1826 ZKrieges Vlll 317 Als ich die Guillotine erblickte . . erstarrte das Blut in meinen Adern, und ich war dem Sinken nahe; Heine 1837 Salon IV 498 und die Franzosen hatten im Nachdenken noch nicht durch die Guillotine und Napoleon die gehörigen Lektionen bekommen; Lacroix 1844 Geheimnisse v. Russland (Übers.) 54 literarischen Guillotine [russische Zensur der Bücher]; Szarvady 1852 Paris I 31 Sibirien . . dem memento mori der russischen Phantasie, jener permanenten Guillotine des Absolutismus, wo unsere Mutter Natur Henkeramt verrichten muß und zur Mitschuldigen wird an der mittelalterlichen Barbarei der Kinder einer neuen Zeit; Holtet 1860 Eselsfresser III 191 Aufwiegelung des Pöbels wider den reichen und hohen Adel . . Diejenigen, die in der Guillotine des Vaterlandes Heil erblicken, ziehen sich den gerechten Argwohn zu, es sei der Neid, der sie antreibt; Reichensperger 1872 Phrasen 169 da wurden die von den Philosophen gesponnenen Fäden durch deren Zöglinge in etwas unsanfter Weise mittels der Guillotine durchgeschnitten; 1884 (Mamroth 1907 Leben 85) von den kleinen Guillotinen, welche die Modedamen der Revolution als Ohrgehänge trugen; Grimm 1897 Fragmente l 2,539 geistige Guillotinen; Liliencron 1903 Bunte Beute (S. W. X 165) Surrara surrara/ Saust die Maschine:/ Kopf ab la klappt la la/ Die Guillotine,/ Gräßliche Töne,/ Gerassel, Gestöhne; Ahlers 1915 Fahrsport 49 mit dem Coupiermesser, der sogenanten Guillotine;
Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. Xll 386) des Jakobiners Hang zur Anarchie und zum Despotismus, zur Sentimentalität und zum Doktrinarismus, Terrorismus, Fanatismus, zum radikalen Dogma, zur Guillotine; Münch. N. N. 29. 3. 1938 Die Mordmaschine des Menschenfreundes (Überschr.) Dr. Guillotin und die „Mühle des Schweigens" — ein Gedenktag, der Gespensterzüge weckt . . die Guillotine [ist] keineswegs eine Erfindung der Französischen Revolution. Der „Hobel" oder die „Diele" sind mittelalterliche deutsche Benennungen für das gleiche Instrument . . In Paris hat man lediglich Verbesserungen der alten Erfindung durchgeführt . . unter Beaufsichtigung von [dem Leibarzt des Königs] Dr. [Antoine] Louis . . Als Dr. Louis 1792 starb, wechselte der Name . . von „Louisette" nach „Guillotine", obwohl Dr. Guillotin nur gesetzgeberisch die Einführung der Maschine vorbereitet; Klemperer 1943 Tagebücher 403 Es wird jetzt viel mit dem Fallbeil auf dem Münchner Platz hingerichtet . . Die Guillotine im Landgericht bedient nicht nur Dresden, sondern auch Chemnitz und Tschechoslowakei; Süddtsch. Ztg. 25. 4. 1952 Nach bitteren Auseinandersetzungen .. hat das Unterhaus . . den Antrag der Regierung angenommen, der die Debatte über die Änderungen zum Gesundheitsgesetz auf zwei Tage beschränkt — eine Maßnahme, die als „Guillotine" bezeichnet wird; Lenz 1960 Amüsierdoktor (W. XIV 350) Filettiermaschinen, Entgrätungsmaschinen, erstklassige Guillotinen, die den Fisch mit einem — vorher nie gekannten — Rundschnitt köpften; Lindenberg 1970 Bobik o. S. Daß die Menschen früher zu Hinrichtungen wie zu Volksfesten gingen, bei allen Hexenverbrennungen gafften, und daß die Guillotine in der französischen Revolution immer ihr Publikum hatte; Zeit 14. 2. 1986 Mit dem Gramm-RudmanGesetz haben sich die Volksvertreter nun allerdings selbst Fesseln angelegt und eine Guillotine geschaffen, mit der während der nächsten fünf Jahre stufenweise Kürzungen vorgenommen werden müssen; NeueKronen-Ztg.29. l. 1995 Die Französische Revolution ist, wie die meisten anderen Revolutionen auch, bald in sich zusammengebrochen. Als der Vorrat von Adeligen und anderen Klassenfeinden, die man unter die Guillotinen legen konnte, zur Neige ging, brachten die Revolutionäre einander wechselseitig um; Berl. Ztg. 19. 12. 1997 Zum
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Guillotine
Schluß tupft sie mit dem Zeigefinger Naturklebstoff an den Rand des Deckblattes . . köpft mit einer Guillotine das andere Ende und hält das fertige Exemplar [Zigarre] in die Höhe; Berl. Morgenpost 21. 8. 1999 An einem Mauerabschnitt außerhalb Berlins wurde ein Kind durch herabfallende Betonteile „wie auf einer Guillotine geköpft"; St. Galler Tagbl. 21.3.2001 Sollte die Klage beim Preisüberwacher Erfolg haben, kann das für uns die Guillotine bedeuten. guillotinieren: Forster 1793 Br. (S. Sehr. IV 851) Wenn man nicht verfolgen denunzieren und guillotiniren lassen kann, ist man nichts (PAUL); Elise v. Türckheim 1794 Br. 59 Heisch . . wurde als Emigrant erklärt. . und wurde bald nach her guillautinirt; Kortum 1799 Jobsiade 359 Hätte man ihn damals selbst gefangen, er wäre guillotiniert oder aufgehangen; Brentano 1800 Gustav Wasa 83 Ach nein, er ward guillotinirt; Wieland vor 1813 S. W. XLVI1 137 Er würde euch in wenigen Tagen zu Paris guillotiniren lassen (KEHREIN); Bauer 1836 Überschw. 127 Man wird nicht ruhen . . bis es mit dem Ausland zu Bruch kommt: dann geht der Teufel im Innern los, und am Ende werden wir Exulanten oder guillotiniert; Erlenmeyer 1854 Gehirnatrophie 20 Einem Kranken mußte ich jeden Morgen versichern, daß er im Laufe des Tages nicht guillotinirt werden solle; Reinhardt 1869 Dintenklexe I 9 über dem Zahlbrett [Kassenschalter am Theater] mit dünner Stimme „ein Kinderbillet" zu verlangen. Allerdings riskirte ich jedesmal, am Zahlbrett guillotinirt zu werden. Aber was that es, hatten sich doch die Franzosen von Robespierre um viel weniger guillotiniren lassen, als für mich hier zu erlangen war; Schmidt 1871 Bilder II 194 man tanzte sie [Carmagnole] um die Häupter der Guillotinirten und machte unanständige Geberden dazu; Janitschek 1902 Die neue Eva 23 Wenn nur gehenkt, nicht guillotiniert würde! Das erstere dauert länger, und man kann den Ausdruck im Gesicht des Todeskandidaten besser beobachten (DiBi 125); Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 439) Dann wollte ich mich einmal auf die Probe stellen und ging zu einer Hinrichtung, bei der ein Verbrecher guillotiniert wurde. Danach konnte ich nicht mehr schlafen; Klemperer 1920 Tagebücher 250 er sei immer gegen die Revolution gewesen, aber wenn man sie schon machte, hätte man sie richtig machen u. gleich im Anfang alle Conservativen guillotinieren sollen!; ders. 1943 Tagebücher 403 Es wird jetzt viel mit dem Fallbeil auf dem Münchner Platz hingerichtet, denn meuternde deutsche Soldaten werden neuerdings nicht mehr erschossen . . sondern guillotiniert; Süddtsch. Ztg. 25. 5. 1968 Beide Seiten des Hauses sind verärgert darüber, daß die Regierung, die die Geschäfte des Unterhau-
ses führt, wichtige Gesetze „guillotiniert", das heißt innerhalb einer vorgeschriebenen Zeit durch das Parlament zu peitschen versucht; taz 21. 8. 1989 Alle Menschen [in der DDR], die endlich in Konflikt gekommen waren, die endlich frech wurden, die wurden in den Westen guillotiniert. Die Mauer ist auch eine etwas quer geratene Guillotine . . Die sind immer in den Westen geschmissen worden, wie Menschenabfall; ebd. 10.1.1991 Keine Woche vergeht, ohne daß nicht 'Spiegel' oder 'Stern' dem braven deutschen Leser eine neue Ungeheuerlichkeit aus dem Innenleben des „Kraken Stasi" präsentierten und . . politisch guillotinierten; Kleine Ztg. 27. 7. 1998 Zwar wird heute nicht mehr guillotiniert, nur ratzeputze wegrationalisiert. Was für viele sozial soviel wie den Tod bedeutet; taz 30. 6. 2001 In der „guten alten Zeit" wurden die guillotinierten Köpfe von Räubern und anderen angeblichen Übeltätern regelmäßig dem Volk zur Schau und Abschreckung ausgestellt; ebd. 2l. l. 2003 Guillotiniert und mit einer Prise Salz gewürzt, steht das Ei dottergelb auf Millionen Frühstückstischen. Guillotinierung: Carl August 1793 Br. 193 Die Guillotinirung mit ihren abscheulichen Umständen der unglücklichen Königin; 1*33 Jahrbücher f. iviss. Kritik I 622 In Vitry le fran^ais machte Baggesen die Bekanntschaft von Danton's Köchin, die ihn drei Stunden lang von Danton, Robespierre und den Guillotinirungen unterhält; Poggendorff 1863 Biograph.-Literar. Handwb. U 679 f. (Anm.) Roland de la Platiere, Joseph Marie . . gest. 1793, Nov. 15, bei Rouen. Stürzte sich, als er die Guillotinirung seiner Frau (1793, Nov. 8) erfuhr, in sein eignes Schwert; Zöllner 1880 Vivisection 58 Nach einer der „France" von einem dieser Herren zugegangenen Depesche hatten die an dem Kopfe des Gerichteten fünf Minuten nach der Guillotinirung angestellten Beobachtungen in Übereinstimmung mit früheren, welche Dr. Evrard im Jahre 1870 gemacht hatte, als unzweifelhaft ergeben, dass der Tod durch Enthauptung augenblicklich eintritt; Goldscheider 1898 Anatomie d. Nervenzellen 69 Nach 35 Minuten, als die Vergiftungserscheinungen auf dem Höhepunkt waren, wurde das Kaninchen durch Guillotinirung getödtet; Adler 1906 Berühmte Frauen d. frz. Rev. vii Das Mitansehen von Hinrichtungen wurde weibliches Vergnügen .. das Schauspiel der Guillotinierung selbst wurde mit Geschrei und Tänzen begleitet, deren abscheulicher Anblick den ruchlosen Weibern zuerst den Namen „Sansculotten" eintrug; Bin 1910 Provence 126 am Portal von St. Jean in Lyon schlugen sie wohl hundert Heiligenfiguren die Köpfe ab: eine
Gulasch barbarische Guillotinierung; 1928 Neue Rundschau 121 Nach der Guillotinierung von viertausend Menschen während der ersten achtzehn Monate der französischen Revolution war das Volk ärmer als zuvor; Alekseev 1937 Kirche, Staat u. Mensch 108 als ob nach einer kurzen Zeit der Unterdrückung und Ausbeutung des Bürgertums oder, realistisch gesagt, der Guillotinierung der Bourgeoisie, zuletzt nur das Proletariat übrig bleibt; Manisch 1963 Leopold Graf Berchtold II 828 Wer wird behaupten wollen, der Dreißigjährige Krieg sei wegen des Prager Fenstersturzes geführt worden oder die vier Koalitionskriege wegen der Guillotinierung Ludwigs XVI.?; Hagelstange 1975 Reisewetter 92 Wir verdanken dieses Panoptikum im Grunde der französischen Revolution, welche die Royalistin Tussaud, die Augenzeugin vieler Guillotinierungen war, gewissermaßen als Maskenbildnerin der Opfer beschäftigte; taz 9. 1. 1989 Die Bühne, die bei unverkleidetem Unterbau wie das Gestänge der Guillotine aussieht, hat die Mimen . . auf das Töten als zentrales Thema ver-
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wiesen, auf die Freude an öffentlichen Guillotinierungen; Mannh. Morgen 28. 3. 2001 eine vernichtende Zimmerschlacht, bei der es um alles oder nichts, um die Vernichtung von Identitäten und vor allem um die Guillotinierung der beruflichen Zukunft von Henri geht. Guillotinismus: Niebuhr 1793 Br. I 7 wenn er jung wäre, würde er das Scharfrichtergewerbe ergreifen, und nach Frankreich gehen. Das wäre ein Stoß, und Kopf ab! und würde doch jedes Mal einen Louisdor lohnen . . Sieveking . . (der vermutlich aus Sansculottismus und Philoguillotinismus die Halstaxe studiert hat); Scherr 1870 Farrago 400 Saint-Just, dem eigentlichen Doktrinär und Systematiker des Guillotinismus; Croce 1935 Gesch. Europas im neunzehnten Jahrh. 142 Nach 1830 war die Theorie des Terrorismus oder „Guillotinismus" wieder zur Blüte gekommen, wie sie De Lazay 1797 in einer kleinen Schrift formuliert hatte.
Gulasch N. und M. (-(e)s; vereinzelt -e und -s), im früheren 19. Jh. durch österr. Vermittlung entlehnt aus gleichbed. ungar. gulyas (verkürzt aus gulyas hus 'scharf gewürztes Fleischgericht, wie es von Rinderhirten im Kessel gekocht wird', aus gulyas 'Rinderhirt' und hus 'Fleisch'), anfangs auch in Schreibungen wie Gulyas, Gol(l)asch, Gullasch, Goulasch. a Zunächst auf österr. Verhältnisse bezogen, dann bald allgemein verbreitet in der Bed. 'mit Zwiebeln und Paprika geschmortes scharfes Eintopfgericht aus klein geschnittenem, gewürfeltem Rind- (Kalb-, Pferde-, Lamm-/Hammel-) oder Schweinefleisch (auch in Kombination); Pfefferfleisch' (—»· Ragout), z.B. ein großes Fest mit Gulasch, Knödeln und Bier, der erlegte Hirsch wurde zu Gulasch verarbeitet, sein Leibgericht war Gulasch mit Spätzle, ein Kessel mit Gulasch, die Herren stärkten sich mit einem würzigen, deftigen Gulasch, feuriges, rassiges, scharfes Gulasch, Szegediner Gulasch, als Bestimmungswort in Zss. wie Gulaschdose, -duft, -(ein-)topf, -fleisch, -gericht, -portion, -rezept, -saft, -suppe, bes. in Ende 19./Anfang 20. Jh. im militärischen Zusammenhang aufgekommenem Gulaschkanone als Bezeichnung für eine fahrbare Soldaten-, Feldküche, die mittels eines mit Glyzerin gefüllten, gusseisernen Überkessels kurze Heizzeit, lange Kochzeit ohne Anbrennen sowie die Warmhaltung von Gerichten für die Massenverpflegung erlaubte, heute auch auf Volksfesten und bei Massenveranstaltungen weit verbreitet, häufiger als Grundwort in Zss. wie (nach den Bestandteilen:) Bohnen-, Kalbsrahm-, Kraut-, Paprika-, RindsVRinder-, Schweins-/Schweine-, Wurstgulasch, (nach Herkunft, Machart, Geschmacksrichtung o. Ä.:) Büchsen-/Dosen-, Feuer-/Mexiko-/Teufels-/Zigeuner-, Fiaker-, Herren-, Hirten-, Hütten-, Kessel-, Kegler-, Misch-, Saftgulasch, vereinzelt im bildlichen Vergleich (s. Belege 1926, 1947, 1990, 1999, 2001), in Wendungen wie aus jmdm. (ein) Gulasch machen und v. a. (österr.) ein Land ohne Hauptstadt ist wie ein Gulasch ohne Saft, wie ein ungarisches Gulasch ohne Paprika und Zss. wie Gulasch-
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Gulasch
kommunismus/-sozialismus 'abgemilderte Form des Sozialismus in Ungarn, die die Befriedigung materieller Bedürfnisse der Bevölkerung wichtiger nimmt als den Umbau der Gesellschaft'. b In jüngerer Zeit häufig bildlich übertragen und leicht ironisch bis abwertend verwendet im Sinne von 'Mischung, Gemenge; Mischmasch, Durcheinander; Kuddelmuddel, Schlamassel' (vgl. Mix, Mixtur, Potpourri), z.B. ein geistesgeschichtliches Gulasch von Poseidonios bis Kierkegaard, sie boten ein Gulasch aus Jazz, Soul und Beat, dieses ganze Gulasch muss erst psychisch verkraftet werden; GulaschArchitektur, -Politik, -Programm; Bevölkerungs-, Kultur-, Literatur-, Polit-, Reform-, Schlager-, Schul-, Sprach-, Text-, Zivilisationsgulasch. Gulasch a: Nestroy 1833 W. IV 242 f. Gulasch; Neudecker 1853 Köchin 55 Ein österr. Gollaschoder ein Kümmel-Fleisch . . Gollasch-Fleisch auf ungarisch; Baedeker 1861 Deutschland 219 „Paprikahuhn" . . und „Gulaschfleisch", mit Paprika gedämpftes Rindfleisch (Gulyas), eigenthümliche ungar. Gerichte; Feiss/Good 1872 Verpflegungswesen 45 l Portion Büchsenfleisch (Gulyash-Fleisch); 1884 Brockhaus Vlll 614 Gulasch oder Guilasch . . ein in Ungarn und Österreich beliebtes Fleischgericht, welches aus Rindslende oder Rindskeule mit Paprika bereitet wird; Schirmacher 1897 Länder 51 und hauen tapfer ein, wenn Goulasch und Roter auf dem Tische stehen. Getanzt wird auch noch; Schmidt 1913 Darmkrankheiten 151 stark gesalzene und gewürzte Produkte (Heringe, Sardellen, Pökelfleisch, Gulasch) werden aus dem gleichen Grunde gegeben; Höllischer 1926 Asien 201 Eines Tages werden sie aus allen zweiunddreißig Missionen ein Gulasch machen; Remarque 1929 Westen 7 der Küchenbulle mit seinem roten Tomatenkopf bietet das Essen direkt an; . . Er ist ganz verzweifelt, weil er nicht weiß, wie er seine Gulaschkanone leerkriegen soll; Klemperer 1930 Tagebücher 660 Wir waren Tags darauf, gestern bei der Wieghardtin zum Abendbrod, zu Gulasch, echtem . . zusammen; Voss. Ztg. 19. 7. 1931 Sie müssen wissen, ich bin ein merkwürdiger Mensch. Ich esse kein Gollasch; Barnes 1933 Lebensmittel-Lex. 74 Gulasch, Gulyas, Gollasch, pikantes ungarisches Fleischgericht, besteht aus in Würfel zerschnittenem Rind-, Kalb- und Schweinefleisch mit Zwiebeln, Paprika und anderen Gewürzen geschmort, in pikanter Sauce; 1940 /.-R. CCC/X 53 die fahrbare Feldküche, im Volksmund „Gulaschkanone" genannt; Fallada 1947 Jeder stirbt 273 Am liebsten stürzte er auf der Stelle los, sie zu finden, Gulasch aus ihnen zu machen, sich sein Geld wiederzuholen!; Böll 1963 Clown 197 wir gingen zu einer der Buden auf der Venloer Straße, aßen jeder zwei Portionen Gulasch; 1972 Milch-Produktbeschr. 22 Ist das Essen zu scharf geraten, die Salatsoße zu sauer oder das Gulasch zu stark gepfeffert, ein „Schuß" Milch sorgt für den nötigen Ausgleich; taz
8.8. 1989 DDRler unterwegs vom Gulasch zu McDonald's (Überschr.) . . Flüchtlingsstrom zur ungarisch-österreichischen Grenze nimmt zu; ebd. 28. 2. 1990 Seltsam war dann schon, wie leicht deutsche Massenseele zu entflammen ist: Hier der Böse, da der Gute & „Franzl, mach Gulasch aus ihm!", „Franzl, kastrier ihn!", halt eben so echt begeisterungsfähig; Presse 7. 9. 1999 Eine Wahl ohne Wahlbörsen ist wie ein Gulasch ohne Saft, wie ein Samson ohne Kraft, wie ein Würstel ohne Kren; Züricher Tagesanz. 20. l. 2000 wo ich das beste Gulasch meines Lebens ass, die Mutter aller Gulaschs; taz 10. 1. 2001 Tschechische Fernsehkrise . . Undurchsichtig wie böhmisches Gulasch; ebd. 4. 2. 2006 Gulasch ist Verwandlung. Gemeinsam sieden Fleischstücke, Zwiebeln und Paprika stundenlang, am Ende entsteht etwas, was mehr als die Summe seiner Zutaten ist: Pörkölt heißt es in Ungarn, bei uns Gulasch. Gulasch b: Zeit 3.5. 1985 Das Panoptikum stellt die ungarische Geschichte als ein Gulasch aus sagenhaften Brocken aus. Sechzig selbstgebastelte Figuren aus Holz, Gips und Farbe; Zeit 6. 2. 1987 In Bauers Casino, dem eine Irrenanstalt angeschlossen ist, wird aus Faust Gulasch gemacht, erscheint nicht nur Goethe, sondern auch Dostojewski] . . Alles verwirrt und verknäuelt sich zu einer irren Phantasie; Presse 23. 9. 1992 Vieles von dem, was anderswo in der Abteilung -Musik unserer Tage unterschiedlichste Effekte macht, wirft der geschickte Mittvierziger in einen Topf. Das . . virtuos orchestrierte — man verzeihe die konsequente Weiterführung des Bildes — Gulasch mundet in seiner Unverbindlichkeit wahrhaftig keinem Abonnenten; Frankf. Rundsch. 9.9.1999 Er habe sich über Jahre . . noch gut bei einem Blutalkoholspiegel bewegen können, bei dem ein anderer schon umgekippt wäre. Als „familiärer Stress" hinzu kam, trank er mehr. „Dieses ganze Gulasch musste durchgearbeitet werden."; FAZ 8. 11. 2003 „Auch betreibt Ägypten seit fünfzehn Jahren eine Art Gulaschpolitik", schimpft Sawiris. Weder rechts sei sie noch links, und nie habe sie eine klare Richtung gehabt.
Gully
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Gully M., selten auch N. (-s; -s und Gullies), seit späterem 19. Jh. (PFEIFER) nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. engl. gully (zu gullet 'Schlund (der Tiere), Kehle; (künstliche) Wasserrinne', über altfrz. go(u)let, Diminutiv zu go(u)le 'Kehle', zurückgehend auf lat. gula 'Kehle, Schlund, Speiseröhre', urverw. mit Kehle; vgl. frz. gueule 'Kehle, Schnauze, Schlund, Öffnung'), auch in der Schreibung Gulli. Zunächst auf englische, dann auch auf deutsche Verhältnisse bezogene Bezeichnung für einen nach dem Londoner Vorbild in die Straßendecke eingelassenen, mit einem Rost abgedeckten Schacht, der bei der Ableitung von Straßenabwässern in die unterirdische Kanalisation zum Abfangen von Schlamm und Sand dient, in der Bed. '(Straßen-/Dach-)Rinneneinlauf, Schlammfang, Senkloch, Sinkkasten (bei der Kanalisation)' (vgl. Kloake), z.B. das ätzende Äthylacrylat dampfte/quoll in dicken Schwaden aus den Gullys, Reste des Löschschaums stiegen/drangen aus einem Gully hoch/nach oben, Überschwemmungsgefahr durch verstopfte/versperrte, übergelaufene Gullys, 60 Liter Öl gelangten über einen Gully in den nahegelegenen Bach, Gestank drang aus den Gullys, als Bestimmungswort (z.T. konkurrierend mit Kanal-) in Zss. wie Gullyabdeckung, -arbeiter, -deckel, -finsternis, -geruch, -gitter, -kappe, -loch, -notdienst, -ratte, -reinigung, -röhre, -schacht, -schlämm, -schlünde, -smog, -taucher, -Unfall, -zugang, (fachspr. übertragen:) Gullyerosion 'z.T. sehr weite und tiefe, rinnenförmige Bodenerosion', als Grundwort in Abwasser-, Ausguss-, Regenwasser-, Straßengully; gelegentlich im übertragenen Sinne und bildlich 'Untergrund, Versenkung' (s. Belege 1954, 1996, 2000), in Syntagmen wie etwas aus dem Gully holen, im Gully verschwinden (lassen), die Elite gehört in den Gully, sein Geld in den Gulli werfen und Zss. wie Geschichts-, Höllengully 'Höllenschlund'. Lueger 1895-98 Lex. d. ges. Technik V 420 Zur Abführung der Abwässer aus überdachten Räumen benützt man zumeist viereckige eiserne Sinkkasten (Hofeinläufe, Guilies . .); Dunger 1909 Engländerei 39 Gully Schlammkasten; Voss. Ztg. 26.3.1928 Einbrecher im Gully (Überschr.) Die Täter hatten sich in einem Gully, der sich im Hausflur befindet und mit einem Deckel verschlossen ist, verborgen gehalten, hatten vom Gully aus eine l '/2 Meter dicke Wand zu den im Keller gelegenen Lagerräumen der Pelzfirma durchstemmt und sich auf diese Weise Einlaß verschafft; ebd. 31. 3. 1930 Der neunjährige Schüler . . stürzte . . beim Spielen am Königsgraben . . in einen Gully und trug schwere Verletzungen davon; Süddtsch. Ztg. 8. 7. 1954 sieht ihre Urlaubspläne den Gully hinunterschwimmen; Neues Deutschi. 8. 7. 1959 das volkseigene Glaswerk Schönbrunn . . liefert die Sahnefläschchen in so miserabler Qualität, daß im Milchhof Jena täglich Hunderte zu Bruch gehen und in jeder Schicht 90 Liter feinster Sahne durch den Gully in die Saale fließen; Süddtsch. Ztg. 9. 9. 1963 Bei der Nachschau er-
gab es sich . . daß ein Kraftfahrer seinen stark verschmierten Busmotor abgespritzt hatte, wobei das Wasser durch einen Gully in den See lief; Mannh. Morgen 5. 1. 1987 Wie die Stadtverwaltung ferner hinweist, müssen stets Straßenrinnen, Gullys und auf dem Gehweg liegende Hydranten von Schnee und Eis gesäubert sein; 1993 FAZ o. Nr. Die ausgetrocknete und verkrustete Erde verhindert, daß das Wasser im Boden versickert; auch die verstopften Gullis sind eine Ursache für die überfluteten Straßen; Zeit 5. 7. 1996 Wer solche Barzahlungen macht, kann sein Geld zumeist auch direkt in den Gulli werfen; Presse 13. 4. 2000 „Hündische Ergebenheit" hatte er 1970 dafür gefordert, „daß ich Sie aus dem Gully der Chronik geholt hab'."; Mannh. Morgen 30. 8.2002 wie die Sintflut über die Altstadt hereinbrach. Braune Bäche wälzten sich durch die Rinnsteine und überfluteten die Gullys; Berl. Ztg. 8. 2. 2003 Bereits am Sonntagmorgen wird der Gendarmenmarkt zur Festung. Polizisten werden selbst Gullys zuschweißen, damit dort keine Bomben abgelegt werden können.
