Deutsches Fremdwörterbuch: Band 3 Baby - Cutter [2nd rev. ed. 1997] 9783110814149, 9783110157413


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German Pages 865 [868] Year 1997

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Deutsches Fremdwörterbuch: Band 3 Baby - Cutter [2nd rev. ed. 1997]
 9783110814149, 9783110157413

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Deutsches Fremdwörterbuch Band 3

Deutsches Fremdwörterbuch Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler 2. Auflage, völlig neubearbeitet im Institut für deutsche Sprache

Band 3: Baby — Cutter bearbeitet von Gerhard Strauß (Leitung/Redaktion), Heidrun Kämper, Isolde Nortmeyer, Rosemarie Schnerrer, Oda Vietze

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

l Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — ClP-Einheitsaufnahme Deutsches Fremdwörterbuch / begonnen von Hans Schulz. Fortgef. von Otto Basler. — Berlin ; New York : de Gruyter. Bd. 3. Baby - Cutter. - 2. Aufl., / völlig neubearb. im Institut für Deutsche Sprache. Bearb. von Gerhard Strauß (Leitung) ... - 1997 ISBN 3-11-015741-1

© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin Datenkonvertierung und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Th. Fuhrmann KG, Berlin

Vorwort Die Artikel des Deutschen Fremdwörterbuchs werden auf der Grundlage eines gemeinsamen Konzepts erarbeitet und redigiert. Die Gesamtverantwortung für die inhaltliche und formale Seite der Wörterbucharbeit liegt beim Leiter der Arbeitsstelle. Im Rahmen der für alle Autoren geltenden Bedingungen stellen die Artikel jedoch persönliche wissenschaftliche Leistungen dar. Das Institut für deutsche Sprache hat sich deshalb im Einvernehmen mit dem Verlag entschlossen, den Artikeln in Zukunft die Namenkürzel der Autoren beizugeben. Bei Artikeln, die eine gemeinsame Leistung mehrerer Autoren darstellen, werden die Namenkürzel aller Beteiligten stehen. Mannheim, Juli 1997

Gerhard Strauß

Verzeichnis der zitierten Zweitquellen Die in den Wörterbuchartikeln verwendeten Kurztitel erscheinen eingeklammert in Versalien jeweils am Ende der bibliographischen Angaben. Althochdeutsches Wörterbuch auf Grund der von Elias Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. u. hrsg. v. Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings, ab Bd. 2 hrsg. v. Rudolf Große. Bd. I f f . Berlin 1968ff. (AHD.WB) Anderson, Robert R., Ulrich Goebel, Oskar Reichmann: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Bd. I f f . Berlin/New York 1989ff. (FRNHD.WB) Anglizismenwörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, begr. v. Broder Carstensen, fortgeführt von Ulrich Busse. Bd. 1—3. Berlin/New York 1993-96 (AWB) Bartels, Karl: Veni Vidi Vici. Geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen. Zürich/München 1989 (BARTELS) Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Hrsg. v. Hermann Paul u. Wilhelm Braune. Bd. Iff. Halle/S. 1874 ff., Bd. 77 ff. Tübingen 1955 ff. (PBB) Benecke, Georg Friedrich, Wilhelm Müller, Friedrich Zarncke: Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Reprograf. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1854. Bd. 1-3. Hildesheim 1963 (BENECKE/ MÜLLER/ZARNCKE) Berning, Cornelia: Vom „Abstammungsnachweis" zum „Zuchtwart". Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1964 (BERNING) Bielfeldt, Hans Holm: Die slawischen Wörter im Deutschen. Leipzig 1982 (BIELFELDT) Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch. Hrsg. von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Begründet und angelegt von Anneliese Bretschneider unter Einschluß der Sammlungen von Hermann Teuchert, bearb. unter der Leitung von Gerhard Ising (ab Bd. 2, Lieferung 5 unter der Leitung von Joachim Wiese). Bd. l ff. Berlin 1976 ff. (BBWB) Brunner, Otto, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe — Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Stuttgart 1972 ff. (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK) Brunt, Richard James: The Influence of the French Language on the German Vocabulary (1649-1735). (= Studia Linguistica Germanica 18). Berlin/New York 1983 (BRUNT) Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Berlin 1972 (BÜCHMANN) Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Braunschweig 21813 (CAMPE) Carmesin, Dagmar: Das Fremdwort bei Johann Beer. Ein Beitrag zur deutschen Wort- und Sprachgeschichte. München 1992 (CARMESIN) Carstensen, Broder: „Babys" oder „Babies"? Zum Plural englischer Wörter im Deutschen. In: Muttersprache 92 (1982) 200-215 (CARSTENSEN, Babys)

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XIII

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B Baby N. (-s; -s, selten auch Babies), im früheren 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. baby (vermutlich der kindlichen Lallsprache entstammend), einer Koseform von habe 'Kindchen, Kleinkind, unerfahrener Mensch'. la Zunächst in der Bed. 'Säugling, Kleinkind im ersten Lebensjahr' (s. Belege 1869, 1910), häufig in Wendungen wie ein Baby erwarten, bekommen, sich ein Baby wünschen, ein Baby kommt an, ein Baby ausfahren; gelegentlich auch für Jungtiere gebraucht (s. Belege 1930, 1934, 1941, 1995). Häufig als Bestimmungswort in Zss., zunächst in Entlehnungen aus dem Engl. wie die aus gleichbed. amerikan.-engl. baby-sitter (zu engl. sitter 'Sitzender', zu sit 'sitzen') übernommene Personenbezeichnung Babysitter (selten auch Babysitterin) 'Säuglingshüter(in), jmd., der einen Säugling oder ein Kleinkind während der Abwesenheit der Eltern gegen Entgelt betreut, auf sie aufpaßt', gelegentlich auch übertragen gebraucht (s. Beleg 1968), babysitte(r)n (aus gleichbed. engl. baby-sit) und die Tätigkeitsbezeichnung Babysitting (aus gleichbed. engl. baby-sitting), Baby-Boom (zu engl. boom 'Hochkonjunktur', —* Boom) in der Bed. '(plötzlicher) starker Anstieg der Geburtenzahlen' und die davon abgeleitete Personenbezeichnung BabyBoomer für jmdn., der zur Zeit eines Baby-Booms geboren wurde, Babydoll '(nach der Titelfigur des gleichnamigen amerikan. Films benannter) Damenschlafanzug aus leichtem Stoff mit kurzem Höschen und weitem Oberteil', Babyface 'rundes, kindlich wirkendes Gesicht eines Erwachsenen, das den Eindruck von Unschuld vermittelt' und in neueren Zss. wie Babyjahr 'bei Müttern für jedes Kind zusätzlich anzurechnendes Rentenversicherungsjahr; ein Jahr dauernder Mutterschutzurlaub', Babyausstattung 'Kleidung für das Baby und Gegenstände für die Säuglingspflege', Babynahrung 'Säuglingsnahrung', Anti-Baby-Pille 'empfängnisverhütendes Mittel in Pillenform', vereinzelt als Grundwort in der Zs. Retortenbaby als ugs. Bezeichnung für ein Kind, das sich aus einem außerhalb des Mutterleibs befruchteten und dann wieder in die Gebärmutter zurückversetzten Ei entwickelt hat (—» Retorte). Bereits seit Mitte 19. Jh. übertragen verwendet für 'kindische (wie ein Baby wirkende, aussehende) Person; jmd., der einen unselbständigen, unerfahrenen, hilflosen Eindruck macht oder der Kleinste innerhalb einer Gruppe ist', z. B. in Wendungen wie jmdn. wie ein Baby behandeln, jmd. benimmt sich/ist noch (wie) ein (richtiges) Baby (s. Belege 1846, 1852, 1860, 1887, 1896, 1906, 1983, 1985); etwa gleichzeitig ugs. auch als Kosewort verwendet, meist als Anrede für eine weibliche Person im Sinne von 'Schätzchen, Liebling, Kleines' (s. Belege 1849, 1956, 1980, 1985). b In neuerer Zeit selten auch als Bezeichnung für eine Angelegenheit oder Sache, für die eine Person großes Interesse, Engagement aufbringt, eine bes. Verantwortung trägt, sich liebevoll, mit Hingabe dafür einsetzt, der sie sich wie einem Kind widmet, meist in der festen Verbindung das ist mein/sein Baby.

Baby

2 Seit etwa Mitte 20. Jh. gelegentlich als Bestimmungswort in Zss. zur Bezeichnung von bes. kleinen Geräten o. ä. wie Baby-Zelle 'sehr kleine Batterie', Babycar (< engl. baby car) '(sehr) kleines Auto', gleichbed. mit Mini-, z. B. Minicar. Baby la: Kohl 1844 Brit. Inseln U 125 die beiden reizenden „Babies" der Marquise So und So; ders. 1845 Paris II 37 wo English nurses mit ihren Babies spazieren gehen; Gotthelf 1846 Uli, d. Knecht 261 „Die Alte ist ein Babi", sagte er dann, so was man sagt ein Baurenklotz; Bismarck 1849 Br. an seine Braut 126 Grüße M. und Baby, und leb wohl mein Geliebtes; Schlesinger 1852 London l 279 Wie man nur so ein baby mit Geld über die Straße schicken kann!; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen l 140 Schweigsam und ernst schaut er auf den kleinen Rundthurm von St. Kevin's Küche hinunter. Er sieht aus wie der Vater und jener wie der Sohn — ein „Bäby-Rundthurm", meinte Ellen, — aber ein Baby mit graubemoostem Haupt, und lange ewig alte Halme hängen ihm am Bart herum; Rodenberg 1863 Strassensängerin II 214 Der Verzug der Familie ist Miß Sophia. Sie ist das Baby, das Kind. Sie ist erst 47 Jahre alt; Polko 1867 Herzensgeheimnisse 143 Und diese Käfersammlungen von photographischen Portraits an den Wänden, bis in die kaum geborene Generation hinein. Baby's in allen möglichen Stellungen; 1869 Gartenlaube 618 kleine Kinder oder Babies, wie der Engländer sagt; Rhoden 1885 Trotzkopf 39 sie starb, als ich noch ein klein Baby war; 1887 Salon l 244 vor drei Jahren noch simpler Kandidat, eine Art schriftstellerisches Baby; Heyse 1896 Blaustrümpfchen 46 Sie sind doch kein Baby mehr; Bierbaum 1896 Schlangendame 91 wie er einst als zahnendes Baby ausgesehen hatte; Janitschek 1898 Ins Leben verirrt 15 Etliche [Leute in Wien] gefielen sich darin, wie ältere Babies gekleidet zu gehen; Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 16 Olive . . ein imposantes Baby von 24 Jahren, der die glückliche Physiognomie eines Menschen aufwies, der mit seinem Leben zufrieden ist; Hesse 1910 Rosshalde 289 summte ihn ein, wie er es früher in Pierres Babyzeiten manchmal getan hatte; Sacerdote 1925 Italien 53 Man könnte ganz ruhig und ganz schön bimbo, oder bambino, oder piccino . . sagen, . . aber das Kind aus ganz feiner Familie darf nach englischem Muster nur baby genannt werden; B. Z. am Mittag 26. 4. 1930 Geburt des Elefantenbabys „Kalifa"; Lokal-Anz. 9. 4. 1934 Jeder setzte seine Ehre darin, mitzuhelfen an diesem Liebeswerk, das die Ärmsten der Armen mit Babyausstattungen, Spielzeug .. versorgen will; ebd. 21. 7. 1934 Tintenfischbabys sind angekommen (Überschr.); Münch. N. N. 23.3.1941 Ein Schimpansen-Baby (Überschr.); Süddtsch. Ztg. 23. 2. 1950 Der kürzliche Vorfall einer Kindsentführung durch eine Studentin, die nicht vom

Schnelldienst war, beeinträchtigt nicht den Ruf der Zuverlässigkeit der Baby-Sitter; ebd. 25. 4. 1951 Es gibt den Baby-Sitter, ursprünglich eine amerikanische Einrichtung. Ein Baby-Sitter ist ein Mensch weiblichen oder männlichen Geschlechtes, den man gegen einen angemessenen Stundenlohn dazu verdingen kann, ein . . Baby zu bewachen; Remarque 1956 Obelisk 302 Sie lächelt. „Versuch es auch gar nicht erst, Baby . ." (DUDEN 1993); Bild 27.2. 1958 Die junge Dame hatte sich in letzter Minute mit der Schere ein reizvolles Rückendekollete ins Kleid gezaubert, so daß sie in ihrer Aufmachung die neuen Trapez- und Baby-Doll-Kleider in den Schatten stellte; Stuttgarter Ztg. 27. 10. 1959 22 Jahre betrug das Durchschnittsalter, und schon hatte man auch den Spitznamen vom „BabyTeam" erfunden; Zeit 5. 1. 1962 Gebremster BabyBoom (Überschr.); Süddtsch. Ztg. 21. 9. 1963 junges Mädchen übernimmt Babysitten (Anzeige); Stuttgarter Ztg. 2. 1. 1968 Babysitterin erstochen (Überschr.); FAZ 9. 1.1968 Amerika brauche in Europa nicht mehr den „Babysitter" zu spielen; Spiegel 19. 8. 1968 Orson Welles . . hatte sein Babyface schon als „Citizen Kane" in spröden Denkspielen zergrübelt; Welt 4. 11. 1969 Leberschäden nach Einnahme der Anti-Babypille sind selten und lassen sich vermeiden, wenn der Arzt vor der Verordnung gewisse Richtlinien beachtet; FAZ 28. 7.1971 Das „Babyjahr" soll rückwirkend auch allen weiblichen Versicherten angerechnet werden, die 1973 oder später ihre Rente beantragen; Bukowski 1980 Fuck (Übers.) 27 „Stimmt, Baby", sagte ich zu ihr (DUDEN 1993); Stern 24. 2. 1983 In Bayern, dem Landesverband mit den meisten Spielern und Mannschaften im Deutschen Eissport-Verband (DEV), stehen natürlich auch mehr Eishockey-Babys auf Kufen als anderswo; Spiegel 13. 2. 1984 Vermittlung von Dienstleistungen aller Art wie Babysitting, Wohnungsreinigung, Gartenpflege; ebd. 6. 8. 1984 Aufgewachsen in den Gipfeljahren des amerikanischen Wohlstands, verwöhnt und besser gebildet als die Generation ihrer Eltern, stellen die Baby-Boomer hohe Ansprüche an Leben und Leistung; Zeit 22. 2. 1985 die Kinder aus den Baby-Boom-Jahren drängen auf den Arbeitsmarkt; MM 19. 10. 1985 ein Kind wird vielleicht erbittert protestieren und behaupten, daß es gedemütigt oder wie ein Baby behandelt wird, noch dazu vor seinen Freunden; ebd. 6. 11. 1985 künstliche Befruchtung, sogenannte Retortenbabys, Embryoversuche und Gentechniken werfen Fragen auf nach der Gefährdung des Menschen, seiner Würde und Individualität; ebd. 15. 11. 1985

babylonisch „. . Künstler ist man Tag und Nacht, bis zum Tod, Baby"; ebd. 11.6.1986 die Antibabypille gehört heute in den Industrieländern zu den am meisten verwendeten Verhütungsmitteln; Spiegel 2. 1. 1989 Die Baby-Boomer waren es, die für Schwung sorgten; jene Unternehmens- und konsumfreudigen jungen Menschen, die in der Nachkriegszeit geboren wurden und zu Beginn der Achtziger ins Berufsleben traten; MM 27. 3. 1990 ein Baby-Jahr wurde in der DDR bereits ins Leben gerufen, als in der Bundesrepublik der Erziehungsurlaub noch lange nicht geboren war; Spiegel 15. 2. 1993 Ohne ärztliche Assistenz haben in den Altbauräumen des Geburtshauses in Berlin-Charlottenburg schon mehr als 1100 Frauen ihre Babys gekriegt; MM 16. 2. 1995 Auf einer Eisscholle treibt ein verlassenes Robbenbaby über das Meer. Baby Ib: Spiegel 29. 12. 1975 Henry Kissinger . . mußte . . einen besonders bitteren Rückschlag hinnehmen: Amerikas Engagement in Angola war sein ureigenstes Baby gewesen; Westfät. Volksbl. 23. 1.1979 Das ist Ihr Baby - Stellvertretender sowjetischer Minister für Baustoffe auf die Frage von deutschen Journalisten, was er von dem geplanten Einstieg in die 35-Stunden-Woche in der Bundesrepublik halte? (AWB); Spiegel 12.9. 1983 Von da an, sagt Fischer heute, sei das Tagebuch-Projekt „das Baby der Chefredakteure" gewesen; Frankf.

Rundsch. 25. 7. 1990 bereits am kommenden Montag wollen die Pressehäuser ihre Babys bei DDR-Medienminister Gottfried Müller präsentieren, womit der Schwarze Peter in der monatelangen Auseinandersetzung um den Druck-Vertrieb jenseits der Elbe abermals bei der Ost-Berliner Regierung landet. Baby 2: Münch. N. N. 15.3. 1941 jedem, der fliegt, helfen die Kameraden, indem sie mit den Flugseilen dem kleinen „Baby"-Segler den ersten Anlauf geben; Süddtsch. Ztg. 12. 7. 1950 Ansonsten hört man von dieser Anleihe folgende Daten: 5jährige Laufzeit, 5% Zins und Ausgabe von „Baby-Bonds", das heißt: Kleinst-Stückelung zu 20 DM; Abendztg. (München) 18.11.1952 „Baby"Wasserstoffbombe explodierte (Überschr.); Neue Ztg. 7.5. 1953 Ein „Baby-Kühlschrank" aus Aluminium wiegt weniger als 30 Kilogramm und kann an der Wand aufgehängt werden, um Platz zu sparen; Süddtsch. Ztg. 28. W. 1953 eine . . Kleinstbombe, die den Übergang zu den geplanten „Baby"-Atomwaffen herstellen soll; ebd. 20.2. 1959 Diese roten Baby-Omnibusse mit ihren acht Sitzplätzen; Kolb I960 Memento 9 hatte . . einen kleinen Wagen, einen Babyford; Stuttgarter Ztg. 19. 10. 1961 Die British Motor Corporation hat ihre „Baby-Wagen"-Serie durch zwei Luxusmodelle erweitert; Spiegel 18. 4. 1983 Die Baby-Kassette wird in das Gerät eingelegt. OV

babylonisch Adj., im späten 15. Jh. entlehnt aus lat. babylonicus 'zur Stadt Babylon gehörig, auf sie bezüglich' (zu Babylon < griech. < hebr. Babel). a Zunächst in der Bed. 'zu Babylon, einer alten babylonischen Stadt am Euphrat gehörend, von dort stammend, auf sie bezüglich' (s. Belege 1548, 1746), meist in Anlehnung an biblische Vorstellungen in Vergleichen und übertragen gebraucht, z. B. babylonische Hure (vgl. Offenb. Joh. 11 ff.) für Babylon als Ort der Unmoral und des sittlichen Verfalls, auch auf das päpstliche Rom und andere moderne Städte ausgedehnt (s. Belege 1530, 1534, 1546, 1550, 1585), babylonischer Turm (vgl. 1. Mos. 11) als Name eines Bauwerkes, das bis in den Himmel reichen sollte und dessen Vollendung Gott verhinderte, indem er den Menschen wegen ihres Hochmuts verschiedene Sprachen gab, so daß sie sich nicht mehr verständigen konnten, von daher die feste Verbindung babylonisches Sprachengewirr, auch babylonische (Sprach-)Verwirrung (vgl. 1. Mos. 11,9); dann mit Bezug auf die durch die unterbliebene Vollendung des Turms herbeigeführte Sprachenvielfalt und Aufsplitterung der Menschheit in verschiedene Völker in der Bed. 'fremdartig, unverständlich, rätselhaft, seltsam, uneinheitlich' (s. Belege 1704, 1830, 1866); in bildlicher Verwendung des Motivs vom Turmbau für 'großartig, gigantisch, aber maßlos, daher zum Scheitern verurteilt', bezogen auf hochgreifende Unternehmungen, Projekte, Pläne (s. Belege 1812, 1987, 1995), auch abwertend für 'regellos, durcheinander; zügellos, ausschweifend' (s. Belege 1816—17, 1852), häufig zur Charakterisierung gesellschaftlicher, kultureller und politischer Zustände (z. B. Subjektivismus, Individualismus, Unordnung) (s. Belege 1811, 1817, 1948, 1986).

babylonisch

Dazu im 20. Jh. die subst. Ableitung Babylonismus M. (-; ohne PL) 'Vielfalt, Vielerlei, Wirrwarr, Durcheinander' (—> Chaos). b Etwa gleichzeitig als adj. Ableitung zu Babylonien in der Bed. 'auf das zwischen Euphrat und Tigris gelegene antike Reich Babylonien bezüglich', nur in den festen Wendungen babylonische Gefangenschaft oder babylonisches Exil als Bezeichnung für die Zwangsverschleppung und den Aufenthalt der Juden in Babylonien nach der Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar (597 und 586 v. Chr.) bis zur Rückkehr unter Kyros (537 v. Chr.) (s. Belege 1522, 1609, 1966) sowie zur Bezeichnung des Aufenthalts der Päpste in Avignon (1309-77) (s. Belege 1830, 1862, 1943); in neuerer Zeit gelegentlich auch übertragen gebraucht (s. Belege 1950, 1985). babylonisch a: Niclas v. Wyle 1478 Transl. 21 Vnd du wirst ouch nit troysche noch babilonische sunder vnser statt senis liebe vnd buoschaft hören; Paracelsus um 1530 S. W. H 5,100 in huererei, in unkeuscher ehe, in üppiger ehe, in babilonischer hueren haben sie ir kinder geborn, die liebe zu Christo vergessen; ders. um 1534 S. W. II 2,249 dann solche ehe werden am jüngsten tag gescheiden und in die babilonische hur geurteilet; Rotmann 1534 Restitution 14 de Babilonische huer mit erer vorgiftten wyssheit; 2546 Volkslied (Liliencron IV 334) Der bapst mit den Romanisten/ maint, er hab das glück bei der schnür,/ zu morden arme Christen,/ die rot babilonisch hur; Rwius 1548 Vitruv. 220b der Babylonisch Thurn sambt der ringkmauren/ welche die Königin Semyranis erbawen hat; Franck 1550 Krieg Büchlin 204v Die rot Babylonisch hur; Musculus 1585 Wetterhan 223 wie die Babilonischen Pfaffen/ vor Zeiten zu Babilon/ damit das jne Johannes nicht vmb sonst/ die Babylonische Huren heisse; Spangenberg 1611 Anbindbr. 143 Welchs all die Babylonisch Hur/ Der Bapst zu Rom/ mit list und macht/ Vom Teutschen Reich an sich hett bracht; Perez 1626 Landstörtzerin I 290 Diese vnmässige vnd versoffene Nachteulen/ als welche in dem Babylonischen Grund vnd Boden gleichsam eingewurtzelt/ konten jhrem Herrn wegen Verwürrung des Hirns gantz nichts Antworten; Omeis 1704 Anl. 363 Babylonischen Sprach-Verwirrung; Wernicke 1704 Versuch 233 dass unsere Sprache nichts anders als eine Babylonische Thurm-Sprache sey; Bodmer 1746 Mahler I 186 f. Wäre es nicht rathsam, . . daß wir euch einen babylonischen Mantel von Scharlat . . kauften; Campe 1794 Reinigung 145 Babilonische Sprachverirrung; Goethe 1811 Br. (WA IV 22,183) So viel Köpfe, so viel Sinne, ist eigentlich die Devise unserer Nation . . betrachte ich die babylonische Verwirrung, welche durch den Pestalozzischen Erziehungsgang Deutschland ergriffen, ob ich gleich von seinem vorgehabten Thurmbau das Beste denken will; ders. 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,279) Sulpiz Boisseree, der . . beschäftigt ist, in einem prächtigen Kupferwerke, den Cölni-

schen Dom aufzustellen als Musterbild jener ungeheuren Conceptionen, deren Sinn babylonisch in den Himmel strebte, und die zu den irdischen Mitteln dergestalt außer Verhältniß waren, daß sie nothwendig in der Ausführung stocken mußten; ders. 1816-17 Italien. Reise (WA l 30,182) Die ungeheuren Substructionen der babylonisch über einander gethürmten Kirchen, wo der heilige Franciscus ruht, ließ ich links, mit Abneigung; ders. 1817 Br. (WA IV 28,67) Ich .. hoffe die günstigen Musen werden auch unsern babylonischen Bau zu Stande bringen; Mendelssohn-Bartholdy 1830 Reisebr. 49 es ist eine babylonische Sprachverwirrung in meinem Kopf, denn Englisch, Italienisch, Deutsch und Französisch kreuzen sich darin; 1852 Prutz' Museum I 778 ein wahrhaft babylonisches Französisch; Hettner 1852 Drama 94 wie die blasirte Gräfin Hahn-Hahn .. von der eitlen Verlogenheit ihres babylonischen Weltlebens genesen ist; Bennigsen 1861 Reden I 100 in babylonischer Verwirrung; Riehl 1861 Ges. 363 ein babylonisches Wirrsal in den Grundbegriffen der gesellschaftlichen Mächte; Haeckel 1866 Generelle Morphologie I. Vorr. XXII In Folge der allgemeinen Vernachlässigung der unentbehrlichen philosophischen Grundlagen ist in der gesamten Zoologie und Botanik eine so weitgehende Unklarheit und eine so babylonische Sprachverwirrung eingerissen, dass es oft unmöglich ist, sich ohne weitläufige Umschreibungen über die allgemeinsten Grundbegriffe zu verständigen; Teuber 1881 Jugendleben l 7 das babylonische Sprachengewirr Gross-österreichs; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. XI 625) sein Held: Joseph, Jaakobs Elfter; seine Welt: der babylonisch-ägyptische Orient um 1400 vor Christo; Gallian 1934 Österr. Soldat 47 [das] babylonische Völkergemisch; Macdonell 1940 Gentleman 60 aus dem babylonischen Stimmengewirr; Tagespost (Augsbg.) 28. 10. 1948 Zum zweiten Male also begann die Welt einen babylonischen Turm aufzubauen, einen Wolkenkratzer zu bauen aus Empfehlungen, Resolutionen und diplomatischen Noten . . Zum zweiten Male war die tragende Idee des Baumeisters bereits ausgehöhlt; Süddtsch. Ztg.

Bacchanal 6. 7. 1954 Eine wahrhaft babylonische Straßenverwirrung hat Wien mit 38 Schubert-, 18 Beethoven-, 14 Schiller- . . Gassen aufzuweisen; Passauer Nachr. 17. 10. 1958 Diese typischen Merkmale des internationalen Publikums gehören zur Weltausstellung wie die Variationen in der Architektur und das babylonische Sprachengewir; Staiger 1966 Grundbegriffe 235 eine babylonische Konfusion!; Süßkind 1981 Kontrabaß 10 Nehmen Sie den Bai? heraus, dann entsteht eine reinste babylonische Sprachverwirrung, Sodom, in dem niemand mehr weiß, warum er überhaupt Musik macht; Zeit 16. 5. 1986 die babylonische Sprachlosigkeit der Bundes- und Landesminister; MM 1.8.1986 nahezu babylonische Verwirrung hatte — zumindest was die Schriftsprache anbelangt — lange Zeit im deutschen Sprachbereich geherrscht; Zeit 5. 6. 1987 ein babylonisches Projekt, zu phantastisch oder utopisch, um jemals ausgeführt zu werden; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 57 f. Klagechor der postbabylonischen Sprachverfalls-Äußerungen; Spiegel 27.2.1995 Das babylonische Vorhaben [Staudamm] .. könnte „das größte von Menschen gemachte Desaster der Geschichte" auslösen. Babylonismus: MM 23. 1. 1969 der architektonische Babylonismus unserer Zeit hat sie [die deutsche Kleinstadt] erwürgt (DUDEN 1993). babylonisch b: Luther-Emser 1521 Str. I 143 Dann gleicher weiß beklagt er sich ouch in seiner Babylonischen gefencknis; Zwingli 1522 Vermahnung (I

177) die babilonisch gefengknus; Kramer 1523 Unterredung 437 Babilonischem gefengknus; Zweifel 1527 Bauernkrieg 4 babilonisch gefängknuss; Mathesius 1566 Historien CCXIII die Babilonische gefencknuß; Theobald 1609 Hussitenkrieg 10 mit was hertzlichen verlangen viel 1000 Rechtgleubige Christen auff eine Reformirung der Religion vnter der Babylonischen gefengnuß vnd rechten Egyptischen Dienstbarkeit/ der Römischen Bäpste gewartet haben; Baumgarten 1766 Religionspartheyen o. S. Anm. Rückkunft aus der babylonischen Gefangenschaft; Fetzer 1830 Teutschland I 182 die, vom Dichter Petrarka sogenannte, babylonische Gefangenschaft der Päpste; Reumont 1862 Zeitgenossen l 42 in den Jahren, die man das babylonische Exil der Kirche nennt, in jenen nämlich des Avignonschen Pontificals; Ungern-Sternberg 1943 Frankreich 35 die Avignoner „babylonische Gefangenschaft"; Süddtsch. Ztg. 27. 4. 1950 Die evangelische Kirche Deutschlands weiß die Häupter ihrer Gläubigen in der Ostzone in einem babylonischen Exil; 1966 Studium Generale XII 726 das nach dem babylonischen Exil bei den Juden eingeführte, in jedem 50. Jahr wiederkehrende „Jobel-"Jahr; Zeit 13. 9. 1985 Herbert Wehners Voraussage, die SPD werde fünfzehn Jahre lang warten müssen, bis sie wieder an die Regierung komme, verliert an bedrängender Gewalt; die Hoffnung wächst, daß die babylonische Gefangenschaft in der Opposition früher als erwartet zu Ende gehen . . könnte; MM 16.117. 9. 1995 Das Stück schildert frei nach dem alttestamentarischen Buch Daniel die babylonische Gefangenschaft des israelischen Volkes. OV

Bacchanal N. (-s; -e, auch Bacchanalien, früher auch mit lau. Pi. Bacchanalia), im frühen 16. Jh. entlehnt aus lat. Bacchanal 'Kultstätte, ein dem Bacchus geweihter Ort; Fest des Bacchus' (zu Bacchus/griech. Dionysos 'griech.-röm. Gott des Weines'; nach antiker Sage wanderte Bacchus von Nymphen, Mänaden, Satyrn und Silenen begleitet bis nach Indien und lehrte die Völker den Weinbau; in der Kunst wird er dargestellt als eine von Weinlaub und Efeuranken bekränzte jugendlich-anmutige oder bärtig-männliche (Jünglings-)Gestalt mit kleinen Hörnern, häufig mit einem Gesichtsausdruck trunkener Schwärmerei. In der Antike wurde alle drei Jahre sehr tumultuarisch und ausschweifend die Feier des Weingottes begangen, was schließlich ein Senatsverbot und heimliche Feiern zur Folge hatte). Zunächst, nur mit Pl. Bachanalien, als historische Bezeichnung für die (mit Weinbau und Weinbereitung verknüpften) altrömischen Feste zu Ehren des Bacchus (die sog. Dionysien), insbes. für den ekstatisch-mystischen Bacchusdienst (s. Belege 1562—64, 1628); dann, meist mit Pl. Bacchanale, zunehmend konnotiert mit „unsittlich" und „zügellos" bildungsspr. in der Bed. 'ungezügeltes, ausschweifendes Fest, Trinkgelage; wildes Toben' (—» Orgie; s. Belege 1665, 1785, 1799), vereinzelt übertragen (s. Beleg 1987); früher gelegentlich auch als Bezeichnung für Fastnachtslustbarkeiten (s. Belege 1535, 1581, 1628).

Bacchanal

Dazu vom früheren 16. bis ins 19. Jh. die adj. Ableitung bacchanalisch 'ausschweifend, trink-, zechlustig; das Bacchusfest betreffend' und seit frühem 18. Jh. selten bezeugtes bacchisch 'zu Bacchus gehörig, begeistert, im Taumel des Bacchusdienstes außer sich, ekstatisch'. Mitte 16. Jh. die verbale Gelegenheitsableitung bachieren 'den Bacchus verehren' und seit Mitte 18. Jh. nur gebuchtes bacchanalisieren 'Trinkgelagen beiwohnen, zechen, in lärmenden Trinkereien ausschweifen, Fastnacht feiern'. Bacchanal: Kessler 1524—39 Sabbata 55 orgia oder bachanalia; Micyllus 1535 Tacitus 345v vnd war jedermann voll vnd truncken/ vnd war das gantz wesen den Bachanalibus oder faßnachtß nachten/ vnd den Festen die man bei nacht mit aller üppigkeyt pflegt zuo begehn; Mathesius 1562—64 Ausgew. W. /// 238 Zu Rom waren die Bachanalia noch schröcklicher; Fischart 1581 Dämonomania 259 Bachanalia oder Fassnachtrasung; 1587 Faustbuch U 94 Die letzten Bacchanalia waren am Donnerstag; Kornmann 1614 Mons Veneris 320 Von dem schandtlichen Nachtfest Bacchanalia genant bey den Römern; Zincgref 1628 Apophthegmata I 413 Von der Griechen Faßnachtfest (Bacchanalia vom Sauffgoetzen Bacho genent); Harsdörffer 1652 Trincirbuch 278 sich bey ihren Bacchanalien und Floralien toll und voll zu sauffen; Prätorius 1665 Anthropodemus II 305 das Fest der Bachanalien oder tollen Fastnachten; Marperger 1716 Küchendict. 63 Bacchanalia, Dionysia, Orgia, üppige und leichtfertige Feste/ da allerley schandbare Faßnachts-Lieder gesungen worden; Fassmann 1729 Narr 136 Demnach in dem Parnasso die Fastnacht angegangen . . als Herren über die gantze Welt . . ihre Bachanalia hoch-feyerlich begehen; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) II 1323 Das andere [Werk] bildet Bacchanalia ab, und ist . . Bachus triumphirender Einzug an bas-relief zu sehen; Winckelmann 1763-68 Kunst (III 21) daß in allen [Kunstwerken] entweder die Mythologie der Götter oder der Helden zu suchen sei. Ich nehme allezeit Bakchanale, Tänze u.s.f. aus; Potter 1775 Archäologie I 815 Die Lateiner sagen Bacchanalia. Und so wie dieses Wort von allen Festen des Bacchus gebraucht wird; Schubart 1780 Originalien 93 Geburt, Hochzeit, Tod, sind die Bacchanalien der Teutschen; Ratschky 1785 Gedichte 15 Nun war alltäglich Bachanal:/ Man soff sich halb zu Tode; 1789 Berlin. Monatsschr. Ill 561 Nachricht von christlichen Bakchanalien in der Christnacht; Goethe 1790 Tagebücher (WA III 2,7) ein runder Altar eine Art von Bacchanal aber sehr gemäßigt und sittlich, die Frauen bekleidet, anständig, ruhig, die Männer wild doch nicht unanständig; Matthisson 1795 Italien (V 211) Auf keiner bisher entdeckten Vase befindet sich ein Gegenstand aus dem Gebiete der ächthistorischen Muse, sondern alles .. beschränkt sich . . auf Götter- oder Heroenmythen,

und . . auf Einweihungen, Tänze . . und Bacchanalscenen; Laukhard 1796 Leben u. Schicksale III 36 Die kostbarsten Speisen und der edelste Wein, der bey ihren Bacchanalen den Fußboden herabfloß, waren für sie nicht kostbar und edel genug; Riem 1799 Reise l 54 feierten die wollüstigsten Bachanalien; Seume 1803 Spaziergang (W. l 198) So wie ich in die große Wirtsstube trat, fand ich sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten; Fischer 1804 Bergreisen I 95 Jährlich . . strömen nämlich tausende von Wallfahrern hier zusammen, . . und feyern bey dieser Gelegenheit ein fröhliches Bergbachanal; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 968) jubelte er laut, feierte er Bacchanalien, trieb artes semper gaudendi, lieferte Lusttreffen; Wieland vor 1813 S. W. VI 79 Unvermerkt verdrängte die freche Ausgelassenheit eines Bacchanals die Stelle der verständigen Fröhlichkeit . . Wird hier ein großes Bacchanal gefeiert (KEHREIN); Jäger 1835 F. Schnabel 280 Die Bacchanalien, an denen mancher arme Schlucker . . warmen Antheil nahm, wollten kein Ende nehmen, und das neue Haus glich einer Schenke; Gurowski 1845 Tour d. Belgien 124 Die Legende ist meistentheils eine Redoute oder ein Bacchanalgeschrei; Leuthold 1848—76 Gedichte 26 Unterm Himmel von Italien/ Wollen wir im Wein der Liebe/ Feiern unsre Bacchanalien; Gregorovius 1854 Wanderjahre l 149 Hier hielt Nero .. seine Bacchanalien; Reumont 1862 Zeitgenossen l 258 ein wahres Bacchanal von festlichen Demonstrationen auf den öffentlichen Plätzen; Sacher-Masoch 1876 Galiz. Gesch. l 24 sass die lustige Bande [Schauspieler] bei einem improvisierten Bacchanal. Der Wein floss in Strömen; Hansjakob 1879-1909 Jugendzeit (I 132) Wo aber die Menschen geborene Humoristen und Satyriker sind, da gestaltet sich die Fastnacht zu einer Bacchanalie für Witz und Humor; Fontäne 1898 Zwanzig 25 gab ich . . ein Fest, ein reines Bacchanal, wenn ich die Dürftigkeit der Mittel erwäge, die mir zur Verfügung standen; ebd. 387 diesen Bacchanalen, die nach ihrem materiellen und geistigen Gehalt halb Bauernhochzeit, halb Kunstund Litteraturkneipe waren; Senden 1900 Tänzerin 44 Das Fest endete in einem Bachanal; Tovote 1903 Letzte Schritt 106 ein Bacchanal der Liebe; Schönaich-Carolath 1903 Dichtungen 117 Ich bin ein Gast im Lebensbachanal; Grabein 1911 Hans 117

Bacchant Möglich ja auch, daß er dort in der Stadt saß, um durch ein dämonisches Bacchanal im Kreise seiner früheren Genossen über das Schwere hinwegzukommen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. 111 790) Peeperkorn, das Bacchanal mit lanzenspitzen Kulturgebärden leitend, sorgte für Zufuhr und Nachschub; Baum 1929 Menschen 91 das Programm lief ab wie jeden Abend: mit russischen Nationaltänzen, mit Pas de deux und Bacchanal; Münch. N. N. 3. 8. 1943 während das Fest begann, während es toller wurde und schließlich in ein Bacchanal ausartete; ND 3. 12. 1954 die Römer aber, geneigt zu Bacchanalien, zu süffigem Trunk; MM 17.4. 1985 ein Tropfen genügt, und die Menge, die ihn gerade noch zerreißen wollte, liegt ihm zu Füßen, die Angehörigen der Opfer verehren ihn, und am Ort der geplanten Hinrichtung feiert man ein gigantisches Bacchanal, . . eine gewaltige Orgie; ebd. 13. 4. 1987 die überschäumenden Bacchanale in Weiß, leuchtendem Blau, Beige, Dunkelgrün und Schwarz von 1959 [Bilder]; Zeitmagazin 23. 6. 1995 Da setzte bei den Wissenschaftlern ein aufgeregtes Experimentieren ein, daß ahnungslose Besucher vermeinten, einem Bacchanal beizuwohnen. bacchanalisch: Boner 1541 Plutarch I 300 der senger inn den Bachanalischen spilen; 1630 Tragt Comödia (Engl. Komödianten N L XXIII 196) Mit mir werden sich auch frewen die Satyri, vnd auff dem Berg Barnasso in Boetia jren Bachanalischen Tantz pflegen; Messerschmidt 1724 Sibirien 16 sind auch diese bacchanalischen Stunden ad computum zu ziehen und vom anno civili zu subtrahieren, weil [ich, d. h. Verf.] im selbigen der Gemütszerrüttung wegen nichts [habe] fürnehmen können; Hamann 1784 Briefw. V 224 Ich vermuthe daß für seine bacchanalische Einbildungskraft und Milchdiät die Schweitz ein gelobtes Land seyn wird; Matthisson 1803 Paris (VI 60) Zur Aufrechterhaltung uralter, bacchanalischer Statuten pflanzte man vor jeden Reisenden sogleich unbegehrt eine Flasche dieses wahren Göttertranks hin; Schneller 1814 Tagebücher I 252 Es war eine bacchanalische Freude; 1847 Norddtsch. Jahrb. f. Poesie I 104 wenn sie sich an dem Arme eines Mannes in den kreisenden Strudel eines wilden, wüsten Lebens, in rohe und bacchanalische Nächte stürzte;

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Gutzkow 1851 Ritter IV 375 Als die gleichfalls herbeigeeilten Kapellisten wieder an ihre Notenpulte lachend zurückkehrten und der Tanz aufs neue nun gerade erst bachanalischer als bisher begann; Nürnberger 1855 Amerikamüde 218 Jubelnd applaudirte man seinem Impromptu zu, alle Gläser erhoben sich, und im bacchanalischen Chor scholl es von Mund zu Mund; Fischer 1876 Preußen 284 Megären liefen mit abgehauenen Köpfen und anderen menschlichen Gliedern in bacchanalischem, wilden Jubel umher. bacchisch: Taubert 1717 Tanzmeister Vorr. (Bahn 1925 Tanz 201) für ein nicht natürliches, nicht vernünfftiges . . aus Menschlicher Thorheit und Phantasia des eitelen Welt-Geistes entsprossenes, das Gemüth vereitelndes, Land und Leute verderbendes, ja für ein Unchristliches, Epicurisches, Satyrisches, Bacchisches, Venerisches, Satanisches und Todtsündliches Wesen halten; Herder 1764 S. W. l 71 Ja kann es [das Werk] wohl ein Bacchisches Ganze seyn, da dieser [Bacchus] kaum zweimal . . erscheint; ders. 1767 S.W.I 310 Anthes der Böotier sang Bacchische Hymnen; Wieland 1768 Ges. Sehr, l 7,192 Wird standsgemäß, umtanzt von beiden Schönen,/ Mit Bacchischem Triumf in — einen Stall gebracht,/ Und lachend wünschet man einander gute Nacht; Matthisson 1796 Italien (V 121) im Lobe der bezaubernden Schönheit dieses mit bacchischen Attributen geschmückten Antinous; Bierbaum 1892 Gedichte 76 Aber in tausend fröhlichen Herzen/ glüht auch heute noch nicht geringe/ Heisse Verehrung dem bakchischen Trank; Hauptmann 1908 Geisel 109 Mich schwindelte! mit eines herabgerissen,/ die bachisch Schäumende; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 877) von dieser Naturreligiösität, die ihrem Wesen nach zum Orgiastischen, zur bacchischen Ausschweifung neigt; Spiegel 23. 1. 1995 Die Titel — „Das Buch Joram", „Der Durant" oder gar „Bacchische Epiphanien" — klangen altvaterisch. bachieren: Ambach 1545 Vom Tantzen H4b Es werden aber auch vngestümm, wütende menschen, die nit nach vernunfft faren, Bachanten genent, wie die vollen Pfaffen Bachj, vnd Mönich Cybeles jren Göttern zu ehren Bachirten, tantzten vnd tobten (SCHÖPFE). OV

Bacchant M. (-en; -en), auch Bachant (vgl. bes. a), im späteren 15. Jh. aufgekommenes Subst. zu (fielet. Form von) (m)lat. bacchans, Part. Präs, von lat. bacchari 'das Bacchusfest begehen, feiern; schwärmen, toben; wild, bettelnd umherschweifen' (zu Bacchus, —* Bacchanal). a Meist in der Form Bachant als historische Bezeichnung für einen nicht mehr zu den untersten Schülern und noch nicht zu den eigentlichen Studenten gehörenden,

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Bacchant

aber oft auch schon im Erwachsenenalter befindlichen fahrenden Schüler, der mit dem Ziel besseren Unterkommens teilweise bettelnd und stehlend von Schule zu Schule zog (—>· Vagant) und seinen Lebensunterhalt durch Betrügereien, auch durch Unterricht ihm anvertrauter halbwüchsiger Schüler bestritt, wobei er jüngere Schüler (sogenannte „Schützen") bei sich hatte, die ihm als Gegenleistung für Schutz und Unterricht dienen mußten, auch im Sinne von 'Bummelstudent, Dummkopf (s. Beleg 1528), gelegentlich konnotiert mit „unverständig, ungeschliffen, tölpelhaft, dumm, roh, grob, ungebildet" (s. Belege 1524, 1547, 1571), häufig in Wendungen wie den Bachanten mit Ruten streichen, jmdn. einen Bachanten nennen, jmdn. wie einen Bachanten anpfeifen, jmdn. für einen Bachanten halten; ein lausiger, grober, herlaufender Bachant, im 16.717. Jh. gelegentlich die Zss. Bachantentröster 'Kommentar, Verzeichnis, Wörterbuch', Bachantenreim, -vers 'falscher, betrügerischer Vers'. Dazu vom frühen 16. bis Ende 17. Jh. die subst. Ableitung Bachanterei F. (-; -en) in der Bed. 'von Bachanten betriebene Schule', auch 'zuchtloses, rohes Verhalten, Unsinn, Betrug' (s. Belege 1571, 1611), im 16. Jh. vereinzeltes bachantisieren 'sich zuchtlos, grob verhalten, nach Art von Bachanten handeln' und im 17. Jh. gleichbed. bacchieren; im 18. Jh. die vereinzelte adj. Ableitung bacchantenmäßig; im 19. Jh. vereinzelt Bachantentum und im 20. Jh. die Gelegenheitsableitung Bachantenschaft. b Seit Mitte 16. Jh., meist in der Form Bacchant (früher vereinzelt auch Bacchist), auch moviert Bacchantin F. (-; -nen) (früher vereinzelt Bachin), zunächst in der Bed. 'Begleiter/in, Diener/in, Priester/in des Bacchus, der/die sich, vom Wein berauscht, einer durch Aberglauben geheiligten Raserei überließ', dann 'trunkener Schwärmer, Schlemmer, weinseliger Trinker, vom Trinken im Gesicht roter Schwelger; einer, der Bacchanalien feiert' (s. Belege 1559, 1686), auch konnotiert mit „wüst, roh, zügellos" in der Bed. 'Säufer, sich betrunken umhertreibender Mensch'. Dazu im 20. Jh. vereinzelt Bacchant(inn)entum N. (-s; ohne PL). Dazu seit frühem 16. Jh. die adj. Ableitung bac(c)hantisch, zunächst für 'dumm, tölpelhaft, grob, untauglich, nach Art und Weise von Bachanten' (zu a), seit spätem 18. Jh. auch für 'den Weingott Bacchus betreffend, zu ihm gehörig' (s. Belege 1783, 1919), auch 'in Art und Weise der Bacchanten, in trunkener Begeisterung, ausgelassen, überschäumend, ausschweifend, zügellos, übermütig tobend' (s. Belege 1803, 1835), häufig in Wendungen wie bacchantisches Fest, Gelage, Getümmel, bacchantischer Taumel, Tanz, bacchantisch rasen, schwärmen (zu b); im 20. Jh. die subst. Gelegenheitsbildung Bacchantik (zu b). Bachant a: Zink 1468 Augsb. Chronik 125 also gieng ich mit im gen Ehingen, da waren groß bachanten, die luffen all in die stat nach prot; 1494 Urkunden Dinkelsb. 5 Disc copy hat herr Mathis Zupel in gegenwurtigkait her Mathis Stöckers, . . und ains pachanten uberantwurt (FRNHD. WB); Kettenbach 1523 Apologia 173 man fynt jetzunt zu Nornburg, Augspurg . . wyber, junckfrawen, knecht, bachanten . . die mer wyssen in der bibel . . dann all hoffen schuoln; Luther 1524 Widder d. blind u. toll verdamnis Bit/ zur schule vnd zum vocabulario exquo mit den groben bachanten (DIETZ); Zwingli um 1525 W. II 2,519 Das hat

Faber, der alt bacchant, nit gewußt; Murner 1528 Die gots heylige mess G2a das verstadt disser bachant nit in der ersten rede (ECKEL); Paracelsus 1530 S. W. / 8,303 das ist ein bachant, der do wütend sein kunst sucht, das ist er gehet in künsten umb wie ein koch im schüsselkorb und lauft als der seine fünf sinn bis on vier hat; Cochläus 1538 Heimlich Gespräch 3 es were jm vnnd vns besser, auch erlicher, das er were zu Eißleben gebliben, vnd hette den Schützen vnd Bachanten seinen Terentium resümiert; Volkslied 1547 (Liliencron IV 429) der Endchrist hat mich oft verflucht/ durch seine grobe Bachanten; Boltz 1551 Weltspiegel 233

Bacchant Studenten und auch der Bachant/ Rupffen eun andren vff ir schandt; um 1564 Zimmer. Chronik III 218 der churfürst sprach in nach dem morgenimbis an, ob er auch ein schütz were, er antwort: „Gnedigster churfürst, ich bin kain schütz, aber ain bachant", wie man die schueler also mit denen werten pfligt zu nennen; Fischart 1570 Nacht Rab / 1 2 Ist das mir nicht ein grob Bachant?/ Noch will er ander leut vexieren/ Mit seiner Grammatick vnd verführen/ Und will ein grosser Gaza sein,/ Ders Griechisch recht mach zu latein; Rot 1571 Diet. 292 Bachant, Ein wüster tobender vmbfahrender mensch/ Ein trunckens Hör. Es werden auch die Astanten oder Schreiber auff den gemainen schulen/ mit sochem namen verehrt/ biß sie auf die hohen schulen kommen/ vnd Beanum deponirn; Platter 1572 Autobiographie 15 Do mießt ich vor mir anhi heischen und minem pachanten, dem Paulo, ouch gen; dan von miner einfeltikeit und landlichen sprach gab man mier vill; Fischart 1575 Garg. 12 Ja ich kenn noch einen, dem sein Melancholisch Kranckheit vergieng, da man jm nur das Bachkanten Verßlin recitiert; Hertzog um 1590 Schildwacht Lib Der Bischoff verstund/ das es ein grober Bachant vnd Eselskopff war; Spangenberg 1605 Hecuba (Übers.) 259 Hola, wo seyd ihr, ihr Trabanten!/ Greifft mit Gewalt an den Bachanten; Carrichter 1614 Speisskammer 58 das alt Bachantenreymlein, das also laut: Caseus est nequam, Consumit omnia se quam; Henisch 1616 Teutsche Sprach 169 Bachant/ Faßnachtbruder/ vollsauffer/ Bacchans, vmbstreicher. Grosse Clamanten/ vngelehrte Bachanten. Bachant/ Vagant/ landstreicher/ vmbstreiffer; Mengering 1642 Gewissensrüge V. 1114 sind selber Grumpier und Stumpier/ die alles erst in ihrem Bachanten-Tröster auffsuchen; Schoch 1658 Comödia 6 seine meiste Ergetzlichkeit in Büchern und alten Bachanten-Tröstern . . zusuchen; Gryphius 1663 Horr. 47 mit diesem meinem alten guten Spannischen Degen, mit welchem ich auff so vielen Universitäten den Bachanten Löcher geschlagen; Becher 1668 Method, didact. 55 dasz öffters der beste Discipul — so er gefragt wurde, nicht tausend Wörter kan — seine Zuflucht in dem übrigen auff die Bachanten-Tröster setzend; Weise 1673 Erznarren 83 der Herr Praeceptor von 40. Jahren versteht es, ergo kan es ein kleiner Bachant von 9. Jahren alsobald auf dem Butterbrot in den Bauch einfressen; ders. 1675 Kl. Leute 308 Schulbachante; Beer 1677-79 Welt 30 daß offtermalen die besten Kerles von den altern Ertzbachanden übel tractiret und gehudelt werden (CARMESIN); Abr. a S. Clara 1686-95 Judas (Auserles. W. X 844) Mit einem Wort, er war ein sauberer Bruder, voller Luder, ein Vagant, ein Bachant; Fassmann 1729 Narr 15 wann er .. die bösen Mores etlicher Bachanten taxire, so seye es genug; Seume 1731

Lex. 14 Bachant ist der, von dem die hohe Schul nichts hält . . Keiner wird auf Universitäten in die Zahl der Studiosorum aufgenommen, er habe denn ein Testimonium oder so genannten Deposition aufzuweisen; wenn .. dergleichen mangelt, den nennt man einen Bachanten. Möchte auf Teutsch heissen: Ein ungehöfelter Mensch; Schwabe 1745 Tintenfässl 35 da kommen immer solche Ignoranten, Pedanten, Bacchanten, und wie die Bösewichter alle heissen mögen; Schöttgen 1747 Pennal-Wesen 17 Bacchanten, mit welchem Nahmen bekannter massen alle diejenigen beleget wurden, welche noch nicht deponiret waren; Griesbach 1756 Abhdlg. v. d. Fingern 213 Bey uns sind noch vor kurzem . . den jungen Studenten auf hohen Schulen die aufgesezten Bacchantenhörner abgeschlagen worden; Kriegk 1871 Bürgertum 100 Treiben der sogenannten fahrenden Schüler oder, wie sie zuletzt hießen, der Bachanten; Böhmer 1897 Schülergespr. I 11 Nachweis ..., dass die beiden Bezeichnungen Bean . . und Bacchant . . bis ins 18. Jahrhundert hinein, aber nur in deutschen Quellen gleichbedeutend nebeneinander herlaufen; Liebe 1903 Judentum 53 „Die Judenärzte sind . . ungeschickte, unerfahrene Eselsköpfe und ungehobelte Bachanten, so gar nichts studieret . . [haben]." bacchantenmäßig: Laukhard 1792 Leben U 111 Der edlere Teil der Studenten fand es unter seiner Würde, bacchantenmäßig auf der Straße herumzugrölen. Bachantenschaft: Blüher 1912 (Grundschr. Jugendbewegung 54) Diese Bachantenschaft war der eigentliche Wandervogel, der sich nun über die Jugend hermachte, und ihr das Leben und das wilde Wandern zeigte, wie sie es gewohnt waren von den böhmischen Wäldern her. Bachantentum: 1858 (Scheidler, Jen. Bl. 141) So schied der Schorist von der Hochschule und ihm nach folgte . . sein Pennal. So wurde der junge Student genannt, nachdem er im solennen Akte der „Deposition" sein Bachantenthum abgelegt hatte und als Student recipirt war. Bachanterei: Grunau 1510—30 Preuss. Chronik U 557 Ehr . . vorriehtt seinen heren, der ihn von der Bachanterei erzogen hette; Paracelsus 1530 S. W. l 8,152 dan es ist nichts das erzbachanterei in inen und nichts als lauter unerfarner grünt, der wie ein henker unter fromen leuten sizt; ebd. 8,172 dieweil apoteker sind und mörsel, dieweil ist kein kunst in der arznei als schüzerei, filzerei und nichts dan ei-

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tel bachanterei; Verhandl. d, Salzb. Provinzialsynode 1562 M. G. P. XLI 343 in solcher Bachanterey sein jugent zuetzubringen (NYSTRÖM); Spangenberg 1562 Siben c6a dz ein jeder so ein wenig verstand der Religion gehabt/leichtlich (das es nichts denn Bachanterey were) hette vrteilen können; Rot 1571 Diet. 292 Bachanterei, solche vngeschickligkeit/ vnfügsamkeit/ toben/ wütung/ gschrey/ vnd narrnweiß/ vom Got Bachus, den man für den wein nimpt/ vnd nachmals den na men alle von jm empfahen/ die sich mit wein anfüllen/ vnn sonst als die vollen thun; 1611 Neives Gespräch v. alten Hillebrandt 11 dann in Wahrheit, dise, wie vil andere jhre widerholte Scartecken, nichts anders als ein hundertmal abgetroschene vnd widerlegte Bacchanterey sein; Messerschmid 1615 Narrheit 42 Es stinckt von Bachanterey daß die Lufft inficirt wird; Opitz 1624 Poemata l daß .. [sie] hingegen in ihrer Sprach einen Soloecismum und Bachanterey über die ander begehen; Beer 1700 Blau-Mantel 124 daß deine so elende Gestalt anders her komme/ als von dieser Bachanterey. bachantisch: Luiher-Speratus 1524 Artikel (W. XV 134) Sihe, wie gar kunnen dise leut nichts guets sagen. Alles das sie sagen, das mues entweder schutzerisch und bachantisch seyn odder sonst erlogen; Paracelsus 1530 S. W. l 8,43 wie schlecht stet es euch an, das ir euch so bachantisch lassen merken, das euch weder der theologus, noch Juristen, noch die sprach, noch der poet, noch kein profession darumb loben kan, sondern prüfen und merken, das ir euch selbst sehenden; Luther 1531 Briefiv. VI 9 vnd wolle nu fursten vnd alle wellt mit yhr geistlosen bachantischen rechten verdammen oder heilig machen; Franck 1534 Lob d. Torheit 92 Was ist aber das für ein freud, wann sie ir groben bachantisch vers allenthalben anschlahen; Luther vor 1546 Br. IV 410 und wollen nur fursten vnd alle weit mit ihren geistlosen bachantischen rechten verdammen oder heilig machen (DIETZ); Spangenberg 1562 Siben MS a Denn es ein recht Bachantisch buch ist/ ob es gleich noch so ein grober Doctor gemacht hat; Fischart 1570 Nacht Rab I 29 Wie ist ins Rabi seim geflick/ Diß nur so ein Bachantisch stück/ Das er fehlt in Orthographiae. bachantisieren: Luther 1534 WA XLV/7 670 Theologi sind Esel, Bachanten, vel soll wider geeselt und gebachentisirt werden (FRNHD. WB). bacchieren: Schupp vor 1661 Sehr. 674 Welche etliche Jahr auff Universitäten bacchirt/ viel verfressen/ versoffen/ verhuret/ verbubet/ und wenig darbey gelernet.

Bacchant b: Nigrinus 1559 Wider die rechte Bacchanten, das ist, Bacchi diener, so dem schendlichen . . laster der Trunckenheit ergeben sind (Titel); ebd. 15 Ihr weinsüchtige Bacchanten,/ (Das ist, Diener der Trunckenheit,/ Die Bacchus durch sein gab bereit); Abr. a S. Clara 1686 Judas I 409 f. (Wunderkur 45) so könnt ihr auch guts thun/ die ihr das böse gelehrnt habt. Als dann wird auß einem Bachant [Bacchusbruder]/ ein Pachomius [heil. Einsiedler] werden; Winckelmann 1761 Baukunst (II 463) eine tanzende Bakchante; Wieland 1766 Ges. Sehr. I 6,309 [Ich] war von dem ersten Rauschen ihrer Annäherung schon zu sehr entzückt, um gewahr zu werden, daß die Gestalt, die sich mir näherte, mehr von dem üppigen Contour einer Bacchantin als von der jungfräulichen Geschmeidigkeit meiner Freundin hatte; Musäus 1779 Physiognom. Reisen IV 118 Woher kommt Ihnen der Einfall, einen Burgfriedensbruch zu begehen, mit der Wuth einer Bacchantin in mein Zimmer einzustürmen; Ramdohr 1787 Malerei 51 Eine Vase, die zu dem Bassin einer Fontaine gedient zu haben scheint, mit schönen Figuren von Faunen, Bacchantinnen, Hermaphroditen; 1786 Göttinger Taschen-Calender 111 Der Tanz berauscht diese Mädchen gleichsam, alsdann sind es Bacchantinen [!] im Taumel der Begeisterung; 1799 Journal d. Moden XIV 98 Recht umgenommen können sie [Schals] dann das antike Ansehn einer Rehhaut . . gewähren, womit einst die schönen Mänaden oder Bacchantinnen . . die nackende Brust und Hüften malerisch umschlangen; Heyne 1822 Archäologie 387 Bakchantinnen (Überschr.) Sie bieten den Künstlern ein eben so weites Feld, als die Amazonen dar; Gregorovius 1854-55 Wanderjahre III 26 f. die Seele wogt vor Lust in den Lüften wie eine Bacchantin mit dem Thyrsusstab; Rodenberg 1863 Strassensängerin l 14 Hier .. werden die Orgien der Londoner Nacht gefeiert, und die Tänzerinnen jener Säle, wild noch von der letzten Quadrille, sind die Bacchantinnen derselben; Hehn 1887 Italien 75 Dort die Mädchen, nach dürftiger Musik unter freiem Himmel auf staubiger Landstrasse tanzend — welche Grazie, welches Mass, Bacchantinnen, Nymphen, direkt aus einem antiken Basrelief in die Wirklichkeit versetzt; Schack 1891 Mosaik 152 unter jauchzenden Siegesgesängen feiern die Bacchantinnen den Triumph des Gottes; Senden 1900 Tänzerin 43 Sie blitzte Viktor strahlend und verführerisch an, und bot das Bild einer berükkend schönen Bachantin; Th. Mann 1902 Erz. (W. VIII198) und plötzlich ist irgendwo die Tür an einer allzu langweiligen Fassade von einer kecken Improvisation umrahmt, von fließenden Linien und sonnigen Farben, Bacchanten, Nixen, rosigen Nacktheiten; Liliencron 1903 Bunte Beute (X 93) wüst wie eine Bacchantenschar; Ponten 1926 Sie-

Bacchant benquellen 81 er müsse noch heute abend hinaus nach Spa, ein Modell für seine Bacchantin zu finden; Münch. N. N. 8. 10. 1942 Sie ist Bacchantin, Liebchen und Lockvogel, voll Humor und Mutterwitz, trinkt die Männer unter den Tisch, ist unergründlich reich an Liebkosungen und gestachelt von kecker Laune; Zeit 7. 3. 1986 er trat als Bacchant, Bohemien, Bürger auf; MM 24. 7. 1987 ein Gewimmel von Winzern, Bacchanten, Studenten; ebd. 21. 12. 1987 zwischen den saftig grünen Viehweiden Nordfrieslands und den wie halbbesessen tanzenden Bacchantinnen im flackernden, züngelnden Licht der Kerzen liegen Noldes künstlerische Welten, liegen seine schier unglaublichen Fähigkeiten, jenen Farbton in eine Erzählung zu verwandeln. Bacchant(inn)entum: Halbe 1916 Ges. W. V// 33 jene Besinnungslosigkeit der Hingabe, jenes trunkene und doch . . ganz und gar schweigsame Bacchantinnentum; Voss. Ztg. 26. 1. 1930 Es hat Chronisten gegeben, die am Tage nach dem Fest sich in düsteren Schilderungen babylonischen Bacchantentums ergingen. Bacchantik: 1905 Goldschmidt (Schaubühne I 383) daß die oft zweideutigen und zerschlissenen Dionysos-Masken auf der Straße herumlaufen, zumeist mehr an Cabaret und Pöbel oder an Aschermittwoch und Katzenjammer erinnernd als an schäumende Bacchantik. bacchantisch: Schiller 1783 Fiesko (H. H 11) bacchantischer Tanz; Matthisson 1787—93 Gedichte (I 156) Wir tauchen die Sorgen/ Von gestern und morgen/ In schäumende Becher,/ Bacchantische das Haupt/ Mit Eppich umlaubt; Forster 1791 Ansichten (IX 57) Bald ist es ein trunkener Silen, umringt von einer bacchantischen Gruppe, deren verschiedene Grade der Trunkenheit sich allzunatürlich in faunischer Wollust . . äußern; Seume 1803 Spaziergang (W. I 230) Überall wo ich hineintrat, saßen, standen und lagen eine Menge gemeiner Kerle bacchantisch vor ungeheuer großen Weinfässern; 1804 Br. v. d. Univ. 71 Deinen Geburtstag . . habe ich ganz bacchantisch in einer Punsch-Gesellschaft . . begangen; Heine 1835 Romant. Schule 139 das tanzt und hüpft und wirbelt und scharrt, und drüberhin erschallen die Trompeten der bacchantischen Zerstörungslust; Reimann 1839 Dtsch. Volksfeste 204 wirbelt bacchantisch herum; 1852 Prutz' Museum 11 394 von bacchantischem Feuer durchlodert; 1857 Hausblätter IV 125 umjubelt von der bachantischen Lust des trunken gewordenen Volkes; Kompert 1860 Spitz (Ges. Sehr. VII 40) der Mann, der mit eisiger Miene jenes Wort

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sprechen konnte, das die Kriegsfurie mit bachantischer Lust rasen machte; Hansjakob 1879—1909 Jugendzeit (I 196) sang der Tenor seine schönsten Weisen und rasten bacchantisch die Figuralkünstler auf ihren Instrumenten; Huch 1893 Ursleu 15 Wenn wir auf einer Höhe ankamen, pflegte sie vorauszuspringen, ein bacchantisches Triumphgeschrei erschallen zu lassen; Franke-Schievelbein 1894 Rotdorn 18 eine wahrhaft bacchantische Lust am Fabulieren; Th. Mann 1895 Nachtr. (W. XIII 368) es handelt sich darum, das scheinbar Unsägliche in strenge Form zu bannen, nicht in bacchantischem Geheul nur die eigene Unfähigkeit darzutun; Grabein 1911 Hans 40 dieses bacchantische Sichausrasen, das gar kein Ende kannte, das sich in trunkenem Taumel nicht scheute, sich vor aller Welt preiszugeben; Brachvogel 1919 Glück 7 Sie gab sich Mühe, bacchantisch auszusehen und eine dithyrambische Geste auszuführen; Thiess 1927 Gesicht 213 Die eigentümliche Note aller barocken Kunst ist die Bewahrung des Gottesgedankens im bacchantischen Tanz des Lebens; Baum 1929 Menschen 91 während auf der Bühne das Ballett bacchantische Musselinschleierchen bauschte; Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. X 757) die Verlegenheit . ., die das Bacchantische und Verschwärmte bei seiner Realisierung ins Mündliche meistens erregt; N. Z. Z. 30. 6. 1943 die bacchantisch ertrinkende Wespe aus meinem Weinglas herauszuholen, um den Rotwein ungestraft austrinken zu können; Helwig 1951 Knabenfährte 43 der grosse Sänger, Lautenschläger, bacchantische Trinker; 1957 Aus d. Welt d. Barock 101 Vom „Herbst des Mittelalters" bis zum sterbenden Rokoko rauscht ein bacchantischer Festzug durch die Gassen und Gärten, die Schlösser und Kirchen Europas; Koeppen 1961 Frankreich 115 Man ißt teuer, aber nicht bacchantisch; Partner 1964 Erben 290 die Sitzungen unterlagen aber nicht nur bacchantischen Riten; Zeit 14. 11. 1986 während die Männer unten, zunehmend erregt und bacchantisch, das Feuer füttern; ebd. 22.5.1987 in wortloser Zwiesprache mit der Glasorgel nähert sie sich . . dem zwischen großen Kupferschalen verborgenen Glasorgelspieler, der seine bacchantisch gurgelnde Inbrunst dem Instrument anverwandet und laut werden läßt. Bac(c)hin: Zesen 1688 Heidn. Gottheiten 321 Daher sei dieser Weingötze so zornig auf ihn geworden/ daß er seine Bachinnen unsinnig gemacht. Bacchist: Albertinus 1619 V. Gastereyen 151 durstige Brüder und Bacchisten. OV

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Background

Background M. (-s; -s), Mitte 20. Jh. übernommen aus engl. background 'Hintergrund, Milieu, Erziehung' (aus back 'rückwärts, hinten' und ground '(Hinter-)Grund'), gelegentlich auch in engl. Form. la Als Kurzform von gleichbed. engl. background music in der Bed. 'Hintergrund-, Begleitmusik, die musikalischem Spiel oder Gesang Tiefe verleiht und es klanglich abrundet, untermalt oder ausweitet', speziell im Jazz als Bezeichnung für den vom Ensemble gebildeten Klanghintergrund beim Solo, häufig in Zss. wie Backgroundmusiker, -sänger(in), -truppe, -chor, -gesang, -sound. b In der Fachsprache des Films und Theaters als (nur gebuchte) Bezeichnung für eine Projektion oder eine Großfotografie als Hintergrund einer (Film-)Handlung. 2 Ebenfalls seit Mitte 20. Jh. bildungsspr. in der Bed. 'geistige Herkunft, geistige, materielle, politisch-ideelle oder historische Umgebung, die eine Person, Organisation oder Sache geprägt hat, Milieu', häufig in Wendungen wie beruflicher, familiärer, sozialer Background und Zss. wie Backgroundinformation (nach engl. background-information) 'Information, die den Hintergrund und die Zusammenhänge eines Geschehens erklärt', Backgroundgespräch, -detail; gelegentlich auch übertragen verwendet in der Bed. 'Lebens-, Berufserfahrung, Ausbildung, Kenntnisse einer Person auf einem bestimmten Gebiet' (s. Belege 1972, 1974). Background la: Berendt 1953 Jazzbuch 194 Krupa verwendete sein Orchester in erster Linie als Background für seine technisch-brillanten Schlagzeugsoli (AWB); FAZ 1. 5. 1961 erklingt „Background" — Untergrundmusik — . ."beruhigende, nicht einschläfernde Musik . ."; Süddtsch. Ztg. 19. 4. 1969 Die im amerikanischen Original recht anhörbaren Songs entflossen den dünnen Schauspielerkehlen gar zu wässerig . . der Background hing voller Geigen; Welt 8. 5. 1974 eine Choreographie . ., bei der die Tanz- und Backgroundtruppe ungehemmt konzeptionsloses Gewackel . . produzieren darf; Stern 19. 12. 1979 Zu deren Blues, solo und im Duett, würden zum erstenmal die Bee Gees im Background gospeln; MM 15. 5. 1987 wirklich neue Ideen, Frische und Originalität suchte man zwei Stunden lang ebenso vergebens, wie ein Solo der legendären Crazy-Horse-Band, die von ihrem Frontman zum bloßen Background degradiert wurde; ebd. 22. 6. 1987 [er bot] seine Soulsongs dar, stilecht unterstützt von zwei Background-Vokalisten; Zeit 18. 4. 1986 die Partitur klingt wie der background zur sonntagsnachmittäglichen Fernseh-Märchenstunde; MM 3. 10. 1986 Background-Gedudel; ebd. 14. 4. 1988 [eine] der beiden für viele „Dudamdams" verantwortlichen Backgroundsängerinnen. Background 2: Süddtsch. Ztg. 13.9. 1954 Der Background der Solidität und Sicherheit; 1960 Studium Berolinense 65 hier nur als background, als Kulisse der Ereignisse; Süddtsch. Ztg. 13. 11. 1961 eine Stewardeß mit „anmutigem Background, gelassener Haltung, Charme, Intelligenz und guter Erziehung"; FAZ 8. 1.1962 Eine liebenswerte

junge Dame aus gutem Hause . . gesucht von . . 35jährigem Junggesellen mit „background" (Anzeige); Offenburger Tagebl. 6. 3. 1964 „Wir versuchen, den früheren Sendebeginn unseres Abendprogramms . . damit auszunützen, daß wir in den vollen 25 Minuten neben der Nachricht des Tages den Background gleich mitliefern . . Nach den kurzen Schlagzeilen folgen acht bis zwölf Minuten Magazinteil, der die Hintergründe und die Zusammenhänge beleuchtet"; ebd. 25. 1. 1971 Reißer [Film] mit gesellschaftspolitischem back-ground (Überschr.); FAZ 26. 1.1972 EDV-Manager übernimmt Führungsaufgabe bei größerem Unternehmen . . Sein „Background": neben abgeschlossenem Hochschulstudium langjährige fundierte Praxis in Management-Positionen .. (Anzeige); Schwendter 1973 Subkultur 189 Der emotioneil subkulturelle Background zeigt sich neben der rationalistischen Gesellschaftsanalyse; Welt 31. 7. 1974 Herren mit unternehmerischem „background" bitten wir mit den üblichen Unterlagen um Kontaktaufnahme (Anzeige); ND 21.12. 1979 Wie es scheint, haben die vier das Zeug, mehr als nur Background-Aufgaben lösen zu können; Zeit 27. 9. 1985 wenn man Kollegen persönlich kennt . . erleichtert dies die Arbeit, denn Persönlichkeit und Background spielen selbst im Betrieb des Internationalen Gerichtshofs eine wichtige Rolle; Spiegel 13. 7. 1987 Als Feierabend-Terroristen, oft mit bürgerlichem Background, zeichneten RZGruppen allein im vergangenen Jahr für 17 „sinnlose Gewaltakte" . . verantwortlich; Probst 1989 Amideutsch 21 „und immer wieder weist er hin auf seinen 'perfekt normalen Background", der ihn von vielen schwarzen Kollegen unterscheide". OV

Bagage

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Bagage F. (-; -n ungebr.), Mitte 16. Jh. wohl unter Einfluß von niederl. bagagie entlehnt aus frz. bagage M. 'Reisegepäck' (einer Kollektivableitung von (alt-)frz. bague 'Gepäck, Bündel', bagues Pl. 'Gepäck, Kleidung', vgl. auch altprovenzal. baga 'Gepäck, Beutel', mlat. bagagium und baga 'Kasten, Sack'; —* Bagatelle), anfangs auch in der niederl. beeinflußten Schreibung Bagagie und in den wohl aus der Schweiz. Volkssprache stammenden Nebenformen Pagaschi, Pa(c)kaschi, Bagagi; unter frz./ital. Einfluß im 16.717. Jh. gelegentlich auch als M. und N. Zunächst als militärischer Ausdruck in der Bed. '(auf Lasttieren oder Fahrzeugen fortbewegtes) Heeresgepäck', z. B. Waffen, Munition, Lebensmittel (vgl. Furage 'Verpflegung für die Truppe, Futter für die Pferde') (s. Belege 1590, 1605, 1608), häufig in den Zss. Bagagepferd, -wagen 'Packwagen', später auch allgemeiner für 'Reisegepäck' (s. Belege 1769, 1835, 1912, 1964), selten übertragen verwendet (s. Beleg 1881). Seit Ende 17. Jh. erweitert zu 'die das Gepäck begleitende, von den kämpfenden Truppen wenig geachtete Mannschaft, Troß' (s. Belege 1681, 1771, 1822), auch 'Haufen, Schar' (s. Belege 1719, 1836), von daher seit dem 18. Jh. zunehmend abwertend gebraucht in der nur im Dtsch. üblichen Bed. 'Gesindel, üble Gesellschaft, Lumpengesindel' (gleichbed. mit dtsch. Pack), ugs. insbes. für 'Gruppe von Menschen, über die man sich ärgert' (s. Belege 1780, 1922, 1985). Dazu im frühen 17. Jh. die adj. Gelegenheitsableitung bagagisch 'die Bagage betreffend, zu ihr gehörend'. Bagage: Platter 1557 Sittengesch. (Ausg. Boos) 281 were ich um daß roß und all mein bagaie, so darauf gebunden, kommen; Ernstinger 1579—1610 Raisbuch 129 Des ändern tags haben wir unsere feleiser und baga [!] auf ain schiff geben; Eyzinger 1590 Relationen l 106 daß des Schencken Reutter zeytlich vorruckten one vrlaub auß dem Leger sambt allem jren plonder oder bagage; 1595 Henriciados 44 sein Bagaigie (JONES); Lorch 1605 Relation 13 alle Munition, Bagagien, wehr und was noch übrig; Dilich 1608 Kriegsbuch 244 Die verhüten den infall von hinderwarts uf die krancken, geschütz, pagage, so man etwa nachzuführen pfleget; ebd. 268 die pagage und troß; Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Baggage. Was man mit sich nimbt auff dem Weg; 1616 Braunschw. Kriegshandlung Klb mit den Wägen vnd Pagagien; 1620 Pragischer Höfe-Koch (Weller 66) Packaschi pakken sie Und drauff außreissen ohn grosse Müh; Martin 1627 Colloques 218 le bagage, das Bagasche; Ens 1630 Postreiter 11 Sol keines Officirers oder Soldaten Bagagi wegen Schuld arrestirt mögen werden; Freitag 1631 Architectura 128 das Bagage; 1634 Überlinger Belagerung 21 Pagagi Wägen; Mengering 1638 Soldatenteufel 162 daß die Pagagi eilends müste fortgeschafft werden; ebd. 208 alle Pagagi in stich gelassen; Duez 1652 Nomencl. 227 ein heerwagen/ bagaschiwagen; Grimmelshausen 1670 Springinsfeld (111 258) bis mich endlich einer von meinem Regiment fände, durch dessen Anstalt ich zu unserer Bagage gebracht; Krämer 1681 Leben d. Seehelden 177 Hiernebenst

kam das Geschütze und endlich die Bagage; Gruber 1697 Kriegs-Disciplin l 31 Bagage-Wagen vom Regiment; 1719 Recueil VII 123 so körnt der Habicht geflogen, und da er ein Kücken will aufnehmen, entführet er die gantze baggage [sie waren zusammengebunden]; Earth 1734 Tagebuch 163 die Ordre . ., daß den folgenden Morgen die sämmtliche schwere Bagage von der ganzen Armee in aller Frühe aufbrechen . . solle; l 743 Reglement Preuss. Cavall. 196 Der General-Gewaltiger mit seinen Leuten soll deßhalb auf dem March bey der Bagage sich finden lassen; 1759 Bagage-Ordnung, wie viel Wagen und Pferde ein jeder bey der Kayserl. Königl. Armee . . zu halten befugt (Titel); Kreittmayr 1769 Grundriss l 25 die Ausstellung der nöthigen passeports für die Gesandte, ihre Suite und Bagage; Pasch 1771 Kriegskunst II 229 Bagage oder Equipage sind Worte, die in dem Kriege fast in einerley Verstande gebraucht werden. Hierunter wird der Tross oder der Zug der Maulthiere, Pferde, Kutschen, Karren, Knechte, Marketender etc. bey einer Armee verstanden; Smollet 1772 Klinkers Reisen (Übers.) 52 das Geschleppe von Magazinen, Bagage, Fourage und schwerem Geschütze; Leisewitz 1780 Tagebücher 76 Ich möchte der Bagage noch eine Tracht Schläge geben, ehe ich aus dem Hause ginge; Kindleben 1781 Studentenlex. 97 Hundepack, Hundebagage, ist ein Schimpfwort gemeiner Leute, wodurch sie sich unter einander selbst verächtlich machen; Brandes 1802 Lebensgesch. l 302 dann [muß ich] aus der Station einen anderen Wagen holen, um

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Bagatelle

die Bagage fortzuschaffen; 1813 — 15 Prinzenbr. 11 der Bauer hat Franzosen gefahren und abgesetzt, sie wollten aber, er sollte ihre Bagage noch nach ihren Quartieren fahren; Goethe 1822 Campagne (WA l 33, 99) Der Herzog von Weimar führte die Avantgarde und deckte zugleich den Rückzug der Bagage; Nestroy 1835 Geist 36 jetzt nimm ich meine ganze Bagage zusammen, und zieh' aus; Glassbrenner 1836 Berlin Vlll 33 Ihr Packasche, Ihr müßt mir alle in den Himmel; ebd. IX 33 dämliche Package; Gaudy 1837 Jubiläum (VI 209) Schülerpakage; Suckoiv 1862 Soldatenleben 51 der ganze Bagage-Train des Regiments, wenigstens aus dreißig und mehr Wagen und doppelt so vielen Packpferden bestehend . . spazieren geführt, damit man seine Mobilität erproben könne; Kürnberger 1877 Herzenssachen 274 Schlechtweg „Gesindel" und Bagage sans phrase ist das vorstädtische Publicum dem Menschenfeind; Hillebrand 1881 Jahrh. d. Revol. 255 Sie hatte . . einen besonders sorgfältigen Jugendunterricht erhalten. Ihre Bagage an Gelehrsamkeit war darum doch noch gar leicht; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 484) daß der Koffer, . . zusammen mit anderer, fremder Bagage, in völlig falsche Richtung geleitet wurde; Schlegel 1922 Kulturgrotesken 69 Warum wollte denn diese Arbeiterbagage nur nicht einsehen, daß es zweierlei Menschen gab; Balla 1926 Im Yorckschen Geist 71

Ein „Bagagehengst" . ., der noch nie Pulver gerochen hatte und sich . . aus irgendeinem Grunde bei der fechtenden Truppe aufhielt; Sternheim 1926 Schule f. Uznach 15 Verwahrlosung der Menschenbagage; Renn 1929 Krieg 114 die [Feldküche] ist schon mit der Gefechtsbagage abgerückt; Cibura 1933 M. G. 97 Die Bagagebrüder in Beugnatre schüttelten die Köpfe, als wir in den späten Abendstunden nach vorn in Stellung rückten; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 398) in wimmelnden Bahnhofshallen . ., deren Perrons mit Reihen liegengebliebener Bagage bedeckt waren; Münch. Stadtanz. 17. 3. 1961 Laßt sie's doch zahln, die Bagasch, bis ihr die Protzerei vergeht!; Frisch 1964 Gantenbein 127 Alle Herren kümmern sich bloß um ihre eigene Bagage (DUDEN 1993); Zeit 8. 3. 1985 da wächst eine ziemlich verwöhnte Bagage heran, wenn die mal hart arbeiten muß, lernt sie, daß das Leben kein Zuckerschlecken ist; Spiegel 28. 6. 1993 Wie es um das sozialistische Ethos der SED-Führer und ihrer Bagage bestellt war, darüber hatten ihre Beschützer vom MfS offenbar keine Illusionen. bagagisch: Goepner 1621 Bayer. Feldzug C2b Es seyndt die Krancken so mit den Pagagischen Wägen zu uns kommen. OV

Bagatelle F. (-; -n), anfangs auch N., Anfang 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bagatelle (< ital. bagatella F. 'kleiner Gegenstand, Kleinigkeit, Taschenspielerei', einer Diminutivbildung, eventuell zu lat. baca 'Beere'), anfangs gelegentlich in der Schreibung Pagadelle und (eventuell etymologisierend an Paquet angelehnt) Paquetell (zu ital. baga 'Bündel, Paket'; —»· Bagage). l In der Bed. 'Kleinigkeit, unbedeutende Angelegenheit, Unerheblichkeit', gelegentlich leicht abwertend für 'Posse' (s. Belege 1689, 1746), häufig als Bestimmungswort in (zum Teil rechtsspr.) Zss. wie Bagatellsache 'geringfügige Angelegenheit, Streit-, Rechtssache, -fall', -delikt 'unerhebliche Ordnungswidrigkeit' (vgl. Kavaliersdelikt), -prozeß 'Prozeß, dessen Gegenstand nicht über eine bestimmte geringe Summe hinausgeht', -klausei 'Klausel bei Sachversicherungen zur Befreiung des Versicherers von seiner Ersatzpflicht bei geringen Schäden', -schaden 'kleiner, häufig von der Ersatzpflicht ausgeschlossener Schaden', -sünde 'geringfügiger Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung' und in Wendungen wie sich über jede Bagatelle aufregen, sich nicht mit Bagatellen abgeben, etwas als Bagatelle behandeln; seit Anfang 18. Jh. die aus frz. en bagatelle übernommene Wendung etwas/jmdn. en bagatelle ('verächtlich, geringschätzig, als eine Kleinigkeit, als geringfügige Sache') traktieren, behandeln, betrachten. Dazu seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung bagatellmäßig, meist in der Wendung jmdn. bagatellmäßig ('geringschätzig') behandeln und im 20. Jh. die gleichbed. adj. Gelegenheitsableitung bagatellisch; seit frühem 20. Jh. die Ableitung bagatellisieren V. trans, 'eine Sache als Bagatelle behandeln, als geringfügig ansehen, darstellen, verharmlosen' und das Verbalsubst. Bagatellisierung F. (-; -en).

Bagatelle

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2 Daneben seit früherem 18. Jh. als Bezeichnung für kleine, leicht spielbare, zweiteilige Musik-, meist Klavierstücke (z. B. von Beethoven, Bartok, Webern). Bagatelle 1: Hainhofer 1611 Corr. 161 will Ich meinem besten bruder schreiben, das er . . ein Spiegel kauffen soll, vnd was etwan für pagadella in gar ringem preiss möchte zu halten sein; Abele 1670 Unordnung I 218 weilen aber der beklagte sich straffmässig unterstanden, den diebstal zu laugnen, also könne der kläger mit dieser verdächtigen pakathels-erklärung nicht verlieb nehmen (DRW); 1671 Friedrich Wilhelm (UAS XVII 74) als wann Sie um ein Bagatell solchen verlieren sollten (BRUNT); Elis. Charl. 1681 Br. l 16 Vndt nun ich Euch gesagt, wie ich solches verstehe, will ich nicht mehr von dießer bagatelle reden; Thomasius 1688 Monats-Gespräche l 34 so sind es doch, wenn ich sie [literar. Ausführungen] gegen andere Gemüths Belustigungen halte, rechte Bagatellen; Tentzel 1689 Unterredungen 251 daß ein Setzer, er möchte auch so accurat sein als er immer könnte, dergleichen Bagatellen allezeit in acht nehme; Dalhover 1689 Gartenbeetlein U 692a da andere mit allerhand Bagatell vnnd Kinder-Possen die Zeit zu bringen; 1689 Polit. Fliegenwedel l 77 sich mit einem so unvergleichlichem/ und fast für nichts achtbaren Pacqvetell zurucke weisen lassen; Ettner 1697 Doktor 878 das saget euch ein alter Greiß/ bey welchem man ihm einbilden solte/ er hätte dise paquetell schon an Schuhen zerrissen; Friedrich l. 1703 Br. o. S. daß E. Ch.D. unsere dispeute . . en bagatel tradieren (BRUNT); Vischer 1709 Informator 159 da du solches Büchlein um eine bagatelle bekommen [kannst]; Callenbach 1714 Quasi vero 77 um ein so Pagatell muest ihr keine Dame de Qualite öffentlich auff der Strassen verschaemen (BRUNT); Mencke 1716 Charlatanerie 120 das schlimmste ist, daß sich diese Mückensauger insgemein nur mit Kleinigkeiten und Baggatellen müde arbeiten; 1721—22 Chronik d. Ges. d. Mahler 21 gleich wir im übrigen in den geringsten bagatelles, die Gleichheit und nicht das Mehr der Stimmen beobachten und zehlen; Amthor 1730 Collegium 8 das ich ihn en bagatelle tractiren müsse (BRUNT); Philippi 1743 Witz u. Geschmack 212 Der niedrige Geschmack aber verwandelt sogar die erhabensten Sachen in unansehnliche Baggatellen; Bodmer 1746 Mahler l 87 daß man einem Kind in seinen zarten Jahren eine kleine Bagatelle auf sein Schreyen erlaubet; Zachariä 1754 Schnupftuch (I 270) weil gegen Dich ein Graf ein Bagatell versehn; 1768 Harzmagazin 321 die mir ein Bagatell kostete; Mauvillon u. Unzer 1772 Dichter II 60 litterarische Bagatellen; 1786 Journal d. Moden l 67 Alle die Kostbarkeiten, Bagatellen des Augenblicks, Waaren der Galanterie; Bretzner 1787 Leben II 240 wenn Du dich bey jedem sol-

chen Bagatell so nimmst, und dich von ein Paar Weiberthränen so ins Bockshorn jagen lassest; Rebmann 1795 Ludwig 58 so ganz en Bagatelle behandelt; Foote 1796 Engländer (Übers.) (I 150) Einem Freunde seine Geliebte wegkapern, oder seine Frau verführen, sind freilich Bagatelle in der neuern Moral; Heinzmann 1800 Fruehst. Beil. 193 Um jedes Bagatell ward oft Streit und Hader angefangen; 1844 Br. Droste u. Schücking 252 Er hat mich oft miserabel en bagatelle behandelt; Buchner 1855 Parlamentarismus 199 vor einem Londoner Bagatellgericht; König 1857 Clubisten l 45 eines der Bagatellwunder des hl. Franz von Assisi; Schmidt 1871 Bilder // 287 Bagatell-Literatur; Eckstein 1876 Satir. Zeitbilder 53 Die eigentlichen humanistischen Studien drängt man ganz in die Ecke und behandelt sie nur noch en bagatelle; Fulda 1887 Dürer 63 die ganze Angelegenheit war ihm damals, obschon es sich nicht gerade um eine Bagatelle handelte, völlig gleichgiltig gewesen; Kleinpaul 1892 Sprache 437 eine Bagatelle war eigentlich . . eine kleine venezianische Kupfermünze, woraus allein der Begriff: Kleinigkeit entsprang; Suttner 1896 High-life 297 es war doch für ein armes Komteßchen keine Bagatelle, auf die schwindelnde Höhe einer Fürstin Wetterstein erhoben zu werden; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 660) gehetzt von fünfhundert nichtswürdigen und alltäglichen Bagatellen, die in Ordnung zu halten und zu erledigen sein Kopf sich plagte; Schmilz 1911 Brevier 193 en bagatelle; Baum 1929 Menschen 213 In China waren Erdbeben, aber die Bagatelle von vierzigtausend Toten genügte nicht, um Otternschlags Langweile zu beheben; Wrede 1935 Germaine 40 gelächelt, wie eine Dame der grossen Welt, die über die alltägliche Bagatelle eines verliebten Herzens grausam hinwegsieht; Münch. N. N. 7. 2. 1939 sie [„romantische Ironie"] ist über alles erhaben, kann mit dem Größten wie dem Kleinsten -Fangball spielen, darf die Menschheit en bagatelle behandeln; 1943 Vierjahresplan 403 dass „Bagatellschäden", d. h. Schäden, deren Tragung dem Einzelnen billigerweise zugemutet werden kann, nicht erstattet werden; Münch. N. N. 6. 6. 1944 Der Bagatellenkram, mit dem wir uns täglich herumschlagen müssen, dürfe nicht wichtiger genommen werden, als er es verdiente; Süddtsch. Ztg. 25. 2. 1954 Auch das Bagatelltrauma kann gelegentlich schwere Schäden an Hirn und Rückenmark setzen; ebd. 22. 1. 1959 Bagatellschäden von weniger als 200 Mark; Offenburger Tagebl. 23. 1. 1960 die Verfehlung des Angeklagten nicht als „Bagatellsache" betrachten; Staiger 1966 Grundbegriffe 195 das Bagatell eines bloß der

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niedern Erscheinungswelt angehörenden Dings, das diesem Erhabenen . . nun auf einmal unter die Beine gerät und es zu Falle bringt; Offenburger Tagebl. 4.6.1970 ob künftig bei Bagatell- und Kleinschäden ganz einfach auf Ersatz verzichtet werden soll; Frisch 1975 Montauk 156 Erinnerungen, die eigentlich nicht schrecklich sind; viel Bagatellen, nicht wert, daß ich sie erzähle (DUDEN 1993); MM 14. 2. 1985 nach dem Bundesratsvorschlag sollen Bagatellgeschäfte mit einer Kaufsumme bis zu 50 Mark vom Recht auf Widerruf ausgeschlossen werden; Zeit 21. 2. 1986 dann gibt es aber eine Bagatellgrenze, wenn die Mengen klein werden und ein zu großer bürokratischer Aufwand entsteht; MM 27. 9. 1986 der Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Strafverfahren, das die Gerichte . . von Bagatellsachen entlasten soll; Spiegel 26. 12. 1994 Bagatellvergehen verjähren zuhauf. bagatellisch: 1911 Aktion 400 Man ist verliebt in Bagatellisches an dir. bagatellisieren: Kjellen 1917 Studien (Übers.) 68 die Verfassungsveränderung in dem grossen russischen Reich bagatellisieren zu wollen; Morgen 1936 Kriegspropaganda 18 wird .. der gedachte Gegner bagatellisiert; 1943 Geopolitik 15 Die vielen krisenhaften Anzeichen . . werden bagatellisiert, übersehen oder totgeschrien; Dtsch. AZ. 10. 6. 1944 die Invasion (die also im Falle des Mißlingens nicht mehr als ein Probefall abgebrochen und bagatellisiert werden kann); NZ. (Basel) 25. 3. 1950 Die Landwirtschaft kann nicht schweigen, wenn die Gefahr der Einschleppung von Rinderpest bagatellisiert wird; Schelsky 1959 Ortsbestimmung 10 eine Aussprache, die das Strittige nicht verschweigt oder bagatellisiert; Süddtsch. Ztg. 3. 3. 1962 dieser Mann . . dessen Beziehungen zum Nationalsozialismus nicht mehr mit den Worten „argloser Mitläufer" bagatellisiert werden können; Stuttgarter Ztg. 13. 1. 1967 Die Beamten neigen dazu, alle im Laufe der Jahre und Jahrzehnte errrungenen, nicht unbeträchtlichen Verbesserungen und Vorrechte zu bagatellisieren; Zeit 17. 5. 1985 zwar wird von offizieller Seite nicht grundsätzlich bestritten, daß es Altersarmut gibt, aber sie wird bagatellisiert, als sei sie das Problem einer winzigen Gruppe und ein Schicksal, das der einzelne selbst verschuldet hat; MM 8. 6. 1985 Migräne, eine im vergangenen Jahrhundert bagatellisierte Erkrankung; Bild 23. 9. 1989 die unerträgliche Ignoranz der Staats- und Parteiführung, die vorhandene Widersprüche bagatellisiert und an ei-

nem starren Kurs festhält; Spiegel 28. 3. 1994 Von Patienten und Ärzten werden die möglichen Frühwarnzeichen meistens bagatellisiert; ebd. 16. l. 1995 Wenn ein Kanzler und sein Außenminister das Abschlachten Tausender Tschetschenen zur inneren Angelegenheit Rußlands bagatellisieren, dann stellen sie unter Beweis, daß sie wenig aus der NS-Vergangenheit gelernt haben. Bagatellisierung: 1928 Elsass-Lothringen. Heimatstimmen VI 663 eine künstliche Bagatellisierung des Minderheitenproblems; Miller 1950 Köpfe 99 Vernachlässigung, Bagatellisierung, Übergehung des Gedanklichen, Denkerischen, Geistigen in des Meisters Wesen und Werk; Bad. Ztg. 8. 2. 1968 die Bundesregierung halte sowohl eine Dramatisierung wie eine Bagatellisierung der Vorgänge für falsch; Offenburger Tagebl. 5. 9. 1969 Gegen Bagatellisierung von Sportverletzungen (Überschr.); FAZ 15. 1. 1971 Die Bagatellisierung dieser Delikte und die Einstellung von Verfahren fördern deshalb die ohnehin schon sehr „verbogene" Einstellung zum Eigentum anderer und eine falsch verstandene Selbstbedienung; Zeit 3. 10. 1986 hier ist ein Punkt objektiver Apologie erreicht, der unabhängig von der Motivation des Verfassers . . eine Bagatellisierung nicht mehr erlaubt; Bild 23. 8. 1989 wir wollen uns den vorhandenen Widersprüchen stellen, weil nur durch ihre Lösung und nicht durch ihre Bagatellisierung ein Ausweg aus dieser Krise möglich sein wird; Frankf. Rundsch. 10. 7. 1990 gerade diese Bagatellisierung von Straftaten führe zu einer weiteren Verschärfung des Konfliktes. bagatellmäßig: Basedow 1764 Philalethie l 348 bagatellenmäßige Liebe gelehrter Kleinigkeiten; Nestroy 1852 S. W. VII 396 Dich behandelt er gebieterisch, mich bagatellmäßig; Fontäne 1882 Ges. W. / 2,116 Er behandelte das, was vorgefallen war, aller Erschütterung unerachtet, doch bagatellmäßig, obenhin; Justi 1872 Winckelmann 11.1,236 dann folgten misanthropische Bitterkeiten . . die er aber einer neuen, ebenso bagatellmäßigen Aufmerksamkeit gegenüber wieder zu bereuen bereit war; Heuss 1946 Bosch 427 abgesehen von den in Gold gerechnet bagatellmäßigen Schuldverschreibungen. Bagatelle 2: Weber 1734 Enc. l 64 das kleine, leichte Tonstück; Zeit 25.10.1985 jetzt aber „Nocturnes", ein „Stück für Orchester mit 2 Bagatellen"; MM 20. 3. 1986 vier Kompositionen von Franz Liszt . . sprühend vor Vitalität die „Bagatelle". OV

Baisse F. (-; selten -n, auch -s), im frühen 19. Jh. im Zusammenhang mit der Entwicklung des Geschäftes mit Wertpapieren sowie dem Aufkommen der kapitali-

Baisse

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stischen Wirtschaft entlehnt aus gleichbed. frz. baisse (zu baisser 'senken' < vulgärlat. *bassiare 'niedrig machen, senken', zu mlat. bassus 'niedrig', —»· Bass). Meist als Terminus der Börse in der Bed. 'Fallen der Börsenkurse, Aktien-, Kursrückgang, Kurssturz' (Ggs. —» Hausse; s. Belege 1836, 1852, 1857), auch mit Bezug auf Waren für 'Preisfall, Heruntergehen, Sinken der Preise' (s. Belege 1901, 1935, 1960), häufig auch in der aus frz. ä la baisse übernommenen Wendung ä la baisse spekulieren 'auf das Fallen der (Staats-)Papiere spekulieren, Gewinn erhoffen, Handelspläne machen'; seit Ende 19. Jh. gelegentlich auch übertragen verwendet für den Niedergang, das geringe Vorhandensein von etwas (s. Belege 1895, 1965, 1970, 1985, 1993). Dazu seit früherem 19. Jh. die aus gleichbed. frz. baissier übernommene Personenbezeichnung Baissier M. (-s; -s) 'Börsenspekulant, der auf das Fallen der Kurse spekuliert' und seit späterem 19. Jh. die nur (1863 bei Kaltschmidt) gebuchte Ableitung baissieren V. (in)trans. 'sinken lassen, sinken, fallen; (ein Geschütz) niederlassen, zum Schuß tiefer richten'. Baisse: Koch-Sternfeld 1825 Beytr. I 371 Bewegungen in der Geldwirtschaft, i la Hausse und ä la baisse: die Ungunst der Chancen; 1836 Courtin 32 Baisse . . das Sinken der Preise (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1843 Dtsch. Chronik II 345 auf die Baisse spekuliren; 1849 Rückblicke 25 a la baisse speculiren; Szarvady 1852 Paris l 79 Die Börse . . ist der Thurmwächter unserer Fortschritte, der ängstlich in's Hörn der Baisse stößt, so wie sich ein Feind der Zugbrücke des alten Systemes auch nur von Ferne naht; 1855 Prutz' Museum I 437 jener „passive Widerstand" der Baissespeculanten; Mundt 1857 Kaiser-Skizzen l 76 die Nachricht von dem ungeheuren Verluste, der ihn durch die eingetretene Baisse betroffen; Steinmann 1857 Rothschild l 225 Anm. In der Börsensprache bezeichnet Hausse des Spekulieren auf das Steigen, Baisse jenes auf das Fallen der Papiere; Douai 1864 Union 215 Die Börsengeschäfte sind durch gar kein Gesetz vor dem Schwindel der Zeitkäufe und Verkäufe, der großen Kombinationen für Hausse und Baisse . . und anderem Börsenspiel bewahrt; Goltz 1869 Weltklugheit U 73 Künste und Wissenschaften können dem nichts helfen, den die Hausse oder Baisse am Halse würgt; Springer 1877 Banquier 182 die gemischte Gesellschaft der Coulissenmänner, Glücksspieler von allen Religionen, . . Märtyrer der Baisse oder schamlose Betrüger; Nordau 1883 Lügen 243 Die Waffe mit der er [Spekulant] Produzenten und Konsumenten wie ein Buschklepper überfällt, ist doppelläufig und heißt „Hausse und Baisse"; Dahn 1895 Erinn. IV 2,185 So äußerlich und erbärmlich darf man sich doch überhaupt das Schaffen eines Poeten nicht vorstellen, daß er wie ein Börsenjobber oder ein Lustspielfabrikant . . bald auf die „Hauße" des „Patriotismus" bald auf dessen „Baiße", d. h. den „internationalen" Brei als „Modesache" speculirt; 1896 Grenzboten I 97 Profit durch Baisse; ebd. l 148 Die Baisse ist

die Tochter unserer hochentwickelten Verkehrseinrichtungen; 1897 Histor.-polit. Blätter CX/X 733 Die Raubritter unserer Zeit muss man an der Börse suchen, wo man mit Hausse und Baisse statt mit Hurrah und Halali Jagd macht; 1901 Stimmen d. Zeit LX 482 Tiefstand (Baisse) der Preise; Hantig 1920 Entartung d. Revolution 13 Baisse-Spekulantentum des nationalen Unglücks; Voss. Ztg. 27. 1. 1931 die schädlichen Wirkungen einer ungezügelten Baissespekulation; Dtsch. AZ. 30. 7. 1935 eine starke Baisse in den Preisen der Früchte, aus der Verkäufer aus dem nichtfranzösischen Ausland Nutzen ziehen können; Süddtsch. Ztg. 17. 7. 1956 jetzt spekulierte er auf Baisse; ebd. 10. 5. 1958 Die Baisse auf den Rohstoffmärkten traf viele Länder, die gute Kunden der deutschen Exportwirtschaft sind, was zu einem Rückgang der Auslandsaufträge führte; Frankf. Ztg. 16. 4. 1960 Reeder nutzen die Preisbaisse (Überschr.); Thielicke 1965 Ich glaube 10 was kann . . jene unsachgemäße Frage nach Hausse oder Baisse des Christentums schon bedeuten (DUDEN 1993); Welt 10. 5. 1969 Hausse und Baisse an der Börse; FAZ 31.7.1969 daß . . der Abschluß langfristiger Investment-Sparverträge .. viel „baissesicherer" sei; ebd. 9. 1. 1970 Die ungemein starke Position der SPD . ., die bei der Landtagswahl 1966 in der „Erhard-Baisse" 49,5 Prozent der Stimmen errang; N. Z. Z. 21.8. 1983 weil die während der fetten Jahre zurückgelegten Mittel nicht mehr ausreichten, um derart lang andauernde Baissen durchzustehen (DUDEN 1993); Zeit 5.4.1985 die öffentlichen Hände könnten mit gutem Grund für die schlimmen Rentenfolgen des Geburtenmangels geradestehen, weil sie als Ergebnis der Baby-Baisse ja auch hohe Investitionen für Kindergärten, Schulen und Universitäten sparten; MM 30. 5. 1986 die Baisse des Erdölpreises; ebd. 3. 10. 1986 während deutscher Pop und harter Gitarren-Rock eine Verkaufs-

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Bajadere

Baisse erlebten; Zeit 29. 5. 1987 wer in japanischen Aktien a la Baisse spekulieren will, muß an die Börse nach Singapore gehen; Stern 5.11.1987 wer finanziell dazu in der Lage ist, sollte durch gezielte Aktienkäufe an Baisse-Tagen sein Depot aufstokken; Spiegel 27. 9. 1993 die sozialen Rückstürze und politischen Atavismen, die von der Menschenbaisse auf dem Arbeitsmarkt jetzt schon angerichtet worden sind; ebd. 4. 7. 1994 Weil der Dollar sinkt, erwarten die meisten, er werde weiter sinken, mag die US-Wirtschaft noch so gut dastehen „Jede Äußerung wird ä la baisse interpretiert", sagt ein Bundesbanker. Baissier: 1836 Courtin 32 Leute, die sich mit solchen . . Speculationen befassen, nennt man Baissiers (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Szarvady 1852 Paris l 84 Die Haussiers werden bleich wie Kalk, während die Baissiers aufflammen; 1855 Prutz' Museum l 80 einem unschuldigen Russen, den man jüngst als Tendenz-Baissier ausweisen wollte, hatte man seit vielen Wochen jede Aeußerung abgelauscht und natürlich fast immer falsch interpretirt; Mundt 1857 Kaiser-Skizzen I 76 die Courtisane Estelle . ., die am Arme eines Baissiers . . erscheint; Douai 1864 Union 215 die Haussiers

heißen hier Bulls, die Baissiers Bears; 1867 Briefw. Roon — Perthes 98 Die übermorgen zur Annahme gelangende Adresse wird den baissiers einen vorübergehenden Vorteil bringen; 1896 Grenzboten l 97 Sobald sich die Neigung zu fallenden Preisen deutlich zeigt, entschließt sich der Baissier „mit dem Markt zu gehen"; Corti 1927 Rothschild 413 bei den Haaren herbeigezogene Zeitungsartikel, wie neulich in einigen französischen Blättern der Fall der Renten auch dem Hause Rothschild aufgebürdet worden ist, da die Baissiers nach Belieben aussprengten, dasselbe hätte alle seine Renten ä tout prix analysiert; Voss. Ztg. 27. 1. 1931 Kampf gegen die Baissiers (Überschr.); NZ. (Basel) 15. 12. 1949 Sogar die Baissiers . . wagten sich wieder hervor und bewirkten durch ihre Übernahmen sogar . . eine leichte Erholung der Staatspapiere; Girnth 1954 Spielen 12 der „Baissier", der auf eine rückläufige Preis- oder Kursentwicklung reflektiert; Zeit 19. 7. 1985 die Baissiers dagegen sehen das Ende der dreijährigen Hausse für gekommen; MM 31. 10.1987 die „Bären", wie die New Yorker Börse ihre Baissiers nennt; ebd. 9.1.1988 das „Heraufreden" des Dollars, wie es die Notenbankpolitiker in den letzten Tagen praktiziert haben, reicht allenfalls aus, den Baissiers vorübergehend das Handwerk zu legen. OV

Bajadere F. (-; -n), Ende 18. Jh. entlehnt aus frz. bayadere 'Tänzerin' (< gleichbed. port, bailadeira, zu bailar 'tanzen' < gleichbed. spätlat. ballare; —» Ball, —> Ballett). In der Bed. '(sowohl die für den Tempeldienst geweihte als auch bei privaten Festlichkeiten auftretende) indische Tänzerin', bekannt auch durch Goethes „Der Gott und die Bajadere", im 20. Jh. auch allgemein für '(grazile) Tänzerin' (s. Belege 1939, 1951); dazu Anfang 20. Jh. die adj. Gelegenheitsableitungen bajaderenhaft und bajaderisch 'in Art und Weise einer Bajadere'. Bajadere: Goethe 1797 Tagebücher (WA 111 2,72) Morgens verschiedne Briefe. Ram und die Bajadere. Das Vampyrische Gedicht abgeschrieben; Herder 1802 Adrastea 111 (S. W. XXlll 497) Der Dienst der Bajaderen endlich, ihr Venusdienst an Göttertempeln, der ihnen heilige Lingam; Goethe 1810 Tagebücher (WA III 4,151) Bey demselben zur Tafel . . Nachher Taschenspieler und Bajadere; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. 111) Ternauxs Kaschmirshawls werden sogar im Orient begehrt und die Schönheiten des Serails in Konstantinopel, die indischen Bajaderen und die Frauen in Persien schmücken sich damit; Goethe 1824 D. drei Parias (WA I 41.2,100) Früher schon war lyrisch dargestellt, wie eine Bajadere als Glied dieses verworfenen Geschlechts durch leidenschaftliche Liebe, durch Anhänglichkeit an ein

göttliches Wesen bis in den Flammentod sich selbst zur Göttin erhoben; 1830 ff. Völker-Gallerte I 74 Bajaderen oder Balliaderen, d. h. Tänzerinnen; 1836 Atlas I 113 Während des Tanzes wissen die Bayaderen diesen Schleyer so geschickt zu handhaben, daß er ihre Reize ungemein erhöht; Fallmerayer 1839 Fragmente (l 64) citherspielenden Bajaderen; 1846 Urania 23 war schon nicht mehr jung, als sie jene Bajaderentänze ausführte; Leuthold 1848—76 Gedichte 67 eine schlanke lose Bajadere; Waldau 1859 Böhm. Nationaltänze l 78 die Bajaderentänze des Orients; Werther 1861 Kl. Deutschland II 21 Nanny hatte das Gewand einer Bajadere angethan; Springer 1870 Berl. Prospecte 90 Eine Nätherin ist ein sehr anziehendes Geschöpf: bei Tag eine Magdalena und des Abends eine Bajadere; Kussmaul 1899 Jugenderinn. 322 Das Alles hatte,

Bajazzo es war die reine Wahrheit, eine Bajadere mit ihrem Tanzen gethan; Höhne 1928 Reportage 24 Dumpfe, leise Akkorde schreiten, unsichtbare Bajaderen, auf Zehenspitzen durch den Raum, sich vor einem verschleierten Götterbild neigend; ebd. 106 Jova erwachte mit süßdämmernden Bajaderenaugen; Dtsch. AZ. 22. 8. 1935 Zum größten Teil sind die Tanzschöpfungen religiösen Inhalts und die Bajadere werden immer mit großem Applaus von dem Publikum bedacht; Miinch. N. N. 11. 12. 1939 Als Bajadere lernte sie den Josef kennen; Munch. Stadtanz. 26.1. 1951 Die schönsten Frauen von München haben ihm Kußhände zuge-

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worfen, zarte Bajaderen und wohlgeformte HawaiMädchen haben sich für einige Augenblicke lachend auf seinen Schoß gesetzt. bajaderenhaft: Schtnitz 1914 Frankreich 41 wo man ein bajaderenhaftes Hinträumen in üppigem Müssiggang erwarten müsste. bajaderisch: Holz 1913 Ignorabimus 369 [Die sich] der unerhört unzartesten .. Allotriis hingaben . . bajaderisch sich windend, succubisch glühäugig lächelnd, luparisch nackt. OV

Bajazzo M. (-s; -s, selten Bajazzi), im späten 18. Jh. entlehnt aus venezian. pajazzo, ital. pagliaccio 'Hanswurst, Gaukler', eigentlich 'Strohsack' (zu venezian. paja, ital. paglia 'Stroh' < lat. palea 'Spreu'), selten auch in der Form Bajaz(z) und regionalspr. Poiatz, Peiatz sowie unter Einfluß von frz. patlasse gebucht auch Bajass. Ursprünglich Bezeichnung für die stehende Bedientenfigur in der alten italienischen Volkskomödie, so genannt wegen ihrer strohsackähnlichen Bekleidung, dann allgemein für 'Hanswurst, Narr, Possenreißer, Spaßmacher bei umherziehenden Schauspiel- und Akrobatentruppen' (—+ Clown, —» Harlekin, vgl. auch Pierrot 'komische Figur, bes. der französischen Pantomime'); populär geworden mit Leoncavallos Oper „Der Bajazzo" (1892); gelegentlich auch übertragen (s. Belege 1931, 1987, 1989, 1995). Dazu die adj. Gelegenheitsableitungen bajazzisch (früheres 19. Jh.) und gleichbed. bajazzohaft (früheres 20. Jh.) in der Bed. 'in der Art und Weise eines Bajazzos, wie ein solcher aussehend, wirkend'. Bajazzo: Alxinger 1784 Poet. Sehr. 146 Und wiehert einem wahrhaft kaiserlich/ Besoldeten Bajazzo Fuora zu; Timtne 1785 Luftbaumeister l 193 Sie werden weit besser thun, wenn sie die Buden besuchen, wo Bajazzo sich lustig macht; Heinse 1794 H. v. Hohenthal (V 215) Er warf sich auf alle Weise überwunden ihr zu Füßen, und sagte: „Ihr Bajazzo bin ich, und weiter nichts."; Schaller 1808 Stuziade III 72 Dort gaukelt ein — Bajazzo; Brentano 1819 W. III 394 Diese holden Dichtungen fangen an, die Leute wie Kunstreiter zu langweilen, wo die Pferde die Hauptrolle im ewigen kurzen Galopp spielen, die Springer immer dasselbe machen und die Laune des Bajaz nicht die beste ist; Hauff 1827 Kontroverspredigt (S. W. XII 194) daß die große Menge nur immer dem Marktschreier folgt, weil er köstliche Zoten spricht und sein Bajazzo possierliche Sprünge macht; Pückler-Muskau 1831 Er. e. Verstorbenen I 214 Noch ergötzlicher waren zwei unnachahmliche Clowns (Bajazzi); Glassbrenner 1836 Bilder II 93 Sie lassen sich gewiß durch die Spaße der beiden Bajazzos in die Taschenspieler-Bude locken; Freytag 1846 Valentine (I 170) Wer die wenigsten [Ringe] hat, wird

Bajazzo des Festes und hat das Recht, den Damen Sottisen zu sagen, die Rolle ist amüsanter; Szarvady 1852 Paris I 152 Maske dieses possenreißenden Bajazzo; Ntendorf 1854 Paris 31 hielt man kleine Bajazzos [Puppen] feil; Kossak 1855 Stereoskopen 36 wie ein Bajazzo balancirend; Waldau 1859 Böhm. Nationaltänze 75 Da ist vor allen ändern der Bajazzo . ., der durch seine etwas plumpen und derben Spässe die lachenden Zuschauer fesselt; Bern 1875 Auf schwankem Grunde 101 Der Bajazzo beleuchtete mit einer Fackel ihre blassen, unentstellten Züge; Gutzkow 1878 Schwulst 50 ein hämischer Strassenbajazzo zur Carnevalszeit; Hansjakob 1879-1909 Jugendzeit l 133 So, von lustigen Bajazzis umsprungen, besuchte die närrische Kinderwelt den Oberamtmann Dilger; Freytag 1887 Erinn. 63 Bajazzo! Oft habe ich seitdem diesen Charakter der Sägespäne gesehen, aber niemals war er so lustig; Th. Mann 1897 Erz. (W. VIII 113) seine Begabung, von der du sprichst, ist eine Art von Bajazzobegabung, wobei ich mich beeile, hinzuzufügen, daß ich dergleichen durchaus nicht unterschätze; ebd. VIII 140 ein Ende machen: aber wäre das nicht beinahe zu heldenhaft für einen Ba-

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Bajonett

jazzo?; ders. 1901 Buddenbrooks (W. I 225) besaß dieser Bajazz ein Gewissen?; Berl. lllustr. Nachtausg. 10. 10. 1931 Erwin ist ein Kind der - Arbeitslosigkeit, ein Bajazzo unserer Notzeit; Welt 13. 7.1974 Eutiner Sommerspiele: Freitag, 19.7. 20.00 Uhr: der Bajazzo; MM 12. 10. 1987 „mir scheint", schrieb Verdi am 28. Februar 1874 an Camille du Locle, „daß ich ein ernster Mensch geworden und nicht mehr der Bajazzo des Publikums bin"; Bild 20. 10. 1989 der lachende BajazzoCharme des trinkfreudigen Salonsozialisten soll für eine Übergangszeit das altersschwache Politbüro jugendlich kostümieren; Spiegel 21. 11. 1994

Bembel-Bajazzo Heinz Schenk; ebd. 27. 2. 1995 Seine Kollegen und Studenten amüsieren sich über ihn, für sie ist er ein Bajazzo, ein Clown. bajazzisch: Arndt 1840 S. W. l 27 ein kleines zierliches Knechtchen meines Vaters . ., welches wegen seiner abenteuerlichen und bajazzischen Streiche, Schnurren und Einfalle Jahre lang auf dem Hofe gehegt und etwas verhätschelt war. bajazzohaft: Hauptmann 1935 Ausgew. Prosa 111 380 Aus dem Versteck meiner Innerlichkeit tauchten . . wunderlich bajazzohafte Züge auf. OV

Bajonett N. (-(e)s; -e, älter auch -s), früher selten auch F., Ende 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. baionette F., älter bayonette (dem subst. Adj. von Bayonne, dem Namen einer südfrz. Stadt, in der die Waffe erstmals hergestellt wurde), anfangs auch in Schreibformen wie Bayonette, Bagonett(e). a Als waffentechnischer Terminus in der Bed. 'an der Seite getragene, auf den Gewehrlauf aufsetzbare, lanzenähnliche Hieb-, Stoß- und Stichwaffe mit zwei- bis vierschneidiger Stahlklinge; Seitengewehr', öfters als Bestimmungswort in Zss. wie Bajonettangriff, -attacke 'Massenangriff mit Bajonetten, um den Feind aus seiner Position zu werfen', häufig in Wendungen wie das Bajonett aufpflanzen 'das Bajonett auf den Gewehrlauf stecken', das Bajonett fällen, vorstrecken, senken, auch bildlich verwendet sich auf die Bajonette stützen 'sich auf militärische Gewalt stützen', daher seit Anfang 19. Jh. gelegentlich auch metonymisch für (mit Bajonetten bewaffnete) Soldaten (s. Belege 1803, 1815, 1936), vgl. Zss. wie Bajonettpolitik und Syntagmen wie bajonettgestützte ('auf militärische Macht/Gewalt gestützte') Herrschaft (s. Beleg 1993). Dazu die im früheren 18. Jh. (WEBER) gebuchte, selten bezeugte Ableitung bajonettieren V. intrans. in der Bed. 'mit dem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett fechten', um 1830 als bes. Zweig der militärischen Ausbildung von Infanteristen in Europa eingeführt, auch 'die Stoßklinge auf einen Gewehrlauf stecken'; Anfang 20. Jh. die Gelegenheitsableitung Bajonettismus. b In Anlehnung an die Art, wie das Bajonett (vgl. a) auf das Gewehr gesteckt wird, seit spätem 19. Jh. als Terminus der Technik in der Bed. 'feste, doch leicht lösbare Verbindung von rohrförmigen Teilen in vertikaler Richtung', angewandt z. B. als Schlauchkupplung für Feuerlöschschläuche, als Objektivfassung für Kameras und bei Lampen, meist in Zss. wie Bajonettverbindung, -Verschluß, -anschluß, -fassung. Bajonett a: Scheibner 1695 Avisen-Curier o. S. Bayonnette, ein Dolch (BRUNT); Gruber 1697 Kriegs-Disziplin l 10 und man an deren Stell Musquetiers oder Fuseliers mit Bajonetten und Spanischen Reitern brauchet; ders. 1699 Politica 42 Für das Fußvolck ist nicht bessere als Flinten mit einem Bajonet (BRUNT); 1703 Fama II150 wurde .. vorgeschlagen/ die Piquen bey den Fuß Völckern abzuschaffen/ und denselben dargegen Flinten und Bayonetten zu geben (BRUNT); Fleming 1710 Sol-

dat 199 die Bagonette, so man auf die Flinte steckt; Wagner 1724 Soldatenbibl. 225 als unsere heutige Mußquetier Bagonette tragen; ebd. 229 die Pieken seyn nunmehro abgeschafft, davor hat man die Bagonettes, so man auf die Flinten steckt; Fleming 1726 Soldat 145 Sein Ober-Gewehr ist eine Flinte, die ihm mit der Mündung den Augen gleich seyn muß, worauf ein numerirt Stilet oder Bajonet gehörig; Belemnon 1728 Bauernlex. 30 Bajonet. Ein kurzes Seiten-Gewehr, welches auff die Flinten ge-

Bajonett pfantzet [!] wird; Göcking 1734 Saltzb. Emigrations-Gesch. l 217 stachen ihm mit dem Bajonett in den Arm; Richter 1738 Kriminalprozeß 302 20. Grenadiers, die mit gepflantzten Banjonetten [!] auf dem Arm/ um den Katsen marchiren; Schönaich 1754 Ästhetik 135 Es ist ein Wunder, daß der Herr Kriegsbaumeister Naumann nicht das Bajonet bey den nimrodischen Kriegsleuten eingeführet hat; Lessing 1769 Br. antiqu. Inh. (S. Sehr. X 352) Zudem ist wirklich die schiefe Richtung des aufgepflanzten und mit der Kolbe des Gewehrs gegen die Erde gesteiften Bajonets dem ansprengenden Pferde gefährlicher; Michaelis 1773 Raisonnement HI 314 das mörderische Bajonet, das in den grossen Schlachten der Kriege seit 1740 so entscheidende Wirkung gethan; Lenz 1776 Waldbruder (NL LXXX 193) Mit diesem Talisman [Bild] in tausend bloße Bajonetter zu stürzen; Riesbeck 1783 Br. I 238 Ein Stokböhme foderte mit aufgepflanzter Bayonnette die Pässe und Kundschaften ein; Heynatz 1796 Antibarbarus H 454 das Stoßeisen für Bajonett; Berenhorst 1798 Kriegskunst 412 f. alle Bajonnette nämlich sollen mitten in der Brust oder im Unterleibe der Reuter stecken bleiben; Seume 1803 Spaziergang (W. 1469) Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den Zapfenstreich, ohne daß ein einziges Bajonett dabei gewesen wäre; ebd. l 516 f. niemand hat die Macht, dem Allmächtigen zu widerstehen, der den Bajonetten befiehlt; 1815 Fahnenbergs Magazin VI 294 In dieser Freiheit des Handelns, die der Fürst seinem Volke angedeihen lässt, und nicht in der Zahl der Bajonette, muss er seine Grosse, seinen Ruhm, seine Stütze suchen; Goethe 1822 Catnpagne (WA I 33,59) Diese Unordnung gab völlig den Begriff eines Wasserfalls, eine Unzahl durch einander hin und wiederblinkender Bajonette bezeichneten die lebhafteste Bewegung; Schtnitz 1825 Die Bajonetfechtkunst oder Lehre des Verhaltens mit dem Infanterie-Gewehre als Angriffs- und VertheidigungsWaffe (Titel); Laube 1836 Reisenovellen III 80 und dann wäre kein civilisierter Unterleib sicher vor der langen Muskete mit dem langen Bayonnet; Brass 1849 Freiheitskampf 3 unter dem Schutz der fremden Bayonnette; ebd. 5 während dort ein edles, kräftiges Volk unter den übermächtigen Bayonnetten der preussischen Soldateska verblutete; Wickede 1854 Soldatenleben II 144 Einen solchen Bajonnettengeist, wie ihn mehrere Abtheilungen dieser englischen Legion . . zeigten; Kossak 1855 Stereoskopen 77 alle diese Kanonen, Bajonette, Schwerter und Harnische; 1858 Grenzboten l 238 aber der Spruch behält doch seine Wahrheit, dass man sich wol auf Bajonette lehnen, doch nicht setzen könne; 1859 Hausblätter III 147 Bajonnetangriffe der Kaiser-Jäger; Raumer 1861 Leben l 111 die . . Absicht, die neuen Staatspapiere nöthigen-

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falls durch Bajonnete auf oder über Pari zu erhalten; Grabowski 1863 Off. 29 „Ich ging dem Feinde also gerade auf den Leib, gab eine Salve und machte dann eine entscheidende Bajonettattaque"; Mahler 1864 Über die Eider 255 Ein anderer Herr der Gesellschaft fand einen, allerdings schon sehr mangelhaften dänischen Säbel, während ich eine lederne Bajonnetscheide dem dicken Herrn B. verehrte, dem das Bücken augenscheinlich allzusauer wurde; 1870 Magazin d. Ausld. 487 wir wissen aus schmerzlicher Erfahrung, daß eine französische Regierung, die sich unter dem Schütze fremder Bajonette erhebt, von vornherein der Ohnmacht verfallen ist; Freytag 1877 Erinn. 142 ich chargirte und sprang im Bajonettfechten jedem Feinde verderblich umher; Schmidt 1878 Portraits 122 nur den Bajonetten weichen!; Eyth 1904 Strom 391 die Sicherung der Herrschaft der republikanischen Partei mit Hilfe einer auf Bayonette gestützten Negerherrschaft, fängt an, bittere Früchte zu tragen; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 86) zehn Schritte vom Feinde ihm „eine starke Salve in die Nase geben und darauf sofort demselben mit den Bajonetts in die Rippen sitzen"; ders. 1924 Zauberberg (W. III 991) sie müssen als Nachschub mit ihren Bajonetten den Sturm auf die Gräben vor und hinter der Hügelzeile, auf die brennenden Dörfer entscheiden; Uexküll 1936 Welten 173 Die berühmte Redensart: „Nicht auf Bajonetten, sondern auf der Liebe eines freien Volkes beruht die wahre Macht des Herrschers"; Welt 22. 7. 1949 die drei Jungen . ., die mir freimütig zugaben, daß sie vor fünf Jahren, als sie in Dachau die Greuel gesehen hatten, am liebsten auch jedem Deutschen ein Bajonett in den Bauch gerammt hätten; RosenstockHuessy 1951 Ref. 7 Wir weichen nur der Gewalt der Bajonette; Zeit 13. 6. 1986 die von .. Sklaven gehaltenen, aufs Gewehr gepflanzten Bajonette; Spiegel 19. 4. 1993 Im Osten der Stadt durfte der „Alte Fritz" . . wieder auf seinem Denkmal reiten — für den SED-Staat, der, abgrenzungsbesessen, seit Beginn der Bonner Ostpolitik .. fieberhaft und recht beliebig aus der Vergangenheit schöpfte, was nur irgendwie geeignet schien, der bajonettgestützten Herrschaft ideologischen Halt zu geben; ebd. 10. 4. 1995 [er] reicht die Vorräte heraus: vier Kalaschnikows, drei Karabiner,. . Patronenmagazine, ein Bajonett und ein Infrarot-Nachtsichtgerät. bajonettieren: Wilhelm //. 1888-98 Kaiserworte 49 Ich habe mit besonderer Freude bemerkt, wie die einzelnen Paare (bei dem Bajonettieren) so kräftig und energisch aufeinander losgingen; Vring 1928 Dehls 107 Er gab nicht nach. Bajonettierte mit einem Leutnant, gab ihm einen Stoß zurück,

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Bakkalaureus

daß er vier Tage das Bett hüten mußte; Wolf 1964 Fortsetzung 251 eine etwa gleiche Zahl von Toten beider Seiten bedeckt den Boden des Vordergrunds, wo ein dUnner Wasserlauf sichtbar ist, in dem die Köpfe und Leiber der Erschossenen Erschlagenen Bajonettierten liegen. Bajonettismus: Kussmaul 1903 ]ugenderinn, 171 Schlangennetz des Bajonettismus, das sich um das Mark der Nation gelegt hat.

Bajonett b: 1880 Brockhaus l 383 Bajonettverschluß, eine leicht lösbare Verbindung von Stangen, Rohren oder Hülsen, ähnlich der Verbindung von Bajonett und Gewehrlauf; 1933—34 Verd. techn. frw. o. S, Bajonettverschluß Drehverschluß, Winkelschlitz(verschluß); 1987 ADAC-Motorwelt 41 wie alle Nikon-Spiegelreflexkameras hat auch die F-501 das bewährte Bajonett für alle NikonObjektive (DUDEN 1993); Spiegel 28. 6. 1993 das von einem Bajonettverschluß gehaltene Hörgerät. OV

Bakkalaureus M. (-; Bakkalaurei, häufig auch mit eingedeutschtem Pl. Bakkalaurien), im frühen 15. Jh. entlehnt aus mlat. baccalaureus 'jmd., der den untersten akademischen Grad erreicht hat, bes. im Studium der Theologie, Jurisprudenz und Medizin', wohl unter Einfluß von lat. bacca laurea bzw. lauri 'Lorbeerbeere' (zu laureus 'vom Lorbeerbaum, Lorbeer-' bzw. zu laurus 'Lorbeer(-baum); Lorbeerkranz') umgedeutet aus baccalarius 'der von einer weltlichen oder geistlichen Herrschaft abhängige Lehensmann, Ritter, Knappe', weitere Herkunft unsicher (vgl. (alt-)frz. bachelier 'Edelknappe', abgeleitet von has chevalier), anfangs auch häufig die (oft lat. flekt.) Formen Baccalaurius, Baccalarius und eingedeutscht Baccala(u)rie (eventuell auch herzuleiten aus lat. baculus 'Stab, Stock', eigentlich 'Stabskandidat', da seit dem 12. Jh. der akademische Kandidat einen weißen Stab bekam, oder aus baculus 'Schulstock' als Abzeichen des Lehrers (NYSTRÖM), daher selten auch in den Formen Bacularius, Baculierer, Baccular(er), Bacillarius). Zunächst in der Bed. 'Inhaber des untersten akademischen Grades (an einer Hochschule), Halbgelehrter, Halbmeister der freien Künste', speziell in bezug auf die Fächer der Artes liberales (—» Artist a), dem heutigen Abitur entsprechend (—» Abitur; s. Belege 1418, 1690, 1711). Daneben von Mitte 15. bis 19. Jh. in der nur im Dtsch. entwickelten Bed. 'Hilfslehrer', zunächst als Bezeichnung für einen Gehilfen des Rektors (s. Beleg 1485), dann allmähliche Entwertung des Titels und Übergang zur Amtsbezeichnung für die unterste Lehrkraft an einer Schule, die (im Ggs. zu Lehrern mit abgeschlossener (Theologie-)Ausbildung) nicht den Bildungsgang an einer Hochschule durchlaufen haben mußte, sondern nur die Bakkalaureatsprüfung abgelegt hatte (s. Belege 1500, 1523, 1721, 1726). Heute nur noch in Frankreich, England und den USA als Bezeichnung für den niedrigsten akademischen Grad an Universitäten und Hochschulen verwendet (vgl. engl. bachelor), z. B. in den Titeln „Bachelor of Arts", abgekürzt B. A. (an der philosophischen Fakultät), „Bachelor of Science", abgekürzt B. S(c). (Naturwissenschaften), sowie (speziell in Frankreich) als Bezeichnung für einen Schüler mit einem dem Abitur entsprechenden Schulabschluß (vgl. frz. bachelier 'Abiturient'). Dazu seit frühem 16. Jh. die subst. Ableitung Bakkalaureat N. (-(e)s; -e) als Bezeichnung für den untersten akademischen Grad und seit früherem 19. Jh. die nur gebuchte verbale Ableitung bakkalaureieren 'Bakkalaureus werden (wollen)'. Bakkalaureus: 1418 Volkslied (Liliencron l 239) In all den künsten, wil ich raten,/ sind ze Constenz licenciaten,/ in iedlicher kunst besunder,/ lau dich das nit dünken wunder;/ vil baccalarii und Studen-

ten in aller kunst gen Constenz lendten,/ gardianos und priores,/ vil gelerter weis lectores; um 1430 Chronik Conz. 128 Nach den rossen rittend die baculierer des baupstes, die procuratores, die nota-

Bakkalaureus rii und söllich volk des baupsts (FRNHD. WB); 1446 (1877 Gesch.qu. Wien II 143) drei wacalarii aus dem Studentenhaus; ebd. mit dem ietz obgenannten baccularien (beide MÖLLER); Niclas v. Wyle 1478 Transl. 9 auch etlich baccalary .. zuo tische in min cost wurden verdinget; Braunscbw. Scbulordn. 1478 M. G. P. I 22 Item schulten siik de mestere, ore baccalarii unde locaten tüchtigen holden vor oren scholeren (NYSTRÖM); 1484 (Urkundenb. Leipzig IX 36) meister adder baccalaureus were (MÖLLER); Stolle um 1485 Chronik 192 Item dar noch gingen der rector uß deme kaleyem, alle doctores, meistere, baccalarien vnnd Studenten; 1500 Lüneb. Schulordn. M. 330 De scholmester schall ock baccalarien und locaten entfangen (NYSTRÖM); 1500 Omd. Chrestomathie 15 Eynem baccalarien geistlicher schritt. Dem . . hern Johan Gans von Herbsteyn, der sieben freyen kunste magister, der heyligen geystlichen schrift baccalario formato vnnd des grossen collegy tzu Erffurdt collegiatenn (FRNHD. WB); Gerstenberg vor 1506 Chroniken 474 baccalarien unde vast andere gesel[len]; Pauli 1522 Schimpf I 316 Blind ward ein Baccularius. Es was ein Ordenßman, ein Baccularius, geboren von Wien, der het uffgeschlagen in der Stat Jdoni zuo disputieren; Protokoll d. Scholasters zu Hamburg 1523 Meyer 283 den Locaten vnnd Baccalaurien vnnd Schoolern (NYSTRÖM); 1528 (Schles. Kirchen- u. Schulordn. l 20) der dreier baccalaurien lohn soll sein ydem ein jar aus zwanzig mark; 1525 Breslauer Schulordn. (Bauch, Schulgesch. II 78) Item czum eyrsten haben wir geben dem schulmeyster 10 Mark und den 2 backelaryen auch 10 Mark (NYSTRÖM); Paracelsus 1537-38 S. W. I 12,480 Man sagt vil, ich sei gelerten leuten feint, doctoribus, magistris, baccalaureis, ratshern; Luther 1542 Exempel (W. Llll 250) zu Erffürt, da ich ein Junger Baccularius war; Frey 1556 Gartenges. 116 Das was ein grober baccalarius, was freilich mit der mistgabel und karst in die schul gangen; Verhandl. d. Salzb. Provinzialsynode 1562 M. G. P. XLI 336 deszgleichen auch mit gelerten, Catholischen, frumen schuelmaistern, Bacularen, vnd Coperatoribus statlich vnd wol fursehe (NYSTRÖM); Spangenberg 1563 Formularbüchlein 86 könnte Gott zu jeder Zeit fremde und ausländische, auch arme, geringe, verachtete Baccalaureos erwecken, die dennoch die Wahrheit unerschrocken und freudig darthun müssten, wie bei unsern Zeiten geschehen; Fischart 1572 Eulenspiegel ( 146) Die armen Baccalaurij,/ Die lieffen zu, gleich wie das Vieh./ Sie kamen ins Lectorium; 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksbücher 217) Doctor Faustus . . gehet eben an diesem Tag . . zu seinen vertraweten Gesellen, Magistris/ Baccalaureis/ vnn ändern Studenten mehr; Helber 1593 Syllabierbüchlein 29 Baccalauri; Theobald 1609 Hussi-

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tenkrieg 2 Johannes Huss/ der freyen Kunst Magister vnd heiliger Schrifft Baccalaureus; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 174 ein schlimmer Bachant, Baccalaureus oder Orator; Duez 1652 Nomencl. 154 Vn bacchelier, ein bacchalaurius; Weidner 1655 Apophthegmata IV 13 Kam von der hohen Schul von Paris zu hauß/ allda er Baccalaureus worden in den Rechten/ vnd trug etliche Jahr hernacher die Gloriam, oder Baccalaureats kap; Weise 1673 Erznarren 97 also ward der Praeceptor Classicus genant, der Cantor, Baccalarius, und infima & suprema Collega zugleich war; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 604 wie zu Zeiten .. man gewohnet gewesen die Baccalaureos zu examiniren; Happel 1690 Academ. Roman 864 da haben die Päpste . . ums Jahr Christi 1151. die Gradus erfunden und eingeführet/ dass die Baccalaureos, Magistros und Doctores gemacht; Lucae 1711 Helicon 54 Auf unsern Teutschen Universitäten hat man blößlich in der Philosophischen Facultät Baccalaureos; Pyritzer Schulordn. 1721 Mitteil. X 156 In der II. und III. Stunde treibet Dn. Baccalaureus ein gleiches — wie Sie nach den gemeinsten und leichtesten regulis Syntacticis ein Adjectivum mit dem Substantive, ein Verbum mit einem Nomine construiren; Ordn. d. Gymn. zu Greifswald 1726 Vormb. III 303 der Conrector, Cantor und Baccalaureus; ebd. die unterste Classe im Lesen unterweisen, wie vorhin von Baccalaureus gesagget ist (alle drei NYSTRÖM); 1738 Hamb. Berichte 513 daß wir in Teutschland in allen Faculteten Baccalaureos haben; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 51 Um diese Zeit kamen auch die sogenannten Gradus academici auf, nemlich eines Baccalaurei, Magistri, Licentiati und Doctoris; Bahrdt 1790 Gesch. l 20 Der Prediger mußte nun den Magister, den Bakalaur, den Professor Extraordinarius . . ernähren; Goethe 1794 Reineke Fuchs VIII 325 (WA l 50,325) [am Hof des Papstes] Schleifen und Wenden ist Notarius,/ Bakkalaureus beider Rechte; Savigny 1814 Beruf 138 Der Baccalaureus muß zwey Jahre . . studiert haben; Aurbacher 1835 Volksbüchlein II 39 Da nun Doctor Faustus seines Lebens Ende so nahe und gewiß sah, so schickte er zu seinen Bekannten, Magistris Baccalaureis und ändern Studenten mehr; Rötscher 1840 Philosophie d. Kunst III 81 Diese Einseitigkeit repräsentiert unser Baccalaureus; Gervinus 1853 Gesch. d. dtsch. Dichtung II 386 sie wollten keine Poeten, sondern Magister und Baccalaureen; Kriegk 1871 Bürgertum II 117 Ihm waren Unterlehrer beigegeben, welche Locaten hießen, manchmal aber auch hypodidascali, baccalaurei und substituti genannt wurden; Kaufmann 1896 Gesch. d. dtsch. Universitäten II 274 Man unterschied an den deutschen Universitäten wie in Frankreich drei Grade: 1. Baccalar, 2. Lizentiat und 3. Magister oder Doctor;

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Bakschisch

Keiper 1897 Neue urkundl. Beitr. z. Gesch. d. gelehrten Schulwesens in Zweibrücken 111 42 „Baccalaurius", eine gleichfalls aus dem Mittelalter überkommene Bezeichnung eines niedrigeren akademischen Grades; 1929 Handb. d. Englandkunde II 286 Schon am Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Examensvorschriften für den das Universitätsstudium abschließenden Bakkalaureusgrad . . umgestaltet; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 645) seine Freunde und vertrauten Gesellen, „Magistros, Baccalaureos und andere Studenten"; Seyppel 1967 Columbus 67 schließlich der Bakkalaureus-Titel im Juni vor Jahren. Bakkalaureat: Luther 1520 W. VI 460 die Biblien ist das erst, die feret mit dem Baccalariat dahin; Witzel 1534 Koch Q Darnach zwey gantze iar zu Erffurt ynn Collegio gestanden/ vnd daselbst nach dem Baccalaureat pro Magisterio ein zeit lang complirt; Trüber 1569 Br. 486 Ich hab ime das baccalaureat mit meinen zehen gülden ausgericht; Platter 1612 Sittengesch. (Ausg. Boos) 306 baccalaureats in der medicin zu Mompelier erlangt; Zincgref 1628 Spruch I 190 als er . . seinen Baccalaureat Brieff zeiget; Weidner 1655 Apophthegmata IV 13 Kam von der hohen Schul von Paris zu hauß/ allda er Baccalaureus worden in den Rechten/ vnd trug etliche Jahr hernacher die Gloriam, oder Baccalaureats kap; Lucae 1711 Helicon 54 In denen vorigen Seculis ambirten selbst Fürsten/ und Herren das Baccalaureat; 1738 Hamb. Berichte

513 seine im Februario erhaltene Baccalaureatwürde; Ranke 1839 Dtsch. Gesch. (I 195) die Bursen lösten sich auf, die Grade wurden nicht mehr gesucht: namentlich verschmähte man das Baccalaureat, das auch in Italien nicht gewöhnlich war; Tholuck 1853 Vorgesch. l 1,101 Diese Katechese gehörte zu den Examenforderungen des Baccalaureats; Nordau 1881 Paris l 196 der halbwüchsige Bursche . ., der vor seinem Baccalaureatsexamen steht; Hillebrand 1885 Culturgesch. 230 das, für den lehrenden Generalstab keineswegs genügende Gewähr bietende, Baccalaureat der Franzosen; Kaufmann 1896 Gesch. d. dtsch. Universitäten II 276 Der unterste Grad, das Baccalariat, wurde bisweilen nicht als Grad, sondern nur als eine Vorstufe für Lizenz und Doktorat bezeichnet; fönten 1926 Siebenquellen 208 [er] hatte eben das Bakkalaureat und wollte . . studieren; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 55) nach schon bestandenem Bakkalaureat bereitet er sich mit dem eisernen Fleiß . . auf die Ecole normale vor; Newald 1944 Probleme 331 Nach der vorgeschriebenen Zeit errang er die akademischen Grade, zu Jahresbeginn 1462 das Bakkalaureat; Süddtsch. Ztg. 15.12. 1958 Ein interministerieller Ausschuß hat die neuen Richtlinien des „Baccalaureat" (Abitur) festgelegt; Welskopf-Henrich 1967 Licht 191 Es wären fünf Mann und zwei Mädchen da, die jetzt das Baccalaureat gemacht haben; MM 3.8. 1985 ein französisches Baccalaureat; ebd. 29. 3. 1986 an den Nachmittagen büffeln die . . Toulonerinnen fürs Baccalaureat, das französische Abitur. OV

Bakschisch N. (-(e)s; -e), Anfang 17. Jh. vereinzelt, seit spätem 18. Jh. kontinuierlich belegte, über die oriental. Sprachen (arab. bahsis, türk. baksis) vermittelte Entlehnung aus pers. bahsis 'Geschenk' (zu bahsidan 'geben'; vgl. gleichbed., ebenfalls vereinzelt schon im 17. Jh. bezeugtes engl. baksheesh, bakshish und frz. bakchis, bakchich), selten auch in der Schreibung Bachschisch. In der Bed. 'kleines Geschenk, Almosen, kleinerer Geldbetrag, den man jmdm. als Trinkgeld oder für eine erwiesene Gefälligkeit gibt' (s. Belege 1846, 1872, 1990), auch übertragen für 'Bestechungsgeld' (s. Belege 1959, 1975). Wedel um 1600 Hausbuch 324 Ist glaublich, es habe der churfürst zu Sachsen zu einem weit ändern ende diß kriegsvolck, etwa dem kaiser, gegen den er nicht am besten affectioniret und wenig obedienz geleistet, ein backsis zu bringen; Norden 1779 Reise 382 Er war der erste und auch der letzte, der uns auf unsrer Reise einigen Dienst leistete, ohne vorher den Backsich zu fordern; Prokesch v. Osten 1825 (Kl. Sehr. V 124) Das Bakschisch oder Trinkgeld geht vom Bettler bis zum Sultan, und wechselt da höchstens den Namen; Hackländer 1846 Reise in d. Orient I 66 um einen

geringen Bakschis davonzutragen; Wagner 1852 Persien I 300 forderte . . ein Bakschisch; Wallner 1872 Ufer 12 bringen . . mit unserem Gepäck nach dem Zollamte, wo das Wort „Bakschisch", welches uns durch den ganzen Orient begleitet, seinen ersten Zauber ausübt; ebd. 57 der einzige Unterschied ist, dass die Bewohner . . hier „Backschich", die Zigeuner aber „Trinkgeld" fordern; Langhals 1872 Orient 201 Der Ansässige weiß aber ganz gut, diese schwimmenden Bakschischjäger durch eine gewisse Geste fern zu halten; Kürnberger 1874 Siegelringe 224 das berühmte Österreichische Trink-

Bakterie geld, Asiatisch: Bakschisch; Wegener 1896 Andalusien 307 das richtige Beschwörungswort.., das allmächtige; derjenige unter meinen Lesern, der im Orient gereist ist, weiss, dass es dort „Bakschisch" heisst; Höck/Pertsch 1898 Forchhammer 235 Ich hatte schon längst mit Geld in der Tasche gerasselt und hörte Einen dem Ändern zuflüstern: Backschisch, die Forderung wurde bald ohne Umstände an mich gemacht; 1900 Grenzboten III 375 ein mark-und beinerschütterndes Bakschischgeheul [der Beduinen]; Queri 1912 Kraftbayrisch 147 „Eine Mass zahln" — das Wort „Halbi" habe ich in dieser bakschischfordernden Redensart nie gehört; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. XI 359) ich war behangen mit Arabern, Männern und Jungen . . sie haben nur einen Gedanken im Sinn: das Bakschisch, und sie machen dies Interesse mit allen Mitteln, worunter ein furchtbares Geschrei, gegen jedes andere geltend; Schlözer 1926 Menschen 253 unter Anwendung eines der ältesten Zaubermittel dieser Welt, des Bakschisch; Brod 1928 Zauberreich 370 Rührende Unschuld eines schwarzen Händchens, rasch hiingestreckt mit dem Ruf „Backschisch"; Höpker 1936 Rumänien 32 Korruption in ihrer Stufenleiter vom Bakschisch zum Großtrinkgeld des „Sperz"; Dtsch. AZ. 17. 6. 1944 Dennoch besteht der Wunsch, schon jetzt den

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neuen Geist, der die Sozialpolitik beseelen soll, sichtbar zu machen, .. und jetzt dem Arbeiter zwar kein „politisches Bakschisch", aber doch etwas Greifbares zukommen zu lassen; Offenburger Ztg. 22. 5. 1958 Ein Führer in einer Grotte wird wahrscheinlich beleidigt sein, wollte man ihm einen Backschisch zustecken; ebd. 1. 4. 1959 Manche Kaufleute geben ihren Geschäftspartnern gern einen „Bakschisch", den sie verschämt Rabatt, Provision oder Geschenk nennen; 1975 Spiegel Nr. 52 Zu den Hintermännern zählen orientalische Prominente, gegen Bakschisch drücken mancherorts Zöllner ein Auge zu; 1981 Spiegel Nr. 29 Bakschisch gegen Numerus clausus (beide DUDEN 1993); Zeit 19. 7. 1985 für mich lohnt sich das Geschäft nur mit Bakschisch; ebd. 25. 7. 1986 und noch Bakschisch drauf für den Tip, nicht in WestBerlin, sondern in Helmstedt über die Grenze zu gehen; Rhein. Merkur 30. 3. 1990 von jenem Gestell, das sie mit reichlich Bakschisch und guten Worten an den Türstehern vorbei in die Halle geschleppt hatten; 1990 Elle X 68 Es ist ein arger Fehler, kein Bakschisch zu geben; ein noch ärgerer, keines anzunehmen; Spiegel 10. 4. 1995 Bis zu drei Prozent der Auftragssumme ist Firmen nach den Ermittlungen die Information wert, wer die Mitbieter sind — bei zweistelligen Millionenbeträgen ein ordentliches Bakschisch. OV

Bakterie F. (-; meist -n), fachspr. auch Bakterium N. (-s; Bakterien), im früheren 19. Jh. über lat. bacterium N. 'Stäbchen, Stöckchen' entlehnt aus gleichbed. griech. N. (Diminutivform zu 'Stock, Stab, Stütze'; in lat. Form erstmals 1838 verwendet von Ch. G. Ehrenberg wegen des stäbchenförmigen Aussehens der Bakterien; —* Bazillus). Mit genauerer Erforschung der seit Mitte des 17. Jhs. beobachteten Kleinstlebewesen als Terminus der Medizin und Biologie eingeführt in der Bed. 'einzelliges, pflanzliches Lebewesen, Fadentierchen in Stäbchen-, Kugel- oder Schraubenform; Gärung, Fäulnis oder Krankheiten bewirkender pflanzlicher Mikroorganismus', häufig im Sinne von 'Krankheitserreger', gelegentlich auch übertragen gebraucht (s. Beleg 1955); häufig als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Bakterienherd, -infektion, -art, -befall, -kultur 'in einem Nährmedium gezüchtete Bakterien, Nährboden zum Züchten einer Bakterienkultur', -stamm, -zelle und Fäulnis-, Gärungs-, Milchsäurebakterien, oft in Verbindung mit Krankheitsbezeichnungen wie Diphterie-, Influenza-, Pest-, Ruhr-, Tuberkelbakterie(n), mit Hinweisen auf die Gestalt wie Faden-, Knöllchen-, Kugel-, Schrauben-, Stäbchenbakterie(n), in Verbindung mit Ortsbezeichnungen wie Boden-, Darm-, Mund-, Wasserbakterien; häufig in adj. Zss. wie bakterienbeständig 'widerstandsfähig gegen Bakterien', -hemmend, -schädlich, -tötend 'Bakterien zerstörend, abtötend', -verseucht, -frei; in Wendungen wie sich mit Bakterien infizieren, mit Bakterien verseucht sein. Dazu seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung bakteriell 'durch Bakterien hervorgerufen, sie betreffend' und die gleichbed. adj. Gelegenheitsableitung bakterisch, häufig

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Bakterie

in Wendungen wie bakterielle Infektion, Erkrankung, Zersetzung, etwas ist bakteriellen Ursprungs, daneben präfigierte Bildungen wie abakteriell (—+ a-Präfix), antibakteriell (—> anti-) 'bakterienbekämpfend, nicht bakterienverseucht' und Kombinationen wie mikrobakteriell. Seit Ende 19. Jh. die (aus Bakterio- und griech. 'Wort, Rede' gebildete) subst. Kombination Bakteriologie F. (-; ohne PL) in der Bed. 'Wissenschaft von den Bakterien, Erforschung von Bau, Lebens- und Verbreitungsweise der Bakterien sowie ihrer Wirkung als Krankheitserreger und bei der Herstellung und Konservierung von Nahrungsmitteln'; gleichzeitig die adj. Ableitung bakteriologisch 'auf der Bakteriologie beruhend, sie betreffend, zu ihr gehörig', häufig in Wendungen wie eine bakteriologische Untersuchung 'Untersuchung im Hinblick auf Bakterien', bakteriologischer Befund, bakteriologische Waffe 'Kampfstoff, der aus Kulturen von seuchenerregenden Bakterien besteht', bakteriologischer Krieg '(völkerrechtlich verbotener) Krieg, in dem biologische Waffen eingesetzt, insbes. Bakterien durch Bomben verbreitet werden', dafür auch Bakterienkrieg; seit Anfang 20. Jh. die Berufsbezeichnung Bakteriologe M. (-n; -n) 'Wissenschaftler auf dem Gebiet der Bakteriologie'. Im 20. Jh. Bakteri(o)- gebucht als erstes Glied von subst. und adj. fachspr. (Medizin) Kombinationen wie Bakteriolyse 'Auflösung von Bakterienzellen durch spezifische Antikörper', Bakteriose 'durch Bakterien verursachte Pflanzenkrankheit', Bakteriophage 'bakterienzerstörendes, virusartiges Gebilde', Bakteriostase 'Hemmung der Entwicklung und Vermehrung von Bakterien', bakteriostatisch 'das Wachstum und die Vermehrung von Bakterien hemmend', bakteriolytisch 'Bakterien zerstörend'; Anfang 20. Jh. das aus lat. bacterium und cidere 'erschlagen, töten' gebildete Adj. bakterizid 'so beschaffen, daß es (z. B. ein Mittel) Bakterien töten kann, gegen Bakterien wirksam', häufig in Wendungen wie bakterizide Wirkung, bakterizider Stoff, mit der subst. Ableitung Bakterizid N. (-(e)s; -e) 'bakterientötendes Mittel, bakterienhemmender Stoff. Bakterie/Bakterium: A. v. Humboldt 1845 Kosmos I 488 Bakterium . . kleine Infusorien (SANDERS 1871); Büchner 1882 Licht 287 Bakterien oder Spaltpilzen; 1883 Gaea 726 Auch die Spaltpilze oder die Bakterien nisten sich bekanntlich, wie die kleinen Algenzellen, mit großer Vorliebe auf Pflanzen und Thieren an; Nordau 1883 Lügen 227 Es ist der erste und vornehmste Lebensakt eines jeden organischen Wesens, von der Monade bis zum Elephanten, von der Bakterie bis zur Eiche, sich ausreichende Nahrung zu suchen; ders. 1885 Paradoxe 81 Der Hund ist viel merkwürdiger als das Aufgußthierchen und die Eiche als die Bacterie; Rosegger 1886 Ges. W. l 3,373 Vor Bakterien (Bazillen) . . habe ich keine Angst; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 357 Bakterien-Forschung; Kubner 1900 Hygiene 841 Cultur der Bakterien; Bölsche 1900 Liebesleben II 65 dieses Leben wieder für sich gesondert in das Bakterium, die Pflanze und das Tier; Benedikt 1903 Biomechan. Denken 15 Anm. Den unpassenden Ausdruck Bakterien wünsche ich durch jenen: „Seuchen-Zwerg-Zellen" ersetzt. Der übliche Ausdruck passt nicht einmal auf die Form

aller derartigen Körperchen, da nicht alle die Gestalt von Stäbchen haben; Haeckel 1913 Lebenswunder 231 Bacillen oder Rhabdobakterien (auch Eubakterien oder Bakterien im engeren Sinne); Baum 1928 Willfüer 33 sie . . nimmt . . die Tabelle über Bakterienfärbungen in die Hand und wandert hinüber zum Privatlaboratorium; Dtsch. AZ. 16. 9. 1935 Man hat nämlich entdeckt, daß Bakterien selber von unsichtbaren Vira mitunter zerstört, „aufgefressen" werden, und hat diese Krankheitserreger der Bakterien, die Bakteriophagen, genauer untersucht; N. Z. Z. 4. 9. 1943 Die große Kunst, qualitativ erstklassigen Käse zu fabrizieren, liegt darin, durch entsprechende gärungstechnische Maßnahmen das richtige Verhältnis der für die Käsegärung nötigen Milchsäurebakterien herzustellen; Süddtsch. Ztg. 16. 8. 1952 USA behalten sich Bakterienkrieg vor (Überschr.); 955 Saeculum VI 337 Die Massenmächte wie die anhängenden, oft noch unentwickelten Völker sind ein verlockender Nährboden des geistigen Bakterienkrieges; Welt 5. 2. 1964 je mehr Bakterien in den Mund gelangen, desto größer ist die Gefahr einer Karies; sol-

Bakterie ehe Bakterien werden nicht zuletzt beim Küssen übertragen; Stuttgarter Ztg. 15. 3. 1968 Die Untersuchungen Westphals dienten heute an Instituten der ganzen Welt als Basis für Arbeiten über Bakterienchemie, -biochemie und -genetik; MM 11. 1. 1985 das günstige Mikroklima der Höhle völlig trockene Luft, gleichbleibende Temperatur und das Fehlen von Fäulnisbakterien bewirkten den Mumifizierungsprozeß; ebd. 12. 1. 1985 Bakterien, genetisch manipuliert, liefern Diabetikern längst das benötigte menschliche Insulin; Zeit 20. 9. 1985 Penicilline sind immer noch die wichtigsten Bakterienkiller; ebd. 1. 11. 1985 wenn in einer Kläranlage eine Störung im Bakterienhaushalt eintritt, kann die Kläranlage die vorgeschriebenen Grenzwerte vorübergehend eventuell nicht mehr erfüllen; MM 5. 12. 1985 sie möchte als nächstes ein künstliches Bakterium in der Natur testen, das Pflanzenschädlinge vernichtet; ebd. 3. 9. 1987 die Verwendung bakterienhemmender Wirkstoffe in Zahncremes; Spiegel 21. 11. 1994 Verursacher waren Bakterien vom Typ Acinetobacter baumami . . Inzwischen allerdings hat das Bakterium auch schon Stämme entwickelt, die gegen Sulbactam resistent sind. bakteriell: 1927 Natur XVIII 312a ein bakterieller Krankheitsherd, der auf keine therapeutischen Maßnahmen mehr anspricht; LokalAnz. 22. 8. 1934 Bakterielle Lebensmittelvergiftung (Überschr.); MM 19. 8. 1985 in drei Fällen seien die Proben mikrobakteriell verschmutzt gewesen; ebd. 21. 8. 1985 eine durch Zecken übertragene bakterielle Infektion; Zeit 21. 3. 1986 bakterielle Infektionen lassen sich meistens durch gängige Antibiotika vergleichsweise gut beherrschen; Spiegel 27. 6. 1994 Fleming hatte das Penicillin entdeckt, ein Gift, mit dem der Schimmelpilz seine bakteriellen Nahrungskonkurrenten aus dem Feld schlägt. abakteriell: Weidenbach 1970 Pränatale Infektionen o. S. abakterielle Meningitis. antibakteriell: MM 13.5. 1985 Pilzstämme, die antibakterielle Aktivität entwickeln und Keime abtöten. Bakteriologe: Bonne 1901 Reinhaltung d. Gewässer 5 in welchen französische Bakteriologen Typhusbazillen im Trinkwasser gefunden haben wollen; Huret 1909 Berlin 261 ich glaube kaum, daß ihm morgen schon zwanzig Bakteriologen zur Verfügung stünden, die der Genickstarre zu Leibe gehen könnten; Berl. Illustr. Nachtausg. 9.3.1933 Geheimrat Professor Dr. Kleine als . . bedeutender

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Bakteriologe hält ebenfalls eine Krankheitsübertragung durch die Pharao-Ameise für so gut wie ausgeschlossen; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 189 als ich eines Tages . . bei meinem Freunde, .. dem Bruder des weltberühmten Bakteriologen August [Wassermann] . . speiste; Stuttgarter Ztg. 9. 7. 1966 Prozeß gegen den 33jährigen japanischen Bakteriologen . ., der wegen absichtlicher Verbreitung von Typhus- und Ruhrbazillen unter Anklage steht; Zeitmagazin 23. 10. 1970 ein halbes Jahrhundert früher hatte der Bakteriologe Robert Koch gewarnt: „Eines Tages wird der Mensch ebenso unerbittlich den Lärm bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest."; MM 12. 12. 1985 die führenden AidsForscher der westlichen Welt, Tropenmediziner, Mikrobiologen, Virologen, Bakteriologen .. trafen hier auf Ärzte und Regierungsvertreter aus 16 afrikanischen Ländern. Bakteriologie: Du Bois-Reymond 1892 Reden II 644 eine Untersuchung über das Wesen der Gärung und Fäulnis, welche zu den Inkunabeln der heutigen Bakteriologie zählt; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. 371 Das Eingreifen der Bakteriologie wurde zu einer Epoche in der Geschichte der Medizin, einer Epoche, die der Name Pasteur bezeichnet; Potenz 1900 Liebe 123 die neuesten Entdekkungen der Bakteriologie; Moll 1902 Ärztl. Ethik 483 bei aller Wertschätzung der Bakteriologie; Haeckel 1913 Lebenswunder 250 Wegen ihrer außerordentlichen praktischen Bedeutung sind bekanntlich diese zahlreichen Bakterien neuerdings Gegenstand eines besonderen Spezial-Zweiges der Biologie geworden, der Bakteriologie; Münch. N. N. 2. 11. 1939 Taten Robert Kochs auf dem Gebiet der Bakteriologie; Bamm 1956 Ex ovo 80 eine Fülle von objektiven Symptomen, die nur mit den Mitteln der Chemie, der Physik, der Bakteriologie, der Röntgenstrahlen festgestellt werden können; ebd. 204 Robert Koch ist einer der Schöpfer der modernen Bakteriologie; Zeit 13. 6. 1986 Kenntnisse und Berufserfahrungen auf den Gebieten der Biochemie, Biotechnologie und der Bakteriologie sind erwünscht (Anzeige). bakteriologisch: 1899 Dtsch. Rundsch. XCVII1114 Daher auch bei trockner Desinfection und Sterilisierung in bakteriologischen Instituten und Krankenhäusern sehr hohe Hitzegrade in Anwendung kommen; Rubner 1900 Hygiene 359 Bacteriologische Untersuchung des Wassers; Bonne 1901 Reinhaltung d. Gewässer 2 Aus den gleichen Gründen ist die bakteriologische Kontrollierung von Flusswasser . . als höchst unzuverlässig erwiesen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 870) ob diese Kleinen von den Meinen sich überhaupt bei Ihnen angesiedelt haben, muß die bakteriologische Blutun-