Gummi N., auch M. (-s; -s) und selten undekliniert, seit Mitte 13. Jh. vereinzelt, seit spätem 15. Jh. kontinuierlich bezeugte Entlehnung aus mlat. gum(m)i, (selten gum(m)a, gum(m)um) 'wohlriechende, harzige Pflanzenausschwitzung, Gummi'
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Gummi
(über gleichbed. lat. cummi(s), gummi(s)/griech. zurückgehend auf ägypt. kemai, kema 'Gummi von Mimosen- oder Akazienbäumen; wohlriechendes Harz'; vgl. frz. gomme, engl. gum), früher auch in den Formen Gum, Gumi, Gumme und mit den PL-Formen Gummi und Gummen. l Fachspr. Bezeichnung für den durch Einschnitte oder von selbst (z. B. als Indiz für eine Baumkrankheit) aus der Baumrinde orientalisch-arabischer Akazien- und Mimosenarten oder Kautschukbäumen rinnenden, an der Luft erhärtenden und in Wasser quellenden bzw. zu einer schleimigen, klebrigen Flüssigkeit löslichen, weißlich-durchsichtigen bis milchigen oder bräunlichen, harzartigen Pflanzensaft (Kautschuk, Gummi arabicum, s. u.), der als Rohstoff für kostbare aromatische Räucher(s. Beleg vor 1312; vgl. Myrrhe) oder Arzneimittel (äußerlich und innerlich) in der Medizin (s. Belege 1349-50.2, 1536, 1579.1, 1726.2; -> Balsam) und zur Herstellung von Farben, Tinte o. Ä. verwendet wurde (s. Belege 1571, 1726.1, 1735), im weiteren Sinne auch bezogen auf bestimmte organische Säfte von vergleichbarer Konsistenz (s. Belege 1813—26); in Wendungen wie Gummi sieden, aus der Akazienrinde fließendes Gummi, das harte Holz dieser Baumart liefert ein rötliches Gummi, Gummi haben/von sich geben, das wohlriechende, lindernde Gummi, Harz und Gummi, Gummi aus Peru/Zypern, Gummi sammeln, als Bestimmungswort in Zss. wie (in Verbindung mit Bezeichnungen für gummihaltige Pflanzen:) Gummiakazie, -bäum Ostindischer Feigenbaum, dessen Milchsaft den Kautschuk liefert', -distel, -pflanze, -plantage und schon früh Gummi arabicum/Gummiarabicum (eigentlich 'arabisches Harz', Bezeichnung für aus Akazienharz gewonnenes Gummi), Gummigutt(ä/i) (zu malaiisch gutah 'Milchsaft') 'an der Luft zu Kügelchen verdicktes grüngelbes Garcinia-Harz v. a. zur Bereitung von Farbe und Firnissen und zur Herstellung eines Abführmittels', Gummiharz, -lack 'aus Süd- und Ostasien stammendes Harz, das aus den Ausscheidungen einiger Baumarten nach einem Stich der Lackschildlaus gewonnen wird und das der Grundstoff für Schellack und den Färbelack Lackdye ist', -pasta, -pilaster 'mit Gummilösung getränkte Binde, Heilpflaster', vgl. Zug-, Bleipflaster, Gummilösung/-schleim/-wasser 'Gummi-arabicum-Lösung, aus der man in China und in der Antike Tinte herstellte'; gummihaltig, -reich, -überzogen, sowie als Grundwort in Akazien-, Kirsch-/Pflaumen-, Moos-, Natur-, Roh-, Tragantgummi ('bes. reine Form des Pflanzengummis, das aus Stämmen und Zweigen der zu den Astragalus-Arten gehörenden Sträucher exsudiert wird'); seit dem 15. Jh. zunehmend ugs. verbreitet als Bezeichnung für verschiedene aus diesem Grundstoff gewonnene (und anderen Materialien beigemengte) halbfeste bis flüssige Produkte wie Färbe-, Lösungs- und Bindemittel oder Schreibtinte (s. Belege 15. Jh., 1649; vgl. Kolophonium) und v. a. Klebstoff oder Leim (s. Belege 1732, 1800, vor 1842, 1933; vgl. Mastix, Pech, Teer), vereinzelt auch bildlich (s. Beleg 1689-90), z. B. mit etwas Gummi ein Bild auf Papier leimen, die Behälter mit Gummi nachfüllen, Leim oder Gummi, mit Gummi färben, sich mit weißem Gummi das Gesicht bestreichen. 2a Seit frühem 19. Jh. zunehmend und heute überwiegend als Bezeichnung für einen gleichfalls aus dem Saft bestimmter tropischer Bäume durch Eintrocknen und Erhärten hergestellten, zunächst unter dem Namen Gummi elasticum 'Federharz' in Europa eingeführten, vielseitigen Werkstoff (vgl. Kautschuk), der im weiterverarbeiteten Zustand aufgrund seiner besonderen Eigenschaften (Dehnbarkeit/Elastizität, Haftfähigkeit ohne zu kleben, Isolierung, z. B. gegen Witterung, Wasser, Krankheits-
Gummi
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keime) als Material für verschiedene (alltägliche) Gebrauchsgegenstände, Gerätschaften, Vor- und Einrichtungen der technischen oder chemischen Industrie, Bekleidungsstücke und -Zubehör o. Ä. Verwendung findet, z. B. Luftballons bestehen aus Gummi, eine Fensterisolierung aus Gummi, der Gummi, aus dem Operationshandschuhe für Ärzte und Kondome hergestellt werden, ein Taucheranzug aus Gummi, eine mit geräuschdämpfendem Gummi versehene Fensterscheibe, das mit Gummi beschichtete Gewebe wird nun vulkanisiert, Gummi zum Beschlagen der Wagenräder, eine Asphaltschicht, der ein hoher Prozentsatz Gummi zugesetzt ist, aus Gummi bestehende Dämpferelemente, überwiegend als Bestimmungswort in der Bed. 'aus Gummi bestehend, hergestellt' in Zss. wie Gummiartikel, -ball/-ballon, -band, -belag, -bereifung, -beschichtung, -boden, -boot, -dichtung, -einlage, -ente, -federung, -geschoss, -griff, -hammer, -kabel, -knüppel/-peitsche, -korken/-pfropfen/-stopfen, -matte, -puffer, -rad, -reifen, -riemen, -ring, -rohr/-schlauch/-schnur, -sauger/ -schnuller, -(scheiben-)wischer, -seil, -Spielzeug, -Stempel, -(stoß-)dämpfer, -tier, -unterläge, -waren(-fabrikation/-industrie), -Wärmflasche, -wulst, -zelle, (bes. bezogen auf Kleidung:) Gummiabsatz, -anzug, -bund, -handschuh, -hose, -haut, -hülle, -mantel, -maske, -schuh/-stiefel, -schürze, -sohle, -Strumpf, -wasche, ('durch Gummi bedingt; auf Gummi bezogen':) Gummiallergie, -herstellung, -Industrie, -werk, und in adj. Zss. wie gummibereift, -beschichtet, -überzogen, als Grundwort in Zss. zur Bezeichnung verschiedener Gummisorten mit unterschiedlichen Zwecken wie Hart-/ Weich-, Voll-, Knet-, Latex-/Silikon-, Schaumgummi und daraus hergestellter Geräte, Werkzeuge und Produkte, z. B. Scheibenwischer-, Spanngummi, speziell auch zur Bezeichnung einer aus Zucker, Glukosesirup, Gelatine (Pektine, Stärke oder Agar-Agar), Geschmacks- und Farbstoffen hergestellten weichen, gummiartigen Süßigkeit, elliptisch für Frucht-/Weingummi; Gummibärchen, und als Name einer aus Zucker und Kunststoffen wie Polyisobutylen, Aluminiumoxid, Kieselsäure oder Zellulose bestehenden zähen, süßen Kaumasse, v. a. in der Zs. Kaugummi (s. Beleg 1969); als Bestimmungswort z.T. scherzhaft in der Bed. 'schwer kaubar, unverdaulich wie Gummi' (s. Beleg 2001.1), z.B. Gummiadler/-gans, -brot, -wurst, insbes. (vergleichend) mit Bezug auf die Elastizität von Gummi auch im Zusammenhang mit einer besonderen körperlichen Beweglichkeit von Menschen (s. Belege 1852, 1909), in Wendungen wie die Tänzerin windet sich wie ein Stück Gummi, die Arme und Beine der Artistin scheinen aus Gummi zu bestehen, die Clowns sprangen in die Höhe, als seien sie von Gummi, v. a. aber als Bestimmungswort in der Bed. '(extrem) elastisch, beweglich; biegsam, geschmeidig, gelenkig (wie aus Gummi)' in Zss. wie Gummiarme/-beine, -gesicht, -körper, -mann/-mensch, -Rückgrat, auch in Bezug auf die materielle Beschaffenheit von Gegenständen 'aus Plastik, künstlich', z. B. Gummibusen, -tanne (vgl. Plastik-) und schon im frühen 19. Jh. aufgrund der typischen Eigenschaften des Gummis im bildlich-vergleichenden und übertragenen Sinne von Zuständen und Sachverhalten, ironisch bis abwertend konnotiert mit „zäh(-flüssig), langweilig" (s. Belege 1827, 1863, 2002), z.B. der Abend dehnte sich in die Länge wie Gummi und als Bestimmungswort in der Bed. '(allzu) dehnbar, ungenau' (s. Belege 1890, 1986) in Zss. wie Gummibegriff, -bestimmung, -paragraph, -regelung, in Bezug auf Personen (s. Beleg 1999.1) mit Konnotationen wie „zäh an etwas hängend; (zu) weich, schwach, nachgiebig, labil", auch „künstlich,
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unecht; aufgeblasen", z. B. Gummi ist nichts im Vergleich zu seiner Zähigkeit und Ausdauer im Festhalten an starren Prinzipien, er hat ein Gewissen wie (aus) Gummi; Gummilöwe, -soldat, Gummi-Tarzan 'schwächlicher Junge/Mann'. b Daneben seit spätem 18. Jh. vereinzelt, seit spätem 19. Jh. häufiger ugs. belegt zur Bezeichnung verschiedener aus Gummi hergestellter oder (früher) Gummi (als Hauptbestandteil) enthaltender oder Eigenschaften von Gummi aufweisender konkreter Gegenstände, auch im PL, mit wechselndem Genus und unbestimmtem Artikel als Kurzform Gummi M. (-s; -s) für die Zs. Radiergummi bzw. für älteres Gummi elasticum (s. Belege 1783, 1850, 1973, 1990.2), z.B. Fehler mit einem Gummi korrigieren, das Papier mit einem Gummi von Bleistiftstrichen reinigen, Gummis in allen Farben und Formen werden von den Schülern gesammelt, für die Zss. Kaugummi und Fruchtgummi (s. Belege 1963, 2000), vereinzelt unflektiert und auch ohne Genus für die Zs. Gummi(-auto-)reifen (s. Belege 1898, 1904, 1991, 1995, 2005, 2006), z.B. auf Gummi fahren, gib Gummi; Gummibahnhof 'Autobusbahnhof', -profil 'Reifenprofil' und Sommer-/Wintergummis, meist als Gummi N. (-s; -s) für Gummiunterlage, -matte, z. B. auf einem Gummi liegen; Unterleggummi, für Gummianzug/-kleidung, z. B. Gummi und Lack werden heutzutage nicht mehr unter dem Ladentisch verkauft; Ganzkörper-Gummi; Gummi-Fetischist, für Gummiknüppel/-peitsche, z. B. der Polizist schlug dem Demonstranten mit dem Gummi auf die Beine, sowie als Euphemismus für —»· Kondom (s. Beleg 1987), z.B. Geschlechtsverkehr ohne Gummi und v. a. für Gummiband/-ring, z. B. etwas mit Gummis zusammenhalten, ausgeleiertes Gummi; Gummitwist 'Hüpfspiel für Kinder mit einem um die Hüften zweier Mitspieler gespannten Gummiband', Büro-, Dichtungs-, Einmach-/Einweck-, Einzieh-, Haar-, Haushalts-, Hosen-, Hutgummi. Dazu seit frühem 16. Jh. die auf gleichbed. lat. gummare zurückgehende verbale Ableitung gummieren V. trans., zunächst in der Heilkunde 'mit Pflanzenharzen zubereiten, mit einer Lösung gummi arabicum (z. B. als Zugsalbe für Pflaster) anfeuchten, benetzen', dann bes. 'Papier mit Klebstoff bestreichen, um es nach Anfeuchten aufkleben zu können' oder 'Textilien mit Gummilösung (durch-)tränken, um das Gewebe griffig und wasserdicht zu machen' (vgl. appretieren}, heute v. a. 'Briefmarken/Briefumschläge auf der Rückseite mit einer Latexschicht beschichten, um sie durch Anfeuchten (mit der Zunge oder einem feuchten Schwamm) klebfähig zu machen', z.B. Gummiermaschine (zu 1), auch 'mit einer Schicht vulkanisiertem Hartgummi überziehen, verkleiden, ummanteln' (zu 2a), überwiegend in der Part. Perf.-Form gummiert, z. B. Gurt aus gummiertem Gewebe, gummierte Rabattmarken, gummiertes Pflaster (zu 1), gummierte Schläuche (zu 2a); vgl. das bereits seit dem 16. Jh. bezeugte Verbalsubst. Gummierung F. (-; -en) 'Beschichtung von Papier (bes. Briefmarken) mit Klebstoffen, von Gewebe mit Latex oder Kunststoff, um es wasserdicht zu machen' (vgl. lat. gummitio} (zu 1), und 'korrosionsfeste Beschichtung metallischer Werkstoffe mit Kautschuk und anschließende Vulkanisation' (zu 2a). Gummi 1: Rudolf v. Ems 1250-54 Weltchronik 7644 stuchten [lat. stactes], gumin und resin sol iuwer kleinöde sin; Heinrich v. Hesler vor 1312 Apokalypse 12796 do wart im in daz vaz [d.i. rouchvaz] gegeben/ ein brunst, allen guten sma-
cken eben . . das sint al edele gumme,/ die vor gote wol riechen (DWB); Konrad v. Megenberg 1349— 50 Buch d. Natur 369 gummi arabicum heizt ein arabischer zäher; ebd. 376 wenn man den diadragant [ein Harz] zerlaet in warmem gerstwazzer
Gummi und tuot dar zuo den zäher, der gummi arabicum heißt, und gorgelt in der kein damit, daz ist gar guot wider die kalten huosten; 15. Jh. Kölner Zunfturkunden H 107 weullendoich . . mit gallen, leckmoiß ind gummen verwen (DWB); 1460 Bündterznei 59 das gummi und pech; ebd. 107 mit guthen gummi (MÖLLER); Steinhöwel 1473 Boccaccio (Übers.) 26 Die umbzoch sie mit muren usz gebachnen stainen, sand, harcz und ändern gummi gefestiget, so hoch, dik und über lang, daz dar ab zewondern were; 1485 Gart d. Gesuntheit cp. 77 gumme 'harzige Pflanzenausschwitzung'; ebd. 201 gummi . . 'Klebsaft aus Bäumen' (KLUGE 1975); Tallat 1507 Erczney 20a Gummi arabicum [als Heilmittel]; um 1515 Newe Zeytung auss Presilly Landt A3a Haben auch hoenig wachs, ein Gumi, vnd des vil [gefunden]; Luther 1521 WA VII 254 myrren, der ain starcker kiener [kienener] gesafft ist auß den bömen in Arabia fließend wie ain gummi (KLUGE 1975); Brunfels 1532 Kreüterbuch Vorr. c2a der Kreüter milch, vnd schwitzende dröpflin, vnd gummi; Paracelsus 1536 Wundartzney I Vorr. XlVa die Stichpflaster seind dem haupt am bequemisten, die mit lauter gumi Kochet sind, vnd von Resin, vnd colofonia, vnnd campher berayt; ebd. l Vorr. XXVIa Nun seind der hartz mancherley, als hartz der tannen, hartz der lerchen, dergleichen darnach auch die gummi; Ry ff 1544 Spiegel d. Gesundheit 115a drithalb lot des frembden gummi armoniaci (DWB); ders. 1548 Confectb. d3b das gemein gummi, welchs die apotecker arabicum nennen (DWB); Boltz 1559 Illuminierbuch 9b Gummi arabicum ist ein frembdes Hartze, das auß den edlen Beumen fleusset; Herold-Forer 1563 Geßners Thierbuch 19 labdan, das ein gummi aus Cypern ist (DWB); Matbesius 1571 Sarepta C4a schreibdinte auß . . kupferwasser gummi und wein . . zu machen; Sebiz 1579 Feldbau 75 ein . . linderung von arabischem gummi; ebd. 348 gummi von kirssbäumen. . zermalen den . . plasenstein; 1580 Beschr. d. Schiffahrt Frobisher's Aiijb wir wollen des geruchs köstlicher wolriechender Gummi theilhafftig werden, vnd seltzamer Vögel lieblich singen hören; Thurneysser 1583 Onomasticum II 20 ein Hartz, oder gummi, welchs für sich selbs aus den Beumen fleusset; Hulsius 1606 Schiffart 9 Gummi arabicum [Handelsware in Guinea]; Paracelsus 1616 Op. / 42 der mastix, die gummi . . vermögen nicht einen tropfen fleisch zu geben (DWB); Comenius 1643 Janua aurea 39 der weyrauch, die marre, der mastik . . und das pech sindt gewisser bäume säfft und gummi (DWB); Zesen 1649 Verm. Helikon l 76a sie aber bleibt, wie sie ihr schöpfet hat gezieret,/ hat sich mit gumme nicht noch silberglät beschmieret (DWB); Prätorius 1668 Blockesberges Verrichtung 75 in der teutschen spräche aber soll er [der Harz] den namen haben vom hartze oder
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dem zehen safft und gummi, so häuffig auß den bäumen im walde fleust (DWB); Hohberg 1682 Georgica I 155 also wie ein bäum, wann er aus untauglicher erden die nahrung an sich ziehen muß, vom brand, wurm, gummi und ändern zufallen belästiget wird (DWB); Lohenstein 1689-90 Artninius II 135a denn diese [Liebe] ist. . das festeste . . gummi der weit (DWB); Neukirch 1695 Ged. I 172 Auch myrrhen lassen erst im stürme gummi fliessen; Marperger 1716 Küchendict. 947 Das Gummi an den Weinstöcken; Fleming 1726 Soldat 16 Farben . . einmachen und genau erkennen, zu welchen Gummi . . erfordert wird; ebd. 340 so wirst du sehen, daß von diesem Gummi [Pflaumenbaumharz] die wunde so bald zuheilen wird, als wenn du ein ander kostbar Pflaster darauf gehabt hättest; Belemnon 1728 Bauernlex. 187 TeuffelsDreck. Ein gumy, sehr unangenehmen und widrigen Geruchs; Weißbach 1732 Kur 360 einem halb dürren leim oder gummi ähnlich; Stoppe 1735 Parnaß 141 du must auch, fuhr die arglist fort,/ mehr gummi in die dinte schmeißen; / die schrift wird desto schöner gleißen (DWB); Zincke 1744 Allg. ökonom. Lex. 1005 gummi wird insgemein eine jede gestandene öligte oder hartzigte feuchtigkeit genennet, so aus . . bäumen geflossen und hernach hart geworden ist (DWB); Eggers 1757 Kriegs-Lex. 3 Das Kugellack wird aus dem vorigen, mit Zuthun etwas Kreide und Gummi zugerichtet; Landerer 1783 Anl. 5 Dieser Gummi oder elastischer Harz kömmt aus einem Baume, als ein milchiger Saft . . ist so biegsam wie Leder, beynebst . . wie ein mit Haut umgebenes Fleisch sanft anzufühlen; 1784 Berlin. Monatsschr. III 209 den aus den Pappeln schwitzenden Gummi; Forster 1788 Kl. Sehr. 75 Gegohrne Säfte und Getränke, Aufgüsse aller Art, abgezogne und gebrannte Wasser, wohlriechende Essenzen, Pflanzenmilchen aus Oel und Gummi gemischt; Cramer 1794 Geniestreiche I 67 mit einer Art Gummi oder Leimwasser; Lichtenberg 1800 Verm. Sehr. VI 470 daß man mit etwas gummi ein . . stück papier darauf leimt (DWB); Oken 1813-26 Naturgesch. Ill 36 die bestandteile der pilze sind . . pilzstoffe, zucker, gummi, gallert (DWB); Heyse 1819 Verdeutschungswb. 238 gummi elasticum, elastisches Gummi, federharz, ein zäher saft aus der rinde eines baumes in Südamerika (DWB); Sprengel 1831-32 Chemie f. Landwirthe II 167 gummi ein höher organisirter körper als zucker (DWB);Sömmen«g 1841 Menschl. Körper VI 975 gummi und rohrzucker gelangen durch die nahrungsmittel ins blut (DWB); Brentano vor 1842 Ges. Sehr. V 4 mit jenem gummi, das aus der rinde der arabischen acacia vera quillt, . . bildet . . auf papier zu heften (DWB); Clouth 1899 Gummi, Guttapercha und Balata (Titel); Lokal- Anz. 9.2. 1933 Der Gummibaum wird im
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Winter kühl gestellt, im Sommer in die volle Sonne; ebd. 5. 3. 1933 damit sind die Gemeinsamkeiten [zwischen Kautschuk und Gummi elasticum] auch erschöpft . . gegenüber der dritten Ware . . dem Gummi, den die meisten Leute unter dem . . Namen Gummi arabicum als Klebstoff kennen; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 587) allerlei balsamische Schwitzereien, Tragant, Weihrauch, Gummi und Ludanumharz; Klemperer 1943 Tagebücher 452 Jede Arbeiterin, die so ein Kuvertbündel fertigmacht — Einlegen in die Maschine, Herausholen, Pressen, Falzen, in den Karton tun —, ist ein Stückchen Rastelli. . Nun fehlt es an Gummi — zwei verschiedene Behälter sind nachzufüllen; Heimpel 1956 Kapitulation 41 den Mangel an Gummi, Wismut und Kupfer durch besondere Todesverachtung auszugleichen; Mannh. Morgen 16. 9. 1986 Das Gummi arabicum, das man von den im Ferlo gepflanzten Akazien erhält, fließt .. wider Erwarten so spärlich, daß es als Anreiz kaum attraktiv ist; Salzb. Nachr. 27. 7. 2000 Gerbund Bitterstoffe, verschiedene Cumarine, Harze, Zucker, Gummi, Stärke, Pektin, ätherisches Öl, usw.; taz 5.8.2000 Weitere ungeahnte Zusatzstoffe [im Tabak]: Leim, Gummi, Amoniak, Essigsäure. gummieren: Butschky 1677 Pathmos 362 das wasser gummiret die kirschen- und weixelbeume (DWB); Campe 1813 Fremdwb. 344 Gummiren, mit Harzwasser benetzen, bestreichen oder vermischen; Oertel 1831 Fremdwb. 376 Gummiren . . mit aufgelöstem Gummi bestreichen oder tränken, z. B. Tücher vor dem Pressen; 1884 Brockhaus 620 Gummieren . . das Anfeuchten mit Gummiwasser (Lösung von arab. Gummi), resp. mit einer Lösung von Traganth, Hausenblase oder Pergamentleim, ein bei leichtern Seidengeweben angewendetes Appreturverfahren; Altenberg 1902 Was der Tag mir zuträgt 44 Stunden und Stunden und Stunden lang schrieb sie wie im Galopp Rezepisse, gummierte gelbe Streifen, stempelte, turn turn turn tum-pum!; Klemperer 1943 Tagebücher 462 Unter der Gummierung werfen sich die Blätter; sie müssen, da nur erst die Zuklebeseite des künftigen Kuverts gummiert ist, für die Behandlung auf der nächsten Maschine zurechtgezogen und sorgfältig übereinander geordnet werden; Salzb. Nachr. 23. 10. 1995 die US-Bundespost . . gummiere nämlich ihre Marken derart kalorienreich, daß sich das bei regelmäßigem Ablecken und Aufkleben auf die Figur schlage; Oberösterr. Nachr. 19. 10. 1996 Baumwollstoffe werden durch neue Optiken interessanter: samtig geschmirgelt, beschichtet und gummiert. gummiert: Paracelsus 1529 S. W. I 7,353 die gummierten cataplasmata [Pflaster]; Jean Paul 1796
Fixlein (W. / 4,214) Ich selber spazierte oben auf letzterem mit einem abgekürzten strangulierten gummierten Schlafrock herum, reine Luft zu schöpfen, und guckte staunend auf den großen Kutschkasten herunter; Schmid 1867—70 Ges. Sehr. V 58 die niedlichen hopfenzäpfchen . . rauschen . ., wie gummirter taffet (DWB); Muspratt 1893 Chemie IV 1148 ein röhr . . umgiebt [man] . . mit gummirter leinwand (DWB); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 512) Blumen .. zwischen Löschpapierbogen, die ihre Feuchtigkeit tranken . . damit Hans Castorp die flachen Trockenpräparate mit gummierten Papierstreifen in sein Album kleben könnte; Neues Deutschi. 18. 11. 1949 Mäntel aus Grobgarngewebe, gummiert, für Männer, Frauen (Anzeige); Lenz 1958 Lieblingsspeise (W. XIV 57) das Hosenbein wurde hochgezogen, gab den gummierten Rand einer Socke frei, ein Stück des Beins, das glatthäutig war, muskulös; Neues Deutschi. 18.6. 1964 ein zweiteiliger Arbeitsschutzanzug . . aus grauem, gummiertem Material (Anzeige); VD1 Nachrichten 5. 9. 1973 Eine preiswerte elektrische Frankiermaschine .. gummierte Aufkleber, Sicherheitsschlüssel sowie ein Tragekoffer; taz 1. 11. 1989 Die Eltern erziehen Hannah nach Theorien von Pestalozzi und Fröbel, bereits als Kind lernt sie, Bilder aus gummiertem Papier zu kleben; Salzb. Nachr. 24. 10. 1991 gummierter Satin als Regenmantel, durch Hitze geformt; nicht genäht, sondern geklebt; Neue Kronen-Ztg. 20. 1. 2000 Sie wird also abgeschafft — unsere Stempelmarke. Obwohl die gummierte Seele österreichischen Beamtentums den Weg eines jeden Staatsbürgers von der Geburtsurkunde . . bis zum Totenschein .. begleitet hat, wird ihr kaum jemand eine Träne nachweinen. Gummierung: Maaler 1561 Teütsch spraach 198 Gummierung . . bekleibung mit gumme. Gummitio; Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 38 Gummirung . . das Überstreichen mit Gummi; Behrens 1900 Mikrochem. Technik 44 Man bestreicht drei oder vier Papierstücke nacheinander, inzwischen hat der Anstrich des ersten die Gummierung erweicht und ist dabei in genügendem Masse dickflüssig und klebend geworden um fest an dem Deckglase zu haften; Klemperer 1943 Tagebücher 462 Stumpfsinnigste und schwierigste (für mich schwierigste) Arbeit des Papierziehens an der Gummiermaschine. Unter der Gummierung werfen sich die Blätter; Grass 1962 Blechtrommel 416 Mechanisch versorgte ich das Blatt im Kuvert, ließ dabei alle Vorsicht außer acht, befeuchtete die Gummierung, die der Werner womöglich mit sei-
Gummi ner Zunge benetzt hatte, nun mit Oskars Zunge; taz 25. 3. 1994 dem „Professor", der auf die Gummierung seiner Briefumschläge LSD geschmiert hat. Gummi 2a: Heine 1827 Ideen (S. W. Ill 148) eine Rede, die sich etwas in die Länge zog, wie Gummi elastikum; 1834 Brockhaus IV 1020 Des Gummi elasticum bedient man sich gewöhnlich zum Verwischen der Bleistiftlinien; Gutzkow 1839 Vergangenheit (XII 94) mich braucht er als Gummielastikum, seine Flecken zu reinigen; Goertz 1852 Reise I 438 einen Menschen von ungeheurer Gelenkigkeit, der sich der Gummimann (India rubba man) nannte, da er in der Tat nicht aus Muskeln und Knochen, sondern aus Gummi zu bestehen schien; Mosen 1863 S. W. VII 422 der abend dehnte sich wie elastisches gummi in das unendliche (DWB); 1866 Brockhaus VHl 745 1830 machte Thomas Hancock die ersten Versuche mit der Herstellung von Ueberschuhen aus Kautschuk (Gummischuhe); Wickede 1878 Leutnant 293 ein großer Gummiball, mit welchem die jungen Lieutenants und Damen Fangball spielten; 1890 Heyne / 1272 ein gewissen wie gummi (DWB); Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 88 dieser Sechsundsechziger, der .. den vollen Eindruck eines kavaliermäßigen, straffen Vierzigers macht und immer auf Gummi zu gehen scheint; Seidel 1899 Leberecht Hühnchen 45 denke nur, welche treue und ausdauer dazu gehört — gummielastikum ist ja garnichts dagegen (DWB); E. Strauß 1909 Freund Mein 121 so einen vom Jahrmarkt . . halb närrisch herumtanzen . . und kerzengerade in die höhe hupsen, als sei er von gummi (DWB); 1912 Pan II 932 Der Boden federt wie Gummi; Sternheim 1918 Chronik 15 Im Gummiumhang . . sah er vielmehr, während Wasser an ihm niedertroff, recht kläglich aus; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 73) Jahrmarktsschweinchen aus Gummi . ., die klagend ihre eingeblasene Luft fahrenlassen und zusammensinken; Lokal-Anz. 5. 3. 1933 wenn man in Deutschland beim Bekanntwerden des Kautschuks auf den alten Namen Gummi zurückgegriffen hat, so . . weil eine besonders ins Auge fallende Eigenschaft beiden Stoffen gemeinsam war, nämlich eine gewisse Elastizität und Zähigkeit; Münch. N. N. 22. 1. 1941 Die Feuerschutzpolizei barg mit dem Gummiboot die Tote [aus der Isar); Th. Mann 1954 Krull (W. VII 616) jenen lautlosen, mit Gummi leicht besohlten Leinwandschuhen, die eine tänzerische Beweglichkeit begünstigen; Neues Deutschi. 2.3.1964 Alle Prozesse bei der Ummantelung von Kabeln mit Gummi vereinigt diese zentralgesteuerte Anlage; 1965 Stern Nr. 34 Freund [Franz-Josef] Strauß in München, der nur darauf wartet, daß er „dem Gummilöwen [Willy Brandt] die Luft auslas-
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sen kann"; Welt 17.2.1966 Auffielen Conti Gummi [!|, bei denen man mit der Möglichkeit einer Kapitalerhöhung rechnet; FAZ 6. 12. 1969 Wie William Wrigley den Kaugummi weltberühmt machte (Überschr.) Vor nunmehr genau 100 Jahren stellte ein Amerikaner namens Thomas Adams mit den auf dem Markt befindlichen gummiartigen Stoffen Versuche an, und zwar besonders mit Chicle [Saft des in Zentral- und Südamerika heimischen Sapotillbaumsj; Mannh. Morgen 16. 9. 1986 Die Regelungen waren dehnbar wie Gummi. Es wurden Türen, aber auch viele Hintertüren geöffnet; Zeit 27. 2. 1987 Wer sehen will, wie sich ein kleiner Mangel in Gummi zu einem Bruch ausweitet, der steche mit einer Nadel in einen Luftballon; taz 19. 6. 1993 Teubers Interesse, so versichert der Galerist Andreas Seltzer, gilt dem Material an und für sich. Gummi, Latex, Igelit (die frühere Bezeichnung für PVC) faszinieren ihn; Berl. Morgenpost 20. 5. 1999 Natürlich müssen unsere Polizisten ihre Emotionen zurückhalten und angemessen reagieren, nur dürfen wir nicht zulassen, daß ihnen ein Rückgrat aus Gummi installiert wird, das sie vor jedem Einsatz zurückschrecken läßt; Zeit 2. 6. 1999 Für den Bau von Automobilen und Fahrrädern wurde weltweit immer mehr Gummi gebraucht, und in den tropischen Regenwäldern des Kongobeckens konnte reichlich Naturkautschuk gezapft werden; St. Galler Tagbl. 18.1. 2001 Mich ärgerte, dass Vater Schokoladecoupons gegen einviertelfetten Käse, der hart wie Gummi war, eintauschte; Berl. Ztg. 13. 6. 2001 Nach Angaben der Wissenschaftler enthält der Reifengummi spezielle Zusatzstoffe . . Viele der Einzelsubstanzen . . seien Krebs erregend oder könnten Allergien auslösen . . auf dem zum Schwimmreifen umfunktionierten Schlauch haben Kinder zum Teil lang dauernden Hautkontakt mit dem Gummi; taz 5. 7. 2001 Der herkömmliche Polizeischlagstock besteht aus flexiblem Gummi und misst 40 Zentimeter. Der asiatische Mehrzweckschlagstock . . ist aus starrem Material; Berl. Ztg. 1. 6. 2002 Punkt zehn Uhr Ortszeit verließ das Flugzeug der „All Nippon Airways" den Ort in Südjapan, wo Rudi Voller die Tage des quälenden Wartens „wie Gummi" empfunden hatte. gummieren: Oberösterr. Nachr. 11.2. 1998 Zu ersterem sei gesagt, daß in Nagano die Autos links fahren. Das ist für einen Mitteleuropäer, der es gewohnt ist, auf dieser Seite der Straße den Asphalt maximal bei Überholmanövern zu gummieren, schon an sich ein Problem. gummiert: taz 18. 9. 1992 Der hochbrisante Rohstoff-Mix [Automobil] . . existiert derzeit weltweit rund 600 Millionen mal, er stinkt, raucht und
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hupt, wird samstags gebadet, hat vier gummierte Beine, steht immer öfter im Stau und ist hochgradig libidinös besetzt. Gummierung: Mannh. Morgen 11.6.2002 Während die Feuerwehrleute mit einem Spezialmesser die Gummierung an der Scheibe entfernen, trifft bereits der Notarzt ein. Gummi 2b: Landerer 1783 Anl. 5 Mit einem solchen Gummi [Radiergummi] kann man eine Zeichnung auf das beste von den überflüssigen Bleistiftstrichen reinigen, und man ist im Stande, auf den damit überfahrenen Theilen des Papiers die reineste Zeichnung wieder darzustellen; Gutzkow 1850 Ritter HI 289 Siegbert antwortete, indem er mit dem gummi die negerknaben etwas corrigiren wollte (DWB); Kerr 1898 Br. a. d. Reichshauptstadt 376 Andre aus Berlin fahren mit ihren Gästen auf Gummi hinaus, und es ist sehr angenehm . . den Kurfürstendamm leise plaudernd entlangzurollen; Viebig 1904 Schlaf. Heer l 134 fahren auf gummi [auf Gummireifen] (DWB); Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 142 Sie kauen ein Weilchen Gummi miteinander, kauen Erinnerungen, spucken weit und können sich gut leiden; Lenz 1968 Deutschstunde (W. VI 453) Mein Vater verbesserte den Sitz der Sockenhalter und Ärmelhalter, zog das Gummi aus, ließ es schnappend Halt suchen; ders. 1973 Vorbild (W. VII o. S.) er läßt eine Pfeilspitze in seinen Radiergummi dringen, er hebt den aufgespießten Gummi in Augenhöhe; taz 23. 12, 1987
Die Frau hatte sich geweigert, den Geschlechtsverkehr mit dem Freier ohne Gummi auszuüben; ebd. 8. 3. 1990 Gummitwist fiel mir ein, dieses Karregehüpfe in Dreisamkeit; ebd. 30. 10. 1990 Eine 22jährige Wuppertalerin ist ganz heiß auf Gummis. Seit sie bei ihrer Einschulung ein blaues Gummi in Form eines Rollschuhs geschenkt bekam, sammelt sie leidenschaftlich Radiergummis; ebd. 12.4. 1991 Experten sehen noch immer große Schwierigkeiten bei der automatischen Montage von Gummis [Gummireifen]; ebd. 14. 8. 1993 Pinsky drischt den Schaltknüppel — drückt die Tube — gibt Gummi, um seine zarte Haut zu retten; Presse 8. 4. 1995 Der zweite Macadam ist als klassischer Diagonalreifen für Tourer und Bikes ausgelegt, die sich nicht für Radialreifen eignen. Wie sich die neuen Gummis bewähren, wird sicher erst die Erfahrung in dieser Saison zeigen; Oberösterr. Nachr. 7. 1. 2000 Im süßen Land der Candys wird jeder fündig. International werden folgende Kriterien unterschieden . . Hart- & Schaumzucker, Gummi, Kaugummi und Lakritze. Lollies & Gummis; Mannh. Morgen 23. 5. 2003 ihre niedlichen Zöpfe stecken in bunten Gummis; FAZ 28. 5. 2005 Was Ferraris Präsident Luca di Montezemolo vor drei Wochen offensichtlich in Sorge um den guten Namen seiner Boliden auf die Gummis des japanischen Herstellers Bridgestone schob: „Wir haben ein Reifenproblem."; Berl. Ztg. 28. W. 2006 Ob man sich als Autofahrer für diesen Zeitpunkt nun mit Winterreifen wappnet, es gar muss oder gelassen die Sommergummis drauflassen kann, dazu an dieser Stelle ein paar Tipps.
gummig Adj., im 15. Jh. aufgekommene adj. Ableitung von —» Gummi (vgl. lat. gummatus, gummeus, gummosus). Zur Kennzeichnung der Beschaffenheit und Konsistenz verschiedener (flüssiger oder fester) Substanzen in der Bed. '(eine) Eigenschaft(en) von Gummi aufweisend; aus Gummi bestehend, Gummi enthaltend; gummiartig/-ähnlich', bis ins spätere 19. Jh. mit Bezug auf (zäh-)flüssige oder elastisch-feste Roh- oder Zusatzstoffe in (z. B. als Raucher- oder Heilmittel verwendeten) Lösungen (s. Belege 1738, 1788, 1799, 1831, 1857, 1858; —* Gummi 1), z.B. gummiger Extrakt, Saft, gummige Tinktur, gummiger Stoff, gummiges Salz, oft jedoch nicht eindeutig zuzuordnen; in neuerer und jüngster Zeit auch mit Bezug auf Fruchtgummi (s. Beleg 1997; —* Gummi 2a) und übertragen (s. Beleg 1948), z. B. einen gummigen Kloß im Hals haben. Vgl. daneben weitgehend gleichbed. Nebenformen wie von Mitte 17. bis Mitte 19. Jh. gummicht(ig) und seit späterem 18. Jh. gummös Adj. gummig: Schueren 2. Hälfte 15. Jh. Theuthonista 113a gummich gummosus (DWB); Henisch 1616 Teutsche Sprach 1777 gummig .. voll gummi, voll päch; Lesser 1738 Insecto Theologia 99 (. . mit ei-
nem gummigen Safft) Dieses kan man daraus abnehmen, weil die Fadens steiff werden, wenn sie trocken werden, hergegen aber weich werden, wenn sie naß werden, da alsdann die Nässe
gumrmg die Zähigkeit des Gummi auflöset; Frisch 1741 Teutsch-Lat. Wb. 383 gummig . . gumminatus, gummosus; 1779 Hermetisches A. B. C. IV 231 Der Geist wird Merkur, die Seele des Salzes wird der rothe Schwefel der Natur, und das Salz der weisse Schwefel genennt; welche letzten unsere zwey Tincturen, die weisse und rothe sind, der Merkur aber ist das Mittel, jene zwey schwefelige Tincturen, die rothe und das weisse zu vereinigen zu verehligen, welche zwey Tincturen in Wahrheit gummicht sind wie Maria Proph. sie nennet, p. 26. Darum wird das gummige zweifache beseelte Salz, so von aussen weiss von innen roth, der Silber und goldene Schwefel, das corpus folare et lunare gennent; Elancard 1788 Arzneiw. Wb. Ill 349a eine halbe unze eines sehr bittern gummigen extract [!] (DWB); Fischer 1799 Physikal. Wb. H 585 Wenn dieser zusammenziehende Stoff von den harzigen und gummigen Theilen befreiet wird, so zeiget er sich als ein weißes nadeiförmiges Salz, welches die wirkliche Gallapfelsäure ist; 1831 Magazin f. Pbarmacie 239 f. Der Niederschlag wurde auf ein Filter gebracht, mit verdünnter Schwefelsäure ausgewaschen und getrocknet; er wog 36 Gran, es bleiben mithin für die gummige Substanz 2 Unzen, 4 Drachmen und 12 Gran; Wittstein 1857 Präparate 498 Das Reagens enthält nämlich in diesem Falle körniges und gummiges Salz, von denen das letztere, wie oben erwähnt, die Ammoniaksalze niederschlägt; Rochleder 1858 Pflanzen 19 Die Galläpfel dieser Pflanze, Carobe de Guida genannt, enthalten: grünes Wachs, zwei Harze, Gerbsäure und Gallussäure, ätherisches Oel, gummigen Extractivstoff und Faser; Sanders 1871 Fremdwb. l 466 [gummjig . . gummiartig, -haltig; Der Westen 30. 12.1934 daß der Stampfasphalt heute nicht mehr gelegt werden darf, weil er bei Nässe „gummig" wird und leicht eine schmutzig-ölige Oberschicht aufweist; Werfet 1948 Erz. aus zwei Welten 430 Freddie fühlte in seiner Kehle einen gummigen Klumpen aufsteigen; Doderer 1951 Strudlhojstiege 785 Veränderung der Atmosphäre im Stiegenhaus, dessen sonst immer kalkig-sauberer, gelüfteter Geruch heute verdumpft war, wie modrig, kellrig oder gummig; Züricher Tagesanz. 19. 2. 1997 Der Klassiker unter den süssen Schleckereien. . . Wer aber die richtigen Kniffe raus hat, der kommt fast geräuschlos an die gummigen Bären. gummicht: 646 Corvinus 401 gummosus gummicht (DWB); Tabernämontanus 1687 Kräuterbuch 145b die zapfen [der Fichte] sind . . gümmechtig und geben einen geruch von sich (DWB); Hobberg 1687 Georgica 11 432 die gummichte materi, welche ein jeder [Seiden-]wurm hat (DWB); Hellwig 1704 Kurze Beschr. 21 ein gummicht-hartzichter saft eines fremden baumes (DWB); Rädlein
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1711 Europ. Sprachsch. I 416a gummicht, hartzigt (DWB); Kramer 1719 Hochniderteutsch II 102a gummicht, klebricht (DWB); Kant 1764 Rez. Silberschlag (A.A. VIII 134) Die erste ist die StaubAtmosphäre, darauf folgt die wässerichte, die schon weit höher reicht, dann die schleimichte und phosphorescirende, welche öhlichte, harzige und gummichte Theile enthält und die Werkstatt der Sternschnuppen, der Feuerkugeln und fliegenden Drachen ist; Fuessly 1778 Entomologie l 276 f. Reamur wirft die Frage auf: durch was für einen Kunstgriff sich diese Schmetterlinge aus ihrem Gefaengnis befreyen mögen, da man keine zu Durchbrechung so harter Mauern tüchtige Werckzeuge an ihnen entdecken kann? Er beantwortet sie durch eine Muthmassung, welche darinnen besteht, dass der Schmetterling mit einem Saffte versehen seyn werde, der die gummichte Materie, vermöge welcher die Holztheilgen aneinander gekittet sind, auflösen könne; 1796 Allg. Lit.-Ztg. Ill 194 Der Vf. fand das Harz von doppelter Art: nämlich ein dünnes, welches schon in der Siedhitze verfliegt (also eigentlich das wesentliche Oel) und ein dickeres. Eine Trennung der Bestandtheile zum Arzneygebrauch ist nicht anzurathen; denn der gummichte Bestandtheil macht das ganze mit unsern Säften mischbar; Hufeland 1797 Journal d. Arzneykunde IV Ulf. Sodann pflege ich das oberflächliche Geschwür blos mit dem Absude von Eichenrinden, oder dem Aufgusse von grünen Wallnussschaalen zu verbinden, oder nach Umständen auch nur mit dem gummichten Diachylonpflaster zu belegen, wornach sich das Geschwür zusehends schließt, und eine ganz schöne ebene Narbe gebildet wird; Krünitz 1824 Oec. Enc. CXXXV 384 Die gummichten Harze können gleichfalls durch die jetzt angezeigte Zwischenmittel mit dem Wasser leicht in die Gestalt einer Emulsion gebracht werden; Winer 1838 Bibl. Realwb. U 621 Von selbst oder durch Einschnitte fliesst aus dem Stamme dieses Baums ein gummichtes, durchsichtiges, blassoder braunrothes, weiches, sehr angenehm riechendes und scharf schmeckendes Harz, das man unter Räucherwerk und Salben mischte und auch als Arzneimittel brauchte; Martius 1857 Sennesblätter 112 Cartheuser gibt an, neben dem gummichten Extract Neumann's noch ein schmierigätherisches Oel, welches den eigenthümlichen Geruch und Geschmack der Senna [Senna alexandrina] habe, durch Destillation gewonnen zu haben. gummös: Krünitz 1774 Oec. Enc. III 483 Darinn kochten sie gewisse Krauter: unter ändern ein Art von wildem Lavendel, welcher häufig auf den Felsen wächst, wie auch ein Kraut, Lara genannt, von einem gummösen und kleberigten Safte, . . welche
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die Salbe zu einem vollkommenen Balsam machten; Richter 1792 Stöchiometrie I 1,54 mit Bittersalzerde aber schießen so leicht keine Chrystallen an, sondern das Salz zeiget sich sehr gummös; Hermbstädt 1795 Bibliothek IV 339 Der saft der Pflanze im Marienbade bis zur Trockene abgeraucht, gab einen gummösen braun-gelben Extract, welcher einen sehr scharfen Geschmack hatte, und einen Reiz auf der Zunge zurückließ; Behrend 1847 Archiv f. Syphilis 427 Es giebt also drei Hauptvarietäten syphilitischer Perioslosen: die plastische, die gummöse, die entzündliche oder exulzerirte; Heyse 1870 Fremdwb. 401 gummös . . gummiartig, dem Gummi ähnlich; Petri 1879
Handb. d. Fremdwörter 383 gummös, gurnmihaltig, dem Gummi ähnlich; 1905 Dtsch. Klinik X l, 151 dass diese Hauttuberkeln nichts anderes sind, als wie unser gross und klein gummöses Syphilid; Genius 1933 Fremdwb. 381 gummös, gummiartig; auch: gummihaltig; 1961—62 Thoraxchirurgie IX 279 Hierbei finden sich uncharakteristische entzündliche Zellinfiltrate entlang der Vasa vasorum im Sinne einer Mesopulmonitis, während spezifisch gummöse Veränderungen noch seltener sind; Braun-Falco 2005 Dermatologie u. Venerologie 237 Gummöse Knochenlues manifestiert sich am häufigsten an den langen Röhrenknochen und am Schädeldach.
Guru M. (-s; -s), seit Mitte 19. Jh. als Exotismus selten bezeugte, erst im Laufe des 20. Jhs. kontinuierlich auf nichthinduistische Verhältnisse ausgedehnte Entlehnung aus hindi guru 'ehrwürdiger Lehrer' (< sanskr./altind. guru, eigentlich 'schwer, gewichtig; ehrwürdig'). Zunächst bezogen auf hinduistische Verhältnisse als Bezeichnung für einen (als Verkörperung eines göttlichen Wesens verehrten) religiösen Lehrer und Führer zum Heilsweg für die oberen Kasten Indiens sowie für das Oberhaupt der indischen Sekte der Sikhs (—»· Jogi), z. B. entrückt und gelassen wie ein indischer Guru, der Guru gilt als Verkörperung des höchsten Seins in der Welt, die Attraktivität indischer Gurus in westlichen Ländern, Frauen aus Europa und den USA reisen nach Indien, um zu Füßen eines Gurus zu sitzen; seit den späten 60er Jahren des 20. Jhs. übertragen auf moderne westliche Industriegesellschaften im Gefolge der Hippie-, Esoterikund New Age-Bewegung, die bei ihrer Sinnsuche spirituelle Weisheiten und exotische Rituale aus Fernost annahmen und verbreiteten, oft polemisch mit Fanatismus, „Gehirnwäsche" und mit faschistoiden Strukturen in Verbindung gebracht für '(Ober-) Haupt einer religiös-esoterischen, ihre Mitglieder zu kritiklosem Personenkult und bedingungsloser Gefolgschaft aufrufenden Sekte, Sektenführer; charismatischer Prediger und fanatischer Verkünder einer religiösen, weltanschaulichen, politischen Heilslehre' (s. Belege 1978, 1985, 1999; -» Demagoge, -» Prophet), z. B. einem Guru folgen, als Guru und Wunderheiler verehrt werden, die Jugendlichen gerieten in den Bannkreis/in die Fänge eines Gurus, die Sekte hatte sich von ihrem in Haft sitzenden Guru losgesagt; Guru-Anhänger/-Gläubiger/-Jünger, -Bewegung, -Clique/-Gruppe/ -Gemeinschaft, -Gewand, -Heiler, -Kräfte, Gurumilieu, -sekte, -szene, -Verehrung, -zauber; Alt-/Chef-/Ober-, Sekten-, Wunderguru; gleichzeitig abgeflacht und übertragen verwendet als Bezeichnung für eine von vielen als Vorbild/Leitfigur und unwidersprochene Autorität betrachtete, als unbestrittene Kapazität, Alt-/Großmeister auf einem bestimmten Gebiet (Kunst, Musik, Literatur, Politik, Sport o. Ä.) geltende Persönlichkeit, der ein gewisser dogmatischer Führungsanspruch, Macht und Einflussnahme zugesprochen wird (s. Belege 1970, 1976, 1986, 1993, 2002, 2004, 2006; —> Freak, —* Scheich, —» Star, vgl. Apostel, Idol, Ikone, Koryphäe, Papst, Zar), z.B. der große Guru der Jazzmusik, die Gurus der Kulturpolitik, der grüne Guru Joschka Fischer, ein Guru des Leistungssports, Bushs innenpolitischer Guru, er gilt als Guru
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des Videojournalismus, der fußballerische Guru der Champions League, ein absoluter Guru der Techno-/Hip-Hop-Szene, als Grundwort konkurrierend mit -apostel, -gott, -ikone, -papst, -vater, -zar in Zss. wie Bildungs-, Börsen-, Diät-/Fitness-/Gesundheits-, Dichter-, Drogen-, Film-, Finanz-, Fußball-, Internet-, Koch-/Küchen-, Medien-, Mode-, Ober-, Partei-, Pop-, Party-, Polit-, Reise-, Sex-, Technik/Technologie-, Tennis-, Wirtschaftsguru, seltener als Bestimmungswort in eher okkasionellen Zss. wie Guru-Chefarzt, -Gitarrist, Gurufigur, -regierung, -rolle, -status. Dazu in jüngerer Zeit vereinzelt die scherzhaft movierte Form Guruin F. (-; -nen) und die seltene Ableitung Guruismus M. (-; ohne PL). 'Guru(-un-)wesen'. Guru: Grube 1858 Geogr. Charakterbilder H 129 Die Gurus, d. i. die Doktoren der Wissenschaft; Sanders 1871 Fremdwb. l 467 Guru: . . bei den Buddhisten u. Sikhs . . ein geistl. Lehrer; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 382 Guru . . ein geistlicher buddhistischer Lehrer; Genius 1933 Fremdwb. 381 Guru . . eig. geistlicher Lehrer für die oberen Kasten in Indien; Oberhaupt der indischen Sekten, bes. der Sikh; T/7. Mann 1940 Erz. (W. VIII 713) Auch war für Schridaman und schon für Bhavabhuti das Brahmanentum nur noch eine Erinnerung, denn der Vater . . hatte einen würdigen Handel aufgetan . . und dessen Sohn . . war in dieselben Fußstapfen getreten, nicht ohne einige Knabenjahre hindurch unter der Obhut eines Guru und geistlichen Meisters der Grammatik, der Sternenkunde und den Grundelementen der Wesensbetrachtung gewidmet zu haben; Lenz 1968 Erz. (W. XV 331) Die einheimischen Schüler, die zu dieser Stunde meine Straße zum Korso machen, kommen mir da sorgloser vor; selbstbewußt führen sie ihren Guru-, Papua- oder Afrikaner-Look vor; Mannh. Morgen 15. 7. 1970 Hesse . . ist der „Guru" der Hippies und anderer Dropouts (DUDEN 1999); 1976 Spiegel Nr. 44 US-Komponist Steve Reich, großer Guru der Neutöner (DUDEN 1999); Fichte 1978 Wollt 37 Einen Führer müßte man haben! Einen Guru, ein Vorbild (DUDEN 1999); Zeit 15. 3. 1985 Dieses Nebeneinander von öffentlicher Vernunft und privatem Aberglauben ist nicht neu. Das Eis moderner Rationalität, auf dem wir uns scheinbar gelassen bewegen, ist stets dünn gewesen. Gurus überschwemmen die westlichen Länder, asiatische Weisheiten und Heilslehren stehen hoch im Kurs; Mannh. Morgen 20. 6. 1986 In Nauman steckt außer dem Künstler und Mathematiker, der er einmal war, auch ein Pädagoge, ein Guru, ein Mystiker; Zeit 17. 12. 1993 Thomas Mann, der einer meiner Gurus ist, hat geschrieben, daß die Deutschen, die Hitler gefolgt sind . . dieselben guten Deutschen [waren], die er, Thomas Mann, liebte; Frankf. Rundsch. 8. 12. 1999 Mit dem Rückgang der religiösen Orientierung des Daseins setzte eine frustrierende Sinnsuche ein, die in unserer Gegenwart zur Blüte exotischer Sekten und ir-
rationaler Weltanschauungen führte. Enttäuschte und desorientierte Menschen . . wurden leicht zur Beute mythischer Gurus oder schlimmer noch fanatischer Demagogen; taz 30. 7. 2001 In der hinduistischen Tradition ist der Guru ein spiritueller Meister. Dabei steht „Gu" für Dunkelheit und Unwissenheit und „Ru" für Licht . . Der Guru gilt als vollkommen, unfehlbar und als Verkörperung des höchsten Seins in der Welt . . Der Guru als Autoritätsfigur führt den Schüler auf dem Pfad der Erleuchtung und kann ihm alles abverlangen; ebd. 15. 2. 2002 Für die Gurus des modernen Managements war die Karriere . . ein gleichsam heiliges Unterfangen; Mannh. Morgen 16. 7.2004 Wer keine Karten hat . . drückt sich vor dem Bühneneingang herum, versucht einen Blick auf den . . Guru der anspruchsvollen Gemeinheiten [Harald Schmidt] zu erhäschen. Ein päpstliches Event; Hamb. Morgenpost 16. 9. 2006 Eigentlich sollte bei TV-Darling Tim Mälzer die Küche erst mal kalt bleiben. . . Doch gestern machte der KochGuru mit dem guten Herz eine Ausnahme und zeigte beim Charity-Dinner „Cooking for Kids" . . wilde Brutzel-Einlagen. Guruin: taz 6.4. 1994 Wenn aber die Gurus und Guruinnen sinkende Kurse weissagen, dann haben sie damit meistens recht. Guruismus: Haack 1982 Guruismus und Guru-Bewegungen (Titel); 1995 Theolog. Realenzykl. XXV 116 eine spezielle Variante ist die Vorstellung von Mittler-Genealogien, in denen eine offenbarte Technik für den Offenbarungsempfang vom Lehrer zum Schüler weitergegeben wird (z. B. im hinduistischen und im buddhistischen Guruismus); Bader 2006 Dialog 186 Damit berühren wir wiederum den „Guruismus" im Westen. Der ist, gelinde gesagt, ein hybrides Phänomen. Der traditionelle Guru wirbt niemals. Er dient als demütiger Spiegel der Wahrheit. . . Heute hat diese Idee sich verquickt mit dem westlichen Ideal der „großen Persönlichkeit"; und nun werden die Gurus zu Über-Menschen, die . . Gefolgschaft um sich sammeln.