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tersuchung zeigen; Lokal-Anz. 15. 3. 1933 bakteriologische Untersuchungen hätten ergeben, daß das Wasser des Ganges in weniger als drei Stunden Cholerabazillen zu töten vermöge; 1938 Schweizer. Monatsschr. f. Offiziere aller Waffen 266 Der bakteriologische Krieg (Bazillenkrieg); Süddtsch. Ztg. 2. 8. 1952 eine von Polen vorgelegte Resolution .., durch die die Regierungen aller Länder aufgefordert werden, dem Genfer Protokoll vom 17.Juni 1952 beizutreten, in dem das Verbot der Anwendung bakteriologischer Kriegsmittel ausgesprochen wird; ebd. 16. 8. 1952 Die Vereinigten Staaten haben sich am Freitag das Recht auf die Anwendung bakteriologischer Kampfmittel zur Abwehr einer Aggression . . vorbehalten; ND 18. 3. 1964 der Bau großer Wasserwerke . ., in denen das Rohwasser physikalisch, chemisch und bakteriologisch aufbereitet wird; Welt 27. W. 1969 Massenvernichtungsmittel, wie etwa bakteriologische Waffen; Bäumler 1971 Zauberkugel o. S. zwei Jahre später hat Streptomycin in rasantem Tempo alle bakteriologischen, chemischen, pharmakologischen und klinischen Hürden genommen; Zeit 22. 2. 1985 die Kontrolle erfolgt nach anerkannten bakteriologischen Normen; ebd. 13. 9. 1985 ein mikrobakteriologisch verunreinigter Brunnen wird mit Hilfe von ultravioletter Bestrahlung „rein"; MM 27. 9. 1986

der Virus, ein potentielles Mittel der bakteriologischen Kriegführung, sei „extrem schädlich". bakterisch: 1946 Kontrollrat Deutschld. II 85 Hochgiftige Stoffe bakterischen oder pflanzlichen Ursprungs. bakterizid: 1901 Naturwiss. Wochenschr. 25 der bactericiden Wirkung des Formaldehyds; Frey 1904 Physiologie 41 Baktericide Wirkung des Serums; Lieske 1926 Bakterienkunde 190 Schwefel hat als Element kaum eine bakterizide Wirkung; Hamburger 1939 Neurosen 66 Wir haben dann immer von einem Salizylstoß gesprochen und uns den Erfolg . . mit bakterizider Wirkung erklärt; Siebeck 1949 Medizin 163 eine wesentliche Vermehrung [der Bazillen] wird durch die baktericiden Kräfte des Blutes verhindert; Welt 30. 7. 1949 Hansaplast Wund-Schnellverband wirkt „hochbakterizid" (Anzeige); Poschmann 1971 Massenrestaurierung o. S. die ausgezeichnete bakterizide Wirkung des Sterogenol. Bakterizid: 1967 Urania / 43 sicheren Schutz für Papiere aller Art vor Bakterien und anderen Kleinstlebewesen bietet ein neues . . Bakterizid. OV

Balance F. (-; selten -n), im früheren 17. Jh. entlehnt aus frz. balance 'Waage, Gleichgewicht; Bilanz' (wie ital. bilancia 'Waage' über vulgärlat. *bilancia zurückgehend auf spätlat. bilanx, Gen. bilancis, 'Waage mit zwei Waagschalen', aus lat. bi'zwei-, doppel-', —> bi-, und lanx 'Schüssel, Schale'; vgl. zum gleichen Etymon gehöriges —»· Bilanz), anfangs auch in der Schreibung Balantz. l Zunächst in der allgemeinen Bed. 'Gleichgewicht' (s. Belege 1648, 1673), im 17./ 18. Jh. bes. in der Wendung Balance von Europa (gebildet nach engl. balance of power 'Gleichgewicht der Kräfte' als Bezeichnung für einen Grundsatz der Diplomatie und Außenpolitik, die Vorherrschaft eines einzelnen Staates zu verhindern, vgl. auch frz. balance des pouvoirs, balance des nations) als politisches Schlagwort verwendet in bezug auf das Gleichgewicht zwischen zwei Armeen, zwei Staaten usw. (später übersetzt mit europäisches Gleichgewicht, s. Belege 1702, 1767), heute noch in der Wendung Politik der Balance, häufig als Grundwort in Zss. wie Macht-, Kräftebalance (s. Belege 1958, 1961, 1967). Seit Anfang 18. Jh. (ohne Pl.) auch als Ausdruck der Seiltänzer und Artisten (s. Belege 1708, 1720, 1836), häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Balancenummer, -akt 'Vorführung einer schwierigen Gleichgewichtsübung, Kunststück auf dem Seil', -künstler 'Artist, der Balanceakte ausführt', oft in Wendungen wie die Balance halten, verHeren, zurückgewinnen, aus der Balance kommen, sich in der Balance halten; auch allgemeiner und übertragen verwendet, häufig in Wendungen wie seelische, geistige Balance 'inneres Gleichgewicht', z. B. jmdn. aus der Balance bringen, die Balance (zwischen etwas) finden, etwas in die Balance bekommen, die Balance austarieren, etwas gerät aus der Balance, etwas (Schwieriges) wird zum Balanceakt und bes. politischer, finanzieller

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Balanceakt 'Verhalten in einer schwierigen finanziellen, heiklen politischen Situation, Gratwanderung zwischen verschiedenen Interessen, Institutionen'. 2 Schon im späteren 15. Jh. unter Einfluß von span, balanza, balanca vereinzelt, vom früheren 17. bis ins 19. Jh. häufiger als Terminus der Kaufmannssprache im Sinne von 'Gleichgewicht zweier Posten', z. B. Soll und Haben, Schulden und Forderungen, auch 'Rechnungsabschluß', als Nebenform von schon seit dem 15.716. Jh. gebräuchlichem —» Bilanz, häufig in der aus gleichbed. frz. balance du commerce lehnübersetzten Wendung Balance des Handels 'Gleichgewicht des Handels', vgl. Handelsbilanz. Dazu ebenfalls seit früherem 17. Jh. aus frz. balancer 'im Gleichgewicht halten, schwanken' entlehntes balancieren V. intrans., anfangs häufig und vereinzelt bis ins 19. Jh. in der Bed. '(gegeneinander) abwägen, vergleichen, gegenüberstellen; etwas überlegen, betrachten, schwanken, unschlüssig sein' (s. Belege 1705, 1779, 1871), vereinzelt auch unpersönlich gebraucht für 'noch unklar, unentschieden sein' (s. Beleg 1717); seit Anfang 18. Jh. in der heutigen Bed. 'das Gleichgewicht haltend gehen, das Gleichgewicht halten, (sich) im Gleichgewicht(szustand) halten', z. B. auf einem Seil, über Stämme, Felsen balancieren, bes. auch beim Gehen auf einer sehr schmalen Lauffläche, beim Tanzen, wenn ein Fuß schwebend gehalten wird und das Gewicht des Körpers auf der Fußspitze ruht (s. Belege 1792, 1834, 1880); seit frühem 19. Jh. auch als V. trans, in der Bed. 'etwas im Gleichgewicht halten' (—»jonglieren), z. B. ein Tablett balancieren, einen Korb auf dem Kopf balancieren (s. Belege 1826, 1829, 1834); im 20. Jh. die Präfixbildung ausbalancieren 'ins Gleichgewicht bringen'. Schon früh häufig übertragen verwendet für '(etwas) im Gleichgewicht halten, ausgleichen', in Wendungen wie zwischen Wahrheit und Zweifel balancieren, auf einem schmalen Grat, auf des Messers Schneide balancieren (s. Belege 1633, 1857), auch '(etwas) durch ein Gegengewicht aufwiegen, ausgleichen, einen Mittelweg, einen mittleren Standpunkt, einen Ausgleich zwischen entgegengesetzten Kräften finden' (s. Belege 1865, 1959, 1985), gelegentlich auch im Sinne von 'neutralisieren, kompensieren, aufheben' (s. Belege 1769, 1939, 1950) und 'sich die Waage halten, (an Qualität, Intensität) gleich, ebenbürtig sein' (s. Beleg 1951), speziell als Ausdruck der Malerei für 'Gegenstände auf einem Bild zur Erzielung eines ästhetischen Gleichgewichts räumlich differenziert, farblich abgestimmt ordnen' (s. Beleg 1831). Häufig als Bestimmungswort Balancier- in Zss. wie Balancierbalken, -Stange '(an den Enden mit Blei ausgegossene hölzerne) Stange zum besseren Halten des Gleichgewichts auf einem Seil oder Balken', -kunst, -künstler, -übung (zu 1). Vom späten 17. vereinzelt bis Anfang 20. Jh. gelegentlich in der Kaufmannssprache als V. trans, in der Bed. 'eine Rechnung ausgleichen, abschließen, die Richtigkeit einer Rechnung abwägen, Bilanz ziehen' (gleichbed. mit bilanzieren, —+ Bilanz) (zu 2). Dazu seit Anfang 18. Jh. aus frz. balancement 'Schwanken, Wiegen, Schaukeln' entlehntes Balancement N., zunächst für 'Betrachtung, Überlegung' (s. Belege 1709, 1727), dann fachspr. in der Musik gebucht in der Bed. 'Bebung, leichtes Schwanken der Tonhöhe bei Saiteninstrumenten', vereinzelt auch im Sinne von 'das Balancieren' (s. Beleg 1896); seit früherem 18. Jh. aus gleichbed. frz. balancier übernommenes Balancier M. (-s; -s) in der Bed. 'waagerechter Balken einer Waage; zweiarmige Schwinge als Hebel an Dampfmaschinen; Gangregler an Uhren, Unruhe'; im späten 18. Jh. die Personenbezeichnung Balancierer M. (-s; -) in der Bed. 'jmd., der Kunststücke auf dem Seil vorführt, Seiltänzer'; seit Anfang 19. Jh. das Verbalsubst. Balan-

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cierung F. (-; -en) in der Bed. 'Ausgleichung, Herstellung eines Gleichgewichtes', meist in der Präfixbildung Ausbalancierung; im 20. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Balanciertheit F. (-; ohne Pl.) (alle zu 1). Balance 1: Nicolai 1633 an Steinberger (Sonden 361) wan sie können Dennemarck auff die balance haben, solle er nicht allein dass aequilibrium machen; Klaj-Birken 1645 Fortsetzung 94 Bedenckt ihr meine Brunst/ Maistresse, mit balanz; Hille 1647 Palmenbaum 125 der balance des verkehrenden Glüks mich submittiren (alle JONES); Chemnitz 1648 Krieg l 207 b vnd nicht vermeinten/ daß die . . Schweden/ vnd . . Chur Sächsische Knechte ihnen die Balance halten . . sollen; Pastorius 1659 Florus I 327 were die balance noch frey . . die muste man wol in acht nehmen/ daß sie nicht auff ein oder ander Theil prepondierte; 1673 Rath-Stube Ciij r umb bey Schweden die Inclination . . Wagrecht in der Balance zu halten (alle drei BRUNT); Ziegler 1697 Staats-Phant. l 25 Und ob er wohl das Wachsthum des Hauses Oesterreich bey jetzigem Ungarischen Kriege besorget/ so wäre doch solche Macht schon ohne seine Vorsorge in der Balance geblieben; 1702 Fama I 721 die Balance von Europa wäre dahin (BRUNT); 1702 Europäische Fama 187 biß die Balance von Europa bey dem Hause Oesterreich wiederum aufgerichtet sey (GANZ); Leib 1708 Zweite Probe 24 So höret man auch bey denen Exercitien-Meistern selbst fast auf nichts gewöhnlicher als die Balance (BRUNT); 1716 Neuaufgest. Fama 5 einem so ungerechten Feinde die Balance zu halten; Hübner 1717 Conversationslex. o. S. Dieses Wort wird in Staats-Sachen Gleichnißweise also gebrauchet, daß in der Balance halten so viel heisset, als verhüten, daß ein Potentate oder Staat nicht mächtiger wird, denn der andere; 1720 Fama XXI 75 weil ein Seyl-Täntzer sich befleißigen muß, stets eine rechte balance .. zu halten (BRUNT); Küchelbecker 1726 Curieuse Passagier 294 und gleichwie Engelland jederzeit die Balance von Europa gewesen; also siehet man auch zu itzigen Zeiten, wie es die Europäischen Puissancen in einem politischen Aequilibrio zu erhalten suchet (GANZ); Fleming 1726 Soldat 63 Das Stück muß in einer gleichen Balance liegen, und darf man ja nicht mit dem Leibe vor des Stükkes Mündung treten; Trichter 1742 Ritterlex, 107 die Gewichts-Stange, vermöge welcher sie [Seiltänzer] ihren übersenckenden Leib in gleicher Balance wieder stellen können; Wieland 1767 Jugendgesch. (S. Sehr. XV 149) die Balance von Europa; KochSternfeld 1825 Beytr. l 383 Indessen zeigt das Staatsleben gewöhnlich ganz andere Resultate, als die Staatsbalance; Glassbrenner 1836 Bilder 79 hatte die Balance verloren, glitschte aus; Hartmann 1869 Philosophie 93 f. Die wunderbarsten

reflectorischen Leistungen des Gesichts- und Tastsinnes bestehen aber in den complicirten Bewegungen im Wahren der Balance, wie sie beim Ausgleiten, Gehen, Reiten . . theils von selbst stattfinden; Marholm 1903 Psychologie d. Frau II 134 Es besteht eine deutliche Ueberbalance von Absichten und Unterbalance von jenem sicheren und klaren Geist, aus dem das Können kommt; Waetzoldt 1905 Kunstwerk 9 Arnold Boeckern nennt einmal das Bild eine „farbige Balance", ein Spiel mit zehn Kugeln; Oncken 1914 Aufs, l 52 dass die europäischen Mächte sich dermassen in Balance und Kontrebalance untereinander halten; Voss. Ztg. 26. 3. 1929 wie und wo ein Mensch seine Arbeit im Gesamtbau seines Lebens unterbringt. . [darin] — und im Balancehalten — sind meistens die Frauen den Männern überlegen; 1940 USA. 14 aus der seelischen Balance geraten; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. X/l 758) die bestimmende Idee ist für England seit 1918 die balance of power; Süddtsch. Ztg. 31. 7. 1958 die gesunde Balance zwischen Regierung und Opposition; Niebelschütz 1961 Spiel 525 die europäische Balance; Süddtsch. Ztg. 2. 2. 1963 er habe die gespannten Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Polen niemals als „Balanceakt" zwischen ihm und Parteisekretär Gomulka bezeichnet; Bad. Ztg. 26. 10. 1967 Das Wettrüsten verhindert eine Verschiebung der Kräftebalance; FAZ 18. 3. 1970 die . . nach vierjährigem Bruch wiederhergestellten Beziehungen zu Amerika, die heute als Balancefaktor der kambodschanischen Neutralitätspolitik nützlicher denn je sind; Welt 10.1. 1974 Situationen, die die angestrebten Balancen und möglichen Verträge zwischen Israel und den Arabern von vornherein zunichte machen; MM 2. 5. 1985 nur dann, wenn sich bei Barbara Heinisch die zeichnerischen und die malerischen Mittel ergänzen .. sind eine konstruktive Balance und ein sorgfältiger Bildaufbau erfahrbar; ebd. 18. 5. 1985 der britische Premier war klassischem balance of power-Denken gefolgt, wollte verhindern, daß durch die Auflösung des Reiches in Mitteleuropa ein Machtvakuum entstehe, das der Sowjetunion die Chance eröffne, dort Einfluß zu gewinnen; Zeit 1.11. 1985 Balanceakt auf dem Hochseil; MM 18. 3. 1986 für Chiracs impulsives, oft aggressives Temperament läßt die neue Machtbalance nur wenig Spielraum; Zeit 26. 12. 1986 ein konjunktureller Balanceakt; MM 18. 4. 1987 der mit schöner, reicher Stimmsubstanz singende Chor, der selbst bei dichtester kontrapunktischer Führung Balance hielt und immer sinngerecht und

Balance genau artikulierte; ebd. 7. 7. 1987 ihre schlichten, oft einfach wirkenden Arbeiten bestehen häufig aus mehreren Teilen, die sich in einem fein ausgeklügelten Balanceakt gegenseitig stützen und ergänzen; Wochenpost 17. 11. 1989 eine angemessene Balance zwischen Akkumulation, gesellschaftlicher Konsumtion und Risikovorsorge; Altner 1991 Naturvergessenheit 216 Die außergewöhnliche Leistung der Naturgeschichte bis heute war es, immer nur relativ wirksame Resistenzbalancen hervorgebracht zu haben, die nur relative Überlebenssicherheit, dafür aber auch Flexibilität für weitere Anpassungen boten; Süddtsch. Ztg. 12J 13. 2. 1994 weil alle wichtigen Lebenszusammenhänge — Familie, Freunde, Liebe — von dem Balanceakt zwischen Nähe und Distanz mit sich selbst und anderen bestimmt sind; Spiegel 15.8. 1994 [Fahrradkuriere sind zum Wettkampf gekommen] um Hindernisse zu um- und überfahren, wozu eine Zwei-Räder-Balance auf dem parkenden Auto zählt. Balancement: Wächtler 1709 Manual 47 Balancement, im Tantzen gebräuchlich/ it. Betrachtung/ Überlegung; Sperander 1727 A la mod Sprach 62 f. Balancement, die Betrachtung, Überlegung; Lichtenberg 1766 Aphorismen I 19 Unser Leben hängt so genau in der Mitte zwischen Vergnügen und Schmertz, daß uns schon zuweilen Dinge schädlich werden können, die uns zu unserm Unterhalt dienen . . Allein wer weiß ob nicht vieles von unserm Vergnügen von diesem Balancement abhängt; Hermann 1896 Physiologie 325 dagegen bedarf es beständiger Muskelwirkung für das Balancement, da das Gleichgewicht ziemlich labil ist. Balancier: Weber 1734 Enc. l 64 Balancier . . der Waagebalken; Pumpenschwengel; Mutius 1806— 19 Br. 360 Neue Dampfmaschine ohne Balancier; Triest 1809 Land-Baukunst II 96 Balancirventile; 1825 Dinglers Polytechn. Journal XVII 439 Ueber Balancier-Maste oder verbesserte schwebende Mäste bei Segel-Bothen und anderen leichten Fahrzeugen (Überschr.); Brandt 1901 Ost-Asien II 307 Raddampfer mit einem gewaltigen Balancier über Deck; 1933-34 Verd. techn. Frw. o. S. Balancier Schwinghebel; MM 28.11.1985 die bahnbrechende Balancier-Dampfmaschine mit Kondensation und Drehbewegungen des Schotten James Watt. Balancier-: Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 82 Einige der alten Seiltänzer scheinen sich der Balanzirstangen bedient zu haben, wenigstens scheinen sie Gewichte in den Händen gehabt zu haben, durch deren Ausstreckung sie das Gleichgewicht unterhielten; 1800 Journal d. Moden XV 280

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Springer- und Balancierkünste; £. T. A. Hoffmann 1822 Kater Murr (S. W. X 218) kaum vermochte ich mittelst des Schweifes, den ich als Balancierstange benutzte, mich aufrecht zu erhalten; Kohl 1845 Paris l 131 [wenn er] recht tief philosophirend allein wandert, so ruht der Spazierstock auf seinem Rücken als Balancirstange; Barnum 1855 Leben 181 Balancirkünstler; 1859 Allg. Mil.-Enc. 421 Balancirübung .. Bewegungsübungen der Soldaten; Mahler 1864 Über die Eider 177 so daß . . ich alle Balancirkunst aufbieten mußte, um nicht mit dem Strumpf in den Schmutz zu kommen; Gutzkow 1878 Longinus 58 Mit der Balancirstange einer precären Moral gaukelten Hebbels Gebilde vor ihm auf und ab; Wassermann 1910 Masken 183 Balanzierstangen; Diederichs 1929 Br. 454 Balancierkunststück; Lokal-Anz. 16. 11. 1937 das, was man in der Gauklersprache die „Balancierstange" nennt, den Gleichgewichtserhalter; Klemperer 1947 LTI 15 Mein Tagebuch war in diesen Jahren immer wieder meine Balancierstange, ohne die ich hundertmal abgestürzt wäre. balancieren: Friederich 1633 Clytie I 34 balanzirt also zwischen Zweiffei vnd der Warheit; Kla/-Birken 1645 Fortsetzung 90 Balanciret aber mit mir/ ihr Lüfte/ auf juster Wagschale/ wie sehr diese eure Serenation varire mit eurer gestrigen und aller vorigen (beide JONES); 1661 Friedrich Wilhelm (UAS IX 530) weil England allezeit zwischen den Seemächten balancirt; 1686 Rath-Stube 93 wie die Spanische und Frantzösische Macht immerfort zu balanciren, damit jene dieser nicht unterliege (beide BRUNT); Elis. Charl. 1705 Br. I 398 Allein ich habe doch ein interesse, so den wünsch, ma tante königin zu sehen, balancirt; 1717 Recueil XXII 122 Es balancirte lange Zeit, welche partie die Oberhand behalten würde (BRUNT); Trichter 1742 Ritterlex. 107 Balanciren, Kömmt sonderlich denen Seil-Täntzern zu, weil sie sonsten auf ihrer schmalen Passage kurtze Lufft-Sprünge machen dürfften; Lichtenberg 1766 Aphorismen I 23 Man könte zu einem solchen Maaß das balanciren auf der Naße nehmen; Schiller 1769 Ökonom. Beytr. l 359 Man könnte eben so wohl mit ganz süssen Äpfeln auch mit Birn dergleichen Versuche machen, und durch Balanciren mit dem BrandtweinZusatz eine solche Proportion finden, daß die Jährung des Mostes gar leicht verhindert . . werden könnte; 1779 Dtsch. Museum l 224 Balanciren hat verschiedene Bedeutungen, als: unschlüssig sein, bei sich anstehen; zwei Dinge miteinander vergleichen; gleich sein, im Gleichgewicht stehen; Laukhard 1792 Leben I 123 Der Hanswurst balansirte auf dem Drath; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA l 21,127) sieh nur die Knaben an, wie sie jedesmal, so oft Seiltänzer in der Stadt waren, auf Planken

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Balance

und Balken hin und wieder gehen und balanciren; Guts Muths 1804 Gymn. o. S. Wir mögen unsern eigenen Körper unter methodisch veranstalteten Schwierigkeiten im Gleichgewicht zu erhalten suchen, oder irgend einen fremden Körper, der stets den Umsturz drohet, vermöge unserer Hand balanciren; Hauff 1826 Memoiren (S. W. VII 32) ein Stückchen rotes Tuch, das er mit vieler Kunst gegen den Wind zu balancieren wußte; Goethe 1829 Br. (WA IV 45,286) Sind etwa in der Correspondenz Gegenstände nur leicht angedeutet, die man in dem Bericht weiter ausführen und dadurch das allzu Subjektive der brieflichen Mittheilungen auf eine objective Weise balanciren könnte?; Heine 1830 Italien (III 351) bei Kunstspringern, die auf dem Seile balancieren; Goethe 1831 Tagebücher (WA III 48,314) Die Hauptsache ist, daß die strenge Symmetrie aufgehoben und durch ein geistreiches Gleichgewicht ersetzt werde . . Helm, Lyra, Stern, alles ist gegen die rechte Seite gerückt, die Helmdecke, nach echter alter Art angebracht, balancirt mit einer stärkern Masse gegen die linke . . wodurch das Auge von einer strengen Vergleichung der beiden Seiten entbunden ist; PücklerMuskau 1834 Tutti-Frutti IV 4 Weiterhin belustigte der europäische Hercules die Schaulustigen, kunstgerecht eine Keule auf den Zähnen und eine brennende Düte auf der Nase balancirend; W/7/komm 1857 Ammer 561 Unsere [Art, Handel zu treiben] balancirt auf der scharfen Schneide der Willkür unserer Abnehmer; Feuchtersieben 1865 Diätetik d. Seele 138 Der Wechsel zwischen Nahrung und Kräfteaufwand wird durch Genügsamkeit, durch Mäßigkeit balancirt (KEHREIN); 1866 Grenzboten II 406 dass für die Mittel- und Kleinstaaten das günstige Stadium des Balancirens zwischen Preussen und Österreich vorüber ist; Fontäne 1871 Kriegsgef. 269 Es liegt in meiner Natur, angesichts aller Dinge, über die ich . . nicht gleich hinweg kann, sogleich zu balanciren und nur zögernd zu einem Entschluß zu kommen; Winterfeld um 1880 Excellenz 13 [er] balancirte ungeschickt auf den Fußspitzen näher; Nordau 1881 Paris II 225 in der sanften Fröhlichkeit ihres wolbalancirten Gemüths; Lindenberg 1883 Berlin 24 das Verlangte auf silbernen Tablets balancirend; FrankeSchievelbein 1894 Rotdorn 84 zerbrechliche, sorgsam balancierte Last; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 588) er stand, auf dem linken Beine ruhend, das rechte Knie so gebogen, daß der Fuß leicht auf der Spitze balancierte; Bierbaum 1910 Reife Früchte 52 Europa war damals kleine, auf hohen Stöckeln balancierende Füße gewöhnt; Lettenbaur 1927 Morgen 258 Warum dies alles so kommen mußte, mag man in der reichen Literatur von Denkwürdigkeiten nachlesen, die einem wohlbalancierten Denken zum Ende allerdings ein Ur-

teil verstatten; Heyck 1928 Aussenseiter 145 Dunkelhäutige Kreolen balanzieren vollbeladene Tabletts von Tisch zu Tisch; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 565) Neigung zur Dicklichkeit .. er war zu stark für seine Jahre, wenn auch die Größe es leidlich balancierte; Süddtsch. Ztg. 5. 9. 1951 Politik des Gleichgewichts und der sich gegenseitig balancierenden Bündnissysteme; Welt 23. 9. 1959 Tante Marguerite, die jetzt täglich erschien und durch ihre naive Glückseligkeit alles Unbequeme balancierte; Zeit 15. 3. 1985 damit fehlen ihnen aber wesentliche Voraussetzungen interkultureller Arbeit, solange sie balancierte Zahlenverhältnisse zwischen ausländischen und deutschen Kindern nicht herstellen können; ebd. 25. 10. 1985 dieser Satz . . bezeichnet genau den messerscharfen Grat, auf dem seine Texte balancieren; ebd. 29. 5. 1987 eine bessere Familienpolitik ist vonnöten, wenn die Chancen zwischen Frauen und Männern, zwischen Eltern und Nicht-Eltern fairer balanciert werden sollen; MM ]5. 7. 1987 das zwischen Hoffnung und Fatalismus, Vitalität und Weltschmerz balancierende Lebensgefühl einer ganzen Generation; ebd. 18. 6. 1988 [er] balanciert nicht nur auf dem hohen Einrad, er wirbelt sich obendrein per Fuß Teller und Tassen auf den Kopf; Süddtsch. Ztg. 14. 10. 1993 der Poet balanciert auch all seine privaten Befindlichkeiten übers Seil; Zeit 5.11. 1993 Fellinis Filme sind Welt-und Zeitreisen auf engstem Raum, kosmische Abenteuer, die auf einer Nadelspitze balancieren; Spiegel 16.1. 1995 solche Kunst balanciert auf schmalem Grat. ausbalancieren: Uexküll 1936 Welten 99 Die richtig ausbalancierten Menschen, in denen das Merken und das Wirken in gleichem Maße ausgebildet sei, gehörten zu den Seltenheiten; Süddtsch. Ztg. 18. 4. 1950 Absicht, 50000 Tonnen Butter in Kühlhäusern einzulagern, um die Butterknappheit im Winter „ausbalancieren" zu können; Welt 15. 9. 1959 die beiden Weltmächte scheinen mit ihren Raketen das strategische Gleichgewicht auf der Erde ausbalanciert zu haben; Offenburger Tagebl. 23.1.1970 ein ausbalanciertes Budget; FAZ 29. 11. 1970 ein ausbalancierter Truppenrückzug; Zeit 10. 4. 1987 die Theorien gegeneinander ausbalancieren. Balancierer: Schubart 1780 Originalien 127 Ihr Balanzierer mit dem Strohhalm!; Beckmann 1795 — 99 Erfindungen IV 55 f. auch die Seiltänzer, Balanzirer . . welche ungewöhnliche oder dem Anschein nach gefährliche Stellungen ihres Körpers wagen. Balanciertheit: Th. Mann 1954 Krull (W. VII 481) es stimmte nicht recht mit seiner überlegenen Stel-

Balance lung überein und gab mir den Eindruck leichter Unbalanciertheit. Balancierung: Goethe 1806 Gespr. (He U 165) Wenn die Natur einen bestimmten Etat für die genera der organischen Wesen hat, demzufolge sie eine starke Ausgabe durch eine Ersparnis wieder kompensieren muß, so hat sie ihn wahrscheinlich auch bei den Individuen . . auf dieser Lässigkeit, auf dieser Balancierung . . beruht alle Verschiedenheit der Bildung (GWB); Lettenbaur 1927 Morgen 104 Es ist die englische Auffassung des öffentlichen und privaten Lebens, mit ihrer gesunden Balancierung zwischen Zwang, wo er unvermeidlich, und größtmöglicher Freiheit, wo sie irgendwie zulässig ist; Voss. Ztg. 19.11.1929 Schein-Balancierung; ebd. 18. 2. 1930 Balancierung des Stadthaushaltes (Überschr.); ebd. 1. 1. 1931 bei kluger Führung und vorsichtiger Balancierung der Kräfte. Ausbalancierung: 1931 Geopolitik Vlll 98 daß es sich bei dem deutsch-polnischen Problem letzten Endes nur um eine Frage der Ausbalancierung zwischen dem Volk in Europa handle, das die schwächste und dem Volk, das die stärkste Vermehrung aufweise; Dtsch. AZ. 11. 1. 1935 eine Ausbalancierung seines Handels mit Ägypten; Süddtsch. Ztg. 18. 4. 1950 ob sie sich . . an dieser Ausbalancierung beteiligen wollen; Welt 18. 1. 1964 so bleibt Japan als bedeutendes Gegengewicht zur Ausbalancierung chinesischer Expansionsaktionen frei; ebd. 4. 6. 1974 er benutzte sie [Widersprüche] zur Stabilisierung und Ausbalancierung des Systems; Zeit 27. 9. 1985 Stimmungen und Überzeugungen . ., die . . auch von Teilen des Volkes vertreten wurden und zur Ausbalancierung der Kräfte auf dem nationalen Forum ihr legitimes Gewicht besaßen; ebd. 2. 5. 1986 Frieden ist nicht das Übertünchen von Gegensätzen, sondern ihre Ausbalancierung. Balance 2: 1479 (Schulte 1923 Handelsakten Mittelalter, Neuzeit III 138) Ainost schraib man unsß alweg ain balanc, was man samlat bisß wichanächten, und hoffen ir soltind mit ainr guotten sum helffen und den schulda streng obligen; 1639 Hamb. Banco-Ordn. S 35 Balanzo (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Schildknecht 1652 Harmonia II 62 Wir wollen nun unsere außgelegte Ware beisammen legen/ und sehen/ was die Balance an Ausgabe in sich hält; Zubrodt 1669 Unterricht 133 diese Balance (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 16S9 Preußen Briefe (Schück 341) eine ordentliche generale Rechnungs-Balance; Marperger 1716 Banquen 123 die Balance daraus gezogen (beide BRUNT); Law 1720 Gedancken vom Waaren- u. Geldhandel (Übers.) 51 die Balance der Handlung

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(SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1732 Gundlingiana XLV 170 Darnach richtet der Verkäuffer den Valeur, und rechnet und zehlet und ziehet seine Balance; 1751 Leipz. Samml. VII 938 Balance derer Rechnungen; 1757 ebd. XU 268 Lehre von der Balance, oder dem Gleichgewichte der NahrungsGeschäffte; Fourbonnais 1767 Beobachtungen (Übers.) 136 Man kann also aus dem Zustand der Balanz des Kommerzes einer Nation ihren Vortheil . . mit den ändern Nationen erkennen; 1777 Ephemeriden d. Menschheit X 37 Die so sehr angepriesne Lehre von der Balance des Handels, oder von dem Grundsatze, daß jeder Staat trachten müsse beständig das Uebergewicht in der Geldeinnahme zu gewinnen; Sinapius 1783 Leseb. f. Kaufleute 193 [Portugals] Handel befindet sich in der schädlichsten Unterballanz (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Reichenbach 1784 Beytr. I 20 Überbalanz von . . 129000 Rthn.; 17S5 Handlungsbibl. 29 eine Balanz machen; Feder 1789 Grundlehren 341 suchen . . die Balanz zu gewinnen, d. h. mehr Geld einzunehmen . . als Geld auszugeben; Busch 1792 Handlung l 94 Handels-Balanz (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge I 10 längst hätte der Mensch eine Balanz von Kosten und Vortheil gezogen; Jenisch 1800 Geist u. Charakter II 385 Die Balance des Handelns im Ganzen war . . vor dem amerikanischen Kriege, 70 Millionen zum Vortheil Frankreichs; Perthes 1816 Buchhandel 25 die Balanz der Ein- und Ausfuhr literarischer Producte; Schmalz 1818 Staatswirthschaftslehre I 248 Wenn im Jahre der Passivhandel, das Kaufen vom Auslande, größer ist, als der Activhandel, das Verkaufen an das Ausland, so ist dieß eine nachtheilige Handels-Balance; Schleier 1844 Contor-Lex. 75 Bilanz, auch Balance (SCHIRMER, Kaufmannssprache). balancieren: 1680 Wöchentlicher Friedens- u. Kriegs-Currier VII 6 nahe vor seinem Tode aber hat er seine Bücher balanciret (BRUNT); Marperger 1711 Beschr. d. Messen 1313 [wenn] die importata und exportata zur heilsamen reflexion gegen einander balanciret werden; Rohr 1718 Staatsklugheit 1013 und der Überfluß mit baarem Gelde nach dem Valor der Wechsel gleichfals muß balanciret werden (BRUNT); Ludovici 1752 Eröffnete Akademie d. Kaufleute I 1174 balanciren . . die Rechnung schliessen (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Beckmann 1784-88 Erfindungen II 180 Eine Nachricht von den Hülfsbüchern und von Balanziren schließt diesen Abschnitt; Engel 1795 Lorenz Stark 412 ob die Aktiva der Witwe ihre Passiva wenigstens balancirten; Herzog 1909 Hanseaten 354 Ihrer rastlosen Arbeit gelang es, im ersten Jahre das Geschäft zu balancieren (SCHIRMER, Kaufmannssprache). OV

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Baldachin

Baldachin M. (-s; -e), Anfang 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. baldacchino, ursprünglich 'golddurchwirkter Stoff aus Baldaco' (zu Baldacco., dem mittelalterlichen ital. Namen der Stadt Bagdad, die wegen ihrer kostbaren Seidenstoffe berühmt war; vgl. demgegenüber schon im Mhd. bezeugtes baldekin 'kostbarer Seidenstoff; Decke, Ziertuch', Ende 14. Jh. (FRNHD. WB) bereits vereinzelt auch 'Traghimmel', über altfrz. baldekin, mlat. baldakinus ebenfalls zurückgehend auf das Ital.), zunächst nach dem Vorbild von ital. baldacchino bzw. frz. baldaquin auch in den Formen Baldac(c)hin bzw. Baldequin. a In der Bed. 'eine Art schmückendes Dach aus Stoff, Himmel über einem Bett, prunkvolle Überdachung, Schirmdach über einem Thron, Altar, einer Kanzel u. ä., zur ehrenden Hervorhebung von Personen oder Kultgegenständen; tragbarer Himmel, der bes. bei Prozessionen und Umzügen über dem Altarsakrament und dem Priester getragen wird; Thron-, Traghimmel' (—»· Tabernakel l, 2c; s. Belege 1603, 1609, 1657, 1689), gelegentlich auch bildlich in Wendungen wie der (blaue) Baldachin des Himmels, das Blätterdach bildet einen luftigen Baldachin (s. Belege 1779, 1821, 1985). b Seit Ende 18. Jh. als Terminus der Kunstwissenschaft in der Bed. 'steinerne Überdachung in der gotischen Baukunst, (auf Säulen ruhendes) Prunk-, Schutzdach über gotischen Standbildern und Denkmälern; Schmuckgiebel über einer Kanzel, einer Statue u. ä.'. Dazu seit Anfang 19. Jh. selten die adj. Ableitung baldachinartig 'in der Art und Weise eines Baldachins, wie ein Baldachin aussehend, wirkend'. Baldachin a: Breuning v. Buchenbach 1603 Relation 86 Darnach kam der König vnder einem Baldequin oder Himmel in gleicher kleidung; Carolus 1609 Relation 15b ein Tapezerey vnd Baldachine zu einem Bett; Hainhofer 1611 Relation 59 die lange tafel vnder dem Baldachine, an der Ihre Dhlt. tafel halten; ebd. 222 Neben den fürsten hinauf oben beym altar war ein guldiner Baldachino aufgemacht, vnder welchem Herr Johann Christoff von Eystett in bischoflichem habit vnd aim Bischofsstab in der lincken hand haltend . . gesessen; Harsdörffer 1657 Trincir-Buch 208 über der Fürsten Tafel pfleget man einen Baldaquin oder Haubtdecke auszuspannen; Fritsch 1667 De Augusta 99 unter einem gantz Goldstucken Baldachin oder Himmel; Krämer 1681 Leben d. Seehelden 811 eine andere Erhebung von vier Stuffen/ welche das Königliche Baldachino oder Himmel beschattete; Dalhover 1689 Gartenbeetlein l 367 die Raths-Herren hielten an 6 verguldten Stangen einen Baldachin oder Schirm von rotter Seyden; 1690 Hochbeehrtes Augsburg 173 ein Baldachin, unter welchen beede Kayserliche Majestäten einhergiengen; Menantes 1709 Satir. Roman I 134 bauete man . . von dem Bett-Tuch ein Gerüste, das einem Baldachin nicht unähnlich sah; Decker 1711 Baumeister l Vorr. Bb Baldachin oder Himmel; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 171 Baldachin, heist ein Himmel oder eine aufgespannte und geputzte Decke; Zscbackwitz 1723 Karl VI. 685

Kurtze Zeit hierauff nahmen Solche das Mittagsmahl unter einem rothen Baldachin ein; Goethe 1779 Br. (WA IV 4,66) die himmlischen Wolcken .. die bisher noch, wie ein Baldachin am Feyertage, über uns schwebten; Fülleborn 1798 Kl. Sehr. 156 Ferne war ein Thron errichtet von Schädeln und Gerippen: ein Sarg stand als Fußschemel unten am Thron: das Baldachin war ein Sterbekleid; Matthisson 1821 Gedichte 197 Uns entzückt der Haine Baldachin (KEHREIN); 1836 Atlas I 112 Wir fanden ihn auf einem reichen Teppiche sitzend, und unter dem Schütze eines prachtvollen Baldachins; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre III 170 Denke dir statt des Herzogs unter dem Baldachin die Figur der Freiheit, mit Büsten von Brutus und Demosthenes umgeben; Gutzkow 1851 Ritter VI 89 Und nun spannte der Himmel einen sonnigen Baldachin über diese Freude aus, gab Wärme; 1859 Staatswb. IV 243 Das Recht eines Thronhimmels (Dais, Baldachin, Zelt von Sammet. .); Kleinpaul 1892 Sprache 382 in Ruhebetten mit oder ohne Baldachin; Liliencron 1896 Poggfred (XII 153) Lichtbaldachine erfüllten sie [die Nacht] mit siebenfarbigen Frachten; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 125) der Großherzog . . verlas im Thronsaal, vor dem geschwungenen Theatersessel unter dem Baldachin stehend, die Thronrede; Gebauer 1932 Kulturgesch. 391 Himmelbetten mit Baldachin und Vorhängen; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 401) das Schlafzimmer mit seinem Prunkbett un-

Balkon term Baldachin; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 140 f. [Siegelbild] in der Form eines Heiligen oder eines geistlichen Würdenträgers unter Baldachin-Überkrönung; Kuby 1961 Sieg 379 Über dem Kopfende schwebte ein geraffter Baldachin aus kastanienbraunem Samt; Alexander 1978 Jungfrau 143 sie beneidete die Priester, die die goldene Monstranz unter dem Baldachin tragen durften (beide DUDEN 1993); MM 5. 6. 1985 die rote Schärpe des Seiltänzers ist zum federleichten Baldachin geworden; Zeit 7. 3. 1986 die Baldachine des Byzantinismus, die sich seit Chruschtschows Tagen über alle sowjetischen Parteitage wölbten; MM 9. 10. 1987 blutrot fällt der halbgeöffnete Baldachin-Vorhang aufs satinbezogene Bett; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Jod 90 Mit dem Rücken zu der Vermessungsszene steht Menena unter einem von Papyrussäulchen getragenen Baldachin; MM 10. 7. 1995 Forster, der letztlich den Zuschlag bekam, wollte zunächst den Wallot-Bau mit einem riesigen Baldachin überdachen. Baldachin b: Stieglitz 1792 Baukunst I 65 Baldachin, Himmel, ist eine verzierte und kostbare

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Decke über einen Thron, über einen Balkon, über eine Kanzel, über die Altäre und über den Thron in einem Audienzzimmer; Goethe 1813 Br. (WA IV 23,324) In . . dem Chor [des Meißner Doms] waren mir auffallend und neu die aus Stein gehauenen Baldachine über den Sitzen der Domherrn. Es sind Capellen und Burgen die in der Luft schweben; Menzel 1871 Unrecht 251 die spiralförmig gewundenen Säulen, wie z. B. die, welche den Baldachin über dem Hochaltar der Peterskirche tragen; Schramm 1956 Herrschaftszeichen 111 Wie so vieles im Mittelalter ist auch der steinerne Baldachin verweltlicht worden. baldachinartig: Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,273) die stufenweis zurücktretenden Pfeiler, von schlanken, gleichfalls in die Höhe strebenden, zum Schutz der Heiligenbilder baldachinartig bestimmten, leichtsäuligen Spitzgebäudchen begleitet; Zeit 4. 1. 1985 im weitläufigen Werkhof . . stand . . unter baldachinartiger Plastikplane das enorme, abstrakte Bronze-Monument. OV

Balkon M. (-s; -e, auch -s), im späten 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. balcon (< ital. balcone 'Söller, Gerüst, Balkon', zu balco '(Balken-)Gerüst', ursprünglich langobard. *balko 'Balken', german. Herkunft, vgl. ahd. balko 'Balken'). a In der Bed. '(anfangs auf herausragenden Balken, dann auf Steinen befindlicher) erhöhter Vorsprung, oft nicht überdachter Erker, plattformartiger Vortritt an einem Gebäude, aus einem Stockwerk herausragender, mit Geländer versehener offener Vorbau an einem Haus, auf den man hinaustreten kann' (—·· Altan, —»· Terrasse), häufig als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Balkontür, -zimmer, -szene 'Dialog zwischen Romeo und der auf einem Balkon stehenden Julia in Shakespeares „Romeo und Julia"', -kästen, -Brüstung, -sims, -möbel 'wetterfestes Möbel für den Balkon'; Südbalkon 'an der Südseite eines Hauses gelegener Balkon', Sonnen-, Eck-, Aussichts-, Dachbalkon und in Wendungen wie ein offener, sonniger, geschützter, zugiger Balkon, auf einen Balkon heraustreten, vom Balkon (aus) winken, die Wäsche auf den Balkon hängen, seit Anfang 20. Jh. auch übertragen verwendet (s. Belege 1938, 1944, 1993), ugs. auch für einen großen Busen. Dazu seit dem 18. Jh. die adj. Gelegenheitsableitung balkonartig 'in Form eines Vorsprunges; wie ein Balkon aussehend, wirkend'. Daneben im 20. Jh. gelegentlich die in Anlehnung an Ländernamen auf -ten abgeleitete scherzhafte Ortsbezeichnung Balkonien N., z. B. in Wendungen wie Urlaub auf Balkonien. b Seit frühem 18. Jh. in der Bed. 'höher gelegenes, emporeartiges erstes Stockwerk im Zuschauerraum eines Kinos oder Theaters, Galerie vor der ersten Logenreihe', zunächst als bevorzugter Platz für Vornehme (Ggs. —» Parkett und Rang). Balkon a: Leonora Christine 1685 Denkwürdigkeiten (Ziegler 243) die Königinn vermeinte mich zu sehen, als ich heraus ging; war auff einen Balcon getreten (BRUNT); Goldmann 1699 Civil-Bau-

kunst 36 Der Balcon, welcher auf Teutsch gemeiniglichen Trompeter-Gänglein genennet wird; 1708 Ludewig l 545 und da der Ambassadeur in einem Balcon erschiene (BRUNT); Lünig 1720 Theatrum

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Balkon

cerem. II 1459b Einer trat hinaus auf den Balcon; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II 177 von den Balcons und Erckern der königlichen Palläste; Jasander 1730 Historien-Schreiber 27 retirirce er sich an ein Fenster im Balcon (BRUNT); Biantes 1731 Historicus 88 Der Hertzog stund eben auf dem Balcon, und sähe diesen jungen Herren eine lange Weile zu; Pöllnitz 1735 Sachsen 11 Ihre Cath. Majestäten stellten sich auf einem mit den kostbarsten Tapeten und goldenen gestickten Küssen gezierten Balcon; Trichter 1742 Ritterlex. 108 Balcon, Ein Ercker oder Trompeter-Gänglein, ist aussen vor dem Fenster eines Pallasts, ein kleiner Gang mit einem Geländer, auf welchem die Trompeter unter währender Tafel blasen können; Wekhrlin 1777 Denkwürdigkeiten 62 Vier Quadrillen, an deren jeder Spitze ein Harlekin mit einer Trompete ritt, . . zogen auf, und taumelten ihre Pferde, welche prächtig aufgeputzt waren, vor einem Balcon, wovon der Kaiser und der Hof zusah; Frank 1788 System d. median. Polizei IV 30 Da aber diese [Erker], so wie die Balkons ihrer Anlage zufolge mehr dem Einsturz ausgesetzt sind; Stieglitz 1792 Baukunst l 73 Balkon, Trompeter Gang, ist ein kleiner Altan oder Gang vor einem Fenster, wo man sich unter freyem Himmel aufhalten kann; ebd. Balkonfenster, werden nicht nur diejenigen Fenster genannt, die zu einem Balkon führen, sondern alle diejenigen, deren Öffnung bis auf den Fußboden herabgehet; Seutne 1793-1811 Kl. Sehr. (W.II 211) Eine Menge Menschen standen auf den Dächern und hohen Baikonen, und sahen dem hitzigen Gefecht wie einem gewöhnlichen Schauspiel zu; Matthisson 1801 Lausanne (V 330) Wir saßen im Mondlicht auf dem Balkon; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 674) er sah nach ihnen an alle Balkons und Erker hinauf; Schaller 1808 Stuziade III 80 Und o, sein Balkon, diese Brust; Triest 1815 Land-Baukunst III 377 Eine Balconthüre mit Bogen, Füllungen und Sprossen; Wolff 1823 Preciosa (I 64) Auf Baikonen und Terrassen/ Saß der Hörer bunte Menge; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti // 159 Zweckmäßig und angenehm fand ich gleichfalls die Gewächshäuser placirt, welche mit einem Balkon verbunden sind, von dem man eine reizende Aussicht auf die Berge und die nahen Promenaden genießt; Freytag 1846 Valentine (I 213) Die Balkonthür wird unverschlossen sein; Wagner — Liszt 1853 Briefw. l 281 dort giebt es nämlich hübsche Zimmer und einen Balkon auf den Rhein heraus; 1859 Allg. Mil.-Enc. II 422 Balcon, unbedeckter Gang zum Hintertheil der Schiffe; Villamaria 1873 Manon 63 an einem hellen Sommerabend öffneten sich plötzlich die Flügel der Balconthür; Schmidt 1878 Leutnant 76 die Balconscene aus 'Romeo und Julie'; Liliencron 1886 Mäcen (V 86) Zwei Zimmer mit einem Balkonchen hab ich oben;

Kretzer 1887 Timpe 125 das große Balkonzimmer; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 639) ich trug eine ganze Menge Quallen im Taschentuch nach Hause und legte sie säuberlich auf den Balkon in die Sonne, damit sie verdunsteten — dann mußten die Sterne doch übrigbleiben!; ders. 1909 Hoheit (W. II 148) an klaren Abenden stand sie auf ihrem Balkon und betrachtete den gestirnten Himmel durch ihr Opernglas, um zu schwärmen; Höcker 1910 Sonne 103 Lore hatte sich gegen die Balkonwand gelehnt; Flake 1917 Horns Ring 371 Draußen vor dem Fenster stand wie eine Kulisse ein Ausschnitt von balkonbehängten Häuserwänden; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 94) so ausgerüstet nahm er draußen auf dem Balkon im Liegestuhl Platz; Lokal-Anz. 3.1. 1933 die Balkonblumenkästenbegießer; Morgenpost 9.6. 1933 Die Balkontür stand offen; Lokal-Anz. 28. 10. 1934 An einer Balkonstütze kletterten die beiden hoch; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 81 erlebten wir .. von unserem damaligen Balkon Wilhelmstraße; Münch.N.N. 1.11.1938 Frankreich bezeichnet Indochina gern als seinen „Balkon zum pazifischen Meere"; ebd. 29./30.4./1. 5. 1944 Der mit Ausnahme von Sewastopol am weitesten nach Osten vorgeschobene „Balkon" der deutschen Ostfront im Raum Witebsk — Orscha — Mogilew ist in den letzten Wochen unverändert ruhig; Süddtsch. Ztg. 4. 5. 1950 Daß man heute noch Mietstadtwohnungen ohne Balkon oder Loggia baut, sollte verboten werden; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 25) die Damen aber saßen Spott spendend oder verliebten Beifall auf hölzernen Baikonen um den Kampfplatz; Kesten 1952 Casanova 63 Er werde die ganze Nacht auf dem Balkon warten; Welt 30. 10. 1954 abgeschlossene Neubau-Wohnungen 2 Zimmer und Küche, Bad, Diele und Balkon .. zu vermieten (Anzeige); Th. Mann 1954 Krull (W. VII 344) ein offener Balkon der Bel-Etage des großen Hotels zum Frankfurter Hof; Stuttgarter Ztg. 2. 2. 1959 Der Balkon ist bekanntlich das Symbol des italienischen Hauses. Acht Monate im Jahr bleibt die Balkontür offen oder angelehnt; Grass 1962 Blechtrommel 21 als auf dem balkonähnlichen Vorbau . . ein Kaninchenstall gezimmert werden mußte; Welt 15. 5. 1964 wo er auf einem Balkon in Sao Paulo die Ovationen begeisterter Brasilianer entgegennimmt; ebd. 19. 12. 1964 auf sämtlichen Baikonen in der Umgebung; Andersch 1971 Kirschen 10 sah damals mit meinem fünfjährigen Kindergesicht über die Brüstung des Balkons hinweg auf sie herab; Zeit 31.1. 1986 es gibt einen Verbindungsbalkon zwischen zwei Hörsälen; ebd. 16.1. 1987 [er] bepflanzte Balkons in einem Altersheim; MM 18. 8. 1987 Kultursommer, damit auch die vielen Balkon-Urlauber in den großen Städten noch reichlich auf ihre Kosten kommen;

Ball Spiegel 15. 2. 1993 Blick vom Balkon über das Tal; ebd. 9. 8. 1993 ein riesenhafter Dom aus Eis . . Er ist senkrecht bis überhängend . . Aus diesem Eisbalkon brachen bei der größten Kletterkatastrophe dieses Jahres Hunderte von Tonnen Eis heraus. balkonartig: Matthisson 1793 Felsen (Hl 33) Auf einem balkonartigen Felsenvorsprunge grünt ein Küchengarten; Zeit 22. 5. 1985 die in balkonartigen Gondeln hängenden Figuren. Balkonien: Lokal-Anz. 10. 8. 1933 Balkonien ist ein merkwürdiges Land. Es liegt über der Straße, manchmal so niedrig, daß die oberen Stockwerke der Autobusse es fast streifen; Freib. Wochenbl. 22. 7. 1971 Ihr Urlaubsparadies: Balkonien (Über-

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schr.); MM 16.8. 1983 Sommerfrische in Balkonien (Bildunterschr.); ebd. 25. 7. 1995 Urlaub zu Hause muß nicht immer Balkonien heißen (Anzeige). Balkon b: 1718 Sejour 86 Der balcon gantz unten neben dem theatre, ist vor Leuten von distinction (BRUNT); 175« Modeztg. I 181 Der Balcon ganz unten neben dem Theater ist vor Leute von Distinction und kostet vor die Person einen halben Louis d'or; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 419) da es den Platz A nicht mehr gab, wohnte ich im Balkon der Aufführung bei; Zeit 6. 6. 1986 obwohl es draußen noch hell ist, erleben wir im Theater bereits (gemaltes) Alpenglühen, erst an der Balkonbrüstung zum Rang, später am Bühnenhorizont. OV

Ball M., früher vereinzelt N., (-es; Bälle), seit Anfang 17. Jh. vereinzelt, kontinuierlich seit spätem 17. Jh. nachgewiesen, entlehnt aus gleichbed. frz. bal (vgl. ital. ballo) (< altfrz. baier 'tanzen', über gleichbed. (m)lat. ballare zurückgehend auf griech. 'die Schenkel werfen, Beine schwingen, hüpfen, tanzen', Erweiterung von 'werfen', vgl. ital. ballare, das auf griech. 'schwingen' zurückgeführt wird; etymologisch verw. mit —> Ballade, —>· Ballerina, —»· Ballett), bis ins 18. Jh. auch in der frz. Form und in veralteten frz. Syntagmen, die zum Teil durch dtsch. Komposita lehnübersetzt wurden, wie Bai masque/Bal en masque 'Maskenball', Bai champetre 'Sommerball im Freien mit Nationaltänzen verschiedener Landschaften' und bis heute Bai pare (s. u.), im 17.718. Jh. vereinzelt auch in der ital. Form. Zunächst häufig noch auf frz. Verhältnisse bezogen, im Umfeld des höfischen und großbürgerlichen Gesellschaftslebens für 'feierlich-festliche Tanzvorführung bei Hofe, Tanzfest der adligen bzw. besseren Gesellschaft in großer Garderobe oder Maske, mit festgelegter Etikette und aus bestimmten (periodischen) höfisch-gesellschaftlichen Anlässen' (s. Belege 1614, 1690, 1699), im späten 17. Jh. daneben auch noch lediglich im Sinne von '(Kunst-)Tanz; Ballett; öffentliche Tanzübung, -Vorführung'. Seit Mitte 18. Jh. und dann vor allem im Zusammenhang mit der Französischen Revolution allgemeiner auf Tanzveranstaltungen bezogen, bei denen alle Paare tanzten und zu denen auch die bürgerlichen Klassen gegen Eintrittsgeld Zugang hatten (s. Belege 1752, 1781, 1827, 1909, 1963, 1967), im Verlaufe des 19. Jhs. zunehmend ausgedehnt auf öffentliche, meist im Winter stattfindende, gesellige Großveranstaltungen mit Tanz in allen möglichen gesellschaftlichen oder beruflichen Gruppierungen, Bereichen und Schichten (s. Belege 1827, 1903), gelegentlich, vor allem in Zss., bildlich verwendet (s. Belege 1835, 1986). Als Grund- und Bestimmungswort in zahlreichen Zss. wie Abschluß-, Bürger-, Diplomaten-, Faschings-, Feuerwehr-, Film-, Haus-, Hochzeits-, Hof-, Kostüm-, Offiziers-, Maskenball (nach frz. bal en masque, bal masque), Opernball (nach frz. bal de l'Opera], Presse-, Tanz-, Schüler-, Wohltätigkeitsball; Balldame, -fest, -gesellschaft, -haus, -hof (Name einer Bühnenanstalt in Hannover, s. Beleg 1954), -kleid, -königin, -musik, -nacht, -saal, -toilette.

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Ball

In Wendungen wie den Ball eröffnen, einen Ball geben (s. Belege 1800, 1821, 1909) und seit spätem 18. Jh. in der aus gleichbed. frz. bal pare (aus bal und pare, Part. Perf. von parer 'schmücken, zieren') übernommenen, bis heute nachgewiesenen festen Verbindung Bal pare M. 'prunkvolle, prächtige Tanzveranstaltung mit großer Toilette und Ausstattung'. Ball: Carolas 1614 Relation 14d [Pariser Meldung] Allhie ist ein stattlich Ballen oder Dantz gehalten worden; Prätorius 1619 Syntagma mus. Ill 19 Im Frantzösischen nennet man es un Ball, das seynd allerley Täntze in genere, als Bransle, Courranten, Volten, Gagliarden (JONES); Pickelhäring 1685 Kleideraffe 232 auff einem lustigen Ballo; 1690 Hochbeehrt. Augsburg 107 eine ansehnliche Zusammenkunfft Fürstl. Personen, denen zu Abends ein Ball angestellt wurde; Reuter 1696 Schelmuffsky 46 invitirete uns zu einem Balle (BRUNT); Elis. Chart. 1699 Er. l 123 Alle abendt seindt hir bal im masquen; die sehe ich woll mitt zu, divertiren mich aber nicht, schlaff schir darüber ein; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 127 bey der Hochzeit oder einem ändern Balle; Sperander 1727 A la mod Sprach 62 Bal, Ballet, Ballo, ein öffentlicher Tantz einer Gesellschaft; Hagedorn 1729 Versuch e. Gedichts 56 ich kan ohn' tieffe Lehren Bal, Assembleen, Spiel, und unsre Börse mehren; Weisse 1752 Weiber (U 20) und deine Frau soll Ballkönigin seyn; Wagner 1776 Kindermörderin 24 der Herr Abbe selbst schon auf dem Ball gewesen! — das hätt ich warlich nicht hinter ihnen gesucht; 1781 Hausball 20 Aber, Herr Kommisär, unser Ballgeber hat uns in Masken angerathen, folglich muß er die Lizenz darauf haben; Pütter 1793 Selbstbiogr. 552 Ballhaus . . in Bad Pyrmont; Goethe 1795-96 Lehrjahre (HA VII 361) Tanzen war anfangs nur meine geringste Freude . . Durch den Einfall unsers Tanzmeisters, allen seinen Schülern und Schülerinnen einen Ball zu geben, ward aber die Lust zu dieser Übung ganz anders belebt; Heynatz 1797 Antibarbarus 215 Der Larventanz für Maskerade, Redoute, und am besten für bal en masque ist gut und verständlich . . Redoute läßt sich sonst auch durch Mummerei oder Mummenspiel geben; Laukhard 1800 Erz. I 231 aber die jungen Herren holten sie überall hin, wo ein Ball oder ein Bälchen gegeben wurde; selbst dahin, wo man nur en famille tanzte; Jean Paul 1805 Flegelfahre (W. IV 1074) Ein Ball en masque ist vielleicht das Höchste, was der spielenden Poesie das Leben nachzuspielen vermag; Goethe 1821 Wanderfahre (HA VI11 223) Ich gefiel mir selbst nicht mehr, ich mochte mich vor dem Spiegel zurechtrücken, wie ich wollte, es schien mir immer, als wenn ich mich zu einem Maskenball herausputzte; Picard 1826 Minard l 57 der jungen Ball-Herrchen; Hauff 1827 Mann int Mond 10 der Präsident machte das erste

Haus in der Stadt . . eine glänzende Aussicht auf Thees dansants, Soupees, Hausbälle und dergleichen eröffnete sich vor den schnell berechnenden Blicken der Damen; Heine 1835 Romant. Schule 139 Es gibt nichts Zerrisseneres als dieses Stück, sowohl in Hinsicht der Gedanken als auch der Sprache. Aber alle diese Fetzen leben und kreiseln in bunter Lust. Man glaubt einen Maskenball von Worten und Gedanken zu sehen; Jäger 1835 F. Schnabel 138 Gegen das Ende dieser harmlosen Bürgerschützenbälle geht es etwas wild her . . Studenten und solche Ballschönen, die von der sich besser dünkenden Hälfte ihrer Mitschwestern mit einem mitleidsvollen Blicke beantlizt werden, eröffnen nun erst den wahren Ball; Hailbronner 1837 Cartons U 76 auf unserem bal champetre; Marx 1842-43 Publizist. Arbeiten (MEGA l 1,245) Weil ich aus der Schulstube der Philologie herausgeworfen worden bin, so wird es mein Beruf sein, auch aus dem Ballsaal der Aesthetik und aus den Hallen der Philosophie herausgeworfen zu werden; 1863 Bilder a. Paris I 171 Der Tod des Prinzen Jerome unterbrach auf einmal das laute, glänzende Hofleben; das angesagte Feuerwerk mußte unterbleiben, obwohl alles zum Abbrennen bereit war, der bal champetre desgleichen; Zapp 1896 Offizierstöchter l 5 Herrgott, wie Du glühst! Du hast wohl höllisch das Ballfieber?; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 94) Der Bürgerball war eine stehende Veranstaltung im gesellschaftlichen Leben der Hauptstadt; ebd. U 105 Fastnachtsdienstag, mit dem Hofball, und die große Cour im Alten Schloß, mit welcher die gesellige Jahreszeit sich endigte; Th. Mann 1942 Reden u. Aufs. (W. XI 467) ein großes Haus, das einen Mittelpunkt des Münchener geistigen und künstlerischen Lebens .. bildete , . Bei einem dieser Feste . . einem Kostümball im Fasching; Welt 3. 4. 1954 Man ging nicht sehr glücklich aus dem Hannoverschen Ballhof, als der Vorhang über Eugene O'Neills Drama „der Eismann kommt" gefallen war; Welt 5. 2. 1964 Silvesterbälle und Modenschauen, Ballnächte und zollfreie Getränke winken; FAZ 13. 1. 1966 Bundespräsident Lübke wird am Samstag als Ehrengast am Berliner Presseball teilnehmen; ebd. 3. 7.1967 „Ein hübsches Fest! Aber es war keine rauschende Ballnacht". Das war das übereinstimmende Urteil über den diesjährigen deutschen Filmball der Berliner Filmfestspiele; Bad. Ztg. 14. 2. 1972 Im Kongreßsaal fanden alle die noch zusätzlich beim Rats-

Ballade ball Einlaß, die für den Bürgerball keine Karten erhalten hatten; Zeit 28. 12. 1984 Die ToulouseLautrecsche Ballsaal- und Cafehaus-Seligkeit. . erfriert in Bildsignalen vom beschädigten Leben; ebd. 3.5.1985 Achternbusch .. wollte mit Peymann zusammen auf den Opernball: Peymann im Frack, Achternbusch als Frau verkleidet; ebd. 18. 10. 1985 Der Tanz auf dem dörflichen Feuerwehrball, das lockere Gespräch mit den Einheimischen, ein Schuß Kulturtourismus in Verona; ebd. 25. 4. 1986 schwärmt von einer Teenagerdiktatur, in der das Leben endlich Taumel, ein endloser Tanzball ist; MM 9. 7.1987 Ärgerlicher wird die Berührung zwischen denen da oben und jenen ganz unten etwa dann, wenn — wie kürzlich geschehen — neureiche Schickimikis einen „Pennerball" feiern; ebd. 15.6. 1988 30000 Mark wurden durch einen Wohltätigkeitsball zugunsten von Elternwohnungen krebskranker Kinder . . erworben; ebd. 28. 1.1991 „Poetischen Manet-Stil" nennt Ricci diese romantisch-duftige Stimmung, die sich zum Abend in Ballroben-Träumen wie für Debütantinnen fortsetzte; ebd. 12. 6. 1991 Sommerball der LSV Ladenburg mit Ehrungen (Überschr.) Einen herrlichen Ballabend bescherte die Ladenburger Sportvereinigung ihren Mitgliedern und Freunden in der zum Ballsaal umgestalteten Lobdengauhalle. Bai pare: Nicolai 1783 Reise l 249 Als der Prinz von Soubise 1757 Frankfurth am Mayn eingenommen hatte, stellte er einen großen Bai pare an. Dazu ward der Rath der Stadt in Corpore eingeladen, der dann nach althergebrachter Gewohnheit per Deputates auf diesem Balle zu erscheinen beschloß; 1786 Journal d. Moden l 250 bey .. bal pares; Heuberger 1806 Handivb. o. S. Bai pare . . geschmückter Ball, ohne Masken, wo jeder reich

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geschmückt erscheint; Meisl 1820 Quodlibet (I 129) so hab ich meine Schritte hierher beflügelt, Hochdieseiben mit Dero liebenswürdigsten Fräulein Niece höflichst zu dem Ball paree einzuladen; Lady Morgan 1821 Frankreich (Übers.) l 262 Der Bai pare, während der Winterzeit . . eine sehr gewöhnliche Art der Belustigung, enthält eine Vereinigung von Jugend, Freude und Munterkeit; Lewald 1843 Mappe 153 f. Nichts Lächerlicheres, als die sogenannten Bai pares, die irgendein Unternehmen ankündigt und dann für einige baare Münze .. einlädt, sich wie die vornehme Welt zu schmükken, und sich steif, abgemessen und höchst anständig zu benehmen; Waldau 1859 Böhm. Nationaltänze I 79 wer wollte . . dies den derben Burschen und drallen Dorfmädchen für übel nehmen, wo . . anderswo recht elegante Herren und „feine" Krinolinen-Damen im Bai pare es gar nicht besser machen; Derblich 1889 Militärarzt l 67 In anderen Gegenden veranstaltete man uns zu Ehren Theaterspiele oder bals pares; Münch. N. N. 9.1. 1938 Seit die alten Bai pares verschwunden sind, hat der Frack an Faschingszauber verloren. Die reinen Frackbälle liegen dem Münchner weniger als sein Fasching in Maske; Süddtsch. Ztg. 2. 2. 1954 Die „Münchner Illustrierte" und das Hotel „Bayrischer Hof" haben sich vorgenommen, im heurigen Fasching dem Bai pare wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. An sämtliche führenden Persönlichkeiten Münchens, an alle Künstlerinnen und Künstler erging die Einladung, an diesem glanzvollen Ball in festlicher Abendkleidung teilzunehmen; ebd. 21.1.1963 Illustrer Illustriertenball (Überschr.) Caterina Valente begeistert auf dem Bai pare der Bunten Münchner Illustrierten; Bild 23. 1. 1967 Eine tiefdekolletierte Elke Sommer, Ehemann Joe Hyams und Max Schmeling amüsierten sich am Wochenende auf dem Münchner „Bai pare". IN

Ballade F. (-; -n), seit späterem 16. Jh. selten nachgewiesene Entlehnung aus frz. bailade (< altfrz. bal(l)ade und ital. ballata 'Tanzlied; musikalisch begleiteter Tanz', beide über altprovenzal. bal(l)ada, subst. Part. Perf. von bal(l)ar 'tanzen' zurückgehend auf mlat./spätlat. ballare 'tanzen'; —-> Ball, etymologisch verw. mit —* Ballett), bis ins 19. Jh. auch in der frz. oder ital. Form (vgl. 1); im frühen 18. Jh. unter Einwirkung des (ebenfalls auf das Frz. zurückgehenden) engl. bailad neuaufgekommen in der modernen Bed., im 18. Jh. gelegentlich in der engl. beeinflußten Pl.-Form Ballads (vgl. 2a). l Zunächst auf Verhältnisse im mittelalterlichen Frankreich und anderen romanischen Ländern bezogen in der Bed. '(spontan) zu Tänzen, vom Tanzenden gesungenes kurzes, strophisches Lied (heroischen oder volkstümlichen Inhalts), Tanzlied, -gesang; musikalisch begleiteter Tanz, Singtanz', auch im Sinne von 'Ballett'. 2a Von daher seit dem frühen 18. Jh. mit der Rezeption der engl. und schott. Volksballaden unter Einfluß von gleichbed. engl. bailad weiterentwickelt zu '(auf den

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Ballade

Straßen gesungenes) volkstümliches Lied, Volkslied mit erzählendem Inhalt, Romanze mit den Elementen des Leidenschaftlichen, Abenteuerlichen' (vgl. 2c; s. Belege 1742, 1745, 1747), zunächst auf engl. Verhältnisse beschränkt und mit satirischkritischen Anklängen; seit späterem 18. Jh. bes. von Bürger, Herder und Goethe als neue Kunstform eingeführt und verfestigt in der dominanten Bed. 'episch-lyrisches Strophengedicht, das ein handlungsreiches, schicksalvolles Geschehen wiedergibt', insbes. '(zu Vortrag und Vertonung geeignete) liedhafte Erzählung eines abenteuerlich-düsteren, historisch-mythischen Stoffes, meist eines unerhörten, merkwürdigen Ereignisses, mit dramatischem Handlungsverlauf und ins Unheimliche gesteigerter Stimmung', häufig konnotiert mit „abenteuerlich, schaurig-romantisch, düster, bedeutungstief, melancholisch, phantastisch" (s. Belege 1795-96, 1834, 1898, 1910, 1912, 1985, 1987), gelegentlich leicht abwertend (s. Belege 1797, 1851), auch übertragen auf andere darstellende Kunstformen und bildlich verwendet (s. Belege 1963, 1985, 1987); in Zss. wie Kunst-, Liebes-, Kriegs-, Mord-, Prosa-, Räuber-, Schauer-, Schreckens-, Volks-, Film-, Großstadt-, Gangsterballade und in festen Verbindungen wie düstere, romantische Ballade und Die Ballade von ... . Dazu die im späten 18. Jh. (Bürger) eventuell unter Einwirkung von gleichbed. engl. balladic aufgekommene adj. Ableitung balladisch, gleichbed. mit gleichzeitig bezeugtem balladenmäßig, seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. nachgewiesenem balladenartig und (oft bildlich) balladenhaft (—» balladesk), mit der dazugehörigen veralteten Personenbezeichnung Bailadist (vgl. engl. balladist), gleichbed. mit Ende 19. Jh. vereinzelt nachgewiesenem Balladier (vgl. engl. balladier); in der 1. Hälfte des 20. Jhs. die Gelegenheitsableitung Balladik 'die Kunstform der Ballade'. b Seit Ende 19. Jh. auch in der Musik als Bezeichnung für eine gesungene Ballade, ein der dichterischen Vorgabe entsprechend in lebhaft knapper und dramatisch gedrängter Form konzipiertes Gesangsstück, meist für eine Singstimme mit Klavierbegleitung, speziell auch als solistische Einlage in der (romantischen) Oper (z. B. bei Wagner). c In neuerer Zeit, wohl in Anknüpfung an die Tradition der engl. und schott. Straßen- und Volksballade (vgl. 2a), die einen Abstieg erfuhr in den Räuber-, Schauerund sentimentalen Liebesballaden des 18./19. Jhs., und unter dem Einfluß der Gattungen Zeitungslied, Moritat und Bänkelsang (Wedekind, Brecht) weiterentwickelt zur Bezeichnung des modernen politischen Chansons (—» Chanson). 3 In jüngster Zeit vor allem als spezifische Ausdrucksform der Jazz-, Rock- und Popmusik, die, auf den Grundton der einzelnen musikalischen Stücke oder den individuellen instrumentalen oder gesanglichen Darbietungsstil des Interpreten bezogen, ihre Elemente und Hauptmerkmale, wie das Pointiert-Erzählerische, DramatischGedrängte oder das Sentimental-Romantische und Lyrisch-Melancholische, ebenfalls aus der literarisch-musikalischen Tradition bezieht, als Grundwort in Zss. wie Jazz-, Pop-, Soul-, Rockballade. Ballade 1: Fischart 1575 Geschichtklitterung 290 vbersetzten sie darnach inn Rondeo vnd Ballade gestalt auff Frantzösisch oder Teutsch; Wallhausen 1617 Militia 28 biß seine Herrn Trommenschlagers jhre ballade vnd fantasie vollendet hat; Morhof 1682 Unterricht 565 Wie er dann seine Frantzosen deßhalben lobet/ daß sie lieber einige metra, als

Sonnet, Rondeau, Balade, Virelais erfinden wollen/ darinnen einerley art Reime offtmahls widerholet werden; Hagedorn 1754 Oden u. Lieder Vorher. X die Tanz-Lieder der Italiener oder die Ballate (ZFDW VIII 55); Bouterwek 1809 Gesch. V 74 das Triolett, das Rondeau, das Quatrain, der sogenannte Königsgesang (chant royal), eine ähnliche

Ballade Art von lyrischen Gedichten, die man Balladen nannte, kamen [15. Jh. Frankreich] zu den Lais und Virelais, mit denen die Nachahmung des Styls der Provenzalen in der französischen Poesie angefangen hatte; 1842 Brockhaus U 45 Ballade oder nach dem Italienischen Ballata . . Die Italiener nannten seit dem 12. Jahrh. Ballata ein rein lyrisches Gedicht geringen Umfangs .. Schon bei Dante finden sich dergleichen Ballaten; Schach 1853 Baum II 161 Die Ballata der Italiäner .. Solche Ballaten (SANDERS 1871). Ballade 2a: 1727 Hamb. Correspondent Nr. 21 o. S. Zwey Personen von Distinction, welche wegen einer satyrischen Ballade .. in Worthe geraten, haben sich duelliren wollen (GANZ); Trichter 1742 Ritterlex. 46 Angloise, Ein Engelländischer Tantz und Klinge-Stück . . Es gehören dahin Ballads, Country-Dances, Hornpipes und andere; Drollinger 1745 Gedichte 235 in den sogenannten Gassenhauern, die man in Engelland Ballards [!] . . nennet (GANZ); Hagedorn 1747 Oden XVI Vorher. Einige alte Ballads der Engelländer sind unvergleichlich; Goethe 1771 Er. (WA IV 2,3 f.) die Relicks und Ossians Schottisches machen ganz verschiedne Würckung . . Die deutschen Balladen werden Sie haben; Bürger 1773 Br. an Boje (l 105) Hier . . empfangen Sie eine Romanze, oder wenn Sie lieber wollen, eine Ballade; ebd. I 110 meine überköstliche Ballade: Lenore (GANZ); Bote 1776 an Bürger (I 277) Du kömmst immer tiefer in deine Balladenmanier hinein; Herder 1777 Balladen und Lieder altenglischer und altschottischer Dichter (Titel); Meißner 1784 Justizmord 61 Folgende Anekdote, die für Ballade und theatralische Bearbeitung vielleicht kein undankbarer Stoff gewesen wäre; Cramer 1791 (1903 Zs. f. dtsch. Phil. XXXV 541) als weiland die unbändige junge bände von harden, freyheits-, balladen-, minne-sängern, und Homer-verdeutschern .. um die jähre 1772—74 sich in der alma Georgia Augusta befand; Goethe 1795-96 Lehrjahre (HA VII 255) Aber sagen Sie mir, hätte der Dichter seiner Wahnsinnigen nicht andere Liedchen unterlegen sollen? Könnte man nicht Fragmente aus melancholischen Balladen wählen? Was sollen Zweideutigkeiten und lüsterne Albernheiten in dem Munde dieses edlen Mädchens?; Jenisch 1796 Vergleichung 152 f. Der lyrischen und elegischen Gattung schließen wir . . die Romanze oder Ballade an (denn zwischen beiden ist kein wesentlicher Unterschied) . . die ich VolksOden nennen möchte; Goethe 1797 Br. (WA IV 12,199) daß wir uns jetzt im Balladenwesen und Unwesen herumtreiben; ebd. 12,153 Zugleich haben sich eine Idylle, einige Balladen, und andre Liederarten eingefunden; Bouterwek 1809 Gesch. V 75 Die französischen Balladen [15. Jh.] sind mit

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den italienischen (ballate) nicht zu verwechseln. Mit den englischen Balladen haben sie gar nichts gemein; ebd. VII 32 Balladenpoesie die wahre Nationalpoesie der Engländer; ebd. VIII 357 erzählende Ballade; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (HA X 33) erbot ich mich, meine neusten und liebsten Balladen zu rezitieren. Der „König von Thule" und „Es war ein Buhle frech genug" taten gute Wirkung; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti II 275 Ich ziehe jedoch der Idylle die Ballade, den Roman, die Romanze vor, und liebe daher mehr die Orte, wo die Natur in erhabenerem, geheimnisvollerem Charakter gearbeitet hat; 1842 Brockhaus II 45 Ballade . . Bürger, mit der schott. und engl. Balladenpoesie innig vertraut, war der eigentlich Schöpfer der deutschen Kunstballade .. wogegen Goethe, mit Ausnahmen einiger Balladen, sich schon mehr dem alten Balladenliede näherte; Fontane-Lepel 1851 Briefw. l 364 Balladenfabrikanten [abwertend]; Wagner-Liszt 1853 Briefw. I 220 wenn Du morgen die Ballade spielen läßt — denk' an mich; Rutenberg 1877 Zinne 17 Balladen . . Poesie; 1888 Grenzboten I 264 Von einzelnen Gedichten heben wir hervor die „Vision", die Ballade „Actium", das Stimmungsbild „Venedig", „Zigeuner"; Fontäne 1898 Zwanzig 349 Schreckensballade; Liliencron 1903 Bunte Beute (X 161) Kriegsballaden; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. IX 24) indem er [Fontäne] eine Aussöhnung sein soll zwischen meinem ältesten und romantischsten Balladenstil und meiner modernsten und realistischsten Romanschreiberei; Voss 1912 Stärker als der Tod 46 Schauerballade; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 90) im Falle des 'Tonio Kroger', dieser Prosa-Ballade; ders. 1925 Erz. (W. VIII 630) Oder endlich die schrecklich aufgeräumte Ballade von Mariechen, die auf einem Stein . . saß und sich ihr gleichfalls goldnes Haar . . kämmte; ders. 1939 Lotte (W. II 485) las schottische Balladen vor und verordnete, daß die Damen den Kehrreim im Chore mitsprechen mußten; ders. 1939 Reden u. Aufs. (W. X 348) zur epischen Dichtung, einer Hauptgattung der Poesie, die außer dem eigentlichen epischen Heldengedicht, dem aus Sagen hervorgegangenen Volksepos . . auch die . . Ballade und Romanze, das Märchen und schließlich eben auch den Roman und die Novelle umfaßt; Heuss 1963 Erinn. 148 Dieses vieltürmige Bergnest auf einer beherrschenden Kuppe ist eine Ballade in Stein, wohl auch von der großen Geschichte des Landes und seiner Kunst ein paarmal gestreift; Staiger 1966 Grundbegriffe 28 In Schillers Balladen nähert der Rhythmus sich nicht selten so sehr dem Takt, daß die Verse abgehackt klingen; ebd. 160 Dichtungen, wie sie uns hier begegnen, dürfen wir weder episch noch pathetisch oder lyrisch nennen. Sie lassen sich auch nicht, wie die Ballade oder die

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Ballade

Ode, als „gemischte" Arten interpretieren; Zeit 15. 2.1985 Die . . Filmballade „Paris, Texas" von Wim Wenders . . Roadmovies . . die, wie alle Fertigteile, sich schnell und patent zur Filmballade montieren lassen; ebd. 19. 7. 1985 Die Lady Macbeth, die einen gewaltigen goldenen Reifrock zu tragen hat, klammert sich ängstlich an ihrer Zofe fest, sonst würde sie wohl davongeweht — und aus Shakespeares Mordballade wäre die Geschichte vom Fliegenden Robert geworden; ebd. 8. 11. 1985 in dieser Greuelgeschichte verbirgt sich nur notdürftig eine deutsch-jüdische Liebesballade, ein Erlösungsmärchen. Der Spekulant und die Hure: zwei Königskinder, doch das Wasser war viel zu tief; MM 12. 1. 1987 die erste Sinfonie von Johannes Brahms . . mit den Tag- und Nachtseiten einer Kunst, die bisweilen epische Dimensionen gewinnt zwischen düsterer Ballade und erfindungsreicher Prosa; ebd. 24. 4. 1987 Es stellte sich bald heraus, daß die Monate in Paris maßgeblichen Einfluß auf sein [Uhlands] weiteres Balladen-Wirken hatten; Zeit 8. 5. 1987 Die Monstermadonna mit dem von einem Pfeil durchbohrten Herzen könnte aus einer Bauernballade von Kroetz stammen . . daß Fausts und Gretchens Geschichte, an Shakespeares Liebesszenen gemessen, allenfalls eine tragische Dienstmädchenballade ist; MM 6. 4. 1988 Einer Wette wegen hat Goethe seinen „Clavigo" innerhalb einer Woche nach Aufzeichnungen des „Figaro"-Autors Beaumarchais verfaßt und den tödlichen Ausgang einer englischen Ballade entlehnt; Spiegel 4. 7. 1994 Im Auftrag des „Marburger Literaturforums" hatte der Professor . . begabte Nachwuchs-Reimer um Einsendung preiswürdiger Balladen, Sonette oder Oden gebeten. balladenartig: Geibel 1876 (Petzet 1922 Brief'w. Geibel-Heyse 256) das Betrachtende, auch manches Balladenartige und Humoristische, habe mir sehr wohl gefallen; Ludwig 1891 Ges. Sehr. VI 110 f. Wäre die Geschichte Evelinens . . unmittelbar, . . nicht volksballadenartig durch . . die alte Frau erzählt, es würde schwer halten, das Detail derselben dem Verstande annehmlich zu erhalten. balladenhaft: Fontäne 1891 Unwiederbringlich 347 Es liegt etwas Balladenhaftes darin, so was vom König von Thule; Döblin 1920 Vertreibung 225 Die Kunstarbeit, die balladenhafte Konzeption steht nicht zur Erörterung; Werfet 1924 Verdi 520 Aus der Hungerszeit in Paris, aus jener balladenhaften Meerfahrt über den nördlichen Ozean; Bunsen 1929 Welt 213 Balladenhaft wirkte der Gang auf den Wällen und Bastionen bei Nacht, beim schwachen Schimmer des wachsenden Mondes; Staiger 1966 Grundbegriffe 31 Unzählige Beispiele gibt Brentano. In seinen längeren Gedichten wird

immer wieder ein balladenharter Vorgang oder auch ein Erlebnis in ziemlich saloppen Versen erzählt. balladenmäßig: Bürger 1773 Br. an Boje (l 115) Ich gebe mir Mühe, das Stück zur Composition zu dichten. Es soll meine grösste Belohnung seyn, wenn es recht balladenmässig und simpel componirt und dann wieder in den Spinnstuben gesungen werden könnte . . den Ton, welcher in der Folge noch populärer und balladenmäßiger ist und seyn wird (GANZ). Balladier: Fontäne 1898 Zwanzig 5 so beschloß ich, bei d'Heureuse einzutreten und den „Berliner Figaro", mein Leib- und Magenblatt, zu lesen, darin ich als Lyriker und Balladier schon verschiedentlich aufgetreten war. Balladik: Lang 1942 Die Balladik (Titel). balladisch: Bürger 1776 (1874 Briefw. I 290) Stolbergs Ballade im Februar hat viele herrliche balladische Strophen; ders. 1777 Br. II 87 Seit ich die Reliques lese, ist ein gewaltiges Chaos balladischer Ideen in mir entstanden (GANZ); 1914 Lit. Echo XVII 293 Agnes Miegel und Lola von Strauß und Torney, waren vorzugsweise balladische Talente, die Strauß mehr nach der Seite des Heldengedichtes, die Miegel mehr nach der Seite des Märchenund Wundergedichtes zu; Petersen 1940 Geschichtsdrama 2 zwischen epischen und balladischen Geschichtsdramen zu unterscheiden. Balladist: Bürger 1792 (1874 Briefw. IV 208) von welchem der alte Balladist seinen Sang mit dem Verse beschließt. Ballade 2b: 1899 Brockhaus I 332 Ballade . . In der Musik ist die B. ein in erzählendem Tone gehaltenes Gesangstück für eine Singstimme mit Klavieroder Orchesterbegleitung; Th. Mann 1937 Reden u. Aufs. (W. IX 520) Das hatte mit dem 'Holländer' begonnen, dessen musikalischer Kern und Keim die Ballade der Senta im zweiten Akt gewesen war: das verdichtete Bild des Dramas, dessen Thematik sich dann als ein vollständiges Gewebe über das ganze Werk ausbreitete; ders. 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 821) daß nun der Opernsänger Herr X uns das Vergnügen machen wird, die berühmteste Ballade des Meisters zum Vortrag zu bringen; MM 10. 6. 1985 Mit starker innerer Spannung und mächtig ausstrahlender Bedeutung war auch die Ballade der Senta aufgeladen; Zeit 19. 7. 1985 Ganz so simpel verwandelt [der Dirigent] Grüber eine dramatisch-romantische Ballade

balladesk mit Donner, Blitz und Wolkenbrüchen doch nicht in eine statuarisch leise Elegie der Resignation; ebd. 23. 8. 1985 Oft machen wir abends Hausmusik. Frau Kippar singt gern die Balladen von Loewe; ihr Glanzstück ist „die Uhr". Frau Stachel begleitet sie auf dem Klavier. Ballade 2c: Hildesh. Allg. Ztg. 10. 9. 1973 Mit Bänkelsongs, Balladen und politischen Liedern stellte sich der „Sarstedter Degenhardt" Wilhelm Wonneberger vor; Zeit 15. 2. 1985 daß morgens . . über die ganze Stadt hinweg die schnarrend blecherne Gesangsstimme Brechts den „Mäckie-Messer" und die „Ballade von der Unzulänglichkeit des Lebens" zum . . besten gab; MM i. 3. 1985 Dieser brechttümelnde Balladenton zieht sich durch das ganze Buch; Zeit 6. 9. 1985 Hatte man in den Anfangsjahren die Texte in wenigen Wochen zusammengeschrieben — viele stammen aus der Feder von Kay Lorentz — so begann man nun, mit dem neuen Ziel vor Augen, akribisch an den Dialogen, Gedichten, Balladen und Chansons zu feilen; Spiegel 4. 12. 1990 Die flugs gedichtete „Ballade von den verdorbenen Greisen" . . mittlerweile eine Art

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Klassiker im Repertoire der MauerdurchbruchsGesänge, war der frühe dramaturgische Höhepunkt des Konzerts [von Biermann]. Ballade 3: MM 23. 1.1985 eine wirklich melodische Nummer im Stil einer Soul-Ballade; Zeit 29.3. 1985 Ob AI Jarreau „Take Five" singt . . oder eine langsame, zärtlich-melancholische Ballade; MM 17. S. 1985 Typisch für Waders Stil sind neben den zarten Liebesliedern die Balladen, die Sprechgesänge aus der Blues- und Folktradition; ebd. 30.5. 1985 eine der „großen alten Damen" des Jazzgesangs .. Ihre Balladen-Interpretationen vor allem waren es, durchgestaltet .. und nicht ohne Sinn für Theatralik, die die Zuhörer in der Moerser Eissporthalle in ihren Bann schlugen . . eine „Jazzballade"; ebd. 30.3.1987 „So long" überrascht als erstklassige Rock-Ballade; ebd. 25. 2. 1988 Auf der akustischen Gitarre weiß er zarte Balladen zu zupfen, auf dem Gitarrensynthesizer spielt er lyrischer als jeder andere seiner Zunft; ebd. 3. 3. 1988 Das Programm . . reiche . . vom Gospel zum Blues, von der Popballade zum Soul. IN

balladesk Adj., im späten 19. Jh. aufgekommene Bildung aus —» Ballade und dem adj. Fremdsuffix -esk '(zugespitzt, pointiert, leicht übertrieben) im Stil, in der Art, Manier, Schule von ..' (vgl. frz. -esque, span, -esco, ital. -esco, zurückgehend auf spätlat. -iscus/griech. -UJKOS; analog zu zahlreichen Entlehnungen bzw. Lehn-Wortbildungen wie romanesk, burlesk, grotesk, pittoresk, pikaresk, buffonesk, chaplinesk, kafkaesk u. a.). In der Bed. 'aufgrund charakteristischer Merkmale mit einer Ballade vergleichbar, in der Art, im Stil einer Ballade, balladenhaft, -artig', auf literarische, seltener auch musikalische Kunstwerke (—· Ballade 2a, 2b, 3; s. Belege 1961, 1968, 1988, 1990, 1993) bezogen, oft assoziiert mit „düster, abenteuerlich, schaurig; gedrängt-dramatisch; volkstümlich" oder „gefühlvoll-romantisch" (—* Ballade 2a; s. Belege 1910, 1912, 1925, 1985, 1990), auch leicht negativ konnotiert mit „übertrieben, zugespitzt (balladenhaft)". Liliencron 1886 (Br. an H. Friedrichs 192) Es ist eine ganz köstliche, wundervolle balladeske Dichtergabe; Fontäne 1888 Ges. W. II 5,192 Ich schließe mit dieser Geschichte den Zyklus meiner Berliner Romane ab. Es sind sechs im ganzen, und ich habe vor, wenn mir noch ein paar Jahre vergönnt sind, mit einem ganz balladesken historischen Roman . . abzuschließen; 1902 Preuss. Jahrb. CX 547 Paul Buffons balladesker Einakter-Cyklus; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. IX 23) Diese bei aller behaglichen Breite so leichte, so lichte Prosa [Fontanes] hat mit ihrer heimlichen Neigung zum Balladesken, ihren zugleich mundgerechten und versmäßigen Abbreviaturen etwas bequem Gehobenes;

ders. 1912 Erz. (W. VIII 464) eine venezianische Gondel . . Das seltsame Fahrzeug, aus balladesken Zeiten ganz unverändert überkommen und so eigentümlich schwarz, wie sonst unter allen Dingen nur Särge es sind, — es erinnert an lautlose und verbrecherische Abenteuer in plätschernder Nacht, es erinnert noch mehr an den Tod selbst, an Bahre und düsteres Begängnis und letzte, schweigsame Fahrt; Dehmel 1913 Ausgew. Br. 315 Bei Ihnen scheint mir das Kräfteverhältnis der verschiedenen Ausdrucksmittel in den balladesken Gedichten am ausgeglichensten; 1914 Lit. Echo XVII 7 Ernst Lissauer schuf in seinem Aufschriftenstil, aus seinem balladesk lebendigen Geschichtsempfinden ein

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starkes Bild der „Führer", die in der Wolke Deutschlands Heer begleiten; Th. Mann 1919 Reden u. Aufs. (W. X 576) Noch die balladesken Novellen 'Grete Minde' und 'Ellernklipp' nebst der zweiten historischen Erzählung 'Schach von Wuthenow' zählen zu den epischen Frühwerken; ders. 1925 Reden u. Aufs. (W. XI 355J Ich habe in den Ohren die beiden Motive, mit deren Hilfe Wagner die Gestalt des Unseligen so eindrucksvoll dargestellt hat: das stille, öde, das die einförmige Horizontweite des unbewegten Meeres malt und das balladeske Hoiho und Hoihe, womit die Ouvertüre beginnt; Halbe 1935 Jahrhundertwende 45 die weiche, lyrische, balladeske . . Welt; Hauptmann 1935 Ausgew. Prosa III 209 Das Balladeske [in den Gedichten Chamissos], das Gegenständliche, das Goetheverwandte entsprach damals meinem Wesen; Kohler 1940 Balladendichtung 389 balladesken Soldatengeschichten; ebd. 392 das Kasuale, Improvisatorische dieser balladesken Lieder; Münch. N. N. 12. 3. 1941 Was Hedy Hundemer noch entwickeln muß, ist die gerade für balladeske Gesänge erforderliche temperamentvolle Dramatik, die imstande ist, dem Hörer die zu schildernden Vorgänge in bildmäßiger Eindringlichkeit glaubhaft zu machen; Welt 10. 3. 1949 Es ist kein Drama, aber eine dramatische Handlung, etwa mit balladeskem Einschlag. Das ist nicht ohne Anklänge; Süddtsch. Ztg. 24.4.1950 Der „Repetitionskurs" der Münchner Bühnen hat mit der Premiere von Gerhart Hauptmanns balladeskem Spiel „Elga" . . eine unnötige Fortsetzung erfahren; Brecht vor 1956 Sehr. z. Theater III 291 Die Musikstücke, in denen das balladeske Moment

vorherrschte, waren meditierender und moralisierender Art; Offenburger Tagebl. 6. 11. 1961 [Der Bassist] Hans Hotter sang leider weder Loewe noch balladesken Wolf; Böll 1963 Clown 300 Ich würde .. noch viele Strophen hinzudichten, das Ganze balladesk intonieren; Welt 2.3, 1964 Kienzls „Evangelimann" erlebte damals in der Dresdner Oper die Uraufführung. Seine schönste, balladeske Oper „Don Quichotte" wurde erst zur Feier seines 80. Geburtstages, in der Wiener Staatsoper . . inszeniert; Offenburger Tagebl. 13.12. 1968 Max Roths balladeske Bühnenmusik vertiefte den Charakter des . . Stücks; Walther 1973 Schmetterlinge 38 Die fließende Grenze zwischen Lyrik und Prosa zeigt sich ja auch im Balladesken; MM 28. 3. 1985 Fawcetts Spannweite im Ausdruck wie in der mimisch-gestischen Umsetzung der Textinhalte ist bemerkenswert: Sie umfaßt das . . SubtilSensible ebenso wie das Balladeske und Dramatische; ebd. 24. 5. 1988 Vom „ich singe, weil ich ein Lied hab", dieser balladesken Selbstfindung [Konstantin Weckers] im gewohnt satt-softigen Klaviersound, bis zum „Fachmann", einer knallharten Polit-Rock-Satire mit Lindenberg-Touch; Rhein. Merkur 12.1. 1990 Wunderkerzen sprühen, Magnesium verdampft; das ist der Geruch der Freiheit. Feuerzeuge flammen [!] im Takt balladesker Liebessongs. Die Feuerwehr guckt weg; Süddtsch. Ztg. 12.11.1993 bei den Stücken ihrer neuen LP „Flow" kam sie nur selten über gefällig Balladeskes hinaus, etwa bei der Country-Polka „Elizabeth" und „Lullaby", einem relativ temperamentvollen Tennessee-Waltz mit Cajun-angehauchtem Akkordeon. IN

Ballast M. (-(e)s; -e ungebr.), Ende 14. Jh. im (Mittel-)Niederdtsch. und Niederl. aufgekommen und im nordeuropäisch-skandinavischen Sprachraum bzw. Einflußgebiet der Hanse verbreitet, am häufigsten zurückgeführt auf gleichbed. schwed. ballast, die assimilierte Form von altschwed. barlast, in seinem Grundwort etymologisch mit Last zusammenhängend, jedoch mit ungesicherter Herleitung hinsichtlich des ersten Bestandteils (mit schwed. bar 'rein, bloß', also 'bloße, absolute Last; Nur-Last' oder auch mit niederdtsch./niederl. bal 'schlecht (ohne Handelswert)' zusammenhängend; vgl. auch dän. baglast 'Hinterlast', zu bag, niederl. bak, schwed. back 'hinter'), früher auch in den Schreibungen Pallast und Baiast. a Zunächst in der Seemannssprache für 'im unteren oder hinteren Teil von Schiffen beschwerend angebrachtes, zur Verbesserung des Tiefgangs und Erhaltung des Gleichgewichts mitgeführtes, ansonsten unnützes, überflüssiges Gewicht, Gepäck, Ladung, Fracht, meist in Form von Sandsäcken, Steinen, Eisen oder Waren (mit geringfügigem Wert)' (im Unterschied zur Nutzlast); von daher im 18. Jh. vereinzelt (s. Beleg 1784), zunehmend im 20. Jh. auch im Flugwesen in der Bed. 'zur Regulierung des Auf- und Absteigens und der Flughöhe von Heißluftballons benutzte abwerfbare Last in Form von Wasser- oder Sandsäcken' (s. Belege 1910, 1928), gele-

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gentlich allgemeiner verwendet (s. Belege 1964, 1986); selten in zum Teil veralteten Zss. wie Ballastbrücke, -eisen, -kiste; Landungs-, Blei-, Sand-, Wasserballast; dazu veraltete Ableitungen wie das vom 15. bis in frühere 18. Jh. nachgewiesene Verb ballasten, auch aus-, verballasten 'ein Schiff mit Ballast versehen' und das vereinzelt im 14. Jh. nachgewiesene Subst. Ballaster e jmd., der den Ballast in die Schiffe einbringt, ein Schiff mit Ballast belädt, Ballastschieber, -werfer', auch gebucht (FRNHD. WB) für 'Schiff ohne Ladung, Fracht' und übertragen 'jmd., der voll gegessen, mit Essen angefüllt ist', in neuerer Zeit das Verbalsubst. Ballastierung F. (-; -en) als Fachausdruck der Bautechnik für 'Verdichtung von Baumaterial, z. B. Betonmasse zur statischen Ausbalancierung des Untergrundes bei Bauten', b Seit späterem 16. Jh. selten, seit Anfang 19. Jh. häufiger auf abstrakte Phänomene übertragen und bildlich verwendet im Sinne von 'unnötige (aber notwendige, unvermeidliche, unumgängliche) Bürde, Beigabe, Zutat, überflüssiger Zierat, Überfrachtung; Belastung, Beschwernis', meist im philsophischen, pädagogischen und politisch-wirtschaftlichen Bereich, gelegentlich auch auf Menschen bezogen (s. Belege 1971, 1985, 1990), gelegentlich im Kontext mit synonymen und anderen Partnerwörtern des gleichen metaphorischen (und lautlichen) Wortfelds, z. B. Last, Belastung, lästig (s. Belege 1984, 1990), vereinzelt in Zss. wie Bildungsballast, häufig in festen Wendungen wie ideologischer, theoretischer, unnützer, unnötiger, zusätzlicher, überflüssiger, unerwünschter Ballast, Ballast abwerfen/über Bord werfen, vom Ballast befreien; dazu im 20. Jh. die adj. Ableitung ballastlos 'frei, befreit, unbeschwert; unabhängig, ungebunden'. c Seit Mitte 20. Jh. auch wieder auf konkrete materielle und physikalische Gegenstände bezogen in der Bed. 'unlöslicher, unverbrennbarer, nicht mehr verwertbarer (Rest-)Bestandteil von Brennstoffen', vereinzelt in Zss. wie Ballastkohle, vor allem aber in der plur. verwendeten Zs. Ballaststoffe 'in bestimmten Lebensmitteln {Obst, Getreide, Gemüse) enthaltene, die Darmtätigkeit anregende, verdauungsförderliche fasrige Nahrungsbestandteile' (vgl. ballaststoffarm, -reich). Ballast a: 1399 Rig. Bursprake (Rig. Stadtrechte 212) so en sail neyn schepher bailast edder vulnisse schudden by den strand vppet bolwerk (KLUGE, Seemannssprache); 1508 Welthandelsbräuche 235 von London gen Dantzke zalt man vom foder 12 in 18 .. dernach sy palast inen haben (FRNHD. WB); Pfalzgraf Otto Heinrich 1521 (Röhricht, Pilgerreisen 390) aber die Leut darin [die Insassen des Schiffs] waren fast alle erschossen oder zerhauwt worden, ussgescheiden etlich hetten sich Im Palast in sandt verborgen: denn war nichts geschehen; Kantzow vor 1542 Chronik 105 folgends jares do wolden de stede den Denen de hafeninge von Kopenhagen versenken vnd senkeden wol bi veftich schepn mit steinen vnd ballast darjn; Hulsius 1548 Relation l 49 Pallast, das ist Sand-Last oder Sand und Stein, so alle Schiff unden müssen einladen, daß sie nicht umbfallen (alle drei KLUGE, Seemannssprache); Frischlin 1586 Nomenclator 15a Ballast.. Saburra, Kiss, Grob Sand, damit man die Schiff beschwert; 1599 Orientalisch Indien 111 102 der Pallast (das ist Sand vnd Stein, so alle Schiff

vnden müssen eynladen, dass sie nicht vmbfallen) war [infolge eines Lecks] mit Wasser bedeckt; Kiechel um 1600 Reisen 57 pallast, das ist stein oder sandt; Comenius 1644 Sprachen-thür Nr. 469 Ein lediges Schiff . . damit es gewisser im wasser gehe/ wird es mit ballast oder schiffsand beschweret; "Lesen 1664 Beschr. d. Stadt Amsterdam 168 Zum vierden solle kein Schiffer/ bei busse vn hundert gülden/ einigen ballast auf gemelte untieffen werfen; Dapper 1670 Beschr. v. Africa 433 Sonstn kan man alda Brandholtzes und Ballastes genug vor die Schiffe bekommen; Sperander 1727 A la mod Sprach 63 Baiast, so nennen die Schiffer dasjenige, was sie von Sand, Steinen und ändern schwehren Sachen, in Ermangelung der vollen Ladung, unten ins Schiff legen, damit es aufrechts im Wasser stehen bleibet, seine rechte Tieffe bekömt, und im Lauff gewiß und gerade gehen möge; 1732 Wohlinstr. Schiffer 98 in dem Kayserl. . . Reglement darff niemand ohne Vorwissen des Capitains von dem Haven und dessen Anweisung einig Ballast lossen, und zwar bey Tage bey 10 und bey Nacht

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Ballast

bey 100 Rthlr. Straffe (KLUGE, Seemannssprache); Jacobsson 1781 Technol. Wb. I 123 Ballastbrücke Ort in den Seestädten, wo der ballast ausgeladen werden muß, wenn es nicht erlaubt ist, ihn überall hinzuwerfen'; 1784 Merkur 152 daher mußte er [Luftballon] im Moment der Abreise um einige Pfunde Baiast erleichtert werden; Beckmann 1800-1805 Erfindungen V 592 Dieß wird begreiflich, wenn man weiß . . daß dieses Salz aus Indien statt Ballastes von jeder dahin handelnden Nation nach Europa gebracht wird, wo also die Concurrenz der Verkäufer unmässige Preise verhütet; Nettelbeck 1821 Lebensbeschr. I 120 Da wir nun mit Sand-Ballast fuhren, so ward Dessen eine ziemliche Menge über Bord geschafft, um das Schiff zu erleichtern; ebd. II 147 da das Schiff bei der hohen See unaufhörlich auf und nieder stieg, so spülte der, mit dem Wasser vermischte Ballast-Sand längs dem Räume, und von Einer Seite zur Ändern, so daß die Menschen knietief, ja bis über den halben Leib darin versanken (KLUGE, Seemannssprache); 1868 Allg. Mil.-Enc. H 365 Ballast, schwere Gegenstände wie Steine, rohes Metall u. dgl., welche in den untersten Schiffsraum aufgenommen, dem Schiffe einen tieferen aber auch sicheren Gang im Wasser und zugleich dasjenige Gleichgewicht geben, ohne welches die Gewalt des Windes das Schiff umlegen würde. Die Seeleute nennen das Einfahren des Ballastes „einschießen", das Auswerfen desselben „ausschießen"; Walcker 1876 ReichsEisenbahn-Fragen 26 Ballastfahrten; Kruse 1889 Seegeschichten I 81 ich stand auf der Ballastkiste zu Stralsund, mich umschauend im Hafen, der leer von Schiffen bereits war; Reuleaux 1892 Weltverkehr 231 Schiffe mit Wasserballast haben sozusagen Doppelboden (beide KLUGE, Seemannssprache); Eckener 1928 Amerikafahrt 160 Die unbedingt erforderliche Mindestmenge von Wasserballast (TRÜBNER); Gail 1958 Weltraumfahrt 14 Eine sehr große Rakete führt eine kleinere als Nutzlast mit. . Sobald eine Teilrakete ausgebrannt ist, fällt sie als nutzlos gewordener Ballast ab; ebd. 17 Dieses primitive System ist für Großraketen nicht anwendbar. Der mächtige Stab wäre ein beträchtlicher toter Ballast; Welt 2. 9. 1964 Die dritte Raketenstufe . . soll in eine 185 km hohe Parkbahn gelangen und von dort aus einen Bleiballast von 1700 Kilo Gewicht in eine Umlaufbahn um die Erde bringen; MM 28. 6. 1986 Heute sind Batterien und elektronische Bauelemente so winzig, daß die komplette Sendeanlage keine anderthalb Gramm mehr wiegt und sogar für kleine Singvögel auf langen Wanderzügen kein hinderlicher Ballast mehr ist; ebd. 3. 9. 1987 Ferner würden allein im Rostocker Überseehafen mit einer Anlage zur Aufbereitung von Ballast- und Bilgenwasser jährlich mehr als 100000 Kubikmeter behandelt und damit etwa 7000 Tonnen Öl dem Meer ferngehalten.

ballasten: 15. Jh. Emder Waterrecht (Nd. Jahrb. VII) 5 39 item een schipman kumpt an den marckt myt synen schipheer, de ys schuldich, int schip to bliven also lange, want dat schip losse vnde wedder geballast sy, dattet lyggen mach; Fischart 1582 Bienenkorb 192b daß es (das hlg. Kreuz) nemlich also vermanigfaltigt vnd gewachssen ist, daß man wol sieben Hauptschiff oder Holländer Hulcken, damit beladen, ballasten vnd befrachten möcht; 1587 Brem. Raths-Mandat (Bausch, Börtfahrt) 101 von uthländischen Schepen, so loß oder geballastet ankahmen; Apherdianus 1591 Throcinium latinae linguae 157 sabullare navem 'schiff ballasten'; Aldenburgk 1627 West-lnd. Reiße Gib Nach deme nun deß Viceroi sein Schiff außpallastet.. alle gefangene von Mönchen, Schiffern vnd Matroosen seine Diener darauff waren, wurde eine convohi von Schiff vnd Schloupen auff etliche Meil Weges Seewerts ein mit geschicket (alle KLUGE, Seemannssprache); Harsdörffer 1648 Poet. Trichter II 122 Ballast/ ballasten/ belasten; i>. d. Heyde 1676 Schiff-bruch 5a wir musten auch unsere Arbeit aufgeben, wegen des Sandes, den wir geballastet hatten, weil wir mehr Sand, als Wasser, mit Pompen und Eymern hinaus brachten (KLUGE, Seemannssprache); Frisch 1741 Teutsch-lat. Wb. 53 Ballasten, v. oder verballasten, ein Schiff mit Sand unten im Boden versehen, daß es im Gleich-Gewicht bleibe. Ballaster: Koppmann 1350-1400 Hamb. Kämmer-Rechn. I 228 Heyno van der Grove 18 fl. ballaster (KLUGE, Seemannssprache). Ballastierung: Winter 1970 Untergrund-Verkehrsbauten o. S. Auch Ballastierungskonstruktionen können als Adaptionsbereiche dienen . . Die Übergangsbeleuchtung, welche die Adaption unterstützen soll, ist besonders sorgfältig zu planen . . liegt der Grundwasserspiegel sehr hoch, dann kann wegen des Auftriebs eine Ballastierung im Sohlbetonbereich notwendig werden, d. h. die Decke der Sohlplatte ist entweder stärker als statisch notwendig auszuführen oder erhält Ballastgewicht mit entsprechendem Eigengewicht. Statt Ballastierung läßt sich durch Auskragungen der Sohlplatte das Gewicht der Hinterfüllung zur Gewinnung der Auftriebssicherheit heranziehen. Ballast b: vor 1564 Vom leisten vnd grossen Abfall Bl. 30a Luther hat von disem handl seine bücher nicht mit ballast/ sunder mit vberladung obgemelter ketzereyen biß an die bort erfüllet; Lauremberg 1661 Newe vermehrte Acerra Philologica 340 Vnnd zwar/ was ist ein feister Wanst/ anders/ als eine Bürde vnd vnnütze Ballast/ womit die Seele beladen ist?; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 859) Das Herz wird wie ein Luftschiff durch den

Ballast Auswurf des schwersten Ballastes, des Geldes, so leicht, so schnell, so hoch; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 580) Die wahre Poesie kündet sich dadurch an, daß sie, als ein weltliches Evangelium, durch innere Heiterkeit, durch äußeres Behagen, uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf uns drücken. Wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der uns anhängt, in höhere Regionen, und läßt die verwirrten Irrgänge der Erde in Vogelperspektive vor uns entwickelt daliegen; 1855 Prutz' Museum U 820 hat der Dichter auch in diesem neusten Stück . . jenem Gedankenballast, mit dem er sein Schiff nicht selten bis zum Untersinken befrachtete, entsagt, um sich dafür desto näher an die praktischen Forderungen der Bühne anzuschmiegen; Rieh! 1885 Vortr. U 254 Ballast der Thatsachen; Jodl 1898 (V. Lebenswege II 561) sprachlichen Ballast; Johnston 1917 Menschenverst. 127 in den ersten Jahren, während sie [junge Angestellte des Auswärtigen Amts] all den unnützen Ballast, den sie von den Universitäten mitgebracht haben, vergessen und sich eine wirkliche Kenntnis der Menschen und Städte aneignen; 1930 Süddtsch. Monatsh. 530 Anstand war ein überflüssiger Ballast in einer Welt, die betrogen sein wollte und von der Gemeinheit lebte; Böll 1963 Clown 126 ich bin dann plötzlich ganz leer und doch wie betrunken, und ich möchte am liebsten auch noch die Schuhe abwerfen und die Kleider — ohne Ballast sein; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 14 Ein Leben ohne Schwierigkeiten ist ein Ballon ohne Ballast. Hat man nicht gehört, daß so ein Gassack ohne Beschwernisse abtreibt? Mehr als zwei Zentner Ballast für Antons Leben sind zum Beispiel Altbauer Serno und sein Gehabe . . Der Ballast an Antons Lebensballon wird zu schwer. Er muß ihn um einige Sorgensäcke entlasten; FAZ 19.12.1964 Welche charmante geb. Dame findet als Ehegefährten ihren Typ in sportl.repräs. Herrn, gerade über fünfzig . . ohne jegl. Ballast (Anzeige); Offenburger Tagebl. 30. 3. 1971 Der Bundesarbeitsminister betonte, daß die ausländischen Arbeitnehmer „kein Ballast für die deutsche Wirtschaft sind", sondern zum wirtschaftlicehn Wachstum beitrügen; Zeit 28. 12. 1984 Wir stürzten uns in den Wiederaufbau .. Die Vergangenheit galt nur als Ballast und Belastung, Geschichtsmüdigkeit wurde Trumpf; ebd. 19. 4. 1985 die schlimme Geschichte von der Ermordung der über 100000 Geisteskranken (Nazijargon „Nutzlose Fresser", „Ballast-Existenzen"), die vergast, erschossen, zu Tode gehungert und gespritzt wurden; MM 17. 7. 1985 Gesetzgeberischer Ballast werde abgeworfen, Bürger und Verwaltung würden entlastet; Zeit 8. 11. 1985 nicht die Tatsache, daß hier ein Professor einen Bestseller geschrieben hat, war das Besondere an dem Roman „der Name

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der Rose" . . sondern der Bildungsballast, der an dem Buch hängt, ohne daß man ihn spürte; Berl. Ztg. 5. 12. 1989 Jetzt sind die anderen am Zuge, den Ballast von früher über Bord zu werfen, wobei . . auch DDR-Einreisebestimmungen zu prüfen wären; FAZ 7. 9. 1990 hat man [an den Pädagogischen Hochschulen] einige Anstrengungen unternommen, sich vom ideologischen Ballast der Vergangenheit zu befreien; Spiegel 24. 9. 1990 Ein paar Kollegen wurden weiterverpflichtet, die geschiedene Mutter von zwei Kindern aber war beim Aufbruch in die Privatwirtschaft nur unerwünschter Ballast. ballastlos: Heusler 1907 Br. 40 wenn ein solcher Zustand ein paar Monate anhält, wirkt er geradezu moralisch erniedrigend: man fühlt sich wie ein ballastloses Schiff und verliert den notwenigen Respekt vor sich selbst; Kisch 1914 Ges. W./ 68 Nicht etwa bloß deshalb, weil Robert Malik manchmal für seinen Vater die heilige, befreiende Schulglocke läutete oder weil er für den Direktor und die Professoren allerhand Dienste verrichtete . . wenn die Jungen ballastlos aus der Schule auf das Belvedere zum Fußballspiel eilen wollten. Ballast c: Süddtsch. Ztg. 20.11. 1952 Ballastkohle für Kraftwerke (Überschr.); ND 22. 10. 1964 Erst im Juli vor vier Jahren wurde ein neues Kraftwerk in Betrieb genommen, das täglich 800 Tonnen Ballastkohle verfeuert; 1967 Urania I 6 Ein anderes Problem der Elektro-Energiewirtschaft ist der hohe Ballastgehalt unserer Brennstoffe (Wasser und mineralische Einschlüsse); Gärtner 1971 Jungbauer o. S. So ist die „Nur-Heubereitung" meist die Ursache, daß zumindest ein Teil der Wiesen zu spät gemäht wird und daß ein großer Teil des Heues zu viel Ballast und zu wenig verdauliche Nährstoffe enthält. . Der rechtzeitige Silierschnitt sichert auch ein ballastarmes und nährstoffreiches Futter. Jüngeres Gras läßt sich besser zusammenpressen als älteres, sperriges; MM 21. 4. 1986 Das vitaminund ballaststoffreiche Müsli stärkt nicht nur die Abwehrkräfte, es bringt auch einen trägen Darm auf Trab und bietet den Zähnen was zum Beißen; ebd. 21. 5. 1987 Die Deutschen — ein verstopftes Volk (Überschr.) „Ballaststoffe sind kein Ballast". Dazu zählen vorrangig Gemüse und Obst und auch Hülsenfrüchte als der reichste Ballaststoffträger, sollten wieder vermehrt auf den Speisezettel; ebd. 9. 12. 1987 Daß Enddarmleiden in zivilisierten Ländern stark zunehmen, hat seinen Grund: Wir essen zu „raffiniert", das heißt zu veredelt und ballaststoffarm; Rhein. Merkur 8. 6. 1990 Außerdem habe die Ernährung relativ wenig Kohlenhydrate und enthalte kaum die wichtigen Ballaststoffe. IN

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Ballerina

Ballerina F. (-; Ballerinen), seit dem 17. Jh. (PFEIFER) vereinzelt, erst seit späterem 19. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. ital. ballerina F. (zu ballerina 'Tänzer', zu ballare < (m)lat. ballare 'tanzen'; —> Ball), vereinzelt in der (frz. beeinflußten) Form Ballerine. a In der Bed. 'Solotänzerin beim klassischen Ballett (die den Part der fünf klassischen Ballett-Hauptrollen übernimmt)'; dazu seit Anfang 19. Jh. aus gleichbed. ital. prima ballerina übernommenes Primaballerina F. (-; Primaballerinen), in der Bed. 'erste Solotänzerin, Vortänzerin in einem Theater, einer Ballettruppe', in der ital. Verbindung Primaballerina assoluta 'Tänzerin der absoluten Spitzenklasse, konkurrenzlose Meisterin im Kunsttanz' (vgl. Primadonna (assoluta) 'erste Sängerin'), gelegentlich mit „launisch, überempfindlich" konnotiert und übertragen verwendet (vgl. Primadonna; s. Beleg 1959), und seit Anfang 20. Jh. (gebucht 1911 bei Petri) Ballerino M. (-s; -s) 'Solotänzer'. b Daneben seit Mitte 20. Jh. als M. (-s; -s) (vgl. engl. ballerina (shoe)) als werbespr. Bezeichnung für einen flachen, ausgeschnittenen Damenschuh, dessen Form an Ballettschuhe erinnert. Ballerina a: Z. Werner 1809 Tagebücher 123 in das Teatro della Cocomera zum Benefiz der ersten Ballerina; Polko 1869 Staub 29 Ballerina; Nordau 1881 Paris I 85 Dieser kahle Herr von großer Miene ist der Gesandte einer ersten Macht, berühmt von seiner Freigebigkeit gegen Ballerinen und dagegen die Kirche . .; ebd. l 159 viel zu große Skeptiker und Menschenverächter . . als daß sie sich für irgendeine Idee begeistern könnten, die nicht in Gestalt einer nett gebauten Ballerine . . oder einer auserlesenen Champagnermarke auftritt; Wedekind 1896 Ges. Er. II 135 Ihren Artikel über die Ballerina finde ich vom ersten bis zum letzten Wort entzückend; Treitschke 1897 Politik I 59 so wurden die Italiener ein Volk von Dilettanten, das nichts Schöneres zu kennen schien als die Füße einer Ballerina und die Kehle einer Sängerin; Bahr 1906 Die Andere 110 Photographien eines Feldwebels, eines Radfahrers mit Medaillen und Orden, einer Ballerina; Schickele 1920 Mädchen 59 Und wirklich beugte sie sich gerade wie eine Ballerine und hob in dieser Stellung den Kopf auf, um ihm zu antworten; Moszkowski 1921 Gottheiten 119 Fragt sie die Ballerinen . . mit welchen Empfindungen sie heute an ein modernes Tanzgebilde herangehen; Welt 26.9.1964 Wenn sie, stubsnasig, die Wimpern hebt und die Arme über dem Kopf verschränkt, liebt man sie schon, die Mädchenballerina, die in glücklichen Stunden die Herzen des Publikums umdrehn kann nach Belieben; Geitel 1971 Ballett o. S. Sehr schnell wurde Natascha Trofimowa die Lieblings-Ballerina Berlins, sein Dornröschen, seine Julia: eine Tänzerin von lächelnder Holdheit, eine Mädchenfrau, weich und warmherzig, eine Ballerina der gerundeten Linien; Zeit 30. 8. 1985 Ein Mann kommt noch einmal in einem alten Tutu auf die Bühne. Bleibt al-

lein im leeren Raum zurück und tanzt im traditionellen Kleid der Ballerinen. Nimmt klassische Tanzhaltungen ein und übt; MM 26. 9. 1986 ein gelegentlich auch in sentimentale Melodramatik auswucherndes Künstlerspektakel um eine alternde Ballerina, die sich auf ihren Abschied von der Bühne vorbereitet und dabei von Erinnerungen an ihre Karriere und ihre Liebhaber überflutet wird; Zeit 27. 2. 1987 eigentlich wollte sie dann — nicht umsonst in der Stadt der Scala geboren — Ballerina werden. Das scheiterte natürlich am Veto der Eltern. Für die Mutter war Ballerina gleichbedeutend mit Prostitution; MM 13. 7. 1987 Ob Karo-Jacket oder Lederjacke, Tropenhelm oder Gangster-Borsalino, Bastrock oder Ballerina-Dress — in ständig wechseldem Outfit wuseln und tollen die drei Komödianten umher; Zeit 10. 12. 1987 Als die Schule 1978 gegründet wurde, gab es kaum eine Tanzakademie in der Bundesrepublik, die Ballerinen von Weltklasse hervorbrachte. Klassisches Ballett — das ist hierzulande jahrhundertelang das Orchideenfach unter den schönen Künsten gewesen . . Plop, plop, plop, machen ihre Schuhe auf dem Korridor. Sie hat schon den typischen BallerinenWatschelgang. Füße 45 Grad auswärts und Kopf hoch wie ein Ausrufezeichen; MM 28. 12. 1987 Klassisch in Vollendung boten Maria Brissonskaja und Aleksandar Loukianov Ausschnitte aus Tschaikowskys „Nußknacker". Das flinke Getrippel der Ballerina war wie ein hastiges Flüstern, duftig, musikalisch, eine zärtliche „Sprache" der Fußspitzen; ebd. 17. 5. 1988 Den Traum des klassischromantischen Balletts von der Schwerelosigkeit der Ballerina, von der Frau als ganz ätherischem, spirituellem Wesen — sie erfüllt ihn. Ihre Giselle schwebt in unbeschreiblicher, heiterer Anmut da-

Ballett hin wie geweht; Spiegel 24. 4. 1995 Die Fröhlichkeit wurde den Ballerinen von Kindesbeinen an eingepaukt. Ballerino: Spiegel 27. 6. 1994 Der Ballerino Nurejew hat sie [die Tänzerin und Theaterleiterin Pina Bausch] angebetet, der Kino-Magier Fellini sah sie auf der Bühne und bot ihr spontan eine Filmrolle an. Primaballerina: E. T. A. Hoffmann 1814 Kreisleriana (S. W. l 57) Die Prima Ballerina führte eben, indem der Chor der Figuranten seitwärts gruppiert war, ein schönes Solo aus; Meißner 1855 Sansara U 94 Die Prima Ballerina (SANDERS 1871); Wachenhusen 1865 Ballet l 84 Primaballerina; 1900 Dtsch. Revue 25 III 96 der „Tanzstern", die Prima Ballerina; 1911 Grenzboten /V 404 Das ganze Ballettwesen ist Degas von Grund aus vertraut. Er beobachtet die Elevinnen bei ihren langwierigen geisttötenden Übungen unter der Leitung des Tanzmeisters, belauscht die Mädchen in den Garderoben bei der Toilette, läßt Prima Ballerina und Chor mit ihren Pas über die Bühne gleiten; Welt 3. 4. 1954 Zwei Monate nach Japan gehen Sonia Arova (Paris), Primaballerina und internationaler Tanzstar, und Heinz Schmiedel, Solotänzer der Hamburgischen Staatsoper; Welt 13.6.1959 Ulbricht wird Primaballerina. -

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Punktum; Zeit 16. 8. 1985 Als der Star des Abends, die Primaballerina Natalia Makarova, im feuerroten Gewand den speisenden Gästen ihre Aufwartung macht; MM 16. 3. 1988 Ob Adrian Dimitrievitch ein guter Tänzer ist, bleibt dahingestellt. Zu sehr war er choreographisch in die klassische Rolle gedrängt, die Primaballerina zu heben, zu halten, sie anzuschmachten oder ihr sehnsuchtsvoll nachzublicken; FAZ 29. 9. 1990 Eine Primaballerina des Eises wie die zweimalige Olympiasiegerin Katarina Witt brachte es trotz erklärter SED-Linientreue sogar zwischen Flensburg und Konstanz zu Starruhm; MM 20.11. 1995 Nach dem Rücktritt von Galina Ulanowa 1960 galt Maja Plissezkaja wegen ihrer brillanten Technik, ihrer Schauspielkunst und eminenten Musikalität als Primaballerina assoluta. Ballerina b: 1957 Werbeanz. o. S. Ein entzückender Mädchen-Ballerina in hübschen Modefarben; 1958 Werbeanz. o. S. Sehr kleidsamer Ballerina in dankbaren Farben; 1958 Werbeanz. Frühjahr o. S. Hübscher Ballerina-Slipper für „ganz junge Damen" in weiß und kirschrot; Zeit 27. 4. 1990 Kleidung ist den Jungerwachsenen ungeheuer wichtig. Manja hat sich mit ihren Eltern auf den recht umständlichen Weg nach West-Berlin gemacht und dort einen Teil des Familienreisegeldes in Ballerinas, Rock, Jacke et cetera umgesetzt. IN

Ballett N. (-(e)s; -e), seit Anfang 17. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. ital. balletto (und frz. ballet), eigentlich 'Musikstück, nach dem getanzt wird; Tänzchen' (Diminutivbildung zu ballo 'Tanz(-fest); Ball', zu ballare 'tanzen'; —» Ball, —» Ballerina), früher und bis ins 20. Jh. in unterschiedlichen, meist frz. beeinflußten Schreibungen wie Balet(t), Pal(l)et und vor allem Ballet, mit veralteten Pl.-Formen Balleten, Ballets und (ital.) Balletti. Zunächst für '(pantomimischer) Masken-, Schautanz in Kostümen, Festlichkeit mit Tanzspiel', speziell Bezeichnung für die Tanzeinlagen, in denen (von der Hofgesellschaft selbst) bei Opernaufführungen, Festessen o. ä. mit zeitüblichen Tanzfiguren, durch Gesang und Deklamation verdeutlichte, mythologisch-allegorische Inhalte dargestellt wurden (vgl. Interludium, Intermedium, Intermezzo 'komisches, musikalisches Zwischenspiel, -Vorstellung, Einlage in der Oper'; s. Belege 1612, 1681, 1700; —>· Ball), auch für die dabei gespielte Musik selbst (s. Beleg 1619), und im 17. Jh. vereinzelt übertragen verwendet (s. Beleg 1642); ausgehend von ersten abendfüllenden Ballettvorführungen am Pariser Hof im 16. Jh. (Ballets du Cour) und den sich daraus entwickelnden aufwendigen Hof- und Prachtballetten, militärischen Pferdedressuren und Triumphzügen (s. Belege 1626, 1682), Wasserkünsten u. ä., in Frankreich seit Ludwig XIV. institutionalisiert, im 18.719. Jh. dann zunehmend in ganz Europa verbreitet (bes. Frankreich, Rußland) in der Bed. 'getanzte Bühnendarbietung, künstlerische Tanzvorführung mit Musik', bes. auf einzelne Tanzwerke oder

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Ballett

Aufführungen bezogen, z. B. ein Ballett aufführen, tanzen, auch als (Kunst-)Gattungsbezeichnung, z. B. das klassische Ballett, seltener für 'Tanztheater (als eine der Sparten des Theaterbetriebs neben Oper und Schauspiel)' und 'Bühnen-, Theatertanz (als eine der darstellerischen Disziplinen neben Gesang und Sprechkunst)', häufig auf Personengruppen bezogen im Sinne von 'Bühnenensemble, das solche Tänze aufführt, Tanzgruppe', z. B. das Ballett ist auf Tournee, die Damen vom Ballett, beim Ballett sein 'Ballettänzer(in) sein', gelegentlich, vor allem in Zss., assoziiert mit „leichtlebig; anzüglich, leicht anrüchig" (s. Belege 1860, 1865, 1906, 1929) oder „neckisch, niedlich; kindisch, albern" (s. Belege 1847, 1854), und vereinzelt in bildlicher Verwendung (s. Beleg 1944); häufig als Bestimmungswort in Zss. (konkurrierend mit Tanz-/tanz-) wie Ballettcorps, -tanz, -tänzer, -freund, -truppe, -gruppe, -schule, -saal, -Unterricht, -kunst, -direkter, -meister (nach frz. maftre de ballet] und Ballettratte 'in der Ausbildung befindliche, junge Ballettänzerin'; seltener als Grundwort in Opern-, National-, Kinderballett. Dazu im 17. Jh. die Personalableitung Balletist '(Ballett-)Tänzer'; seit spätem 19. Jh. die französisierende Ableitung Balletteuse F. (-; -n), auch Balleteuse, 'Ballettänzerin', gelegentlich scherzhaft und leicht negativ konnotiert mit „niedlich, neckisch" und „etwas anrüchig, unanständig, frivol" (s. Belege 1909, 1911, 1929, 1953); seit den 30er Jahren des 20. Jhs. in der aus Ballet(t) und dem Fremdsuffix -(o)mane 'männliche Person, die einer übertriebenen Vorliebe anhängt' gebildeten neoklassischen Kombination Ballet(t)omane M. (-n; -n) 'leidenschaftlicher Liebhaber des Balletts, eifriger, besessener Ballettbesucher' und in den 50er Jahren dazugehöriges Ballettomanie F. (-; PL ungebr.); gleichzeitig vereinzelt die adj. Gelegenheitsableitung ballettistisch 'wie beim Ballett, ballettartig', in jüngster Zeit die verbale Gelegenheitsableitung ballet(t)ieren '(Ballett) tanzen'. Ballett: 2601 (1776 Dtsch. Musäum I 404) Lustgarten Neuer Teutscher Gesang, Balletti, Galliarden vnd Intraden . . componirt durch Hanns Leo Hassler von Nürnberg; Platter 1605 Beschr. 122 daß sie ein stattlich balet dantzeten (JONES); Prätorius 1612 Terpsichore 37 Balletten (X:) Ist der Frosch Tantz: Weil alle die Personen/ welche in diesem Ballet auffgezogen kommen/ inn grün vnd gleich als Frösche seynd bekleidet gewesen (XI:) Ballet oder Dantz/ welcher mit Fewer vnd Flammen auffgeführet worden (JONES); Harnisch 1617 (Böhme 1886 Gesch. d. Tanzes l 260) Rosetum Musicum, etlicher Lateinischer und Teutscher lieblicher Art Baletten, Villanellen (Titel); Weckherlin 1618 Gedichte (BLVS 199,83) Bedeutung dieses Balleths (JONES); Prätorius 1619 Syntagma mus. Ill 19 Balli vel Balletti Erstlich seynd sonderliche Gesänge, die am Reyen vnd zum Tantze gesungen (denn Ballare heist Saltare, das ist Tantzen) derer Art etliche gar liebliche vnd anmutige Balleten vom Jacobo Gastoldo vnd Thoma Morleo publicirt gefunden werden . . Der ändern Art Balli oder Ballette seynd, welche keinen Text haben: wenn dieselbigen mit Schallmeyen oder Pfeiffen zum Tantze gespielet werden, so heist es stampita. Ballet aber sein sonderliche Tantze zu Mummereyen

vnd Vffzügen gemacht, welche zur Mascarada gespielet werden; vor 1623 (Balte, Danziger Theater 58) mit . . Weltlichen Comedien vnd Tragedien herrliche schone Baletten, Mascheraden vndt Englische Tentze sollen gesehen, geübet vnd verrichtet werden; 1626 Pluvinel's Reitschule 34 bey dem Ballet zu Roß (= du ballet des cheuaux); Mengering 1638 Gewissenswecker 312 mit Kleidungen, Trachten, Balleten, Ritterspielen; ders. 1642 Gewissensrüge 387 Ob sie in der Kirche unter wärendem Gottesdienst. . christliche Lieder und Melodyen .. Galliarden, Passamezen, Palleten/ Curanten . . auff der Orgel geschlagen; 1642 (Wäscher l 48) Gross Europisch Kriegs-Balet, getantzet durch die Könige und Potentaten (Titel) (JONES); Harsdörffer 1643 Gesprechspiele II 300 von Erfindung der Dantzspiele (Ballet); Comenius 1644 Sprachen-thür Nr. 773 Der musicant singet liebliche lieder/ schlaget auff die wol gestirnte Instrumenten/ erstlich preambel/ darnach macht er allerley lieder/ stükker/ couranten/ balleten/ madrigalien/ sarabanden; Rist 1647 Friedewünschende Teutschland 20 ich halte gänzlich davor, dass sie weder ein Ballet, noch eine Courante, noch eine Gagliarda zu tanzen wissen; 1649 Wurm 45 wann vnserer Würmern etliche sich zuvor vereinbart haben/ eine Masque-

Ballett rade oder Ballet zu machen; Lassenius 1661 Tischreden 187 da man allerhand Balleten, Couranten, Sarabanden, Paduanen, und dergleichen Dinge daher tantzet, hüpfet und springet; Fritsch 1667 De Augusta 31 Desselben Abend wurde uff dem großen Römer Saal ein trefflich Ballet gehalten; Weise 1673 Erznarren 39 Meine gantze Kunst bestund in dem, daß ich von großen Reisen, von Balletten, Comedien, Masqueraden, Banqueten und ander Eitelkeiten auffschneiden kunte; Elis. Charl. 1681 Br. I 17 Wen ir jetzt hir weret, köntet Ihr Euch woll wider bey der Olimpe ahnmelden, ohne die „majeste supreme", wie man im balet singt, zu förchten. Aber apropo vom balet, man hatt auff etliche melodeyen lieder auff die Olimpe gemacht, worinen sie nicht ist zum besten tractiret worden; Morhof 1682 Unterricht 743 Man pflegt auch aus den natürlichen Dingen Erfindungen zu nehmen/ wie das Roßballet so ihrer Kayserl. Maj. praesentiret worden; Ertinger 1697 Reisebeschr. 17 wie nicht weniger die scheue und künstliche Pallet des adels auff dem landthaußsaal; Reuter 1700 Ehrenfried LXXXV 85 Auf! . . schickt euch zum GrandBallette [Hochzeit]; Morhof 1700 Unterricht 670 die Balletten und Masqueraden, worinnen man durch Gebärden agiret [in Schauspielen]; Otneis 1704 Anl. 247 Ballete oder Tanz-Spiele; Marperger um 1720 Reisen 29 in Teutschen Residentz- und Reichsstädten, in welchen es gewißlich an Balletten, und Hochzeit-Täntzen nicht mangelt; Ramler 1756 Einl. l 39 Ihr wesentlicher Ausdruck ist der Ton, so wie des Mahlers die Farben und des BalletMeisters die Bewegungen des Leibes sind; Sonnenfels 1768 Br. 7 Das Prächtigste der Wiener Lehrbühnen sind ihre Ballete; Wezel 1776 Belphegor 117 Palet; Heinse 1794 H. v. Hohenthal V 280 f. Schmaus, Hochzeit und Ball; recht für ein Ballet, voll reizender Sachen . . Die Ballete sind wahrscheinlich aus den Maskenbällen entstanden. Der eigentliche Tanz blieb bei diesen immer die Hauptsache; Böttiger 1798 Uterar. Zustande l 229 Schweizer hatte sich in der Composition . . selbst übertroffen. Krantz mußte die Tänze zu den Ballets setzen und ich nahm ihn auch mit nach Manheim, als ich zur Aufführung hinreiste; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 389) Auf dem französischen Theater hatte ich gleichfalls von Jugend auf, wo nicht Ballette, doch Solos und Pas-de-deux gesehn und mir davon mancherlei wunderliche Bewegungen der Füße und allerlei Sprünge gemerkt; ders. 1829 Italien. Reise (HA XI 510) Die Römer sind durch die pantomimischen Ballette an stark gezeichnete Gestikulation gewöhnt; Bechstein 1836 Reisetage 164 Das mechanische Ballet, mit schönem Mohrentanz, das nun folgte war vortrefflich,

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das chinesische Schattenspiel hübsch; 1846 Neue Europa l 336 Durch alle Blätter läuft es, daß Heine den Auftrag erhalten habe, für London ein Ballettlibretto zu verfertigen; Cuendias 1847 Spanien 69 gelehrig wie die Pudel und lächelnd wie Balletttänzerinnen; Eichendorff 1854 Drama 210 eine weitere Folge dieser Impotenz und Armuth ist auch die kindische Ballet- und Opernwuth; Holtet 1860 Eselsfresser I 187 Man dachte damals ernstlich an ein tugendhaftes Ballettcorps; Scherr 1865 Blücher II 128 halbnackte Ballettspringerinnen; Holleuffer 1882 Bearbeitung d. Reitpferdes 230 f. Von dem Pferdeballet; Heinroth 1906 Enttäuschungen l 173 als ob ich meinen Eltern eine Ballettratte als Schwiegertochter aufzwingen wollte; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 277) Prinz Lambert war ohne seine Gemahlin erschienen. Der alte Ballettfreund war gefärbt, ausgehöhlt, schlottricht; Poppenberg 1913 Rokoko 46 Und der Stern der Ballettruppe war Vestris, der Unvergleichliche, der Gott des Tanzes; Voss. Ztg. 6. 9. 1929 Gewundert habe ich mich nur über das Nackt- oder so gut wie Nacktballett. Ich glaubte, das sei längst gepfändet; ebd. 24. 5. 1930 Damals war Ausgangspunkt des „ballet" der Gesellschaftstanz (der freilich damals eine Art Kunsttanz war); zugrunde gegangen ist das Ballett schließlich daran, daß seine Bewegungssprache in den (virtuos übersteigerten) Formen des Gesellschaftstanzes des 18. Jahrhunderts erstarrte . . Auch Fokin, unter dem Andrang des neuen Körpergefühls (verkörpert durch Isadora Duncan), versuchte nur mit halber Folgerichtigkeit die Erneuerung: daran ist schließlich das „Russische Ballett" gescheitert; Halbe 1935 Jahrhundertwende 374 ich . . hörte noch immer das Gekicher der kaiserlichen Ballettratten; Dtsch. AZ. 7. 7. 1944 Aus den Wiesen leuchtet die violette Kerze der Orchidee Knabenkraut, auf den Almhöhen weht unter schwerfälligen Fetthennen das Ballettröckchen der weißen Skrubbaerblüte; Süddtsch. Ztg. 5. 6. 1951 Seit einer Reihe von Jahren ist in England die Ballettkunst zu einer National-Kunst geworden; ebd. 25.9. 1959 Ungeachtet der Tatsache, daß allenthalben das Ballett beim Publikum . . als Kunstgattung stark „aufgewertet" erscheint und daß sich unter den deutschen Theaterfreunden in zunehmendem Maß ein spezifisches Ballettverständnis feststellen läßt, rangiert es im System der deutschen Theater noch immer als eine Sache zweiten Ranges; Stuttgarter Ztg. 23. 7. 1962 [Die] Ballettwoche [war als] Leistungsschau des Stuttgarter Staatsopernballetts . . so erfreulich wie eindrucksvoll; Geitel 1971 Ballett o. S. Rußland, Amerika, England und Frankreich . . schickten als Sendboten künstlerischer Herrlichkeit Ballettensembles in das niedergewor-

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Ballett

fene Reich: Solisten des Bolschoi-Balletts, das englische Sadler's Wells-Ensemble . . das New York City Center Ballett und das Ballett Theatre . . Sie tanzten durch die besetzten Zonen und durchlichteten das Alltagsgrau des Nachkriegselends in den Städten; MM 18. 4.1985 Das Niederländische Nationalballett gastierte mit Choreographien Hans van Manens im Ludwigshafener Pfalzbau-Theater; Zeit 26.4. 1985 eine „Ballettfibel" über alle wichtigen Tänze und Tanzformen, über „Bühnentanz-Disziplinen" und „Ballett-Gattungen"; ebd. 6. 2. 1987 Statt des Chors, dessen Part aus einem Nebenraum eingespielt wurde, trat eine Ballettgruppe auf; MM 15. 5. 1987 Ballettfreunde und ganz besonders die Liebhaber klassischen Tanzes kamen . . in einen ganz besonderen Genuß: Das Ballett der Staatsoper Budapest gastierte an zwei Abenden mit „Sylvia", einem der weniger bekannten Stücke des klassisch-romantischen Ballettrepertoires aus dem 19. Jahrhundert; Stern 10.12. 1987 Da steht das Klavier, da ist die Spiegelwand. Ein Ballettsaal, wie es Tausende auf der Welt gibt. Dunkle Schwitzflecken an den Wänden, Schleifspuren auf dem Parkett, besonders an den Stangen, wo täglich Dutzende Fußspitzen ihre immer gleichen Kreise beschreiben. Balletteuse: Jowiris 1888 Studententeuffel 44 Balletteuse; Fontäne 1890 Ges. W. l 3,67 aber es sind noch keine zehn Jahre, daß sich der jüngste Schwilow mit der Dupre verlobte, Balletteuse comme il faut; Liebermann 1896 Ges. Sehr. 79 Wie er manchmal den Horizont ganz oben an den Rand des Bildes verlegt, um uns die Füße seiner Balleteusen besser zeigen zu können; Liliencron 1896 Poggfred (XII 49) Ein andrer sieht gern Balleteusen tanzen; Huret 1909 Berlin 356 die niedlichen Balleteusen von Mailand; 1911 Grenzboten IV 402 Drei Kategorien von Vorwürfen hauptsächlich haben seine Gestaltungskraft gereizt: Jokeiszenen, Balletteusen, nackte Frauen bei der Toilette; Hammerstein 1916 Februar 173 Balleteusenkostüm; Mehring 1927 Paris 35 Balleteusen nahmen zur Quadrille Aufstellung; Andreas 1953 Carneval 22 tanzten ein paar Balletteusen zu einer neckischen Musik; König 1971 Macht o. S. Es ist interessant zu vermerken, daß eine weibliche Strumpfhose (außer ihrer professionellen Verwendung bei Tennisspielerinnen und Balletteusen) erst in unseren Tagen zu allgemeiner Bedeutung gekommen ist; MM 19.2. 1988 Hormon-Behandlung gegen Knochenschwund (Überschr.) . . seien oft ehemalige Leistungssportlerinnen wie Turnerinnen betroffen, aber auch Balletteusen; Stern 4. 10. 1990 Beine hoch im Osten für die Bonzen . . Als beim Aufmarsch in Ost-Berlin 1989 die Balletteusen zum

Cancan die Beine hoben, klatschten die SED-Führer Beifall .. Billig-Sex im Westen. ballettieren: Lukoschik 1991 In u. Out 162 Mikhail Barischnikow (Überschr.) Der genial-ballettierende Wassermann aus Riga .. hat vor einigen Jahren zum ersten mal ein breites Publikum neben Isabella Rosselini . . auf sich aufmerksam gemacht. Balletist: Lassenius 1661 Tischreden 187 da man allerhand Balleten, Couranten, Sarabanden, Paduanen, und dergleichen Dinge daher tantzet, hüpfet und springet, darauf man absonderlich in Frankreich, unzehlich tausend jährlich vielwendet, weil solche Balletisten, auf eine sonderbare Art müssen gekleidet seyn. ballettistisch: Süddtsch. Ztg. 28. 11. 1952 Die einzig echte Tänzerrolle ist die des Pagen, die der in München debütierende Wolfgang Leistner mit edler Haltung, klarer Linie und überzeugender ballettistischer Technik trug; ebd. 5.3. 1954 Zwar durfte man nicht an die magische Illusionierung denken, die uns Orff in „Astutuli" mit einem verwandten Stoff bereitete — Stammer hat das Sujet ins Ballettistische übertragen, und auch die von der Handlung gesetzten Akzente in pas d'action gekleidet. Ballettomane: Voss. Ztg. 28.11. 1930 Aufsatz eines englischen „Balletomanen" über „Die mitteleuropäische Tanzkunst"; Süddtsch. Ztg. 23. 10.1957 Über das zweite Programm der höchst willkommenen französischen Gäste, die sich heute mit einem Querschnitt durch ihr Repertoire von Münchens entzückten Ballettomanen verabschieden, wird noch berichtet; Stuttgarter Ztg. 15. 7. 1969 Als John Cranko später dann in gewohnter GalaAbend-Manier seine Mannschaft. . an die Bühnenrampe beförderte, kannte die Begeisterung der entfesselten Ballettomanen keine Grenzen mehr; Zeit 26. 4. 1985 daß in den Anfängen des Spitzentanzes die Künstlerinnen einfach Wolle in die SchuhSpitze preßten . . Details, nach denen Ballettomanen gieren; MM 8. 5. 1987 Zwölf Jahre lang waren die Hamburger Ballett-Tage Höhepunkt der Tanztheatersaison. Hochgestimmt füllten Ballettomanen aus ganz Deutschland, Europa und Übersee Parkett, Logen und Wandelgänge der Staatsoper. Ballettomanie: Süddtsch. Ztg. 18. 11. 1950 so ist es nicht sonderlich auffällig, wenn auf staatlichen wie privaten Bühnen mit Intensität Ballett gepflegt wird und das Publikum daran Anteil nimmt; England hat seit ca. 15 Jahren seine National-Ballettomanie. IN

Ballistik

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Ballistik F. (-; -en ungebr.), seit Ende 18. Jh. nachgewiesene Ableitung zu Bailiste, s. u. (vgl. gleichbed. älteres engl. ballistics, frz. ballistique). Zunächst im militärischen Bereich in der veralteten Bed. 'Schleuder-, Wurfgeschützkunst; Herstellung von Wurfgeschützen' (s. Belege 1795, 1813, 1831), von daher auch auf moderne Geschosse wie Feuerwaffen, Bomben, Raketen u. ä. bezogen und allgemeiner für 'Wissenschaft von der Bewegung, insbes. von der mechanisch-mathematischen Berechnung der (eine Bogenlinie oder Kurve beschreibenden) Flugbahn eines geworfenen, geschleuderten, geschossenen oder durch Rückstoß angetriebenen Körpers, Geschosses in der Luft', in festen Wendungen wie innere Ballistik 'die Vorgänge im Lauf von Feuerwaffen betreffende Ballistik' und äußere Ballistik 'die Flugbahn von Geschossen betreffende Ballistik'. Dazu die seit Mitte 19. Jh. nachgewiesene adj. Ableitung ballistisch 'die Bewegung, Flugbahn eines Körpers, Geschosses betreffend', vereinzelt bildlich verwendet (s. Beleg 1891), heute vor allem in der Weltraumtechnik auf Nuklearwaffen und Raketen bezogen (s. Belege 1958, 1965, 1967) und in der Computertechnik gebraucht (s. Belege 1985, 1986); häufig in festen fachspr. Wendungen wie ballistisches Problem 'Aufgabenstellung, die Flugbahn eines Geschosses zu berechnen', ballistisches Pendel 'beweglich aufgehängtes Holzstück, aus dessen Schwingungswinkel beim Aufprall von Kugelgeschossen deren Anfangsgeschwindigkeit berechnet wird', ballistische Linie/Kurve/Bahn 'von einem Geschoß beschriebene Bogenlinie/Kurve/Bahn', ballistischer Flugkörper, ballistische Rakete 'Flugkörper/Rakete, der/die sich in einer Geschoßbahn bewegt', ballistische Kamera 'Spezialkamera zur Aufnahme der Raketenflugbahn', in der Elektrotechnik ballistischer Transistor 'Transistor, der schnell wie ein Geschoß arbeitet'; dazu seit frühem 20. Jh. die Berufsbezeichnung Ballistiker M. (-s; -) 'Forscher auf dem Gebiet der Ballistik'. Dazu schon seit früherem 16. Jh. das zugrundeliegende, heute veraltete, aus (m)lat. bal(l)ista '(Stein-)Wurf-, Schleudermaschine' entlehnte, eventuell über griech. , das als Name für ein Sternbild bezeugt ist, auf griech. bzw. 'werfen, schleudern' zurückgehende Subst. Balliste F. (-; -n), auch in den lat. (flekt.) Schreibformen Bal(l)ista, Ballist, Baliste, auf antike oder mittelalterliche Verhältnisse bezogene Bezeichnung für eine Kampfmaschine in Form eines hölzernen Wurfgeschützes mit steiler, nicht genau berechenbarer Flugbahn, das mittels schneller Drehbewegung schwere Steine in gegnerische Reihen oder belagerte Städte zu schleudern vermochte (vgl. gleichbed. Mörser, Ggs. —»· Katapult als Bezeichnung für eine Vorrichtung zum Schleudern von Pfeilen), weitgehend gleichbed. mit älteren Nebenformen wie dem von der 2. Hälfte des 15. bis ins 20. Jh. (1933 bei Genius) gebuchten, auf gleichbed. mlat. balestrum (vgl. die lat. Nebenform ballistra) zurückgehenden Bal(l)ester N. (-s; -), auch Ballaster, 'Wurfmaschine, -geschütz', und aus ital. balestro, ballestra entlehnten veralteten Palester, auch Palaster, 'Armbrust'; dazu die vom früheren 18. bis ins 20. Jh. (1933 bei Genius) gebuchte, auf gleichbed. lat. bal(l)istarius 'zur Ballista gehörig' zurückgehende Berufsbezeichnung Ballistarius 'Hersteller von Ballisten', auch 'Schleuder-, Armbrustschütze'. Ballistik: Denis 1795 Einl. l 288 Ballistik oder Büchsenmeisterey (Überschr.); Campe 1813 Fremdwb. 142 die Wurfgeschützkunst (Ballistic); Oertel 1831 Fremdwb. 1117 Ballistik . . Schleuderoder Wurfgeschützkunst, a) Wissenschaft von der

Bewegung durch die Luft geworfener schwerer Körper, b) Bombenwerfkunst, bes. Anwendung der Parabellehre auf das Bombenwerfen; v. Sinner 1834 Neues vollständiges Lehrbuch der Ballistik (Titel); Prehn 1864 Die Ballistik der gezogenen Ge-

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Ballistik

schütze (Titel); Hartmann 1866 Erlebnisse 123 Diese [gedruckten Bücher] wollte ich unter dem Titel: „Vorträge über die Artillerie" meinem Unterrichte zu Grunde legen .. Als ich das erste Heft: „Einleitung in die Ballistik" im Manuskript vollendet hatte, legte ich es dem General von Prott . . vor; 1868 Aug. Mil.-Enc. l 367 Ballistik .. die Lehre von der Bewegung und der Gewalt der Projectilen unter dem Einfluß der entgegenwirkenden Luft; Hentsch 1876 Ballistik der Handfeuerwaffen (Titel); Lorenz 1917 Ballistik. Die mechanischen Grundlagen der Lehre vom Schuß (Titel); Often 1931 Napoleon 270 Mathematik? Das ist das Wichtigste. Algebra, Trigonometrie, Ballistik; Gagern 1931 Birschen u. Böcke 6 Er wußte nicht, was er aus der Hand gegeben; ein Schießeisen, das mit seiner ernsten Verläßlichkeit alle Metersekunden und -kilogramme, alle Stahlmäntel und Hochrasanzen, allen Tod und Teufel der ganzen Ballistik reichlich aufwog; Mostar 1950 Im Namen d. Gesetzes 179 dann wird man begreifen, daß für die Besatzung der belagerten Festung diese Kampfesweise von zermürbender Wirkung war, selbst wenn sie ohne jede Kenntnis der Ballistik durchgeführt wurde; Gail 1958 Weltraumfahrt 39 daß das Aggregat wie ein gewöhnliches Geschoß nach den Gesetzen der äußeren Ballistik auf das Ziel zufliegt, nachdem es während der aktiven Raketenphase die dafür notwendige Richtung und Geschwindigkeit erhalten hat; Spiegel 1. 3. 1993 Ursächlich für die meisten Skiverletzungen ist jene Trias aus Imponiergehabe, Konditionsmangel und Dummheit .. die resultierenden Stürze sind allenfalls mit den Mitteln der Ballistik zu beschreiben; ebd. 5.4. 1993 Die Identifizierung der Mordwaffe durch Ballistikexperten bestätigte schlimme Befürchtungen der Militärs. Ballistiker: Ossietzky 1927 (in: Weltbühne XXIII 1,401) indem er sich . . bei dem amerikanischen Botschafter bemüht hatte, seinem Freund, einem Doktor Goldmann, eine Anstellung als Ballistiker zu verschaffen; Bülow 1951 Jägerleben 267 Ich bin kein Ballistiker und vermeide es, anderen bestimmte Kaliber zu empfehlen; 1959 Wiss. u. Fortschr. 130b Mit dieser Entwicklung sah sich der Flugzeugbauer vor Strömungsprobleme gestellt, mit denen sich bisher höchstens der Ballistiker auseinandersetzen mußte; Fries 1974 Luft-Schiff 377 Mein Großvater schießt wie der beste Ballistiker mit seinem kleinen Mörser, aber er kann nicht das Feuerwerk machen, das die Generäle machen können; Spiegel 26. 7. 1993 Wenn die Piloten die Maschine gleich nach dem Abheben scharf nach links aufs offene Meer abkippen lassen, dann könne sie kein feindliches Feuer mehr erreichen, sagen die Ballistiker, die hier die Sicherheitslage mit Leucht-

spurmunition vermessen haben; ebd. 4. 7. 1994 Die Schweizer Ballistiker sollten im Auftrag der Schweriner Staatsanwälte untersuchen, ob auf Grams möglicherweise aus weniger als 1,5 Meter Entfernung geschossen wurde. ballistisch: A. v. Humboldt 1845 Kosmos 1400 Ein solches ballistisches Problem beschäftigte . . die Geometer Laplace, Biot; Dub 1863 Anwendung 558 gründet sich die Construction eines Chronoscops vom Hauptmann Navez auf das bisher in der Artillerie angewandte ballistische Pendel; 1868 Allg. Mil.-Enc. I 367 Man h a t . . die Flugweite der Kugeln, die Flugbahn und also die Sicherheit des Schusses zu ermitteln versucht (Ballistisches Problem) . . Ballistisches Pendel, ein pendelartig schwebender, beweglicher Block zum Zwecke ballistischer Berechnungen; Kerner 1891 Marilaun II 65 Von dem schwankenden, als eine ballistische Vorrichtung wirksamen Stengel werden dagegen die kugeligen Knospen wie Bälle fortgeschleudert; Gail 1958 Weltraumfahrt 39 Das Wort „ballistisch" besagt, daß das Aggregat wie ein gewöhnliches Geschoß nach den Gesetzen der äußeren Ballistik auf das Ziel zufliegt; FAZ 17. 12. 1965 daß das Raumschiff unter zunehmender Einwirkung der Erdanziehung in einer ballistischen Kurve dem Landegebiet entgegenfliegen konnte; 1967 Bild d. Wiss. II 133 Geräte mit weniger als einem Kilogramm Gewicht . . die vielfach zur Nutzlast von ballistischen Raketen und Satelliten gehören; Welt 1.7. 1969 In einem hohen ballistischen Bogen schoß Shepards Raumschiff . . über den Atlantik in die Sonne; Zeit 28. 6. 1985 Künftige Triebwerke . . werden eine Rakete in der Hälfte der Zeit auf eine ballistische Bahn bringen; Stern 13. 9. 1985 Dazu braucht es ein Nachrichtenübermittlungssystem, das einen ballistischen Flugkörper oder dessen Sprengköpfe ausmachen .. kann; MM 11.10.1985 Sie werden . . „ballistische" Transistoren genannt, weil sie so schnell wie Geschosse schalten und in integrierten Schaltkreisen auch erheblich schneller rechnen können; Zeit 28. 2.1986 beide Arten von Flugkörpern . . mit ballistischer und mit aerodynamischer Flugbahn; Spiegel 19. 4. 1993 Ballistische Untersuchungen ergaben, daß die Kugeln . . aus einer Waffe stammen, die Piet Rudolph . . aus einem Depot der südafrikanischen Luftwaffe gestohlen hatte. Ballistarius: Zedler 1733 Vnwersaüex. Ill 234 ff. Ballistarii wurden diejenigen genennet, welche die Ballistas vor die Kayserlichen Armeen verfertigten, und in verschiedenen Provintzien ihre Fabriquen hatten .. Gleichen Namen führten die Soldaten, welche zu dergleichen Machinen bestellt wurden.

Ballon Bailiste: Dasypodius 1536 Diet. 17 Balista, Ein gewerff/ oder boler/ ein kriegsrüstung/ da mit man stein/ kaht/ Schelmen/ vnd anders geworffen hat; Rivius 1548 Vitruv. 290a darmit er den Rüstzeug der Scorpion/ Catapulten vnnd Balisten/ das sind Waffen/ Schleudern/ Armbrost/ vnd dergleichen geschoß/ wisse zu richten; Goethe nach 1788 Sehr. z. Kunst (HA XII 186) Belagerungsmaschinen, Widder und Ballisten . . Waffen aller Heeresarten; Berenhorst 1798 Kriegskunst I 10 Bailisten, Katapulten, Bogen und Schleudern, hätten alle die Wirkungen unsers groben und kleinen Schießgewehrs gehabt; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 303) Kein Phalanx Griechenlands mit römischen Ballisten vermög Germanien zu verwüsten; Gumtau 1834 ]äger u. Schützen I 3 Die Ballisten- und Mauerbrecher machten den verschiedenen Arten groben Feuergeschützes Platz; Blesson 1835 Befestigungskunst III 33 Die eigentliche Ballista .. bestand aus einem festen Gerüst mit zwei federnden und nach den Regeln des Bogens gebaueten . . Wangen; Lenau 1842 Albigenser 77 Baiist und Bogen, Kolben, Schwert und Beil/ Arbeiten rastlos, Leichen viel zu machen; Scheffel 1857 Ges. W. Ill 182 sie .. setzten ihm mit Minen, Ballisten und Bombarden dermaßen zu, dass die Besatzung, unvermögend ferneren Widerstandes . . den Turm an die Bürger übergab; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 211 Die Ballisten waren in ähnlicher Art zum Werfen von Steinen und Kunstfeuern eingerichtet, und bestanden aus einem Wurflöffel, in welchen das Geschoß gelegt, und so mittelst einer rasch sich umdrehenden Welle im Bogen fortgeschleudert wurde; Wildenbruch 1903 Ausgew.