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Gusto
Gusto M., früher selten N. (-; selten -s), im früheren 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. gusto (zurückgehend auf lat. gustus 'das Kosten, Genießen, Geschmack'; —» Gout), bis Ende 17. Jh. im Schweizerdtsch. und bes. bei oberdtsch. Schriftstellern nur in der Form Gust, erst seit dem 18. Jh. in der heutigen Form, gelegentlich auch in der (lat.) Form Gustus und (französisierend) Gousto (—» Gout), a Bildungsspr. und regional (bes. süddtsch.) in der v. a. im 18. Jh. schlagwortartig verbreiteten, ästhetisch-subjektiv wertenden Bed. 'Vorliebe, individuelle Neigung für etwas/jmdn.; (Wohl-)gefallen, Genuss, Spaß, Geschmack an etwas; Sinn, Verlangen nach etwas, Lust/Gelüste/Laune auf etwas' (—»· Appetit), heute (meist nur noch) regional geläufig in oft formelhaften Verbindungen wie (veraltet, bes. süddtsch.) nach Gusto 'nach (freiem) Belieben, Ermessen, Gutdünken', Lust und Gust, die Bestimmungen nach ihrem Gusto auslegen, (je) nach Gusto mitkommen oder zu Hause bleiben, Gusto (an etwas) finden/(auf etwas) haben, den Gusto an etwas verlieren, ich will Ihnen den Gusto nicht verderben, dann v. a. 'Urteilsfähigkeiten in Dingen des täglichen Lebens, (persönlicher) Geschmack, Geschmackssinn, den jmd. in Bezug auf Essen, Kleidung, Wohnung, Lebensweise usw. beweist, daran findet' (s. Belege 1611, 1820; —> Gout, Ggs. Degout), z.B. nach jmds. Gusto 'nach jmds. Geschmack', die Zimmer nach eigenem Gusto einrichten, nach eines jeden Gusto verfahren/vorgehen, im hohen Gusto (vgl. frz. haut goüt) möbliert/ausstaffiert, ganz nach persönlichem Gusto, dies ist (nicht) nach meinem Gusto/meinem Gust gemäß, das entspricht (nicht) meinem Gusto, ihr Gusto in Bezug auf Männer, auch 'allgemeine Geschmacksrichtung, Zeitgeschmack' (s. Belege 1722, 1743.2, 1757, 1782; —* Mode, —» Trend), z. B. nach dem neuesten, französischen Gusto, vom amerikanischen zum europäischen Gusto, Frankfurter Gusto, speziell im Sinne von 'Fähigkeit zu ästhetischer Wertung, feinem Urteilsvermögen, (guter, hoher) Kunstgeschmack, -sinn' (s. Belege 1745, 2003; —»· Gout, —»· Hautgout, —»· Delikatesse), bes. in Wendungen wie Erfindungen de bon Gusto (vgl. frz. de bon goüt), wie sich der Gusto des Aufführungsstils ändert, mit welchem Gusto diese Arie vorgetragen wurde!, Cameron Diaz bewies bei der Auswahl ihrer Filme beinahe immer einen gewissen Gusto, auch 'produktiv-gestalterische Fähigkeit, Individualstil eines Künstlers und die dadurch geprägten Werke' (s. Belege 1729, 1763, 1985), gelegentlich abwertend einen guten/schlechten, hervorragenden, verdorbenen Gusto haben; als Grundwort im Sinne von '-geschmack; -Stimmung, -lust' in meist okkasionellen Zss. wie Allegro-, Altherren-, Dekorations-, Diplomaten-, Ferien-/Urlaubs-, Hof-, Hosenrollen-, Kino-, Knabber-, Musik-, Reise-, Schreib-, EU-, TV-, Verdi-Gusto, selten als Bestimmungswort in Zss. wie Gusto-Buch, -Stück '(musikalisches, künstlerisches) Glanzstück, Höhepunkt, Leckerbissen' und (leicht abwertend konnotiert mit „nur auf gefällige, oberflächliche Wirkung, billigen Effekt bedacht, geschmäcklerisch") Gusto-Effekt, -Nummer. b Seit späterem 16. Jh. im physiologischen Sinne bezogen auf die geschmacklich/ geruchlich (objektiv) wahrgenommene Eigenschaft von etwas im Sinne von '(typischer) Geschmack, Geruch, Duft, den etwas (Speisen, Getränke, Essenzen o. Ä.) verströmt, der wahrgenommen wird' (—» Aroma, —» Gout), auch 'Geschmacks-, Geruchssinn in Bezug auf Speisen' (s. Belege 1565, 1591) und 'Vorliebe für/Lust, Appetit auf eine (bestimmte) Speise' (s. Belege 1728, 1948, 1988), in Wendungen wie Gusto auf Pralinen haben, esst mit Gusto!, als Bestimmungswort in der Bed. 'lecker; Appetit-, Geschmacks-, Probier-' (ähnlich wie Castro-, —» Gastronomie,
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Gourmet-, —* Gourmet) in Zss. wie Gustobissen/-häppchen/-stückchen ('appetitanregender Leckerbissen'), -griller, -menu, -paket 'Geschmacksprobe, Probierpaket (zum Testen eines Nahrungsmittels)', -schau, -schinken, -stand, -tage, -teller, -tour und als Grundwort in der Bed. '-geschmack' in Bier-/Wein-, Ei-, Fleisch-, Käse-, Rinds-, Schoko-, Süßgusto, heute nur noch regional (österr.). Dazu seit früherem 17. Jh. die verbale Ableitung gustieren V. (in)trans., bis heute meist regional eingeschränkt (österr.) für 'etwas Ess-/Trinkbares schmecken, (ver-) kosten, naschen; Geschmack an etwas Ess-/Trinkbarem finden, (es) genießen' (vgl. probieren, goutieren, —> Gout), z. B. beim Gustieren aus den verschiedenen Kochtöpfen, einen Riesling gustieren, Kunden gustieren die kulinarischen Angebote eines Bauernmarktes; Gustier-Lokal, -Runde (zu b), auch übertragen 'etwas ausprobieren, -testen, mustern, sich probeweise damit beschäftigen, darin umsehen, in etwas hineinriechen/-schmecken/-schnuppern, (herum-)stöbern, blättern, schmökern' (s. Belege 1872, 2000; —» testen), z.B. die neugierigen Käufer gustierten das Vorweihnachtsangebot, speziell im Glücksspiel 'probe-, versuchsweise einen Einsatz wagen, sich zurückhaltend beteiligen, mitmachen, ohne sich ganz darauf einzulassen' (s. Belege 1901, 1909—11; vgl. hasardieren, —» Hasard), und 'etwas (zu) genießen/ schätzen (wissen)' (s. Belege 1885, 1970, 1991), z.B. ich gustiere Ihre Besuche sehr, vereinzelt reflex, sich gustieren 'sich ergötzen; sich erfreuen' (s. Beleg 1998; vgl. sich delektieren), z.B. sie gustierte sich an seinem köstlichen Gitarrenspiel (zu a) und 'sich verköstigen, laben', z.B. sie gustierte sich am kulinarischen Angebot (zu b); in neuester Zeit (österr.) die Personenbezeichnung Gustierer M. (-s; -), auch moviert Gustiererin F. (-; -nen) 'Genießer/-in, Liebhaber/-in' (zu a und b). Dazu seit spätem 17. Jh. die französisierende, heute regional eingeschränkte (österr.) adj. Ableitung gustös, auch gust(u)os, gustuös und in neuester Zeit gustiös, in der Bed. '(im ästhetisch-wertenden Sinne) geschmackvoll, genussreich, (zum Schwelgen, Genießen) schön, angenehm; schwelgerisch, genießerisch', z. B. eine gustiös ausgeführte, präsentierte Arie, auch auf Personen bezogen 'von angenehmem, gefälligem Wesen' (s. Belege 1912, 1972, 1993; vgl. attraktiv), von äußerer Aufmachung und Ambiente (s. Belege 1767, 1817, 1910) (zu a) sowie 'schmackhaft, wohlschmeckend; appetitanregend' (zu b). Gusto a: 1534 (Staub/Tobler 1881 ff. Schweizer. Idiotikon II 492) würde man die ausgeschlossen hassen, so möchten die obern annehmen, dass man wenig gust zu ihnen trage (DWB); Hainhofer 1611 Corr. 147 ob er wurde von trühlen oder geschürrlen wass machen, so nach meinem gusto (dan sonsten wurden sie mir nit annemblich sein); Harsdörffer 1657 Gesprächspiele 35 Wenn aber solches entretien nicht a la moderne accomodirt ist/ so werden gewiß die damen einen schlechten gusto darvon haben/ und viel lieber Cavalliers discurriren hören/ als Scholaren; Abr. a S. Clara 1680 Merks wohl Soldat (Strigl I 164) mit großem Lust und Gust, mit unbeweglicher Beständigkeit, mit höchsten Begierden wollte er leiden; Dalhover 1689 Gartenbeetlein l 166a er lebt mit der Welt in allem Lust vnd Gusto; ebd. H 636a einige, so auch den Kirchen-Bann verachten, jhren Gust vnnd Lust nur an den schmotzigen Häfen vnnd stinkendem
Knoblach irdischer Gelüsten suchen vnd wayden; Menantes 1710 Satyr. Roman II 99 Ich getraue mir .. nicht das Vermögen zu, nach eines jeden Gusto mein Unheil . . zu fällen; König 1715 Wiener Reise (Staub/Tobler 1881 ff. Schweizer. Idiotikon II 492) wir sahen mit grösstem gust die färben eines regenbogens (DWB); Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 10 Ein galanter Geist/ und einer/ der sich nach dem heutigen Gousto richtet; Friedrich Wilhelm I. 1728 Br. (Klepper, In tormentis 87) Ich habe [den Karneval in Dresden gesehen] .. aber kein gusto gefunden; Fassmann 1729 Narr 47 Erfindungen und Auszierungen de bon gusto; Philippi 1743 Reimschmiedekunst 201 je mehr wird es nach dem allgemeinen gusto seyn; ebd. 203 Denn solches ist dem gusto unsers itzigen seculi entgegen; Schwabe 1745 Tintenfäßl 31 sintemaln sie ein jedem Leser, der für ein Heller Gusto haben thuet, besser gefallen werdn; Ramler 1757 Br. an Gleim (H 279) nach
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Gusto
Italienischem Gusto; 1763 Satyr. Bibl. IV 750 mit welchem Gusto Ricciarelli diese Arie sang ..!; Mozart 1779 (Zentner, München 22) wenn Ihnen, mein allerliebster Papa, ein Gusto kömmete . . Salzburg zu verlassen und in München Ihr Leben zuzubringen; Frau Rat Goethe 1782 Br. l 115 Durchaus nach dem heutigen gousto gestickt; Schopenhauer 1803—04 Reisetage 241 Die Häuser [in Schwaben] sind . . größtentheils von oben bis unten mit biblischen Geschichten bemahlt . . auf jedem Hause Märtyrer aller Art . ., auf dem Spieß, auf dem Rost, mit Pfeilen gespickt, in Öl gesotten, u.s.w. nach gusto; Meisl 1820 Quodlibet (H 191) Ich bedaure ihn, dass er keinen bessern Gusto hat [in Liebesdingen] — der Geschmack ist verschieden; Schröder 1831 Dram. Werke III 144 und [ich] bis dato viel gust daran gefunden habe (DWB); Devrient 1835 Gunst (l 198) das ist nicht mein Gusto; Nestroy 1835 Geist 24 Ich hau' jetzt ein Gusto zu astronomischen Beobachtungen; Burckhardt 1847 Br. an Schauenburg 109 nach eigenem Gusto gelebt; Görres vor 1848 Ges. Br. l 367 was nun die arbeit betrifft, so muß ich gestehen, daß ich . . noch keinen ganz außerordentlichen gusto dazu habe (DWB); Holtet 1863 Letzte Komödiant III 112 es war' och erstaunlich, daß gerade heute zwei Parteien den nämlichen „Gusto" hätten; 1870 Klosterleben l 14 Vor der Einkleidung [als MönchsKandidat] wird erst'n Capitl g'fragt, ob's 'n Gusto hat, 'n jeden, der daher kommt . ., aufzunehmen; Burckhardt 1880 Br. an Alioth 151 das Wohnen nach Gusto; Perfall 1890 Liebe 84 Schließlich packt ihr einer doch das Herz und sie verliert den Gusto an dem liederlichen Katzenspiel [außerehelichem Verkehr]; vor 1898 Fontäne l 2,54 dies Franzosenvolk ist sonst nicht mein gustus (DWB); Wassermann 1910 Masken 78 Von andrem möchte ich nur ungern reden, um Ihnen den Gusto nicht zu verderben; Kronberg 1929 Jugend 83 Seit langer Zeit zum erstenmal wieder konnte Kowalski nach eigenem Gusto gemütlich zu Abend essen; Busse 1934 Leute 77 aber die Rebe ist launisch und empfindlich, und der Himmel selten nach ihrem Gusto das lange Rebjahr hindurch; Münch. Merkur 23./ 24. 10. 1934 da hat er fürs Schneidern nimma viel Gusto ghabt; Lippl 1944 Schloss 177 ein Wirtsgarten mit ein paar Kastanien, ein richtiger Bauernspeck, Brot und ein gutes Landbier, das ist heute mein Gusto; Klemperer 1948 Tagebücher 576 Auf allen Prospekten . . sieht man solch eine Gruppe von Strandkörben, Menschen im Badevergnügen .. Dieses Gewimmel, das ist der Gusto der Masse; 1957 Brot u. Wein 118 ich überlege, wie alles nach Gusto einzurichten wäre; Süddtsch. Ztg. 16.8. 1958 Kurt Böhmes Osmin . . ein Türkenwüterich mit Wiener Gemüt und dem richtigen Gusto für Mozarts musikalische Spaße; Presse 11.8.1969
Der Gefangenenchor, der . . zu den Gustostückerln des Wiener Staatsopernchors zählt und . . hinreißend wirkt (DUDEN 1999); Zeit 15.11.1985 Anhand der Hinzufügungen von Hummel und Hoffmann [zur Mozart-Partitur] wird einem bewußt, wie schnell und drastisch sich der „Gusto" des Aufführungsstils zu verändern vermochte; Salzb. Nachr. 12. 8. 1991 überkommen den Zuhörer abwechselnd Schauer des Abscheus und des Gustos; Presse 6. 6. 1995 dazwischen nervtötend zerdehnte Gusto-Nummern. Statt behutsamer, rhythmischer Textstocherei oft nur schlampige Nestroy-Schlemmerei; Salzb. Nachr. 25. 7. 1998 Ein Gusto-Stück dürfte das Solistenkonzert mit dem Countertenor David Daniels werden; Oberösterr. Nachr. 23. 7. 1999 Einigkeit besteht, daß aufs Brot erst ein bisserl Butter gehört, dann der Kochkäse und etwas Salz. Aber dann scheiden sich die Gustos. Vater Wiesner streut noch etwas Paprikapulver auf sein Kochkäsebrot, Sohn Wiesner nimmt Pfeffer; St. Galler Tagbl. 10. 12. 2001 Im Gespräch mit dem englischen Magazin „Mojo" hat Cocker angedeutet, warum er seinen Popstar-Status eine Zeitlang mit Gusto genoss, sich dann aber abwandte; Berl. Ztg. 26. 2. 2003 Bekanntlich ist es ja oft so, dass Frauen in Fragen des musikalischen Gustos einen höheren Entwicklungsstand als ihre . . Männer aufweisen. gustieren: Reichensperger 1872 Phrasen 173 Leute, die gewohnt sind, in allen Wissenschaften frei zu gustiren, appliziren sich dann für nichts Rechtes in der Wirklichkeit; Schaible 1885 Geschichte d. Deutschen in England 302 die Besuche des Herzogs, in einem Stücke, das vor Elisabeth aufgeführt wurde, müssen von ihr und dem Hofe sehr gustirt worden sein; Altenberg 1901 Was der Tag 174 Es sei vielleicht sogar ein Poker-Spiel, diese ganzen Beziehungen, jedesfalls würde man ziemlich nervös dabei, sehr gesund sei es nicht, immer um seinen Einsatz zu zittern, alle Augen überall zu haben und zu gustiren (DiBi 125); Ganghofer 1909-11 Lebenslauf III 307 Ich selber hatte nie eine besondere Passion für das Hasardspiel, gustierte aber doch zuweilen um der Kameradschaft willen ein bißchen mit und kam mit leidlich blauen Augen davon (DiBi 125); Genius 1933 Fremdwb. 381 gustieren .. Geschmack finden an etwas; Luck 1970 Keller als Literaturkritiker 316 Und so bringt denn, was die beiden Herren sehen und gustieren, trotz des bald seit Goethe abgelaufenen Jahrhunderts, noch viel des Neuen, Nichtgesagten; Salzb. Nachr. 14. 9. 1991 Er wagt sich malend an ein Phänomen, das wohl nur jene gustieren werden, die Genuß an feinen Nuancen, die Gefallen an leisem Verhalten
Gusto finden; Tiroler Tagesztg. 8. 6. 1998 So gustierte sich Skispringer Martin Höllwarth . . an Möbeln; Neue Kronen-Ztg. 5. 9. 1999 Er träumt aber von einem Büro, in dem seine „Schäfchen" . . die in Frage kommenden Stücke sogar über Kopfhörer gustieren können; Salzb. Nachr. 4. 12. 2000 Zwar würden viele bisher nur gustieren, meinten einige Geschäftsleute. Insgesamt ist man für das heurige Weihnachtsgeschäft aber optimistisch. Gustieren Presse 29. 12. 1998 Zu [Sonja Kirchbergers] Pech nicht einer der Gustierer beim „Playboy", sondern Vera-Ersatz im Fernsehen. gust(i)ös: Sperander 1727 A la Mode-Sprach 283 Gustos, angenehm, lustig; Klemm 1767 Grüne Hut 34 Ja, es ist wirklich richtig. Er ist recht gustuos angezogen, in der That, eine schöne Figur! (DiBi 125); Goethe 1771 Er. (WA IV 2,6) Mit den Kupfern verlassen Sie sich auf ihr Gesicht. Wenn die Zeichnung gustös ist, und der Stich schön schwarz, so ist alles gut; 1778 Journal d. Moden H 331 Der männliche Anzug . ., wenn er neuerer Zeit gustös und modisch heisen will; Lessing vor 1781 S. Sehr. Ill 408 madame Blunt und Miranda sind abgegangen, sich gustöser des französischen gastes wegen zu machen (DWB); ebd. XVII 147 lassen sie mich nur machen; ich will ihnen zeigen, daß ich ein ziemlich gustöser buchhändler bin (DWB); /. G. Müller 1787-88 Waldheim IV 51 die braut trug ein hellgelbes atlaßnes kleid, sehr gustös gestickt (DWB); Wölfling 1795 Reise l 137 den gustösen Prunk; Friedrich 1817 Dritter satyr. Feldzug 261 f. Zwar erkennt man den Gentilhommc sogleich an einem gewissen noblen Anstände, mais dans l'Etat de la Nature vergißt sich das leicht; und da man, wie es heißt, nur in einer simplen Chemise ins Himmelreich eingeht, so wird sich die Noblesse nicht einmal durch einen gustuöseren und choisirteren Anzug zu erkennen geben; Nohl 1864 Beethoven's Leben 267 [er hatte] drei Reihen Logen über einander bauen lassen, die nach seiner eigenen Angabe „gustös und bequem" eingerichtet waren; Hayn 1885 Bibliotheca Germanorum Erotica 278 worinnen enthalten sehr prächtige Kleinodien von auserlesenen hochdeutschen gustuösen Liedern; Greif 1895-96 Ges. W. II 292 meint ihr, man hart so hergericht't den prater/ und alles so gustös illuminiert,/ wenn es so stehen thät? (DWB); Hevesi 1906 Acht Jahre Sezession 213 Man hat kürzlich in der graphischen Ausstellung der Sezession gesehen, wie sich das gustiös und gemütlich einkleiden läßt, und dennoch ganz modern; Niedieck 1910 Erziehungs- u. Bildungswesen 52 Es waren in den oberen Rängen auf jeder Seite 9 Logen angebracht worden, die nach des Kurfürsten eigner Angabe gustös und bequem eingerichtet waren; Mol-
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nar 1912 Panflöte 110 Ein Weib, auf das die Männer zu sagen pflegen: eine gustiöse alte Frau; Paumgartner 1935 Salzburg 379 Salzburg . ., deren gustiösc Läden zu besuchen allein schon ein Hochgenuß ist; Huch 1955 Beethoven 73 Philipp Emanuel Bachs 'Versuch über die wahre Art, das Klavier zu spielen' . . sei schwer, und doch nicht gustös. Schwer? Freilich schwer, aber nur relativ. Es gibt Leute, denen auch das leichteste Menuett schwer ist. Nicht gustös? Freilich findet der keinen Geschmack an kräftigen nahrhaften Speisen, der sich den Magen mit Zuckerbrot verdorben hat; Pott 1972 Alexander Lernet-Holenia 191 die Frau Servaes und der Herr Schmidt, also die waren wirklich amüsant, wie sie das gespielt haben, und ihre Tochter, das war eine sehr gustiöse Person; Salzb. Nachr. 25. 9. 1993 dem süßen, adretten Darling des Geschehens ist es vergönnt, einen durchaus gustiösen Witwer (Eugen Stark) an Land zu ziehen; Neue Kronen-Ztg. 18. 1. 1996 bei der großen Brautmoden-Gala im Konzerthaus, wo er die Satin-, Taft-, Seide- und Tüll-Kreationen seines Hauses zum Thema dermaßen gustiös präsentieren ließ, daß man . . direkt Appetit aufs Heiraten bekam; Salzb. Nachr. 2.11. 2000 Gustiös schließlich auch das Allegretto: kein verkappter langsamer Satz, sondern eine launige Parodie. Gusto b: Heyden 1565 Plinius 187 dass aber etliche von jhnen aussgeben, wie einen überaus scharpffen gust oder geschmack sie [die Mäuse] haben sollen, nimpt mich wunder (DWB); Frölich 1591 Offenbarung 81 so viel aber die sinn belanget, wird der gust oder geschmack mehr von den nässen oder scharpfen, dann von den bitteren verletzet (DWB); 1600 (Staub/Tobler 1881 ff. Schweizer. Idiotikon II 492) [der Wein um Zürich] b'halt doch [im Alter] sein gust und härbe (DWB); 1608 ebd. II 492 eines guten geruchs, geschmacks, tons und gusts (DWB); 1702 ebd. II 492 dass nicht diese speisen zusammen ganz einen unguten geruch und gust von sich geben (DWB); 1718 Abentheuerl. Welt III 23 Der gusto [von parfümiertem Tabak] ist nicht so, . . so ist nicht der Geschmack/ Als wie die Trefflichkeit von dem Prisill-Toback; Rohr 1728 Zeremoniellwiss. l 434 Man muß auch wegen des unterschiedenen Gousto der Leute bey einer Gasterey die Speisen in einer kleinen Anzahl aufsetzen; Gotter 1802 Nachlass 154 Das Dessert ist ganz in dem Gusto, wie am letzten Geburtstage meiner Fürstinn; Kohl 1841 Südrussland I 202 Dieser Gusto [des Weines] war nicht eben die duftigste Blume (SANDERS 1871); 1948 Zwiebelturm 39 [junge Katzen] ham no an Gusto auf 'd Maus; Kohlmeier 1988 Helden 124 Ich hatte Gusto auf überwürzte Spaghetti. gustieren: um 1638 Teutscher Michel 206 Was ist gustieren, was gratulieren,/ Gratificieren, gaudie-
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ren?; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 283 Gustiren, schmecken; Jean Paul 1827 S. W. XXX1 1,76 Ich muß Ihnen gestehen, zuletzte gustierte der Herr den Keller mehr als ich gedacht hätte; aus der sauersten Bouteille schmeckt doch das letzte Glas passabel und ist zu trinken; Heyse 1838 Fremdwb. I 469 gustiren, kosten, mögen; Kürnberger 1898 Eis 75 Nur sehen, hören, riechen, gustieren und tasten können wir; in diesen fünf Fetzen werfen sie uns die Welt zu, daraus soll ein Ganzes werden!; Genius 1933 Fremdwb. 381 gustieren .. kosten, schmecken; Salzb. Nachr. 22.5.1992 Auf dem gestrigen Markt konnte man reichlich gustieren und auch zwischen weißem und dem geschmacklich intensiveren grünen Spargel wählen; Tiroler Tagesztg. 8. 6. 1998 So gustierte sich Skispringer Martin Höllwarth genauso an . . dem Kulinarium wie die Schauspielerin und Ernährungsspezialistin Barbara Rutting; ebd. 22. 12. 2000 Gustieren und Genießen lautete das Motto dieses Abends — die Tiroler/innen nahmen's wörtlich. Genossen das kulinarische Angebot und stießen auf das TT-Leserreisenjahr 2001 an; Bamberger 2004 Sehnsuchtgift 138 Ohne sich von mir auch nur im Geringsten stören zu lassen, gustiert er bereits für den nächsten Gang, in dem er seine offensichtlich wohl geübten Blicke rasch über die riesige Menge von Gaumenfreuden schweifen lässt. Gustierer: Presse 27. 4. 1996 Vor 80 Jahren entstand auf dem überwölbten Wienfluß der Naschmarkt . . Oft beschrieben, mitunter totgesagt und wiederauferstanden, ist der Jubilar auch nach acht Jahrzehnten noch immer Anziehungspunkt für Touristen, Gustierer, Köche und Flaneure; Neue Kronen-Ztg. 9. 5.1999 Sie kredenzt in der Halle 18 Schnäpse, die auf der diesjährigen „Destillata"
. . mit Silber und Bronze ausgezeichnet wurden. Natürlich finden Gustierer gehaltvoller Säfte hier auch „Gold"-Edelbrände, viele sortenreine unalkoholische Getränke und Most. gust(i)ös: Abr. a S. Clara 1686-95 Judas 456 daß er sein Lebtag keinen bessern und stattlichem Wein habe genossen, ja aller Wein im Keller hat die Säure verlassen, und ganz annehmlich und gustos worden (DiBi 125); Sperander 1727 A la ModeSprach 283 Gustos . . it. wolgeschmack. z. E. diese oder jene Speise ist gustos zu essen; Hurter 1877 F. v. Hurten 427 Nun weiss ich aber auch, warum wir so selten das Vergnügen haben, Sie als Ehrengast an unserer Tafel zu sehen . . mit einem gustösen Hirschbraten; 1885 — 92 Meyers Konversations-Lex. VII 945 Gustos (lat.), schmackhaft, geschmackvoll; Müller-Guttenbrunn 1913 Gr. Schwabenzug Kap. 24 Seit Wien habe er [der junge Graf] so famos nicht mehr gegessen, es sei alles gustiös gewesen und deliziös; Piszk 1924 Künstlerhilf e-Almanach die bedrohliche Nähe eines gustiösen Pflaumenmusbrotes . ., das sich von dem Plakat einer Marmeladefabrik ironisch hervordrängte; Reich-Ranicki 1967 Notwendige Geschichte 1933-45 566 Sie hatte kalten Imbiß mitgebracht, eine Menge guter Dinge, die sie vor ihm ausbreitete, gustiös und geschickt; Wend 1975 Ergänzendes Handb. 367 delicate Speisen, die durch die Kunst der Koch noch viel gustoser macht; 1983 Wiener XI 160 Das Lokal ist unauffällig . . einziger Blickfang sind das gustiöse Vorspeisenbuffet und das Sortiment der . . Rotweinflaschen (DUDEN 1999); Oberösterr. Nachr. 25. 7. 1996 Aus dem reichen Schatz der in der Umgebung gedeihenden Köstlichkeiten zaubert Frau Ingrid die gustiösesten Schmankerl. Ob Lammschinken, Mostsuppe, Bärlauchnockerl oder Seesaibling; ebd. 7. 7. 1998 Diese beiden Enten . . stöbern eifrig nach gustiösen Schnecken.
guttural Adj., Mitte 18. Jh., eventuell bereits im 17. Jh. (KLUGE/SEEBOLD) aufgekommen, zurückgehend auf gleichbed. gelehrtenlat. gutturalis, zu lat. guttur 'Gurgel, Kehle' (vgl. daneben das bereits im früheren 18. Jh. nachweisbare Subst. Guttural, s. u.). Zunächst fachspr. (Sprachwiss.) zur Charakterisierung bestimmter (sprachlicher) Laute nach ihrem Artikulationsort im hinteren Mund- und Rachenbereich in der Bed. 'durch Annäherung des Zungenrückens an den hinteren (weichen) Gaumen, in der Kehle, im Rachen gebildet', meist von Konsonanten (wie ch (nach a), h, g, k-> )·> gelegentlich erweitert zur Bezeichnung auch am harten (vorderen) Gaumen artikulierter Laute und heute meist als Oberbegriff verwendet oder durch anatomisch deutlicher differenzierende Termini ersetzt (vgl. glottal, palatal, postalveolar, postpalatal, velar, uvular), in Wendungen wie gutturale Konsonanten, Nasale, Spiranten, gutturale Natur eines Lautes und Zss. wie Gutturalaussprache, -buchstabe,
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-laut, -ton, auch in Bezug auf den charakteristischen Klang bestimmter Sprachen und Dialekte 'durch Kehllaute geprägt, kehlig klingend' (s. Belege 1768, 1934); dann auch allgemeiner von bestimmten klanglichen Eigenschaften meist männlicher Sprechstimmen in der Bed. 'kehlig(-hohl), kratzig-heiser, rau, krächzend, grollend, tief (—» sonor), oft zur Charakterisierung von Personen oder Figuren in literarischen Texten verwendet und dann negativ assoziiert mit „unangenehme Art, Grobheit, Derbheit, Rauheit, Brutalität, Wildheit, Primitivität, Bedrohlichkeit, Unheimlichkeit" (s. Belege 1806, 1927, 1960), seltener positiv assoziiert mit „Männlichkeit, körperliche Stärke, Kraft, Dominanz" (s. Beleg 1922), dann bes. in der Musik mit Bezug auf (männliche und weibliche) Singstimmen und Gesangstechniken für 'kehlig', gelegentlich auch 'krächzend' (s. Belege 1985, 1999, 2005, vgl. Grunting, Growling), in Wendungen wie ein gutturales höhnisches Lachen, die Stimme wird guttural und drohend und (teilweise additiven) Zss. wie guttural-bayerisch, -erotisch, -grummelnd, -gurgelnd, -heiser, -klingend, -sonor, -viril; bayerisch-, exotisch-, fremdartig-, kratzig-, schwäbisch-, sexy-, tief-guttural. Daneben bereits seit frühem 18. Jh. das ebenfalls auf gelehrtenlat. gutturalis (s.o.) zurückgehende Subst. Guttural M. (-s; -e), vereinzelt auch Gutturale F. (-; -n) 'in der Kehle gebildeter Laut, Gurgellaut', bis Mitte 18. Jh. noch in der lat. (flekt.) Form Gutturalis, in Wendungen wie der für diesen Dialekt typische, der anlautende Guttural und Zss. wie Gutturalgeknurr, -reihe, -spräche, -dialekt (bei deren Bestimmungswort oft nicht eindeutig zwischen Adj. und Subst. unterschieden werden kann). Dazu nur fachspr. (Sprachwissenschaft) seit früherem 19. Jh. das Verbalsubst. Gutturalisierung F. (-; -en) 'Verlagerung des Artikulationsortes eines Lautes in den hinteren Mund- und Rachenbereich, in den Bereich des weichen Gaumens', teilweise auch mit Bezug auf das Ergebnis dieses Vorgangs (s. Beleg 1943), meist zur Bezeichnung eines Charakteristikums von Sprachen oder Dialekten (s. Belege 1841, 1857, 1957, 2003), in Wendungen wie die rheinische Gutturalisierung, die Gutturalisierung des t, gebildet zu der erst seit späterem 19. Jh. belegten verbalen Ableitung gutturalisieren V. trans., auch refl. 'den Artikulationsort eines Lautes nach hinten, in den Bereich des weichen Gaumens verlagern', auch adj. verwendet im Part. Perf. gutturalisiert, in Wendungen wie p hat sich gutturalisiert, das e gutturalisiert den Palatal, der gutturalisierte Laut, die gutturalisierte Form. guttural: Alberti 1752 Br. I 261 daß . . die Ausrede der Sprache nicht schwerer und fremder sey, als der Hebräischen, mit welcher sie ungemein viele Aehnlichkeit habe, z. E. in den Wörtern, welche guttural Buchstaben haben; Sturz 1768 Br. (l 6) Macpherson deklamirte mir einige Stellen [aus dem „Ossian"] vor. Die Sprache klang melodisch genug, aber feierlich klagend und guttural, wie alle Sprachen ungebildeter Völker; Adelung 1806 Mithridates 502 Die Buratten . . Sie sind die ungebildetsten und unreinlichsten unter allen Mongolen; auch ist ihre Mundart die rauheste, und wegen ihrer Verwechselung der Consonanten, wovon die meisten guttural und nasal sind, am meisten ab-
weichend; Campe 1813 Fremdwb. 345 Guttural, kann durch Zusammensetzung mit Kehl übersetzt werden; Bopp 1840 Kawi-Sprache o. S. Es gilt aber als Regel, dass bei Verben, welche durch das Infix um gebildet sind, wie sumulat von sulat Schrift, die Zeitpartikel na sich mitten in das Suffix um hineinzwängt, wobei das a verloren geht, und n zum gutturalen Nasal wird; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 330 guttural . . zur Kehle gehörend, dieselbe betreffend; Westphal 1869 Grammatik 62 Eben dasselbe gilt von dem germanischen h im Vergleiche zu -, sicherlich aber war seine gutturale Natur in den älteren germanischen Dialecten stärker als in den heutigen; Panizza 1893 Visionen
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269 Du darfst Dir Mühe geben so viel Du willst, „Deradäng! Deradäng!" auszusprechen; so fettigguttural, so weich-gröhlend, so speichelnd wie Itzig Faitel Stern bringst Du's nicht zusammen! (DiBi 125); May 1903 Im Reiche d. silb. Löwen IV 267 Er sprach die gutturalen Spiranten mit mehr als gewöhnlicher kurdischer Schärfe aus und hatte ein so uvular schnarrendes Rrrrrr, als ob er an einer bösartigen Zäpfchenkrankheit leide (DiBi 125); Klabund 1922 Kunterbuntergang d. Abendlandes 16 Des Feldherrn Stimme rollte in gutturalen Kehllauten. Silbermann notierte: nicht nur die Tatze, nein, auch die Stimme des Löwen (DiBi 125); Golems 1927 Kaufherr 74 wieder jener verhärmte Zug, den ich zum erstenmal im Zwielicht Andermatts mehr geahnt als gesehen hatte. Dazu aber war etwas zweites, fast Wildes und Fanatisches getreten. Auch die Stimme wurde sonderbar guttural und drohend; Th. Mann 1934 Reden u. Aufs. (W. IX 440) Er . . erläuterte in seinem drollig-angenehmen, zugleich spitzigen und gutturalen Neederlands-Deutsch leichthin und gutmütlich den Vorgang des Einbootens; Pegg 1960 Nacht d. Jägers 14 Da überrumpelte ihn die Schwäche. Wie aus weiter Ferne hörte er nochmals dieses gutturale höhnische Lachen; Zeit 11.1. 1985 Sie [gesungene Töne] klingen .. voll und mit ganz tiefen Farben, etwas guttural, etwas an den Gaumen gedrängt, etwas nasal dann, Töne, die sich entfalten zu einem Timbre, das so unverwechselbar ist wie kein zweites und das bis dahin nur eine Sängerin besaß: Maria Callas; Frankf. Rundsch. 5. 3. 1999 ein MetalMix mit Anleihen bei Hardcore, Industrial und Rockabilly und über diesem betonharten Soundteppich eine kratzig-gutturale Männerstimme, die nach durchzechten Nächten und großzügigem Tabakgenuß klingt; taz 8. 3. 2005 Lhasa, die gerade mit gutturaler Stimme eine ihrer spanischen Balladen vorgetragen hat. Guttural: Gottsched 1725 Sprachk. 98 Mich dünket, nach den Selbstlautern wäre es am natürlichsten die LABIALES, hernach die DENTALES, so dann die LINGUALES, und endlich die GUTTURALES, so zu stellen, daß die härtesten zuletzt kämen; Stoppe 1728 Gedichte l 73 das Maul vor Bestürzung . . aufsperrete, also wollte er mit lauter Gutturalen Hebräisch reden; Gottsched 1751 D. Neueste II 338 davon nimmt der herr Verfasser die gutturalen oder kehlbuchstaben zuerst vor (DWB); Richey 1755 Idiot. Hamburg. 388 Dahingegen die Hoch-Teutschen dieses, als ein wesentliches Kennzeichen ihres Idiotismi haben, daß bey ihnen die weichen Buchstaben b, d und v, gemeiniglich in p,
t und f oder b, imgleichen die gelinden gutturales in schärffere sich verwandeln; 1802 Götting. gel. Anz. 11 das r im mal. Wort [hari] ist ursprünglich ein Guttural, wie erwiesen wird aus Baiin, haki, Tag; Adelung 1812 Mithridates 111 Die Bildung der Wörter aus der Geez-Sprache . . zeigt mehr einen Übergang aus unvollkommener Auffassung durchs Gehör, so in den Verben mit zwey Radicalen, in welchen der Äthiopische Guttural am Ende weggelassen ist; Ritter 1833 Erdk. Ill 116 die rückkehr der vielen gutturalen, welche überhaupt das mongolische auszeichnet (DWB); Bopp 1840 Kawi-Sprache o. S. In der Delaware-Sprache heisst ki du und begegnet durch seinen Guttural den Malayischen Sprachen, z. B. dem Tagalischen ka, dem Tongischen koi, dem Neuseeländischen koe; Heine 1851 Romanzero (W. u. Br. H 132) Und er gurgelte gar lieblich/ Jene fetten Gutturalen [im Text der Thora] (DiBi 125); Kühn 1859 Sagen 130 der anlautende Guttural der Wurzel, der übrigens meist eher wie Ch denn wie G gesprochen wird (DiBi 125); 1880 ZfdPh XI 454 was ist aus german. g im dialecte geworden: bei Weinhold würde er unter sämtlichen gutturalen, unter j, unter h, unter ausfall des lautes zu suchen haben; 1897 DWß IV.1.2,4418 der guttural weist die gewöhnlichen Übergangserscheinungen vom mittelhochdeutschen zum neuhochdeutschen auslautsgesetz auf: getrank; Klemperer 1919 Tagebücher 76 die schöne Bulgarin sang mit ganz leiser, schwirrender, hoher u. feiner Sopranstimme das Heideröslein in weichem fremdartigem Deutsch mit starken Gutturalen bei aller Weiche; Süddtsch. Ztg. 17. 7. 1951 Die schöne Wilma Lipp deutet ihre virtuose KoloraturWonne lieblich wienerisch aus. . . Wie sie aber ihre schmiegsame Guttural-Fertigkeit einem vielsagenden Ausdruck nutzbar macht, ist unnachahmlich; 1974 Herders FWß 167 Guttural, der .. Laut, der zw. Zungenrücken u. Gaumen gebildet wird (nicht Kehllaut): k, g, ch; Salzb. Nachr. 23. 1.1993 dessen Glut/ unsre Hände wärmt, Joseph, während wir grunzen wie Primaten/ die Gutturale austauschen in dieser Winterhöhle/ einer braunen Hütte; Presse 9. 1. 1999 Die „Saturday Review" zitierte einmal die absichtlich teutonisch gehaltene Rede einer Nebenfigur eines meiner Romane, stellte den Tonfall als charakteristisch für das gesamte Buch hin und zog mir die Haut ab, weil ich Shakespeares edle Sprache mit solchen Gutturalen vergewaltigt hätte. gutturalisieren: Bopp 1861 Vgl. Gramm. Ill 284 Das p des skr. pac (aus pak), gr. , hat sich in coquo gutturalisirt, was nicht hindert anzuneh-
Gymnasium men, dass der ursprüngliche Labial nicht ganz untergegangen sei; 1888 Zs. f. roman. Philol. XI 61 Das auslautende e der Stämme zahlreicher Nomina der u- und ä-Deklination . . besitzt die Eigenschaft, jeden antretenden Palatal zu gutturalisicren; 1905 Finn.-ugr. Forschungen V 239 der ursprüngliche palatale vokal hat sich hier der vokalharmonie zu liebe gutturalisiert; Glaesener 1920 Revelatrice 266 Vor Ar. [k] wird inlautendes aus Entnasalierung hervorgegangenes [n] gutturalisiert, z.B. ^rjkei] (quinquet) Lampe; 1939 Zs. f. Assyriol. u. vorderasiat. Archäol. XL 331 Emphatische Laute, die man richtiger gutturalisierte, genauer Ajin-haltige, nannte und die vielfach dieselbe Wirkung haben wie gutturale; Agricola 1969 Dtsch. Sprache 368 die typisch rheinischen (kölnischen) gutturalisierten Formen (n > ng) Schringe(r) und Schrenger; Stroh/Schmitt 1989 Taunuswb. 359 Wenn wir Frings folgen, so müssen wir in unserem igdersen eine Kreuzform sehen. Sie setzt aber eine gutturalisierte Form iggerzen voraus (idderzen + iggerzen > igderzen); Hartweg/Wegera 2005 Frühneuhochdt. 147 Die Assimilation von nd > /n/ bzw. zu der gutturalisierten Form / / findet sich nur in einigen Mdaa. Gutturalisierung: Bopp 1841 Verwandtschaft 91 Im Äthiopischen ist die Gutturalisirung des t noch
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weiter gedrungen als in den übrigen Dialekten semitischer Zunge; ders. 1857 Vgl. Gramm. I 454 eine im Armenischen beliebte Gutturalisirung eines ursprünglichen v; 1890 Phonet. Studien IH 87 Lässt sich nun auch, wie der i-umlaut durch palatalisirung (mouillirung) des folgenden konsonanten, so der u-umlaut durch labialisirung bezw. gutturalisirung desselben erklären; Jespersen 1904 Phonet. Grundfragen 111 die Modifikation der Laute, die man Labialisierung (Rundung), Palatalisierung (Mouillierung) und Velarisierung (Gutturalisierung) nennt; Mitzka 1943 Dtsch. Mundarten 125 Eine merkwürdige Gutturalisierung ist in Teilen des Mittelfränkischen das Auftreten eines k an Stelle eines t, d oder vor einem solchen, z. B. tsikt, tsik u.a. „Zeit"; Protze 1957 Das Westlausitzische 169 Die Gutturalisierung von inl. -nd- durchzieht in einem mehr oder weniger breiten Streifen das ganze Mitteldeutsche vom Rhein bis in den Bereich der Oder; P atze/Schle singer 1984 Gesch. Thüringens 141 Die Gutturalisierung .. führte zu Wortpaaren wie kenger/kent, hönge/hont; Elmentaler 2003 Struktur u. Wandel 67 So finden sich Hinweise auf die . . auch für den Niederrheinraum anzunehmende 'Rheinische Gutturalisierung' (in den > ingen, an der > anger) im Duisburger Korpus nur in Verbindung mit Eigennamen, niemals im appellativen Wortschatz.