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W. IV 360 Handspeer, Pfeil und Wurfgeschoß der Ballisten .. warfen den brüllenden Ansturm wieder und immer wieder zurück; A. Zweig 1926 Knaben 229 mit festen Mauern — nicht so dick, daß meine syrischen Ballisten sie nicht alsbald einschmeißen können; Süddtsch. Ztg. 19.10. 1950 Wir empfehlen in diesem Zusammenhang [kalter Krieg] noch etwa die Benützung der „Balliste", eines Instruments von der Form eines großen Löffels, der um einen mittleren Drehpunkt schnellt und Steine bis zu einigen Zentnern Gewicht zu werfen vermag; Noll 1960 Abenteuer 277 Ein Bombentreffer hatte die Latrine weggefegt, der Unrat klebte an den Barackenwänden . . Das ist ein uraltes Kampfmittel .. Schon die alten Römer haben mittels sogenannter Ballisten Scheiße in belagerte Städte geschossen. Ballaster/Ballester: 1476 (Dief./Wü. 152) balester, blaster (FRNHD. WB); Happel 1690 Academ. Roman 802 Der Herr Bürgermeister hat. . einen Ballester/ damit kan er einem Jeden/ den er vor sich sieht/ auf 500 Schritte das Hertz treffen; Stieler 1691 Stammbaum I 87 Ballester/ das/ balista; Beier 1710 Höfe-Handwerkern (Reg.) dicunt ein Ballaster . . ein Armbrust. . quorum artifices sunt Armbrustmacher. Palaster/Palester: Zingerle 1446 Inventare 82b auf dem palast, da die palaster gelegen sind; Eschenloher 1678 Medicus 89 ist Maria Glaserin . . mit einer Pallesterkugel in das rechte Äug geschossen worden (beide FRNHD. WB). IN

Ballon M. (-s; -s, auch -e), im späteren 16. Jh. entlehnt aus ital. ballone, pallone 'großer Ball, Spielball; Ballspiel' (Vergrößerungsform zu balla, palla 'Kugel, Ball', german. Herkunft und etymologisch verw. mit dtsch. Ball), auch in bis heute regional eingeschränkt noch verwendeten Pl.-Formen wie Ballonen und (volksetymologisch in Zusammenhang mit Ball gebrachtem) Ballen, sowie in Schreibformen wie Balon, Baln und (ital. beeinflußtem) Pallon (vgl. 1); im späten 18. Jh. neuentlehnt aus gleichbed. frz. ballon, das seinerseits auf ital. ballone zurückgeht (vgl. 2a). l Zunächst als Bezeichnung für einen kopfgroßen, ballförmigen Beutel aus Leder, der mit Luft aufgeblasen zur sportlichen Betätigung oder zum Zeitvertreib mit einem Stock oder mit der (mit einem speziellen Handschuh bekleideten) Faust hin- und hergeschlagen wurde, für 'luftgefüllter Spiel-, Schlagball', gelegentlich bildlich gebraucht (s. Belege 1685, 1699), im Laufe des 18./19. Jhs. zunehmend durch Ball verdrängt, bis zur Jahrhundertwende vereinzelt noch historisierend verwendet; in Verbindungen wie den Ballon spielen, schlagen und in den Zss. Ballon(-hand-)schuh und Ballonspiel. 2a Seit spätem 18. Jh. unter frz. Einfluß (und mit frz. Aussprache) in der Bed. 'großer Ball zum Aufsteigen in die Luft; Luftballon', anfangs selten auch in der Form

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Ballon

Luftball(en) (vgl. 1; s. Belege 1788, 1789, 1806), insbes. im Zusammenhang mit der Entstehung der Luftschiffahrt aufgekommen als Bezeichnung für eine von den Brüdern Montgolfier und Blanchard entwickelte, 1783 erstmals erprobte Flugvorrichtung in Form einer kugel- oder ballförmigen, mit (Treib-)Gas oder (Heiß-)Luft gefüllten Hülle aus Stoff, seltener Papier (vgl. Montgolfiere, Zeppelin), die man, an einer Leine befestigt, zur Volksbelustigung hochsteigen ließ (s. u. Fesselballon) oder freifliegend als Luftfahrzeug zur Beförderung von Geräten, Post oder Menschen benutzte (s. u. Freiballon), seit Ende 18. Jh. im militärischen Bereich genutzt, z. B. bei Belagerungen und zur Erkundung sowie bei der Nachrichtenübermittlung mittels Flugblättern, im 20. Jh. bezogen auf die technisch weiterentwickelten, vor allem in der Forschung auf metereorologischem und geologischem Gebiet (s. u. Wetterballon), in der Umwelt- und Nachrichtentechnik (s. u. Ballonsatellit) eingesetzten oder zu sportlichen, festlichen Ereignissen und anderen Gelegenheiten, z. B. zu Werbezwecken, nachgebauten Luftfahrzeuge (s. u. Heißluftballon), bes. in Wendungen wie einen Ballon auflassen, (auf-)steigen lassen, im Ballon aufsteigen, fliegen, fahren; daneben seit Ende 19. Jh. auch für 'kleiner, aufblasbarer Ball aus dünnem, dehnbarem Gummi (als Kinderspielzeug oder zur Dekoration)', dafür meist Luftballon (s. Belege 1895, 1970, 1985, 1986). Von Anfang an, vor allem in der Verbindung wie ein Luftballon, bildlich verwendet und konnotiert mit „aufgeblasen, dünkelhaft, über allem schwebend, abgehoben; hochfliegend; flüchtig (bes. von wissenschaftlichen, literarischen Plänen, menschlichen Gefühlen oder Verhaltensweisen)" (s. Belege 1786, 1792, 1815, 1985, 1987, 1995), etwa gleichzeitig im Zusammenhang mit der schlagwortartigen Verbreitung nach frz. Vorbild auch bildlich in der Mode (bes. Frisuren, Kleidung) verwendet (vgl. die frz. Syntgamen (Mode) au ballon (volant), Turban au ballon), von daher auf Gegenstände aller Art ausgedehnt (vgl. Ballonbauch, -hupe, -köpf, -mutze, -rock; s. Belege 1898, 1925, 1957, 1961, 1969, 1987). Häufig als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Ballonphotographie 'Photographic der Erdoberfläche von einem Luftballon aus', Ballonmütze 'hohe, runde Mütze mit Schirm' als häufig leicht abwertend gebrauchte Bezeichnung für die typische Kopfbedeckung des Arbeiters (der 20er/30er Jahre), Ballonbrief/-post (nach frz. ballon-poste), Ballonreifen/-bereifung 'Reifen/Bereifung am Fahrrad mittels eines aufblasbaren Gummischlauchs unter dem Radmantel', auch 'Niederdruckreifen mit großem Querschnitt für Kraftfahrzeuge', Ballonhülle, -seide, -sonde, Ballonsperre 'militärische Abfangvorrichtung für Erkundungsballons', Ballonsonde und -Satellit 'zu Testzwecken aufgelassener Ballon, der eine Sonde, einen Satelliten trägt'; Fesselballon (nach frz. ballon captif) 'während des Aufstiegs an einer Fesselleine gehaltenes Luftschiff, Briefballon (nach frz. depeche-ballon) 'Ballon zum Transport und Abwurf von Briefpost, Flugblättern o. ä.', Wetter-, Stratosphären-, Freiballon 'frei in der Luft schwebender, mit der Windrichtung treibender, meist steuerbarer, bemannter Ballon, an dessen Unterseite ein Korb hängt, der die Besatzung und den Ballast aufnimmt', speziell auch Heißluftballon 'bemannter Ballon, bei dem der Auftrieb durch periodisches Aufheizen der in der Ballonhülle enthaltenen Luft erzeugt wird', heute meist in der Kurzform Ballon, Test-/Versuchsballon (nach frz. ballon d'essai) 'kleiner Luftballon, den man versuchsweise, zur Bestimmung der Windrichtung, vor dem eigentlichen Ballon aufsteigen läßt', meist bildlich (im Zeitungswesen) für 'Versuchsmodell, lancierte Nachricht o. ä., womit die Meinung ei-

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nes bestimmten Personenkreises erkundet, sondiert werden soll' (s. Belege 1851, 1950) und vor allem Luftballon, dafür häufig die Kurzform Ballon (s. o.). Dazu seit Anfang 20. Jh. die bildlich verwendete adj. Ableitung ballonartig, gleichzeitig das veraltete, aus gleichbed. frz. ballonnet entlehnte Subst. Ballonett N., meist in der frz. beeinflußten Schreibung Battonet, in der Bed. 'kleiner luftgefüllter Nebenballon, der im Hauptballon angebracht wird und zur Straffung und Erhaltung von dessen Form dient', und Gelegenheitsbildungen wie die im früheren 20. Jh. (1933 bei Genius) gebuchte verbale Ableitung ballonieren 'mit Luft füllen, aufblasen' und in jüngster Zeit nachgewiesenes französisierendes Ballonier M. (-s; -s) 'Ballonfahrer'. b Seit späterem 18. Jh. auch fachspr. in der Chemie für 'großes, durch ein Weidenoder Stahlbandgeflecht geschütztes bauchiges Glasgefäß, -flasche, -kolben mit kurzem Hals zur Aufnahme, Aufbewahrung und zum Transport flüssiger chemischer Substanzen und Gase'. 3 In jüngster Zeit in der Medizin für ein nach dem Ballonprinzip funktionierendes therapeutisches Gerät, einen aufblasbaren Katheter, der vor allem zur Erweiterung verengter Blutgefäße, aber auch zu anderen medizinisch-chirurgischen Zwecken verwendet wird, in Zss. wie Ballondilatation/-erweiterung, -technik, -katheter. Ballon 1: Maaler 1561 Teütsch spraach 380a spilballen auffgeblasen wie in Italia; 1597 Nürnb. Ratsverl. II 268 Uff das mündtlich referiern des .. furgelauffenen stritts des ballen-schlagens halben . . ist verlasßen, den Welschen undt ändern den vordem platz . . zum großen ballonschlagen innen zu lasßen; die goldtschmidt aber mit dem kleinen ballenschlagen uff die ander seifen . . zu weisen (FRNHD. WB); Hainhofer 1610 Corr. 42 wie man einen ballon [eine Hohlkugel in Apfelform] pflegt aufzublasen; Guarinonius 1610 Greuel 765 vnd zwey großmächtige, den groß auffgeblasennen Welsche Ballonen, . . gleich Pafesen; ebd. 1181 den großen Welschen Ballon oder Baln schlagen [Leibesübung]; ebd. 1213 Diser Ballon wird in gemein eben von Teutschen der Ballon, das ist, der groß Ball genennet, welcher mit Wind durch die messing Spritzen biß zur müglichen Härtigkeit angeblasen; Wallhausen 1616 Ritterkunst 63 Ballen, Ballonenspielen [als Zeitvertreib im 17. Jh.]; Opitz 1624 Poemata 149 Es ist genug gespielt mit eisernen BaiIonen [Kugeln], Du großer Capitain, hör' auff, fang an zu schonen; Meyfart 1636 Hochschulen 397 nicht instrumentiren, nicht Ballonen schlagen, nicht spielen; Fleming 1646 Gedichte l 106 Ich bin der Götter Spiel und Kurzweil, ihr Behagen und lustiger Ballon, den immer himmelan bald die, bald jene Faust, bald hin, bald her tut schlagen; Harsdörffer 1649 Gesprechspiele Vlll 379 ein Kindlein/ welches einen Ballon aufblässet; Schildknecht 1652 Harmonia III 70 nutzet so viel als ein Hand voll Pflaum-Federn zum Ballon; Abr. a S. Clara 1685 Gack 125 wenn du dich auff Pallon Art auffblasest; Happel 1690 Academ. Roman 863

doch ist ihnen/ den Studenten/ vergönnet .. sich in hübschen Exercitiis zu üben/ als im Fechten/ reiten/ im Ballhauss/ im Ballon; Rottmann 1715 Philosophus 327 wenn er . . sich halb toll studiert, sich zuweilen veränderte und ein stündlein mit dem Ballon zu spielen . . hinbracht; Wagner 1724 Soldatenbibl. 140 Sie müssen allerhand Essen/ Hitze und Frost ausstehen/ die Leibs-Ubungen/ als das Rennen/ der Balon [Ball]; Chomel 1750 Lex. I 1062 Ballon, oder Balon, lat. Follis, ist ein runder Beutel von Leder, etwa eines Kopffes groß, so mit Wind aufgeblasen, und mit der Faust, oder mit einem Pritsche! wie ein Ball geschlagen wird; Heinse 1780-83 Tagebücher VU 272 Das Ballonspiel. Die Bälle werden von Rinds oder Pferdeleder gemacht, dann die Luft hinein gepumpt; Goethe 1786 Tagebücher (WA Ul 1,196) Als ich von der Arena . . wegging, kam ich . . zu einem öffentlichen Schauspiele. Vier edle Veroneser schlugen Ball gegen vier Fremde; Foote 1796 Ritter (Übers.) (l 271) [Wir haben] Ballone gespielt; Heinse 1803 Anastasia 172 lieben die Italiäner das Ballonspiel [Ballspiel], Billard und das Fechten; Lessmann 1828 Blätter II 21 ff. Der größte Strom der Menschenmasse indessen bewegte sich nach einem Platze bei der Ringmauer, wo ein glänzendes Ballonspiel [in Italien = Ballspiel] das Auge der Schaulust fesselte; 1893 Brockhaus l 406 f. Ballon, ein großer mit Luft gefüllter Ball zum Spielen, welcher mit dem Ballonschuh, einer Art Handschuh, geschlagen wird. Der B. besteht aus einer mit Leder überzogenen Tierblase; Heineken um 1900 Lawn-Tennis 23 Ballonspiel.

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Ballon 2a: urn 1780 (1876 Argovia IX 191) Auch Haller hörte mit Vergnügen/ . . Daß seine Berner wollten fliegen Den windigen Franzosen gleich ../ Drei Stunden lang hing er im Westen,/ „Das LufftPallung" kam nicht hervor,/ Nur Rauch, nur Flüche von den Gästen/ Erhoben sich zu ihm empor; Wieland 1783 Teutscher Merkur IV 77 bey der Landung des Ballons; ebd. IV 78 die Explosion des Ballons — daß man den Ballon sich selbst und den Winden überlassen sollte; ders. 1783 Aeropetomanie (S. W. XXX 14 f.) dass er selbst. . den Taft zum Überzug des Ballons eingekauft. . gleich in den ersten Versammlungen der Unterzeichner die brennbare Luft in Vorschlag gebracht; Goethe 1784 Er. (WA IV 6,293) In Weimar haben wir einem Ballon auf Montgolfierische Art steigen lassen, 42 Fuß hoch und 20 im größten Durchschnitt .. nur hält sich der Körper nicht lange in der Luft, weil wir nicht wagen wollen, ihm Feuer mitzugeben; Becker 1784-86 Reise 128 Nach Tisch sollte am Domplatze ein Luftballon steigen; Blumauer 1784—94 Virgils Aeneis (I 78) au Balon volant frisiert; Bürger 1786 Münchhausen U 175 sein [Blumauers] Dünkel marschiert bereits schon wie ein ärostatischer Luftballon über die Wolken hinweg; Frank 1788 System d. medicin. Polizei IV 536 Die Hinund Her-Reise . . geschah durch die Luft, und da es hier keine englischen Hengste noch Luft-Ballen gab, auf gewissen Bocks-Gestalten; 1789 Neues militär. Journal 291 Über den Gebrauch der Aerostatischen Maschinen oder Luftbälle im Kriege (Überschr.) Auch hat Herr Blanchard,. . in Leipzig durch einen am Stricke befestigten Ballon eine Dame in einem Schiffe erhoben und auf der Stelle wieder niedergelassen; Goethe 1792 Br. (WA IV 9,312) Sie erhalten .. das zweyte Stück meiner optischen Beyträge . . mit dem vierten hoffe ich soll sich der Ballon in die Luft heben, den ich aufs sorgfältigste zu construiren und zu füllen habe, um keinen ikarischen Fall zu thun; Foote 1796 Mündel (Übers.) (H 174) mir ging's, wie einer Ballone [sie]: ich stieg durch's Fallen; 1797 Journal d. Moden XII 45 Als Montgolfier die Wolken und die Himmelsstrasse betrat, huldigte ihm die Mode, indem sie die Formen und die Namen seines Meisterwerks annahm. Alles war au ballon; 1799 ebd. XIV 41 Man trug Turbans au ballon, das heißt, Halbkugeln, die sich in ihrem weitesten Umkreise auf eine Spitzeneinfassung stützten, und vorn mit einer Feder prangten; Brentano 1800 Gustaf Wasa 129 daß ich aufgieng wie ein Luftballon; Kotzebue 1801 Klingsberg (XU 251) Ich war wie ein Luftballon, der noch angebunden ist; Matthisson 1806 Wörlitzer Bl. (VI 262) Ebenfalls war es dieser Kühne, der bey Fleurus im Luftball [!] aufstieg, um die Stellung der östreichischen Armee zu erkundigen, und hiedurch den Sieg der Franzosen entschied; Goethe

1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 580) Die wahre Poesie kündet sich dadurch an, daß sie . . uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf uns drücken. Wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der uns anhängt, in höhere Regionen; ders. 1815 Gespr. (II 1073) Wenn man diesen zur Erde haltenden Ballast herauswirft, so gerät man in Gefahr, zu hoch in Lüften zu schweben, und muß am Ende gar, wenn man wieder herab will, ein Loch in den Ballon schneiden (GWB); ders. 1815 Br. (WA IV 25,169) Wir haben diesem Werklein noch wunderlich eingeheizt, daß es als Luftballon steigen und zuletzt noch als Feuerwerk zerplatzen kann; ebd. 25,269 eh man sich's versieht, geht das derbste Gedicht, wie ein Luftballon . . uns aus den Händen und in alle Lüfte; 1836 Album d. Boudoirs 24 Dann sprang sie in ihr Schiffchen und der Ballon flog mit der muthigen Luftschifferin in die Wolken; Prutz 1851 ff. Museum XVII 1,831 Man nehme die Broschüre nicht etwa als einen preußischen ballon d'essai (SANDERS 1871); Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 121 Ich schicke Dir des Scherzes halber einen von den Tausenden von Briefen, die in den Luftballons aus Metz enthalten sind; ebd. 277 8 Tage vor der Kapitulation von Metz kamen auch Nachrichten . . erinnere Dich doch der Ballonbriefe, die ich reichlich schickte; 1875 Dtsch. Rundsch. Ill 79 ein ballon d'essay zur Erfoschung, woher wirklich der geistige Wind der Erfindung [der Lokomotive] wehte; Lavergne-Peguilhen 1885 (Phil. Wochenbl. Beih. 7) Die Verwendbarkeit der Luftballons in der Kriegsführung (Titel); 1895 Dtsch. Dichtung XVIII16 Luftballons [für Kinder]; Fontäne 1898 Br. (Ges. W. II 2,453) mit 78 lieber in Friesjacke und Ballonmütze Holz sägen; Bremer Nachr. 10. 5.1909 1884 wurde in Berlin sogar eine „Versuchsstation für ballons captifs" gebildet . . schon zwei Jahre später ersetzte das preußische Kriegsministerium dieses Fremdwort durch Fesselballon; 1909 Luftschiffer 119 So sind nun die mit Registrierapparaten bewehrten Drachen und die freifliegenden kleinen Ballons, die von den Franzosen passend „Ballons-sondes" genannt werden, das wesentlichste Rüstzeug zur Erforschung der höheren Luftschichten geworden; ebd. 151 Ballonmode-Kostüm; Kempe 1911 Aviatik 11 alle Baiionluftfahrzeuge (Rund-, Frei-Ballons, lenkbare Motorluftschiffe); Heer 1923 Tobias Heider 25 Viele Arbeiter in Ballonmützen; Schüttet 1925 Humor 13 Ballonkopp; Voss. Ztg. 20. 8.1931 Die Pressestelle der Reichsleitung .. hat den Versuchsballon aufsteigen lassen in Gestalt eines Artikels, der mit der alten Zentrumsdevise „Wahrheit und Klarheit" überschrieben ist; 1931 Sport im Bild l 40 Rivieramoden sind die ersten Versuchsballons der kommenden Mode; 1931 Tempo Nr. 56 das Fahrrad mit moderner Ballon-Berei-

Ballon fung; Stemplinger 1932 Jugend in Altbayern 96 [um 1890 Volksgarten in Nymphenburg] mit seinen Karussels, Schießbuden, Glückshafen, . . Czardashütten, Orchestrion, Hippodrom, Pavillons und Ballon captif; Lokal-Anz. 25. 9. 1934 Fast schien es so, also sollte mit der Entwicklung des Flugzeuges das Ende des Freiballons kommen .. Der Luftfahrer freilich wußte die große Bedeutung der Freiballonaufstiege richtig einzuschätzen; ebd. 23. 10. 1934 Deutsche Ballone über die Ostsee getrieben (Überschr.); 1935 Luftwehr 46 Das erstemal wurde in der Schlacht von Fleurus am 26.Juni 1794 ein Fesselballon zur Aufklärung verwendet, und seit dieser Zeit ist er bis heute ein unentbehrliches Hilfsmittel der Kriegsführung geblieben; Dtsch. AZ. 1.1. 1935 ein verchromtes, ballonbereiftes Fahrrad mit Freilauf und Schalmeiglocke; Münch. N. N. 28. 9. 1940 ein Angriff der deutschen Luftwaffe auf die Ballonsperren von Dover sei erfolgt; Münch. Abendztg. 6. 5. 1950 die „ballon d'essays", die ausprobieren sollen, wie man sich in Deutschland [zur Frage] der ehemaligen Kanonen stellt; Frisch 1957 Homo faber 240 sein Ballon-Bauch, die abstehenden Ohren, seine Herzlichkeit; Gail 1958 Weltraumfahrt 32 Noch heute gehört das Auflassen von Stratosphärenballons mit Registrierapparaten und Funksonden zur täglichen Routine einer Reihe von Instituten, die sich fast über die ganze Erde verteilen; ebd. 71 Um recht hoch zu kommen, braucht man viel Gas und eine leichte, aber widerstandsfähige Hülle. Früher nahm man imprägnierte Ballonseide, heute stehen hochwertige Kunststoffe zur Verfügung; ND 8. 7. 1959 wissenschaftliche Arbeiten über die primären kosmischen Strahlungen, die mit Hilfe von Ballonsonden, Raketen und Satelliten erforscht werden; Münch. Stadtanz. 20. 1. 1961 Die Ballonfrisur ist so steif, als sei sie soeben mit einer Fahrradpumpe frisch aufgeblasen worden; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 14 Der Ballast an Antons Lebensballon wird zu schwer. Er muß ihn um einige Sorgensäcke entlasten; Bert. Ztg. 25. 5. 1968 Ballonsatellit „Echo eins" im Weltall verglüht (Überschr.) . . einer der bekanntesten von Menschenhand gefertigten Weltraum-Flugkörper, existiert nicht mehr; Stuttgarter Ztg. 13. 5. 1969 Mit zwei Ballonen findet am 21. Juni in Gestenreich eine postamtliche Baiionbeförderung statt; Welt 23. 6. 1969 Der erlösende Freudenruf, von der Ballonhupe des historischen Automobils ausgelöst . . wenn „Seine Majestät" zur Kieler Woche in die Marinestadt kam; Schroeder 1970 Archibald o. S. plötzlich . . zerplatzte ein roter Luftballon. Er wurde ganz klein und fiel tiefer und immer tiefer hinunter auf das große Rote Meer; 1970 Köln. Stadtanz. Nr. 261,6 Jeder Schüler bekam eine große Tüte Bonbons und einen Luftballon, so daß

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es nach der Preisverleihung nur fröhliche Gesichter gab; Offenburger Tagebl. 10. 3. 1970 Seit fast zwei Jahren streitet das Pestalozzi-Kinderdorf . . mit der Deutschen Bundespost um offizielle Start- und Landeortstempel für die mit den Freiballonen zugunsten des Kinderdorfs beförderten Briefe und Karten sowie um Erlaubnis, diese „Ballonpost0 auch offiziell Ballonpost nennen zu dürfen; FAZ 16. 10. 1971 Gestatten Sie mir, daß ich zu dem wirtschaftlich zweifellos überragenden Kapitel „Reifen" auf ein kleines Kapitel „Ballone" hinweise . . Richard Aßmann hatte um die Jahrhundertwende den Ersatz der bis dahin üblichen Stoffoder Papierballone durch geschlossene Gummiballone angeregt; Zeit 25.1. 1985 Der Luftballon der Hoffnungen war zerplatzt, das Sammelbecken der Gefühle entleerte sich; ebd. 4. 7. 1986 Für sie war es eine Abwechslung im Kindergartenalltag, und einen Luftballon gab's auch geschenkt; ebd. 3.4. 1987 „Der Ruhm", schrieb er in sein Tagebuch, „ist ein schöner Luftballon, umgeben von einer Rotte kleiner Jungs mit brennenden Zigaretten zwischen den Fingern"; ebd. 10.4. 1987 Geraffte Säume oder Ballonröcke mit langen, sehr engen Kostümjacken, meist in Marine, waren extrem feminin und sehr neu; MM 24. 3. 1995 Abgehoben wie ein Luftballon im Design des SATl-Wasserballs gleitet Geschäftemacher Stolze über die Unwegsamkeiten der Geschichte. Immer ein süffisantes Lächeln, immer mit der Gelassenheit eines Pokerspielers. ballonartig: Bölsche 1909 Stunden im All 89 In mancherlei Übergängen sieht man sie bei einzelnen Polypenarten immer weniger ballonartig, immer weniger medusenhaft werden [Quallen]; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 865) Es zeigte zwei gebogene, stahlblanke Gabelzinken mit äußerst scharfen Spitzen, einen leicht gewundenen elfenbeinernen und mit Gold eingelegten Mittelteil . . und endete in einer ballonartigcn Erweiterung aus halbstarrem schwarzem Gummi; Renn 1956 Kindheit u. Jugend 10 Die schweren Seidenkleider mit den ballonartig abstehenden Ärmeln und der langen Schleppe erschienen uns als das Schönste und Eleganteste, was es geben konnte; Otto 1966 Zeit 205 Der Direktor sah am meisten verkleidet aus; die verblichene ballonartige Schirmmütze, die ihm verkehrt auf dem Kopf saß . . entstellte ihn bis zur Verwegenheit. Ballonett: 1909 Luftschiffer 392 Ballonet-Ballons; 1909 Eroberung d. Luft 148 Ballonet; Linke 1909 Luftschiffahrt 137 eine äußerst geistreiche Erfindung . . Das Ballonet. Zuerst war es der französische General Meusnier, der den Vorschlag machte, in dem Ballon einen ändern kleinen mit Luft gefüll-

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ten Ballon anzubringen, der durch eine Luftpumpe vom Korbe aus gefüllt werden konnte. Er wollte dadurch das Traggas komprimieren und infolgedessen den Auftrieb verringern; Emden 1910 Grundlagen d. Ballonführung 114 Ballonet; Stavenhagen 1910 Befestigungslehre 316 Ballonetluftschiffe; Berl. Morgenpost 24. 5. 1930 Das Auffüllen von Brennstoff und Gas in den Zeppelin . . geht langsamer als erwartet, da die Schläuche, die nur behelfsmäßig installiert wurden, nicht imstande sind, die gesamte Erzeugung des Gasgenerators in die Ballonetts zu leiten. Ballonier: Spiegel 27. 6. 1994 Nach Aussage der Zeugen wurde der Ballon des „Flugsportclubs Würzburg" in Windeseile zusammengelegt . . „ohne daß sich der Ballonfahrer um meine verletzten Tiere gekümmert hätte" . . Nur weil der Zeuge die Autonummer des Wagens notiert hatte, konnte der flüchtige Ballonier überführt werden. Ballon 2b: Adelung 1774 Grammat.-k.rit. Wb. I 706 Ballon . . In der Chymie, eine große runde Vorlage mit einem kurzen Halse; Mitscherlich 1831 ff. Lehrb. d. Chemie H 1,83 Einen Kolben oder Ballon (SANDERS 1871); Karmarsch 1837 ff. Grundriß d. mechan. Technol. Ill 218 Zur Versendung der Schwefelsäure .. große Flaschen . . Glas-Ballons (SANDERS 1871); 1893 Brockhaus I 406 f. Ballon ist in der Technik die Bezeichnung für die großen bauchigen Glasflaschen . . deren man sich zum Aufbewahren und zum Transport der starken Säuren u. dgl. bedient; Th. Mann 1924 Zauberberg

(W. Ill 150) Reiner Sauerstoff war darin, zu sechs Franken der Ballon, und das belebende Gas wurde den Sterbenden zum Zweck einer letzten Anfeuerung und Hinhaltung ihrer Kräfte zugeführt, - sie schlürften es durch einen Schlauch. Denn hinter den Türen, vor denen solche Ballons standen, lagen Sterbende; Lokal-Anz. 24. 8. 1933 Im Lagerkeller eines Seifengeschäfts . . platzte gestern Nachmittag ein mit etwa 30 Litern Salmiak gefüllter Glasballon. Ballon 3: MM 19. 9. 1985 Ein Ballon im Herzen (Überschr.) Die Ballontechnik kann klassische, aber aufwendige Bypass-Operation vermeiden helfen oder sie zumindest aufschieben . . Vor dem Eingriff mit dem Ballon werden die Arterien-Verengungen lokalisiert. Mit einem Führungsdraht wird dann der Ballonkatheter bis zur Herzspitze in das verengte Koronargefäß eingeführt. Der zunächst nur einen Millimeter kleine Ballon kann bis zu vier Millimeter Stärke aufgepumpt werden; Zeit 18.10. 1985 Der amerikanische Arzt. . hatte 1957 als erster den zündenden Einfall, einen Gummiballon unter die Schläfenhaut eines Patienten zu schieben und nach und nach aufzublasen. Die Haut erweiterte sich wie gewünscht, und Neumann konnte mit dem so gewonnenen, überschüssigen Gewebe die Ohrmuschel des Kranken rekonstruieren; ebd. 7. 2. 1986 die Erweiterung der verstopften Gefäße mit einer „Ballondilatation" . . Etwa zehn Prozent der für einen Bypass in Betracht kommenden Patienten bleibt dank der Baiionerweiterung die viermal teurere Herzoperation mit dreiwöchigem Krankenhausaufenthalt erspart. IN

Balsam M. (-(e)s; -e ungebr.), schon im Ahd. (11./12. Jh.), Mhd. (13. Jh.) entlehnt aus lat. balsamum, griech. 'Balsamstrauch, -bäum; heilender harziger Saft, duftendes Öl (daraus)' (semit. Ursprungs, vgl. hebr. bäsäm, arab. basäm 'Balsamstaude; Wohlgeruch'; etymologisch verw. mit Bisam 'Moschus'), anfangs auch in der lat. (flekt.) Form und in Schreibformen wie (ahd.) balsamo, balsamie (wohl zurückgehend auf altfrz. bausemier 'Balsambaum') und (mhd.) balsam(e), balsem(e), balsme, balsamite F. (< mlat. balsamita). In der Bed. 'bäum- oder strauchartiges Gewächs, aus dem eine harzige Flüssigkeit fließt oder durch Einschneiden der Rinde und Auspressen gewonnen wird; Balsampflanze' (s. Beleg 1350), in Zss. wie Balsamapfel, -bäum, -holz, -kraut, -öl. Anknüpfend an abergläubische und mythologische Vorstellungen über Wunder- und Heilkräfte in der Bed. 'aus Harz oder ätherischen Ölen (der Balsamstaude) zubereitete oder künstlich hergestellte Substanz zur Herstellung wohlriechender Essenzen, Räuchermittel, Parfüms, Salben oder lebenserhaltender Heilmittel und Arzneien', auch allgemeiner '(über die Sinne, vor allem den Geruchssinn und die Haut angenehm auf Leib und Seele wirkende) Wohltat, erquickendes Labsal' (vgl. Myrrhe, Odem, ·— Aroma; s. Belege 1350, 1414-18, 1536, 1684, 1781, 1841, 1986); in festen Wen-

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düngen wie nach Balsam riechen, und als Bestimmungs-, seltener Grundwort in Zss. wie Balsamatem, -duft, -geschmack, -saft, -salbe, -tropfen, -pflaster 'Heilpflaster, mit Balsam bestrichenes Pflaster zur Wundheilung'; Lebens-, Wund-, Kräuterbalsam. Von daher bereits seit dem 14. Jh. selten, seit Anfang 18. Jh. häufiger auf religiöse und zwischenmenschliche Gefühle, vor allem auf die Liebe, übertragen und bildlich verwendet im Sinne von 'Trost, Linderung, Wohltat für die Seele, Besänftigung leidenschaftlicher oder leidvoller Gefühlswallungen' (s. Belege 1338, 1704, 1732, 1781, 1797, 1860, 1933, 1933-43, 1953, 1986, 1990), häufig in festen Verbindungen wie Balsam in/auf die Wunde(n) streuen/träufeln/gießen, (wie) Balsam für jmdn., für die Seele, das Herz, die Ohren, die Augen usw. (sein, wirken), selten als Grundwort in der Zs. Lebensbalsam. Dazu gleichzeitig die vereinzelt bis ins 18.719. Jh. nachgewiesene verbale Ableitung baisamen, auch (mhd.) balsemen, im Laufe des 15. Jhs. zunehmend verdrängt von gleichbed., vereinzelt schon im Mhd. bezeugtem balsamieren V. trans., in der Bed. '(jmdn./etwas) mit Balsam bestreichen, einreihen, -ölen, -salben; mit Wohlgeruch erfüllen' und 'einen Leichnam durch Bestreichen mit Balsam konservieren (zum Schutz vor Verwesung)', vereinzelt bildlich gebraucht (s. Beleg 1993), oft adj. verwendet in der Part. Perf.-Form balsamiert, mit dem seit spätem 17. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Balsamierung F. (-; -en); daneben seit Ende 16. häufiger die ebenfalls meist in der Part. Perf.-Form verwendetete Intensivbildung einbalsamieren V. trans., z. B. eine Leiche einbalsamieren, auch bildlich gebraucht (s. Belege 1959, 1992), mit dem seit Anfang 19. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Einbalsamierung F. (-; -en), und den im 17./18. Jh. vereinzelt nachgewiesenen Ableitungen unbalsamiert und Balsamierer c jmd., der Leichen einbalsamiert'. Dazu die im frühen 13. Jh. aufgekommene adj. Ableitung balsamisch (vgl. lat. balsameus, balsaminus], ältere Formen wie (mhd.) balsamlich und vereinzelt bis ins 19. Jh. nachgewiesenes balsamig verdrängend, auch in latinisierten Formen, z. B. im Syntagma Elixier Balsamicum, in der Bed. 'von Balsam gemacht, balsamartig; Balsam enthaltend', auf heilkräftige und wohlriechende (Essenzen von) Blumen und Pflanzen und deren Wirkung auf Körper und Seele bezogen im Sinne von 'heilsam, lebenserhaltend; erquickend, stärkend, labend; lindernd, wohltuend' (s. Belege 1684, 1731, 1742, 1769, 1807) und 'mit Wohlgeruch erfüllt, wohlriechend, duftend, lieblich', vereinzelt in festen Verbindungen wie balsamischer Atem, Duft, (Wohl-)Geruch (s. Belege 1682, 1770, 1790), im 20. Jh. gelegentlich auch allgemeiner bzw. bildlich (s. Beleg 1933 — 43) und in jüngster Zeit vor allem in bezug auf Klangerlebnisse verwendet (s. Belege 1992, 1995). Balsam: um 1270 D. jung. Titurel 6113 von balsem lieht da Brunnen (LEXER); 2. Hälfte 13. Jh. Sunnenburg 59 balsamrebe; Hugo v. Trimberg 1300 Der Renner 20116 balsem (LEXER); 1338 Minneburg o. S. Ach Mynne, du werder krisem,/ Du süßer baisam und bisem (FRNHD. WB); Konrad v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 358 Balsamus haizt ain balsenpaum daz ist ain paum oder ain stand . . den man hie vor neur in dem land Judea vnat an der stat Jericho; ebd. 359 wenn man den edeln balsemzaher [Balsamwasser] ab dem paum nemen wil, so muoz man in besneiden mit pain-

nein messern . . nem man des balsems ainen tropfen und tuo in in ain gaizein milch, so gerinn si zehant und der balsemtropf vall ze podem; 1392 Runtingerb. U 24 der natur des walvisches, baisam, balsemsam, balsamholtz esliches 1/2 quintit (FRNHD. WB); Volkslted 1414-18 (Liliencron l 239) mit stainen wurzern und kreutern temperiret man da mit lutern, baisam bisem reubarberum; Steinhöwel 1473 Ber. Frauen 155 Nach dem bot sie dem künig mangerlay herlicher gaben, under denen waren baisam bömlin, die Salomon hinach zue dem wyer Asaltidis pflanczen Hesse; 1486 Fast-

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nachtsp. 213 Der wurd so kraus und so gemeit/ Fur palsam und für pisem schmecken,/ Das man es ruch in allen ecken (FRNHD. WB); Paracelsus 1525-26 S. W. l 2,279 als wenig ein balsamholtz besser ist zum kochen über das büchi, also wenig schat waser gegen wein zu trinken; ebd. 13,57 ein ietlichs in sein geschlecht, das in cedrum, das in anthos, das in balsamum; ders. 1527—28 S. W. 7 5,319 das balsampflaster ist für und gut; ebd. 5,503 Nun aber von der zerbrechung des balsams so wissent, das seinen siben sind: der baisam des bluts, der baisam der mark, der baisam des fleisches, der baisam der bein, der baisam des geeders; ders. 1536 S. W. / 10,109 mit dem öl oder baisam heilest wunderbare ding on schmerzen; Maaler 1561 Teutsch spraach 50r Balsamböumin holtz/ holtz von dem böumle das baisam tregt. Xylobalsamum . . Balsambaumsafft; 1599 America 8 Alle die dem Keyser bescheydt sollen thun/ werden erstlich nackendt außgezogen/ vnd vber den gantzen Leib/ mit einem weissen Balsam/ Curca von jhnen genandt/ vberstrichen (FRNHD. WB); Kiechel um 1600 Reisen 364 Ausserhalb dössen wüert gesehen der balsamgarrt, aber es wechst düser zeitt kein balsam mehr doselbsten; Henisch 1616 Teutsche Sprach 178 f. Balsambaum/ baisam/ ein balsamstaud/ wechst zweyer elen hoch/ vnd wirdt gepflantzt/ wie ein Weinrebe/ allein in Judäa; Comenius 1644 Sprachenthür Nr. 135 Gartenkräuter sind/ die stabwurtz oder ebereiß/ die bärnklaw/ das balsam-kraut; ebd. Nr. 138 die reinweide/ das süßholtz/ der baisam; Gryphius 1663 Catb. 89 Bringt Essig/ helfft sie kühlen. Bringt Balsam! sie beginnt die frische Lufft zu fühlen; Weise 1684 Jugend-Lust 150 Ist niemand hier/ der mit stärkenden Wassern/ mit Balsam und ändern Artzneyen das Seinige thun will? (FRNHD. WB); Wernicke 1704 Epigramme 317 Man sagt nicht die Liebe will ein Balsam sein, sondern die Liebe ist ein Balsam; Stranitzky 1717 Reisebeschr. 36 so thät es einen weit . . mehr delectirn, als wann man einem ein Balsam unter die Nasn thut schmiern; Haller 1732 Versuch schweizer. Gedichte (NL XLI 2) O dreymal Selige! Euch muss ein Fürst beneiden, Dann Liebe Balsamen Gras, und Ekel herrscht auf Leiden; Canitz 1734 Gedichte 343 Ich [Scharlatan, Quacksalber) bin auf diesem Plan mit Theriack erschienen, mit Balsam und Extract, ich gebe guten Kauff; Bodmer 1746 Mahler l 124 Zibeth, Balsam, ungarische Wasser, Violpulver, Citronensaft, Mejenthau, Jungfernmilch, sind bey ihr ein grösserer Aufwand, als Muß und Brod; Lessing 1767—68 Dramaturgie (S. Sehr. X 26) o, daß mein guter Engel Gedanken in meine Seele, und Worte auf meine Zunge legen wollte, den Sturm in Deiner Brust zu beschwören, und Balsam in Deine Wunden zu gießen; Goethe 1774 Werther (HA VI 8) Die Einsam-

keit ist meinem Herzen köstlicher Balsam in dieser paradiesischen Gegend; ebd. VI 117 Ich habe sie in ihrer ganzen Himmelswonne geschmeckt, diese Sünde, habe Lebensbalsam und Kraft in mein Herz gesaugt; Schiller 1781 Räuber (S.W.I 474) Ich habe das Fieber.. Ich will morgen zur Ader lassen .. Meine Stimme ist bang und lallet, gib Lebensbalsam auf Zucker; Lavater 1781 Verm. Sehr. II 416 Ich bin doppelt verwundet, und mein zweyfach blutendes Herz bedarf mehr, als Ihr den Balsam des brüderlichen Mitleids und des stärkenden Trostes; Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge I 55 Hofmanns Lebensbalsam auf Zucker zu träufeln; Schiller 1795 Baumzucht 127 Die Balsam-Pappel .. Populus balsamifera; Hufeland 1797 Kunst 323 Glücklich sind .. die Menschen .., denen der Himmel das Talent einer immer zufriedenen Seele verliehen hat. . Sie haben den schönsten und reinsten Lebensbalsam in sich selbst; Klaproth 1807 Chem. Wh. I 244 Balsam, Balsamum. Baume. Man brauchte sonst das Wort Balsam in einer sehr unbestimmten Bedeutung, indem man alle harzige, vegetabilische Substanzen, welche einen starken, angenehmen, aromatischen Geruch hatten, mit diesem Namen belegte . . Auf diese Art wurden trockne und flüßige Harze, Gummiharze, und überhaupt Substanzen von ganz verschiedner Beschaffenheit, unter der Benennung Balsame begriffen; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 423) Wie lieblich überraschte mich .. aus der Ferne der Ton von ein paar Waldhörnern, der auf einmal wie ein Balsamduft die ruhige Atmosphäre belebte; ders. 1821 Wanderjahre (HA VIII359) rieb mir die Schläfe mit einem gewissen Balsam, so daß ich mich geschwind und entschieden gestärkt fühlte; 1841 Europa l 574 Er muß zum dritten Male von dem Wunderbalsam nehmen, und nun gewinnt er Kraft genug, seinen Retter zu umarmen und ihn mit Küssen zu bedecken . . die Klugen im Orte kaufen für Krankheitsfälle dem menschenfreundlichen Arzte Flaschen seines Universalmittels ab; Landsteiner 1860 Leben 114 Poesie ist ein Balsam für des Herzens Wunden, ist eine milde Engelsstimme, die den Aufruhr in der Menschenbrust besänftigt; Wimmer 1902 Palästinas Boden 56 die Genossin der Jerichopalme, die Balsamstaude . . der Balsamstrauch [ist] an einer weiteren Stelle des syrischen Grabens gediehen; ebd. 97 Balsamkulturen des Altertums in Jericho und Engaddi; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 384) Vordeutungen auf die religiöse Verzücktheit der Parsifalsprache wie die Worte „ein heil'ger Balsam meinen Wunden — dem Schwur, dem hohen Wort entfließt"; ders. 1933-43 Joseph (W. /V/V 107) dein Teil Wahrheit hast du angetan mit Anmut und gesalbt mit dem Salböl des Witzes, so daß es ein Spaß war für den Verstand und ein Balsam für mein

Balsam Herz; ebd. /V/V 793 Das sind die Ismaeliter von Midian .. die tragen Würze, Balsam und Myrrhe von Gilead hinab gen Ägypten . . Denn die Balsame hier und Weihrauchharze . . sind der Stolz meines Handels; ders. 1953 Erz. (W. Vlll 68) Gebe Gott, gutes Kind, daß du das nicht nur sagst, um mich zu trösten und Balsam auf meine Qual zu träufeln, aus Mitleid; Andersch 1971 Kirschen 96 Wir kamen an einem blauen See vorbei, den man durch eine Girlande schlanker Balsampappeln hindurch erblickte; Zeit 3. 5. i 985 Balsam für die Ohren unserer aufstrebenden Jungunternehmer; ebd. 26. 7. 1985 Für jedes Kind hatten die Eltern Grace und Clarence Hemingway nach der Geburt eine Balsamtanne gepflanzt; ebd. 25. 4. 1986 Das Gutachten des Sozialbeirats wirkt in dieser Situation wie Balsam; MM 27. 9. 1986 Die Marx Brothers sind es, die ihn wieder dem Leben zurückgeben. Ihr Film „Duck Soup" wirkt wie Balsam, der alle Wunden heilt; ebd. 9. 10. 1986 Allergien aus der Apotheke der Natur (Überschr.) . . giftige Substanzen auch im -Balsam . . So mancher, der sich sein -Balsam auf die zivilisationsmüde Haut reibt, kommt mit diesen Stoffen in Kontakt; FAZ 5. 12. 1990 Dergleichen war Balsam für die von Minderwertigkeitsgefühlen Geplagten. baisamen: Salomon u. Morolt um 1160 (Dtsch. Gedichte d. Mittelalters l 843) die hüt baisamen; Gottfried i/. Straßburg um 1210 Tristan 16835 diu gebalsamte minne; Wolfram v. Eschenbach um 1215 Willehalm 451 gebalsemt vleisch; nach 1250 Mai u. Beaflor 176,10 din schöne balsemt mir den muot; Dtsch. Minnesinger d. 12., 13. u. 14. ]hs. U 421 b so balsemt auch ir leben ir lip (alle fünf LEXER); Konrad v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 361 er behelt der töten leib ganz an faulen gar vil jär die man balsamt mit rehtem balsem; um 1400 Brun v. Schoneb. 5763 mit balsem balsament man die kristen,/ uz balsemen machet man mit listen/ do mete man die pfaffen wiet; 1. Hälfte 15. ]h. Chronik Köln l 350 zwene steine, die in dem licham des egenanten [fürsten] ind heren, do he gesneden ind gebalzampt wart, vonden wurden; Hermann v. Sachsenheim 1453 Tempel 175 Du [Maria] wolgezierter brunn,/ Gebalsamt kuüsch und zart; 1466 Seifrits Alex. 5862 sein leichnam und sein wunden/ wuerdent gepalsamt (alle vier FRNHD. WB); Haller 1732 Versuch Schweiz. Gedichte 29 Liebe balsamt . . Gras; Zachariä 1772 ff. Poet. Sehr. I 120 Das Haar,/ das durch manch Öl balsamt. . in neuem Wachsthum war; Herder 1800 S. W. IX 194 Menschenquälern die Wunde/ zu baisamen . . es ist gegen die Menschheit Verrath; Voß 1825 S. Gedichte U 142 Mit Arsenik und Silberglätte . . gebalsamt (alle vier SANDERS DWB).

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balsamieren: Mitte 13. Jh. Sanct Alexius Leben o. S. balsamieren (LEXER); Steinhöwel 1473 Ber. Frauen 289 sunder nach gewonhait anderer künig liesz er sie mit grossem nachfolgen desz volkes zue dem grab tragen, kostlich balsamirn und daryn nach kaiserlichen wirden bestatten; Paracelsus 1531-32 S.W.J 9,306 haben ein einbruch gemacht in das heidnische volk zur abgötterei, angebeten den leib der in der erden faulet oder balsamirt lag; 1564 Dreytw. Essl. Chronik CLV 221 er sey in der gefencknus gestorben .. als einen hern zu dem grab bestettiget, aussgeweidett und balsamyrtt; Paracelsus 1572 S. W. / 13,344 ist nun mumia der erden genannt, dan er in der erden zerfaulen sol. . so seind die balsamirten menschen cörper auch nit die rechte mumia; Fischart 1577 Glückh. Schiff 57 Ich wolt .. auf den Maien Dich Ian inn Küleins contrafeien, Vnd dein Nas gar schön . . viziren, Ja doch gar damit Balsamiren; 1598 Oriental. Indien II 3 sein leib ist Baisamiret .. worden; Kiechel um 1600 Reisen 23 palsamirt; Spangenberg 1607 Ganss König 45 Dß man das Hertz vnd Eingeweid Begräbt besonders/ mit bescheid. Der Leib wird auch Exenteriert/ Vnd hernach köstlich Balsamiert: Vnnd nachmals auch begraben fort Stattlich/ an eim besondern Ort; ebd. 47 Den außgelärten Gänse Leib Balsamieren/ mit Specerey; Henisch 1616 Teutsche Sprach 178 Balsamiren/ ein Leichnam außweiden/ vnd balsamire . . Die Egypter balsamiren jhre todte Leichnam/ vnd behalten sie in jhren Häusern; Opitz 1624 Griech. Epigramme 45 Mein Sinn ist mich zu ziehren, Den Bart zu balsamiren: Mein Haupt muss Rosen tragen; Ammann 1630 Reise in's Hl. Land 80 diese balsamierte Cörper und eingewickelte Cörpel [!]; 1631 Kathol. Gesangb. I 319 Das Oel heb von der Erden auff,/ Dich wasch hiemit, dich balsamir,/ Dich bad, dich salb, dich schmück vnd zier (FRNHD. WB); Moscherosch 1642 Visiones 159 so waren vmb ihn her/ Pyramus vnd Thisbe, Leander vnd Hero, welche ihn in seinem Stand erhielten. Diese waren balsamiret mit den allerbesten Amadisen/ vnd herzlichsten wolriechenden Schäffereyen; Stoppe 1728 Gedichte l 21 balsamirten [eingepuderten] Kopff; Schnabel 1731 Felsenburg I 245 Witt stolperte über den in seinem Unflath liegenden Wirth her, und balsamirte sich und seine Kleider so, daß er sich als eine Bestie hinweg schleppen lassen mußte; Ramler 1766 Lieder 165 lassen sich die todten Fürsten balsamiren,/ Um desto länger todt zu seyn./ Ich balsamire mich mit Wein/ Im Leben ein,/ Um desto länger lebendig zu seyn; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 75 f.) Apollo übergiebt den gereinigten und balsamirten Leichnam des Sarpedon den Tode und dem Schlafe, ihn nach seinem Vaterlande zu bringen; Beckmann 1784-1788 Erfindungen U 376 Nach

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einer Nachricht soll auch der Körper Alexanders, des Großen, in Honig gelegt seyn . . wiewohl andere melden, er sey Aegyptisch balsamirt worden; Goethe 1795-96 Lehrjahre (HA VU 545) Ich will die schöne Kunst, einen Körper nicht allein zu balsamieren, sondern ihm auch ein lebendiges Ansehn zu erhalten, bei diesem geliebten Geschöpfe sogleich anwenden; ders. 1809 Wahlverwandtschaften (HA VI 416) Ein Naturalienkabinett kann uns vorkommen wie eine ägyptische Grabstätte, wo die verschiedenen Tier- und Pflanzengötzen balsamiert umherstehen; Lenau 1837 Savonarolo 205 balsamirten; Gombert 1899 Progr. 10 balsamieren; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 677) Es wehte eine köstliche, feuchte, vom Atem der Bäume balsamierte Luft; Hurst 1927 Mannequin 310 Ganz in Schwarz, sah sie wie eine balsamierte Edelfrau aus, die plötzlich auferstanden war; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 751) von Menschengestalt .. aber sonderbar puppenhaft und von gleichsam abstrakter Form . . seine ganze Gestalt . . schien in einem Futteral, einem engen, entformenden Überzeuge zu stecken, schien, offen gestanden, gewickelt und balsamiert; Spiegel 29, 3. 1993 Oper — das sind Farbräusche auf der Bühne und Klangräusche aus dem Orchestergraben, das sind die heiligen Hallen, die Sarastro seit über zwei Jahrhunderten mit seinem priesterlichen Bai? balsamiert: Mozarts „Zauberflöte"; ebd. 21. 6. 1993 So mögen die alten Kameraden ihren Wagner: Der Klang balsamiert das Böse und wehe, es hält sich einer an den Horror im Text; ebd. 12. 7. 1993 Viele Exilrussen wollen wenigstens als Tote in die Heimat zurück . . über die Wartezeit hilft nur professionelles Balsamieren hinweg . . Für Lenins Leichnam garantierten die Präparatoren einst die Ewigkeit. Balsamierer: Henisch 1616 Teutsche Sprach 178 Balsamirer/ Todten salber; 1671 Pomey o. S. Balsamirer. Balsamierung: 1688 Reformation 8 Aber bey hoher und vornehmer Herren mühsamen Balsamirung soll die remuneration den hinterlassenen Erben freygestellet werden; Ramler 1766 Lieder 165 Die Balsamirung (Überschr.) Es lassen sich die todten Fürsten balsamiren,/ Um desto länger todt zu seyn; Beckmann 1784-88 Erfindungen H 381 Auch zur Leiche unsere hochseligen Königs Georg II ward dem Apotheker 152 Pfund für feines doppeltes Wachstuch und für andere zur Balsamirung nöthigen Specereyen bezahlt; Th. Mann 1933—43 Joseph (W. /V/V 1809) neben der Balsamierung nach oberster Preisstaffel hatte Joseph den Vorsatz zu einem gewaltigen Zuge, von dem man reden sollte bis über den Euphrat und bis zu den Inseln des Meeres, sogleich aus Jakobs Vermächtnis abgelei-

tet; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 57 Mit Kanopen werden Krüge bezeichnet, die die bei der Balsamierung entfernten Eingeweide des Verstorbenen bergen. einbalsamieren: Albertinus 1598 — 99 Sendtschreiben I 208a einbalsamieren; Beckmann 1784 — 1788 Erfindungen 11 372 Leichen wurden schon in den ältesten Zeiten eingesalzen, daher auch bey Herodot und anderen so viel als einbalsamiren bedeutet; Heynatz 1796 Antibarbarus l 330 einbalsamiren; vgl. einsalben; 1928 Leben (Sept.) o. S. zusammengebündelte Liebesbriefe, verblassende Bilder, wie Siegskränze glücklicher Erfolge — einbalsamiertes Sommerglück; Wachsmuth 1953 Werdegang 142 sah den Toten in der Unterwelt, suchte gar den Leib zu konservieren durch Einbalsamieren im extremen Erhaltungstrieb der späteren ägyptischen Kulte; Polgar 1959 Fensterplatz 80 Mit vielen Spezereien balsamierte sie es [das Wort Liebe] ein; Ortheil 1992 Agenten 101 Das sind momentane Euphorien, die kenne ich auch. Man balsamiert sich ein, man ist unverwundbar und ruht ganz in sich. Einbalsamierung: Beckmann 1800—1805 Erfindungen V 550 Zu der ältesten Erwähnung des Nitrums gehört der Gebrauch desselben, der in Aegypten zu Einbalsamirung der Leichen gemacht ward; Schack 1891 Mosaik 8 Einbalsamirung; Ohler 1990 Sterben 118 Kaum habe man 1484 Sixtus IV. zur Einbalsamierung in einen anderen Raum gebracht, sei aus dem Sterbezimmer alles verschwunden gewesen. unbalsamiert: Perez 1626 Landstörzerin I 223 Ich aber bin jhme höchlich verpflicht/ daß er wegen seiner groben vnd Bäwerischen Vnhöflichkeit meines Leibs verschont/ oder denselbigen vnbalsamirt gelassen; Bodmer 1758 Larve 5 Und er verscharrte den Leib unbalsamiert unter die Erde. balsamisch: Wolfram v. Eschenbach um 1215 Willehalm 451 balsamlich (LEXER); 2. Drittel 15. Jh. Ordo rerum 471 Balsamiticus .. balsenrochtig balsamrichig .. baisamen roch . . balszenroke . . balsamig . . balsamschmack (FRNHD. WB); Paracelsus 1536 S. W. / 10,535535 ist sein auslegung also, das etlich balsamische art in inen ist, die da aus kraft specifica weren, das die corpora nit brechen in inen selbs, weren aber dem gift nicht, sonder behalten das inficirt beide beieinander, dardurch die mineralisch art erhalten wird, hierauf zu merken ist, das dieselbigen medicamina in die balsamischen recept, gradus und qualitet gesezt sollen werden; Becher 1682 Glücks-Hafen 166 aber weilen

Balustrade die rothe Lilien/ nemblich das innerliche Sulphur einer feurigen Natur ist/ und wird von der eusserlichen Wärme geholifen/ so thut sie ihren hitzigen balsamischen Geruch in die Kälte der weissen Lilien eingiessen; 1715 Glauberus Conc. 77 Elixir Balsamicum, ein erweichendes/ zertheilendes/ eröffnendes/ ausführendes/ confortirendes/ digerirendes/ nutrirendes herrliches Mittel; Schnabel 1731 Felsenburg I 164 balsamischen Artzney; 1736 Karlsbad 62 dieses balsamische liebliche Öle; Schaarschmidt 1742 Med. Nachr. II 292 Aus eben diesem Grunde besitzt er [Branntwein] eine balsamische, das ist, der Fäulung unsers Leibes widerstehende Kraft; Gessner 1764 Tod 49 jene balsamische Luft [des Paradieses]; Geliert 1769 S. Sehr. V 25 So viel als ein balsamisches Pflaster auf einer gereinigten Wunde nützen wird; so wenig wird es da helfen, wo die Fäulniß durch scharfe Mittel noch nicht gehoben ist; ders, 1770 S. Sehr. VI 282 Der Frühling, der Sommer, der Herbst, bieten dir ihre balsamischen Pflanzen und Gartenfrüchte zur Erfrischung und Stärke dar . . Milch, ein balsamisches Nahrungsmittel. Das Land schenke sie dir, als Süßigkeit, oder als einen heilsamen Essig; ebd. VII 390 Man zergliedere nur ein Blatt oder das Gebäude einer Blume und vergesse nicht, bey dem Gerüche, den sie so süße ausduftet, an das Wunder des Wohlriechens zu denken! Warum riecht diese Blume so balsamisch? Und die andre und die hundertste, warum riecht sie nicht eben so, wie diese; Schiller 1781 Räuber (S.W.I 381) balsamische Atem; ebd. 1462 Sinkt der balsamische Schlaf auch auf die Augen der Schelmen? Warum flieht er mich?; Goethe nach 1790 Naturwiss. (HA XIII 150) Nadelhölzer aller Art, mit ernstem Grün und balsamischem Dufte; Brandes 1807 Lebensgesch. Ill 46 balsamische Pillen; Goethe 1821 Wanderjahre (HA VIII 270) der liebliche Duft gesammelter Frühlingsblumen schien immer erquickender und

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balsamischer zu werden; 1827 ff. Magazin d. Ausld. XXX 1234b Der balsamige Quinaquinabaum; Borne vor 1837 Ges. Sehr. V 89 Kriechend und balsamisch [Weihrauch streuend] von ihm reden (SANDERS DWB); König 1847 Klubbisten II 5,332 Weiche, balsamige Luft (SANDERS DWB); Wickede 1854 Kriegsleben 120 Krauter und Blüthensträucher . . balsamisch dufteten; Keller 1854 Heinrich 298 Ich stand auf und öffnete das Fenster; balsamische Mailuft strömte mir entgegen; ebd. 417 der geheimnisvolle balsamische Atem aus dem Innern eines schönen und starken Weibes; Gregorovms 1854-55 Wanderjahre III 26 Höhere Hügel von Pinien .. Meer, Himmel, Erde tanzen hier im Licht, und die Seele wird von dem balsamischen Duft der Pflanzen berauscht; Schlicht 1875 Bayer. Land II 69 Wünscht. . die Wöchnerin mit aller Gewalt die dumpfe Stubenluft mit der balsamischen Maifrische zu vertauschen; Kleinpaul 1892 Sprache 28 der Baum auf der Insel Ceylon, der, angeschnitten und verletzt, balsamischen Wohlgeruch verbreitet; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 486) köstlich war auch der Abend, wenn die Pflanzen des Parks balsamisch dufteten . . und das Murmeln des umnachteten Meeres, leise heraufdringend, die Seele besprach; ders. 1933-43 Joseph (W. /V/V 476) Sprach der Törichte wohltuend? . . „Balsamisch" . . „sehr klug und tröstlich, was ich eben in dem Worte balsamisch zusammenfasse"; ebd. /V/V 587 Sie hatten den Leuten der Ebenen jenseits des Jordan . . hübsche Gegenstände aus Glasfluß verhandelt und . . allerlei balsamische Schwitzereien, Tragant, Weihrauch, Gummi und Laudanumharz dafür in Tausch genommen; Süddtsch. Ztg. 18. 12. 1992 der Bratschist Yuri Bashmet . . balsamischer Ton, der wohl zärtlich, aber nie sentimental wird; MM 26. 9. 1995 Dazu die Stimme: ein Bariton mit kerniger Fülle, mit Höhenmetall und balsamischem Schmelz, sehr nobel geführt und mit berückendem Timbre. IN

Balustrade F. (-; -n), seit Anfang 18. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. balustrade (< ital. balaustrata, zu balaust(r)a, älter auch balausto 'Blüte des wildwachsenden Granatapfelbaumes', zurückgehend auf gleichbed. mlat. balaustrium/\at. balaustium, griech. 'Granatapfelblüte', deren längliche, sich in der Mitte verdickende Form auf die Gitterwerk-Verzierung oder Säulen von Geländern übertragen wird), auch in Schreibungen wie Balustrade bzw. Palustrada und bis in die jüngste Zeit Bailustrade. In der Baukunst verwendet als Bezeichnung für ein aus Stein oder Holz gearbeitetes, mit gedrechselten Säulen, sog. Docken oder Balustren, verziertes, durchbrochenes (Säulen-)Geländer an Treppen, eine säulenverzierte Brüstung, ein Gesims an Galerien, Baikonen, eine (seitliche) Umrandung, -säumung, Einfassung von Dächern, Terrassen, Erkern, Altanen u. ä., vor allem als bes. Stilmerkmal an prächtigen, vornehmen Gebäuden und Villen der Renaissance oder des Barock und Rokoko, vor

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Balustrade

allem im Mittelmeerraum bzw. an Bauwerken mit südlichem Ambiente, anfangs vereinzelt auch allgemeiner auf umrahmende räumliche Begrenzungen und bildlichvergleichend auf Gegenstände bezogen (s. Belege 1702, 1719), in Wendungen wie an der Balustrade lehnen, von Balustraden gesäumt, steinerne, barocke Balustrade, und überwiegend als Grundwort in Zss. wie Stein-, Marmor-, Eichen-, Schloßbalustrade, vereinzelt als Bestimmungswort in der Zs. Balustradenwerk 'Gitter-, Stabwerk'. Daneben seit Mitte 16. Jh. gelegentlich nachgewiesenes, im 20. Jh. vereinzelt historisierend verwendetes, aus frz. balustre (< ital. balaustro 'Geländersäule, -docke') entlehntes Baluster M. (-s; -), bis ins 18. Jh. in der frz. beeinflußten Form Balustre und bis ins 19. Jh. mit Pl.-Formen wie Balustras, Balustres, Balustren, in der Bed. 'säulenartige, gedrechselte Geländerstützen; dekorative Säulenreihe, -geländer', speziell auch 'Polstergurt am ionischen Kapitell'; dazu die vereinzelt vom früheren 19. Jh. (1838 bei Heyse) bis ins 20. Jh. gebuchte verbale Ableitung balustrieren 'mit Geländer umgeben, umgittern'. Balustrade: Wening 1701 Bayern I 7 Portal . . bey dessen Aufschließung ein roth Marmorsteinene Palustrada sich gleichsamb zum Sitz der Betrachtung anbietet; 1702 Fama l 1044 [Welche Raqueten] nebst ihren Stäben den Umfang des Waldes oder die Balustrade macheten; Elis. Charl. 1710 Br. II 180 die balustrade ist von blinckendt bronze; Lünig 1719 Theatrum cerem. I 1299b Auswendig bezieret mit einer Palustrade, . . kleinen gegossenen Massiv-zuckernen Pyramiden; ebd. l 1300a unten herum aber eine Palustrade; ders. 1720 Theatrum cerem. // 1162a die beyden . . blieben am Eingang der Bailustrade stehen; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 86 die Haupt-Treppen sind mit Balustraden . . propre garniert; Küchelbecker 1730 Hof 629 Das Dach ist . . mit einer Balustrade umgeben; Laugier 1758 Baukunst (Übers.) 255 Ballustrade, Geländer; Sulzer 1771 Theorie l Vor/·. XI Balustrade (Baukunst); Ramdohr 1787 Malerei l 200 Auf der Balustrade, die den oberen Hof einfaßt, zwei Colossal-Statuen, Jünglinge, deren jeder ein Pferd hält; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 383) In dem dritten Stockwerke reihen sich drei Öffnungen an einander, welche zu Glockenstühlen und sonstigen kirchlichen Bedürfnissen bestimmt sind. Zu oberst sieht man das Ganze durch die Balustrade der Galerie, anstatt eines Gesimses, horizontal abgeschlossen. Jene beschriebenen neun Räume werden durch vier vom Boden aufstrebende Pfeiler gestützt, eingefaßt und in drei große perpendikulare Abteilungen getrennt; 1852 Prutz' Museum II 450 Balustrade eines Cafehauses; Gutzkow 1858 Zauberer II 9 Vor der steinernen Balustrade [des Hotels] auf- und abgehend; Halm 1864 Haus IV 91 den marmornen Balustraden der Balkone [an venezianischen Häusern]; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 339 Alle Rampen, Balustraden, kunstvoll gemauerte Bassins und Marmorgrotten; Saltarino um 1880 A. 115 Ein Mo-

ment der Zögerung, dann kletterte der Jüngling über die Balustrade des Balkons; Wittich 1901 Vineta 31 mächtige Diele . . Galerie mit schön geschnitzter, dunkler Eichenbalustrade, und die Stufen der braungebohnerten Treppe schimmerten ebenso wie ihr prächtiges Holzgeländer; Zobeltitz 1902 Papierene Macht II 27 die das Dach umspannende Balustrade; Th. Mann 1909 Hoheit (W. U 279) Alles war still und steinern hier; die Treppentürme mit ihren schrägen Fenstern, schmiedeeisernen Balustraden und schönen Skulpturen ragten in den Ecken empor; Birt 1910 Provence 20 Im Westen aber erhebt sich über dem Saöneufer und über Perrache isoliert die Felsenbalustrade Fourviere mit ihrer gloriosen Kirche; Gothein 1914 Gartenkunst I 47 Zaun aus Weidengeflecht oder aus Holzstäben, oder einer verzierten Steinbalustrade; Kesser 1928 Musik 88 Als schon oben hinter der Treppenbalustrade Levas grauseidene Beine verschwanden; 1929 Uhu 47 Rechts von meiner Mutter lehnt an einer samtbezogenen Balustrade Tante Eugenie; Berl. Illustr. Nachtausg. 4. 8. 1934 lange breite weiße Linien von Chrysanthemen . . zieren die Brüstungen der Logen, die Bänke der Regierung, das Pult um den Stuhl des Präsidenten, sie zieren die Balustrade um die Loge vor dem Platz des Präsidenten; Döblin 1935 Pardon 27 dann rechts und links, von einer Marmorbalustrade eingefaßt, eine hohe Treppe; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 205) Sehr gut kennst du den kleinen, vor meinem Speisezimmer gelegenen Söller mit seiner von Efeu umsponnenen Balustrade, von wo man den Blick auf den Hügel der Gründung und auf unsere ältesten Heiligtümer genießt; Grass 1962 Blechtrommel 82 Ich, und das lag an der zu schnell ermüdenden Wendeltreppe, hatte auf einer Galerie haltmachen müssen, die den Turmhelm umlief. Ich setzte mich, schob die Beine zwischen die Säulchen der Balustrade, beugte mich vor und blickte an ei-

banal ner Säule, die ich mit dem rechten Arm umklammert hielt, vorbei; Zeit 15. 11.1985 das berühmte, breitformatige Photo von der Kreml-Balustrade mit der langen Reihe der Militärführer und der Parteigarde; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 33 Als sie . . schließlich den weiten Platz auf dem Gipfel erreichten, bemerkte er . . eine steinerne Balustrade, eine Reihe Zitronenbäume in Steingutvasen; Zeit 5. 12. 1986 Die wunderbaren farbenkräftigen Balustraden der Haupttreppen, die alten bunten Türgewände, darin die Ergänzungen sich weiß abheben; MM 24. 2. 19X7 Als sein großer Augenblick an diesem ersten Prozeßtag gekommen ist, gibt Abdallah . . seine kauernde Haltung hinter der Ballustrade der Anklagebank auf, von wo er bis dahin aufmerksam den eher eintönigen Verfahrensfragen gefolgt war; ebd. 9. 11. 1987 hinter barocken Balustraden spielten sich die.. musikalisch-tänzerischen Intermedien ab; ebd. 19.11.1987 Wer ihm ins Theatre des Bouffes du Nord folgt, betritt einen Raum der Andacht: Kerzenschein, von der Balkonbalustrade blickt Goethes Totenmaske auf die fast leere Bühne; Spiegel 2.5.1994 Entsprechend prunkvoll sind die architektonischen Innereien: Marmortreppen, gesäumt von Balustraden und

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Putten, überall schwere Volants und Stores aus Brokat. Baluster: Rivius 1548 Vitruv. 113b solches von vilen referirt wirt auff die getreheten Seulen/ so man der gestalt Balustrices vnnd Balustras nennet . . Das . . die alten solche Seulen oder Balustren im brauch gehabt/ die Leuchterstöck damit zu zieren/ zeigen an zwen schöne Marbelsteinen Leuchter; ebd. 114a Balustren seulen; Karl Ludwig 1658 Er. (BLVS 167) Sie fangen ahn, daß balustre auffzusetzen und die stiege zu machen; Lünig 1719 Theatrum cerem. l 321b Sie haben eine beschlagene Carosse, einen Dais und Balustre (beide BRUNT); Laugier 1758 Baukunst (Übers.) 253 Balustre der Capitäle; Sulzer 1771 Theorie l Von. XI Baluster. (Baukunst) . . Dokengeländer. Geländer; Triest 1826 Baukosten HI 64 Balustres; Zeit 20. 3. 1987 Die beiden Programme, vom Land inszeniert und vom Bund gefördert, hießen in Berlin „Abriß für den Wiederaufbau" und „Entstuckungs-Modernisierung" . . die Architrave, Gesimse und Baluster wurden demontiert, und Kiesel-Kratzputz kam an die Fassade. IN

banal Adj., Ende 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. banal (zurückgehend auf altfrz. banal, mlat. bannalis, zu altfrz. ban bzw. mlat. bannus 'Gerichtsbezirk; Bann', die ihrerseits über altfränk. ''ban auf ahd. ban zurückgehen (vgl. dtsch. Bann), also eigentlich entwickelt von 'mit Bann belegt, der Zwangsgerechtigkeit unterworfen' über 'von Personen in einem bestimmten Bezirk gemeinsam genutzt, gemeinnützig' zu 'allgemein, ohne besonderen Eigenwert; normal, unauffällig, unoriginell, trivial'), anfangs vereinzelt in der Schreibung bannal. Auf (immer wiederkehrende, fest etablierte) begriffliche Inhalte, Gefühle, Vorgänge, vor allem auch sprachliche und literarische Äußerungen, Muster und Motive (s. Belege 1834, 1847, 1856, 1901, 1924, 1990) bezogen, seltener auf Gegenstände oder Personen (s. Belege 1926, 1985), in der leicht abwertend gebrauchten Bed. '(sehr) einfach, schlicht; simpel, primitiv; anspruchslos, nichtssagend, undifferenziert; herkömmlich, konventionell; (all-)gemein; gewöhnlich, alltäglich, selbstverständlich' (—> trivial, —» stereotyp), dann zunehmend stärker pejorativ verwendet, bes. bildungsspr. in Kultur- und Kunstkritik, im Sinne von 'gedanklich unbedeutend, oberflächlich, seicht, abgedroschen; geist-, wert-, inhaltslos, leer, hohl; abgeschmackt, unoriginell, langweilig; billig, klischeehaft, kitschig', auch 'dilettantisch, albern, läppisch' (Ggs. extravagant, —* amüsant, —* exzentrisch, —+ genial, —»· interessant, —» originell), häufig in festen Verbindungen wie banale Rede(-nsart), Bemerkung, Nichtigkeit, Phrase, Schmeichelei, Rhetorik, banales (Schlag-)Wort; banale Frage, Wahrheit, Weisheit, banaler Anlaß; fast/beinahe/zu/ganz banal, auf banale Weise, im banalen Sinne (gesprochen, gesagt, ausgedrückt), gelegentlich auch als Bestimmungswort in Zss. wie Banalbegriff, -fall, -philosophic und oft in additiven Adj. wie banal-bürgerlich, banal-gefährlich, banal-konventionell sowie billig-banal, süßlichbanal; in neuester Zeit, bes. auf kriminelle Tatbestände, Verbrechen, Gewalt, Kata-

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banal

Strophen o. ä. bezogen, für 'auf nackte, brutale, schreckliche, schonungslose Weise wirklich, ohne Umschweife den Tatsachen entsprechend, unverklärt, ungeschminkt, gleichgültig' (s. Belege 1985, 1987, 1988, 1990, 1991), z. B. in Wendungen wie erschreckend, gefährlich banal, und in der Medizin speziell auf Krankheiten im Sinne von 'diffus, unkompliziert, unbestimmt, harmlos (verlaufend), nicht ernst zu nehmen, nicht gravierend', z. B. in Wendungen wie banaler Infekt, Bruch, Schnupfen, banale Wunde (s. Belege 1958, 1985, 1986). Dazu seit Anfang 20. Jh. die Ableitung banalisieren V. trans, 'vereinfachen, verharmlosen, ins Banale ziehen' und stärker pejorativ 'im Niveau herabsetzen, abwerten, entwürdigen, der Größe berauben' (vgl. bagatellisieren, —> Bagatelle, —»· simplifizieren, —* trivialisieren), mit dem dazugehörigen, seit frühem 20. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Banalisierung F. (-; -en) in der pejorativen Bed. 'Vereinfachung, Verharmlosung; Herabsetzung, -Würdigung; Abstumpfung', gleichbed. mit vereinzelt nachgewiesenem, eventuell aus frz. banalisation übernommenem Banalisation F. (-; -en); Mitte 20. Jh. die vereinzelt nachgewiesene Ableitung Banalismus M. (-; Banalismen), weitgehend gleichbed. mit —» Banalität. banal: W. v. Humboldt 1792 Br. an Brinkmann 30 Den Aufsatz über Religion hätte ich minder gern gedrukt. Es ist so eine verrufene bannale Materie, die ich gewiß ganz übergangen hätte, wenn ich es hätte vermeiden können, die ich aber, wenn ich sie einmal berührte, auch, dünkt mich, ausführlich und nach Würden abhandeln mußte; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (HA X 123) Als Prologus tritt der Hochzeitbitter auf, hält seine herkömmliche banale Rede und endiget mit den Reimen: bei dem Wirt zur goldnen Laus da wird sein der Hochzeitsschmaus; Heine 1834 Salon (IV 36) Dies soll keine banale Redensart sein; Gaudy 1839 Ludiviga (V 147) die nur langsam verharrschende Wunde des Leidtragenden durch banale Anfragen wieder aufzureißen; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW II 96) Herr Bruno „hofft", daß die „banalen Redensarten, die nun einen so ermüdenden Kreislauf durch alle Bücher der Hegeischen Schule" . . „gemacht haben" . . auf ihrer weitern Reise bald ein Ziel finden werden; Bismarck 1847 Br. 93 die banalen aufgeputzten Phrasen der rheinischen Weinreisenden-Politik; Kompert 1856 Gräfin (Ges. Sehr. VII 170) Hast du dir vielleicht mit allzu großer Empfindsamkeit die banalen Phrasen von Frauenehre und dergleichen in den Kopf gesetzt?; Redwitz 1879 Stark I 79 Ob auch sein historischer blauer Frack in irgend einem Antikenkabinette des Landes aufbewahrt oder von barbarischen Erben einem banalen Trödeljuden überantwortet wurde, darüber konnte ich leider keine verlässige Urkunde auffinden; Rose 1884 Revanche 185 Im akademischen Lager [moderner Maler] müssen wir darauf verzichten, die menschlichen Züge durch eine innere Flamme verklärt zu sehen; an Stelle des seelischen Ausdrucks finden wir hier nur banale Rhetorik; ebd. 186 mit einem äußerst banalen Genre-

bilde, der „Hochzeitsgesellschaft beim Photographen"; Roberts 1891 Mitleid 33 als Sohn des Hauses den Höflichen und Zuvorkommenden zu spielen, eine lächelnde Mine aufzusetzen und den Damen banale Nichtigkeiten zu spenden; Zapp 1896 Offizierstöchter II 187 Pardon - es liegt mir fern, Ihnen eine banale Schmeichelei zu sagen. Ich schwöre es Ihnen, es ist die lautere Wahrheit, für mich sind Sie die Schönheit und Anmut in Person; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 670) jedes Glück und jeden Kummer . . in einer Flut von banalen und kindisch wichtigen Worten die ihrem Mitteilungsbedürfnis vollkommen genügten . . von sich gegeben; Thäter 1911 Feldzugserinn. 191 Das Menü war vaterländisch gestimmt: Leberknödel, Ochsenmaulsalat und irgend ein banaler Braten; 1911 Grenzboten IV 402 Der banalste Vorgang erhält bei Degas durch die Art, wie er künstlerisch erlebt ist, einen bestrickenden Phantasiewert; Pazaurek 1914 Patriot. 12 süßlich-banale Bildpostkarten; Csokor 1924 Schuss 89 Diese scheinbar banalen Worte legen die eigentliche Achse seiner Handlung bloß, reichen in das Getriebe der inneren Zwangsläufigkeit seines Verbrechens; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 356) Ein paar banal-bürgerlich möblierte Räume . . gingen ineinander, ohne Verbindungstüren; Benjamin 1924 Br. l 363 jedes große Bauwerk in seiner labyrinthischen Umgebung banaler, schöner oder armseliger Häuser; Grosser 1926 Mann 179 Ich finde überhaupt, daß sie eine banale Frau ist; den ganzen Tag über sieht man sie mit dem Staubwedel in der Hand von einem ins andere Zimmer rennen; 1928 Querschnitt 870 die Form, in der diese Dinge vorgebracht sind, ist . . dilettantisch, banal bis dorthinaus; Berl. lllustr. Nachtausg. 3. 2.1933 „Der Kuß vor dem Spiegel" (Überschr.) Dieser billig-banale

banal Kriminalreißer .. ist für eifersüchtige Männer und treulose Frauen geschrieben; Th. Mann 1948 Reden u. Aufs. (W. IX 729) Man findet, daß er sich entweder banal-konventionell gebe oder sich sonderbar ausdrücke, lästige Prätentionen mache und nicht zu verstehen sei; Heisenberg 1955 Naturbild 14 beide Ziele fließen in eines zusammen in dem banalen Schlagwort „Wissen ist Macht"; Süddtsch. Ztg. 25. 4. 1958 Viele dieser Kranken werden von den Kassen als „Banalfall" angesehen; Grass 1962 Blechtrommel 250 Eine ganz banale, gewöhnliche und dennoch einzigartige Vanillesoße; Preis. Tagebl. 8./9. 9. 1973 auch bei Palm geht es um Wirklichkeit, ja banale Wirklichkeit, die aber illustrierend eine Art surreale Doppelsinnigkeit mit einsetzt; Zeit 25. 1. 1985 ein Sofa, ein ziemlich banales Ledermöbel, mit den zur Zeit hochaktuellen, locker aufgeworfenen Polstern . . Lässig einfach; ebd. 8. 2. 1985 Taverniers Film beginnt alltäglich, banal, wenig aufregend; ebd. 22. 2. 1985 Die weißen Gangster . . waren machtvolle Statisten, Drahtzieher. Viel Staat läßt sich mit ihnen nicht machen, brutal und banal wie sie waren; ebd. 5. 4. 1985 Banal gesprochen gibt es so viele Sonderwege, wie es Menschen und Völker gibt; ebd. 25. 10. 1985 wie Beckett vermag auch Pound das Vergangene im Gegenwärtigen, das Große im Kleinen, das Erhabene im Banalen wiederzuerkennen; MM 31. 10. 1985 daß die „Schwarzwaldklinik" . . dieser „größte Erfolg der deutschen Fernsehgeschichte", wie das ZDF stolz verkündet, trivial, banal, ja sentimental ist. Von Kunst spricht da niemand; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 10 „Ach je, was ist Liebe"? Eine scheinbar banale Frage, aber so gestellt abgrundtief; Zeit 31.1. 1986 Es ist nicht einmal sicher, ob Kälte die körpereigene Abwehr gegen den „banalen Infekt" (Ärztejargon} erkennbar herabsetzt; ebd. 31. 10. 1986 Im Alltagsjargon der Mediziner wird von „banalen Mißbefindlichkeiten" gesprochen, mehr oder weniger diffuse Symptome, die kommen und gehen mit dem Tief auf der Wetterkarte oder dem Ärger im Büro; ebd. 3. 4. 1987 Schiwagos Rückkehr nach Moskau, sein banaler Tod in der Straßenbahn; Stern 27. 5. 1987 Mit der Abneigung gegen die Welt der Bürger und der Banalen, der Blonden und Blauäugigen; MM 30. 1. 1988 In vier Monologen erzählt die Aufführung vier Lebensgeschichten . . dezent und anschaulich zugleich, obwohl sie nicht selten auch die fürchterlichsten Dinge beschreibt, fürchterlich, weil sie so banal sind, so vertraut und damit wohl auch so ausweglos; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 149 Schwieriger liegt der Fall bei Wörtern der vielfach zum gesunkenen Kulturgut abgerutschten Banalbegriffe aus Politik, Politologie, Wirtschaft, Soziologie; Leipz. Volksztg. 6. 1. 1990 Ein neues Wort taucht auf, verbreitet

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sich inflationär, wird scheinbar selbstverständlich und schließlich banal. Es handelt sich noch dazu um einen „Ismus"; Frankf. Rundsch. 13. 10. 1990 weil es da böse und gute Deutsche gab, banal-gefährliche Alltagsnazis und kindlich-kluge Jungkommunisten; Strauß 1991 Schlußchor 63 Es ist erstickend, wie stillos, wie unsäglich banal und abgeschmackt, wie unempfindlich, verkehrt, wie hundsgemein das alles ist, was sich in diesem Augenblick zwischen Ihnen und mir abspielt; Spiegel 27. 2. 1995 Es ist eine banale Feststellung, aber man muß sie wiederholen: Literarische Werke verwandeln sich. Banalisation: Haecker 1922 Satire u. Polemik 224 daß er auch die Unanständigkeit hat, über Christentum zu reden, ist ein Kapitel für sich, das ich mir aufhebe — durch eine weitverzweigte Banalisation den Massen nutzbar macht. banalisieren: Hofmannsthal 1907 Pros. Sehr. II 91 Aber man muß das Leben nicht so banalisieren, man muß nicht alles auf das Niveau eines Unglücksfalles herunterzerren; Müller 1923 Gesch. 203 1837 banalisiert Mendelssohn das Lied „Im Sommer" für Männerchor; Moreck 1928 Liebe 283 Mysterium [der Liebe] wird banalisiert; Th. Mann 1934 Reden u. Aufs. (W. IX 446) Weltraum-zeitliche Beziehungen machen sich geltend, die ungeachtet eines Komforts, welcher das Elementare banalisieren und seines Ernstes berauben möchte, das Bewußtsein beeinflussen; Heuss 1947 Gestalten 118 ein Baumeister . . hat dabei die spezifischen Werte des Materials . . die Forderungen der Zweckhaftigkeit scharf herausgearbeitet — das ist dann banalisiert worden, als ob Stoff, Technik und Zweck schon die „Kunst" ausmachten; Grass 1962 Blechtrommel 54 Hatte sich gleich zu Anfang des Spiels, noch mit seiner Tante redend, die kleine Orgie von vorher banalisierend, den schwarzen Halbschuh vom linken Fuß gestreift; Süddtsch. Ztg. 15. 1. 1971 Don Juan als psychologisches Problem — Smok umreißt seine Konzeption, ohne einer banalisierenden Deutlichkeit Raum zu geben; Zeit 9.5.1986 anstatt sofort Notsignale aufzuziehen, banalisierte und bagatellisierte Moskau das schreckliche Geschehen mit optimistischen MaiParaden; ebd. 14. 11. 1986 Weiser, der also noch zu Beginn vergangener Woche keinen Grund sah, die Rheinverseuchung als schwerwiegend einzustufen, gestand ein, daß es mittlerweile keinen Grund mehr gebe, „die Situation zu verharmlosen oder zu banalisieren"; ebd. 15. 6. 1990 die Wortflut banalisiert alles. Vielleicht sind die Studenten in der Bundesrepublik deshalb alle so banal; ebd. 24. 4. 1987 [Tuberkulose] signalisiere persönliche Schuld oder „gerechte Strafe" — oder aber Auserwähltsein, in-

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Banalität

dividuelle Disposition, ja sogar unbewußte Wahl — banalisierter Todestrieb; Süddtsch. Ztg. 14. 6. 1993 Psycho-Sachbücher aller Art .. artikulieren und banalisieren die grassierende Sehnsucht nach der ultimativen Beziehungs-Formel. Banalisierung: Eulenberg 1919 Leben 11 Das sogenannte Vermenschlichen, d.i. Veralltäglichen, solcher Gebilde wirkt immer mißlich: es ist meistens eine Banalisierung; Wätzoldt 1927 Land 59 Popularisierung südlicher Herrlichkeit und auch ihre Banalisierung; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 204) bei einer äußeren Verlebendigung, die sofort den seelischen Fall und seine Symbolwürde, seine Repräsentanz mit Herabsetzung, Banalisierung bedrohte; Süddtsch. Ztg. 7. 10. 1954 Ihre Handschrift ist unverkennbar. Immer mehr wendet

sie sich dem Abstrakten zu, den gegenstandslosen, unnaturalistischen Formen, die keine Banalisierung mehr gefährden kann; Klepper 1967 Schatten 112 Depravation einer großen Gestalt, Banalisierung eines zeitgemäßen, außerordentlichen Stoffes, Bagatellisierung herrlicher Historic — alles das, was mich so anwidert; Zeit 26. 4. 1985 daß die Abstumpfung unserer natürlichen Sinne durch Reizüberflutung und Banalisierung zu einer existenzbedrohenden Einschränkung unserer geistigen Erlebnisfähigkeit geführt hat. Banalismus: Reinhardt 1956 Vermächtnis 377 [Walter F. Otto] begann damals hervorzutreten mit einer scharfen Abwehr von Rationalismus . . Psychologismus, Positivismus und den vielen Banalismen, unter deren Herrschaft er aufgewachsen war. IN

Banalität F. (-; -en), seit späterem 19. Jh. nachgewiesene, wohl unter Einwirkung von gleichbed. frz. banalite aufgekommene Ableitung zu —> banal. Bezogen auf (immer wiederkehrende, fest etablierte) begriffliche Inhalte, Gefühle und Verhaltensweisen, selten Gegenstände o. ä. in der leicht pejorativen Bed. 'Alltäglichkeit, Selbstverständlichkeit; Unverbindlichkeit, Nichtigkeit, Belanglosigkeit' (s. Belege 1879, 1916, 1930, 1932, 1986, 1990; -> Monotonie, -> Trivialität; Ggs. —>· Originalität); meist jedoch stärker abwertend gebraucht vor allem in Kunst- und Kulturkritik im Sinne von 'Inhaltslosigkeit, -leere; Geistlosigkeit, Langeweile; Abgedroschenheit, Stumpfheit, Plattheit, Schalheit' (s. Belege 1916, 1970, 1986, 1989), auch 'Einfältigkeit, Dummheit, Naivität' (s. Beleg 1947), in Wendungen wie zur Banalität verkommen, herabsinken, in die Banalität abgleiten, in Banalitäten untergehen, ertrinken. Häufig plur. verwendet in bezug auf sprachliche Formulierungen für 'nichtssagende, banale Äußerung; leeres, hohles Geschwätz; (sprachlicher) Gemeinplatz, Klischee' (s. Belege 1913, 1926, 1944, 1947, 1986, 1988; -> Floskel, — Platitüde, -» Stereotypie, —> Trivialität, —» Klischee), weitgehend gleichbed. mit Banalismus, —> banal, in neuerer Zeit in bezug auf (Nazi-)Verbrechen, kriminelle Vorgänge, schreckliche Geschehnisse u. ä. auch im Sinne von 'Indifferenz, Gleich-, Endgültigkeit; Nacktheit, Schonungslosigkeit, Ungeschminktheit; Brutalität' (s. Belege 1985, 1987, 1988, 1990), in Verbindungen wie Banalität des Alltags, des Bösen. Nietzsche 1873-74 W. II 159 In gewissen Fällen wagt sich die Banalität der Gesinnung, die Jedermanns-Weisheit, die nur durch ihre Langweiligkeit den Eindruck des Ruhigen, Unaufgeregten macht, hervor, um für jenen künstlerischen Zustand zu gelten, in welchem das Subjekt schweigt und völlig unbemerkbar wird; 1879 ebd. IV 233 Es giebt unter den Menschen keine größere Banalität als den Tod; Nordau 1879 Seifenblasen 91 da faßte sie den Inhalt ihrers Lebens . . in einem Ausdruck zusammen, der in dieser Anwendung seine Banalität verlor und sich mit tiefer Trostlosigkeit wie mit einer

Art Elektricität lud; ders. 1885 Paradoxe 69 Banalität ist abgetragene Originalität; Burckhardt 1891 Br. an Preen 272 bei gänzlicher Banalität des [Tisch-]Gesprächs; Hofmannstahl 1891 Prosa I 32 Er liebt die preziösen und moralischen Vergleiche: fallende Blätter und ähnliche Banalitäten der Natur verfehlen nie ihn dazu anzuregen; Marcks 1913 Eindrücke 52 daß die Gefahr . . der kulturellen Banalität eine wirkliche Gefahr ist für die persönlichen Lebenskräfte; Stegemann 1913 Ewig 185 leeren Liebesbriefe mit Schwüren, Küssen und Banalitäten; 1915-16 Polit.-anthropol. Monatsschr. XIV

Banause 403 Wer keine Schwäche, keinen Mangel, keine Banalität zu verbergen braucht, der braucht . . nicht krampfhaft nach „persönlicher Note", nach „Originalität" und „Genialität" zu haschen; Philippi 1916 Hagedorn 107 alle Freude an Schönem und Feinem . . ist untergegangen in Banalitäten und Stumpfheiten; Voss. Ztg. 1.2.1916 Banalität .. braucht gar nicht übersetzt zu werden . . Es stammt .. aus dem viel älteren althochdeutschen ban: Zwangsrecht, Bannrecht, das jedermann zugängliche, das allgemeine oder „gemeine"; Korrodi um 1926 Aufs. 49 [Korrodi] hielt zwar seine Lobrede auf Usteris „Freut euch des Lebens", aber der „unaufhaltsame Fall von der Banalität zur Trivialität" in den Strophen des Liedleins blieb ihm bewußt, und er schrieb es nieder; Harnack 1926 Werkst. 97 kann der Glaube, wie ihn Luther gefaßt hat, trivialisiert werden und zur Banalität herabsinken; Meissner 1929 Engl. Schulwesen 175 von den Banalitäten der ihn umgebenden Welt erdrückt; Steynen 1932 Frau 30 in den Banalitäten des Alltags fand ich Zeichen und Einflüsse bestimmter Art, während das Besondere zu tiefbegründeten Ereignis wurde; Münch. N. N. 11.4. 1941 [Der Film] glitt nie in die Banalität der Posse ab; Petzet 1944 Falckenberg 474 [Die Schillersche Redeweise von den „Brettern, die die Welt bedeuten"] Banalität einer verbrauchten Form; Süddtsch. Ztg. 9. 9. 1944 all das Schöne, Große ringsum ist noch da unverändert. Was in gesicherten Zeiten eine Selbstverständlichkeit ist, ja eine Banalität: daß es Wirklichkeiten um uns gibt, die bleiben; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 242) auf entwickeltster musikalischer Stufe, vor einem Hintergrund äußerster Spannungen, Banalitäten — natürlich nicht im sentimentalen Sinn oder in dem schwunghafter Gefälligkeit, sondern Banalitäten im Sinn eines technischen Primitivismus, Naivitäten oder Scheinnaivitäten also; ebd. VI 497 während das Harmonische und Tonale der Welt der Hölle, in diesem Zusammenhang also einer Welt der Banalität und des Gemeinplatzes, vorbehalten ist; Hiltbrunner 1958 Gelingen 5 wird der Werktag laut, der menschliche Alltag, doch auch der Sonntag. Im sinnvoll gelebten Leben aber kann eine Banalität eine Katastrophe bedeuten; Bad. Ztg. 20. 12. 1963 Banalität mit Hintersinn (Überschr.) lonescos „Delirium" als deutsche Erstaufführung in Dortmund . . Einakter .. der nur zwei Personen und ein Requisit enthal-

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ten soll . . Da sie sich nichts mehr zu sagen haben, ist ihr ganzes Dasein damit ausgefüllt, sich zu zanken und Recht zu haben; Hermand 1970 Pop o. S. sollte man diese falsche Verpopung, die zwangsläufig auf eine hanebüchene Kindlichkeit und Banalität hinausläuft, endlich ad acta legen. Ein solches unverbindliches Getue ist in unserem „wissenschaftlichen" Zeitalter einfach nicht mehr zu verantworten; Zeit 27. 9. 1985 man muß, weil es wirklich so war, die Dinge [Naziverbrechen] in ihrer ganzen Banalität nehmen, ihrer ganz nüchternen Nichtigkeit . . Um den Untertitel „ein Bericht von der Banalität des Bösen" hatten sich auch bei uns heftige Diskussionen abgespielt; ebd. 10. 1. 1986 es ist immer noch besser, im schönsten Wahnsinn zu enden als in grauer Apathie oder langweiliger Banalität; ebd. 21.3. 1986 es ist zugleich ein wieder scheiterndes Buch, aus Selbstverliebtheit ungenau, aus Spielversessenheit Banalität und Plattheit nicht scheuend; ebd. 3. 10. 1986 Ganz rasch wird klar, daß in Dagermans Sprache eine Unruhe rumort, die nichts mit dem anfängerhaften Bemühen zu tun hat, die Banalität alltäglicher Erfahrungen durch Poetisierungen zu überhöhen; Zeit 3. 4. 1987 über den Verlust der künstlerischen Kreativität und damit des „wahren" Lebens, das durch die Banalität des Bösen in einem unaufhaltsamen Prozeß der Zermürbung vernichtet wurde; MM 7. 4. 1988 diese Männer sind nicht dadurch groß, daß sie große Verbrechen begangen haben; die Menge ihrer Opfer hat sie nicht geadelt — sie sind lächerliche, komische Figuren geblieben. Delius denunziert seine Figuren nicht auf billige Art, er zeigt die Banalität des Bösen; ebd. 9. 5. 1988 Viele intelligent ausgereizte Stockungen und Pausen rhythmisieren und beglaubigen das Ping-Pong der Worte und Floskeln, der Banalitäten („wie geht es dir?". — „gut, und Dir?"), reichern es an mit Ungesagtem; Wochenpost 1. 12. 1989 Protestant zu sein, heißt heute: aufzustehen, zu protestieren gegen die Banalität, gegen die verheerende Gleichgültigkeit, gegen Apathie und Sinnlosigkeitsgefühle, die aus ihrer Perspektivlosigkeit heraus Leben verbrauchen; Zeit 12. 10. 1990 diese [Stasi-]Akten enthalten Millionen von Banalitäten, weil alles gesammelt wurde mit der Besessenheit einer tiefsitzenden Furcht . . Man wird des eigentlich banalen Innenlebens der großen Krake ansichtig. IN

Banause M. (-n; -n), seit spätem 18. Jh. nachgewiesen, bes. im Zusammenhang mit einem literarischen Streit zwischen Voß und F. L. zu Stolberg (1796) allgemein bekannt geworden (über mlat. banausus 'Handwerker, der niedrige oder schmutzige Arbeit verrichtet' zurückgehend auf griech. 'Handwerker, -arbeiter; Spießbürger', auch Adj. 'handwerksmäßig; gemein, niedrig', eigentlich 'am Feuer,

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Banause

Ofen arbeitend, hantierend', zu ßoüvos Ofen; Schmiede'), anfangs und bis ins 19. Jh. gelegentlich in der griech. Form. Zunächst und bis ins spätere 19. Jh., oft etymologisierend auf griech. Verhältnisse anspielend, für 'handwerksmäßig, handwerklich Tätiger, mechanischer Handwerker (in einer bestimmten Disziplin)', insbes. 'auf Erwerb und materiellen Gewinn Bedachter, (bloß) Erwerbstätiger, der durch seine Arbeit und Geldgier von höheren Dingen abgehalten wird bzw. keine höheren Neigungen verspürt' (s. Belege 1824, 1870, 1877, 1883, 1884, 1916, 1922, 1930), von daher seit Mitte 19. Jh. als negativ wertende, oft schlagwortartige Bezeichnung verwendet für einen Menschen, der vor allem auf kulturell-geistigem, literarischem oder künstlerischem Gebiet unwissend, verständnislos, unfähig, nicht kompetent oder lernfähig ist, keine Ahnung davon oder Achtung davor hat im Sinne von 'künstlerisch unempfänglicher, unschöpferischer Mensch; Kultur- und Kunstverächter' (—>· Ignorant, —» Dilettant, —* Materialist, —»· Philister, vgl. auch Laie), und allgemeiner für 'kleinbürgerlicher, spießiger Mensch (mit niedriger Gesinnung, Lebensart und oberflächlichen Ansichten); grobschlächtiger, rücksichtsloser, rüder, roher Kerl; Dummkopf, Spießer' (—»· Barbar 4a). Vor allem in den Zss. Kultur-, Kunstbanause, auch in Verbindungen wie blutiger Banause (vgl. blutiger Laie). Dazu im früheren 18. Jh. (ZEDLER) vereinzelt, seit früherem 19. Jh. (gebucht 1838 bei Heyse) häufiger das aus griech. 'Handwerk; Gewinnsucht' entlehnte Subst. Banausic F. (-; -n ungebr.) in der Bed. '(bloß) handwerksmäßiges Betreiben einer Kunst oder Wissenschaft; auf bloßes Gewinnstreben und Eigennutz ausgerichtete Tätigkeit; geistlose, stumpfsinnige Betätigung, Beschäftigung'; seit Ende 18. Jh. die adj. Ableitung banausisch (vgl. mlat. banausicus 'zum niedrigen Handwerksstand gehörend' und griech. $ 'mechanisch') für '(bloß) handwerksmäßig, mechanisch; (bloß) erwerbstüchtig, materialistisch (denkend), geldgierig', von daher stärker pejorativ auf Gesinnung, Geisteshaltung und Einstellung übertragen im Sinne von Ohne Verständnis, unempfänglich für geistige und künstlerische Dinge' (—» barbarisch 4a; s. Beleg 1922—23) und 'gemein, von niederer Sinnesart (zeugend)', seit Anfang 20. Jh. gleichbed. banausenhaft mit vereinzelt nachgewiesenem Banausenhaftigkeit F. (-; ohne PL); daneben vereinzelt im 19. Jh. (Wilhelm Raabe) die scherzhafte Gelegenheitsbildung Banausien, auch Banausia, mit der Bed. 'Land, in dem das Banausentum herrscht', und die Mitte 19. Jh. vereinzelt nachgewiesene Personalableitung Banausier 'Banause'; seit späterem 19. Jh. die subst. Ableitung Banausentum N. (-s; ohne PL), abwertend für 'Art, Wesen und typisches Verhalten von Banausen'. Banause: 1777 Teutscher Merkur 233 mit dem armen Teufel Le Süeur, der in einem schmutzigen halbzerrißnen Camisol, wie ein bloßer ? dasitzen und im Taglohn Nebenzimmerchen bemahlen mußte, und doch wenigstens ein ebenso großes Genie war als der große Le Brün; Stoiber 1796 Auserles. Gespr. d. Platon (Übers.) t 311 Ein gemeiner Werkmeister. Das Wort bezeichnet eigentlich einen Menschen, der beym Feuer arbeitet. . Überhaupt bedeutet es einen Menschen von sitzender und durch Fleiß erwerbender Lebensart. Solche wurden, als wenig fähig zu edlen

Geistesbeschäftigungen und zu kühnen Thaten, gering geschätzt; Voß 1819 (Sophronizon III 32 f.) Der Grieche nennt Banausos einen Handwerker von sitzender Lebensart. Warum lieh unser Graf dem verachtenden Wort einen so weiten Sinn, der auch den fleißigen Gelehrten, den selbstthätigen Geschäftsmann und den Amtsbesorger umfaßt? (alle LADENDORF); Immermann 1824 Er. an Elise v. Lützow o. S. Mit meinem Bruder, der in ähnlicher beständiger [Akten-jArbeit steckt, scherze ich oft über unsere Lage, und wir nennen uns gegenseitig die zwei Banausen. Sie erinnern

Banause sich des Worts, welches durch Vossens und Stolbergs Streit allgemein bekannt wurde und in der ursprünglichen Bedeutung einen Menschen anzeigt, der beim Feuer arbeitet, in der abgeleiteten aber jeden bezeichnet, der sich handwerksmäßig abmüht; 1851 Antiquar. Er. 7 finden wir nebeneinander Verehrung, oder doch Praxis der Demokratie, und Verachtung aller Handwerker, Gewerbetreibenden u.s.w., welche man unter dem Namen der Banausen zusammenfaßte; ebd. 16 Der Begriff des Banausen ward in Sparta so weit ausgedehnt, daß jede bestimmte Thätigkeit als unwürdig bezeichnet wurde, und Nichtsthun für den besten Beweis edler Freiheit galt; Treitschke 1859 Br. 29 hab' ich . . die nationalökonomischen Vorlesungen , . übernommen. Da walle ich denn 2mal wöchentlich im Sonnenbrande hinaus um den Banausen je zwei Stunden hintereinander diese banausische Disziplin vorzutragen; Springer 1863 Berlin 69 diejenige Klasse der Menschheit, die im alten Griechenland nur schwach vertreten und mit dem verächtlichen Namen „Banausos" bezeichnet wurde, in unsern modernen Kulturstaaten aber die Majorität bildet; ders. 1870 Berl. Prospecte 41 von seiner literarischen Brot- und Banausenarbeit; ebd. 121 eine Menge dieser Banausos-Künstler; Contzen 1877 Soc. Frage II 48 Das Ansehen der Banausen wurde dadurch nicht gehoben, dass . . sogar Fürsten sich aus Liebhaberei mit Handwerkern oder Gewerben befassten . . Denn bei diesen Fürsten fiel der Zweck des Erwerbes weg, welcher eben den Griechen die Handarbeit verächtlich machte; Burckhardt 1883 Vortr. 266 welcher Meister du auch wärest, so gältest du doch als ein Banause, als Handarbeiter, als einer der von seiner Arbeit leben muß; Jodl 1898 V. Lebenswege II 549 Jeder von uns kennt sie, diese Proletarier des Geistes, dieses öde Banausenvolk; Mommsen 1905 Reden u. Aufs. 122 Wir werden .. denjenigen, welcher den Homer meint mit der Zeit durch die Lehre von den Kegelschnitten ersetzen zu können, auf gut griechisch einen Banausen nennen; 1908 Zukunft LXV 220 Der Lehrer, der Pflichtbanause; Th. Mann 1911 Nachtr. (W. XIII 523) Der mißverstehende Haß unseres Sachverständigen auf alles, was er das „Unzüchtige" . . in der Kunst nennt, ein Haß, der nichts Neues, nicht die Errungenschaft „eines im Laufe der Jahrhunderte verfeinerten Schamgefühls" ist, sondern, getragen von Banausen oder Zeloten, die ganze Geschichte der Kunst ohnmächtig geifernd begleitet hat und der im Grunde ein Haß auf die Kunst selber ist; Scbelenz 1911 Destilliergeräte 18 auf Grund alter Überkommenheit von handwerksmäßig arbeitenden Vorfahren — die Techniker, die am Feuer arbeitenden Banausen; Benjamin 1913 Br. / 71 ein philosophisch gebildeter Banause schwatzte Unsinn ohne Ehrer-

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bietung; 1916 Franzosen 53 da der einzige sichere oder doch wahrscheinlich zweckentsprechende Weg gewinnbringender Arbeitstätigkeit . . abgelehnt wird, weil man damit wieder in die „glücklich" verlassene Klasse der Banausen, der Erwerbsmenschen zurückfiele, so baut man seine Zukunftspläne und Erwartungen auf die trügerische Grundlage des Spiels; Wildenbruch 1917 Neid 28 die Dummköpfe, die gottserbärmlich, die Strohköpfe, die Banausen; Bode 1922 Museumsarbeit 2 daß der Kaiser [Wilhem I.] als Kunstbanause galt; Harden 1927 Versailles 222 und wenn die Münchner Zentrumsleute die rohesten Banausen, Böotier, Barbaren . . wären; friedeil 1927 Kulturgesch. I 191 Der Spezialist wurde von den Hellenen geradezu verachtet: er galt als „Banause"; 1930 Nord u. Süd Llll 394 das schlechteste, was wir von den Griechen, insbesondere von dem griechischsten aller Griechen, nämlich Platon, übernommen haben . . die Verachtung des Banausen; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. XI 925) Es ist ein Sozialismus der Menschenverachtung, dazu Kulturterror des Kleinbürgers und alles in allem eine Art von Banausen-Bolschewismus, der unstreitig für die Gesittung eine viel scheußlichere Gefahr bedeutet als die soziale Doktrin; ebd. XU 164 er findet sich gewiß nicht vor die Wahl gestellt, entweder ein Fortschrittsbanause und Pfaffenfresser oder ein hysterischer Kirchenbeweiner zu sein; Heuss 1951 Qualität 28 nachschwatzende Banausen; FAZ 7. 8. 1958 Banausen dulden das (Überschr.) Nach der Säkularisation hatte der bayerische Staat in der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Kloster zum Zuchthaus erniedrigt; Welt 21. 4. 1964 Ich habe den Eindruck, daß niemand wagt, den Film richtig zu verreißen, wie er es verdient, um nicht als künstlerischer Laie zu gelten. Wenn so etwas hohe Kunst sein soll, oder aber ein „Suchen nach Gott", will ich gern als rückständig und Kunstbanause gelten; 1971 Bild am Sonntag XVII 49 Wer von diesen Leuten nicht gefesselt wird, ist ein FußballBanause; Zeit 28. 12. 1984 „Die Leute kommen ins Lokal — und ich weiß schon, was sie essen". Kenner wählen das Menü des Tages; Banausen bestellen Whisky als Aperitif; ebd. 26. 4. 1985 Mit der Nähe zu Platon verträgt es sich, daß Manthey nicht, wie der Banause, Philosophie und Literatur durch Welten getrennt sein läßt, sondern die Unterschiede zwischen Theoriebildung und Literatur ständig unterläuft; ebd. 11. 10. 1985 richtet sich nicht umgehend der Zorn gegen die Banausen, die um vordergründiger wirtschaftlicher Vorteile willen Kulturdenkmale aufgeben? Inzwischen aber, denkt man auch, müßten doch sogar die Architektur-Ignoranten und die hartnäckigen Vergangenheits-Verächter ein bißchen dazugelernt, wenigstens ihr Sensorium für die empfindlichen Güter

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Banause

der Kulturgeschichte geschärft haben; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 73 Versuchen Sie doch einmal, Genie oder Banause, abstrakt oder fair mit einem treffenden deutschen Wort wiederzugeben. banausenhaft: Schmitz 1914 Frankreich 33 rückständig und banausenhaft; Brecht 1933 — 39 Sehr. z. Politik II 84 Solche Bedenken hört man leider besonders häufig von Schriftstellern und Künstlern, deren sonstige Auffassung von Kunst diesen Bedenken eigentlich widerspricht: Sie halten es sonst für banausenhaft, von Kunstwerken Nutzen zu verlangen, und nennen es das eigentliche Verdienst der Kunst, die Menschen zu Höherem abzulenken; ders. 1956 Sehr. z. Lit. u. Kunst II 108 Freilich wird einem solches Beginnen von der betreffenden Ästhetik als barbarisch und banausenhaft verwiesen; Dohnanyi 1990 Br. 108 Es gibt in allen Großstädten der BRD banausenhafte Machtgruppen, die um alles in der Welt mit ihren nagelneuen Standard-Sozialbauten ersetzen wollen, was über Jahrhunderte vielfältig und gemütlich gewachsen war. Banausenhaftigkeit: Sydow 1922 Kultur 183 Die so oft bemerkte und gegeiselte Banausenhaftigkeit des bloss mit Gelderwerb und Eigentumssorge Beschäftigten. Banausentum: Treitschke 1873 Br. III 2,379 laß uns . . ein Jeder an seinem Theile dahin wirken, daß das eindringende Banausenthum uns nicht ganz überflutet; 1888 Grenzboten I 410 Dies Strebertum, welches Paul Haber vertritt, ist sonach die eigentliche Krankheit des Jahrhunderts? Der Mangel idealer Gesinnung, das Kleben am Niedrigen und Nächsten, die Verachtung edlerer Empfindungen, die gänzliche Gleichgiltigkeit gegen tiefere Forschungen und Erkenntnisse, der blinde Glaube an Äußerlichkeiten, der Götzendienst vor Erfolg und Geld, das Banausentum und die Servilität sind gewiß schlimme Lebenselemente; Ziegler 1895 Student 110 Geist ödesten Banausentunis; ebd. 169 Strebertum, Banausentum; Potenz 1903 Zukunft 287 Aber wenn nun die Heimat dem Künstler zu wenig Anregung bietet? Wenn die eignen Landsleute den Künstler durch ihr Banausentum verjagen . . ?; 3 90« Zukunft LXIV 4 mein Kampf gegen ein überliefertes Pflichtgefühl (ich nannte es „Pflichtbanausenthum"); 1911 ZfdPhil XL/// 482 philologischen Banausentums; Nora 1932 Am Färbergraben 97 Aneignung jener Kenntnisse, die ihnen nötig schienen. Nur, daß Genie mit Wenigerem auskommt als Banausentum! Gerade der gute Arzt bedarf des „Einfalles", nicht Drills, des Heilinstinkts, nicht der Examensnote; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 429) Eine Kunst, die ins Volk geht,

die Bedürfnisse der Menge, des kleinen Mannes, des Banausentums zu den ihren macht, gerät ins Elend, und . . etwa von Staates wegen, nur eine Kunst zuzulassen, die der kleine Mann versteht, ist schlimmstes Banausentum und der Mord des Geistes; ders. 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 703) Der Faschismus als Massenfang, als letzte Pöbelei und elendestes Kultur-Banausentum, das je Geschichte gemacht hat; Welt 10. 3. 1954 eine solche Verschwendung des geistigen Kapitals und der natürlichen Talente . . zeugt von einer zynischen Verachtung des Geistes, die sich auch in jenem modernen Banausentum äußert, das man heute so oft beklagt; Jaspers 1958 Atombombe 332 Es ist möglich, daß eine Solidarität des politischen Unernstes und Banausentums alles ausschließt, was sie durchbrechen und überflügeln könnte; Spiegel 3.5. 1995 Heinrich Mann erblickte plötzlich in den Schriften Karl Mays nur noch Kennzeichen von Banausentum. Banausie: Zedler 1733 Universallex. III 308 Banavsia, «, heisset bey dem Hippocrate eine unanständige, garstige und Gewinnsüchtige Hanthierung oder Kunst . . Man könte es gar füglich auf die Marckschreyer und Rumläuffer deuten; Burckhardt 1897 Ges. W. V 141 f. bleibt es zweifelhaft, wie weit die Bauernknechte wirklich als Sklaven zu denken sind, unzweifelhaft aber, daß der Dichter die ehrliche Handarbeit noch nicht als Banausie, sondern als das einzige Heil betrachtet; Hartmann 1926 Ethik 404 „Banausie" dagegen heißt in Zusammenstellung mit soviel wie Protzentum; Borchardt 1927 Reden 250 Die Verwerfung unserer Zeit ist praktisch für uns eine Ausschlagung . . Wir dulden ihre Mühlen als unsere Knechte, ihre Meisterschaft als unsere Banausie; Adorno 1958 Noten I 72 Ihre Produkte sind über der Kontroverse zwischen engagierter Kunst und l'art pour l'art, über der Alternative zwischen der Banausie der Tendenzkunst und der Banausie der genießerischen; Zeit 28. 7. 1995 Verstörender bei der Lektüre ist aber der Grundton von Salopperie, von burschikoser Benotung, ja Banausie. Banausien: Raabe 1842-1910 (Br. 268) Ihr werdet wenigstens daraus ersehen, daß man hier trotz allem von Zeit zu Zeit noch frische Luft zu schöpfen versteht in Banausia; ders. 1891-93 S. W. III 3,579 In Banausien aufgehoben, entrückt in das Preußenland; ders. 1895 S. W. III 5,302 Der steht vor dem Referendarexamen und beantwortet Ihnen jegliche Frage aus und über Banausien mit Eins.

Band Banalisier: Scherr 1865 Blücher U 134 Gelehrten, Böotier und Banausier. banausisch: Stoiber 1796 Auserles. Gespr. d. Platon (Übers.) l 311 Das Wort bezeichnet einen Menschen von sitzender und durch Fleiß erwerbender Lebensart. Solche wurden, als wenig fähig zu edlen Geistesbeschäftigungen und zu kühnen Thaten, gering geschätzt. Eine gemeine Freundschaft wird irgendwo von Platon eine banausische Freundschaft . . genannt; Voß 1819 (Sophronizon 111 32 f.) Der Grieche nennt Banausos einen Handwerker von sitzender Lebensart. Warum lieh unser Graf dem verachtenden Wort einen so weiten Sinn, der auch den fleißigen Gelehrten, den selbstthätigen Geschäftsmann und den Amtsbesorger umfaßt? Mitunter gewiß, wann er dies Lieblingswort nachdrücklich mit Lächeln aussprach, war ich selbst, ohn' es zu ahnen, der banausische Freund? (beide LADENDORF); Droysen 1835 Aristophanes l 245 an den Volksmännern, jenen banausischen und verbissenen Vorschreiern des Pöbels, konnten sie hoffen, kühne Verbündete zu finden; Strauss 1838 Briefw. l 62 [daß] wie ich wohl empfinde, ein so banausisches Geschäft einem das ätherische, noble Bewußtsein des akademischen Lehrers sehr verkümmert; Treitschke 1859 Br. U 29 hab' ich . . die nationalökonomischen Vorlesungen . . übernommen . . diese banausische Disziplin; Mommsen 1874 Reden 14 banausische Geduld der groben Arbeit; Nordau 1881 Paris 16 Eine letzte Gruppe von Konvertiten der Reaktion endlich bilden gewisse zartorganisirte, aristokratische Naturen, raffinirte, nervöse Mimosen, die vor der rauhen Berührung der banausischen Menge zurückbeben und die Demokratie zu grobhaarig für ihre hyperästhetische Haut finden; Hartmann 1891 Pessimismus 199 banausische Utilitarisierung; Harden 1892 Apostata N. F. 124 Soll das traurige Vorrecht der Deutschen bleiben, daß ihre Beamten und Repräsentanten in banausischer Abschließung von allen Disziplinen verharren, die auf ändern als politischen und spezialistischen Pfaden dem Kul-

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turgange dienen; Hoffmann 1894 Stolpenburg 77 sie, die unwissenschaftliche, banausische Frau; ebd. 87 Vor den Menschen zwar . . schämte er sich bitterlich seines Sohnes [eines Realschülers], der „aus Athen verbannt und unter die Böotier gestoßen war", aber sein Herz vermochte er auch von dem banausischen Kinde nicht loszureißen; ders. 1898 Gelehrte 199 Gewaltige Augenblicke sind's immer, die der nicht ganz banausische Mensch durchlebt, wenn er sich [Rom] nähert; Peters 1904 England 29 Vorstellung eines banausischen Materialismus; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XU 78) wie ein Kunstfreund, der tief durch das Erlebnis Wagners gegangen, aus höheren geistigen Gründen aber zrm Gegner dieser Kunst geworden ist, Ungeduld in sich ausbrechen fühlen wird bei den Schimpfreden rückständig-banausischer Ahnungslosigkeit; 1922—23 Schweizer. Monatsh. U 336 Jede banausische (handwerksmäßige) Tätigkeit; ebd. U 339 die banausische Tätigkeit des Hafenarbeiters; 1928-29 ZfMenschenkunde IV 413 daß . . unsere Gartenkunst in ihrer Gliederung des Pflanzenmaterials darauf gar keine Rücksicht nimmt und infolgedessen alle Gartenanlagen ein banausisch gemischtes Ragout darstellen; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 322) Das Genie, wir wissen es wohl, kann nicht im banausischen, im schlicht bürgerlichen Sinn normal sein, auch das naturgesegnetste niemals im Sinn des Philisters natürlich, gesund, nach der Regel; Unruh 1950 Liebe 34 Sie .. erklärte es für banausisch, schlafen zu gehen. Man sollte statt dessen auf den See hinaus rudern; Zeit 10. 4. 1987 die Phrasen von „Unmittelbarkeit" und „Identität" gehören . . zu den leeren Zauberformeln einer banausischen Kunstals-Unterhaltungs-Gesellschaft, die „nie ein eigener Gedanke angeweht hatte und der dennoch der kulturelle Gesprächsstoff nie ausging"; Spiegel 29. 8. 1994 Es war „vielleicht das Meisterwerk von morgen" . . Aber in der Nachbarschaft brach banausische Entrüstung los, eine zynische Pop-Band bedachte Rachel Whiteread mit einem Preis für die schlechteste Künstlerin des Jahres. IN

Band F. (-; -s), Mitte 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. band (of music) (eigentlich 'Vereinigung, Verbindung, Gruppe von Personen' < gleichbed. frz. bände; etymologisch verw. mit —·· Bande1), anfangs und bis in die 50er Jahre des 20. Jhs. gelegentlich volksetymologisch mit —* Bande1 in Zusammenhang gebracht, mit engl. Aussprache, (vereinzelt) engl. Flexion und in engl. Syntagmen (s. u.), bis in neuere Zeit als fremdes Wort empfunden und als solches oft kommentierend verwendet. In der anfangs auf engl. Verhältnisse bezogenen und zunächst eher auf den militärischen Bereich beschränkten Bed. 'Militärkapelle, Musikcorps (bei der Armee)', von daher seit etwa Anfang 20. Jh. für 'Musikgruppe, -kapelle, die moderne Tanz-, Popund vor allem Jazzmusik spielt', in engl. Syntagmen wie German Band, Big Band

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und zahlreichen, meist ebenfalls aus dem Engl. übernommenen Zss. (mit und ohne Bindestrichschreibung) wie Amateur-, Beat-, Damen-, Jazz-, Jugend-, Schüler-, Studenten-, Rockband; Bandleader, -mitglied, -musiker. Kohl 1844 Bnt. Inseln 111 433 Heimkehr von Regatten . . auf einem schön dekorierten Wagen, eine „Bande" voran, zum Ufer gezogen . . Anm.: Die Engländer sagen statt „Musikbande" gewöhnlich bloß „Bande"; Niendorf 1855 London 87 „band" . . die Militärmusik im Kensington Garden; Nordau 1881 Kreml II 40 Bald erschien eine „German band", eine Gruppe versoffen aussehender junger und alter Männer in einer Art Uniform, mit Notenständern und Noten, die sich in der Mitte der Straße aufstellten und mit schrillen Blechinstrumenten ein Konzert aufführten; Kutscher 1886 Nebelland 143 der truppweise umherziehenden uniformierten „German Bands"; Zander 1904 Neue Welt 195 Eine Musikbande mit ihren, dem amerikanischen Ohr angepassten Weisen, umlagert von Jung-Newyork hatte sie bald von diesem sonst so stimmungsvollen Platze in die Stadt zurückgescheucht; Rundt 1929 Revue-Girl 119 wir könnten die Tampico Marimba Band billig haben, und ein paar von den Jungs sind ganz gute Schauspieler; Voss. Ztg. 13. 6. 1930 Es gibt einen Tanzklub mit einer sehr guten Universitäts"band", aber es ist dort recht steif und eintönig durch die englische Sitte, daß man nur mit dem Mädchen, das man sich mitgebracht hat, tanzen . . darf; Süddtsch. Ztg. 12,4.1957 Bands [Musikergemeinschaft]; 1959 Gong Nr. 15 keine Musikanten, die zum Tanz aufspielen. Das ist eine „Band" (o nein, nicht Bande!) die . . eine Jam Session hat. Eine „Marmeladensitzung", bei der die Gelenke und Gehirne zu jenem tönenden Brei verrieben werden, aus dem die Schlagerköche dann ihren Gefühlsschmaus zubereiten; Offenburger Tagebl. 8. 12. 1960 Horts spielte in international zusammengewürfelten Bands, die in den amerikanischen Clubs in Frankreich gern gesehen waren; Grass 1962 Blechtrommel 375 Die Fünfmannband spielte: „don't fence me in"; Welt 7.11.1964 Die Amateurband „Singing Strings" verlor . . ihre gesamten Instrumente einschließlich der elektronischen Verstärkeranlage;

Bild 21. 4. 1967 Zum Militär einrücken soll Davy Jones . . Star der US-Beatband: „The Monkees"; 1969 Gong Nr. 17 Bandleader des Jazz; Hildesh. Allg. Ztg. 10. 9. 1973 Abwechselnd spielten auf einem großen Podium die „Sehnder Jugendband", die „Elstern" aus Algermissen, die „Algermissener Jugendband" und die „Hever 08" aus Hannover; MM 30. 5. 1985 vor allem wegen ihres Trompeters Henry Scott . . dessen . . mitreißendes Spiel die anderen Bandmitglieder zu Höchstleistungen auf dem Gebiet eines jugendlich-sportlichen Rockjazz anspornte; ebd. 4. 9. 1985 Da spielt zur Begrüßung im großen Saal des Ausbildungskomplexes die zehnköpfige Daimler-Benz-Lehrlingsband; Zeit 1. 10. 1985 Heute abend werde ich ihn als Klarinettisten erleben. Er spielt seit fünfzehn Jahren in einer Amateur-Jazzband; ebd. 8. 11. 1985 Im Manfred Schoof Orchester klang jedoch etwas an, das man von einer rein amerikanischen Bigband nicht hören würde. Seine Solisten entfernten sich nämlich in ihren Soli vom arrangierten Material oft viel weiter in die Regionen des Free Jazz hinein, als ein US-Bandleader dies zulassen würde; MM 27.4.1987 Das Publikum war begeistert, feierte die Mitwirkenden und natürlich die hervorragende Rockband „Undersound" ausgiebig und lautstark; ebd. 5. 5. 1987 Ingrid Caven haucht, als Chefin einer Damenband, im Grand Pacific Hotel mit rauchiger Stimme ihre Songs ins Mikrophon; ebd. 14. 4. 1988 Wann immer einer seiner Bandmusiker zum Solo ansetzt, tritt Cohen artig ein paar Schritte beiseite; ebd. 25. 5. 1988 In seiner Musik möchte der schwarze Pianist und Big Band-Leiter „Bilder des Unendlichen" zeichnen, kosmische Klangwelten entstehen lassen; TAZ 17. 10. 1989 Ein Konzert in dieser Form und Besetzung hat es in der DDR noch nie gegeben. Mehr als 30 Rockgruppen, Band-Leader und Jazzer, alle jene, die in der DDR-Musikszene das Sagen haben, waren gekommen; Groot 1990 Vater 28 Jetzt spielte die Studentenband die neuesten Hits. IN

Bandage F. (-; meist -n), seit Anfang 18. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. bandage (zu bander '(ver-)binden', zu bände 'Binde(-zeug); Band, Streifen', zurückgehend auf dtsch. Band), mit frz. Aussprache und anfangs auch in frz. (flekt.) Formen. a Zunächst vereinzelt für '(geschnürter, gebundener) fester Schutzverband', bezogen auf eine Art Keuschheitsgürtel (s. Beleg 1715); dann in der Humanmedizin speziell in der Bed. 'Bruchband, -binde (bei Leisten- oder Leibbruch)', und allgemeiner in

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der Unfallchirurgie und Orthopädie für 'aus einem langen Gaze-, Mull- oder (elastischen) Baumwollstreifen gefertigter textiler Wundverband; Verbandszeug', anfangs vereinzelt auch 'Vorgang des Verbindens' (s. Beleg 1761), bes. in der (Fußball-, Pferde-)Sportmedizin als Bezeichnung für eine Stütz- oder Schutzbinde zur Behandlung und Vorbeugung von Gelenk-, Bindegewebsschäden und -Verletzungen; etwa seit Mitte 19. Jh. gelegentlich, vor allem in bezug auf politische Auseinandersetzungen und wirtschaftlichen Wettbewerb, bildlich verwendet (s. Belege 1844, 1933, 1985, 1986, 1990), meist in festen Verbindungen wie ohne Bandagen Ohne Umschweife, Rücksichten' und mit harten Bandagen ('hart, erbittert') kämpfen; härtere Bandagen anwenden, einsetzen, anlegen; (den Kampf) mit harten Bandagen führen, ausfechten; vereinzelt als Bestimmungswort in (veralteten) Zss. des militärischen Bereichs wie Bandagenwagen, -tornister und Bandagenfabrik. b Seit den 30er Jahren wohl unter engl. oder frz. Einfluß in der (Fahrzeug-)Technik in der Bed. 'Spannband, Umspannung' als Bezeichnung für die schrumpfbare, buchsen- oder ringförmige Umhüllung eines zylindrischen Maschinenteils zur Erhöhung der Festigkeit. Dazu seit Mitte 19. Jh. nachgewiesenes bandagieren V. trans, 'einen Verband anlegen' (zu a), mit dem seit Ende 19. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Bandagierung F. (-; -en) 'Wundverbindung; Gelenkfestigung durch Bandagieren (bei Pferden)' (zu a); nur gebucht in der technischen Bed. 'Befestigung, Verstärkung, -Spannung durch Bandagen' (zu b); Ende 18. Jh. die wohl unter Einwirkung von gleichbed. frz. bandagiste aufgekommene Berufsbezeichnung Bandagist M. (-en; -en) 'jmd., der Bandagen anlegt oder herstellt, Bruchbandhersteller, Bruchbandbinder', bes. für den Hersteller und Anfertiger von Bandagen aller Art auf einen handwerklich-technischen Lehrberuf bezogen, früher gelegentlich, auch in der movierten Form Bandagistin F. (-; -nen), bildlich verwendet (zu a). Bandage a: 1712 Fama XVII 369 die Bein-Brüche/ Verrenckungen/ und hierzu nöthige Machinen und dienlichen Bandagen; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 942 Italienische Schloß, Ist eine auf besondere Art von stählernen Gliedern und Gelenkken verfertigte Bandage, mit einem offenen Vörderund Hinterschild versehen . . dergleichen die eyffersüchtigen Männer in Welschland ihren Weibern umzulegen und anzuschliessen pflegen sollen, um dadurch den fremden Eingriff zu verhindern und abzuwenden; Sperander 1727 A la mod Sprach 64 Bandagen, sind bey denen Wund-Aertzten die Gebände für die Brüche, Bruchbänder; Chomel 1750 Lex. I 1345 Solte aber die Geschwulst harte werden, und sich die Schmertzen vermehren, als worauff der heisse Brand offt zu erfolgen pfleget, so ist die Bandage nachzulassen. Ist sie hingegen gar zu locker, so muß sie schärffer und straffer angezogen werden, damit das eingerichtete Bein nicht wieder auseinander gehe; Reinhard 1761 Sehr. Ill 399 müste man auch denen jungen Wundärzten alle Arten derer Verbindungen (bandages) . . zeigen; Richter 1786 Anfangsgründe d. Wundarzneykunst II 304 Man empfiehlt zur Vereinigung der

Hasenschaarte mancherley Gattungen von Bandagen; 1787 Journal d. Moden U 61 Dann ist die Schnürbrust nicht alltägliches Kleidungsstück des Kindes, sondern mehr eine Bandage, deren Form der Arzt . . angiebt; Müller 1787 Emmerich 113 Bandagen . . einige verwundete Soldaten zu verbinden; Jean Paul 1792 S. W. l 2,147 ob aber . . eine Kleidgarnitur unter die Bruchbänder und Bandagen gehöre — das können ein oder dreihundert Beispiele noch nicht erweisen; Cancrin 1823 Militairökonomie III 258 Bandagen- und Medikamentenwagen, vierspännig; Frey 1844 Bilder 103 Oder sie betrachten diese Dinge als Pflaster, als Charpie, als Bandagen, um die Euterbeulen, die Krebsschäden, die Scrofelnarben ihrer Mittelmäßigkeit oder gar Gemeinheit zu verhindern; 1890 Im Felde 85 „Bandage-Tornister" [auf Lazarettschiffen); Bittmann 1907 Hausindustrie in Baden 197 Bandagenfabrik . . Bruchbandagen; Höcker 1910 Sonne 85 Er hatte ein Taschentuch im reinen Schnee gewälzt, legte es als Umschlag um den Knöchel und benutzte dann die Wickelgamasche als Bandage. Kunstvoll schlang er sie von der Sohle über den Spann und in regelmäßigen Windungen um das Gelenk bis

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Bandage

über die Wade hinauf; Lokal-Anz. 22. 1.1933 Während die Regierung sofortige Klärung forderte und ganze Parteien sich die Miene gaben, sofort und ohne Binden und Bandagen auf schwere Säbel antreten zu wollen, stellten die Nationalsozialisten den allerweitestgehenden Antrag; Welt 17. 5. 1949 mehrere geübte Korsettnäherinnen . . stellt ein „Arisana" Alfred Risch, Bandagen- u. Miederfabrik Elmshorn; ND 6. 7. 1964 Die mitteldeutschen Turnerinnen benötigten keinerlei Bandagen! Ihre Leistung war unter Vermeidung aller Überbeanspruchung gesund gewachsen; 1970 St. Pauli Nachr. Nr. 131 Sie hatte dicke Bandagen um beide Handgelenke und schien ihn aus den Schlitzen ihrer fast geschlossenen Augen teilnahmslos zu mustern; Mitzscherlich 1971 Fahr-mit-Jugendreiseleiter o. S. nicht erstattungsfähige Aufwendungen . . Zahnersatz (z. B. Brücken, Kronen, Prothesen, Stiftzähne), der nicht Folge eines Unfalls ist . . die Anfertigung von Hilfsmitteln (z. B. Bandagen, Brillen, Einlagen, Prothesen, Spezialschuhe); Zeit 24.1. 1986 Der Streit um die Änderung des Streikrechts ist zum zentralen innenpolitischen Thema geworden, bei dem auf allen Seiten mit harten Bandagen gekämpft wird; ebd. 25. 4. 1986 Die Europäer haben somit härtere Bandagen für die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus angelegt; ebd. 1. 5. 1987 Ich mußte in den letzten Jahren meine Knie zweimal am Tag mit einer Schmerzsalbe, einer Plastikhülle und einer Bandage behandeln und darum herum einen Gummistrumpf wickeln — und es tat trotzdem noch weh; Stern 27. 5. 1987 Gegen den berüchtigten Tennisarm hat ein Laie eine Bandage entwickelt, die Linderung verschafft . . eine Manschette; Zeit 25. 5. 1990 Der Einstieg des britischen Medienkonzerns in den deutschen Markt wird den Wettbewerb im Berliner Gebiet verschärfen. Mit welch harten Bandagen bereits jetzt gekämpft wird, spürte besonders die Ostberliner „BZ am Abend"; Frankf. Rundsch. 8. 9. 1990 Die Rheinbündler gegen die Osteibischen (Überschr.) Der Kampf um Berlin als Hauptstadt wird mit harten Bandagen geführt; Spiegel 1. 8. 1994 Warum . . muß ein Turnierpferd permanent behandelt werden? Aus der Antwort wird sie erstmals gewahr, mit welchen Bandagen die Reit-Branche arbeitet. Reflex sei nur einzusetzen, wenn Schmerzmittel eingesetzt würden. bandagieren: Franz Joseph l. 1850 Br. an s. Mutter (Sehr. 142) Er [der Verwundete] wurde mit Schnupftüchern und mit Handschuhen bandagiert, auf eine Tragbahre gelegt; Brahms 1888 Briefw. m. H. u. E. v. Herzogenberg U 184 und die Ärzte ihn fix und fertig bandagiert wieder hereintragen; Ahlers 1915 Fahrsport 45 Bandagieren [von Pferden]; Berl. lllustr. Nachtausg. 6.2.1933 Mein Bein ist

weiß bandagiert und grün getupft. Ich muß einen kühlen Blätterumschlag um das Bein gekriegt haben; dann wird der Verband darübergekommen sein. Jetzt sickert der grüne Saft durch die weiße Bandage; Lokal-Anz. 4. 5. 1934 als die Geschwulst aber am Morgen des Spieltages zurückgegangen war, entschloß sich Co wan, mit seiner Elf anzutreten. Sein Fuß wurde mit Vaseline eingefettet, sorgfältig in Watte gewickelt und fest bandagiert; ND 6. 7. 1964 Alle anderen waren irgendwie bandagiert, nicht zuletzt auch, um die Spritzenstiche zu verbergen. Die mitteldeutschen Turnerinnen benötigten keinerlei Bandagen; Bild 20. 6. 1967 Weinend schlägt ein kleines Mädchen die Hände vor sein schmerzendes, bandagiertes Gesicht; MM 21.5. 1987 Alle zwei Tage packt er das kranke Bein aus der Bandage, die nur mit einigen weichen Holzschienen verstärkt ist, bedampft, salbt und bandagiert von neuem; ebd. 20. 8. 1987 Die Musik mechanisiert sich, mit ihr die Bewegungen der Tänzer, Punker und Turner und der weiß bandagierten Atompuppen, die sie mit sich schleppen; Stern 10.12.1987 Tanzen, bis die Zehen bluten (Überschr.) „Schwache Bindegewebe", erläutert sie und fügt stolz hinzu, daß die Ballettschule sie zu einem der renommiertesten Sportärzte von München geschickt hat und daß sie sich jeden Abend einreibt und bandagiert — von der Taille bis zu den Fersen; Spiegel 5.12. 1994 Im engen Container der kroatischen Polizei hockt ein Busfahrer; sein Arm ist bandagiert, das Gesicht blutet aus unzähligen Wunden. Bandagierung: Kufahl u. Schmied-K. 1896 Duellbuch 244 Die Bandagierung bestand in einer starken Binde aus Sohlenleder, die den Unterleib deckte; ebd. 257 Im Bilde bringen wir die erste Mensur auf der Hirschgasse in Heidelberg, die uns in anschaulicher Weise die damalige Bandagierung zeigt; Sachsenberg 1926 Verpacken 9 daß die Brettstärke abhängig ist von .. der Art der Beleistung .. so daß bei starker Beleistung und starker Bandagierung . . geringere Brettstärken zulässig werden; V. Mann 1949 Wir waren fünf 284 Und nach den .. Anstrengungen des Dienstes wurde es [Pferd] mit Abreibungen und Massagen, warmen Decken und Bandagierungen behandelt. Bandagist/in: Moriiz 1793 Grammat. Wb. l 164 Bandagist: Bruchbändermacher; 1795 (Buchner 1925 Das Neueste v. gestern V 51) Der Sohn Ludwigs XVI ist krank; er hat einen Dambruch. Der Gemeinderath hat befohlen, daß ihn der Bandagist .. besuchen soll; Jean Paul 1798 S. W. J 7,185 Die ganze Sache und Wunde blos der Bandagistin, der Zeit, zu übergeben, kostet . . außer der Zeit oft noch etwas Besseres; ders. 1799 S. W. I 8,72 Herz-

Bande lieh gern hätt' er der Erschreckten Schmerzensgelder .. gegeben; er halt' aber nichts bei sich, bis ihm zum Glück seine Schwester Rabetten — von welcher Bandagistin er irrig schloß, daß mehrere Mädchen des Teufels auf Bänder sind und sie wie Taschenspieler verschlingen, aber nicht wiedergeben — und sein neues Zopfband einfiel; ebd. 8,167 Wäre . . nur meine Phantasie . . so würd' ich . . als wahr berichten . . Albano sei am ändern Morgen blind und taub hinter der breit vorgebundenen Binde des Bandagisten Amor dort gesessen; Campe 1807 Wb. 143 Bandagist . . der Bruch-Arzt; Münch. N. N. 17.1.1945 Reichshandwerksmeister Schramm wendet sich in einem Aufruf an Herrenschneider, Damenschneider und andere Bekleidungshandwerker und fordert sie auf, Stoffreste, Stoffmuster und Stoffmusterbücher der Sammlung für das Volksopfer zuzuführen . . Auch Sattler, Tapezierer, Segelmacher, Bandagisten, Buchbinder und andere Handwerker sollen alle entbehrlichen

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Spinnstoffe abgeben; Münch. Stadtanz. 19. 7. 1957 Die Bandagisten, Orthopädie- und Chirugiemechaniker verbindet als ihre gemeinsame Aufgabe der Dienst am körperlich geschädigten Menschen . . Da kein menschlicher Körper dem anderen gleicht, können Bandagen und künstliche Gliedmaßen natürlich nicht genormt oder am laufenden Band mechanisch hergestellt werden; ebd. 20. 10. 1961 Die Bandagisten, die Orthopädie-Mechaniker und die Chirurgie-Mechaniker sind organisatorisch in einer Innung miteinander verbunden. Bandage b: 1933-34 Verd. techn. Frw. o. S. Bandage (Anker-) Reifen, Umspannung, Spannband; Lokal-Anz. 15. 8. 1933 weil in den Wagenhallen allnächtlich jeder einzelne Wagen gründlich überholt werden muß, insbesondere Kontakte, Bandagen und Achselgestelle. IN

Bande1 F. (-; -n), Anfang 15. Jh. entlehnt aus frz. bände 'Trupp(e), Schar von Soldaten (unter einem Banner); Gruppe mit ein und demselben Ziel, gemeinsamen Interessen' (vgl. gleichbed. ital. banda), eventuell über Vermittlung von spätlat. bandum 'Feldzeichen, Fahne', mlat. auch 'Truppenabteilung' zurückgehend auf got. bandwa 'Zeichen; Fahne', also eigentlich 'unter einer Fahne vereinigte Soldatentruppe, -schar; Fähnlein, Rotte' (etymologisch verw. mit dtsch. Band, Banner, —* Banderole), anfangs vereinzelt in der frz. (flekt.) Form, in Anlehnung an Band auch mit umgelautetem Pl. Bände und in Formen wie aus dem Ital. übernommenem Banda und unter mittelniederl. Einfluß Bende. Zunächst im militärischen Bereich von Soldaten in der Bed. 'Reitertruppe, Kriegsschar, militärischer Verband, Abteilung (aus zwei Bataillonen)' (s. Belege 1591, 1616, 1727, 1847, 1859; vgl. Bataillon, —» Bataille, —> Kompagnie, —» Regiment), seit dem 18. Jh. dann in der noch heute vereinzelt nachgewiesenen allgemeineren Bed. 'zu einem gemeinsamen Zweck mehr oder weniger fest verbundene (gesellschaftliche) Gruppierung, eingeschworene Gemeinschaft, Vereinigung (bes. von Musikanten, Schauspielern, Künstlern, Literaten)' (s. Belege 1707, 1709, 1729, 1771, 1781, 1793-95, 1815, 1845, 1919, 1985; -» Clique, —· Sekte); wie viele aus dem militärischen Kontext hervorgegangene Begriffe abwertend konnotiert mit „leichtlebiges Völkchen" und „schlechte Gesellschaft, übles Pack" (—> Bagage) und im Zuge dieser Bedeutungsverschlechterung ersetzt z. B. durch (Theater-/Schauspiel-)Truppe (s. Beleg 1802), im Laufe des 18. Jhs. zunehmend auf Gesindel, Freischärler, Söldner, Landstreicher, Gaukler, Diebe und Räuber bezogen, oft noch im 20. Jh. im Pl. für 'Söldnerhaufen, marodierende Horden, Rotten; bewaffnete Verbände' (s. Belege 1727, 1737, 1795, 1945, 1962, 1964, 1985, 1986; -» Soldateska), vor allem in Zss. wie Räuber- und Zigeunerbande, und weiter abgewertet (möglicherweise unter dem Einfluß von —* Bandit) zur (heute strafrechtlich verfestigten) Bed. 'meist fest organisierte Zusammenrottung, Vereinigung krimineller oder politisch-militanter Personen zur gemeinsamen Begehung von Straf- und Gewalttaten, Terrorakten u. a. Verbrechen' (—» Syndikat, —»· Clan, vgl. Gang), als Grund- und Bestimmungswort in Zss.

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Bande

wie Agenten-, Baader-Meinhof-, Diebes-, Einbrecher-, Gangster-, Jugend-, Mörder-, Rauschgift-, Terror-, Verbrecher-, Zuhälter-, Vierer-/Fünferbande; Bandenchef, -diebstahl, -führer, -krieg, -kriminalität, -mitglied, -schlacht, -Schmuggel; daneben weiterentwickelt zur eher ugs.-scherzhaften Verwendung im Sinne von '(harmlos) wilde, schwer zu bändigende Horde (bes. von Kindern)', z. B. in der Wendung Ihr seid mir eine schöne Bande und in Zss. wie Rassel-, Saubande (s. Belege 1915, 1924, 1933, 1985, 1990). um 1405 Pilgerf. träum. Mönch 1236 die hern von diesen landen/ Sint nit also mit yren banden/ Und sint auch nit also getan; 1547 Chronik Augsb. Vlll 326 auf dise send gefolgt noch ain raissiger zeug, etliche niderlendische panden mit schweren pferden (beide FRNHD. WB); Lanz 1554 Karl V 530 etliche fendlin landsknecht, auch etliche bände und geschwader reuter (DWB); Fischart 1575 Geschichtsschr. ddv seine ordenliche bände vn Regimenten (JONES); 1583 Buch Weinsb. III 161 Von stunt [sin] sine herrn edelleut in die stat gerant mit vier benden ruter und 17 fendlin franzoser knecht (FRNHD. WB); Spangenberg 1591 Adelsspiegel I 324v der oberste vber eine ganze Sende oder Panir. Wie in Flandern vier Benden sind .. zu solcher Bende (JONES); Rathgeb 1592 Kriegssachen 343 Bandes; Dilbaum 1597 Beschr. B2r Banden Ritter (JONES); Wallhausen 1616 Kriegsmanuale (Gl.) Bande. Ein Rotte; Henisch 1616 Teutsche Sprach 183 Bande/ fänlin/ signum & fascia vexilli. Bande reutters . . Bande von ordonantze . . Bande/ rotten; Friedrich I. 1707 Br, 116 Die bände commedianten haben gestern ein schön stück gespielet; Wächtler 1709 Manual 47 Bande, Rotte/ Gesellschaft/ so sich zusammen verbunden/ z. E. die Bande der Renommisten/ eine Musicanten-Bande; Stranitzky 1717 Reisebeschr. 39 Hannnß Wurst langet zu Wien an/ kommet ungefehr in das ComoediHauß/ suchet Dienst/ wird von daselbstiger Bande als ein Baur auff- und angenommen/ und beschliesset seine Reyß; Sperander 1727 A la mod Sprach 64 Bande, eine Rotte, eine Parthey Soldaten, eine Anzahl Spitzbuben, eine zusammen geschwohrne Gesellschaft; Biantes 1731 Historicus 25 Seine unter ihm stehende Bande bestund aus lauter schönen und galanten jungen, aber auch dabey solchen Leuten, denen man im geringsten nicht unrecht that, wenn man sie wegen ihres bestialischen Lebens, zweybeinichte halbvernünftige Bestien titulirte; 1737 Jüd. Baldober 3b Diebs- und Räuber-Banden; Herder-Nicolai 1771 Briefw. 59 Wir machten freilich eine Secte oder Bande aus, wenn dies so viel heist, als verschiedene Wahrheiten für ausgemacht halten; Lessing vor 1781 S. W. X 258 Nicht genug, daß sich die Freimaurer einer den ändern unterstützen, denn das wäre nur die nothwendige Eigenschaft einer jeden Bande; ebd. XII 31 [Goldoni] Direktor einer Bande von

Schauspielern (SANDERS DWB); Herder 179395 Br. (S. W. XVII 293) Banden . . (wie man die Schauspieler mit dem alten deutschen Heldennamen zuweilen noch jetzt nennet); Goethe 1795 — 96 Lehrjahre (HA VII 239) Die räuberische Bande nämlich hatte nicht der wandernden Truppe, sondern jener Herrschaft aufgepaßt, bei der sie mit Recht vieles Geld und Kostbarkeiten vermutete, und von deren Zug sie genaue Nachricht mußte gehabt haben. Man wußte nicht, ob man die Tat einem Freikorps, ob man sie Marodeurs oder Räubern zuschreiben sollte; Laukhard 1802 Leben u. Schicksale V 57 seiner Bande, oder wies die Herren lieber hören, seiner Truppe; Arndt 1815 Katechismus 31 eine große Bande von Gaunern und Schelmen; Düringer 1841 Theaterlex. 117 Bande: Der Ausdruck für eine auf sehr niedrer Stufe stehende kleine Schauspielergesellschaft wird nur in wegwerfendem Sinn gebraucht (SANDERS DWB); 1859 Allg. Mtl.-Enc. II 428 Banden wurden in früheren Zeiten Truppen im Umfange zweier Bataillone genannt, die jedoch als einzige Truppe organisirt waren und nur einer Waffe angehörten; Holtet 1863 Letzte Komödiant I 37 Nehmen wir an, die Truppe, auf welche dein Oberförster Jagd macht, sei, was eine Schmiere heißt — was Ihr eine Bande nennt; Reichensperger 1872 Phrasen 161 falls dagegen ganze Provinzen in Masse gegen denselben Helden aufstehen . . so sind das nur verächtliche „Banden", von denen man gar keine Notiz zu nehmen hat, außer etwa um sie einzusperren; Böhmer 1915 Sklavinnen 3 Berta haßte alle Menschen, die „gut im Zeuge waren" . . Sie verfluchte die „gesamte Bande der Herrschaften"; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 126) Es ist eine Verschwörung gegen mich angezettelt worden, und der Wiener Hof ließ es sich einfallen, mich zu beleidigen . . Nun beginnt der Krieg, und die Schurkenbande fällt über mich her; Brachvogel 1919 Glück 147 Es ist eine ganze, lustige Bande und sie nähmen es übel, wenn ich sie sitzen ließe und allein woanders essen wollte; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 576) Je mehr die Rasselbande sich ausspricht, desto lüsterner wird sie; Lokal-Anz. 4.3. 1933 Wie mir nach Jahren der Direktor erzählte, war er bald nach Beginn der Stunde an unserer Klassentür vorbeigegangen, um zu hören, wie der Neue mit der „Bande" fertig werden würde; Th. Mann 1945 Re-

Bande den u. Aufs. (W. XI 1062) Rommel, ein frecher Nazi-Bandenführer, ist nach einer Reihe gelungener Streiche von der britischen 8. Armee in Nordafrika vernichtend geschlagen worden; ebd. XII 181 die französischen Sozialisten . . sanken . . „zu Hehlern und Helfershelfen jener internationalen Mörderbande herab, die ihre Spitzel in allen Hauptstädten hat"; ders. 1947 Faustus (W. VI 344) bei einer Geschichte, wie der Großherzog von Weimar und der Theaterdichter Richard Voß, zusammen in den Abruzzen reisend, von einer echten Räuberbande überfallen worden waren; ND 18. 9. 1954 In Bayern hat sich das Unternehmertum dieser Terrorbanden gegen die streikenden Kollegen bedient; Süddtsch. Ztg. 25.6. 1957 das Gericht hatte sich nicht entschließen können, die verschiedenen Angeklagten unter dem strafrechtlichen Begriff der „Bande" zu betrachten und damit ihre Diebstähle und Einbrüche als „Bandendiebstähle" abzuurteilen. Die Angeklagten hätten sich nämlich unregelmäßig und auch in verschiedener personeller Zusammensetzung . . getroffen. Es habe auch keinen „Chef" gegeben; Offenburger Tagebl. 7. 11. 1959 Es ist typisch, daß sich die Tendenz zur Bildung von „Banden" verstärkt hat. Wenn die Jugendlichen in den Sog des Kollektivs geraten, häufen sich die Straftaten; Grass 1962 Blechtrommel 304 eine Jugendbande, der die Kriminalpolizei und mehrere Züge des HJ-Streifendienstes hinterher waren; Partner 1964 Erben 18 Viermal in zwei Jahrzehnten wurde damals allein die Kaiserstadt Trier das Opfer fränkischer Überfälle, und bald durchzogen die marodierenden Banden der „Barbaren" wieder ganz Gallien; Bild 25. 1. 1967 Eine Hausfrau . . aus dem Kreis Schleswig ist als Chefin einer siebenköpfigen Einbrecherbande entlarvt worden. Unter ihrem Befehl hatte die Bande 70 Diebstähle verübt; ND 5. 9. 1969 Ganze Diebesbanden haben sich auf den Raub und den Verkauf von Kunstwerken spezialisiert; Welt

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10.1. 1974 Bewaffnete Banden von Stammeskriegern beider Seiten überqueren die Wüstengrenzen und starten überfallartige Aktionen im gegnerischen Land; MM 10. 1. 1985 Heute schützen selbst diese Eisentüren nicht mehr, denn die zynische Menschenverachtung hat die Methoden der Gangsterbanden grausam verfeinert; Zeit 10. 5. 1985 Die Treuherzigkeit, mit der Cocteau selber von dieser „ganzen Bande" spricht, zu der er gehörte, hat etwas Betuliches, was zu seiner Rolle als Causeur und selbstzufriedener Artist paßt; ebd. 21. 6. 1985 Wollten sie denn im Ernst behaupten, daß die Katastrophe der Kulturrevolution allein jener ominösen „Viererbande" zu verdanken war, die natürlich durch eine böse Frau, Maos Witwe, angeführt wurde?; MM 17. 4. 1986 Demnach stellt „die Entsendung bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder in seinem Namen" eine Aggression dar; ebd. 25. 6. 1986 weil die zairische Armee angeblich Sabotagetrupps für die Zerstörung von Brücken ins Land schickt und einen Bandenkrieg an der Grenze duldet; ebd. 16. 10. 1986 Somit ist es doppelt wichtig, das Übel an der Wurzel zu packen und das Mordzentrum zu zerschlagen, wie es in den 70er Jahren bei der Baader-Meinhof-Bande gelungen ist; ebd. 22. 8. 1987 In den 70er Jahren gelang es auch vermehrt rechtsradikalen Organisationen, die allenfalls als lose Grüppchen oder Banden organisierten Skins an sich zu binden; teils als bloße Schlägertrupps, zunehmend auch als fest integrierte Anhänger; ND 8. 7. 1989 mußte das Oberste Gericht der DDR 1952 sich mit einer Agentenbande befassen .. Am meisten berüchtigt .. war die sogenannte „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit"; Spiegel 24. 9. 1990 Auch den Gewerkschaftern und Betriebsräten trauen viele nicht mehr über den Weg. „Die Saubande sitzt wieder zusammen", schimpfen Arbeiter . ., als sie erfahren, daß der Chef mit den Betriebsräten diskutiert. IN

Bande2 F. (-; -n, früher auch -s), im früheren 18. Jh. wohl mit der Sache übernommen aus frz. bände in seiner Bed. 'seitliche Grenze, Seite, Parallele; (elastisches) Band, Borte (zur Einfassung einer Billardtafel)' (zurückgehend auf altfrz. bende, bände 'Binde, Band', german. Ursprungs; —> Bandage). a In der Bed. 'seitliche Begrenzung, Seitenwand', bes. im Bereich des Sports, anfangs beim Schach-, dann vor allem beim Billardspiel für 'seitlich um den Spieltisch oder das Spielbrett herumgehender erhabener Rand, Einfassung einer Spielfläche, Randleiste', auch auf das Spielfeld beim Tennis, Eishockey oder Fußball und auf Reitoder Kegelbahnen bezogen für 'umrahmende oder seitlich angebrachte Einzäunung, Barierre; Seitenwand', z. B. in der Zs. Bandenwerbung 'auf der Bande in Stadien angebrachte Werbung durch Plakate'; daneben im 18./l9. Jh. gebucht für 'Seite eines Schiffes, Schiffsflanke'.

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Banderole

b Im 20. Jh. meist plur. verwendet in verschiedenen fachspr. Ausprägungen, die wohl auf entsprechende Verwendungen von frz. bände zurückgehen, aber nicht immer deutlich von dtsch. Band mit speziellem fachspr. Pl. Banden unterscheidbar sind, z. B. in der Geologie und Gletscherkunde in frz. Syntagmen wie bandes laterales 'Seitenmoränen', in der Mathematik und Physik bzw. der akustischen/optischen (Meß-)Technik im Sinne von 'Vielzahl von Spektrallinien, Bandbreite, Spektrum'. Bande a: Biantes 1731 Historicus 25 Bande [Schachspiel]; Adelung 1774 Grammat.-knt. Wb. I 633 Bande . . bedeutet eine jede Seite; daher bey den Seefahrern zuweilen auch die Seite des Schiffes, und die Breite eines festen Landes die Bande genannt wird; Jean Paul 1792 S. W. I 2,30 Da . . mich sein [des Gegners] rechter Zeigefinger dauerte, der von einem Säbelhiebe eine rothe Linie hat und auf der Schachbande auflag: so kam ich aus Zerstreuung wahrhaftig um meine Königin; ebd. 2,35 nun mocht er [der Rittmeister] mit den Fingern einen [Pralltriller] auf der Bande machen; Guthsmuths 1796 Spiele 169 Es spielen nur Personen, bis 20 points, und derjenige macht den Anfang, welcher einen Ball an die gegenüberstehende kurze Bande stößt, und ihn der am nächsten bringt, vor welcher er steht; Sanders 1871 Fremdwb. 131 Bande . . B. eines Billards; Petri 1899 Handb. d. Fremdw. 110 Bande . . die Seite eines Schiffes; die Einfassung eines Billards; Jacket 1970 Lex. (1970 Jasmin XIV 135 ff.) Von nun an ist die sexuelle Erregung wie eine Billardkugel: So wie die Billardkugel zwischen den Banden wird die sexuelle Erregung zwischen den Nervenantennen des Körpers und den Zentralen im Gehirn hin- und hergeschleudert; 1971 Handelsbl. XXXV 34 Spätestens beim zweiten Stoß muß ein Ball aus dem „Cadre" verschwinden. Beim sogenannten Einbandspiel muß der Spielball mindestens eine, beim Dreibandspiel mindestens dreimal eine oder verschiedene Bande (Seitenwand) berührt haben, ehe er den dritten Ball trifft; Junge Welt 1. 12. 1989 nicht gerechnet den Ertrag durch

Bandenwerbung, Fernsehrechte und Auslandseinsatz von Trainern; FAZ 8. 2. 1990 einen Vier-Jahres-Vertrag mit dem Deutschen Fußball-Verband . . der DDR abgeschlossen, der seiner Werbeagentur die Bandenwerbung und die Fernsehrechte sichert . . damit trat der DFV alle Vermarktungsrechte für Privat-, Qualifikations- und Länderspiele der DDR-Auswahl außerhalb der DDR ab; Ortheil 1992 Agenten 106 Am schlimmsten sind die Dressurreiter, ein Leben im Viereck, zwischen lauter Banden!; Spiegel 3. 7. 1995 Und weil Werbebanden in Wimbledon verpönt sind, tragen die vorbeifahrenden Doppeldeckerbusse Nike-Reklametafeln — so schauen die zwei Profis im Minutentakt über den Zaun aufs Tennisfußvolk hinab. Bande b: Böhm 1901 Moränenkunde 74 bandes laterales . . bandes interieures; ebd. 108 Jedenfalls unrichtig ist es aber, dass die Savoyarden für die Mittelmoränen die Bezeichnung Bandes hätten [Seitenmoränen]; ebd. 122 „Banden" [Gletscherfachspr.]; Hummel 1971 Eigenschaften XXH o. S. durch diese Separation treten Absorptionsbanden deutlich in Erscheinung. In Abb. (oben) ist eine solche Bande für Silber gezeigt. Sie hat ein Maximum kurz oberhalb 4 c V (ultraviolett) . . Ein Vergleich der aus den klassischen Formeln erhaltenen Kurve . . mit der Bande der Abb. zeigt eine recht gute Übereinstimmung des prinzipiellen Verlaufs . . Das optische Verhalten von Kupfer ist ganz ähnlich, jedoch mit dem wichtigen Unterschied, daß bei diesem Metall eine Absorptionsbande im sichtbaren Spektralbereich auftritt. IN

Banderole F. (-; -n), Anfang 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. banderole, älter ban(n)erolle (< ital. banderuola, Diminutivbildung zu bandiera 'Fahne, Banner', zu banda 'Truppe unter gemeinsamer Fahne', vgl. spätlat. bandum, Pl. banda 'Feldzeichen', mlat. auch 'Truppenabteilung', german. Herkunft; vgl. Banner und —» Bande1), anfangs auch in den Schreibungen Banderolle, Banerolle. 1 Zunächst bis Mitte 19. Jh. in der Bed. 'lange, schmale Flagge, Fähnchen an der Lanze', häufig als Feldzeichen kleinerer militärischer Abteilungen verwendet, etwa gleichzeitig auch für 'Schiffswimpel', dann auch für 'Quaste an Trompeten der Heerestrompeter und Spielleute'. 2 Seit Anfang 19. Jh. selten in der Bed. '(ornamental stark verschlungenes), mit einer Auf-, Inschrift oder Erklärung versehenes Band (auf Gemälden, Stichen, Graphiken)', in neuester Zeit auch 'Spruchband' (s. Beleg 1986; —> Transparent).

Banderole

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3 Seit Anfang 20. Jh., eventuell durch fälschlichen Anschluß an Band 'Gewebestreifen', für '(papierenes) streifenförmiges Verschluß-, Klebeband, durch das eine steueroder zollpflichtige Ware mit einem Steuervermerk versehen und zugleich verschlossen wird oder durch das Waren gebündelt und versandfertig gemacht werden', z. B. die Banderole von der Zigarettenschachtel lösen. Gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Banderolenaufdruck, -serie, -Steuer 'Verbrauchssteuer auf verpackte Konsumgüter'; in neuester Zeit vereinzelt auch allgemeiner für 'streifenartiger Umschlag um ein Buch, eine Broschüre' (s. Beleg 1987). Dazu etwa seit Mitte 20. Jh. die verbale Ableitung banderolieren V. trans, 'etwas mit Banderole(n) versehen', z. B. Zeitungen für den Versand banderolieren; Zigarettenschachteln banderolieren und das gebuchte Verbalsubst. Banderolierung F. (-; -en) 'das Versehen einer Ware mit Banderolen; streifenförmiges Verschlußband mit Steuervermerk', z. B. die Banderolierung ist beschädigt. Banderole 1: Dilich 1607 Kriegsbuch 267 Die Lantzirer aber haben an ihren lantzen zum kenzeichen banderolen; Wallhausen 1616 Kriegsmanual o. S. Banerolle. Das Fänlein an einer Lantzen oder am Schiff; ders. 1617 Militia Gallica 121 eine grosse Banderolle am Endt einer Lantzen (alle JONES); Krämer 1681 Leben d. Seehelden 240 Fahnen und Banderollen; Stieler 1695 Zeitungs Lust 181 Banderole/ ein kleines Fänlein oder Flagge; Sperander 1727 A la mod Sprach 64 Banderole, eine Flache, oder Schiff-Fahne; it. das Fähnlein an einer Lantzen, oder Trompeten; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 315 Sie ist mit goldenen und silbernen Prangen, auch dergleichen Banderolen reichlich besetzt, worauf schöne Devisen gestickt; Zedler 1733 Universallex. Ill 336 Banderolle, so wird das Fähnlein an der Pique, ingleichen die Patrulle an der Trompete genennet, auch heisset es der Wimpel auf denen Schiffen; Hübner 1759 Staats-Zeitungs- u. Conversationslex. 119 Banderole . . ist ein kleines Fähnlein, oder Flagge, auf einem Mastbaume eines Schiffes; 1859 Allg. Mil.-Enc. II 429 Banderole, Wimpel, Flagge, Lanzenfahne, Trompetenquaste. Banderole 2: Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA l 29,52) [im Hinblick auf die Vorbereitungen zur Aufführung von Goethes Gelegenheitsstück „Sie kommt nicht!"] die Garten- und Wasser-Scenen; Kränze, Banderolen mit Inschriften zierlichster Art, nichts ist vergessen; ders. 1816 Sehr. z. Kunst (WA l 49.1,282) Denn wenn vorher [auf dem Gemälde „Cäsars Triumphzug von Mantegna] auf mancherlei Bändern und Banderolen an Zinken und Posaunen, auf Tafeln und Täfelchen schon Cäsar genannt und also diese Feierlichkeit auf ihn bezogen wird, so ist doch hier zum Abschluß das höchste Verdienst . . verkündet; MM 39.4. 1986 „stoppt die Totengräber des Montmartre" forderten wie er viele Bewohner mit Banderolen vor der Kirche von Sacre-Coeur.

Banderole 3: Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 116 Banderole .. Steuerband an Zigaretten; LokalAnz. 21. 1. 1933 Neue Tabakwaren mit alten Banderolen; ebd. 13.9. 1934 [die] Bestrebungen der Zigarrenindustrie, eine Banderole für 2 Zigarren einzuführen; ND 22. 10. 1949 zufällig hatte man das Fehlen der Banderole bemerkt; Süddtsch. Ztg. 3. 8. 1951 eine Senkung der Banderolensteuer auf 25 Prozent; 1954 Neue Berl. Illustr. Nr. 19 Auch mache die zu leistende Banderolensteuer noch zusätzlich 2000, - DM W aus; ND 6. 7. 1954 gültig waren die Banderolenserien L und C; Bartsch 1958 Geliebt 96 Weidammer griff in die Manteltasche und holte ein Päckchen Zigaretten heraus, sein Daumen glitt zweimal ab, ehe es ihm gelang, die Banderole zu zerreißen; Bildztg. 26. 6. 1967 dann legte er 4,14 DM in die Kasse, stempelte den Schein und klebte die Banderole auf; Prodöhl 1977 Tod 61 Sie nahm von den Geldpäckchen eines weg, auf dessen Banderole „10000 Mark" stand (DUDEN 1993); Zeit 2.1.1987 Familienministerin Rita Süssmuth und Justizminister Hans Engelhard haben eine handliche Broschüre herausgegeben, die — mit schwarzrotgoldener Banderole und Bundesadler kompetent und verständlich auf zwanzig Seiten darüber informiert, wie das geht: „gemeinsam leben ohne Trauschein"; MM 22. 1. 19S7 viele Notenbündel . . sind in brandneue Banderolen der Staatsbank gewickelt. banderolieren: ND 22. 10. 1949 einige Männer . . [die] einen banderolierten Tippzettel stahlen und am Montag mit den zwölf richtigen Tips auftauchten; Prodöhl 1977 Tod 11 Helmckes liebste Beschäftigung bestand darin, allmorgendlich . . die Geldscheine zu zählen, sorgfältig zu banderolieren (DUDEN 1993). RS

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Bandit M. (-en; -en), auch Banditin F. (-; -nen), Anfang 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. bandito, subst. Part. Perf. von bandire Verbannen' (vermutlich german. Herkunft, vermischt sich aber mit lautähnlichem älterem ital. bannire und übernimmt dessen Bed. Verbannen' < gleichbed. mlat. bannire, vgl. mlat. bannitus 'Geächteter, Verbannter', ebenfalls german. Ursprungs; vgl. bannen, Banner, —> Bande1; vgl. gleichbed. später aufgekommenes engl., frz. bandit), anfangs gelegentlich auch in den Schreibungen Bandite, Bandyt, Pandyt, Pand(e)it und in der ital. (flekt.) Form Bandito. la Zunächst bis gegen Anfang 20. Jh. in der Bed. 'Geächteter, Verbannter, Vertriebener', gelegentlich in Ib und bes. in Ic übergehend, auch bildlich verwendet (s. Beleg 1677). Dazu vom frühen bis ins spätere 16. Jh. das Verb (ver-)banditen, bis ins frühe 18. Jh. die Nebenformen bandieren, (ver-)bandisieren, (ver-)bannisieren, eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. bannir, auch bannieren 'jmdn. verbannen, des Landes verweisen'. b Im frühen 16. und im 19. Jh. selten für 'Söldner (im Kriegsdienst fremder Staaten)', mit gelegentlichen Übergängen zu Ic und Id. c Seit früherem 16. Jh., da die Verbannten (vgl. la) sich oft zu Banden zusammenschlössen und Straßenraub verübten, zunehmend für '(Straßen-)Räuber, (Berufs-)Verbrecher, Mörder' (—» Gangster, —* Ganove, —» Pirat), anfangs häufig auf ital. Verhältnisse bezogen; z. B. in Wendungen wie von bewaffneten Banditen überfallen werden, gegen die Banditen vorgehen. Seit spätem 18. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Banditenclique, -führer, -gesindel, -krieg, -moral, -mord, -romantik, -streich, -stück, -trupp, -Überfall, -(un)wesen, -Wirtschaft, im 18./l9. Jh. in den Zss. Banditenverein 'Koalition, die auf einer widerrechtlichen Basis beruht und das Dasein anderer Personen gefährdet' (s. Beleg 1832), -vertrag (s. Beleg 1832), seit spätem 19. Jh. als Grundwort in Zss. wie Auto-, Luft-, Mord-, Sozialbandit; im politischen Bereich als stark abwertende Bezeichnung für den jeweiligen Gegner gebraucht (s. Belege 1813, 1946), vgl. auch Zss. wie Stasibandit (s. Beleg 1990). d Seit früherem 17. Jh. selten übertragen verwendet für 'Gauner, Betrüger, Halsabschneider'; seit Anfang 20. Jh. auch ugs. scherzhaft für 'freches, zu Streichen aufgelegtes Kind, kleiner Racker, Schlingel', z. B. wo hast du dich denn wieder herumgetrieben, du Bandit?; gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Banditenfreundschaft (s. Beleg 1900). Dazu seit spätem 18. Jh. die adj., meist adv. verwendete Ableitung banditenmäßig 'in der Art eines Banditen, wie ein Bandit, als Bandit', z. B. ein banditenmäßiges Aussehen, auch für 'meuchelmörderisch', z. B. jmdn. banditenmäßig überfallen (zu Ic), seit Anfang 19. Jh. auch übertragen verwendet für 'gaunerhaft' (zu Id), etwa gleichzeitig die weitgehend gleichbed. seltenen adj. Ableitungen banditisch und seit frühem 20. Jh. banditenhaft (zu Ic und Id). Seit spätem 19. Jh. die subst. Ableitung Banditentum N. (-s; ohne Pl.) 'das Vorhandensein, die Anzahl und Verbreitung von Banditen in einem Land, Gebiet; Art und Verhalten eines Banditen; Bandenwesen, Verbrechertum', z. B. das Banditentum bekämpfen (zu Ic), seit früherem 20. Jh. auch übertragen verwendet für 'Gaunerei, Betrügerei' (s. Beleg 1938) (zu Id), weitgehend gleichbed. mit der seit frühem 20. Jh. bezeugten subst. Ableitung Banditismus M. (-; ohne Pl.) (zu Ic und Id).

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2 In jüngster Zeit in der aus gleichbed. engl. one-armed bandit lehnübersetzten Wendung einarmiger Bandit 'Spielautomat, der mit einem Hebel an der Seite betätigt wird'. Bandit l a: 1513 Edlibachs Chronik (Kurrelmeyer (1919 Modem Language Notes XXX/V 413)) vor den banditen vnd Francosen, die noch allenthalben jn schlössen lagen (KLUGE 1975); 1517 (1839-86 Amtl. Samml. o. S.) Von den „Banditen" aus dem Lauisertal begehren die meisten wieder zu den Ihrigen heimzukehren (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Stockar 1520-29 Chronik 118 schickdend min heren ain 50 im harnast gain Mierinhusen und in Randen, das sy banditten verdriben (FRNHD. WB); 1521(1839-86 Amtl. Samml. o. S.) [im Vertrag der Schweiz mit Frankreich wird erklärt:] Es sol dwederer teil dem ändern sine widerwärtigen und banditen nit schirmen und enthalten (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Salat 1534-35 Reformationschronik 628 das die frommen stanthafften Rootwyler über ettlich zytt/ den pandyten und entwichnen nach schicktend yr wyber (FRNHD. WB); Volkslied 1536 (Liliencron IV 132) Etlich Pandyten uß der stat, die vor der Bischof hat verklagt und sy helfen vertryben, die sind iez syne besten fründ; um 1550 Zimmer. Chronik l 571 derhalben sein nachgelassne wittib .., auch andere obgehörter banditen erben, denen ire güeter gewaltigclichen ingezogen, den angefengten process usszufüern begert (FRNHD. WB); Maaler 1561 Teütsch spraach SOr Bandit . . Vertribner/ der inß eilend verschickt ist; Tschudi vor 1572 Schweizer. Chronik I 519a etlich Züricher Banditen, die man von Zürich verwisen hat (GOMBERT 1889); Fischart 1575 Geschichtklitterung 32 Wo wer die new welt bewont, führ man nicht zu gewissen jaren banditen inn die newen inseln?; Albertinus 1598 Sendtsch reiben (Übers.) l 136b Banditen und verwiesene Leuth (GOMBERT 1889); Ulsheimer 1622 Reisen (1878 Alemannia VI 111) [Insula de Trinidad] ein kleine insel, hat nur ein dorff darauf, darinen wohnen nicht vil Wilde oder Americaner, sonder nur Banditen, das seind Spanier, die in die Insul von wegen ihrer übeldat gebanet worden; Comenius 1644 Sprachen-thür 206 einer auß dem land verjagter aber/ vnd ein bandit schweiffet herumb: ein landflüchtiger lasset sich nirgends nieder; Francisci 1668 Vorr. (Gombert 1889 Progr. 10) eine Banditin und Verwiesene; Butschky 1677 Pathmos 182 das Würde und Weisheit in einem Reiche beysammen wohnen; und dieses eine rechtmässige/ von wilder Tyrannischer Gewalt/ unterscheiden hilfft/ das bey jener die Wissenschaft eine Landsassin/ bey dieser eine Banditin und Verwiesene ist; Gallier 1716 Abgesandte (Übers.) 126 [Verbot an Gesandte fremder Staaten] zum Tode verurtheilete

Banditen in ihre Häuser einnehmen; Keyssler 1729 Reisen l 235 Banditen sind Leute, welche des Landes verwiesen . . worden; Diefenbach 1861 Origines Europaeae 28 biß der Verfolgte entweder zum scheuen Halbthiere oder zum vogelfreien Bandito wurde; Heyse 1875 Ges. W. / 5, 400 Der Bräutigam war als ein dem Gesetz Verfallener, ein Bandito, in die Wälder geflohen; 1910 Banditen und Recken (Titel); Schlözer 1911 Hirte 100 Bandit . . wie der Name sagt: ein vom Gesetz Verbannter. (ver-)banditen: 1523 Strickler Akten o. S. Hett man mich nut banditet, so hett ich geschwigen; 1547 (1839-86 Amtl. Samml. o. S.) Der Täter soll als öffentlicher Mörder verrufen und „gepanditet" werden; 1565 ebd. Sein Guthaben [solle] verfallen und er auf drei Jahre aus der Landschaft Luggarus verrufen und „verbanditet" sein (alle SCHWEIZER. IDIOTIKON). bandieren: um 1550 Zimmer. Chronik // 341 daz sie vor vil j hären bandirt und lange zeit in der acht gewesen (FRNHD. WB); Ardüser 1572 Selbstbiographie o. S. N. N. ward bandiert, syn hab und guot gemeinen drei bünden zuoerkennt (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Hock 1601 Blumenfeld 68 Adio ich fahr bandirt dahin; Sprecher 1672 Rhetische Chronica o. S. 1561 wurde der Jesuiten Orden aus der Landen allerdingen bandiert (SCHWEIZER. IDIOTIKON). (ver-)bandisieren: 1550 Z f Schweiz. Recht V 132 es soll ein landvogtz aussert dem schloss zu Maienfeld, was malefizisch ist, weder bandisieren noch . . (DRW); 1592 (Starzer 1906 Quellen l 5) personen, welche anderer landt und orten irer versprechen halber ausgeschifft, vertrieben und bandisiert worden; Kiechel um 1600 Reisen 142 aldo such vül volckh aufholt, due so an ändern orthen pandisiert, das landt verwisen oder sonsten schulden halber fluchen müessen (beide FRNHD. WB); 1618 (1839-86 Amtl. Sehr. o. S.) Etliche von dem Strafgericht zu Thusis „Verbandisierte" führen für sich und andere ihrer vertriebenen Landsleute Klage (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Suter 1665 Lustgärtlein 69 aus seinem Lande verbandisiert. bannieren: Fischart 1579 Bienenkorb 50 den Teuffei gar auff ein küssen bannieren; Platter 1605 Beschr. 51 auß allen orten deß königreichs Frankreich banniert und vertriben (beide JONES).

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(ver-)bannisieren: Moscberosch 1642 Visiones 26 so sie von jhrem beginnen nicht bald abstehen/ dannenhero auß vnserem Reich bannisiret werden; 1644 Bittschrift o. S. Stäupen, bannisieren, Schikkung auf die Galleen (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 107 ein solcher tollsinniger Narr, bey deme die Sanfftmut verbannisiert, vnd er will nur alles über die Knye abbrechen; Wächtler 1709 Manual 47 Bannisiren/ ausjagen/ verbannen/ z. E. ich habe alle Grillen verbannisiret; Er ist bannisirt worden; Belemnon 1728 Bauernlex. 31 Bannisiren. Ausjagen, vertreiben, verweisen, abus. Bandusiren, Banasiren. Bandit Ib: Manuel 1522 W. 23 Allein sechs tusent Lantsknecht/ die duchtend sich redlich lüt, / Spangier und der Banditen gschlecht/ die zellen ich dennocht nüt; Anshelm 1529 Berner Chronik IV 28 Hiessend ouch egenanten margrafen ruow haben, die Meyländschen banditen und Franzosen nit ufenthalten; ebd. IV 69 Si rüsten sich in der ganzen stat mit büchsen und gweren, lassend die banditen in, und ist under inen grosse verraten; 1529 (Fuchs 1906 Urkunden Kartause Aggsbach V 149) kamen aus Walischland viel Banditen bei 200, so neben unserem Fürsten, cuius fama ad ipsos evaserat, Ehre wollten einlegen (beide FRNHD. WB); Bullinger 1533 Lucretia 159 Du muost ouch die Pandyten vffrüsten, dz sy hanndtlich syend; Marx 1848 Revolution 1848 (MEW V 453) Am 29. Oktober hatten die kaiserlichen Banditen nur erst einige Vorstädte in ihrer Gewalt; ders. 1871 Bürgerkrieg i. Frankreich (MEW XVII 355) erklärte Thiers der Nationalversammlung . . „Ich werde ohne Barmherzigkeit sein"; . . zu seinen bonapartistischen Banditen, sie hätten Staatserlaubnis, an Paris ihre Rache nach Herzenslust auszuüben; Reichensperger 1872 Phrasen 105 Garibaldi . . dessen Banditen (als solche wurden dessen Söldner ausnahmsweise bei dieser Gelegenheit qualifizirt) als Deserteure Hundertweise zu Pulver und Blei begnadigt [wurden]. Bandit Ic: v. Watt um 1530 (Dtsch. hist. Sehr. Ill 190) Der herr von Safonier vom küng von Frankrich geschikt für die Aidgnoßen von wegen ainer verainung und über ainen banditen, hieß Schwanmatt, der am Chomersee den küngischen vil Schadens tet, klagt; Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 85 Durch den wald bosco di Baccana genant, der banditen halber unsicher; Eyzinger 1591 Nova, novem mensium historica relatio 17 Wiewol der . . Papst Sixtus V. die Freybeuter oder wie mans auff Italienisch nennet Banditos dapfer gestrafft, und einen mit den anderen vertreyben lassen, also das sie bey seinem leben vasst alle vnderkommen, und man

weiter von den Banniten oder verbannten nit vil gehört; ders. 1593 Historica Praesenttum .. relatio 9 Es seind aber die Banditi Exules, und schier solche Leuth in Italia, wie allhier zu Landt die streiffenden und außlauffenden Freybeuter, die man nicht wol bändig kan machen, und vil schaden in Landt thuon; Kiechel um 1600 Reisen 182 dann es in den taverna . . der panditen halber nicht sicher ist, dann sue oftermaln bey nacht innbrechen, das volckh, so dorinnen, ibervallen (FRNHD. WB); 1609 Aviso XXXI A4a Im Gebirge Rouigo, haben sich . . viel Panditen befunden, die Wohnungen vnder der Erden gehabt, auff der Vincentiner Strassen, grossen Raub vnd Mordt begangen; Carolus 1614 Relation Nr. Vlb Der Vice Re in Sicilia hat allen Banditen im selben Königreich perdon ertheilt; Furttenbach 1627 Itinerarium Italiae 43 Banditten oder Merräuber; ebd. 58 das so rauhe gebürg, da stätigs ein gute Anzahl Banditen in selbigen Wildnussen vnd Holen sich auffhalten; Meyfart 1636 Hochschulen 395 denn es gehet auff Evangelischen Universiteten wie im Welschlande, da seyn öffentliche Banditen vnd heimliche Meuchler, die gantz verschlagener weise die Menschen hinzurichten wissen; Gryphius 1663 Horribilicribrifax 75 ein andermal gab er sich für einen Bandito aus, und ließ sich zu dem Galgen führen; Dalhover 1687 Gartenbeetlein l 557b Was würd nit für ein Freud vnd Trost geschöpffet haben Antonius von Padua, als er einest in Gegenwart 12000 Personen geprediget, allwo fünff hundert bekante Sünder, als Banditen, Straß-Räuber vnd gemeine Weiber; Stieler 1695 Zeitungs Lust 181 Bandit . . ist ein Italiänisches Wort/ darunter auch Spitzbuben/ Beutelschneider und Strassenreuber verstanden werden; Wächtler 1709 Manual 47 Banditen/ Spitzbuben/ Strassenräuber/ so sich zusammenrottiret haben; Keyssler 1729 Reisen l 235 Banditen sind Leute, welche . . wegen einer Missethat verurtheilt worden, aber in die Hände der Justiz entweder nicht gerathen, oder aus denselben entwischet sind. Weil sie sich öfters heimlich in der Nachbarschaft oder auf den Gränzen aufhalten und mit Rauben ihren Unterhalt suchen, so heisst man hernach auch alles lüderliche Volk, welches die Landstrassen unsicher macht oder sonst sich zu Mordthaten entschliesst und brauchen lässt, Banditen. Italien war ehemals sehr damit angefüllt; Bayle 1741 Wb. II 720 das Gift dieser Beyschläferinnen ist nicht weniger zu fürchten gewesen, als der Dolch der Banditen; ebd. Ill 260 Dieß sind poßierliche Märtyrer, Leute, die bey dem . . Banditenhandwerke erschlagen worden (REICHEL); Schiller 1781 Räuber (S. W. I 435) Auf Banditen-Siege ist kein Triumph gesetzt; ders. 1783 Fiesko (S. W. II 74) Ein offenes Herz zeigt eine offene Stirn. Meuchelmord bringt uns in jedes Banditen

Bandit Brüderschaft; Jenisch 1800 Geist u. Charakter II 474 Die Banditen — geschlossene Gesellschaften von Räubern und Mördern, mit denen man sich in Neapel und Sicilien auf Reisen umringen muß, um gegen die übrigen von ihrer Gesellschaft gesichert zu seyn; Arndt 1813 Legion 10 Mit einer Verblendung und Dummheit . . hatte Bonaparte alles Glück seines Heeres auf ein Ungewisses Spiel gesetzt: der Bandit wußte nichts von Tugend, der Lügner nichts von dem Glauben an Gott; Feuerbach 1828 Merkw. Verbrechen l 408 Er holte sodann den Banditen herbei und foderte ihn zur Vollziehung des Vatermordes auf; Krug 1832 Handwb. d. philos. Wiss. l 69 Banditenvereine und -vertrage heißen überhaupt alle persönlichen Koalitionen, die auf einer widerrechtlichen Basis ruhend, das Dasein anderer Personen gefährden; Stahr 1847 Italien I 207 von solchen freiwillig Verbannten (denn das heisst wörtlich der Ausdruck Bandito) oder „Malviventi" wie sie der Volkseuphemismus nennt, ausgeplündert zu werden; Engels 1850 Bauernkrieg (MEW VII 408) der Erzherzog Ferdinand und der salzburgische Erzbischof .. bezahlten einen Banditen, und diesem gelang es, den gefährlichen Rebellen [Geismaier] 1527 aus der Welt zu schaffen; Reichensperger 1872 Phrasen 110 Desgleichen wurden die polnischen Patrioten, welche sich der Theilung ihres Vaterlandes widersetzten, von Souwaroff als „Räuber und Banditen" niedergeschossen; Thälmann 1925 Reden 117 Wir haben gesehen, daß die Banditen, Strolche und Hochverräter, die Separatisten, freigelassen wurden; St. Zweig 1928 Sternstunden 120 Sein [Johann August Sutlers] ältester Sohn erschießt sich, von den Banditen bedrängt; Berl. Illustr. Nachtausg. 17.1. 1933 Verwegener Banditenstreich! Unter der Maske eines Bücherrevisors drang heute morgen ein berüchtigter Bankräuber in die Räume der hiesigen Credit-Corporation ein; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XU 691) daß das nicht sein darf . . auf die geistige Gemeinschaft mit meinen deutschen Lesern verzichten und wenn die regierenden Banditen ihre Mörder gegen mich aussenden, in Gottes Namen auch sterben will; ebd. XII 745 diese Banditen und das niedergeworfene Volk unter dem Namen Deutschland zusammenzufassen ist das schlimmste Zugeständnis, das man jenen machen kann; ND 25. 5. 1949 organisierte Banditentrupps vernichteten bei Überfällen auf Bahnhöfe technische Einrichtungen der S-Bahn, beschädigten Züge; Welt 25. 11. 1954 vier Nächte ohne neue Überfälle der Autobanditen; Hobsbawm 1962 Sozialrebellen 41 Darüber hinaus erscheint der Sozialbandit in zurückgebliebenen und für das Banditenwesen bzw. -unwesen anfälligen Gesellschaften; 1972 Berl. Ztg. Nr. 23 Zwei bewaffnete Banditen überfielen Freitag in Oberhausen . . zwei

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Geldboten und erbeuteten rund 27400 DM; MM 18. 9. 1986 in den Elendsvierteln Kampalas sind genug Waffen in den Händen von Banditen und untergetauchten Anhängern der gestürzten Regime von Obota und Okello; Zeit 3. 10. 1986 die wüsten Visagen der Banditen und Spelunkengänger; Morgen 9. 4. 1990 wie anders wäre es sonst zu verstehen, daß der jetzt bekannt gewordene, in seiner Perversion alles übertreffende Plan von Mielkes Stasi-Banditen, die in den letzten Jahren ins Auge gefaßte Errichtung von Internierungslagern für Oppositionelle und Systemgegner, kaum noch Beachtung findet. banditenhaft: Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 66) das wäre geschehen, die Entente ihrerseits hätte rasch und glänzend gesiegt, . . das Ergebnis wäre ein Europa gewesen, nun, ein wenig drollig, ein wenig platt-human, trivial-verderbt, feminin-elegant, ein Europa, schon etwas allzu menschlich, etwas preßbanditenhaft und großmäulig-demokratisch, ein Europa der Tango- und TwoStep-Gesittung, ein Geschäfts- und Lusteuropa. banditenmäßig: Heinse 1780—83 Tagebücher (S. W. VII 194) der Heilige hat ganz das Entsetzen eines Überfallenen, und eines guten weichen Mannes, der sein Leben banditenmässig verliert; Körner 1812 Hedwig (S. W. II 29) Er ist der Letzte eines großen Hauses, Wohl nicht erzogen, seines Lebens Preis Banditenmäßig mit dem Dolch zu kaufen; Gotthelf 1846 Uli, d. Knecht 47 Jetzt aber ist es mehr ein banditenmäßiges Morden; Spielhagen 1868 S. Romane III 72 ein . . Fuder von ein paar Leuten . ., die dasselbe banditenmäßige Aussehen hatten, wie die Kerle vor den Käthen. Banditentum: 1882 Brockhaus II 427 Einen günstigen Boden und eine bleibende Stätte fand das Banditentum vorzüglich in Italien; Weltbühne 7. 1. 1959 Man kann jetzt die Verhängung der Todesstrafe auf einige wenige schwere Vergehen beschränken wie Spionage, Hoch- und Landesverrat, Mord, Terrorakte und Banditentum; Berl. Ztg. 12. 2. 1961 Der beispiellose Angriff des . . [Flugzeugs] wird als ein . . Akt internationalen Banditentums bezeichnet; 1970 FAZ Nr. 300 die drei doppelten Todesurteile sind einmal für den Mord an dem politischen Polizisten Manzanas, zum anderen wegen Banditentums und Terrorismus ausgesprochen worden; Zeit 25. 1. 1985 hinter den Dacoities, dem Banditentum, von dem die Zeitungen täglich berichten, verbirgt sich in Wirklichkeit eine Studentenrevolte. banditisch: Raabe um 1870 S. W. II 5,100 Von einem Ausfluge . . zurückkehrend, finde ich meinen

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Schreibtisch von hinten her in wahrhaft genialbanditischer Weise durchgesägt. Banditismus: Prager Rundsch. 24. 4. 1937 Banditismus und Terror; Th.Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1081) sie sind einig in dem Entschluß, dem internationalen Banditismus ein Ende zu machen und die Menschheit vor der Schmach faschistischer Weltherrschaft zu bewahren; Süddtsch. Ztg. 30. 9. 1950 Man hört, daß viele Ausländer sich des „Banditismus" wegen vor einer Reise nach Sizilien scheuen; ND 19.1. 1954 ein mit 16 Jahren wegen Banditismus und Waffenbesitz verhafteter Jugendlicher; 1954 Weltbühne XLVI111527 dem Banditismus von unten gesellt sich jetzt als direktes Pendant auch ein Banditismus der Exekutive, und die Moral ist auf beiden Seiten so ziemlich dieselbe. Bandit Id: um 1638 Teutscher Michel 206 Wer seind die Cavalier, . . Wer ist der Favorit; ich traw und glaub jhm nit, Er hat ein böß credit wie ein Bandit; Marx/Engels 1885-94 Kapital Hl (MEW XXV 561) Wenn aber noch jemand zweifelt, daß diese ehrbaren Banditen [die Bankers] die nationale und internationale Produktion ausbeuten nur im Interesse der Produktion und der Ausgebeuteten selbst, der wird sicher eines Bessern belehrt durch folgenden Exkurs über die hohe sittliche Würde des Bankiers: „Die Banketablissements sind religiöse und moralische Institutionen"; Harden 1892 Apostata N. F. 63 Wenn es aber sein muß, dann nehme ich den Besen wieder zur Hand und dann sollen die Federbanditen [bösartige Kritiker] mich hören stärker beschwören; Polenz 1900 Liebe 221 Das war jetzt etwas ganz anderes als die Vertraulichkeit der Kinderstube, wo man bei gemeinsamen dummen Streichen und gemeinsam erlittenen Strafen eine Art Banditenfreundschaft geschlossen hatte. banditenmäßig: Schneller 1801 Tagebücher I 19 Gebhard dukte sich banditenmäßig in seinen Man-

tel; E. T. A. Hoffmann 1815 S.W. II 150 es soll hier still und heimlich einige Tollheit umherschleichen, die die Menschen recht banditenmäßig überfällt. Banditentum: Dtttmer 1938 Deutscher 213 Mein Überfall auf den Landrat sei wildestes Banditentum gewesen. banditisch: Schmeller 1801 Tagebücher I 20 Wir legten uns an .. unter derben Spässen .. worüber Herr Gebhard recht banditisch in seinen Mantel lachte. Banditismus: Meisel-H. 1917 Monogamie 151 diese Waren können im Lande oder im Nachbarlande sehr reichlich . . vorhanden sein, werden aber zurückgehalten und künstlich zur Hausse gebracht, sowohl durch Einfuhrzölle als auch durch den „Banditismus" innerhalb des Staates, — durch „Raubhandel" und Wucher; Mühsam 2927-29 Namen 111 die Villa . ., wo Paul Heyse in grimmigem Eifer den Hellenismus einer etwas ramponierten Klassizität gegen den Banditismus modernen Geistes verteidigte. Bandit 2: Welt 9. 3.1974 das Sortiment umfaßt .. selbst .. einen batteriebetriebenen Taschenspielautomaten, einen einarmigen Banditen im Kleinformat; Zeit 12. 2. 1985 einarmige Banditen brauchen statt wirklichem Geld nur einen Knopfdruck; MM 6. 3. 1986 so weh ja die „Slot machine tandinitis" auch den Glücksrittern an den einarmigen Banditen zu Las Vegas und neuerdings in deutschen Spielbanken auch tun mag, in Old Germany zwickt dieses schreckliche Leiden am Zwerchfell des Nichtbetroffenen; Zeit 19. 6. 1987 in den mit „Einarmigen Banditen" ausgestatteten Kasinos; Frankf. Rundsch. 2.7. 1990 in „Höhers Gaststube" in der Gleimstraße, haben schon vor Wochen die einarmigen Banditen, die Spielautomaten, Einzug gehalten. RS

Bank F. (-; -en), anfangs selten auch M., schon seit dem Mhd. (vgl. wehselbanc] nachgewiesen, seit spätem 13. Jh., bes. aber im Zusammenhang mit dem im 14./ 15. Jh. von Oberitalien (Lombardei) sich ausbreitenden modernen Bankwesen, unter Einfluß von gleichbed. langobard. panca wohl in der Bed. 'Geldinstitut' rückentlehnt aus ital. banca F., banco M., german. Herkunft (vgl. mhd. bane, ahd. bane < german. *bank(iz), dem Etymon auch von dtsch. Bank 'Sitzbank', das früh in die roman. Sprachen, bes. ins Ital., eindringt), anfangs meist in Schreibformen wie Banck(e), Bankh, Bang, Pankh, Pen(c)k, selten Banca, vom frühen 16. bis ins späte 18. Jh. vorwiegend in ital. Formen wie Bancho, Ban(c)ko, Banco, im 18. Jh. dann vor allem in der frz. beeinflußten Form Banque F. mit Pl. Banques, Banquen, unter

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deren Einfluß bei Anlehnung an Bank F. 'Sitzmöbel' sich die heutige Form und das fern. Genus durchsetzen. l Zunächst in der heute veralteten Bed. 'Tisch der Geldwechsler, Wechselbank', bes. bezogen auf Münzwechselgeschäfte an großen Handels- und Messeplätzen, die sich bald zu festen Bankplätzen entwickelten (deshalb oft in 2a übergehend), gleichzeitig in der verdeutlichenden Zs. Wechselbank. 2a Von daher seit Ende 14. Jh. weiterentwickelt zu 'Unternehmen, das Geld- und Kreditgeschäfte betreibt und den Zahlungs- und Devisenverkehr vermittelt', z. B. in den Wendungen seriöse, staatliche, große, ausländische Banken; ein Konto bei der Bank haben, eröffnen; Geld bei einer Bank einzahlen, haben, deponieren; Geld von der Bank holen; auf der Bank Geld wechseln; Banken gewähren Kredite; Banken fusionieren und in namenartigen Verbindungen wie Bank deutscher Länder, seit 1957 dafür Deutsche Bundesbank, Deutsche Bank 'zentrale Notenbank der Bundesrepublik Deutschland'. Seit früherem 15. Jh. als Grundwort in Zss. wie Wechselbank, dann auch Leih(e)-, Münz-, Zettelbank, seit Mitte 17. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Bankhalter, Bankherr 'Inhaber, Besitzer einer Bank', später 'Bankfachmann, Bankmanager' (gleichbed. mit Banker, —» Bankier), dabei von etwa Mitte 17. bis Ende 19. Jh. unter ital. Einfluß konkurrierend mit Banco als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Auszahlungs-, Land(es)-, Stadt-, Wechselbanco; Bancoamt, -billett, -buch, -büro, -geld, -gulden, -Herr, -kapital, -kollegium, -konto, -note, -pfund, -schein, -taler, -Währung, -Wechsel, -zettel, (vgl. bis 1873 geltendes Mark Banco als Hamburger Bankwährung und Anfang 19. Jh. Gulden Bank/Banco als Wiener Bankwährung). Seit Anfang 18. Jh. zunehmend produktiv als Grundwort in Zss. wie Aktien-, Bundes-, Citi- (—* City), Diskont-, Euro(pa)-, Giro-, Handels-, Hypo(theken)-, Kommerz-, Kommunal-, Kredit-, Landes-, National-, Noten-, Öko-, Post-, Staats-, Vereins-, Volks-, Welt-, Zentralbank. Seit Mitte 18. Jh. die aus gleichbed. engl. bane note entlehnte Zs. Banknote, selten auch Banconote, ältere Bezeichnungen wie Bankbillett, -zettel ablösend, für 'von einer Notenbank ausgegebener Geldschein aus Papier, der als gesetzliches Zahlungsmittel verwendet wird' (s. Belege 1752, 1766, 1774, 1787), mit Zss. wie Banknotenfälschung, -Zirkulation; etwa gleichzeitig überaus häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Bankaktien(-markt), -akzept 'auf eine Bank bezogener und von dieser akzeptierter Wechsel', -angestellte(r), -anleine, -anweisung, -auftrag, -ausweis 'regelmäßig, meist wöchentlich veröffentlichter Stand einer Notenbank zur Beurteilung der Währungs- und Geldmarktlage', -automat 'Geldausgabeautomat', (s. u. Bankomat), -bruch, veraltet 'Bankrott' (—» Bankrott), -bürgschaft, -card, -darlehen, -direkter, -einbruch, -fach 'Spezialgebiet des Bankfachmanns; Schließfach in einer Bank', -filiale, -geheimnis 'Recht und Pflicht einer Bank, Verhältnisse und Konten ihrer Kunden geheimzuhalten', -geschäft, -guthaben, -institut, -karte, -kaufmann 'kaufmännischer Beruf, der Abschluß und Durchführung von Bankgeschäften zum Gegenstand hat; jmd., der diesen Beruf ausübt', -konto, -krach 'Bankrott', -lehrling, -leitzahl, Abk.: BLZ, 'im bargeldlosen Zahlungsverkehr anzugebende achtstellige Schlüsselzahl zur numerischen Kennzeichnung von Banken, Sparkassen', -manager, -rate 'Diskontsatz', -raub, -rutsch, -safe, -Schalter, -scheck 'Zahlungsanweisung an eine Bank', -Schließfach, -Sparbuch, -tresor, -Überfall, -Überweisung, -Verbindlichkeit, -Verbindung, -vollmacht, -weit 'Gesamtheit aller mit dem Bankwesen befaßten

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Personen und Vorgänge', -wesen 'Gesamtheit aller kaufmännischen und organisatorischen Vorgänge und Einrichtungen zur Abwicklung von Bankgeschäften', -Wirtschaft 'Teilbereich der Gesamtwirtschaft, in dem von Kreditinstituten Bankgeschäfte betrieben werden', -zins(-fuß), -zusammenbruch 'Bankrott', -zweigsteile; seit Mitte 19. Jh. als (meist plur.) Bestimmungswort in Zss. wie Bankenaufsicht 'staatliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute', -fusion 'Zusammenschluß mehrerer selbständiger Banken zu einer Großbank', -konzentration, -trust. Dazu im 18.719. Jh. die subst. Ableitung Bankalität F. (-; ohne Pl.) 'Bankwesen, -verkehr, -geschäft', als Bestimmungswort in Zss. wie Bankalitäts-Ordnung, -Institut, verkürzt auch Bankal- in Zss. wie Bankal-Institut, Bankalinspektor. Mitte 19. Jh. die neoklassische Kombination Bankokratie F. (-; ohne Pl.) 'Herrschaft des Finanzkapitals' mit der Personenbezeichnung Bankokrat M. (-en; -en). Etwa seit spätem 19. Jh. das aus gleichbed. engl. banking entlehnte Subst. Banking N. (-s; ohne Pl.) für 'Bankwesen, -verkehr, -geschäft', zunächst als Bestimmungswort in Zss. wie Bankingsystem 'von der Höhe der Deckung bestimmte Ausgabe von Banknoten', -theorie 'im 19. Jh. entwickelte wirtschaftswissenschaftliche Theorie, nach der die Ausgabe von Banknoten nicht an die volle Edelmetalldeckung gebunden zu sein braucht'; in neuerer Zeit als Grundwort in Zss. wie Investment-, Telebanking und in Wendungen wie Electronic Banking 'Abwicklung von Bankgeschäften mit Hilfe der EDV-Anwendung, die über die herkömmlichen Datenverarbeitungsaufgaben wie Buchführung, Zinsberechnung, Führungsinformation für das Bankmanagement hinausgehen' (s. Beleg 1987). Seit späterem 19. Jh. die adj. Ableitung bankmäßig 'im Hinblick auf die Bank, von der Bank durchgeführt, durch die Bank garantiert', z. B. eine bankmäßige Deckung, Sicherheit. In jüngster Zeit die aus Bank und —» Automat gebildete Kombination Bankomat M. (-en; -en) 'Geldausgabeautomat eines Bankinstituts, an dem ein Kunde außerhalb der Schalterstunden Geldbeträge bis zu einer bestimmten Höhe unter Anwendung bestimmter Bedienungsvorschriften erhalten kann', gleichbed. mit Bankautomat. b Etwa seit Anfang 17. Jh. auch für 'Gebäude, Raum, in dem eine Bank untergebracht ist', z. B. die Bank wurde 1860 gebaut; als Bestimmungswort in Zss. wie Banketage, -gebäude, -haus, -keller, in neuester Zeit auch Bankenhochhaus, -viertel. 3a Seit Anfang 18. Jh., unter Einfluß von gleichbed. frz. banque, im Glücksspiel, ursprünglich hergeleitet vom Spieltisch bzw. von der Spielbank, für 'Geldeinsatz eines einzelnen Bankhalters, der gegen alle anderen Spieler spielt oder den Einsatz verwaltet', z. B. die Bank halten, machen, sprengen, gegen die Bank spielen; gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Bankhalter (s. Beleg 1760) und als Grundwort in Zss. wie Pharao-, Spielbank, vgl. aber Spielbank in der Bed. 'gewerbliches Unternehmen, in dem um Geld gespielt wird, Spielkasino'. b In neuerer Zeit übertragen gebraucht in ugs. Wendungen wie etwas/jmd. ist eine sichere Bank 'etwas ist ein sicherer Erfolg; jmd. ist sehr zuverlässig', dieses Spiel ist eine Bank, dieser Spieler ist eine Bank in unserem Team, auch für 'sicherer Tip beim Toto' (s. Beleg 1961). 4 Seit Mitte 20. Jh. unter Einfluß von engl. -bank 'Ersatz-, Vorratslager' als Grundwort mit der erweiterten Bed. 'Vorrichtung, zentrale Stelle zur sachgerechten Aufbewahrung, Speicherung und Bereitstellung des im Bestimmungswort Genannten', zunächst im medizinischen Bereich bezogen auf transplantierbares Körpermaterial,

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z. B. in meist aus dem Engl. lehnübersetzten Zss. wie Augen-, Blut-, Gen-, Haut-, Knochen-, Nieren-, Organ-, Samen-, Sperma-/Spermienbank, dann auch, wahrscheinlich ohne engl. Vorbild, auf andere Bereiche ausgedehnt, z. B. Brillen-, Ersatzteil-, Maschinen-, Medikamenten-, Umweltprobenbank, auch übertragen verwendet in Zss. wie Erinnerungs-, Ideen-, Sprachenbank; vgl. auch in der Datenverarbeitung die aus gleichbed. engl. data bank entlehnte Zs. Datenbank 'technische Anlage, die zur Speicherung von großen Mengen von Daten, Zahlen oder anderen Informationen dient und einen schnellen Zugriff zu gewünschten Informationen ermöglicht'. Bank 1: 1289 Basel Urkundenb. II 658 dasselb [Geld] sollent sy bekeren inn gewyss zinss zu irem banck; 1289 Erfurt Weist. 22 swelicherhande silber, daz man wechselt an deme banke (beide DRW); 1289 Basel Urkundenb. o. S. So hart der Wechsel oder Wechselbank von altem har die gerechtikeit, das an der genanten Wechsler bänk oder under irem dach menglich frid haben soll (SCHWEIZER. IDIOTIKON); 1330 Straßb. Münzg. 190 alle, die zu bancke sitzent und den wehssel tribent; 15. Jh. Görzer Statutb. 75 all handl ains yeden offen wuecherer, ob sy halt nicht ain offne pankh darzue haben (beide DRW); 1409 Qu. Zürcher Wirtsch. 328 sol man ouch der Lamparter gesind einem, der dann des bankes pfliget, gelouben; 1419 Marienburg. Amterb. 164 han ich nicht mee behalden denne 50 camer guldyn, die sint noch in der bang; 7424 Qu. Zürcher Wirtsch. 1013 daz sie etwe manig pfund hab an dem bank stand, die si gern solt haben gelöst (alle drei FRNHD. WB); 1424 Sprachbuch 439 chom dan ich haizz dir 90 duchaten in die panck schreiben (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1434 Cod. Dipl. Warm. IV 560 So hot der probist her Arnoldus und her Johannes Hoffheym XXX gulden us der banck genomen (FRNHD. WB); 1454 (1887 Hans. Geschichtsbl. Lüneburg 51) vor de obligacien in der bank 2 due. (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Arigo um 1460 Boccaccios Decamerone (Übers.) 476 was hab wir anders zethuon gelt vnd guot zegewinnen dann in zuo vns nämen vnd an die Wechsel pänck zegen die states mit gold vnnd silber beladen sein; Cammermeister 1467 Chronik 190 und dorumbe nam der rath die wisse vor und liesz eine wechszelbancke setzen; 1475 Mitteil. G Nürnberg VIII 73 Der Gabler, Wechsler, ist wieder gebeten worden zu dem ampt des Wechsels und der bank (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1506 Welthandelsbräuche 147 so sy zalung thun, so sagnt die benkman, gib in gold in pagamento (FRNHD. WB); Schwartz 1518 Buchhalten 7f. Bancho (KLUGE 1975); Rotmann 1534 Restitution 59 Welcker nu gehorsam sin vnde brengenn eer pundt vp de wessel banck de werden angenomen vnde belonet; Schweicker 1549 Buchhalten 8b An Pernhard Feuchter für das er in die panck par

eingelegt (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Ringwald 1596 Warheit A 4r als hab ich . . mein von Gott empfangenes Quintlein/ Matt. 25. nicht vergraben/ sondern dasselbige zu Gottes ehren/ vnd der Kirchen nutz . . in die Wechselbanck thun wollen. Bank 2a: 1399 Runtingerb. // 120 der hab ich zu Venedig verschaft an der penkch ewerm diener, dem Lettlein, 440 guidein (FRNHD. WB); 1420-49 Deutschordens Correspondent (1922 Mod. Lang. Notes XXXVII 390) dy banck de Albertis; 1462 (ebd.) czu Rome zu der banck; 1470 Albr. Achilles v. Brandenburg (ebd.) aus dem bancke und die bancquiren zu Rom; 1473 Fruin, Dordrecht l 330 mandament van die Lombaerden, Pemontoysen ende andere, dat mijn genadighe heer revoceert alle brieven ende auctoriteit, dat sy mögen hebben om bancken te houden van leninge (DRW); Keller 1489 Reiserechenb. 834 600 Duck. .. die zalt er mir in die banck lippomani [Bankier in Venedig] (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Har ff 1499 Pilgerfahrt 43 so dat he [der Kaiser] dan nyet me sijn tribuyt van den kouffluden ader van den lumbartschen benken krijgen moecht; 1514-15 Welthandelsbräuche 271 die namhaftigen penck oder creditor! in Lion (FRNHD. WB); 1515 Riga KämmereiReg. 47 hierher? enen breff dorch de banck na Rome im Überweisungswege (DRW); Hütten 1520 Sehr. IV 477 Es ist auch gar ain guoter Türck, der euch so vil tausent gülden alle jar gibt, vnd durch Christlich banck gen Rom schickt; 1521 Sät. u. Pasqu. III 39 so wil ich es durch des Fuckers bank eilens zu wegen bringen (FRNHD. WB); 1532 Weist. I 635 G. Keiner solt lehnguter verkauffen . . dan an der banck; Meder 1558 Handelbuch 64a das ist der gebrauch aller wechssei in Pancko (SCHIRMER, Kaufmannssprache); ebd. Zv Florentz ist Scripto der Pancko erger dann ducaten doro . . Allda ist die Panck gut; 1592 Schrägen Riga St./M. 631 die vorwaltung der Lübischenn bencke; Mayr 1604 Epitome 57 Zu Basel wirckt das Oecolampadisch Euangelium so vil/ dass alle hültzene Bilder zu scheyter gemacht/ die Silberne aber der Müntzbanck zugetragen wurden; Geizkofler 1607 Münzbedenken (Poschinger 1878

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Bankwesen l 15) ob nicht rathzsam wäre, auch in den fürnehmsten Handelsstädten . . die Banchi anzurichten; Carolus 1609 Relation 8a weil sich die Kauffleut wegen der 3. Steur von jeglichem 100. fl. an die newe Bancko zugeben beschwert, ist solches abgeschafft, vnd ist mit der Bancko schon ein anfang gemacht; 1618 Acta publica 1173 Soll es von Wechselschreiben herkommen mit den Venetianern, Da er dann etlich Tonnen goldes in banco haben soll; 1622 Nürnb. Decr. 174 bey einem rath ist verlaßen, die bancoordnung . . dahin zu erläutern, daß dem banco niemand, als handelsleute .. unterworfen (DRW); 1665 (Poschinger 1878 Bankwesen l 17) und könnte die an sich nützliche und heilsame intention zum Effect gebracht, noch mereres aber an solchen vornemen orten und Handelsstädten durch Verordnung eines mit gewissen gesetzen anrichtenden Banko, darbei allein die Bezahlungen an grossen Summen fürgehen; Riemer 1684 Polit. Passagier 127 Was ferner sein Geld anlanget, glaube ich, das solches entweder zu Venedig oder zu Amsterdam in Banco stehe, von dar man es allezeit haben kan; Dibbern 1692 Beschr. D 4 a Wann man Geld aus der Banco . . holet; Reuter 1696 Schelmuffsky 61 Nachdem nun das elementische Fieber meinen Herrn Bruder Grafen völlig verlassen, ging ich mit ihm in Banco, liessen uns frische Wechsel zahlen; Ettner 1700 Apotecker 19 die Banco . . / in welche einer sein Geld in Sicherheit zu haben einlegen kan/ und aus solcher werden denen so man trauen darff/ auf gewisse Versicherung zu jederzeit grosse Summen Geldes fürgestreckt; Wächtler 1709 Manual 47 Banc oder Banco, Gemeine Wechsel-Banck, darinnen einer Capitalien deponiren/ und jährlich das Interesse oder die Zinsen daraus heben kan, z. E. ein Banco di Deposin fundiren/ oder auffrichten; Stoppe 1735 Parnaß 494 Er sagt, er hätte 300000 Thaler in Banco stehen; 1741 Staats- u. Gelehrte Ztg. Nr. 206 Die hiesige Banco hat schon 10. Tonnen Goldes dem Könige geschenket, und damit der Krieg desto besser fortgesetzet werden möge, will sie . . noch so viel hergeben; 1741 (Poschinger 1878 Bankwesen I 28) Projekt einer neuen Leihe- und Rehder Banco; 1745 Haude-Spenersche Ztg. Nr. 60 die Banquen in Handels-Städten; Alberti 1752 Br. II 327 Eine Frau hat eine Banknote an der Bank geholet (GANZ); Hübner 1759 Staats-Zeitungs- u. Conversationslex. 119 Banco . . ist ein durch Obrigkeitliche Macht bestellter Ort, wo man Geld gegen Interesse geliehen bekommen, und auch gegen Interesse ausleihen kan. Dergleichen findet man in Venedig, Amsterdam, Nürnberg, Hamburg, Wien und ändern Orten mehr. Banco-Geld bestehet in Sorten, welche die Banco annimmt, und zahlet; Friedrich d. Große 1766 Edict v. 29.10. 1766 (Hübner 1854 Banken 22) so haben

wir Uns nach reifer Überlegung entschlossen mit vorgedachten Unseren beiden Banken einen neuen Valeur zu verbinden, der in Banconoten bestehen soll (GANZ); Schiller 1769 Ökonom. Beytr. I 523 Zur Herbeyschaffung des benöthigten baaren Geldes oder Errichtung einer Banque dörfften sich genügsame Wege eröffnen; Möser 1774 Phantasien II 330 Hätte nun eine Banknote die Stelle dieses Fäßchens vertreten (GANZ); 1787 Leben Friedrich d. Großen I 52 Man könnte die Genfer, die Londner, die Zürcher, die Holländische, und die Französische Banquen zinßbar machen; Goethe 1787 Br. (WA IV 8,200) Die Bancknoten werden hier von der Banck [in Rom] niemals realisirt. Sie zahlen höchstens die Noten von 10 Scudi aus; Beckmann 1790-92 Erfindungen 111 317 Auch im Mittelalter kommen diese Contore in Italischen Städten vor; in Florenz hiessen sie ums Jahr 1377. apothecae seu casanae feneris, in Teutschland Wechselbänke, aber sie waren weder Girobanken, noch Leihhäuser in unserer Bedeutung; Goethe 1803 Tagebücher (WA III 3,340) Amtmanns haben Farben und Pinsel angeschafft . . und jedem der Maler täglich l Gulden Bank gegeben; 1807 Reformministerium Stein l 71 Dänemark bekam in der großen Kreditverwirrung in Hamburg im Jahr 1799 . . ein bedeutendes Anleihen in Banco gegen Verpfändung dänischer Banknoten; Nyerup 1810 Br. (Briefw. d. Gebrüder Grimm m. nord. Gelehrten 16) Die Bezahlung für diese Copie bitte ich durch die Turneisen'sche Buchhandlung an Buchhändler F. Perthes in Hamburg mit 20 . . [Mark] Hamburger Banco entrichten zu lassen; Goethe 1811 Hackert (WA l 46,276) Der erste Schritt geschah von dem Kaufmann, der zeither das Papier aus der Fremde kommen ließ, daß er sogleich eine Bank-Polizza von 1200 Ducaten anbot, wenn man das Werk wollte fallen lassen; Jäger 1835 F. Schnabel 339 seine [Schnabels] Finanzen waren total ruinirt, und nur noch auf einige Zeit war Kredit „in Bänken"; Courtin 1836 Enc. Handb. 89 Bankherren, die Eigenthümer einer öffentlichen Bank; wird auch oft als gleichbed. mit Bankier gebraucht (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Marx 1867 Kapital I (MEW XXIII 783) Daher hat die Akkumulation der Staatsschuld keinen unfehlbareren Gradmesser als das sukzessive Steigen der Aktien dieser Banken, deren volle Entfaltung von der Gründung der Bank von England datiert (1694). Die Bank von England begann damit, der Regierung ihr Geld zu 8% zu verleihen; 1916 Franzosen 55 Der fremdländische Bankdirektor begegnete bei seinem Geschäftsverkehr nur den fünf Großbanken, der Societe Generale, dem Credit Lyonnais, dem Comptoir d'Escompte, der Banque de Paris et des Pays Bas, zu denen als fünfte .. trotz ihrer naturgemäßen Sonderstellung als Staatsbank . . die Banque de France hinzutritt; St.

Bank Zweig 1929 Fauche 187 Die Banken in Frankreich, Antwerpen und Hamburg fallieren, seit die Engländer den Handel ihnen abwürgen; Lokal-Anz. 29. 7. 1934 Die Bank von Frankreich, zwar juristisch als Aktiengesellschaft konstruiert, war stets ein Instrument in der Hand der jeweiligen Regierung; Ottel 1937 Bankpolitik 14 Zwischen den beiden Grundformen des Buchgeldes und des gegenwärtig nur bestimmten Banken vorbehaltenen Notengeldes bestehen verschiedene Zwischenformen. Zu diesen gehört insbesondere das Bankakzept, welches eine Zeitlang als Zeichengeld umläuft, um bei Fälligkeit in Noten- oder Giralgeld eingelöst zu werden; V. ß. 8. 8. 1944 Den ersten Weltkrieg hatte die Bank von England . . verhältnismäßig gut überstanden. Die Banken in New York konnten ihr trotz zäher Versuche den Rang nicht ablaufen; Süddtsch. Ztg. 13.2. 1951 Die Städtische Sparkasse, die sich mit einigem Stolz „Bank des kleinen Mannes" nennt; ebd. 11. 10. 1963 Man nennt die Notenbank eines Landes gern die „Bank der Banken", weil sich die Geschäftsbanken bei ihr refinanzieren. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds sind dann sozusagen die Bank der Notenbanken und der Länderregierungen; MM 19. 3. 1985 Die Ökobank soll allmählich zum Bankinstitut all derer werden, die der Ökologie und Friedensbewegung, den Grünen und Alternativen, dem politisch nicht angepaßten Segment unserer Bevölkerung zuzurechnen sind; ebd. 1.4. 1987 Vertreter der Weltbank rechneten in diesen Tagen international mit einer Welle von Zinsanhebungen; Stern 16. 6. 1987 kein Geldinstitut darf von dem offiziellen Kurs der Zentralbank um mehr als zwei Prozent abweichen; ebd. 17. 9. 1987 der Clou der Roboterbank aber ist der mit elf Tonnen schwere „Safomat" im Untergeschoß mit seinen Selbstbedienungs-Schließfächern; MM 21.10. 1987 der damalige gewaltige Bankenkrach wurde von unzureichenden Eigenkapitaldekken der Kreditinstitute und vom Run der börsengeschockten Einleger auf die Banken ausgelöst; Kohl 1990 Reden u. Erklärungen 174 die auf Initiative von Präsident Mitterand ins Leben gerufene Europabank hat daher von Anfang an meine Unterstützung gehabt — denn sie ist klarer Ausdruck unseres Willens zu gemeinsamem Handeln. Bankal-: 1714 (Marperger 1716 Beschr. d. Banquen 241) eines Bancal-Instituti; 1719 (Poschmger 1878 Bankwesen I 40) Für Schlesien wurde ein ordentliches Bancal-Oberrepräsentations-Amt im Jahre 1719 in Breslau in das Leben gerufen . . Die Bancal-Legitimations-Arrha wurde im Herzogthum mit allem Eifer eingetrieben; Goethe 1823 Br. (WA IV 37,156) Fissel, Bankal-Inspector von Klattau.

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Bankalität: 1715 (Poschinger 1878 Bankwesen l 40) Acta, die neu aufzurichtende Bancalität in Wien 1715 f.; 1719 (Poschinger 1878 Bankwesen l 40) Acta von Einrichtung der Bancalität, ihrer Instruction etc. No. 65; 1733 Banquier II 573 Wiener Bancalitäts-Ordnung (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); Klipstein 1781 (Beckmann 1784-88 Erfindungen 1184) Im Jahre 1717 wurde bey der damaligen Bankalität in Wien eine Buchhaltung aus lauter Buchhaltern der Banquieurs errichtet; Poschinger 1878 Bankwesen l 40 Im Vollzuge des Bankgesetzes wurden in allen Provinzen sogen. Bancalitäts-Collegien errichtet, welche die Anordnungen der Wiener Direktion auszuführen hatten. Banking: Pierer 1889 Konversationslex. II 397 die Freunde der ungedeckten Banknoten (Bankingschule), die halben Gegner (Currencyschule) und die grundsätzlichen Gegner (Münzscheinschule); ebd. H 414 Bankingtheorie . . Currencytheorie; Schumpeter 1926 wirtschaftl. Entwicklung 144 „banking operations"; Dtsch. AZ. 7. 9. 1935 Die am 23. August 1935 in Kraft gesetzte „Banking Act 1935", die den vorläufigen Abschluß der im Frühjahr 1933 begonnenen Bankreform der Regierung Roosevelt bildete; Ottel 1937 Bankpolitik 39 „Banking-Theorie"; MM 1. 2. 1985 wie die Dresdner Bank ihr „electronic banking" macht; ebd. das „electronic banking" ist Trumpf; ebd. denn unter dem Stichwort „Home banking" kann man schon heute per Btx Banküberweisungen vom heimischen Wohnzimmer aus vornehmen; ebd. 27. 9. 1985 neben dem Commercial Banking spielt bei der Citibank das Investment Banking eine große Rolle; Zeit 22.5. 1987 die Banken machten sich daran, Telebanking zu realisieren; Stern 17.9.1987 an sieben Tagen in der Woche steht der Kundschaft rund um die Uhr ein ausgeklügeltes System des „Electronic Banking" zur Verfügung; ebd. in der Telebanking-Kabine kann der SBG-Kontoinhaber gebührenfrei am Bildschirm Geldgeschäfte und Wertpapiergeschäfte abwickeln; MM 22. 3. 1988 so meinte zumindest . . Deutsche Bank-Vorstandsmitglied Dr. Herbert Zapp in Hannover, sein Institut habe das „Zeitalter des Electronic Banking" bereits wieder verlassen; ebd. 6. 5. 1988 er . . führt vor, was unter dem wohlklingenden Schlagwort „electronic banking" zusammengefaßt wird: computergestützte Bankdienstleistungen. bankmäßig: 1860 Staats- u. Gesellschafts-Lex. Ill 272 Die eigentliche Fundation besteht nun in dem Verhältniß, in welchem der vorhandene Metallvorrath zu der emittirten Noten- oder Papiergeldmasse steht. Sie ist eine zweifache: die eigentliche oder bankmäßige Fundation und die Steuer-Funda-

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tion; Marx/Engels 1885-94 Kapital III (MEW XXV 462) Trotzdem wirken dieselben Umstände verschieden .. auf die Quantitäten der Zirkulation, wie die Engländer dies bankmäßig ausdrükken; 1921 Deutschlands Erneuerung 76 des einseitigsten bankmässigsten Denkens; 1923 Polit. Handwb. l 161 Girozentralen sind bankmäßige Zusammenfassungen öffentlich-rechtlicher Organisationen, die einzelne bankmäßige Geschäfte betreiben; ND 12.10. 1954 Bei Hprozentiger Verzinsung und dem Mangel an bankmäßigen Sicherheiten sind für die kleinen Betriebe Kredite kaum zu haben; MM 13. 4. 1985 die um sich greifende wirtschaftliche Erholung sorgte .. dafür, daß die Institute .. beim Erbringen von bankmäßigen Dienstleistungen . . glänzende Ergebnisse erzielten. Bankokrat: Marx 1867 Kapital l (MEW XX11I 783) Welchen Effekt auf die Zeitgenossen das plötzliche Auftauchen dieser Brut von Bankokraten, Finanziers, Rentiers, Maklern, Stockjobbern und Börsenwölfen machte, beweisen die Schriften jener Zeit. Bankokratie: Corwaja 1840 Die Bancocratie oder die den Staaten selbst angehörenden Bankanstalten (Übers.) (Titel); Marx 1850 Klassenkämpfe i. Frankreich (MEW VII 24) So befestigte und erweiterte die Februarrevolution unmittelbar die Bankokratie, die sie stürzen sollte; ders. 1867 Kapital l (MEW XXIII 752) Zudem war die neue Grundaristokratie die natürliche Bundesgenossin der neuen Bankokratie; ebd. XXIII 783 das Börsenspiel und die moderne Bankokratie. Bankomat: Zeit 8. 11. 1985 in der Regel dauert es zwei Tage, bis die Sperrung alle Bankomaten erreicht; ebd. 29.6. 1986 wenn ein Dieb beispielsweise die geklaute Euroscheckkarte in einen Bankomaten steckt, um Geld abzuheben, rangiert das nicht unter Betrug; ebd. 30. 1. 1987 ich habe keine Lira mehr in der Tasche und suche nach einem Bancomaten, wie hier die Geldautomaten der Banken heißen; ebd. nach der Theorie des Bancomaten-Systems kann ich ohne Geld aus dem Haus gehen; ebd. natürlich gibt es ein sehr einfaches Mittel gegen die chronische Dysfunktion der Bancomaten, nämlich immer Bargeld in der Tasche zu haben; Stern 19.11.1987 ich . . schiebe . . die Scheckkarte in den Bankomat — und warte auf Reaktion. Bank 2b: Guarinonius 1610 Grewel 262 Gilt aber wann man ein wucherschul oder Juden Banco erbawt, .. gilt sag ich, der Baw würd' dir gefallen; Marperger 1712 Naturlex. 165 Banco, heist denen

Kaufleuten ein aus öffentlicher Autorität etablirtes und privilegirtes Hauß, in welchem sie ihre Gelder . . niedersetzen; Frisch 1741 Teutsch-lat. Wb. 37 Bank, oder Banco . . in einigen Republiken, und grossen Städten aufgerichtete Banken . . Das Hauß so dazu gewidmet, curia argentaria; 1815 Fahnenbergs Magazin VI 30 Die Bank von England. Das Haus, die Bank genannt, ist ein ungeheures steinernes Gebäude, etwas nordwestlich von Cornhill gelegen; ebd. Der Haupteingang in die Bank ist von der Threadneedlestraße; Kellermann 1913 Tunnel 242 Die Bankpaläste waren die ganze Nacht taghell erleuchtet; V. B. 8. 8. 1944 Blickte man auf die Bank von England, so hatte man im Rücken das Mansion-House, den Amtssitz des Bürgermeisters der City; Zeit 5. 9. 1986 die Bank ist ein eingeschossiger Zweckbau aus den sechziger Jahren; MM 20. 5. 1987 die Zahl der Brandanschläge auf Banken und Bürogebäude . . stieg auf etwa 400 an; ebd. 27. 10. 1987 In der Innenstadt von Honkong hatten sich riesige Menschentrauben vor den in den Schaufenstern der Banken aufgestellten VideoGeräten versammelt; Berl. Ztg. 3.3. 1990 wollen wir die Riesenkästen von Versicherungen und Banken in den Städten? Bank 3a: Bohse 1703 Helicon 578 Die Noblen von Venedig mögen daselbst [in den Spielsaal] allein ohne Masque hineingehen/ und ä la Bassette die Banque halten; Elis. Chart. 1717 Br. III 84 Wen die kugel gezogen, gibt man sie dem, der die banque helt undt die [tajffel vor sich hatt; Sperander 1727 A la mod Sprach 64 Banco .. Beym Bassette, und ändern dergleichen Spielen, dasjenige Geld, so von einem aufgeleget wird, gegen alle die ändern zu spielen; Haller 1732 Schweizer. Gedichte 123 In mancher Banque hat sein Muth das Glück besieget,/ wo oft sein halbes Erb' auf einer Karte lieget (SANDERS DWB); Zachariä 1754 Schnupftuch (Poet. Sehr. I 210) Ein Spieler ohne Fluch, der mit Gelassenheit die Bank sich sprengen sah; Gottsched 1760 Hanalex. 1133 Und wie es oft mit dem Bassetspielen geht, daß die Bankhalter falsche Karten haben; Lessing 1763 Minna (S. Sehr. II 231) Mein Herr, ich höre, — daß Sie spielen; daß Sie Bank machen; ohne Zweifel an Orten, wo etwas zu gewinnen ist. Ich muß Ihnen bekennen, daß ich gleichfalls das Spiel sehr liebe. Wären Sie wohl geneigt, mein Herr, . . mir einen Antheil an Ihrer Bank zu gönnen? . . Ohne Zweifel, daß Ihre Bank, mein Herr, sehr ansehnlich ist; BuwinghausenWallmerode nach 1773 Tagebuch 280 War es den gantzen Tag trüb und ungestümm Wetter, desswegen Ihro Hoheit den gantzen Nachmittag „Pharao" spielten und Hügel die „Banque" machte; Schiller 1783 Fiesko (S. W. II 76) [Fiesko:] Ich selbst werde auf den Abend alles berichtigt haben und noch

Bank überdies, wenn das Glück will, die Bank im Pharao sprengen; Bretzner 1788 Leben Hl 193 Bruder Lüderlich [der] . . nach einer in Ausschweifungen aller Art durchschwärmten Nacht, früh Morgens um zwey Uhr taumelnd in einen Redoutensaal eintrat, wo er in wenig Stunden von zwey Masken, einem Seeräuber und einem Zigeuner, die Bank hielten, rein ausgeplündert und der goldnen Bürde so bald entledigt ward; 1789 Chronic v. Berlin IV 1483 Es ward Banc gemacht. Bisweilen fand sich einer, welcher statt Geld, Waare auf die Karte setzte; Berg 1799 Handb. Policeyrechts VI 2,207 Wer bei dergleichen Spielen die sogenannte Bank macht, hat, nach Beschaffenheit des Spiels, der Höhe des Einsatzes, und der Größe des gesuchten unerlaubten Gewinns, fiscalische Strafe von hundert bis tausend Dukaten verwirkt; ebd. 2,547 Derjenige, welcher bei dem Hazardspiele die Bank gehalten hat, soll das erstemal mit einer viertägigen Carcer-Strafe belegt werden; Goethe 1801 Tag- u, Jahresh. (WA I 35,103; die Leidenschaft des Spiels [in Pyrmont] . . dann erschallt auf einmal ein Ruf gränzenloser Bewunderung: die Bank sei gesprengt!; Kotzebue 1806 Blinde Liebe 197 Man sammelt sich um den Spieltisch. Drilling macht Bank; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 146 f. „Ja", erwiderte der Graf, „ich hatte etwas Pech mit einer Banque, ich will nicht weiter hereingehen . . Ich nehme sonst nie Banque", sagte er, „heute ging ich mit Soden mit der Hälfte herein", . . Eben war der Bankhalter aufgestanden, die Bank war aufgeflogen; Roberts 1891 Mitleid 243 Sie haben sich vorgenommen, die Bank zu sprengen. Ich wünsche Ihnen viel Glück; Ganghofer 1895 Hubertus 493 Sein einziger Gegner blieb Marcheses d'Alanto, der die Bank hielt und jeden Einsatz annahm; Hauptmann 1906 Pippa (Ausgew. Dramen 111 106) Laßt doch den Spitzbuben nicht die Bank halten!; Wassermann 1919 Wahnschaffe l 317 Ich werde die Bank sprengen. Ich werde dreimal, zehnmal hintereinander die Bank sprengen; H. Mann um 1925 Novellen l 273 Ich hatte in einem Spielsaal die meisten Tische mit meinen Leuten besetzt. Er hielt die Bank, und sie gewannen gegen ihn; Roth 1932 Radetzkymarsch 218 Man . . setzte sich .. zum Bakkarat! Man übernahm die Bank! Man mischte selbst. Bank 3b: BZ a. Abend 20. 3. 1961 Gestern ist vielen Sport-Toto-Wettern garantiert eine Bank geplatzt: Meister ASK Vorwärts erreichte gegen den SC Einheit Dresden . . nur ein 1:1; Berl. Ztg. W. 2. 1964 90,5 m (116.00) waren so gut wie eine Bank für eine Medaille; ebd. 12. 6. 1988 Peter Hills Regie . . setzt nicht nur auf die Bekanntheit und Beliebtheit der beiden Hauptdarsteller, obgleich sie ohne Zweifel eine sichere Bank für diese Serie sind.

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-bank 4: Spiegel 30. 5.1956 Clementine Churchill . . hat bestimmt, daß bei ihrem Tode die Hornhaut ihrer Augen . . einer in England errichteten „Augenbank" zufallen soll; ebd. 17. 4. 1957 Nach dem Beispiel der schon länger bestehenden Blutbanken wurden die Knochen-Vorräte „Knochenbanken" genannt, obwohl diese Bezeichnung eigentlich unzutreffend ist. Die Blutbanken waren als gemeinnützige Einrichtungen gedacht, bei denen jeder Blut spenden und bei Bedarf selbst wieder Blut aus dem „Kapital" der Bank abheben konnte. Bei Knochenbanken schied dieser Gedanke von vornherein aus, weil man keinem Gesunden zumuten konnte, sich Knochen aus dem Körper herausoperieren zu lassen; ebd. 11.9. 1963 Es war der wahrscheinlich erste Versuch, einen tödlich verletzten Menschen als lebende Ersatzteilbank zu benutzen; ebd. 25. 9. 1963 . . sollten Sperma-Banken eingerichtet werden, die tiefgekühltes männliches Keimgut aufbewahren; MM 29./30. 7. 1967 abgelegte Brillen für sogenannte Brillen-Banken in Entwicklungsländern . . zur Verfügung zu stellen; ebd. 1. 6. 1969 Die Gründung der ersten deutschen Augenbank in Würzburg gab gestern der Direktor der Universitätsaugenklinik, Professor Wolfgang Leydhecker, bekannt. Augenbanken existieren nach seinen Angaben bisher in Amerika, England, Frankreich und Italien; ebd. 30. 10. 1975 So baut sie gerade (nach Hamburg und Tübingen) die dritte Samenbank im Bundesgebiet auf. Diese Einrichtung kann Samen über Jahrzehnte haltbar machen, indem sie diesen auf minus 190 Grad einfriert .. Die Samenbank soll vor allem jungen Männern, denen ein Hodentumor entfernt wurde, künftig ermöglichen, sich auch noch Jahre nach der Operation fortzupflanzen; Welt 23. 5. 1979 Ein junges Paar gerät in die Fänge von Kidnappern, die junge, gesunde Menschen entführen und über eine von dieser Mafia unterwanderte Organbank zur Transplantation wichtiger Organe an solvente Kunden verkaufen; i 979 Hörzu XVII 78 Straßburger Wissenschaftler arbeiten an einer neuen Möglichkeit der Geschichtsaufzeichnung. Sie sammeln Erfahrungen alter Menschen in einer Erinnerungsbank; Welt 1.12. 3. 1980 Robert K. Graham, der im kalifornischen Escondido eine Spermenbank unterhält — beliefert von zumindest geistig hochkarätigen Männern; Spiegel 10. 8. 1981 Die einzige Rettung für viele Patienten ist die von der „Solidarität" gegründete, mit westlichen Spenden ausgestattete „Medikamentenbank"; Welt 27. 10. 1981 Die Nierenbanken funktionieren nicht, weil die Nieren fehlen; Westfäl. Volksbl. 3. 1.1985 Umweltprobenbank soll „frühwarnen" . . Ein ökologisches Frühwarnsystem will das Bundesinnenministerium mit einer Umweltprobenbank aufbauen (alle AWB); Zeit 15. 3. 1985 Spermienbanken propagieren Kin-

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der nach Katalog; ebd. 26. 4. 1985 eine solche Werbebroschüre, die treuherzig versichert, jedes Komma, jede Chiffre, jede Zahl, jeder Buchstabe werde auf einer Textbank elektronisch gespeichert; ebd. 5. 12. 1986 da fast überall die kostspieligen Aids-Antikörper-Tests fehlen, sind praktisch alle Blutbanken verseucht; ebd. 23. 1. 1987 in diesen Ländern würden Saatgut und Pflanzen für die Genbanken gesammelt; MM 30. 1. 1987 die vom Umweltbundesamt in Berlin betriebene Datenbank mit Informationen zum Thema Umweltverschmutzung

soll zu einem Smog-Frühwarnsystem ausgebaut werden; ebd. 4. 8. 1987 nur 25 Prozent des Bluts in Blutbanken wurde bisher auf Aids getestet; ebd. 2.12.1987 22400 tiefgefrorene Blutkonserven kann die Düsseldorfer Blutbank auf 140 Quadratmeter lagern; ebd. 6. 5. 1988 die gezeigten Möglichkeiten gehen von der elektronischen Kontoführung mithilfe des Personal Computers über die kostenlose Bilanzanalyse für das eigene Unternehmen bis zu Auskünften aus Datenbanken; ebd. 1.6. 1988 warum also keine Gen-Datenbanken anlegen? RS

Banker s. Bankier

Bankett1 N. (-(e)s; -e), Ende 15. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. banchetto (vgl. gleichbed. älteres mlat. bancbet(t)us, banchectum), ursprünglich wohl für 'der Tafel beigesetztes Beistell-, Serviertischchen' (Diminutivbildung von banco 'Tisch, Tafel', —» Bank; vgl. gleichbed. frz., engl. banquet, span, banquete], anfangs auch in den Schreibungen Ban(c)ket(h), Pan(c)ket, Panchet, Fanget und vom späten 16. bis ins spätere 19. Jh. in den frz. beeinflußten Formen Panquet, Banquet, seit spätem 16. Jh. die Verkleinerungsformen Bankettchen, Bankettlein N. (-s; -). a In der Bed. 'aus bes. Anlaß oder zu jmds. Ehren gegebenes Festmahl, Festessen', z. B. ein Bankett geben, die Regierung veranstaltete zu Ehren des hohen Gastes ein großes Bankett; auf, bei einem Bankett die Tischrede halten; an einem Bankett teilnehmen; seit späterem 17. Jh. als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Banketthaus, -saal, -tafel, -toast; Abschieds-, Benefiz-, Braut-, Fastnachts-, Fest-, Friedens-, Gast-, Literaten-, Regierungs-, Schluß-, Sieges-, Staats-, Valet-, Wohltätigkeitsbankett. Daneben vom Ende 15. bis ins späte 17. Jh. selten auch metonymisch für 'Speisen, Gerichte, die bei einem Festmahl gereicht werden', vereinzelt auch 'Nachtisch; Schlaftrunk' (s. Belege 1491, 1567, 1583, 1616, 1683). Dazu von Mitte 15. bis ins frühere 16. Jh. die Ableitung banket(t)en V. intrans. 'üppige Festmähler halten, festlich schmausen, schlemmen, prassen', in der 1. Hälfte des 16. Jhs. gleichbed. bankieren V. intrans., mit dem dazugehörigen Subst. Bankierer M. (-s; -) 'jmd., der an einem Festmahl teilnimmt' und Anfang 16. bis Mitte 19. Jh., eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. banqueter, häufig gleichbed. bankettieren V. intrans., anfangs auch in der Schreibung pan(c)ketiren, banketeren und vom früheren 16. bis ins frühe 18. Jh. auch in der frz. Form banquetieren, vereinzelt auch V. trans, jmdn. bankettieren 'jmdn. mit einem Bankett bewirten' (s. Beleg 1591) und im 16.717. Jh. die Präfixbildung verbankettieren V. trans, 'etwas verprassen', mit dem im früheren 16. Jh. belegten dazugehörigen Verbalsubst. Bankettierung F. (-; -en) 'Abhaltung üppiger Festmähler, das Schlemmen, Prassen', vom früheren 16. bis Ende 18. Jh. die subst. Ableitung Bankettierer M. (-s; -) 'jmd., der an einem Festmahl teilnimmt', im späten 16. Jh. die vereinzelte adj. Ableitung bankettierlich 'so, wie es sich auf einem Festmahl geziemt; genüßlich'.

Bankett

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b Im 16. Jh. auch in übertragener Bed. ironisch verwendet für 'unangenehme Sache, Mißerfolg', meist in der Wendung jmdm. ein Bankett schenken, zurichten 'jmdm. einen Streich spielen, eine Schlappe bereiten'. Bankett a: Folz 1491 Reimprobe 38 Ein colacion, verstet,/ das man nent ein pancket,/ Von zucker zugericht; Reuchlin 1495 1. olynth. Rede d. Demosthenes (Übers.) 26 vnd brauchent . . [Geld] auf hochzyten, zu spilen vnd bancketen; Maximilian 1. 1496 Briefw. 110 es ist auch die gemeine sag . ., das sich keiner langer zeit mit pangetten und ändern hofwerckh nie also gehalten hat, als ihr euch zu Augspurg haltet; 1507 Geschichten Wilwolts v. Schaumburg 55 Auf den ändern tag hetten die frauen, die vom schwäbischen adl bei dem turnirshof waren, ein herlich köstlich banket zuegericht, darzue sie die ganzen gesellschaft des Eingehürns luden, sie mit werken und geberden hoch erten; Volkslied 1519 (Liliencron III 225) der kaiser hochgeporen der het im außerkoren, hielt ain panget so schon; Güthel 1522 Dialogus Christi, zu leben E 3 a Darumb man offtmals vil fürstlicher Pancket helt; Paracelsus 1532 — 34 De felici liberalitate (S.W. II 2,17) darumb reiten sie [die Bischöfe, Pröpste und Kardinale] zusammen uf fasnacht, uf schießen, uf hochzeit und zu ander banketen; Rivius 1548 Vitruv. 211b die Griechen nennen die grossen Säl Oecos Andronas/ darin wie obgesagt allein der hauß herr sambt dem gesind/ was von mans personen was/ hauß hielte vnd mit andren mans personen gastmal vnd banckeet hielt/ dahin aber die weibs personen vnd frawenzimmer nit kommen mochten; Thym 1558 Wallmoden 13 Da nun das Kindt getauffet wardt, Hielt man daselbst nach alter art Ein gros Pancketh mit Speis vnd tranck; Sachs 1562 W. XV 271 Darauff der könig tracht und dicht,/ Und ein köstlich pancket zuricht; 1567 Buch Weinsberg U 160 ein kostliche bankett zum festen gericht mit vil schottein und schalen (beide FRNHD. WB); Fischart 1575 Geschichtklitterung 269 Gleich auff das Bancketlin, war ein feine banck sampt dem banckpfulwen vnd sonst ein Faulbettlin zur Hand, darauff streckt er sich banckethierlich vnnd zierlich, vnd schlieff ein zwo oder drei Stunden dahin; Ernstinger 1579— 1610 Raisbuch 208 ain banquet von mann- und Weibspersonen, welche auf bettern bey der tafel sizen und 3 personen, welche zu tisch dienen; 1583 Buch Weinsberg Hl 159 das taiflin deck dich, das dan gesotten, gepraten allerlei noitturft und bankett druff bereidt were (FRNHD. WB); 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksbücher 244) sie .. schickten nach Fausto, . . hielten jm ein stattlich Pancket; Friedensberg 1597 Discurs ISv Was wird in vnnöhtigen Pancketen vnd Gastereyen/ an Würtz vnd Speisen vbermessig auffgewendet; Privatus 1598

Remigii Daemonolatria (Übers.) 134 Gleich wie nun der Geister Pancket den Hunger vnnd einen Wolffsmagen macht/ wie das Werck der Lieb Schmertzen vnd Verdruß/ die vberschwencklich Vergeudung/ Armut vnnd Mangel; Hollonius 1605 Somnium 61 Mich daucht ich hielt Fürstlich Bankket; Hainhofer 1611 Corr. 116 Rothenhaimer hat . . einen lust die Götter die Meer vnd waldtgötter in einen triumph vnd Banquet zumahlen; F. Platter 1612 Sittengesch. 135 also daß ich hernoch in der luten also geiebt wardt, daß man mich zuo Mompelier l 'Alemandt du lut, den Teutschen lutenisten nennet, auch hernoch in pancheten, haubaden, vil mich geiebt hab; Kornmann 1614 Mons Veneris 242 Ein solcher Fraw Veneris Berg ist gewesen/ das grosse Pancket/ das Balthasar der König zurichtet seinen Gewaltigen vnd Hauptleuten tausent; Henisch 1616 Teütsche Sprach 180 Bancketlin/ schlafftrunck; Ernstin um 1640 Chronik Villingen 42 ein solches frelches banget der ewigen weissheit zue ehren gehalten; Comenius 1644 Sprachen-thür 168 Eine kostbare gasterey oder bancket hat niedliche essen/ nicht ohne wildbrät, vnd zwar vnderschiedene gange; Rist 1647 friedewünschende Teutschland 31 ich habe befohlen, dieses geringe Banketchen so lange anzurichten, biss meine königliche Tagel fertig [ist]; Greflinger 1647 Complementier-Büchlein D 9 b bey jhren ansehnlichen Convivio und königlichen Panquet; ders. 1657 Dreyssig-Jähr. Krieg B 5 b Ein Feld-Herr/ der gleich frey im allerschärffsten Krieg und lustigstem Panquet/ als dieser ist gewesen; Gryphius 1663 Katharina 66 [ein] Gast-Pancket/ das mit gehäufften Speisen Vnd reichem Vberfluß sich in die Nacht verzog; Grimmeishausen 1670 Springinsfeld 269 ein stattlich Panquet gehalten; Weise 1673 Erznarren 38 Meine gantze Kunst bestund in dem, daß ich von grossen Reisen, von Balletten, Comedien, Masqueraden, Banqueten und under Eitelkeiten auffschneiden kunte; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 113 Die Türcken seynd auch sonderbare Liebhaber der Massigkeit . . Ihre gantze prächtige Banquet bestehen in Küchlen, . . Krapffen, Reiß, Hammel-Fleisch, vnd Hennen, sambt etlichen zugerichten lecker Bissei; 1683 Klatschmaul 34 f. Immittelst wurde alles zu einen herrlichen Panqvet auf beste angeordnet, die Spielleute bestellet; Stieler 1695 Zeitungs Lust 181 Banket/ wird auch Panket geschrieben/ und bedeutet ein herrliches Mal; Eisenhut 1700 Ehre IV 221 nach vollendten Panquet, die guld- und silberne Schüsslen [wegräumen]; Marperger 1716 Küchendict. Titelbl.

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Grosser Herren Banquets, solenne Festins und Tractirungen/ Adelicher und Bürgerlicher . . wohl einzurichten; Seutne 1733 Lex. 18 beym Banket hat der Gast sein Kleid mit Bier bespritzt; Gottsched 1747 Neuer Büchersaal V 258 die zwey berühmten Bankete (des Plato und des Xenophon) (REICHEL); Matthisson 1795 Italien (Sehr. IV 266) Immer muß ich daran mit Vergnügen zurückdenken, wie glänzend letztere [Hirts Jovialität] sich während eines wahrhaft romantischen Bankets offenbarte; Anton 1795 (Campes Neue Beitr. l 1,187) Banket ist ursprünglich teutsch, aber jetzt nur ex iure postliminii verfranzösischt eingeführt worden (GOMBERT 1901); Schiller 1796-99 Gallensteins Lager (S. W. XV 30) Ists jetzt Zeit zu Saufgelagen,/ Zu Banketten und Feiertagen?; Goethe 1821 Wanderjahre (WA l 25.1,139) Ich . . eilte zu einem Bankett, das eben angesagt war. Da ging es denn wieder hoch her, und wir waren durch Wein und Trompetenschall mächtig aufgeregt; Grabbe 1829 Don Juan (Ges. W. II 288) Der Gouverneur ist . . Mit Signer Negro beim Bankett; Marx 1848 Die engl.-frz. Vermittlung i. Italien (MEW V 436) Die Offiziere der französischen Flotte ließen sich von den neapolitanischen Offizieren in einem Bankett traktieren; Andlaw 1862 Tagebuch II 95 Reforme! ein elastisches Wort . . Man lud, diese Aenderungen zu besprechen, zu Versammlungen, zu „Banquetten" ein und die aufreizenden Reden, die Toaste verwandelten sich bald in Pöbelgeschrei und endeten im blutigen Straßenkampf; Kretzer 1887 Timpe 137 An diesem Bankett nahmen nur das Kontorpersonal und eine Anzahl geladener Gäste mit ihren Damen teil; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 13) alle Gemächer waren mit Parkett ausgestattet, und der große sowohl wie der kleine Bankettsaal war durch die Künstlerhand des Professors von Lindemann . . mit großen Wandmalereien geschmückt worden; ders. 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 143) wer . . als Vertreter Deutschlands nach Schweden kommt, der . . findet sich im deutschfreundlichsten Auslande, wie meine Tischrede beim großen Bankett nach dem Festakt mich recht gewahr werden ließ; Lokal-Anz. 8. 1. 1933 daß der Deutsche Fußball-Bund es für richtig hielt, nach dem Länderspiel Deutschland — Holland in Düsseldorf ein Bankett zu veranstalten; Pester Lloyd 11.8. 1935 Heute abend gab der Bürgermeister zu Ehren der ausländischen Teilnehmer und ihrer Führer im Hotel Geliert ein Bankett; Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. XI 455) noch will ich . . einiger gehobener Festesstunden in meinem .. Leben gedenken . . des großen Banketts, das meiner Frau und mir an meinem neunundfünfzigsten Geburtstag . . das literarische New York in Gegenwart des Bürgermeisters La Guardia im Piazza Hotel gab; H. Mann 1946 Zeitalter 380 Da war ein

Bankett, können wir uns entsinnen; jeder zweite Mann an der Tafel war bestimmt, seinen Nachbar umzubringen; Kellermann 1948 Totentanz 120 Der Gauleiter liebte Diners, Festessen, Bankette; Welt 26. 6. 1954 nach der Unterredung mit Nehru nahtn Tschu En Lai an einem ihm zu Ehren veranstalteten Bankett des indischen Staatspräsidenten Prasad teil; Partner 1964 Erben 366 nach der Messe führt der König den Heiligen Vater zu einem Bankett in seinen Palast; Zeit 31.1. 1986 ein festliches Bankett für den hohen Staatsgast im besten Hotel der Hauptstadt; Reich-Ranicki 1988 Thomas Mann 10 Schon vor seinem Geburtstag hatte man den Jubilar auf einem Bankett des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller geehrt (DUDEN 1993). banketten: Ehingen 1454 Reisen 18 Der küng hielt uns wol und liesz vil kurtzwyl mit jagen, dantzen, banketen und ändern fröden machen; Luther 1529 V. Kriege wider d. Türken (WA XXX 2,133) Denn wo yhrs mit ernst gleubtet das yhr von Got gesetzt vnd geordent weret zu keyser vnd fürsten, yhr wurdet des bancketen vnd hadderns vmb das hohe sitzen vnd andere vnnützer bracht eine weile lassen; ders. 1539 V. d. Konciliis und Kirchen (WA L 622) Sonst würds ein solch Concilium, da man das erst jar zubringt mit der ankunfft, mit zancken, welcher obenan sitzen . . solle. Das ander jar mit prangen, Bancketen, Rennen vnd Stechen. bankettieren: Peutinger 1506 Briefw. 64 die fassnacht, das rennen, stechen, bankettieren und tanzen; Kaiser Maximilian 1508 Geheimes Jagdbuch 20 Solst dir auch allzeit! lassen nachtragen ain puttll, darinn geprattens, Frucht, Käs vnd prott vnd guetter Wein, wan dw gejagt hast oder auf das gejaid bartest, pancketieren magst; Locher 1524 Sermon A 2 als die gantze nacht vmb das püffer gelt zuo spilen, fluochen vnd Pantgetiern (SCHÖPFE); Emser 1525 Annotationes G g 7 b [Luther] last sie [die Nonnen] wol mitte gewalt heraus [aus den Klöstern] füren, banckethirt mit ynenn von eyner mitternacht zur ändern; Luther 1529 V. Kriege wider d. Türken (WA XXX 2,134) Es stehen buchstaben dran [an des Kaisers Panier], wer die lesen wird, dem sol der kutzel und das bancketieren wol vergehn; Paracelsus 1531—34 De ordine doni (S. W. U 2,64) vom gelt werden ir geizig, spilerisch, sauferisch, hurisch . . gibt in summa nur bösen mut, schand, args und übels, reichtum, tanzen, turniren, banketirn; Sleidan 1544 Reden 101 Bruoder ich ken dich wol, du bist nit der jhenig der es thuon solt, denn schlemmen, bancquetiren, mit hüpschen Metzen hofieren .. solchs ist ewre sach; Lauterbeck 1556 Kegentenbuch 40a Banckethierte vnd lebte er alda in allen freuden/ mit vnzüchtigen Weibern; 1557 (Satiren u. Pasqu.

Bankett / 145) Als wenn mein Herrn Pangedirn/ Schön fraun bei dem tanz herumb fürn/ Und leben frölich in vollem saus (FRNHD. WB); Sachs 1562 W. XVI 225 Da man aller schön kürtzweyl pflag/ Mit rennen, stechen und thurnieren,/ Mit tantzen und mit panckathieren; 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksbücher 246) Nach solcher Disputation vnd Erklärung deß Geistes, ist er [Faust] mit guten Gesellen zu pancketieren gangen; Paumgartner 1591 Br. 128 Und weil wegen pferd ausruhen zu lassen ein gantzen tag dar still gelegen bin, bin ich von Porfirio Linder auch banchettirtt worden; Wedel um 1600 Hausbuch 28 Kaiser Maximilianus hält zu Coin am rhein einen reichstag in grosser versamlung vieler fürsten, graffen und herren, daselbst pro solito gewaltig panquetiret, jubiliret und triumphiret worden; Carrichter 1614 Speisskammer 263 Von Pancketieren vnd Schlafftrüncken/ vnd was man gemeiniglich zu denselben pflegt auff zutragen; Wallhausen 1633 Kriegskunst z. Pferd 69a wann jhr Herrn zu Feld ziehet/ so wil keine Köchin/ weder bey Wirthen/ noch ändern guten Herrlein bleiben/ dann jhr macht sie alle rumorisch/ mit ewerm Pancketieren/ Tag vnd Nacht schwelgen; Comenius 1644 Sprachen-thür 263 ein schlemmer vberfüllet sich mit fressen vnd sauffen (mit schlemmen) ein prasser oder schlampamper verzeret das seinige mit bancketiren: welche alle mit einander lauter bauch vnd wangstdiener sind; Beer 1682 Feuermänner-Kehrer 217 wurde auf dem Schlosse gefressen und gepanquetiret, daß es stäubte (CARMESIN); Stieler 1695 Zeitungs Lust 181 Banket .. bedeutet ein herrliches Mal. Worvon Panketiren/ d.i. Schwelgen/ Fressen und Saufen herkomt; Marperger 1716 Küchendict. Vorr. o. S. Daß ich nicht sage/ was das unmäßige Banquetiren vor Zeit-Verlust und Abnahm des Credits . . mit sich führet/ welches aber solche in Saus und Fraß sich herum weltzende Menschen nicht eher fühlen/ als bis die Armuth sie schnell übereilet; Seume 1733 Lex. 18 Banketiren man den Kopff mit Wein erhitzt; Bretzner 1788 Leben III 162 Das ist ein Fressen, Saufen, Reiten, Fahren, Spielen und Bankettiren, daß einem die Haare zu Berge stehen; Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. i 718 Das Bankett. . ein Wort, welches aus dem Italienischen Banchetto entlehnet ist, aber nach und nach ungewöhnlich zu werden anfängt, so wie das Verbum banketiren; Schaller 1804 Stuziade II 147 Die Lümmel banketiren Uns hier zu Grund; Matthisson 1805 Wörlitzer Bl. (Sehr. VI 189) [das Amtshaus,] welches noch die Spuren eines ritterlichen Schlosses, wo weiland mannlich turnirt und weidlich banketirt wurde, unverkennbar an sich trägt; Hoffmann v. Fallersleben 1841 Unpolit. Lieder U 105 Wie sie glänzend bankettierten, Wie sie ritterlich turnierten, Wird genau erzählt; Engels 1848 Bewegungen v. 1847

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(MEW IV 502 f.) Kämpft also nur mutig fort, ihr gnädigen Herren vom Kapital! . . Zum Lohn dafür sollt ihr eine kurze Zeit herrschen. Ihr sollt Gesetze diktieren, ihr sollt euch sonnen im Glanz der von euch geschaffnen Majestät, ihr sollt bankettieren im königlichen Saal und die schöne Königstocher freien, aber, vergeßt es nicht: „Der Henker steht vor der Türe"; Schlesinger 1852 London l 279 Säle [der Londoner Bank], in denen ein grosser König banketiren könnte. verbankettieren: Fischart 1575 Geschichtklitterung 77 vngeacht der Araber vnd Galenisten Zanck, ob gepratens oder gesottens feuchter vnd trockener sey. Ich wolt sie beide . . wol eins machen, wann ichs den einen für feucht, den ändern für trocken ließ verpancketiren; Spangenberg 1594 Adelsspiegel 168a Denn es kan auff keiner Seiten Gottes segen dabey sein/ weder bey dem/ das man also ohne not verprasset/ verpancketiret vnd verpranget; Kreckwitz 1632 Sylvula Politico-Historica 699 Derhalben [im Hinblick auf den angekündigten Jüngsten Tag] die meisten seiner Zuhörer all das jhrige verzehret vnd verpancketiret; /. Meyer 1669 Arithmetica o. S. Der verlerne Sohn hat angefangen erkennen, wie er so übel getan habe, dass er von seinem Vatter sein Erbteil begehrt, darvon gezogen und Alles verpanketiret habe (SCHWEIZER. IDIOTIKON). Bankettierer: Luther 1544 Hauspostille (WA LII 71) Denn da findet einer einen Fürsten, der hoch begnadet ist mit weißheit und verstand, der . . ist kein schwelger noch pancketierer; Kirchhof 1563 Wendunmuth III 177 ein bancketierer, nimmermehr nüchtern und schlemmer gieng alle tag zum fressen und sauffen; Albertinus 1619 Gastereyen 120 Fresser und Bankettierer; Meyfart 1636 Christi. Erinn. 322 Nun setzet ein Academischer Banckethierer keine geringe Summa was des Jahrs auff Tisch/ Extra, Fechtboden/ ReitschuP/ LautenSchlager/ SprachMeister; Harsdörffer 1652 Trincirb. 136 Banckete und die jenigen, welche dergleichen Gastmahle offt angestellet oder denselben beygewohnet Bancketierer und das Geld verprassen bancketiren genennet worden; Suter 1665 Lustgärtlein 44 Ein Bancketierer, nimmermehr nüchtern und Schlemmer; Beer 1677—79 Welt-Kucker 133 wann sie wollen wissen was der reiche Mann vor ein Schlemmer/ vor ein Prasser/ vor ein Panqvetirer/ vor ein gottloser und böser Mensch gewesen (CARMESIN); Francisci um 1683 D. unfehlbare Wol d. Ewigkeit 203 Viel ist es/ wann sie ihn noch/ wie dieser reiche Bancketirer/ der jetzo ein armer Hellen-Gast ist/ den geschwürigen Lazerum/ vor ihrer Thür/ ein Stücklein Brods erbet-

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teln lassen; Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. l 718 Das Bankett. . ein Wort, welches aus dem Italiänischen Banchetto entlehnet ist, aber nach und nach ungewöhnlich zu werden anfängt, so wie das Verbum banketiren, und das Substantiv Banketirer, ein Schlämmer, der beständig schmauset. bankettierlich: Fischart 1575 Geschichtklitterung 269 Gleich auff das bancketlin, war ein feine banck sampt dem banckpfulwen vnd sonst ein Faulbettlin zur Hand, darauff streckt er sich bankkethierlich vnnd zierlich, vnd schlieff ein zwo oder trey stunden dahin, nicht daß er eim ein böß wort hett geben. Bankettierung: Micyllus 1535 D. röm. Keyser Historien (Übers.) 45b hat man fürgenommen die mutwilligkeyt vnd bracht der bürger zu reformieren/ .. vnd mit vielen werten die vberflüssigkeyt beide der tracht vnnd der ändern bancketierung/ so hin vnd widder inn der Stadt gesehen warde gestrafft vnd gescholten; ebd. 86b haben . . die ändern bawmeyster alle für dem radt angehaben vnnd sich beklagt wie daß man nichts mehr auff die Statuten so von der banckethierung vnd derselben mäsigung waren auffgericht/ hielte. bankieren: Begardi 1539 Index sanitatis 17a lassen sich gern laden zu den fürnemigen der statt zu gast, Do man banckiert; Nigrinus 1559 Bacchanten 22 Vnmesigkeit in tranck vnd speiss, Panckiren sauffen auss der weiss, Ist gewiss mancher kranckheit anfang; ebd. 78 [Deutschland] Welches sich schon selber hat verhert, Mit Volsauffen vnd Panckirn, Schwelgen vnd mit Zech Tornirn, Bacchus hats gar eingenommen.

Bankierer: Schöpper 1550 Synonyma 24b Trencker suffer hopffenbruder trincksüchtiger, trunckart trunckenboltz banckierer. Bankett b: um 1550 Zimmer. Chronik 111 303 demnach der pfalzgrave ine mit sondern gnaden gemaint, ime auch herzog Ulrich von Würtemberg durch die finger gesehen und den Rotweilern sollich banket wol gegonnet; Dreytwein 1551 Ess/. Chronik 103 die suchtenn ein frow, die was zu Stuttgarttenn enttrunenn, vermeintt man, die hettenn uns das banckett geschencktt (beide FRNHD.WB); Boltz 1551 Weltspiegel 140 Vil thund sich wenig redens beflyssen,/ Könnend doch alle wait beschyssen:/ . . Thuond sich allweg heimlich bedencken,/ Wieß eim ein bancket wellend schencken:/ . . Mitt stillschwygen kan man auch liegen,/ Das sich all grächtigkeit thuot biegen; ebd. 149 Prediger münch zuo Belias. Du alter Lux, ist das auch recht, Das also schmehest Gottes knecht? Du würst vns nit so lycht vertryben! .. Ein bancket würden mir dir schencken, Das dmüst dyn lebtag doran dencken; 1556 Chronik Augsb. VIII 434 wie er denselben und sein regiment aus dem läger schlagen möchte, alles darumb, der stat Augspurg, seinem vatterland, ain pancket damit zuo schenken; Sachs 1559 W. XV 95 In gut kan ich dirs nicht gedencken, / Wil dir wider ein pancket schenken (beide FRNHD.WB); H. Bull 1572 Vermanung o. S. Vil frommer lüten haltend darfür, Gott hätte inen durch [ihre Feinde] sömliche pankett zuegericht, dass sy ire burger um Gottes wort willen vertriben (SCHWEIZER. IDIOTIKON); 1576 Buch Weinsberg II 327 sin frau Sibilla wolt im widder vor sinen moitwillen eine banket inschenken (FRNHD. WB); Fischart 1579 Bienenkorb 112 mit eim Streichholz glatt abgemessen, den seelen im fegfewer ein presenz oder banket davon verehren mögen (DWB). RS

Bankett2 N. (-(e)s; -e, früher auch -(e)s), älter auch heute seltenes Bankette F. (-; -n), im frühen 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. banquette F. (Diminutivbildung von banque 'bankartiger Erdaufwurf; Bank', vgl. gleichbed. engl. banquette, ital. panchetta, panchetto), anfangs und bis ins 19. Jh. auch in den vom Frz. beeinflußten Schreibungen Panquet(t), Ban(c)quet, Banquette. \ Zunächst bis ins spätere 19. Jh. in der militärischen Fachsprache, bes. der Befestigungskunst, für 'erhöhter stufenförmiger Rand an der Innenseite der Brustwehr eines Wallganges (als Plattform für die Schützen in Festungen)'. 2a Seit spätem 18. Jh., eventuell unter Einwirkung von frz. banquette 'Fußweg', in der heute üblichen Bed. 'zunächst etwas erhöhter, dann ebener (befestigter) Randstreifen einer Autostraße', z. B. die Bankette sind nicht befahrbar, b Etwa seit Ende 18. Jh. in unterschiedlichen fachspr. Verwendungen, zunächst 'befestigter Rand innerhalb eines Deiches', im 20. Jh. gebucht im Bauwesen für 'unter-

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ster, verstärkender Teil einer Grundmauer, eines Gebäudefundaments' und im Erdbau für 'waagerechter Absatz an einer Böschung'. 3 In der 2. Hälfte des 19. Jhs. selten für 'Sitzbank in Pariser Postkutschen, Omnibussen'. Bankett/Bankette 1: Wallhausen 1616 Kriegsmanual 37 vber gemelter Schnur soll eine Brustwehr seyn acht Schuhe hoch/ vnd drey Schuhe dick/ darnach der Weg der Ronden/ oder Ronden Pfaad/ so zwo Klafftern breyt/ mit den zweyen Banquetten seiner Brustwehren/ so wol an den Cortinen/ als an den Pastheyen; Lorini 1616 Fortification (Übers.) 33 beneben einer Banquetta oder Pfad, darauff man mit den Schuppen die Erde wühlt, vnd von dannen biss oben auff; Londorp 1618 Wißbadisch Wisenbrünnlein I 153a die Höhe der Brustwehr mit dem Bancquet (GOMBERT 1889); Freitag 1631 Architectural 7 Banquet . . Ist eine kleine höhe/ an der inwendigen anleg der Brustwehr gemacht/ darauff die Soldaten stehen wenn sie fewer geben; Cellarius 1645 Arch. mil. 62 Weiter muß bey diesen Profilen allen dieses in acht genommen werden/ . . daß an einer jeden Brustwehr vnd Bancquet durchaus/ . . die Breitte der Banck allezeit thut 3. Fuß; Furttenbach 1650 Gewerboder Handel Statt 14 11/2 Schuch solle das Panquet oder der Staffel zu der fossebrey hoch . . gemacht werden; Heideman 1673 Kriegs-Architectur 14 [eine] Pallisadirung (deren .. jnnere nähest daran gesetzte reyhe aber 6. Schuch hoch/ vnten mit einem bancquet vnd oben ohne zuespitzung nur platt abgeschnitten); Steiner 1682 Kriegs-BauKunst 18 Panquet, oder einen Banck so eine kleine Höhe ist/ an der jnnwendigen Anlag der Brustwehr darauf die Soldaten stehen/ so sie Feur geben/ und den Graben/ auch was darüber/ ersehen mögen; 1695 Teutsch-Redender Vauban 11 56 Von der Banquette oder Stuffen der Brustwehr . . Unten an der Brustwehr auf dem Wall macht man 2. Banquetten, deren die erste ohngefehr 2. Schuh breit ist; Goulon 1709 Belagerung (Übers.) 12 man . . machet aller Orten Banqvetten wo es die Noth erfordert; Sturm 1737 Wahre Vauban 86 Banquette, Banck, ist eine kleine Stuffe oder Erhöhung an dem Fus des Parapets (der Brust-Wehr) innen hinein, zu dem Ende, damit die Soldaten im hinaufsteigen Feuer geben und über die Brustwehr hinaus schiesen können; 1748 Abhandlung v. d. Feld-Schantzen 41 Banquette, eine Fuss-Banck von Erde vor das Perapett, (Brust-Wehr) worauf die Soldaten zum Feuern treten, es sind 2 auch 3 dergleichen in denen Werckern angelegt; Pfau 1757 Angriff 35 Man versieht die dritte Paralell mit denen nöthigen Banquets oder Auftritts, die wie eine Treppe an der Brust-Wehr errichtet werden; 1764 Beschr. e. Kriegs-Platzes 7 Der bedeckte Weg ist weder erha-

ben noch vertieft, das Banquet mitgerechnet .. 3 Rheinländische Ruthen oder 6 Klafter breit; Pirscher 1767 Kriegs-Baukunst 11 so werden an der inwendigen Seite der Brustwehre Banquets angeleget, deren Höhe jedwedes 9 Zoll, und also beyde ein und einen halben Schuh ausmachen, daß also der Soldat nur mit der Brust hervorrage; Bruce 1784 Nachrichten 32 Denselben Tag begegnete sechs Officieren von einem Schottischen Regimente, welche in einer Reihe auf dem Banquette saßen, das Unglück, daß eine Kanonenkugel ihnen allen die Füße wegnahm, einen einzigen ausgenommen, der den einen Fuß auf dem Banquette liegen hatte, und ihn dadurch rettete; Valentini 1799 Abhandlung ü. d. kl. Krieg 272 könnte man die Brustwehr . . um einige Füsse höher . . aufführen und sie mit einigen Banquetts versehen; Aster 1812 Angriff l 8 Um über die Brustwehrenkrone mit dem kleinen Gewehre bequem zu feuern, werden noch ein oder mehrere Auftritte (Banquettes) . . an die innere Seite der Brustwehre angebracht, wovon die schiefe Fläche .. die Böschung des Bankettes heißt; ebd. l 157 Die Anzahl der über einander zu errichtenden Bankette richtet sich nach der innern Höhe der Brustwehre; Hoyer 1815 Kriegsbaukunst l 78 Dieser bedeckte Weg bekommt seine Kommunikationen theils durch die Hauptgallerie, welche unter seinem Auftritt (banquette) hinläuft; Eickemeyer 1821 Kriegsbaukunst 24 Bankets (Banquets), nämlich Stufen, auf die der Mann tritt, um sein Gewehr über die Brustwehr (Parapet) . . abzufeuern; Blesson 1825 Befestigungskunst I 62 Hat man nach Obigem der Brustwehr 9 FUSS Höhe geben müssen, so wird die Bank, eben so nennt man auch das Banquett, 5 FUSS p. p. über den Horizont erhalten; 1844 Volks-Conversationslex. I 318 Banquet. . im Kriegsw. die Stufe vor der Brustwehr von Befestigungen, worauf die Truppen stehen; Mahler 1864 Ueber die Eider 271 Die Banketts, Einrichtungen für Infanteriefeuer über die Brustwehren, machten den Eindruck kürzlich aufgeführter Vorkehrungen . . Auch hierbei kann man vom Feinde lernen, denn die dänischen Banketts sind eine recht praktische Verbindung zwischen den bei der Fortifikation sonst verwendeten soi-disant Erdansätzen an die Brustwehr . . als Stand für die betreffenden Schützen; Prittwitz/Gaffron 1865 Befestigung 12 Da die Brustwehr . . zu hoch ist, als daß ein Infanterist ohne Weiteres darüber hinwegschießen könnte, so muß hinter derselben ein Auftrit oder Bankett (la banquette) . . angeschüttet werden; ebd. 447 daß

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man das Bankett (die Berme) vollständig mit Faschinen bekleidet, damit seine Kante nicht so bald abgetreten werde. Bankett/Bankette 2a: 1786 Straßenbau 51 die Bevestigung . . wenn sie von Steinen ist, wird Versteinung genennet, und der Rest .. auf beiden Seiten, der nicht grade versteint seyn muß, die Banquets, die gemeiniglich zum Reiten und Gehen dienen, und mit verschiedenen ändern Materialien überzogen werden; ebd. die letztere Steine aber an den Banquets . . die Bandsteine; Campe 1813 Fremdwb. 143 Banquette . . Der Fußweg längs einer fahrbaren Straße. Eigentlich paßt das fremde Wort in dieser Bedeutung nur für die erhöhten Fußwege, welche einer Bank gleichen; aber man hat sie von diesen auch auf die nicht erhöhten Fußwege, welche neben einer Kunststraße angelegt sind, ausgedehnt; 1904 Rad-Wanderer 232 Bankette [im Norddtsch. „Radfahrweg", neben der eigentlichen Straße, Chaussee]; 1937 Reichsgesetzbl. I 1186 Außerhalb geschlossener Ortschaften dürfen Radfahrer die neben der Fahrbahn liegenden Seitenstreifen (Bankette) in der Fahrtrichtung benutzen, wenn sie den Fußgängerverkehr nicht behindern; Münch. N. N. 25. 7. 1937 Die seitlichen Bankette der Autobahnen werden mit Banketten aus Asphalt und Teerdecken versehen, um den Kraftwagen zu sichern; J955 FAZ Nr. 133 Anders verunglückte am 9. September 1954, als er auf der Bundesstraße 209 . . mit den linken Rädern seines Wagens auf die durchlöcherten Bankette neben der Straße geriet und sein Auto sich überschlug; i 959 Süddtsch. Ztg. Nr. 153 Unter Bahnanlagen sind die Gleise einschließlich der Bankette und Böschungen der freien Strecke sowie der Anlagen der Bahnhöfe, Haltestellen und Haltepunkte . . zu verstehen;

Johnson 1961 Buch 278 [sein] zurückschwenkender Blick sieht auf stämmigen Beinen einen Fahrer allein am Bankett stehen, er winkt Lastwagen zu, sein Rad hängt ihm in der Hand wie zerbrochen; 1962 Berl. Ztg. Nr. 102 Zu beiden Seiten der Fahrbahnen werden gegenwärtig die Straßenbankette hergestellt und die Leitpfosten versetzt; Offenburger Tagebl. 16. 6. 1962 im jetzigen Zustand ist das Begehen der Straße lebensgefährlich und Bankette oder Nebenwege sind nur teilweise vorhanden; 1963 Sprachdienst V 80 Der Straßenkörper setzt sich in diesen Fällen aus dem Fahrdamm oder der Fahrbahn und den Banketten zusammen. Bankett/Bankette 2b: Stieglitz 1792 Baukunst l 81 Banquet, Klampe, Fuß-Deich, ist eine hinter einem Deiche angebrachte Verstärkung, oder ein kleiner Deich hinter einem hohen, der nicht dessen Höhe erreichet. Er dient dazu, theils um den Deich zu verstärken und dessen Bruch zu verhüten, theils um darauf zu gehen, zu reiten und zu fahren, wenn das Grundwasser die Passage in der Ebene hemmet. Bankett/Bankette 3: Kossak 1855 Stereoskopen 13 [Pariser Omnibusse] haben zwei Reihen „Banquette" genannter Deckplätze; Springer 1870 Berl. Prospecte 76 In Paris sind diese „banquettes" bei den Omnibussen . .; Bluntschli 1872 — 81 Denkwürdigkeiten 111 100 25 Stunden in einer französischen Diligence zu fahren, ist nicht sehr angenehm. Den Tag über sassen wir oben auf der Banquette, bei Nacht sehr enge in dem Coupe; 1865 Gartenlaube XIII 582a Das „Banquett" od. die Imperiale in der 2ten Etage [der Diligence]. Hier sitzt der Kondukteur mit 2 Passagiren (SANDERS 1871). RS

Bankier M. (-s; -s), im frühen 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. banquier (< gleichbed. ital. banchiere, banchiero, bancario, vgl. mlat. banc(h)arius), zunächst häufig und gelegentlich bis ins frühe 20. Jh. in frz. Formen, seit Mitte 18. Jh. unter Beibehaltung der frz. Aussprache zunehmend in der heutigen Schreibung. 1 Zunächst in der heute veralteten Bed. 'Geldwechsler' (—»· Bank 1). 2 Seit späterem 17. Jh. in der Bed. 'Bankherr, Inhaber einer Bank', dann auch für 'leitender Bankfachmann, Bankmanager, Vorstandsmitglied von Aktienbanken' (—» Bank 2a); seit dem 19. Jh. als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Bankierberuf, -dynastie, -geschäft, -haus, -(s)kapital, -konferenz, -kredit; Bankiersfrau, -gewerbe, -Verbindlichkeit; Groß-, Investment-, Noten-, Privat-, Staats-, Welt-, Winkelbankier. Dazu seit späterem 19. Jh. vereinzelt die subst. Ableitung Bankiertum N. (-s; ohne Pl.) 'die Bankiers in einem Staat; Art und Verhaltensweise von Bankiers'. 3 Im 18.719. Jh. auch für 'Bankhalter, Besitzer einer Spielbank' (—»· Bank 3a).

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Vgl. dazu bereits seit späterem 15. Jh. die von —» Bank abgeleitete, weitgehend gleichbed. Berufsbezeichnung Banker M. (-s; -), bis Ende 19. Jh. auch mit Nebenformen wie Bankir, Bankier(er), Bankerer, zunächst für 'Geldwechsler' (zu 1); seit Anfang 17. Jh. unter Einwirkung von gleichbed. ital. banchiere in der erweiterten Bed. 'Bankherr, Inhaber einer Bank', insbes. 'leitender Bankkaufmann, Bankmanager, Vorstandsmitglied von Aktienbanken' (—» Bank 2a), anfangs häufig in ital. Schreibformen wie Banchiero, Panciero, die im 17. Jh. von frz. beeinflußtem Banquier (s. o. Bankier) verdrängt werden; im 18.719. Jh. unter punktueller engl. Einwirkung und bes. seit früherem 20. Jh. wohl als Neuentlehnung aus gleichbed. engl. banker wieder aufgekommen als Banker M. (-s; -, selten Bankers und Bänker), meist mit engl. Aussprache, im Unterschied zu Bankier eher im Berufsjargon und als Eigenbezeichnung der Bankfachleute sowie in den Medien heute häufiger als Bankier verwendet; als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Bundes-, Citi-, Deutsch-, Investment-, Öko-, Privat-, Spitzen-, Turnschuh-, Wallstreet-, Zentralbanker; Bankerindustrie, -kreise (zu 2). Bankier 1: 1621 (Poschinger 1874 Banken I 6) dess Banquiers; Savary 1676 Negotiant I 373 banquier (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); Stieler 1695 Zeitungs Lust 181 Banquier, ist ein Wechsler/ und bey dem man um gebürenden Zins grosse Gelter an weit entlegene örter übermachen lean/ und das sind die Geldhändler/ die in kurzer Zeit reich und arm werden können; Marperger 1716 (Däbritz 1922 Essener Credit-Anstalt 5) Der Banquier ist ein Kaufmann oder Wechsler, der viel mit Wechseln auf ausländische Wechselplätze zu tun hat; Sperander 1727 A la mod Sprach 65 Banquier, ein Wechsler. It. der Geld ausgiebet und berechnet; Zedler 1733 Universallex. Ill 363 Banquiers, Cambisten, oder Wechsler, so werden diejenigen genennet, welche Wechsel-Handlung treiben, dieses müssen Leute von Capital und Credit seyn, den WechselCours und Differentz derer ausländischen Gelder gegen die Valuta ihres Handels-Platzes wohl verstehen, und sogleich bey Schliessung eines Wechsels in Ueberschlag bringen können; Gottsched 1758 Gebrauch u. Mißbrauch 295 Dann kommen die Wechsler, die Wechselbank, und die Banquiers (REICHEL); Goethe 1790 Tagebücher (WA III 2,14) Den l tcn frühe sind der Hr. Geh. Rath zu denen Banqueurs gefahren; Beckmann 1790—92 Erfindungen III 316 Also diese argenterii, mensarii, numularii, collybistae, trapezitae machten [um 1377] die Geschäfte unserer heutigen Kassirer oder Bankiers. So wie diese gaben auch jene sich mit Umsetzung und Uebermachung der Gelder; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 164 Banquier. Wechsler drückt den Begriff des fremden Wortes nicht aus, welches wohl beizubehalten wäre, wenn es nicht durch seinen ausländischen Klang den deutschen Ausdruck entstellte. Bankierer anstatt Banquier ist schon eingeführt, und wegen der deutschen Endung vorzuziehen; Heine 1830 Italien (S. W. 1/7

401) So hat das Evangelium auch symbolisch in der Geschichte des Bankiers unter den Aposteln, die unheimliche Verführungsmacht, die im Geldsacke lauert, offenbart; Faucher 1877 Culturbilder 140 das weit verstreute Gewerbe . . der sogenannte Wechsler oder, wie sie bei uns auch wohl heißen, Bankiers, obgleich sie keinerlei Bankgeschäfte treiben . . Sind es eigentlich keine Bankiers, so sind sie auch nur in geringem Maße Geldwechsler, sondern hauptsächlich Detaillisten für den Verkauf und für den Kauf anonymer Effecten, welche Zins oder Dividende abwerfen. Banker: 1474 (Schulte 1923 Handelsakten Mittelalter, Neuzeit III 7) Item gen Venedy schryben von Benecbro Seranczo schuld, ist ain bankir, nach dem und man halb gelt gen wil, mag es nit beser sin, so sol man halb gelt nemen; ist ain bankir; Keller 1489-90 Reiserechenbuch 846 hab ich ain koff gemacht mit s. Jüan anthonio de custione banker (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1510 (1839-86 Amtl. Samml. o. S.) Ob aber die bänk offen wurden, so möcht man das gelt an den bankieren eroberen (SCHWEIZER. IDIOTIKON); 1514 Fugger i. Rom U 116 die banckerre (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Kessler 1524-39 Sahbata 259 ist alles verbrennt, zerrissen, zerschlagen und zuo nichten gemacht, daran sunderlich den koflüten und bankerer vil und groß gelegen was; Paracelsus 1528 S. W. l 6,327 Weiter da alle kranken an euch verzagten, da half euch got hinder den cardinalhut und hinder des Fuckers bankier; Aal 1549 Tragoedia Johannis d. Täufers 30 Wir sind die Wucherer vnd handtierer/ Fürköuffler, wächßler vnd banckierer; Fischart 1575 Geschichtklitterung 300 O Campsortes Banquarij, Müntzwescher, Müntzwelsche, Müntzfelscher, Müntzschmelzer, jr werd des Contrabantz nicht Reicher, der Teuffei

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hol dann den letzten; Cysat 1593 Comedia o. S. Von den Bankhieren oder Wächsleren, so Gawertschieren heisendt (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Henisch 1616 Teütsche Sprach 180 Banckier/ banckhalter/ wespler/ mensarius, argentarius, nummularius; Stieler 1691 Stammbaum 94 Bankier, Bankirer/ der/ mensarius/ argentarius; Wächtler 1709 Manual 47 Banquier, (Banckiehr) ein Wechsler/ der Geld auffnimmt/ und Zinse giebet; Seume 1731 Lex. 18 Bankier (Bankierer) heisst, wer bey dem Wechsel sitzt; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 164 f, Wechsler .. Bankierer anstatt Banquier ist schon eingeführt, und wegen der deutschen Endung vorzuziehen; Busch 1808 Handlung I 429 Im Alterthum hieß der Geldwechsler Trapezita. Eine ihrer Griechischen Ableitung nach dem Worte, Banker, ganz gleich geltende Benennung. Bankier 2: Friedrich Wilhelm 1672 (Erdmannsdörffer 1864-1926 Urkunden u. Actenstücke XVII 37) die Leute, welche dadurch um das Ihre kommen, belangen diejenigen Banquiers .. denen sie ihr Geld gegeben; Mahrenholtz 1678 Unterredungen Niv die reichen Banqviers und Kauff-Leute; Sinold 1700 Passagier VI 3 als wenn man . . einen grossen Banquier zu einem . . Pfeiffen-Händler machen wolte (alle BRUNT); Stranitzky 1711 Ollapatrida 286 Wann ihr kein Geld habet/ so dörfet ihr nur zu einem reichen Banquier gehen; Fleming 1726 Soldat 39 Die grösten Banquiers, die einige Tonnen Goldes des Jahres verkehren, machen öfters in ihrer Kleidung eine so schlechte Figur; Schnabel 1731 Felsenburg l 345 so muste er doch alle hierzu benöthigten Gelder von einem Banquier . . abfordern; Zincke 1751-52 Cameral.-Bibl. 144 Leute, welche sich mit bloßem Geld-Verkehr beschäftigen, iedoch entweder ohne Industrie wie die Rentierer, oder mit Industrie, wie die Banqviers; 1757 Frankf. Meßrelation l 77 bey seiner Frau,. . welche damals bey der Frau eines reichen Kaufmanns, die man Banquiers nennet, als Köchin dienete; Cramer 1774 Gellerts Leben (Geliert 1769-84 S. Sehr. X 201) Ein . . Freund schrieb in den ersten Jahren des Krieges an einen Banquier, . . ihm eine ansehnliche Summe Geldes auszuzahlen; Busch 1784 Londoner Bank 342 Anm.. . die Franzosen [haben das Recht] zu ihrem banquier, welches zumal in deutschen Buchstaben, besonders im Pluralis, doch nicht Bankieh oder Bankiehs gelesen werden sollte (GANZ); Schlettwein 1784 Archiv V11 46 Necker ist einer der grösten Geldhändler und Bankiers in Europa; Goethe 1788 Br. (WA IV 9,23) Ein Capitaliste, der die Summe als Capital herschöße, findet sich in diesem Augenblicke nicht, dagegen will Banquier Willemer in Franckfurt sie vorstrecken und verlangt auch nur 4 prCnt.; 1790 Journal d.

Moden V 654 ein angesehener Banquier, der, obgleich er schon sicher ein Paar Millionen Mark unter das Dach unserer Bank gebracht hat, doch so bescheiden gekleidet ist; Beckmann 1790—92 Erfindungen III 316 die Geschäfte unserer heutigen Kassirer oder Bankiers; Goethe 1797 Br. (WA IV 12,229) Da gefallen mir die Frankfurter Bankiers, Handelsleute, Agioteurs, Krämer, Juden, Spieler und Unternehmer tausendmal besser, die doch wenigstens selbst was vor sich bringen, wenn sie auch ändern ein Bein stellen; Balte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 235 Wer mit Geld und Wechseln Verkehr treibt, heißt ein Bankier; Schmalz 1818 Privatrecht 200 Wechsler sind Kaufleute, welche mit Geld als Waare, oder Papiergeld, handeln, und wenn sie ihr Geschäft im Grossen, das ist, für Kaufleute vornehmlich treiben, heissen sie Banquiers; Prokesch v. Osten 1830 Tagebücher 26 er [Metternich] werde hieraus sehen, ob er sie [das Haus Rothschild] als eigentliche politische Bankiers betrachten dürfe oder nicht; Szarvady 1852 Paris l 78 Ludwig Philipp hatte keine ändern Generale, als die Pariser Banquiers — sie haben ihn auf den Thron gehoben; Ehrlich 1858 Abenteuer 21 Er war, obwohl ein echter Frankfurter Banquier, doch kein bloßer Geldmensch; Reuter 1861 S. W. VI 40 weshalb man die Bankiers auch Bankerts und Wechselbälge zu nennen pflegt (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Raabe 1879 Zum wilden Mann 99 der alte Philipp Kristeller . . schrieb viel, bekam viele Briefe von Banquiers und sonstigen Handelsleuten; Nordau um 1880 Kreml II 137 Es kömmt in London sehr viel darauf an, wer Jemandens Bankier ist. Eine der zahlreichen kontinentalen Firmen zum Bankier zu haben, gilt als sehr schlechte Einführung, ja erweckt in manchen Fällen geradezu Mißtrauen; Marx/Engels 1885—94 Kapital III (MEW XXV 417) Der Kredit nun, den der Bankier gibt, kann in verschiednen Formen gegeben werden . . Die Banknote ist nichts als ein Wechsel auf den Bankier, zahlbar jeder Zeit an den Inhaber, und vom Bankier den Privatwechseln substituiert; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 80) er hat bei mehreren Kunden höchst störende Einbußen erlitten . . durch Transaktionen mit Bankiers; 1912 Technik u. Wirtschaft V 386 Trotz aller Warnungen in der Tagespresse finden sie, die sich ganz zu Unrecht den Namen „Bankier" beilegen, vielfach aber nicht einmal an der Börse zugelassen sind, immer noch ihr Publikum; Corti 1927 Rothschild 108 f. Ich muß den Banquiers Rothschild .. das pflichtgemäße Zeugnis erteilen, daß sie es an keiner Bemühung zur Erlangung der Zertifikate über die angelegten Stocks haben ermanglen lassen; St. Zweig 1928 Ungeduld 115 ET studierte alle Gesetzbücher, Handelsrecht wie Gewerberecht . . und war versiert in allen Anlagen oder Transaktio-

Bankier nen wie ein Bankier; Kästner um 193O Hymnus a. d, Bankiers (1955 Wieso warum? l 80) Die Konsumenten sind die linke Hand des gesellschaftlichen Organismus, die Produzenten sind die rechte Hand. Die Bankiers sind die Heimlichkeiten zwischen beiden; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 164 Und ein Recht des Käufers oder Verkäufers an der Börse gab es gegenüber Bankiers, die sich nicht wie in England als „Händler im Auftrage des Kunden", sondern als „Zwischenhändler" bezeichneten, ebensowenig; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 737) der Bankier aber machte Bankerott; St. Zweig vor 1942 Balzac 10 Von der Verpflegungsbranche einer Armee führen wiederum unweigerlich goldene Fäden hinüber zu Geldleihern und Bankiers; Kesten 1952 Casanova 87 Casanova beruhigte sie, gab ihr am Morgen drei Dublonen und ging zu seinem Bankier. Er brauchte Geld; Welt 20. 1.1964 vor einer erneuten Aufwertung der D-Mark sprach der Hamburger Bankier Alwin Münchmeyer eine eindringliche Warnung aus; ebd. 11. 3. 1974 über den Besitz großer Aktienpakete bei Industriegesellschaften, über die Besetzung der Aufsichtsräte durch Bankiers, besonders durch Großbankvertreter . . käme es bei den Banken zu einer Zusammenballung von wirtschaftlicher Macht; MM 26.2.1986 neueren Schätzungen schweizerischer Bankiers zufolge entfallen nur noch 40 Prozent des gesamten Goldumsatzes auf den Handel in Goldbarren; ebd. 4. 9. 1986 heute beschäftigen die Mafia-Bosse Bankiers, die ihnen das illegale Bargeld mittels komplizierter Transaktionen „reinwaschen"; ebd. 1. 5. 1987 Brechts Satz, daß keiner so gut zu lesen verstehe wie die Bankiers, weil sie allein wüßten, was ein falsch gesetztes Komma bedeutet; Spiegel 1. 11.1993 Da gibt jeder Bankier gern Kredite. Banker: 1609 Relation XL/V 2b ein Anlehen . . hat jhnen .. der König rundt abgeschlagen/ mit vermelden/ er sey kein Banchiero; Garzoni 1659 Piazza universale (Übers.) 621 b Von Kauffleuthen/ Banckirern/ Wucherern/ Verkauffern/ vnnd Krämern (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Marperger 1716 Küchendict. 495 ein solches Feuer-Holtz . . als jener reicher Banquirer/ dem Kayser Carolo V. zu Ehren im Camin angezündet . . und endlich noch kostbahrer dadurch geworden/ als besagter Banquirer/ um des Kaysers Verwunderung/ über dieses treffliche Feuer zu vergrössern/ eine Obligation von etliche Tonnen-Goldes die ihm der Kayser schuldig gewesen/ in dasselbe geworffen; 1719 Abentheuerl. Welt VIII 12 mit einem der Banchieren; Busch 1784 Londoner Bank (Sehr. ü. Staatswirtschaft u. Handlung 111 333) Neben diesen Brittischen Banken bestehen in beiden Königreichen eine Menge Privatbanker. [Anm.:] Ich wage dies

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Wort, nicht als ein fremdes, sondern als ein Deutsches Wort, zu dessen Ableitung von Bank wir gleiches Recht haben, als die Franzosen zu ihrem banquier, welches zumal in deutschen Buchstaben, besonders im Pluralis, doch nicht Bankieh oder Bankiehs gelesen werden sollte. Weil es aber ein Deutsches, nicht ein Englisches Wort seyn soll, so gehört ihm auch der Deutsche Pluralis, die Banker nicht Bankers zu; ebd. Weil aber die Londoner Bank nur Londoner Kaufleuten und Bankern discontirt, so müssen eben sie wieder mit einzelnen Privatbankern in London in Verbindung stehen; ders. 1797 Hamburg. Handlung 257 F. aber durch seine Bankerindustrie (so werde ich sie ohne Absicht eines Vorwurfs nennen dürfen) ein Besizer mehrerer Tonnen Goldes geworden; Marheinecke 1816 Reformation l 54 Es ist ein Bürger von Köln, so Antonius de Wele geheißen, . . der das Ablaßgeld an die Factores und Bankerers überschrieb; 1857 Staats-Wb. U 202 Diejenigen, welche ihnen diese Vorschüsse machen, sind die Banker und großen Kapitalisten. Ein Banker sucht einen Theil seines Gewinnes in Darlehen auf „Sicherheiten"; Marx 1857 Br. (MEW XX1X 138) Du wirst aus den Zeitungen ersehn haben, daß ein zweiter Direktor des Credit mobilier . . viz. Banker Thurneyssen durchgebrannt ist mit einer Schuldenmasse von about 30—40 Millionen fcs; ders. 1861—63 Theorien ü. d. Mehrwert (MEW XXVI.1,297) in der Tat vertreten die bankers das Gesamtkapital den einzelnen Kapitalisten gegenüber; Engels 1866 Br. (MEW XXX1 226) Drfonke] sagte mir selbst, daß er bei Barnett etwas drin sei, aber mehr durch die Notwendigkeit, seinen Banker zu wechseln, er habe dort . . 3000 Kredit gehabt — doch war er auch Aktionär und daran verliert er. Eichhoff hat auch die Ehre gehabt, daß sein Banker falliert hat; Poschinger 1878 Bankwesen I 111 Gedanken von Geld und Banquiren; Hopfen 1893 Elend II 163 wir müssen sie . . von ihrem zerstreuenden Umgang mit Gigerln, Lieutenants und Bänkern abbringen; Bamberger 1899 Erinn. 232 Der englische banker macht keine Weltgeschäfte, sondern verwaltet nur die Gelder seiner Klienten; Röscher 1899 Handel (System III 121) Was das Geschäft der Geldhändler (Bankiere) besonders angenehm macht, ist der Umstand, daß man hier keine so große Quote des Kapitals auf Gebäude, Frachten, Zölle . . zu verwenden braucht; Lehmann 1943 Grossbritannien 129 [Englands] Stellung als „the world's carrier" and „the world's banker"; 1957 FAZ Nr. 40 In vielen großen Gesellschaften sitzen die leitenden Männer der Banken im Aufsichtsrat — oft als Aufsichtsratsvorsitzende . . Diese Banker haben für die einzelnen Gesellschaften den großen

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Vorzug, daß sie meist einen guten Einblick in andere Unternehmen und Branchen haben .. Gerade aus dieser Funktion beziehen die Banker natürlich einen Teil ihrer Machtfülle; 1957 Muttersprache 270 Man sollte den Bankier einen Banker nennen; Sonntagsbl. Hamburg 20. 10. 1963 [Gotthard Freiherr von Falkenhausen] . . Ein Bänker, der nicht in das zeitgenössische Laienspieltheater vom Genre „Bosse, Banken, Börsen" paßt; Spiegel 27. 10. 1969 Wie bei der Auswahl ihrer Kunden, so haben sich die Banker gelegentlich auch bei ihren Währungsspekulationen am Euromarkt vergaloppiert (AWB); FAZ 8. 7. 1970 Junger, dynamischer Banker . . , tätig im Börsen- und Wertpapiergeschäft einer Großbank, sucht verantwortlichen Wirkungskreis (Anzeige); Welt 31. 10. 1974 des Landes Erster Banker, Dr. Alfred Schäfer von der Schweizerischen Bankgesellschaft; ebd. 21. W. 1978 Die Banker melden sich bei Schmidt zu Wort - Mit dieser Anzeige . . warnten die Bankiers den Käufer davor ..; FAZ 13. 2. 1979 Bänker - Die Anglisten haben längst ein dickes Fell bekommen. Warum juckt es dennoch hin und wieder, auch dann, wenn in Wolfgang Heyens Glosse zur Bremer Eiswette [FAZ 20. 1. 1979] die Bänker genannt werden? Früher hießen sie einmal „Bankiers". Heute wird vieles, was dasselbe geblieben ist, anders bezeichnet. Also auch die Handlungsgehilfen unserer Geldinstitute. In dem gleichen Absatz werden auch die „Kaufleute" und die „Seeleute" genannt, unter diese können sich gerade in Bremen die „Bankleute" ruhig mischen; Stern 13. 3. 1980 Wer als Banker, Notar oder als Importund Exportkaufmann zu Wohlhabenheit gekommen ist, muß sich deshalb irgendwann die Frage stellen, ob er sich ein Schiff kaufen soll; Welt 29J 30. 3. 1980 Bache traf Banker .. Vertreter der Bache-Gruppe trafen sich gestern mit zehn Großbanken (alle vier AWB); FAZ 4. 7. 1981 Wir denken an einen im Kreditgeschäft . . erfahrenen Bänker im Alter bis zu ca. 35 Jahren; Stern 13. 8. 1987 die Geldversorgung der Wirtschaft, von den Bundesbankern für dieses Jahr ohnehin äußerst großzügig bemessen; MM 30. 10. 1987 Trauben von Aktienhändlern, Bankern und Freimaklern drängen sich aufgeregt vor 7 Bildschirmen in einer Ecke des Frankfurter Börsensaals; Spiegel 11.4.1988 Wenn deutsche Banker über Gold reden, dann halten sie sich auffallend zurück (AWB); Mein 1989 Kind 241 Den Bankeinbruch organisierte der Banker; Spiegel 7. 11. 1994 Bei Börsianern, Professoren und Zentralbankern geht die Sorge um, eine überschäumende Konjunktur könnte die Inflation anheizen; ebd. 12. 9. 1994 Der monetär-erotische Reiz, hopp oder top [beim Lotteriespiel], kann sogar seriöse Banker süchtig machen.

Bankiertum: Marx 1861—63 Theorien u. d. Mehrwert (MEW XXVI.3,459) So Saint-Simonismus mit seiner Verherrlichung des Bankiertums; Marx/ Engels 1885-94 Kapital III (MEW XXV 409) Wir finden schon bei Josias Child, dem Vater des modernen Bankiertums, daß „100 Pfd. St. zu 10% in 70 Jahren, bei Zins von Zins, 102400 Pfd. St. produzieren würden". Bankier 3: Elis. Chart. 1717 Er. Ill 84 der banquie macht seine rechnung, zieht alles, waß auff der taffei stehet, bezahlt hernach alles, waß der zettel mitt sich bracht hatt; findt man ein schiffer, wo niemandts nichts auff gesetzt, ist alles vor den banquier; ebd. Ill 85 Wir spiellen kein hoch spiel, . . hilf die banque; es ist rar, daß die banquier verliehren, undt daß spiel ist verbotten worden, weillen le banquier zu viel avantage hatt; Zachariä 1754 Verwandt. I 162 Der Banquier grif zu: und senkt das neue Gold in seinen Sack; Wezel 1790 H. u. U. Ill 358 der Bankier verlor fast jedes Blatt, das er umschlug [beim Hasardspiel]; Heynatz 1797 Antibarbarus II 23 Es versteht sich von selbst, daß jetzt der Bankier, der im Spiele die Bank hält, einen ändern Namen haben muß. Da dieser nun Bankhalter genannt werden kann, so fragt sichs, ob jener nicht auch so heißen könnte; Goethe 1797 Reise i. d. Schweiz (WA I 34.1,250f.) Es ist fast in allen Wirthshäusern gespielt worden . . Einige Banquiers haben Frühstück und Abendessen aufs anständigste für die Pointeurs auftragen lassen; 1804 Berl. Almanack 315 Unter allen Hasardspielen ist keines für den Banquier so günstig, und für den Pointeur so nachtheilig als das Pharao; Goethe 1810 Farbenlehre (WA U 2,241) Man kann . . Newton einem falschen Spieler vergleichen, der bei einem unaufmerksamen Banquier ein Paroli in eine Karte biegt, die er nicht gewonnen hat, und nachher, theils durch Glück theils durch List, ein Ohr nach dem ändern in die Karte knickt und ihren Werth immer steigert; Freytag 1847 Waldetnar (Dramat. W. l 361) dies sind falsche Karten, der Banquier hat falsch gespielt; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 146 Kaum faßte der lange Raum an dem Tisch die Menge derer, die gegen den einen in der Mitte sitzenden Bankier ihre Chancen einsetzten, große und kleine Spieler durcheinander, der eine mit Tausenden, der andre mit Hunderten pointierend; ebd. 148 Wieder nahmen die Partner die Karten und — dankten; ein verhängnisvolles Zeichen für den Bankier, da dann beide gewöhnlich schon über fünf haben. RS

Bankrott

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Bankrott M. (-(e)s; -e), Mitte 15. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. banca rotta F., banco rotto M., eigentlich 'zerbrochener Wechseltisch' (aus banca F., banco M., —» Bank, und rotta, rotto < lat. ruptus 'zerbrochen', Part. Perf. von rumpere 'zerbrechen, zerreißen, zersprengen', vgl. mlat. banca rupta 'zahlungsunfähig'; vgl. gleichbed., etwa gleichzeitig bezeugtes frz. banqueroute F. und gleichbed. später aufgekommenes engl. bankrupt), zunächst nach ital. Vorbild in Schreibungen wie Panca rotta, Panckarott, Panckerott, Bancrot und Bankarotta F., vom Ende 16. bis ins frühe 19. Jh. unter Einfluß des Frz. auch Banquerout, Banquerot(t), Banquerutt, Bankrutt und Banquer(o)ut(t)e, bis ins 19., vereinzelt noch bis ins 20. Jh. die Nebenform Bankerott. a In der Bed. 'Zahlungsunfähigkeit, finanzieller Zusammenbruch' (weitgehend gleichbed. mit —* Konkurs, —>· Pleite und Falli(sse)ment, im 18.719. Jh. verdeutscht mit Bankbruch), meist in der Wendung Bankrott machen, gleichbed. mit früher häufig belegtem Bankrott spielen 'zahlungsunfähig werden', dann auch in Fügungen wie den Bankrott erklären, anmelden, ansagen, vor dem Bankrott stehen, in der juristischen Fachsprache ein betrügerischer Bankrott 'Bankrott, bei dem der Schuldner seine Gläubiger durch betrügerisches Verheimlichen bzw. Beiseiteschaffen von Vermögenswerten benachteiligt', seit frühem 17. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Bankrottgericht, -geschäft, -gesetz, -macher, -spieler, -system und bes. Bankrotterklärung 'öffentliche Erklärung der (eigenen) Zahlungsunfähigkeit', seit späterem 19. Jh. in Zss. wie Betriebs-, Geschäftsbankrott. Dazu vom früheren 16. bis ins spätere 18. Jh. die mit dtsch. Suffix -er gebildete Personenbezeichnung Bankrotter M. (-s; -), auch Panckerotter und unter frz. Einfluß Bankerotter, Bankrott (s. Belege 1538, 1586), in der Bed. 'Zahlungsunfähiger', gleichbed. mit dem von Anfang 17. bis ins 20. Jh. nachgewiesenen, aus gleichbed. frz. banqueroutier entlehnten Subst. Bankrottier M. (-s; -s), zunächst auch in der frz. Form und in Schreibungen wie Bankerot(t)ier, Bankeruttier (teilweise konkurrierend mit Bankrottierer, Bankrotteur, s. u.); im frühen 17. Jh. vereinzelt die mit dtsch. Suffix gebildete verbale Ableitung bankrotten 'zahlungsunfähig werden, fallieren' mit den subst. Gelegenheitsbildungen Bankrotterei F. 'das Zahlungsunfähigwerden' (späteres 18. Jh.) und Bankrottier M. 'Zahlungsunfähiger' (Anfang 20. Jh.). b Seit früherem 18. Jh. auch übertragen verwendet für 'Zusammenbruch, Scheitern, Mißerfolg, Ruin (in politischer, wirtschaftlicher, kultureller oder persönlicher Hinsicht)', z. B. politischer, geistiger, innerer, gesundheitlicher Bankrott; als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Bankrottpolitik, -Wirtschaft, Bankrotterklärung 'Erklärung des (eigenen) Mißerfolgs, Scheiterns'; Alters-, Gesundheits-, Lebens-, Reichs-, Staats-, Vertrauens-, Volks-, Zeitbankrott. Dazu seit dem 15. Jh. die adj. Ableitung bankrott, vom späteren 16. bis ins frühe 19. Jh. unter frz. Einfluß auch banqueroute, banquerutt, bankrutt, im späteren 16. Jh. vereinzelt bankrottisch und bis ins 20. Jh. die Nebenform bankerott, in der Bed. 'zahlungsunfähig', zunächst in den Wendungen jmdn. bankrott machen, spielen 'jmdn. zahlungsunfähig machen', dann auch jmd., ein Betrieb, Geschäft ist, wird, geht bankrott 'ein Betrieb, Geschäft wird zahlungsunfähig' (zu a); im früheren 17. Jh. vereinzelt, seit spätem 18. Jh. häufiger auch übertragen verwendet für 'zusammengebrochen, ruiniert, vernichtet, geschlagen, gescheitert', z. B. innerlich bankrott sein, wir mußten uns in dieser Sache für bankrott erklären (zu b).