Gymnasium N. (-s; Gymnasien u. Gymnasia), Mitte 16. Jh. aufgekommene, über lat. gymnasium auf griech. (zu 'mit nacktem Körper Leibesübungen machen, sich (körperlich und geistig) üben', zu 'nackt'; —»· Gymnastik) zurückgehende Bezeichnung für ein meist in Form eines Ovals angelegtes Areal, das als öffentlicher Platz für Leibesübungen, die von männlichen Jugendlichen im unbekleideten Zustand vorgenommen wurden (vgl. Palästra), dann auch als von den Philosophen- und Sophistenschulen genutzter Versammlungsort diente und zur Stätte des geistigen Lebens und Anstalt für geistige Unterweisung wurde; bis heute auch lat. flekt. und in der griech. Form Gymnasion (bes. a). a Zunächst in der auf antike Verhältnisse bezogenen, bis heute historisierend verwendeten Bed. 'öffentlicher (Übungs-)Platz, auf dem sportliche Betätigungen (Springen, Ring- und Faustkampf) und Spiele stattfinden, (Schau-) Wettkämpfe ausgetragen werden sowie philosophischer Unterricht abgehalten wird' (—» Arena). b Gleichzeitig im Gefolge der Herausbildung des humanistischen Bildungsideals unter Rückbezug auf die alte Bed. 'Versammlungsort für geistige Unterweisung' (zur Vermeidung von in Frankreich und Italien üblichen nlat. Bezeichnungen für mittelalterliche Universitäten wie schola, Studium (generate), unwersitas, academia) eingeführt als „klassische" Bezeichnung für die älteste Form der bürgerlichen höheren Schule, die deutsche humanistische Gelehrtenschule mit Unterricht in den klassischen Sprachen Griechisch und Latein, seit Anfang 19. Jh. allgemeiner '(zur Hochschulreife) weiterführende höhere Schule, deren Abschluss (—» Abitur, vgl. Matura) Voraussetzung für das Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule ist, höhere
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Lehranstalt, Oberschule (meist mit Betonung des altsprachlichen Unterrichts)', auch in Bezug auf das Gebäude (s. Belege 1798, 2000), in lat. Syntagmen wie Gymnasium illustre, academicum und in Wendungen wie humanistisches, alt-/neusprachliches, mathematisch-naturwissenschaftliches, evangelisches/katholisches, berufliches Gymnasium, die Notwendigkeit der Erhaltung des alten Gymnasiums in der modernen Zeit, die auf einem Gymnasium erworbene Allgemeinbildung und Reife für den Universitätsbesuch, ins Gymnasium kommen, aufs Gymnasium gehen, die neun Klassen des Gymnasiums durchlaufen, ein angesehenes öffentliches Gymnasium, vom Gymnasium auf die Realschule wechseln, den Sprung aufs Gymnasium schaffen, er hat das Gymnasium bis zur Quarta besucht, das Gymnasium mit der mittleren Reife beenden, ein Gymnasium errichten, umbauen, sanieren; in zahlreichen Zss. (meist in Verbindung mit Namen von Gründern, Paten, Schirmherren oder herausragenden, vorbildlichen Persönlichkeiten auf politischem, künstlerischem, wissenschaftlichem, pädagogischem o. ä. Gebiet:) Carl-Theodor-, Paracelsus-, Bach-, Bismarck-, Kant-, Wilhelm-von-Humboldt-, Lessing-, Pestalozzi-, Schillergymnasium, (mit geographischen Bezeichnungen für den Standort:) Kreuzberg-, Innenstadt-, Kreis-, Nordpfalz-, Spessart-Gymnasium, (mit Charakterisierungen/Bezeichnungen für spezielle Ausrichtung, Ausprägung oder Angebote:) Abend-, Aufbau-, Berufs(-Orientierungs)-, Einheits-, Europa-, Fach-, Handels-, Informatik-, Jungen-/ Mädchen-, Ordens-, Landwirtschafts-, Latein-, Musik-, Ober-/Unter-, Privat-, Pro-, Real-, Volks-, Wirtschaftsgymnasium, Öko-, Sport-Gymnasium; auch als Bestimmungswort in der Form Gymnasium(s)-, alternierend mit Gymnasial- (s.u.), in Zss. wie Gymnasium(s)abgänger/-absolvent, -ausbildung, -bau, -befürworter, -besuch, -boom, -chor, -direktor/-leiter, -eignungAempfehlung, -jähr, -lehrer, -reform, -reife, -schüler, -Standort, -stufe, -träger, -Zeugnis, -zweig, (in Verbindung mit die Räumlichkeiten betreffenden Bezeichnungen:) Gymnasium(s)-Aula, -(alt-/neu-)bau, -hof(turn-/ sport-)halle; gymnasium(s)eigen, -empfohlen, -fähig/-tauglich/-reif, gelegentlich auch in der Form Gymnasien- in Gymnasien-Personalrat, -Unterstufe, Gymnasienfrage, -Schließung. Dazu die seit späterem 17. Jh. bezeugte, auf nlat. gymnasiasta zurückgehende Personenbezeichnung Gymnasiast M. (-en; -en), moviert Gymnasiastin F. (-; -nen), neben im 18.719. Jh. regional (bayr.) nachgewiesenem Gymnasist und bis in jüngere Zeit selten Gymnast2 M. (-en; -en), in der Bed. 'Schüler(in) einer humanistischen Schule, des Gymnasiums; Oberschüler' (im Unterschied zu Gymnast1, —> Gymnastik), gelegentlich (wie Student) ironisch assoziiert mit „lebenslustig, leichtsinnig, unreif; dünkelhaft, arrogant" (s. Belege 1724, 1743, 1835, 1891, 1893, 1936, 1964.2), als Bestimmungswort in eher okkasionellen Zss. wie Gymnasiasten-Aufführung, -Band, -Jahrgang, Gymnasiastenalter, -anteil, -eitern, -liebe, -lyrik, -mutze, -poesie, -sprache/-tonfall, -tagebuch, -zeit und (ironisch) Gymnasiastenhochmut, -spaß, -ulk, -unfug (zu b), vereinzelt auch historisierend bezogen auf antike Verhältnisse (zu a); seit Ende 18. Jh. die seltene adj. Ableitung gymnasiastisch 'in der Art der Gymnasiasten, für Gymnasiasten (angeblich) typisch; in die Gymnasialzeit fallend'; Ende 18./ Anfang 19. Jh. latinisierend gebildetes Gymnasial- 'auf das Gymnasium bezogen, dieses betreffend, dazu gehörend; auf dem Gymnasium stattfindend' als Bestimmungswort in Zss. wie Gymnasialabsolvent, -dauer, -direkter(-in), -empfehlung, -jahr(-gang), -laufbahn, -lehrer, -leistungen, -niveau, -pädagogik, -professor, -quote, -reform, -schüler(-in), -stufe, -trakt, -Verordnung, -Zeugnis, -zug/ -zweig; gymnasialem-
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pfohlen, -reif, seit späterem 19. Jh. als Adj. gymnasial 'zum Gymnasium gehörig, am Gymnasium befindlich', z. B. gymnasiale (Aus-)Bildung, Einschulung, Leistung, (Ober-)Stufe, gymnasialer Abschluss, Lehrplan, gymnasiales Fach, die Lösung binomischer Funktionen sollte bereits auf gymnasialer Ebene beherrscht werden, die zum traditionellen gymnasialen Kanon gehörenden Fächer, Übergang auf den gymnasialen Zweig der Höheren Handelsschule, Lösung der Probleme innerhalb des gymnasialen Bildungswesens; (ober-)realgymnasial (zu b), im frühen 20. Jh. vereinzelt auf griechische Verhältnisse bezogen (zu a). Gymnasium a: Rivius 1548 Vitruv. 54a in solchen Stetten da keine Gymnasia oder Amphitheatra sind zu Circo; ebd. 83a was bey den alten der brauch vnd gewonheit/ wo in einer Seat . . Gymnasium oder Amphitheatrum . . zu mancherley Schawspilen erbawet; ebd. 189a deßgleichen die Rhetorici in zierlichen wolgesetzten reden/ vnd also fort in allen guten künsten/ mocht man sich in solcher Palestra vnd Gymnasio üben vnd befleissen; ebd. 230b in jre Gymnasia/ do man sich mit aller hand Ritterspil vnd leiblicher vbung braucht; Marperger 1711 Beschr. d. Messen I 177 da er die Praeceptores des Atheniensischen Gymnasii mit Kauff-Leuten . . vergleichet; Weber 1734 Enc. l 285 Gymnasium . . ein Ort, in welchem man sich sonderlich im Fechten und Ringen übet; 1736 Helvet. Bibl. V 186 Anm. Gymnasia der Alten; Meiners 1775 Sehr, l 82 die Entstehungsart der männlichen Liebe . . leiten sie [Cicero und Plutarch] aus den Gymnasien der Griechen, und den gymnastischen Uebungen ab, in welchen die schönsten Jünglinge alle ihre Reize des Körpers ohne Verhüllung dem lüsternen Auge zeigten; Ramdohr 1787 Malerei Hl 176 Die Art der Alten, Krieg zu führen, Mann an Mann, machte Uebungen von Kampf und Spielen nothwendig, in denen der Körper Behendigkeit und Festigkeit gewinnen sollte . . Daher Gymnasien, Bäder, Spiele des Wettrennens, des Discuswerfens, des Ringens, pantomimische Tänze bei öffentlichen Festen; 1810 Almanack a. Rom l . S. wurde die höhere Baukunst nicht mehr bloss zu Tempeln, sondern zu Theaters, Gymnasien, Odeen, Schatzhäusern und ändern öffentlichen Gebäuden angewendet; Hecker 1822 Heilkunde l 315 In den Gymnasien hatte man bisher die Verrenkungen und Beinbrüche ohne Maschinen, oder mit sehr einfachen, wie die Hippokratischen sind, eingerichtet; Meyer 1824 Gesch. d. bild. Künste l 218 nach Strabo waren die schauenswerthesten statuen im gymnasium und im tempel des Bacchus aufgestellt (DWB); Oertel 1831 Fremdwb. 377 Gymnasium . . eig. Leibesübungsplatz, altgriech. öffentl. Anstalt, worin die Junglinge Leibesübungen (Wettrennen, Laufen, Ringen, Faustkampf, Scheibenwurf) hielten, wobei sich auch nachher Philosophen zum Unterricht einfanden; Sanders 1871 Fremdwb. I 468
Gymnasion, Gymnasium . . bei den alten Griechen Turn-Schule, -Platz; Gothein 1914 Gartenkunst l 69 die Gymnasien als öffentliche Versammlungsorte; Bogeng 1926 Gesch. d. Sports 129 Gymnasion war der gebräuchlichste Name für derlei Sportanlagen, doch findet sich vielfach auch hierfür die Bezeichnung Palaistra, d. h. Ringplatz; 1953 Festschr. a. Kutscher 206 Die eigentliche Bedeutung des „gymnasion" als Stätte der Pflege des Geistes und des Körpers im antiken Sinne, war in Deutschland bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht erkannt worden. Man wollte nur Geistesathleten heranbilden; Frankf. Rundsch. 31. 12. 1998 Daß der Sport im antiken Griechenland mittelbar mit Bildung zu tun hatte, geht schon aus dem heutigen Gebrauch des Wortes Gymnasium hervor: Das antike Gymnasion war anfänglich der Ort, wo nackt, gymnos, trainiert wurde. Später kam auch der Unterricht in der Kunst der Musen hinzu . . Aus diesem Wort wurde dann das heutige Gymnasium als Bildungsstätte; Züricher Tagesanz. 27. 5. 1999 zwei vereinzelte [Tempelsäulen] gehörten nicht zu einem Tempel, sondern zu den Säulenumgängen des Gymnasions (der Sportanlage) der Stadt. gymnasial: Gothein 1914 Gartenkunst l 68 Mit der wachsenden Bedeutung, welche die agonalen Spiele für Griechenland gewannen, stellte sich mehr und mehr das Bedürfnis heraus, feste Übungsstätten für die Jugend zu errichten, ohne daß diese erste Entwicklung der Gymnasien sich zeitlich feststellen ließe. Sie ging Hand in Hand mit der Ausdehnung der gymnasialen Übungen als Erziehung der griechischen Jugend. Gymnasiast: Wackernagel 1847 Dtsch. Lesebuch IV 949 Da Niemand weiter in der Schule solche gymnastischen Übungen treibt, als ich u. er, so sind wir im alten Sinn die einzigen Gymnasiasten darin (SANDERS 1871). Gymnasium b: Rivius 1548 Vitruv. 55a das das wortlein Gymnasium mancherley bedeutnus hat/
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doch wirf gemeiniglich ein Schul/ oder solches ort da man etwas künstlichs lernet/ damit verstanden/ vnd furnemlichen die hohen Schulen/ welcher bey den alten allein fünff den rhüm vnd preiß gehabt haben; 2549 Monumenta Germaniae Paedagogica XLI 239 Sollichs wer nicht allain in privatis sonder auch in publicis scholis et gymnasijs Zue instituiern vnnd Zue obseruieren fruechtbar vnnd guet (NYSTRÖM); 1575 Schulordnung f. a. Gymnasium zu Altdorf Vorbem. I 607 zu denen in der Stadt hieuorigen wol angerichteten Schulen . . ein Gymnasium erbawen vnd auffrichten lassen (NYSTRÖM); 2592 Ordn. d. Schule zu Bremen Vorbem. 11 618 daß kein Knabe in das Gymnasium oder Schul recipieret vnd angenommen werden soll (NYSTRÖM); Ertlin 1592 Letchenpredigt Randbem. 10 Zu diesem Intent haben sie ein Seminarium, Gymnasium Ernestinum, oder ansehnliche Schul in dieser Statt Bamberg auffgericht; 2605 Sachs-, Cob-, Goth. Schulordnung Vorbem. II 4 gleichsam ein Medium oder Mittel zwischen ändern gemeinen trivial und hohen Schulen oder Academien constituiret und ein Gymnasium aufgerichtet (NYSTRÖM); Meyfart 1636 Hochschulen 5 die erbarn Sitten auff hohen Schulen vnd Gymnasien; Dannhauer 1642 Katechismusmilch l 9 Wer in der Academi und hohen Schul wol bestehen will, der muss warhafftig im Gymnasio und untern Schulen das Fundament wol gelegt haben; 2664 Ordn. d. Gymn. zu Stuttgart Vormb. U 690 daß bey obgedachten Illustri Gymnasio das Fundament oder der Grund geleget wurde (NYSTRÖM); v. Brandts 1678 Ehrenkräntzel 213 das herlich gymnasium oder schuelhauß der gesellschaft Jesu zu Insprugg (DWB); 2692 Novellen 263 Zu meiner Zeit . . wurde auf dem Gymnasio, das ich frequentirte/ diese Manier von einem gelehrten Manne eingeführet; 2 704 Auserlesene Anm. l 35 Die allgemeinen/ oder Land-Schulen sind abermahls zwcyerley/ Gymnasia und Universitäten; ebd. l 427 Der Nähme Academie wird heutiges Tages denen Gymnasiis beygelegt; Wächtler 1709 Universallex. 149 Gymnasium, eine Schule/ von dar man auff Universitäten ziehen kann; Weber 1734 Enc. I 285 Gymnasium . . 2) Schule überhaupt. . 3) besonders ein solches Collegium, darinnen die Scholaren einen praegustum von Academicis bekommen; Springer 1769 Raisonnements 147 der Unterricht auf den akademischen Gymnasien oder die PrivatUnterweisung eines einzigen magisters; Braun 1783 Gesch. 307 Nicht nur die Herrn Professoren des churfürstl. Lyceums und Gymnasiums; Stieglitz 1798 Baukunst V 74 Schul-Gebäude, UniversitätsGebäude, Gymnasium, sind Gebäude, worin der Jugend Unterricht in Künsten und Wissenschaften gegeben wird, und worin zugleich auch Wohnungen für Lehrer und Jünglinge angelegt sind; 2800
(Dehmel 1908 Lebensblätter VII15) auf der Hohen Schule gesessen, wie sie bei uns [Hannover, Braunschweig] das Gymnasium nennen; 2824 Naturgesch. d. dtsch. Studenten 30 Es vergehen noch einige Wochen von seiner Entlassung an bis zu seiner Immatriculation, während welcher Zeit er sich bemüht, seinen früheren, traurig auf dem Gymnasium . . zurückbleibenden Mitschülern zu zeigen, was ein freier Mensch sei; Jäger 1835 Felix Schnabel 380 Nach siebenjährigem Studium, nach fast eben so langem Aufenthalt auf Gymnasien; 2847 Herrigs Archiv II 375 gelehrtes Gymnasium und Bürgergymnasium [dafür vorgeschlagen von Voigtmann:] Klassisches Gymnasium und Realgymnasium; Kriegk 1871 Bürgertum II125 Der Gebrauch des Namens Gymnasium begann also fast zu gleicher Zeit mit der Entstehung der protestantischen lateinischen Schulen. Wimpfeling hatte sogar schon 1501 sich dieses Namens oder vielmehr, wie er ihn übersetzte, des Ausdrucks Fechtschule bedient, als er sich vergebens bemühte in Straßburg eine neue Schule zu gründen, in welcher Wohlredenheit, Moral und Geschichte gelehrt werden sollten, um die jungen Leute nicht zum geistlichen, sondern zum bürgerlichen, ritterlichen und ratsherrlichen Stande zu bilden; Gutzkow 1878 Longinus 42 Die „lateinische Bildung", die nur in Gymnasien langsam gewonnen werden kann; Rethwisch 1893 Deutschlands höheres Schulwesen 6 Die württembergischen Lateinschulen waren . . in der Hauptsache geblieben, was sie immer gewesen waren — Lateinschulen. Sehr vornehm hatte sich dagegen das Stuttgarter Pädagogium seither entwickelt, war Gymnasium illustre geworden und besaß jetzt über seinen alten 5 Lateinklassen einen Oberbau von 4 höheren Abteilungen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 30) Da schießen nun die gewerblichen Anstalten und die technischen Anstalten und die Handelsschulen aus der Erde, und das Gymnasium und die klassische Bildung sind plötzlich Betisen, und alle Welt denkt an nichts als Bergwerke . . Industrie . . Geldverdienen; 1908 Allg. Ztg. (Beil.) Nr. 18 Gymnasium militans (Überschr.) Das Gymnasium kämpft gegenwärtig einen Kampf . . gegen die Reformen im eigenen Lager . . die immer neuen Konzessionen an die realistischen Fächer . . die unaufhörlichen Kompromisse, Zugeständnisse, Lehrplanflickerei . . gegen die fortgesetzte Unterminierung des alten Gymnasiums, aus dem man eine Art Realgymnasium machen will; Löffler 1911 Verkehr i. Baden 388 Der Besuch der siebten Klasse eines Gymnasiums, Realgymnasiums oder der Oberquinta eines Lyzeums berechtigte [bis 1862] zum Eintritt als Gehilfe ohne Ablegung einer Prüfung; Münch. N. N. 2. 7. 1942 daß das Gymnasium eine Aufgabe zu erfüllen habe, die von einer anderen höheren Schule auf
Gymnasium absehbare Zeit nicht gelöst werden könne . . Diese kategorische Feststellung hat sicher viel dazu beigetragen, daß heute das in seinem Bestand zeitweilig tatsächlich sehr stark bedrohte altsprachliche Gymnasium seine Krisenzeit als überwunden ansehen kann; Welt 7. 2. 1969 Weil die Situation des Lehrers in den Oberschulen, namentlich in den Gymnasien, weithin nur noch von überdurchschnittlich guten Lehrern bewältigt werden kann; Mannh. Morgen 22. 6. 1985 Zur geplanten Reformierung der — bereits vor mehreren Jahren reformierten — Oberstufe an Gymnasien wurde erklärt, sie solle zur Verstärkung der klassischen Hauptfächer und zur Vermeidung zu starker Spezialisierungen der Schüler dienen; Oberösterr. Nachr. 24. 11. 2000 Heute Abend besteht im Gymnasium die Möglichkeit, sich von der breiten Palette des schulischen Angebotes persönlich überzeugen zu können. gymnasial: Sanders 1871 Fremdwb. l 468 Gymnasial . . auf Gymnasien od. Gclehrtenschulen bezüglich, dazu gehörig; 1908 A//g. Ztg. (Beil.) Nr. 18 Das Gymnasium kämpft gegenwärtig einen Kampf . . gegen das leise, aber fortdauernde Abbröckeln des gymnasialen Prinzips; Brinkmann 1914 Doktor-Ehe 3 gymnasiale Bildung; Berl. Morgenpost 19. 5. 1931 Die Bemühungen der Frauenverbände, auch den Mädchen eine gymnasiale Ausbildung in Berlin zu ermöglichen, scheiterten bis 1906 an dem Widerstand der Behörden; Lokal-Anz. 10. 8. 1933 Von da ab bis auf den heutigen Tag leiten die Ursulinen eine realgymnasiale Studienanstalt, ein Lyzeum, eine Musikschule und ein Internat; Schäffer 1936 Cara 59 zur gymnasialen Reife fehlte es da am Griechischen, zur realgymnasialen . . an Physik; Münch. N. N. 8.5. 1942 Die im Gau München-Oberbayern errichtete NPEA hat gymnasialen Charakter; Welt 4. 7. 1964 daß gymnasiale Unterrichtswerke oftmals den Eindruck machen, als seien die Verfasser vornehmlich um ihren „wissenschaftlichen Ruf" besorgt; Anweiler 1971 Europäische Bildungssysteme o. S. Durch einen Reichstagsbeschluß von 1968 wurden die Empfehlungen des Komitees für Berufsausbildung gebilligt. ., daß . . die neue Fachschule mit dem Gymnasium zu einer organisatorisch zusammengefaßten „gymnasialen Stufe" bzw. „Mittelschule" vereinigt wird; Zeit 28. 3. 1986 Die Schule versucht schon seit Jahren, aus der „gymnasialen Käseglocke" herauszukommen; tat 30. 11. 1991 Beginnend mit dem Schuljahr 1993/94 werden an zwei geeigneten Standorten durchgängige regionale Schulen mit gymnasialem Abschluß unter Beteiligung von Beiräten, Ver-
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bänden und Elternvertretungen aufgebaut; Mannh. Morgen 20. 10. 2006 Klagen über Stress wegen der verkürzten gymnasialen Schulzeit. Gymnasial-: Pichler 1800 Neue Marksteine 57 dann führst du ihn [den Knaben] zu . . dem würdigen gymnasialdirektor (DWB); Thiersch 1829 Lat. Schulen 119 Gymnasiallehrerstand; Salgo 1835 Vergangenheit 53 Beispielen von verunglückten Versuchen, eine umfassende Real-Bildung mit gründlicher Gymnasial-Bildungzu vereinigen; Herbart 1841 Vorlesungen 58 welchen Platz die erwähnten Gymnasialstudien unter den Lehrgegenständen einnehmen; Koch 1868 Br. (Heymann 1932 Koch l 77) Ernst ist freilich für alles theoretische und abstrakte Lernen durch den Gymnasialschlendrian total verdorben; Wasserfogel 1888 Klinghart 51 Der Mann kann ja Gymnasiallehrer werden. Er schulmeistert ohnehin überall herum; Keiper 1897 Neue urkundl. Beitr. z. Gesch. d. gelehrten Schulwesens in Zweibrücken III 47 der ordentlichen Gymnasiallehrer, die bei uns in Bayern als „Gymnasialprofessoren" und „Gymnasial- bzw. Studienlehrer" amtlicherseits unterschieden wurden; Woldeck um 1900 Nachts 33 während sein Vetter.. eben nur das notdürftigste GymnasialFranzösisch radebrechte; Heer 1902 Joggeli 205 [Mützchen] als Zeichen der Gymnasialwürde; Stürmer 1920 Harden 7 Er genoß Gymnasialbildung; Stuttgarter Ztg. 25. 1. 1968 Zuviele Gymnasiallehrer? (Überschr.) Ueberangebot an Lehrkräften für die Gymnasien in Südbaden; Lenz 1979 Logbuch (W. XIX 548) Das Gymnasialpensum in Mathematik durcharbeiten; Zeit 31. 5. 1985 Einer Verwilderung der Reifeprüfungen will . . der Deutsche Philologenverband entgegenwirken. Er plädiert für ein „Landeszentralabitur", dem der Gymnasialabschluß als Vorbild dienen soll; Mannh. Morgen 6. 11. 2002 Das gilt besonders in Anbetracht der gemischten Klassen mit Kindern, die Haupt-, Realschul- oder Gymnasialniveau haben. Gymnasiast(in): um 1670 Gepflückte Fincken 4 bäte ich . ., sie sollte mich auf die hohe Schul schicken, ich möchte kein Gymnasiast mehr seyn; Zeidler um 1700 Geister VH 29 ein Gymnasiast, der auffm Clavicymbel spielet (NYSTRÖM); Wächtler 1709 Uniuersallex. 149 Gymnasium . . dahero Gymnasiasten die Knaben oder Schüler genennet werden; Hönn 1724 Betrugslex. 181 Gymnasiasten betriegen Wenn sie sich bey den Professoribus entschuldigen (NYSTRÖM); Philippi 1743 Witz u. Geschmack 205 des oratorischen Schlendrians, oder der Gymnasiasten Schwatze-Kunst; 1757 Niemand 158 Unter den Gymnasiasten giebet es nicht wenige, die bereits viele Eigenschaften eines Burschen haben; Kindleben 1781 Studenten-
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Lex. 83 Geldtisch, ist eine Wohlthat für arme Studirende, sonderlich Gymnasiasten, da sie statt der Mahlzeit von vermögenden Leuten ein Gewisses an Geld bekommen, wofür sie sich selbst beköstigen können; 1790 Journal v. u. f. Deutschland l 248 Gymnasiasten [auf dem Gymnasium zu Karlsruhe]; Huber 1828 Spanien 23 f. Es ist wahr, daß bei uns ein Gymnasiast leicht eine Menge Dinge lernt und weiß in der Geschichte, Naturgeschichte, Mathematik, alten und neuen Sprachen u. s. w., die sogar einem sogenannten Gelehrten . . in Spanien fremd sind; Jäger 1835 Felix Schnabel 380 Gewöhnlich wünschen auch nur die leichtsinnigem und lockern Gymnasiasten mit gleichgesinnten Studiosen zu verkehren; 1861 Allg. Mil.-Enc. /V 349 durchgehend sind die Beamten in militairischem Range, die Gymnasiasten sogar sind uniformirt; Gerbel-Embach 1879 Nihilismus 73 Aber man begnügt sich nicht mit den Lorbeern der Gymnasiastinnen: unsere zeitgemässen Mädchen wollen auch durch ihre akademischen Studien die Welt in Erstaunen setzen (DiBi 125); Fontäne 1891 Quitt (Romane u. Erz. V 324) gleich sieben Förster da sind, die . . sich die Köpfe zerbrechen, wer da mal wieder den Staat betrügt und ein schwer Verbrechen auf seine Seele lädt. Und vielleicht war es gar nichts, bloß eine Milchsuppe [Milchgesicht] von Berliner, ein Gymnasiast, der oben bei Wang ein paar Zündhütchen verknallt (DiBi 125); Bahr 1893 Dora 65 Er muß lachen, weil er schon ganz wie ein verliebter Gymnasiast denkt, aber es ist sehr schön. Er fühlt für diese Frau doch mehr als je zuvor in seinem Leben; Hermann 1903 Henriette 248 Gymnasiasten mit ihren farbigen Mützen; Kafka 1914-15 Prozeß (Ges. W. l 115) zu Unterhaltungen mit einer kleinen achtzehnjährigen Gymnasiastin fühlte er sich jetzt nicht geeignet (DiBi 125); Friedell 1928 Kulturgesch. U 381 wenn man nicht ganz bestimmt wüßte, daß die Gymnasiasten von den griechischen Schriftstellern nicht ein Wort verstehen, so müßte man ihre Lektüre . . als höchst unmoralisch verbieten; Uexküll 1936 Wetten 37 Ich hatte als leichtsinniger Gymnasiast, um das Schauspiel besser genießen zu können, das Dach des Spritzenhauses erklettert; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 62) Die Idee, er sei zum Gelehrten bestimmt, saß fest in allen Köpfen und erfuhr fortwährende Bekräftigung durch seine glänzenden Leistungen als Gymnasiast, seinen Primusstand; Grass 1964 Blechtrommel 310 Die Lehrlinge waren nicht einmal abgeneigt. Die Gymnasiasten jedoch lehnten jede politische Tendenz ab; ebd. 313 Kohlenklau sägte. Er machte es wie ein Gymnasiast, also ungeschickt; Zeit 8. 3. 1985 Gerade für einen Gymnasiasten, der Arzt werden will oder
Rechtsanwalt oder in den Betrieb seines Vaters eintritt, ist es ungeheuer wichtig und persönlichkeitsbildend, mal eine Zeit am Fließband zu stehen und zu erkennen, wie eintönig diese Arbeit ist; taz 30.1.1992 Eine emanzipierte Erziehung im jüdisch-liberalen Elternhaus in Budapest stellte der Gymnasiastin ein Studium frei; ebd. 8. 2. 2001 Den liefert gelegentlich Harald Schmidt, neben Günther Jauch der zweite Oberlehrer der Nation. Wie er mit dem Publikum jene Bildung bimst, die jeder Gymnasiast einst halbwegs beherrschte, das erfreut den Graecisten und Bach-Kenner. gymnasiastisch: Jean Paul 1793 Loge 134 In unserer Autoren-Welt erscheinen die traurigen Folgen davon, daß Scholarchate den Anfang mit dem Ende machen und von Schriftstellern, die bloß dem zartesten besten Geschmacke die letzte Runde geben, den gymnasiastischen aus dem Groben wollen hauen lassen und so weder der Natur folgen noch mir (DiBi 125); Wolf 1793 Dulder 141 gymnasiastische Periode; taz 12. 6. 1992 legen Sie doch mal ihre gymnasiastische Brille ab und schauen Sie der „Braut" tief in die Augen; Salzb. Nachr. 25. 7. 1998 Das Werk . . trägt, all seinen Bierulk, all seine gymnasiastische Romantik zugegeben, aufs wirksamste zur Legitimierung des neuen Theaters bei; taz 29. 6. 2001 dieses Grüblerische, Gymnasiastische . . liegt mir nicht so. Gymnasist: 1726 Verordn. gegen d. Betteln der Studenten (München) M. G. P. XL// 180 von villen Groß vnd Kleinen Gymnasisten (NYSTRÖM); Waiblinger 1829-30 Briten (W. II 496) jene sentimentalen Liebesphantasien, welche sich gerne blasse Gesichter, magere Figuren, altdeutsche Personen, geniesüchtige, transalpinische Gymnasisten und römische Nazarener und Fiesolaner aussuchen (DiBi 125); Steub 1850 Aus. d. bayr. Hochlande 121 Gymnasisten schreiben in der Regel lateinisch; Ingerle 1863 Bayerns Hochland 3 Eine Gruppe fröhlicher Gymnasisten, die zum Erstenmale des Vaterlandes Gränzen zu überschreiten wagte; 1871 ZDAlpenver. 6 Gleichfalls mehr den nördlichen Voralpen gehört jene Sorte von Alpenfahrern an, die zumeist aus Gymnasisten sich rekrutirt. Sie .. laufen jeden Tag 12 Stunden neben dem Omnibus her . . Führerlohn können sie nicht erschwingen. Gegen elegante Wirthshäuser haben sie entschiedene Aversion . . Ihr Gepäck tragen sie für 6 Wochen mit sich; Schlicht 1875 Bayer. Land 177 Jeder Student wurde aus seinem eigenen Taschengeld auf schärffste Börse gestellt: der Lateinschüler auf drei Batzen, der Gymnasist auf sechs Groschen; Gang-
Gymnastik hofer 1909-11 Lebenslauf e. Optimisten /// 168 Von dem Bild der beiden . . blieb mir nur in Erinnerung, daß der Kleinere von ihnen prachtvolle Röhrenstiefel trug, die meinen Neid erweckten und mich an meine Gymnasistenschulzeit, an meine Wanderungen von Augsburg nach Weiden erinnerten (DiBi 125).