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Bankrott

Vom späteren 16. bis Mitte 19. Jh. Jh. die Ableitung bankrottieren V. intrans., unter frz. Einfluß auch banquerottieren, banker(o)uttieren, in der Bed. 'zahlungsunfähig werden', vereinzelt auch V. trans, für 'jmdn. finanziell ruinieren' (s. Belege 1852, 1855), mit dem Ende 16. Jh. vereinzelt belegten Verbalsubst. Bankrottierung F. (-; -en) (zu a); vom späteren 17. bis ins frühe 19. Jh. selten auch übertragen verwendet für 'zugrunde gehen, scheitern, am Ende seiner Kräfte sein' (zu b). Etwa gleichzeitig die bes. im 16./18. Jh. häufig, vereinzelt bis Mitte 20. Jh. belegte Personenbezeichnung Bankrottierer M. (-s; -) (zu a), vom späten 18. bis Anfang 20. Jh. auch übertragen verwendet (zu b), gleichbed. mit der seit Ende 17. Jh. nachgewiesenen französisierenden, heute allein üblichen Form Bankrotteur M. (-s; -e, auch -s), in der Bed. 'Zahlungsunfähiger' (zu a), seit Anfang 20. Jh. auch übertragen verwendet für 'jmd., der zusammengebrochen, vernichtet, gescheitert, am Ende seiner Kräfte ist', z. B. ein politischer, ideologischer Bankrotteur, im politischen Bereich als abwertende Bezeichnung für den jeweiligen Gegner gebraucht (s. Beleg 1945), in Zss. wie Kriegs-, Staatsbankrotteur (zu b). Bankrott a: 1457 Hamburg. Rechtsaltertümer III 9,745 Nr. 589 77 bankeruth spoelen oft meer koepen dan sy betalen kunnen (KATARA); Haselberg 1533 (Weller 1874 Dichtungen d. 16. ]hs. 97) so spilt der kaufman bankarotten; Alberus 1548 Dialogus v. Interim P2a etliche kaufleut heben ire händel so hoch an, dasz si in nit hinausz künden füren und müssen darüber entlaufen, welchs man aufstehn heiszt oder gefalliert, in Hispanien heiszt es bankerota (beide DWB); um 1550 Zimmer. Chronik II 131 das sieht man alle tag, das der ain da, dort ain under ufsteht und bankarotta macht (FRNHD.WB); Hoep 1554 (1848 Z. d. Ver. f. bamburg. Gesch. VIII 167) Anno 1554 nae pinxtenn hefft Arianne vann der Bekke samptt synner hußfrouwenn Banckruett gespeltt (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1560 Chronik Augsb. VIII (Chroniken d. dtsch. Städte XXXIII 78) wölche personnen . . in disem 1560. jar panckarota gemacht und schulden halben in die Freiungen und aus der stat gewichen; Thurneysser 1569 Archidoxa H4v Da spilt ein kaufman pangett rot; 1587 Buch Weinsberg HI 402 hat uns nachpar Hector . . sich heimlich darvon gemacht und bankeroit gespilt (FRNHD. WB); 1594 Hamburg. Bursprakenkonzept o. S. solcker bedreglichen Banquerotte (KATARA); Henisch 1616 Teütsche Sprach 181 Banckerott . . banckorotta spielen/ machen . . banckerotten spieler; 1619 Von der Bonorum Cession, vnd Banckerott/ Discursus Juridicus-Politicus (Titel); Duez 1652 Nomencl. 56 ein banckrotierer/ so falliert vnd banckrot gemacht oder gespielt hat; Becher 1668 Discurs 143 der gemeinste Zufall aber in der Handlung [des Kaufmannes] ist der pancrot, heisset so viel als ruptura banci; Savary 1676 Negociant l 59 zur betrüglichen Banquerout (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Tentzel 1689 Unterredungen 759 er wäre im Bancorupto; Schurtz 1695

Kaufmannschaft o. S. Concursus creditorum, wann viel Gläubiger zu glaich auf einen klagen, sonderlich, wann einer Bonis cediret oder sonst nicht wol zahlen kan, oder gar Banquerott macht; Sperander 1727 A la mod Sprach 64 Banquerot, ist, wann Wechsler, Kauff- und Handels-Leute entweder durch Unglück, oder sonst durch unordentliches Haußhalten dergestalt zurück kommen, daß sie nicht nur keinen Credit im handeln behalten, sondern auch mit allem dem, was sie noch haben, ihre gemachte Schulden zu bezahlen nicht vermögen. Der Betrug; Seume 1733 Lex. 18 Wer Bankerott gespielt, wird durch Verlust gewitzt; Bodmer/ Breitinger 1746 Mahler l 350 Der Kauffmann ist nicht sicher, daß ihn die Bankerutte eines ändern zum Bettler mache; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 299) Der Makler, bey dem die hundert tausend Mark gestanden, hat Banquerot gemacht; Krünitz 1774 Oec. Enc. Ill 516 Eigentlich ist unter beiden Wörtern Bankerot und Falliment ein merklicher Unterscheid zu machen, weil nehmlich der Bankerot muthwillig und betrüglicher Weise geschiehet, da ein Kaufmann seine Gläubiger um das, was er ihnen schuldig ist, gefährlicher und boshafter Weise bringt und ihnen sein Vermögen abtritt, nachdem er die besten und kostbarsten Sachen zuvor heimlich wegpracticirt und beiseit geschafft hat; da hingegen das Falliment gezwungen und nothwendig ist; Schiller 1783 Fiesko (S.W. II 9) Wärme mir einer das verdroschene Märchen von Redlichkeit auf, wenn der Bankerott eines Taugenichts und die Brunst eines Wollüstlings das Glück eines Staats entscheiden; 1784 Journal v. u. f. Deutschland l 2a [in diesem Journal] sollen alle Bankerutte, unter dem gelindern Nahmen von Concoursen . . [gemeldet werden], von den Prinzen an, der eine Debits-Commission erhält, bis zu dem würcklichen Kaufmanne; Beckmann 1800—1805

Bankrott Erfindungen V 338 Im Jahre 1774 kam einer Namens Wenceslaus Maurer . . und errichtete . . das Lotto, als aber .. die Unternehmer mit 30000 Franken bezahlen solten, und .. dazu verurtheilt wurden, so machten sie Bankerot und liefen davon; Goethe 1805 Kameaus Neffe (WA I 45,34) Samuel Bernard, der mit Rauben, Plündern, Banquerottmachen sieben und zwanzig Millionen in Gold zusammenbringt und zurückläßt; ders. 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,113) Wie viele Familien hatte ich nicht schon . . durch Banqueroute, Ehescheidungen .. in's Verderben stürzen .. sehen; Wit v. Dörring 1830 Fragmente III 83 andere Flüchtlinge . ., die, nachdem sie wegen Todtschlags, Banquerottes, . . ihr Vaterland zu räumen gezwungen gewesen, hier Zuflucht gefunden; Dingelstedt 1847 Jusqu'ä la mer 59 Nur so ist es dem kleinen . . Lande möglich dem . . täglich drohenden Bankerott seines Staatshaushaltes vorzubeugen, die furchtbare Last der Zinsen von der Staatsschuld, 36 Millionen Gulden jährlich abzutragen; 1861 Gartenlaube 159 Man traut den Cavalieren nicht, weil man sie kennt und weil man nicht vergessen hat, welche ehrlose Bankerotte von Einzelnen und von ganzen Staaten (Alabama und Mississippi) im Süden vorgekommen sind; Hundt v. Haff ten 1864 Rechte II 237 Jeder Revolution geht der finanzielle . . Bankerott vorauf; Raabe 1879 Zum wilden Mann 20 Eure zwei Vorgänger hatten mit großer Schnelligkeit in diesem Hause Bankerott gemacht; Hesse 1914 In d. alten Sonne (Ges. Sehr, l 786) Er [Hürlin] versuchte es in der Verzweiflung noch mit ein paar waghalsigen Finanzkünsten, durch welche er sich selber und mit ihm eine Reihe von Kreditoren schließlich in einen unsauberen Bankrott hineinritt; O. M. Graf 1930 Kalendergeschichten 214 Überall hockte die Not. Viele Geschäftsleute in der Stadt drinnen machten Bankrott; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 737) der Bankier aber machte Bankrott, er starb als Bettler; Rinser 1950 Mitte 123 mir kommt das so vor, wie wenn ein Geschäftsmann, der dicht vor der Pleite steht, den Bankrott vertuscht und da und dort Geld zu leihen nimmt und dafür sein Leben lang Zinsen zahlt; Böll 1954 Haus 260 worauf dem Lehrer der Triumph blieb, zu erklären, daß sämtliche Metzger der Stadt dem Bankerott geweiht seien; Heym 1969 Lassalle 42 eine Schenke in Köln, die Hoppe prompt in den Bankrott wirtschaftete; Welt 17. 10. 1969 das Gericht sprach ihn schuldig, seine Gläubiger beim Bankrott seiner Baumwollspinnerei um elf Millionen Mark betrogen zu haben; MM 7. 9. 1985 Als besonders schwerer Bankrott gilt bei den Juristen, wenn Gewinnsucht das Motiv des „Pleitiers" ist oder dieser wissentlich viele Personen in wirtschaftliche Not gebracht hat; ebd. 30. 9. 1986 im vergangenen Jahr hatten die „Militants" die

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westenglische Hafenstadt an den Rand des finanziellen Bankrotts gebracht; Spiegel 3. 1. 1994 Damals, nach einem Jahrzehnt der Krise, in dem sich die Filmbranche wirtschaftlich und künstlerisch in den Bankrott manövriert hatte, war die Zeit eines neuen Hollywood angebrochen. bankrott: 15. Jh. Coutume SPierre Gand 124 § 73 alle banckeroeten, de Heden thuere ontdraeghen bij bedrogh ende looshede, sullen gestraft werden, jae oock lijvelick; Nasus 1568 Antipapistisch eins u. hundert IV 320 bey den rechten panckarottischen . . kauffmännern; 1572 Coutume Bruges I 174 § 52 banqueroutte of vluchtich von schulden (alle DRW); Wynkelmann 1652 Kaufmanns-Spiegel 18 ist heut ein reicher Mann, doch morgen Banquerott; 1687 (Schück 1889 Kolonial-? olitik II 304) die Niederländische Compagnie . ., die doch banquerout geworden (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); Stranitzky 1711 Ollapatrida 328 die Kauffmanns Frau/ die ihren Galanen so viel angehenck that/ daß ihr Mann bey nahe Banquerot darüber worden ist; Schnabel 1731 Felsenburg I 345 wie erschrak mein gantzes Hertze nicht, da ich auf die erste Frage, nach dem reichen Kauffmann Julius, von meinem Wirthe die betrübte Zeitung erfuhr, daß derselbe nur vor wenig Wochen unvermuthet banquerot worden; Boltz 1752 Amts-Actuarius 326 Ew. Kayserlichen Majestät allerunterthänigster Hanns Banquerout; Schiller 1781 Räuber (S. W. l 363 f.) Da verrammeln sie sich die gesunde Natur mit abgeschmackten Konventionen . . Fallen in Ohnmacht, wenn sie eine Gans bluten sehen, und klatschen in die Hände, wenn ihr Nebenbuhler bankerott von der Börse geht; ebd. l 405 du führst ihn in Spielkompanien und bei liederlichen Menschen ein, verwickelst ihn in Schlägereien und schelmische Streiche, bis er an .. Geld . . bankrutt wird; Goethe 1786 Br. (WA IV 8,80) Cioja [der Bankier in Rom] war bankrutt wie ich hierherkam; ich habe wiederholt bey seinem Concurs nachfragen lassen; Schiller 1800 Wallensteins Lager (S. W. XV 45) Es wird alles bankerott. Viele von den Hauptleuten und Generalen Stellten aus ihren eignen Kassen Die Regimenter . . Und die alle sind um ihr Geld, Wenn das Haupt, wenn der Herzog fällt; Goethe 1822 Megaprazons (WA l 18,371 f.) Ich habe drei bankrutte Schauspielunternehmer, zwei aufgehobne Klöster . . ausgekauft; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris l 17 Früher haben die Fabrikherrn meist das Billigste verweigert; jetzt werden sie zum Unbilligsten gezwungen — und dadurch bankerott; Sheridan 1879 Lästerschule (Übers.) 6 der Verschwender, der Abenteurer, bankerott an Vermögen; Polenz 1900 Liebe 51 Ihre Mutter lebte seit dem Tode des bankerotten Gatten mehr oder weniger von der Gnade des wohlhaben-

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den Schwagers; H.Mann 1905-45 Essays II 275 Die bankerotten Staaten Europas aber sind einig nur im unablässigen Anhimmeln und Anbetteln Amerikas; Mehring 1927 Paris 157 in dem historisch gewordenen Noordstrant-Krach, der das Rasphuys mit bankerotten Existenzen überfüllte; Brecht um 1930 Verschollener Ruhm (Ges. W. IX 480) Heute, wo es sich herumgesprochen hat/ Daß diese Leute bankrott sind Sehen wir auf den anderen Kontinenten (die zwar auch bankrott sind) Allerhand anders, wie es uns vorkommt, schärfer; Kesten 1932 Scharlatan 127 Er ist bankrott. Seit zwei Monaten hat er mir kein Gehalt gezahlt; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 147 Zum Glück setzte die Londoner Börse, da viele Häuser bankrott gewesen wären, die übliche 14tägige Bezahlung aus; St. Zweig vor 1942 Balzac 110 Balzac ist bankrott und dreifach bankrott, als Verleger, als Drucker und als Besitzer einer Letterngießerei; Th. Mann 1953 Reden u. Aufs. (W. XI 704) Felix Krull . . ist ein junger Mann von etwas zweifelhafter Herkunft, Sohn eines bankrotten rheinischen Schaumweinfabrikanten, der durch Selbstmord endet; Remarque 1956 Obelisk 59 Bis dahin hatten wir gearbeitet wie Heinrich Kroll und waren darüber fast bankrott gegangen; Partner 1964 Erben 206 die Salier und Staufer fühlten sich von der Hauptstadt Mainfrankens derart angezogen, daß (nach Karl Bosl) „sein zu Hof- und Heerfahrt sowie Gastung verpflichteter Bischof mehrmals fast bankerott wurde"; MM 25. 1. 1986 sie verlor diesen Arbeitsplatz . ., weil die Firma bankrott ging; Zeit 5. 12. 1986 ein Parabel-Spiel vom Sterben des Reichen Mannes Kapital, vorgestellt durch einen bankrotten Banker; Stern 10. 9.1987 selbst bankrotte Großkunden wurden mit neuen Krediten über Wassergehalten; Spiegel 15. 2. 1993 Zum Abschluß eines Geschäfts mit dem staatlichen Energie-Konzern Eni habe Roberto Calvi, Chef des berüchtigten, inzwischen bankrotten Mailänder Banco Ambrosiano, zweimal die Summe von 3,5 Millionen Dollar für Craxi auf dieses Konto überwiesen; ebd. 12. 9. 1994 Die Geschichte des Geldes ist reich an Szenen, in denen sich Mammon von der tückischen Seite zeigte, Staaten ins Unglück riß und Millionen bankrott machte. bankrotten: Henisch 1616 Teütsche Sprach 181 Banckerotten/ panckerotten/ banckerotta spielen/ machen .. Banckerotten . . Er hat banckerrottet. Bankrotter: Micyllus 1535 Historien d. Tacitus (Übers.) 89b Also daß bei den selben garnah keyn tempel mehr war/ der nit vol böser verloffener buoben vnnd eygener knecht stakke deßgleichen auch voll banckerotter/ vnd deren so sich mit schulden überladen; Lauterbach 1538 Tagebuch 4

Bancerot, qui per Bancum rupit; 1540 Edikt Karls V. a. d. flanderer a3a Banckarotter (WEIGAND); Mathesius 1562 Sarepta 224a Denn sie handien vnd wandlen alle betrieglich/ wie die rechten Roßteuscher vnd panckerotter; Frischlin 1586 Nomencl. 249b Banguarot, Leutbescheisser; Henisch 1616 Teütsche Sprach 181 Banckerotter/ ein fall«/ verdorbner/ banckerotten spieler; Stieler 1683 Auditeur 150 Sonsten werden billig unter die Vertuher die Falliten und Bankerotter gerechnet; 1761 Willkür Danzig 64 Weil . . sich nachmalen die Banquerouter mit eisernen Briefen schützen wollen; Lengnich 1769 Danzig-Verfassung 126 Ein Bankeruter, der weichhaft wird und nach ergangenem öffentlichen Anschlage .. sich nicht einfindet. Bankrotterei: 1761 Willkür Danzig 64 Weil die Banqueroutereyen sehr gemein geworden, dadurch viel ehrliche Leute in merklichen Schaden und Nachtheil gesetzet. Bankrotteur: Döpler 1693 Theatrum l 713 Zuweilen aber machen . . diese Bankrotteure . . sich unsichtbar und gehen durch .. da kriegen sie denn die Ehren-Titul abiit noster vicinus, Monsieur Johannes, abiit, periit, excessit; Schnabel 1731 Felsenburg 1346 Es sey ein grosser Fehler und Übereilung von ihm, daß er sich aus dem Staube gemacht, inmassen allen seinen Creditoren bekandt, daß er kein liederlicher und muthwilliger Banquerotteur sey; Strauß 1821 Br. a. Borne 29 in der Loge neben mir hörte ich ganz deutlich von mir sagen: „Das ist eine sehr genaue und gute Freundin von Doktor Borne, dem unrühmlichen Wag-Bankerutteur!"; Marx 1867 Kapital I (MEW XXIII 786) Es ist notorisch, daß mit den Effekten eines Bankrotteurs eine Bande . . von Fabrikkindern zu Aktion öffentlich, als Teil des Eigentums, annonciert und losgeschlagen wurde; Roberts 1891 Mitleid 261 Es war keine zu große Absonderlichkeit, das, was sie mir von den Geschicken ihres Hauses erzählte. Für mich nicht, der ich selbst ein Bankrotteur war und den das Geschick auf ähnliche Weise heimgesucht; Wittich 1901 Vineta 17 Der schlemmende Bankerotteur war mit seinem Mahle fertig; 1931 Volk u. Reich 523 ein betrügerischer Bankerotteur; Münch. N. N. 27. 10. 1938 Mehr Schutz vor ausländischen Bankrotteuren!; St. Zweig 1942 Balzac 378 Ermüdet, erbittert, aber doch unbeschädigt in seiner Kraft, trifft der ewige Bankrotteur im Juni wieder in Paris ein; Süddtsch. Ztg. 13.2. 1951 Nicht jenen [den Konkursverwalter] trifft der Zorn der Gläubiger, sondern einzig den Bankrotteur; Jaspers 1958 Atombombe 23 wie der Kranke sein Karzinom vergißt, der Gesunde, daß er sterben wird, der Bankrotteur, daß kein Ausweg mehr ist, verhalten wir uns so auch gegenüber der Atom-

Bankrott bombe; MM 7. 9. 1985 als betrügerischer Bankrotteur kann auch belangt werden, wer sein Geld risikoreich beim Roulette oder an Wettschaltern verschleudert; Zeit 16. 5. 1986 ihr Ehemann . . ist ein Bankrotteur und schuldet ihr Geld; ebd. 22. 5. 1987 einem Bankrotteur und Wirtschaftskriminellen war im gegenseitigen Einverständnis von Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens sein Strafmaß . . genau versprochen worden, wenn er nur ein .. Geständnis ablegte; Schneider 1992 Schlafes Bruder 155 Die Kerle brachten ominöses Schrifttum ins Dorf, welches ihnen gewiefte Götzberger Bankrotteure um teures Geld verkauften; Spiegel 18.4. 1994 Die Schneider-Pleite ist nicht nur der Fall eines vermutlich betrügerischen Groß-Bankrotteurs, sondern auch eine Banken-Affäre — ein Beleg für den bodenlosen Leichtsinn. Bankrottier: Kirchhof 1601 Wendunmuth V 209 in ein gefängnis als banckerottiers (DRW); Duez 1652 Nomencl. 56 [ein] Banqueroutier . . so falliert vnd banckrot gemacht oder gespielt hat; Sperander 1727 A la mod Sprach 64 Banquerotier, einer der keinen Credit hält, sondern seine Gläubiger um die aufgenommene Summen muthwillig betriegt, und davon gehet; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien 10,415) Die Klagen dagegen kommen nicht auf blosse Bejahungen eines boshaften Banckrotiers und dergleichen Leute an; Kriinitz 1774 Oec. Enc. Ill 518 Bankerottiers und Falliten . . die, so muthwilligerweise ihre Gläubiger nicht bezahlen, oder bezahlen können; 1781 Hausball 18 Ist's noch ein Wunder, wenn man Bankerotiers sieht?; Sturz 1782 Sehr. U 75 brachte ihm ein Banquerotier die Gesundheit zuo: Ehrlich währt am längsten; Marx/Engels 1850 Rez. (MEW VII 274) Grade wie die brauchbarsten Spitzbubenfänger, die Vidocq und Consorten, aus der Klasse der höheren und niederen Gauner, der Diebe, Escrocs und falschen Bankeruttiers genommen werden, und oft wieder in ihr altes Handwerk zurückfallen, geradeso rekrutirt sich die niedere politische Polizei aus den Conspirateurs von Profession; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 526) Doktor Breslauer,. . dem der Ruhm vorangeht, soundso vielen betrügerischen Bankerottiers am Zuchthaus vorbeigeholfen zu haben. bankrottieren: Fischart 1572 Praktik 14 [die] liegern, betriegern, Beuteltreschern, Müntzwäschern, Kauffschändern, Marckedentern, Pfäffersäcken, Müntzfälschern . . Nun disse alle . . warnet Mercurius,. . das sie steiff auff den bäncken sollen sitzen, daß sie nicht brechen vnd banckerottieren; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 398 Hergegen sihe ich etliche Kaufleut vnd wechselheren banckerot-

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irn/ falliren vnd verderben; 1619 Von der Bonorum Cession Vorr. A 3a In Schuld gerahten vnd Armuht, . . Banckerotirt . . vnd fallirt; Martin 1637 New Pari. 321 wann ich alle meine Wahr auff solche weise [so billig] vertreiben wolte, müste ich bald meinen Laden zu machen vnd Banckrottieren; Moscherosch 1642 Visiones 261 haben jhrer viel nicht auß noth oder durch vnglücksfall/ sondern durch List vnnd Triegerey Banckerottiret/ damit sie also nimand ichtwas mehr geben dörfften; Grottnitz 1647 Regiments-Rath 265 ein betrüglicher Kauffmann/ der durch Banckerotiren anderer Leute Güter zu stehlen begierig ist; Becher 1668 Discurs 143 man pancrottirt aber auf viererley Weiss; Grimmeishausen 1673 Simpt. u. a. Sehr. II 671 Da sähe ich/ wie hingegen sich der grossen Herren Cassa leerten/ die KammerGefäll außblieben/ und die Schätze außflogen/ wie die Kauffleut erarmten und banquerotirten; Sperander 1727 A la mod Sprach 64 banquerotiren, im handeln zu Grunde gehen, daß man davon lauffen muß. It. die Leute betriegen; Justi 1741 Staatsklugheit l 490 Abschaffung . . des Müssigganges, überflüssigen kostbaren Hochzeiten, Kindtaufen, Begräbniss, Trauern, Kleidungen, Wucher, Betrug, Banqueroutiren; Engels 1845 Lage d. arb. Klasse (MEW II 255) Spekulanten, von denen einer reich wird, wo neunundneunzig Bankerott machen und wo von diesen neunundneunzig mehr als die Hälfte nur vom Bankerottieren leben; Marx/Engels 1850 Revue (MEW VII 294) die höheren Klassen bankruttiren aus überflüssiger Production; Schlesinger 1852 London I 258 Bankeruttirte [Kaufleute, Makler]; Kürnberger 1855 Amerikamüde 312 die ersten Häuser in Cincinnati bankrotirten mich nieder, während sie selbst ihren pile dabei machten. Bankrottierer: Beuther 1565 Praxis rerum Criminalium (Übers.) 201 b Neben dem/ so wollen Gemeyne Rechte vnd Keyserliche Ordnunge / von der Kirchenfreiheyte außgeschlossen haben/ die aller schmälichste Diebe vnd Rauber/ Bancorottierer genant/ welche durch hinderlistige heymliche flucht/ jergend an eynen Ort entlauffen/ vnnd jhren Gläubigern/ alles was jhnen geborgt worden/ hinwegtragen vnd Dieblicherweise abstelen; Fischart 1575 Geschichtklitterung 186 In gleicher Finsternuß stecken auch die .. Namenveränderer . . Wortverrucker die so geheimnußreichlich die wort in frembdem vnertraumlichen verstand schreiben vnd malen können: . . ein verrumpelte Banck für ein verdorbenen Banckerottierer; 1578 D. Kayserl. Stadt Breßlaw Newe Statvta 19 Da soll es alß dann in solchem fall mit dem Gegenvormachtnus gehalten werden/ wie vnten im Capitel von Bancorotirern gemeldet; 1619 Von der Bonorum Cession Vorr. A 2b die Landt vnd Leut Betrieger, die rech-

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ten Falliten vnd Banckerottirer, so beydes sich vnd jhren Nechsten vmb Ehr, Hab vnd Gut bringen; Moscherosch 1642 Visiones 231 Die Hoffnarren/ Schlämmer vnd Banckrotirer meyneten es müste vielleicht ein Ringelrennen oder Jagden angestellt sein; um 1650 (Steinhausen 1899 Kaufmann 114 Beibl.) ein muthwilliger Fallit oder Bankerottirer; Becher 1668 Discurs 143 so wird der billig und nur per usum vocabuli banci ruptor oder Banckrüttirer genent, welcher diese Cassam oder Banck violirt, und in privates usus verwendet; Francisci 1681 Trauer-Saal IV 793 Dieser Bazu . . hatte der Stadt Amsterdam/ als ein Banquerottirer/ die Fersen gewiesen; Tentzel 1689 Unterredungen 759 er wäre im Bancorupto, oder wie wir ietzo zu reden pflegen, Banquerotirer; Schuät 1714 Merkwürdigkeiten 225 Edict wider die Banquerottirer; Gottsched 1741 Bayles Wb. (Übers.) 1136 Ich bin gewiß versichert, daß ein Bankerutirer . . eher einen Bürgen finden wird, als ein Ausleger der Offenbarung Johannis (REICHEL); Siegel 1742 Corpus Juris Camb. l 465 die betrüglichen banckerottirer sollen . . verfolgt, und am leben gestraft werden (DRW); Heumann 1761 Geist d. Geseze 175 Ist er [der Schuldner] aber ein Betrüger und Banquerotirer, so wird er zwar auch .. bestrafft; Krünitz 1774 Oec. Enc. Ill 517 f. Diejenigen . . werden Bankerottirer oder Falliten, L. Decoctores, oder Dolosi Decoctores, oder Bancae ruptores . . genennet, und darüber überhaupt alle fallirende, in Schulden gerathene und deshalb auf flüchtigen Füßen begriffene und also gleichsam die Bank zerbrechende, Kaufleute genennet; 1784 Journal v. u. f. Deutschland l 445 Weil die Concurse zu Stralsund seit verschiedenen Jahren sehr überhand genommen haben, so verordnete der adliche Rath daselbst, daß gegen Fallitmacher oder Bankeruttirer mit fiscalischer Action [vorgegangen werde]; Berg 1799 Handb. Policeyrechts l 401 Niemand soll einem Bankerottirer zum Austritt und zur heimlichen Wegbringung seiner Sachen behülflich seyn; Goethe 1810 Farbenlehre (WA 11 l,3ll f.) Wenn die gelbe Farbe unreinen und unedlen Oberflächen mitgetheilt wird . . wird . . die Farbe der Ehre und Wonne zur Farbe der Schande, des Abscheus und Mißbehagens umgekehrt. Daher mögen die gelben Hüte der Bankerottirer . . entstanden sein, ja die sogenannte Hahnreifarbe ist eigentlich nur ein schmutziges Gelb; Campe 1813 Fremdwb. 143 Banquerott . . Ich hatte . . Bankbruch und Kassenbruch dafür, so wie Bankbrüchiger und Kassenbrüchiger für Bankerottirer vorgeschlagen; Gutzkow 1846 Säkularbilder (Ges. W. / 8,78) Wenn man nun sagt, daß dies Verfahren die Art eines baldigen Bankeruttirers ist, so hängt dies nur von Vorurtheilen ab; Marx 1855 Bierwirte (MEW X 622) Der „Morning Advertiser" ist eine eigentümliche Erscheinung in der Lon-

doner Presse. Eigentum der „Schutzgesellschaft der patentierten Bierwirte"; gestiftet zu wohltätigen Zwecken, nämlich zu Unterstützungen für die Waisenkinder, Veteranen und Bankerottierer des Geschäfts; Kürnberger 1874 Siegelringe 160 Ein Wiener Witzblatt nennt diese saubere [französische] Republik den betrügerischen Bankerottirer, welcher im Augenblick der Exekution das Haus auf die Frau schreiben lässt; H. Mann 1900 Schlaraffenland 73 Genug, als Blosch sein Opfer nach der ihn durchaus verblüffenden Unterredung verläßt, sieht er im Vorzimmer . . kaum noch Möbel stehen .. Gleich darauf tritt er wieder bei dem Bankerottierer ein; Bartsch 1919 Heidentum 88 Die ganze Schönheit des äußerlichen Lebens stand vor dem armen, deutschen Bankerottierer; T/7. Mann 1954 Krull (W. VII 327) aus anrüchigem Hause, Sohn eines Bankrottierers und Selbstmörders, . . war ich unter meinen Mitbürgern der Gegenstand finsterer und abschätziger Blicke. Bankrottierung: 1594 Hamburg. Bursprakenkonzept 495 solcher bedrechlichen bankerüterung (K ATARA). Bankrottier: Hesse 1914 In d. alten Sonne (Ges. Sehr, l 807) Und ich hau dich lahm, du Bankröttier, du naseweiser!. Bankrott b: 1732 Anthologie 249 Ihr bezahlt den Bankerott der Jugend; Lavater 1778 Er. (Verm. Sehr. II 105) [über Briefschulden] Ich bin so zeitarm, und so ein Zeitgeizhals .. mein Soll übersteigt jetzt schon mein Haben; Und alle drey Jahre mache ich wenigstens einmal bankerott; Goethe 1780 Br. (WA IV 4,284) Verlieren Sie den Glauben nicht dass ich Sie liebe sonst muss ich einen grosen Bankrut machen; ders. vor 1784 Theatral. Sendung (WA I 52,95) Selten, daß der Mensch fähig ist und daß es ihm das Schicksal zuläßt, nach einer Reihe von Leiden, nach einer Folge von Verbindungen mit sich selbst und ändern ganz reine Wirthschaft zu machen; man entschließt sich so ungern zum Bankerotte wie zum Tode und sucht sich mit Borgen und Zahlen und Vertrösten, . . so lange hinzuhalten als möglich; Raumer 1813 Lebenserinn. u. Briefw. I 267 ich kämpfe mit allen Kräften gegen die freche Schamlosigkeit, welche bei gänzlichem inneren Bankrott reich und groß thut in der Sehnsucht nach dem Umsturz aller geselligen Ordnung; . H. Müller 1817 Verm. Sehr. I 119 Banquerout des menschlichen Herzens; Goethe um 1821 Zahme Xenien (WA I 5.1,86) „Ein neu Project ward vorgebracht, Willst du dich nicht damit befassen?" Habe schon 'mal bankrott gemacht, Nun will ich 's ändern überlassen; Hegel 1822 German. Welt 931 Der Liberalismus [nach 1792 und nach

Bankrott Napoleons Zusammenbruch] .. allenthalben hat er Bankerott gemacht, zuerst die größte Firma derselben in Frankreich, dann in Spanien, in Italien; Gentz 1829 Br. (Gesch. d. oriental. Frage 197) Was Constantinopel bevorsteht, wird immer nur der Rückschlag des allgemeinen politischen Bankrottes sein, der uns alle erwartet; Scheffel 1849 Br. a. Eggers 77 Der politische Bankerott von Deutschland; 1852 Prutz Museum II 246 wo die Kunstleistung des Schöpfers aufhört, da reißen auch gleich alle Fäden der eigenen Kunst, und der Bankerott dieser Naturwüchsigkeit liegt am Tage; Bucher 1855 Parlamentarismus 225 [da werde die] Verweisung zum Rechtswege den intellektuellen Bankrott der Gesetzgebung verstärken; Hundt v. Rafften 1864 Rechte II 237 Jeder Revolution geht der . . sociale Bankerott vorauf; Rutenberg 1877 Zinne 249 den Bankern« der Welt zu erklären; Hoffmann 1894 Stolpenburg 41 Die junge Dame war . . schon vertraut genug geworden mit dem Geiste der Wissenschaft, um zu empfinden, dass eine solche Vernachlässigung derselben für einen Mann von Dinse's Art nichts Geringeres als den vollen Bankerott der Seele bedeutete; Fontäne 1898 Zwanzig 476 der unausbleibliche moralische Bankrott; Zander 1904 Neue Welt 207 Nach all' den Anstrengungen und Demütigungen dieser Zeit, nach meinem heutigen körperlichen Bankrott fehlt mir nun der Mut, diesen Kurs weiter zu verfolgen; H. Mann 1905—45 Essays II 14 Es glaubt an das absolute literarische Kunstwerk, nicht aber, dies könne entstehen und nichts dahinter sein als Selbstaufgabe und Bankerott; Luxemburg um 1917 Reden I 331 Der militärische Bankrott bei Sedan bescherte Frankreich die Republik; Th. Mann 1919 Reden u. Aufs. (W. X 581) er weist.. das Erlahmen der Gestaltungskraft nach, den Bankerott von Fontane's Gesprächstechnik, der darin bestehe, daß diese Technik sich verselbständige; Klemperer 1927 Ges. Aufs. 4 Nach der Anspannung der Renaissance im 16., nach dem Bankerott der Wissenschaft im 19. Jahrhundert ist der europäische Boden für die spanische Eigenart empfänglich; 1928 Süddtsch. Monatsh. XXVI 235 Der Bankerott der modernen Persönlichkeit; Tucholsky 1929 Deutschland 13 Inflation, dieser betrügerische Bankrott des Staates; Th. Mann 1941 Reden u. Aufs. (W. XII 917) vor dem Kreuz macht alles edle Menschentum, oder was wir sonst noch so nennen mögen, Bankrott; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 949) nun, da der Zusammenbruch da ist, ein Ruin nie gesehenen Ausmaßes, allumfassend, ein moralischer, geistiger, militärischer, ökonomischer Bankrott ohnegleichen, — nun kommt dennoch unser Erbarmen mit soviel Fehlgeschichte; Hartmann 1954 Begegnung 229 [die] Bankerotterklärung der alten Generation; 1955 Dies Univ. III 45 [die] Bankrotterklärung des Humanismus;

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Hocke 1976 Tagebücher 477 Jean Paul Sartre hat vor kurzem den politischen Bankrott des Literaten erklärt; 1984 Neue Jurist. Wochenschr. XIX 1087 vielleicht ist das das Wichtige an all diesen Dingen, daß sich an ihnen die Unmöglichkeit, der Bankrott der menschlichen Gerechtigkeit offenbar macht (DUDEN 1993); MM 16. 3. 1988 der erste Abend glich einem Debakel, war fast eine Bankrotterklärung für die Vertreter der Jazzrock- und FusionMusik; Rhein. Merkur 18. 5. 1990 nach dem dramatischen Zusammenbruch des Systems der DDR folgte ebenso überraschend, aber weit weniger aufsehenerregend, der Bankrott der ideologischen Lehrgebäude an den Universitäten; Berl. Ztg. 13. 11. 1990 zentralistisch-diktatorische Einheitsstrukturen haben auch im Gesundheitswesen zum Bankrott geführt; Spengler 1991 Lenins Hirn 129 Das wäre nichts weniger als eine schlichte Bankrotterklärung ihrer diagnostischen Fähigkeiten; Spiegel 2. 5. 1994 Künftig würden Inszenierungen womöglich, wie jetzt schon im Petersburger Marientheater, einfach als Fertigprodukte aus Londons Covent Garden importiert — künstlerischer Bankrott; de Bruyn 1996 Vierzig Jahre 257 was ich schon immer geahnt hatte: daß nämlich unter der ideologischen Kruste sich das Zusammengehörigkeitsgefühl konserviert hatte und unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Bankrotterklärung des Staates aktiviert worden war. bankrott: Martin 1637 New Pari. 78 ehe ich die gelehrten Frawen Minervae fallirt oder banckrott gespielt hab; Schiller 1781 Räuber (S. W. l 405) du führst ihn in Spielkompanien und bei liederlichen Menschen ein, verwickelst ihn in Schlägereien und schelmische Streiche, bis er an Saft und Kraft und . . Gewissen und gutem Namen bankrutt wird; ebd. I 443 Ans Umkehren ist doch nicht mehr zu gedenken — die Gnade selbst würde an den Bettelstab gebracht, und die unendliche Erbarmung bankerott werden, wenn sie für meine Schulden all gut sagen wollte; Goethe 1795 Naturwiss. Sehr. (WA II 8,16) so kann die Natur sich niemals verschulden, oder wohl gar bankrutt werden; ders. 1810 Farbenlehre (WA II 1,390) das Neapolisgelb [ein schmutziges Gelb] . . womit man einen armen Mann bekleidet, nicht etwa weil er, sondern weil man ihm bancerout gemacht hat; ders. 1811 Br. (WA IV 22,18) Um wegen meiner Briefschulden nicht ganz bankrut zu werden, habe ich mich nach Jena zurückgezogen; Luxemburg um 1919 Br. 26 Aber mein innerstes Ich gehört mehr meinen Kohlmeisen als den „Genossen". Und nicht etwa, weil ich in der Natur, wie so viele innerlich bankerotte Politiker, ein Refugium, ein Ausruhen finde; Th. Mann 1923 Reden u. Aufs. (W. XI 859) dieser Gedanke erscheint dem neuen europäischen Ge-

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schlecht.. [als] das klassizistisch verstaubte Zubehör einer bankerotten Epoche; Thälmann um 1924 Reden I 352 Der ADGB ist also nicht nur bereit, den schon bankrotten außenpolitischen Kurs der Luther-Regierung, sondern auch ihre innenpolitischen Maßnahmen vollkommen zu unterstützen; Süddtsch. Ztg. 28.11. 1950 Diese Verhandlung ist die fast logische Folge einer bankrotten Ehe; Zeit 14. 2. 1986 Jetzt ist die Regierung bankrott; Junge Welt 4. 12. 1989 Tatsache ist, . . daß die stalinistische Wirtschaft, die hinter der Mauer so lange im Schwang war, nunmehr bankrott ist; bankrott ist der Staat; Rhein. Merkur 2. 2. 1990 das einzige Mittel, die Auszehrung zu unterbinden, ist jetzt die schnelle und konsequente Umwandlung des bankrotten Wirtschaftssystems in eine soziale Marktwirtschaft. Bankrotteur: Hauptmann 1912 Atlantis 212 „Ich weiß nicht, ob es Sie interessiert", sagte er, „über die sonderbaren Schicksale eines ideologischen Bankrotteurs etwas Näheres zu erfahren." Sie lachte und sagte: „Eines Bankrotteurs? Dafür halte ich Sie nicht!"; Münch. N. N. 13. 9. 1940 Das [der Politiker] war nicht mehr der „Volksheld", der „Siegreiche" .., sondern das war ganz einfach ein in die Enge gedrängter Bankrotteur; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. Xlll 741) daß man fast nicht versteht, warum doch wenigstens große Teile des deutschen Volksheeres noch immer in ebenso zähem wie hoffnungslosem Kampfesmut für diese Bankrotteure [nazistischen Diktatoren] einstehen, ihre Haut für sie zu Markte tragen; Brecht 1948-49 Commune (Ges. W. V 2136) Die Commune ist schwer genug auf die Beine zu kriegen. Haben wir sie, sind die Thiers und Konsorten ein

Häuflein Bankrotteure in den Augen ganz Frankreichs; Weatherhead 1956 Offenheit (Übers.) 47 Bankrotteure der Liebe; Heym 1969 Lassalle 226 Die Schweiz ist voller Emigranten und politischer Bankrotteure; ebd. 328 mit einem Mann wie Ihnen? Einem politischen Bankrotteur?. bankrottieren: Czepko vor 1660 Weltl. Dichtungen 6 So muss er ihm die Einbildung der Religion . . aus dem Gesichte thuen, und das Gewissen mit dem Mantel des eigenen Nutzens verhängen, damit er mit seinen Anschlägen nicht panquerotire; Raimund 1828 Alpenkönig 42 Ich geb' nicht nach, du bankrottirter Philosoph. Bankrottierer: Schiller 1781 Räuber (S. W. l 360) [das] Gewissen . . auch das ein gut geschriebener Wechselbrief, mit dem auch der Bankerottierer zur Not noch hinauslangt; Hebbel 1844 Maria Magdalene (S. W. II 39) Wie ein nichtswürdiger Banquerottirer steh' ich vor dem Angesicht der Welt; Burckhardt 1854 Briefw. m. Brenner-Kron 60 jetzt [im Krieg der Alliierten gegen Rußland, in der Schlacht bei Inkerman] in der grossen weiten Welt die kolossalste Tapferkeit, so gross als in irgend einem Kriege des Altertums, müht sich ab im Dienste der diplomatischen Pfuscher und Bankerottierer, welche man en bloc die grossen Mächte nennt; Luxemburg 1900 Ausgew. Reden u. Sehr, l 94 Es ist dies ein richtiges Bankerottiererdasein, eine Politik von der Hand in den Mund, von heute auf morgen, gerichtet einzig nach den parlamentarischen Augenblickskombinationen, eine Jagd nach politischen Erfolgen, in der alles nach der Reihe um alles geopfert [wird]. RS

Baptist M. (-en; -en), im frühen 13. Jh. entlehnt aus kirchenlat. baptista 'Täufer' (< gleichbed. griech. , zu 'eintauchen, untertauchen, baden, waschen; färben; jmdn. taufen, sich taufen lassen'; vgl. etwa gleichzeitig aufgekommenes gleichbed. engl. baptist, frz. baptiste), anfangs in der lat. und frz. Form. l In der veralteten Bed. 'Täufer', meist als Beiname Johannes des Täufers in den festen Verbindungen Johannes baptista, der heilige Baptist; im 14./15. Jh. in der Zs. Baptistentag und in der Wendung Johannes des Baptisten Tag 'der 24. Juni als der Johannes dem Täufer geweihte Tag, Johannistag'. Dazu Ende 14. Jh. vereinzelt die movierte Form Baptisterin F. (-; -nen) 'Angehörige einer innerklösterlichen Gruppierung'; seit spätem 15. Jh. das aus gleichbed. kirchenlat. baptisterium (< lat. baptisterium 'Schwimmbecken, Taufkapelle' < griech. 'Badstube; Taufzelle') entlehnte, in der Kirchensprache und Kunstwissenschaft gebrauchte Subst. Baptisterium N. (-s; Baptisterien), auch in der griech. Form, für 'frühmittelalterliche Taufkirche' (s. Belege 1493, 1733, 1852, 1957), auch Taufbecken, Taufstein' (s. Beleg 1718), 'Taufe' (s. Beleg 1733) und 'Brevier, aus dem die Taufgebete gelesen werden' (s. Belege 1481, 1733); Ende

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18. Jh. auch übertragen verwendet (s. Belege 1799, 1812); im früheren 16. Jh. vereinzelt das aus gleichbed. kirchenlat. baptizare (< lat. baptizare 'taufen, beträufeln; baden' < gleichbed. griech. , s. o.) entlehnte Verb baptisieren für 'jmdn. taufen'. 2 Mitte 18. Jh. neuentlehnt aus gleichbed. engl. baptist (< kirchenlat. baptista, s. o.), anfangs vereinzelt in der Form Baptiste, auch in der movierten Form Baptistin F. (-; -nen), zunächst auf holländische, englische, seit früherem 19. Jh. auch auf deutsche Verhältnisse angewendet, für 'Anhänger der Lehre evangelischer Freikirchen, die am Modell des Urchristentums orientiert ist und nur die Erwachsenentaufe zuläßt', in Zss. wie Baptistengemeinde, -kirche, -konvent, -pfarrer, -prediger und in Kombinationen wie Anabaptist 'Wiedertäufer'. Dazu seit Mitte 18. Jh. die adj. Ableitung baptistisch (ohne Steigerung) für 'zu den Baptisten gehörend', z. B. die baptistische Kirche, baptistische Gemeinden, Prediger, Pfarrer; auch 'den Baptismus betreffend', z. B. ein baptistisches Glaubensbekenntnis. Dazu seit frühem 16. Jh. vereinzelt das aus kirchenlat. baptismus (< gleichbed. griech. ) entlehnte Subst. Baptismus M. (-; Baptismi) für 'christliche Taufe' (zu 1), etwa seit Mitte 19. Jh. für 'Lehre evangelischer Freikirchen, die nur die Erwachsenentaufe zuläßt' (zu 2). Baptist 1: Eberhard v. Gandersbeim um 1216 Reimchronik 400 s. Joh. baptista (MÖLLER); Konrad v. Würzburg um 1260 (Minnesinger 111 338) [Jesus] wolte in deme Jordane vür uns gar den zarten touf enpfahen von deme unverserten muten manne, Baptisten Johanne; um 1275 Altes Passional 363 [Salome] die mit valschen listen den heiligen Baptisten vf der erde wolde gnagen; ebd. 364 nu secht is kut alhie baptista gots iohannes; ebd. Johannes der baptiste hete wol sin [des Mönchs Marcellus] wort vernomen; 2293 Urkunden u. Akten Straßburg III 298 sante Joh. messe Baptisten (MÖLLER); Anfang 14. }h. Lucidarius 16 sancte Johannes Baptisten dac; Hermann v. Fritzlar 1343-49 (Dtsch. Mystiker l 144) ABer dirre Johannes Baptista wart drie mänden geheiliget in siner muter Übe vore er danne her geborn wart; 2. Hälfte 14. }h. Mdtsch. Marco Polo 13 das dach bleyb stende unvorserit . . von der arnunge sente Johannis baptistin (FRNHD. WB); Langmann vor 1375 Offenbarungen 32 unser frau pat sant Johannes baptisten daz er ir auch etwaz gebe; 1409 Hennebergisches Urkundenb. IV 176 sand Joh. tag Baptiste; Stolle Ende 15. Jh. Thüringisch Erfurtische Chronik 54 vor sant Joh. tage baptisten (beide MÖLLER); Paracelsus 1527 De modo pharmacandi (S. W. / 4,458) der höchst und größt eremit Baptista Johannes, der selBige hat gessen locustas und mel silvestre .. die selBigen hat Johannes Baptista abbrochen und das selbige in das wilde honig . . getunket; Ickelsamer um 1530 Grammatica o. S. im wort Baptista/ da gehn das /pt/ fein lieblich zuosamen in der ändern silben . . vnd würdt also

gebuochstabet/ Ba pti sta; Volkslied 1535 (Liliencron IV 120) die tauf hat sich erhaben zuo erst am heiligen Baptist; Rot 1571 Diet. 292 Baptist, Ein tauffer/ der da Taufft/ Als Joann der Baptist; Sperander 1727 A la mod Sprach 65 Baptista, ein Tauffer, und wird dieser Nähme gemeiniglich dem H. Johanni Beygeleget. baptisieren: Luther 1542 Tischreden (WA V 136) Ich haB Baptizirtt, administravi sacramenta, praedicavi remissionem peccatorum. Das seint die herrlichen officia ecclesiae. Baptismus: Luther 1519 Sermon v. d. Tauffe (WA II 727) Die Tauff heyst auff krichsch Baptismus, . . das ist, wan ettwas gantz ynß wasser taucht; ders. 1542 Tischreden (WA V 136) Baptismus remittit peccata . . O paBtismus ist ein herlich gros dingk! Baptisterin: Ende 14. Jh. Schürebrand 11 also in etlichen klöstern sich die nunnen partigent und gegen enander sich teilent und die eine parte heissent baptisterin, so heissent die ander parte ewangelisterin, und ieweder parte wil die andere mit irme heiigen üBerkiben (FRNHD. WB). Baptisterium: Melber 1481 Voc. o. S. Baptisterium ein Buchlin das da lernt teuffen; 1493 Volksb. v. Doctor Faust 173 in des [Johannes des Täufers] ere ein köstlicher tempel. den sie Baptisterium nennen, an eim gelegnem ende der statt geweihet ist; 1620 Urkunden Laufenburg 363 solle . . vermög innhalt

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der canonum, . . ein ahnfang gemacht und erstens die sacraria, baptisteria, sacra olea, altaria, templa . . visitiert . . werden (FRNHD. WB); Kirsch 1718 Cornvcopiae 137 Baptisterium . . ein Tauff-Stein. 2.)Wasser-Geschirr; Zedler 1733 Universallex. 372 Baptisterium war ein groß Wasser-Behältniß, daß man darinnen schwimmen konnte . . In der alten Kirche war es der Ort, wo man zu tauffen pflegte. Dieses war meistentheils eine an der Kirche angebaute Capelle, oder ein besonders Gebäude, das mitten auf dem Gottes-Acker stunde. Sie hatten acht Ecken und konte man etliche Stuffen hinunter gehen . . Der, so getaufft werden solle, muste . . in den Tauff-Stein treten . . so tauchte sie der Diaconus dreymahl unter das Wasser. Einige meynen, es sey schon zu derer Apostel Zeiten in solchen baptisteriis getaufft worden . . Baptisterium heist auch bisweilen die Tauffe selbst, das Tauff-Wasser, das Buch, daraus die Gebeter hergelesen werden, auch bisweilen eine Kirche; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 975 [die] Baptisten in England . ., die . . die Taufe in besondern baptisteriis verrichten; Herder 1791 Ideen (S. W. XIV 335) Auch die Taufe . . feierte man über der Bekenner Gräbern, bis späterhin die Baptisterien über ihnen erbauet. . wurden; Jean Paul 1797 S. W. l 5,136 Auf dem Baptisterium oder Tauf-Lavor finden wir [den Täufling]; ders. 1799 S, W. I 8,280 Der Abend . . war vielleicht einer unserer vergnügtesten in Nürnberg . . Nun wurde vollends das Baptisterium auf den Tisch gestellt, das mit Feuer tauft, die Punsch-Zisterne; Görres 1810 Ges. Sehr. IV 242 Damit mußte nun jener herrliche Kirchendom zusammenstürzen, und das alte einfache Baptisterium wieder an seine Stelle treten; ]ean Paul 1812 S. W. Ill 6,292 Ich sende Ihnen . . 6 kleine Baptisterien für das Innere, (zu deutsch Weingläser) zu welchen Sie nichts zu liefern haben als blos das Taufwasser [den Wein]. Mit Vergnügen würd' ich Ihnen unter gleicher Bedingung ein größeres Baptisterium schenken, z. B. das Heidelberger Faß; Mendelssohn-Bartholdy 1831 Br. 102 Sonnabend früh im Lateran wurden Heiden, Juden und Muhamedaner . . im Baptisterium des Lateran getauft; Geizer 1852 Protestant. Br. 89 in der Mitte der Dom aus der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts, zur Linken das Baptisterium (Taufkirche) und zur Rechten der Campanile (Glockenturm); Keller 1874 Leben, Br. u. Tagebücher 111 89 wenn ich glaubte, er habe wieder einen Palast oder eine Domfassade oder ein Baptisterium fertig, so fragte ich schüchtern, ob er heut spazieren gewesen sei; Fontäne 1897 Ges. W. l 5,126 die berühmten Baptisteriumstüren in Florenz, von denen Michelangelo gesagt haben soll, „sie wären wert, den Eingang zum Paradiese zu bilden"; Wölfflin 1902 Klass. Kunst 211 Man vergleiche mit dem Taufbild

Verrocchios die Gruppe des A. Sansovino am Baptisterium; Weismantel 1943 Trinität 448 [ein] Plan der Stadt Rom, auf dem die Gebäude des Lateranpalastes samt dem anschließenden Rundbau des Baptisteriums zu sehen waren; Schuder 1957 Sohn 12 Pisa . ., wo der wundersamste Dom der Welt aus Marmor stehen soll und das kunstvollste Baptisterium und der erstaunlich zierlich gebaute schiefe Turm; 3967 Bild d. Wiss. l 49 in Kokkari . . wurden 1931 in einer kleinen Grabung eine frühchristliche Kirche und ein Baptisterion freigelegt; MM 5. 7. 1985 die Tauben, die zwischen Baptisterium und Dom zu Hunderten hin- und herflattern . . kommen schon auf etruskischen Sanktuarien . . vor. Baptist 2: Alberti 1754 Br. IV 1088 Die Englischen Baptisten leiten ihren Ursprung von den Albigensern her; ebd. IV 1104 Jacob Foster ist. . ein Baptiste (beide GANZ); Baumgarten 1766 Religionspartheyen 284 Die vielen Reinigungen oder Waschungen, davon sie den Beynamen der Baptisten oder Hemerobaptisten bekommen haben; ebd. 872 Nach dem Anfang dieses Jahrhunderts haben die Presbyterianer, Independenten und Baptisten eine gemeinschafliche Committee oder bestirnte Anzahl von Abgeordneten in London errichtet; ebd. 983 Diese Baptisten .. haben auch in Holland ihre ersten Gemeinen errichtet, deren Urheber Joh, Smiths gewesen, worauf sie dergleichen sowol in America als England 1633. gesamlet, deren 7. im Jahr 1643. ihr erstes Bekentniß von 52. Artikeln herausgegeben, dergleichen hernach 1656. 1677. und 1689. von mehrern Gemeinen geschehen, durch welches letzte sich über 100. Gemeinen der Particularbaptisten von den arminianischen abgesondert; ebd. 990 Die Baptisten in England haben in Absicht der Glaubenslehre den strengsten Lehrbegriff der reformirten Kirche angenommen, bis die arminianisch gesinnte Täufer davon abgegangen; Wendeborn 1785 Zustand III 256 Die Englischen Baptisten theilen sich, wie man weiß, in zwo Classen (GANZ); l#83 Conservative Monatsschr. I 99 Kongress deutscher Baptisten; Berl. Illustr. Nachtausg. 24. 5. 1934 Im Jahre 1834 rief Johann Oncken in Hamburg mit sieben Glaubensgenossen die erste [deutsche] Baptistengemeinde ins Leben; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 92) die Musik von Ephrata . . sei. . in praktische Vergessenheit gesunken, als die Sekte der deutschen Baptisten vom Siebenten Tage zu blühen aufgehört habe; Frisch 1957 Homo faber 89 Ich machte Konversation mit allerlei Leuten, . . mit dem amerikanischen Geistlichen, Baptist aus Chicago, aber ein fideler Kerl; ebd. 98 Ich bin kein Baptist und kein Spiritist; FAZ 31.7. 1969 Eine europäische Baptistenkonferenz findet vom 6. bis 10. August in Wien statt; ebd.

Bar

13. 5. 1970 Es ist eine . . Tatsache, daß Gewissensfreiheit, Toleranz und Friedensgesinnung, kurz daß die Glaubwürdigkeit des Evangeliums von den Minderheiten der Christenheit und ihren Führern entschiedener bezeugt worden ist als von den etablierten Kirchen. Es sei nur an Roger Williams und Martin Luther King (beides Baptisten), an die Mennoniten, Quäker und Herrenhuter, ja auch an manche Mönchsorden erinnert; Zeit 24. 1. 1986 [die] Ebenezer Baptistenkirche, in der King gewirkt und gepredigt hatte . . ist . . das Zentrum der Gedenkfeier für den schwarzen Friedensnobelpreisträger in Amerika; ebd. 18. 11. 1986 beide waren sehr intelligent, konventionell, Baptistin die Mutter, der Vater ohne kirchliche Bindung; MM 6. II. 1987 einmal trieb er eine Ballade, mit lodernden Emphasen himmelwärts stürmend wie ein Baptistenprediger, zu einem fast schon orgiastischen Höhepunkt; 1990 Gesch. d. privaten Lebens IV 62 Die nonkonformistischen Gruppen, die im 18. Jahrhundert den Ton angegeben hatten — Quäker, Unitarier und Presbyterianer —, überlebten, oft mit schwindender Mitgliederzahl [als die] . . neuen Nonkonformisten — wie man Methodisten, Unabhängige und Baptisten manchmal nannte. Baptismus: Ziegler 1860 Reisen U 142 Methodismus, Separatismus und Baptismus [wurden Anfang 19. Jh. als religiöse Reformbewegungen eingeführt]; Hillebrand 1885 Culturgesch. 280 Daß er nie in die höhere Anschauung unsrer Nation Eingang fand, wird durch die Thatsache bezeugt, daß er sich nie, wie es selbst der Baptismus that, in einem Werk verkörpert hat, das zu den Schätzen unsrer Literatur gezählt werden kann; Lokal-Anz. 9.8.1934 100 Jahre Baptismus in Deutschland; ebd. Oncken, der als Begründer des deutschen Baptismus zugleich die missionarische Ausbreitung seiner Lehre nach West- und Süddeutschland, nach

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Schweden und den russischen Randstaaten betrieb; 1957 Staatslex. I 895 f. Der Baptismus in seiner gegenwärtigen Erscheinung hat seinen Ausgang im 17. Jh. von England genommen . . In Deutschland legte Johann Gerhard Oncken . . in Hamburg 1834 den Grundstein zu der ersten Baptistengemeinde . . und .. wurde durch seine Sendboten und die eigenen Missionsreisen der Wegbereiter des Baptismus in Zentral-, Nord- und Osteuropa; 1983 Taschenlex. Religion u. Theologie l 140 Johann Gerhard Oncken, den man auch den Vater des kontinentalen Baptismus nennt. baptistisch: Alberti 1754 Br. IV 1104 Jacob Foster ist zwar ein Baptiste, doch stehet er keiner Baptistischen Versammlung vor; Wendeborn 1785 Zustand III 267 Einige baptistische Gemeinen halten nichts vom Singen (beide GANZ); Lokal-Anz. 9.8. 1934 Zu Beginn der gestrigen Abendsitzung des Baptistischen Weltkongresses fand eine Ehrung des deutschen Baptismus statt, der in diesem Jahre sein lOOjähriges Jubiläum feiert; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 88) er hatte das Bäckergewerbe gelernt und als wandernder Handwerksbursche mit Pietisten und Anhängern der baptistischen Brüderschaft Beziehungen angeknüpft; 1957 Staatslex. l 895 Der von Außenstehenden gegebene und von den Baptisten übernommene Name leitet sich von der Erwachsenentaufe her, die allein anerkannt wird, nicht aber das Wesen des baptistischen Christentums ausmacht; ebd. l 896 Art. 5 des baptistischen Glaubensbekenntnisses; FAZ 31. 7. 1969 der Präsident der „Europäischen Baptistischen Föderation"; 1983 Taschenlex. Religion u. Theologie l 141 Der Baptistische Weltbund, 1905 in London gegründet, zählt heute in 122 Ländern 118000 Gemeinden . . Die stärksten baptistischen Gruppen findet man in den USA, der UdSSR ,., in Brasilien, in Burma und in Indien. RS

Bar F. (-; -s), anfangs vereinzelt N. (-s; -s) (s. Belege 1892-93, 1899), Mitte 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. bar und amerikan. bar (verkürzt aus bar-room) 'Wirtshaus, in dem man stehend oder auf hohen Hockern sitzend rasch Erfrischungen zu sich nehmen kann' (über mittelengl. barre 'Schranke vor dem Schanktisch, die Gastund Schankraum abgrenzt' zurückgehend auf altfrz. barre 'Querstange, Schranke'; —>· Barriere). l Zunächst meist auf amerikanische Verhältnisse bezogen, dann auch allgemeiner in der Bed. 'erhöhter Schanktisch (in einem Schankraum) mit dazugehörigen hohen Hockern', bis heute üblich in den Wendungen an der Bar sitzen, sich an die Bar setzen; etwa seit Mitte 20. Jh. auch auf andere thekenähnliche Vorrichtungen übertragen (vgl. 2b, 3a und 4). 2a Etwa gleichzeitig auch metonymisch für den Raum, in dem sich ein Schanktisch befindet, zunächst für 'Schankraum, Trinkstube' (z. B. in einem Club, Hotel, Re-

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Bar

staurant, Theater) (s. Belege 1875, 1876, 1902, 1919); seit Ende 19. Jh. dann vor allem in der Bed. 'intimes Lokal mit erhöhtem Schanktisch und dazugehörigen hohen Hockern, in dem (alkoholische) Getränke und Speisen gereicht und die Gäste mit Musik, Tanz u. ä. unterhalten werden; Nacht-, Vergnügungslokal', z. B. in eine Bar gehen, eine Bar besuchen, aufsuchen, in einer Bar sitzen; dazu seit Mitte 19. Jh. das aus gleichbed. engl. barkeeper entlehnte Subst. Barkeeper M. (-s; -) 'jmd., der in einer Bar alkoholische Getränke, bes. Cocktails, mixt und ausschenkt' (vgl. 1), dann auch 'Inhaber einer Bar'; seit Anfang 20. Jh. häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Barbesitzer, -besuch(er), -betrieb, -dame 'Angestellte einer Bar, die (alkoholische) Getränke ausschenkt und die Gäste unterhält', -frau, -hocker, -kellner, -mädchen, -mann, -milieu, -mixer(in), -musik(er), -sänger(in), -sessel, -steward, -theke, -tresen; seit Mitte 20. Jh. als Grundwort in Zss. wie Bier-, Disko-, Hotel-, Intim-, Kino-, Nacht-, Oben-ohne-, Sex-, Tanzbar; von daher seit etwa Mitte 20. Jh. ausgedehnt auf andere Einrichtungen des gastronomischen Bereichs, die eine barähnliche Theke, ein Büfett oder einen Verkaufstisch haben, an dem Erfrischungen und kleine Speisen angeboten werden, bes. in Zss. wie Cafe-, Cocktail-, Eis-, Frühstücks-, Milch-, Mokka-, Saft-, Salat-, Snackbar (vgl. auch 4). b Seit Mitte 20. Jh. im nichtgastronomischen Bereich in der Bed. 'bes. zur Einnahme von Getränken eingerichteter, mit erhöhter Theke, hohen Hockern ausgestatteter Raum einer Wohnung, Trinknische, -ecke', nur als Grundwort in Zss. wie Haus-, Kellerbar; daneben selten auch bezogen auf eine erhöhte Theke (vgl. 1) in der Küche, an der man essen kann, bes. in den Zss. Eß-, Küchenbar (s. Belege 1978, 1981). 3a Etwa gleichzeitig auch eingeengt bzw. (von l her) metonymisch verwendet für 'spezielles (Behältnis oder Fach in einem) Möbelstück, in dem Spirituosen aufbewahrt werden', meist als Grundwort in Zss. wie Flaschen-, Haus-, Mini-, Schrankbar. b In neuerer Zeit in der Werbesprache des Einzelhandels für 'Behältnis, Schachtel, Zusammenstellung von bestimmten Artikeln einer Warengattung, Auslage, an der Waren in einer Box, Schachtel o. ä. eingepackt präsentiert werden', z. B. Bonbon-, Kosmetikbar. 4 Ebenfalls seit Mitte 20. Jh. wohl von l her und unter Einfluß von engl.-amerikan. -bar 'Verkaufsstand, Ladentisch' als Grundwort mit der erweiterten Bed. 'Ladentisch, thekenähnlicher Stand in einem Geschäft, Kaufhaus, an dem bestimmte Artikel ausgelegt und verkauft bzw. Dienstleistungen wie Reparaturen usw. angeboten werden', nur in Zss. wie Absatz-, Geschenk-, Hut-, Schallplatten-, Schuh-, Strumpfbar; daneben selten auch für ein solches (kleineres) Geschäft selbst, in dem die Kunden an einer Art Theke bedient werden (s. Belege 1962, 1968, 1995; —> Shop). Bar 1: Görtz 1852 Reise I 80 an dem Schenktisch, der bar, welche ein charakteristisches Merkmal aller öffentlichen Orte in den Vereinigten Staaten ist; 1860 Hausblätter IV 395 [sie] stürmen an die „Bar", den Schenktisch; Raabe 1863 Leute a. d. Walde (S. W. I 5,406) während [er] . . sogleich wieder zur Bar, dem Schenkstand, hinunterstieg; Ratzel 1876 Städtebilder a. Nordamerika I 121 stehen und sitzen sie vor der bar, dem Schenktische; Peetz 1892-93 Chiemgauer Volk I 71 bis auch der Deutsche an dem amerikanischen Ladentisch angekom-

men sein wird, an jenem langweiligen trink-bar, wo man nur stehend seinen Durst stillt; Peters 1904 England 27 sein Getränk . . stehend vor einer „bar" heruntergießt; 1905 Rad-Wanderer 85 an der Bar des Hotels bei einem Glase Bier; Häuser 1928 Brackwasser 191 dann geht er in die Niggerkneipen, jene kahlen, trostlosen Bretterbuden: steht an der Bar ganz einsam, wo sie alle schweigend auf den schmalen Bänken an den Wänden hocken, und trinkt und schwatzt; Ritzen 1929 Irrgarten 177 Bar . . bedeutet . . ganz allgemein den Schenktisch in

Bar

Wirtshäusern; Gurt 1942 Rosen 63 Dort stand sie an der Bar und lächelte ihm entgegen; Grzimek 1964 Serengeti 156 Natürlich weiß schon jeder an der Bar, was uns passiert ist; Bildztg. 6.1.1967 Offiziere, Unteroffiziere oder das „Fußvolk" der Gefreiten treffen sich hier abends zu Kontaktgesprächen am Kamin oder an der Bar; Welt 20. 5. 1969 an der Bar werden Produktionsabschlüsse getätigt; Ziegler 1976 Labyrinth 258 Monsieur de Carriere lud mich ein, mich zu ihnen an die Bar zu setzen (DUDEN 1993); Zeit 8.2. 1985 Nachdem die „Discovery" nach nur dreitägigem Flug . . gelandet war, ging es an den Bars der Nachbarschaft schnell um ein viel wichtigeres Thema; MM 2. 1. 1988 an den Bars herrscht dichtes Gedränge; De Groot 1990 Dein Vater 20 Frau Gorankamp fand Tim an der Bar. Bar 2a: Görtz 1852 Reise l 101 die unerlässliche Bar [auf englischen Schiffen]; Wagner-Scherzer 1854 Reisen i. Nordamerika I 245 Ist der Gast aufgelegt, an der eleganten „Bar", wie man in Amerika die Schenke nennt, ein Glas Wein zu nehmen; 1859 Hausblätter I 74 Barkeeper oder Ausschenker; 1875 Dtsch. Rundsch. Ill 270 Im Club herrschte eine eigenthümliche Aufregung . . Der Speisesaal, die Bar, das Billardzimmer waren mit Gästen angefüllt; Ratzel 1876 Städtebilder a. Nordamerika I 121 stehen und sitzen sie vor .. dem Schanktische, hinter dem der „barkeeper" die mancherlei Tränklein zusammenmischt, die hierzulande theils zur Kühlung, theils zur Erwärmung eingenommen werden; ebd. das Trinkzimmer (bar room) [in einem amerikanischen Riesenhotel]; Königsmarck 1894 Sportliches 510 in der Bar . . Die american bar des Hoffman House, eine Specialität New Yorks; Dunger 1899 Engländerei (1899 ZdADS XII 244) Jede Kneipe ist ein Bar; ders. 1909 Engländerei 4 Man . . geht nach der Gesellschaft noch in eine Bar, um einen Cocktail oder einen Flip zu trinken; ebd. 12 Die Schnapskneipe ist ein Bar; ebd. 22 so findet man jetzt auch allenthalben American Bars, in denen feine Branntweine zu haben sind. Die Inhaber nennen sich Bartender, es gibt sogar ein deutsches „Handbuch für Bartender" von Johnson .. Häufig haben diese Bars weibliche Bedienung, aber nicht Kellnerinnen, sondern Barmaids oder auch Bardamen; Huret 1909 Berlin 76 die zahlreichen Bars, die Kneipen, [in Berlin] die Chat-noir, die Braddy, wo Leute die ganze Nacht hindurch ihre Romanzen brüllen; Reck 1909 Großmutter 80 vergaß er zumeist, seine Miete zu bezahlen, saß jeden Abend mit ernsthaftem Gesicht in irgend einer Bar und trank ungeheure Mengen Kognak; Schmilz 1914 Land 230 einer Bar, wo bei Tabak und Whisky Billard gespielt wird; Brachvogel 1919 Glück 161 die Bar des Ho-

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tels „Vier Jahreszeiten"; Sacerdote 1925 Italien 56 Bar nennt sich die Schankstätte neueren Datums in amerikanischem Stil, der deutschen Stehbierhalle verwandt, und in Italien gibt es vielleicht noch mehr Bars als Stehbierhallen in Deutschland; 1926 Sittengesch. v. Paris 225 das junge [Lokal] freilich, in dem der Puls des heutigen Lebens am stärksten und charakteristischsten schlägt, ist die Bar . . Mahagonitische, die rot sind wie Portwein oder Vermouth, hohe Barhocker, die den Vorzug haben, die zartesten seiden umspannten Knöchel von Paris zur richtigen Geltung zu bringen! Mixers und Barmaids! Cocktails und Flips! Long and short Drinks! Das ist das echt pariserische Milieu der Bar. Diese amerikanischen Ausdrücke sind das elegante Französisch von heute!; Hesse 1927 Steppenwolf (Ges. Sehr. IV 330) Die Welt der Tanz- und Vergnügungslokale, der Kinos, der Bars und Hotelteehallen, die für mich, den Einsiedler und Ästheten, noch immer etwas Minderwertiges, Verbotenes und Entwürdigendes hatte, war für Maria . . die Welt schlechthin; Brod 1928 Zauberreich 34 Christof saß in der Bar „Zum Einhorn"; Baum 1929 Menschen 36 Kurz vor ein Uhr landete Herr Kringelein in der Hotelbar . . in der Bar des teuersten Hotels von Berlin; Lokal-Anz. 26. 11. 1934 Die Pariser Polizei unternahm in der Nacht zum Sonntag . . eine Reihe von überraschenden Durchsuchungen der Kabaretts, Tanzlokale und Bars; Brauer 1936 Im Dienste Bismarcks 221 Vielerorts findet man [etwa um 1888 in Ägypten] eine „English bar", wo noch vor kurzem ein „Cafe de Paris" stand; Th. Mann 1942 Nachtr. (W. XIII 188) nachts herrschte in Vergnügungslokalen und Bars ein zweifelhaftes Leben; hier gaben die Glücksritter der Stunde mit vollen Händen aus, was sie dem Volk aus der Tasche zogen; Münch. N. N. 16.1 17. 5. 1942 Die Schilder, die an jeder Straßenecke eine „Bar" ankündigten, verhießen lockende Geheimnisse; Uhde-Bernays 1947 Im Lichte 14 Die erste Bar in München . . 1898 . . eröffnet; Frisch 1957 Homo faber 14 ich . . schaute zu, wie der Barmann die übliche Olive ins kalte Glas wirft; Bildztg. 6. 1. 1967 Unsere Gleichberechtigung ist noch nicht so weit gediehen, daß man als Frau allein unangefochten in eine Bar gehen kann; N. Z. Z. 22. 6. 1968 Bei der Schaffung dieses Klubs ging Fritz Frey vom Gedanken aus, daß die klassische Hotelbar mit Tanz und Unterhaltung als Zentrum der Geselligkeit ausgespielt habe; Spiegel 6. 8. 1984 Bars, das waren einst, in der Belle Epoque, mythische Orte der Weltflucht für Dandys, für Künstler und Intellektuelle (alle drei AWB); Zeit 25. 1. 1985 jedenfalls trank einst in der Bar des Ritz ein anderer berühmter Schriftsteller gern und

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Bar

reichlich: Ernest Hemingway; MM 20. 10. 1987 den Autoren des „Sozialplans" fiel dabei positiv auf, daß zwischenzeitlich acht Etablissements, die ursprünglich als Bar betrieben wurden, inzwischen reine Schank- oder Speisegaststätten sind; Stern 12. 11. 1987 die Firmenbar aus rotem Samt und Messing, mit tiefen Teppichen und goldgerahmten Spiegeln; Lehnen 1990 Anglo-Amerikanisches 188 Ursprünglich bedeutete das aus altfranzösisch harre stammende englische Wort bar . . 'Stange, Stab, Absperrung'. Schon zu Shakesperares Zeit nahm es über 'Schranke' die Bedeutung 'Wirtshausschranke' an, die den Gastraum vom Schankraum trennte und in erweiterter Bedeutung auch schon zur Bezeichnung des gesamten Wirtshauses diente .. In dieser letzten Bedeutung gelangte engl. bar als deutsch Bar '(Nacht)lokal, Schanktisch' im 19. Jh. ins Deutsche; de Bruyn 1996 Vierzig Jahre 19 in der Friedrich- und der Oranienburger Straße lagen die Tanzlokale und Bars noch immer dicht beieinander.

Mutti Wiener Mandeln.) Die Kinder knabbern Krokant und Krokettinen und Schoko-Brezeln und . . eigentlich am liebsten von allem alles. Deshalb gibt es jetzt die neue Sweet Bar von Reichardt: Zehn verschiedene süße Knabbereien in einer schicken, modernen Bar" (FRIMAN); Arnold 1970 Verkaufsaktionen i. Einzelhandel o. S. ähnlich wie die Bonbon-Bar kann eine Schokoladen-Bar eingerichtet werden, bei der man für vier oder sechs Tafeln unterschiedlicher Füllung einen günstigen Preis macht; Friman 1977 Z. angloamerikan. Einfluß 162 Man muß wohl Bar hier im übertragenen Sinne auffassen: eine Stelle, wo etwas angeboten wird, zur Wahl steht. Damit würde Bar etwa für 'Schachtel' und Sweet Bar für 'Schachtel Pralinen' stehen . . Jedenfalls handelt es sich um eine rein werbesprachliche Benennung; in der Allgemeinsprache würde niemand auf die Idee kommen, eine Schachtel Pralinen Sweet Bar zu nennen.

Bar 2b: Mackensen 1956 Dtsch. Sprache unserer Zeit 163 Die Bar .. entwickelte einen neuen Gasthausstil, der . . allmählich bis in die Bürgerstuben eindrang (Hausbar); FAZ 21. 9. 1963 Für Ihre Hausbar! Kleines Büffet mit schöner Keramik-Zapfsäule (Anzeige); Süddtsch. Ztg. 3. 8. 1974 Dekoration für Ihre Kellerbar .. preiswert (Anzeige); 1978 Prospekt d. Firma BEKA V o. S. Die „Nordland" [Küche] zeigt, daß Schlichtheit durchaus Appetit machen kann. Darum steht die Eßbar gleich neben dem Herd; 1981 Prospekt d. Firma MIELE II o. S. Modern und chic: Die Küchenbar (alle vier AWB); MM 30. 1.1986 in Küche, Kellerbar und Hobbyraum, sogar in der Garage . . war der Postler stets ruf- und anrufbereit.

Bar 4: Süddtsch. Ztg. 13. 3. 1962 Schuhbars sind . . Werkstätten, in denen Schuhe im Schnellverfahren repariert werden; 1962 Berl. Ztg. Nr. 326 diese Schallplattenbar in der Friedrichstraße 112 wartet auf Sie; Carstensen 1965 Engl. Einflüsse 98 Bar ist heute nicht nur „1) Schanktisch 2) Trinkstube" (DF), sondern bezeichnet als zweiter Bestandteil eines Kompositums auch ganz andere Dinge: Schallplattenbar, Strumpfbar, Absatzbar usw.; Mittelbayer. Ztg. 27. 7. 1968 Schuh-Bar — Unter den Schwibbogen; ebd. 17.9.1969 Testen Sie unsere Lippenstift-Bar (beide AWB); ND 4. 10. 1972 1000 Schallplattenbars bringen die Kollektive des VEB Waggonbau Görlitz in diesem Jahr auf den Markt; 1977 Katalog d. Firma -PRESENT o. S. Das herzhafte Vesper hängt an der Wurstbar, und jeder kann sich zwanglos bedienen; Spiegel 8.1.1979 Die New Yorker Kaufhäuser beginnen, sich mit Hut-Bars auszurüsten; ebd. 12.9. 1988 Während Frauchen nach dem Shopping zur Happy Hour am Tresen hockt, kann ihr Hund derweil an der „Doggy-Bar" Wasser schlabbern und Hundecrakker knabbern (beide AWB); Lehnen 1990 Anglo-Amerikanisches 189 In Nachahmung der neueren amerikanischen Bedeutungserweiterung von bar bildete man im Deutschen Plattenbar und Strumpfbar 'Läden, in denen (Schall)Platten oder Strümpfe verkauft werden', ja sogar Absatzbar 'Laden, in dem Schuhabsätze sofort repariert werden'; MM 17. 8. 1995 Handwerker in der „City-Schuh-Bar" [hoffen,] . . daß es in der Absatz-Bar nicht mehr so heiß wird. RS

Bar 3a: Süddtsch. Ztg. 21.9.1963 Gläserschr. mit versenkbarer Flaschenbar (Anzeige); Welt 21. 9. 1963 Ford-Campingwagen Bj. 63 . ., kpl. Küche, Hausbar (Anzeige); Süddtsch. Ztg. 17. 8. 1974 Schimmerndes Magagoni . . mit versenkbarer Hausbar (alle AWB); Zeit 19. 7. 1985 je besser die Mädchen und Jungen laufen und greifen können, desto leichter entdecken sie . . den Alkohol in der Hausbar; Bälden 1990 Mädchen 21 passende Gläser und Eis fanden .. sich in der Minibar mit dem eingebauten Kühlfach; Weyden 1990 Träume 11 eine . . Bücherwand, in der Fernsehapparat, Plattenspieler, Radio und eine kleine Bar eingebaut waren. Bar 3b: 1967 Stern Nr. 39 „Reserviert für Vati! Weil Vati am liebsten Erdnuß-Topjes mag. (Und

Baracke

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Baracke F. (-; -n), im früheren 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. baraque (< span./katalan. barraca 'behelfsmäßige Hütte für Soldaten oder Zigeuner; aus Lehmziegeln und Stroh hergestellte Bauern- oder Fischerkate (in Valencia)', vermutlich zu provenzal./span. barra F. 'Querstange' (< gleichbed. vulgärlat. *barra) oder zu span, barro 'Lehm' (< gleichbed. vulgärlat. *ba.rruni); vgl. älteres gleichbed. engl. barrack), bis Mitte 18. Jh. auch in frz. Form Baraque, selten in den Schreibungen Barracke, Bar(r)ake. a Zunächst in der heute veralteten Bed. 'einstöckige, nicht unterkellerte, aus leichtem Material (wie Stroh, Reisig, Brettern und Holzstangen) gebaute provisorische Hütte, bes. im Feldlager oder an Stadtmauern errichtete Unterkunft für Soldaten sowie für Verwundete und Kranke'. b Seit Anfang 18. Jh. auch in der Bed. 'leichtgebauter, meist einstöckiger, nicht unterkellerter, aus vorgefertigten stockwerkshohen Wandtafeln, Holz- oder auch anderen leichten Bauteilen in Montagebauweise auf einem Fundament errichteter behelfsmäßiger Bau', z. B. Baracken aufstellen, schnell aufbauen, abreißen; in einer Baracke untergebracht sein, wohnen, hausen; eine winterfeste, massive Baracke, auch verwendet für 'Notunterkunft in einem Erdbebengebiet oder nach einem Beben' (s. Beleg 1816 — 17) oder 'dürftige Behausung für arme Bevölkerungsschichten' (s. Belege 1783, 1804), seit spätem 18. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Barakkenbau, -bewohner, -dorf, -kirche, -kolonie, -lager, -Siedlung, -spital, -Stil, -station; seit Ende 18. Jh. als Grundwort in Zss., in Verbindung mit Materialbezeichnungen, z. B. Bretter-, Holz-, Stein-, Wellblechbaracke, in Verbindung mit Hinweisen auf die Bewohner, z. B. Arbeiter-, Flüchtlings-, Gefangenen-, Hirten-, Mannschaftsbaracke, mit Hinweisen auf den Verwendungszweck, z. B. Bau-, Isolations-, Kontroll-, Küchen-, Verkaufs-, Wohnbaracke, mit Hinweisen auf Institutionen, z. B. Bahnhofs-, Pressebaracke, ferner in Zss. wie Chemie-, Elends-, Notbaracke. Dazu das vom früheren 19. (1838 bei Heyse) bis ins frühere 20. Jh. (1933 bei Genius) nur gebuchte intrans. Verb barackieren 'in Lagerstätten wohnen', Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung barackenhaft und in neuester Zeit die ugs. Personenbezeichnung Barackler M. (-s; -) 'Bewohner einer Barackensiedlung'. Baracke a: Freitag 1631 Architectural 50 Vor die Soldaten werden die Baracken nahe an den Wall angeordnet; Harsdörffer 1652 Trincir-Buch 192 Umb alle drey Baraquen herumb waren unterschiedliche Angebäude für die Musicanten; Birken 1657 Ostländ. Lorbeerhain 97 Wie dann auch dieser Adler so obenauf stehet auf eben der Baraque welche selbiger Götter-aufzüge Schauplatz wäre dazumahl zu sehen gewesen; 1691 Pfalz 41 b weilen sie nicht in den Häusern, sondern in Baraquen logirt gewesen; Stieler 1695 Zeitungs Lust 81 Baraques, sind kleine Soldaten Hüttlein/ in einer Festung unter dem innern Wall gleichsam angekleibet; Hübner 1704 Staats- u. Zeitungs-Lex. 247 Cazernes, Baraquen, seynd lange Gebäude mit vielen Stuben und Kammern, darinnen die Soldaten einer Festung einquartieret seynd, und werden diese Gebäude insgemein hinter die Wällle gesetzet; Wächtler 1709 Manual 48 Baraquen, (Baracken) Solda-

ten-Hüttlein/ z. E. in baraquen liegen; Marperger 1722 Altanen Ib die sogenannten Casernes oder Soldaten-Baräquen; Belemnon 1728 Bauernlex. 31 Baraquen (Baracken) Sind Wohnungen der Soldaten, in denen Vestungen, oder im Feld; Seume 1782 Schreiben a. Amerika (W. U 374) Die Fortifikationen und Blockhäuser, die Magazine, Offiziantenwohnungen und Baracken, geben der Stadt [Hallifax] noch das meiste Ansehen; Stieglitz 1792 Baukunst l 81 Baraken, sind Wohnungen der Soldaten an den Orten, wo starke Besatzungen liegen, die gemeiniglich zunächst an dem Zwinger angebracht sind. Es werden aber auch kleine Hütten von Stroh Baraken genannt, welche die Gestalt eines gemeinen Zeltes haben, und worunter die Soldaten im Felde liegen. Sie werden oft den Zelten vorgezogen, besonders im Herbst und im starken Regenwetter, weil die Soldaten darunter wärmer liegen; Heynatz 1796 Antibarbarus I 408 Feldhütten hat man sehr

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Baracke

unbequem für Barracken vorgeschlagen, welche wesentlich davon verschieden sind. Wenigstens ist der Ausdruck vieldeutig; 1798 Merkur III 57 Grosse Baraken, oder eine Art hölzerner Kasernen; Cancrin 1820 Militärökonomie U 194 Lagerkantonnements .. bestehen darin, dass man die Truppen, statt sie auf dem Lande zu vertheilen, Divisions- oder gar Korpsweise, bei grossern Orten, theils in den engsten Quartierungen, die nicht selten die Wirthe vertreiben, theils im Bivuak oder unter Baracken zusammenhält; Marx 1855 Untersuchungskomitee (MEW XI 164) Der ärztliche Stab hat die schreiendsten Greuel aus den Spitalzelten und Baracken entfernt; 1859 Allg. Mil.-Enc. II 438 Baracke, eine leichte Hütte, die die Truppen erbauen; Engels 1875 Offizielles Kriegsgeheul (MEW XVIII 582) Die Regierung hat alles getan, um die Truppen zu demoralisieren, namentlich durch deren Verlegung in Barackenlager, wo der Soldat im Winter weder exerzieren noch sonst etwas treiben konnte und sozusagen ausschließlich aufs Absinthtrinken angewiesen war; Remarque 1929 Im Westen 266 Unser Leben wechselt zwischen Front und Baracken; A. Zweig 1935 Erziehung 171 In ein paar Tagen traf der Urlauber wieder ein, dann mußte er seine Sachen packen und in die stickige und durchlärmte Baracke zurückwandern. Baracke b: 1702 (Siedlungsstudien II 29) den Colonisten . . aufzuerlegen, dass sie in einer jede paraque ein Kamin machen und das Fewer recht mit einer starken Brandmauer versehen; Lünig 1719 Theatrum cerem. l 824a Baraquen oder LauberHütten; Schink 1778 Marionettentheater 136 was das für 'ne lüderliche Wirtschaft auf den Parnas ist, es geht ärger zu, wie in den Baraken; Schlettwein 1781 Archiv 166 Daraus entstunden .. auf den großen Pläzen die einstockigte niedere Baraken, worinn Menschen und Vieh entweder faulen, oder sich zu einem langen Leben räuchern lassen mußten; Schiller 1781 Räuber (S. W. l 414) Wie ich von ungefähr so an einer Baracke vorbeigehe, hör ich drinnen ein Gezeter; Schlözer 1783 Stats-Anzeigen III 69 Sie mußten sich daher auch lange Zeit in elenden Hütten, Baracken genannt, aufhalten; Goethe 1786 Tagebücher (WA III 1,197) die lincke Seite [der Straße, die durch das Tor Porta Stupa führt] hat lauter Barracken; Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. l 727 Die Barake . . in noch weiterer Bedeutung zuweilen auch ein jedes schlechtes und kleines Haus; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland I 143 Pflanzstädte im ost- und norddeutschen Kolonialboden, sind mit Baracken umlagert; Matthisson 1804 Alpen (Sehr. VI 166) Diese Elenden wohnten in kleinen, dürftig zusammengeflickten Baracken; ders. 1808 Wallfahrt (Sehr. VI 268) [der

Triumphbogen des Augustus in Susa] Dieses wohlerhaltene Denkmal einer glänzenden architektonischen Aera wird nicht durch angeflickte heterogene Baracken entstellt, wie die Amphitheater zu Verona und NTmes; Goethe 1816—17 Italien. Reise (WA I 31,243) in der Nähe ihres [der Principessa di Satriano] Schlosses war eine Baracke gebaut, das heißt ein hölzernes einstöckiges Haus, unmittelbar auf den Boden aufgesetzt; übrigens tapezirt, möblirt und schicklich eingerichtet. Bei den ersten Anzeigen des Erdbebens flüchtete sie dahin; Bauer 1836 D. Überschwänglichen l 134 Arbeiter gedingt, zwischen Friedrichshafen und dem Feenschlosse ein Stück Feldes gepachtet und etliche Baracken eingerichtet; Kurz 1843 Schillers HeimatJahre l 79 ich bin ein alter Mensch und möchte ein eigen Haus haben, wenn's auch nur eine Baracke ist; Murger 1851 Zigeunerleben (Übers.) 20 Villon . . dieser lärmende Gast der Baracken der Rue Pierre-Lescot; 1861 Gartenlaube 303 Auf der anderen Seite des Friedhofes lagen nämlich einige Baracken schlechter Holzgebäude, welche in Ermangelung anderer Räume zu Filialspitälern eingerichtet waren; Schliemann 1876 Br. II 45 den Bau der hölzernen Baraques; Kretzer 1887 Timpe 173 er hat sämtliche alte Baracken hinter Ihrem Grundstück bereits vor Jahren angekauft und schlägt nun einen vierfachen Wert heraus; Eckstein 1898 Camilla 136 Ich begreife sehr wohl, daß eine malerisch eingerichtete Wohnung mit schön cassetirten Plafonds und persischen Teppichen mehr entzückt als die weiß getünchte Baracke des Arbeiters; Brod 1928 Zauberreich 404 Was hockt ihr da wieder in der großen Baracke, Papiere vor euch, Bleistifte in der Hand! Ein Literatenverein!; Berl. Hlustr. Nachtausg. 29. 8. 1933 Wohl ein Dutzend vom Arbeitsdienst stöberte ihn auf und brachte ihn zu den Baracken; Brecht 1949 Kreidekreis (Ges. W. V 2009) Die ganze Vorstadt mit den elenden Baracken wird abgerissen für den Garten; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 243) daß das Asylum, das sie zu Füßen der Burg an der Landstraße errichten konnte, vom Allererbärmlichsten war, nicht besser als eine Baracke, die ihr nicht einmal Raum bot, gesondert zu schlafen; Andersch 1952 Kirschen 41 ich dachte an die Tage, die ich in Dachau verbrachte, entsann mich des Anblicks der hellen, langgestreckten Baracken aus Zement; Koeppen 1953 Treibhaus 53 Keetenheuve wollte in die Pressebaracken schauen, aber Mergentheim würde noch nicht auf sein; ebd. 108 Er kannte Barackenlager und Nissenhütten, er kannte Bunkerwohnungen, Trümmerunterkünfte, Notherbergen, er kannte auch die Slums in London und die Kellergelasse im Chinesenviertel des Rotterdamer Hafens; Frisch 1957 Homo faber 66 eine amerikanische Baracke, gedeckt mit Wellblech, und die einzige Türe

Barbar war von innen verriegelt; Siiddtsch. Ztg. 11. 10. 1960 Als das Jahrhundert des kleinen Mannes hat einmal Präsident Truman unser Säkulum bezeichnet . . Um diese Menschenmassen, welche das Schicksal oder das Machtwort der Politik zusammengepreßt hatte, mit einem Dach über den gebeugten Köpfen zu versehen, baute man Barakken. Diese primitiven Gebäude sahen in bunter Folge: Deportierte, Vertriebene, Flüchtlinge, Evakuierte, politische Häftlinge, Zwangsarbeiter, Soldaten, Kriegsgefangene, Verwundete und Kranke zwischen ihren Brettern . . Der Einzug in eine Baracke bedeutet in aller Regel soziale Deklassierung . . sicher ist die Baracke ein politisches Kennzeichen unserer Zeit; Johnson 1961 Buch 268 sie überfuhren die Grenzen als wären sie nicht, und hatten doch einmal gestanden vor Baracken und Schlagbaum alle zusammen; Welt 1. 7. 1969 Shepard saß damals mit seinen sechs Astronautenkollegen in einem Zimmer der Baracke, in der Amerikas Raumfahrer ihre erste theoretische Ausbildung erhielten; Zeit 3.5. 1985 in einem Gewinkel von kleinen Läden, schmutzigen Kneipen, Kohlenlagern und Schrebergärten, stehen heute noch die niedrigen, baufälligen, einstöckigen Bruchbuden, die vieltürigen Baracken, in denen einst die landflüchtigen Proletarier der Jahrhundertwende

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wohnten; ebd. 2.5. 1986 ein Slum, in dem über hunderttausend Menschen in Autowracks, Wellblechhütten und längst verfallenen Baracken hausen; MM 3. 12. 1986 als Provisorium wollte Schmidt 1948 den künftigen Staat festschreiben, die Bundesregierung sollte in einem Barackenlager bei Helmstedt untergebracht werden; Zeit 1. 5. 1987 sie rauchen Haschisch, trinken Whisky, hören Country- und Soulmusik in ihren Baracken; MM 1.12.1987 eine 90 Quadratmeter große Baracke als Jugendtreffpunkt; Frankf. Rundsch. 7. 3. 1990 da macht es ihm schon gar nichts mehr aus, mitsamt seiner Redaktion in einer Baracke untergebracht zu sein, weit draußen vor der Stadt; 1990 Wochenpost V 16 f. in jeder Baracke schlief eine Arbeitsbrigade, das waren etwa 60 Menschen. barackenhaft: Federer 1911 Berge 29 drei Hotels, von deren Schwelle ein hochnäsiger Oberkellner einfache Schweizerleute . . gebieterisch abweist und höchstens in die barackenhafte Dienerstube drüben in der Dependence begnadigt. Barackler: Ossowski 1977 Flatter 16 Ein Siedlungsjunge, ein typischer Barackler, nicht mal eine Hose hat er über dem Hintern! (DUDEN 1993). RS

Barbar M. (-en; -en), auch Barbarin F. (-; -nen), im späten 13. Jh. entlehnt aus gleichbed. (m)lat. barbarus (< griech. 'jmd., der der heimischen Sprache unkundig ist, jmd., der nichtgriechisch, ausländisch, fremd ist; jmd., der ungebildet, unkultiviert ist', zu 'fremd, nichtgriechisch, unkultiviert, roh', lautmalende Bildung, vergleichbar mit altind. barbarah 'stammelnd'; vgl. bereits um 369 n. Chr. in der gotischen Bibel von Wulfila (Kol. 3,11) belegtes barbarus), anfangs in lat. (flekt.) Form, zuweilen auch in der PL-Form Barberen, bis ins 18. Jh. nach griech./lat. Vorbild noch anfangsbetont, dann unter frz. Einfluß allmählich mit Betonung auf der zweiten Silbe. l Zunächst als ethnischer Begriff in der Bed. 'jmd., der einem anderen Volk angehört, Ausländer, Fremder'; (aus griechischer Sicht) 'Nichtgrieche', (aus römischer Sicht) 'Nichtrömer', dann auch für den Zugehörigen zu einer anderen Religionsgemeinschaft, (aus christlicher Sicht) 'Nichtchrist, Heide', (aus jüdischer Sicht) 'Nichtjude, Nichthebräer', seit Ende 18. Jh. als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Halb-, Vollbarbar; Barbarenfürst, -horde, -land, -sitte, -stamm, -volk, -Zeitalter und -münze 'rohe Nachprägung von regulären griechischen und römischen Münzen durch Völkerschaften am Rande des antiken Kulturkreises, bei denen Bild und Schrift oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind' (—* Barbarismus 5). Dazu im früheren 16. Jh. die seltene gleichbed. Personenbezeichnung Barbarier M. (-s; -); seit Anfang 20. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Barbarenschaft F. (-; ohne PL) 'das Vorhandensein, die Anzahl und Verbreitung von Fremden in einem Land'. 2a Seit spätem 15. Jh. selten in der Bed. 'jmd., der die Sprache fehlerhaft gebraucht; jmd., der Fehler in Aussprache, Schreibung oder Flexion macht, einen Sprachfehler

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begeht oder hat; jmd., der Fremdwörter normwidrig verwendet', bes. in der Zs. Barbarenlatein (—> barbarisch 2a, —*· Barbarismus la und Ib); vgl. dazu den Anfang 16. Jh. aus gleichbed. (m)lat. barbarolexis entlehnten, zunächst nur in der lat. Literatur spätantiker Grammatiker belegten, heute veralteten grammatischen Terminus Barbarolexis F. (-; ohne Pl.) (zurückgehend auf griech. (s. o.) und $ 'das Sprechen, sprachlicher Ausdruck, Redeweise'), anfangs vereinzelt in der Form Barbaralexis, in der Bed. 'lautlich fehlerhafter Gebrauch von Fremdwörtern' (—» Barbarismus la und Ib); seit Anfang 19. Jh. das (auf griech. 'eine fremde Sprache redend, das Griechische fehlerhaft sprechend' zurückgehende) nur gebuchte, heute veraltete Adj. barbaroglottisch 'fremdsprachig redend' (—» Barbarismus Ib). Dazu seit Ende 18. Jh. die subst. Präfixbildung Antibarbarus M. (-; Antibarbari) 'an die im Mittelalter verbreitete lateinische Vorlage anknüpfendes philologisches Lehrbuch, das sich gegen fehlerhaften Sprachgebrauch und gegen normwidrige oder zu häufige Verwendung von Fremdwörtern richtet und Anleitung zu richtigem Sprachgebrauch gibt', auch als Titel verwendet (s. Beleg 1796) (vgl. Lexicon antibarbarum, —» barbarisch 2a, —»· Barbarismus la und Ib), vereinzelt auch übertragen verwendet (s. Beleg 1931). b Seit früherem 18. Jh. auch in der Bed. 'jmd., der eine fremde Sprache spricht'. 3a Seit frühem 15. Jh. stark negativ bewertend in der Bed. 'wilder, roher, gewalttätiger, grausamer, inhumaner Mensch, Rohling', z. B. hausen wie die Barbaren; zuweilen als Schimpfwort verwendet, z. B. du Barbar!, solch ein Barbar! (s. Belege 1843, 1864, 1956), auch in der ugs. Wendung jmd. ist kein Barbar 'jmd. ist nachsichtig, drückt ein Auge zu' (s. Beleg 1887), als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Barbarenherrschaft, -horde, -invasion; Halb-, Vollbarbar (—> Barbarei 3a). b Etwa seit Anfang 20. Jh. speziell im politischen Bereich bezogen auf den jeweiligen Gegner, dann bes. den Charakter der Nationalsozialisten enthüllend (s. Beleg 1934; vgl. auch Zss. wie Nazibarbaren); gelegentlich als Schmähwort der Nationalsozialisten gegen die von ihnen verfemten Künstler verwendet (s. Beleg 1935), aber auch als Selbstbezeichnung (s. Beleg 1946) (—* Barbarei 3b). 4a Seit spätem 15. Jh. stark abwertend gebraucht in der Bed. 'ein auf einem bestimmten Gebiet kein Wissen und keine Kenntnisse habender Mensch, Ungebildeter', z. B. ein musikalischer Barbar; seit Mitte 18. Jh. auch in der Bed. 'kulturloser Mensch', bes. in Zss. wie Kultur-, Kunstbarbar (—» Banause, —»· Barbarei 4a). b Seit späterem 18. Jh. im Zusammenhang mit der Vorstellung kulturhistorischer Entwicklungsabläufe, bes. im Hinblick auf Kulturzustand, Moral, Verhaltensweisen und Denkformen, übertragen, zuweilen leicht negativ wertend verwendet zur Kennzeichnung eines Vertreters der frühen Epoche der Menschheit in der Bed. 'der Primitive', aus der Sicht der Renaissance und Aufklärung im Hinblick auf das Mittelalter für 'der Rückständige', speziell zur Kennzeichnung der nicht-antiken Welt von Goethes Faust im Unterschied zur hohen Kunst der klassischen Antike in der Bed. 'der Archaische, Urtümliche' (—* Barbarei 4b). c Seit frühem 20. Jh. im Bereich von Kultur, Kunst, Musik, positiv wertend, in Anlehnung an die bewußte Rückbesinnung auf die Anfänge des eigenen Volkes, in der Bed. 'der Primitive, Anfängliche, der lebenspendende Erneuerung bewirkt' (—» Barbarei 4c).

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5a Vom frühen 17. bis ins frühe 19. Jh. auch in engerer Bed. 'Bewohner der früher wegen Seeräuberei und Sklavenhandel gefürchteten Barbareskenstaaten Marokko, Algerien, Tunesien; Berber Nordafrikas' (—» Barbarei 2, —»· barbarisch 5a) mit der Anfang 17. Jh. selten belegten gleichbed. Personenbezeichnung Barbarist M. (-en; -en) 'Bewohner Afrikas, Berber' und dem im späten 18. Jh. eventuell über gleichbed. frz. barbaresque aus gleichbed. ital. barbaresco entlehnten, heute veralteten Adj. barbaresk 'zum Volk der Berber gehörend', oft subst. die Barbaresken Pl. und als Bestimmungswort in Zss. wie Barbareskenflagge, -segel, -Staaten, -stamm, -volk (—»· barbarisch 5a). b Bereits vom früheren 16. bis ins späte 19. Jh. in der Bed. 'Reitpferd einer in Nordafrika gezüchteten Pferderasse, Berber' (—»· Barbarei 2, —» barbarisch 5b). Dazu seit Ende 18. Jh. die subst. Ableitung Barbarentum N. (-; ohne PL), anfangs in der Form Barbartum, 'das Vorhandensein, die Anzahl und Verbreitung von Fremden in einem Land, Gebiet' (zu 1); seit späterem 19. Jh., in bezug auf den Frühzustand der Gesellschaft für 'das Anfängliche', aus der Sicht der Renaissance und Aufklärung im Hinblick auf das Mittelalter in der Bed. 'das Rückständige' und zur Kennzeichnung der nicht-antiken Welt von Goethes Faust im Unterschied zur hohen Kunst der klassischen Antike für 'das Archaische, Urtümliche' (zu 4b), im späten 19. Jh. für 'Kulturlosigkeit, Primitivität' (zu 4a), seit frühem 20. Jh. auch negativ wertend für 'Gewaltherrschaft des politischen Gegners', bes. für 'Diktatur der Nationalsozialisten', z. B. das deutsche Barbarentum (—» Barbarei 3b) (zu 3b), auch für 'Art und Verhalten eines Barbaren, Roheit, Grausamkeit' (zu 3a). Barbar 1: Ulrich v. Eschenbach 1280-84 Alexander 258 gegen der stat üf der flühte vart der barbarön gevangen wart von Thedalün, der fürste von Gäzön; um 1350 Ostdtsch. Apostelgesch. 108 f. do irkante wir, das das werder Micilena was genant und dy barbari, dy da wonten, dy pflagen uns nicht cleynr mitsamkeyt . . do dy unwissende barbari dy owdechse sagen hengen an synr [des Paulus] hant, do sprachen sy zusamne . . do vormuten dy barbari sich des, das er .. solde danach balde vallen und sterben; Jacob Twinger v. Königshofen 1415 Chronik Straßburg (Chroniken d. dtsch. Städte Vlll 358) Der 31. Keyser . . richsete 6 jor und 4 monate. dirre überwant zwene künige und vertreip die barberen und die heyden us dütschen landen .. mit vil striten; Paracelsus um 1530 Auslegung d. Psalmen (S. W. // 5,175) an dem tag scheiden sich voneinander die zwo nation, glaubig und ungläubig, das haus Jacob bedeut das haus Christi, das volk barbari bedeut das volk der Unvernunft, die nach irer Vernunft gelebt haben und nit nach der forcht gottes; Luther 1543 Juden (WA Llll 420) Ein Grieche und nicht ein ungriche oder Barbarus; Thurneysser 1583 Onomasticon 11 48 die wilden Muscowitischen Leut, die wir hier für Barbaros halten; Moscherosch 1642 Visiones 180 das bey den gröbsten Barbaren mehr Freundlichkeit/ vnnd bei den Croaten mehr Ehr vnd Redlichkeit zuhof-

fen seye; Leibniz 1670 Denkschr. Reich (Dtsch. Sehr, l 57) Es wird sich ein anderer Streit erheben, nicht wie einer dem ändern das Seinige abdringen, sondern wer am meisten dem Erbfeind, den Barbaren, den Ungläubigen, abgewinnen, und nicht allein sein, sondern auch Christi Reich erweitern könne; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 74 noch verlangen wir [die Christen] . . Barbaros in vnsere Hand zu spielen, vnser Hauptzihl ist die Ehr Gottes zu befürdern, die Christliche Kirchen zu erweitern; Spener 1685 Klagen (Sehr. IV 136) wie die rechtgläubige von den falschglaubigen unt Barbaren in einigem guten übertroffen würden/ sie aber mit vielen lästern überträffen; Morhof 1700 Unterricht 21 Denn gleich wie der Ursprung der Philosophie von denen den Griechen so genannten Barbaris genommen, so sind auch die Sprachen als vehicula scientiarum . . von ihnen fortgepflantzet; Nicolai 1755 Br. ü. schön. W/55. 28 So wie ein ieder, der kein Grieche war, ein Barbar hieß, so ist ein ieder, der kein Franzose ist, ein Etranger; Weinlig 1784 Rom W 64 Vorwurf der Römer, die Goten als „Barbaren" zu betrachten; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 130) Der Fremdling ist schlechter, als wir, ist Barbar. In diesem Verstande war Barbar das Losungswort der Verachtung: ein Fremder und zugleich ein Unedlerer; Goethe 1795 Rom. Elegien (WA l 1,235) Mutter und Tochter erfreun

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sich ihres nordischen Gastes, Und der Barbare beherrscht römischen Busen und Leib; 1799 Allg. geograph. Ephemeriden IV 75 Die zum Christenthum bekehrten Indianer, welche man getreue Geschworne (Fideles), dagegen die Wilden Barbaros, auch Infideles, oder Bravos nennt; Jenisch 1801 Obelisk 47 Anm. Auch dem armseligen Ägypter ist, wie dem alten Griechen und Römer, alles Barbar, was nicht seines Volksstammes ist; Goethe 1811 Hackert (WA I 46,182) Die durch Wohlleben und Prachtlust entnervten Griechen waren nicht im Stande das Feld gegen die kühnen Barbaren von Spanien und Africa zu halten; ders. 1827 Elpenor (WA 111,8) Den Bogen und den reichbeladnen Köcher/ Gab sie mir; von Barbaren/ Gewann ihr Vater ihn; Engels 1878 Anti-Dühring (MEW XX 96) Daß Griechen und Barbaren, Freie und Sklaven, Staatsbürger und Schutzverwandte, römische Bürger und römische Untertanen . . einen Anspruch auf gleiche politische Geltung haben sollten, wäre den Alten notwendig verrückt vorgekommen; Raabe 1881 S. W. II 5,487 wie es der hübschen Halbbarbarin [Vater: Deutscher, Mutter: Kreolin] nur selten an einem passenden Worte auf jede Frage . . mangelte; Kraus 1896 Br. Beil. Nr. 26 [da die] Ohnmacht des römischen Imperiums, die immer bedrohlicher werdenden Invasionen der Barbaren den baldigen Zerfall des römischen Reiches ahnen Hessen; Schmilz 1911 Brevier 237 sprachen noch jahrelang die Römer von diesem Einfall teutonischer Barbaren; Curtius 1921 Barres 217 So türmte Rom den Limes gegen die Barbaren; Plenge 1921 Propaganda 50 Der Stolz der Hellenen auf seine [des Perikles] Kultur, die Siegesgewißheit, mit der er [Perikles] sie den „Barbaren" gegenüber vertrat, könnte das Vorbild der französischen Kulturpropaganda gewesen sein; Vegesack 1947 Weltgericht 33 unser Campanile ist ja bekanntlich . . von . . einem Deutschen, also einem Barbaren, erbaut worden . . Und diese Barbaren sind ein armes, einfältiges Volk: sie wachsen in einem Lande voller Nebel und ohne Sonne auf . . So bauten die Barbaren den schiefen Turm [zu Pisa]; Henneke 1952 Formwandel 349 während die mit den Errungenschaften der städtischen Zivilisation noch unbekannten Germanen nach wie vor als „Barbaren" galten; Näf 1954 Bilder 165 Die Barbaren der Völkerwanderung hatten es mit Kunst vor allem dort zu tun, wo es welche zu zerstören gab; FAZ 5. i. 1995 Erste Anzeichen für eine generalisierende Ablehnung der Barbaren entdeckt Dihle in Zeugnissen aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges bis 404 v. Chr. Barbarenschaft: 1910-11 Pan l 685 [Kolonien bedeuten] eine Stärkung sozusagen der inneren Barbarenschaft.

Barbar(en)tum: Voß 1795 Luise Anm. 76 Bärbar die ältere Form von Barbär, bei den schlesischen Dichtern und Ramler daher Barbarei, Barbarschwert, Barbarthum. Barbarier: Boner 1533 Thucidides (Übers.) Ib Sonder nennet sie Dannaos vnd Argiuos vnd Acheyos inn seinen gedienten/ vnd haysset sie doch nit Barbarier; ders. 1541 Plutarchus (Übers.) II 4b Ehs mochten auch die nechst gelegnen prouintzen vnd nationen der Barbarier/ die dienstbarkeit/ nicht wol leiden. Barbar 2a: Melber 1481 Voc. o. S. Barbar . . ein grober in der sprach, no eloquens; Henisch 1616 Teütsche Sprach 187 f. Barbari . . sind im Anfang genant worden/ diejenige so nicht wol haben reden können/ als die statzger/ lispler/ stamier .. auch vnter denen/ welche den rechten außsprach nicht gehabt haben; 1743 Beytr. z. krit. Historic d. dtsch. Sprache VIII 545 nicht aber nur in zwo erstorbenen Sprachen ein Meister sey, in den lebendigen hergegen, ja in der eigenen Muttersprache, ein Barbar bleibe; Lafitau 1752 Sitten I 493 Es ist wahr, daß die hernachmaligen Griechen den Namen der Barbaren .. denen Völkern beigeleget, . . die zwar die ihrige [Sprache] gesprochen, solche aber, entweder durch eine Vermengung verschiedener, von Ausländern und durch den Umgang mit denen unter dem Namen Barbaren begrifnen Völkern, angenommener Worte, oder mit einem groben und verdorbenem Ton, übel gesprochen; Ersch/Gruber 1818-39 Allg. Enc. I 7,346 Barbar . . ein bei den Athenern gebräuchliches Wort, womit man der Ausländer spottete, wenn sie das Griechische nicht mit der gehörigen Feinheit und Geläufigkeit der Zunge zu sprechen vermochten; Kleinpaul 1892 Sprache 208 Seit alter Zeit gelten die Barbaren für Leute, die entweder gar nicht oder doch nicht ordentlich sprechen können, das besagte das griechische , das so deutlich an , kollern, und an das lateinische balbutire, stammeln, anklingt - die Barbaren stehen da wie Klötze, wie Stöcke, wie Mehlsäcke, daher heissen sie (wie die Deutschen in Russland) Njemetz, die Stummen, die Sprachunfähigen; oder (wie die Sklaven auf Cuba, die kein Spanisch können); Reitzenstein 1963 Städte 23 ein feuriger Bischof, Arbeo. In einem der Regel spottenden, verwaschenen Barbarenlatein beschreibt er die Taten der beiden Thaumaturgen von Regensburg und Freising; Spiegel 6. 2. 1995 Die Griechen selbst nannten ihre Feinde in Asien und Afrika Barbaren — zu deutsch: die Lallenden. Barbarolexis: Hartlieb 1500 De fide meretrium (Zarncke 1857 D. dtsch. Universitäten 84) Barba-

Barbar ralexis Samuelis ex monte rutilo in discretes procos; Gill 1621 Legonomia Anglica 107 De Barbaralexi; 1956 Gedenkschr. Kretschmer l 181 barbarolexis; 1980 Lex. d. Mittelalters l 1439 Zum Unterschied vom barbarismus, der lautlich unkorrekten Form lateinischer Wörter, wird die Barbarolexis — um für das MA Wichtiges hervorzuheben — definiert 1. vom Donatkommentator Pompeius (5. Jh.) als Verwendung von lautlich unkorrekten „fremden" Wörtern (verba peregrina), 2. von Consentius (5. Jh.) einfach als Verwendung von verba peregrina im iat. Text; 1992 Hist. Wb. d. Rhetorik l 1281 Im Bereich der verba singula wird insbesondere die Barbarolexis, der Gebrauch unlateinischer Wortkörper und Wortbedeutungen (verba peregrina, gemeint sind damit Asianismen, weniger jedoch Attizismen) getadelt. Antibarbarus: Heynatz 1796 Versuch eines Deutschen Antibarbarus (Titel); ebd. l Vorr. VI Gelehrte wissen, .. daß Christoph Cellarius einen lateinischen Antibarbarus geschrieben hat, worin alle lateinische Wörter angezeigt sind, die ein guter Lateiner meiden muß . . Natürlich muß ein Deutscher Antibarbarus ganz anders ausfallen, als ein lateinischer; ders. 1797 Antibarbarus II 711 Kurzsichtige Leute haben meinen Antibarbarus wegen der ihrer Meinung nach daraus hervorblickenden Belesenheit gelobt; Pfeiffer 1931 Humanitas Erasm. 24 der menschliche Geist . . als der ewige Antibarbarus in allen Zeiten andringender Barbarei; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 13 [die] „Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen" .. bildet im Deutschen den Höhepunkt jener jahrhundertealten Tradition sogenannter Antibarbari, die der Bekämpfung von „Barbarismen" in Sprache und Stil dienten: Negativzusammenstellungen speziell stilistischer Fehler und Unschönheiten, die vor allen Dingen abschrecken sollten. Barbar 2b: Zedler 1733 Universallex. 111 391 Daß die Egyptier die Völcker, welche nicht ihre Sprache geredet, barbaros genennet, berichtet Eutropius in Euterpe. Die Griechen nennten gleichfalls die ausländischen Völcker, die nicht ihre Sprache redeten, Barbaros; Lafitau 1752 Sitten I 493 Es ist wahr, daß die hernachmaligen Griechen den Namen der Barbaren . . denen Völkern beigeleget, welche solche Sprachen geredet, die der ihrigen ganz und gar fremde waren; Adelung 1793 Gramtnat.-krit. Wb. l 728 Der Barbar . . Eigentlich, in welcher Bedeutung dieses Wort bey den Griechen und Römern üblich war, ein Ausländer von einer fremden Sprache; FAZ 3. 1.1995 „Barbar" besagte also zunächst nur, daß der so bezeichnete Fremde eine unverständliche, also nichtgriechische Sprache

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sprach, ohne ihn sonst irgendwie zu qualifizieren oder gar zu disqualifizieren. Barbar 3a: Jacob Twinger v. Königshofen 1415 Chronik Straßburg (Chroniken d. dtsch. Städte IX 618) Sü [die Eroberer Roms] brechent die kirchen auf und noment die keliche und patenenen und messe gewant . . und schuttent das heiltuom uf die erde oder in den dreg, das doch hievor böse heyden und barbaren nüt hant geton; Henisch 1616 Teütsche Sprach 187 f. Barbari . . sind . . genant worden/ diejenige . . so wild/ grob/ vnd ungeschickt gewesen; Gottsched 1725 — 26 Tadlerinnen I 126 Wie hat sich dieser Barbar einbilden können, daß der allerliebreichste Vater und die allerzärtlichste Mutter . . fähig seyn könnten, ihr allerliebstes Kind .. der Schande zu überlassen (REICHEL); Geliert um 1760 S. Sehr, l 139 denn welchen mann, er sei auch zehnmal ein barbar, weiß nicht ein weib durch thränen zu bewegen? (DWB); Schiller 1781 Räuber (S. W. l 380) Amalia bewegt. Ja wahrhaftig, ich gesteh es. Euch Barbaren zum Trutz will ichs vor aller Welt gestehen — ich lieb ihn! [Karl Moor]; Goethe 1786 Tagebücher (WA 111 1,308) Denn auch Italien ist noch nördlich und die Römer waren auch nur Barbaren, die das Schöne raubten, wie man ein schönes Weib raubt; ders. 1786 Er. (WA IV 8,46) Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister des neuen Roms verwüstet; ders. 1787 Iphigenie (WA I 10,32) Diana sehnet sich/ Von diesem rauhen Ufer der Barbaren/ Und ihren blut'gen Menschanopfern weg; ebd. 10,84 Du glaubst, es höre/ Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme/ Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus/ Der Grieche, nicht vernahm!; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 15) Wer ists, dem bei einem zuckenden, wimmernden Gequälten . . dies Ach nicht zu Herzen dringe? wer ist der fühllose Barbar?; Schlabrendorf 1804 Sendschreiben 254 Wie läppisch und ekelhaft zugleich! dies heuchlerisch-wichtige Benehmen [des Großrichters] ist das, eines listigen, ängstlichen, schwächlichen Barbaren, der den Hang zur Grausamkeit hinter Formalitäten der Justiz verbergen will; Adelung 1806 Gesch. 296 der Barbar grenzt . . weit näher an das reissende Thier, als an den durch Kenntnis, Sitte und Geschmack veredelten Weltmann; Goethe 1828 Faust II (WA I 15.1,199) Man schilt das Volk Barbaren, doch ich dächte nicht/ Daß grausam einer wäre, wie vor Ilios/ Gar mancher Held sich menschenfresserisch erwies; Bauernfeld 1836 Tagebuch (Ges. Sehr. IV 33) Ich fühle einen wahren Grimm gegen ihn. Er ist ein Barbar, ein Tyrann; Kurz 1843 Schillers HeimatJahre l 139 Und du willst ihn morden, Barbar?; Engels 1845 Lage d. arb. Klasse (MEW II 405) Der Herr des Leibeigenen war ein Barbar, er betrach-

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Barbar

tete seinen Knecht wie ein Stück Vieh; Raabe 1864 Hungerpastor 79 Solch ein Tyrann! solch ein Barbare; und es ist doch Ihr Kind, Base, nicht seins!; Gerstäcker 1872 Gardinenpredigten 38 ein herzloser und gefühlloser Barbar bist Du; Nordau 1881 Paris II 281 Wenn jedoch der Fremde räuberisch, bewaffnet, eine blutrünstige Barbarenhorde, über die Grenze breche und die gierigen Finger nach den Reichthümern des Landes ausstrecke, dann — „wehe, wehe dem Fremden!"; Perfall 1887 Verhältnis 135 Ich habe auch kein Geld zu verschenken. Bin übrigens kein Barbar, und wenn der Mann nicht pünktlich ist mit seinen Raten, drücke ich auch . . ein Auge zu; Proelss 1891 Modelle 102 Sie . . nannte .. den allerdings nicht sehr höflichen Keil einen kalten, hartherzigen Barbaren; Kemmerich 1910 Dinge 4 f. Au fond blieben die Ritter [des Mittelalters] eben doch gepanzerte Barbaren; Sternberger 1938 Panorama 115 einem Barbaren, . . welcher sein Kind an den Felsen zerschlug, weil es einen Korb mit Seeigeln hatte fallen lassen; Remarque 1956 Obelisk 28 „Du bist ein Barbar", sagt Georg Kroll. „Du beleidigst den Mann mit seinem Beruf"; Heym 1969 Lassalle 158 Sie dachte .. daß Yanko zu drei Vierteln Barbar war und daß sie allein war und verloren. Barbarentum: Süddtsch. Ztg. 30. 10. 1948 Allein die Atombombe verhindere gegenwärtig ein neues Barbarentum in Europa. Barbar 3b: 1911 Grenzboten III 229 bei uns „deutschen Barbaren"; Waetzold 1915 Begriff d. Barbarischen (1995 Mitteil, d. Dtsch. Germanistenverbandes I 120) Als dann aus dem feindlichen, ja auch aus dem neutralen Ausland, immer vernehmlicher das Schmähwort „Barbaren!" zu uns herüber scholl, nahmen wir es gelassen hin als ein Anzeichen dafür, daß mit dem Erwachen uralter Volksinstinkte auch eines der ältesten geschichtlichen Schlagwörter von neuem lebendig geworden ist; Luxemburg um 1917 Reden l 391 „Die deutschen Barbaren!" — wie wenn nicht jedes Volk, das zum organisierten Mord auszieht, sich in demselben Augenblick in eine Horde Barbaren verwandelte; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 169) heute in Deutschland Heldentum zu präsentieren, Sonnwendfeiern und Odinsgottesdienste zu begehen, sich als völkischer Barbar aufzuführen; Hauptmann 1924 Insel 13 Viele von Ihnen lieben ja Deutschland, das Land der Barbaren, nicht; Keyserling 1926 Welt 72 f. weder die Bolschewistennoch die Fascistenführer sind Kulturvorbilder. Mit Recht sehen die gebildeten Italiener in jenen Barbaren und Barbarisierer; Lokal-Anz. 12. 9. 1934 Obwohl die Emigrantenpresse in Prag und Oslo, Paris und London und ein Großteil der diesen Kreisen

nahestehenden Zeitungen des Auslandes seit Übernahme der Macht durch den Nationalsozialismus . . vor Besuchsreisen ins Land der „Barbaren" warnt; Dtsch. AZ. 3. 2. 1935 Eine so deutsche Kunst wie die Noldes etwa und der „Brücke" (Hekkel, Schmidt-Rottluff, Kirchner) stößt in allen Ländern mit romantischem Formgefühl auf stärksten Widerstand, man empfindet diese Künstler als „Barbaren"; Münch. N.N. 21.11.1939 Das „Journal" behauptet, daß deutsche Flugzeuge in Frankreich vergiftete Bonbons abgeworfen hätten und daß die Militärbehörden vor allem alle Mütter und Kinder warnen, daß ja niemand die von den deutschen Barbaren verstreuten Bonbons aufsammle oder gar esse; Süddtsch. Ztg. 26. 2. 1946 Der Ausspruch Hitlers: „Wir sind Barbaren, wir wollen Barbaren bleiben, das ist ein Ehrentitel" war das Leitmotiv für die Plünderungsaktionen in den besetzten Ostgebieten; Molo 1950 Tag 32 allerschwerstes Unrecht ist uns widerfahren, widerfährt uns täglich neu, seit es dem Wahnsinn grosser Teile der Erdnationen beliebte, uns — die wir mit Recht geachtet unter den Kulturvölkern standen,. . — als „Barbaren",. . als „Lügner" .. zu bezeichnen; Hiller 1950 Köpfe 189 Herr Gerhart Hauptmann begann mit den „Webern" und endete mit faulem Olympiertum, das mitten unter Barbaren feige schweigt; Benz 1995 Fremdenfeindlichkeit (1995 Mitteil, d. Dtsch. Germanistenverbandes l 52) Die Kennzeichnung als Barbaren hing [im frühen 20. Jh.] . . den Deutschen an, aber sie fühlten sich nicht sonderlich beschwert davon. Der Kunsthistoriker Wilhelm Waetzold machte gar einen Ehrentitel daraus. Barbarentum: Th. Mann 1914 Nachtr. (W. XIII 544) man sieht in deutscher Art ein Barbarentum, dessen Kraft gewaltsam und ohne Ansehen der Mittel gebrochen werden muß; 1916 Deutschland u. Katholizismus I 2 Verleumdungen der Gegner über unser „Barbarentum"; Heuss 1963 Erinn. 223 aber das Gerede vom „Barbarentum" der Deutschen war schon im Umlauf, bedrohte auch die neutralen Staaten — mit dem reizvollen Zeigen feiner deutscher gewerblicher Arbeit, Möbel, Keramik, Metallgeräte, Textilien, Schmuck und so weiter glaubte man dem entgegenwirken zu können. Barbar 4a: Melker 1481 Voc. o. S. Barbar . . ein vngelerter. kunstloser, vnuernunfftiger; 1671 (Morf 1903 Dichtung l 223) Man würde meinen, es wohne gegenwärtig aller Geist und alles Wissen der ganzen Welt in unserer Mitte und alle Völker wären Barbaren im Vergleich mit den Franzosen; Bodmer/Breitinger 1721 Discourse d. Mahlern I A 2r (l. Discours) Es hilfft einem Scribenten nichts dass sein Buch gut seye/ wenn der Leser ein Bar-

Barbar bare; Gottsched 1754 Vorübungen d. Beredsamkeit 224 gegen dieselben [Virgils Hexameter] dünket mich Klopstock mit den Seinigen, ein Barbar zu seyn (REICHEL); Thurneysen 1760 Glückseligkeiten (Übers.) 68 was vornehmlich gesittete Völker und aufgeklärte Geister von den Barbaren unterschieden; wodurch sie erleuchtet und gesittet, . . beglückt worden . ., alldieweil die Barbaren . . in überschwänglichem Reichtum . . aus Mangel an Zucht und Gelehrsamkeit in den Finsternissen des Irrtums und Aberglaubens verstricket geblieben; Goethe 1790 Tasso (WA I 10,221) Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst,/ Der die Talente nicht um sich versammelt:/ Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt,/ Ist ein Barbar, er sei auch wer er sei; Hölderlin 1797-99 Hyperion (S. W. Ill 153) So kam ich unter die Deutschen . . Wie anders [als dem blinden Oedipus vor den Thoren von Athen] gieng es mir! Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls; Seume 1806-07 Apokryphen (W. II 99) Nach dem Kalabresen halte ich den Deutschen in seiner Vornehmheit für den größten Barbaren in Europa; Nietzsche 1873—76 Unzeitgemäße Betrachtungen (W. l 148) er [Hölderlin] konnte nicht ertragen, daß man noch kein Barbar ist, wenn man ein Philister ist . . Ja, man gibt zu, Philister zu sein, — aber Barbar! Um keinen Preis. Der arme Hölderlin hat leider nicht so fein unterscheiden können; Nürnberger 1877 Herzenssachen 355 Es wäre eine Schande, wenn wir sie nicht hätten; ohne Statuen wären wir so wenig cultivirt wie die Ungarn ohne ungarische Oper; wir wären „Barbaren"; Hanslick 1894 Leben l 253 [Gottfried Keller] erklärte sich für einen musikalischen Halbbarbaren; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 730) Sie haben sich benommen wie ein Vandale, wie ein Barbar, Sie sind ein amusisches Geschöpf, Buddenbrook; Richter 1909 Kunsterz. Gedanken 46 dass unsere heutigen Gebildeten in der Kunst die reinen Barbaren geworden sind; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 163) Goethe ist nicht der Barbar, die Beschäftigung mit der Sprache und mit den Sprachen als Bildungsmittel überhaupt zu verachten; ders. 1922 Reden u. Aufs. (W. X 623) er [Hamsun] ist kein Barbar und Reaktionär, er predigt nicht Analphabetentum und Finsternis; Werfet 1924 Verdi 42 Wenn sie singen wollen, zeigen diese Überzivilisierten, daß sie Barbaren sind; Th. Mann 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 707) die ästhetischen Apercus und Urteile Nietzsche's seien oft von bewundernswerter Feinheit, in moralischpolitischen Dingen aber sei er ein Barbar; Remarque 1956 Obelisk 217 Was wissen Sie schon von der exquisiten Geistigkeit unserer Kirchenväter, Sie junger Barbar? (DUDEN 1993); Frisch 1957 Homo

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faber 37 ich sei ein Egoist, ein Rohling, ein Barbar in bezug auf Geschmack; Grass 1959 Blechtrommel 409 hatte doch ein Barbar dem Schrank hastig und splitterreißend die Füße abgesägt, um ihn platt und verzogen auf die Dielen zu stellen; Kühn 1975 Zeit 77 Karoline bekam sichtlich Achtung vor diesen Leuten, die man als kulturlose Barbaren beschimpfte (DUDEN 1993); Geiss 1994 (Studia Germanica Gedanensia 11 13) Wer sich zivilisatorisch subjektiv anderen überlegen fühlt, schaut auf alle „unter" ihm herab, als „Barbaren" oder „minderwertig". Gerade die Deutschen litten stets unter [der] Spannung eines Minderwertigkeitskomplexes gegenüber Italien und Frankreich, von wo sie wesentliche Elemente ihrer Kultur empfingen. Barbarentum: 1888 Wien II 189 Das unter dem Firniss europäischer Cultur wenigstens theilweise schlummernde Halbbarbarenthum der höheren . . Stände Polens. Barbar 4b: Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 8) Aber unsere Uraltem waren Barbaren; Herder 1780 Einfluß (S. W. IX 391) Als die Barbaren Europa überschwemmt und verdunkelt hatten, wars nichts, als Wissenschaft, die dem ganzen unruhigen Meer Licht und Stille geben konnte; Meiners 1786 Grundriss Vorr.[aj 2b fassten unter der Geschichte der Menschheit Untersuchungen über den Zustand und das Leben von Wilden und Barbaren; Schlegel 1795-97 Griech. Poesie (Krit. Sehr. I 95) Diese Heiligkeit schöner Spiele und diese Freiheit der darstellenden Kunst sind die eigentlichen Kennzeichen echter Griechheit. Allen Barbaren hingegen ist die Schönheit an sich selbst nicht gut genug . . Nichtgriechen ist die Kunst nur eine Sklavin der Sinnlichkeit oder der Vernunft; Goethe 1796 Br. (WA IV 11,22) Italien lag in dem 15. Jahrhundert mit der übrigen Welt noch in der Barbarey. Der Barbar weiß die Kunst nicht zu schätzen, als in so fern sie ihm unmittelbar zur Zierde dient . . Und sind wir nicht auch wieder als Barbaren anzusehen? da nun alle unsere Kunst sich wieder auf Zierrath bezieht; Schleiermacher 1800 Monologen (W. IV 465) O der nordischen Barbaren, die das schöne Klima nicht kennen, wo zugleich glänzt die Frucht und die Blüte; Steffens 1817 Gegenwärtige Zeit I 9 Denn die schöne griechische Sprache war verstummt, die römische verstümmelt und verunstaltet, die heitere Weisheit, die tiefe anmuthige Kunst der Griechen blieb den Barbaren unbekannt; Goethe 1827 Gespr. Eckermann o. S. es können noch ein paar Jahrhunderte hingehen, ehe bei unseren Landsleuten so viel Geist und höhere Cultur eindringe und allgemein werde, daß sie gleich den Griechen der Schönheit huldigen .. und daß man von ihnen wird sagen können, es sey lange her,

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Barbar

daß sie Barbaren gewesen (GWB); Treitschke 1897 Politik I 120 Diese Kolonie [Ostpreußen] hatte das Glück im festen Zusammenhang mit dem Mutterlande zu bleiben, und aus ihr, die zuerst nur ein tapferes Vorland war gegen die Barbaren, mit einer mannhaften aber einseitig banausischen Geschichte, ist eine ganz andere Welt geworden, das Land Kant's und Herder's; Haeckel 1904 Lebenswunder 214 die Entwicklung des Schönheitsgefühls beim Menschen, ontogenetisch vom Kinde zum Erwachsenen, phylogenetisch vom Wilden und Barbaren zum Culturmenschen und Kunstkritiker; 1955 Almanach Aufbau 68 Der historische Mensch . . wird .. niemals wieder der Urmensch .. Er wird ein dekadenter Barbar mit wohlbekannter, historisch eingeordneter Trieb-Psychopathie; Zeit 18. 10. 1985 Beckmann, der einigen französischen Kunsthistorikern heute noch als teutonischer Barbar und quantita negligeable gilt. Barbarentum: Prutz 1862 Menschen 46 Das antike Bewusstsein im Gegensatz zum Barbarenthum; Engels 1884 Urspr. d. Familie (MEW XXI 151) Alles, was die Deutschen der Römerwelt Lebenskräftiges und Lebenbringendes einpflanzten, war Barbarentum. In der Tat sind nur Barbaren fähig, eine an verendender Zivilisation laborierende Welt zu verjüngen; 1914 Dtsch. Rundsch. CLVlll 374 f. Die Voraussetzung dieses national-italienischen Humanismus ist der neue Begriff des Barbarentums; 1933 Festschr. a. Egger 25 in der östlichen Reichshälfte . . geht es um ein ganz anderes Barbarentum, in dem Wortsinne, wie ihn einst Althellas Gunst geprägt hatte; Bonn 1953 Gesch. 61 urgermanisches Barbarentum. Barbar 4c: Curtius 1925 Geist 215 [Larbaud] .. entdeckte . . Whitman, den „grossen Barbaren". In den langdahinflutenden Versen der „Grashalme" fand er ein neues Reich des Menschlichen und eine neue dichterische Form; Zeit 8. 11. 1985 müde der Zeichen ihrer Kultur, ihrer ausgeklügelten Rhetorik und ihrer Meinungen, erwarten sie [die Dichter] sich von den Barbaren eine Rückführung in vor-zivilatorische Räume, wo sie noch einmal von vorn beginnen können. Barbar 5a: Henisch 1616 Teütsche Sprach 187 Einer auß Barbari/ Egypten/ vnd Mohrenland/ Barbarus; Hübner 1704 Staats- u. Zeitungslex. 100 Barbaren, hierdurch werden insgemein die Einwohner der Barbarey verstanden; Marperger 1711 Beschr. d. Messen l 366 Finden sie nun solches nicht übereinkommend mit dem Werth ihrer Mohrischen Waaren, so gehen sie nochmals weg und lassens liegen, biß jene noch so viel zugeleget, da die Barbaren meynen, daß sie es vergeben können;

Ersch/Gruber 1818-39 Allg. Enc. l 7,348 [die] Barbaren .. als die Berbern in Afrika, welchen die Barbarei ihren Namen verdankt. barbaresk: Carl August 1789 Br. 97 dass ein barbaresker Kaper die sämtliche Gemeinde nach Tunis oder Tripolis aufgebracht hätte; Herrmann 1815 Seeräuber 8 Eines von den Übeln . . [in Europa] . . sind ohne Widerrede die Plackereien, welche sich die Barbaresken so ungestraft im Mittelmeere . . erlauben; Goethe 1816-17 Italien. Reise (WA l 31,166) Haß auf die Franzosen, weil sie mit den Barbaresken Frieden haben, und man ihnen Schuld gibt, sie verriethen die Christen an die Ungläubigen; Steffens 1817 Gegenwärtige Zeit II 333 Sein [Karls V] Kreuzzug gegen die Barbaresken; Kephalides 1818 Italien l 4 sah man Asiaten und Americaner, Christen und Barbaresken [in der Börsenhalle zu Triest] friedlich Verkehr treiben; 1824 A. Schinkels Nachlaß l 240 in der Nähe eines im Meer zum Schutz gegen die Barbaresken aufgeführten Thurmes; Schwarzenberg 1831 Rückblicke a. Algier 4 Dieser grosse Erdstrich [die Nordküste Afrikas], der den Namen Berberei oder die Barbaresken-Staaten führte; Marx/Engels 1843—45 Lappenbergs Gesch. v. England (MEGA IV 2,135) das Beispiel der Barbaresken zeigt uns verhaßte, aber nicht ganz rohe Staaten, welche die Seeräuberei als ein Gewerbe anerkennen; Schopenhauer 1859 S. W. II 401 Wer von Räubern, z. B. von Barbaresken, gefangen fortgeführt wird, hat das Recht, zu seiner Befreiung, sie nicht nur mit offener Gewalt, sondern auch mit Hinterlist zu tödten; 1863 VjS f Volkswirtschaft I 73 die Hansestädte zu beschuldigen, „Barbaresken-Staaten" zu sein; Schwarz 1881 Algerien 117 dass die nach der türkischen Invasion den Gebieten von Marocco, Algier, Tunis und Tripolis beigelegte Benennung „Barbareskenstaaten" nicht erst in Folge der von diesen Ländern getriebenen Seeräuberei aufkam; C. F. Meyer 1884 S. W. III 204 denn sie [die Nonne] hatte ihren in barbareske Sklaverei geratenen und höchst wunderbar daraus erretteten Freund unter dem Volk im Schiff der Kirche erblickt; 1923 Histor. Z. CLXIV 385 Die Erklärung des Namens Barbaresken . . als Bezeichnung für die Herrschaften Algier, Tunis und Tripolis ist vollkommen irreführend. Das Land ist die Heimat der Brebern oder Berbern, und man bezeichnete es oft als „Berberei"; Eck 1940 Seeräuberei 34 Seit dem 16. Jh. wird im Abendland die nordafrikanische Küste mit „Barbarei" und werden ihre Bewohner summarisch mit „Barbaresken" bezeichnet; Zeit 18. 4. 1986 zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts haben sie Tripolis schon einmal angegriffen, um die Barbaresken Mores zu lehren, die Tribut forderten, damit sie die amerikanischen Handelsschiffe in Ruhe ließen.

Barbarei Barbarist: Hulsius 1606 Erste Schiffahrt risten.

19 Barba-

Barbar 5b: 3534 New welt 4b Barbaras; Furttenbach 1627 Itinerarium haliae 93 Pferd/ so man Barbaric nent; Krünitz 773-75 Oec. Enc. Ill 528 Barbar, Barber . . heißt ein Pferd, das man aus der Barbarei und Africa bekommt; Adelung 1793 Grammat.- krit. Wb. I 728 Der Bärbar . . ein Pferd

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aus der Barbarey in Africa; Kompert 1882 Monte Pincio (Ges. Sehr. VII 97) die hölzerne Bude . ., die die edlen „Barberi" beherbergen sollte; ebd. Vll 109 Morgen um dieselbe Stunde wird das römische Volk bereit sein, sich sein altgewohntes Schauspiel mit den „Barberi" zu geben. Ich weiß nicht, ob diese Rosse mit ihrem an heißafrikanische Abkunft gemahnenden Namen einer edlen oder unedlen Rasse angehören. RS

Barbarei F. (-; selten -en), Anfang 13. Jh. über mlat. barbaria 'Barbarenland, Barbarenvölker' entlehnt aus lat. barbaria 'Ausland; Unkultur, Roheit; Ungesittetheit, Ungeschlachtheit' (zu barbarus, —* Barbar), zuerst in den Schreibungen Barbarte, Barbarey, Barbarien, selten auch in der lat. Form Barbaria. 1 Zunächst bis Ende 17. Jh., unter ethnischem Aspekt, in der Bed. 'Ausland', bes. im Ggs. zu Griechenland und Rom, später auch im Unterschied zu anderen Völkern, dann auch für 'Zugehörigkeit zu einer anderen Religionsgemeinschaft', (aus christlicher Sicht) 'heidnisches Land, Heidenland; heidnische Bevölkerung', (aus jüdischer Sicht) 'nichtjüdisches Land; nichtjüdische Bevölkerung' (—» Barbar 1). 2 Von Mitte 15., vereinzelt bis ins frühere 20. Jh., ohne PL, als Bezeichnung für das Land der Berber in Nordafrika, die Barbareskenstaaten Marokko, Algerien, Tunesien (—» Barbar 5a). 3a Seit früherem 16. Jh. mit negativer Wertung gebraucht in der Bed. 'Unmenschlichkeit, Grausamkeit, Roheit, Wildheit', z. B. ein Akt der Barbarei, in die Barbarei zurücksinken, die Nacht der Barbarei, der Sieg der Menschlichkeit über die Barbarei (—» Barbar 3a); seit Ende 18. Jh., mit PL, auch für 'grausame Tat, Handlung, grausame Angelegenheit', z. B. Barbareien begehen, verüben (s. Belege 1793, 1808, 1814, 1848, 1864, 1990). b Seit frühem 20. Jh. im politischen Bereich als stark abwertende Bezeichnung für die Gewaltherrschaft, Diktatur des jeweiligen politischen Gegners gebraucht, bes. den Charakter des Nationalsozialismus enthüllend, z. B. die faschistische Barbarei; die Barbarei des Nationalsozialismus (s. Belege 1933, 1938, 1947), vgl. auch Zss. wie Hitler-, Nazibarbarei (—»· Barbar 3b). 4a Seit früherem 16. Jh. stark abwertend verwendet für 'Unwissenheit (auf einem bestimmten Gebiet), völlige Ungebildetheit', seit spätem 16. Jh. für 'Kulturlosigkeit, Unzivilisiertheit', gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Bildungs-, Kultur-, Kunstbarbarei (—» Barbar 4a). b Seit frühem 17. Jh. im Zusammenhang mit der Vorstellung kulturhistorischer Entwicklungsabläufe übertragen verwendet zur Kennzeichung der frühen Epoche der Menschheit, in der Bed. 'Primitivität', aus der Sicht der Renaissance und Aufklärung im Hinblick auf das Mittelalter für 'Rückständigkeit', speziell zur Kennzeichnung der nicht-antiken Welt von Goethes Faust im Unterschied zur hohen Kunst der klassischen Antike für 'das Archaische, Urtümliche, Anfängliche' (—»· Barbar 4b). c Seit früherem 20. Jh. in der Fachsprache der Kultur-, Kunstwissenschaft und Musik in übertragenem Gebrauch für 'das auf eine Erneuerung zielende bewußte Anknüpfen an das Archaische, Primitive, Urtümliche, Anfängliche' (—» Barbar 4c).

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Barbarei

5a Von Mitte 17. bis ins späte 19. Jh. in der Bed. 'fehlerhafter Sprachgebrauch, sprachliche Unzulänglichkeit; normwidrige Verwendung von Fremdwörtern' (—» Barbar 2a, —> Barbarismus l a und Ib). b Mitte 17. bis ins späte 18. Jh. für 'Fremdsprachigkeit' (—» Barbar 2b). Barbarei 1: Wolfram v. Eschenbach 1212-18 Willehalm (W. IV 58) ich wil die künege nennen gar: . . Kursaus von Barberie, von untät der vrie; ebd. V 68 der künec von Barberie brähte im einen halsberc; Heinrich v. d. Türltn um 1220 Crone 279 üf einem grozen turnoi/ . . Dar zuo manic ritter körnen/ Was von Barbaric/ Gein unser masseme; Berthold v. Holle 1251-70 Demantin 301 Falissän von Barbaric./ den werden sante sin arme/ dorch oren pris in fromde lant./ he is ouch ein koninc genant; Konrad v. Würzburg um 1287 Trojan. Krieg 297 der künic von Barbaric, Panthelamon gehaizen,/ kam zuo der lande kreizen/ mit einer wunneclichen schar; 14. Jh. (Wackernagel 1867 Kirchenlied II 587) die kung aus wilder barbarey (MÖLLER); Arigo um 1460 Boccaccios Decameron (Obers.) 272 nicht alleyn sein tugent vnd redlicheyt in Cicilia erkant waren, sunder ferr in fremde land in die heydenschaft über mere vnd in alle barbarey erklungen vnd geflogen waren die zuo dieser zeit dem kung von Cicilia tribut gab; Ruff 1539 Weingarten 280 min gsell wol schiessen kan vnd komt da har vss barbary; Brun 1624 Schiffarten 2 wann etliche Schiff in Hispanica vnd Barbarey oder anderswahin passieren; Canitz vor 1699 Gedichte o. S. auf einmal wachet auf die ganze barbarei, ein heer von Gothen, Wenden (DWB). Barbarei 2: Arigo um 1460 Bocaccios Decameron (Übers.) 321 Er zuo got vnd allen heiligen schwüre nicht mer gen Lipari zuo komen er were dann reiche, mit einer wol gewapendenn gallee von dann füre, sich gen der Barbarei wercz hielte zuo berauben alle die da minder dann er möchten; v. Watt um 1531 (Dtsch. hist. Sehr. Ill 142) Zuodem vielend die Sarracenen täglich auß Barbarien in Italien und tatend gleicher maß schaden; Federmann 1557 Indian. Historia 6 zu der zeit. . hetten die Arabier, so auß Barbaria, welche 17 meyl gegen der Insel über gelegen, und an ainem ort diser Insel, ihr wohnung zuhaben; Fischart 1575 Geschichtklitterung 350 Folgents werdet jhr das Königreich Tunis, vnnd die gantze Barbarei einnemmen; Henisch 1616 Teütsche Sprach 31 Africa/ Barbarey/ Morenland vulgo/ der dritte theil der Welt/ . . ein Land ohne frost/ . . der mehrste theil discs lands ist sandig/ trucken vnd stäubig/ .. Africa bringt all weg etwas newes/ (etwas böses herfür}; Happel 1690 Academ. Roman 874 In dieser Epistel/ die er auss Fessa der Haupt-Stadt in Africa oder Barba-

rien an selbigen geschrieben/ meldet er dieses; Marperger 1720 Reisen 41 wiewohl sodann auch die Türcken Gefahr von denen in der Barbarey liegenden Raub-Nestern, Algiers, Tunis, Tripolis und Säle zu besorgen ist; Schlegel 1762 (Geliert 1774 S. Sehr. Vlll 217) Die andre muntre Hälfte Ihres Briefes aus Salee hat mir . . angenehm seyn müssen, weil sie mir ein Beweis ist, daß ein zufriedner Geist auch in der Barbarey noch froh denken und witzig scherzen kann; Krünitz 1773—75 Oec. Enc. III 529 Die französischen Consuls, welche in den Städten der Barbarei residiren, schicken oft Züge von solchen Pferden . . nach Frankreich; Heinse 1780-83 Tagebücher VII 199 Venedig . . Ein sichrer Ruheplatz zum Genuss des Lebens gegen die Einfalle und Verstörungen aller Barbarey; Pfennig 1783 Erdbeschr. 323 Barbarey, so ihren Namen von den Mauren, welche die Araber Berbern nennen, bekommen; 1801 Allg. geograph. Ephemeriden VII 326 in Nordafrica oder der sogenannten Barbarey; Goethe 1816-17 Italien. Reise (WA I 31,96) Sie [die Bewohner der Provinz Palermo] halten wenig Schafe, deren Race aus der Barbarei kommt; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 509 die Küste von Africa, die uns gegenüber liegt, weil . . sie solche [Grausamkeiten] gegen die Christen begeht, die Barbarei genannt wird; Goethe 1832 Br. (WA IV 49,189) eine .. Abbildung des neuen, zwischen Sicilien und der Barbarey entstandenen Vulkans; Tb. Mann 1934 Reden u. Aufs. (W. IX 466) in der Barbarei (Berberei), wie in allen Teilen von Afrika, wo wir glaubten, aufgenommen, geehrt und geschmeichelt zu werden, dort kränkt man uns und mißhandelt man uns am meisten. Barbarei 3a: 1536 (Qu. z. hess. Reformationsgesch. IV 114) in was blintheit und verzweifleter berbrei der teufel die widerteufer getriben hat (FRNHD. WB); Milichius 1566 Schrapteufel Blv Es suchte der Teuffei vor 40. jaren/ das er . . ein eitel Barbarien/ Heidnisch vnd Vihisch leben anrichten möchte; Diderot 1746 Principes de la philosophic (Übers.) (Büchmann 1981 Geflügelte Worte 266) Vom Fanatismus zur Barbarei ist es nur ein Schritt; Shaftesbury 1768 Charakteristicks (Übers.) 108 Kurz, von dieser Seite her kann ich wahrscheinlicher Weise keine Invasion von Wildheit und Barbarey erwarten; Jacobi 1771 Publikum 3 Entsteige deiner finstern Kluft; Herauf; du schreckliche Megäre der Barbarey; Zertritt Altäre — Komm, suche jedes Dichters Gruft, Die uns Un-

Barbarei Sterblichkeit errungen; Diderot 1774 Philosoph. W. (Übers.) l Vorher. 6 Unter Barbarey verstehe ich, wie Du, jene rauhe Gemüthsart; Schiller 1786 Merrier* Philipp U. (S. W. ill 205) (Übers.) Aber wenn wir auch seinen [Philipps II.] Despotismus und seine Barbarei verabscheuen, müssen wir doch den Talenten, die er wirklich besaß, Gerechtigkeit widerfahren lassen; Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. l 728 Die Barbarey . . Wildheit, Grobheit der Sitten, kurz der Inbegriff aller bösen Eigenschaften, welche man barbarischen Völkern beyzulegen pflegt; besonders aber Grausamkeit und Unmenschlichkeit . . Auch wohl eine grausame und unmenschliche That, in welchem Falle sich auch der Plural gebrauchen lasset; Campe 1808 Wb. 117 Angiisiren, dem Pferde den Schweif abhauen .. Wir können diese von den Engländern angenommene Barbarei engländern nennen; Rehfues 1814 Reden II 18 dieser Mann [Napoleon I.] arbeitet enmsiger als alle . . Füsilladen und Barbareyen des Schreckens-Systems daran, solche Wunden [Blutopfer der Revolution] zu vervielfältigen; Ancillon 1828 Extreme l 348 Die Barbarei und der Despotismus rühren von derselben Ursache her; Engels 1845 Lage d. arb. Klasse (MEW U 374) Kinder . . waren natürlich die vollständigen Sklaven ihrer Brotherrn, von denen sie mit der größten Rücksichtslosigkeit und Barbarei behandelt wurden; ders. 1848 Vereinbarungsdebatte (MEW V 186) Herr Bauer aus Krotoschin ist so sehr von Teilnahme an der Zukunft des polnischen Volks in Anspruch genommen, daß er über seine Vergangenheit, über die Barbareien der preußischen Soldateska . . „einen Schleier ziehen" möchte; Wilbrandt 1864 Geister I 244 Was halten Sie von der Todesstrafe? sagte er plötzlich . . Sie stellen seltsame Fragen, erwiderte Lucius ungeduldig; Herr, .. Was gehn mich eure Barbareien an!; Giehne 1864 Zustände l 180 [die Zerstörung] des Heidelberger Schlosses [1689], noch heute als Denkmal französischer Barbarei; 1887 Grenzboten l 2 [der Kriegswille führt dazu,] die Errungenschaften unserer Kultur in das Chaos der Barbarei umzuwandeln; Suttner 1896 High-life 191 kann man ruhig annehmen, daß die Frau Strafe verdient und kann sie, in einen Sack genäht, ins Meer werfen. — Welche Barbarei! rief Isi; Luxemburg um 1917 Reden II 421 Plötzlich zeigt sich, daß unter dem äußeren Rausch und Tand der Zivilisation ein Abgrund der Barbarei, der Vertierung gähnt; Bilder der Hölle steigen auf, wo menschliche Geschöpfe im Kehricht nach Abfällen wühlen; Ortega y Gasset 1931 Aufstand 87 ein Wort Rathenaus umformend, von dem [Aufstand der Massen als dem] „Vertikaleinfall der Barbarei" sprach; Voss. Ztg. 29.3. 1932 Der Richter hat . . in aller Öffentlichkeit den Gebärzwang eine „Barbarei" genannt, die „bald ein

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Ende nehmen müsse"; H. Mann 1945 Zeitalter 138 auf den Trümmern der Kultur, wie sie ist . ., der Freiheit, wie sie verstanden wird . . , werde die triumphierende Barbarei sich aufpflanzen; Thiess 1947 Despotie 13 Die Vermassung nimmt so zu, dass . . jene dynamische Entladungen erzeugen .. die unvermeidlich in Terrorismus und Barbarei auslaufen; 1955 FAZ Nr. 205 Nietzsches Wort von der geleckten Barbarei; Süddtsch. Ztg. 9. 1. 1960 Der Rückfall in eine noch unvergessene Barbarei läßt alle Verantwortlichen aufhorchen. So hat es schon einmal angefangen: mit Grabschändungen, Besudelung von Gotteshäusern und verhetzenden Aufschriften; Dönhoff 1963 Ära 117 weil .. Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten (DUDEN 1993); MM 16. 9. 1987 doch am Ende des Jugendstils stand die Barbarei des Ersten Weltkriegs und für viele Künstler die wohl bittere Einsicht, daß Kunst . . noch lange keinen aggressionsfreien Zeitgenossen zu erschaffen vermag; Neue Zeit 4. 9. 1990 die erschütternden Funde von Massengräbern in der Nähe ehemaliger sowjetischer Internierungslager haben all die Barbareien unseres Jahrhunderts noch einmal deutlich gemacht. Barbarei 3b: Kumpmann 1916 Imperialismus 42 wie sich jetzt wechselseitig die kämpfenden Parteien des Imperialismus, des Militarismus, der Barbarei bezichtigen; 3916 Deutschland I 66 Die deutsche Barbarei ist antidemokratische, militaristische und imperialistische Inhumanität. So ist der Vorwurf der „Barbarei" in der Literatur ersten Grades gemeint, in der zweiten Grades wird daraus dann einfach Kannibalismus, Kindermord, Kunsthaß usw.; Luxemburg um 1917 Reden I 270 Dieser Weltkrieg — das ist ein Rückfall in die Barbarei; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 168) Herr Poincare, der Mann des bürgerlich-konservativen Frankreich, hegt . . in seinem Busen: den Haß auf Deutschland, das ist auf die Barbarei; Lokal-Anz. 27. 3. 1933 nachdem Einstein jetzt aus Amerika in Frankreich eingetroffen ist . . hat er eine schriftliche Erklärung abgegeben, in der er sich gegen die „brutalen Gewaltakte und die Unterdrückung aller freien Geister und vor allem der Juden" wendet. . und .. vor einem „Rückfall in die Barbarei" warnt; Brecht 1938 Furcht u. Elend (Ges. W. Ill 1185) Unsere Aufgabe ist sehr schwer, aber es ist die größte, die es gibt, die Menschheit von ihren Unterdrükkern zu befreien, vorher hat das Leben keinen Wert, außer dafür, wenn wir uns das nicht immer vor Augen halten, dann versinkt die ganze Menschheit in Barbarei; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1123) das war eine indirekte und allzu schonende Verleugnung der moralischen Barbarei, in der Deutschland länger als zwölf Jahre

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gelebt hat; ebd. XI 1146 heruntergekommen auf ein klägliches Massenniveau, das Niveau eines Hitler, brach der deutsche Romantismus aus in hysterische Barbarei, in einen Rausch und Krampf von Überheblichkeit und Verbrechen, der nun in der nationalen Katastrophe, einem physischen und psychischen Kollaps ohnegleichen, sein schauerliches Ende findet; Strich 1947 Dichter Vorw. 10 das Furienhaupt der Barbarei [Hitlers]; 1960 Urania VI 202 Zu welchen furchtbaren Konsequenzen sie führt, hat die faschistische Barbarei mit blutigen Lettern in die Geschichte unseres Volkes und der Welt geschrieben; Stuttgarter Ztg. 6. 8. 1964 Danach sieht es so aus, als ob das deutsche Volk nur noch festzustellen brauche, daß es die Barbarei des Nationalsozialismus überwunden habe; 1966 Aktionen 327 die . . Opposition .. gegen die braune Barbarei; Zeit 8. 2. 1985 die angemessene Erinnerung an den 8. Mai, das Ende der Hitler-Barbarei; ebd. 10.5.1985 Kirk Kubicek gedachte am Grab der Geschwister Scholl der deutschen Opfer der Nazi-Barbarei; MM 5.12.1986 diese historische Begegnung an der Elbe, Symbol des Sieges über die Hitler-Barbarei; ebd. 17. 7. 1987 es waren die Vertreter des Expressionismus, der Abstraktion, des Dadaismus, des kritischen Realismus oder der Neuen Sachlichkeit, an denen in dieser Schandausstellung das Exempel des Hasses einer kunstfernen Barbarei vollzogen wurde; 1990 Einigungsvertrag 1642 Michail Gorbatschow . ., Symbol für Beendigung stalinistischer Barbarei; Spiegel 5. 12.1994 Am liebsten würde sich ja jener Teil Europas, der sich für zivilisiert hält, abwenden von der Barbarei an seiner Südflanke. Barbarei 4a: Begardi 1530 Index sanitatis Vorr. 3b sprechen zu Zeiten auch [von den Ärzten] es sei eyn närrische grobe Barbarei; Franck vor 1542 Chronica Zeitbuch 111 127 Diser [Erasmus] hat Barbarien ausz dem land getriben/ den Musis wider aufgeholffen; Fischart 1576 Kunst (W. I 398) Drum, wa die Kunst erhalten würd,/ .. Sint alle künst inn jrer plüh;/ Wa aber ist abgschaffen sie,/ Da ist gewis all Barbarei; Schröder 1640 Friedens Posaune 100 So sage ich nun, Wie fein sind doch die Evangelische Academien, wenn alle Barbarey, Sophisterey vnd Scoristerey ist abgeschaffet, vnnd die alte Zucht, Gehorsam vnd Ehrbarkeit hergegen auffgebracht; Abel 1714 Gedichte 104 [der Lehrer klagt über die schlechten Arbeiten der Schüler] Wenn alle Barbarey auf einmahl loßgebrochen; Brucker 1737 Zusätze 3 Aus solcher Barbarey des Verstandes entstehet die Barbarey der Sitten; Gottsched 1749 Ges. Reden 159 Es giebt leider! Zeiten und Länder, wo man die Dummheit und Unwissenheit für die sichersten Pfeiler der Republik und Religion ansieht. Eine falsche Staatskunst hat sichs hier und

da eingebildet, daß es besser sey, den Pöbel in der gröbsten Barbarey zu lassen, als denselben klug zu machen (REICHEL); Winckelmann 1762 Sendschr. 17 Bald hernach verlosch das Andenken dieser verschütteten Schätze . . aus dem Gedächtnisse der Menschen durch die einreissende Barbarey und Unwissenheit; Lessing 1778 Axiomata (S. Sehr. XI11 132) Ich sehe es zu wohl ein, wie viel das gelehrte Studium der Schrift allen ändern Kenntnissen und Wissenschaften aufgeholfen hat; in welcher Barbarey wir leicht wieder versinken könnten, wenn es ganz aus der Welt verbannet würde; Herder 1780 Einfluß (S. W. IX 392) Nicht nur, daß die glücklichsten Regierungen sich auch immer der Wissenschaften annahmen; das Unglück der ändern fing immer auch von Barbarei, Unwissenheit, Schwachheit, Aberglauben an; Goethe 1812 Br. (WA IV 23,65) Solche Darstellungen [der griechischen Kunstschätze] haben .. das Verdienst, das Alterthum durch neue Monumente aufrecht zu erhalten, das ein ganz wahnsinniger . . Obscurantismus gern wieder mit frischen Nebeln einer vorsätzlichen Barbarey überziehen möchte; Grabbe 1825 Don Juan (Ges. W. U 234 f.) Roma, Herrscherin Der Welt! .. Und als dein Schwert nun alles Dir errungen, fielst du auch mit allem wieder In Nacht und Barbarei; Goethe 1831 Gespr. Eckermann o. S. denn worin besteht die Barbarei anders als darin, daß man das Vortreffliche nicht anerkennt (GWB); Carus 1835 Reise l 155 Eine Barbarei ist es, dass einige grosse, mehr mythologische Bilder in dem untern Räume durch hohe Kirchenstühle versetzt sind; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEWII 87) Wenn Feuerbachs Thesen zur Reform der „Philosophie" von der Zensur exiliert wurden, so lag die Schuld nicht an der offiziellen Barbarei der Zensur, sondern an der Unkultur der Feuerbachschen Thesen; Döderlein 1857 Öffentl. Reden 156 so ist es andererseits sittliche Barbarei . ., der Jugend ein Wissen aufzudringen, das weder geradenwegs noch auf Umwegen zur Geistes- und Gemüthsbildung führt; Nietzsche 1873-76 Unzeitgemäße Betrachtungen (W. 1148) Wenn man freilich bei dem Worte Barbarei an den Gegensatz [zur] Zivilisation .. denkt, so ist jene Unterscheidung [zwischen Philister und Barbar] mit Recht gemacht; aber ersichtlich will der Ästhetiker uns sagen: man kann Philister sein und doch Kulturmensch — darin liegt der Humor, der dem armen Hölderlin fehlte, an dessen Mangel er zugrunde ging; Th. Mann 1913 Reden u. Aufs. (W. X 64) auch dies ist bedeutsam, daß der Begriff der Barbarei den ganzen Vorstellungskomplex von Unkultur, Unwissenheit, Gemeinheit, Grausamkeit und Geschmackswidrigkeit umfaßt; ders. 1927 Reden u. Aufs. (W. IX 189) die Tage jener literarischen Barbarei, die dem Verfall der Romantik folgte, sind gezählt, wenn sie nicht vor-

Barbarei über sind; Nietzsche's Name bedeutet Morgenröte und Zeitenwende auch hier; Friedell 1928 Kulturgesch. II 385 Die Griechen waren aber eben weit entfernt von der modernen Barbarei, Holz und Stein unbemalt zu lassen; Th. Mann 1947 faustus (W. VI 82) „aber die Alternative", warf ich ihm ein, „zur Kultur ist die Barbarei!"; ebd. die Barbarei ist das Gegenteil der Kultur doch nur innerhalb der Gedankenordnung, die diese uns an die Hand gibt; Jaspers 1958 Atombombe 439 die Nationen unserer Tage vermögen an der Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen nichts mehr zu ändern: von ihnen aber hängt es nun ab, ob die Gleichheit sie zur Knechtschaft oder zur Freiheit führt, zur Bildung oder Barbarei, zu Wohlstand oder Elend; Adorno 1963 Prismen 67 Um dem Zauberkreis der Spenglerschen Morphologie zu entrinnen, genügt es nicht, die Barbarei zu diffamieren und auf die Gesundheit der Kultur sich zu verlassen; 1980 Alpinismus II 40 Hier soll die Staumauer des geplanten Kraftwerks entstehen .. eine unfaßbare Barbarei (DUDEN 1993); Zeit 27. 9. 1985 nicht die historisch gesättigte Gesellschaftstheorie, sondern eine radikale, die Verschwisterung von Vernunft und Herrschaft denunzierende Vernunftkritik muß erklären, „Warum die Menschheit . . in eine neue Art von Barbarei versinkt"; Wochenpost 17.11.1989 Barbarei an irgendeinem Ort der Welt wird an den humanistischen Traditionen der Menschheit gemessen. Barbarei 4b: Opitz 1624 Poeterey 14 ich bin der tröstlichem hoffnung, es werde nicht alleine die Lateinische Poesie, welcher seit der vertriebenen langwierigen barbarey viel große manner auff geholffen,. . sondern auch die Deutsche . . von stattlichen gemütern also außgevbet werden; Bodmer/ Breitinger 1746 Mahler d. Sitten II 209 In denen gothischen Jahrhunderten, wo die Barbane den guten Geschmack verdrungen hatte, ward das Ebenmaß der Natur . . aus der Acht gelassen; Batteux 1770 Künste 135 Sie fanden um so viel mehr Wahrscheinlichkeit darinnen, da ihnen die Barbarey ihrer Vorfahren nicht unbekannt war; 1779 Baiern 56 Meisterhände werden erfordert, die dasjenige wieder natürlich herstellen können, was die Zeit und die Barbarey der Urmenschen an diesen alten Denkmälern ruiniert hat; Herder 1784—91 Ideen (S. W. XIV 258) wenn wir den klingenden Schmuck der Barbarei unsrer Väter hie und da noch an uns tragen sollten, ihn mit ächter Cultur und Humanität, der einzigen wahren Zierde unsres Geschlechts, edel vertauschen; Groddeck 1788 Schöne Literatur 25 Homer sang unter einem Volke, welches noch gleichsam auf der Mittelstufe zwischen Barbarey und Cultur stand; Goethe 1790 Tasso (WA l 10,108) Und ihr seid eurer großen

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Väter werth./ Hier zündete sich froh das schöne Licht/ Der Wissenschaft, des freien Denkens an,/ Als noch die Barbarei mit schwerer Dämmrung/ Die Welt umher verbarg; ders. 1805 Winckelmann (WA l 46,40) Traurig ist immer die Betrachtung, wie erst durch die Römer, nachher durch das Eindrängen nordischer Völker . . das Menschengeschlecht in eine solche Lage gekommen, daß alle wahre reine Bildung in ihren Fortschritten für lange Zeit gehindert, ja beinahe für alle Zukunft unmöglich gemacht worden. Man mag in eine Kunst oder Wissenschaft hineinblicken, in welche man will, so hatte der gerade richtige Sinn dem alten Beobachter schon manches entdeckt, was durch die folgende Barbarei und durch die barbarische Art sich aus der Barbarei zu retten, ein Geheimniß ward, blieb und für die Menge noch lange ein Geheimniß bleiben wird, da die höhere Cultur der neuern Zeit nur langsam in's Allgemeine wirken kann; Arndt 1812 Katechismus 2 wie in der mittleren Zeit, welche Unkundige oft die Zeit der Barbarei und Gewalt nennen, das teutsche Volk an Macht, Ruhm, Freiheit, Kunst und Wissenschaft vor vielen ändern Völkern geblühet hat; 1820 Allg. Ztg., Nr. 167 Beil, [der Verfasser des „Manuscripts aus Süddeutschland" bringe] alle jene veraltete, abgedroschenen Gemeinplätze wieder zum Vorschein, von der Finsterniß, Anarchie, Freiheit und Barbarei des Mittelalters, von dem gräulichen Popanz des Feudalwesens (WÜLFING); Goethe 1830 Sehr. z. Kunst (WA I 49.1,182) die Nationen steigen aus der Barbarei in einen hochgebildeten Zustand empor und senken sich später dahin wieder zurück; Gervinus 1835 Gesch. Nationallit. I 4 [die Entwicklung der deutschen Nationalliteratur seit der 2. Hälfte des 18. Jhs. bedeutet] eine Revolution, deren sichtbarste Frucht für uns die Rückkehr aus der .. Barbarei zu wahrem, gesundem Geschmack in Kunst und Leben war; Moltke 1846 Wanderbuch (Spanien) 133 Dichtkunst, Geschichtschreibung, Mathematik und Baukunst blühten bei ihnen [den Arabern], während das christliche Abendland noch in Barbarei versunken war; Morgan 1891 Die Urgesellschaft. Untersuchungen über den Fortschritt der Menschheit aus der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation (Übers.) (Titel); Haeckel 1904 Lebenswunder 471 Barbarei des Mittelalters; Bierbaum 1910 Reife Früchte 67 Rußland, verzeihen Sie, Fürst, hat für uns Amerikaner den Reiz kostbarer Barbarei; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 169) völkisches Heidentum, Wotanskult, — feindlich ausgedrückt (und wir wollen uns feindlich ausdrücken) romantische Barbarei; 1949 Hortulus 22 Zwischen der fruchtbaren und die Kultur bedingenden Barbarei des Anfangs und der intellektuellen und daher potenzierten Barbarei der Endzeit; Eppelsheimer

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1955 Schild 7 Einfachheit, Grosse und Erhabenheit ganz auf die römische Seite und auf die des Ostens nichts als die Barbarei missgestalter Götter und zusammengewürfelter Horden; Wochenpost 10. 10. 1990 diese verdammt deutsche Stadt mit ihrer Vergangenheit zwischen Klassik und Barbarei. Barbarei 4c: Tb. Mann 1947 Faustus (W. VI 324) die Zeit selber, die Kulturepoche, will sagen, die Epoche der Kultur und ihres Kultus wirst du durchbrechen und dich der Barbarei erdreisten, die's zweimal ist, weil sie nach der Humanität, nach der erdenklichsten Wurzelbehandlung und bürgerlichen Verfeinerung kommt; ebd. VI 372 ähnlich, sagte er, verhalte es sich mit dem Übergang der Musik von der Monodie zur Mehrstimmigkeit, zur Harmonie, den man so gern als einen kulturellen Fortschritt betrachte, wo er doch gerade eine Akquisition der Barbarei gewesen sei; ebd. VI 372 die sogenannte Höherentwicklung, die Komplizierung, der Fortschritt sind also zuweilen die Leistung der Barbarei; ebd. die polyphone Vokal-Musik, diese Erfindung fortschrittlicher Barbarei; ders. 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 203) daß das deutsche Bürgertum den Nazi-Einbruch mit Nietzsches Träumen von kulturerneuernder Barbarei verwechselte, war das plumpste aller Mißverständnisse; ebd. IX 698 die Kultur .. bedarf zu ihrer Erfrischung der gründlichen Rückfälle in die Barbarei. Barbarei 5a: Butschky 1659 Hochdtsch. KanzeleyBr. 49 Dergleichen Übelstand ist unter anderm wol nicht zu befördern, wo die Edle Deutsche Sprache nicht zur Barbarey werden sol; Gottsched 1741 Bayles Wb. U 413A diejenigen . ., die . . nur auf

Sylben trotzen, und alles für Barbarey halten, was nicht lateinisch gesaget wird; ebd. daß die lateinische Barbarey so sehr zu verabscheuen sey, als die deutsche (beide REICHEL); 1802 Neues Hannöv. Magazin XI 537 Mit einer geckischen Barbarei von ungewöhnlichen oder dunkeln und zu nichts führenden metaphysischen, oft unrichtigen Ausdrükken, diesem unerträglichen Wortgeklingel, scheinen sie ihre Leser betäuben zu wollen .. — indicta ore alio — findet man da; Ancillon 1831 Extreme U 233 Barbarei der Sprache; 1884 Zf allg. Gesch. I 419 die romanischen Teile des Reiches begannen ihre Sardensprache, und das geschriebene Latein nahm jene Gestalt an, für welche nun jeder klassische Philologe nur das Wort „Barbarei" gebraucht. Barbarei 5b: Harsdörffer 1649 Gesprechspiele VIII 20 Wir haben unseren Mund der Barbarey entwendet; 1702 Monatl. Auszug ]un. Ill 62 In den ersten 4. Büchern sondert er die Barbarische Wörter von den Lateinischen und machet einen Unterscheid unter denjenigen/ so weder ihren Uhrsprunge oder nur dem Flexu nach ihre Barbarey zeigen; König 1734 Geschmack 379 Petrarcha . . die Sprachen . . von der Barbarey entlediget; Gottsched 1740 Ges. Reden 213 einen wahren Dichter . ., der deine Ehre gegen die Ausländer gerettet, deine Sprache aus der Barbarei gerissen (REICHEL); Herder 1768 Ueber Thomas Abbts Sehr. (S. W. II 350) Wir haben die meisten unsrer Wißenschaften von den Griechen; von ihnen also in der Litteratur auch ein großes Lexicon von Wörtern und Kunstausdrücken . . Ein gleiches gilt von der Lateinischen; wo Heinze selbst viele (er erlaube mir schon meine Barbarey) germanisirte Latinismen hat; Meiners 1785 Br. Schweiz II 350 Rückkehr der Neuplatonischen Philosophie und der damit verbundenen Barbarey. RS

barbarisch Adj., im früheren 14. Jh. entlehnt aus gleichbed. (m)lat. barbarus, barbari(s)cus (< griech. 'ausländisch, nichtgriechisch, unverständlich sprechend; ungebildet'; —» Barbar), anfangs vereinzelt in lat. (flekt.) Form. l Zunächst unter ethnischem Aspekt in der heute veralteten Bed. 'fremdländisch, ausländisch, nicht zum eigenen Volk gehörend', aus der Sicht der Griechen und Römer von einem der klassischen Antike verpflichteten Standpunkt aus für 'nichtgriechisch, nichtrömisch', z. B. barbarisches Land, barbarische Völker, Stämme, selten subst. die Barbarischen für 'die Germanen' (s. Beleg 1525), dann auch auf andere Völker bezogen, etwa gleichzeitig auch im Hinblick auf Religionsgemeinschaften für 'nichtchristlich, heidnisch' (s. Beleg 1530), 'nichtjüdisch, nichthebräisch', in neuester Zeit auch übertragen verwendet für 'fernen Ländern oder Völkern angehörend, exotisch' (s. Beleg 1992) (-» Barbar 1). 2a Seit spätem 14. Jh. in der heute veraltenden Bed. 'einen fehlerhaften Sprachgebrauch, sprachliche Mängel und Unzulänglichkeiten aufweisend; falsch sprechend; Fremdwörter normwidrig gebrauchend', z. B. ein barbarisches Latein, Deutsch (—>

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Barbar 2a); dazu Ende 18. Jh. die adj. Ableitung antibarbarisch 'sich gegen fehlerhaften Sprachgebrauch und gegen falsche oder zu häufige Verwendung von Fremdwörtern richtend', z. B. eine antibarbarische Anmerkung, Arbeit; der antibarbarische Streit (s. Beleg 1796); vgl. das bereits seit früherem 18. Jh. selten belegte Syntagma Lexikon Antibarbarum (s. Beleg 1730), gleichbed. mit Antibarbarus (—» Barbar 2a). b Im Anschluß daran seit späterem 15. Jh. in der heute veraltenden Bed. 'fremdsprachig, eine fremde Sprache sprechend', z. B. eine barbarische Sprache (—» Barbar 2b). 3a Seit späterem 15. Jh. in der Bed. 'grausam, roh, inhuman, wild', z. B. barbarische Maßnahmen, Strafen; jmdn. barbarisch mißhandeln, foltern; jmdn. in barbarischer Weise ermorden, im späteren 17. Jh. die adj. Ableitung überbarbarisch (—» Barbar 3a). b Seit frühem 20. Jh. speziell im politischen Bereich bezogen auf den jeweiligen Gegner, bes. auf den Nationalsozialismus, stark negativ bewertend für 'diktatorisch', z. B. ein barbarischer Herrscher, das barbarische Naziregime, der barbarische Faschismus (—» Barbar 3b). 4a Seit frühem 16. Jh. mit negativer Wertung für 'auf einem bestimmten Gebiet völlig unwissend; ungebildet, unzivilisiert, ungesittet'; seit frühem 18. Jh. auch in der Bed. 'kulturlos' (—» Barbar 4a). b Seit Mitte 16. Jh. im Zusammenhang mit der Vorstellung kulturhistorischer Entwicklungsabläufe, im Hinblick auf Kulturzustand, Ethik, Moral, Verhaltensweisen und Denkformen, übertragen verwendet in der Bed. 'auf einer anfänglichen Kulturund Entwicklungsstufe stehend', z. B. in bezug auf den Frühzustand der Gesellschaft für 'primitiv', aus der Sicht der Renaissance und Aufklärung auf das Mittelalter für 'rückständig', z. B. das barbarische Mittelalter, speziell zur Kennzeichnung der nicht-antiken Welt von Goethes Faust im Unterschied zur hohen Kunst der klassischen Antike für 'archaisch, urtümlich' (—* Barbar 4b); dazu seit früherem 20. Jh. die adj. Ableitung antibarbarisch 'auf die Überwindung der anfänglichen primitiven Kulturstufe der Menschheit gerichtet' (vgl. aber 2a). c Seit Ende 18. Jh. mit negativer Wertung gebraucht für 'dem ästhetischen Empfinden widersprechend, geschmacklos, häßlich', z. B. die Neubauten sehen barbarisch aus (—» Barbar 4a). d Seit Mitte 20. Jh. im Bereich von Kultur, Kunst, Musik, in Bezug auf die Rückbesinnung auf das Archaische als lebenspendende Erneuerung in der Bed. 'bewußt auf das Primitive im Sinne des Urtümlichen zurückgreifend' (—» Barbar 4c). 5a Vom Anfang 17. bis Anfang 18. Jh. auch in der Bed. 'zu den wegen Seeräuberei und Sklavenhandel gefürchteten Barbareskenstaaten Marokko, Algerien, Tunesien, zu den Berbern gehörend' (—* Barbar 5a, —» Barbarei 2). b Daneben bereits vom späten 16. bis ins spätere 18. Jh. in der Wendung barbarisches Pferd für 'Reitpferd einer in Nordafrika gezüchteten Pferderasse, Berber' (—> Barbar 5b). 6 Seit späterem 18. Jh. verstärkend gebraucht zum Ausdruck meist negativer Emotionen (—* bestialisch): a In der Bed. 'über das normale Maß hinausgehend, sehr groß, furchtbar', z. B. eine barbarische Hitze, Glut; ein barbarischer Lärm; ich habe barbarischen Hunger, b Seit Anfang 19. Jh. auch adv. verwendet in der Bed. 'sehr, überaus', z. B. barbarisch kalt; barbarisch frieren; es zieht barbarisch.

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barbarisch 1: Baldemann 1341 Von d. Romschen Riche 84 Von Gotland und von Benventan/ uz barbarischer terre/ Vil lant nohe und verre; Ende 14. Jh. Gr. Alexander 75 Du müßest sicher sterben ye/ Dar umb daz du host erslagen/ Porüm, den ymmer clagen/ Mußen barbarische land; 1412 Hallische Schöffenbücher U 73 Hans Trost hadde besät vnder Nickel Kalowen nobilen vngersche guldyne, barbarische guoldine, rinsche guldyne; Alt 1493 Schedels Buch d. Chroniken (Übers.) 296b [Trajan hat] auff eim barbarischen erdpodem ein provintzen gemacht; Eberlin v. Günzburg um 1525 Germania d. Tacitus (Übers.) 9 Sie [die Germanen] lassen vnder allen barbarischen schier alain sich ain ietlicher an aim ee weib beniegen; Paracelsus 1530 Auslegung d. Psalmen (S. W. II 5,175) Also weiter „das haus Jacob zoch von dem barbarischen volk", das ist: an dem tag scheiden sich voneinander die zwo nation, glaubig und ungläubig, das haus Jacob bedeut das haus Christi, das volk barbari bedeut das volk der Unvernunft, die nach irer Vernunft gelebt haben und nit nach der forcht gottes; Kivius 1548 Vitruv. 195a Darumb die alten Römer mit fursichtigem zeitigem rath den gewalt der Barbarischen völcker erlegt vnnd gedemmet haben; Fischart 1575 Geschichtklitterung 164 sollen sie [die alten Deutschen] drumb im Glauben Barbarisch sein gewesen, weil etlich heissen Erbargast zu Straßburg, Mallo zu Pariß; Schwartzkopff 1593 Herodoti historia (Übers.) l Herodotus .. hat seine Historien darumb beschrieben, auff dass die Thaten . . der Griechen vnd dess Barbarischen Volcks, nicht ohn rühm bleiben; Chyträus 1597 Casae Galateus (Übers.) 48 welcher gebrauch ohn allen zweiffei von vns keinen vrsprung hat, sondern ist außländisch vnd barbarisch; Krafft 1616 Reisen 121 fragtt mich der Consul, Aus was vrsach ein so gefehrliche weytte Rayß Ich mich In dise Barbarische Land thüe begeben; Leibniz 1696 Unvorgreifl. Gedanken 27 Es kann zwar endlich eine jede Sprache, sie sei so arm, als sie wolle, alles geben, obschon man sagt, es wären barbarische Völker, denen man nicht bedeuten kann, was Gott sagen wolle; Lafitau 1701 Sitten (Übers.) 212 Die Gynäcocratie oder das Weiberregiment,. . kan ehedem fast allen barbarischen Völkern Griechenlandes gemein gewesen seyn; Marperger um 1720 Reisen 46 wann Europäische Potentaten sich bemüheten, mit denen Asiatischen und Barbarischen Printzen ein solches Abkommen zu treffen, daß die . . Handlung zwischen beyderseits Unterthanen in Schwung käme; Goethe 1773 Baukunst (WA l 37,144) Nicht gescheidter als ein Volk, das die ganze fremde Welt barbarisch nennt, hieß alles gothisch, was nicht in mein System paßte; Herder 1775 Geschmack (S. W. V 632) Die Kaiser liebten barbarische Tracht und Barbarischen Geschmack;

die Römische Üppigkeit hatte schon, der Griechischen Einfalt müde, das Ägyptische Ungeheuer lang geliebet; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 154 Die Römer erhalten .. ihr eigenes Costüm, . . die Karthager aber und andere barbarische Völkerschaften, deren Trachten die Wissenschaft noch nicht entdeckt hatte, müssen es sich gefallen lassen als Türken verkleidet zu werden; Rehm 1951 Götterstille 11 [die] barbarisch-gotische Überfremdung Italiens; Partner 1964 Erben 110 als die alten Götter mehr oder weniger vergessen waren, lebten barbarische und christliche Glaubensvorstellungen lange nebeneinander her; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 60 Und daß die Contraden sich damals um die Pfarreien gebildet hatten, die von den barbarischen Invasoren nur ungern toleriert wurden, weil sich die Bürger in ihnen nicht nur versammelten, um zu beten . ., sondern auch, um ihre tristen Probleme als Besiegte, Besetzte und Beherrschte zu diskutieren; Zitzewitz 1992 Polen 19 Die zeitbedingte Liebe zum Extravaganten, Übertriebenen und Spekulativen [im barocken Theaterstil Polens] paarte sich hier jedoch mit mancherlei östlichen Einflüssen. Zusammen ergab das einen Stil, den ausländische Reisende mitunter als „exotisch" oder „barbarisch" bezeichneten, der aber . . als ausgesprochen polnisch-sarmatisch empfunden wurde. barbarisch 2a: 1384 Durandus' Rationale divinorum officiorum (Übers.) (1984 Festschr. S. Grosse 197) Teusche zunge ist auch von alter her di mynniste und gegen latein die wildiste, die wier wizzen, davon haizzet si barbara, daz ist wilde, und darumb muezzen wier ofte wort fuer worte nennen, so wier latein bedeutschen wellen; 1466 D. erste dtsch. Bibel VI5 f. das ich ietzunt die wort der tage hab aus gedolmetztst das ich dorumb getan: daz ich der namen die die schriber haben gelestert vnd falsch geschriben: vnd offenlich barbarischen syn durch die verse getewet haben; Xylander 1562 Euclid (Übers.) Vorr. b2a Es werden sich auch villeicht die so vnser Teütsche sprach gar verachten, alss Barbarisch vnnd guotte künste fürzuobringen vntüchtig, meiner vermessenhait [den Euklid zu übersetzen] verwundern; Paullini 1697 Lust III 787 In barbarisch, das ist, Mönchs- Kloster- oder Küchen-Latein; Mencke 1716 Charlatanerie 89 den unvergleichlichen Cicero, einer ungebildeten und Barbarischen Schreib-Art beschuldiget; Gottsched 1730 D. Dtsch. Ges. i. Leipzig Sehr. II Vorr. Und in der That ist das bisher ein Fehler unsrer Landsleute gewesen, daß sie lieber ihre Schriften in einem barbarischen Lateine, als auf gut Deutsch haben abfassen wollen (REICHEL); Gleim-Ramler 1759 Briefw. II 376 barbarisches Deutsch; Geliert 1769 S. Sehr. V 139 Wir, die wir gemeiniglich in der

barbarisch trockensten und dunkelsten lateinischen, oder deutschen Sprache, die von der Sprache der Alten, und von der Sprache der Welt so sehr entfernt ist, philosophiren lernen . . Werden wir nicht mit vielem Stolze auf unsre Ungeschicklichkeit armselig und barbarisch sprechen?; Herder 1775 Geschmack (S. W. V 632) Die Griechen verstanden unter Commodus den Homer nicht mehr, und die Lateinische Sprache neigte sich zur rustica Romana: Alles ging endlich in die grosse Barbarische Fluth unter; Goethe 1786 Br. (WA IV 7,171) Der gute Kayser dauert mich nur, daß er seine Musick an diese barbarische [deutsche] Sprache verschwendet; Heynatz 1797 Antibarbarus II 690 Anm. Noltenius, . . [der] selbst zuletzt Barbarismen von barbarischen Wörtern unterscheidet, und unter jenen das versteht, was der natürlichen Art oder dem Genius einer Sprache zuwieder ist . . Es scheint am rathsamsten zu sein, den Ausdruck . . Barbarismus für die Gattung, barbarische Wörter aber und barbarische Verbindungen als Benennungen der Arten zu gebrauchen; Humboldt 1820 Sprachstudien (Ges. Sehr. IV 3) die sogen, rohen oder barbarischen Mundarten; Schlözer 1828 Schlözers Privatleben I 217 Briefe . ., die in einem barbarischen Latein, ganz im Geiste der virorum obscurorum geschrieben sind; Scherr 1865 Blücher III 101 es kennzeichnet die geistige Atmosphäre Wiens zu jener Zeit, daß die . . schmutzige Monatschrift „Eipeldauers Briefe" . . in der Hofburg und in den Salons der Aristokratie den willkommensten, in barbarischem Styl gebotenen Lesestoff abgab; Weber 1922 Aufs. z. Wissenschaftslehre 395 die Erhaltung des Latein als universelle Gelehrtensprache, die es geworden war, ist allerdings durch . . [die] puristische Ausrottung der künftigen Entwicklungsansätze des eben deshalb als „barbarisch" verspotteten, scholastischen Latein unmöglich gemacht worden; Welt 14. 10. 1949 ich hoffe, Sie werden mein barbarisches Englisch entschuldigen; 1955 Weltbühne IV 108 Wer vom „Barras" erzählt, verfällt sofort in die widerwärtigste Sprache, die dem Menschen .. je gegeben ward, der barbarische von Fäkalien durchsetzte Umgangston, der allen Betroffenen durchaus geläufig ist, ein primitiver Umgangston. antibarbarisch: Nolte 1730 Lexicon linguae latinae Antibarbarum (Titel); Herder 1768 Ueher Thomas Abbts Sehr. (S. W. II 355) Wenn .. ein Deutscher Premontval . . ein Lexicon Antibarbarum schriebe; so würde er freilich auszählen, wo wir gesündigt haben, aber auch sündigen musten; Heynatz 1796 Antibarbarus I Vorr. VIII Des antibarbarischen Sprachlehrers Werk ist es nun, den ganzen Vorrath der auf die Ehre des Schriftdeutsch Anspruch machenden Wörter zu würdigen; ders. 1797 Antibar-

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barus II 709 in den von Herrn Hofrath Campe veranstalteten Beiträgen kommt zerstreut manche antibarbarische Anmerkung vor; ebd. II 710 Beiläufig . . will ich mich über einen kleinen antibarbarischen Streit zwischen mir und einem Recensenten in der Neuen Allg. D. Bibliothek .. auslassen. barbarisch 2b: Eyb 1472 — 73 Plautus' Zwillinge (Übers.) (Dtsch. Sehr. II 65) so ich barbarisch, kriechisch . . reden würd; Rivius 1548 Vitruv. 8a dieweil in keiner Barbarischen frembden sprachen bißher weniger guter schrifft vnd bücher/ dann in der Teutschen sprach von newerfundenen künsten außgangen sindt/ außgenomen des weidtberümpten künstlichen Albrecht Durers bücher; Schwartzenbach 1554 Synonyma Vorr. A2b Vnnd aber vnser Teutsche sprach, vor ändern so vngleich, vnd durch mancherley fremde Barbarische sprachen, dermassen verderbt vnd verdunckelt; Tabernaemontanus 1588 Kreuterbuch I 296a bey den Apoteckern hat dieses edel Gewächß viel zerstörte vnd Barbarische Namen bekommen; Spangenberg 1608 Ajax (Übers.) (Griechische Dramen 129) Ich weiss nicht, was du pappeist/ je . . Dein Barbarisch Sprach kenn ich nicht; Schill 1644 Ehrenkranz 196 in mancherley sprachen, auch denjenigen, die wir Barbarisch heissen, als da sind die Welsche, Frantzösische vnnd Hispanische; 1702 Monatl. Auszug Jun. Ill 62 In den ersten 4. Büchern sondert er die Barbarische Wörter von den Lateinischen und machet einen Unterscheid unter denjenigen/ so weder ihren Uhrsprunge oder nur dem Flexu nach ihre Barbarey zeigen . . diejenige Wörter/ welche selbst ihren Uhrsprunge nach Barbarisch seyn/ oder doch . . auch Barbarisch deflectiret werden; Gottsched 1727—28 Biedermann II 124 gerade als wenn Meißen allein Deutsch spräche, und alle übrige Theile unsers Vaterlandes Barbarisch wären (REICHEL); Meier 1750 Anfangsgründe III 353 Man mus in einer reinen Schreibart, alle barbarische Worte und Redensarten, vermeiden .. Wer also rein Deutsch schreiben und reden wil, der mus sich für barbarischen Worten, Redensarten und Wortfügungen hüten; Herder 1768 Ueber Thomas Abbts Sehr. (S. W. U 346) Deine Rede sey rein, nicht barbarisch, ohne Solöcismen, ohne veraltete, und neue, ohne fremde und bunte Wörter u. s, w. Das ist freilich leicht zu sprechen, aber schwer anzuwenden. Wenn ist etwas ein Barbarismus?; Rust 1774 Antiquitäten I 371 zu wissen, wie diese oder jene Sache, die ein jeder Deutsch verstehet, auf gut Undeutsch, auch barbarisch genennet werden könne? Schaffet doch die Thorheit ab, in Deutschland mit Hunden und Pferden Französisch zu sprechen, wenn anders überhaupt eine solche Unterredung und Sprache nöthig ist; Goethe 1784 Br. (WA IV 6,324) daß er [Lavater] sich mit veralteten barbari-

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sehen Terminologien herumschlägt . . gehört so nothwendig zu seinem eignen als zu des Buches daseyn; Kotzebue 1801 Jahr l 56 Der Herr Hofrath Schtschekatichin — (man erlaube mir, seinen barbarischen Nahmen hier zum letzten Male zu schreiben); Goethe 1817 Morphologie (WA // 6,106 f.) Sie sahen ihre Kenntnisse auf das anmuthigste angeregt, wenn ein schmucker Landknabe, . . große Bündel von Krautern und Blumen vorweisend, sie alle mit Namen, griechischen, lateinischen, barbarischen Ursprungs, bezeichnend; Tb. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. X 188) ein Italiener mit dem barbarischen Namen Suckert; Kesten 1952 Casanova 98 Sollte ein so glänzender Sprecher wie er in der Provinzstadt Adrianopel ein Jahr lang eine barbarische Sprache lernen, die er doch nie meistern würde?; 1954 Sinn u. form 111 350 Der Dichter Ovid, zu solchen Barbaren verbannt, hat in ihrer barbarischen Sprache gedichtet und wurde von ihnen hoch geehrt; Klein 1957 Latein 88 antiker Begriff der „barbarischen" Sprachen; A. Schmidt 1966 Trommler 23 kauft Margarine Rama — Hautana: barbarische Namen, ich machte mir keine Hoffnung, sie je im Kopf zu behalten (PAUL). barbarisch 3a: 1466 D. erste dtsch. Bibel X 324 wenn sy wurden sundigen das sy von im [Gott] gutlicher wurden gestraffte: vnd das sy nit den sehendem vnd den barbarischen menschen wurden gegeben; 1546 Pasqttiüus Novus d. Husseer (Strobel 1793 Neue Beytr. IV 2,168) wie sy [die Husaren] mit kreyssenden weybern vnnd ändern Junckfrawen barbarisch genug gehandelt haben; Serres 1574 Frantz. History 191 Vnnd vber diese barbarische grausamkeiten, so vberheben sich noch jene mörder so hoch; ebd. 197a barbarische Tyrannei (SCHÖPFE); Fischart 1578 Ehezuchtbüchlein (W. Ill 122) was dörfen sie sich dan also grob an jrem Vatterland vergessen, . . das sie es für . . wilder, Barbarischer vnd vnmenschlicher, als die Römische vnd Latinische Heyden schätzen; Spangenberg 1605 Hecuba (Übers.) (Griechische Dramen 3108) Sollten die Griechen Freundschafft han mit eim Barbarischen Tyran?; Hulsius 1612 5. Schiffart 16 starcke, wüste, Barbarische Leut; 1634 Bericht v. Friedlands Verrat G2a mehr als Barbarischen Tyranney; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 21 Bosnia gehört jetzt völlig vnter dises barbarische Joch [der Türken]; 1691 Pfalz 26a durch der Franzosen mehr dann Barbarische Grausamkeit; Elis. Chart. 1702 Br. l 297 Wen man den wüsten Melac ein wenig den buben butzen mögte, were es mir gar nicht leydt; ich kan ihn nicht leyden, weillen er so gar barbarisch undt cruel ist; Sperander 1727 A la mod Sprach 65 Barbarisch, wild, unmenschlich, grausam, ist hergenommen von

Türck- und Heydnischen Völckern, so gemeiniglich sehr grausam und dahero Barbarn genennet werden; Geliert 1751 Br. (S. Sehr. IV 170) acht Wochen lang habe ich keine Feder ansetzen dürfen, so barbarisch ist der Medicus mit mir umgegangen; Meister 1783 Blätter 114 Eine Mutter, die sich entschliessen kann, ihr Kind umzubringen, wird als barbarisch verabscheut; Goethe 1795 Br. (WA IV 10,357) Gestern ist wieder ein detestables Stück von Ziegler aufgeführt worden . . wobey sie so barbarisch zugehauen haben, daß ein Schauspieler fast um seine Nase gekommen ist; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland II 82 Bei diesem Siege [in Frankenhausen in Thüringen] ward [von dem siegreichen Heer] barbarisch gehausst; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA l 20,402) Mittler .. pflegte gern zu behaupten, daß sowohl bei der Erziehung der Kinder als bei der Leitung der Völker nichts ungeschickter und barbarischer sei als Verbote, als verbietende Gesetze und Anordnungen; Dohm 1819 Denkw. IV 296 nur durch barbarische Strafe, die bey jeder versuchten Entweichung gewiss bevorstand, konnten diese Menschen in dem Kerker ihrer Garnisonen . . gefangen gehalten werden; Marx/Engels 1842—43 Publizist. Arbeiten (MEGA I 1,152) ihr haltet es für barbarisch, Nachtigallen zu blenden, und euch dünkt keine Barbarei, mit spitzen Censurfedern der Presse die Augen auszustechen; Bechstein 1854 Hexen 144 Ehe er aber aus dem Hause ging, stellte er einen Prügel zurecht, mit dem er [ihn] . . barbarisch durchhauen wollte; Bebel 1883 Frau 141 Eheschließungen ohne diese gesetzlichen Voraussetzungen wurden mit harten, zum Teil barbarischen Strafen belegt; Role f 1887 Reisebr. 6 Wie ich bereits . . angedeutet habe, hat der Kronprinz durchaus keinen Geschmack an dem grausamen und barbarischen Schauspiele des letzten Stiergefechtes gefunden; Busch 1899 Tagebuchblätter U 3 [an] Beispielen der barbarischen Kriegführung der Franzosen; Luxemburg um 1917 Reden II 497 wenn . . die Mehrheit des Volkes zu der Überzeugung gelangt, daß Kriege eine barbarische, tief unsittliche, reaktionäre und volksfeindliche Erscheinung sind, dann sind die Kriege unmöglich geworden; Thälmann um 1924 Reden II 260 Auf dem Kongreß der werktätigen Frauen hörten wir erschütternde Tatsachen über diese barbarischen Ausbeutungsmethoden; T/?. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. XII 859) der Nationalsozialismus, nur er, ist dieser Bolschewismus; und wenn Kriege, zerstörender und barbarischer als der Dreißigjährige, über Europa hingehen und es atomisiert und um Jahrhunderte zurückgeworfen hinterlassen werden, er, der Feind der Menschheit wird der Urheber gewesen sein; Zeit 22.2. 1985 der kommunistische Journalist Henri Alleg schilderte 1957 in einer erschütternden . .

barbarisch Broschüre, wie er . . auf barbarische Art gemartert worden ist; ebd. 9,8. 1985 Robert Havemann [schreibt]: „die Psychoanalyse ist eine antihumanistische, barbarische Ideologie, denn sie macht die tierischen Triebe zur Grundlage der menschlichen Psychologie und verleugnet die Beherrschung des Tierischen in uns durch die Kraft des menschlichen Bewußtseins"; ebd. 2. 1.1987 Theodor W. Adornos berühmtes Verdikt, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch, ist häufig zitiert und noch häufiger mißverstanden worden; MM 13. 4. 1988 wie immer, wenn Terroristen zuschlagen, fragt man sich zornig, warum es denn nicht gelingt, diesem barbarischen Treiben ein Ende zu setzen. überbarbarisch: Freudius 1667 Gewissensfragen 61b sondern auch dasselbe Kind überbarbarisch geschändet. barbarisch 3b: 1916 Schwed. Stimmen 105 das barbarische Preussen aus Deutschland herauszuwerfen; T/7. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. Xll 63) einerseits sieht er in der Entente etwas Zartes, Gebrechliches, Köstliches, Edel-Schwaches, das durch das barbarische Deutschland brutalisiert zu werden . . große Gefahr läuft; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1092) wogegen die nach Frieden lechzenden Völker mit spätem, verzweifeltem Entschluß zu den Waffen gegriffen haben, um ihr Menschentum, ihre Menschenwürde, ihre Freiheit vor dem Sturz in barbarische Sklaverei zu bewahren; Zeit 19. 4. 1985 die .. Diskussion . ., ob die deutschen Soldaten . . als Vollstrecker des barbarischen Naziregimes oder selbst als dessen Opfer angesehen werden müßten; ebd. 31.5.1985 die finstre, barbarische „Nacht des Faschismus"; ebd. 15. 8. 1986 er hat die Revolution und die barbarische Kulturrevolution — mit ihren eine Million Toten, 30 Millionen Verfolgten und Geschundenen sowie 100 Millionen Betroffenen — hinter sich. barbarisch 4a: Reuchlin 1518 Briefw. 295 So nun, churfürst [Herzog Friedrich von Sachsen], lange jähre vnd viel zeit teutsche land von ändern landen für ein barbarisch, viehisch geschätzt worden ist, vnd nicht unbillig, denn wenig aufsehens ist von unsern vorfahren auf die menschliche, höfliche zierde der rede . . gehalten worden; Paracelsus 1529 Ursprung (S. W. l 7,324) das sie in deutschen oder in der leren sprach nicht mer under allen geschlechten diser krankheiten dan drei oder vier namen haben, das ist: reudig, der krebs und die fistel; under disen begreifen sie alle krankheiten, wie so ein große dölpische, barbarische, unverstandene erfarenheit das sei, mögen ir aus euch selbs wol urteilen; Leibniz 1679 Ermahnung (Dtsch. Sehr, l

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21) warum sind denn diese Nationen lange Zeit barbarisch gewesen; Gottsched 1725—26 Tadlerinnen l 35 Uns Teutsche aber hat man . . mit Gewalt zu einem barbarischen Volcke machen wollen, welches sich keines guten Geschmackes anzumassen habe (REICHEL); Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 226) besonders beleidigte ihn [den Schauspieler des Pariser Theaters, eines alten Ballhauses] die barbarische Gewohnheit, die Zuschauer auf der Bühne zu dulden, wo sie den Akteurs kaum so viel Platz lassen, als zu ihren nothwendigsten Bewegungen erforderlich ist; Nicolai 1790 Anekdoten IV 19 Wohlthäter der barbarischen preußischen Länder dadurch zu werden, daß er zuerst in denselben eine Buchdruckerey anlegte; Hölderlin 1797-99 Hyperion (S. W. Ill 153) So kam ich unter die Deutschen . . Wie anders [als dem blinden Oedipus vor den Thoren von Athen] gieng es mir! Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien, . . dumpf und harmonielos; Schleiermacher 1799 Religion (W. IV 66) das Rohe, das Barbarische, das Unförmliche soll verschlungen und in organische Bildung umgestaltet werden; Treitschke 1897 Politik I 83 Es ist auch eine rohe und barbarische Anschauung, wenn man die Kunstpflege des Staates als Luxus auffaßt; Simson 1900 Simson 87 die Einrichtung [das Theater] im Ganzen hat bei allem Putz und Schmuck . . etwas halb Barbarisches, das neben der Vollendung der Civilisation in allem Technischen . . den eigentlichen Kennzug der hiesigen Zustände ausmacht; Berl. Tagebl. 22.3.1932 Nun beginnt, nachdem die barbarischen Trompeten solange die Luft erschüttert haben, das Fest; Voss. Ztg. 31.3.1932 Gewöhnlich schimpft man dann [wenn aus Büchern Holzschnitte herausgeschnitten, Kupfer entfernt sind] auf die alten barbarischen Zeiten, die dergleichen taten. Aber diese alten Zeiten waren gar nicht so barbarisch. Barbarisch ist unsere Gegenwart, in der um weniger Groschen willen das alte Buch berufsmäßig vernichtet wird; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 705) man möchte doch nicht barbarisch sein, scheut doch wieder das Odium vor der Welt und legt Wert auf Bildung; Zeit 8. 3. 1985 Eulenburg schildert in seinen . . Memoiren, wie sich noch im Berlin der siebziger Jahre . . der Salon von Mimi Schleinitz . . und die barbarische, total unkultivierte Meerkatzenhöhle der Bismarcks feindselig gegenüberstanden; ebd. 20. 12. 1985 es ist, als seien die Hochhäuser um sie herum . . Ausdruck einer barbarischen Architektur; Seel 1989 Moderne 59 Die souveräne Kombination und Nivellierung der ästhetischen Sphären, diese . . Aufhebung der Kunst im Kontext einer äs-

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thetisch abgedichteten Gegenwart, haben sie als durch und durch falsche, ja „barbarische" Vollendung der Moderne erfahren. barbarisch 4b: Rivius 1548 Vitruv. 83b Die Barbarischen Pyramides vnd Obeliscos (das sind die hohen Kegel oder Pfeiler/ von den alten zu ewigen gedechtnussen auffgericht) zu beschreiben/ wie dann zu Rom solcher pfeiler Cesaris noch gesehen wirt; König 1734 Geschmack (Canitz 1734 Gedichte 373) der in den Barbarischen Zeiten [im Mittelalter] gäntzlich verlohrne gute Geschmack in allen Arten der Künste, Wissenschaften, Erfindungen und Schiffbau wiederum glücklich eingefunden; Haller 1749 Versuch Anm. 58 die barbarischen Jahrhunderte vom zehenden bis zum funfzehenden, wo .. der Aberglauben in allen Kirchen der Welt die herrschende Religion war; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 8 In den barbarischen Jahrhunderten, welche auf das fünfte S. C. N. folgten, wurde dieses Geschäft [das Abschreiben der Bücher] den Mönchen und Nonnen überlassen; Herder 1780 Einfluß (S. W. IX 374) Eine Monarchie auf Christlichen Despotismus gegründet, ist ein schwaches Ding, . . wie die Geschichte Konstantinopels zeiget .. Die Barbarische Lehnsmonarchie war ein schwaches Wesen für sich; Goethe 1782 Er. (WA IV 5,265) Alle unsere Akademien haben noch barbarische Formen in die man sich finden muß; Meiners 1786 Grundriss 81 Eintheilungen von wilden, barbarischen, halbkultivierten und ganz gebildeten Völkern; Goethe 1786 Tagebücher (WA III 1,240) wie ich gestern Bilder von Titian sah .. Es ist das die Geschichte der Kunst und jedes der einzelen grosen ersten Künstler nach der barbarischen Zeit; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 141) dieser Stamm . . hat seinen gemeßnen Kreis von Bedürfnißen und für diese auch Sprache . ., wie wir an allen kleinen so genannten Barbarischen Nationen sehen; Goethe 1801 Weiber (WA I 18,306) der Ausspruch: „Er soll dein Herr sein" ist die Formel einer barbarischen Zeit, die lange vorüber ist; Schlabrendorf 1804 Anti-Napoleon 148 Bald haben sie diese barbarische Feudalität begründet, welche Jahrhunderte hindurch das Menschengeschlecht herabgewürdigt hat; Goethe 1805 Rameaus Neffe (WA I 45,176f.) Wäre nicht durch die romantische Wendung ungebildeter Jahrhunderte das Ungeheure mit dem Abgeschmackten in Berührung gekommen, woher hätten wir einen Hamlet, einen Lear, eine Anbetung des Kreuzes, einen standhaften Prinzen? Uns auf der Höhe dieser barbarischen Avantagen, da wir die antiken Vortheile wohl niemals erreichen werden, mit Muth zu erhalten ist unsre Pflicht; 1810 Almanach a. Rom l 91 Ein barbarisches Zeitalter, das mehrere Jahrhunderte umfasst, in denen die

bildende Kunst nicht allein schlecht geübt, sondern sogar verfolgt ward, hielt es der Mühe nicht für werth, diese Schätze des schriftstellerischen Alterthums einer bessern Nachwelt aufzubewahren; Beck 1812 Mittelalter 11 Die Jahrhunderte des Mittelalters sind mit dem Namen des barbarischen gebrandmarkt. . worden; Athenstädt 1823 Europa II 61 Es ist nicht zu leugnen, daß der Zweikampf nur ein Ueberbleibsel der barbarischen und abergläubischen Zeiten des Faustrechts ist; Heine 1835 Rotnant. Schule 18 Jener Spiritualismus wirkte heilsam auf die übergesunden Völker des Nordens, die allzuvollblütigen barbarischen Leiber wurden christlich vergeistigt; es begann die europäische Zivilisation; Boretius 1861 Br. (1900 Lebensbild i. Br. 173) der damals als barbarisch so verachteten Gothik; Th. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. XII 665) das natürliche Recht des Menschen, das Recht auf die Muttersprache, das selbst barbarische Jahrhunderte geachtet hatten, wird heute Millionen Europäern bestritten; ders. 1947 Faustus (W. VI 495) ist zu leugnen, daß dies ein vorkultureller, ein barbarischer Zustand des Kultus war — und ist es verständlich, . . daß die spätkulturelle Erneuerung des Kultischen zu Mitteln greift, die . . auch seinem Primitiv-Stadium angehören?; De Man 1951 Vermassung 15 jene Kulturstufen, die die Anthropologen „wild" oder „barbarisch" nennen; Bollnow 1962 Maß 173 so war das Bild der Gotik als des Barbarischen und Ungeformten aus dem ganz andersartigen klassischen Lebensgefühl der Renaissance und überhaupt der beginnenden Neuzeit zu verstehen; Zeit 29.3.1985 hatte in der Renaissance Vasari die mittelalterliche Kunst als „gotisch", nämlich barbarisch abgewertet, weil sie minderwertig sei, gemessen an den strengen Kriterien der Abbildlichkeit der Renaissance, so haben wir heute eine normative Ästhetik längst beiseite gelegt; ebd. 5. 4. 1985 die Vorstufen solcher Kulturschöpfung sehen sich vom Autor als „barbarische Zeiten" bezeichnet, womit er meint, daß Voraussetzung für die Höherentwicklung „eine Welt flottierender Kulturtrümmer" ist, in der sich Hochkulturen zersetzen, ihre Ausstrahlung auf die anstürmenden jungen Völker aber noch immer ausreicht, um deren Stammesethos zu zerstören. antibarbarisch: Th. Mann 1937 Reden u. Aufs. (W. XII 799) Maß, das ist Ordnung und Licht, die Musik der Schöpfung, und dessen, was schöpferisch ist; es ist auch das Errungene, dem Chaos Abgewonnene, das Anti-Barbarische, der Sinn der Form, der Sieg des Menschen. barbarisch 4c: Goethe 1797 Br. (WA IV 12,382) so soll alles sinnlich wahr, vollkommen, gegenwärtig, dramatisch seyn .. Diesen eigentlich kindischen,

barbarisch barbarischen, abgeschmackten Tendenzen sollte nun der Künstler aus allen Kräften widerstehn; ders. 1808 Br. a. d. Schweiz (WA I 19,215) diese verwünschte Gesellschaft, . . wo die vielen Lichter kaum eine leidliche Gestalt beleuchten, die noch dazu hinter einen barbarischen Putz versteckt ist; 1808 Sammler v. Tirol III 181 so genannte barbarische Beinkleider [der Brixener Chorknaben]; 1812 (Mutius 1930 Br. 133) Ist es nicht hart, daß die gelehrten Karzeres ein so barbarisches Ansehen haben? Wände, Fußboden, Türen, Fenster sind durch die mannigfaltigen und unzähligen Inskriptionen, Malereien und Stukkaturarbeiten meiner Präzedenten zu wahren Kunstwerken erhoben worden; Goethe 1816 Aufgeregten (WA 118,59) Glaubt mir nur, es wird zu nichts mehr Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu putzen, ihnen diese garstigen barbarischen Excremente der Natur, diese Barthaare, womit sie das männliche Kinn täglich verunreinigt, hinweg zu nehmen; ders. 1816-17 Italien. Reise (WA I 31,265) Wir pflegen gewöhnlich die Liebhaberei zu bunten Farben barbarisch und geschmacklos zu nennen; ders. um 1832 Reise i. d. Schweiz (WA l 34.1,319) Da die Spiegel .. in die Wand eingelassen und niemals in mehr oder weniger barbarischen Rahmen aufgehängt werden, so fallen die Rahmen dazu meist in das Feld des Stuccaturers; Kohl 1844 Reisen i. England u. Wales U 69 dass Leute, die das Ganze so schön und richtig einzurichten wussten, zu gleicher Zeit im Einzelnen einem so ausserordentlich barbarischen Geschmacke huldigten. barbarisch 4d: Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 83) keinem Zweifel unterliegt es auch wohl, daß wir sehr viel barbarischer werden müßten, um der Kultur wieder fähig zu sein; ebd. VI 289 An der Karikatur des Humanismus war nicht Adrian schuld, sondern Shakespeare, und von ihm ist auch die verschrobene Ideenordnung vorgegeben, in der die Begriffe „Bildung" und „Barbarei" eine so sonderbare Rolle spielen. Jene ist geistiges Mönchstum, eine Leben und Natur aufs tiefste verachtende, gelehrte Überfeinerung, welche in Leben und Natur eben, in Unmittelbarkeit, Menschlichkeit, Gefühl das Barbarische sieht; ders. 1947 Reden u, Aufs. (W. IX 707) Nietzsche's Verherrlichung des Barbarischen ist nichts weiter als eine Ausschweifung seiner ästhetischen Trunkenheit, und allerdings verrät sie . . die Nachbarschaft . . von Ästhetizismus und Barbarei. barbarisch 5a: Kiechel um 1600 Reisen 195 [sie] redenn mörisch oder arabisch, wölche mütt der ägüptüschenn und barbaryschen sprach überein kompt; Hübner 1704 Staats- H. Zeitungslex. 101 Barbarische Meer. Hierdurch wird unterweilen

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derjenige gantze Theil des Mittelländischen Meeres verstanden, welcher die Küsten derer Königreiche Tunis, Alger und Fez benetzet und sich biß an die Insuln Sicilien und Sardinien erstrecket. barbarisch 5b: Hörwart v, Hohenburg 1581 Reyterey 7b zuo Mantua hat es auch ein gestied von Barbarischen Pferden, die werden mehr gelobt . .; Pernauer 1700 Reit-Bahn 43 f. Vom Barbarischen Pferd. Der Berber; Krünitz 1773-75 Oec. Enc. III 528 barbarisches Pferd . . heißt ein Pferd, das man aus der Barbarei und Africa bekommt; ebd. Ill 529 wenn der König von Frankreich barbarische Pferde für seine Stutereien oder Ställe haben will, so trägt er deren Besorgung einem von seinen Stallmeistern auf. barbarisch 6a: Lavater 1774 Verm. Sehr, l 168 Sie können mir diesen Aufenthalt [im Appenzeller Land] auch mit angenehm machen, wenn Sie mir öfters jn meiner barbarischen Einsamkeit sagen lassen, was man unten in der Welt machet; 1854 Prutz' Museum I 445 Pitt und Napoleon I. überboten einander an barbarischer Misachtung aller völkerrechtlichen Regeln; Suckoiv 1862 Soldatenleben 325 ich weiß nicht, ob wir nicht weniger von dieser barbarischen Kälte gelitten, wenn wir . . ein Bivouak bezogen hätten; Kretzer 1880 Genossen 23 [im Parteifond sei] „eine barbarische Ebbe vorhanden"; Kellermann 1913 Tunnel 196 Voran schritt eine Musikkapelle, die einen barbarischen Lärm machte; Th. Mann 1925 Erz. (W. VIII 646) ein Paar riesiger Ohrringe, wirklicher Ringe und von barbarischer Größe; Klepper 1933 Kahn 96 Nun sollte er sich in dieser barbarischen Hitze schinden; H. Mann 1945 Zeitalter 205 Der öffentliche Körper und seine barbarische Langsamkeit erdrücken das Bewußtsein der einzelnen; Feuchtwanger 1954 Teufel 10 In meinem tiefsten Innern aber weiß ich, daß ich nicht das Geringste weiß von den Ursachen des barbarischen Wirrwarrs, in welchem wir alle uns drehen; 1954 FAZ Nr. 13, Beibl. Die Tochter Gustaf Adolfs, die .. auf den Thron verzichtete und von da an in Rom oder auf Reisen lebte, . . alle Welt skandalisierend durch ihr Auftreten, ihre Redeweise und die barbarische Wildheit ihres Temperaments; Süßkind 1981 Kontrabaß 26 Er geht zum Fenster und öffnet es. Barbarischer Lärm von Autos, Baustellen, Müllabfuhr, Preßlufthämmern etc. dringt herein. barbarisch 6b: Seume 1803 Spaziergang (W. I 369) Die Maulesel machen einen barbarisch starken Schritt; Hahn-Hahn 1844 Oriental. Br. I 139 [die Häuser am Bosporus] im Winter barbarisch kalt; Feuerbach 1848 Br. a. s. Mutter l 173 [ich] kam höchstens auf acht Tage einmal nach Starnberg,

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barbarisieren

denn ich musz barbarisch im Zug bleiben (SCHÖPFE); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 439) Russen, bärtig und elegant, barbarisch reichen Ansehens; Brey 1924 Kreuzhof 90 eine barba-

risch famose Partie [Heirat]; Böll 1957 Irisches Tagebuch 19 als ich mich entschlossen hatte, trotz so barbarisch früher Zeiten den Gastgeber zu wekken. RS

barbarisieren V. (in)trans., im frühen 17. Jh. vereinzelt, erst seit früherem 19. Jh. häufiger belegte Entlehnung aus (m)lat. barbarizare 'sich fehlerhaft ausdrücken; jmdn. wie einen Barbaren behandeln' (< griech. 'sich wie ein Ausländer betragen, unverständlich, schlecht griechisch sprechen; es mit den Barbaren, Persern halten', zu , —» Barbar). 1 Zunächst als V. trans, für 'jmdn., etwas überfremden und primitivieren', z. B. barbarisierte Länder; daneben in der Münzkunde, z. B. barbarisierte Münzen (s. Beleg 1970), seit früherem 19. Jh. vereinzelt auch als V. reflex, in der Bed. 'jmdn./ sich dem Fremden angleichen' (—» Barbar l und 4a, —»· Barbarei l und 4a). 2 Seit früherem 20. Jh. als V. trans, auch für 'eine Sprache durch eine Fremdsprache beeinflussen' (—>· Barbar 2b, —» Barbarismus Ib); etwa gleichzeitig auch für 'die Sprache fehlerhaft gebrauchen, gegen sprachliche Normen grob verstoßen, schlecht sprechen, Fremdwörter normwidrig verwenden' (—> Barbar 2a, —> Barbarismus l a). 3 Etwa gleichzeitig als V. trans, in der Bed. 'jmdn. verrohen, verwildern lassen' (—» Barbar 3a). 4 Seit Mitte 20. Jh. für 'etwas bewußt auf die Anfänge des Primitiven zurückführen, um es zu beleben und zu erneuern' (—» Barbar 4c). Dazu seit Mitte 19. Jh. das Verbalsubst. Barbarisierung F. (-; -en) in der Bed. 'normwidriger Sprachgebrauch' (zu 2), seit spätem 19. Jh. für 'Überfremdung (und Primitivierung); Anpassung an Fremdes' (zu 1), auch in der Bed. 'das Nachbilden von regulären griechischen und römischen Münzen durch Völkerschaften am Rande des antiken Kulturkreises' (zu 1), etwa gleichzeitig für 'Verwilderung, Verwüstung, Vernichtung; Inhumanisierung' (zu 3); seit frühem 20. Jh. in der Bed. 'Verjüngung, Erneuerung durch das bewußte Zurückgehen auf das Archaische, Primitive, Urtümliche' (zu 4). barbarisieren 1: Opitz 1624 Poemata 2 Also daß es ein grober unverstandt von uns Teutschen were, die Musas, demnach sie andere nunmehr Barbarisirte Länder verlassen vnd zu vns eingekehret, wiederumb zurück weisen . . wollen; 1832 Histor. — polit. Z. l 816 In Griechenland kommt es darauf an, die barbarisirte Natur der Einwohner mit Europa, dem sie sich angeschlossen haben, dem sie ihre Freiheit verdanken, in Uebereinstimmung zu setzen; Rumohr 1832 Reisen 143 In Neapel sieht man aus der Zeit derer von Anjou und Aragonien stattliche Schlösser und Kirchen. Nach der barbarisirt sich die Architectur; sogar das königliche Schloss schillert ins Spanische; Kurtz 1837 Genzianen 166 damals [im 14. Jh.], als die Türken die ganze Christenheit barbarisirten; Marx 1867 Kapital I (MEW XXIII 753) Was ist nun das Resultat des in den Kolonien herrschenden Systems des auf eigner Arbeit, statt auf der Exploitation fremder

Arbeit beruhenden Privateigenthums? Ein „barbarisirendes System der Zerstreuung der Producenten und des Nationalvermögens"; Nordau 1881 Kreml l 84 Die hochgebildeten Griechen wurden während der vier Jahrhunderte ihrer Abhängigkeit von den Türken fast gänzlich barbarisiert; Nietzsche vor 1900 Ecce homo (W. II 1113) das Leben krank an diesem entmenschten Räderwerk und Mechanismus, an der „Unpersönlichkeit" des Arbeiters, an der falschen Ökonomie der „Teilung der Arbeit". Der Zweck geht verloren, die Kultur — das Mittel, der moderne Wissenschafts-Betrieb, barbarisiert; Bahr 1925 Liebe I 301 Venedig holte sich seine Kultur aus dem Osten, wo die Antike barbarisiert und versteinert . . weitergelebt hat; Hausenstein 1930 Bad. Reise 88 [Reichenau] . . Mittelzell, Oberzell, Niederzell mit jener wunderbaren, romanischen Primitivität, in der die letzte Vollendung der Antike sich ermüdet und barbarisiert, indem sie

barbarisieren den Andrang des germanischen Nordens zwischen Säulen, unter Rundbogen und flachen Hallendekken beschwichtigt, fasst, zur reinen Form erzieht; 1970 Wb. d. Münzkunde 57 sein Ende aber findet der Begriff barbarische Nachahmungen da, wo die wirkliche Münzherrschaft sich durch deutliche Aufschrift kundtut, auch wenn etwa die barbarisierte Staatsaufschrift des Vorbildes . . erhalten bleibt. Barbarisierung: Nietzsche 1884-88 W. IX 165 Die Kirche ist die Barbarisirung des Christenthums; Mommsen 1889 Reden u. Aufs. 182 Die Lieder des Horaz lesen wir heute noch und wenn die Barbarisierung nicht allzu rasch vorschreitet, werden sie noch manches Geschlecht erfreuen; 1902 Preuss. ]ahrb. CV7/ 426 Wir reden von einer beginnenden Barbarisierung Russlands, wo eine ganze Literatur über seine fortschreitende Europäisierung vorliegt; Birt 1905 (Bruns 1905 Vortr. u. Aufs. Vorw. X) [die] Barbarisierung Dorpats; 2912 Festgabe a. Schanz 174 mit der Barbarisierung des Westreichs ward der Einfluss des Romanismus [in Konstantinopel] . . fast völlig aufgehoben; Friedell 1927 Kulturgesch. I 249 [die] Barbarisierung der Religion; 1933 Festschr. a. Egger 24 Die innere Barbarisierung des römischen Heeres seit jenem kritischen 3. Jh. . . durch Orientalen, Pommern, zuletzt Germanen ist heute ein schon fast zum Überdruss abgeleiertes Schulthema; 1939 Kunst i. westfrank. Reich 11 die schon seit dem 3. Jahrhundert um sich greifende Barbarisierung der antiken Welt; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 711) Barbarisierung — auch im Bereich proletarischen Geistes (Döblin); ebd. XII 712 auch von den Arbeitern gegen die Barbarisierung nichts mehr zu hoffen; Curtius 1948 Essays 374 Der Vulgarisierung durch das innere Proletariat entspricht die Barbarisierung durch das äußere; Salomon-Delatour 1959 Soziologie 196 wenn man von Primitivierung oder Barbarisierung in der Politik der Massen spricht; Stuttgarter Ztg. 1. 7. 1969 Mit zunehmender zeitlicher und räumlicher Entfernung von den Urbildern zeigen die Keltenmünzen nicht nur eine Verschlechterung von Gewicht und Feingehalt, sondern auch ihre Bilder entwickeln ein zunehmendes Eigenleben, das man früher „Barbarisierung" genannt, heute aber als eigenständigen Stilwillen verstehen gelernt hat. barbarisieren 2: Kluge 1939 Br. (Brunnen 179) Auf eine Zeit, die das Wort barbarisierte und bar des Gefühls für Metrum und echten Reimklang war; Hausenstein 1964 Reisetagebuch 253 weisse Hanflilien, die der Tiroler Gillen nennt — das Welsche kräftig barbarisierend.

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Barbarisierung: Mommsen 1854 Rom. Gesch. I 201 Die Ursache dieser Barbarisierung [der lateinischen Sprache] ist also . . die nothwendige Verderbung, welche an jeder Sprache fortwährend zehrt. barbarisieren 3: Ortega y Gasset 1943 Wesen (Übers.) 51 Ein Übermass von Angst, eine Epoche vieler Veränderungen stürzt den Menschen in die Natur zurück, macht ihn zum Tier, das heisst barbarisiert ihn; ebd. 107 der tiefe Sinn und die Gefahr des „Aufstandes der Massen", der Erhebung der entarteten, barbarisierten und technisierten Massen der modernen Zivilisation gegen die eigenen Schöpfungen; Becher 1955 Macht d. Poesie 52 „Der Gedanke macht die Größe des Menschen." - Dieser Satz Pascals, .. als Fahne vorangetragen im Kampf gegen alle, die es unternehmen, den Menschen zu entrationalisieren, zu enthumanisieren, zu barbarisieren, zu entmenschlichen. Barbarisierung: Mommsen 1876 Reden u. Aufs. 64 wir werden es wohl einräumen müssen, daß . . wir noch heute die Folgen der Barbarisierung des Dreißigjährigen Krieges empfinden; Birt 1910 Provence 38 Durch Karl Martell kam sogar fränkische Zuwanderung ins Land, und die Zersetzung und Barbarisierung begann; Thieß 1941 Reich 16 der christliche Kirchenstaat mit seiner Hierarchie und seinen Klöstern rettete Italien vor völliger Barbarisierung und Verödung; 1954 Süddtsch. Ztg. Nr. 255 Eine Barbarisierung des Strafrechtes führe regelmäßig auch zu einer Barbarisierung der Verbrechen; Mitteis 1955 Stadt 14 Auch Kunst und Schrifttum verfielen der Barbarisierung; 1956 Saeculum VII 233 Aber wenn auch die ganze alte Welt zusammenstürzte und mit Anfang 7., 8. und 9. Jh. eine Periode der Barbarisierung und der Finsternis einsetzte, blieb doch die alte Kultur für immer bestehen; A. Zweig 1967 Schriftsteller 40 Eine Schreckenskammer des Rückfalls und der Barbarisierung hatte sich aufgetan, ohne Scham und ohne Skrupel; Zeit 27. 6. 1986 die Brutalisierung und Barbarisierung staatlicher Realpolitik allein schon durch Rüstung und Kriegsdrohung . . ist eine Herausforderung, auf die Sozialwissenschaftler bisher so gut wie keine Antwort gegeben haben. barbarisieren 4: Block (1954 Sinn u. Form VI 840) Daher . . der Satz Goethes, . . unüberhörbar auf das notwendige Barbarisieren im Faust bezüglich, der tief humane, ganz und gar nicht klassizistischimperialistisch klingende Satz: „Uns auf der Höhe dieser barbarischen Avantagen, da wir die antiken

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Vorteile wohl niemals erreichen werden, mit Mut zu erhalten, ist unsre Pflicht". Barbarisierung: Scheffler 1919 Geist d. Gotik 52 Es wäre zu wenig, mit halbem Zugeständnis dem gotischen Geist zuzugeben, er habe für eine Erneuerung und Verjüngung, für eine gesunde Barbarisierung zu sorgen, wenn der griechische Geist in seinem edlen Kulturgehäuse formalistisch zu erstarren droht; Th. Mann 1920 Reden u. Aufs. (W. XII 597) die fortschreitende Zerstörung aller

psychischen Wirklichkeit und seelischen Form, die scheinbar unaufhaltsame Anarchisierung und Barbarisierung der Menschenwelt durch den revolutionären Intellekt war es, was das Buch als Grundtatsache unseres Lebens voraussetzte; Spiegel 15.2. 1993 Dort ist von „Dekomposition des sozialen Körpers", Spaltung bis in die „Tiefen des Produktionsapparats" hinab, Archaisierung und Barbarisierung und vom „Übergang zu einem neuen gesellschaftlichen Gleichgewicht" samt deren Unkosten die Rede. RS

Barbarismus M. (-; Barbarismen), im späten 13. Jh. vereinzelt, seit spätem 15. Jh. häufiger nachgewiesen, über mlat. barbarismus 'fehlerhafte sprachliche Ausdrucksweise; Umgestaltung, Verfälschung; Heidentum' zurückgehend auf lat. barbarismus 'das Sprechen auf ausländische Weise; Sprachfehler; moralische Roheit, Ungeschliffenheit, Ungeschlachtheit' (< griech. 'das Reden einer fremden Sprache, das Reden oder Schreiben einer Sprache nach Art eines Fremden; fehlerhafter sprachlicher Ausdruck, Sprachfehler', zu , —* Barbar), anfangs meist in der lat. (flekt.) Form. la Zunächst in der Sprachwissenschaft, oft im PL, in der Bed. 'fehlerhafter Gebrauch eines Wortes, Fehler in Aussprache, Schreibung, Flexion', als Grundwort in der Zs. Sprachbarbarismus (vgl. Antibarbarus, —>· Barbar 2a). b Seit dem 16. Jh., oft im PL, auch für 'Gebrauch von Fremdwörtern; fehlerhafte, normwidrige oder zu häufige Verwendung eines Fremdwortes in einem Text'. 2 Seit spätem 15. Jh., PL ungebr., in der Bed. 'Unwissenheit, Banausentum auf einem bestimmten Gebiet' (—·* Barbar 4a); seit frühem 19. Jh., PL ungebr., auch für 'Kulturlosigkeit'; seit Mitte 20. Jh., oft im PL, in der Bed. 'kulturlose Handlung, Trivialität'. 3a Seit frühem 19. Jh., PL ungebr., im Zusammenhang mit der Vorstellung kulturhistorischer Entwicklungsabläufe verwendet in bezug auf den Frühzustand der Gesellschaft in der Bed. 'Primitivität', aus der Sicht der Renaissance und Aufklärung im Hinblick auf das Mittelalter für 'Rückständigkeit', auch zur Kennzeichnung der nichtantiken Welt von Goethes Faust im Unterschied zur hohen Kunst der klassischen Antike für 'Urtümlichkeit, das Archaische' (—»· Barbar 4b). b Seit Mitte 20. Jh., PL selten, in der Fachsprache der Musik, Kunst- und Kulturwissenschaft für 'bewußte Anwendung von Ausdrucksformen des Archaischen, Primitiven, Urtümlichen, Ursprünglichen in der modernen Kultur, Kunst und Musik zur lebenspendenden Erneuerung' (—> Archaismus, —* Barbar 4c), etwa gleichzeitig auch für 'Interpretation und Ausdruck des Archaischen' (s. Belege 1949, 1963). 4a Seit spätem 19. Jh., PL ungebr., stark negativ bewertend verwendet für 'Wildheit, Roheit, Grausamkeit, Verwilderung, Unkultiviertheit' (—» Barbar 3a). b Seit früherem 20. Jh. als stark abwertende Bezeichnung für 'Gewaltherrschaft, Diktatur des politischen Gegners' gebraucht, bes. den Charakter des Nationalsozialismus enthüllend, gleichzeitig als Grundwort in der Zs. Nazibarbarismus (—» Barbar 3b). 5 Ende 19. Jh. vereinzelt gleichbed. mit Barbarenmünze (—» Barbar 1).

Barbarismus Barbarismus la: Salimbene v. Parma 1280 Chronik (Übers.) I 152 Barbarismus; Melber 1481 Voc. o. S. Barbarismus, vngelert rede die nit recht gesetzt ist; Kirchhof 1563 Wendunmuth I 165 Auff ein zeit wolte er auff einer fürstlichen cantzley vor Statthalter cantzler und rechten einem ändern sein beschwer und not antragen, darunder er dann nit einen kleinen barbarismum vermischte und lauffen liesse; Weise 1702 Gedancken II 25 Zu derselben Zeit .., da man die Schuolen mit lauter obscuris viris besetzt hatte, welche das Latein mit lauter barbarismis anfülleten, und also den oratorischen und poetischen galanterien . . von Hertzen zuwider waren; Gottsched 1730 D.Dtsch. Ges. i. Leipzig Sehr. II 335 doch hat man Grund zu hoffen, daß . , anstatt der bisherigen schlechten Formeln und Curialien; Umschweife und Verwirrungen, Solöcismorum und Barbarismorum, davon unsre Schreibart wimmelt, bald eine vernunftmäßige, deutsche und grundrichtige Schreibart aufkommen werde (REICHEL); Zedler 1733 ünwersallex. III 392 daß die Fehler in denen Sprachen barbarism! genennet werden; Herder 1768 Ueber Thomas Abbts Sehr. (S. W. // 347,) Wenn ist etwas ein Barbarismus; wie wenn ich ihn, und einen Solöcismus unentbehrlich brauche?; Muratori 1772 Von d. guten Geschmacke (Übers.) 620 von . . sogenannten [grammatischen] Böcken und Fehlern/: Barbarismen; Heynatz 1797 Antibarbarus H 689 Abhandlung von den Barbarismen. Man versteht unter Barbarismus jedes in der guten Schreibart einer Sprache unzulässige Wort, es mag an und für sich oder nur in einer gewissen Bedeutung, oder endlich nur in einer gewissen Verbindung mit ändern Wörtern verwerflich sein .. Man unterscheidet oft von den Barbarismen die Solöcismen . . daß Barbarismus ein Fehler in einzelnen Wörtern sei, Solöcismus aber nur in der Verbindung mehrerer Wörter statt finde; ebd. 690 Und dies auf die Deutsche Sprache anzuwenden, kann man sagen, ein Barbarismus ist alles, was Undeutsch ist, und das Undeutsche besteht entweder in Undeutschen Wörtern oder in Undeutschen Verbindungen; Schulze 1810 (1890 Dtsch. Dichtung VII 194) zu viele Barbarismen und des goldenen Zeitalters unwürdige Ausdrücke; Wackernagel 1836 Poetik 432 Barbarismen sind nach der Auseinandersetzung Quintilians und anderer solche Fehler, die in einzelnen Worten für sich betrachtet liegen, . . die sprachwidrige Weglassung notwendiger oder die sprachwidrige Hinzusetzung überflüssiger Buchstaben oder Silben, oder die Vertauschung und Versetzung von Buchstaben und Silben; ebd. Die alten Rhetoriker und Grammatiker teilten diese Fehler und Verstöße in zwei Klassen: Barbarismen und Solözismen. Sie unterscheiden sich so, daß der Barbarismus, d. h. Fremdartigkeit, gegen die Reinheit der Sprache

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fehlt, der Solözismus . . gegen die Richtigkeit derselben; Partner 1964 Erben 224 der Mönch Beda Venerabilis . . der Autor der ersten Kirchengeschichte Englands . ., deren prägnanter und makelloser Stil gegenüber den Sprachbarbarismen eines Gregor von Tours geradezu die Wiedergeburt des Lateinischen einleitete; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 13 [die] „Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen" . . bildet im Deutschen den Höhepunkt jener jahrhundertealten Tradition sogenannter Antibarbari, die der Bekämpfung von „Barbarismen" in Sprache und Stil dienten: Negativzusammenstellungen speziell stilistischer Fehler und Unschönheiten, die vor allen Dingen abschrecken sollten; Ueding 1992 Hist. Wb. d. Rhetorik 1281 Unter Barbarismus versteht man „Fehler gegen die korrekte lautliche Zusammensetzung der Wörter" und im weiteren Wortverständnis Verstöße gegen die puritas als der idiomatischen Korrektheit einer Sprache. Barbarismus Ib: 16. }h. (Reicke 1900 Gelehrte 109) Unter anderm erklärten beide, die theologische und philosophische Fakultät zu Wittenberg: „Soloecismi, Barbarismis und nicht recht Griechisch in der heiligen Aposteln Reden und Schriften zu finden, ist dem heiligen Geist zu nahe gegriffen und wer die heilige Schrift einiger Barbarismi bezüchtigt, der begehet nicht eine geringe Gotteslästerung"; Corvinus 1623 Föns lat. 99 Barbarismus, wenn man sich frembder oder vndeutscher Wörter gebraucht; Bödiker 1698 Grund-Sätze 269 Barbarismus, die Fremdart; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 12 f. Daher denn auch die heutigen Lateinischen Critici lieber das Wort Nicotium, oder herba Nicotiana, als ein Inländisches/ gebrauchen/ weil man das Wort Tabacum leicht für einen Barbarismum halten dürffte/ weil es von denen Barbaris herstammet; Gottsched 1728 Biedermann II 99 daß sie von einem solchen Feinde angegriffen worden, der die gemeinsten Regeln der Schreibart nicht weiß und nicht drey Zeilen schreiben kan, ohne etliche Barbarismos und Solöcismos zu begehen, die in deutschen Ohren unerträglich; ders. 1748 Sprachkunst 429 der beste aus den Dingen; der stärkste aus den Helden. Allein das ist ein bloßer Latinismus, ex illis; und niemand wird so reden, der kein Latein kann. Es ist also im Deutschen ein Barbarismus (beide REICHEL); Moritz 1793 Grammat. Wb. I 165 Weil die Griechen und Römer die fremden Völker Barbaren nannten, so schreibt sich daher die Benennung Barbarismus, wodurch man jeden Ausdruck bezeichnet, welcher der Sprache, in der man redet, fremd ist. Wenn man z. B. nach dem Französischen sagen wollte: es macht kalt, anstatt: es ist kalt; 1800 Journal f. Baiern 601 [die]

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Barbarismus

lateinischen Barbarismen; Seume 1813 Leben (W. l 56) Das Griechische des neuen Testaments wollte mir nach dem Honig der attischen Biene nicht schmecken. Die Barbarismen, Solözismen und das halb morgenländische Wesen, wovon es voll ist, stießen mich immer zurück; Lang 1833 Reise 52 Man könnte ein dickes . . Conversations Lexikon schreiben über all den . . Patriotismus auf den Schreibbänken der Kanzleien, den Germanismus, Gallicismus und Barbarismus; Kleinschmidt 1875 Wandalismus 6 das Wort Barbarismus . . insofern es einen Complex von Völkern in sich fasst, .. muss wegen seiner Bedeutung: das Reden einer fremden Sprache, Sprachfehler, ausgeschieden werden; Achelis 1890 Theologie I 395 Der Barbarismus teils im Gebrauch unnötiger Fremdwörter oder fremdsprachlicher Konstruktionen, wie: ein Mann, als welcher ein edlerer nicht ist; Hermann 1930 Wordelmann 408 Genauso, wie es einem Manne aus dem Jahre zweitausendeinhundert nur schwer gelingen würde, einem von uns klarzumachen, warum fast unser ganzes Gemeinschaftsleben nebst der Rechtsprechung . . für ihn nur eine Kette unerhörter Barbarismen darstellt; Ueding 1992 Hist. Wb. d. Rhetorik 1281 Barbarismen sind somit nicht eingebürgerte, ausländische oder auch provinzielle Wörter, Redensarten und onomatopoetische Bildungen, unkorrekte lautliche Zusammensetzungen der Wörter .. sowie unkorrekte Schreibweisen. Barbarismus 2: Melber 1481 Voc. o. S. Barbarismus . . kunstloszikeit. vnuernunfftikeit; Mendelssohn-Bartholdy 1830 Reisebr. 50 denn wenn man [die] . . Logen von Raffael durch eine unsägliche Roheit und einen unbegreiflichen Barbarismus weggekratzt sieht, um Inschriften mit Bleistift Platz zu machen; Max. v. Mex. 1867 Leben II 48 für einen solchen Barbarismus findet man keinen Namen; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. XI 770) der Nationalismus ist bei uns gesetz- und verhängnismäßig mit Talentlosigkeit geschlagen, er ist nicht geistfähig, er kann nicht schreiben, in irgendeinem höheren Sinne nicht faszinieren, er ist schlichter Barbarismus; Petersen 1940 Geschichtsdrama 6 der Dekorationsunfug [im Theater], der den letzten Rest von Kunstgefühl verscheuche und Barbarismus des Geschmacks erzeuge; Süddtsch. Ztg. 20. 7. 1955 nun habe ich Angst, ob man nicht am Ende gar den Barbarismus begehen wird und die [vielhundertjährige] Linde fällen. Barbarismus 3a: Craig 1816 Grundzüge (Übers.) I 97 ist die politische Verbindung auf Rücksicht des Nutzens gegründet, die einer jeden Nation, die sich aus dem niedrigsten Barbarismus emporgearbeitet hat, in die Augen fallend seyn müsse; 1864 Haus-

blätter I 124 Im Despotismus schlummert der Herrschergeist, im Barbarismus die Naturgewalt, in der Tyrannei die Willenskraft; Marx 1867 Rede Dtsch. Bildungsverein f. Arbeiter (MEW XVI 524) bemerkte Marx, daß das deutsche Proletariat noch am ersten fähig sei, eine Radikalkur siegreich durchzuführen . . [denn es] werde sie [die Deutschen] ihre geographische Lage zwingen, dem östlichen Barbarismus den Krieg zu erklären, denn von dort aus, von Asien, sei alle Reaktion gegen den Westen ausgegangen; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 124) es sind Werke der Entsagung, Werke deutsch-erzieherischen Verzichtes auf die Avantagen des Barbarismus, die der durchaus voluptiöse Richard Wagner mit so ungeheuerer Wirkung sich gönnte; ders. 1926 Reden u. Aufs. (W. X 650) was er in den Kauf gab, waren Avantagen des Barbarismus, deren Wert er berechnet haben wird; Moreck 1926 Sittengesch. d. Kinos 9 Die Technik aus unserm Leben wegdenken bedeutet, uns auf die Stufe des tiefsten Barbarismus und der primitivsten Existenzform zurückversetzen; Schlosser 1937 Magistra 6 Der gesamte hohe Norden verharrt noch lange bei seinem urtümlichen heidnischen „Barbarismus" in einem Sinne, der die alte hellenische Bezeichnung noch in ganz besonderer Weise zuschärft; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. X 926) daß dieser Siegeszug über die bourgeoise Welt der Sehnsucht zu danken ist .. der deutschen Mischung aus Barbarismus und Raffinement, mit der ja auch Bismarck Europa unterworfen hat. Barbarismus 3b: Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 246) desto stärker arbeitete ich dafür den Barbarismus des instrumentalen und vokalen Glissandos heraus; Stuttgarter Ztg. 19. 12. 1963 Es ist unverkennbar, daß sich der Komponist Schostakowitsch gerade von dieser Spielweise der Moskauer Künstler zu den Barbarismen, aber auch zu den verklärten lyrischen Partien seines Streichquartetts Nr. 5 in B-dur anregen ließ. Barbarismus 4a: 1887 Grenzboten IV 377 Nach alledem, was man bisher über die „Vernichtung" Roms, der alten Baudenkmale, über den „Barbarismus" und „Vandalismus" gesagt hat, der das jetzt herrschende System der Stadterweiterung Roms kennzeichnen soll; 1891 Erinn. 1870-71206 [kein Anlaß,] nach der Belagerung [von Paris im Jahre 1870] von dem Barbarismus und Vandalismus der Prüssiens zu reden; Voss. Ztg. 2. 3.1930 Nicht nur diejenigen, die da glauben, den Tieren gewisse Rechte dem Barbarismus des Menschen gegenüber anerkennen zu müssen, sollten sich für diese Frage [des Walfangs] interessieren; 1935 Weiße Blätter 19 hat es jemals die Welt gesehen, dass die Zivilisation

Barbier durch die Waffen, der Barbarismus durch Ideen bekämpft werden?; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 496) wie oft ist dieses bedrohliche Werk in seinem Drange, das Verborgenste musikalisch zu enthüllen . . vom Vorwurf des blutigen Barbarismus sowohl wie der blutlosen Intellektualität getroffen worden; Zeit 27. 9. 1985 „diese Massenhinrichtungen in Auschwitz wurden von Geschöpfen der besten mitteleuropäischen Universitäten begangen", warnte der israelische Historiker Yehuda Bauer . . „es ist deshalb sehr wichtig zu prüfen, ob wir nicht einen gut ausgerüsteten Barbarismus produzieren". Barbarismus 4b: Lokal-Anz. 17.3.1933 Lion Feuchtwanger, der neulich erst . . seiner „Geschichtsphilosophie" Luft machte mit der Feststellung, „daß der Geist des Barbarismus Deutschland regiere"; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. XII 860) seine Weigerung, die Politik als ein Zubehör der humanen Aufgabe anzuerkennen, ist ausgegangen in den politischen Schrecken selbst, die restlose Macht-Sklaverei, den totalen Staat; die Frucht seines ästhetizistischen Kulturbürgertums ist ein Barbarismus der Gesinnung, Mittel und Ziele, wie die Welt ihn noch nie sah; Münch. N. N. 17.6. 1941 Es folgte eine blutrünstige Schilderung des „teufli-

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schen mechanischen Barbarismus" [Deutschlands]; Th. Mann 1944 Reden u. Aufs. (W. XII 928) dennoch darf man . . nicht vergessen, wie viel humane und im besten Sinne demokratische Antriebe im deutschen Leben wirksam sind . . die dem völkischen Barbarismus von jeher widerstanden; Miller 1950 Köpfe 146 Die Judenfrage kann für Deutschland weder nach den Prinzipien des Hitlerischen Barbarismus gelöst werden noch nach den Normen des alten Liberalismus; Bauer 1957 Verbrechen 133 Nazistische Politiker haben .. den Kanon eines unerbittlichen Kampfes gegen den „Feind" aufgestellt und im Barbarismus und in der Überwindung einer Entartung und „Knochenerweichung" der Strafrechtspflege eine hohe Tugend gesehen; 1961 Natur u. Heimat IX 426 der Größenwahn und der Barbarismus der Hitlerfaschisten begnügte sich nicht mit der Beseitigung und Ausrottung bewußter Gegner ihrer mörderischen Politik; Zeit 6. 6. 1986 was er [der Sänger einer Popgruppe] mit hyänenhafter Stimme ins Mikrophon rotzt, ist für Englands Royalisten ein Akt des Barbarismus. Barbarismus 5: Riggauer 1890 Kgl. Münzkabinett 57 Untergang der alten Münzprägekunst und des Barbarismus der Byzantiner. RS

Barbier M. (-s; -e), Ende 14. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. barbier (< gleichbed. mlat. barbarius, barberius, zu lat. barba 'Bart'), vom frühen 15. bis frühes 19. Jh. auch in der mit dem dtsch. Personalsuffix -er erweiterten Form Barbierer, auch Barbiererin; daneben die auf Dissimilation beruhenden Nebenformen Balbierer (spätes 15. bis Ende 17. Jh.) und Baibier (Anfang 16. bis früheres 20. Jh.). Zunächst als heute veraltete Berufsbezeichnung verwendet in der Bed. 'Bartscherer, Haarschneider, der auch die Aufgaben des Wundarztes und Apothekers übernahm und medizinische Hilfeleistungen, bes. kleinere chirurgische Eingriffe wie Aderlässe usw., ausführte, Bader, Feldscher', dann in engerer Bed. für 'Herrenfriseur', z. B. zum Barbier gehen, oft sprichwörtlich verwendet, z. B. wer zum Barbier geht, bleibt nicht ungeschoren; häufig in Titeln von Opern vorkommend, z. B. in Paisiellos und Rossinis „Barbier von Sevilla", Cornelius' „Barbier von Bagdad", Schencks „Dorfbarbier", seit etwa Mitte 17. Jh. zunehmend abgelöst durch die Berufsbezeichnungen —» Friseur und Coiffeur. Seit frühem 17. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Barbier-/Balbierbecken, -geselle, -handwerk, -kunst, -laden, -messer, -schere, -stube, -tuch, -zunft; seit Ende 17. Jh. als Grundwort in Zss. wie Dorf-, Hof-, Leib-, Schiffsbarbier/-balbier. Dazu seit Anfang 17. Jh. die movierte Form Barbierin F. (-; -nen) für 'Ehefrau des Barbiers' und 'Friseuse'. Dazu seit späterem 15. Jh. das heute veraltete V. trans, barbieren, seit Anfang 16. Jh. auch die Nebenform halbieren, auch balwieren, zunächst in der Bed. 'jmdm. das Haar schneiden und frisieren, jmdm. den Bart schneiden oder scheren, jmdn. rasieren', z. B. sich barbieren lassen, auch sprichwörtlich verwendet erst einseifen, dann

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Barbier

barbieren; bereits seit frühem 16. Jh. auch übertragen verwendet für 'jmdn. täuschen, betrügen, übervorteilen' (s. Belege 1616, 1699, 1841), von daher seit Ende 18. Jh. (zunächst studentenspr.) in der scherzhaften Wendung jmdn. über den Löffel balbieren/barbieren 'jmdn. rücksichtslos behandeln; jmdn. in plumper Weise betrügen' (s. Belege 1808, 1832, 1875, 1935, 1954): der Redewendung liegt vermutlich der früher bei den Barbieren übliche Kunstgriff zugrunde, alten zahnlosen Männern zur leichteren Rasur einen Löffel in den Mund zu schieben und an die Innenseite der Wange zu legen, um die eingefallenen Wangen nach außen zu wölben; seltener gleichbed. jmdn. über den Kochlöffel balbieren/barbieren (s. Belege 1798, 1826), jmdn. übers Ohr balbieren, in schwäb. Mundart auch gleichbed. jmdn. über den Daumen balbieren; im späteren 17. Jh. auch jmdn. balbieren für 'jmdn. heftig schlagen, verprügeln' (s. Beleg 1670); Anfang 20. Jh. in der Fachsprache der Kochkunst in der Wendung einen Fisch barbieren 'einen Speisefisch häuten und von Schuppen befreien' (s. Beleg 1913); dazu im frühen 16. Jh. die vereinzelte adj. Ableitung barbierisch 'zum Barbier gehörig, in der Art eines Barbiers, wie ein Barbier'. Barbier: 1398-99 Rechn. Jülich 61 by dem selve(n) Wolffart hadde meist(er) Gerart mijns h(er)n barbyer gelege(n) ind hadde yn gearssedit (FRNHD. WB); 15. Jh. Nürnb. Polizeiordn. 181 an Berchtolden barbires ecke; 1424—25 Kölner Zunfturkunde II 36 clage van der barbiere weigen an unse Herren v. r. körnen was oever die baetstoever as van des scheirens weigen, dat sich die lüde in den baetstoeven doint scheiren (FRNHD. WB); Trochus 1517 Promptuarium F5a [Sachgebiet: Handwerke] Tonsor eyn barbyer; Agricola 1534 Sprichwörter I 122 Wer newe zeyttung wil wissen/ der erfare sie ynn barbier heusern/ badstuben/ bachoffen/ sechswochen better und tabernen; Volkslied 1541 (Liliencron IV 180) der barbir zu Cassl in der stat,/ der dich bei seinem weib betrat/ und du davon thetst entlaufen; Henisch 1616 Teütsche Sprach 188 scherer/ q. bartscherer/ barbier . . barbierin/ Schererin/ ein frawen person/ die den Männern barbiert; Moscherosch 1642 Visiones 122 Andere trugen Armbande/ Hutschnür vnnd Zöpffe/ vermeinend von jhrer Maistresse Haaren . . oder gar von einem Küheschwantz waren/ wie jenes Barbiers favor zu Anspach; Beer 1681 Jungfer 39 mit dem Barbiermesser umgehen (CARMESIN); 3702 Seehafen 158 Barbier oder Wund-Amt: sind auf Hamburgischen Convoy-Schiffen ordentlich drey (KLUGE, Seemannssprache); Bodmer 1746 Mahler I 155 f. Dieser letztere [Kaiser Julian] hatte auf eine Zeit einen Barbier zu sich kommen lassen, der ihm die Haare schneiden und aufkämmen sollte, und sah mit Verwunderung, wie kostbar und üppig solcher in Sammt und Seiden aufgezogen kam. Er sagte darum zu seinen Bedinten: Habe ich euch nicht befohlen, einen Barbier, und nicht einen Capitalisten herzubringen?; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. Vlll 12) Laßt uns lieber den wilden Bart tragen, ehe wir zugeben, daß die

Lehrlinge der Barbierstuben an uns lernen!; Jacobsson 1781 Technolog. Wb. I 141 Barbier heißt eigentlich eine solche Person, die sich mit Bartscheren und Haarverschneiden abgiebt, und in anderen Ländern von den Wundärzten unterschieden ist. In Deutschland aber, wo der gewöhnliche Wundarzt zugleich auch Barbier ist, versteht man unter einem Barbier zugleich auch einen Wundarzt; Moritz 1793 Grammat. Wb. I 165 Barbier: Bartscherer. Der deutsche Ausdruck klingt unedel, weil er zu deutlich die Sache bezeichnet; darum behält man das fremde Wort bei; Kotzebue 1801 Jahr l 189 Ich wollte mich rasiren, und foderte mein Barbierzeug, Es wurde mir verweigert, und statt dessen zu einem Barbier geschickt. Vergebens sagte ich, daß ich seit vielen Jahren gewohnt sey, dies Geschäft selbst zu verrichten, und daß ich es unleidlich finde, unter den Fäusten eines schmutzigen Dorfbarbiers zu ächzen; Seume 1813 Leben (W. l 16) Der Barbier wandte alle seine Weisheit an, der Arzt kam, alle Mittel waren umsonst; kein Zeichen des Lebens erschien; Goethe 1816 Aufgeregten (WA I 18,59) Glaubt mir es geht nichts über einen guten Chirurgus, besonders wenn er dabei ein geschickter Barbier ist . . es wird zu nichts mehr Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu putzen . . Komme ich . . dazu mein Leben und Meinungen aufzusetzen, so soll man über die Theorie der Barbierkunst erstaunen, aus der ich zugleich alle Lebens- und Klugheitsregeln herleiten will; Lang 1833 Reise XI 25 das Leben und Treiben eines Barbiers; der Bart, den er glaubte heut geschoren zu haben, sticht morgen schon wieder heraus; Biedermann 1856 Frauen-Brevier (Häntzscbel 1986 Bildung 68 f.) So dürften für Beschäftigungen wie die der Barbiere, Friseurs, Conditoren, Kaffeewirthe, für die Fertigung von Kleidern und Putz aller Art für das weibliche Geschlecht. . Frauen recht wohl,

Barbier ja besser, als die Männer, sich eignen, . . in der Schweiz giebt es weibliche Barbiere; Marx 1867 Kapital l (MEW XXW 447) Wer Arkwrights Lebensgeschichte kennt, wird das Wort „edel" diesem genialen Barbier nie an den Kopf werfen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. ! 362) diese kleinen Morgengespräche mit dem aufgeweckten Barbier bildeten die Einleitung zu den lebhaftesten und tätigsten Tagen; Kussmaul 1903 Jugenderinn. 265 Die Promotion verlieh dem Mediziner nur den Schmuck des Doktortitels, mit dem das Publikum freigebigst auch die Heilgehilfen, bis zum Barbier herab, bedachte; Werfet 1924 Verdi 497 f. Dann ließ er einen Barbier kommen, der sein weiches Haar, das in dichter Locke den Nacken umschloß, ein wenig stutzte und den Bart egalisierte; Dublin 1929 Alexanderplatz 124 du gehst nicht zum Barbier, ein brauner Vollbart wächst dir, die 15 Pfennig wirst du schon aufbringen; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 408) als vor einer Stunde mein Barbier mir beim Schaumschlagen die städtische Neuigkeit hinterbrachte, Charlotte Kestner sei früh um achte mit der Post eingetroffen und im „Elephanten" abgestiegen; Strittmatter 1957 Öle Bienkopp 303 die peruanischen Fellschweinchen züchtet der Dorfbarbier als alter Militärsanitäter für die medizinische Wissenschaft; 1959 Forsch, u. Fortschr. V 141 Neben den Ärzten gab es die Wundärzte, die bei einem Barbier in der Lehre waren; Welt 2. 9. 1964 er war . . kein Arzt mit akademisch-medizinischer Ausbildung, sondern ein Barbier, der auch Verbände anlegte und Zähne zog; 1970 Sprachspiegel V 132 Wir sind wohl mit Duden einig, daß Zöllner, Krämer, Bader, Barbier überholte Ausdrücke sind, weil sie ihre Gültigkeit doch wohl im ganzen Sprachraum verloren haben; Zeit 7. 11. 1986 der Schriftsteller Nerval und der Reisende der Erzählung, beide begaben sich zum Barbier, ließen Bart und Haare nach muslimischer Tradition stutzen, kleideten sich landesüblich. barbieren: Hans v. 'Waldheim vor 1474 Pilgerfahrt 30 yn der herberge, alzo ich mich barbiren liesz; 1488-1506 Chroniken d. dtsch. Städte (Nürnberg) XI 634 und [der König] rait doch mit etlichen pferden gen Fürt und paiß da an mit den seinen und ließ im da barbiern; v. Watt vor 1531 (Dtsch. hist. Sehr. HI 47) Sinen Schacher Sillanum, wie er in barbieren ließ, was der scherer verorndt und besölt, im die gurgel abzeschniden; Rivius 1548 Vitruv. 189a den Barbiererplatz/ da man sich Barbieren vnd waschen ließ; 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksbücher 259) vier Zauberer weren, die einander die Köpff abhieben, vnd zum Barbierer schickten, sie zu barbieren; Henisch 1616 Teütsche Sprach 188 Wer barbieren will/ der muß nicht anderstwohin gaffen/ sondern sehen/ wie er die

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streich führet. Wem ein Wucherer barbiert/ dem gehet haut vnd haar ab; Perez 1627 Landstörtzerin I 100 Es kam nie keiner hinein sich barbieren zu lassen; Grimmeishausen 1672 Vogelnest 75 wol dahinden sasse eben derjenige/ mit noch einem Gespann/ . . allein war er barbirt/ anders verkleitet und dermassen verstellt/ daß ich ihn bey nahe nicht gekannt hätte; Abr. a S. Clara 1699 Etwas für alle 481 Die Tuchschärer können auch zuweilen anderer Leute Beutel barbieren; Berckenmeyer 1712 Antiquarius 673 ein Platz/ da die Russen bey gutem Wetter under dem freyen Himmel sitzen/ und sich barbiren und die Haare abschneiden lassen; Jean Paul 1795 Fixlein (W. VII 237 f.) Ein Reisediener . . diablierte . . ungefragt über die besten deutschen politischen Zeitungen . . , daß ich unter dem Einseifen wünschte, statt meiner würde der Reichsfiskal barbiert; Goethe 1816 Aufgeregten (WA l 18,59) Das unverständige Volk spricht viel von Bartkratzern und bedenkt nicht, wie viel dazu gehört jemanden zu barbieren eben daß es nicht kratze; Eichendorff 1826 Taugenichts 41 Hab' ich Euch nicht erst gestern übern Kochlöffel barbiert und in die Nase geschnitten, daß ihr mir den Löffel morsch entzweigebissen habt? Barbieren macht einen Strich — Kochlöffel, wieder ein Strich — Pflaster auf die Nase, noch ein Strich — wieviel solche hundsföttische Striche wollt ihr denn noch bezahlt haben?; Marianus 1832 Komische Scenen 171 Ich war es, der dich übern Löffel barbiret,/ Indem ich mich Bratwurstinspektor genannt,/ Der einst dir die Würste so listig entführet/ Und dich auf die Folter des Wartens gespannt; 1841 Studentenspr. 10 Barbieren, betrügen, oder einen täuschen; Moltke 1856 Wanderbuch 197 Seltsam ist es, daß man hier [in Frankreich] im Winter alle Pferde barbirt wie in Italien; Engels 1875 Br. a. Bebel (MEW XIX 4) die „Ehrlichen" sind einmal wieder von den Nichtehrlichen grausam über den Löffel barbiert; Kluge 1895 Studentenspr. 82 barbieren täuschen; Th. Mann 1909 Hoheit (W. H 106) er barbierte nicht wie irgendeiner, er beruhigte sich nicht dabei, daß keine Bartstoppel stehen blieb; er barbierte so, daß jeder Schatten des Bartes, jede Erinnerung daran ausgetilgt wurde, und stellte, ohne die Haut zu verletzen, ihre vollkommene Weichheit und Glätte wieder her; Davidis-Holle 1913 Kochbuch 670 Barbieren ist der Kunstausdruck für Schuppen und Häuten von Fischen; Hesse 1915 Knulp (Ges. Sehr. Ill 24) das Messer war wo verwahrlost, daß Knulp es wohl eine halbe Stunde lang über seinen Hosenträger abziehen wußte, ehe das Barbieren gelang; Kästner 1932 D. eingeseifte Barbier (Kennst du das Land 73) Er mache wieder mit. Als Stabsbarbier./ Er ist mobil. Die Messer sind geschliffen./ Nur eins versteht er nicht, der liebe Kerl:/ Sich selbst barbieren, hat er nie begriffen!/ (Und einge-

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Barbier

seift wird er von August Scherl.) [Begründer eines Berliner Zeitungsverlages]; Werfel 1934 Musa Dagh 224 Das [der Eindruck seiner verwilderten Eleganz oder eleganten Verwilderung] kam hauptsächlich daher, weil er als einziger seiner Spießgesellen glatt barbiert war, und zwar frisch und sauber; Strittmatter 1951 Ochsenkutscher 256 Barbier Bulke .. tut alles für alle. Er rasiert, barbiert, musiziert, sucht mit einem Fernrohr, das er Mikroskop nennt, nach Maden und Trichinen im Fleisch der abgebrühten Schweine; Kirst 1954 Null-Acht Fünfzehn 162 Die Kerle haben sich doch nur 'kameradschaftlich' betätigt, um Sie, ihren Unteroffizier, über den Löffel zu barbieren; Strittmatter 1957 Öle Bienkopp 303 zu Georg Schabers Kundschaft gehören alle Dorfleute, die sich nicht zufällig in der Stadt barbieren und frisieren ließen. Barbierer: 1426 Cod. dipl. Lusatiae superioris JI 1,304 Item meister Stephan dem barbirer l seh. zu vortrinken, das her der stad aus der herfart vor Awsk wedir brochte 22 seh.; Peter v. Ulm um 1430 Cirurgia 247 ein salben, die prauchen die barbirer zu Mumpelir, die behalt mit fleiß; vor 1439 Ofner Stadtrecht 55 Von derr Barbiererr rechtenn; 1449 Bert. Stadtbuch 252 Registrum dergenen dy tu den wyntborne hören. Meyster Hinrich barbirer, .. Nickel Sasse goldsmed; Folz um 1480 Büchlein v. allen faden 15 das got der her/ die pad. . . vnd well dar inn yn selbs pei won/ mit hilff fur all ire beschwer/ der sie an leib vnd sei erner/ wvnscht yn treulich hans Foltz barbirer; 1515 Eulenspiegel 118 Die . . history sagt wie vlenspiegel sich zu Hamburg zuo eim barbierer verdingt; 1521 Ständetage Preußen V 687 Den barbirern sail vorbotten werden, franczossen nicht zu heylenn (FRNHD. WB); Paracelsus 1536 Wundarznei (S. W. l 10,13) dieweil vor Zeiten die scherer, bader, lasser, barbirer und was des gesints mer, seind der leiberzet knecht und diener gewesen; 1542 — 70 Zwick. Stadtrechtsreformation 62 Kein barbirer oder bader soll einigen verwundeten . ., verpinden (FRNHD. WB); Fugger 1584 Gestüterey 4b vnnd wie sonst in gemein die Barbierer beziegen werden, dass es ein geschwätziges Gesindlin, vnd gewöhnlich in jhren Läden viel neuwer Zeitungen aussgetragen werden; 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksbücher 259) vier Zauberer . ., die einander die Köpff abhieben, vnd zum Barbierer schickten, sie zu barbieren, da viel Leut zu sahen .. der Barbierer, der solte sie butzen vnd zwagen; Kirchhof 1603 Wendunmuth IV 357 Der ehebrecher war durch den heimlichen gang in des barbierers hauß entlauffen, schicket die barbiererin, umb zu fragen, wie alle händel der frawen seines bulen stünden (FRNHD. WB); Moscherosch 1642 Visiones 139 Ich will nicht leben/ sprach ich also bald/ wo nicht

Barbirer vnd Bartscherer da kommen; Saar 1662 Ostind. Kriegs-Dienst (Zugab) 6 wer einen mit einem Messer oder ändern Gewehr beschädiget, der muss die Hand an den Mast legen, dann kommt der Barbierer, und schlägt ihm ein klein Messerlein zwischen zwey Finger, in das Fell oder Haut (KLUGE, Seemannssprache); Grimmelshausen 1672 Vogelnest 292 so wurde ich . . in Sicherheit getragen/ allwo die Barbierer nit allein meine Wunden verbanden/ sondern auch meine blaue Mähler beydes/ welches mir die Pferde getreuen/ und die Kugeln geschlagen/ als ich noch fest gewesen/ überall übersalbten und Tränck eingaben; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 116 f. wollen wir nur melden/ daß die ändern ihn indessen so gut verbunden/ und das Blut stilleten/ als sie kunten . . bis sie . . den Herrn David in des Barbierers Händen Hessen; Prambhofer 1712 Traum-Ges. 98 Bey einem Barbierer waren einsmahls etliche Gast in der Stuben/ zu dem kam auch ein einfältiger Bauer hinein/ und fragte umb den Meister Scheerer; Bodmer/Breitinger 1721 Discourse d. Mahlern l Y3i> (22. Discours) Und wenn mir nicht erlaubet ist zu schreiben/ so will ich die Erde aufgraben/ und wie jener Barbierer durch eine neue Erfindung die Rohre lassen ruffen: Midas/ der König Midas hat Esels-Ohren; Comenius 1769 Orbis II 146 Barbierer-Nadeln, welche man bey Wund Haftungen gebraucht; Beckmann 1800—05 Erfindungen V 444 f. Nach seiner [Fronspergers] Angabe muß bey dem . . Generalstabe, ein Oberster Feldarzt, ein Doctor, seyn, welcher die Aufsicht über die Feldscherer, Barbierer und über die Scherknechte und Jungen, welche bey den letzten die Verwundeten aus den Gliedern und Haufen ausschleifen, tragen und ziehen müssen, führet; Hebel 1809 Schätzkästlein (S. poet. W. III 149) Der Wirt . . holt den Barbierer. Zu dem sagt der Fremde: „Ihr sollt mir den Bart abnehmen . ."; Hufeland 1823 Kl. med. Sehr. 35 dass er den Grad von medicinischer Kultur der schwäbischen Dorfbarbierer für den gegenwärtigen Zustand der medicinischen Kultur in Teutschland genommen habe. barbierisch: Paracelsus 1525—26 Herbanus (S. W. / 2,23) es mögen wol ander bequem arznei mit gebraucht werden, iedoch aber nichts, das do widerwertig sei, das ist nichts barbirisch, baderisch oder hümplerisch gehandlet, die almal von in selbs gar zu wizig und verstendig sein wollen und mer wissen, dan an im selbs ist. Baibier: Grunau 1510-30 Preuss. Chronik III 700 So war in Dantzick ein halbier, genantt Greger Matern, .. Als ehr vom rahtthause auf die gasse schreiten will, so fert der barbir herfur; 1521 Dtsch. Pilgerreisen 359 ein balbier Gilg genant; Se-

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biz 1579 Feldbau 587 daher pflegt man gemeynglich zusagen/ auff eynen Hirtzen gehört frisch Bier/ vnd auff eyn wild Schwein eyn guter Baibier; Ringwald 1589 Christi. Warnung Liij r. Nu hilfft kein Gelt/ Artzt noch Balbir; Schweinichen 1593 Denkwürdigkeiten 414 [die tote Herzogin ist] durch den Doctor und Baibier . . balsamiret worden; 1593 Fausti Historien U 21 er . . wartete bis die Sonne vndergieng mit seinem gesellen/ den er zu sich genommen Claus Müller genant/ ein Baibiers gsell deßgleichen Christoff Wagner recht hette bekommen mögen; Weise 1673 Erznarren 203 Der Richter befand kein Leben da, drum befahl er dem Baibier, er solle darnach sehen, ob der Schuß tödlich gewesen, oder nicht; Schlegel 1757 (Geliert 1774 S. Sehr. VIII 92) Ehe er [der Doktor] ankam, war schon ein Baibier aus Naumburg . . zugegen; Kortum 1799 Jobsiade 55 Dein Wundarzt hat dich recht hergenommen,/ Denn für zwölf Thaler, wie ich vernommen,/ Heilt unser berühmter Stadtbalbier/ Einen Arm- und Beinbruch schier; ZwölfUhr-Bl. 27. 7. 1936 Balbieha oder Lockenpriesta, Schnauzenschinda, Schnutenfeja . . Barbier und Frisör.

191 Ick balbiere keene Leute übern Löffel!; Storfer 1935 Wörter 243 über den Löffel balbieren . . Die Redensart führt in die ländliche Barbierstube früherer Zeiten zurück. Kam ein alter zahloser Mann mit runzliger Backe, um sich den Bart abschaben zu lassen, so . . steckte er dem alten Bäuerlein einen ziemlich großen Holzlöffel in den Mund, daß sich die schlaffe Wange wölbe und das Rasieren leichter sei . . So bekam die Redensart zunächst den Sinn: jemand ohne viel Umstände, ohne besondere Rücksicht behandeln. Daraus dann verschärft: übervorteilen, betrügen; Fallada 1937 Wolf II 361 „Rasieren möchten Sie sich lassen? Das können Sie nachher auch haben. Jetzt sind Sie erst mal in einer Kneipe . .". „Wir rasieren Sie ganz gerne! Wir balbieren Sie liebend gerne über den Löffel!" schreit die freche Stimme; Kirst 1954 Null-Acht Fünfzehn 305 Wer nur einigermaßen helle war oder wenigstens frech, der konnte jeden Unteroffizier über den Löffel balbieren; 1959 Süddtsch. Ztg. Nr. 214 Wieviel Will für das Bad gezahlt hat, umschreibt er mit dem Satz: „Es ist nicht verschenkt worden und ich habe mich nicht übers Ohr balbieren lassen".

balbieren: Volkslied 1504 (Liliencron II 550) man fürt sie in ein öden hof, man thät in all palbieren; Luther 1531—46 Tischreden 418a ein balbirer zuuor die hende setzet, messer streichet, ehe er balbiret; Sachs 1532 W. V 181 Thund mir des nachts für thür hofiern,/ Das ich mit schauffein muß palbiern; Thünger 1551 (1880Dtsch. Pilgerreisen 419) Es wer dan, das ein balbirer einem balwirte; Fischart 1575 Ceschichtklitterung 68 Oder laß jm eyn stund balbiren, / Oder mit Seytenspiel hofiren; Abele 1670 Künstl. Unordnung l 215 bin aber alsobalden niedergeworffen / und sein Buckel mit einer feisten Ochsen-Senn/ übel balbieret worden; Moritz 1782 Reisen 77 In Salthill . . hatte . . ein Perukenmacher seine Bude, worinn er zugleich balbirte und frisirte; Laukhard 1798 Schiida I 128 So muß man die Kerls über 'n Kochlöffel balbieren — ertönte es in der urbanen Studentensprache unter dem ganzen Haufen; Hebel um 1808 W. HI 57 als der Fremde eine Zeitlang da war, und dem Zirkelschmied weniger pfiffig als ehrlich aussah, dachte der Zirkelschmide: ich will ein Gespräch mit ihm anfangen, vielleicht läßt er sich über den Löffel balbieren (DWB); Gotthelf 1854 Schuldenbauer 237 wir kannten . . einen alten Bauer, .. ganz ehrlich im Aussehen und dahinter den Schalk in allen Zügen, der, sammt allen fremden Gesandten, die sieben höchsten Eidgenossen vor dem Morgenbrot über den Löffel balbiert hätte (DWB); Winckler 1921 Bomberg 230 Eine ganze Provinz samt den höchsten Behörden mit ernster Feierlichkeit über den Löffel balbieren?; Hermann 1930 Wordelmann

Balbierer: 1478 (Stolz 1927-34 Ausbreitung d. Deutschtums i. Sudtirol III 2,83) bader und balbierer; Spittendorf um 1480 Denkwürdigkeiten 217 derselbigen behre einer hatte ein medigen erwischet und hatte ihme die haut von dem heupte gerissen und auch von dem backen umb das äuge gebissen, das ime der balbierer 12 hefte thun muste; Arnpeck um 1495 Bayer. Chronik 668 Herzog Ernst liess ertrenken zu Straubing Agnes Pernawerin, ains palbirers tochter; nach 1525 Bauernkr. Kotenb. 135 Dis ist der maister balbierer und baderhandwerker beschwerd und bit (FRNHD. WB); Luther 1534 -35101. Psalm (WA Ll 258) So wird den schmertzen und schaden niemand bas fülen denn solche kluge Balbierer, die den schweren lieber ausreissen denn heilen wollen; Paracelsus 1537-38 Buch v. d. tartar. Krankheiten (S. W. l 11,114 f.) also understehent sich die bader, balbirer, scherer und ander irs gleichen, also wird die arznei ein mördersgruben, ein spelunca latronum, und die doctores können nicht sovil, das sie erkenten warhaftig was da sei; Thünger 1551 (1880 Dtsch. Pilgerreisen 419) Es wer dan, das ein balbirer einem balwirte oder scheden verbünde frisch oder alt, als dan ist man In den lohn unnd den Costen für die salben oder ertzney schuldig; Federmann 1557 Indian. Historia 7 auß dem schiffe kamen zwen mann, das ein, ein balbirer uns zuverbinden; Sachs 1563 W. XV 18 Auch hat ein rath leibärtzt erweit/ Und etlich balbirer bestelt,/ Den krancken zu lassen darbey/ Und hilff thun mit ihr ärtzeney (FRNHD. WB); Fischart 1575 Geschieht-

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Barchent

klitterung 150 Auß dem Angster muß mans mit engen Aengsten wie die Balbierer jhr Siccanarden vnd Roßwasser, herauß ängstigen, wirbeln; Eyering 1601 —04 Sprichwörter III 477 Man list wie das vor langer frist/ Der Brauch auf Erden gwesen ist/ Daß man kein Bart getragen hat/ Sondern sie glatt geschoren ab/ Doher Balbirer/ Baders Gsind/ Scherer genennet worden sind; 3603 Würt. Ländl. Rechtsqu. Ill 332 eß sollen auch hinfüro alle ambtleüt, gastgeb, würt, balbierer und alle underthonen

bey irem ayd alle unfuor, unzucht, . . der oberkait schuldig sein anzuczaigen (FRNHD. WB); Fürer 1645 Reise 333 sie schickten die fregaten zu vnserm Schiff, Hessen bitten vmb vnsern Balbierer, dann jhr Schiffmann sehr kranck war (KLUGE, Seemannssprache); 1660 Memminger Chronick 8 Grawtucher oder Lodner-Zunfft / bey welchen sich finden die Balbierer/ Bader/ Hutmacher/ Färber/ Zeugwürcker (FRNHD. WB); Elis. Charl. 1697 Br. l 87 Man suchte gleich deß königs balbirer. RS

Barchent M. (-s; -e), Ende 12. Jh. entlehnt aus mlat. barrac(h)anus, barrachanum, parchanus, altfrz. barragan 'Wollstoff (über port, barregana, barragam, span, barragan zurückgehend auf arab. barrakän 'grober Stoff aus Kamelhaar oder Mantel daraus'), zunächst in Schreibungen wie Barkän, Barragan, Barchan(t), Parcha(n)t, Parchan, Parichant, Barchen, Barcken, Parchent. a Als heute veraltendes Fachwort in der Bed. 'auf der linken Seite stark angerauhtes Baumwollgewebe in drei- bis vierfacher Köper- oder fünf- bis siebenfacher Atlasbindung', z. B. in den Wendungen ein Nachthemd aus Barchent; Barchent weben, wirken, nähen; weißer, buntgestreifter Barchent, seit Anfang 14. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Barchentballen, -bezug, -fabrik, -gewebe, -handel, -hemd, -macher, -rock, -tuch, -weber(ei), -ziehe 'Kissen- oder Bettbezug aus Barchent', seit früherem 18. Jh. als Grundwort in Zss. wie Atlas-, Bett-, Futter-, Kleider-, Schnur-, Schurbarchent. Dazu von Ende 14. bis Anfang 19. Jh. das Adj. barchen(en), barche(n)t(en), auch in den Formen barche(t)nen, barchat(n)en, 'aus Barchent hergestellt' und von Anfang 15. bis etwa Mitte 19. Jh., in historischen Texten bis ins frühe 20. Jh. die subst. Ableitung Barchenter M. (-s; -), auch in den Schreibungen Barchanter, Parchenter, Parchanter, 'Barchentweber' mit der movierten Form Barchenterin F. (-; -nen) 'Barchentweberin; Frau des Barchentwebers'. b Vom frühen 14. bis Mitte 18. Jh. auch in der Bed. 'Kleidungsstück aus Barchent; abgemessenes Stück Barchenttuches, das im Handel als Gegenwert galt oder als wertvoller Preis bei Wettkämpfen (der Schützen) ausgesetzt wurde', daher die Wendungen um den Barchent laufen 'um ein Stück Barchent als Siegespreis laufen', auch übertragen verwendet, z. B. um einen Barchent ringen, um den Barchent jagen 'um etwas jagen, gegen jmdn. kämpfen', den Barchent erlaufen 'einen Wettstreit, eine Auseinandersetzung gewinnen', den Barchent zucken 'aufsässig gegen eine stabile Ordnung angehen' (s. Beleg 1522—33). Barchent a: Ulrich v. Zatzikhoven um 1194 Lanzelet 113 ich sages iu niht nach wane, von rotem barragäne was diu dritte site; Neithart v. Reuenthal 1210—40 Lieder 36 Lanze eine treien treit, diu ist von barkäne; 1324 Urkundenb. d. Stadt Regensburg l 260 haben di purger von Prag den Regensburgeren genumen da zu Präge das gut . . zwen pallen parchan . . Der parchan ist gewesen 102 parchan, di hat man verkouft . . Das gelt von dem saffran und dem parchant hat der Wolfel von Po-

senbach ingenoemen; 1336 Schles. Urkunden XX 16 die do do her brengin parchan . . welch burgir . . her brengit parchan czetir, lesch, sidine tuchirn, cindal, yrisch tuchir (alle ROSENQVIST); 1346 (Hänlein 1894 Gesch. d. Hausweberei 3) die kleinen Koufleute die Barchenthandel trieben; 1369 (Qu. z. Gesch. d. Stadt Wien U 1,765) ein grosses phlaumvedreins chusse mit einer gestreiften parichantziechen (FRNHD. WB); 1389 Konstanzer Verordn. (ZfG Oberrheins IX 188) daz er weder

Barchent barchattuoch noch linwattuch . . nit an die blaichi legen sol (ROSENQVIST); 1390 Urkundenb. Chemnitz 49 Waz ouch parchane uf die bleiche körnen, dy sal man glichen unde achten nach den stucken golczsch adir lynwad; 1430 frankf. ZunftUrkunden l 295 hat der rad von furbrengunge und anmudunge wegen der barchenweber zu Franckenfurd den selben barchenwebern gegonnet und irleubet (beide FRNHD. WB); 1443 (Stammler 1928 Dtsch. Rechtsleben I 27) zwei Ellen Parcham; 1466 Frankf. Zunfturkunden I 303 wer barchen weben wil, der sal desselben zeichen darinne weben, des der barchen ist; um 1488 Nördlinger Stadtrechte 470 Gwand und barchatschawer. Item sie sollen swern, das gewand oder barchent . . getrüwlich zu beschawen und iedes in siner gestalt nach sinem werd bezaichen; 1507 Urkunden u. Aktenstücke z. Gesch. d. Juden i. Regensb. 762 angesehen das sy [die Juden] auf ganze tuech leihen und die umb halbs in ir gwalt bringen, ausschneiden, verkaufen wullens, leynes, woll, garn, parchant, samat, seyden, klainat, pirret, ring, edlgstein; 1508 (Muller 1962 Welthandelsbräuche 234) Kein geferbter berchat daugt nit für Engenlant; 1512 Frankf. Zunfturkunden l 311 so sollen sie [Barchentweber] die barchen machen, das ir iglicher des isenmasses breith sein sol, als inen vom rat gegeben ist, oder breider und nit schmeler und an der lengde sechs und funfftzigk Franckenfurter elen und uff das meist acht und funfftzig oder do zwuschen halten sol; Lindener 1558 Katzipori 4361 ist ein grosse thewrung im zwirn gewesen, das endtlich die leiit die leinwat, barchat und gewand also haben müssen an den halß hengken, das man vorne nein und dahinden hynauß hat sehen mögen (alle sechs FRNHD. WB); Fischart 1572 Praktik 27 Seiden von Venedig, Barchet von Vlm; Henisch 1616 Teütsche Sprach 188 Barchet/ barchen/ barchent/ bombasin . . Ein kleid von barchet oder bombasin . . Augspurger/ Viner barchet/ wirt in die gantze Welt geführt; Frisch 1741 Teutsch-lat. Wb. 61 Man sagt im gemeinen Reden an einigen Orten nur Barchet. Keysersb. in seiner Postill fol 115. schreibt es auch so. Wann einer zu Ulm ein Barchet hat gemacht, so wird er bey der Besichtigung, wann er gut ist, mit dem Siegel versehen, wann er nicht gut ist, wird er zerrissen . . Einige nennen ihn Burkan; Schiller 1769 Ökonom. Beytr. I 494 Daß doch alle diese Fragen durch eine entschlossene Restauration unserer Schorndorffer Barchent-Fabrique beschämt werden möchten; 1817 ZfBaiern III 53 Galler zwilch vnd leinwat, parchat vnd geferbte leinwat, zu sechs stuckhen aller gattung; Goethe 1822 Campagne (WA I 33,175) die Frau gab solche [Matratzen] nicht gerne her, welches ihr, da der Barchent neu und schön, gar nicht zu verdenken war; Littmann 1924 Morgenland. Wörter 94 Barchent

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und Berkan sind von dem arabischen barrakän abgeleitet, das ursprünglich einen groben Stoff bezeichnete; doch stammt barrakän wohl seinerseits aus dem Persischen; O. M. Graf 1931 Bolwieser 150 Wind und Wetter haben das Gewebe des Barchentbezuges aufgelöst und zerfressen; Franck 1940 Sebastian 24 Allein zu Ulm werden im Jahr hunderttausend Barchenttücher gewebt; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 55) zu Hause sah man ihn stets in einer hochgeschlossenen, faltigen Handwerkerbluse aus Barchent; Strittmatter 1957 Wundertäter 204 Was sollte diese übertriebene Nacktheit? Sollte Gott nicht imstande sein, Sünder durch ein gewöhnliches Barchenthemd zu erkennen?. barchen(en)/barche(n)t(en): 1393 (Müller 1953 Qu. Graf seh. Hohenb. l 12) so huand die von Waltmessingen getettinget mit dem vogt von Oberdorf . . umb zwey barchattnü tuecher; 1471 Mittelalterl. Inventare Tirol u. Vorarlberg 46a swarcz parchaten, gemosirt meßgewant (beide FRNHD. WB); Paracelsus 1527-28 Vorlesungen (S. W. I 5199) in einem barcheten verwichsten secklin; 1569 Egerer Urgichtenb. 68 Par hosen vnd l Parchets wammes genohmen Ins holtz begraben (FRNHD. WB); Voß 1795 Luise (Ausg. letzter Hand) 199 auch feinbarchene kissen mit schwanflaum (DWB); Campe 1807 Wb. I 380 Barchenten, adj. u. adv., von Barchent. Ein barchentnes Indelt. Barchenter: Bastian 1400 Runtingerb. II 150 mir gab der Charpf parchanter 32 parchant dez pfintztags (FRNHD. WB); Anfang 15. Jh. (Hänlein 1894 Gesch. d. Hausweberei 4) Parchanter oder Tuchwürker; 1408 Qu. z. Gesch. d. Stadt Wien 1,1740 der parhanter zech, der pekchen zech, der peutler zech; 1443 ebd. 2,2926 baid zechmaister der parhannder zech zu Wienn; 1516 Urkunden u. Aktenstücke z. Gesch. d. Juden i. Regensb. 841 als sich auch beclagt haben die parchanter, weber, gewontschneider, krämer und lädier (alle drei FRNHD. WB); Heimpel 1926 Gewerbe Regensburgs 185 Barchenter. Barchent b: 1321 Urkundenb. d. Stadt Regensburg l 235 [Hiltprant und andere versprechen, zwei Bürgern von Regensburg folgende Summe zu bezahlen:] umb hundert parchant (ROSENQVIST); 1382 Acht-, Verbots- u. Fehdebücher Nürnbergs 135 im ward genomen . . sein gurtelgewant und ein swert und er hat geteidingt umb zwen parcham; 1430-35 Chroniken d. frank. Städte (Nürnberg) l 388 das das groß schiessen . . mit allen Sachen gekost hat umb kleined, der waren: das pest ein pferd kostet 14 guld., . . ein parchant 2 guld.; 1434 Hall. Schöffenb. 11 368 Hans Greife . . hat geclait czu Hanse Reckeledir vmme eynen parcham; Hermann

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Barde

v. Sachsenheim 1453 Mörin 3815 Galleyen vier, als man denn sol,/ Mit barcken wol ummhangen schon (alle vier FRNHD. WB); Murner 1512 Schelmenzunft 7 Wie die von basel vnd von hingen/ Umb eyn barchet wellen ringen; Turmair 1522—33 Bayer. Chronik (S.W. IV 1105) aigennutz und geitz, so alles ding an sich einzeucht wie der magnet das eisen, iederman für aigen anspricht, iederman für sein feind acht, iedermann . . abpricht, riß sich umb und zuckt den parchant, das regiment, wolten zuvörderst am pret sein (FRNHD. WB); Paracelsus 1530 Paragranum (S. W. / 8,65) Aber wie dem sei, so wird sie [die Ärzte, die den Eid geschworen haben] der eid gegen mir nicht approbiren; sie müssen mit mir umb den barchat laufen und müssen der impostur abstehen und sollen sie daran erwürgen; ebd. 8,144 ir [Ärzte] habts so welsch und niderlendisch gemacht, das kein bidermann euch verstehen kan und müssen also euch ongescholten lassen; mit demselbigen haben ir den parchent erloffen, aber fürwar, wißten die philosophi diser euerer speculation eigenschaft als wol als ich, sie sprechen: aus mit den hundschlahern!;

1544-45 Chronik Augsb. IX 226 Dis jars gab man siben pfund woll umb ain barchattuch; Birck/Diether 1550 Ferdinandi Cortesii (Obers.) U 2b In dem erlüscht die fackel, vnd fielen in die vnsren, jagten ainander gar dapfer umb den barchent; Sachs 1557 W. X 140 Wiewol wirs [feindt] vor offt theten schlagn/ Und im veldt umb den barchant jagn; 1562 Chronik Augsb. Vlll 172 Melchior Franck von Steppach, der etliche barchatduech uff der Blaich aufgehept; 1563 Schwanke 363 Die auß dem läger hatten zuo wenig gelt mit sich genommen und mochten diesen marckt nicht halten, lieffen derhalben weidelich umb den barchent (alle drei FRNHD. WB); Fischart 1575 Geschichtklitterung 232 f. Gargantua . . Fieng demnach an zu lachen, den Barchat zureissen, seinen Latz zuentbreisen, vnd sie so Krotten vnd Katzenseychisch zubeseychen; ebd. 306 Daher kompt auch Palgen, walgen vnnd Bellum, daß man den Fuchs vmb den Palg vnd Fell jagt: daruon ist noch das spiel, vmb den Barchat jagen, vnnd Haar auff Haar; Grimmelshausen 1670 Springinsfeld (Simplician. Sehr. Ill 230) sich um den Barchet jagen; Spreng 1760 Idioticon Raur. 8 durch den Barchet jagen. RS

Barde M. (-n; -n), im früheren 16. Jh. entlehnt aus (m)lat. bardus 'altkeltischer Dichter und Sänger von Heldenliedern' (< gleichbed. kelt. *bardo-s/kymr. bardh, ir., gäl. bard, vgl. engl. hard, weitere Herkunft unsicher), anfangs in lat. (flekt.) Form, eventuell unter Einfluß von gleichbed. frz. barde in der heutigen Form, a Zunächst in der vorwiegend durch Ossian vermittelten Bed. 'altkeltischer Dichter und Sänger von Kampf-, Preis- und Heldenliedern, der sich auf einem der Lyra ähnlichen Musikinstrument begleitete' (—» Rhapsode, —* Troubadour, vgl. Skalde, Skop), im 17. Jh. (s. Beleg 1663) auch für 'deutscher Dichter alter Heldenlieder', seit Mitte 18. Jh. als Bezeichnung für eine Gruppe von Dichtern, bes. Klopstock, Gerstenberg u. a., die unter Abkehr von der antikisierenden Dichtungstradition und Hinwendung zu Ossian die Heldenleben der germanisch-keltischen Vergangenheit verherrlichten (s. Belege 1747, 1754, 1767); gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Bardenchor, -dichter, -gesang, -lied, -poesie, -sänget, -stil, -ton, -(un)wesen, -zunft; seit spätem 18. Jh. als Grundwort in Zss. wie Helden-, Nationalbarde; gleichzeitig auch allgemein für 'Dichter', zuweilen auch ironisch verwendet (s. Beleg 1959). Vom frühen 17., vereinzelt bis ins frühere 19. Jh., das aus der Vermengung des von Tacitus erwähnten lat. bar(r)itus 'Kriegsgeschrei der alten Germanen' (zu barrire 'brüllen', vgl. gleichbed. mlat. barritus) mit lat. barditus 'Schlachtgesang der alten Germanen' (zu Barde, s. o.) gebildete Subst. Bar(r)itus, Barditus M., wozu Klopstock 1769 mit irrtümlichem Bezug auf Barde das Subst. Bardiet M., meist N. (-es; -e) 'patriotisches Heldenlied der alten Germanen, vaterländische Dichtung' bildete. Dazu im späteren 18. Jh. die vereinzelte subst. Ableitung Bardei F. (-; ohne PL) als spöttisch verwendete Bezeichnung für den 1772 von Anhängern und Nachfolgern Klopstocks gegründeten Göttinger Hainbund; seit Mitte 18. Jh. die adj. Ableitung bardisch 'in der Art eines Barden, wie ein Barde, dichterisch, poetisch', z. B. bardi-

Barde

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sehe Lyrik, Lieder; eine bardische Begeisterung. Ende 18. Jh. die selten belegte subst. Ableitung Bardismus M. (-; ohne Pl.) 'von der Ossian-Begeisterung inspirierte Verehrung alter germanischer Heldenlieder und Heldenlieddichter'; seit Anfang 19. Jh. die subst. Ableitung Bardentum N. (-s; ohne Pl.) in der Bed. 'die germanischen Heldenlieddichter und alles, was sie betrifft'. b In neuerer Zeit, auch in movierter Form Bardin F. (-; -nen), wieder auflebend in der Bed. 'Sänger, der eigene zeit- und gesellschaftskritische Lieder und Balladen vorträgt und sich dabei selbst auf der Gitarre begleitet, Liedermacher', z. B. ein avantgardistischer Barde, in Zss. wie Punk-, Sangesbarde. Barde a: Turmair 1541 Kl. hist. u. philolog. Sehr. I 370 daher der Gallier tichter und poeten die bardi genent sein (FRNHD. WB); Milichius 1569 (Theatrum diabolorum 228) Es sagen etliche/ das der alten Teutschen Bardi oder weisen viel dings von dem Tuercken haben propheceyet; Zorn 1570 Wormser Chronik 17 den alten Gallis . . welche Bardi ebensolche weis gehabt ihre historias mit reimen oder gesangweis zu beschreiben; Spangenberg 1598 Musica 17 Dargegen wurden bey den Allten Teutschen Ihre Poeten vnnd Sänger, die Bardj, daß ist die Wehrten, Oder Ehrwürdigen, vnnd Ehrenholde genennet; Heniscb 1616 Teütsche Sprach 189 Bardi/ Barden/ barder/ vorzeiten genant der Gallier vnd Beiger gelerte leut in der Rhetorick/ so Comedien vnd Tragedien geschriben/ vnnd kunstliche Spil gehalten/ Rhetores et oratores; Opitz 1624 Poeterey 15 Dreyerley Leute waren, die man in sonderlichen ehren hielt: Bardi, Vates vnnd Druiden. Die Barden sungen Lobgetichte vnnd waren Poeten; Die Vates opfferten vnd betrachteten die Natur aller dinge; Die Druiden pflegten vber die Natürliche Wissenschaft auch von gueten sitten zue vnterrichten. Welches auch Marcellinus im fünfften buche bekrefftiget: Die Barden, saget er, haben berümbter manner ritterliche thathen mit heroischen Versen beschrieben, vnd mit süßen melodien zue der leyer gesungen; Harsdörffer 1645 Frauenzimmer Gesprechspiele V 7b Was sol der Helden Ton/ den unsre Barden brummen? das grobe Reimgeplerr muß blötzlich hier verstummen; Schottet 1663 Raubt Sprache U 1018 f. Barden .. sind die alten Tichtere oder Poeten bey den Teutschen gewesen/ welche eine sonderliche bewegliche Art gehabt mit Teutschen Reimen kräftiglich die Gemüter zubewegen; Morhof 1718 Unterricht 272 Es sind diese Barden schon in denen allerersten Zeiten bey denen Teutschen gewesen, und haben sie die rühmlichen Thaten tapfferer Helden in Verse gebracht und abgesungen, sonderlich bey Zusammenkünfften und Feld-Zügen, wodurch sie die Zuhörer zu gleicher Tapfferkeit angereitzet; Gottsched 1741 (Schwabes Belustigung d. Verstandes u. Witzes I 61) Also waren auch diese beyden Freunde verbunden, so, daß weder der Barde ohne

den Druiden, noch der Druide ohne den Barden leben konnte (REICHEL); Klopstock 1747 An d. Dichters Freunde (Oden u. Epigramme 9) Die deutsche Nachwelt, wenn sie der Barden Lied/ Wir sind die Barden — künftig in Schlachten singt; Hagedorn um 1754 Poet. W. II 55 ja bei barden wuchs ich mit dir in dem eichenhain auf (DWB); Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. Vlll 34) Auch der Grenadier, unser Preußischer Barde, ist bey Zorndorf verwundet worden; Klopstock 1767 Wingolf (Oden u. Epigramme 16) Allein geliebter, wenn du voll Vaterlands/ Aus jenen Hainen kommst, wo der Barden Chor/ Mit Braga singet; ebd. 17 Die deutsche Nachwelt singet der Barden Lied; Maufillon/Unzer 1771 Dichter l 16 sich den Namen Barden beizulegen, macht noch lange keinen Dichter; Goethe 1774 Werther (WA l 19,124) Ossian hat in meinem Herzen den Homer verdrängt . . Wenn ich ihn dann finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Heide die Fußstapfen seiner Väter sucht, und ach! ihre Grabsteine findet, und dann . . die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele lebendig werden; Schiller 1782 Anthologie 72 Junge Dintenleker schwärmen/ Um den Helikon./ . . Rennen sich gar hohe Sänger/ Barden ein'ge, denk!; Schubart 1793 Leben II 46 O Schande ihr nennt euch Barden, Minnesänger; aber Knaben, Toilettenpuppen seid ihr!; Goethe 1804 Literatur (WA l 40,272) da nun gar Klopstock durch Einführung des Bardenchors in den heiligen Eichenhain der deutschen Phantasie zu einer Art von Boden verhalf, .. so war es natürlich, daß unter der Jugend sich berufene und unberufene Barden fanden, die ihr Wesen und Unwesen eine Zeitlang vor sich hintrieben; Körner 1812 Rosamunde (S. W. II 53) Dich sehn, Geliebte! Dich! . . Was ich nur in der Dichtkunst Reiche suchte,/ Nur in der Barden schwärmenden Gesang,/ Es steht in heitrer Wahrheit vor mir da!; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA I 28,141 f.) Durch die Hermanns-Schlacht .. hatte Klopstock eine wunderbare Anregung gegeben . . geeignet, das Selbstgefühl der Nation zu erwecken . . und die nachher so oft gescholtenen, ja lächerlich gefundenen Bardenlieder häuften sich durch diesen Trieb, durch diesen Anstoß; ders. um

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Barde

1832 Ballade (WA l 41.1,224) Der alte Barde beginnt unmittelbar seinen geschichtlichen Gesang; 1843 Didaskalia XXI Nr. 10 Deutscher Barden Hochgesang; Engels 1870 Vorw. z. e. Samml. irischer Lieder (MEW XVI 501) besonders hat damals einer der letzten irischen Barden, Carolan, viele [Volkslieder] erfunden. Diese Barden oder Harfner — Dichter, Komponisten und Sänger in einer Person — waren früher zahlreich, jeder irische Häuptling hatte den seinigen auf seiner Burg. Viele zogen auch als fahrende Sänger im Lande umher; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 482 [Wilhelm Jordan als] letzter deutscher Barde; Vogt/Koch 1907 Gesch. d. Otsch. Lit. II 207 Die Bardenchöre der Klopstockischen „Hermannsschlacht" erwiderte Denis mit den „Liedern Sineds des Barden". Die Barden Maria Theresias und Josephs vom Donaustrand (Sined, Mastalier, Joseph Friedrich von Retzer, der Prager Professor Ingnaz Cornova) wetteiferten freundschaftlich mit den Barden Friedrichs des Großen und des Cheruskerhelden; T/7. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 166) er sang die Stücke, . . wie sie in Kommers- und Turnliederbüchern stehen, unter anderen eines, worin die Zeilen vorkamen: die Barden sollen Lieb' und Wein, doch öfter Tugend preisen; Süddtsch. Ztg. 4.6. 1955 Schon beim Abstieg wurde man mit „Des Barden Gruß" [der Männerchöre] empfangen; 1956 Aufbau II 130 Eine unnennbare heilige Inbrunst wohnte in diesen Klängen, die .. mit ungezügeltem Jubel dahinbrausten, als griffen tausend Barden in die Saiten ihrer Harfen und erhüben ihre Stimmen zu einem Siegeslied; Welt 28. 5. 1959 ich ging in Urlaub, aber ich schlug den Barden der Reiselust ein Schnippchen; Partner 1964 Erben 145 die Priester erbten die magischen Kräfte der Druiden und die Mythen der Barden; Zeit 5. 12. 1986 als während der Cromwellschen Kriege im 17. Jahrhundert die irisch-gälischen Bardenschulen streng verboten wurden, zogen sich Sänger und Erzähler in heimliche „hedgeschools" zurück; ebd. 1. 5. 1987 sobald es um den Sohn Tübingens [Ludwig Uhland] ging, schlössen die politisch zerstrittenen Gruppen Waffenstillstand, feierten . . Leipziger Buchdrucker, Münchener Barden (Emanuel Geibel an ihrer Spitze), Sänger, Turner und Handwerksleute aus Augsburg . . allesamt ihren Dichter; MM 22. 1. 1988 als sie es wagten, 1808 Byrons Gedichtsammlung „Stunden der Muße" zu verhöhnen, antwortete der mit einer bissigen Satire über „britische Barden und schottische Rezensenten". Bardei: 1772-76 (1887 Göttinger Studentenwohnungen 3) Bardei, Spottname in Göttingen für den Hainbund.

Bardentum: 1*05 N. T. Merkur I 49 Das Bardenthum und die alten nordischen Götter; Campe 1807 Wb. I 380 Das Bardenthum, . . die alten Barden, alles was sie betrifft und von ihnen herrührt; 1843 Brockhaus II 57 Tydain, genannt der Vater der Musen, der Stifter des Bardenthums, das in Wales seine Rechte verlor, als Eduard I. 1284 das Land eroberte; ebd. Das Bardenthum in Irland und Schottland wurde insbesondere durch Ossian . . verherrlicht; 1882 ebd. U 477 Bei den Galliern ging das Bardentum frühzeitig unter; 1935 Literatur 527 Die reiche Entwicklung aller . . Sprachen ist mehr als einmal aus dem Bardentum erklärt worden, und Bardentum schloß immer Wettkämpfe der Dichtkunst ein; 1980 Lex. d. Mittelalters I 1456 Manche Anglonormannen aber übernahmen das Bardentum und wurden dadurch hibernisiert. Bardiet: Klopstock 1769 S. W. VIII 243 Wir haben Barde nicht untergehen lassen, und was hindert uns Bardiet wieder aufzunehmen? Wenigstens habe ich kein eigentlicheres und kein deutscheres Wort finden können, eine Art der Gedichte zu bezeichnen, deren Inhalt aus den Zeiten der Barden sein und deren Bildung so erscheinen muß (KEHREIN); Herder 1780 Einfluß (S. W. IX 378) Die Gesänge der alten Nordischen Völker, die nichts als Krieg, Blutgefecht, Geschrei der Adler, Klirren der Schwerter und Helme, kurz Bardit tönten, erhielten den Kriegsgeist in ihnen, nicht eben zur Ruhe und zum Besten der Welt; Voss 1785 Br. a. Gleim (1893 VjS f. Literaturgesch. VI 136) Klopstocks Hermann und Segest ist fertig, wie Sie wissen. Andre halten es für das beste der drei Bardiete; Michaelis 1791 Satyren (S.Poet. W. I 112) Empfindungen, Bardiet, Theater; Campe 1813 Fremdwb. 144 Bardiet, ein Bardenlied, Bardensang, Schlachtgesang oder Kriegeslied, weil die Barden durch ihre Lieder zur Tapferkeit ermunterten; 1833 Brockhaus I 652 Bardiet, auch Bardit, verdankt seinen Ursprung einer verderbten und übel verstandenen Stelle in des Tacitus „Germania", wo Einige barditus, Andere barritus, noch Andere baritus lesen . . Zur Bezeichnung einer Gattung der Dichtkunst ward Bardiet zuerst von Klopstock gebraucht, indem er darunter ein besonderes religiöses und kriegerisches Lied verstand, welches in dem fingirten Charakter eines Barden oder ältesten Sängers der Nationalvorzeit gedichtet ist, oder einen Schlachtgesang in dem wildkräftigen Tone der Urzeit, vorzüglich der germanischen Völker; ebd. Die Dichter, welche zu Klopstocks Zeit das Bardiet bis zum Überdrusse erschallen ließen, ahmten in demselben meistentheils die empfindsame Weichheit Ossian's, der durch Macpherson wieder erweckt worden war, nach, oder ihre Gesänge arteten in kunstloses Gebrüll aus, welches schon Hölty und Andere in

Barett Parodien verspotteten; Marx 1850 Er. (MEW XXVII 150) Als ich das Manifest [Ledru-]Rollin, Mazzini, Rüge etc. an die Deutschen gelesen hatte, worin man sie auffordert, das Bardiet zu singen und sie erinnert, daß ihre Vorfahren „Franken" hießen, . . glaubte ich, etwas Dümmeres sei unmöglich; Kuhberg 1933 Sprachgut 38 Bardiet. Von Klopstock 1769 nach dem barditus des Tacitus, Germania, Kap. 3, als Bezeichnung für seine „Hermanns Schlacht" erneuert. Barditus/Barritus: Henisch 1616 Teütsche Sprach 192 Barr/ ein kriegsgeschrey der alten Teutschen/ barritus, classicum, carmen Germanorum; Morhof 1700 Unterricht 149 f. es ist die lectio des Wortes Barditus noch zweiffelhafftig. Einige MSta haben nicht Barditus sondern Barritus . . [Ammian] hat . . den Barritum so beschrieben/ daß man eigentlich sehen kan/ daß es mehr auff den Schall als auff die Lieder gehet; Adelung 1806 Gesch. 326 Barit, nicht so wohl der Schlachtgesang, als vielmehr das Kriegsgeschrey bey dem Angriffe; ebd. 387 f. Taciti Baritus. Von diesem Kriegsgesange ist der Baritus oder das Kriegsgeschrey, womit nach vollendetem Gesänge das Gefecht angefangen und fortgesetzt wurde, noch verschieden. Wenn man den Tacitus obenhin ansiehet, so sollte man glauben, daß er den Kriegsgesang selbst Baritum genannt habe; allein er belegt ausdrücklich nur den relatum, den Vortrag, die Anstimmung desselben, mit diesem Nahmen, nimmt also das Wort in seiner weitern Bedeutung, in welcher es ein jedes rauhes dumpfiges Geschrey, folglich auch das Geschrey der Elephanten bedeutete. Daß Baritus, (einige obgleich wenige Handschriften lesen Barditus,) das eigentliche Kriegsgeschrey bedeutet habe, erhellet aus mehrern Stellen . ., und dieses Geschrey bey dem Angriffe machten auch die Römer, ob sie gleich keine Kriegeslieder mehr vor dem Angriffe sangen; 1833 Brockhaus I 652 Bardiet, auch Bardit,

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.. wo Einige barditus, Andere barritus, noch Andere baritus lesen und Mehre bei barditus an den Bardengesang in der Schlacht denken. bardisch: Gottsched 1748 Neuer Büchersaal VI 270 Doch was braucht es, den Vorzug eines wohlklingenden und reinen Verses, gegen die knasternden Fescennien, bardischer Meister zu vertheidigen? (REICHEL); Lessing um 1766 S. Sehr. Ill 209 diese genauigkeit scheint unumgänglich, wenn ein bardisches ohr die kunstreiche harmonic eines Flaccus fühlen soll; Klopstock um 1774 S. W. Ill 170 die verlernen bardischen Denkmale (beide DWB); Meister 1775 Schwermerei I 11 in bardischer Begeisterung; Pfeffel 1802 Poet. Versuche I 128 der esel sang mit bardischem geschrei; Ehrmann 1892 Die bardische Lyrik im 18. ]h. (Titel); Strittmatter 1957 Wundertäter 153 „Heil dir, im Siegerkranz, heil, König, dir . ." Die Herren sangen laut und bardisch. Bardismus: 1796 Xenien Anm. 133 Bardismus. Barde b: R.Schneider 1973 Nekrolog 92 Averall MC Spike, der große Obszöne, ist inzwischen ebenso Autor meines Verlags wie Mireille Calvin, die Bardin der Abseitigkeit; Welt 22. 4. 1974 die Berliner Barden Schobert und Black; Saarbr. Ztg. 10. 7. 1980 Roger Siffer . . gegen einen Gesangsstar wie Bob Dylan antreten zu lassen war dem elsässischen Barden gegenüber nicht ganz fair (DUDEN 1993); Zeit 13. 9. 1985 so feierte ein Jahr nach dem Prince of Wales auch der Protestsänger Investitur, in der grünen Robe der Barden; ebd. 27. 6. 1986 zum einen liegt das an der pädagogischen Einstellung vieler Barden; MM 27. 10. 1989 Cale ist der avantgardistischste Barde (DUDEN 1993); Spiegel 17.1. 1994 Mit seiner jüngsten CD „Staffabruck" . . beweist der urbayerische Barde, daß er sich nicht nur auf schrille Töne versteht. RS

Barett N. (-(e)s; -e, selten -s), Ende 14. Jh. wohl unter Einfluß von mittelfrz. barrete 'Umhang mit Kapuze, flache Mütze', ital. barretta, barretto 'Kopfbedekkung, Kappe' entlehnt aus mlat. barretum, ber(r)et(t)a, bir(r)etum 'Kappe' (< spätlat. birrus, byrr(h)us 'kurzer Überwurf mit Kapuze' < griech. 'der Chlamys ähnliches Gewand der Männer im alten Griechenland', dem ein Wort kelt. (gall.) Ursprungs zugrunde liegt), anfangs auch in den Schreibungen Baret, Paret, Bar(r)it(t), Bareit(h), Bereyt, Bret, Birett, Pirett, Byret, Borret, Burret, gleichzeitig die Verkleinerungsformen Barettl(e)in, Baretli, Baretly, Barettchen. a Zunächst in der Bed. 'im Mittelalter und bes. in der Renaissance und in der Reformationszeit von Männern und Frauen, bes. von vermögenden Leuten getragene, gesteifte, oft kostbar verzierte, flache, mutzen- oder kappenartige Kopfbedekkung aus Samt, Seide oder Tuch mit verschieden gestalteter Krempe', auch für 'Dok-

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Barett

torhut, der den Promovierten als Zeichen der akademischen Würde überreicht wurde', heute noch für 'zur Amtstracht von Geistlichen, Richtern und universitären Würdenträgern gehörende flache, kappenartige Kopfbedeckung mit gesteiftem Rand', (in Bezug auf katholische Geistliche die Nebenform Birett), z. B. das Barett tragen, aufhaben, aufsetzen, abnehmen, in der Redewendung vor jmdm. das Barett ziehen 'jmdm. Ehrerbietung erweisen, jmds. höheren Rang anerkennen' (s. Belege 1531—46, 1562), seit spätem 15. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Barettfeder, -handler, -leute, -macher, -teller 'flaches, tellerförmiges Barett', -träger, auch mit den Diminutivformen, z. B. Baretliskrämer 'Baretthändler', -leute 'Gelehrte, die Barette tragen', -narr 'jmd., der seine Gelehrsamkeit auf seine Amtstracht stützt', Barettleinsäuberer, Baretlewäscher 'betrügerischer Händler' und in der adj. Zs. barettberechtigt 'dazu berechtigt, ein Barett zu tragen'; seit Ende 17. Jh. mit Hinweis auf denjenigen, der ein Barett trägt, als Grundwort in Zss. wie Doktor-, Frauen-, Pfaffenbarett; mit Hinweis auf den Stoff, aus dem ein Barett hergestellt ist, in Zss. wie Samt-, Tüllbarett; seit Ende 19. Jh. auch für 'Studentenmütze der Burschenschaften'. b In neuester Zeit (eventuell unter frz. und engl. Einfluß) in der Bed. 'zur Soldatenuniform aller Truppengattungen des Heeres der Bundeswehr oder der Polizei gehörende, mit einem die jeweilige Truppengattung kennzeichnenden Emblem aus Metall oder Stoff versehene Mütze, die das bisherige, zum Feldanzug gehörende Schiffchen bzw. die Schirmmütze als Teil des Ausgehanzuges ablöste', z. B. die schwarzen Barette der Panzertruppen, die blauen Barette der Sanitäter, die bordeauxroten Barette der Fallschinnjäger, gleichzeitig als Grundwort in der Zs. UNO-Barett. Barett a: 1390-1434 (Hanserecesse 11 1,283, Nr. 381, §37) byredeken, bereydeken (KATARA); um 1400 Minneburg 436 Sin haubt waz gar wol bewett/ mit einem pirriet; 15. ]h. Chroniken d. dtsch. Städte (Nürnberg) X 193 sein piretlein, daz er auf seinem heiligen haubt lebendig und tod het gehabt; 15. ]h. Chronik Zürich 204 das man behielt des herzogen von Burgun pater noster, da was fil heiltuom in, . . truog er alwäg am barret; Beheim um Mitte 15. Jh. Gedichte 99 under seinem hüte/ het ir yeglicher ain paret/ und heublein (alle FRNHD. WB); 1473 Basler Chronik o. S. Der jung Küng hat ein baret in der not [bei Grandson] verloren; da hat man im dis [aus der Beute] darfür geben (SCHWEIZER. IDIOTIKON); 1508 Zürcher Ratsmanuale o. S. Hans von Griessen hat vor Rat öffentlich dem Michel Hag zu Wyden den kämpf gebotten und sin birret dargeworfen (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Geiler v. Keisersberg vor 1510 Narrenschiff 12 also die bresthaftigen herren haben die Schmeichler lieb, das seint die gehübten, die paretlislüt, die mer schaden thunt weder die, die ir paretlislüt heiszen, das seint doctores und gelert lüt (DWB); Dürer 1520 Tagebuch 73 der Ruderigo, Scriban de Portugal, hat mir geschenckt zwey kalakuttisch tücher, das ein seiden, und hat mir geschenckt ein geschmücktes piret; Paracelsus 1528 S. W. l 6,119 wie vil geschickter sollet ir arzet dan sein? ob aber die wiz in roten baretlin oder

oren steck, das urteilet; Luther 1531—46 Tischreden 267fr darumb sol das jus für der Theologia das bareth abziehen; ders. 1538 Johannes Kap. 14 u.15 AA2b also wird er euch machen nicht allein kempffer vnd siegmenner, sondern auch das biretlin auffsetzen vnd heissen doctores vnd meister sein (beide DIETZ); Frisius 1562 Carmen o. S. Du sitzst aid stast, so bhalt die leer: 's bareet züch ab, zeig inen eer (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Fincelius 1566 Wunderzeichen I H2a Darinnen sind zween Menner erschienen/ als redten sie mit einander/ Der eine hat einen Türckischen Hut/ Der ander ein spannisch baret auff gehabt; Fischart 1572 Eulenspiegel (W. II 145 f.) Deß morgens kamen her getrolt,/ Doctores, wie ein jeder solt,/ Mit jrn vierecketen Paretlin,/ Auff Achßlen Fatznetlin vnd Pastetlin; ders. 1575 Geschichtklitterung 258 So muß ich mir bei der Heyligen Aeschen, die new Kart bekommen, von vier ausserlesenen Farben, Roten Cardinalshüten, grawen Mönchskappen, blawen Cornutschlappen, vnd schwartzen Predicantischen vber Paretdellern; Moscherosch 1642 Philander 34 Anzusehen war Er unbärtig alß ein alter Mönch, mit einer Beltzkappe vff dem Haupt, Einen Beltzin Rock umb sich, Ein Paretlin in der Hand, Einen Degen an der seite als ein Alter Rathherr; ebd. 230 Die Persier, zu erweisen wie hoch sie Ihre Götter hielten, haben deren selben Ochsen mit Bareren vnd vergulten Hörnern gewidmet; 1664 Rechts-

Barett quellen Kanton Bern VII 2,947 dieweilen die hochen und nideren barähtli der kleinen und großen rahtsgliederen , . ein althergebrachter, nit minder wolanständiger habit sind (FRNHD. WB); 1691 Züricher Mandat o. S. Alle Knaben und Mannspersonen sollen bei dem h. Tauf Baretli . . tragen (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Ettner 1697 Doctor 429 das Doctor-Piret zu erkauffen . . das rothe Mäntelchen und Piret machen keinen Doctor; 1715 Berer Luxusmandat o. S. Aller Sammet soll männiglichen zu tragen verbotten sein, aussert was an Parreten, Perüssen, Schlüpfen [usw.] gebraucht wird (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Sperander 1727 A la mod Sprach 66 Barret, ein von Sammet oder Tuch gemachter Hut, welcher denen Doctoren bey Verleihung des Gradus aufgesetzet, und an vielen Orten von denen Geistlichen getragen wird. In Italien heisset Barretta, eine Art Mützen mit vier Ecken, so die Cardinäle, und die Nobili zu Venedig zu tragen pflegen; Waldkirch 1757 Einl. z. d. eidgenöss. Bundes- u. Staatshistorie II Anh. 9 80 barete ledig sint 80 Ratssitze sind unbesetzt (DRW); Krünitz 1774 Oec. Enc. III 542 f. Baret .. heißt im allgemeinen Verstande alles, womit man sich das Haupt bedecket, und welches kein Hut ist; z. E. eine Mütze, Kappe, Haube; Müller 1778 Fausts Leben (W. // 12) bin einmal einem um mitternacht erschienen mit dem baretchen auf dem haupte und stäblein in der hand (DWB); Jacobsson 1781 Technolog. Wb. l 146 Barret, Birret, ein aus der Mode gekommener Hut, der unten einen breiten Rand hatte, und nur noch bey Doctorpromotionen und bey einigen Geistlichen der Römischen Kirche üblich ist; Goethe 1794 Reineke Fuchs (WA / 50,24) [Reineke Fuchs verspottet den am Kopf blutig verwundeten Bären:] Welchem Orden habt ihr euch wohl so kürzlich gewidmet,/ Daß ihr ein rothes Barett auf eurem Haupte zu tragen/ Anfangt? Seid ihr ein Abt?; ebd. 50,143 Also ging mein Vater beständig dem König zur Rechten. Euer Vater verehrt' ihm hernach, ich weiß es am besten,/ Eine goldene Spange mit einem rothen Barette; ders. 1816 Italien. Reise (WA l 32,198) Philipp Neri . . drückte zugleich sein vierecktes Barett auf den Kahlkopf; Jäger 1835 F. Schnabel 21 die Burschenschaft [in Halle] . . zeichnete sich . . durch Vernachlässigung des Anzugs aus, welcher mehrentheils in altdeutscher Tracht, Barett, schwarzem, kurzem Rock, in Turnhosen, offener Brust, blosem Hals, langen Haaren und einem Bart bestand; 1877 Berner Freßpredigt o. S. Wo sind die guten alten Zeiten, wo der gemeine Mann demütig aus der Laube auf die Gasse hinausflüchten musste, wenn er einem gnädigen Baretliherrn begegnete? (SCHWEIZER. IDIOTIKON); Kluge 1895 Studentenspr. 82 Barett im Wichs der Burschenschafter; Neresheimer 1899 Komödie 67 hüb-

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sche Burschen, den Oberkörper in glänzend weiße Hemden mit rotem Gürtel und roter Schärpe gekleidet, dazu weiße Stulphandschuhe und Baretts mit rot und weißen Federn; Ponten 1926 Siebenquellen 70 Und jedesmal, wenn er den Namen Jesus aussprach, lüftete er sein schwarzes Birett; Fallada 1931 Bauern 595 Dieses Mal setzen sich die Angeklagten nicht, stehend erwarten sie ihr Urteil. Der Vorsitzende bedeckt sein Haupt mit dem Barett und verkündet: „Im Namen des Volkes. Es wird für Recht erkannt: Es werden verurteilt . ."; Brach 1950 Schuldlosen 143 Wagner, .. mit schiefem Barett; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 116) einen prunkseidenen Leibrock . . mit florleichten Überärmeln . . dazu . . ein Barett; ebd. VII131 Grigor, sein Barett in der Hand, ließ er sich nieder auf ein Knie; ders. 1954 Krull (W. VII 436) am folgenden Tag . . war sie wieder da, in einer sehr schönen, langschößigen Nerzjacke diesmal und einem Barett aus dem gleichen Pelzwerk; Berl. Ztg. 19. 4. 1961 Der Schöffenrichter . . stülpte sich sein verstaubtes Barett auf die Platte und verlas mit vor Erregung zitternder Stimme das Urteil; Böll 1966 Dienst fahrt 195 Kugl-Egger [wurde] gebeten, mit seinem Plädoyer zu beginnen . . er . . erhob sich, setzte sein Barett auf und begann zu sprechen; FAZ 25. U. 969 Richter ohne Barett. . Der Justizminister von Rheinland-Pfalz, Schneider (FDP), hat für den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit angeordnet, daß von sofort an die herkömmlichen Barette nicht mehr Bestandteil der Amtstracht von Richtern und Staatsanwälten sind. Mit der Abschaffung der Barette hat Rheinland-Pfalz die Konsequenz aus entsprechenden Beschlüssen der vorausgegangenen Justizministerkonferenz in Berlin gezogen; ebd. 2. 12. 1971 Wer die Justiz . . als ein Tummelfeld „klassenbewußter" Sozialingenieure sieht, die zur Tarnung noch den Talar tragen und denen das Barett unmerklich zur Ballonmütze gerät; Zeit 8. 11. 1985 die neueste [universitäre] Kleiderordnung: Amtskette und Barett. Barett b: Schädlich 1977 Nähe 15 obgleich Schüler noch, des Generals,. . Barette kühn auf ihren Köpfen, ausgerüstet mit dem Mut von Falken; 1986 Spiegel Nr. 15 Der Wehrpflichtige . . war zu seiner Hochzeit in Uniform samt Barett und Koppel angetreten (DUDEN 1993); 1987 Brockhaus U 576 Anfang der 1980er Jahre wurde das Barett bei allen Truppengattungen des Heeres der Bundeswehr als Bekleidungsstück in verschiedenen Farben eingeführt: schwarz (Panzertruppen), grün (Infanterietruppen), rot (Kampfunterstützungs- und Versorgungstruppen), blau (Sanitäter), bordeauxrot (Fallschirmjäger); MM 7. 1. 1988 [den] Stahlhelm sowie zwei „Pizza" getaufte rote Baretts, haben die

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Bariton

jungen Männer . . in persönlicher Ausrüstung im Seesack zu verstauen; FAZ 14. 10. 1989 sie [die Offiziere] tragen die Uniformen .. das blaue Barett und das blaue Halstuch der Vereinten Nationen; Spiegel 4,1. 1993 ein Polizist mit gebügelter Uni-

formhose und blauem Barett; ebd. 28. 6. 1993 Polizisten mit den grünen Baretten; ebd. 18. 10. 1993 Mit blauer Uniform, schwarzem Barett und schußbereiter Kalaschnikow steht Sirota . . auf Posten. RS

Bariton M. (-s; -e), im frühen 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. baritono, subst. Form von (nur in der grammatischen Bed. weiterlebendem) baritono, einer gelehrten Übernahme aus griech. 'stark tönend, tief tönend', in der Grammatik für 'nicht den Hauptton tragend, mit dem Gravis bezeichnet' (von Silben), 'nicht auf der letzten Silbe betont' (von Wörtern) (aus $ 'schwer, gewichtig, tief und 'Spannung, Anspannung, Ton, Akzent, Stärke'), zunächst in der latinisierten Form Barytonus, auch in der ital. Variante Baritono und in der Schreibung Baryton, seit dem 18. Jh. in der heutigen Form. Zunächst, ohne PL, als Fachausdruck der Musik in der Bed. 'männliche Singstimme, deren Umfang, Klangfarbe und -charakter zwischen Tenor und Baß liegt' (—» Baß, —·· Tenor), Abk.: Bar., z. B. in den Wendungen ein lyrischer, hoher, tiefer Bariton; Bariton singen; etwa gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Baß-, Charakter-, Helden-, Tenorbariton, dann als Bestimmungswort in Zss. wie Baritonfach, -klang, -(mittel)lage, -sänger, -stimme und -Schlüssel 'auf der dritten Linie des Notensystems liegender F-Schlüssel; auf der fünften Linie des Notensystems liegender C-Schlüssel'; etwa gleichzeitig für 'solistische, nach Umfang und Klangcharakter zwischen Tenor und Baß liegende Gesangspartie in einem Musikstück', in Wendungen wie den Bariton singen, übernehmen; als Bestimmungswort in Zss. wie Baritonpartie, -rolle; seit frühem 20. Jh., auch im PL, metonymisch verwendet in der Bed. 'Sänger mit einer nach Umfang und Klangcharakter zwischen Tenor und Baß gelegenen Stimmlage', z. B. ein berühmter, gefeierter Bariton; der erste Bariton der Staatsoper (s. Belege 1927, 1981), gleichzeitig auch auf die Stimmqualität des Sprechenden übertragen für 'klangvolle Sprechstimme' (s. Beleg 1939), zuweilen auch in der Bed. 'schrille Sprechstimme' (s. Beleg 1969) und metonymisch 'jmd., der eine gewaltige Sprechstimme hat' (s. Beleg 1949); etwa gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. mit Bezeichnungen für Musikinstrumente zur Kennzeichnung von deren Tonlage, z. B. Baritonklarinette, -oboe, -saxophon, -tuba (s. Belege 1937, 1949—51). Dazu seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung baritonal (ohne Steigerung) in der Bed. 'im Umfang, in der Art, Klangfarbe des Baritons', auf Sing- und Sprechstimme bezogen, z. B. eine baritonale Stimme, ein baritonaler Tenor; baritonal singen, sprechen. Vgl. daneben in der Fachsprache der Musik die Instrumentenbezeichnung Baryton N. (-s; -e): Im 17.718. Jh. für 'um 1660 von Feldtlen oder Stainer erfundenes, einer tiefen Spezies der Viola d'amore ähnliches Musikinstrument, dessen sieben Darmsaiten mit der rechten Hand mit dem Bogen gestrichen und dessen unter dem Griffbrett befindliche Drahtsaiten der Resonanz dienen und zugleich mit dem Daumen der linken Hand gerissen werden können', z. B. ein Trio für Baryton von Joseph Haydn, als Bestimmungswort in Zss. wie Barytongeige (s. Belege 1700, 1732, 1818 — 82, 1950). Seit etwa Mitte 19. Jh. auch für 'in der Harmoniemusik verwendetes, in aufrechter und ovaler Form vorkommendes Blechblasinstrument mit drei bis vier Ventilen, das

Bariton

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weiter mensuriert ist und deshalb einen massigeren Klang hat und besonders gut in der Tiefe anspricht', in der Zs. Barytonhorn (s. Belege 1949—51, 1978). Dazu vom späteren 18. bis Anfang 20., vereinzelt bis Mitte 20. Jh. die subst. Ableitung Baritonist M. (-en; -en), anfangs auch in der Schreibung Barytonist, zuerst in der Bed. 'jmd., der Baritongeige spielt' (s. Beleg 1774), seit früherem 19. Jh. gleichbed. mit Bariton für 'Baritonsänger'. Vgl. auch den seit frühem 19. Jh. nachgewiesenen Fachterminus der Sprachwissenschaft Barytonon N. (-s; Barytona) in der Bed. 'unbetonte, nicht den Hauptton tragende Silbe eines Wortes; nicht auf der letzten Silbe betontes Wort', dem das Adj. baryton 'auf der letzten Silbe nicht betont' zugrunde liegt. Dazu etwa gleichzeitig die subst. Ableitung Barytonese F. (-; -n) für 'Verschiebung des Akzents vom Wortende weg'. Bariton: Prätorius 1619 Syntagma mus. Ill 113 Barytonus. Durch diß Wort verstehen die Italiäner den Tenor oder Quintum in den tieffen Choren, wenn das )/: vff der dritten Linien gezeichnet befunden wird. So von den Alten der Vagand oder Vagans ist genennet worden; ebd. Ill 128 Barytonus . . [für die] unterste Stimme nächst dem Baß; Walther 1732 Musical. Lex. 72 f. Baritono (ital.) Bariton (gall.) Baritonans, Barytonus (lat.) . . wird diejenige Bass-Stimme genennet, deren Clavis signata im Systemate entweder auf der mittelsten Linie, und demnach tief stehet; oder beym ordinairen Schlüssel in ihrem ambitu also gesetzt worden, daß derjenige, so dergleichen Stimme singen soll, so wohl die Höhe des Tenors, als auch einige Tiefe im Bass haben muß. Heisset sonsten insgemein der tieffe Tenor, oder hohe Baß; Goethe-Zelter 1817 Briefw. II 384 von einem natürlichen Baritono; Ersch/Gruber 1818-82 Allg. Enc. l 7,471 Baryton . . Heißt so . . diejenige männliche Singstimme, welche zwischen der Baß- und der Tenorstimme ungefähr die Mitte hält, sich jedoch mehr jener als dieser nähert . . Sie trägt eben darum auch mit Recht den Namen Halbbaß, oder hoher Baß; Goethe vor 1832 Reise i. d. Schweiz 1797 (WA l 34.1,234) Schröder . . singt Baritono, im Dialog tiefe, etwas schnarrende, heftige, rauhe Stimme; Keller 1874 Seldwyla (S. W. VI11 305) der . . Fahnenträger . . sang sein Lied vollständig durch mit freudeheller und doch gemäßigter Baritonstimme; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 166) sein Bariton war spröde, aber heute fand er ihn schön, und das Singen begeisterte ihn mehr und mehr; ebd. Hl 848 sie . . kam mit einem Matador daher, einer zwingenden Persönlichkeit mit prachtvollem Bariton; Lettenbaur 1927 Morgen 361 Setzkorn, der Reiseonkel und Zoffolini, der Bariton, waren stets von diesem Lebensproblem angezogen; Degele 1937 Militärmusik 55 Baritontuba, kurz Bariton; Th. Mann 1939 Lotte (W. 713) der klangvolle Bariton, in dem schon der schmale Jüngling ge-

sprochen und vorgelesen; NZ. (Basel) 22.11. 1949 Zu wenig Baritone im deutschen Parlament; 1949-51 Musik i. Gesch. u. Gegenwart l 1270 [Prätorius] bezieht sich damit offensichtlich auf L. Viadana, der die zweittiefste Stimme des vierten Chores seiner Salmi a 4 chori per cantare e concertare von 1612 als Barytonus bezeichnet (Eitner Q Bd. 10,75), und damit den frühesten Beleg für das Auftreten dieses Terminus bietet, wenn man von der bereits im 16. Jh. vorkommenden und in der Bedeutung von Vokalbaß gebrauchten Bezeichnung Barytonans absieht; ebd. l 1273 viel gefeiert [war] G. Battistini als Belcanto-Bariton; ebd. Zwei Instrumente, nämlich die Bariton-Oboe und das Bariton-Saxophon, sind . . durch den Zusatz des Stimm-Gattungsnamens näher gekennzeichnet; 1955 FAZ Nr. 51 nun singt er [Escamillo in „Carmen"] mit metallenem Bariton seine berühmte Arie; Welt 1. 7. 1969 aus den Lautsprechern hallte die Baritonstimme des Pressechefs; Riemann 1978 Musiklex. l 100 Im 17. und 18. Jh. wurde im mehr als vierstimmigen Satz die zwischen Tenor und Baß liegende Stimme Bariton genannt (frz. Concordant), so schon bei Viadana 1612; Süßkind 1981 Kontrabaß 25 Nestroy als Baßbariton; Zeit 29. 3. 1985 der Sohn des in den USA durch Verdi wie Spirituals gleichermaßen bekanntgewordenen Baritons Robert MC Ferrin arbeitet nämlich erst seit 1976 ernsthaft an seiner Stimme; MM 26. 9. 1985 tiefschürfende Sonette für Bariton und Orchester von Tadeusz Baird; Zeit 15.5. 1987 beim Sprechen scheint er [Herzl] nur der eigenen Stimme zu lauschen, diesem anglo-ungarischen Bariton, grundiert von unendlich schwarzem Humor; MM 23. 5. 1987 Rudolf Kostas sang den Hamlet mit rauhem, dunkel gefärbtem Bariton; ebd. 5. 4. 1988 ein junger Charakterbariton mit Kern und Kraft in der Stimme, Sinn für Nuancen, voller Innerlichkeit und Durchschlagsvermögen fürs Tragische; ebd. 30.5.1988 Francesch Chico-Bonets Bariton — manchmal ein wenig rauh, aber volumi-

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Bariton

nös und kraftvoll — charakterisierte den Don Giovanni sehr direkt und unverblümt als Wüstling. ban tonal: Schleich 1920 Besonnte Vergangenheit 120 Meine Stimme, hoch und doch baritonal, sei wie geschaffen für diese Partie; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 29) herzlich lächelnd . . schüttelte er dem jungen Mann die Hand, indem er mit baritonaler Stimme und etwas fremdländisch schleppenden Akzenten sagte: „seien Sie uns willkommen, Herr Castorp!"; ders. 1926 Reden u. Aufs. (W. X 878) diese Cellisten setzen den geharzten Bogen so an, . . mit dem Ergebnis baritonalen Saiten- und Holzgesanges; Brod 1927 Frau 158 er sprach übertrieben baritonal, so bewußt wohlklingend, als gebe er ein Konzert; ders. 1928 Zauberreich 42 Die baritonale Stimme war vielleicht das einzige Häßliche oder, sagen wir, minder Schöne an ihr; Zarek 1930 Begierde 335 „Herr Gadmer," begann van Embden mit seiner baritonalen Feldherrnstimme, „ich habe Ihnen gesagt, daß es zwei Kleinigkeiten gäbe, über die wir sprechen könnten . ."; Böll 1959 Billard 120 Was glänzt dort im Walde im Sonnenschein? Ich sang es gut, hatte es bei meinem Vater gelernt, übte meine baritonale Lautmalerei mit unterdrücktem Lachen aus; Tralow 1967 Mohammed 142 Als sie sich aufrichteten, fuhr der baritonale Tenor des einen Auswanderers statt des Chores fort: . .; MM 29. 1. 1987 Victor Ramirez war der baritonal kraftvolle, nur etwas steife und unglücklich artikulierende Präsidentschafts-Kandidat Hector; R. Schneider 1988 Seele 147 Schneidende Urteile waren darunter, denen das schöne baritonale Organ von Gilbert G. Prinz viel von ihrer Schärfe nahm; MM 2. 2. 1988 ebenmäßig führt er seinen eher baritonal timbrierten Tenor; ebd. 5. 4. 1988 Paul Frey, Bayreuths Lohengrin, . . überraschte mit vorwiegend baritonalen Farben. Baritonist: Schumann 1835 Ges. Sehr, l 158 Herr Gustav Nauenburg, der . . sich bei mehreren Musikfesten, wie auch vor zwei Jahren in Berlin als Barytonist in mehreren Concerten mit außerordentlichem Beifall hören ließ; Wagner 1840-41 Ges. Sehr, u. Dichtungen l 176 Herrn Tamburini, der als weltberühmter Barytonist den „Don Juan" sang und spielte; Devrient 1845 A. s. Tagebüchern I 260 seine [Mitterwurzers] großen Fähigkeiten . . beweisen, auch an dem seit 10 Jahren bestehenden Mangel eines ersten Baritonisten in Berlin erweisen, daß Talente wie Mitterwurzer nicht so leicht zu finden sind; Cornelius 1855 Ausgew. Br. l 199 Erst Rank, der Redakteur des Sonntagsblattes, dann Milde, der Baritonist, nun wird auch nächstens gar der alte Fallersieben noch mit einem Nachkommen gesegnet; }ahn 1856—59 W. A. Mo-

zart l 631 Neben ihm wirkten Günther und Schmidt als Bassisten und Saal als Baritonist [an der Wiener Oper] mit; 1861 Gartenlaube 303 mein College, der Baritonist B., welcher häufig Gast beim Abendtisch der Familie K. gewesen, wo wir dann oft bis spät in die Nacht bei Musik und Sang fröhlich beisammen waren; Wagner vor 1883 Ges. Sehr. u. Dichtungen U 55 große Freude machte es mir, das Rezitativ des Barytonisten . . zu hinreißendem Ausdruck zu bringen; Ebertin um 1910 Alles verstehen 164 In stiller Wehmut entsann sie sich der Zeit, als sie . . in klangvoller Höhe Sopran sang und ihr Musiklehrer, ein prächtiger Baritonist, die Begleitung übernahm; 1949—51 Musik i. Gesch. u. Gegenwart I 1271 So bezeichnete J. B. Faure, der selber zu den gefeiertsten Baritonisten seiner Zeit gehörte, in seinem Lehrbuch La voix et le chant (1866) den falsettierenden Bariton als BaritonMartin im Gegensatz zu den Sängern des BaritonVerdi-Typus. Baryton: Kuhnau 1700 Musical. Quacksalber 254 Nun war Caraffa mit einem Musico aus der Stadt/ der auff dem Baritono spielte/ bekandt worden; Walther 1732 Musical. Lex. 73 Barytonus . . Es wird auch ein einer Viola da gamba ziemlich ähnliches Instrument also genennet. .. Welches unter dem Griff-Brete Drat-Saiten hat, und nebst den obern DarmSaiten, unten mit dem Daumen zugleich gespielt wird; Schubart 1774 Dtsch. Chronik 503 Bariton, ein Instrument, welches etwan 80. Jahr alt ist, an Gestalt der Viol di gambe gleicht, ausser daß es hinten messinge Saiten hat, die zu gleicher Zeit mit dem Daumen gespielt werden müssen; ebd. Herr Lidl . . hat . . die Natur des Baritons so studirt, daß ich 's nun unter die vollkommensten Instrumente der Welt zähle; Ersch/Gruber 1818-82 Allg. Enc. l 7,471 Nent man Baryton auch ein, jetzt nur noch sehr wenig übliches Geigeninstrument, welches mit sieben oder mehr Darmsaiten bezogen, auf ähnliche Weise wie das Violoncell, gehalten und gespielt wird; 1949—51 Musik i. Gesch. u. Gegenwart l 1272 Barytonhorn . . Baryton .. das auch unter dem Namen Euphonium vorkommende in B oder C stehende, weitmensurierte Blechblasinstrument. Dieses stellt das Bindeglied zwischen Tenor-Horn und Baßtuba dar und bildet damit die Analogie zur menschlichen Bariton-Stimme; Jacob 1950 Joseph Haydn 100 f. Dies Instrument war das Baryton, ein heute vergessenes Streichinstrument von der Art der Viola da Gamba, das wie ein Cello gehandhabt wurde; ebd. 101 Das Baryton wurde meist im Trio gespielt, zusammen mit Viola und Cello . . Um der leidenschaftlichen Liebe des Fürsten [Nikolaus von Esterhazy] zum Barytonspiel zu genügen, schrieb Haydn im Laufe der Jahre viele Baryton-Trios . . es

Barkarole waren .. hundertneunundsechzig; Riemann 1978 Musiklex. I 100 Das in der Harmoniemusik verwendete Blechblasinstrument Bariton (auch Euphonium, . . Baritonhorn . .) ist ein Ventilhorn, das um die Mitte des 19. Jh. erfunden wurde. Baritonist: Schubart 1774 Dtsch. Chronik 503 Herr Lidl, . . der gröste Baritonist unsrer Zeit, . . hat sich kürzlich .. mit dem lautesten Beyfalle aller Hörer, Kenner, Halbkenner und Liebhaber hören lassen . . Herr Lidl setzt die Stücke zu seinem Instrument selber .. Leicht, wie ein Zephyr .. so berührt sein Bogen und seine Hand das göttliche, wollüstigmelancholische Bariton. Barytonon: Ersch/Gruber 1818-82 Allg. ine. l 7,469 Barytonon, heißt. . alles Tiefbetonte im Gegensatze des Hochbetonten; ebd. Im Lateinischen sind alle mehrsylbigen Wörter mit wenigen Ausnahmen . . Barytona; ebd. 7,470 bei der Neigung der Äolier zu Barytonis; ebd. Auf diese Weise hat die französische Sprache die meisten lateinischen

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Barytona mit gleichen Anfangssylben sich ähnlich gemacht; Schwyzer 1959 Griech. Gramm. I 375 Die Scheidung zwischen Barytona und Oxytona . . geht nur auf Abwesenheit einer Tonerhöhung von der Endsilbe; 1985 Lex. spracbwiss. Termini 39 Barytonon.: Wort, dessen letzte Silbe unbetont ist: Hoffnung. baryton: Schwyzer 1959 Griech. Gramm, l 383 Präpositionen und Konjunktionen unterscheiden sich akzentuell im Lesbischen von den übrigen Dialekten nicht . . sie sind eben baryton. Barytonese: Schwyzer 1959 Griech. Gramm, l 383 [die] lautlichen Wirkungen der lesbischen Barytonese; ebd. Unsicher ist Jacobsohns Schluß von der Elision des ursprünglichen -oi . . auf Barytonese; Knobloch 1986 Sprachwiss. Wb. l 248 Barytonese . . Abwesenheit der Tonerhöhung . . von der Endsilbe eines Wortes, daher . . Umwandlung der Oxytonese im Satzzusammenhang in Barytonese; ebd. eine entsprechende helotische Barytonese. RS

Barkarole F. (-; -n), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. barcar(u)ola (zu barcarolo 'Gondoliere', zu barca 'kleines Boot, Nachen' < spätlat. barca; —> Barke), anfangs auch in den Schreibungen Barcarole, Barcherolla, Barquerole. l Zunächst in der heute veralteten Bed. '(auf dem Mittelmeer nur bei gutem Wetter) im Hafen und an der Küste verwendetes, mastenloses Ruderboot'. Dazu Anfang 17. Jh. die aus gleichbed. ital. barcaruolo entlehnte, veraltete Personenbezeichnung Barkarole M. (-n; -n und Barkaroli), auch in den Schreibungen Barcaruolo, Barcarol, in der Bed. 'jmd., der berufsmäßig eine Barkarole rudert', z. B. die venezianischen Barkaroli (—» Gondoliere). 2a Seit früherem 19. Jh. in der dominanten Bed. 'volkstümliches Gondellied, Schifferlied der venezianischen Gondolieri, das diese bei ihren Gondelfahrten und auf den Straßen singen', gleichzeitig als Bestimmungswort in der Zs. Barkarolenmelodie, b Etwa gleichzeitig für 'Gesangs- oder Instrumentalstück in der Art eines venezianischen Gondelliedes, das meist im 6/8-Takt geschrieben, durch sanfte Bewegung, mäßiges Tempo und eine Vorliebe für Mollmelodik charakterisiert ist und als Einzelkomposition oder Teil von Opern Verwendung findet', z. B. in Wendungen wie eine Barkarole für Violoncello und Klavier, eine instrumentale Barkarole, als Grundwort in Zss. wie Chor-, Dialog-, Instrumental-, Lied-, Opern-, Sturmbarkarole. Barkarole 1: Hübner 1704 Staats- u. Zeitungslex. 105 Barquerole, Baranette, ein mittelmästiges LastSchiff ohne Masten, welches bey gutem Wetter nur auff dem Meer, iedoch nicht weit vom Ufer, gebrauchet wird; Oertel 1831 Fremdwb. 127 Barkerole . . mastloses Fahrzeug, das nur bei gutem Wetter im Hafen und auf der Rhede gebraucht wird; 1833 Brockhaus l 654 Barkerole (barcherolla) ein mastloses Fahrzeug zum Gebrauch auf der Rhede

oder im Hafen, auch eine Gondel; Gregorovius 1852 Wanderjahre l 7 in Livorno, wo man vor Barcarolen und Facchini seines Lebens nicht sicher ist. Barkarole (M.): Kiechel um 1600 Reisen 196 mitt vüschern und barkeroli (WIS); Henisch 1616 Teütsche Sprach 189 Barchier/ fehrknecht/ . . Ist ein Italiänisch wort/ dannenher Barcarolo so vil bedeutend als barchier; Lady Morgan 1821 Reisen,