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Gymnast 2 : Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 250) die Gymnastenfahrt der chronosophischen Schulklasse in den interplanetaren Weltraum; Zeit 4. 10. 1985 Ein baden-württembergischer Modellversuch . . soll 70 Gymnasten helfen, in drei Jahren die neue Weltsprache [das Japanische] in Wort und Schrift zu lernen.
Gymnastik F. (-; selten -en), in der 2. Hälfte des 16. Jhs. vereinzelt, seit Anfang 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. griech. ( ) '(Kunst der) Leibesübungen, die im antiken Griechenland von männlichen Jugendlichen im unbekleideten Zustand vorgenommen wurden' (zu 'die Leibesübungen, das Ringen (unbekleideter junger Männer) betreffend', wie 'Lehrer für das Nacktturnen' und 'mit nacktem Körper Leibesübungen auf dem Turnplatz ausführen' zurückzuführen auf 'nackt'; vgl. lat. gymnastica ars; —* Gymnasium); bis in die erste Hälfte des 18. Jhs. auch in den Formen (griech.) Gymnastice und (lat.) Gymnastica, in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. auch Gymnastick. a Zunächst und heute nur historisierend verwendete, von den Humanisten eingeführte Bezeichnung für die (Kunst, Lehre, Anweisung zu den) unbekleidet ausgeführten Leibesübungen als eine der Basisdisziplinen im antiken Erziehungssystem (neben —> Grammatik, —> Musik u. Ä.), die Übung der körperlichen (und geistigen) Kräfte junger Männer (im Dienste der kriegerischen Ertüchtigung und Kampfgeschicklichkeit, der diätetischen Gesunderhaltung und des ästhetischen Zurschaustellens körperlicher Kraft und Schönheit), z.B. die Gymnastik als Erziehungsmittel der alten Griechen, Platon war der Ansicht, dass die Gymnastik ebenso im Dienst der Seele wie des Körpers stehe, auf den antiken Spielstätten der Gymnastik, scholastische Gymnastik. Dazu seit spätem 18. Jh. auf griech. /lat. gymntcus (vgl. lat. gymnicum certamen 'Wettkampf in Leibesübungen') zurückgehendes gymnisch Adj. 'die (nackt durchgeführten) Leibesübungen der alten Griechen betreffend, umfassend, dafür eingerichtet; auf die Übung des Leibes, die körperliche Leistungsfähigkeit zielend', z.B. gymnische Wettbewerbe, Übungen, Spiele (weitgehend gleichbed. mit gymnastisch a, s. u.), mit der seit Mitte 19. Jh. selten nachgewiesenen, auf gleichbed. lat. gymnica zurückgehenden subst. Ableitung Gymnik F. 'Gesamtheit der diätetischen, turnerischen (Wettkampf-)Übungen in der griechischen Antike' (vgl. Agonistik, Athletik}. b Seit Anfang 18. Jh. (bes. Ende 18. Jh. neu eingeführt von Philanthropen wie J. B. Basedow und J. Chr. F. GutsMuths (vgl. dessen Schrift von 1793 über die entstehende deutsche Turnkunst mit dem Titel „Gymnastik für die Jugend") in den pädagogischen Bereich der Leibeserziehung) für 'Leibesübung, Turn(Spring-/Schwing-/Ring-/ Schwimm-)kunst, -übung (mit Geräten), Körperschule bes. für Kinder und Jugendliche', von daher verbreitet im Sinne der allgemeinen Gesundheitsförderung, (Frei-) Körperkultur und des Massensports (nach F. L. Jahn) in der Bed. '(rhythmische) Körperschulung/-training, (Abfolge von) Bewegungsübungen (im Freien oder in Sporthallen) nach bestimmten Regeln, die dem Körper Gesundheit, Kraft, Ausdauer und Gewandtheit verschaffen' (—> Kür, —» Training), speziell im Kunstreitsport (s. Beleg 1905; vgl. Voltigieren), heute im Zusammenhang mit wachsendem Körperbe-
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wusstsein als wichtige Komponente der Fitnessbewegung, auch als Wettkampfsportart (vgl. rhythmische Sportgymnastik) zunehmend verbreitet, z. B. funktionelle, rhythmische, medizinische Gymnastik, viel Bewegung in Form von Gymnastik bei Langstreckenflügen wird angeraten, jeden Morgen wird ein bisschen Gymnastik gemacht, für Rheumakranke hat sich Gymnastik in warmem Wasser als günstig erwiesen, Kurse in Gymnastik und Leichtathletik; als Bestimmungswort in Zss. wie Gymnastikball, -band, -darbietung, -formation, -gerät, -halle, -institut, -lehrer, -matte, -programm, -schuhe, -studio, -tanz(-einlage/-gruppe), -training, -trikot, -übung, -unterricht; gymnastikbegeistert, -erfahren, -gestärkt, -tauglich und als Grundwort in Atem-, Augen-, Ausgleichs-, Boden-, Entspannungs-, Finger-, Früh-, Gruppen-, Heil-, Jazz-, Kranken-, Morgen-, Schwangerschafts-, Ski-, Wassergymnastik, (in Verbindung mit Krankheitsbezeichnungen und Personennamen, die für bestimmte Erkrankungen stehen:) Bechterew-, Kneipp-, Osteoporose-, Parkinson-Gymnastik, (in Verbindung mit Bezeichnungen für bestimmte Organe/Körperregionen:) Bandscheiben-, Bauch-, Beckenboden-, Fuß-, Problemzonen-, Rücken-, Wirbelsäulengymnastik; seit späterem 18. Jh. häufig (teilweise unter Rückbesinnung auf die antike Einheit von Körper und Geist, vgl. a) bezogen auf psychische Phänomene im Sinne von 'geistige Betätigung, Übung, Schulung; Gedankenarbeit' (s. Belege 1770, 1819, 1859, 1877, 1909, 1957), z. B. die strenge Gymnastik des Geistes, geistige, seelische, moralische Gymnastik; (Ge-)Hirn-, Geistes-, Gewissens-, Grips-, Verbalgymnastik. Dazu seit späterem 16. Jh. die auf lat. gymnasttcus/griech. zurückgehende adj. Ableitung gymnastisch, zunächst und bes. im 18. Jh. im militärischen Sinne 'die Kampfkraft übend', dann zunehmend im pädagogischen Bereich und allgemeiner in der Bed. 'der körperlichen Ertüchtigung dienend; (rhythmische) Leibes-, Ausdauer- und Kraftübungen und deren Ausführung betreffend; sportlich, turnerisch, tänzerisch', vereinzelt übertragen (s. Belege 1877, 1991), z.B. gymnastische Spiele, Gelenkigkeit, Körperkultur, Erziehung, (Leibes-)Übung, Lehranstalt, sie boten turnerische, tänzerische und gymnastische Einlagen/Darbietungen, die Therapie enthält gymnastische Einheiten, Elemente, Stärkung des Bindegewebes durch regelmäßige sportliche oder gymnastische Aktivitäten; heil-, krankengymnastisch und in additiven Adj.-Komposita wie gymnastisch-akrobatisch, -rhythmisch, -sportiv, -tänzerisch, -turnerisch (zu b), von Mitte des 18. bis ins frühe 20. Jh. selten auch mit Bezug auf antike Verhältnisse für 'die Leibesübungen der alten Griechen betreffend, umfassend, beinhaltend; auf die Übung des Leibes zielend' (zu a); seit späterem 16. Jh. die auf griech. und (m)lat. gymnasia zurückgehende Personenbezeichnung Gymnast1 M. (-en; -en), moviert Gymnastin F. (-; -nen), früher auch Gymnasta, Gymnastes, 'Lehrer (selten auch Schüler) in Leibes-, bes. Fechtübungen in der Antike' (zu a), seit früherem 19. Jh. 'Turn-, Gymnastiklehrer (-in)' (im Unterschied zu Gymnast2, —» Gymnasium), z.B. Heil-, Krankengymnast(-in) 'Gymnastiklehrer (-in), Physiotherapeut(-in)', seit den 60er Jahren des 20. Jhs. v. a. in der Bed. '(Geräte-/Boden-)Turner/-in' (s. Belege 1967, 1993, 2002), darin weitgehend gleichbed. mit seit Anfang 20. Jh. bezeugtem Gymnastiker M. (-s; -), moviert Gymnastikerin F. (-; -nen), bes. auch als Berufsbezeichnung, z.B. beim Zirkus (s. Belege 1884, 1911, 1954) (zu b). Seit früherem 19. Jh. die verbale Ableitung gymnastizieren V. (in)trans., zunächst als V. intrans. 'Gymnastik machen, turnen', seit späterem 19. Jh. als V. trans, speziell im Pferdesport '(ein Pferd) wettkampffähig machen' (s. Belege 1875, 1969, 2001;
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—> dressieren, —> trainieren), z.B. kleine Hindernisse zum Gymnastizieren der Pferde, mit dem dazugehörigen, seit Anfang 20. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Gymnastizierung F. (-; -en ungebr.) (zu b). Gymnastik a: Fischart 1577 Trostbüchlein (W. Ill 14) Dan, wie Plucarchus von der Kinderzucht lehrt: So haben die Menschen zu des leibs fristung zwo kunst erfunden, die arzenei vnnd die leibsvbung, welche lezte man Gymnasticcn, kampfsgeschickligkeit, genennet hat und dinete zu Stärkung vnnd ringfärtigung eines gesunden leibs; 1709 Neue Bibl. 113 was es vor eine Beschaffenheit mit der Theologia, Grammatistica, Gymnastica, Musica . . Jurisprudentia und Medicina gehabt; Höpfner 1726 Germania 279 Wie stund es mit der Gymnastice? Die jungen Leute übten sich . . nackend im Tantzen zwischen den Degen; Bertram 1728 Einl. 5 Grammatistice . . Hierauf folgte Gymnastice, welche in artigen Exercitiis des Leibes bestünde, damit auch die Musica und Graphica oder Mahleskunst gemeiniglich verbunden war; Hederich 1743 Antiqu.Lex. 1302 Gymnastica hieß die Wissenschaft bey den Alten, sich im Ringen, Fechten u. d. g. zu üben, um sowohl der Gesundheit damit zu statten zu kommen; als auch sich zum Kriege dadurch geschickt zu machen; Gottsched 1751 D. Neueste HI 435 die ganze Gymnastik der alten läszt sich in die orchestrik und palästrik eintheilen (DWB); Lessing 1760 Sophokles (S. Sehr. VIII 30) Die Erziehung der Griechen ist bekanntlich Grammatik, Musik, Gymnastik; hierinn, und nach dieser Ordnung, wurden ihre Kinder unterrichtet. Die Theile der Gymnastik waren . . das Tanzen und das Ringen; Heinse 1794 Hildegard v. Hohenthal (S. W. VI 41) So war die Erziehung der Griechen ein immerwährendes Gefühl der Harmonie: Gymnastik für den Körper, Musik für Herz und Geist; Schleiermacher 1813 Pad. (Ill 515) die Jugend des Altertums, für welche die Gymnastik Erziehungsmittel war, zumal in den hellenischen Freistaaten; Dalberg 1830 Betrachtungen 77 Gymnastik [der Griechen | (Leibes- und Geistesbildung); Müller 1830 Archäologie 592 Die Seite des griechischen Lebens, welche wegen der natürlichen Verwandschaft [!], in welcher sie zur plastischen Kunst steht, sich am vollständigsten in der Kunst abspiegelt, ist die Gymnastik; Merleker 1857 Musologie 427 Die Gymnastik ist eine kriegerische, diätetische und athletische; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 315 Vor den Griechen wandelten in Menschengestalt und Gewandung die schönen und reinen Formen beständig einher; sie sahen sie zu Hause, auf der Strasse, auf den Spielplätzen der Gymnastik; sie hatten sie zur Begleitung von Kindheit auf bis an des Lebens Ende; Bogeng 1926 Gesch. d. Sports 129 Die große Bedeutung, welche die Griechen ihrer Gymnastik zur Heranbildung trefflicher, wehrhafter, vater-
landsliebender Männer beimaßen; Leibbrand 1946 Homines 57 Der Gymnastik der Paidotriben, der Sportlehrer, setzt er [Sokrates] zur Seite die Gymnastik des Denkens; Lenz 1960 Bizeps und Regel (W. XIX 354) Der Instinkt des Jägers, des Kriegers schlug allemal durch . . Allerdings gab es auch bereits — etwa in der griechischen Gymnastik — Anzeichen für die Freude am freien, sagen wir: zwecklosen Spiel des Körpers. Gymnast: Golius 1579 Onomasticon 249 Gymnasta, der meister so die ändern im fechten/ ringen/ vnd dergleichen vnderrichtet; Weber 1734 Enc. l 577 Gymnasta, und Gymnastes .. der ins Gymnasium, Fecht- oder Lehr-Schule geht, ein Gymnast; Vierthaler 1794 Entwurf 28 Der Gymnast sorgte bey den Alten auch für die Gesundheit des Körpers, und schrieb deshalb seinen Zöglingen eine zweckmäßig Diäte und Bewegungen vor; Gtthl 1860 Leben d. Griechen u. Römer I 238 Gymnast [Lehrer der Gymnastik]; 1880 Allg. Enc. d. Wiss. u. Künste XCV1H 322 Gymnastes . . als Lehrer der Gymnastik, wird besonders in Beziehung auf den Unterricht der Epheben und der Athleten in den Gymnasien erwähnt; Bogeng 1926 Gesch. d. Sports 130 An den [griechischen] Gymnasien gibt es nur staatlich angestellte Gymnastik- und Sportlehrer, die fachwissenschaftlich gebildeten Gymnasten, die eigentlichen Lehrer der Leibeskunst, die zugleich medizinische Kenntnisse haben mußten; Genius 1933 Fremdwb. 381 Gymnast . . Lehrer der Leibesübungen bei den alten Griechen; Wöhrle 1990 Studien z. Theorie d. antiken Gesundheitslehre 85 Ein Lizenzsystem für Ärzte gab es nicht in der Antike, und so konnte selbstverständlich auch ein Gymnast als Arzt auftreten . . Bei Platon werden dann auch an zahlreichen Stellen Gymnast und Arzt in einem Atemzuge genannt; ebd. 89 daß sich der platonische Gymnast auf dem Felde der Athletik betätigte, der Fachlehrer der Athleten war. gymnastisch: Fessler 1703 Marc Aurel 16 er [Marc Aurel] wurde den geschicktesten meistern zum unterricht in den gymnastischen künsten übergeben; Gottsched 1751 D. Neueste III 435 hier wird nun der Ursprung . . der gymnastischen spiele erkläret (DWB); Lessing 1760 Sophokles (S. Sehr. VIU 309) Ich will aber das Wort Ringen hier in eben dem weitläuftigen Sinne genommen wissen . . unter welchem noch viel andere gymnastische Uebungen, als das eigentliche Ringen, verstanden wurden;
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Böttiger/Hamilton 1797 Griech. Vasengemälde 58 so wie mit almäliger Vernachlässigung der decora palaestra und der gymnastischen Uebungen in den Bildenden Künsten die Wahrheit und Schönheit des Nackenden verlorengieng; Schleiermacher 1813 Pad. (Ill 515) die gymnastischen Übungen [im Altertum] ein Gegenstand der grössten Jugendgemeinschaft unter ordentlicher Aufsicht und Leitung; Böttiger vor 1835 Kl. Sehr. I 161 Eros [bekam] neben den zwei gymnastischen göttern, dem Hermes und Herakles, bildsäulen (DWB); Gothein 1914 Gartenkunst 68 die eigentlichen Schutzgötter aller gymnastischen Spiele. Gymnik: Merleker 1857 Musologie 427 Die Gymnastik ist eine kriegerische, diätetische und athletische: Athletik, Gymnik, Agonistik; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 330 Gymnik . . Gymnastik; 1844 Brockhaus VI 543 zur dritten Art gehörte Alles, wessen ein Athlet bedurfte, um in den öffentlichen Spielen den Sieg zu erhalten. Diese dritte Art nannte man bald Athletik, weil die Übung in Kämpfen bestand, bald Gymnik, weil man nackt kämpfte, bald Agonistik, weil das Ringen Hauptgegenstand der öffentlichen Spiele war; Schneidewin 1897 Humanität 552 Zum Schlüsse spricht B. warme Sympathie aus mit den damals (1819!) von der Demagogenriecherei vielfach angefeindeten Turnclubs (gymnica sodalicia) und körperlichen Spielen, offenbar als einem Analogon der griechischen Gymnik. gymnisch: Riesbeck 1783 Br. I 330 Wenn sich die Seelenkräfte eines Volks entwickeln sollen, muß man dem Geist auch seine gymnischen Spiele gestatten; Schleiermacher vor 1834 S. W. / 12 die gymnischen spiele [Laufen, Ringen und Faustkampf] beruhen auf der einigung der Vernunft mit den körperkräften (DWB); Gubl 1860 Leben d. Griechen u. Römer l 240 Später wurden die Sprungübungen in den Kreis gymnischer Agonen aufgenommen (SANDERS 1871); 1867 Prutz' Museum XV11 H 198 Die gymnischen u. hippischen Wettkämpfe (SANDERS 1871); Heyse 1870 Fremdwb. 401 gymnisch, die bei den alten Griechen nackt angestellten Leibesübungen betreffend; Zeit 17. 6. 2004 Da Olympia solch eine grandiose Bühne bot, kamen bald die besten Athleten aus der ganzen hellenischen Welt. Die maßen sich in den „gymnischen Agonen" wie Stadionlauf, Speer- und Diskuswurf oder dem „Pankration" (Allkampf) sowie in den „hippischen", also Pferde- und Wagenrennen; ebd. 12. 8. 2004 Während des Festes . . wurde ein Programm absolviert, das aus den Pferde- und Wagenrennen im Hippodrom und den gymnischen Disziplinen im Stadion bestand. Gymnastik b: Hübner 1712 Curieuses Lex. 487 Gymnastica, oder derjenige Theil der Mediän, da-
durch ein guter habitus oder Beschaffenheit der Gesundheit zu Weg gebracht wird; Nicolai 1759 Literaturbr. VII 40 ist die einrichtung nicht löblich, . .. die deinen vater veranlasset, dich in der . .. gymnastik unterrichten zu lassen? (DWB); Iselin 1770 Sehr. 89 Gymnastik des Geistes; Franck 1780 System d. median. Polizei H 607 Von Wiederherstellung der Gymnastick und derselben Vortheilen bei der öffentlichen Erziehung; 1786 Journal d. Moden I 201 den Geschmack an Gymnastick und Leibesübungen; Erdt 1786 Anl. f. Bibliothekare 148 Schriften, die uns Gelehrte von allen Gattungen der Erziehung hinterlassen haben; Die Pädagogie [!]: die Gymnastik; GutsMuths 1793 Gymnastik für die Jugend (Titel); Wieland 1798 Merkur H 371 Mit seinem Lehrbuch der Gymnastik . . hat Gutsmuths . . sein Glück gemacht; Niemeyer 1801 Pädagogik 51 In der körperlichen Erziehung muss man zu der Methode der Alten zurückkehren. Abhärtung und Gymnastik wird stärken und bilden; ebd. 57 Gutsmuth und Vieth gaben eine fast vergessne Kunst, die Gymnastik, der Pädagogik wieder; Heinse vor 1803 S. W. IV 333 solch ein angriff gefällt mir! das ist eine gymnastik des Verstandes (DWB); GutsMuths 1804 Gymn. f. d. Jugend 189 warum Gymnastik empfohlen zu werden verdient, zur Stärkung der körperlichen Gesundheit und Kraft, zur Belebung der Thätigkeit, der Aufmerksamkeit, des jugendlichen Muthes; ders. 1817 Turnbuch XXXV Ich gewahrte recht viel Bildung des Geistes; keine des Leibes . . So entstand meine Gymnastik . . Ihr Zweck ging auf Menschenbildung im allgemeinen; Stiedenroth 1819 Theorie 14 f. Die älteren Philosophen hatten wohl eine zu unbedeutende geistige Gymnastik durchlebt und waren zu sehr an Unwissenschaftlichkeit . . gewöhnt; Görres 1821 Europa 127 und die Zeit warf sich nun mit der ganzen Kraft eines durch die scholastische Gymnastik seit lange her geschärften Verstandes auf die Naturwissenschaften; Russdorf 1856 Haus-Almanach 20 Was ist Lesen, medicinisch betrachtet? Eine Gymnastik der Augen und des Gehirns; 1859 Hausblätter II 107 körperliche und geistige Gymnastik; Huber 1865 Proletarier 12 Lassalle, geschult in der Gymnastik der HegePschen Logik; Nürnberger 1874 Siegelringe 118 Nun gebe ich aber gerne zu, daß das Denken eine nothwendige Gymnastik nur der Kleinen und Schwachen ist; Lindau 1877 Br. 37 und damit will ich schliessen, dass das Lachen die gesundeste Gymnastik des Geistes und der Seele ist; Nordau 1885 Paradoxe 34 Gewiß, es ist hart, seine träge Masse in Bewegung zu setzen. Es ist aber für das Genie eine heilsame Gymnastik, sich anzustrengen, bis es gelingt; Knaak um 1890 Vier Jahreszeiten 47 Während man die Leute meist/ In Gymnastik unterweist:/ „Beide Arme aufwärts streckt!" [beim mili-
Gymnastik tärischen Turnen]; Rethwisch 1893 Deutschlands höheres Schulwesen 200 Unser jetziges Turnen geht nicht viel über die Anfänge des Jahrhunderts zurück. Gerade vor hundert Jahren, 1793, erschien jenes Buch, das man nicht mit Unrecht als das „erste Turnbuch" zu bezeichnen pflegt, nämlich GutsMuths Gymnastik für die Jugend. Die Grundlage bilden allerdings die von Basedow im Dessauer Philanthropin eingeführten gymnastischen Übungen . . Nicht allein was ihm die griechische Gymnastik, was eigene Erfahrung, selbständige Versuche boten, fügte er jenen Übungen hinzu, auch militärische Übungen . . das Tanzen, das Schwimmen .. Die GutsMuthsche Gymnastik umfasst somit alles Frühere, die körperliche Bildung der Jugend Betreffende; Spitteler 1905 Wahrheiten 120 im Gebiete der „berittenen Gymnastik" [Voltigieren] gibt es das Reif- und Teppichspringen; Voss 1909 Ges. Reden 103 f. die Verdienste der [amerikanischen] Turnvereine, die sich ja nicht auf das körperliche Turnen beschränken, denn auch die geistige Gymnastik ist in diesen Vereinen gepflegt worden; Kaiser 1911 Lebenserinn. 107 Die Sache galt mir eher für eine Gymnastik, in der man das Disputieren lerne, wie auf dem Hauboden das Fechten; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 108) [Riemer über Goethe] wie er strack und fest auf seinen Füßen stand, wie er einherging ernsten und sichern Schrittes und gewandten Körpers. Eine frühe Gymnastik: Tanzen, Fechten, Schlittschuhlaufen, Reiten, sogar Kurier- und Parforceritte hatten ihm diese Beweglichkeit und Gewandtheit mitgeteilt; Heilborn 1929 Revolutionen U 288 f. Seine eigenen Gespinste zu zerreißen ist dem Verstand eine Lust. Ist ihm die ihm naturgemäße Gymnastik; Wege 1936 Baldachin 43 der Tag war frisch . . Er veranlasset sie zu einer heftigen, beschwingten Gymnastik; Bild 25. 10. 1957 Gebet ist auch keine Gymnastik der Seele, mit der Sie Ihre inneren Werte neu registrieren; Moosburger 1970 Ideologie o. S. Bildet ferner die Gymnastik den kräftigen Mann und beruht auf kräftiger Männlichkeit die kriegerische Wehrfähigkeit so muß auch von dieser Seite die Gymnastik von der Staatsphilosophie gewürdigt werden . . Das waren . . Turnziele, mit denen auch die politische Führung zufrieden sein konnte; Lenz 1973 Vorbild. (W. VII 277) Wir werden Lucy Beerbaum zur Vorturnerin ernennen . . und zwar für jede Art von Gymnastik, die moralische eingeschlossen. Eine Vorturnerin, die uns die Welt erklärt; Zeit L 8. 1986 Also „hechten die Lehrer hinter den Schülern her, die sich in Toiletten und hinter Säulen verstecken". Eine entwürdigende Gymnastik für Lehrer und Schüler; taz 25. 6. 1990 Wie richtige Profis hatten die Jungs sich aufgewärmt, Gymnastik gemacht; St. Galler Tagbl. 14. 5. 1999 Die Leitung der beiden — zum Teil neu einstudier-
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ten — recht anspruchsvollen Gymnastiken hat Yvonne Traber, während Markus Keller für das Sprungprogramm verantwortlich ist; Berl. Ztg. 3. 2. 2001 Alexis bekommt Massagen, das Knie wird akupunktiert, und der Physiotherapeut macht Gymnastik mit ihm; Mannh. Morgen 30. 11. 2002 das Angebot im Bereich Aerobic und Gymnastik wird genutzt; ebd. 3. 4. 2004 Regelmäßig bieten wir Gymnastiken, auch für die Wirbelsäule, Yoga und geführte Wanderungen an. Gymnast(-in): Heyse 1838 Fremdwb. I 470 Gymnastik . . Wissenschaft der Leibesübungen; Gymnast . . ein Lehrer derselben, Leibesübender; Sanders 1871 Fremdwb. I 468 Gymnast . . Lehrer der Gymnastik; Genius 1933 Fremdwb. 381 Gymnast . . Turnlehrer; Süddtsch. Ztg. 7. 8. 1957 Moderner Beruf: Krankengymnastin (Überseht.) die Heilung durch Übung und Bewegung; Münch. Stadtanz. 8.5.1959 Krankengymnasten; FAZ 20.4.1967 geistig, musisch und sportlich interessiert (als Gymnastin sehr erfolgreich) (Anzeige); Salzb. Nachr. 7. 8. 1993 Die ursprünglich für die Rehabilitation entwickelten mechanischen Tische bewegen Arme und Beine automatisch und sollen dabei das Fett an den Problemzonen der entspannt liegenden Gymnasien verschwinden machen lassen; Mannh. Morgen 12. 9. 1994 sämtliche Fehler . ., die Ärzte, Masseusen oder Gymnasten bei ihm angerichtet haben; St. Galler Tagbl. 9.6. 1998 Auf dem Grossfeld hatten die Gymnasten und Gymnastinnen des TV Weite die Nase vorn; Mannh. Morgen 23. 3. 2001 Die Gymnasten des Krankenhauses stellen Konzepte vor, wie der Transport behinderter oder beeinträchtigter Menschen trotz schwieriger Bedingungen in den heimischen vier Wänden bewerkstelligt werden kann; taz 16. 12. 2002 Die Anhänger des puritanischen Leistungssports mögen das Schaulaufen der Leistungsturner und Gymnasten als überflüssigen Kitsch abtun. Gymnastiker(-in): GutsMuths 1804 Gymn. f. d. Jugend 190 Das Balanciren auf der Kante eines Bretes [!] Hier versuchen es die jungen Gymnastiker um die Wette, sich, auf einem Fuß stehend, im Gleichgewichte zu erhalten; ebd. 193 Auf jedes Ende stellt sich einer der jungen Gymnastiker. Sie setzen sich langsam in eine auf- und niederschwankende Bewegung und halten dabey das Gleichgewicht; E. T. A. Hoffmann 1825 Letzte Erz. (Poet. W. VI 410) Ritt der Major, so glaubte man, er müsse jeden Augenblick vom Pferde fallen, focht er, jeden Augenblick vom Gegner getroffen werden; und doch war er der beste Reiter, Fechter, überhaupt der geübteste, gewandteste Gymnastiker, den es nur geben konnte (DiBi 125); Cornelius 1858 Barbier 20 Astrolog, Philolog,/ Physiker, Geolog,/ . .