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Barkasse

Italien (Übers.) 72 Die Barcaiuoli [auf dem Corner See]; Herlossohn 1839 Zeitbilder I 43 Bravo und Barcajuolo in einer Person — .. Galgenstrick; Kehrein 1876 Fremdwb. 67 Barkarole m. (it. barcaruolo), Barkenfährmann. Barkarole 2a: 1833 Brockhaus l 649 Barcarolla, ein Gesang der Gondelfahrer zu Venedig, öfters von diesen selbst auch componirt, aber von höchst angenehmer Melodie. Die meisten dieser Schiffer haben einen großen Theil von Tasso's „Befreitem Jerusalem" inne; sie singen es in den Sommernächten von einer Barke zur anderen; 1842 ebd. U 54 Barcarole nennt man die Gesänge der Barkenführer (Gondolieri) in Venedig, die, obschon meist von ihnen selbst componirt, sehr melodisch sind, und in mehreren Opern Nachahmung gefunden haben; Gutzkow 1851 Ritter V 9 Oder war's nicht das Gondellied, das wir . . sangen. Die muthwillige Barcarole; ders. 1869 Zauberer HI 89 Wäre er auch beim Landen, als er . . trällerte: „Auf, singt die Barcarole!" beinahe in den Fluß gefallen, so kehrte doch nach dem ersten Schrecken seine ganze Erwartungsfreudigkeit zurück; 1882 Brockhaus U 472 Barcarole nennt man die Gesänge der Barkenführer (barcaruoli oder gondolieri) in Venedig. Diese Gesänge zeichnen sich durch einfache, liebliche Melodien aus, mit sanfter, regelmäßiger, dem Ruderschlag entsprechender Bewegung; Werfel 1924 Verdi 24 f. Von Takt zu Takt stieß der Mann sein Holz in das Element . . So immer wieder: Lange Note, kurze Note. Lang, kurz! Diese Bewegung war die Mutter aller Barkarolen. „Venezianischer Sechsachteltakt", so hatte sie Verdi einmal in der Zeit, da er hier den Rigoletto einstudierte, getauft; 1949—51 Musik i. Gesch. u. Gegenwart l 1274 Barkarole (barcaruola), auch Gondellied . ., das Schifferlied der venezianischen Gondolieri . . zumeist als Dialektlied und vielfach auf selbsterfundene Melodien; Meyer 1992 Gr. Taschenlex. Ill 44 Barkarole. Lied der venezianischen Gondolieri im 6/8-Takt. Barkarole 2b: Raabe 1856 Chronik (S. W. l 1,160) Mein Fräulein, .. bitte, so lassen Sie uns noch einmal jene köstliche Barcarole aus Haydee [Oper

von Auber] hören; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 888) Sie .. verlangten auch noch eine Gesangsnummer, ein Opernduett, die Barkarole aus „Hoffmanns Erzählungen", die lieblich genug ins Ohr ging; 1932 Mittelrhein. Ztg. Jan. o. S. [bei der Opernaufführung] gibt es natürlich einen mächtigen Ausstattungseffekt bei der Barcarole. Giulettas Palast ist imposant aufgebaut, und um die Illusion zu erwecken, daß die Gondeln den Kanal hinabgleiten, dreht sich der ganze Palazzo; Dtsch. AZ. 22. 8. 1935 die Serenade für Flöte, Violine und Bratsche . . von Ludwig Weber, ein gestrafftes Werk, packend im Rhythmus im ersten Satz, orientalisch gefärbt in der Barcarole und überaus keck im Scherzo; 1949—51 Musik i. Gesch. u. Gegenwart l 1274 Früh schon wurde die Barkarole, mehr oder weniger stilisiert, als Gesangs- oder Instrumentalstück in die Kunstmusik übernommen; ebd. Im Bereich der Oper fand die Barkarole namentlich da Einlaß, wo italienische Stoffe dazu unmittelbar oder mittelbar Anlaß boten, aber auch sonst; ebd. Weitere bekannte Barkarolen in der späteren Opernliteratur finden sich bei Paisiello . ., Weber (Oberen), . . Auber (. . Fra Diavolo), Donizetti (Mariono Faliero), Rossini (W. Teil), Verdi (Otello), Offenbach (Hoffmanns Erzählungen) und J. Strauß (Eine Nacht in Venedig); ebd. l 1275 Aus neuerer Zeit seien die 13 Barkarolen für Klavier von Gabriel Faure genannt; 1958 Weltbühne V 249 [jeder] wird für den Rest seines Lebens dem Meister Jacques Offenbach dankbar bleiben und gewisse Arien, auch die Barkarole, nie mehr aus seinem Musikgedächtnis entlassen; 2967 Brockhaus H 311 Von F. Chopin, F. Mendelssohn-Bartholdy, G. Faure, A. Schönberg u. a. ist mit dem Namen der wiegende Sechsachtelrhythmus und der weiche Charakter der Barkarole in die Kammermusik übernommen worden; Welt 28. 8. 1969 Charles Boyer ist nicht nur der Held der Ufa-Barcarole von 1930, er ist auch der Charakterdarsteller aus dem „Haus der Lady Alquist"; MM 21.11.1994 [sie] trillert die Barkarole aus der Offenbach-Oper „Hoffmanns Erzählungen" ins Mikrophon; ebd. 29. 3. 1996 Maria Slavkovas herbe Kurtisane Giulietta beschwor zur Barkarole eine ausgesprochen spröde Liebesnacht in den düsteren Mauern des Bühnenbildners Hermann Feuchter herauf. RS

Barkasse F. (-; -n), im frühen 18. Jh. unter Einfluß von span, barcaza 'große Barke, großes Beiboot' (Vergrößerungsform von barca 'Boot') entlehnt aus ital. barcaccia 'untaugliches, schadhaftes Boot' (mit pejorativem Suffix -accia gebildete Ableitung von barca 'kleines Boot, Nachen'; —* Barke), anfangs auch in der Schreibung Barcasse. Zunächst bis Mitte 20. Jh. in der Seemannssprache in der heute veralteten Bed. 'größtes Beiboot von (Kriegs-)Schiffen' (s. Belege 1818-39, 1833, 1847, 1864, 1882,

Barke

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1967), seit früherem 20. Jh. auch für 'größeres Motorboot oder leichtes Schleppboot für den Hafenverkehr' (s. Belege 1933, 1947, 1958, 1959, 1964, 1986), als Grundund Bestimmungswort in Zss. wie Dampf-, Marine-, Motorbarkasse; Barkassenführer. Hübner 1720 Staats- Zeitungs- u. Conversationslex, l 376 Barkasse (KLUGE, Seemannssprache); Ersch/Gruber 1818-39 Allg. Enc. l 7,389 Barkasse ist das größte Boot, das großen Schiffen dazu dient, die Anker zu lichten und auszubringen, Wasser zu heben u. dgl.; Kotzebue 1821 Reisen l 145 es war schon spät, meine Leute waren sehr ermüdet, ich ließ also die Barkasse hier ankern, und wir fuhren mit der Baydare ans Land; ebd. I 146 die Barkasse zog viel Wasser, und wir waren gezwungen, unsern eben verlassenen Landungsplatz wieder zu suchen (KLUGE, Seemannssprache); 1833 Brockhaus l 654 Barkasse heißt das größte Boot, welches Schiffe mit sich führen; Gerstäcker 1847 Reise u. d. 'Welt IV 58 als die beiden Kanonen der Amazone wieder geladen und abgeschossen worden, antwortete aus der jetzt sichtbar werdenden Barkasse und aus den kleinen Jollen eine Salve von Musketen oder Jagdflinten; 1864 Preuß. Expedition I 223 zwischen dem Fock- und dem Grossmast sind die vier grossen Boote eingesetzt — die beiden Barcassen und die beiden Pinassen, je zwei über einander; Smidt 1864 Dtsch. Schiffe 99 dieser kam nach einiger Zeit, während welcher auf Befehl des Commandanten das Langboot und die Barkasse klar gemacht wurden; ders. 1866 Berl. Matrose 196 des ändern Morgens früh war Ludwig einer der ersten in der Barkasse (alle vier KLUGE, Seemannssprache); 1882 Brockhaus U 486 Barkasse heißt das größte Boot auf Kriegsschiffen. Dasselbe steht für gewöhnlich mit der Pinnasse auf dem Oberdeck zwischen Fock- und Großmast, und wird nur in das Wasser gesetzt, wenn schwerere Anker ausgebracht oder gehoben, Wasser geholt oder Landungen gemacht werden sollen; Bismarck 1885 Reden XIV 190 hat denn Deutschland zu dem kaufmännischen Geschick seiner ersten Handelsstadt nicht so viel Zutrauen, daß es ihr da mit 50000 Mark oder einer Barkasse zu folgen imstande ist (KLUGE, Seemannssprache); Liliencron 1889 Nächtl. Trauung (Ges. W. Ill 289) Mit der Flut strebt schnell etwas an den Strand. Gleichmäßiger Ruderschlag, wie auf Kommando. Wohl zwanzig Barkassen enttauchen dem Meer (TRÜBNER); Klepper 1933 Kahn 38 Die kleinen, weißen Regierungsdampfer und die schwarzen Barkassen

der Wasserpolizei sorgten für Ordnung; ebd. 146 Rauchschwaden und Sirenengeheul, eilige Barkassen und Hammergeläut; Münch. N. N. 16. 2. 1944 Der alte Jan Dolk, Oldefelds Barkassenführer, sollte mit seiner Wettervoraussage recht behalten; Uhse 1947 Leutnant Bertram 152 Bald stieß die Barkasse — einen Sanitätsoffizier und eine Bahre mit an Bord — vom Kai ab und schob sich auf die See hinaus; Hartlaub 1950 V. unten gesehen 29 Dort kreuzen viele kleine Barkassen, schwimmen Holzstämme; keine großen Schiffe (PAUL); ND 21. 5. 1958 Bei einer Fahrt auf einer Barkasse um das Werftgelände herum überzeugten sich dann die Pressevertreter, daß die Halligen und Kesselschmieden verwaist waren; Grass 1959 Blechtrommel 25 Kurz hinter Plehnendorf schössen die beiden Motorbarkassen der Hafenpolizei aus dem Schilfufer und rissen . . das . . Wasser der Toten Weichsel auf; ebd. 26 erst als mein Großvater den Holzhafen voller blau Uniformierter sah, als die Barkassen immer unheilverkündender ihren Kurs nahmen und Wellen über die Flöße warfen, erst als er den ganzen kostspieligen Aufwand begriff, der ihm zuteil wurde, da erst erwachte sein altes Koljaiczeksches Brandstifterherz; Welt 6. 7. 1964 mit 21 Schuß Salut verabschiedet Norwegen den winkenden Chruschtschow, als ihn eine Marinebarkasse im Hafen von Oslo mit seiner Frau Nina und Außenminister Andrej Gromyko . . zum sowjetischen Luxusschiff „Baschkirija" bringt; Bildztg. 20. 5. 1967 von Barkassen und Marineschnellbooten eskortiert, fuhr eine Segeljacht in den Hafen; 1967 Brockhaus U 311 Barkasse . ., in der Marine bis 1945 der größte Beibootstyp auf Kriegsschiffen, meist mit Motorantrieb. Eine Barkasse nahm rd. 120 Mann auf; Zeit 17. 5. 1985 jetzt grapschen sie ihre Taschen und ihre Joppen und trotten im Laufschritt zum Landesteg, um die letzte Barkasse zum Sandtorkel noch zu erwischen; ebd. die Barkasse legt am Südwest-Terminal an; ebd. 6. 6. 1986 als Lärmquelle wird eine mit Lautsprechertürmen bestückte Barkasse identifiziert; ebd. 7. 6. 1986 einige Demonstranten haben sogar Barkassen im Hamburger Hafen gechartert, um Brokdorf über die Elbe anzulaufen; Spiegel 6. 6. 1994 als der Dichter .. auf der Popow-Insel verschwindet, macht vorn an der Mole eine Barkasse fest. RS

Barke F. (-; -n), im späteren 12. Jh. entlehnt aus mittelniederl. barke 'kleines Küstenschiff (über mittelfrz. barque, altfrz. bärge zurückgehend auf spätlat. barca
. d. Türlin um 1220 Crone 112 Daz kos er vil küme,/ Als ez ein barke waere/ Eine an barkenaere. Barkette: Hübner 1704 Staats- u. Zeitungslex. 105 Barquette, ein kleines Schiff, so nur vier Ruder hat; Zedler 1733 Universallex. III 514 Barquette wird ein kleines Schifflein genennet, so meistens auf dem Archipelago gebraucht wird, und nur vier Ruder hat. Barkettine: Schmidel um 1555 Reise n. Süd-Amerika 31 kleine schieflein di man nennt parckhadineß; ebd. 33 Demnach ließ Joann Eyollas unnser hauptman acht kleine schieflein, parckhadineß unnd potteles, fürderlich zurichten. Barkier: Henisch 1616 Teütsche Sprach 189 Barchier/ fehrknecht/ einer der das rüder führet oder ziehet/ . . vnd in gemein ein Schiffer . . Ist ein Italianisch wort/ dannenher Barcarolo so vil bedeutend als barchier. aus-/einbarkieren: Köler 1534 Reisen i. Spanien I 324 bescheid man uns pr. Sanct Lucar, uns in zu barckiren; Lassberg 1906 Kriegstagebuch 7 [die Truppen] wurden einbarkiert . . ausbarkiert. Barke b: 7270 Jüngerer Titurel 517 Als der von trogdiente, kvnig papires der starke./ Der wand vil vnerwente. in solle tragen dahin der seiden barke; Goethe um 1799 Paralipomena z. Venet. Epigrammen (WA I 5.2,375) Laß mich erst noch hienieden, es kann die Barke passiren/ Nimmt sie mich diesmal schon mit, nun so leb wohl in die Welt; ders. 1831 Br. (WA IV 48,78) so war ich denn, .. schon mit den Fußzehen im Flusse des Vergessens, sollte

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aber dießmal doch die Barke [Charons] nicht erreichen; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. IV IV 288) er träumte . . in warmer Tammuznacht, die er auf dem Felde bei den Hürden verbrachte, während als schmal gebordete Barke der Mond schon am Himmel schwamm; ebd. /V/V 386 als es Nacht geworden und die Barke des Mondes silbern heraufgeschwommen war übers Gebirge; MM 9. 12. 1987 in der wunderbar aufglühenden Vision vom „Mond als Silberbarke"; ebd. 5. 2. 1991 wenn der Elferrat mit der Barke des Humors für vier Stunden durch die närrischen Wogen segelt. Bark(e) c: Hübner 1704 Staats- u. Zeitungslex. 105 Barque, eine Art Schiffe von mittelmäßiger Größe, ungefehr funfftzig Fuß lang, welche einen oder auch zum öfftern zwey Masten hat, und meistentheils auff dem Archipelago gebrauchet wird. Diejenigen Barquen, deren man sich auff dem Mittelländischen Meer bedienet, haben nebst dem grossen Mast noch zwey andere, und führen die grösten nicht über hundert Tonnen; Krünitz 1774 Oec. Enc. Ill 546 Diejenigen Barken, deren man sich auf dem mittelländischen Meere bedienet, haben, nebst dem großen Mäste noch einen Besanund Fockenmast, und führen bis 200 Tonnen; Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. l 713 Die Barke . . ein kleines Lastschiff, welches gemeiniglich drey Masten führet und bis 200 Tonnen trägt; Röding 1794 Allg. Wb. d. Marine o. S. Barke oder Barkschiff 'großes dreimastiges Schiff, das bloß zum

Handel eingerichtet ist, und daher um mehr Platz zu behalten nicht so scharf als eine Fregatte sein muß . . und auch vorne kein Galion hat' (KLUGE, Seemannssprache); 1844 Volks-Conversationslex. l 326 Barke, im Mittelmeer plattgebaute Kauffahrer, oft mit zwei oder drei Masten; "Willkomm 1857 Ammer 271 die drei weißen Thürme Hamburgs im rothen Felde an der Gaffel eines herrlichen Barkschiffes; Brinckmann 1886 General-Reeder 105 Up den Strom dor aewer mi leeg 'ne funkelnagelnige Bark van 120 Last; Heims 1897 Wasserkante 13 Die meisten großen Dampfer sind als Barkschiffe getakelt, d. h. als Dreimaster mit Raaen (beide KLUGE, Seemannssprache); Miethe 1951 Bark Magdalene. Ein Fischländer Heimatroman (Titel); Rudolph 1953 Rügen 238 Brigg hieß ein schneller großer Zweimaster von etwa 200 Registertonnen .. Der nächstgrößere, dreimastige Typ von 250 bis 600 Tonnen ist die Bark; 1954 Heute u. Morgen II 118 die Bark-, Fregatten- und Dampfschiffer; Miethe 1956 Auf großer Fahrt 47 auch Ankäufen älterer Briggs, Schonern und Barken aus dem Ausland stand nichts mehr im Wege; Weitendorf 1956 Logbuch 12 es gibt auf einer Bark viel mehr Tauwerk, als wir uns das beim Spielen daheim vorgestellt hatten; MM 31. 1. 1991 Die Bark, die gegenwärtig noch mit Maschinenschaden in der Königsberger Werft liegt; ebd. Der Verein schickte . . selbst einen Hilferuf in die Welt, um Sach- und Geldspenden für die stolze Bark zu sammeln. RS

barock Adj. (Steigerung nur von 1), Mitte 18. Jh. entlehnt aus frz. baroque 'unregelmäßig; sonderbar, überladen' (vgl. gleichbed. ital. barocco) (< port, barocco 'schief, unregelmäßig geformt (von der Perle); schiefrunde Perle; Perle, Edelstein mit ungleichmäßiger Gestalt'), zunächst auch in den Formen baroque, baroc, barok, im 18. Jh. (vereinzelt noch im 20. Jh.) in der eindeutschenden Nebenform barockisch (vgl. 1), seit spätem 18. Jh. in der heutigen Form. l Zunächst als Wort der Kunstrezeption gebraucht, in der Literaturkritik in der Bed. '(verwirrend) vielfältig, bizarr, übertrieben in der Darstellung, vom Regelmäßigen (der Renaissance) abweichend' (s. Belege 1764, 1797, 1804, 1813, 1821, 1985), häufig im frz. Syntagma gout baroque sowie in der lehnübersetzten Verbindung barokker Geschmack, daneben auch für 'verschnörkelt, arabesk' (—» Arabeske, —»· grotesk), abwertend für 'schwülstig' von einem an Verzierungen reichen Bau-, Malbzw. Musikstil (vgl. bombastisch, —· Bombast; s. Belege 1799, 1818, 1890) (vgl. 2); dann auch allgemeiner, z. B. auf Erscheinungsbild bzw. Ausstattung bezogen im Sinn von 'üppig, ausladend, auffallend', so auch gelegentlich in der Steigerungsform (s. Belege 1804, 1825-26, um 1830), häufig abwertend für 'überladen' (s. Belege 1785, 1787, 1806-19, um 1830, 1834, 1854-55, 1987, 1991, 1992), vgl. die Wendung barocke Pracht; seit früherem 19. Jh. auch zur Kennzeichnung menschlicher Verhaltensweisen bzw. Wesenszüge im Sinn von 'sonderbar, merkwürdig, seltsam, ver-

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rückt, irrwitzig', z. B. barocke Ideen, Einfalle (s. Belege 1813, 1837, 1852, 1876, 1908, 1939); im 20. Jh. zur Bezeichnung der auf Lebensbejahung und -genuß bezogenen Weltsicht des 17. Jhs. (s. Belege 1916, 1963, 1988), vgl. die Zs. barockfröhlich, gelegentlich auch als konfessionelles (s. Beleg 1963) bzw. regionales (s. Beleg 1986) Attribut gebraucht. Öfters in subst. Form verwendet (s. Belege 1793, 1804, 1813, 1823-26, 1854-55). Seit Mitte 19. Jh. mit fließenden Übergängen zu 2. 2 Seit Mitte 19. Jh. zur Charakterisierung eines Epochenmerkmals verwendet in der Bed. 'auf den Kunststil des 17. und frühen 18. Jhs. bezogen, diesen betreffend, auf diesem beruhend, aus dieser Zeit stammend, im Barockstil (gestaltet)', bezogen auf Musik, Malerei, Literatur und Architektur, häufig in Wendungen wie barocke Tragödie, Kirchen, Gartenanlagen bzw. mit regionaler Bestimmung (barockes Süddeutschland); auch abwertend für 'von verschwenderischer Fülle, verschnörkelt, überladen' (vgl. 1), in Wendungen wie barocker Schwulst; als Grundwort in Zss. bzw. Ableitungen wie neo-, neu-, früh-, spätbarock. Dazu seit früherem 19. Jh. die subst. Ableitung Barock N., auch M. (-(s); ohne PL), Fachwort der Kunstgeschichte als Bezeichnung für Stil, Ausdrucksform und Gestaltungswillen des 17. und frühen 18. Jhs. in der Bed. 'die der Renaissance folgende und dem Rokoko vorausgehende Kunstrichtung, Epoche der europäischen Kunst', die bes. von vielgestaltigem Formenreichtum und gesteigertem Ausdruck gekennzeichnet ist, in Zss. wie Barockzeit, -Stil, -epoche; vor allem bezogen auf Architektur, Malerei, Literatur und Musik, auch mit lokaler Kennzeichnung (vgl. römischer, Wiener Barock), scherzhaft in der Wendung Gelsenkirchener Barock zur Bezeichnung des kleinbürgerlichen Kitsches in Arbeiterwohnungen des Ruhrgebiets (s. Beleg 1962); als Bestimmungswort in Zss. wie Barockdrama, -architektur, -kapelle, -kirche, -schloß, -musik, ugs. abwertend in der Zs. Barockschinken auf die großen, mit üppigen Figuren ausgestatteten Gemälde vor allem des 17. Jhs. bezogen; auch mit konfessionellem Bezug, vgl. Barockkatholizismus; als Grundwort in den Zss. bzw. Ableitungen Früh-, Spät-, Neu-, Hoch-, Neobarock. Seit Anfang 20. Jh. die Ableitung barockisieren V. trans., in der Bed. '(ein aus einer vorangegangenen Epoche stammendes Bauwerk) dem Barockstil (nachträglich) anpassen, es (nachträglich) im Barockstil umgestalten, den Barockstil nachahmen', seit frühem 20. Jh. das Verbalsubst. Barockisierung F. (-; -en) '(nachträgliche) Umgestaltung im Barockstil'. barock 1: Nicolai 1759 Literaturbr. Ill 51 sich mit der Antwort begnügen, es sey Rocaille, Grotesque, Arabesque, ä la Chinoise oder en gout Baroque: kurzum, es sey so Mode; Möser 1761 S. W. IX 85 der Geschmack des Schiefen oder der sogenannte gout baroc; Resewitz 1764 Literaturbr. XIX 129 Wenn wird doch der Geschmack unserer Schriftsteller gesetzter und mit sich selbst übereinstimmiger werden? Wenn wird er doch aufhören, baroc zu seyn; Herder 1766 S. W. / 50 Dieser, dessen Körper sich nach einem baroquen Geschmack lange Jahre formt: hat seiner Seele wahrscheinlich eben diesen Geschmack mitgetheilt; Sonnenfels 1768 Br. ü. d. wiener. Schaubühne 114 den Eigennutz, die Unwissenheit, den Stolz, den baroken Geschmack des letzten; Hamann 1774 Briefw. Ill 113 Ich bin

allemal in übler Laune, wenn ich so baroque schreibe; Smollet 1785 P. (Übers.) l 46 machte er eine weniger barokke Figur; 1787 Journal d. Moden II 56 neben den [!] . . barock ausstaffirten Herrn Papa; 2789 ebd. IV 97 Anm. Der Geist einer Nation hat bekanntlich eben so viele, und oft eben so barokke und tolle Moden; Hippel 1793 Kreuzu. Querzüge 71 Das Barocke und eine gewisse Singularität hat von jeher Glück gemacht, und in der Regel sind Sonderlinge besser als Alltagsmenschen; Brun 1799 Sehr, l 40 barocke geschmacklose Verzierungen [einer Kirche]; Boutertvek 1801 Gesch. l 37 man trug kein Bedenken, die alte Mythologie [in den Stoff der Dichtung] hineinzuschrauben; und geistreiche Männer fanden in dieser barocken Zusammensetzung häufig eine ganz

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besondere Schönheit; Goethe 1804 Er. (WA IV 17,20) so rathe ich . . sich alles Barocken und Paradoxen zu enthalten und sowohl das Einzelne als das Resultat faßlich und genießbar zu machen; Mutius 1806-19 Er. 363 bei der Gräfin Liewen (barocke Frau); Bouterwek 1809 Gesch. V 67 Das Gemeine und das Grosse, das Barocke und das Schöne, das Raffinirte und das Zarte, liegen in ihren Werken durcheinander; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA I 27,154) ein abgesagter Feind des Schnörkel- und Muschelwesens und des ganzen barocken Geschmacks; Seume 1813 Leben (W. l 25) Er schloß aus meinen oft sonderbaren Antworten in den öffentlichen Kirchenprüfungen auf meinen eigenen zuweilen sehr barocken Ideengang; 1813 Urania XXXII Anm. dass er [Heinrich von Kleist] die Grenzen der Motive überschreitend, zuweilen an das Barocke streift; Goethe 1814 Dichtung u. Wahrh. (WA l 28,247) eine liebliche Zärtlichkeit schleicht sich durch zwischen den albernsten und barockesten Fratzen; ders. 1816 Italien. Reise (WA I 30,192) barockes Heidenthum; v. d. Hagen 1818 Br. I 104 die barocken Bilder von Breughel; Lady Morgan 1821 Frankreich (Übers.) l 107 Hier ist Corneille baroc, Beaumarchais von schlechtem Ton und Mde de Stael eine phrasiere; Ad. Schopenhauer 1823—26 Tagebuch 63 ich sage geschwind etwas Schlechtes von mir, oder etwas Barockes; Friedrich 1825-26 (Ebrard 222) die barocksten Tatsachen; Goethe 1826 Br. (WA IV 41,49) Es ist ein wunderliches Document, das an wahrem Gehalt und barockem Wesen wohl kaum seines Gleichen finden möchte; Waiblinger um 1830 Britten (I 196) den allerbarockesten abenteuerlichen Putz; ebd. I 236 den Kopf voll phantastischer und barokker Liebesphantasien; 1830 Kunstblatt 124 die etwas barocke Gestalt . . Napoleons; Schnaase 1834 Br. 25 ihre barock phantastische Ausstattung; Kurtz 1837 Gentzianen 3 indem er sich an meinen barocken Einfallen ergötzte; Gutzkow 1838 Blasedow l 393 Blasedow ging . . so methodisch zu Werke, daß er . . eine Woche nur für das Launige, . ., die fünfte für das Bizarre und Baroke bestimmte; Auerbach 1842 Ges. Sehr. XIX 63 Ueberhaupt war Rudolph in so gewaltiger innerer Erregtheit, daß er das Fernliegendste und Barockste herbeibrachte; Scheffel 1852 Italien (Br.) 40 ein enfant terrible, das in barocker Weise in Italien herumirrlichterliert; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. l 44) Diese Gabe bestand . . in einer Freude, welche den äußern Formenreichtum vergessen kann, der oft eigentlich mehr ein Barockes als Schönes ist; Hundt v. Haff ten 1863 Rechte I 107 Der Künstler unserer Zeit lacht. . über die barocken Eigentümlichkeiten früherer Jahrhunderte; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 160 Das ist gewiß eine Kunstweise, welche die Bezeichnung barock ver-

dient; Pecht 1876 Glaspalast 61 barokes Wesen; Riehl 1885 Vortr. H 293 heute ist uns das Barockste oft kaum barock genug; Hornstein 1890 Mem. 171 Die Musik kam mir damals [um 1860] ungeheuer barock vor. Eine Feerie, wie ich es zu übersetzen liebte, eine Viecherei sah ich im Chätelet; Henneam Rhyn 1897 Kulturgesch. Vll 238 Diese „geistreich schillernde Flunkerei" erschien unter dem barocken Titel „Rembrandt als Erzieher"; 1898 Kladderadatsch 124 Ihre mit vielen barocken Fremdworten gespickte, affektirte Sprache, die sich in den übertriebensten Phrasen ergeht; Hermann 1908 Henriette 139 Vetter Nestor . ., der ein sehr barocker und skurriler Herr gewesen sei; 1911 Grenzboten l 169 Das klingt barock, vielleicht sogar albern; Hammerstein 1916 Februar 250 barockfröhlich; Th. Mann 1922 Reden u. Aufs. (W. X 625) Welche barocken Träume, grotesken Szenen, gespenstisch-lächerlichen, sonderbaren und schaurigen Einfalle!; Werfet 1924 Verdi 183 Diese haarspalterische Kleinarbeit. . war einer von jenen barocken Widersprüchen, in denen der menschliche Charakter sich gefällt; Borries 1925 Romantik 119 [bei Novalis kein Verfall der romantischen Lebensform] in barocke Willkür oder stumpfen Quietismus; Friedeil 1931 Kulturgesch. III 71 hat das Wort „barock" die Bedeutung des Widersinnigen, Abgeschmackten, Schwülstigen, Überladenen angenommen; Th. Mann 1933—43 Joseph (W. /V/V 1431) „Nein, was für eine barocke Geschichte!" rief Amenhotep; ders. 1939 Lotte (W. U 392) was für ein merkwürdiger Mensch er sei, barock wohl zuweilen von Wesen, in manchen Stücken nicht angenehm; 1941 Goethe VI 242 „barock" . ., wenn man etwas als sinnlos überladen abtun wollte; Grass 1962 Blechtrommel 417 Er . . hielt sich in Reichweite einen altmodischen, recht barock anmutenden Spirituskocher; Bö// 1963 Clown 111 Er lachte besonders dröhnend: vital, katholisch, offen, mit „barocker Heiterkeit"; Partner 1964 Erben 56 Um den Hals hatte die Fürstin — denn nur eine Dame aus fürstlichem Geschlecht konnte sich derartige Kostbarkeiten leisten — ein schweres Kollier von barocker Pracht getragen; Celan 1968 Fadensonnen (Ges. W. II151) der barock ummantelte,/ spracheschluckende Duschraum; Welt 23. 9. 1969 den finsteren Gassen und der barocken Pracht der Stadt; Rodendorfer 1971 Olympiabuch o. S. Bier ist ein . . überschäumendes Getränk, Bier ist eine pralle, barocke Angelegenheit, die sich nicht in preziösen Gläsern abtun läßt; Welt 13.7. 1974 die kühne Mischung aus artifiziellem Dekor und barock ausladendem Spektakel; Zeit 18. 10. 1985 Aus so barocker Spannung, klein/ groß, mächtig/ nichtig, lebendig/ tot, baut Webster sein zwischen Himmel und Hölle grotesk taumelndes Drama; ebd. 7. 3. 1986 Der

barock 1858 geborene Ostpreuße, der eine eher süddeutsch-barocke Natur hatte; ebd. 3. 10. 1986 gewiß eine barocke Spielerei; ebd. 30. 1. 1987 man sage nie mehr, die Banker seien Leute ohne Kreativität, Phantasie und barocke Schläue; MM 26. 3. 1987 So seltsam verzerrt die Körperteile seiner Figuren auch sein mögen, mit ihren fast barokken Proportionen; ebd. 15. 1. 1988 Es ist ein Mordsritual, das da um einen in barockem Gehrock am Boden liegenden, von einem Pfeil durchbohrten Mann vollführt wird; ebd. 10. 3.1988 Die glänzenden Feste, Fahrten von Schloß zu Schloß, die häufigen Jagden — der ganze barocke Lebensüberschwang war nicht das Produkt romantischer Phantasie, sondern erfahrene Wirklichkeit; Lukoschik 1991 In u. Out 22 Die mit üppigen Aufnähern barock-dekorierten Lederjacken; Ortheil 1992 Agenten 71 Auf der Terrasse hatte man einen langen Tisch mit kunstvoll drapierten Platten, Schalen und Schüsseln aufgebaut, schon der Anblick dieses barocken Ensembles brachte in Stimmung. barockisch: Zachariä 1754 Verwandlungen (I 122) der barocksche Schmuck vielfarbger Muscheln; 2755 Leipz. Samml. XI 772 Anm. Beschreibung des sogenannten baroquischen Geschmackes; Lessing 1767-68 Dramaturgie (S. Sehr. X 78) durch irgend einen seltsamen Einfall oder barockischen Ausdruck ihrer Empfindungen; Wieland 1771 Amadis (S. W. XV 101) Barockischer konnte man nichts als Blaffardinen sehen; ders. 1773 Merkur 60 ein barockischer Einfall; Lützeler 1934 Grundstile 75 in einer malerischen oder „barockischen" Kunst. barock 2: Hebbel 1856 Gyges (DL CXLUI 58) barocke Tragödie; Rilke 1895 Larenopfer (S. W. l 9) Und auf jedem Treppenpflocke/ müde lächelnd — Amoretten;/ hoch am Dache um barocke/ Vasen rieseln Rosenketten; Wölfflin 1915 Grundbegriffe 14 die barocke Kunst des Seicento; Karlinger 1920 Aus Altbayern 13 f. das eigentliche Strassenbild Erdings ist . . barock. Barock in dem Sinne einer behaglich raumweiten und temperamentvoll putzigen Prägung, wie sie noch viele Landschlösser und Bürgerhäuser Altbayerns zeigen, mögen sie nun im 17. oder erst im späten 18. Jh. gebaut sein; Müller 1923 Gesch. 203 nicht nur von Klopstock her, auch von Wielands echtem Rokoko-Sensualismus, der nichts mehr von „barocker" Transzendenz hat, kommen die Antriebe; 1923 D V/S f. Literaturwiss. l 243 Der Begriff des Barocken ist unserer Literaturwissenschaft noch nicht verbindlich einverleibt; Thiess 1927 Gesicht 139 charakterlose Nachahmungen gotischen Schnitzwerks oder barocker Bildnerei; Friedell 1928 Kulturgesch. U 145 Leibniz . . „barock" im heutigen Wortsinn; Hausenstein

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1935 Wanderungen 341 barockes Bayern; Schlosser 1937 Magistra 47 Vorwurf des scholastisch „Barocken"; Hess 1939 Gassend 2 das „barocke" oder das „klassische" 17. Jh.; Schneider 1946 Epochen 55 jener Stilumkreis, den man heute als „barock" zu bezeichnen pflegt. Er ist Gemeingut der europäischen Literatur; ND 13.4.1949 Hindemiths „Musikoper im neubarocken Stil mit Arien, Duetten, Ensembles und Chören"; Hausenstein 1951 Wanderungen 37 die barocke Planimetrie der Stadtgründung; 1957 Aus d. Welt d. Barock 3 Werke verschiedener Art aus dem 17. Jh. . . wegen einer inneren Verwandtschaft als „barock" zu bezeichnen; Grass 1962 Blechtrommel 298 Es ist mir aus jener Zeit die Sitte oder Unsitte geblieben, beim Besichtigen von Kirchen . . einen anhaltenden Husten freizugeben, der sich angemessen der Stilart, Höhe und Breite entweder gotisch oder romanisch, auch barock entfaltet; ebd. 462 An der Wand . . hing als einziger Bilderschmuck das barockgerahmte lebensgroße Brustbild meiner Roswitha; Burger 1963 Dasein 95 Die deutsche Literatur . . war nach dem Tode Martin Opitz' . . entschieden „barock" geworden; Partner 1964 Erben 161 gotische Giebel und barocke Domherrenhäuser, Rokokofassaden und klassizistische Bürgervillen; 1965 Barockforschung 11 Stilbegriff „barock" (als Adj.) . . zu meiden; Welt 17. 10. 1969 Wie der barocke Baumeister rücksichtslos gotische Dome „verschönert", setzt Marino dem Altertum neue Lichter auf; Kimmnich 1970 Verfassungsgeschichte V o. S. bei der Befreiung der deutschen Sprache vom barocken Schwulst, um die sich insbesondere Gottsched verdient machte; Rosendorfer 1971 Olympiabuch o. S. Wie das bayrische Wesen zwar nicht den barocken Baustil erfunden, aber in diesem Stil eine dem bayrischen Wesen unglaublich angemessene Ausdrucksweise gefunden hat . ., so hat der Bayer im Bier einen adäquaten Kanal für seine barocke Lebensfreude bekommen; Andersch 1971 Kirschen 112 jene Viertel der ganz großen Städte . ., in denen die Häuser zur Wildnis werden, wie es in Rom geschieht, in den Stadtteilen zu beiden Seiten des Corso (barocke Kirchen und Brunnen blühen darin wie Orchideen); MM 11.4.1985 Barockes Raumgefühl und formale Elemente des Jugendstils charakterisieren Struktur und Wesen der so überaus großzügigen Mannheimer Friedrichsplatz-Anlage; ebd. 22. 5. 1985 an barocke Vielchörigkeit wird angeknüpft durch verschieden plazierte Bläserchöre im Raum, Klangpracht entfaltet sich; ebd. 2.11. 1985 Imposant ragt der hochherrschaftliche neobarocke Hauptbau aus dem Jahre 1860 auf; ebd. 23. 6. 1986 In der Kapelle . . wurde der barocke Hochaltar höchst unpassend mit einer weißen Stellwand verdeckt; Zeit 4. 7. 1986 Die andere führt an Perspek-

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tivdemonstrationen und Konstruktionsplänen zur Renaissance-Architektur vorbei zu barocker Kuppelmalerei, jagt in Riesensprüngen vor zur „kubistischen vierten Dimension", für die ein einsamer Picasso Wache steht; ebd. 5.12. 1986 Was immer wir heute von der barocken Affektenlehre halten mögen; MM 3. 1. 1987 Originalfassung, Originalinstrumente, Beschäftigung mit barocker Gesangsmanier — das entspricht dem Konzept.. eine „original barocke" Aufführung zu bieten, so wie sie um 1750 tatsächlich hätte stattfinden können; Zeit 6.3.1987 Ein frühbarokker Grandseigneur, entwickelte der ebenso gebildete wie hypochondrische Rudolf II. deutlich weniger Machtinstinkt als Kunstsinn; ebd. Die erste große Ausstellung des frühbarocken Manieristen am Prager Hof; ebd. 27.3. 1987 der Handlungsort, das verfallene barocke Palais; ebd. 19. 6. 1987 Die Franziskanerkirche gibt sich spätbarock; MM 7. 1. 1988 Da ist allerdings nicht das barock-verschnörkelte „Bett eines Soldaten" (1698) gemeint; ebd. 5. 5. 1988 An erster Stelle Barockes, ein Concerto grosso von Corelli; TAZ 18. 1. 1990 ein prunkendes aber feingliedrig barockes Stadtbild, mit den Dominanten der beiden großen gotischen Kirchen und dem wunderbaren Renaissance-Rathaus. Barock: Vischer 1839 Br. Italien 36 Barock; 1854 DVjS Hl 270 Barockstyl. Erlangte Freiheit zu Extravaganzen mißbraucht; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 142 Wir pflegen den Kunststil, welcher der Renaissance folgte, als den Barock-Stil zu bezeichnen; ebd. 205 Barockperiode; Burckhardt 1876 Br. an Alioth 9 In Sachen des Barock werde ich immer ketzerischer; i#77 ebd. 50 In Würzburg ist Barock und Rokoko in grenzenloser Fülle und Auswahl in fast sämtlichen Kirchen und vollends in der . . Residenz der alten Fürstbischöfe; Nietzsche 1886 Menschliches Allzutnenschliches (W. l 577) Die Musik war die Gegenrenaissance im Gebiete der Kunst; zu ihr gehört die spätere Malerei des Murillo, zu ihr vielleicht auch der Barockstil: mehr jedenfalls als die Architektur der Renaissance oder des Altertums; Gurlitt 1887 Gesch. d. Barockstiles in Italien 7 Der Begriff „Barock" steht leidlich fest. Mit ihm benennen wir den Stil, der von antikisierender Basis ausgehend durch bewusst freie, modern vielgestaltige Behandlung des Baugedankens wie des Details zu einer gesteigerten, am Schluss bis zur Tollheit übertriebenen Ausdrucksform führte; Wölfflin 1888 Renaissance u. Barock 2 ist der römische Barock die vollständigste und durchgreifendste Umwandlung der Renaissance; ders. 1893 Kl. Sehr. 52 Wir sprechen von einer Früh- und Hochrenaissance und einem malerischen Spätstil (Barock); Schmarsow 1897 Barock und Rokoko (Titel); Welti 1897 Br. II 118 Barock- und

Rokokoschwindel; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 44) dieses erlauchte Bauwerk, Frühbarock im Geschmack, mit dem vornehmen Säulenaufbau seines Portals; Wölfflin 1915 Grundbegriffe 14 Der Barock, oder sagen wir die moderne Kunst, ist weder ein Niedergang noch eine Höherführung der klassischen, sondern ist eine generell andere Kunst; Hammerstein 1916 Februar 10 Barockofen; Schmilz 1918 Brevier 334 Mit dem verkniffenen Lächeln der Bildung wenden sie sich ab von einem „Schinken" der Barockzeit; Curtius 1921 Banes 77 Der Wille des Barock zur Verstärkung der Ausdrucksintensität; Schlosser 1921 Präludien 321 Österreich . . das . . Barockland schlechthin; Waetzold 1921 Kunsthistoriker I 128 Körperbarock des Rubens; Rose 1922 Spätbarock (Titel); 1923 DV;S f. Literaturtviss. I 243 Vom Geist des deustchen Literatur-Barocks; ebd. I 244 f. Das Barock ist ein erstes Ringen unserer neuzeitlichen Literatur mit der Antike; Werfet 1924 Verdi 268 Es ist dies eine so reizende Komposition von Antike und Frühbarock, daß Sie bei Ihrem hohen Kunstsinn ganz bezaubert sein werden; Gurlitt 1924 (Kunsttviss. l W) Ich galt als der „Barockmann"; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 544) Es waren Barockarmstühle mit kleinen Polstern auf den Seitenlehnen; Bahr 1925 Liebe I 265 Barockkatholizismus; ebd. II 284 Eine Renaissance des Barock ist die Wiener Romantik im Grunde; Breysig 1925 Werden I 57 Was Barock heisst, ist im Urkern nicht der Stil der Zeit, sondern der dieses einen gewaltigen Menschen [Michelangelo]; ebd. l 58 Die Kunst des Neu-Barock des ausgehenden 19. Jahrhunderts; Frankf. Ztg. 30. 6. 1926 Es müßte von Kunsttheoretikern, die den Barockstil als „Perückenstil" brandmarken wollten, die stilistische Zusammengehörigkeit beider Erscheinungen empfunden worden sein . . Auch wenn die .. vorgeschlagene Etymologie nicht anzufechten wäre, könnte doch kein Zweifel sein, daß es das Barock heißen muß; Brod 1928 Zauberreich 103 Barock; Berl. Illustr. Nachtausg. 4. 5. 1929 wer . . sich diesmal erdreistet hat, das herrliche Barock-Deutsch des Jenaischen Professors A. W. von Schlegel zu verbessern; Winkler 1929 Der Mensch des Barock (Titel); Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 454) in dem schönen, fast bühnenbildhaften Barocksalon seines Heims; Friedell 1931 Kulturgesch. Ill 4 [Vergleich des] Barockmenschen mit einer irrationalen Zahl, deren Wert sich nur annähernd . . ausdrücken läßt; Lützeler 1934 Grundstile 107 Lange hat man den Barock nur als Auflösung der Renaissance ins Malerische gesehen; Karlinger 1937 Raum 277 „Barockgotik"; Schlosser 1937 Magistra 47 Schöpfungen des Alpenbarocks; Winter 1943 Josefinismus 90 Barockkatholizismus; 1944 Torso 94 Das zweite Rom, das Rom der Renaissance und des Barock

barock [ist von Michelangelo geschaffen]; Hankamer 1947 Gegenref. 49 des romanischen Literaturbarock; ebd. 124 die grösste dramatische Leistung des deutschen Barock, das Trauerspiel des Gryphius, kann nicht als das deutsche Barockdrama gewertet werden; 1948 Zwiebelturm 215 Bildbarock und Wortbarock; Hinrichs 1951 Preussen 208 Monarchisch und aristokratisch also nannte ich die politisch-soziale Grundstruktur des Barocks; Benn 1951 Ges. W. III 264 Renaissancereminiszenzen,/ Barocküberladungen,/ Schloßmuseen; Hinrichs 1952 Preussen 290 Barock-Universalismus; Kaegi 1954 Tradition 7 Vom Barock sprach man um 1860 als von einem ästhetischen Sündenfall, wie die Humanisten vom gotischen Mittelalter gesprochen hatten; Süddtsch. Ztg. 25. 4. 1955 in den Bergmannswohnungen feiert der „Wanne-EickelerBarock" Triumphe; 1957 Aus d. Welt d. Barock 3 Das Barock ist die Zeit des grossen Systemdenkens; Niebelschütz 1961 Spiel 7 so wie der Barock einen point de vue anlegte, auf den alle Perspektiven zielen oder von dem sie ausgehen; ebd. 14 dass der Kirchenbarock . . in Frankreich fast völlig fehlt; Süddtsch. Ztg. 5.2. 1962 Eine ganz besondere Geschmacksrichtung, die bisher als „Gelsenkirchener Barock" bekannt war, . . wird jetzt inoffiziell „Glückauf-Stil" genannt; Schöne 1963 Das Zeitalter des Barock (Titel); Stuttgarter Ztg. 27. 4. 1963 Das „Blühende Barock" rettet wertvolles gartenbauliches Kulturgut; Welt 6. 7. 1964 Barock und Renaissance neben riesigen Kränen; Partner 1964 Erben 216 und inmitten dieser festlichen, hochgestimmten Barockarchitektur die bescheidene, unauffällige Michaelskirche; Alewyn 1965 Deutsche Barockforschung (Titel); Staiger 1966 Grundbegriffe 198 Von der Höhe pompösesten Anspruchs bis zu viehischer Unflätigkeit entspannt die Komödie des deutschen Barock; Welt 17. 10. 1969 Der berühmteste Dichter des italienischen Barock hat lange Zeit hindurch im Ruf eines glänzenden, aber kalten Sprachvirtuosen gestanden; Kimmnich 1970 Verfassungsgeschichte V o. S. Den Anstoß hierzu gab die Literatur, die ein neues Stilempfinden entwickelte und sich dabei gegen den schwülstigen Barock und die Nachahmung der Franzosen wehrte; Andersch 1971 Kirschen 45 [Ich] machte an den Sonntagen Fahrrad-Wanderungen nach Rott am Inn, Ettal, der Wies und Dießen, wo ich die Interieurs von Barockkirchen besichtigte; Welt 8. 8. 1974 Er deutet an, wie . . im Oberschwäbischen das Barock blühte bis ins 19. Jahrhundert hinein; MM 18. 10. 1985 japanische und französische Interpreten spielen Barockmusik auf Originalinstrumenten; ebd. 16. 12. 1985 Nach einer jahrhundertelangen Entwicklungszeit war dieser Orgeltyp in der Barockzeit schon technisch voll ausgereift; ebd. 9. 8. 1986 Dieser Gebäu-

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dekomplex entstand im gleichen üppigen Barockstil, sollte aber einem ganz anderen Zweck dienen; ebd. 7. 5. 1987 deftiges, dralles Theater, mit einfachsten Mitteln wie ein paar Barockklamotten; Stern 3. 6. 1987 im Barock durfte er wollüstig sein; MM 6.6.1988 Unter der musikalischen Leitung des Barockspezialisten Jean-Claude Malgoire durchlitten die deutschen Händel-Solisten . . ein Formtief; ebd. 21. 6. 1988 Es bezeichnet jene Spätphase, da die Ansätze der Renaissance zur Befragung des Diesseits erschöpft und die neuen Antworten des Barock noch nicht ausformuliert waren; TAZ 18. 1. 1990 um die Jahrhundertwende gebaut, in der typischen Leipziger Mischung von Neobarock und Jugendstil; MM 10. 7. 1993 Haustüren in schwülstigem Bauernbarock. barockisieren: Klee 1902 Tagebuch 103 Eine Persönlichkeit wie Michelangelo hätte die Gotik barockisieren müssen; Hofmiller 1917 Ein prachtvoller, ursprünglich romanischer, dann barockisierter Bau; 1921 (Grundschr. d. dtsch. Jugendbewegung 280) Man vergleiche nur einen gotischen Dom . . mit einem . . barockisierenden Kircheninnern; 1928 Handb. d. Englandkunde I 155 Zur klassizistischen Kunst kommt eine barockisierende Richtung; Panofsky 1930 Hercules 129 die Darstellung zu barockisieren . . im Sinne einer (maßvoll) „malerischen" Lockerung; Brehm 1938 Wien 31 [Wiens Kirchen sind] in der Ruhmeszeit Österreichs . . vollständig barockisiert worden; Süddtsch. Ztg. 24.9.1950 Die aus dem 12. Jahrhundert stammende romanische Kirche, deren Inneres später barockisiert worden sei; Partner 1964 Erben 314 Die Stelle der Apsis nimmt eine gotische, hernach barockisierte Kapelle ein; Bad. Ztg. 12. 5. 1984 die Erneuerung der ursprünglich spätgotischen Kirche, die das . . Benediktinerkloster unter seinem Abt Frener . . barockisiert hat; Zeit 22. 2. 1985 Deren barockisierenden Fassadenteile fügen sich süperb an; MM 3. 1. 1987 statt sich mit der hypertrophierten barockisierenden Fassade abzufinden, wollte er herausfinden, was wirklich barocke Musik war und ist. Barockisierung: 1925 Histor. Jahrb. XLV 172 Die Gemälde sind im 12. Jahrhundert entstanden. Ob sie durch die Barockisierung zerstört wurden oder ob noch Teile davon unter der jetzigen Mauertünche schlummern, müßte eine Untersuchung . . aufzeigen; 1931 Dtsch. Welt 69 Die Kirche . . erhielt. . gelegentlich der Barockisierung des Konvents einen hohen barocken Turm; 1935—36 Würzb. Universitätsalmanach 61 Ein wichtiges Moment bei der Barockisierung der Stadt [Würzburg]; Meiseis 1937 Salzburg 209 Barockisierung; Stuttgarter Ztg.

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Barometer

16. 2. 1959 Durch die umfassende Barockisierung ist die Stadt im Sinne eines Gesamtkunstwerks verändert worden; Zeit 14. 11. 1986 Als Beispiel

nennt Burckhardt die 1981 zur Bundesgartenschau vorgenommene „Zurückbarockisierung" der Kasseler Karlsaue. HK

Barometer N. (-s; -), Anfang 18. Jh. aufgekommen (1665 von dem engl. Physiker Boyle gebildet aus griech. 'Schwere, Druck', vgl. Bar 'Maßeinheit des Luftdrucks', und 'Meßgerät'), bis ins 20. Jh. (bes. österr./schweiz.) auch M., anfangs meist in der gelehrtenlat. (flekt.) Form Barometrum, vereinzelt in der gräzisierenden (s. Beleg 1709) und frz. Form (s. Beleg 1706). Als Fachwort der Physik in der Bed. 'Gerät zur Messung des Luftdrucks, Luftdruckmesser', früher gelegentlich auch als Torricelli(ani)sche Röhre (s. Beleg 1717) bezeichnet (nach dem italienischen Gelehrten Torricelli, der das Instrument 1643 erfunden hat); in Wendungen wie das Barometer steigt, fällt, steht auf Sturm, auch übertragen verwendet (s. u.), und in Zss. wie Barometerstand, Reisebarometer. Seit späterem 18. Jh. übertragen verwendet im Sinn von 'Anzeichen für eine Entwicklung, einen Zustand' (s. Belege 1771, 1798, 1890, 1955, 1994), bes. auf das öffentliche, speziell politische und wirtschaftliche Leben bezogen, in Wendungen wie politisches Barometer, Barometer der öffentlichen Meinung, der Weltpolitik und in Zss. wie Konjunktur-, Wirtschafts-, Preis-, Stimmungsbarometer. Seit spätem 18. Jh. die selten belegte adj. Ableitung barometrisch (ohne Steigerung), als Fachwort der Physik in der Bed. 'auf die Luftdruckmessung bezogen', vgl. die Wendung barometrische (Höhen-)Messung; vereinzelt auch übertragen verwendet (s. Beleg 1797). Barometer: 1701 Monatl. Auszug Jan. 88 Eine neue Relation von Veränderung des Windes und Wetters/ welche er durch ein portatifes Barometrum entdecket; Elis. Charl. 1706 Br. l 483 Wir haben . . schön weiter hir, ..; jedoch so scheindts heütte, alß wens endern wolte; der baromettre ist 7 staffeln höher, all? er geweßen; Vischer 1709 Informator 170 Barometron; 1715 Fama XLI 389 Es handelt der Herr Autor in dieser seiner Inaugural Disputation von denen Barometris oder WetterGläsern; Sturm 1717 Mathesis 97a Barometra oder Baroscopia, wie auch, nach dem Erfinder, die Toricellianischen Röhren genennet; 1720 (Mitt. G Erz'gesch. XIII 186) alle meine optische Instrumenta . . die . . Specula, Thermometra, Barometra, Thermoscopia, Microscopia; Sperander 1727 A la mod Sprach 66 Barometre, Barometrum, ein gläsernes Rohr, an welchem man sehen kan, wie schwehr oder leicht die Lufft sey; ein Wetterglaß; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) II 1198 In den Nocticulis Mercurialibus oder den Barometris, welche im Dunkeln, wenn sie beweget werden, einen Schein von sich geben, thut das Jungfernsilber gar gute Dienste; Zedler 1733 Universallex. Ill 496 Barometrum . . ist ein Instrument, welches die Veränderung in der Schwere der Lufft andeutet; Lambert

1764 Organon l 46 So . . hat man nicht gesehen oder empfunden, daß die Luft durch ihre Schwere das Quecksilber im Barometer in der Höhe erhalte. Der Begriff eines Barometers ist demnach durch Schlüsse herausgebracht worden, ungeachtet der erste Anlaß eine Erfahrung war; ebd. II 157 So . . hat man in den neuern Zeiten die Wörter Barometer, Thermometer etc. aus dem Griechischen gebildet, und ihre Etymologie zeigt mehr oder minder ihre Bedeutung an; 1768 Beschr. d. Barometer 32 Ein Barometer, das uns die Schwere der Luft zu erkennen giebt; Lichtenberg 1768 Aphorismen l 165 Die beste Politick ist doch noch nicht für den Zustand von Europa, was ein gutes Barometer für das Wetter ist; Schummel 1771 Reisen I I 1 5 Leidenschaftsbarometer; Schlözer 1779 Briefw. histor. Inh. IV 119 weil die Volkmenge ein Barometer für die Weisheit . . einer Regierung ist; 1780 Dtsch. Museum I 317 Anm. [Grundstückspreise sind] das wichtigste Barometer des Wohl- oder Übelstandes eines einzelnen Ortes; Musäus 1781 Physiognom. Reisen IV 139 dass der Barometer meines Humors . . wieder anfing zu steigen; Goethe 1781 Br. (WA IV 5,99) Wenn wir in einem bessern Clima wohnten; so wäre viel anders, ich bin der dezidirteste Barometer der existirt; Zimmermann 1783 Gesch.

Barometer d. Menschen III 39 Barometerstandes; 1788 Journal v. u. f. Deutschland l 269 Meteorologische Beobachtung an dem Barometer der Deutschen Aufklärung; Goethe 1797 Br. (WA IV 12,170) Das Barometer ist in steter Bewegung, wir können uns in dieser Jahrszeit keine beständige Wittrung versprechen; 1798 Merkur (W.) l 237 Barometerstand der öffentlichen Meinung; 1800 Buschs Almanach d. Fortschritte 110 ein neues, sehr einfaches Reisebarometer; Rumford 1805 Kl. Sehr. IV l Barometerröhre; Seume 1806 Sommer (W. l 726) Die Gesichter der Einwohner sind immer ein guter Barometer der Regierung; Goethe 1814 Br. (WA IV 24,153) die Tagesschriften . . diese Barometer des Zeitgeistes; ders. 1821 Zahme Xenien (WA l 3,362) Denn des Barometers Walten/ Ist der Witterung Tyrann; ders. 1828 Br. (WA IV 45,5) Schaffe dir ein gutes Barometer an . . vergleiche sein Steigen und Fallen mit der Physiognomie der Atmosphäre, mit der Bewegung der Wolken; Nicholson 1832 Anweisung 99 Thermo-Barometer; 1834 Jahrb. d. Gesch. l 556 Barometerstand der öffentlichen Meinung; Hufeland 1836 Ench. med. 16 die tägliche Beobachtung des Barometers und Thermometers; Engelhard 1840 Schweizer-Alpen 79 Baro-thermometer; Stahr 1848 Italien II 18 Die Jesuiten und ihr Schicksal sind der politische Barometer für Neapels Geschichte; Szarvady 1852 Paris l 258 politische Barometer; Schlözer 1864 Rom. Br. 31 Niederlassungen von Mönchen und Nonnen sind bekanntlich ein Barometer für die Schönheit einer Gegend; Hartmann 1869 Philosophie 242 dass nach jedem starken Fallen des Barometers das Wetter umschlägt; Einsiedel 1884 Gouvernantenwesen 30 sank der Barometer ihrer Gemüthsstimmung von Tag zu Tag; Schneegans um 1890 Memoiren 291 Barometer der öffentlichen Meinung; Münsterberg 1904 Amerikaner I 398 die Eisenindustrie als Barometer nationalen Wohlstands; Th. Mann 1909 Hoheit (W. // 244) Kommen Sie zum Barometer, . . In der Halle hängt es; Benn 1916 Gedichte (Ges. W. Ill 40) Bedenkung physikalischer Verhältnisse,/ . ./ Luftdichte, Barometerstand, Isobaren; Hesse 1919 (1980 Magie 81) so ist die Art der jüngsten Kunst für den Beobachter ein sehr feiner und zarter Barometer für die Seelenstimmungen der Zeit; Heinrich 1928 Grundlagen 168 Konjunkturbarometer; Arnholds Wochenber. 7.2. 1931 Stimmungsbarometer; 1935 Zentralbl. f. Bibliothekswesen 371 das bibliothekarische Barometer hat immer noch weiter nach links ausgeschlagen; 1935 Volk u. Reich 62 Barometer der Weltpolitik; Dtsch. AZ. 8.1.1936 Wirtschaftsbarometer; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 633) sieh nach dem Barometer und nach dem Thermometer außen vorm Fenster; 1942 Berl. Monatsh. 527 Stand des politischen Barometers; Süddtsch. Ztg. 21.3. 1953 Veränderung

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des Barometers der öffentlichen Meinung; ebd. 24.8. 1955 Das Barometer der Wiedervereinigungshoffnungen ist . . rapide gefallen; ebd. 27. 7. 1956 Das Barometer steht beim Handwerk auf Sturm; Stuttgarter Ztg. 16. 5. 1968 Das exakteste Barometer für den Unmut Moskaus; FAZ 2. 4. 1969 Neues Preisbarometer für die Bundesrepublik; 1971 Parlament IX o. S. Es hat doch keinen Sinn, auf das Barometer einzuschlagen, wenn man sich über das Wetter ärgert; Hocke 1976 Tagebücher 98 Alle großen introspektiven Tagebücher . . kann man vor allem als seelengeschichtliche Barometer ansehen; MM 20. 4. 1985 Sonnenstrahlen aus Niedersachsen reichen allein nicht aus, um das Konjunktur-Barometer deutlich steigen zu lassen; ebd. 3. 5. 1985 Im Südwesten steigt das Barometer. Industrie- und Handelskammern geben sich optimistisch; ebd. 20. 10. 1987 der weltweit als Barometer geltende Dow-Jones-Index; FAZ 2. 3. 1990 Barometer der Entwicklung sind die alle ein bis zwei Jahre stattfindenden staatlichen Auktionen; Spiegel 16. 5. 1994 den „Trend-Dschungel" auszukundschaften und ihre Prognosen in „Trend-Barometern" der Welt zu diktieren. barometrisch: Schrank-Moll 1785 Br. II Vorr. IX den barometer- und thermometrischen Beobachtungen des Jahres 1789; Goethe 1797 Br. (WA IV 12,83) Dergleichen Erscheinungen sind, als barometrische Anzeigen der öffentlichen Meinung, nicht zu verachten; Weiss 1820 Süd-Baierns Oberfläche 15 in den meisten trigonometrischen und den meisten barometrischen Höhenangaben; Goethe 1825 Witterungslehre (WA II 12,198) Der Bezug von Barometrischen und Thermometrischen Erscheinungen auf die Atmosphäre erzeugt die Witterung; 1845 Beschr. O A. Welzheim 7 barometrische Messung; 1850 Beschr. OA. Waiblingen 9 barometrisch gemessenen Punkte; 1862 Beschr. OA. Nagold 5 barometrisch bestimmte Höhen; 1882 Brockhaus // 496 die Höhe der Barometersäule mit Genauigkeit zu messen, wie es . . bei barometrischen Höhenmessungen nötig ist; Hettner 1907 Grundzüge l 33 die barometrischen Depressionen und die sie begleitenden Winde sind jedoch . . meist nur schwach entwickelt; Döblin 1920 Vertreibung 205 Das macht nicht die Luft, . ., quasi: kein barometrisches, sondern ein intellektuelles Maximum; 1956 Wiss. Annalen V 961 Aus den Meereshöhen der beiden Punkte A und B und der (barometrisch oder durch Radar bestimmten) Höhe des Flugzeuges; 1987 Brockhaus U 590 Die barometrische Höhenformel wird bei der Eichung von barometrischen Höhenmessern .. herangezogen. HK

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Baron

Baron M. (-s; -e, früher selten auch -s und -en), im späten 15. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. baron (< altfrz. baron 'Vasall; Gatte' (woraus bereits mhd. barun, vgl. LEXER, das sich jedoch im Nhd. nicht fortsetzt) < mlat. baro 'Mann; Lehensträger; Großer des Reichs', spätlat. baro, Gen. baronis, 'Mann, Mietsoldat', german. Herkunft). Als Adelstitel gleichbed. mit seltenerem Freiherr, insbes. als Bezeichnung für eine Person, die diesen Titel trägt, für einen Angehörigen des niederen Adels, häufig in Aufzählungen zusammen mit anderen Rangbezeichnungen wie Fürsten, Grafen und Barone; in Verbindung mit dem Familiennamen und meist dem Prädikat von in Wendungen wie Herr Baron, Baron Herr (von) Münchhausen, Baron (von) Rothschild, vertraulich mit dem Vornamen Baron Eduard; ironisch-abwertend im Diminutiv Barönchen (s. Beleg 1896). Als Grundwort in den Zss. Reichs-, Landbaron, populär geworden in den Zss. Zigeunerbaron (nach der von Johann Strauss komponierten gleichnamigen Operette von 1885) und Lügenbaron (nach der literarischen Figur des Freiherrn von Münchhausen); wie andere Adelsbezeichnungen seit Mitte 19. Jh. im Zuge der Industrialisierung als Schlagwort der Gesellschaftskritik und auf Vertreter der bürgerlichen Finanzaristokratie bezogen in der Bed. 'Fabrikant, Fabrikbesitzer', im Ggs. zu Aristokrat (—* Aristokratie) nur abwertend gebraucht, zunächst bes. in der Zs. Schlotbaron, danach auch Geld-, Eisenbahn-, Kohle-, Schornstein-, Handels-, Industriebaron (s. Belege 1844, 1873, 1902, 1917, 1923, 1942, 1991). Dazu die seit Anfang 17. Jh. selten belegte, aus gleichbed. frz. baronnie übernommene subst. Ableitung Baronie F. (-; -n), bis ins 19. Jh. auch in der eindeutschenden Form Baroney, in der Bed. 'Freiherrschaft, Würde, Besitz eines Barons', auch 'Gesamtheit der Barone'. Seit späterem 17. Jh. das aus gleichbed. engl. baronet übernommene Subst. Baronet M. (-s; -s), meist auf engl. Verhältnisse bezogen in der Bed. Oberster Rang des niederen Adels; Mitglied dieses Rangs'. Seit Ende 17. Jh. die Ableitung baronisieren V. trans., 'jmdm. den Titel eines Barons, einer Baronin verleihen, jmdn. in die Baronswürde erheben', im Part. Perf. baronisiert häufig adj. gebraucht; seit spätem 18. Jh. das Verbalsubst. Baronisierung F. (-; -en), 'Erhebung in den Baronsrang'. Seit Anfang 18. Jh. die französisierenden Personenbezeichnungen Baroneß, Baroness (e) F. (-; Baronessen), früher auch Baronessin (s. Belege 1709, 1878), 'Tochter eines Barons; Freifräulein' und seit spätem 18. Jh. Baronin F. (-; -nen), 'Ehefrau eines Barons; Freifrau'. Seit Mitte 19. Jh. die adj. Ableitung baron(i)al (ohne Steigerung) 'zur Gesamtheit der Barone gehörig, diese betreffend, auf ihr beruhend, auf den Baronsrang bezogen', vor allem als Bestimmungswort in Zss. verwendet wie Baronialjurisdiktion, -adel, Baronalregierung. Baron: Füeterer um 1480 Lanzelot (LV CLXXV 102) Fürsten und baronen; Perneder 1544 Lehenrecht 5b Barones; Carolus 1609 Relation 8a Herrn Baron Dannenberger; Schupp 1657 Freund in d. Not 4 Mit dem und dem Baron seye er bekandt worden auf der Reise; Grimmeishausen 1669 Simpl. 77 das Wort Wolgeborn sey eine gantze Unwarheit/ solches würde eines jeden Barons Mutter bezeugen/ wenn man sie fraget/ wie es ihr bey ihres Sohns Geburt ergangen wäre; Titius 1699 Lehn-Recht 9 wie denn auch die Grafen und Ba-

rons oder Freyherren/ vor dem blosse Obrigkeiten und Königliche Stadthalter gewesen; 1699 Staatsspiegel I 6 dem Baron von Quentel als älteren Canonico; Zedler 1733 Unwersallex. Ill 509 Die Reichs-Barone machen auf dem Reichs-Tage nebst denen Grafen die vier Grafen-Bäncke aus, werden auch meistentheils in eine Classe gesetzt, und hat man sie wohl von denen Baronen, so nicht unmittelbare Reichs-Stände sind, zu unterscheiden; Geliert u. a. 1763 Br. (S. Sehr. IX 347) Der ersten Vorstellung nach kam mir die Aufführung des Barons

Baron verhaßt vor; Riesbeck 1784 Br. II 53 Anm. jeder deutsche Kavalier, wenn er auch Graf oder Baron heißt; Bürger 1786 Münchhausen 78 Nach Endigung der ägyptischen Reisegeschichte wollte der Baron aufbrechen und zu Bette gehen, gerade als die erschlaffende Aufmerksamkeit jedes Zuhörers bei Erwähnung des großherrlichen Harems in neue Spannung geriet; Goethe 1790 Faust l (WA l 14,122) Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut; / Ich bin ein Cavalier, . . / Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut; Jenisch 1800 Geist u. Charakter I 135 Baronen- und Edelmanns-Despotismus; Seume 1803 Spaziergang (W. I 326) Ich blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden und hätte in diesem Augenblicke alle sicilische Barone und Äbte mit den Ministern an ihrer Spitze ohne Barmherzigkeit vor die Kartätsche stellen können; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA l 20,3) Eduard — so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter; Brun 1818 Sittenstudien 250 ein eigenes Tribunal .., welches den Baronen, d. h. den ersten und reichsten adeligen Besitzern von Landeigenthum, eine ganz neue Art von Prozessen ohne Rechtsformen macht; Büchner vor 1837 Maria Tudor (S. W. u. Br. l 312) Ein englischer Baron, Herr, wiegt einen Prinzen auf; um 1840 Reineke d. Fuchs (Marbach) 48 Barone; ebd. 248 Reichsbaron; Marx/Engels 1843—45 Russell, Gesch. d. engl. Regierung (MEW IV 131) Ausserdem bilden die Abstufungen in der Pärschaft ein Vorrathshaus für Protectionen, indem man gewöhnlich eine Stufe vom Baron zum Grafen ersteigt, wie man vom Fähndrich zum Lieutenant avancirt; Kohl 1844 Schottland l 23 Schlotbarone; Stahr 1851 Paris I 83 die „grossen Barone der Republik", wie er die Mitglieder der provisorischen Regierung nennt; 1852 Anm. Lit. Reaktion 15 Die englischen Barone; 1859 Staatswb. IV 428 Die wachsenden Zerwürfnisse mit dem unzufriedenen Adel . . führen endlich zum offenen Kampf, dem sogenannten Baronenkrieg; Riehl 1861 Ges. 225 In einigen Gegenden erhielt sich das Herkommen, daß nur der Standesherr, das Haupt der begüterten Adelsfamilie, „Baron" genannt wird . . Im deutschen Süden, wo man einen Jeden, der einen säubern Rock trägt, als „Herr von" anredet, wird freilich jeder Adelige selbstverständlich zum Baron; Holtet 1863 Letzte Komödiant I 214 Baronsmädel; Douai 1864 Union 49 „schwarzen Baronen"; 1865 Stadtfraubas 167 Dass der Mensch erst beim Baron anfangen soll; Schartenmeyer 1873 Krieg 63 Ehrenplatz dem Geldbaron!; Faucher 1877 Culturbilder 178 Eine gewandte Englische Schriftstellerin, mit dem Baron Tautphoeus in München verheirathet; Memmingen 1878 Alpenbahnen 3 Eisenbahnbarone; Teuber 1881 Jugendleben 1137 unter einem Baron thut er's bei Instituts-

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zöglingen nicht; Derblich 1889 Militärarzt l 50 dass der Mensch vom Baron erst anfange; Liliencron 1896 Poggfred (XU 84) Barönchen; 1902 Grenzboten II 48 das ganze Vokabularium vom Schlotbaron bis zum Sklavenhalter und Menschenschinder; Zobeltitz 1902 Papierene Macht I 133 den Kohlenbaronen muss man auf den Kopf steigen; Liliencron 1903 Bunte Beute (X 86) Reichsbarone; Hahn 1905 Alter 207 Schlotbaronen; Gombert 1907 Bern. 15 Geldbarone; Nordegg 1907 Bert. Gesellschaft 159 französische „Baronskrone"; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 18) Baron Knobelsdorff war jünger als der Finanzminister, ein Mann in den besten Jahren damals, obwohl sein gestutzter Schnurrbart und sein glatt in der Mitte gescheiteltes Haupthaar schon leicht ergraut waren; 1916 Schwed. Stimmen 187 die tyrannischen Schornsteinbarone und profitgierigen Agrarier in Deutschland; 1916-17 Polit.-anthropolog. Monatsschr. XV 86 Handelsbarone; Baumgarten 1917 Erziehungsaufgaben 126 von „Ultramontanen" und „vaterlandslosen Gesellen", . ., von „Krautjunkern" und „Schlotbaronen" zu reden; Fromme 1917 Belgisches 102 Kattunbarone; Hackmack 1919 Jugend 5 die Sippe der Schlotbarone und Ostelbier; Th. Mann 1920 Nachtr. (W. XIII 565) man weiß . . von personalen Maßnahmen des letzten vorrevolutionären Intendanten, die unter dem neuen Regiment aus Gründen der Menschlichkeit und weil ein Baron und Fürstenknecht sie getroffen hatte, rückgängig gemacht worden sind; 1922—23 Schweizer. Monatsh. II 216 wir haben heute Käsebarone; Barth 1923 Porträts 122 Sklavenbarone; Masing 1924—26 Dtschbalt. Gemeinschaftsschelten 407 Fuselbaron; Weberitsch 1924 Leben 52 Willst du vielleicht auch so einer werden wie diese Baröner und Grafen?; Dublin 1929 Alexanderplatz 240 Seit wann bin ich dein Kollege. Ich arbeite doch nicht für die Schlotbarone; Greinz 1930 Golgatha d. Ehe 23 Viele nannten ihn daher auch kurzweg Herr Baron; Winnig 1932 Weg 419 „Baltischen Baronen"; Bahr 1933 Volk 53 „grauen Barone"; 1934 Hindenburg-Denkmal Ergbd. 104 Kabinett der Barone; 1940 Münchnerin 91 [der] Malerbaron mit dem Clownslächeln; Münch. N, N. 18./19. 7. 1942 die „Käse-Barone"; Dtsch. AZ. 24. 6. 1944 weil die Wiener Reichspolitik die ungarischen „Schweine-Barone" bevorzugte; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 368) Baron Riedesel also sah in allem Alten und Historischen eine Trutzburg gegen das Neuzeitliche und Umstürzlerische, eine Art von feudaler Polemik dagegen; Kesten 1952 Casanova 143 Der junge Baron Bavois war freilich eine Überraschung für Casanova; Welt 2. 1. 1954 Viele „Kandidaten" wurden genannt, unter ihnen immer wieder der deutsche Tennisbaron Gottfried v. Gramm; Mitteis 1955 Staat (Reg.) Barone; Offen-

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Baron

burger Tagebl. 31. 12. 1958 In dieser eiskalten Silvesternacht hatte der Lügenbaron eine Gesellschaft von rüstigen Essern und noch unbändigeren Trinkern um sich versammelt; Welt 10. 1. 1959 Das ehemalige Schloß Wolfskuhlen, im Besitz des Barons von Loc, liegt in herber, waldreicher Ebene am linken Niederrhein; 1962 Weimarer Republik 222 Kabinett der Barone; Grass 1962 Blechtrommel 256 im Osten . . zog sich aus eigener Kraft die Sonne hoch und benutzte dabei denselben Trick, den auch der Baron Münchhausen angewandt haben muß, als er sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf lüpfte; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 144 Er kann nicht ewig in der alten Leibkutscherlivree umhergehen und als Mitglied der Neuen Bauerngemeinschaft Zeugnis von der ehemaligen Güte des Barons ablegen; Kapeller 1964 Schimpfbuch o. S. Baron; ND 22.10. 1964 Offenbar sind die Grubenbarone entschlossen, eher den westdeutschen Bergbau vor die Hunde gehen zu lassen, als den Bergarbeitern ausreichende Löhne zu zahlen; Görlitz 1967 Gesch. Generalstab 276 Kabinett der Barone; 1970 Jasmin XIV o. S. Baron Guy, auf vertrackte Weise der intelligenteste Rothschild; Baron Edmond, der häßlichste und reichste von ihnen; Baron Alain, der britischste und am wenigsten rothschildhafte aller Rothschilds; Keller 1970 Licht o. S. die unteren Klassen .. fühlten sich mehr und mehr als Leibeigene der reichen Handelsherren und Landbarone; Welt 26. 11. 1974 Man könnte ihr die Tabus ankreiden, . ., wie etwa, daß sie die Bettelprinzeß, da deren Heirat mit dem Baron unausweichlich erscheint, zu einer verkappten Komtesse macht, reich zudem und edel sowieso; ebd. 28. 12. 1974 ist die „Fledermaus" wieder das meistgespielte Stück . ., während die „Zauberflöte" die meisten Besucher lockte . ., gefolgt vom „Zigeunerbaron"; Zeit 30. 8. 1985 Wie der auf einer Kanonenkugel dahinrasende Baron zu Münchhausen jagt er durch die Gegend; ebd. 11. 4. 1986 die fatalen Auswirkungen der Purzelpreise auf Amerikas oil patch, die notleidende Heimat der Ewings und der anderen Ölbarone; ebd. 14. 11. 1986 Von allen Bauzäunen, hinter denen der Baron Haussmann die Stadt hatte verschwinden lassen, leuchteten Lautrecs schwarz-gelb-rot-blaue Plakate; ebd. 8.5.1987 Zunächst hielt er in den gepflegten Parks des alten Adels und der neuen, an der industriellen Revolution reichgewordenen Industriebarone Einzug; MM 6. 2. 1988 Jetzt blinken also die roten Pfeile des Computers — gestiftet von Baron H. Thyssen-Bornemisza; Lukoschik 1991 In u. Out 15 nachdem er sich mit den cubanischen StaatsTabak-Baronen überworfen hat.

185 Baronesse, Oder Frey-Frau, ist ein Fräulein oder Dame hohen Standes, so entweder aus Freyherrlichen Hause und Stamm entsprossen, oder einen Frey-Herrn zum Gemahl hat; Zedler 1733 Universallex. Hl 510 Baronesse, oder Frey-Frau, ist ein Fräulein, welches entweder aus hohen Stande und freyherrlichen Hauße entsprossen, oder an einen Frey-Herren vermählet ist; 1741 Stats- u. Gelehrte Ztg. 146 Den . . ward am Hofe . . die solenne Verlobung Sr. Excellenz des Herrn Grafen von Lynar, .. mit der ersten Staats-Fräulein, Baroneßin Juliana von Menden, vollzogen; Lenz 1776 Br. I 184 ihr Onkel ist Graf, sie nur Baronesse; Wezel 1790 H. u. U. U 375 Sie sinds ja mit Leib und Seele. Ey, unterthänige Magd, liebes Baroneßschen!; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA I 20,109) Den Grafen so wie die Baronesse konnte man unter jene hohen schönen Gestalten zählen, die man in einem mittlern Alter fast lieber als in der Jugend sieht; Tieck 1822 Sehr. XVII 108 „Ich verstehe Sie", anwortete die Baronesse, „Sie gehören zu unserm Kreise . ."; Büchner 1835 Dantons Tod (S. W. u. Br. I 19) Ihr werdet mich leicht verstehen, wenn ihr an Leute denkt, welche sonst in Dachstuben lebten und jetzt in Carossen fahren und mit ehemaligen Marquisinnen und Baronessen Unzucht treiben; Immermann 1838 Oberhof 369 Der Diakonus stand betreten. Von Anfang an hatte ja eine Stimme in seinem Inneren für die Bitte der Baronesse gesprochen; Wilbrandt 1864 Geister I 28 Baronessen; Wickede 1878 Leutnant 219 Nicht daß er diese vielen Baronessinnen und Comtessinnen und Prinzessinnen eigentlich wirklich gebildeter, kenntnißreicher, witziger oder gar reicher an Geist, Gemüth und Herz fand; Zapp 1896 Offizierstöchter I 133 Die Bureauassistenten aber warfen noch verliebtere Blicke als sonst nach der „Baronesse"; Hauptmann 1910 Narr 445 Baronessen und Gräfinnen, Militärs in Zivil, kurz Leute von Stand; Auernheimer 1923 Kapital 130 Später kamen sie [der Fürst und die Baronin] auf die Verheiratung der Baronesse zu sprechen; Greinz 1930 Golgatha d. Ehe 78 Baronesse; 1934 „Duden"-Sammlung o. S. Als Baronesse in Berlin waren, hat der Herr Baron noch einige Wechsel unterschreiben müssen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 535) Ihre Frau Mutter . . stammt aus dem Gothaischen . ., eine geborene Baroneß Plettenberg, wenn ich nicht irre?; Jäger 1970 Mutti o. S. Nanni, das war der Name des kleinen Baroneßchens; Spiegel 29. 8. 1994 veröffentlicht hat die aus einer der ältesten belgischen Aristokratenfamilien stammende Baronesse bisher nur zwei Bücher.

Baroneß, Baroness/e/in: Wächtler 1709 Manual 48 Baron, ein Freyherr/ Faem. eine Baronne oder Baronnessin; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex.

Baronet: Chamberlayn 1668—69 D. Gegenwärtige Staat 116 Solchem nach/ so bestehet der kleine Adel in Engelland in Baronets/ Rittern/ Schild

Baron Knaben und Edelleuthen; Küchelbecker 1726 Cwrieuse Passagier 109 die ändern, die das Haus der Gemeinen ausmachen, sind Baronets, Ritter, Edelleute, Bürger und Handwercks-Leute (beide GANZ); Zedler 1733 Onwersallex. Ill 510 Baronet, dieses ist der Name derer Vornehmsten unter dem kleinen Englischen Adel; J 750 Beschr. v. NeuSchottland 86 Anm. Baronet ist ein Ritter-Orden, welchen Jacob I. König von Engelland gestiftet hatte; Achenwall 1768 Staatsverf. 289 die Baronets, welche eine mit dem Titel Sir und einen besonderen Wappen .. verknüpfte erbliche Würde führen, und dem niedern Adel andrer Reiche ähnlich sind; Kotzebue 1792 Papagoy 99 ein reicher Baronet . . warf einmahl, als man in einer großen Gesellschaft für einen abgebrannten Prediger Geld sammelte, seinen ganzen Beutel in den Hut; Rehberg 1803 Adel 192 In England ist nicht allein die Pairie, sondern auch die geringere Adelswürde der Baronets auf das Haupt der Familie eingeschränkt; Buchholz 1821 Taschenbuch 271 An ihrer Spitze stand Sir Charles Wolseley, ein Baronet von alter Herkunft aus Staffordshire; Büchner vor 1837 Maria Tudor (S. W. u. Br. l 310) ich bin allmächtig, und übermorgen seid Ihr Baronet und Lieutenant des Towers; Kohl 1844 Brit. Inseln II 16 Baronet, der bloss „Bart." geschrieben wird; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW U 16) die Pedanterie . ., womit die Engländer den Titel „Sir" der Ritter und Baronets stets vor den Vornamen setzen; Treitschke 1859 Gesellschaftswiss. 24 der Versuche, einen Adel zu schaffen ohne politische Macht, kennt die Geschichte viele, von den englischen baronets bis zum deutschen Briefadel; Rodenberg 1872 Studienreisen i. England 6 Die Gentry zerfällt in die titulirte und die nicht titulirte, von denen die erste aus Baronets und Knights gebildet wird; 1927 Natur XVIII WSb 1883 erhielt er die Baronetwürde und wurde 1897 als erster Arzt zum Peer ernannt; Bunsen 1929 Welt 119 Von Berlin reiste Stanley nach London, wurde zum Baronet ernannt und verlobte sich dort mit Miss Tennant; 1931 Schweizer im Ausland 97 baronet; Vierhaus 1971 Adel o. S. der Unterschied zwischen einem Baronet als nominell oberstem Glied der Gentry und einem Baron als unterstem Glied der Lordschaft. baron(i)al(-): 1847 ff. Nationalztg. XIX 539 Da die königlichen Städte sich größerer Rechtssicherheit erfreuten als jene baronalen; ebd. XX 283 BaronalJurisdiktion; ebd. Baronal-Adel (alle SANDERS 1871); Gregorovius 1858 Wanderjahre II 17 Baronalregiment; Rodenberg 1863 Strassensängerin III 82 in der alten baronialen Halle; 1877 Preuss. Jahrb. XL 86 Herrschaft des baronalen Elements in Sizilien; Nordau 1881 Paris II 221 baronialen Salon.

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Baronie: Meteren 1614 Beschreibung d. Niederlend. Kriegs 687b da sein auch bey 184. Baroneyen oder Herrligkeiten; Stieler 1691 Stammbaum 95 Baroney .. eine Freyherrschaft; Schlöpke 1704 Chronik Bardewick 141 daß Carolus M. die Graffschafften/ Baronien und Herrlichkeiten .. mit Fränckischen und dergleichen fremden Regenten/ . . besetzet; Sperander 1727 A la mod Sprach 66 Baronie, eine freye Herrschafft, welche ihren Besitzer zu einem Baron macht; Dielheim 1740 Rhein. Antiquarius 795 Waal . . oder Wahel. . komt. . zu der Baronie oder Freyherrschaft Gent; Buchholtz 1753 Gesch. d. Herzogth. Meklenburg 378 Anm. die ändern Barons.. sind solches durch auswärtige Herren geworden, besitzen auch keine eigentliche Baronien; Heynatz 1796 Antibarbarus l 425 Freiherrschaft für Baronie; Jenisch 1800 Geist u. Charakter I 57 wenn z. B. die vor der Feststellung der Monarchien allgemein eingeführten Baronien immer bestanden hätten; L. Wieland 1815 Vorzüge d. gesetzlichen Monarchie 12 Dieß Maaß von Grundeigenthum (Rittergut, Baronie, Pairie) darf . . vergrößert . . werden; Höfken 1846 Englands Zustände I 98 die gewaltsame Theilung des Landes in 700 Baronien; Stahr 1849 Rep. II 25 Die FeudalBaronie war der Religion feindselig; Gotthelf 1852 Schuldenbauer 208 Wenn Keiner ein Baron wäre, der Schulden auf seiner Baronei hätte (beide SANDERS DWB); Ranke 1876 S. W. VIII 164 wolle der König vollends die größeren Güter zu Baronien erheben, so werde er alle Schätze . . ans Licht bringen; Liliencron 1897 S. W. VII 31 So fand ich heut, ich weiß nicht wie,/ Vielleicht auf meiner Baronie,/ . ./ Die stille Blume Einsamkeit; Roth 1932 Radetzkymarsch 519 Er hielt, . . obwohl erst sein Vater die Baronie gekauft hatte, die Magyaren für eine der adligsten Rassen der Monarchie und der Welt; Weisenborn 1956 Theater I 44 Hier sind die Pergamente und Urkunden Ihrer acht Baronien mit den Siegeln von fünf Königen; 1989 Spiegel Nr. 5 Sie bekam . . ihr fünftes Kind vom vierten Vater, einem Bürgerlichen, den sie, um ihre Baronie zu behalten, nicht heiraten wollte (DUDEN 1993). Baronin: Pestalozzi 1782 S. W. VII 1266 Unter Baroninnen . . — unter solchen Oberkeiten wird so ein Vogt in seinem Amt und Dienst wohl fahren; Heynatz 1796 Antibarbarus I 424 Freifrau .. für eine verheirathete . . Baronin; Goethe 1821 Wanderjahre (WA I 24,300) Auf die Baronin machte dieser Brief einen sehr gemischten Eindruck; Hauff 1826 Memoiren d. Satans (S. W. VII 10) Baronin; Holtet 1860 Eselsfresser l 90 ohne Rücksicht auf Schwalbendorfer Hofton, der bei der „Baronin" ausdauert; Gombert 1889 Progr. 11 Baronin; Th. Mann 1896 Erz. (W. VIII 47) Der Diener, der unsere Karten davontrug, kehrte zurück mit der Auf-

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Barriere

forderung, einen Augenblick Platz zu nehmen, da Frau Baronin sofort erscheinen werde; Rosegger 1901 Ges. W. VI 16 die Baronin hat meine Psyche abgelehnt; Edschmid 1928 Gagaly 173 Zuckerbaronin; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 277) Zwei Jahre lang, noch bis vorigen Herbst, habe eine Baronin von Handschuchsheim hier gelebt und sei durch das Haus gewandelt; Hacks 1963 Stücke 177 Wer ist denn ihre Herrschaft? . . Die Baronin Weber; Welt 4.11.1969 Am 30. Oktober 1969 starb im 92. Lebensjahr . . unsere geliebte Mutter . . Baronin Uexküll geb. Gräfin von Schwerin-Schwerinsburg; MM 18. 2. 1988 1927 hatte ihn seine deutsche Kunstfreundin Baronin „Hilla" Rebay von Ehrenwiesen in die Welt der Avantgarde eingeführt. baronisieren: 1691 Pfalz 4b baronisiren; 1716 Bert, geschr. Ztgn. 542 Da er sich bald darauf baronisiren laßen; Fabricius 1724 Pbilos. Oratorie 391 Alle tugend ist eine art der liebe, also ist die liebe allezeit baronisiret; Belemnon 1728 Bauernlex. 32 Baronisirt seyn/ im Freyherrn Stand leben; Sonnenfels 1768 Er. 182 daß die Puppen, wenn sie aus eigner Machtvollkommenheit die Standeserhebungen ihrer unbedeutenden Figürchen vornehmen, sich so baronisiren; Klinger 1780 Spieler (I 90) dass Sie sich wegen des Gutes baronisieren Hessen; Goethe 1816 Italien. Reise (WA 130,211) so baronisirte er mich geschwind und ich hiess nun der Baron; /. Grimm 1839 (Briefw. zw. ]. u. W. Grimm, Dahlmann u. Gervinus I 313) In Hannover macht jetzt alles der wortbrüchige, vom vorigen König baronisierte Falcke; Cuendias 1847 Spanien 22 so hätten wir . . Nichts gegen das moderne Baronisiren und Ritterschlagen reicher Banquiers und glücklicher Börsenspieler; Holtet 1860 Eselsfresser II 149 Deshalb baronisirte sie auch Herrn Adolf Bereis, obgleich dessen Vater sich bisher vergeblich bemüht hatte, den Adel zu erkaufen; Kürnberger 1877 Herzenssachen 77 Es kommt uns das vor, als ob man

— den Robespierre baronisiren wollte!; Eulenberg 1919 Leben 319 Erschrick nicht, Baron, ich bin zwar nicht bayrisch geadelt, wie du, und noch weniger österreichisch baronisiert; 1922 Deutschlands Erneuerung 606 Wenn der englische König Karl II. einige Jamaikajuden baronisierte, so geschah dies gewiss nicht ihrer produktiven Leistungen wegen; Englert-Faye 1952 Goethe 149 [Goethe] ist baronisiert. baronisiert: Bretzner 1787 Leben H 212 als ob er ein baronisirter Krämer .. gewesen wäre; Gutzkow 1835 Charaktere (IX 145) die baronisierten Rothschilds; Büchner vor 1837 Borgia (S. W. u. Er. I 228) Das arme Italien hat ohne uns Tyrannen genug, von den baronisirten Stellvertretern des Pabstes an bis zu dem päbstlichen Stellvertreter des Himmels; Gotthelf1854 Schuldenbauer 208 Jedenfalls werden solche Titel in deutschen Bädern . . und bei durchreisenden heimathlosen baronisirten Vögeln mehr gelten, als in bernerischen Landen; Peschel 1858 Gesch. 545 Anm. des baronisirten Indianers; Gerstäcker 1861 Kunstreiter 50 baronisierten; Presber um 1900 Untermensch 85 Empfiehl mich deiner kleinen Therese vom Ballett, die ich gestern in geschlossener Droschke mit dem baronisierten Bierbrauer zur Bahn fahren sah; Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 118 baronisierten; Hauser 1935 Judentum 204 Ein baronisierter Pereira. Baronisierung: Forster 1784 Tagebücher 247 Scheffels Heirath, womit er nicht zufrieden ist, so wenig als mit seiner Baronisierung; Waldmüller 1868 Baronis. 77 Baronisierung; Wagemann 1940 Geld 52 „Baronisierung" sämtlicher Forderungen; Münch. N. N. 29. 7. 1942 die Baronisierung von 24 reichen jüdischen Familien allein unter der Aera Franz Josephs II.; MM 11.3. 1986 der von ihm bei seiner Baronisierung gewählte Name . . stammt von einer romantischen Klosterruine im heimatlichen Yorkshire. HK

Barriere F. (-; -n), im späten 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. barriers (Kollektivum zu harre 'Stange, Stab' < altfrz. harre 'Querstange' < gleichbed. vulgärlat. *barra; verw. mit Barre 'Querstange, Schranke, Absperrung'; —> Barrikade, —»· Bar). Zunächst in der Bed. 'Schlagbaum', bes. an Zollstationen und häufig auf Stadttore (z. B. von Paris) bezogen (s. Belege 1579-1610, 1670, 1737, 1800, 1803, 1805, 1814, 1863), dazu die Zs. Grenzbarriere; in der Sprache der Politik dann auch im Sinn von 'Schutzzone zur Verhinderung feindlicher Überfälle bzw. Angriffe, Schutzwehr gegen benachbarte Völker', auf Länder (bes. Holland) und Städte bezogen, z. B. Barrierestädte 'Grenzfestungen' (s. Belege 1712, 1723, 1762, 1802, 1916), bes. in der häufig belegten Zs. Barriere(n)traktat 'Vertrag über die Grenzwehr', speziell 715 vereinbarter Vertrag über die Grenzwehr zwischen Holland und Österreich';

Barriere

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bis ins 20. Jh. im Kriegswesen im Sinn von 'Vorrichtung, die Truppenbewegungen verhindert, Abtrennungsvorrichtung' (s. Belege 1744, 1748, 1819, 1890, 1899), in Zss. wie Barrierefestung, -Stellungen; Festungs-, Strombarriere; auch allgemeiner gebraucht in der Bed. 'Zaun, Gatter, Schranke, Absperrung, Barrikade' (s. Belege 1718, 1811, um 1880, 1901, 1961, 1986), in Wendungen wie Barrieren ein-, niederreißen, überwinden, errichten, abbauen, beiseite räumen, unüberwindliche Barrieren, dazu die Zs. Polizeibarriere; daneben gelegentlich im Reitsport für 'Hindernis, Hürde' (s. Belege 1729, 1932), vgl. die auch übertragen gebrauchte Wendung eine Barriere überspringen, im 19., vereinzelt auch noch im 20. Jh. im Duellwesen in der Bed. 'Mitte der Entfernung zwischen den Duellanten' (s. Belege 1882, 1924). Seit späterem 18. Jh. häufig bildlich und übertragen verwendet, zunächst vereinzelt im Sinn von 'Schutz' (s. Beleg 1776), dann vor allem in der Bed. 'Schranke, Hindernis, Behinderung, Hemmnis, Widerstand' (s. Belege 1830, 1845, 1846, 1863, 1928, 1958, 1968, 1974, 1987, 1993), häufig in der Sprache der Politik in den Zss. (Schutz-)Zoll-, Wirtschaftsbarriere, seit den 60er Jahren des 20. Jhs. in Psychologie, Soziologie und Kommunikationswissenschaft (s. Belege 1970, 1977, 1986, 1988, 1990), vor allem im PL gebraucht, vgl. Wendungen wie soziale, emotionale, ideologische Barrieren und die Zss. Bildungs-, Kommunikationsbarrieren, bes. Sprachbarriere 'den sozialen Aufstieg verhindernde sprachliche Ausdrucksform' (z. B. Dialekt oder Jargon) bzw. 'die Verständigung von Angehörigen unterschiedlicher sozialer Schichten verhindernde sprachliche Ausdrucksform' (s. Belege 1972, 1974, 1986, 1993). Ernstinger 1579-1610 Kaisbuch 139 ist an dem zuruggziehen, weil die feint so nahem beym thor waren, die Barriere für gethan (JONES); Uhlrichs 1670 Festung 46 Barriere. Die Drehbäume/ seynd thore gleich den schlagbäumen; 1692 Novellen 241 sondern vielmehr in der Meynung gestanden, Holland und Engelland werde diese Barriere oder Schutz-Wehre gegen Franckreich nicht desertieren oder verwahrlosen; 1702 Monatl. Auszug Dez. 23 daß des Königes in Engelland und der General Staaten Absehen gewesen/ die Erhaltung der Ruhe in Europa/ und eine Barriere zu Hollandes Sicherheit zu haben; Paullini 1712 Bücher-Cabinet II 434 eine Barriere von der Schweiz an . . biss auf die Mosel und Saar; ebd. II 991 des Barriere Tractats, darinnen der Münsterische Frieden .. bekräftiget wird; Rohr 1718 Staatsklugheit 920 Es wären an vielen Orten hin und wieder, wo auf der Seite der Land-Strassen precipices sind, barrieren vorzumachen, daß die Reisenden zur Nacht-Zeit nicht ein Unglück nähmen; Zschackwitz 1723 Karl VI. 414 damit selbige [Städte] gedachten Herren GeneralStaaten zu einer barriere, Vormauer, dienen können; Haller 1723— 27 Tagebücher 24 Barriere-Festung; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 772 Die Barrieren [der Reitbahn] werden mit grünen TannenReißig ausgeputzt; Sturm 1737 Wahre Vauban 86 f. Barrieres, Dreh Bäume, sind zwanzig- biß vier und zwanzig-Schuh-lange Bäume oder Balcken, die auf einer Spindel ruhen, an welcher sie hin und her

gedrehet werden, um dadurch zugleich zwey Strassen einer Stadt zu versperren; Humbert 1744 Vanbans Angriff I 14 Man macht die Eingänge und Barrieres der Linien lieber dahin, wo die ordentlichen Landstrassen hinein lauffen; 1748 Abhdlg. v. d. Feld-Schantzen 41 Barriere, Schlag-Baum, werden in unterschiedlicher Grosse und Form verfertiget; Pfau 1757 Angriff 164 Eingänge (Barrieres); Büsching 1762 Erdbeschr. IV 14 Barrierestädten; 1764 Beschr. e. Kriegs-Platzes 7 Thor oder Barriere; Pütter 1769 Grundriss 258 den längst im Werk gewesenen Barriere Tractat; Michaelis 1776 Räsonnement IV 434 eine Art von Barriere um die Tugend; Carl August 1779 Br. 27 sich künftig an allen Barrieren und Toren deutscher Städte angeben; 1785 Gedanken ü. d. Unruhen 63 Man nennet diese [die Städte der österreichischen Niederlande, welche von den Truppen der Republik zu ihrer Sicherheit besetzt werden] die Barrieren. Worüber 1715 die vereinigten Niederlande mit dem Kaiser einen besondern Barrieretraktat geschlossen haben; W. . Humboldt 1789 Tagebücher (Ges. Sehr. XIV 86) des ungeheuren . . Pfälzischen Barrieregeldes; Heinzmann 1800 Frühst. 52 Die Barrieren werden geöffnet, die Zollhäuser menschlicher eingerichtet werden; Wehrhan 1802 Feldpredigerleben 195 hinter dieser mächtigen Barriere Deutschlands; Seume 1803 Spaziergang (W. 1183) An der Barriere wurden wir durch eine Instanz angehalten und an die andere zur Visitation gewiesen; 1805 Paris I 15

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Barriere

Durch die Anlegung der Barrieren oder Schlagbäume, die vor der Revolution gar nicht existirten, wird man aufgehalten; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,147) [Das Proszenium] war nach französischer Art sehr tief und an beiden Seiten mit Sitzen eingefaßt, die durch eine niedrige Barriere beschränkt, sich in mehreren Reihen hinter einander aufbauten; Reichard 1814 Passagier II 42 innerhalb der Barriere von Paris; Haller 1816 Restauration I 202 Antn. Brechung des BarrierenTractats mit den Holländern; Aster 1819 Festungskr. 191 Auf das, zum Ausmarsch bestimmte, Zeichen fahren die schweren Stücke durch die vorgeschriebenen Barrieren; 1830 (1918 Deutschland 346) moralischen Barriere gegen das eroberungssüchtige Frankreich; Glaubrech 1845 Bibliothek Polit. Reden VI 112 keine Aussicht . ., die inneren Barrieren im Zollvereine fallen zu sehen; Ranke 1846 Briefwerk 335 die Barrieren, welche unsere Nation noch immer in verschiedene religiöse Lager trennen; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 5 Ich . . lehnte in stolzer Ruhe auf einer der Barrieren, welche den Paroleplatz umschlossen; Rodenberg 1863 Strassensängerin l 84 Dieses Kind war das grosse Hinderniss . . bei jedem Schritte . ., den sie vorwärts ins Leben zu thun geneigt war; es war die unübersteigliche Barriere zwischen ihr und allem Glänze, aller Freiheit und allem Genüsse; 1863 Bilder a. Paris I 139 auf allen Barrieren-Boulevards dampfen die Fleischtöpfe; Rodenberg 1864 Wal. 214 Ghasel, in welchem der Geist des orientalischen Poeten sich durch alle Reim-Barrieren . . hinwindet (SANDERS 1871); Saltarino um 1880 A. 47 sich allabendlich in glänzender Toilette vor der Barriere des Circus zu versammeln; Fontäne 1882 L'Adultera 8 Pistolen und zehn Schritt Barriere; 1890 Im Felde 302 Festungs-Barrieren; Meurer 1892 Bergsteiger 13 gab es [in den Alpen] keine unübersteiglichen, riesigen Barrieren mehr, welche den Dampfkraftverkehr . . zu hemmen vermochten; Blume 1899 Wehrkraft 140 Strombarrieren sind von zahlreichen Truppenmassen verhältnißmäßig schwerer zu überwinden; Brandt 1901 OstAsien l 17 Der Wagen, in dem der Prinz sich befand, war auf das Fährboot geschoben worden und, da man vergessen hatte, die an dem anderen Ende befindliche Barriere zu schließen, über den Rand desselben in den Nil gestürzt; 1908 ZDÖAlpenver. 77 Bekanntlich hat vor vielen Jahrzehnten J. C. Roß auf seiner ersten Reise eine hohe Eismauer, die „Große Barriere" entdeckt; Wagner 1912 Kriegstheorie 251 Barrierestellungen; Oncken 1914 Aufs. I 82 Schutzzollbarrieren; 1916 Deutschland 1391 Belgien . . war hinfort nach einem Worte Pirennes „ein Körper ohne Seele, ein Beratungsstoff bei Verträgen, eine Barriere, ein Schlachtfeld"; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. III 979)

Beim dritten Schritt — der andere war, ohne zu feuern, schon bis zur Barriere gelangt — hob er die Pistole sehr hoch und drückte ab; Lauckner 1928 Krisis 25 Und er natürlich trotzt und will mich zwingen. Das ist jetzt auch so eine Barriere zwischen uns; Heilborn 1929 Revolutionen II138 Barrieren geschichtlicher Entwicklung; 1931 Technik XVII 6 Wirtschaftsbarrieren; BZ am Mittag 15. 5. 1932 In großem Stil gewann A. Stricker auf dem Holsteiner Titus das Barrierenspringen; Berl. Illustr. Nachtausg. 11.5.1933 Die Barrieren, die uns ehedem trennten, sind niedergerissen, Volk hat wieder zu Volk gefunden; 1936 Volk u. Reich 503 ein Aufsatz von Smolensk! über die „Küstenbarrieren" im Ostseeraum; Rogge 1937 Kollektivsicherheit 42 Barriereverträge; 1939 Jagderlebnisse 187 Mein Sohn, jetzt stehen dir alle Barrieren offen; 1943 Wissen u. Wehr 28 England findet im „Barrierestaat" Belgien das geeignete Vorbild; Münch. N. N. 2. 5. 1944 Auch die stärksten Jägerbarrieren haben nicht verhindern können, daß in den Luftschlachten des April die deutschen Jäger und Zerstörer immer wieder zu den wichtigeren Zielen der Bomberformationen durchstießen; Andreas 1949 Reisebilder 23 als welch ungeheure Barriere die Pyrenäen die Iberische Halbinsel von Frankreich . . absperren; Jaspers 1958 Atombombe 285 Die Verstandesgewohnheiten, unbemerkt zum Absoluten gesteigert, sind wie eine Barriere, die uns den Weg zur Vernunft versperrt; Süddtsch. Ztg. 26. 9. 1958 Hier sind die noch schirmenden Barrieren verhältnismäßig leicht zu überspringen, hier rechnet man mit hoher Massenkaufkraft; Johnson 1961 Buch 58 dazu mußt du nicht auch noch über die Barriere springen die schräge Rennbahn hinab und Achim auf die Schultern heben; Welt 13. 4. 1964 dem Steigen der Preise und Löhne, das nach dem Abbau der Zollbarrieren immer schneller und stärker von einem Land auf die anderen überspringt; FAZ 27. 12. 1965 An der letzten Grenzbarriere blieb der Personenwagen schließlich liegen; Stuttgarter Ztg. 26. 3. 1968 Dazu freilich müßte erst der Gesetzgeber die Barrieren beiseite räumen, und die Haftpflichtversicherer müßten dieses neue Risiko in einer Zusatzversicherung kalkulieren; FAZ 23. 5. 1968 Als Barrierenstürmer der Vorurteile macht jetzt das Berliner „Kaufhaus des Westens" . . Fortune; ebd. 14. 11. 1968 weil die „Bildungsbarrieren" — Abiturient und Nichtabiturient — viel Unzufriedenheit schafften; Offenburger Tagebl. 2.7.1969 Für Christen bilde die „Gott-ist-tot"Philosophie .. keine Angstbarriere; Klafki 1970 Erziehungswiss. II o. S. die soziale Kontaktbereitschaft der Kinder zu entwickeln und sie dazu zu motivieren, soziale Barrieren zu überwinden; EiblEibesfeld 1970 Liebe u. Hass o. S. daß wir auch Unbekannten gegenüber mit Angriffshemmun-

Barrikade gen ausgerüstet sind, sofern wir nicht Barrieren errichten, die Kontakte verhindern; Angermeyer 1971 Zuschauer im Drama o. S. Da nun wurde der Versuch unternommen, diese Barriere wieder einzureißen und zu einer „kritischen" Beteiligung . . zu gelangen; FAZ 13. 2. 1971 Worte wie die von der „Barriere des Hasses"; Bausinger 1972 Deutsch für Deutsche. Dialekte, Sprachbarrieren, Sondersprachen (Titel); ebd. 49 Im allgemeinen wird .. von Sprachbarrieren . . dann gesprochen, wenn eine Gruppe von Menschen in ihren gesamten kommunikativen Möglichkeiten durch sprachliche Mängel oder sprachliche Andersartigkeit behindert ist; Welt 8. 8. 1974 Sprachbarrieren, zu deutsch: Dialekte; ND 28. 12. 1974 Diese enge Kampfgemeinschaft erhöhte den Einfluß der Gewerkschaften der sozialistischen Länder . ., half Barrieren des kalten Krieges abzubauen; Dülmen 1977 Reformation 336 der revolutionäre Chiliasmus in Münster macht . . deutlich, daß er . . in seinem unmittelbaren Wirkungsbereich alle Barrieren der feudalen Gesellschaft abzuschaffen vermochte; Zeit 17, l. 1986 um ausländischen Mitarbeitern bei der Überwindung der Sprachbarriere im Betrieb zu helfen; ebd. 4. 7. 1986 Was sollen Staatsanwälte vor oder hinter Polizeibarrieren?; MM 25. 10. 1986 Mit ei-

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ner Barriere aus Hunderten von Milchtüten versperrten Mitglieder des Bundes für Umwelt und Naturschutz . . den Eingang der Molkerei Pfalzmilch; ebd. 22. 11. 1986 Regelungen zugunsten von Arbeitsplatzbesitzern dürften sich nicht als Einstellungsbarrieren für arbeitslose Schwerbehinderte erweisen; Zeit 12. 12. 1986 die emotionalen Barrieren gegen Organspenden sind hoch; ebd. 6. 2. 1987 Allerdings bietet der internationale Sozialismus keine unüberwindliche Barriere gegen überschwappenden Patriotismus; MM 22. 6. 1988 ihre Vereinzelung und Unfähigkeit, unsichtbare Barrieren zu überwinden; ebd. 5. 4. 1990 Es dürfe aber nicht zu Barrieren kommen, die die Mobilität junger Menschen zwischen den beiden deutschen Staaten verhindere; Spiegel 15. 2. 1993 Ungereimtheiten werden sichtbar, ideologische Barrieren bloßgelegt; ebd. 30. 8. 1993 Bisher schien die Barriere zwischen Arten, selbst zwischen Mensch und Menschenaffe, unüberwindlich; ebd. Durch die vorhandene Sprachbarriere ist eine Kommunikation nicht möglich; ebd. 7. 2. 1994 Die Gleichgültigkeit und Distanz der deutschen Professoren gegenüber ihren Studenten . . verstärkt sich heute durch die Kommunikationsbarrieren der großen Zahl. HK

Barrikade F. (-; -n), Anfang 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. barricade (wohl zurückgehend auf gleichbed. ital. barricata, zu barricare 'verrammeln', zu barra 'Querstange, Sperre'; —* Barriere), im 17. Jh. vereinzelt in den Formen Baricada, Bariquade, bis ins 18. Jh. in der frz. Pl.-Form Barricades. Zunächst im Kriegswesen in der Bed. 'Absperrung, Sperre, Hindernis' (s. Belege 1602, 1603, 1659, 1672, 1726, 1737, 1748; gleichbed. mit -* Barriere). Seit frühem 19. Jh. vor allem im Sinn von '(eilig errichtete, provisorische) Straßensperre (aus umgekippten Wagen, Möbeln, Fässern u. ä.) zur Verteidigung' (s. Belege 1835, 1866, 1910, 1950, 1988), bes. auf die revolutionären Straßenkämpfe Mitte des 19. Jhs. in Paris (Juni 1830 und Februar 1848) und Berlin (März 1848) bezogen, häufig im PL verwendet, meist als Bestimmungswort in Zss. wie Barrikadenheld, -mann, -bauer, -lied, -kämpf, in Wendungen wie Barrikaden (auf-)bauen, errichten, auf den Barrikaden stehen/kämpfen, eine Barrikade stürmen und bes. auf die Barrikaden steigen/gehen, häufig auch übertragen gebraucht, zumeist im politischen Leben für '(empört) gegen etwas vehement protestieren, sich heftig gegen etwas wehren' (s. Belege 1886, 1933, 1960, 1968, 1970, 1990, 1994), vgl. auch für etwas auf die Barrikaden gehen, steigen im Sinn von 'sich sehr für etwas einsetzen, etwas mit den Mitteln des demokratischen Rechtsstaats durchzusetzen versuchen'. Dazu seit späterem 18. Jh. die (eventuell aus gleichbed. frz. barricader übernommene) selten belegte verbale Ableitung barrikadieren 'mit einer Barrikade versperren, den Zutritt, Durchgang verhindern, verschanzen', meist in der seit früherem 19. Jh. bezeugten Präfixform verbarrikadieren, häufig reflex, sich hinter etwas verbarrikadieren, auch ironisch (s. Beleg um 1910) und übertragen (s. Beleg 1928) verwendet, im Part. Perf. verbarrikadiert auch adj. gebraucht; dazu seit Anfang 20. Jh. die subst. Ableitung Verbarrikadierung F. (-; -en) 'Versperrung durch eine Barrikade', auch übertragen gebraucht.

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Barrikade: Accurssius 1602 Erleuchtung 98 zu Versicherung jrer Soldaten/ auff dem marckt eine Baricada/ so ihr eine Schantz nennet/ auffwerffen lassen; Brantzius 1603 Artifices 176 vier estages .. ewerer bariquade (JONES); Lavater 1659 Kriegsbücblein 77 So bald der Feind ein Bresche machet/ soll man die Sturmpfähl jtem/ Barricaden in die lucken schlagen; Böckler 1672 Man. arch. mil. I 12 Barricades; Fleming 1726 Soldat 51 Barricades werden Spanische-Reuter oder Igel genennt. Es sind lange Bäume, meistens von sechs Ecken; Sperander 1727 A la mod Sprach 66 Barricade, Schlagbaum, Schrancken, ein umschränckter Ort, eine kleine Vorschantze, eine geringe Bevestigung wider den Anlauff der Feinde; Sturm 1737 Wahre Vauban 86 Barricades, Versperrungen; 1748 Abhdlg. v. d. Feld-Schantzen 41 Barricades; Heine 1835 Romant. Schule 55 Die Bekenner des Liberalismus ärgerten sich . ., daß man diesen Baum [Goethe] nicht.. zu einer Barrikade benutzen konnte; Goldmann 1839 Pentarchie 43 Barrikadenhelden; Buchheim 1848 Barrikadenlied (Titel); Fontane-Lepel 1848 Briefw. I 118 Willst Du ihn zum Barrikadenhelden machen und mich vielleicht gar um eine Flinte für ihn bitten; Freytag 1848 Aufs, l 22 ein König im offenen Kampf mit seiner Hauptstadt, Bürgerblut, Barrikaden, Revolution usw. Er muß einlenken, den neuen Geist anerkennen; 1848 Grenzboten l 2,19 sie [die Franzosen] verstehen wohl, Barrikaden aufzubauen, aber nicht Barrieren, d. h. sie verstehen die Regierung zu stürzen, aber nicht sie zu beschränken; 1848 Hofdamen-Br. 192 Mai-Barrikadenmacher; Lüttichau 1849 Erinn. 5 die Lehrmeister im Barricaden-Kampfe, die Pariser, bei dem Juni-Aufstande; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris I 17 Bis etwa 14 Tage nach dem 18. März war überall (auch bei den Stadtverordneten) fast nur die Rede von den unsterblichen Barricadenhelden; Freiligrath 1849 Neuere polit. Gedichte I 157 Stülpen Karren um und Omnibus -/ Das sind die Barrikaden; Haym 1849 Nationalvers. 57 Barrikaden zu errichten; Szarvady 1852 Paris I 369 der Dictator von 1848 hat nur einen Schritt zu machen, um hinter den Barricaden zu stehen, die er im Juni bekämpfte; ebd. I 78 Der Barrikadenkönig kannte seine Zeit, er wußte, daß die Börse die Seele des Materialismus ist; 1859 Allg. Mil.-Enc. II 449 Barrikade; Grabowski 1863 Off. 201 Aus einem fernen Stadttheile tönten einzelne Flintenschüsse herüber; es war dort noch kein Kampf, aber man baute Barrikaden und belustigte sich mit Freudenschüssen; ebd. 205 Die Barrikadenbesatzung vergaß das Schießen und lief davon; Mahler 1864 lieber die Eider 181 der General . . mit dem 24. Regiment . . einen Angriff auf das Dorf machte und dieses, trotz aller auch hier angebrachten Verhaue und Barrikaden . . nahm; Prittwitz u. Gaffron 1865

Befestigung 145 wie in eiligen Fällen die Straßen eines Dorfes durch Anhäufung von Gegenständen verschiedener Art gesperrt werden können. Dergleichen Barrikaden sind, namentlich bei Bürgerkriegen, leider nur allzuhäufig in großen Städten gegen Truppen in Anwendung gekommen; Oppenheim 1866 Verm. Sehr. 216 wie er [der Sozialismus] im Juni desselben Jahres [1848] hinter den Barricaden vertheidigt wurde; Peterssen 1870 Genrebilder 231 In den Revolutionsjahren sind in Paris Barrikadenkämpferinnen aufgetaucht, .. voll einer wilden Bravour; Nordau 1885 Paradoxe 71 die Reaktionäre, wenn sie einsichtig und ehrlich wären, müßten bekennen, daß die Barrikade eine Stütze des Staats- und Gesellschaftsbaues ist; Stieler 1886 Krieg 166 Der Geist stieg auf die Barrikaden, noch ehe die Faust sie errichtete; Harnstein 1890 Mem. 144 Barrikadenkumpan Wagners; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 27 Geist der Barrikaden; Heym 1910 (Dichtungen u. Sehr. I 47) Vom Sturmgeläut der Freiheit aufgerufen,/ So standet ihr kühn auf den Barrikaden./ Mit offener Brust; 1915 Stimmen d. Zeit LXXXVIIl 33 Bruderkrieg der Barrikaden; Dombrowski 1920 System 38 Die Rednerin hat sich inzwischen in Ekstase geredet. Barrikaden türmt sie. Handgranaten schmeißt sie. Auf zum Sturm gegen den Todfeind Kapitalismus; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 220) wenn Großvater Settembrini die Barrikaden den „Volksthron" genannt und erklärt hatte, es gelte, „die Pike des Bürgers am Altar der Menschheit zu weihen"; Werfet 1924 Verdi 339 f. Der „schwere", „tiefe" Deutsche sprang lachend über alle Vergangenheit hinweg, war ohne weiteres aus einem Barrikadenmann zum Favorit eines Königs geworden; Brecht 1932 Johanna (Ges. W. U 721) Die Hauptsache, wo stehen Sie, Mann? Diesseits oder jenseits der Barrikade?; Bert. Illustr. Nachtausg. 20.1.1933 Würde die Sozialdemokratie deshalb auf die Barrikaden gehen?; ebd. 12. 6. 1933 Die Studenten .. holten aus den Hörsälen Tische und Bänke, mit denen sie am Eingang Barrikaden errichteten; 1933 Volk u. Reich 30 Schwierigkeitsbarrikaden; Münch. N. N. 6. 10. 1938 die Probleme zwischen Frankreich und Italien . . die durch die Gegensätze in der spanischen Frage zu einer „Barrikade" geworden sind; Ernst 1940 Sendung 21 Syrien und seine Hinterländer bildeten eine imposante Barrikade gegen den Orient; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1027) daß ich kein Revoluzzer und Barrikadenmann bin, von Natur gewiß kein Rufer zu blutigen Taten; Mosca 1950 Klasse 159 dann wäre es schwer, sie [die Revolutionäre] auf die Barrikaden zu bringen; Süddtsch. Ztg. 30. 7. 1951 Ein kleiner Barrikadenkrieg ist zwischen Ostund Westberlin ausgebrochen. Während die östliche Stadtverwaltung an der Sektorengrenze

Barrikade barrikadenähnliche Schutzsperren errichtet, ist die westliche Obrigkeit bemüht, diese Sperren abzutragen; ebd. 12. 10. 1953 enthielten die landwirtschaftlichen Zeitungen, die Flugblätter und die Anschlagplakate genaue Anweisungen, wie sich die Bauern für den heutigen Montag als „den Tag der Barrikaden" vorbereiten sollen; ebd. 26. 1. 1960 Die Ärzte wollen auf die Barrikaden steigen. Die „Aktionsgemeinschaft der deutschen Ärzte" hat zum Kampf gegen die Krankenversicherungsreform aufgerufen; Offenburger Tagebl. 4.2.1961 Seit dem 3. November rollt im Pariser Justizpalast der sogenannte Barrikadenprozeß über die Bühne. Dieser Prozeß soll die Verantwortlichen des Aufruhrs von Algier . . richten; Stuttgarter Ztg. 25. 1. 1962 Ein Mann steigt auf die Barrikaden, um mit Hilfe der Justiz das zu erreichen, was Hunderten von Protesten, Beschwerden und Bitten nicht gelang; Bad. Ztg. 25. 7. 1964 Ein Streik wäre nur der erste Schritt. Wir würden sogar auf die Barrikaden steigen; 1966 Humanismus 9 [sie] mussten auf verbale Barrikaden steigen; Stuttgarter Ztg. 4. 3. 1968 zumindest am Freitag gab es nichts, weswegen es sich gelohnt hätte, auf die Barrikaden zu steigen; Welt 22. 1. 1969 Zu den Zusammenstößen war es gekommen, als rund 800 Mao-Anhänger einer anderen linksgerichteten Studentengruppe den Eingang zum Universitätsgelände verstellten, und diese daraufhin Barrikaden errichteten und mit Flammenwerfern vorgingen; Stuttgarter Ztg. 14.4. 1969 Hönle kündigt für den Fall, daß die Versprechungen nicht eingehalten werden, an, „die Kriegsopfer werden auf die Barrikaden gehen .."; Bad. Ztg. 19. 9. 1970 Wenn Hundesteuer und Bier teurer werden, dann steigen wir auf die Barrikaden; FAZ 5. 11.1970 Müllbarrikade in London; 1971 Junge Wirtschaft o. S. Jetzt stehen die Arbeitgeberverbände auf den Barrikaden; Eggerath 1975 Beichte 13 meine Barrikade des Schweigens hatte standgehalten; Zeit 20.9. 1985 Die Barrikade ist für Rühmkorf immer der Redaktionsschreibtisch gewesen; ebd. 8.11. 1985 Die Straße zum Gotthard-Tunnel . . muß heute mit Barrikaden gegen abrutschende Schnee- und Erdmassen geschützt werden; MM 12. 6. 1986 Wie schon in der Ära Eppler gehen jetzt die Betriebsräte der Kernkraftwerke im Südwesten wieder auf die Barrikaden; Zeit 26. 12. 1986 Meterhoch lodern die Flammen aus der Barrikade, zu der Dutzende von Autoreifen blitzschnell aufgeschichtet worden sind; ebd. 2. 1. 1987 Statt einzusehen, daß die Strahlenschutzverordnung hier nicht anwendbar ist, weil die ihrerseits mit Cäsium verseuchten Klärschlamm nicht vorsieht, ging der Jurist auf die Barrikaden; Stern 12. 11. i9S7gab es in der Marschkolonne neben den Brücken- und Barrikadenbauern noch eine dritte Spezialgruppe: die „Scharfschützen"; MM

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3. 5. 1988 Die Studenten errichteten Barrikaden aus Bussen, Bäumen und Straßenschildern, sie schleuderten Pflastersteine auf die Polizisten; Bild 4. 10.1989 Kurz nach 13.30 Uhr durchbrachen rund 300 verzweifelte Menschen die Polizeibarrikade vor dem Gitterzaun auf der Rückseite der Bonner Vertretung; TAZ 6. 1. 1990 die politische Linke hätte seitenweise die Barrikade des FAZFeuilletons gestürmt; MM 7. 6. 1990 Sowohl seine Gegner(innen), als auch seine Befürworter(innen) gehen wieder auf die Barrikaden; Spiegel 20. 6. 1994 Die Menschen gehen auf die Barrikaden, . . weil sie die Illusion von einem Rechtsstaat als Gerechtigkeitsstaat hatten. barrikadieren: Gaudi 1767 Versuch 65 die Scheunenthore müßte man barricadiren, und auswärts durch spitze Graben decken; Gentz 1813 Br. (I 1401) Am ganzen 26. schlug man sich in den Straßen von Dresden, die barrikadirt waren; Cancrin 1820 Militairökonomie I 85 Als man . . das . . Lager von Drissa aufgab und den Weg nach Moskau barrikadiren zu müssen glaubte; Heine 1832 5. W. V 176 Was nicht alles die Furcht vermag, wenn sie sich in den Herzen der Gewalthaber barrikadiert hat; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti H 251 Als ich bei Muckershain . . an die benachbarte Gränze kam, barricadirte der O..sehe, schwarz und gelbe Schlagbaum den Weg; Devrient 1835 Gunst (l 250) Die Thür ist ja völlig barrikadirt; Droysen 1852 Wartenburg III 267 die Zugänge waren barricadirt, starke Tambours deckten die Thore; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 132 Von diesen [den Eingängen] müssen alle . . — wenn Zeit und Mittel ein förmliches Vermauern nicht gestatten — sorgfältig barrikadirt werden; Scherr 1876 Größenwahn 426 einen Massenangriff auf das furchtbar barrikadirte Centrum der Stadt zu unternehmen; Voss 1912 Stärker als der Tod 81 Mit den mächtigen Trümmern barrikadierten sie den Weg; St. Zweig 1939 Unbek. Br. 60 Der Maestro . . von einer solchen Garde Ekstatikerinnen barrikadiert, daß ich ihn nur einmal .. sah; Fries 1974 Luft-Schiff 331 weil gerade auf dem Bayrischen Platz geschossen und barrikadiert wurde. verbarrikadieren: Jäger 1835 F. Schnabel 72 der Tapferste beschloß sich im Hause zu verpallisadiren und verbarricadirte zunächst das feste Hofthor; Pückler-Muskau 1840 Bildersaal II 90 Ich verbarrikadirte sogleich die Thüre; Fontane-Lepel 1848 Briefw. l 118 Ich . . beabsichtige . . einen Denunciationsbericht an Deine Frau Äbtissin ergehn zu lassen, damit sie . . Deinen Einfluß . . verbarrikadire; Ludwig 1849 Ges. Sehr. III 61 Der Erbförster hat sich schon in seinem Jägerhaus verbarrikadiert; Dincklage 1870 Gesch. I 265 der Weg . . war

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Basar

nur durch einige Spinnengewebe verbarrikadirt; Ebertin um 1910 Alles verstehen 81 Sie hatten sich so hinter Ihrer Zeitung verbarrikadiert; Brod 1928 Zauberreich 323 verbarrikadiert; 1928 Querschnitt 817 das starre, immer mehr vereinsamende, hinter Glas sich verbarrikadierende Ich aufgeben; LokalAnz. 29. 6. 1932 Ein . . Polizeiaufgebot fand den Ortseingang verbarrikadiert vor; ebd. 27. 9. 1934 Bei Morsbach hatten die Beamten die Straßen verbarrikadiert; Seghers 1949 Toten 475 Das Pack hat sich gut verbarrikadiert; Grass 1962 Blechtrommel 178 Diese Sandsäcke und ähnlichen Unsinn stapelte man vor den Fenstern, schob schwere Möbel wie Aktenschränke in die Nähe des Hauptportals, um das Tor in seiner ganzen Breite notfalls schnell verbarrikadieren zu können; ND 24. 5. 1974 als .. extremistische Kräfte . . die Innenstadt von Belfast verbarrikadierten; Zeit 21. 11. 1986 Eure Sprache ist wie Beton . . fest verbarrikadiert gegen kritisches Denken; ebd. 26. 12. 1986 Die Bewohner verbarrikadierten ihre Häuser immer wieder; MM 31.1. 1987 Alles, was bei „normalen" Menschen zivilisatorisch verschüttet und durch Anpassungszwänge und Schablonendenken verbarrikadiert ist, scheint den geistig Behinderten zur Verfügung zu stehen; Zeit 20.5.1994 Kurz vor der offiziellen

Einweihung war der Zugang zu den Treppen mit einem Lattenzaun verbarrikadiert. verbarrikadiert: Stuttgarter Ztg. 25. 7. 1962 dahinter . . liegt das verbarrikadierte Brandenburger Tor; Strauß 1980 Rumor 71 In einer völlig unwegigen, mit Stümpfen und Ästen verbarrikadierten Holzfällerschneise; MM 12.11. 1987 Dabei spielt sicherlich die Sorge eine Rolle, daß es bei einer Erstürmung der acht verbarrikadierten Gebäude zu Schwerverletzten oder gar Toten kommen könnte. Verbarrikadierung: Münsterberg 1904 Amerikaner I 87 die Verbarrikadierung des Beamtentums gegen die Einflüsse der Massen und der Parteien; MM 13. 11.1987 Die bürgerkriegsähnlichen Szenen im Stadtteil St. Pauli, die Verbarrikadierung der von Gewalttätern beherrschten Hafenstraße; GeyerRyan 1989 Dialektik 123 Wie müssen wir uns die schließliche Verbarrikadierung der Dialektik der Aufklärung gegen die soeben gehörten Stimmen des Anderen der instrumenteilen Vernunft erklären?; Altner 1991 Naturvergessenheit 288 Hier verbinden sich zwei geistige Strömungen zu einer Aktionseinheit, in der die eine der anderen die praktischen Methoden für eine tödliche Selbstverbarrikadierung an die Hand gibt. HK

Basar, früher häufig, heute selten auch Bazar M. (-s; -e, auch -s), im späten 16. Jh. wohl über gleichbed. frz. bazar entlehnt aus pers./türk. bazar 'Stadtteil, in dem Händler in kleinen Verkaufsständen ihre Ware anbieten, Markt'. Zunächst vor allem in Reiseberichten in der Bed. Orientalischer Markt' (s. Belege 1582, 1599, 1608, 1730, 1835, 1872, 1971, 1986); seit Anfang 19. Jh. auch für einheimische Verkaufsstellen und Kaufhäuser (s. Belege 1834, 1845, 1884, 1900), häufig mit Bezug auf ein vielfältiges Angebot zum Gelegenheitskauf von zum Teil geringwertiger Ware (s. Belege 1819, 1862, 1892), vgl. abwertende Zss. wie Fünfzigpfennig-, Ramschbasar, danach übertragen auf Austellungen, Messen u. ä. in Zss. wie Welt-, Künstler-, Bücher-, Kunstbasar. Seit früherem 19. Jh. eventuell unter frz./engl. Einfluß bes. in der Bed. 'kleine Verkaufsstände auf Wohltätigkeitsveranstaltungen', auch 'Wohltätigkeitsverkauf' (s. Belege 1834, 1885, 1891, 1894, 1896, 1907, 1909, 1949), bes. in den Zss. Wohltätigkeits-, Solidaritäts-, Weihnachtsbasar. Rauwolff 1582 Reise 36 Die Wahren . . seind . . inn den Batzaren oder Kauffheüsern zuo finden (FRNHD. WB); 2599 Orientalisch Indien HI 126 den grossen Marck, den sie Basar nennen; Kiechel um 1600 Reisen 263 Düe örtter aber, do due wahren verkauft werden, sein auch sondere erbautte heüser, welche mann bazaras nenntt, die sein nun schlecht von holz erbauen, aber gros und weytt umbher begrüffen, oben aller zuegedöct, auf beyden seytten laden; Walterssweyl 1608 Beschr. e.

Reiss i. Palaestina a. d. ). 1587 54a an etlichen Orthen (sonderlich aber in denen Bazaran) oder Kauffplatz gemeldter Stadt Cairo; Krafft 1616 Reisen 228 wie der offt gedachtte machometische paff zu Tripolj drunden Im Basar villen leüthe In einem Runden großen krayß mit Verwunderung hette erzöltt; Ammann 1630 Reise in's Hl. Land 48 Anm. Von den türckischen Kauffhäuseren .. Basare; Schildknecht 1652 Harmonia III 4 einen .. Pazsar/ Markt/ Kauff- und Handelplatz; Andersen 1669

Basar Oriental. Reisen 148 Kleider/ Schuh/ .. (welche Sachen man auff dem Basar oder Marckte allezeit . . haben kan); Barchewitz 1730 Ostindian. Reisebeschr. 154 denselben kauffte der Passaar-Meister oder Marcktmeister, welcher nahe am Passaar wohnet und die Aufsicht darüber hat; Schönaich 1754 Ästhetik 43 Bazar . . der Marktplatz in den türkischen Städten; Norden 1779 Reise 237 Bazard [von Altcairo]; Schiller vor 1805 S. W. VIII56 Vollendet findet sich dies alles auf dem Bazar ausgestellt (KEHREIN); Goethe 1819 Oivan (WA l 6,164) Wie des Goldschmieds Basarlädchen/ Vielgefärbt geschliffne Lichter,/ So umgeben hübsche Mädchen/ Den beinah ergrauten Dichter; ders. 1819 Noten u. Abh. z. Divan (WA I 7,71) Die Verwirrung . . ist derjenigen zu vergleichen, wenn wir durch einen orientalischen Bazar, durch eine europäische Messe gehen; Lagarde 1825 Reise (Übers.) 134 Der Bazar oder Marktplatz, wo die Waren aller Welttheile ausgestellt sind; Pückler-Muskau 1831 Br. e. Verstorbenen III 39 Ich besuchte heute einige Bazare; 1834 Kunstblatt 273 Längs des Hofgartens . . steht das neue Kaufhaus (Bazar); Borne 1834 Br. a. Paris (Ges. Sehr. VI 177) das wäre der Bazar eines Frauenvereins, der jeden Winter zum Besten der Armen diese Ware verfertigte und verkaufte; Reumont 1835 Reiseschilderungen 99 Die Bazars oder Märkte [Konstantinopels]; Arnim 1838 Bemerkungen e. Reisenden 1.2,79 Der Bazar [in Konstantinopel] ward nun besucht, aber nicht etwa ein Bazar wie zu London und Paris, sondern eine Strasse mit hölzernen Buden gefüllt; HahnHahn 1844 Oriental. Br. II 42 Bazar [von Damaskus]; Carus 1845 England u. Schottland l 204 Bakerstreet-Bazar. An Ausdehnung war er enorm und erstreckte sich durch mehrere Gebäude, eine Menge der verschiedensten Waaren bot sich zur Auswahl dar; Dingelstedt 1847 Jusqu'ä la mer 70 Privat-Bazars enthalten für den Kenner und Liebhaber oft wahre Schätze; Kohl 1850 Verkehr 180 orientalischen Bazars; 1853 Prutz' Museum I 112 Die Weihnachtszeit ist vonjeher die Blütezeit des Jahres für Berlin, wo sich die Strassen mit ihren glänzend geschmückten und erleuchteten Läden zu einem festlichen Bazar umgestalten; 1860 Der Bazar. Berliner illustrirte Damen-Zeitung o. S. Der Bazar, die nützlichste, reichhaltigste und billigste Familienzeitung, hat die Aufgabe, durch Abbildung und Beschreibung die Selbst-Anfertigung aller Gegenstände, welche irgend in das Bereich weiblicher Handarbeiten gehören . . zu lehren; Suckow 1862 Soldatenleben 81 Der goldene Engel gestaltete sich also zu einem improvisirten Bazar, wo verkauft und gekauft wurde, jedoch mit dem Unterschiede, daß hier die Verkäufer unter dem Einkaufspreise verkaufen mußten; 1868 Magazin d. Ausld. 15 Die „Bienen" [ein Frauen-Verein] ha-

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ben . . einen Bazar errichtet, in welchem die Arbeiten von Frauen . . feilgehalten und verkauft werden . . zum Nutzen der betreffenden Frauen selbst; Langhans 1872 Orient 135 Bazar [in Konstantinopel]; Faucher 1877 Culturbilder 410 Ein permanenter Bazar für alle denkbaren Artikel der Kunstindustrie; Nordau 1881 Paris I 92 Dutzendbazars; Lenig 1884 Modeteufel 23 Eine ernstliche Gefahr scheint dem Prestige des Pariser Marktes aus der Errichtung der Riesenbazare zu erwachsen; Nordau 1885 Paradoxe 355 Wohltätigkeits-Basar; Sünde 1885 Farn. Buchholz I 66 in den FünfzigPfennig-Bazaren kaufe ich nicht wieder; Meyer 1885 Essays I 67 Bazar; Nordau 1885 Paradoxe 355 Wohltätigkeits-Bazar; 1888 Wien I 65 [die Wiener] Weltausstellung .. ein Weltbazar; Reichenbach 1891 Ehre II 145 Als Vorläufer der Saison sollte ein grosser Bazar [in Berlin] Alles, was sich zur besseren Gesellschaft rechnete, vereinigen .. Der „Wohlthätigkeit" waren keine Schranken gesetzt; Boy-Ed 1892 M. 275 Die Wände hatte der Bewohner hübsch bedeckt, mit allerlei zierlichen und billigen Dingen, wie sie jeder japanische Bazar liefert; Harden 1892 Apostata N. F. 15 die Zeitung ward zum Schuhbazar; 1894 Dtsch. Dichtung XV 157 Eine Zeit lang war sie von dem Krampfe der Wohlthätigkeit befallen und stellte sich und ihre Toilette auf allen eleganten Bazaren aus; Eckstein 1895 Hartwig 381 Die kleinen selbständigen Meister von ehedem waren fast durchweg zu unselbständigen Arbeitern des Bekleidungsbazars herabgesunken; Suttner 1896 High-life 91 Picknicks zu Wagen, zu Pferd, zu Fuß und zu Boot; Wohlthätigkeits-Bazare, dramatische Matineen; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 83 Fünfzigpfennigbazaren; Röscher 1899 Handel (System III 109) Ramschbazare; Kara-Mursa 1900 Jahrmärkte 28 Anm. die in den letzten Jahren zahlreich entstandenen grossen Bazargeschäfte; Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 16 bei Wohltätigkeitsaufführungen und bei Bazaren; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 217) unter Miss Spoelmanns Waren hatten sich drei oder vier alte Gläser befunden, die ihr Vater selbst aus seiner Kollektion für den Basar gestiftet hatte; Welti 1911 Br. II 272 Künstlerbasar [in Bern]; Berolzheimer 1914 Moral 255 50-Pfennig-, 1-Mark-, und ähnlichen Ramsch-Bazaren [in Berlin]; Schmilz 1918 Brevier 185 man folgte den Bewegungen junger Damen auf Wohltätigkeitsbazaren, wie sie ein Glas Champagner, aus dem sie selbt getrunken haben, um den doppelten Preis an den Mann bringen; Kanitz 1928 Schatten 35 die Malerei . . liegt der Industriejugend recht fern . . der Kolportage- und Bazarstil herrschen ungehemmt; Friedeil 1931 Kulturgesch. III 158 lauter Ramsch für den 50 Pf.-Bazar; NZ. (Basel) 20. 5. 1949 hat eine ganz andere Schau in der Mu-

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Basilika

stermesse ihre Pforten geöffnet: der Bazar der Basler Schuljugend; Süddtsch. Ztg. 4. 2. 1954 eine Portion spanischer Baukunst und orientalischer Bazaratmosphäre; ND 19. i. 1954 Zur besseren Versorgung der Bevölkerung schlägt die Bezirksleitung .. Verkaufsbasars auf dem Lande vor; Münch. Stadtanz. 10.6. 1960 Im Bazar wird so ungefähr mit allem gehandelt, was das Land und das Ausland zu bieten hat; Adorno 1961 Noten U 27 den Doppelsinn des Wortes Bazar, den von Tausendundeiner Nacht und Warenhaus, von Märchen und Kommerz; Offenburger Tagebl. 4.3. 1969 Die Bauma, mit 764 Ausstellern . . von Fachleuten an die Spitze internationaler „Baumaschinenbazare" eingeordnet; ebd. 26. 6. 1970 Nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wird der diesjährige „Bücher-Basar" nach der Zahl der Stände . . die vorjährige Veranstaltung etwas übertreffen; FAZ 1.1.1971 Der Betrachter [des neuen Einkaufszentrums] wird an die berühmten Gale-

rien und Passagen vergangener Zeiten erinnert oder aber an die anregende Atmosphäre eines orientalischen Großbasars; Offenburger Tagebl. 29. 1. 1972 Was da der Zufall zusammengewürfelt hat, trägt den Charakter eines Kunst-Bazars; ND 15. 7. 1974 Auf einem Solidaritätsbasar verkauften sie selbstgebastelte Präsente; Zeit 29.3.1985 Schon wächst die Sorge, die Europäische Gemeinschaft könne vollends zu einem gigantischen Basar verkommen; MM 5. 6. 1986 Der alte Karawanenweg hat längst an Bedeutung verloren, doch in Kalimpong gibt es noch immer einen lebhaften Markt, den großen Basar für die ganze Umgebung; ebd. 28.11. 1987 Der Weihnachtsbasar des christlichen Jugenddorfes . . hat Tradition; Rhein. Merkur 19. l. 1990 in Leipzig hätten sich „einige hunderttausend Bürger" zum VDJ-Solidaritätsbasar eingefunden; Spiegel 7. 12. 1992 Der schwarze Markt ist nun legal, private Händler füllen die Läden zu Superpreisen und machen ganze Straßenzüge zum Basar. HK

Basilika F. (-; Basiliken), im späten 15. Jh. über gleichbed. spätlat. basilica entlehnt aus lat. basilica 'Prachtbau; Markt- und Gerichtshalle' (< griech. ( ) 'königlich(e Wohnung)', zu 'königlich, fürstlich', zu 'König'; —> Basilisk), früher gelegentlich in der lat. (flekt.) Form. Nach dem ursprünglichen Amtssitz des griech. Archen Basileus vor allem auf römische Gebäude bezogene historische Bezeichnung für den Königssitz, Amtssitz des höchsten Beamten, sowie für die Markt- und Gerichtshalle mit Säulengängen (s. Belege 1481, 1760, 1762, 1810, 1816, 1848), danach allgemeiner in der Architektur für 'große Säulenhalle mit überhöhtem und mit oberen Fensterreihen versehenem Mittelteil' (s. Belege 1985, 1986). Von daher seit Mitte 16. Jh. mit Bezug auf die öffentlichen Gebäude in Rom, die das architektonische Vorbild sind für den im christlichen Mittelalter vorherrschenden Typus des Kirchenbaus, in der dominanten Bed. 'mehrschiffiger, durch Säulenreihen gegliederter, länglicher Kirchenbau mit überhöhtem Mittelschiff und Apsis' (s. Belege 1548, 1760, 1846, 1860, 1951, 1964, 1988), in Wendungen und Zss. wie eine romanische, gotische Basilika, Pfeiler-, Gewölbe-, Doppelbasilika; dazu seit frühem 20. Jh. die seltene adj. Ableitung basilikal (ohne Steigerung) 'in der Form einer Basilika, diese betreffend, auf ihr beruhend'. Basilika: Melber 1481 Voc. o. S. Basilica .. keiserlich herlich huß . . kü[ni]glich huß; v. Watt um 1530 (Dtsch. hist. Sehr. I 117) Dan die Kirchen man domalen basilicas hieß und die kleinen kirchen oratoria; Rivius 1548 Vitruv. 161a Die grossen Basilica oder königliche vn Fürstliche Pallast; ebd. 295b Münster oder Basilica; 1600 (Font. rer. Austr. II 58,730) die so ansehenliche basilicas, kirchen, clöster, capein, marterseulen, alte monumenta; Mecbtel 1610-12 Limb. Chronik 24 welche, scilicet basilica, an dem ort und platz, Lint-

burk genant.. zu sehen ist; Happel 1690 Academ. Roman 61 und der Schatz der gantzen Serenissimen Republicq, der in der Basilica zu S. Marco befindlich; Sturm 1699 Daviler 140 Die grossen sind die Kirch-Fenster/ und an den Basilicis, an der Galerien die Bogen-Fenster; Hederich 1743 Antiqu.Lex. 468 Basilica war ein länglicht-viereckichtes grosses Gebäude, welches mit Seulen und Statuen aufs herrlichste ausgezieret war, und sowohl zu Zusammenkünften des Raths, als Haltung der Gerichte, Verrichtung der Kauffleute u. a. mehr die-

Basilika nete; Gottsched 1760 Handlex. 191 Julius Cäsar ließ vom Baumeister Vitruv die julische Basilica aufführen, die auf hundert marmornen Säulen, in vier Schichten ruhete . . Darinnen waren . . Gerichtsstätten, wo die Prätoren oder Stadtrichter Recht sprachen . . Heute zu Tage ist keins davon in Rom vorhanden; hingegen nennet man die großen Hauptkirchen .. zu Rom Basilica; Winckelmann 1762 Baukunst 79 ein drittes öffentliches Gebäude, welches entweder eine Basilika oder eine Palästra oder Gymnasium gewesen ist; Sonnenfels 1785 Liebe 176 die Basilik [!] der Stadt zur Basilik [!] der Welt zu erheben; Stieglitz 1792 Baukunst l 81 Basilica, war bey den Griechen und Römern ein öffentliches Gebäude, das gemeiniglich am Foro lag, wo die Bürger zu Berathschlagung über Sachen, die das allgemeine Wohl betrafen, zusammen kamen; 1810 Almanach a. Rom l Vorerinn. Febr. o. S. Eine Basilica Justitiae, oder ein Gerichtshof; Goethe 1811 Hacken (WA l 46,154) Er [der kleine Tempel] stand zwischen dem großen Tempel, den einige für eine Basilica halten wollen, und dem Amphitheater; ders. 1816 Italien. Reise (WA / 30,111) Er [Palladio] war unzufrieden, . ., daß man bei christlichen Kirchen nach der Form der alten Basiliken zu bauen fortfahre; 1829 Kunstblatt 264 Basilika; Vischer 1836 Br. Italien 75 Dagegen sind die byzantinischen Basiliken, . ., aus den ersten christlichen Jahrhunderten, höchst lehrreich für die erste Baukunst des Mittelalters; Burckhardt 1843 Vorgot. Kirchen (I 288) Der Italiener empfand seine Basilika noch immer nach der antiken Weise als eine monumentale Verherrlichung der Horizontalfläche; Moltke 1846 Wanderbuch (Spanien) 142 die Erzbischöfe von Sevilla . . erbauten den gewaltigen Dom mit den Schätzen der neuen Welt. Er bildet eine Basilica mit fünf Schiffen; Stahr 1848 Italien II 1214 Basilika, d. h. Königshalle, war der Name des Justizpalastes zu Athen . . Diese Basiliken entnahmen die Römer von den Griechen, und aus der römischen Baukunst wählte die christliche Welt diese Gebäudeform zum Tempel des neuen Königs von Zion; Vischer 1860 Krit. Gänge N. F. l 123 die merkwürdige Basilika, mit einem Baptisterium und einer byzantinischen Kirche in Kuppelform zu Einem verbunden, . ., stehend auf der Stätte eines Jupitertempels, von welchem Säulenstücke dem christlichen Bau einverleibt sind; vor 1871 Gartenlaube XV 702 Eine romanische Pfeiler-Basilika (SANDERS 1871); Keller 1904 Soz. d. Maurer 10 Du hast die altchristliche Basilika als echte erste Loge (Loggia) der Freimaurer gegründet und zu zeigen angefangen, wie . . ihr Viereck, ihre Einrichtung und Ordnung . . alle in eine Brüderschaft echter christlicher Kirchenbaumeister und Maurer . . in den mittleren Zeiten gehören; Schmarsow 1905 Grundbegr. 213 Ganz un-

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bedingt gefordert wird . . die Vorherrschaft der Länge bei der Basilika für den christlichen Gottesdienst; ebd. 224 Der leichtgebauten Privat- oder Palastbasilika . . stand, als das Christentum durch Konstantin anerkannt wurde, im römischen Reiche die monumentale Basilika gegenüber; Thiersch 1911 An den Rändern 132 Diese „Basilika" reckt sich mit ihren vielen lichten schmalen Fenstern und ihrem hohen Schiff . . hoch und schlank empor; Werfe! 1924 Verdi 138 Genau wenn der erste Schuß krachte, trat der Marchese zwischen der ersten und zweiten Fahnenstange vor der Basilika auf den offenen Platz; ders. 1939 Himmel 190 Die Pilgerschar aus Wien stand in guter Ordnung vor den mächtigen Treppenreihen der Basilika; Th. Mann 1951 Erwählte (W. Vll 237) So setzte man ihn auf den goldenen Stangenstuhl, und Jünglinge in Scharlachseide trugen ihn durch die Basilika, ganz umher, mit Frommen angefüllt wie sie war bis zum letzten Marmorstück ihres Fußbodens; Behn 1957 Vorzeit 132 Ein Rest der Basilika .. blieb nur dank seiner profanen Verwendung als Tabakscheune erhalten; Partner 1964 Erben 183 Irgendwann in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts dürfte die zweite Kathedrale . . geweiht worden sein — eine dreischiffige Basilika im ottonischen Stil; ebd. 336 die Abdinghofkirche, eine flachgedeckte Pfeilerbasilika, die sich heute wieder in den . . Formen der Frühromanik präsentiert; Dellwing 1970 Studien XLII1 o. S. mit der Gewölbebasilika der Dominikanerkirche in Venedig; Zeit 4. 10. 1985 die restaurierte Fischauktionshalle von 1896, eine weitläufige Handelsbasilika aus Gußeisen und Backstein; ebd. 25. 4. 1986 die renovierte Viehhalle von 1867, eine riesige gestreckte Basilika aus Glas und Eisen; MM 4. 10. 1986 dafür ist der römische Quadratbau, der in der konstantinischen Doppelbasilika aufgegangen ist, ein überzeugendes Beispiel; ebd. 31. 10. 1986 Ansonsten hat die Kathedrale von Chartres (im Gegensatz zu vielen anderen Basiliken) ihren ursprünglichen Zustand bewahrt; Zeit 3. 4. 1987 So, wie sie hängen, könnten es auch Obergaden sein, die Fensteraugen am oberen Wandteil einer Basilika; MM 16. 1. 1988 den Basiliken, den Kathedralen und Domen der Christenheit gleich, wo man stets mehrere große Orgeln in der Weite des Kirchenschiffes unterbrachte. basilikal: Worringer 1918 Formprobleme d. Gotik 83 so zeigt uns schon das äussere Bild, was dieser nordische Ausdruckswille aus dem basilikalen Schema gemacht hat; J929 Dtsch. Rundsch. LVI 166 basilikale; Lützeler 1934 Grundstile 145 basilikale Baukunst; Partner 1964 Erben 427 Da auch die Fenster wieder auf karolingische Maße zurückgeführt wurden und das Mittelschiff eine basilikale

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Basilisk

Flachdecke erhielt; Dellwing 1970 Studien XL/// o. S. die lombardische Tafelfassade .. hat es meines Wissens bei einer basilikalen Anlage in Venedig

nie gegeben; Spiegel 29. 8. 1994 Originalgetreu läßt etwa der Architekt.. den basilikalen Bau der Markthalle restaurieren. HK

Basilisk M. (-en, früher selten auch -; -en), im Mhd. (LEXER) entlehnt aus lat. basiliscus 'Eidechsenart' (< gleichbed. griech. , eigentlich 'kleiner König', Diminutiv zu 'König'; —»· Basilika), bis ins 16. Jh. auch in der lat. Form und selten in der Schreibung Basilischk. a Zunächst fachspr. verwendet in der Bed. 'zur Gattung der Leguane gehörende Königseidechse mit hohen Hautlappen auf Rücken und Schwanz', nach den hellen, wie eine Krone angeordneten Flecken auf dem Kopf; zugleich im Sinn von 'Drache, Ungeheuer' als Bezeichnung für ein Fabelwesen, halb Schlange, halb Hahn, das von einer Kröte aus dem Ei eines alten Hahns ausgebrütet wird und dessen Blick tötet; bildungsspr. auch übertragen und gelegentlich als Schimpfname verwendet (s. Belege 1644, 1776, 1788, 1828, 1946, 1951); seit dem 15. Jh. als Bestimmungswort in den Zss. Basiliskenei, meist in der Wendung Basiliskeneier ausbrüten im Sinn von 'nach Bösem trachten, Böses sinnen' (s. Belege 1598, 1616, 1783, 1872) und bes. Basiliskenblick 'stechender, durchdringender, böser Blick' (s. Belege 1578, 1792, 1841, 1922, 1987). b Daneben vom späten 15. bis ins 19. Jh. auch in der militärischen Fachsprache als Bezeichnung für eine Geschützart verwendet im Sinn von 'Feldschlange, große Kanone'. Basilisk a: Hugo v. Trimberg 1300 Renner 14318 basiliske (LEXER); Konrad v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 263 Basiliscus haizt ain unk. der ist ein künich aller slangen .. wan basiliscus in kriechisch haizt ain künigel ze däutsch . . und hat weizeu flekel auf dem haupt, reht als ob er geziert sei mit ainer krön; Guth Ende 14. Jh. Gr. Alex. 4622 Da Allexander vernam daz/ Der basalistus töd waz (FRNHD. WB); um 1400 Ackermann 18 basilisken äugen; Folz um 1460 Meisterlieder 147 Der basilisc und uncke/ Dieff yn des kerkers tuncke; Melber 1481 Voc. o. S. Basilisc ein vnck; 1482 Voc. teuton.-lat. o. S. Basilischk ein gros vergifftiger wurm; Volkslied 1515 (Liliencron III 162) Mülhausen hat geschworen/ wol zu dem basilisk; Pauli 1522 Schimpf 203 Blut Basilisci; Volkslied 1525 (Liliencron 111 428) basilischgen; Luther 1527 Evang. von Ostern der basiliscus tödtet alleine aus dem gesichte (DIETZ); Paracelsus 1530 S. W. l 8,383 das gesicht des basilisken tötet; ders. um 1530—34 S. W. // 7,326 wie die tier so ganz unflätig wider die natur seindt, also werden die ändern all sein, trachen, basilisken, lündwürm, klösterer, leviten, lügner etc.; ders. um 1535 S. W. / 9,574 wie der basilisk, so derselbig einen menschen sieht, so tot er in, aus ursach also ist sein natur, das sein gift im gesichte gehet an den ort, dahin er sihet; ders. 1537-38 S. W. l 12,68 Wie ich etliche meidung getan hab, das vilerlei species der menschen seien,

als wolfmenschen, basiliskenmenschen, schafmenschen etc.; Wickram 1537 Kunst zu trincken E3a basilischck; Franck 1550 Krieg Büchlin lOr ya er [Christus] werde auff Natteren vnnd Basiliscen wandelen; Ryff 1554 Traumbüchlein 217 Drachen, Basiliscen, Natern; Maaler 1561 Teutsch spraach 50b Basilisck . . Ein schla[n]g also genant; Toxites 1574 Onomastica 321 Basilisk; Fischart 1578 Ehezuchtbüchlein (W. Ill 203) Ir habt Natergift auf der Zungen, . . Basiliscenplick inn den äugen; ders. 1581 Dämonomania 181 Basiliscen; 1557 Faustbuch 108 wie er von seim geist berichtet/ sol diese Statt [Basel] den Namen von einem Basilißken/ so allda gewont/ haben; Dilich 1598 Histor. Beschr. 50 Elephanten vnd Drachen/ Püffel/ Pantherthier/ grimmige Lewen/ Straussen/ vbermessig viel Affen/ Basiliscken; Kiechel um 1600 Reisen 176 basilisckenn ay; Warmundt 1605 Klage d. warheit C4a sticht . . wie ein Schlang, Und geusst sein Gifft durch alles blut, Gleich wie der Basiliscus thut; Spangenberg 1607 Ganss König Vorr. 9 daher die Vierfüssigen Thier jren Löwen absetzten vnd den Esel zum König erwehleten: die Fisch gleichfalls den Stockfisch/ dem Delphin: das Gewürm/ den Frosch dem Basiliscken vorsetzten vn fürzogen; Henisch 1616 Teutsche Sprach 197 Basiliscken ayr brüten; Moscherosch 1642 Visiones 214 in einem Hauß da . . Basilisken Gifft anzutreffen; Harsdörffer 1644 Gesprechspiele l 121 die liebliche Schön-

Basilisk heil ist fürwar die Thür der Sünden, der Werckzeug des Verderbens, ein Basilisc dem, der sie ansihet, ein Vipern dem, der sie berührt; Treuer 1660 Dädalus o. S. Basilisck; Grimmeishausen 1669 Simpl. 302 Basilisken-Augen; ders. 1672 Vogelnest (1173) wurde ich zweier Wurm gewahr, die ich für zwo erschreckliche Schlangen ansah. Ich gedachte: . . Verbleibst du . . hieroben, so erwürgen dich diese Basilisken; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 102 seynd wir solcher Gestalten nicht besser, als die Basilisken, von denen Plinius meldet, daß sie ihr Gifft nur allezeit in die Höhe gegen Himmel werffen; ders. 1695 Judas IV 391 f. (Wunderkur 295) ihre Augen seynd keine BasiliskenAugen/ die dich möchten vergifften; Marperger 1716 Küchendict. 237 daß er augenblicklich . . die Lebens-Hitze auslöschte/ wie des Basilisken Anblicke zu thun pflegen; Henrici 1727 Gedichte 214 Basiliske; Biantes 1731 Historicus 269 eine Basilisken-Natur; Michaelis 1772 Poet. Br. (W. II 282) Macht selbst der Wonne Vaterland/ Ein falscher Freund zur Basiliskenhöhle; Goethe 1776 Br. (WA IV 3,107) Ich hab die Hofleute bedauert, mich wundert, dass nicht die meisten gar Kröten und Basilisken werden; ders. 1777 Tagebücher (WA HI 1,42) Abends an der Physiologie des Basilisken; Wekhrlin 1777 Denkwürdigkeiten 82 Basiliskeneyer; Schiller 1781 Räuber (H. I 426) in Klostern und Mauren mit deinem Basiliskenanblick auf ewig verschont; 1782 Anthologie 35 Basiliskenpfeile; 1783 Berlin. Monatsschr. II 569 ihr Basiliskeney auszubrüten; Vulpius 1788 Glossar 15 Basilisk, ein Wechselgläubiger, welcher nicht länger prolongiren laßen will; Cramer 1792 Adolph I 140 Welcher Basiliskenblick hat auch diesen Gang der Lieb' ausgespäht?; Jacobi 1794 Woldemar I 24 um über Basilisken zu brüten; Engel 1795 Lorenz Stark 382 Basiliskenei; Bouterwek 1802 Gesch. II 116 Die Sonette besonders nähern sich .. den petrachischen, wenn gleich auch in ihnen die Geliebte des Dichters . . ohne Bedenken ein Basilisk genannt wird; Raimund 1828 Alpenkönig 61 Hinaus mit Ihr, Sie Schlange, Sie Basilisk, Sie Krokodil, Sie Anakonda!; Aurbacher 1835 Volksbüchlein II 43 Basilisken-Blick; Spindler 1841 Vogelhändler II (LXII 42) fuhr die Frau . . mit argwöhnischem Basiliskenblick fort; Hallbauer 1848 (1929 Frankf. Pari. 195) Basiliskenblicke; Kompert 1859 Selbstlaut (Ges. Sehr. VII 234) Basiliskenblicke; Springer 1870 Berl. Prospecte 71 wie versteinernde Basiliskenaugen; Reichensperger 1872 Phrasen 71 so oft sie auch schon Basiliskeneier ausgebrütet haben, immer lassen sie sich solche wieder von neuem unterschieben; Treitschke 1886 Gesch. I 792 Im Rheinischen Merkur donnerte Görres mit der ganzen Wildheit seines Jacobinerzorns wider das Basiliskenei, das der gallische Hahn gelegt und die deut-