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Maler und Plastiker,/ Fechter, Gymnastiker (DiBi 125); 1884 Brockhaus VIII 663 Gymnastiker, ein der Gymnastik, den turnerischen Übungen Obliegender; meist bezeichnet man damit jetzt solche Künstler, die sich turnerische Schaustellungen zum Broterwerb gemacht haben; Panizza 1893 Visionen (Erz. 271 f.) da . , Faitel bei seinen halsbrechenden Exercitien gesehen sein wollte. Enorme Summen wanderten in die Hände der Gymnastiker, Bandagisten, Orthopäden (DiBi 125); Schnitzler 1911 Mörder (Erz. Sehr, l 1004) Bald darauf saß er mit ihm in einer Loge, trank Champagner, sah durch Rauch und Dunst bei den gemeinen Klängen eines schrillen Orchesters Gymnastiker und Clowns ihre Künste und Spaße treiben (DiBi 125); Tempo 27.2. 1929 Trotzdem sind die Gymnastiker oder richtiger: die Gymnastikerinnen (denn sie sind ja in der Mehrzahl) nicht zufrieden; Th. Mann 1954 Felix Krull (W. Vll 456) Gymnastiker in der wuchsverklärenden rosa Haut ihres Trikots, strotzende, enthaarte Athletenarme; taz 21.6.1988 schließlich treten ja selbst Gymnastikerinnen in ihren Gruppennummern nicht mehr ohne dramatische Inhalte auf; ebd. 7. 10. 1994 Die Ausrichtung von Schönheits- und Muskelwettbewerben, die Organisation von Showauftritten und die öffentliche Demonstration von Kraftakten war ein fester Bestandteil damaliger Körperkultur und wurde von Bodybuildern, Ringern, Kraftakrobaten, Turnern, Gymnastikern, Lebensreformern, Freikörperkulturisten und in Kunstkreisen gleichermaßen betrieben; Vorarlb. Nachr. 9.11. 2000 Anmutige Darbietungen zeigten die Gymnastikerinnen und anschließend kam die Frauenriege als amerikanische „Cheerleaders" auf die Bühne. gymnastisch: Fischart 1575 Geschichtklitterung 280 Weiter lehrnet vnser Gargantuischer Wolffditerich von seim Gimnastischen Hertzog Bechtung, wie zu Fuß einer zu Roß zu bestehen, wie mit vielen zu balgen, wie mit zweien Rapiren zu schirmen; Wieland 1766-67 Gesch. d. Agathon (W. 1455) endlich würde doch unter den Männern derjenige den Preis erhalten, bei dessen Landesleuten die verschiednen gymnastischen Übungen am stärksten, und Verhältnisweise in dem höchsten Grade der Vollkommenheit getrieben würden (DiBi 125); Matthisson 1787 Schweiz II 175 dort hingegen hat man [Pilgerl . . von den ziemlich hohen Stufen eine nach der ändern unter die Kniescheiben zu bringen, wozu denn doch in der That nicht wenig Muskelkraft und überdem noch ein hoher Grad von gymnastischer Gewandtheit erfordert wird; 7793 Neues Götting. histor. Magazin II 471 Über die gymnastischen, und kriegerischen Übungen verschiedener Völker; Seume 1793 — 1811 Kl. Sehr. (W. 147) Stark, nervigt und dauerhaft
muß der Körper des Soldaten sein . . symmetrisch und geschickt, um alle ihm nötigen Wendungen, Biegungen und gymnastischen Übungen fertig und schnell zu machen; Schiller 1795 Ästhet. Erziehung X 294 Durch gymnastische Übungen bilden sich zwar athletische Körper aus, aber nur durch das freie und gleichförmige Spiel der Glieder die Schönheit (KEHREIN); Jean Paul 1805 Flegeljahre H 994 mit einem Freunde gymnastisch zu ringen; 1808 Gedanken IV 550 Die Schulen [Gymnasien] sind durchaus gymnastisch, die Kräfte übend und besitzen ihren fremden Namen mit Recht; 1811 Neue Bibl. f. Pädagogik II 9 Ich hatte [Sjährig], so sehr ich im gymnastischen Sinne $ war, doch auch eine Dosis von gymnastischem Streben, eine Sehnsucht nach Abhärtung, eine Neigung zu kecken Streichen, wie die Knaben um mich her; Jäger 1835 F. Schnabel 22 Die Burschenschaft hielt. . auf Zucht, Ehre, Ordnung und Mäßigkeit .. Fechtkunst und gymnastische Übungen wurden anempfohlen; Herbart 1841 Vorlesungen 36 f. wenn unter diesem vielen Lernen, Sitzen . . die Körperbildung in solcher Art leidet, daß früher oder später Nachteile für die Gesundheit erfolgen. Daher neuerlich eine Begünstigung gymnastischer Übungen, bei denen aber die Heftigkeit der Bewegungen kann übertrieben werden; Holtet I860 Eselsfresser l 134 daß die gymnastischen Übungen für körperliches Gedeihen doch sehr viel Gutes hätten; Rutenberg 1877 Zinne 158 eine gewisse Sorte von Gewohnheits-Menschen, die das Aufschneiden der Zeitungen als eine unentbehrliche gymnastische Uebung betrachten; Böhme 1886 Gesch. d. Tanzes I 3 Tanz als gymnastisches Stärkungsmittel; Rilke 1903 Auguste Rodin (S. W. V 170 f.) ihre Bewegungen sind zugleich auch wieder zögernder geworden. Sie haben nicht mehr die gymnastische und entschlossene Gradheit, mit der frühere Menschen nach allem gegriffen haben; Colerus 1929 Kaufherr 161 Ab und zu schien sie auch den Körper Magdas einer gymnastischen Betrachtung zu unterziehen; Münch. N. N. 7. 2. 1941 die Schau, in deren Namen vier junge Mitglieder der Innung mit einem Tanz ihr gymnastisches Können zeigten; Gail 1958 Weltraumfahrt 9 Vielleicht wird man planmäßig gymnastische Übungen abhalten, um die Muskeln, die während der Gewichtslosigkeit ja kaum beansprucht werden, aktionsfähig zu halten; Frankenpost 11.9. 1973 Mit einer Gruppen-Gymnastik . . bewiesen die Mädchen zum Abschluß, daß sie nicht nur an den Geräten gut sind, sondern, daß sie sich auch gymnastisch und tänzerisch bewegen können; taz 13. 5. 1991 Wochenlang konnten die Beamtengehälter ohnehin nur noch mittels gymnastischer Verrenkungen der Regierung gezahlt werden; Mannh. Morgen 17.1.2001 Langfristige Hilfe [bei Rückenschmerzen] bieten hierbei spezi-
Gynäkologie eile gymnastische Kräftigungs-, Dehnungs- und Mobilisationsübungen, die die Tragkraft und Beweglichkeit der Wirbelsäule unterstützen. gymnastizieren: Kohl 1844 Brit. Inseln l 324 auf unseren Schulen . . turnen und gymnasticiren; Niemeyer 1875 Medicin. Abbandlungen Hl 204 [er erhielt die Pferde in] Ermangelung eines Tummelplatzes bei guter Lungenverfassung dadurch, dass er sie im Stalle täglich mit Hülfe einer künstlichen Vorrichtung gymnasticirte; Jaeger 1881 Gymnastik der Hellenen 54 Das Gymnasticiren selbst, das Hausbrauchturnen und das turnerische Leben empfiehlt hier der Christenapostel ganz im Altgriechensinne noch von Sokrates und Platon; Cohn 1913 Behandlung d. Nervenkrankheiten 26 Man unterscheidet drei Arten von Gymnastik: 1. passive, 2. aktive, 3. Widerstandsgymnastik. Bei der ersteren arbeitet lediglich der Gymnast oder an seiner Stelle ein Apparat, bei der zweiten lediglich der Gymnastizierte, bei der dritten der Gymnastizierte gegen Widerstände, die von Apparaten geboten werden (maschinelle Gymnastik); Tucholsky 1931 Schloß Gripsholm (Ges. W. IX 67 f.) Gymnastizieren wir noch ein bißchen? . . Nein, meine Herrschaften . . Mein Pensum ist erledigt (DiBi 125); Offenburger Tagebl. 22. 4. 1969 die sogenannte „Handarbeit". Als gymnastizierende Grundlage wird sie am Pferd zu dessen Weiterbildung geleistet; v. Rezzori 1976 Tod meines Bruders Abel 375 Knaben,/ die noch eine Leika haben,/ daß sie beim Gymnastizieren/ dich pikant fotografieren/ als ein Vollweib von Geblüt/ für das Film-NachwuchsGestüt; taz 4.3.1991 Wie er [Stabhochspringer] ihn beriet und tröstete und schließlich ein wenig mit seinem Stab gymnastizierte; Mannh. Morgen
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24. 3. 2001 man müsse schon eine solide reiterliche Grundausbildung und ein gut gymnastiziertes Pferd haben . . Außerdem komme es darauf an, das Pferd zu jeder Zeit völlig unter Kontrolle zu haben und seinen Trainings- und Gesundheitszustand genau zu kennen; Berl. Ztg. 27. 11. 2003 Singend . . werden die Brünetten zu Komödiantinnen; sie . . gymnastizieren oder steppen ein wenig zur Untermalung herum und werfen sich so tatkräftig wie einst Jane Russell in die einzelnen Titel. Gymnastizierung: Krause 1911 Lehrb. d. Therapie inn. Krankh. II 615 Die Behandlung des freien, unfixierten Plattfußes ist eine zweifache, einmal eine gymnastische zur Behebung der Supinationsschwäche (Massage der Supinatoren, Gymnastizierung am firstförmigen Laufbrett . .); Herz 1912 Herzkrankheiten 338 Gegen die Phrenodynie . . wirkt symptomatisch lindernd die Gymnastizierung des Zwerchfelles; taz 31. 8. 1989 Die Ausbildung von Tieren bedeutete Gymnastizierung, d. h. die artgemäße und verhaltensgerechte Entwicklung von Körper und Verhalten, um die ihrer Natur entsprechende Bewegungsmethode zu erreichen; Tiroler Tagesztg. 21. 8. 1998 Dressur ist nämlich das Ergebnis systematischer Gymnastizierung des Pferdes, das auf den natürlichen Bewegungsablauf sowie der humanen Einstellung zum Pferd aufbaut; Mannh. Morgen 6. 5. 2002 Halbtags kümmert sich der Russe Andreij Spengler um die Pferde, pflegt und bewegt sie, aber die Gymnastizierung und die Arbeit über den Sprüngen bleiben Eisenhofer selbst überlassen; Süddtsch. Ztg. 4. 10. 2005 ein Plädoyer . . für die Reitkunst als Ergebnis sorgfältiger Gymnastizierung — das Gegenteil mechanischen Drills für den schnellen Erfolg.
Gynäkologie F. (-; ohne PL), im früheren 17. Jh. vereinzelt, seit Ende 18. Jh. kontinuierlich belegt, lehngebildet aus gyn(äk)o- (zu griech. , Gen. 'Weib, Frau'), initiale Wortbildungseinheit mit der Bed. 'Frauen-, auf Frauen bezogen, von Frauen ausgehend, das weibliche Geschlecht betreffend' (vgl. Kombinationen wie Gynäkokratie (s.u.), -phobie, -mastie u.a.) und -logie '-lehre, -Wissenschaft' (< 'Wissenschaft, Lehre' bzw. 'Wort, Rede', —* Logik), daneben bis ins 20. Jh. auch Gynäologie. Zunächst in der Bed. 'Lehre von der (Vortrefflichkeit, Natur, Bestimmung der) Frau (s. Belege 1645, 1795, 1831), dann als Terminus der Medizin in der Bed. 'Fachgebiet der Medizin, das sich mit dem Erkennen, Heilen und Verhüten von Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane sowie der Physiologie und Pathologie der Schwangerschaft und der Geburt befasst, Frauenheilkunde', in Wendungen wie Gynäkologie studieren, auf dem Gebiet der Gynäkologie forschen, jmdn. auf den Lehrstuhl für Gynäkologie berufen und in Zss. wie Kinder-, Jugendgynäkologie; Gynäkologiestation, -professor, -klinik, auch als Bezeichnung für die gynäkologische Ab-
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teilung eines Krankenhauses (s. Belege 1928, 1996), z.B. in der Gynäkologie liegen, sein, behandelt werden, auf der Gynäkologie arbeiten. Dazu seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitung gynäkologisch, anfangs auch gynäologisch, 'die Frauenheilkunde betreffend, zu ihr gehörend, auf ihr beruhend; von einem Gynäkologen vorgenommen; auf Gynäkologie spezialisiert', in Wendungen wie gynäkologische Klinik, Abteilung, Untersuchung, Behandlung, Fachliteratur, gynäkologischer Eingriff, in Zss. wie Jugend-, gesamtgynäkologisch und in additiven Reihen wie gynäkologisch-geburtshilflich, gynäkologisch-chirurgisch, vereinzelt allgemeiner und scherzhaft 'auf Frauen bezogen' (s. Beleg 1866). Seit früherem 19. Jh. die Berufsbezeichnung Gynäkologe M. (-n; -n), auch Gynäkologin F. (-; -nen), 'Wissenschaftler(-in), Arzt/Ärztin auf dem Gebiet der Frauenheilkunde, Frauenarzt/-ärztin', in Zss. wie Chef-, Stargynäkologe; Gynäkologenstuhl, -verband, -kongress, -tagung, -praxis, -witz. Vgl. daneben seit Anfang 17. Jh. belegtes, aus gleichbed. griech. entlehntes Gynäkokratie F. (-; -n), selten auch Gynokratie 'Frauenherrschaft' (—»· Matriarchat), in Wendungen wie die den Asiaten und Griechen unbekannte Gynäkokratie, die Gynäkokratie in den letzten Jahren des Claudius / als Gesellschaftssystem im alten Japan. Gynäkologie: Lotichius 1645 Gynaicologia. Das ist: Grund- unnd Außfuhrlicher Diseurs/ Von Perfection, und Fürtreffligkeiten/ deß löblichen Frawenzimmers (Titel); Wieland 1795 Danischmend (S. W. VHI 46) „die armen unschuldigen Geschöpfe, die Gott der Allmächtige nach SeeP und Leib zu Müttern e[r]schuf , ." In diesen fünf oder sechs Worten liegt ein tiefer Sinn, und so zu sagen der ganze Embryo der Wahren Gynäkologie, oder Theorie der Natur und Bestimmung des Weibes; 1796 Neue allg. dtsch. Bibl. XXII 1,39 Gynäologie, erstes Bändchen. Zeichen und Werth der verletzten und unverletzten Jungfrauschaft, nach physiologischen, moralischen und Nationalbegriffen; Campe 1813 Fremdwb. 345 Gynäologie (richtiger Gynäkologie), der Titel eines bandreichen Werks, in welches Alles, was nur immer Bezug auf das Fortpflanzungsgeschäft und was damit zusammenhängt, hat, zusammengerafft ist; dessen Inhalt daher so vermischt ist, daß der Titel Frauen- oder Weiberlehre dafür viel zu enge ist; Puchelt 1826 System d. Med. I 12 In der neuesten Zeit ist die Geburtshülfelehre wieder als ein besonderer Theil der . . Gynäkologie abgehandelt worden; Oertel 1831 Fremdwb. 377 Gynäologie, f. eig. Gynäkologie . . Weiberlehre, Lehre von den Weibern oder von dem weibl. Geschlechte, Naturgeschichte des Weibes; Martin 1862 Hand-Atlas d. Gynäkologie l Die Gynäkologie oder die Lehre von den weiblichen Geschlechtsorganen und deren Functionen, dem weiblichen Geschlechtsleben, umfasst das letztere nach allen seinen Erscheinungen im gesunden, wie im kranken Zustande; Cams 1866 Lebenserinn. Ill 65 der Druck der dritten Ausgabe
meiner „Gynäkologie"; Dornblüth 1894 Wb. d. klin. Kunstausdrücke 50 Gynäkologie . . Frauenheilkunde; Fontäne 1894—95 Effi Briest (Romane u. Erz. Vll 234) Ja, Effi nahm die Erbfolgefrage leicht, wie junge, reizende Frauen das tun; als aber eine lange, lange Zeit — sie waren schon im siebenten Jahre in ihrer neuen Stellung — vergangen war, wurde der alte Rummschüttel, der auf dem Gebiete der Gynäkologie nicht ganz ohne Ruf war, durch Frau von Briest doch schließlich zu Rate gezogen (DiBi 125); Moll 1902 Ärztl. Ethik 344 Wenn sich also der eine mit Elektrotherapie, ein anderer mit Mechanotherapie, ein dritter mit Massage beschäftigt, so ist vom Standpunkt der Ethik gegen die Ankündigung dieser Spezialität ebensowenig etwas einzuwenden, wie gegen die Ankündigung einer Organspezialität (Ophtalmologie, Gynäkologie u.s. w.); Bechhold 1919 Handlex. l 619 Gynäkologie Lehre v. d. Frauenkrankheiten (Erkrankungen d. weiblichen Genitalien); Baum 1928 Willfüer 77 Ich bin jetzt auf der Gynäkologie; Berl. Tagebl. 3.3.1931 Die Anwendung der strahlenden Substanz, Radium oder Mesothorium, in der Krebsbehandlung ist heute noch unbestritten überlegen, hauptsächlich in der Gynäkologie und Dermatologie (DWDS); Zeit 13. 3. 1952 Hans Roemer (Karlsruhe) wurde auf den Lehrstuhl für Gynäkologie und Geburtshilfe berufen (DWDS); ebd. 5. 4. 1985 solche überzogenen Vorstellungen sind . . das Produkt der jahrhundertealten männerdominierten Gynäkologie, welche die Regel als Krankheit einstuft; ebd. 29. 5. 1987 die Kinder- und Jugendgynäkologie berührt Tabuzonen; taz 7. 12. 1993 Auch in der operativen Gynäkologie werden
Gynäkologie seit erstem Dezember Daten für die Qualitätssicherung erhoben; ebd. 3. 12. 1996 In der Gynäkologie wird es künftig 51 Betten weniger geben; Berl. Ztg. 10. 3. 2003 Eine Patientin behauptet, während einer Narkose auf dem Gynäkologiestuhl vergewaltigt worden zu sein. Gynäkologe/Gynäkologin: 1830 Journal f. Geburtshülfe IX 123 Wenn nun, nach der Annahme mehrerer Physiologen und Gynäkologen, wirklich ein grosser Theil der Fötal-Ernährung auf Ingestion des Schafwassers [Fruchtwasser] durch die Mundhöhle und Verdauung desselben im Magen und Darmcanale beruht; 1834 Archiv f. Gynaekologie XXIII 173 Erprobte Gynäkologen, wie Gaillard Thomas, W. A. Freund und Hegar, haben z. B. die Ovariotomia vaginalis, die Totalexstirpation des Uterus u.a.m., ehe sie dieselben an Lebenden ausführten, wiederholt an Leichen versucht; Scanzoni 1859 Krankheiten d. weibl. Sexualorgane 392 dass selbst von namhaften Gynäkologen, wie z. B. von Heath, Otter, Atlee u. A., die Exstirpation eines vermeintlich erkrankten Eierstocks begonnen wurde; Sanders 1871 Fremdwb. l 468 Gynä(k)olog . . Kenner der dem weibl. Geschlecht eigentümlichen Zustände, nam. in ärztl. Beziehung; Dohm 1902 Antifeministen 49 Daß neben dem Mann, als Arzt, das Weib, in seinem Dienst als Krankenwärterin, funktioniere, darin sieht der Gynäkologe eine heilsame Ergänzung der Geschlechter (DiBi 125); Holz 1913 Ignorabimus (W. IV 351) einen mir beruflich befreundeten Gynäkologen, den deine Schwester noch keine vierundzwanzig Stunden vor jenem entsetzlichen Schreckensbegebnis konsultiert hatte (DiBi 125); 3926 Sport u. Sonne H. XII 833 Ich kenne einen sonst sehr tüchtigen Gynäkologen, der noch heute diesen Standpunkt vertritt; Klemperer 1950 Tagebücher 107 Er las einen ganzen Schriftsatz u. sehr dokumentierten Anklageartikel mit Citaten aus zwei nazistischen Gynäkologenkongressen vor; Bildztg. 21. 4. 1967 goldene Ratschläge für Ehepaare gab der Gynäkologe Professor Dr. George Macer in Los Angeles; Zeit 10. 3. 1972 Aber jeder Fall muß von einer königlich-medizinischen Kommission bürokratisch und mit einigem Aufwand an Frauenberaterinnen, Gynäkologen und Psychiatern entschieden werden (DWDS); Mannh. Morgen 13. 9. 1985 die niedergelassene Gynäkologin schickte die Patientin zur Untersuchung in die Universitätsklinik; taz 16.1. 1987 In den CDU-regierten Ländern Baden-Württemberg und Niedersachsen ist es weiterhin unzulässig, eine ungewollte Schwangerschaft ambulant in der Praxis eines Gynäkologen abzubrechen; ebd. 24. 2. 1996 Zu der Fachtagung sind rund 620 Gynäkologinnen und Krankenschwestern, Psychotherapeutinnen und Hebammen gekommen; Berl.
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Ztg. 15.5.2003 Gynäkologen und Hebammen sind sich inzwischen einig: Das beste Alter für eine Schwangerschaft sei zwischen 24 und 34 Jahren. gynäkologisch: 1834 Archiv f. Gynaekologie XXIII 128 Soviel mir bis zur Stunde aus der gynäkologischen Fachliteratur bekannt geworden ist, wurde Urobilinurie bei gynäkologischen Erkrankungen weder beobachtet, noch ist dieselbe zu diagnostischen Zwecken in der Gynäkologie verwerthet worden; Heyse 1838 Fremdwb. I 470 gynäologisch, weiberkundlich, zur Kenntniß der weiblichen Natur gehörig; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 331 gynäkologisch . . zur Weibeskunde gehörend; Raabe 1866 Gänse (Ausgew. W. / 642) ich traute ihr darum aber doch nicht über den Weg und nur bis zur Grenze meiner gynäkologischen Erfahrungen und behielt sie scharf im Auge (DiBi 125); Fontäne 1888 Irrungen (Romane u. Erz. V 120) Spezialarzt . ., mit dessen Hilfe, nach beiläufig sehr kostspieligen gynäkologischen Untersuchungen, eine vierwöchentliche Schlangenbader Kur als vorläufig unerläßlich festgesetzt worden war (DiBi 125); Moll 1902 Ärztl. Ethik 197 eingehenden gynäkologischen Untersuchung; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 27) Geheimrat Grasanger hat Ihre Königliche Hoheit untersucht, — eine gynäkologische Autorität; Schnitzler 1912 Prof. Bernhardt (Dram. W. // 36i) Er ist gewiß sehr befreundet mit Professor Filitz, der die gynäkologische Abteilung am Elisabethinum leitet (DiBi 125); Tucholsky 1927 Pyrenäenbuch (Ges. W. VIH 281) Mitunter gibt es alle gynäkologischen Details, dann sind sie aber weltanschaulich versichert, Marke: Nacktkultur oder Höhensonnenpflege oder was der Mensch so sagt, wenn er die fotografierte Volldame meint (DiBi 125); Th. Mann 1953 Erz. (W. VIII 948) der Tochter erklärte er mit Entschiedenheit, daß die Verbringung der Patientin, am besten mit Ambulanz, in die gynäkologische Klinik geboten sei; Welt 12. 5. 1969 für 47 Millionen Zloty (rund 8 Millionen Mark) ist das gynäkologische Krankenhaus in Oppeln modernisiert und ausgebaut worden; Ditfurth 1989 Innenansichten 425 Eine Institution, die es fertigbringt, die symbolträchtige Metapher von der „Jungfrauengeburt" . . auf die krude Ebene eines gynäkologischen Befundes zu reduzieren, um diesen Sachverhalt dann ihren Mitgliedern als unverzichtbaren Glaubensbestandteil zuzumuten; Mannh. Morgen 30. 12. 2002 Die geburtshilflichgynäkologische Klinik des St. Marienkrankenhauses bietet wieder Info-Abende für Schwangere an. Gynäkokratie/Gynokratie: Wedel um 1600 Hausbuch 390 theils auch der officirer und diener an tisch-gütern, geldern und sonst weitlich abge-
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Gynäkologie
zwackt und dann ginaccocratia mit eingeschlichen, inmassen auf das frauenzimmer und der fürstinnen geschmuck . . nicht ein geringes gangen; Weber 1734 Enc. l 578 Gynzcocratia . . Weiber-Regiment, Weiber-Herrschaft über die Männer; Wieland 1799 Gespräche (S. W. XXXI14 f.) Ich kenne dermahlen nur Eine Republik, die gerade das ist, was sie seyn soll — . . Die, von welcher du und ich Mitglieder sind, und die, Dank ihrer Unsichtbarkeit! In, mit und unter allen Monarchien, Tetrarchien und Anarchien, Aristokratien, Demokratien, Gynäkokratien und Hierokratien, ihren stillen Gang fortgeht; Cams 1809 Gesch. d, Menschheit (Nachgelass. W. VI 319) Ja bei weichlich gewordnen Männern, kann bereits hier eine Gynäkokratie entstehen. So haben die Weiber nicht blos viel Ansehen, sondern auch eine Art von Vorrechten in Nordamerika unter den Stämmen der Huronen; Goethe um 1829 Amazonen (WA I 42.2,93) Libussa . . Weiberregiment . . Dieses Übergewicht [durch weibliche Klugheit] war so groß, so daß rohere derbere Männer . . die Königin sich zu verheirathen nöthigten, wodurch aber jene Gynokratie keineswegs aufgehoben ward; Oertel 1831 Fremdwb. 377 Gynäkokratie . . die Weiberherrschaft, Weiberregierung a) über den Mann, b) über den Staat; Preller 1854 Griech. Mythologie l 60 die kriegerische Weise roher Völker, bei denen die Frauen unter den Männern kämpften oder sie zum Kampfe begleiteten, anderswo die den Asiaten und Griechen unbekannte Gynäkokratie (Herrschaft von Königinnen) oder überhaupt die freiere und selbständigere Stellung des weibli-
chen Geschlechtes bei nördlichen Völkern; Nissen 1877 Pompeian. Studien 694 Freilich war der Gynaekokratie in den letzten Jahren des Claudius vieles möglich; Stoll 1908 Geschlechtsleben 313 Das Clan-System der Seri kann also nicht schlechtweg als Matriarchat oder gar als Gynäkokratie bezeichnet werden, denn die tatsächlichen Regierungsfunktionen werden nicht von den Frauen selbst, sondern von ihren Brüdern als Häuptlingen . . [ausgeübt]; 1920 Dt. Kolonial-Lex. II 526 Unabhängig vom Mfatriarchat] entwickelt sich (etwa durch Erbgang) die Gynäkokratie, die politische Herrschaft einer Frau im Staate. Wie es Völker gibt, die Mutterfolge und selbst M[atriarchat] anerkennen und trotzdem politisch von Männern regiert werden, so erscheinen andere mit patriarchalischer Organisation gelegentlich unter weiblichen Häuptlingen; Pekrun 1933 D. dtsch. Wort 412 Gynäkokratie . . Weiberherrschaft; Mackenroth 1953 Bevölkerungslehre 357 Bachofen . . setzt das Mutterrecht noch gleich mit Gynäkokratie; Okano 1975 Stellung d. Frau 52 f. die Antwort auf die Frage, ob oder wann und wie die Gynäkokratie im alten Japan als Gesellschaftssystem geläufig war, müssen wir leider der künftigen Forschung anheim stellen; Züricher Tagesanz. 16. 6. 1998 hat sich am Sonntagabend eine Gruppe Tanzschaffender in beinahe entgegengesetzter Richtung vorgegraben: Die türkisch-schweizerische Koproduktion „Lost Goddess" hat einen Möglichkeitsraum vorgriechischer Gynokratie freigelegt. In einzelnen Szenen wird die Geschichte männlicher Eroberung nacherzählt.
Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6 Bisher war es für den Benutzer der 2. Auflage des Deutschen Fremdwörterbuchs nicht möglich, die neben den Hauptlemmata jeweils mitbehandelten Sublemmata ohne weiteres aufzufinden. Das nachfolgende Register soll einen gezielten Zugriff auf diesen Teil des Fremdwortschatzes erlauben. Es erfasst nach folgenden Auswahlkriterien diejenigen Sublemmata, die entweder (wortbildungs-)morphologisch von Interesse sind oder ausführlichere lexikographische Kommentierungen aufweisen: sämtliche Ableitungen vom Hauptlemma (z. B. glacieren und glaciert zu Glace), alle mit einer eigenen Bedeutungsparaphrase versehenen Zusammensetzungen (z. B. Achtgroschenjunge, Weihnachtsgratifikation) sowie jene etymologisch eng verwandten, aber nicht abgeleiteten Lexeme, die in manchen Artikeln ergänzend mitbehandelt werden (z. B. Galionsfigur unter Galeere). Nicht berücksichtigt wurde die demgegenüber deutlich größere Menge der in diesem Band aufgeführten Zusammensetzungen, denen keine eigene Bedeutungserklärung beigegeben wurde (z. B. Finanzgenie, Fitnessguru). Abgas abgasen Achtgroschenjunge Achtgroschenmann Aeromantie Altersgruppe Altgermanist Altgermanistik angasen anthrogen Antiglobalisierer Antiglobalist antiglobalistisch arithmetisch Aufgalopp aufgegagt Aureole ausgasen ausgongen ausgravieren Außengalopp außergalaktisch
Gas Gas Groschen Groschen Geomantie Gruppe Germanist Germanist Gas Geo-, geoglobal global global Geometrie Galopp Gag Glorie Gas Gong gravieren 2 Galopp Galaxie
Bahnengolf Beatgeneration
Golf 2 Generation
begasen Begasung Bevölkerungsgruppe Biogas Biogenese biogenetisch Biogenie Biogeographie Biosphäre Blutgruppe Brechtgardine
Gas Gas Gruppe Gas Genese genetisch Genese Geographie Geo-, geoGruppe Gardine
Computergrafik
Graphik
Deglobalisierung Diorama
global Geo-, geo-
Edelgas eingipsen eingongen eingravieren eingruppieren Eingruppierung en garde en general entgettoisieren
Gas Gips Gong gravieren 2 gruppieren gruppieren Garde general Ghetto
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Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6
Entgettoisierung entghettoisieren Entghettoisierung Entglobalisierung Entgotisierung Erdgas ergarten Etagengouvernante Ethnogenese extragalaktisch
Ghetto Ghetto Ghetto global gotisch Gas Garde Gouvernante Genese Galaxie
Fahrwerksgeometrie Flüssiggas Forschungsgruppe Fruchtgummi
Geometrie Gas Gruppe Gummi
Gag Gage Gagekarenz Gagger gagieren Gagierung gagig Gagist Gagistin Gagman Gagschreiber Gagschreiberin Gala Galaabend galaktisch Galan Galanin galanisieren galant Galant Galanterie Galanteriedegen Galanteriefräulein Galanterieschwester Galanteriewaren galanterweise Galanthomme Galatag Galauniform Galaxie Galaxis Galeasse Galeere Galeerenarbeit Galeerendienst Galeerenfron Galeerenhäftling
Gage Gag Gage Gage Gag Gage Gage Gag Gag Gag Gala Galaxie Galan Galan galant Galanterie Galanterie Galanterie Galanterie galant galant Gala Gala Galaxie Galeere Galeere Galeere Galeere Galeere
Galeerenkost Galeerensklave Galeerenstrafe Galeerensträfling Galeone Galerie Galerist Galeristin Galimathias Galion Galionsfigur Galopp Galoppade galoppen Galopper galoppieren galoppierend Galoppierer Galopprennen Galoppwechsel Galosche Galvanik Galvaniker Galvanikerin Galvanisation Galvanisator galvanisch Galvaniseur Galvaniseurin galvanisieren Galvanisierer Galvanisiererei Galvanisiererin Galvanisierung Galvanismus Galvanität Galvano GalvanogalvanoGalvanographie Galvanokaustik Galvanometer Galvanoplastik Galvanotypie Gamasche Gamaschenbrühe Gamaschendienst Gamaschenheld Gamaschenhose Gamaschenknopf Gamaschenmaul Gamaschenpedant
Galeere Galeere • Galeere Galeere Galeere Galerie Galerie Galeere Galeere Galopp Galopp Galopp Galopp Galopp Galopp Galopp Galopp Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Galvanismus Gamasche Gamasche Gamasche Gamasche Gamasche Gamasche Gamasche
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Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6
Gamaschenritter Gamaschentum Gang Gangchef Gangführer Gangleader Gangsta-Rap Gangster Gangsterei Gangsterstück Gangstertum Gangsystem Gangway Ganove Ganoventum Garage Garagenbetrieb Garagenfirma Garagenwagen garagieren Garagierung Garagist Garagistin Garant Garanteur Garantie Garantiepakt garantieren garantiert Garantierung Garantin Garde Garde du Corps Gardekorps Gardemai? garden Garderobe Garderobenfrau Garderobengeld Garderobenmann Garderobier Garderobiere Gardez! gardieren Gardine Gardinenprediger Gardinenpredigerin Gardinenpredigt Gardist Gardistin -gardistisch Garni
Gamasche Gamasche Gang Gang Gang Gang Gang Gang Gang Gang Gang Ganove Garage Garage Garage Garage Garage Garage Garage Garantie Garantie Garantie Garantie Garantie Garantie Garantie Garde Garde Garde Garde Garderobe Garderobe Garderobe Garderobe Garderobe Garde Garde Gardine Gardine Gardine Garde Garde Garde garnieren
Garnier garnieren Garnierer Garniererin garniert Garnierung Garnison Garnisoner garnisonieren Garnisonierung Garnitur garten gartieren Gärtnerei
• garnieren garnieren garnieren • garnieren garnieren • Garnison Garnison • Garnison Garde Garde Garde
Gas
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Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas Gas
Gastronomie Gastronomie gastrisch gastrisch Gastronomie gastrisch Gastronomie gastrisch Gastronomie Gastronomie Gastronomie
680 Gastrologie gastronom Gastronom Gastronome Gastronomie Gastronomik Gastronomin gastronomisch gastronomisieren Gastronomisierung Gastronomität
Gastropathie Gastrorrhagie Gastroskopie Gastrosophie Gastrotomie Gaszünder Gaudeamus Gaudi gaudieren gaudig gaudiös Gaudium Gavotte Gaze Gazette Gazettier gazieren Gazometer gegelt Gegrilltes Geiser Geisir Gel Gelat Gelatine Gelatinekapsel gelatinieren gelatinisieren gelatinös Gelee Gelee Royale Geleeprobe gelen gelieren1 gelieren2 Geliermittel Gelierstoff Gelierung 1 Gelierung2 Gelierzucker Gemme
Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6
Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gastronomie Gas Gaudium Gaudium Gaudium Gaudium Gaudium
Gazette Gaze Gas Gel Grill Geysir Geysir Gelatine Gelatine Gelatine Gelatine Gelatine Gelee Gelee Gel Gelee Gel Gel Gel Gelee Gel Gelee
Gemmologe Gemmologie Gemmologin gemmologisch Gen genant Gendarm Gendarmerie Genealoge Genealogie Genealogin genealogisch genealogisieren Genealogist general General Generalamnestie Generalat Generalbass Generalbeichte Generalchirurgus Generaldirektor Generale Generalin Generälin Generalintendant Generalisation generalisieren generalisiert Generalisierung Generalissima Generalissimus Generalist Generalistin generalistisch Generalität 1 Generalität 2 Generalite generaliter Generalkapitel Generalkonzil Generalmarsch Generalnenner Generalprävention generalpräventiv Generalprobe Generalschaft Generalstaaten Generalstab Generalstreik Generalsynode Generalversammlung
Gemme Gemme Gemme Gemme genieren Gendarm Genealogie Genealogie Genealogie Genealogie Genealogie general General general general General general general General General general general general general general General General general general general general General General general General general general general general general general General general General general general general
681
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Generalvollmacht generatim Generation generational generationell generationenlang Generationenroman Generationenvertrag Generationsabstand Generationseinheiten Generationskonflikt generationslang Generationsorgan Generationsproblem Generationsspanne Generationstheorie Generationsunterschied Generationswechsel generationsweise Generationszeit generativ Generativist Generativistin generativistisch Generativität Generator Generatorgas Generatorkohle generell generieren Generierung generisch generisieren generös Generosität Genese Genesis Genetik Genetiker Genetikerin genetisch genial genialisch genialisieren Genialisierung Genialismus genialistisch Genialität Genie Genieoffizier Geniereise Geniestreich
general general Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation Generation generativ generativ generativ generativ Generator Generator generieren Genus Genus generös Genese
Genetik Genetik genial genial genial genial genial genial Genie Genie Genie
Genietruppe Geniezeit genieren genierlich Genierlichkeit geniert Geniertheit genital Genital Genitalbereich Genitale Genitalerotik genitalisch Genitalisierung Genitalität Genitalzyklus Genius Genom Genomik Genomiker Genomikerin genomisch Genomisierung genozid Genozid genozidal genozidär Genre genreartig Genrebild genrehaft Genremaler Genremalerei genremäßig Genrestück Genreszene Gent Gentechnik Gentechnologie gentil Gentilesse Gentilezza Gentilgesellschaft Gentilhomme Gentilhommerie Gentilität Gentillesse Gentilname Gentleman gentlemanartig Gentlemaneinbrecher Gentlemanigkeit
Genie Genie genieren genieren genieren genieren Genitale Genitale Genitale Genitale Genitale Genitale Genitale Genitale Gen Gen Gen Gen Gen Gen Genozid
Genozid Genozid Genre Genre Genre Genre Genre Genre Genre Genre Gentleman Gen Gen gentil gentil gentil gentil gentil gentil gentil gentil Gentleman Gentleman Gentleman
682
Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6
gentlemanlich gentlemanlike gentlemännisch gentlemännlich Gentlemantum Gentlemenfs) Agreement gentmäßig genuin Genuinität Genus Genus commune Genus dicendi Genus proximum Genus verbi Genuskauf Genusschuld Geo Geo-, geoGeobiochemie Geobiologie Geobotanik Geobotaniker Geobotanikerin geobotanisch Geochemie Geochemiker Geochemikerin geochemisch Geochronologie geochronologisch Geodäsie geodäsisch Geodät Geodätiker Geodätin geodätisch Geodynamik geogen Geogenese geogenetisch Geogenie Geognosie Geognost Geognostik Geognostiker Geognostikerin Geognostin geognostisch Geogonie Geograf Geografie
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Gentleman Gentleman Gentleman Gentleman Gentleman Gentleman
f
Gentleman
>genuin > > > > » > >
Genus Genus Genus Genus Genus Genus Geographie
> > > > • > > > • • • •
Geo-, Geo-, Geo-, Geo-, Geo-, Geo-, Geo-, Geo-, Geo-, Geo-, Geo-, Geo-,
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Geodäsie Geodäsie Geodäsie Geodäsie Geodäsie Geo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geo-
geogeogeogeogeogeogeogeogeogeogeogeo-
• Geo-, geo• • • • • •
Geognosie Geognosie Geognosie Geognosie Geognosie Geognosie Geo-, geoGeographie Geographie
Geografin geografisch Geograph Geographie Geographiestunde Geographin geographisch Geographist Geohistorie geohistorisch Geohydrographie Geoid Geoinformationssystem Geologe Geologenhammer Geologie Geologin geologisch geologisieren geomagnetisch Geomagnetismus Geomant Geomantie Geomantik Geomantiker Geomantikerin Geomantin geomantisch Geomantist Geomantistin Geomechanik Geomedizin Geometer Geometerin Geometrie Geometrin geometrisch geometrisieren Geometrisierung Geometrismus Geometrist Geomorphologie geomorphologisch Geonomie geonomisch Geoökologie Geophage Geophagie Geophagin Geophysik geophysikalisch Geophysiker
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Geologie Geologie Geologie Geo-, geoGeo-, geoGeomantie
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Geomantie Geomantie Geomantie Geomantie Geomantie Geomantie Geomantie Geo-, geoGeo-, geoGeometrie Geometrie
• • • • • •
Geometrie Geometrie Geometrie Geometrie Geometrie Geometrie
Geo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geo• Geo-, geoGeo-, geo• • • • • • • •
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Geophysikerin Geopolitik Geopolitiker Geopolitikerin geopolitisch Georama Geoskopie Geosphäre Geotektonik Geotherapie Geothermie Geothermik geothemisch Geothermometer Geotop geotrop geotropisch Geotropismus Geowissenschaften Geozentrik geozentrisch Geozentrismus Geozoologie Geriater Geriaterin Geriatrie Geriatriker Geriatrikerin Geriatrikum geriatrisch gerieren Germanismus Germanist Germanistentag Germanistik Germanistin germanistisch Geront Gerontin gerontisch Geronto-/gerontoGerontokrat Gerontokratie Gerontokratin gerontokratisch Gerontologe Gerontologie Gerontologin gerontologisch gerontophil Gerontophilie Gerontopsychiatrie
Geo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeo-, geoGeriatrie Geriatrie Geriatrie Geriatrie Geriatrie Geriatrie
gerontopsychiatrisch Gerontopsychologie Gerontosoziologie Gesta Geste Gestik Gestiker Gestikerin Gestikulation Gestikulator gestikulatorisch gestikulieren Gestion gestisch Gestor Gestur gestuheren Gestus Getto gettoisieren Gettoisierung Geyser Geysir Ghetto ghettoartig Ghettoblaster ghettoisieren Ghettoisierung ghostwriten Ghostwriter Ghostwriterin
Germanist Germanist Germanist Germanist Germanist Geront Geront Geront Geront Geront Geront Geront Geront Geront Geront Geront Geront Geront Geront
ghostwritern Ghostwriterschaft Ghostwriting g'ga GigagigaGigabyte Gigahertz Gigameter Gigant gigantesk Giganteske Gigantik Gigantin gigantisch gigantisieren Gigantismus Giganto GigantogigantoGigantogonie
Geront Geront Geront Geste Geste Geste Geste Geste Geste Geste Geste Geste Geste Geste Geste Geste Geste Ghetto Ghetto Ghetto Geysir Ghetto Ghetto Ghetto Ghetto Ghostwriter Ghostwriter Ghostwriter Ghostwriter
Ghostwriter Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant
684 Gigantoblast Gigantograph Gigantographie gigantographisch Gigantolith Gigantologie gigantologisch Gigantomachie gigantoman Gigantomane Gigantomanie Gigantomanin gigantomanisch Gigantomanismus Gigantonomie Gigantopithecus Gigantopteris Gigantosomie Gigantosteologie Gigantozyt Gigolo Gips Gipsarbeiter Gipsarm Gipsbein Gipschef gipsen Adj. gipsen V. Gipser Gipserin gipsern Gipsfuß gipsicht gipsig Gipskopf Gipsschlotte Gipstrog giral Giralgeld Giralguthaben Girant Girantin Girat Giratin Giratar Giratarin girierbar girieren Girierung Girl Girlande girlandenartig
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Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gigant Gips Gips Gips Gips Gips Gips Gips Gips Gips Gips Gips Gips Gips Gips Gips Giro Giro Giro Giro Giro Giro Giro Giro Giro Giro Giro Giro Girlande
girlandenförmig girlandenhaft girlandig Girlie girliehaft girliemäßig Girlietum Girly Giro GiroGitarre Gitarrera Gitarrero Gitarrist Gitarristin gitarristisch Glace Glacehandschuh glacieren glaciert Glacis glacisförmig Gladiator gladiatorengleich gladiatorenhaft Gladiatorentum Gladiatorin gladiatorisch Gladiatur Glamour Glamour-Girl glamourhaft glamourisieren Glamourisierung glamourn glamourös glasieren glasiert Glasierung Glasur glasuren glasurt glazial Glazial Glazialist Glazialistin Glazialkosmogonie glaziäolisch glaziär glazigen Glaziologe Glaziologie
• Girlande • Girlande • Girlande • Girl •Girl •Girl • Girl • Girl • Giro • Gitarre Gitarre Gitarre Gitarre Gitarre Glace Glace Glace Glacis Gladiator Gladiator Gladiator Gladiator Gladiator Gladiator Glamour Glamour Glamour Glamour Glamour Glamour Glasur Glasur Glasur Glasur Glasur glazial glazial glazial glazial glazial glazial glazial glazial glazial
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Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6
Glaziologin glaziologisch global Globalaktie Globalanleihe Globalbegriff Globalesisch Globalisation globalisierbar globalisieren Globalisierer Globalisiererin globalisiert Globalisierung Globalismus Globalist globalistisch globalitär Globalität Global Player Global Playerin Globalsteuerung Globalstrahlung Globaltrottel Globalzession Globetrottel globetrotten globetrottend Globetrotter Globetrotterei Globetrotterin globetrotterisch globetrottern G lobet rotte rtu m globiflorisch globiform globisch globizeps Globograph Globographie Globoid globos globös Globosit Globosität globular globular Globulartaktik globuliform Globulin Globulit globulos
glazial glazial global global global global global global global global global global global global global global global global global global global global global global Globetrotter Globetrotter Globetrotter Globetrotter Globetrotter Globetrotter Globetrotter Globetrotter Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus Globus
globulos Globus globusweit Gloria Gloria-Engel Glorie Glorienschein glorieren Glorierung Glorifikation glorifizieren Glorifizierung gloriieren Gloriole glorios Gloriosität glorreich glorwürdig Glorwürdigkeit Glossalgie Glossar glossarisch Glossator Glossatorin glossatorisch Glosse glossen Glossenglaube Glosseur glossieren Glossierer Glossiererin Glossierung Glossist Glossistin glossistisch Glossodynie Glossograph Glossographie Glossolalie Gnom gnomenhaft Gnomide gnomig Gnomin gnomisch Gnoseologe Gnoseologie Gnoseologin gnoseologisch Gnosie Gnosiker
Globus Globus Glorie Glorie Glorie Glorie Glorie glorifizieren glorifizieren Glorie Glorie Glorie Glorie glorreich glorreich Glosse Glossar Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Glosse Gnom Gnom Gnom Gnom Gnom Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker
686 Gnosikerin Gnosis gnosisch Gnostik Gnostiker Gnostikerin gnostisch Gnostizismus Gnostizist Gnostizistin gnostizistisch Gobelin gobelinartig gobelinieren Gobelinstich Gobelinmalerei Gobelingewebe Golem golemartig golemhaft Golf 1 Golf 2 golfen Golfer Golferin golferisch Golfkrieg Golfstrom Goliath Goliatherie Goliathiden goliathisch goliathmäßig Goliathus Gondel gondelartig gondeln Gondoliere gondolieren Gong gongen Gongschlag Gongspiel Gorilla gorillaartig gorillahaft Gospel gospelig gospeln Goth gothic Gothic
Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6
Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gnostiker Gobelin Gobelin Gobelin Gobelin Gobelin Golem Golem Golf 2 Golf 2 Golf 2 Golf 2 Golf 1 Golf 1 Goliath Goliath Goliath Goliath Goliath Gondel Gondel Gondel Gondel Gong Gong Gong Gorilla Gorilla Gospel Gospel gotisch gotisch gotisch
Gotik Gotiker Gotikerin gotisch gotisieren gotisierend Gotisierung Gotizismus Götizismus gotizistisch götizistisch Gourmand gourmand Gourmanderie gourmandis Gourmandise Gourmet Gourmetabteilung Gourmetfrühstück Gourmetführer Gourmetlokal Gourmetpapst Gourmettempel Gout goutierbar Goutierbarkeit goutieren Goutierung gouvernabel gouvernal Gouvernante gouvernantisch Gouvernement gouvernemental Gouvernementalisation gou vernementa l isieren Gouvernementalisierung Gouvernementalismus Gouvernementalist gouvernementalistisch Gouvernementalität Gouverneur Gouverneurin gouvernial gouvernieren Gouvernierung Governo Grad gradatim Gradation Gradbogen Gradbuch
• gotisch • gotisch • gotisch gotisch gotisch gotisch gotisch gotisch gotisch gotisch Gourmand Gourmand Gourmand Gourmand Gourmet Gourmet Gourmet Gourmet Gourmet Gourmet Gout Gout Gout Gout Gouverneur Gouverneur Gouvernante Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Grad Grad Grad Grad
687
Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6
Gradient gradieren Gradierung Gradierwerk Gradmesser gradual Gradual Graduale Gradualismus gradualistisch graduell graduieren graduiert Graduierter Graduierung gradweise Graf(o)-, graf(o)Graffit Graffiteur Graffiti Graffito Grafik Grafiker Grafikerin grafisch Grafit Grafologe Grafologie Grafologin grafologisch Grafothek Grafothekar Grammatik grammatikal Grammatikalie Grammatikalisation grammatikalisch grammatikalisieren Grammatikalisierung Grammatikalität Grammatikaster Grammatiker Grammatikerin grammatisch grammatisieren Grammatist Grammo Grammophon Gran
Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Grad Graph(o)-, graph(o)Graffito Graffito Graffito Graphik Graphik Graphik Graphik Graphit Graphologie Graphologie Graphologie Graphologie Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammatik Grammophon
Granate Granatwerfer Grande Grande Dame Grandezza grandios Grandiosität grandioso Grandioso Grandseigneur grandseigneural grandseigneurial granieren Granierung Granit granitähnlich granitartig graniten granitig Granitisation granitisch Granitisierung Granitschicht Granivoren granulär granulär Granularität Granulat Granulation Granulationsgewebe Granulationsgeschwulst granulieren Granulierung granulös Granulosität Graph(o)-, graph(o)Graphik Graphiker Graphikerin graphisch Graphit graphiten graphitieren Graphitierung graphitisch Graphitoid Graphitstift Graphitzement Graphodrom Grapholekt
Granate Grandseigneur grandios grandios grandios Grandseigneur Grandseigneur Gran Gran Granit Granit Granit Granit Granit Granit Granit Granit Gran granulär granulär granulieren granulieren granulieren granulieren granulieren granulieren Graphik Graphik Graphik Graphit Graphit Graphit Graphit Graphit Graphit Graphit Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)-
688
Grapholith Graphologe Graphologie Graphologin graphologisch Graphomane Graphomanie Graphomanin graphomanisch Graphometer Graphometrie graphometrisch Graphomotorik graphomotorisch Graphoskop Graphospasmus Graphosphäre Graphostatik graphostatisch Graphothek Grassation Grassator grassieren grassierend Gratifikation gratifizieren gratis Gratisaktien Gratis-Gage Gratulant Gratulantin Gratulation Gratulationscour Gratulationsdefilee Gratulationstour gratulieren
Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6 Graph(o)-,
graph(o)Graphologie Graphologie Graphologie Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph (o) Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)Graph(o)-, graph(o)grassieren grassieren grassieren Gratifikation gratis gratis gratulieren gratulieren gratulieren gratulieren gratulieren gratulieren
Gratulierung Graveur Graveurin gravieren 1 gravieren 2 gravierend Gravierer Graviererin graviert graviert Gravierung Gravimetric Gravisphäre Gravitas Gravität Gravitation gravitationell Gravitationsfeld Gravitationsgesetz Gravitationszentrum gravitätisch gravitativ gravitieren Gravitierung gravitionell gravitiv Graviton Gravur Gravüre Grazie grazil Grazilität graziös Graziosa Graziosität Grazioso1 Graziöse2 grazioso Greenhorn gremial Gremialgremialisieren Gremium Grenadier Grenadiergasse Grenadiergruß Griffelglosse Grill Grillade grillen Griller Grillerei
gratulieren gravieren2 gravieren2 gravierend gravieren gravieren2 gravierend gravieren2 gravieren2 Gravitation Gravitation gravitätisch gravitätisch Gravitation Gravitation Gravitation Gravitation Gravitation Gravitation Gravitation Gravitation Gravitation Gravitation gravieren2 gravieren 2 grazil graziös graziös graziös graziös graziös Gremium Gremium Gremium Grenadier Grenadier Glosse Grill Grill Grill Grill
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Alphabetisches Gesatntregister zu Band 6
Grillette grillieren Grillierer Grillroom Grimasse grimassen grimassenhaft Grimasseur Grimasseurin Grimassier grimassieren Grimassierer Grimassiererin grimassiert Grimassierung grippal Grippe grippig grippös Grobian grobianen Grobianer Grobianerin grobianisch grobianisieren Grobianism Grobianismus Grobianist Grobiant Grog groggy Gros Groschen Groschengrab Grossier Grossierer Grossiererin Grossist Grossistin grotesk Grotesk groteskartig Groteske Groteskerie groteskerweise Groteskfilm Groteskheit Groteskschriften Grotesktanz Grotte grottenartig Grottenwerk
Grill Grill Grill Grill Grimasse Grimasse Grimasse Grimasse Grimasse Grimasse Grimasse Grimasse Grimasse Grimasse Grippe Grippe Grippe Grobian Grobian Grobian Grobian Grobian Grobian Grobian Grobian Grobian
Groschen Grossist Grossist Grossist Grossist grotesk grotesk grotesk grotesk grotesk grotesk grotesk grotesk grotesk Grotte Grotte
Grottierer Grubengas Grüppchen Gruppe Gruppe 47 gruppen Gruppenantrieb Gruppenarbeit Gruppenbezeichnung Gruppenbildung Gruppenbremse Gruppendynamik Gruppenehe G ruppenermäßigung Gruppenfahne Gruppenflagge Gruppenfeuer Gruppenführer Gruppengymnastik Gruppenkolonne Gruppenkomposition Gruppenlampe Gruppenname Gruppenpädagogik Gruppenportrait Gruppenpotential Gruppenreise Gruppenschaltung Gruppensiedlung Gruppensprache Gruppentarif Gruppentherapie Gruppenvotum Gruppenwille Gruppenwimpel gruppieren Gruppierung Grusical gubernabel gubernal Gubernalismus Gubernantin gubernativ Gubernative Gubernator gubernatorisch Gubernatrix gubernial gubernieren Gubernierer Gubernierung Gubernium
Grotte Gas Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe gruppieren Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouvernante Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur Gouverneur
690 Guerilla Guerillakrieg Guerillera 1 Guerillera2 Guerillero Guerillo Guillotine Guillotinefenster Guillotineschere guillotinieren Guillotinierung Guillotinismus guirlandieren Guitar guitarisieren Gulasch Gulaschkanone Gulaschkommunismus Gulaschsozialismus Gully Gullyerosion Gummi Gummi arabicum Gummi elasticum Gummi-Tarzan Gummibahnhof Gummibärchen Gummibaum gummicht gummichtig gummieren gummiert Gummierung gummig Gummiguttä Gummigutti Gummilack Gummilösung Gummipflaster Gummiprofil Gummischleim Gummitwist Gummiwasser gummös Guru Guruin Guruismus gustieren Gustierer Gustiererin gustiös
Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6
Guerilla Guerilla Guerilla Guerilla Guerilla Guillotine Guillotine Guillotine Guillotine Guillotine Girlande Gitarre Gitarre Gulasch Gulasch Gulasch Gully Gummi Gummi Gummi Gummi Gummi Gummi gummig gummig Gummi Gummi Gummi Gummi Gummi Gummi Gummi Gummi Gummi Gummi Gummi gummig Guru Guru Gusto Gusto Gusto Gusto
Gusto Gusto-Effekt Gusto-Nummer Gusto-Stück Gustobissen Gustohäppchen Gustopaket gustös Gustostückchen Gutenberg-Galaxie guttural Guttural gutturalisieren Gutturalisierung gymnasial GymnasialGymnasiast Gymnasiastin gymnasiastisch Gymnasien Gymnasist Gymnasium Gymnast' Gymnast 2 Gymnastik Gymnastiker Gymnastikerin Gymnastin gymnastisch gymnastizieren Gymnastizierung Gymnik gymnisch Gynäkokratie Gynäkologe Gynäkologie Gynäkologin gynäkologisch Gynokratie
Gusto Gusto Gusto • Gusto Gusto Gusto Gusto Gusto Galaxie guttural guttural guttural Gymnasium Gymnasium Gymnasium Gymnasium Gymnasium Gymnasium Gymnasium Gymnastik Gymnasium Gymnastik Gymnastik Gymnastik Gymnastik Gymnastik Gymnastik Gymnastik Gymnastik Gynäkologie Gynäkologie Gynäkologie Gynäkologie Gynäkologie
Handelsgremium Handgalopp Handgranate Härtegrad Heautognosie Hemiglobus hochgradig Hydrogeologie
Gremium Galopp Granate Grad Gnostiker Globus Grad Geologie
in general! in genere in globo
general Genus Globus
691
Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6 Ingenieurgeologie Innengalopp intergalaktisch intergenerational intergenerationell intergenerativ Intergouvernementalismus Interlinearglosse
—+ Geologie
Junggrammatiker
—* Grammatik
Kaugummi Kindergang Kleingolf Knallgas kongenial Kontergalopp Kontextglosse Kraftgenie Krankengymnast Krankengymnastin Kriegsgeologie Kühlergrill
—> Gummi —" Gang -» Golf 2 —* Gas —> genial —» Galopp —>· Glosse —» Genie —> Gymnastik —> Gymnastik —> Geologie
Lachgas Laternengarage Leibgarde losgasen Luftgitarre
—* —>· —·· —> —*
Gas Garage Garde Gas Gitarre
Magen-Darmgrippe Mandorla Marginalglosse Militärgeologie Minigolf Molekulargenetik Mottengeneral Mottengeneralität
—» —» —> —»· — —>· —»· —»
Grippe Glorie Glosse Geologie Golf 2 Genetik General General
Nationalgarde Nekromantie Neogotik nichtgrammatisch Nimbus No-Future-Generation Nobelgarde Notgroschen
—> —> —* —» -+ —> —> —>
Garde Geomantie gotisch Grammatik Glorie Generation Garde Groschen
Null-Bock-Generation Nummerngirl
—> Generation -» Girl
Ontogenese Originalgenie Oryktognosie
—> Genese —» Genie —> Gnostiker
—+ —> —> —> —> —> —»
Galopp Galaxie Generation Generation generativ Gouverneur Glosse
— Grill
Palatingarde Pausengirl Pferdegamaschen Pharmakognosie Phylogenese Physiogeographie Pistengolf postglazial Postglossator postgradual postgraduierr präglazial Pyromantie
• Garde •Girl Gamasche Gnostiker Genese • Geographie Golf 2 • glazial • Glosse Grad Grad glazial Geomantie
Rauchgasgips Regest Regotisierung Rhythmusgruppe Rigips Rotgardist Rundengirl Running Gag
Gips Geste gotisch Gruppe Gips Garde Girl Gag
Scheckkartengarantie Scheibenwischergeste Schriftgranit Schweinsgalopp Schweizergarde Schwierigkeitsgrad Semiglobus Sgraffito D M ittereruppe Sprachglosse O Stadtguerilla Sturm-und-DrangGenie subglazial sui generis
Garantie Geste Granit Galopp Garde Grad Globus Graffito Gruppe Glosse Guerilla Genie glazial Genus
Tragantgummi Tränengas transgenerational transgenerationell
Gummi Gas Generation Generation
umgruppieren Umgruppierung ungalant ungeniert Ungeniertheit ungentil ungentlemanlike unglamourös unglasiert
gruppieren gruppieren galant genieren genieren gentil Gentleman Glamour Glasur
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Alphabetisches Gesamtregister zu Band 6
ungrammatisch ungrazil ungraziös
Grammatik grazil graziös
Vegetariergag vergagt vergaloppieren vergarnieren vergasen Vergaser Vergasung Vergettoisierung Verghettoisierung vergipsen verglasieren verglasuren verglosen
/--->
Gag Gag Galopp garnieren Gas Gas Gas Ghetto Ghetto Gips Glasur Glasur Glosse f^l
Vergotisierung vergrobianisieren vergruppen Vollgas vorglazial Vorgruppe
gotisch Grobian Gruppe Gas glazial Gruppe
wegglobalisieren Wehrgeologie Wehrgeopolitik Weihnachtsgratifikation Weingummi Weißgardist
global Geologie Geo-, geoGratifikation Gummi Garde
Zielgruppe Zoopharmakognosie zugipsen
Gruppe Gnostiker Gips