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sche Einfalt ausgebrütet habe; Peters 1889 Pharmazeut. Vorzeit N. F. 153 Selbst in der Bibel wird der Basilisk häufig erwähnt als ein Geschöpf, welches der Herr aussendet, um die Menschheit zu züchtigen; 1895 Aus grosser Zeit 531 Beibehaltung meines Basiliskenblickes; Sohle 1900 Musikanten 66 Basiliskenblick; Wohlmuth 1918 Schauspielerleben 154 keine Basiliskenblicke; Th. Mann 1922 Reden u. Aufs. (W. XI 842) Das mag denn wohl schimpfliche Poesie sein in den Augen der morphologischen Wissenschaft; aber unter ihrem Basiliskenblick wollen wir uns nicht scheuen, es uns als das unsrige zu eigen zu machen; Schlichter 1931 Zwischenwelt 49 er kam sich manchmal vor wie ein großer dummer Wiedehopf, der unter dem stechenden Blick eines Basilisken angstvoll und verlegen, seinen unaufhaltsamen Untergang ahnend, von einem Bein auf das andere hüpft; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 751) Die Frage ist, ob die Welt es wert ist, daß man sie zu schützen sucht vor dem deutschen Basilisken; ders. 1947 Faustus (W. VI 148) dem Bereich des sogenannten Aberglaubens entrissen waren Erscheinungen wie etwa die des bösen Blicks, ein Erfahrungskomplex, konzentriert in der Sage vom tötenden Auge des Basilisken; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 278) Er . . hißte die Hakenkreuzfahne . . und ließ es sogar zu einer Entrevue mit Hitler kommen, der eine schmähliche Minute lang seinen stupiden Basiliskenblick in die kleinen und blassen . . Augen bohrte und weiter schritt; ders. 1951 Erwählte (W. VII 113) Ich bin ein Scheusal, ein Monster, ein Drache, ein Basilisk; Kaschnitz 1960 Schatten 13 Beschämt zieht sich der Junge unter Rosies Basiliskenblick zurück, . ., und auch Rosie schämt sich, eben der Wirkung des Blickes, den etwa vor einem Spiegel später zu wiederholen sie nie den Mut finden wird; Zeit 15. 2. 1985 dieser Anfang „i Basilischi (die Basilisken)" hat rasanten Schmiß, Schmerz in Frechheit umgewandelt und eine Durchschlagskraft, die in der italienischen Produktionslandschaft neben Pasolinis „Accattone" ein für allemal den Neorealismus abserviert; ebd. 20. 2. 1987 Dieser Basiliskenblick des Hypochonders ist so amüsant wie — grausig; Simek 1992 Erde 87 die durch Blicke tötenden Basilisken. Basilisk b: um 1490 (1877 Qu. z. Gesch. d. Feuerwaffen 55) „Basilischk", „Wurm"; um 1525 Kriegs Ordnung c4a Basilisken; Fronsperger 1558 Kriegs Reg. Üb Basiliscus; 1579-80 (1877 Qu. z. Gesch. d. Feuerwaffen 162) 2 Notschlangen die Basilisken genant; Furttenbach 1630 Architect, mart. Vorr. 4 in masse n man von Proteo fabulirt, daß er jetz mit Fewr/ jetz mit Wasser; bald mit Basilisken vnd Colubrinen, bald inn anderer Form sich zur Gegen-

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wehr gesetzt; Glauber 1655 Op. Min. I 63 der mineralische Basiliscus, das Schiesspulver, welches in einem Augenblick viel tausend Menschen tödten

kan; Fleming 1726 Soldat 55 Man hieß die FeldSchlangen Basilisken; 1859 Allg. Mil.-Enc. U 454 Basilisk. HK

Basis F. (-; Basen), im frühen 15. Jh. entlehnt aus lat. basis 'Grundlinie' (< griech. 'Schritt; Sockel, Grundmauer, Grundlage', eigentlich 'worauf man gehen kann', zu 'gehen, schreiten'; verw. mit Base 'chemische Verbindung, die mit Säuren Salze bildet'), anfangs selten in der lat./griech. (flekt.) Form, im 18.719. Jh. unter frz. Einfluß gelegentlich auch in der Form Base. 1 Zunächst als Fachwort in der Geometrie verwendet in der Bed. 'Grundlinie eines Dreiecks'. 2 Etwa gleichzeitig auch für 'Grundfläche eines Körpers' (s. Belege 1525, 1539, 1562, 1710, 1716), bes. in der Architektur und Kunstgeschichte gebraucht für 'Unterbau, Sockel, Postament', z. B. einer Säule oder eines Gebäudes (s. Belege 1548, 1760, 1825, 1903, 1957, 1970, 1987), schon früh gelegentlich bildlich verwendet (s. Belege 1427, 1789, 1849—51; vgl. 3a); auch allgemeiner im Sinn von 'Sohle, Fuß eines Berges oder Gebirgsmassivs' (s. Belege 1614, 1782, 1784, 1854-55, 1879), dazu die neue Zs. Basislager; speziell in der Medizin für 'knöcherne Grundfläche des Schädels' (s. Belege vor 1832, 1919, 1942, 1957, 1974, 1986), vgl. die Zss. Basisfraktur, Schädelbasis(-fraktur). 3a Seit Mitte 18. Jh. übertragen gebraucht in der dominanten Bed. 'Grundlage für oder von etwas, Ausgangspunkt einer bestimmten Handlung bzw. Denkweise, Fundament', in Syntagmen und festen Verbindungen wie etwas zur Basis (von/für etwas) machen, eine Basis schaffen, finden, verbreitern, einer Sache die Basis entziehen, eine durch etwas geschaffene Basis, etwas (z. B. ein Vertrag, eine Verhandlung) dient als Basis für etwas, etwas auf eine (breite(re), neue, gemeinsame) Basis stellen, auf dieser, auf historischer, gesunder, breiter, freiwilliger, gleicher Basis, auf der Basis von etwas, etwas stellt eine finanzielle, ökonomische, wirtschaftliche, technische, theoretische, solide, feste, gefestigte, günstige, gute, schlechte, gemeinsame, legitime Basis dar, häufig in der Sprache der Politik bzw. Diplomatie in Wendungen wie auf der Basis (des) gegenseitigen Vertrauens, der Verständigung, vgl. dazu Zss. wie Ausgangs-, Rechts-, Honorar-, Provisions-, Verstehens-, Vertrauens-, Diskussions-, Verhandlungsbasis; in der Bed. 'Grund-, Grundlagen-, Elementar-' als Bestimmungswort in Zss. wie Basiswissenschaften, -Industrien, -Wirtschaft; auch spezieller im Sinn von 'Messungs-, Untersuchungs-, Berechnungsgrundlage', bes. bei wissenschaftlichen Arbeiten (s. Belege 1794, 1853, 1885, 1900, 1956, 1994). b Seit frühem 19. Jh. speziell im Militärwesen im Sinn von 'Stützpunkt (in fremdem Hoheitsgebiet), von dem aus eine Armee zu Angriff oder Verteidigung eingesetzt wird bzw. von dem aus die Streitkräfte mit Nachschub versorgt werden', in Zss. wie Abschuß-, Angriffs-, Flugzeug-, Kampf-, Luft-, Militär-, Raketenbasis; Basiseinheiten. c Seit früherem 19. Jh. in der marxistischen Gesellschaftstheorie im Sinn von 'ökonomische Gesellschaftsstruktur in einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung', im Ggs. zu Überbau 'die reale menschliche Gesellschaft und ihre Existenzbedingungen', in der festen Verbindung Basis und Überbau (s. Belege 1839-44, 1842-44, 1867, 1888 — 90, 1894); danach allgemeiner in Bereichen der demokratischen Öffentlich-

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keit bzw. im Parteiwesen für 'die nicht durch Funktionen, Verpflichtungen u. ä. eingebundenen, aktiv und kritisch am politischen Geschehen teilnehmenden Mitglieder einer Partei, Gewerkschaft, Interessengruppe u. ä.' (s. Belege 1971, 1973, 1985, 1987, 1989, 1990), auch 'die breite Masse der Bevölkerung' (s. Belege 1959, 1974), in Verbindungen wie an/von der Basis, häufig personifiziert in Syntagmen wie die Stimmung an der Basis, Druck von der Basis, in Zss. wie Parteibasis; Basisdemokrat, -demokratie, -gruppe, -arbeit. 4 Seit früherem 19. Jh. in der Arithmetik in der Bed. 'Grundzahl einer Potenz oder eines Logarithmus'. 5 Seit Anfang 20. Jh. unter engl. Einfluß im Börsenwesen im Sinn von 'Grundpreis einer Aktie', vgl. die Zss. Schluß-, Kursbasis. Dazu seit frühem 19. Jh. wohl unter Einfluß von gleichbed. frz. baser die verbale Ableitung basieren V. (in)trans., in der Bed. '(sich) auf etwas gründen, (sich) stützen, beruhen auf, zunächst auch und heute selten als V. trans, etwas auf etwas basieren 'aufbauen, gründen' (s. Belege 1835, 1869, 1939), gelegentlich auch reflex, (s. Beleg 1872), häufig in der Passivkonstruktion etwas ist auf etwas basiert (s. Belege 1839, 1840, 1863), dabei auch im Part. Perf. als Adj. verwendet (s. Belege 1840, 1893, 1977); seit spätem 19. Jh. vor allem in der heute üblichen Verbindung etwas basiert auf etwas (s. Belege 1880, um 1900, 1927, 1931, 1949, 1964, 1985), häufig auch adj. im Part. Präs. (s. Belege 1949, 1954, 1985, 1986, 1988, 1989, 1990) (zu 3a). Basis 1: Widmann 1489 Rechenung C6a do pey soltu auch wissen Wie die lini genant werden ynn den triangel. . merck dz die vnderste lini geheyssen wirt basis; Rudolffl525 Algebra I5b ein triangulus hat drey latera oder Seiten, die vnter ligende heist basis (beide SCHIRMER, Mathematik); Xylander 1562 Euclid (Übers.) 24 Alle triangel, so auff ainer basi, zwischen zwayen parallel linien stehen, seind einander gleich; ebd. 26 All triangel so zwischen zwayen parallel linien auf gleichen basis linien stehn, seind ainander gleich; Lencker 1571 Perspectiva C4a die Base oder Erdlinie; Brechtel 1591 Biichsenmeisterei E5a Mache eine grundlini, Basis genannt, . ., die sey AB; Lorini 1607 V. Vestung Bauwen (Übers.) 12 Basin; Kepler 1616 (Goetze 87) Grundstrich, Bodenlini, Basis figurae planae; Faulhaber 1630 Ingenieurs-Schul 49 die Basis (das ist die vnters oder Grund-Lini, darauff das rectangulum steht); 1694 Euclides 19 wann die zwo gleichen Seiten (AB, CB) verlängert werden . . so seynd auch die zween Winckel .. unter der Basis (AC) einander gleich; Rembold 1710 Perspectiva la Basis oder Grund-Linie; Sturm 1737 Wahre Vauban 50 Basis (oder Grund-Linie); 1748 Abhandig, v. d. Feld-Schantzen 17 Bassis oder Grund-Linie; Lambert 1764 Organon l 103 Die Basis eines Triangels mit der halben Perpendicular multiplicirt, giebt den Innhalt des Triangels; Sturm 1777 Civil-Baukunst 6 Basis, Grundlinie; 1781 Literar. Pamphlete 52 Basis durch Grundlinie [zu geben], da bald eine Linie, bald eine Fläche, bald ein Körper Basis ist; Sax 1808 Prakt. Unterricht l 15 Basis; Riehl 1861

Vortr. l 273 Basis; Tropfke 1903 Elementar-Math. U 270 Ist der Umfang und eine Seite eines Dreiekkes gegeben, so ist das gleichschenklige Dreieck mit der gegebenen Basis das größte; Holder 1924 D. math. Methode 135 Anm. Dreieck, dessen Basis der Umfang des -Ecks ist; 1972 Meyers Handb. ü. d. Mathematik 100 die dritte Seite [eines gleichschenkligen Dreiecks] heißt die Grundseite (Basis); 1978 Herder Lex. Mathematik 38 Basiswinkel, die Winkel zwischen der Basis und den Schenkeln eines gleichschenkligen Dreiecks; 19#7 Brockhaus U 615 Basis . . bei einem gleichschenkligen Dreieck die Seite, an welcher die beiden gleichen Winkel (Basiswinkel) anliegen. Basis 2: 1427 (Palacky, Hussittenkrieg I 529) Basen vnd pfeiler des Christengelawben; Ryff 1547 Manier d. Possament (Tafel V) Basen; Dürer 1525 Unterweisung d. Messung )5b die aufrecht lini oben sey das zenit auf dem haubt vnnd vnden das e. [der Figur] sey der fues oder basis; Schmid 1539 Geometria 5 Basis, ein Grund lini, ist die lini auff welcher die fürgenomen figur stehet (SCHIRMER, Mathematik); Rivius 1548 Vitruv. 124b dieweil solcher Basen auch etwan vnter die Corinthisch Seul gelegt wird; Scheybl 1555 Euklidübers. 225 Die parallelogrammen so auff ain basim oder boden gestelt sind; Holtzman 1562 Euklidübers. 8 Das wörtlin Basis ist Griechisch, haißt der grund, boden oder fuß darauf das ander alles steht, bedeüt allhie die vnderst linj oder den auffsatz einer figur

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(beide SCHIRMER, Mathematik); Hainhofer 1612 Corr. 212 vnd wan mans [Statuen] auff hüpsche Bassi, Jedes nach seiner Art stellet werden sie wol hüpsch stehen; Carrichter 1614 Speisskammer 41 So muss nun das Erdreich den oberzehlten last [der Gebirge] allein tragen, dass es billich vnter den Elementen Basis oder ein tragschemel genent mag werden; Cellarius 1645 Arch. mil. 59 Die Anlage, Basis oder der FUSS der Brustwehr; Comenius 1658 Orbis 137 Basis . . Postament; 1695 Teutsch-Redender Vauban I 28 basis oder Fuss; Wolff 1710 Anfangs-Gründe l 207 Pyramiden und Coni, die gleiche bases und Höhen haben; ders. 1716 Math. Lex. 245 Basis . . so wohl von den Flächen als Cörpern. In dem ersten Falle heisset dieses Wort auf Deutsch die Grund-Linie; im ändern aber die Grundfläche (beide SCHIRMER, Mathematik); Laugier 1758 Baukunst (Übers.) 256 Base, der Säulen-Fuss; Gottsched 1760 Handlex. 191 Basis columnae, das Schaftgesims, ist der untere Theil der Säule, welcher aus verschiedenen Gliedern in verschiedenen Ordnungen zusammen gesetzet wird; Winckelmann 1762 Sendschr, 38 Die Augen des Pferdes so wohl als der Figur sind von Silber eingelegt, auch der Zügel ist von Silber; es ist auch die Base da, auf welcher das Pferd stand; Sulzer 1771 Theorie l Vorr. XI Base. Basis. (Baukunst) — — Fuß; Moritz 1782 Reisen 127 Endlich war er weit über die Hälfte hinaufgestiegen, und kam dahin, wo sich der Absturz hinüberneigt, und seine eigne Basis übersieht; Goethe 1784 Harzreise (WA II 10,140) Granitgebirge . . Die großen Massen, die zwar wieder in allen Richtungen durchrissen sind, haben zur Base einen Rhombus; Ramdohr 1787 Malerei U 5 die Innschrift auf der Base hat oft für ihn mehr Werth, als die Form der Figur, die sie bezeichnet; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 100) was sich blos durchs dunkle Gefühl empfinden läßt, ist keines Worts für uns fähig, weil es keinen deutlichen Merkmals fähig ist. Die Basis der Menschheit ist also, wenn wir von willkührlicher Sprache reden, unaussprechlich. — — Aber ist denn Basis die ganze Figur? Fußgestelle die ganze Bildsäule? Ist der Mensch seiner ganzen Natur nach denn eine blos dunkel fühlende Auster?; Matthisson 1795 Italien (IV 252) In Sicilien allein . . haben Säulen altdorischer Ordnung sich erhalten, die auf Basen gestellt sind; Goethe 1795 Baukunst (WA I 47,72) Die Basen der ältesten Tempel waren Stufen; Berenhorst 1798 Kriegskunst II 237 jedes Auge .. muß nach den Fahnen in seiner Mitte — der Basis des obigen Vierecks, welche auf der Frontlinie ruhet . . — schielen; 1810 Almanach a. Rom l 21 Einer der vorzüglichsten derselben [Gründe] war ohnstreitig der, dass durch die fast in der Basis der einen Seite des Sees angebrachte verdeckte Ableitung eine grosse Menge des schö-

nen Uferlandes gewonnen wurde; ebd. i 283 Es . . hat die Form eines vierseitigen Kastens . ., ohne Deckel auf einer Basis ruhend, auf derem äusserm Rande Rinnen zum Abführen einer Feuchtigkeit angebracht sind; Goethe 1815 Br. (WA IV 26,118) Die viereckige Gestalt der Base [des Blücherdenkmals in Rostock] bietet auch für die Inschrift mehr Bequemlichkeit dar als die runde; ders. vor 1832 Morphologie (WA II 6,328) man öffne sie [die Pflanze] sorgfältig, und man wird sie unmittelbar an ihrer Basis, wo sie mit ihrer Wurzel zusammenhängt weiß von Farbe . . finden; ders. vor 1832 Morphologie (Paralipomena) (WA U 13,20) Die Base des Hinterhauptknochen von einander gesägt zeigt unregelmäßige Zellen; Marx/Engels 1849—51 Literaturkritik (MEW VII 289) Sie [die Kapitalsteuer] ist das Ei des Columbus, sie ist die Pyramide die auf der Basis steht und nicht auf der Spitze; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVII 136) besonders wandelten meine Blicke friedvoll durch die tiefen plastischen Täler, über die weißen Höhen und um die sonnigen Vorsprünge und Abhänge dieser lustigen Gebirge herum, sie schlichen verwegen unter der schattigen blauen Basis hindurch, die ungeheure Ausdehnung in der scheinbaren Verkürzung ermessend; Raabe 1879 Zum wilden Mann 38 Mühselig . . hatte ich mich so ziemlich bis an die Basis der . . abgeplatteten Gipfelfelsmasse . . emporgearbeitet; Lipps 1903 Ästhetik 269 Hier kann eine Differenzierung in aufeinander folgende selbständige Teile stattfinden. Der Vollzug derselben ergibt die Gliederung der Säule in Basis, Schaft und Kapital; Bechhold 1919 Handlex. 143 Basisfraktur, Bruch der Knochen an der Basis des Schädels; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 57) fuhren wir unter der ungeheuren Basis des Eiffelturmes hindurch, wie durch eine riesige Unterführung; Pschyrembel 1942 Klinisches Wb. 82 Basis cranii: die untere Schädelfläche, Schädelbasis; ebd. 651 Schädelbasisfraktur: Knochenbruch des Schädelgrundes; Frisch 1957 Homo faber 143 wenige Minuten weiter das Grabmal der Caecilia . . ein Rundbau von zwanzig Meter Durchmesser, auf viereckiger Basis, mit Travertin verkleidet; ebd. 197 ihr Tod war die Folge einer nichtdiagnostizierten Fraktur der Schädelbasis; Grass 1962 Blechtrommel 133 mögen wir uns noch so spreizen, endlich ist es doch nur diese schmale Basis, die unseren Füßen zukommt, die sich vom breiten Aufwand, den Kopf, Schultern und Rumpf beanspruchen, zum Fußende hin verjüngt; Partner 1964 Erben 352 Der östlichen Trockenmauer, die die Basis des Dreiecks bildete, war eine Vorburg vorgelagert; 1967 Bild d. Wiss. I 47 Tournefort, der 1702 zum ersten Mal die Basis der Säule freilegte; Zazoff 1970 Antike Gemmen o. S. Basis von einem Band schraffierter Rhomben umfaßt; Ziehen 1970 Wald

Basis u. Steppe o. S. In der östlichen Sandgrube .. beobachteten SONNE & STÖHR zwischen 31 und 38 cm unter der Basis des grauen Tuffes „eine . . Verbraunungszone . . parallel zur Bimsbasis eingeschaltet"; Zetkin/Schaldach 1974 Wb. d. Medizin III 1251 Bei schweren Schädelbasisfrakturen kann es durch Abscherung oder Quetschung zu Ausfällen einzelner Hirnnerven kommen; 1978 Herder Lex. Mathematik 37 Basis .. die Grundlinie oder -fläche eines geometr. Gebildes; MM 1. 3. 1985 einen Wolkenkratzer entworfen, dessen Spitze im Verhältnis zur Basis 45 Grad um seine eigene Achse gedreht ist; Zeit 8.11.1985 Die Säulen sind mit Backsteinen ummantelt und als Säulen gekennzeichnet: sie haben eine Basis, sie haben ein Kapitell; Pschyrembel 1986 Klinisches Wb. 1492 Schädelbasisfrakturen .. Knochenbruch des Schädelgrundes; MM 5. 7. 1986 Die Anreise mit dem Auto dauert zwei Tage, vor dem Krieg marschierten die Expeditionsteilnehmer drei Wochen bis zum Basislager; ebd. 20. 5. 1987 daß der Bildhauer seine Plastiken auf eine knappe Basis setzt, daß sie zwar mitunter Wand und Boden als Stütze benötigen, sich ihrem Halt jedoch niemals ausliefern; ebd. 29. 12. 1987 Seitlich und an der Basis ist er von einem flachen Hautwulst abgedeckt, an dessen Rand sich ein ganz schmaler Rand von Hornhaut befindet. Basis 3a: Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 40) Wenn Sie mir daher erlauben, daß ich die Bibliothek meinen Briefen gleichsam zur Basis machen darf; 1766—67 Merkwürdigkeiten 301 Schakespear . . brauchte ihn [den Tod Julius Cäsars] nur zur Basis, um die Schicksale seiner Mörder auf seinen Fall zu gründen; ebd. 348 Prosaische Uebersetzungen versificirter Originale haben gemeiniglich einen zweydeutigen Ton, weil der Uebersetzer selten die Anmerkung zu machen weis, daß die Basis seiner Arbeit nichts geringers als eine Ersetzung flüchtiger Schönheiten seyn soll; Herder 1767 Dtsch. Litteratur (S. W. I 145) daß sie die Bibliothek der schönen Wissenschaften zur Basis ihrer Briefe gemacht; 1781 Schlettweins Archiv III 266 Eine rechte Schulordnung ist die Basis von der vollkommenen Einrichtung der Gymnasii; Moritz 1785 Reiser 236 er erwog nicht, daß Selbstachtung, welche sich damals bei ihm nur noch auf die Achtung anderer Menschen gründen konnte, die Basis der Tugend ist; ders. 1788 Nachahmung 7 das Edle ist . . die Basis oder der Fond des Schönen, durch welches sie in unser Auge leuchtet; Goethe 1793 Allg. chromat. Sätze (WA II 5.1,90) Der Kritiker findet durch den Historiker seinen Weg gebahnt und durch die Arbeiten besonders des Physikers und Chemikers die Base seines Unheils befestigt; Smith 1794 Nationalreichthum (Obers.) l 71 So-

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bald aber .. zwischen Gold und Silber eine Veränderung vorgeht: sobald wird es .. wichtig, zu wissen, welches von beyden als die erste Basis bey den Messungen der Werthe angenommen werde; Vierthaler 1794 Entwurf l Moralität als Basis des Staates; Sintenis 1796 Dialogen l 237 ist der Bauernstand die Basis der Menschheit; Schiller 1797 Er. V 188 aus dieser Erfahrung heraus raisonniert er, uns fehlt größtenteils die ganze Basis seines Urtheils; Hahnemann 1805 (Kl. med. Sehr. U 265 Anm.) und dass doch ein schulgerechtes Recept eine orthodoxe Form, eine Basis (Grundarznei), ein Korrigens (eine die Fehler der Basis bessernde Zuthat), ein Adjuvans (ein die Schwäche der Basis unterstützendes Beimittel) und Konstituens (eine die Form und das Vehikel abgebende Substanz) haben müsse — ist offenbare Schulfüchserei; Schleiermacher 1806 Weihnachtsfeier 22 eine Oper kann man doch kaum machen, ohne eine religiöse Basis; Krause 1814 Europ. Staatenbund 8 Entwurf eines europäischen Staatenbundes als Basis des allgemeinen Friedens; 1829 Briefw. Ludwig l. u. Schenk 94 Diese Berechnung wird er nunmehr in längstens acht Tagen mir übergeben und es ist alsdann eine feste Basis gewonnen, um an die hiesige Kommunalbehörde die geeignete Entschließung . . zu erlassen; Pahl 1829 Br. (Bacherer, Stellungen 1328) dass eine so alte, auf so edle Basen begründete und so lange bewährte Freundschaft erkalten . . könnte?; Detmold 1834 Kunst 27 Weil nun auf diese Weise Zeichnung die Basis fast der ganzen Kunst ist; Heine 1835 Romant. Schule 173 Die Grundlage der menschlichen Gesellschaft wird einst eine bessere sein, und alle großen Herzen Europas sind schmerzhaft beschäftigt, diese neue bessere Basis zu entdecken; 1836 Jahrb. d. Gesch. l 109 eine auf historischer Basis sich organisierende . . Verfassung; Goldmann 1839 Pentarchie 111 Rechtsbasis; Schopenhauer 1840 Moral 139 Dieses Mitleid ganz allein ist die wirkliche Basis aller freien Gerechtigkeit und aller echten Menschenliebe; Engels 1844-46 Lage d. arb. Klasse (MEW II 444) Dies vorgeschlagene Gesetz des Proletariats ist die Volkscharte . ., die der Form nach rein politisch ist und eine demokratische Basis für das Unterhaus verlangt; Haym 1849 Nationalvers. II Vorw. IV fehlt es in unserem Vaterlande den politischen Bestrebungen an einer festen Basis, dass es wesentlich nur geistige Elemente sind, welche den Gedanken einer bestimmten Erreichung [der Ziele] tragen; Kohl 1850 Verkehr 78 Die Luft .. bildet eine durchweg zusammenhängende, vollkommen ununterbrochene Verkehrsbasis; Stein 1850 Königthum 276 Die Staatsgewalt . . ist der Alleinherrscher des Güterlebens. Und auf dieser gewonnenen Basis läßt sich nun weiter arbeiten; Vaerst 1851 Gastrosophie l 62 Bouillon ist die Basis fast aller Suppen; Szar-

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Basis

vady 1852 Paris I 82 Hauptbasis; Lotze 1853 Selbstanzeige d. med. Psych. (Kl. Sehr. Ill 2) man wird auf die Unvollendung der Metaphysik und ihre widersprechende Ausbildung hinweisen, um ihre Unfähigkeit zu zeigen, psychologischen Untersuchungen zur Basis zu dienen; Krone um 1860 Kapitän I 17 Frau v. Deding spricht mit ausreichender Klarheit den Wunsch aus, ihre Töchter recht bald verheiratet zu sehn, zugleich aber auch, daß sie keineswegs gewillt sei, die goldene Basis zur Unterhaltung der jungen Eheleute herzugeben; 1861 Staatswb. VI 719 Sowohl die monarchische Gewalt ist in ihr viel energischer bis zur Autokratie gesteigert, als die demokratische Basis weit breiter angelegt; Springer 1870 Berl. Prospecte 179 Volksfeste mit historischer Basis; Kürnberger 1877 Herzenssachen 278 Auf dieser Basis zunächst wird wenigstens das Wahre und Echte; auf der gleitenden Unterschiedsscala zwischen — — Wienern und Griechen kann es dann zum Schönen und Schönsten werden; Riehl 1885 Vortr. II 191 als Naturforscher schafft er eine neue Basis der Ethnographie und Kulturgeschichte; Marx/Engels 1891-92 Er. (MEW XXXVIII 283) auf dieser Basis ist immer eine Verständigung möglich; Gruber 1900 Entwicklung d. geogr. Lehrmetboden 17 Geographie als Basis der Geschichte nach Herder; Hahn 1905 Alter 226 Mein Ideal wäre also eine lebendige, stark soziale Organisation der großen Massen, die ihrem Zeremonialbedürfnis und natürlich auch dem Bedürfnis, Feste zu feiern . . auf nationaler Basis genügen soll; Weber 1909 Industrien 36 Es wird die geographische Gestaltung der Materialbasis als etwas „Gegebenes" angenommen; Wassermann 1910 Masken 236 die Wurzel gesunder Konvention, auf der alles Tüchtige und Außerordentliche der Kunst wie der sichtbaren Welt ruht, als auf einer Basis von Harmonie und sittlicher Ordnung; Benn 1912 Ges. W. III 359 lieber etwas weniger Moral/ und etwas äußere Oberschenkel./ Auf dieser Basis fanden wir uns; Vershofen 1914 Fenriswolf 23 Die Basis des gegenseitigen Vertrauens; ebd. 28 bereit auf gegebener Basis zu verhandeln; Wundt 1917 VPs VW 281 So ist der Stadtstaat zum Weltstaat geworden, in dessen Geschichte nun auf der durch die neue Weltlage geschaffenen Basis die Ständescheidungen der alten orientalischen Weltreiche sich wiederholen; 1921 — 22 Schweizer. Monatsh. l 373 Elendsbasis; Keyserling 1926 Welt 92 Verstehensbasis; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 345 Allerdings ist ihre Interpretation auf die breitere Basis einer ausgearbeiteten existenzialen Analytik des Daseins zu stellen; Brecht 1928 Dreigroschenoper (Ges. W. II 471) ich hätte wenigstens alles, wie mein Papa es immer schon wollte, auf eine geschäftliche Basis lenken sollen; Rundt 1929 Revue-Girl 144 auf breiter Basis; Dö-

blin 1929 Alexanderplatz 161 Meinste denn, es macht mir Spaß, nächste Woche wieder zu dir zu kommen, und du sollst mir die Trude, die blonde, abnehmen? Nee, uff die Basis . .; 1930 Dtsch. Rundsch. CCXXII 190 Lebensbasis; Voss. Ztg. 16. 11. 1930 der Preisabbau, sofern er auf gesunder Basis zustande kommt; Th. Mann 1933 Nachtr. (W. XIII 95) ich . . bin als ein annähernd Sechzigjähriger gezwungen, mein Leben auf eine völlig neue Basis zu stellen; Lokal-Anz. 13.1. 1933 Offensichtlich will der Reichskanzler den Versuch machen, die Basis für sein Kabinett zu erweitern; ebd. 26. 8. 1934 diese Art der Leibesübung auf eine recht volkstümliche Basis zu stellen; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Aufbau einer eigenen Rohstoffbasis; Dtsch. AZ. 7. 9. 1935 fehle es an einer breiten Vertrauensbasis; Berl. Tagebl. 30. 10. 1936 Auf dem Gebiet der Leichtmetalle, des Aluminiums steht uns eine unerschöpfliche Basis zur Verfügung, Kohle, Holz und deutsche Erze werden die Grundbasis sein, auf der .. die Fabriken deutscher eigener Erzeugung von Roh- und Werkstoffen entstehen; Welt 2. 6. 1949 Die finanzielle Basis gibt der Deutsche Gewerkschaftsbund; Näfl9SO Wesen 77 Basiswissenschaften: Philosophie, Philologie, Geschichte; Süddtsch. Ztg. 3. 7. 1951 Maßnahmen zur Ueberwindung der Engpässe in den Basisindustrien; Welt 17. 8.1954 Ein Sprecher des holländischen Verteidigungsministeriums erklärte, daß die französischen Vorschläge keine Verhandlungsbasis darstellen; Süddtsch. Ztg. 15. 9. 1954 die „Ernährungsbasis" der heutigen Menschheit könne einmal sehr schmal werden; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 899) die Armee, also die Basis, auf der Wallenstein seine Unternehmung gründet; Bamm 1956 Ex ovo 63 Die Basis, von der Virchow ausging, sind die Forschungsergebnisse, die er vorfand, als er seine Arbeit begann; Münch. Stadtanz. 30. 1.1959 die . . alkoholfreien Getränke auf Fruchtbasis; ND 14. 6. 1959 Der Vorschlag eines gesamtdeutschen Ausschusses . . kann auch für die Bundesregierung keine Diskussionsbasis werden; Stuttgarter Ztg. 9. 10. 1962 [Die] Industrie .. wirkt als Basiswirtschaft, in deren Gefolge sich Handwerk und Gewerbe sowie die Dienstleistungsbetriebe entwickeln; 1963 Probleme d. Kunstwiss. I 8 die Autopsie als Prinzip und Basis; Heuss 1963 Erinn. 207 Kriegssituationen können harmlos gewordene Konventions-Vorstellungen einer ökonomischen Lehre erschüttern, aber sind nicht recht die Basis, eine neue zu begründen und zu festigen; FAZ 28. 12. 1965 Die Unterlagen . . könnten als Basis für politische Überlegungen und Vorschläge , . dienen; ebd. 27. 1. 1966 Forschungsprogramme könnten entweder nicht begonnen oder nicht weitergeführt werden, weil die finanzielle Basis fehlt; ND 22. 1. 1969 Die Entwicklung von Polymeren

Basis und Stickstoffdüngemitteln in diesen Ländern erhielt eine zuverlässige Rohstoffbasis; ebd. 1. 7. 1969 Allseitig erfüllte Aufgaben in den vergangenen Monaten sind die solide Basis für dieses Wettbewerbsziel; Welt 23. 9. 1969 Vielleicht war es auch unmöglich, eine solche gemeinsame Basis zu finden; ND 20. 11. 1969 Ausgangsbasis westdeutscher Politik ist allein die NATO; FAZ 6. 12. 1969 Genossenschaften müßten sich ständig mehr als Basisgesellschaften an Betriebsführungsgesellschaften beteiligen; Stuttgarter Ztg. 18. 12. 1969 Sie kann es gar nicht, wenn sie nicht ihre ohnehin knappe Mehrheitsbasis aufs Spiel setzen will; FAZ 26.2. 1971 eine neue „Vertrauensbasis" zu schaffen; Offenburger Tagebl. 29.2. 1972 daß die „Basisbevölkerung der Bundesrepublik" in den fünfzehn Jahren von 1970 bis 1985 einen Geburtenüberschuß von 750000 Menschen haben wird; Welt 24. S. 1974 Die verbreiterte Geschäftsbasis hat die Gesamtentwicklung begünstigt; ND 24. 8. 1974 den feudalen Grundherren . . die ökonomische Basis zu entziehen; Welt 26. 8. 1974 es gibt deutliche Anzeichen dafür, daß sie alles tut, um das gestörte Verhältnis der Peronisten zur Armee auf eine neue Basis zu stellen; Dültnen 1977 Reformation 42 Ebensowenig läßt sich der Bauernkrieg als eine einheitliche Aktion mit strenger Organisation sehen, für die ja auch wegen der verschiedenen Interessen und der kurzen Zeit jede Basis fehlte; MM 16. 1. 1985 wenn dieser . . der südsudanesischen Befreiungsfront . . die Basis entziehe; ebd. 25. 1. 1985 der freie Journalist und Medienberater auf Honorarbasis; Zeit 27. 9. 1985 für die Zulassung von Medikamenten auf pflanzlicher Basis zuständig; MM 29.11.1985 Damit wäre eine Basis für junge Pfarrer .. geschaffen; Zeit 4. 7. 1986 Was freilich nach eher langweiliger wissenschaftlicher Basisarbeit klingt, entpuppt sich mittlerweile als ein auch gesundheitspolitisch brisanter Fall; ebd. 15. 12. 1986 Viele nichtregenerierbare Ressourcen werden nicht mehr verfügbar sein, bevor die betreffenden Staaten ihre Wirtschaft auf eine andere tragfähige Basis umgestellt haben; MM 14. 8. 1987 Doris Fuder wird viel unterwegs sein, um eine Vertrauensbasis für ihre Arbeit aufzubauen; ebd. 24. 8. 1987 Mittlerweile hat die Italo-Amerikanerin ihre musikalische Basis wesentlich verbreitert; ebd. 7. 1. 1988 Verkäufer . ., die oft auf Provisionsbasis arbeiten; ebd. 8. 1. 1988 weibliche Soldaten wenigstens auf freiwilliger Basis zuzulassen; ebd. 4. 5. 1988 eine verbesserte Datenbasis für . . Zukunftsplanungen; ebd. 1.6.1988 an alarmierenden Szenarien auf wissenschaftlicher Basis mangelt es nicht; 1989 Bundestagsprotokolle 11013 die innerstädtischen Kraftwerke, die alle auf der Basis fossiler Energien betrieben werden; Rhein. Merkur 24.11. 1989 Ernst-Moritz Lipp ..

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erinnert daran, daß die Ost-Mark derzeit ja nur „auf einer ganz schmalen Basis" frei gehandelt wird; TAZ 26. 2. 1990 wenn erst die Eigentumsverhältnisse auf der Rechtsbasis der Vorkriegszeit geregelt werden; Frankf. Rundsch. 2. 3. 1990 Das Vorhaben . . stehe auf einer „rechtlich soliden Basis"; MM 2. 4. 1990 Unter Zeitdruck müssen wir nun zuerst die Basis in Ordnung bringen, um den Leistungssport zu stabilisieren; Frankf. Rundsch. 6. 9. 1990 Es gälte, die verschiedenen Konzepte einander anzunähern und auf eine gemeinsame Basis zu stellen; Süddtsch. Ztg. 2. 2. 1994 Eine letzte Konsequenz waren hundert Jahre später die von Helmholtz, von Fechner vorgenommenen Messungen der Sinnesreize auf Wellenbasis. basieren: Müller 1817 Sehr, l 67 als das Daseyn der Menschen auf den Besitz des Handgreiflichen basirt blieb; Heine 1835 Romant. Schule 64 Menzel . . basierte vielmehr einen Teil seiner Angriffe auf die letzten Aussprüche Friedrich Schlegels; Pipitz 1839 Fragmente a. Österreich 190 Unser Privat- wie unser öffentliches Leben ist größtentheils auf Lügen basirt; Pückler-Muskau 1840 Bildersaal II 267 er behandelt die Dinge nach der Natur ihrer Lokalität und nach ihrem darauf basirten wahren Werth; Schopenhauer 1840 Moral 75 Es schwebt in der Luft, als ein Spinnengewebe der subtilsten, inhaltsleersten Begriffe, ist auf nichts basiert, kann daher nichts tragen; 1852 Prutz' Museum II 205 weil es ihn auf das agrarische, in jedem Staate . . hervortretende Moment basirt; Holtet 1863 Letzte Komödiant I 53 eine Bedingung, welche durch die bei Bäckers Truppe üblichen Engagementsformalitäten, auf achttägige Kündigung basiert, ausnehmend erleichtert war; Hartmann 1869 Philosophie 6 dass er . . ihre inductive Methode nur auf Thatsachen der inneren Erfahrung des Denkens basirt; Hanneken 1872 Zum inneren Frieden 57 Wenn der Staat sich zunächst auf die Familie basirt; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 142 Worauf basiert Ihr Unglauben, gnädiges Fräulein?; 1893 Zsch. f. dtsch. Kulturgesch. N. F. 4 ein auf Handel und Industrie, Kunst und Wissenschaft basirtes Stadtbürgerthum; Presber um 1900 Untermensch 43 so basierte dieses schöne Verhältnis darauf, daß ich als vorsichtiger Mann erklärt hatte, ich verstände von der Lyrik gar nichts; Lettenbaur 1927 Morgen 315 Man konnte doch bestimmte Urkunden, deren Daseinsrecht eben auf der Geheimhaltung basierte, beiseite schaffen?; Arnolds Wochenber. 14.2.1931 Das Tempo der Aufwärtsbewegung war wohl, da sie . . größten Teils nur auf psychologischen Momenten basierte, etwas stürmisch; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. XI 957) daß .. die Gesellschaft auf die beiden neuen Gewalten der Wissenschaft und

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Basis

Industrie basiert werden müsse; Münch. N. N. 5.1 6. 2. 1944 Das Werk .. basiert .. auf recht schwachen Eisenerzreserven; ND 7. 5. 1949 unser .. Programm . ., das ein wiedervereintes friedliches Deutschland ohne fremde Besatzungstruppen mit einer fortschrittlichen auf einem gerechten Friedensvertrag basierenden Regierung fordert; Welt 21. 12. 1949 Rentenumsätze basierten auf unveränderten Kursen; ND 12. 2.1954 So wird in der adenauerhörigen Presse . . kolportiert, Molotows Plan . . basiere auf der Spaltung Deutschlands; Welt 1. 11. 1954 Behandlung scheinbar hoffnungslos geisteskranker Patienten mit dem auf alten Indianerrezepten basierenden Schlangenwurzel-Heilmittel; ebd. W. 9. 1964 ob die Rentenberechnung auf dem Bareinkommen allein oder auf dem Bar- und Naturaleinkommen basiert; FAZ 31.1. 1966 Die nun gefundene Lösung basiert zum größten Teil auf deutschen Anregungen; Welt 25. 2. 1969 Alle Vorschläge dieses Katalogs basieren auf Vorstellungen des Bundeskartellamtes; ebd. 17. 7. 1969 Eine großzügige Gaswirtschaft könne darauf nicht basieren; Ernst 1970 Nacktheit o. S. was wir konkrete Kunst nennen, basiert auf Gesetzen, welche die eigentlichen Schöpfungsgesetze sind; Dülmen 1977 Reformation 295 gleichzeitig garantierte die Hausherrschaft des Mannes in einer einzig auf Haushalten basierten Gesellschaft . . die Ernährung wie Kontrolle aller Einwohner; Zeit 12.2.1985 Die Statistiker liefern keine genauen Prognosen, sondern Modellrechnungen, die auf verschiedenen Annahmen basieren; MM 26.4. 1985 Der auf einem Roman von Balzac basierende Stoff erzählt von dem scheinbaren Glück permanenter Wunscherfüllung; ebd. 16. 8. 1985 Da diese Vorbeugemaßnahmen auf bestimmten Antikörpern basieren, könne eine größtmögliche Sicherheit . . gewährleistet werden; Zeit 21. 2. 1986 Dies wäre eine Politik nationaler Interessen, die auf vernünftigen Annahmen basierten; MM 2. 4. 1986 Vielleicht basieren darauf die Erfolge der MitgliederInteressengemeinschaften; ebd. 19. 6. 1986 Ergebnisse einer Studie des Hamburger Freizeitforschungsinstitutes, die auf einer repräsentativen Umfrage basieren; Zeit 17. 10. 1986 basierend auf der Idee des Trommelrevolvers; ebd. 5. 12. 1986 die Vorstellung . . basiert auf falschen Prämissen; ebd. 16.1. 1987 Im Nachwort der Autorin erfährt man, der Roman basiere auf einer wahren Begebenheit; MM 27. 6. 1987 monoton-hypnotische Melodiereihen, die mitunter nur auf einem Grundton basieren; ebd. 26. 5. 1988 die etwas grelle, auf harten Funk-Mustern basierende Musik; Rhein. Merkur 24. 11. 1989 einem neuen europäischen Selbstbewußtsein, das auf einer Zusammenfassung der politischen und wirtschaftlichen Kräfte basiert; ebd. 29. 12. 1989 daß ein auf wenig konkreten

Vorstellungen basierendes „linkes" Profil die Wähler in der DDR wohl kaum überzeugt; Frankf. Rundsch. 1.2. 1990 Tisch habe ein System aufgebaut, das „auf seiner unnachgiebig praktizierten Unfehlbarkeit und Unantastbarkeit seiner Person" basiert habe; MM 25. 5.1990 Der Text, basierend auf dem 2. Buch Mose, erzählt vom Volk der Juden. Basis 3b: Bauer 1818 Bundesfestungen 10 Basis der [militärischen] Operationen; Cancrin 1820 Militärökonomie 11 198 Wir meinen, dass man immer mehrere Basen annehmen müsse, nämlich defensive und offensive, bestehende und zu erwerbende; 1843 Brockhaus II 95 In der Militairsprache versteht man unter Basis einen Landstrich von unbestimmter Länge und gewisser Breite, auf dem sich eine oder mehre Reihen Festungen befinden . . Von dort aus werden die Operationen gegen den . . feindlichen Staat eingeleitet, weshalb eine solche Reihe Festungen auch wol richtiger eine Operationsbasis genannt wird; 1882 Brockhaus 538 Die ökonomische Basis enthält die Bedürfnisse des im Felde operierenden Heers . . Die strategische Basis gibt der Armee durch günstige Terrainverhältnisse oder feste Punkte den sichern Ausgang für die Offensive .. und den Rückhalt für die Verteidigung; Meixner 1895 Verpflegung I 23 Dies gestattete dann, die Bäckerei unmittelbar zur Armee vorzuziehen und diese wieder um zwei Märsche . . vom Basismagazine zu entfernen; Tempo 30.11. 1929 Commander Byrd ist mit seinen drei Gefährten von seinem erfolgreichen Flug über den Südpol wohlbehalten . . nach seiner Basis in Little America zurückgekehrt; Dtsch. AZ. 3.1. 1935 ist jetzt in Hamilton Field . . eine neue Flugzeugbasis geschaffen worden; Münch. N. N. 17. 2. 1941 Einige der abgeworfenen Soldaten sind nicht zu ihren Basen zurückgekehrt; B. N. 24.5.1943 Kampfbasis Europa; Münch. N. N. 6. 7. 1944 Luftbasen in China; ND 20. 9.1949 Westdeutschland zu einer amerikanischen Angriffsbasis für einen neuen Krieg zu machen; Süddtsch. Ztg. 1955 Heusinger .. warnte . . davor, den Aufbau der deutschen Verteidigungsstreitkräfte zu überstürzen. Fehler beim Aufbau der Basiseinheiten könnten . . nicht wieder beseitigt werden; ebd. 17. 9. 1958 USA wollen Basen in Marokko räumen; Dülmen 1977 Reformation 273 So war die Nutzung der Kirchtürme als Abschußbasen eine wirksame Verteidungungsmaßnahme der Täufer; 1987 Brockhaus II 616 Basis . . Einsatzstützpunkt für Streitkräfte, von dem aus Land-, Luft- und Seekriegoperationen geführt werden; . . Versorgungsstützpunkt, von dem der Nachschub der Truppe ergänzt wird. Basis 3c: Marx/Engels 1839-44 Kritik d. Hegelschen Rechtsphilos. (MEW I 224) Wäre Hegel von den wirklichen Subjekten als den Basen des Staats

Basis ausgegangen; dies. 1839-44 Br. a. London (MEW l 473) 251 [Tories] aus 658 Mitgliedern des Unterhauses — und dies war bisher die starke Basis der reaktionären Partei; dies. 1842—44 Zur Juden frage (MEW l 369) Die feudale Gesellschaft war aufgelöst in ihren Grund, in den Menschen. .. Dieser Mensch, das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, ist nun die Basis, die Voraussetzung des politischen Staats; dies. 1845—46 Dtsch. Ideologie (MEW 111 36) die unmittelbar aus der Produktion und dem Verkehr sich entwickelnde gesellschaftliche Organisation, die zu allen Zeiten die Basis des Staats und der sonstigen idealistischen Superstruktur bildet; dies. 1867 Kapital (MEW XXIII 96) [daß] die ökonomische Struktur der Gesellschaft die reale Basis sei, worauf sich ein juristischer und politischer Ueberbau erhebe; dies. 1888-90 Br. (MEW XXXVU 463) Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus . . üben auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus; dies. 1894 Kapital (MEW XXV 455) Das Kapital selbst . . wird nur noch die Basis zum Kreditüberbau; ND 3. 2. 1959 Die Hauptsache . . ist es jetzt, unmittelbar an der Basis, in den Betrieben, Instituten, Dörfern und Wohngebieten, . . zu helfen; Stuttgarter Ztg. 20. 5. 1966 was immer .. von den 80000 Wahlmännern Pakistans, den „Basis-Demokraten", gedacht wird; FAZ 28.1.1970 Hauptkraft dieses Kampfes [ist] nicht die studentische Basisgruppe, sondern die Arbeiterklasse; Andersch 1971 Kirschen 37 Wir redeten andauernd über die Massenbasis, die uns fehlte, ohne zu erkennen, daß uns die Arbeiter gefolgt wären, wenn wir uns zur Tat entschlossen hätten; 1971 Junge Wirtschaft XI o. S. Eine wirksame Kontrolle der Führungsgremien der Partei durch die Basis findet nicht statt; Freisinger Tagebl. 8J9. 9. 1973 Vorschläge von der Basis; ND 27. 3. 1974 Solide Grundlagen der Demokratie an der Basis seien entstanden; Welt 8. 12. 1974 Diese Basisarbeit ist das Allerwichtigste, denn die Luxusbesetzungen bekommt man ohnehin nur ein paarmal im Jahr; Zeit 15. 2. 1985 Der Parteichef mußte . . der Stimmung an der Basis Rechnung tragen; MM 15. 4. 1985 Dennoch werde die Basis zunehmend unruhig; Zeit 6. 2. 1987 die Basis soll beten, der selbsternannte Vorstand übernimmt das Denken; Stern 14. 5. 1987 Dem Druck der Basis gibt der Kapitalismus . . nach; 1989 Bundestagsprotokolle 11015 weil man Angst vor der eigenen Basis hat und weil die AL schon heute . . Druck auf die SPD ausüben kann; TAZ 24.11. 1989 Auch der Reformdruck aus der Parteibasis zielte bislang eher auf die inhaltliche und personelle Aufarbeitung der bisherigen Politik; Frankf. Rundsch. 15. 2. 1990 Immerhin überrascht den Beobachter aus dem Westen, daß in der DDR

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Basisdemokratie . . geradezu als essentielles Merkmal einer politischen Kultur des 21. Jahrhunderts gehandelt wird; TAZ 16.3. 1990 Alle Programmaussagen müßten basisdemokratisch erarbeitet werden; Frankf. Rundsch. 16. 3. 1990 So sind die Kommunalwahlen am 6. Mai für viele der BasisDemokraten bereits der eigentliche Fixpunkt; MM 29. 3. 1990 Die Akten ließen erkennen, daß auch die Einweisung von Mitarbeitern verschiedener Basisgruppen aus dem Kirchen-, Umwelt- und Friedensbereich erwogen worden sei; Frankf. Rundsch. 11.4. 1990 An der Basis herrscht Angst vor der Zukunft; ebd. 18. 7. 1990 Der Basis sei die Aktion vom Zentralvorstand „ins Nest gelegt" worden und das habe zu Opposition geführt; Altner 1991 Naturvergessenheit 181 Die diskursiv angelegte Argumentationsweise charakterisiert die Austragungsmuster, mit denen die Bioethik als basisdemokratische Einrede zugunsten des Lebens votiert; Spiegel 15.2. 1993 An der Basis der Volkspartei CSU, die sich vor allem aus kleinen Leuten, Mittelständlern und Bauern zusammensetzt, rumort es . . gewaltig. Basis 4: Heyse 1838 Fremdwb. 121 Basis od. Base . . die Grundzahl eines Logarithmen-Systems; Marx/Engels 1873-82 Dialektik d. Natur (MEW XX 523) Ist die Basis größer als Eins, so sind die Logarithmen aller Zahlen über Eins positiv; 1882 Brockhaus II 538 Beim Logarithmieren wird Basis die Zahl genannt, welche, mit dem Logarithmus potenziert, den Numerus ergibt; Müller 1900 Math.Vok. 145 Basis der natürlichen Logarithmen (Grundzahl e) (SCHIRMER, Mathematik); 1972 Meyers Handb. ü. d. Mathematik 100 Logarithmen mit der Basis . . e heißen natürliche Logarithmen, die mit der Basis 10 nennt man dekadische; 1978 Herder Lex. Mathematik 37 Basis .. die Grundzahl einer Potenz oder eines Logarithmensystems; 1987 Brockhaus II 615 Basis .. Grundzahl, bes. die Zahl a bei einer Potenz a x oder die Zahl a, auf der ein Logarithmensystem aufgebaut ist. Basis 5: Loeb 1905 Reisende 92 Sie wissen, dass D. Bialowsky in Posen ein Arrangement auf der Basis von 50 Prozent anstrebt? (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Welt 19. 1. 1954 Die IG-Sammeldepotanteile wurden auf Basis von 135,5/143,5 (nach 139, 145 am Wochenschluß) gehandelt; ebd. 20. 2. 1954 Die Nachfrage auf Basis letzter Kurse überwog; ebd. 23. 11. 1954 Im geregelten Freiverkehr blieben Bergbau Lothringen in den Effektivund Girostücken auf stärker ermäßigter Kursbasis angeboten; ebd. 8.4.1959 Entgegen der Allgemeintendenz blieben Kaufhauswerte auf erhöhter Basis im Handel; ebd. 15. 10. 1974 Die Schlußbasis lag bei ruhigem Geschäft auf Grund des New Yorker Feiertages auch auf dieser Basis. HK

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Baß M. (Basses; Bässe), im frühen 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. basso (Subst. von basso 'tief, niedrig', über gleichbed. mlat. bassus zurückgehend auf spätlat. bassus 'dick; niedrig'), früher auch in der ital. Form Basso und bis ins 17. Jh. auch in der Schreibung Paß. Als Fachausdruck in der Musik verwendet: a Zunächst in der Bed. 'unterste, tiefste männliche bzw. instrumentale Stimme', seit der Aufspaltung der dritten Stimme (neben Tenor und Diskant) in Contratenor altus (vgl. Alt) und Contratenor bassus, häufig in Aufzählungen zusammen mit Bezeichnungen anderer Stimmlagen wie Tenor, Bai? und Alt (s. Belege 1512, 1644, 1685, 1791), in Wendungen und Zss. wie den Baß singen, tiefer, hoher Baß, Baßbariton 'hoher Baß', Baßsänger, -stimme, -arie, -flöte, -hörn, -pfeife; auch 'Gesamtheit der tiefen Männerstimmen im Chor' bzw. personifiziert 'Sänger mit tiefer Stimme' (s. u. Bassist), gelegentlich auf die tiefe männliche Sprechstimme bzw. auf Personen mit tiefer Stimme übertragen (s. Belege 1744, 1895, 1924). b Seit spätem 16. Jh. auch, verkürzt aus Baßgeige, auf das Instrument bezogen, zunächst und bis ins 19. Jh. selten für 'tiefgestimmtes Blasinstrument, Fagott' (s. Belege 1583, 1811), dann vor allem in der Bed. 'violoncelloartiges, großes und tiefgestimmtes Streichinstrument', heute auch im Jazz und in der Popmusik kurz für 'Baßgitarre'; anfangs in den Zss. Baßgeige und (entsprechend ital. contrabasso) Kontra-(Kontre-)baß; in Wendungen wie am Baß stehen, den Baß spielen, streichen; auch für 'Gesamtheit der tiefgestimmten Instrumente im Orchester', c Seit frühem 17. Jh. auch in der Bed. 'tiefster Teil einer Komposition, der ihre harmonische Anlage trägt und bestimmt; alle tiefen Stimmen eines Musikwerks', zunächst in der Zs. Generalbaß (s. Belege 1619, 1727, 1799, 1957), selten auch Grundbaß, dafür gleichbed. Basso continue 'die eine Komposition durchlaufende Baßstimme' (s. Belege 1838, 1871, 1985, 1987); gelegentlich übertragen verwendet (s. Belege 1818, 1985, 1986); als Bestimmungswort in den Zss. Baßnoten, -Schlüssel. Dazu seit frühem 16. Jh. die subst. Ableitung Bassist M. (-en; -en) 'Sänger der tiefsten Partie eines Gesangsstücks' (s. Belege 1516, 1610, 1693, 1782, 1813, 1933, 1988) (zu a); seit frühem 19. Jh. vereinzelt gebucht, seit Mitte des 20. Jhs. kontinuierlich belegt für 'Spieler des Kontrabasses' (s. Belege 1813, 1843, 1860, 1974, 1985, 1987), heute häufig im Jazz und in der Popmusik 'Spieler der Baßgitarre' (s. Belege 1962, 1986, 1987) (zu b). Baß a: 1512 Öglins Liederbuch o. S. Mit höchstem fleiß seind diß gesangk büecher mit Tenor, Discant, Bass vnd Alt Cor[ri]giert worden; Krüger 1580 Spiel v. d. bäur. Richtern 127 du must vns helffen singen,/ . ./ Da nim den Bas, hilff weidlich brommen; 1585 Cyclopedia Paracelsica l 33 Bass; Ammann-Sachs 1586 Ständebuch 100 Bass; Prätorius 1619 Syntagma mus. Ill 71 diese Stimmen, welche bey eim jeden Chor die tieffsten seyn, nemblich die Bässe; 1638-50 Gedichte d. Königsb. Dichterkreises 69 nach vorgeschriebenem Basso; ebd. 299 aus selbigem Basso; Harsdörffer 1644 Gesprechspiele l 19 in der Music der Bass, Tenor, Alt und Discant; Duez 1652 Nomencl. 157 der bass; Grimmelshausen 1672 Vogelnest (I 88) Dergleichen mehr klägliche Wort heulete er gleichsam in einem Baß daher,

sein Weib schrie einen erbärmlichen Tenor; Peisker 1685 Index 17 Alt und Baß; Sperander 1727 A la mod Sprach 66 Bass, die Grund- oder unterste Stimme in der Music; Belemnon 1728 Bauernlex. 32 Bass; Zacbariä 1744 Renommist 8 So geh dahin, fuhr er mit rauhem Basse fort (TRÜBNER); Schönaich 1754 Ästhetik 224 Bass- oder Grobstimme; Sulzer 1771 Theorie 1124 Bass. Durch dieses Wort bezeichnet man überhaupt den Umfang der tiefsten Stimme eines Tonstücks; Goethe 1785 Br. (WA IV 7,68) Bass; Reichardt 1791 Musikal. Kunstmagazin 16 Mädchen und Knaben singen den Discant, Erwachsene den Alt und die Aeltern und alten Männer den Tenor und Baß; Goethe 1808 Faust I (WA l 14,99) Wenn das Gewölbe widerschallt,/ Fühlt man erst recht des Basses Grund-

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gewalt; ders. 1816 Br. (WA IV 20,277) Es entwikkelte sich in ihm eine sehr schöne Baßstimme; Lang 1817 Reise I 44 Männer-Bass; Schopenhauer 1818 Welt (l 313) Der tiefe Baß ist als der Ursprung aller ändern Stimmen anzusehen; ebd. II 517 SoloArien sind nur dem Alto und Soprano angemessen; Baß-Arien sind verwerflich; Wickede 1854 Kriegsleben 130 Bassbuffo; Valentin 1855 Physiologie 585 Bass; Jowiris 1888 Studententeuffel 14 Basstuba; Rilke 1895 Larenopfer (S. W. I 15) Ich lausche: — Laut von des Vaters Baß/ ertönt das versöhnende: „Amen"; Werfet 1924 Verdi 42 der Atem folgte den kurzen Schritten in kleinen erregten Stößen der Baßbegleitung; ebd. 148 ganz leidliche Melodien der hohen Stimmen, zu denen der Baßbuffo tausend schnelle, dummlistige Noten stakkatiert; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. HI 232) seine Stimme hatte über Nacht die Klangfarbe eines dumpfen und wie von starken Getränken verbrannten Basses angenommen; Bacher 1932 Viola da Gamba 17 Bassgambe; Lokal-Anz. 28. 6. 1934 die Baßtuba und das Flügelhorn . . haben es ihm , . angetan; Degele 1937 Militärmusik 55 Bassflügelhorn; ebd. 62 Basstrompete; Benn 1943 Ges. W. III 220 Und dann die russischen Bässe: ultratief,/ die normalen Singbässe vielfach in der Oktave verdoppelnd; ND 28. 9. 1949 Dieser SängerSchauspieler hat ein Piano, das nicht minder ins Mark trifft als der Glanz seines erzenen hohen Basses; Zeit 22.2. 1985 wenn jemand . . Bassfiguren einspielt, Rhythmusschläge legt und Synthesizerharmonien kreiert; ebd. 6. 9. 1985 Sein sonorer Baßbariton, sein Loden-Charme, sein EdelförsterHabitus; MM 12. 6. 1986 Simon Estes besticht als Fliegender Holländer durch seinen voluminösen, in jeder Phase warm timbrierten Baßbariton. Bassist: Altenstaig 1516 Voc. 7d succentores .. bassisten; Trochus 1517 Promptuarium C4b A graui, id est grauicen eyn bassiste; Fischart 1575 Garg. 208 Ists nicht also, du Kropffiger Bassist?; 1583 (1892 Mitt. G Erzgesch. II 112) Der Cantor wird alle Quartal gewisse knaben . . bestellen, Auff das Quartal Rerminiscere . . 4 in jede kirchen aus den Altisten, Tenoristen, Bassisten; Heinr. ]ul. Herzog, v. Braunschweig 1594 Schauspiele 540 Wie gefeilt euch der Bassist?; 1599 Braunschw. Schulordn. l 161 In musicis soll fürnemblich dahin gesehen werden, das gutte discantisten und basisten mögen erzogen . . werden; Guarinonius 1610 Greuel 1296 dann du . . von Bassisten weist/ wie dieselben/ wann sie gnug vnd wol auszgeschlaffen/ vmb ein quart oder quint niderer . . singen; Prätorius 1619 Syntagma mus. Ill 138 wenn ein Bassist alleine in die Orgel singt; Schönberg 1693 Berginformation I 43 Deren Music soll in acht Persohnen/ als zweyen Baßisten/ zweyen Tenoristen/ zweyen Altisten/

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und zweyen Discantisten bestehen; um 1700 (Pädagog. Sehr. VII 102) ihr höret ja wohl daß ich der Baßist zu N. bin; Abr. a S. Clara vor 1709 KrämerLaden 1612 ein . . Stimm/ womit es [der Löwe] einen starcken Wald-Passisten vertrete; L. Mozart 1771 Br. 1110 ein Chor von 32 Choristen, nämlich acht Sopranen, acht Contraalten, acht Tenoren und acht Bassisten; Schiller 1782 Theater (S. W. XI 86) Die Spieler starker tragischer Rollen — und das sind gewöhnlich die Bassisten, die Matadore der Bühne; Goethe 1791 Br. (WA IV 9,263) Wir haben an Gatto einen trefflichen Bassisten und lebhaften Akteur; ders. 1805 Br. (WA IV 19,36) daß die .. Unterhandlungen mit dem bezeichneten Bassisten guten Fortgang haben möchten. Eine gute Stimme ist eine große Gabe des Himmels. Einige nothdürftige theatralische Bewegungen wird man ihm ja wohl auch einlernen können; E. T. A. Hoffmann 1813 Br. I 396 Mit zwey ganz besonders guten, ja vortrefflichen Tenoristen, so wie mit einem ganz herrlichen Bassisten hat uns der Heiland gesegnet; Pückler-Muskau 1831 Br. e. Verstorbenen U 339 Mademoiselle Jacoureck zeigte . . sehr schöne Beine, und auch der Bassist war vortrefflich; Jahn 1867 Mozart I 205 wo ein Bassist als Liebhaber auftritt, hat dieser einen komischen oder doch jovialen Charakter; Gombert 1889 Progr. 11 Bassist; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 418) Demagogie ist es, wenn heute die Bassisten die Verse vom „Deutschen Schwert" . . tendenziös ins Parterre donnern, um eine patriotische Nebenwirkung damit zu erzielen; ND 18. 6. 1949 Der Lichtblick in der lustlos dahinplätschernden Aufführung . . wurde der Hamburger Bassist Herbert Alsen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 338) ein wegen völligen Verlustes seiner Stimmittel stellungsloser Bassist von der komischen Branche; MM 13. 5. 1988 Der Countertenor Michael Chance und der Bassist Michael George gestalteten mit viel Witz die Szene . . und der Tenor Martyn Hill war ihnen als Phoebus ein ebenbürtiger Partner. Baß b: Hüttel 1583 Chronik d. Stadt Trautenau 273 Anno d. 1583 . . hat Thomas Grebisch . . ein bas und posaun mit zweiundpunpzig hülzerne pfeiffen in die orgel alhie gemacht; Heinr. Jul. Herzog v. Braunschweig 1593 Schauspiele 220 Ich kenne einen der spielet gar wol auff der Bassz Geigen; Prätorius 1619 Syntagma mus. 11 45 Baßgeige; ebd. II 46 Contrabaß; Schwenter 1636 Delitiae physico-math. 235 Paßgeige; 1679 (1857 Neujahrsbl. Stadtbibl. Zürich 16) Basso Violon; Callenbach 1715 QV 63 Baß-Geigen; Ettner 1719 Maulaffe 10 fingen zwey Lauten nebst einer Viol di gamba und ein eintzelen murmurenden Bass in liebligster Harmoney ein klein Praeambulum an; Stoppe 1728 Gedichte l 6 Schiebt den Bogen wohl-

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Bai?

bedächtig auf dem Basse hin und her!; Belemnon 1728 Bauernlex. 32 Bass. Das ist eine Bass-Geigen; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,34) Es sind drei Pfeifer, deren einer eine alte Schalmei, der andere einen Baß, der dritte einen Pommer oder Hoboe bläs't; ders. 1828 Br. (WA IV 2,14) Wollen Sie bei der Gelegenheit meinen Violoncellmeister Buschen fragen, ob er die Sonaten für zwei Bässe noch hat, die ich ihm spielte; Rank 1843 Böhmerwalde 42 zwei Violinen, ein Zimbal und Baß akkompagniren piano; Keller 1854—55 Heinrich (S. W. XVII 93) Auf einmal fing es über unseren Köpfen an zu brummen und zu quieken. Geige, Baß und Klarinette wurden angestimmt und ein Waldhorn erging sich in schwülen, verliebten Tönen; ders. 1856 Seldwyla (S. W. VII 172) Neben ihm saß noch ein schöner, aber trauriger junger Mensch mit einem Waldhorn, und ein Buckliger stand an einer Baßgeige; 1857 Briefw. BurckhardtHeyse 40 der Himmel hängt ihm [dem literarischen Publikum] nicht mehr voller Bassgeigen; Reuter 1861 Br. I 414 Den Baß traktierte für gewöhnlich Gust Heinze; Fontäne 1878 Ges. W. l 1,539 Schon bei den ersten Häusern hörten sie Baß und Klarinette vom Kruge her; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W.I 741) Direktor Wulicke stieß einen Laut aus, wie wenn die tiefste Seite des Kontrabasses heftig angestrichen wird; Preczang 1908 Strom 160 Wenn Baß und Fiedel klang; Werfet 1916-17 Gerichtstag 111 Doch in den Tempel-Buden des Bergs/ Tanzen die Huren zu Schelle und Baß; ders. 1924 Verdi 460 Der Kapellmeister, ein junger Mensch, war ein fuchtelndes Nichts, das Orchester klein, fast lächerlich, drei Kontrabässe, ebensoviel Celli und Bratschen; Dürrenmatt 1952 Richter 78 Dann heulten die Bässe, die Posaunen, die Waldhörner, Kornetts, die Fagotte auf; Zeit 18. 1.1985 nachdem Grillo, in theatralischen Gesten, die Zuhörer beschworen und seinen auf dem Boden liegenden Kontrabaß mit einem Trommelschlegel traktiert hatte; ebd. 29. 3. 1985 Letztendlich wendet sich die neue Musik auch deshalb gegen den Film, weil sie . . von den Bildern auf das Hämmern des Basses ablenkt und so die Wahrnehmungsfähigkeit einschränkt; ebd. 29. 5. 1987 Steht da nicht ein Klempner am Baß, an der Mandoline ein Maler, an der Fidel ein Lehrer? Bassist: Campe 1813 Fremdwb. 146 Bassist, der Baßsänger und der Baßgeiger; Droste-Hülshoff 1843 Br. 11226 ist zwar selbst kein sehr ausgezeichneter Klavierspieler, aber vortrefflicher Lehrer, gründlicher Musiker und Generalbassist; Sanders 1860 Dtsch. Wb. I 89 Bassist. . Baß-Sänger, -Spieler; Grass 1962 Blechtrommel 424 Ein gezupfter Baß wäre, auch rein optisch, nicht schlecht gewesen, aber Bassisten waren schon damals schwer zu

bekommen, und so suchten wir eifrig nach dem fehlenden Guitarristen; Schütz 1974 Festbeleuchtung 13 Der spielt jetzt in Rom eine ganz große Geige. Der wirkt als Bassist im Philharmonischen Orchester Rom; Zeit 7. 6. 1985 keiner von den Kleinkünstlern und Anekdotenerzählern, die jetzt mit ihren Geschichten und Schnurren von Kontrabassisten und Luftschiffern leichtfüßig unsere Bühne betreten; ebd. 26. 7. 1985 dem sehr jungen, wunderbar präzisen Bassisten Benjamin Bischof, der auf seinem bundlosen Instrument keinerlei Intonationsprobleme zu kennen scheint; MM 9. 10. 1986 der englische Gitarrist und Bassist Fred Frith; Zeit 13. 3. 1987 Tina Weymouth, die Bassistin der „Talking Heads"; MM 27.11. 1987 Mit dem Bratschisten Jürgen Geise und dem Kontrabassisten Johannes Auersperg wurde vor allem ein weich und fein schattiertes Ensemblespiel gepflegt; ebd. 6. 2. 1988 Drummer Bert Smaak und Bassist Klaus Sperber produzieren einen schönen druckvollen Sound, der in den Bauch zielt und die Pumpe bummern läßt. Baß c: Prätorius 1619 Syntagma mus. Ill 138 wie dann aus dem General-Baß . . ein absonderlicher Bass . . kan gebraucht werden; 1638-50 Gedichte d. Königsb. Dichterkreises 69 Wann aber das Instrument nach vorgeschriebenem Basso, welcher allhier an stat der tabulatur steht, gebührlichen tractiret würde; ebd. 299 Dennoch aber von etlichen so viel hinzugethan, daß sie einen Bassum Generalem jhren Sachen beyfügen; Harsdörffer 1643 Gesprechspiele II 290 der Bass, oder die Grundstimme; Reuter 1696 Schelmuffsky 67 wie kunte das Mensche schöne singen und mit der Leyer den General-Bass so künstlich darzu spielen; Sperander 1727 A la mod Sprach 66 Der General-Bass .. ist die Kunst, ein Stück auf dem Ciavier durch alle Thone und Halb-Thone mit denen dazu stimmenden vollen Griffen können, und ist also das Fundament von der gantzen Music; Scheibe 1745 Musikus 181 Der Generalbaß sollte .. allezeit dabey seyn; Sulzer 1771 Theorie l 456 Generalbass. Ein Baß, mit welchem zugleich die volle Harmonie eines Tonstüks angeschlagen wird; Telemann 1773 Unterricht im Generalbassspielen (Titel); 1780 Götting. Magazin d. Wiss. U 3 Über eine neue Erfindung, den Generalbass zu beziffern; Goethe 1799 Diderot's Versuch (WA I 45,270) Der musikalische Componist wird, bei dem Enthusiasmus seiner melodischen Arbeiten, den Generalbaß, der Dichter das Sylbenmaß nicht vergessen; Schopenhauer 1818 Welt (II 140) Die Philosophie ist der Grundbaß aller Wissenschaften; Heyse 1838 Fremdwb. 121 Basso-continuo .. Generalbaß, der Grundbaß, Hauptbaß; 1842 Brockhaus U 97 Baß heißt in der Musik .. die unterste oder die Grund-

Bassin note eines Accords (Baßnote) . . Alle Baßstimmen und Baßinstrumente haben ihren eigentümlichen Notenschlüssel, nämlich den Baßschlüssel; Radowitz 1851 Neue Gespr. II 167 Meine Zeit ist um. Ich gehe heim, um wieder Generalbaß zu studiren, was man bei einem Menschen, der zuweilen in die Politik gemengt worden, ja stets so übel vermerkt hat!; 1854 Weimar. Jahrb. l 190 die Modulation . . in Abbreviaturen über der Fundamentalmelodie anzudeuten, wodurch der „Generalbaß" entsteht; Helmboltz 1863 Tonempfindungen 3 in dem sogenannten Generalbass; Sanders 1871 Fremdwb. l 139 Basso continue, fortgehnder Baß; Werfe! 1924 Verdi 124 Die Kontrabässe sollten nicht nur von Pause zu Pause den Baß schrummen, sondern auch sie bekamen ihre Soli; ebd. 174 Warum denn hat Italien mit Monodonie und Generalbaß in Wirk-

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lichkeit die ganze moderne Musik geschaffen?; 1925 ZfMenschenkunde VI 54 Der andere Befund ist durchaus auf den „Generalbass" der persönlichsten Schicht abgestimmt: Macht; friedeil 1928 Kulturgesch. II 60 im sogenannten basso generate; Zeit 19.4. 1985 Sie ist das — zumeist im Basso continue intonierte — Generalthema des Buches; ebd. 15.11. 1985 Der basso continuo diente in einer dirigenten- und partiturenlosen Zeit neben der harmonischen Orientierung des Solisten wohl vor allem der rhythmischen Koordination der Spieler; ebd. 28. 3. 1986 Die Form der Vereinbarung stand zur Debatte . . aus Bayern tönte der basso continuo: die säkulare Chance nicht verpassen; MM 19. 6. 1987 Ernster und expressiver klangen die Sätze der a-Moll-Sonate von Händel für Altblockflöte mit der Basso-Continuo-Begleitung von Klaus Heller. HK

Bassin N. (-s; -s), Mitte 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bassin (< altfrz. bacin < vulgärlat. *baccinum bzw. gall. *bacca 'Wassergefäß', vgl. spätlat. bacchinon 'Holzschale'; über galloroman. Formen verw. mit Becken). Zunächst als Fachwort des Gartenbaus verwendet in der Bed. '(künstlich angelegter) Teich, Brunnenbecken' (s. Belege 1711, 1730, 1790, 1801-02, 1889, 1970, 1985), später auch allgemeiner gebraucht für 'Wasserbecken' (s. Belege 1901, 1910, 1949), vgl. die Zs. Wasserbassin; daneben etwa gleichzeitig in Geologie und Geographie als topographisches Fachwort im Sinn von '(von einer Bodensenke gebildeter) natürlicher Teich, See', auch 'aus Erdschichten gebildete, größere Bodensenke, Mulde' (s. Belege 1652, 1776, 1822, 1835, 1842, 1919), in Wendungen wie das Bassin von Böhmen, der Alster und Zss. wie Alsterbassin; seit frühem 19. Jh. in der Bed. 'Schwimmbecken' (s. Belege 1827, 1962, 1969, 1987), vgl. die Zs. Schwimmbassin; gelegentlich übertragen verwendet (s. Belege 1787, 1828). Schorer 1644 Sprachverderber R6a Bassin; Schildknecht 1652 Harmonia 80 Die Basin oder OberBreite des Grabens (BRUNT); Friedrich Wilhelm 1663 (UAS IX 656) das Wasser durch 3 Bassins . . hindurchläuft (BRUNT); 1702 Monatl. Auszug Mai 45 die Wasser vom Schwartz-Gebürge . . lauffen zu Naurouse in ein Bassin; Decker 1711 Baumeister I Vorn A3 An die vier Ecken der SeitenFlügel kämen Bassins, mit verschiedenen Statuen von Flüssen; Sturm 1719 Reise-Anmerckungen 24 Es fället das Wasser unten in ein groß Bassin (BRUNT); Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II 87 Bey den Grotten sind schöne Cascaden, welche das Wasser in die Bassins werfen; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) I 400 eine sehr grosse Schale oder ein Bassin aus einem Stücke von rothem und weissem Marmor; Goethe 1776 Er. (WA IV 3,84) Hudan und der kleine Lauf haben sich im Bassin gebadt und allerley Possen gemacht; 1783 Berlin. Monatsschr. l 543 der Eibbrunnen . ., ein rundes ziem-

lich tiefes Bekken (Bassin); Grecourt 1787 Auserles. W. (Übers.) I I 1 6 6 Sie stürzte sich in das Bassin der Lüste; Nicolai 1790 Anekdoten I 285 In einem Bassin im Garten von Sanssouci, hatte in der wenigen Erde zwischen ein paar Quadersteinen das Samenkorn eines Baums Wurzel geschlagen; Forster 1791 Ansichten (III 258) In den Hafen öffnen sich mehrere geräumige Bassins; 1794 Br. ü. Hamburg 25 Bassin; ebd. 105 Alsterbassin; Schlegel 1801-02 Vorlesungen I 208 Die Bassins mit ruhigem klaren Wasser angefüllt sind die Spiegel dieser offnen Gartenzimmer; Seume 1803 Spaziergang (W. l 423) Das Bassin am Eingange [der Kathedrale], von einem einzigen Stücke gearbeitet, ließe sich wirklich auch in Rom noch sehen; Fischer 1804 Bergreisen I 164 So erreicht man endlich das Dörfchen . ., das mit seiner Kapelle in einem tiefen Bassin verborgen liegt; Goethe 1822 Campagne (WA I 33,21) ein Bach floß vorbei und bildete zwei klare Bassins; Moltke 1827 Freunde (I 85) Der

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basta

Nachen umschiffte eben eine waldige Höhe, die eine Art von Vorgebirge ausmachte, und gelangte in ein weites, hochangefülltes Bassin; Guts Muths/ Young 1827 Elementar-Gymnastik 298 SchwimmBecken (Bassin); Goethe 1828 Br. (WA IV 43,237) so rieselt doch . . aus nie versiegenden Quellen immer etwas Zufluß in mein Bassin. Von den mexikanischen Bergwerkszuständen ist mir ., eine nähere Kentniß geworden; Cams 1835 Reise l 7 Bassin von Böhmen; Lewald 1836 Aquarelle 106 ich sah das Bassin der Alster mit Holzkähnen bedeckt; Cotta 1842 Geognosie 9 Flache Erweiterungen der Thäler heissen, . . wenn sie sehr abgeschlossen sind, „Bassins" oder „Kessel"; 1859 Hausblätter l 77 die Sache klärte sich endlich auf, als der Neueingetroffene herausbekam, daß Besen (basin) ein Waschbecken bedeute; Burckhardt 1860 Br. IV 67 hat nur London die Masse von Docks, welches lauter Bassins sind für die Schiffe; 1882 Brockhaus II 668 Das Muster eines Bassins ist das Pariser; Wiehert 1889 Grafenkind 17 das Bassin eines Springbrunnens; Th. Mann 1901 Budenbrooks (W. l 350) Sie schöpften mit einem silbernen, zusammenschiebbaren Becher, den die Konsulin mitgebracht hatte, aus dem kleinen, steinernen Bassin; Friedländer 1910 Sittengesch. Roms III 152 In dem Nymphäum von Bulla regia fiel das Wasser der mitten in der Stadt entspringenden Quelle über mehrere Terrassen in ein Bassin, um von hier aus weitergeleitet zu werden; Th. Mann 1919 Erz. (W. VIII 570) wo die erste der querlaufenden Kunststraßen, von der Pappelallee dammartig zwischen Wiesenbas-

sins und Waldparzellen zum Hange laufend; Baum 1928 Willfüer 61 Draußen fiel er hin, fiel einfach die Treppen des kleinen Bassins hinunter, mit dem Mund fast neben dem Wasserspiegel; Dominik 1936 Vistra 151 Das Holz wird aus den Bahnwagen in ein schleusenartiges mit Wasser gefülltes Bassin gekippt; Welt 17. 5. 1949 Zehntausende von jungen Aalen werden . . am Großen Wehr gefangen und in Wasserbassins gesetzt; Nossack 1954 Begegnung 187 links war die Binnenalster und die weißen Lichtreklamen, die sich im Bassin spiegelten; Grass 1962 Blechtrommel 317 Stellen Sie sich bitte ein azurblau gefliestes Schwimmbassin vor, im Bassin schwimmen sonnengebräunte, sportlich empfindende Menschen; Welt 11. 12. 1964 „Radjäh" wird mit seinem Herrchen aus acht Meter Höhe in ein vier Meter großes Wasserbassin springen; ebd. 15. 9. 1969 Uta Frommater .. bewies . ., daß man auch auf der längeren Yard-Distanz im Salzwasserbassin von Blackpool gute Leistungen erzielen kann; 1970 General-Anz. XXIV o. S. als der größte Teil der Menge sich .. zu einem Bade in die Brunnen der Hauptstadt und das langgestreckte Wasserbassin vor der Lincolnhalle bewegt hatte; MM 11. 4. 1985 Freitreppen und eine steinerne Zentaurengruppe flankieren das anmutige Kaskadenbassin; Zeit 10. 10. 1986 Infolge der Bergsenkungen könnte dieses Grundwasser durch die Grubenabwässer versalzt werden, und der Boden der Halterner Sande, der das Wasser wie in einem Bassin festhält, könnte Risse bekommen; MM 6. 2. 1987 eine Prise Salz in einem Schwimmbassin wiederzufinden. HK

basta Gesprächswort, Anfang 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital./span. basta, eigentlich 'es ist genug' (aus der 3. Pers. Sing, von ital. bastare/span. bastar 'genug sein, hinreichen' < vulgärlat. *bastare 'ertragen, aushaken, Genüge leisten'). In der Bed. 'fertig!, Schluß (damit)!, genug (davon)!', meist in der gesprochenen Sprache als Interjektion verwendet, wenn für den Sprecher ein Sachverhalt klar und abgeschlossen ist und er die Fortsetzung eines Dialogs bzw. eine Widerrede verhindern bzw. abrupt abbrechen möchte, am häufigsten in der Wendung und damit basta! (s. Belege 1789, 1852, 1893, 1936, 1987), gelegentlich auch in der Wendung punktum! basta! (s. Belege 1902, 1988); selten subst. (s. Belege 1925, 1947, 1986). Daneben im Kartenspiel, bes. im Hombre, als Adj. in der veralteten Wendung basta sein für 'besiegt sein' (s. Beleg vor 1781); auch allgemeiner im Sinn von '(alles) erledigt' (s. Beleg 1901). Hainhofer 1610 Corr. 52 ie grosser aber auch ain ding ist, je muesamer vnd proportionierlicher man ain ding, sonderlich die Vögel a ragguaglio der vier fuessigen thier machen kan, basta, Ich erwarte E. F. G. gn. resolutionem vnderthenig; 1617 Teutscher Michel 208 Was ist contento, was fünff per cento?/ . . Was basta, basta? ich mag nit faste;

Khueffsteiner 1624 Montemayors Diana Aaa6a basta; Gryphius um 1663 Horr. 80 basta qvesto pour is tesso, es ist genung, der Kopff blutet mir (SCHEID); Butschky 1677 Pathmos 22 Also kan man . . durch ein gedrucktes Gebeth-Buch/ einem Gefangenen/ alles Geheime eröfnen: Basta; Abr. a S. Clara 1687 Judas III 106 basta saper, sagte er es

Bastard ist schon genug (SCHEID); Ettner 1697 Chymicus 197 Pasta! sprach der von Erden, er sey wo er wolle; Chilemont 1705 Kriegsrat II 144 Basta! wir stehen dem verderblichen Untergang sehr nahe; Prambhofer 1708 Hönig-Fl. 126 immassen solcher [ein Eierkäse] zerrunnen/ und zu einen lautern Muß worden. Basta! es ist schon geschechen; Menantes 1709 Satir. Roman 11 94 wenn dieser Poet ein .. bon! schön! das ist artig! Basta! und dergleichen höret; Lessing vor 1781 (Ges. W. XI 409) Der Herr Geheimrath sind basta (KEHREIN); Bartels 1789 Br. II 34 aber damit basta; Richardson 1790 Kl. (Übers.) l 293 Wir wollen, und damit basta; Wolf 1793 Dulder 1157 Basta!; Kotzebue 1797 Falsche Scham (VI 255) Basta, Herr Vicomte! sonst schicken wir sie nach Hannover; Lang 1833 Reise XI 103 aber glücklicher Weise und Basta! war es gerade das, womit sich diese Herren fiengen; Schlesinger 1852 London l 180 und damit basta; Holtet I860 Eselsfresser l 123 Aber jetzund Basta über Privatsachen; Raabe 1864 Hungerpastor 84 da'n Überstudierter am Ende doch auch ein Mensch bleibt, so sollst du unsertwegen deinen Willen haben. Basta, ich hab's gesagt!; Ettmüller 1865 Herbstabende I 399 denn die schnippischen Allesbesser-wissen-woller kann ich einmal nicht leiden, basta; Hansjakob 1892 Schneeballen U (V 19) Wer etwas will, soll auf meinen Hof kommen. Und damit basta. Wir reden jetzt von etwas anderem; Lindenberg 1893 Berlin 31 und damit basta!; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 49) Hier hast du 100000 als Mitgift, ich vermache dir andere 100000 im Testamente, aber damit basta, damit bist du abgefertigt, es gibt keinen Schilling mehr; Schnitzler 1901 Leutnant Gustl (Ges. W. 352) Weiter ist ja nichts zu überlegen. Im Zimmer schieß' ich mich tot, und dann is basta! (PAUL); Bierbaum 1902 Br. an Gemma 42 Du bist mein und ich bin

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Dein. Punktum! Basta!; Kretzer um 1910 Stehe auf 9 Die Welt ist da zum Genießen und nicht zum Kopfzerbrechen über ihre Mängel. Jawohl. So ist es. Meine Meinung. Basta; Maria v. Schlözer 1917 Br. 195 und für Frau von Wallenberg kaufts Du zwei Ackerpferde aus dem Magerviehhof! Ich kann nur sagen: basta! basta! Aber helfen macht Freude; Werfet 1924 Verdi 26 Aber dafür ist etwas drin, etwas ... etwas Mächtiges! — Für mich und für keinen sonst! Basta!; Sacerdote 1925 Italien 491 Ein falscher Ton des Sängers, eine Entgleisung . . genügen, um einen Sturm des Mißfallens zu entfesseln, wahre Pfeif- und Zischkonzerte, vermischt mit „Basta"-Rufen; Benn nach 1931 (Ges. W. Ill 520) ich bin existent/ und damit basta!; Dtsch. AZ. 21. 3. 1936 Im ganzen ein typischer Film, in dem das Publikum einen sozusagen mit harter Faust belehrt: Es freut sich und damit basta; Maierheuser 1938 Dreizack 50 dann sag ich nix als: basta und wieder basta!; Brecht 1943 Galilei (Ges. W. Ill 1269) Unsachliche Diskussion lehne ich ab. Basta; Petzet 1944 Falckenberg 247 Basta; Heimeran 1947 Christ. 75 Das zur Zeit unserer Eltern jede Erziehungsmaßregel abschließende, keinen Widerspruch duldende Basta; ND 22.2. 1949 Sie versuchen mich auszufragen, aber ich sage — kein Geschwätz, und damit basta!; Grass 1962 Blechtrommel 125 Aale gibt es, basta, mit Milch, Senf, Petersilie und Salzkartoffeln; Zeit 20. 12. 1985 glauben heißt gehorchen, basta; ebd. 7. 11. 1986 die Verdrängungsleistung, die in diesem Basta! zum Ausdruck kommt; ebd. 6. 3. 1987 es ist geschehen, so wie es geschehen ist, und damit basta; MM 11.2.1988 Unbefriedigend zwar, aber punktum und basta; TAZ 6. 2. 1990 Jetzt müssen wir damit leben, basta!; Lukoschik 1991 In u. Out 67 Also, jetzt sind die Buben erst mal abgesackt! Basta! Aber morgen ist auch noch ein Tag. HK

Bastard M., früher selten auch N. (-s, älter auch -en; -e, älter auch -en), Ende 12. Jh. entlehnt aus gleichbed. mittelfrz. bastard, altfrz. bastart (vgl. gleichbed. ital./ span, bastardo, mlat. bastardus ungeklärter Herkunft; eventuell aus altfrz. bast unsicherer Herkunft, vgl. fils de bast 'Bastardkind', und dem in Eigennamen üblichen german. Suffix -(h)art, -(h)ard), zunächst auch in den Formen Basthard, Bast(h)art, Past(h)art, Baster(t). a Im Feudalwesen verwendet in der Bed. 'vom Vater anerkanntes, uneheliches Kind eines Adligen und einer Frau niedrigeren Standes' (s. Belege 1404, 1466, 1522, 1591, 1878, 1977); bald auch allgemeiner im Sinn von 'uneheliches Kind' (vgl. dtsch. Bankert], bis ins 18. Jh. öfter für 'Hurenkind', zumeist abwertend und gelegentlich als Schimpfwort gebraucht im Sinn von 'als minderwertig oder gemein eingeschätzter Mensch' (s. Belege 1355, vor 1546, 1630, 1698, 1719, 1794, 1901, 1951, 1987); selten auch in der movierten Form Bastardin F. (-; -nen) (s. Belege 1579—1610, 1790, 1884), als Bestimmungswort in den Zss. Bastardsohn, -tochter, -kind; etwa

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Bastard

gleichzeitig übertragen auf Abstrakta und Konkreta in der Bed. 'aus zwei verschiedenartigen Teilen bestehendes unvollkommenes Ganzes, geringerwertige, zusammengesetzte Abart, unechte Form' (vgl. bes. c; s. Belege 1537-38, 1643, 1700, 1782, 1806, 1840, 1886, 1898, 1925, 1951, 1986). b Seit spätem 15. Jh. auf die Naturforschung ausgedehnt in der Bed. 'Nachkomme aus einer Kreuzung zweier verschiedener Rassen bzw. Arten; Mischgattung, Hybride', zunächst nur auf Tiere und Pflanzen bezogen, vgl. Zss. wie Bastardzüchtung, -Forschung; Art-, Gattungsbastard (z. B. Maulesel, Maultier); seit Mitte 19. Jh. auch mit Bezug auf die Mendelsche Vererbungslehre, gelegentlich auch von Menschen, bes. in der Anthropologie für 'Nachkomme aus der Vermischung verschiedener Rassen; Mischling' (s. Belege 1849, 1879, 1959), auch übertragen für 'das (durch Vermischung) von seiner gewöhnlichen Art (in schlechtem Sinn) Abweichende' (vgl. c). c Etwa gleichzeitig bis ins 19., vereinzelt 20. Jh., in verschiedenen Fachsprachen meist als Bestimmungswort in subst. Zss., die eine dem im Grundwort Genannten ähnliche, aber davon abweichende (oft geringere) Art, Spielart, Varietät, Variante bezeichnen (vgl. a und b), im Sinn von 'Falsch-, Unecht-, Halb-', vgl. Bastardfenster, -galeere, -Wechsel, -wolle, -adler, -wein, -schrift. Dazu seit spätem 16. Jh. die (Präfix-)Ableitung (ver-)bastarden, meist bastardieren V. trans, 'zum Bastard machen, verschiedene Rassen oder Arten kreuzen, vermischen', auch reflex, 'sich als Bastarde fortpflanzen', zumeist im Part. Perf. bastardiert adj. gebraucht für 'gekreuzt, nicht reinrassig', in der Vererbungslehre von verschiedenartigen Pflanzen und Tieren, abwertend in der völkischen Rassenkunde auch auf Menschen bezogen (s. Belege 1927, 1934); gelegentlich auch übertragen verwendet für 'die Art verfälschen; durch Vermischung verschlechtern' (s. Belege 1927, 1970) (zu a und b). Seit Anfang 17. Jh. die selten belegte adj. Ableitung bastardisch (ohne Steigerung) 'gekreuzt, nicht reinrassig', auf Tiere bezogen, übertragen auch im Sinn von 'falsch, unecht' (s. Belege 1612, 1648), dann auch gelegentlich abwertend von Menschen in der Bed. 'unrein, minderwertig' (s. Belege 1802, 1852, 1941) (zu b); seit dem 19. Jh. die subst. Ableitung Bastardung F. (-; -en) 'uneheliche Zeugung' (zu a), meist Bastardi(si)erung F. (-; -en) 'Kreuzung, Vermischung zweier verschiedenartiger Rassen', auf Tiere und Pflanzen bezogen, in der völkischen Rassenkunde auch von Menschen (s. Belege 1927, 1933, 1934), selten auch übertragen verwendet (s. Belege 1908, 1912, 1924) (zu b). Bastard a: Herbort v. Fritzlar um 1190 Lied v. Troja 9,92 basthart (LEXER); Wolfram v. Eschenbach um 1210 Parzival 552, 12 des niht von der hohen art, ez was ein samit pastart (DWB); 1355 (Frankf. Zunfturkunden 30) Auch han wir die eyne gewonheid, daz keiner under uns keynen basthard unser hantwerck sullen leren; 1400 (Chronik d. dtsch. Städte Vlll 381) Dieterich . . was ein basthart und fuorte ein unkristenlich Arrianen leben und starp ellendekliche; 1404 (Handelsrechn. d. Dtsch. Ordens 10) der houpther ist gewest des koniges basthart bruder von Engelant; 1439 (Frankf. Zunfturkunden II 385) derselbe knabe sal key n bastart syn; 1462 (Frankfurts Reichscorr. II 1,218) Item Henne Knauff der bastart, item Hein-

rice Ruwe der bastart; 1466 Speier. Chronik (Mone, QuSamml. I 490) da zuog der hertzog von Burgundie und sin son Karolus mit großer macht über die Lutticher und bezwang und benot sie, daz sie den alten bischoff wieder innemen muesten den bastart; Ehran v. Wildenberg um 1470 Chronik 150 Der sun viel in ungenad des vaters . . und er hett einen paschart, dem hiet er gern geben etlich stet und slösser; Matthias v. Kemnat 1470-1475 Chronik 99 Nabochdonosor der hochmechtige konig in Niniua, der wart gegleichet einem ochssen oder rinde vnd ein bastart vertreib ine aus seinem gewalt; Volkslied 1476 (Liliencron H 85) Der herzöge was selber mete uf der fart/ und sin bruder der bastart/ und manchir hobischir man; 1482

Bastard Voc. teuton.-lat. o. S. Pasthart einer von einer edeln mutfter] vn vnedeln vat[ter] geporn; Stolle um 1485 Chronik 72 der bastart, das ist des herzöge von Burgundien kebesson; 1511 (Kriegk 1871 Bürgertum II 382 Anm.) ein naturlich vnd nit ein bastthart kind; Schilling 1513 Schweizer. Chronik 127 Jörg uff der Flü . . was ein bastart; Morsheim 1515 Spiegel 632 einer von basterts art; 1521 (Boesach, Kinderleben 116) [seines Vaters] natürlich und Bastarzkind; 1522 (Weller 1872 Zeitungen 35) Der grosse Bastart von zophey vnd der herre von Pyltza vnd Lotdringen; Paracelsus 1537—38 S. W. I 12,252 nit das es brenn wie das holzfeur, dasselbig ist ein pankart vom elementischen feur und ein bastart; Boner 1541 Plutarchübers. 4a seinen [des Königs Alexander] styeff bruoder Arideum/ der doch ein bastart; Luther vor 1546 Tischreden 237b ein bastart oder hurenkindt (DIETZ); Franck 1558 Paradoxa 356 für Bastart Abrahe/ vnnd kinder Agar/ verstossen seind; Fischart 1570 Nacht Rab (l 22) Daß Priester koenten nicht mit ehren/ Ein frawen haben, macht er sich/ Zu einem Bastart öffentlich; ders. 1574 Garg. 155 wann der jung herfür kriechend Bastart Jupiter mit weinen und greinen den Tag anzäunet; Ernstinger 1579—1610 Raisbuch 205 und wohnt in disem closter des königs in Franckhreich bastard brueder, monsieur de Bourbon; ebd. 225 des königs eltiste tochter, ainen sainer bastard und bastardin; Spangenberg 1591 Adels-Spiegel I 45a das der Edlen Bastarde schlimmere Standes sind, denn andere gemeine vneheliche Kinder; Rinckhart 1618 Jubel-Comödie 164 ein Bastard . . Oder ein Banckbein, wie mans heist; Neumayr . Ramssla 1620 Reise in Frankr. 195 Anjetzd soll König Henrici III Bastard-Sohn, noch darinnen seyn; Ammann 1630 Reise in's Hl. Land 85 In diesem Spittal werden auch alle Kinder, so Bastarten sind, und durch ein eysernen Gatter hineingestossen werden können, auffgenommen und erzogen; Harsdörffer 1643 Gesprechspiele II 177 Warumb wollen wir unsere Zunge mit anderen Wörtern beflecken, die Kinder verächtlich hinausstossen, und die Bastardwörter an- und auffnemen?; ders. 1648 Poet. Trichter U 122 Bastart/ Hurenkind; Zeiller 1653 Dialogi 727 Bastart-Sohn; Morhof 1682 Unterricht 230 bastard-teutsche; Mieth 1683 Geschütz-Beschr. II 17 das Wort Haubitz/ mit welchen wir heut zu Tage dieses Pastart Geschlecht des Geschützes nennen; Paullini 1698 Flagellum salutis 19 So ihr die Züchtigung erduldet, so erbeut sich euch Gott als Kindern. Denn wo ist ein Sohn, den der Vatter nicht züchtiget? Seyd ihr aber ohne Züchtigung, so seyd ihr Bastarten, und keine [rechten] Kinder; Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 30 daß seine Nahmen zum Bastart gemachet, und halb aus der Italienischen, halb aber aus der teut-

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schen Mutter-Sprache gezeuget werden müssen; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 4 ich meine ja/ sie würden uns als unechte Kinder und Bastardte anspeyen; Linde 1706 Gedichte 9 Und wenn sie zu dem Sohn du kleiner Bastart spricht,/ So bin ich gut davor, er alterirt sich nicht; Wächtler 1709 Manual 49 Bastard, ein Hur-Kind; 1716 Württemb. Land-Recht 482 Die Bastard und Hurenkinder; 1719 Abentheuerl. Welt VIII 29 Wer vor die Ewigkeit nicht etwas weiss zu schreiben, Bleibt vor der Poesie ein Bastard und kein Sohn, Und hat nur Schmach und Schand, und Schimpff und Hohn zu Lohn; Seume 1731 Lex. 21 Bastart (Huren-Kind); Schnabel 1731 Felsenburg I 86 Denn diese Bestie mochte nicht einmahl ihre Stieff-Kinder, vielweniger mich, den sie nur den Bastard und Fündling nennete, gern um sich sehen; 1778 Bemerkungen ü. Rabiosus Reise 21 wenn es in seinem Wollen läge, würden durch ihn noch mehr physicalische Bastarde entstehen, als er in seinen Reisen moralische erzeugt hat; Fischer 1780 Probenächte (Ndr.) 27 Daraus erklärt sich's warum unter den beiden ersten Stämmen der Fränkischen Herrscher die Bastarden, (wenn anders Prinzen, die ihre Mütter in der Probezeit zur Welt gebracht haben, mit disem Namen gebrandmarkt werden dürfen!) ohne Unterschied mit den Ehelichen zugleich erbfolgten; Musäus 1781 Physiognom. Reisen IV 107 Bastardsohn; Merken 1782 Kunstbuch l 3 die chinesische, grossmogolsche und alle heydnische Schriften für Bastarde und Abstammlinge egyptischer Bilderschriften gehalten werden; 1782 Anthologie 29 Bastarttochter; Goethe 1788 Br. (WA IV 9, 33) um Gotteswillen keine Gutmüthigkeit, die pelikanmäßig ihren Busen aufreißt, um Bastarde zu säugen; 1790 Neues dtsch. Museum II 365 Bastardin; Goethe 1794 Br. (WA IV 10,219) daß die unter solchen Aspeckten [der Prolifikation] erzeugte Kinder an geist und körperlichen Gaben sich den Bastarden ziemlichermaßen zu nähern pflegen; 179S Berlin. Archiv d. Zeit I 373 Bastard; Seume 1806 Sommer (W. I 728) das Albinagium ist zur Ehre des Menschensinnes doch endlich vernichtet, und es lebt nur noch ein Bastard davon in dem Abzugsgelde der deutschen Edelleute; Buchholz 1821 Taschenbuch 280 Können solche Ereignisse wie Wolken vorüberziehen? Das verhüte jeder Tropfen englischen Bluts in jeder Ader, die ihren Besitzer nicht einen Bastard schilt!; 1840 DV;'S 111 256 Neben dem Roman und der Novelle . . in der heutigen Literatur eine neu eingeführte Bastardgattung . . die man unter dem Namen des „Genre" und des „Reisebildes" zusammenfassen kann; Hebbel 1843 Gen. (S. W. I 140) Ist das Dein Sohn? Dann ist's ein Bastard auch!; 1845 Bibliothek Polit. Reden VI 23 Bastard-Aristokratie; Stahr 1857 Nach 5 Jahren I 5 sein verrufener Bastardbruder von Grü-

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Bastard

neberg; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 70 wir ich und einige andere zarte Freiwillige — sollten die Kräfte der stämmigen Bastarde von Kanonier und Unteroffizier ersetzen; Ettmüller 1866 Herbstabende H 303 entweder Hornboge ist der echte Name, und der Träger desselben wird als Bastard (horning) bezeichnet, oder der echte Name ist Horning; Hartmann vor 1871 Letzt. Tag 247 Der Zufall, jener Bastard-Bruder des Schicksals (SANDERS 1871); Schmidt 1878 Lenz 76 ein frecher fürstlicher Bastard läuft mit; C. F. Meyer 1884 S. W. III 257 Wer hätte ihr auch eine [Seele] gespendet? Die Bastardin ihrer Mutter? Stieler 1886 Krieg 70/71 32 schleicht sich wohl auch ein Bastard ein, ein Partizipium von verwegener Bauart oder ein Kompositum, das mit einem Bein auf dem rechten und mit dem ändern auf dem linken Rheinufer steht; Fontäne 1898 Zwanzig 113 vier Bastarde von Schrank und Sekretär, in denen wir unsere Sachen unterzubringen hatten; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 581) daß du dich unterstehen dürftest, ein Viertel von Mutters Vermögen diesem Frauenzimmer und ihren Bastarden in den Schoß zu werfen!; Wassermann 1910 Masken 84 Die Brüder waren wie Bastarde, die das Gut dieses Namens frech verschleuderten; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XU 45) aller entfesselte Hohn auf die Dogmen und Legenden der positiven Religionen im allgemeinen und den „Bastard einer treulosen Ehefrau" im besonderen; 1925 ElsassLothringen. Heimatstimmen III 317 das Bastardfranzösisch eines ehemaligen preussischen Feldwebels; Bibl 1925 Herzog v. Reichstadt 273 Fürst Metternich . . und die ganze Familie Zichy .. „haßten" den Prinzen, diesen „Bastard"; Wilke 1930 Erinn. 123 Königsbastard; Bramann 1933 Namenlos 42 Findling und namenloser Bastard; Drascher 1936 Vorherrschaft 202 Bastard; Manch. N. N. 5J6. 9. 1942 das vollendete Züchtungsergebnis des Bolschewismus . ., wie es der Bastard im Kreml sich vorstellt; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1021) Begattungstage, wo beurlaubte Soldaten mit BDM-Mädchen zu tierischer StundenEhe zusammenkommandiert werden, um Staatsbastarde für den nächsten Krieg zu zeugen; ders. 1951 Erwählte (W. Vll 100) Ihm nach stürzte Plann, und „weiter!" ächzte er, „wehr dich, du Bastard!" und dabei spie er das Blut; ebd. VII 240 sie fragten ihn, ob ein Bastard Bischof werden könne; Süddtsch. Ztg. 9. 2. 1951 die ständig sich mehrenden Bastardläden, deren Warenkombinationen wahrhaft staunenerregend sind; ebd. 18.8.1956 weil sich eine Einheitsfront gegen Israel bildete, das die arabisch-islamische Welt als „Bastard des Westens" betrachtet und haßt; Stuttgarter Ztg. 27. 9. 1969 Bastarde, einstmals dramatische Drehund Angelpunkte königlicher Theaterstücke; Bach-

mann 1971 Malina o. S. plötzlich fragt sie gemein, was ich hier zu suchen habe und wer dieser kleine Bastard sei; Barring 1971 Geist u. Herz o. S. Jean Graf von Dunois, genannt der Bastard von Orleans, Vetter des Königs aus einer illegitimen Verbindung mit einer adeligen Dame; Dtilmen 1977 Reformation 328 Jan van Batenburg, dem Sohn eines Bastards aus dem adeligen Geschlecht dieses Namens; 1982 Spiegel Nr. 23 Alle die verdammten Bastarde, die uns sagen, wir sollen den Mut nicht verlieren, belügen uns (DUDEN 1993); Zeit 28. 2. 1986 Den Sozialdemokraten Michel Rocard schilt er als „häßlichen kleinen Bastard"; ebd. 28. 3. 1986 Das Ergebnis wurde von den meisten Regisseuren als Bastard angesehen, doch erst Hansgünther Heyme hatte die geniale Idee, es wie einen Bastard zu inszenieren; MM 28.2.1987 weil ihr gestrenger, so zwielichtiger wie aufstiegssüchtiger Vater für die künftige Dame sich als Schwiegersohn keinen Bastard vorstellen mochte; Zeit 12. 5. 1995 Weder schert er sich um die „Bastarde" in seinem Kabinett, noch läßt er sich von den Euro-Rebellen irritieren. verbastarden: Fischart 1575 Garg. 276 die gute edele geister verbastarten und die ganze blühe der Jugend vergifften; Herrig 1838 ff. Archiv f. d. Studium d. neuern Sprachen XIV 61 Die deutschen Worte verbastarden und die eigene Muttersprache zu einem öffentlichen Allmannhurkinde machen (SANDERS DWB); Hübner 1934 Wirth u. UraLinda 36 verbastardet und verdorben. Bastardung: Voß 1818 Shakespeare's Schauspiele III 165 Bei meiner Bastardung. Bastard b: 1482 Voc. teuton.-lat. o. S. Pasthart . . ein tier vo[n] eine[n] wilden parck [Eber] vnd zame[n] sweinßmuter geporn; Kaiser Maximilian Anf. 16. Jh. Von der Falknerei (Falknerklee 95) Die Pastart Vogell thuen auch selten guet; Fischart 1575 Garg. 84 Da war . . Landwein, Brachwein, . ., Fuderwein, Rappis, Kirschwein, Bastart, . ., Weichsein Wein; Perez 1627 Landstörtzerin II 2 Dann es sey der Adler so schlimm vnd gering als er jmmer wöll/ (ich rede allhie nit von den Beinbrechern/ grossen Weyhern/ BastartAdlern/ vnnd ändern dergleichen jhres Geschlechts); Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 14 Virginia giebt uns . . den allerbesten . . Tobac; allein dieses Virginia bringt auch Bastarde und Spurios zur Welt; Bonnet 1774 Natur 500 Anm. solche Bastarte, die wieder Junge zeugen, wie z. B. der Stieglitz und der Canarienvogel; Pfennig 1781 Physikal. Geogr. 820 Bastarde; Schrank 1789 Baier. Flora II 251 eine Spielart, oder eine Bastartpflanze; Forster 1787 Reise um d. Welt 215 Affenbastarte; 1801 Ztg. f. Naturfor-

Bastard scher Hl 343 Also sind die gekräuselten Kartoffeln nicht ausgeartet, nicht Bastarde, sondern nur kranck; Härter 1822 Rheinland. Weinbau I 72 Neue unbekannte Traubenvarietäten (Bastarde) . ., die sich durch Vermischung des Saftes der verschiedenartigen Pflanzen an Farbe, Eigenschaften, Holz und Blätter unterscheiden; 1828 Beschr. O A. Rottenburg 90 Bastard-Racen; Hundeshagen 1842 Forstwiss. I 89 Zuweilen wird der weibliche Blüthentheil einer Gewächsart durch den männlichen einer ändern . . befruchtet . . Man nennt diese Erzeugnisse Bastarde; Goltz 1847 Buch d. Kindheit 68 die Möpse, die Bulldogg's, die Bologneser, die Pintscher und alle die tausend Bastard-Spielarten; 1848 Beschr. O A Nürtingen 158 Landschafe und Bastarde; Pichler 1849 A. d. wähchtirol. Kriege 2 der . . Italiener gibt ihnen (den Angehörigen eines Mischlingsvolks in Norditalien] den Schimpfnamen Bastard; 1850 Beschr. O A. Waiblingen 153 Die Schafe sind . . Bastarde; Sendtner 1854 Veg'verh. Südbayerns 188 die Bastarde oder hybriden Pflanzen als Abkömmlinge zweier verwandten Arten einer Gattung; 1855 Beschr. O A. Herrenberg 41 Bastardschafe; Valentin 1855 Physiologie 822 Die Bastarderzeugung lehrt, dass der Samen einer bestimmten Thierart das Ei einer anderen befruchten kann . . Die Bastarde selbst sind in der Regel geschlechtig unvollkommen; 1859 Beschr. O A. Ludwigsburg 161 Bastarde; Grabowski 1863 Off. 235 vor ihr auf dem Fensterbrette kauerte ihr Mops .. ganz echter Mopsbastard; 1865 SB München II 395 Bastardbildung im Pflanzenreiche; Burckhardt 1868 Weltgesch. Betrachtungen 25 Bastarde [in der Natur] sterben aus oder sind von Anfang an unfruchtbar. Im geschichtlichen Leben ist alles voll Bastardtum; 1872 Geograph. Jahrb. 21 Die Entstehung selbständiger Arten aus fruchtbaren Bastarden; Hartmann 1879 Völker Afrikas 62 Bastardhottentotten; 1900 Naturwiss. Wochenschr. 577 Besonders wogte heftiger Streit darüber, ob die Bastarte fruchtbar seien oder nicht; Haeckel 1913 Lebenswunder 291 daß die so erzeugten Bastarde (Hybridae) selbst wieder . . fruchtbare Nachkommen erzeugen können. Indessen ist die Neigung zu dieser Bastardzeugung . . sehr verschieden; Gruber 1916 Aufgaben 25 f. bei einer „Population", einem Volke von Bastarden, welches aus einer Mehrzahl verschiedener Genotypen . . hervorgegangen ist; Kaestner 1924 Vererbungswiss. 12 Die Vererbungsregeln . . verdanken wir den Versuchen Mendels (1865) und seiner Nachfolger (seit 1900). Sie gründen sich auf die Methode der Bastardforschung, welche gerichtet ist auf die Paarung reinrassiger stark verschiedener pflanzlicher und tierischer Eltern; Heilborn 1929 Revolutionen II 222 Bastardhund; Liebel 1932 Bauern 44 [nach der Lektüre der Mendelschen

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Theorie] wurde mir verständlich, dass die Bastarde gar zu gerne die schlechten Eigenschaften ihrer Eltern erben; 1935 Reichsgesetzbl. 11545 Rebbastarden; Wege 1936 Baldachin 165 dem Bastardhunde Nero; Drascher 1936 Vorherrschaft 202 weil .. der Niederländer sich der Vermischung mit den Farbigen . . zugängig gezeigt hat. So sehr der Kapholländer den Kaffern verachtete — der „Bastard" ist durch ganz Südafrika verbreitet; Münch. N. N. 25.126. 3. 1944 die Bastarde von Löwen und Tigern in Hellabrunn haben zum ersten Male Junge bekommen; Grzimek 1959 Serengeti 170 Es gibt nur eine Menschenart; Mongolen, Europäer und Neger sind lediglich Rassen; wenn sie untereinander heiraten, entstehen keine „Bastarde", sondern Zwischenformen; Welt 28. 12. 1974 der Fiskus denkt auch rassebewußt und sorgt dafür, daß den Züchtern von Bastarden der Spaß am Mixen vergeht. bastardieren: Hörwart v. Hohenburg 1581 Reyterey 6b ein Pferd . ., weil sie alle vast bastardiert, von einem Land inn das ander transportiert vnd gefürt; 1903 Naturwiss. Wochenschr. XV11I 27 Verschiedene Arten, Rassen oder Varietäten, z. B. Pferd und Esel . . können sich untereinander geschlechtlich vermehren (sich kreuzen, bastardieren); Kaestner 1924 Vererbungswiss. 7 Bastardiert man . . Hühner mit Erbsenkamm und solche mit Rosenkamm, so erscheinen Hühner mit Wallnußkamm; Bernett 1970 Veränderung o. S. wie man einstmals den Sport durch das Turnen bastardiert hat (Einführung des Haltungsprinzips in Leichtathletik und Rudern). bastardiert: v. Hohberg 1687 Georgica curiosa 428a wenn . . die Bienen ihre Brut setzen/ so kommen diese Threnen herbey/ . . und setzen ihnen/ . . neben ihre eigene/ auch eine fremde bastardirte Brut hinein; ebd. 11 766b wann sie [Falken] ihres gleichen nicht haben können/ so vermischen sie sich mit denen/ die ihnen am ähnlichsten sind/ daher gibt es so vielereley unterschiedliche bastardirte Falcken; Paquet 1927 Städte 308 eigentümlich bastardiertes Wappen, dessen obere Hälfte den Kopf des kaiserlichen Adlers zeigt, im unteren Felde aber, das blau und gelb geteilt ist, das einfältige Abbild einer Dorfkirche; Harden 1927 Versailles 41 mongolisch bastardierte Völker; Winnig 1932 Weg 441 bastardiert; 1934 Geopolitik XI 78 eine in der fremden Schule bereits bastardierte Bevölkerungsschicht. Bastardi(si)erung: Tschudi 1853 Thierleben 552 Ueber die Bastardirungen hatten überhaupt unsere alten Naturforscher sonderbare Begriffe; Ratzeburg 1859 Standortgewächse 271 die bei den Pflan-

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zen, wie bei den Thieren, merkwürdige Bastardirung (Hybridität); i860 Landwirtschaft in Bayern 84 Bastardirung fremder [Hühner-]Racen; 1865 SB München II 425 Anm. Regel, der so manche schöne Bastardirung ausgeführt hat; v. Marilaun 1891 Pflanzenleben II 313 Indem aber die Narben der Purpurweide mit dem Pollen der Korbweide belegt wurden, hat eine zweiartige Kreuzung oder Bastartierung stattgefunden; Hahn 1896 Haustiere 15 Eine der wichtigsten Erscheinungen für die Gewinnung unserer Haustiere ist die Bastardierung; 1903 Naturwiss. Wochenschr. XVIII 123 Kreuzung oder Bastardierung; Breuer 1908 (Grundschr. d. dtsch. Jugendbewegung 64) eine gehaltvolle Melodie im Chorus gesungen ist und bleibt: Bastardierung der Gefühle; Rathenau 1912 Kritik d. Zeit 187 Diese Faktoren sollen zu einer inneren Entartung beitragen, die alsdann zu weitgreifender Vermischung und Bastardisierung führen kann; 1913 Jahr 329 in der Kreuzung (Bastardierung) die eigentliche Ursache der Artenbildung zu sehen; f. Krüdener 1921 Wenn d. Schnepfen streichen 88 Wir wollen nicht unterlassen, einige Worte auch der Frage der Farbvarietäten und Bastardierungen zu widmen; 1924 Kunstwiss. 185 Kunstgeschichte ist weder Geschichte noch Altertumskunde, sie betont den ersten Begriff ihres Namens — als Reaktion gegen solche Bastardierungen; Kaestner 1924 Vererbungswiss. 13 bei bestimmten Schmetterlingsbastardierungen; Gerstenhauer 1927 Führer 67 völlige Bastardierung und rassische Verköterung der europäischen und amerikanischen Völker; 7929 Dtsch. Rundsch. LVI 77 Bastardierungsforschung; 1933 ZfPoütik XXIII 241 dass die Kirche zur Rassenverschleierung und Bastardierung die Hand bietet; 1934 Geopolitik XI 48 kulturelle Bastardierung; Hellpach 1944 VPs. 30 die Kreuzung (Bastardierung: dieses Wort hat in der Wissenschaft keinen abschätzigen Sinn, wie manche Laien meinen); Boree 1948 Schöpfung 14 Alle Abweichungen . . sind hier wahre Unregelmäßigkeiten, ein Mißlingen . ., die Wirkung störender äußerer Einflüsse — von etwaiger Bastardierung abgesehen; Lange-Eichbaum 1956 Genie 208 Ist der Rassenabstand groß, so fällt die Bastardierung oft ungünstig aus; Rensch 1965 Homo 17 Allerdings sind die Verhältnisse noch dadurch kompliziert, daß sich der Auslesewert der mutierten Gene ändern kann, wenn diese bei der Bastardierung . . in abweichende Genkombinationen eingekreuzt werden; Zeit 27. 9. 1985 Dort erforschte er die „Rehbother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen".

bastardisch: Albertinus 1612 Der Welt .. Schaw Platz 417 bastardische Adler; ebd. 489 falsche und bastardische Bildnisse [Gottes]; Zesen 1648 Kriges bau-kunst 196 Wihr wollen aber auch dise weise/ als eine bastardische und eingeschobene/ aus unser Bau-kunst abschaffen; Marperger 1712 Naturlex. 651 Es ist auch von Windspielen und Englischen Dogues eine bastardische Art; Klinger 1802 Welt u. Literatur I 374 Du sinkst nun unter die Herrschaft eines zweydeutigen, bastardischen Wesens; Goltz 1852 Jugendleben II 152 im bastardischen Westpreußen . . mit seinem Mischmasch von polnischer, . . katholischer und protestantischer Lebensart; Beck 1941 Vollendung 336 Was sich unserer Zeit als Kunst darbot, war, vom deutschen Leben gesehen, unvölkisch bis zur Anbetung mestizenund mulattenartiger bastardischer Minderwertigkeit. Bastard c: Klett 1470-90 ]. v. Soest 11 vyn greeck, pryson und auch romon,/ bastart, gaskonghe und beyon,/ on petaw nach frantzosen schyn/ und elzesser und rynschen wyn (FRNHD. WB); Boltz 1549 Illuminier Buch G4a Bastart lasur; ebd. X6b Bastart Cenober; Goldmann 1699 Ausübung Civil-Bau-Kunst 70 Von Bastard-Fenstern; Wolff 1716 Math. Lex. 648 Fractio impropria sive spuria ein Bastard-Bruch (SCHIRMER, Mathematik); Ludovici 1752—56 Akademie d. Kaufleute I 1356 Bastardwechsel (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Halle 1762 Werkstäte d. Künste II 55 Der Bastard (sechsdrätiger) Sammet und der Plüsch bekommen zu ihren Ketten lauter einfache Fäden; Sturm 1777 Civil-Baukunst 96 Halb-Fenster .. oder Bastart-Fenster; Beckmann 1777 Anl. z. Technologie 337 Kochzucker wird .. in großen Formen, Bastartformen, Basterförmen, gegossen; Birckner 1794 Baukunst 77 Die Mezaninen, oder Bastardfenster werden so breit, als die gewöhnlichen Fenster, aber nur halb so hoch; Kant vor 1804 Schön. 108 Man sah geistliche und weltliche Abenteuer und oftmals eine widrige . . Bastardart von beiden (SANDERS DWB); 1825 Dinglers Polytechn. Journal XVIH 481 Bastard-Zucker; Klenz 1900 Druckersprache 20 Bastardhöhe, -kegel, diejenigen Schrifthöhen bezw. Kegel, welche weder in das französische, noch in die sogenannten Haussysteme der altern Gießereien hineingehören; 1936 AfdA LV 76 „Bastarde" (Mischung von Kursivund Buchschrift). HK

Bastei F. (-; -en), Ende 14. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. bastia (zu bastire < altfrz. bastir 'bauen', german. Herkunft; —* Bastion), bis ins 17. Jh. auch in den Formen Postey, Bastie, Fastet, Pastey, Pasti.

Bastei

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In der Sprache der Architektur und des Militärwesens verwendet in der Bed. 'spitz zulaufender Vorsprung an einem Festungsbau, Befestigungswerk, Bollwerk', seit früherem 18. Jh. allmählich durch —» Bastion ersetzt; selten übertragen gebraucht (s. Belege 1524-39, 1700, vor 1709). um 1390 (Österr. Chronik 151) Die Venediger machten ain postey für Triest, die nenten si Sempervenesia; Wittenweiler um 1400 Ring 256 Des waren ir der scharen drey./ Yeden schluog auf ein bastey; Volkslied 1423 (Liliencron l 289) Si saztent bastien und machtend hürd,/ mit graben rucktent si iemer hin zuo; Bebeim 1469—72 Reimchronik Str. 253 Mit tieffen graben vffgeworfft,/ basteien wo man ir dorfft,/ bollwercken vnd brustweren hoch; 1497 Kolumbus-Brief blb hab ich ouch gebuwen ein pastey oder schloss; Volkslied 1507 (Liliencron III 11) si woltent wider gwinnen/ den berg und die pasti,/ des ward man gar bald innen; 1513 (Weiler 1872 Zeitungen 26) hat man angefangen, die Mawren Türen vnd Pasteyen . . abzureyssen; Volkslied 1521 (Liliencron III 396) pastyen und polwerk; Kessler 1524—39 Sabbata 35 Hierumb sy [die Papstanhänger] diesem stürm oder zuofall [des Irrtums durch die hl. Schrift überführt zu werden] mit aignen bastien oder Satzungen fürkotnmen; Luther 1532 Tischreden (I 86) Der Teufel kanns nicht lassen, er muß uns anfechten, und er hat einen großen Vortheil darzu, ja eine starke Bastei und Bollwerk wider uns, nemlich unser Fleisch und Blut; Volkslied um 1539 (Liliencron IV 154) der hat ein aid geschworen:/ die new der vesten pastei/ will er brechen entzwai; Frontinus 1542 Kriegsanschlege 41b Vnd also die Knecht innerhalb des Wahls stille gehalten/ biß der Feinden Reüsiger Hauff/ in die Enge seiner Pastey hinein waren kommen; Rivius 1548 Vitruv. 38b das man die Stet so in der eben gelegen mit waßer/ aber in der höhe mit drucknen graben versichert mit iren Zwingern/ Pasteyen/ Rondeel/ Streich weren vnd der gleiche; Waldis 1555 Päpstisch Reych P2b Gar tieffe graben sie vmbringen/ . ./ mit pastey, erckern vnd brusrwehr/ Gebawt rund vmb die Klöster her; Spangenberg 1561 Jagteuffel S4a Darauff hat der Türck die Stadtmawren vnd pasteien von Konstantinopel bemannet; Fischart 1575 Garg. 297 besucht die Fechtschulen vnnd Fechtböden . . legert sich inn die Bastei, erzeygt sich inn allen Ritterlichen Wehren; Frischlin 1579 W. 17 liess ich die Fürsten drey, Verwahren in eine starcke Pastey; Ernstinger 1579-1610 Kaisbuch 86 pastey oder bollwerckhen; Jungkhanss v. d. Olssnitz 1590 Krieges Ordnung C4b Pasteywinckeln; Miller 1593 Lobspruch a. Ulm 223 thurm und pastey; Kiechel um 1600 Reisen 193 pasteyen und bollwerckhen; ebd. 229 pasteyen und Streichwehren; 1618 Acta Publica Schles. (Palm) 8 Pasteyen vnd Polwercke; Ammann 1630 Reise in's Hl. Land 39 mit starcken Mauren,

Wählen und Pasteyen . . verwahrt; Böckler 1672 Man. arch. mil. I 4 Pasteyen; Steiner 1682 KriegsBau-Kunst 26 Rund-Pasteyen; Ertinger 1697 Reisebeschr. 45 mit starckhen Pasteyen unnd schanzen [befestigt] unnd umbgeben; Ettner 1700 Apotecker 126 in Ansehung der vielen Gläser [in den Apotheken] von welchen zum offtern Pasteyen könten aufgebauet werden; Abr. a S. Clara vor 1709 Kramer-Laden 460 diese Frauen-Pastey [Maria, zu der sich Gläubige in der Not flüchten]; Küchelbecker 1730 Allerneueste Nachricht 810 und ist solche [Stadt] ein Viereck, mit doppelten Mauren, Basteyen und einem Graben umgeben; Schiller 1795 S. W. IX 33 an den Kanälen und Flüssen . . zahlreiche Basteyen anzulegen, und dadurch die Zufuhr zu erschweren; Goethe 1803 Cellini (WA l 43,101) Capitän Pollone . . führte mich hinauf auf die Bastei [der Engelsburg]; Eickemeyer 1821 Kriegsbaukunst 22 Man hat den Massen .., welche die Thürme ersetzen, den Namen Bollwerke, Bastionen, Basteien . . gegeben; Ranke 1827 Briefwerk 124 die Basteien sind erhalten und geben die schönsten Wallspaziergänge; Heine 1835 Romant. Schule 141 den Schweizer Landsknecht, der auf der Straßburger Bastei Schildwache stand; 1855 Prutz' Museum l 683 Elendsbastei; C. F. Meyer 1885 S. W. III 389 Palma zog sich schmollend in den äußersten Burgwinkel zurück, eine halbrunde Bastei, die . . über dem senkrechten Abgrund ragte; Hofmannsthal 1892 Prosa l 83 Ich meine die Andenken an unserer Großväter Zeit: die unbeholfenen kleinen Aquarelle mit gelben Häusern und altmodischen Menschen auf dem Gras der Basteien; Cohausen 1898 Bef. 322 Duerer .. giebt Anweisungen, gewaltige steinerne Rondele zu errichten. Er nennt sie Basteien; 1908 ZDÖAlpenver. 185 einen Gang über die gebahnten Wege an der Bastei; Schweinitz 1927 Denkw. l 113 Bedeutung der Wiener Basteien; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. IV7V 709) umschlossen von eigenen Ringmauern stiegen schwere Kastelle und Festungsbauten dort auf, . . starrend von vierkantigen Zinnentürmen, Basteien, Toren des Ausfalls und Wehrbalkonen; ND 4. 7. 1964 Auf der Bastei im Eibsandsteingebirge wurden an Sonntagen bis zu 50000 Besucher gezählt, die dicht gedrängt der Aussichtskanzel zustrebten; Partner 1964 Erben 212 diesseits die alten Forts, neben dem drohenden „Höllenschlund" die beiden Basteien, die ungeachtet ihrer militärischen Funktionen die Namen zweier Heiligen tragen; MM 2. 12. 1987 die vielen Diskussionen und Gespräche . . , die sich nachts im Studentenkeller der Moritzbastei fortsetzten. HK

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Bastille

Bastille F. (-; selten -n), im späten 16. Jh. entlehnt aus frz. bastille 'Bastei, Zwinger einer Festung' (Nebenform zu bastide < gleichbed. provenzal. bastida, subst. Part. Perf. von altfrz. bastire 'bauen'; —» Bastei). In der Bed. 'Staatsgefängnis für adlige Gefangene', meist als Eigenname bzw. im Sinn eines Eigennamens auf das von Karl V. im 14. Jh. errichtete, als Gefängnis dienende Kastell in Paris bezogen (s. Belege 1579-1610, 1609, 1620, 1702, 1785, 1871), mit dessen Erstürmung durch das Volk am 14. Juli 1789 die frz. Revolution begann, von daher als Schlagwort häufig in den Wendungen Sturm auf die Bastille, die Bastille stürmen und in der Zs. Bastillestürmer, daneben als Bezeichnung für das Symbol der Unterdrückung schlagwortartig auch übertragen verwendet (s. Belege 1790, 1845, 1876, 1902, 1913, 1919,1990); gelegentlich auch allgemein für 'Festung, Gefängnis' (s. Belege 1801, 1808, 1958). Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 215 La Bastille, ain starckes hohes gebey von 8 hohen und vesten thurn von quadersteinen aufgefüert; Carolas 1609 Relation 31 auß der Bastilien (JONES); Neumayr v. Ramssla 1620 Reise in Frankr. 113 Von vorbesagter Bastille gehet eine grosse breite Gasse herab in die Stadt, und wird la rue de Saint Antoine genannt; 1628 Zeitungen (Schöne, Zeitung 54) in die Pastillia (JONES); 1688 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 267) mit der Bastille bedrohet; Wächtler 1709 Manual 49 Bastille . . ein altes Schloß, it. zu Pariß der Ort/ wo die Standes Personen/ wenn sie pecciret/ incarceriret werden; Wagner 1724 Soldatenbibl. 245 so machte man Forts, so von einander lagen, man nennete sie Bastilles; Sperander 1727 A la mod Sprach 68 Bastille, ein festes Schloß, Thurn, worauf man Gefangene setzet, dergleichen vor allen ändern ein Gefängnus in Paris, den Nahmen führet; ;. £. Schlegel 1745 W. V 3i5 [Die Henriade ist ein berühmtes französisches Gedicht, das] in der Bastille, ohne Papier und ohne alle Schreibmaterialien gemacht ist; Musäus 1778 Physiognom. Reisen l 95 Der gnädige Herr . . hatte sich zehn Jahre in Frankreich aufgehalten, und neun davon in der Bastille zugebracht; Moritz 1785 Reiser 10 Diese Mad. Guion mußte viel Verfolgung leiden, und wurde endlich, weil man ihre Lehrsätze für gefährlich hielt, in die Bastille gesetzt, wo sie nach einer zehnjährigen Gefangenschaft starb; Schubart 1790 Chronik 496 ein Menschenhaufe von zwanzig Millionen, der . . die Sklavenfesseln vom benarbten Arme streift, felsenerthürmte Bastillen zermalmt; 1790 Journal d. Moden V 167 Bey dem Worte Bastille fällt mir ein, daß neulich die Arbeiter, welche bisher an der Demolirung der Bastille arbeiteten, der National-Versammlung durch eine feyerliche Deputation, den lezten Stein von der Bastille . . überbrachten; 1791 Neues Hannöv. Magazin 381 Ein gewisser Herr von Stande, hatte mit seinem Bedienten das traurige Schicksal, in die Bastille zu kommen; Gentz 1793 Betrachtungen 1110 eins der

alten Schlösser von Paris . . Bastille für Könige; Brentano 1801 S. W. V 99 Grundsätze? - das ist mir so gar schwerfällig, als sollte ich eine Bastille aus Quadersteinen von Grundsätzen in mir erbauen, um die Gelüste darinne einzusperren; Seutne 1803 Spaziergang (W. l 519) laut zu reden wagt es niemand, weil seine [des Königs] lettres de cachet eben so sicher nach Bicetre führen, als unter den Königen in die Bastille; Schopenhauer 1803-04 Reisetagebücher 92 Plaz wo die Bastille stand; Goethe 1808 Farbenlehre (WA II l, Vorw. XV) Wir vergleichen die Newtonische Farbentheorie mit einer alten Burg . . Gelingt es uns nun . . jene Bastille zu schleifen; Arndt 1815 Katechismus 15 Bastillen; Goethe 1817 Italien. Reise (WA l 31,134) Cagliostro . . der eben aus der Gefangenschaft der Bastille nach London gegangen war; 1832 Kunstblatt 236 Monument der Bastille zu Paris; Engels 1845 Lage d. arb. Klasse (MEW IV 54) das Arbeitshaus, die „Armengesetz-Bastille" von Manchester, das wie eine Zitadelle von einem Hügel . . drohend . . herabschaut; Freiligrath 1851 Neuere polit. Gedichte. Anhang (III 224) Vordringt das Volk mit wüthigem Schrei!/ Ha, das ist der Bastille Stürmen; Gregorovius 1854—05 Wanderjahre III 20 Bastilleplatz von Neapel; Rasch 1865 Häuser 11 der Bastilleplatz. Hier stand einst die Zwingburg von Paris; Fontäne 1871 Kriegsgef. 115 das ganze Gefängniss sei ein alter Donjon der Grafen von Bourbon; sehr mittelalterlich, eine Art „Bastille"; Kapp 1876 Amerika II 120 mit dem Ruin von Virginien . . wäre die Bastille der amerikanischen Sklaverei und Knechtschaft gewonnen worden; Dingelstedt 1878 Bilderbuch 74 Bastillestürmer; 1885 Zs. f. allg. Gesch. 927 Ein gewaltiger, unnahbarer Zauber umgab dies alte Monument, die Bastille, und wie das Stadthaus dem Volke als Symbol der Freiheit galt, so war ihm jenes die feste Burg des Königtums; Mohl 1902 Lebenserinn. 410 habe [in London] Armenhäuser, sogenannte Bastillen, verschiedener Art ge-

Bastion sehen; Glasen 1913 Salutismus 154 Armenbastillen; Buber 1919 Jude 109 Rüttelt die Herzen auf, sprenget die Tore des Willens, stürmet die Bastille des Geistes!; Werfel 1924 Verdi 401 f. Die Myriaden Gestalten .. tollten und zuckten durcheinander, als gelte es . . die Bastille zu stürmen; Sternheim 1926 Schule v. Uznach 17 Bastillen des Mannesübermuts; Kircheisen 1927 Die Bastille Berlin (Titel); 1934 Hindenburg-Denkmal Erg'bd. 167 Bastillesturm; Welt 14. 7. 1949 Sie werden dabei allerdings weniger der Helden gedenken, die vor 160 Jahren die Bastille stürmten; Süddtsch. Ztg. 14. 7. 1954 Den 165. Jahrestag des Sturmes auf die Bastille wird der amerikanische Außenminister John Foster Dulles in Paris verbringen; Jünger 1958 Jahre 61 stets neue Bastillen wurden aufgebrochen; Fay 1960 Revolution (Übers.) 182 Dann schrie man: „Auf, zur Bastille!"; Süddtsch. Ztg. 8. 1. 1962 Noch bis tief in die Nacht hinein hatten seine Leute . . Stapel grüner Lohnkarten für freiwillige Helfer bereitgelegt. „Aber vor diesem

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Sturm auf die Bastille war unser Stammpersonal. . vollkommen machtlos"; Welt 13. 4. 1964 Weil der Bremer Sturm so harmlos war wie eine Feldmaus beim Sturmangriff auf die Bastille; MM 17.3. 1967 Der erste Höhepunkt der Französischen Revolution war die Erstürmung der Pariser Bastille am 14Juli 1789; Grolle 1970 Neuzeit o. S. Der Sturm auf die Bastille am H.Juli hatte nur die erste Entladung des Volkszornes gebracht; Zeit 5. 4. 1985 An diesem Nordostende der Stadt weht ein anderer Wind als um die populäre, aber immer noch fest ins Paris des 18. und 19. Jahrhunderts eingebundene Bastille; MM 13. 5. 19*6 Die Pariser Bastillestürmer nebst ihren radikalen Nachfolgern in der Zeit der Schreckensherrschaft; Zeit 10. 4. 1987 Kurz nach der Erstürmung der Bastille ist er in Paris und wird neben Jefferson als Repräsentant der amerikanischen Freiheit gefeiert; Wochenpost 1. 12.1990 Das Volk von Berlin .. hat in diesem Jahr keine Bastille erstürmt, dafür aber das berühmte KaDeWe in Berlin. HK

Bastion F. (-; -en), im früheren 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bastion (< gleichbed. ital. bastione, Erweiterungsform von bastia; —» Bastei), bis Mitte des 19. Jhs. auch N. Zunächst in der Sprache der Architektur und des Militärwesens in der Bed. 'Verteidigungsanlage eines Festungsbaus, Bollwerk, Schutzwehr, Bastei'; seit frühem 20. Jh. vor allem übertragen verwendet, bes. auf Bereiche des öffentlichen bzw. politischen Lebens bezogen in Wendungen wie Bastion der Freiheit, des Friedens, häufig auch in der Verbindung die letzte Bastion gegen etwas sein, letzte Bastion der männlichen Vorherrschaft, des Imperialismus und im Pl. Bastionen politischer Macht, der Bruderliebe (s. Belege 1914, 1932, 1955, 1974, 1994). Seit späterem 18. Jh. die eventuell aus gleichbed. frz. bastionne (Part. Perf. von bastionner 'mit einem Bollwerk versehen') übernommene, zu dem Part. Perf. von nur vereinzelt belegtem bastionieren gebildete adj. Ableitung bastioniert (ohne Steigerung) 'mit einer Bastion ausgestattet', in Verbindungen wie bastionierte Türme, Befestigung; im 19. Jh. selten belegtes Bastionär- 'auf die Bastion bezogen, in der Art der Bastion', als adj. Bestimmungswort vor allem in den Zss. Bastionärbefestigung, -system. Bastion: Scheurl 1537 Briefbuch II 200 Denn ainenn bastionn oder Polwerck, so sie dohin gfurt vnd aufgesetzt habenn, zu podenn gschossenn; Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 210 dreyen starckhen pasteyen und 3 klienern bastion; Erard de Bar le Due 1604 Fortif. (Übers.) 20 die Keel dess gantzen Streich Bawes, so wir Bastion oder Pasthey nennen; Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Bastillion, Bastion Ein Bollwerck; Freitag 1631 Architectura 7 Bastion . . Bollwerck . . Ist die außgesetzte spitz des Walls/ welche fünff ecken hatt/ derer drey außgesetzt werden; Harsdörffer 1643 Ge-

sprechspiele Hl 425 die bastions der Vestungen; ühlrichs 1670 Festung 48 Bastion. Das Bollwerck; Steiner 1682 Kriegs-Bau-Kunst 21 Bastion . . ein Gegenwehr in gestalt eines Horns dem Feind entgegen gesetzt; Sturm 1737 Wahre Vauban 87 Bastions, Bollwercke, sind grosse Wercker, die an die Winckel eines Walls gebauet sind, und in vier Linien bestehen; 1748 Abhdlg. v. d. Feld-Schantzen 41 Bastion, Bollwerck, bestehet in 4 Linien, 2 Facen und 2 Flanquen; Schiller 1790—92 Gesch. Dreißig). Krieg (H. VIII 284) die Linien wurden durch Redouten und Bastionen, die Eingänge

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Bastion

durch halbe Monde beschützt; Schopenhauer 1803—04 Reisetagebücher 207 eines Bastions; Eikkemeyer 1821 Kriegsbaukunst 22 Die Winkel . . heißen Bollwerks- oder Bastionswinkel; ebd. 204 Bastionen; Heine 1835 Romant. Schule 132 Ihr Busen glich noch immer einer Festung, aber einer geschleiften; die Bastionen rasiert .. und das Herz, die Zitadelle, war gebrochen; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 231 Befestigung mit Mittelbastionen; ebd. 252 Bastionsfacen; ebd. 255 Volle Bastionen gewähren . . bequemeren Raum zu allen Geschütz- und Truppenbewegungen . . Hohle Bastionen gewähren dagegen den Vortheil, daß viele Geschosse des feindlichen Ricoschett- und Wurffeuers in den hohlen Raum des Bastions treffen; Meurer 1892 Bergsteiger 29 Felsbastionen; Cobausen 1898 Bef. 326 Fünfeckstürme und Bastione; Oncken 1914 Weltkrieg 20 ein unantastbares Zentraleuropa wird zur Bastion des Weltfriedens werden; Bülow 1916 Dtsch. Politik 218 Das Zentrum ist die stolze Bastion, die sich der katholische Teil des deutschen Volkes geschaffen hat; Werfel 1924 Verdi 329 Sie schritten durch sonnenvolle Straßen, kamen zu den parkbedeckten Bastionen des Mailänder Kastells; Schrönghamer-Heimdall 1924 Kronawitter o. S. Mit solchen Gedanken und Erwägungen baut Karl den väterlichen Misthaufen auf, als gälte es, eine Festung mit Bastionen, Schanzgräben und anderen Bollwerken gegen feindliche Überfälle zu errichten; Höhne 1928 Reportage 108 Mit dem Bau von Armeestraßen, Unterständen und Geschützbastionen ward eifrig begonnen; 1932 Geopolitik IX 268 uneinnehmbare Bastionen politischer . . Macht; Lokal-Anz. 7.5.1934 das Saarland .. als die starke Südwestbastion des Reiches; Jung 1934 Archetypen (1935 Eranos-Jahrb. II 190) Damit ist auch die Kraft der Kirche geschwunden, eine Festung, die ihrer Bastionen und Kasematten beraubt ist; Münch. N. N. 12. 3. 1938 In unser Deutschösterreich, ewigen Hort besten Deutschtums. Der künftigen machtvollen Stütze unseres Volkes als südöstliche Bastion; Lück 1941 Lebenskampf 23 Preussen, die am meisten vorgeschobene Bastion des Deutschtums; Münch. N. N. 18. 9.1942 im Sturmlauf die geistigen Bastionen zu besetzen und zu halten; M.-A. Abendztg. 8. 4. 1944 Entschieden ist Rumänien die am weitesten vorgeschobene Bastion der europäischen Kultur; Süddtsch. Ztg. 10. 2. 1949 [der Vatikan] der in Ungarn die letzte Bastion gegen den Osten zu halten wähne; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 12) daß wir irischen Mönchen .. Klöster als Bastionen des Glaubens und der Mission errichteten; Süddtsch. Ztg. 30.8. 1955 weil sie [Leistungen der Bundesrepublik zugunsten Berlins] dazu dienen, den Ländern der freien Welt eine „Bastion" zu erhalten; Jaspers

1958 Atombombe 186 „Blut, Schweiß und Tränen" entmutigten es nicht, als es unter Churchills Führung die letzte Bastion des freien Europa hielt; Caumann 1960 Museum (Übers.) 124 Alexander Dorners ganze Energie und Kraft ging aus in dem Kampf um die Erhaltung eines Refugiums und einer letzten Bastion für die tödlich bedrohte Kunst unserer Tage; Partner 1964 Erben 144 Irland war damals die letzte Bastion der antiken Kultur in Europa, ein Eiland ungebrochenen geistigen Lebens; 1966 Herrenjournal III 2 Das Theater ist die letzte Bastion gegen die sogenannten Massenmedien (DUDEN 1993); ND 12. 5. 1969 heute verfügt die Menschheit über eherne Bastionen der Bruderliebe; Girnus 1971 Literaturwiss. o. S. Mehring demonstriert, wie stark das literarische Schaffen Lessings von der Parteinahme gegen die ideellen und materiellen Bastionen des Feudalabsolutismus und für die Ideale der bürgerlichen Aufklärung geleitet ist; 1971 Zeitmagazin o. S. Seit 500 Jahren betrachtet England den Hafen- und Handelsplatz an der Elbe als seine „Festlandsbastion"; ND 24.8.1974 im ständigen Ringen um die Verteidigung des Friedens in Europa und in der Welt hat sich die DDR als eine starke und wichtige Bastion erwiesen; Zeit 10. 5. 1985 Nun triumphieren die einen, daß endlich eine anderthalb Jahrhunderte alte Bastion der Reaktion und der Elitezucht sturmreif geschossen ist; ebd. 2. 5. 1986 Heute werden oft schon im Vorfeld von Verhandlungen ideologische Bastionen errichtet, kaum konsensfähige Forderungen erhoben oder Tabukataloge aufgestellt; Stern 10. 9. 1987 Angeblich sind es 20000, die drängt, die „Männerbastion" zu stürmen; MM 14. 11. 1987 die heutigen Hochschulen seien „die letzte Bastion der männlichen Vorherrschaft"; TAZ 9. 3. 1990 Die Rede ist vom DDR-Gaststättenpersonal . ., denen nun der Preis gebührt, die standhafteste Bastion des Realsozialismus zu sein; Süddtsch. Ztg. 4. 2. 1994 Der Sport ist auf dem Weg, seine Funktion als erzieherische Bastion zu verlieren; Spiegel 25. 4. 1994 Die letzte Bastion des Imperialismus in Schwarzafrika ist fast schon geschleift. Bastionär-: Blesson 1830 Befestigungskunst II 385 Bastionair-Befestigung, wo die ein- und ausspringenden Winkel nach einer .. bestimmten Ordnung aufeinander folgen; Zastrow 1854 Gesch. best. Befestigung 351 Vauban'sche Bastionär-Befestigung; ebd. 353 Bastionärfront; ebd. 371 Bastionär-System; Schwinck 1856 Bef. 151 Das Orillon und die concaven Flanken finden sich ebenfalls schon bei den ältesten Bastionär-Befestigungen; 1871 Preuss. Jahrb. XXVH 169 sogenannten Bastionär-System; Cobausen 1898 Bef. 315 Bastionär-System. bastionieren: um 1638 Teutscher Michel 205 Was ist bloquieren, was bastionieren; um 1670 Gepflückte Fincken 227 bastioniren.

Bataille bastioniert: Deidier 1762 Ingenieur (Übers.) 45 bastionierten Thürme; Scharnhorst 1803 Denkw. IV 106 bastionirten Thürme; Eickemeyer 1821 Kriegsbaukunst 34 bastionirte Thürme; Fromm 1821 Befestigung f. d. Volkskrieg 51 Das bastionirte, auf Erdbollwerke berechnete System; Blesson 1825 Befestigungskunst l 129 bastionirte Linien; ders. 1830 Befestigungskunst 389 bastionirte Befestigung; Zastrow 1854 Gesch. best. Be-

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festigung 162 bastionierte Thürme; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 26 Noch zusammengesetztere Werke als die Sternschanzen sind die bastionirten Schanzen; ebd. 215 Dieser Umstand dürfte wohl auch als die Hauptursache anzusehen sein, warum die bastionirte Befestigung bis auf die neueste Zeit vorzugsweise im Gebrauch war; Gebauer 1932 Kulturgesch. 118 bastioniertes System. HK

Bataille F. (-; -n), im Mhd. (LEXER) entlehnt aus gleichbed. altfrz. bataille (< gleichbed. ital. bataglia < vulgärlat. '''battalia < lat. battualia 'Fechtübungen', zu battuere 'schlagen, klopfen'; —* Batterie), bis ins späte 17. Jh. auch in den Formen Batalje, Batelle, Battelent, Bataili, Battaglie, Battalia, Batallie. In der Sprache des Kriegswesens in der Bed. 'Schlacht, Kampfhandlung, Gefecht' (s. Belege 1616, 1644, 1702, 1773, 1896), seit frühem 19. Jh. seltener belegt, in Wendungen wie jmdn. in einer Bataille schlagen, eine Bataille Hefern, verlieren und in Zss. wie Seebataille, Bataillefeuer, -general; im 17. Jh. auch 'Kampf-, Schlachtordnung' (s. Belege 1607, 1621, 1628, 1633, 1677); auch übertragen verwendet (s. Belege 1716, 1985, 1993). Dazu etwa gleichzeitig die selten belegte verbale Ableitung bataillieren 'kämpfen', auch übertragen gebraucht (s. Belege 1781, 1791, 1803 — 04). Seit Ende 16. Jh. das zum gleichen Etymon gehörige, aus gleichbed. frz. bataillon (< ital. battaglione, Erweiterungsform von battaglia < lat. battualia, s. o.) entlehnte Subst. Bataillon N., anfangs auch M. (-s; -e), in der Bed. 'militärische Truppeneinheit, dritter oder vierter, aus mehreren Kompanien bestehender Teil eines Infanterieregiments', in Verbindung mit Ortsangaben wie Jenenser Bataillon und in Zss. wie Bataillonsgeschütz, -kommandant, -kommandeur, -chirurg, -musik, -stab, -meider; Grenadier-, Straf-, Marsch-, Sturm-, Flieger-, Fernmeldebataillon. Seit dem 18. Jh. gelegentlich auch als Fluch verwendet in Kombinationen wie (Stern-)Kreuz-Bataillon (s. Belege 1781, 1802, 1823, 1905). Auch übertragen gebraucht zur Bezeichnung einer größeren Anzahl von Dingen und Personen (s. Belege 1870, 1935, 1970, 1985), bes. in der Wendung ein (ganzes) Bataillon von . . .; seit Mitte 19. Jh. in der von Lassalle geprägten Zs. Arbeiterbataillon als Schlagwort der Arbeiterbewegung (s. Belege 1864, 1871, 1889, 1894, 1910, 1915, 1925). Bataille: 1362 Straßb. Chronik 66 eins ändern tages hüb sich ein bateilen von den Romern und des keisers dienern; Closener vor 1373 Straßb. Chronik 45 ein batellen (LEXER); Königshof en 1400 Chronik 329 battelent; Schneider 2. Hälfte 15. ]h. Pont. u. Sid. 97 eren, die ir in diesem bettalge erworben vnd erfochten hant (FRNHD. WB); Dilich 1607 Kriegsbuch 266 werden hinder die bataille . . gestellet (JONES); Wallhausen 1615 Kriegskunst zu Fuß 27 Der Fähndrich wirt in einer Bataili rund vmb in der Mitten eingeschlossen; ders. 1616 Kriegskunst zu Pferdt (Titel) Newe/ schöne Inventionen etlicher Batailien mit der Cavallerey ins Werck zustellen; ders. 1621 Kriegskunst Schatzkammer i 9 in Bataille vnd Schlachtordnung; Zink-

gref 1628 Apophthegmata l 293 Als mit dem Kriegswesen die frembde Wörter eingeschleifft worden, als: bataille, vor Schlachtordnung; Thurn 1633 Erklärung (Gaedeke 158) zugkordnung vnd Battaglien (JONES); 1644 Vollkommener Kapitän 114 Von bataillen vnd Feldschlachten; 1660 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 148) den Schweden in einer . . Bataille geschlagen; 1677 Schaubühne 25 in Battalia stund; Stieler 1695 Auditeur 46 an statt der Feldschlachten/ Batalien gehabt; 1702 Schauplatz 829 dass es, wo nicht zu einer formalen bataille, doch . . zu einem . . handgemenge kommen würde; Mencke 1716 Charlatanerie 95 Anm. Maul-Bataillen; Wagner 1724 Soldatenbibl. 70 See-Bataillen; Uffenbach 1728 Tagebuch 18 Bataillesstücken;

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Bataille

Montecuculi 1736 Kriegs-Nachnchten 321 HauptTreffen oder bataille; Boltz 1752 Amts-Actuarius 308 daß im Fall dem Herrn General bey dieser Bataille . . eine Lebens-Gefahr zustossen solle; Sonnenfels 1768 Porträtmaler 6 Battaglienmaler; Schummel 1773 Duell 6 Bataillen sind grosse Duells und Duells sind kleine Batailien; Lenz 1774 Hofmeister (NL LXXX 35) Ich hab' dreizehn Bataillen beygewohnt und achtzehn Blessuren bekommen und hab' den Tod vor Augen gesehen; Tekete 1780 Beytrag 25 Bataillen-Feuer; Schiller 1790-92 Gesch. Dreißig). Krieg (H. VIII 289) Dieser Not ein Ende zu machen, verließ endlich Gustav Adolf .. seine Linien, zeigte sich in voller Bataille dem Feind; Laukhard 1796 Reichsarmee 144 Daher ist es auch begreiflich, .., daß wenn eine Bataille geliefert werden sollte,.. gewiß keine zehn Gewehre bey einer Compagnie losbrennen würden; Seume 1803 Spaziergang (W. I 199) und zog mich auf mein Schlafzimmer, wo ich .. gewiß wie ein Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht von den Grenadieren durch eine förmliche Bataille geweckt worden; 1813 (Karwath 1917 Schles. Fräulein 9) dass ein jeder [Soldat] bei allen Begebenheiten, in bataille, bei Belagerung und in allen rencontres der Fahne treu bleibe; Heissell 1813 Leipzig 2 [Die Schlacht von 1813] hat . . einen Charakter, der sie weit über die gewöhnlichen Handwerksbataillen erhebt; Meist 1820 Quodlibet (III 230) Faustbataille; Wolff 1823 Cäsario (I 272) Ich hoffe, es soll nicht bis zur Bataille kommen; indessen, stellen mußt Du Dich; Chambray 1830 Veränderungen (Übers.) 8 Bataille(Hecken-)Feuer . . oder das Feuer in zwei Gliedern; Immermann 1838 Oberhof 21 Drei Tage soll die Bataille gedauert haben, darin läßt sich schon ein Stück marschieren, und so bin ich .. der Meinung, daß die Attacke in den Bergen . . vorgefallen ist; 1859 Aug. Mil.-Enc. U 462 Bataille, bedeutet Schlacht, . . wird jetzt aber seltener als früher gebraucht . . Bataillenfeuer, bedeutet Rottenfeuer; Raabe 1864 Hungerpastor 213 der Teufel der Liederlichkeit hatte ihn zu fest gepackt und gewann die Bataille; Bleibtreu 1889 Nap. l. 123 Er war . . in eminentem Grade ein Corps- und Bataillegeneral; Litiencron 1896 Poggfred (XI 43) Nun keine Störung mehr! Endlich Bataille; Alberty 1912 Regie 60 Wenn am italienischen Theater Ibsen im Bataille-Stil heruntergespielt wird; Bäumer 1933 Lebensweg 309 Der König hat eine Bataille verloren — aber das Leben geht weiter; Zeit 17. 5. 1985 Das nordrhein-westfälische Desaster wiegt schwer, . .; aber es ist bloß eine Bataille verlorengegangen, nicht schon der ganze Wende-Feldzug; ebd. 20. 9. 1985 Im sonst so betulichen Reichstag ist nicht einmal das Atmen der Abgeordneten zu vernehmen, wenn Palme am Rednerpult seine Wortbataillen ausficht; ebd.

15. 8. 1986 ein Held auch er, bewährt in der Bomben-Bataille von Celle; Spiegel 13. 9. 1993 Der Botschafter eines fremden Staates fungiert als Bindeglied in einer innenpolitischen Bataille. bataillieren: Gottfried v. Straßburg um 1210 Tristan 385 bataljen unde striten (LEXER); Bernoulli Anfang 15. Jh. Basler Chronik V 140 zugent die von Basel .. gen Rinfelden, und lagent darvor .. und schussent und patellent da vast; ders. Ende 15. Jh. Basler Chronik V 511 lagen vier wuchen zer landtwer für die Walchen, und batteleten mit eynander (beide FRNHD. WB); 1743 Reglement Preuss. Cavall. 176 batailliren; 1781 Literar. Pamphlete 145 Wir sind einmal gewitziget, dass es sich in den Wolken nicht gut batailliren lässt; Cogniaczo 1791 Geständn. IV 133 Das Wiener Publikum .. bataillirte . . in Gedanken und Worten — und schlug durch Laudon den König . . aus Schlesien; Schmidt 1798 Br. (I 117) als ob er mit Buonaparte um die Wette bataillieren wollte; Berenhorst 1798 Kriegskunst I 56 battalgierte; Schopenhauer 1803-04 Reisetagebücher 254 Wir bataillirten eine Stunde [mit dem österreichischen Polizeikomissar wegen des Passes, der angeblich ungültig war]; Hillebrand 1876 England 97 bataillirt; Goltz 1888 Paradoxen 79 Batailliren; Fontäne 1898 Zwanzig 647 wo Bürgerwehr und Volk auf dem Köpenicker Felde herumbataillierten; Hoffmann 1925 Aufzeichnungen II 84 Hätte sie rechtzeitg das Bataillieren bei Ypern eingestellt; Molo 1950 Tag 83 [Schillers Vater nannte seinen Sohn] in Verehrung des grossen Friedrich, gegen den er bataillieren musste, . . Friedrich. Bataillon: Budrym 1594 Kriegsregiment 71 [legio] heißt so viel in jhrer Sprach als bey vns Bataillon (JONES); Wallhausen 1616 Kriegsmanual 163 Wann der bataillon seine conuersion macht; Freitag 1631 Archtitectura 128 alsdann schickt er den Bataillon und die Retroguardi in gebührlicher distantz und Ordnung hernach; Tilemann 1691 Werbung 18 In Batalionen Deren iede in 2. 3. und mehr Compagnien bestehet; Elis. Charl. 1695 Br. I 38 Der marechal de Villeroy .. hatt ihm 4 batallionen geschlagen; Gruber 1697 Kriegs-Disciplin I 24 Das Wort bataillon .. bedeutet den halben, dritten oder vierdten Theil eines Regiments zu Fusse; Goulon 1709 Belagerung (Übers.) 77 eine Breche legen ../ die für eine gantze Bataillon en front hinauf zu steigen weit genug ist; Fleming 1726 Soldat 114 und bestehet eine Batallion mehrentheils aus 4. Compagnien; Montecuculi 1736 Kriegs-Nachnchten 4 Aus den Regimentern zu Fuß werden Bataillons gemacht, welches gewisse Hauffen sind, die in vielen Linien neben und hinter einander stehen; Seegebart 1741 Tagebuch 18 Das 2te Bataillon uns-

Bataille res Regiments ist zur Ersteigung des Walles mit gebraucht worden; Tekete 1780 Beytrag 22 Freybataillons; Schiller 1781 Räuber (H. l 401) SternKreuz-Bataillon!; Reichardt 1782 Musikal. Kunstmagazin 172 Das erbauliche Lied, welches das preussische Heer auf dem Wege, zum Angriff bey Lissa, sang, war zehen Heldengedichte und auch eben so viele Bataillione werth; Schiller 1790—92 Gesch. Dreißig/. Krieg (H. VIII 309) Die dicht geschlossenen schwedischen Bataillons werden unter einem mörderischen Gefechte über die Gräben zurückgetrieben; Laukhardt 1796 Reichsarmee 138 Bataillons-Geschütz; ebd. 141 Sie . . sind . . so elend angelegt, daß jede, ohne großen Verlust, mit einem einzigen Bataillon weggenommen werden kann; Berenhorst 1798 Kriegskunst II 237 Richtungsbattallion; ebd. 303 Battaillonscommandanten; Laukhard 1802 Leben u. Schicksale V 178 „Kreuz Bataillon", schrie der Husar; Seume 1813 Leben (W. I SO) meine ganze Aufmerksamkeit auf die Behandlung und Bewegung des Geschützes und den Marsch, vorzüglich der Grenadierbataillone, zu richten; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. U 27) bataillonsweise; Wolff 1823 Cäsario (I 301) Kreuz Bataillon! wenn ich's zufrieden bin, kann Er's doch wohl auch seyn, denk'ich; Goethe 1825 Br. (WA IV 39,148) Der hiesige BataillonsChirurgus Ernst . . geht . . nach Wien, um sich daselbst in Behandlung der Zähne zu vervollkommnen; Nestroy 1835 Geist 20 ich könnt' euch meine Amouren bataillonweis aufmarschieren lassen; La Röche 1840 Taktik II 305 war die französische Infanterie in Halbbrigaden eingetheilt, von denen jede aus 3 Bataillonen bestand; 1857 Träumereien 184 Dagegen ist das „Bataillon" unzweifelhaft französischen Ursprungs, denn das deutsche Fußvolk theilte seine Regimenter immer noch ausschließlich in Compagnien ab, nachdem das französische bereits in Bataillone zertheilt war; 1861 Allg. Mil.-Enc. IV 8 Lehrbataillon; Lassalle 1864 (HI 239) Schon höre ich in der Ferne den dumpfen Massenschritt der Arbeiterbataillone (LADENDORF); Treitschke 1866 Jahre 76 Auch diesmal wird die Selbstsucht kleiner Höfe deutsche Bataillone in das Lager unserer Feinde führen; Basson 1867 Eisenbahnen 71 Eisenbahn-Bataillons; Rindfleisch 1870 feldbr. 115 das Hühnerbataillon jagt in wilder Flucht auseinander; 1871 Vier Monate vor Paris 62 Arbeiterbataillon; Treitschke 1874 Zehn Jahre 460 Hungerbataillone des deutschen Reichs (LADENDORF); Hartmann 1885 Erlebtes 185 Die Truppen lagerten gefechts-, die Kanonen standen schußbereit. Es waren 32 Bataillone, 24 Schwadronen, 120 Geschütze; Bismarck 1889 Polit. Reden Xll 626 diese Stärke . . zur Herstellung des „Massentritts der Arbeiterbataillone" (LADENDORF); Lange 1894 Arbeiterfrage 197 „Mas-

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senschritt der Arbeiterbataillone", welches Lassalle im Geiste hört; Goltz 1888 Paradoxen 12 Bataillons-Kommandeure; Horix 1895 Erl. 83 daß die Bataillonsmusik monatelang stets ein und denselben Marsch zu spielen pflegte; ebd. 151 er machte das . . bataillonsweise ab; Vonderhalle 1895 Frz. Soldatenleben 8 Als meine Übung in den Waffen beendet, und ich, wie man sagte, „ins Bataillon aufgenommen" war; Liliencron 1903 Bunte Beute (X 86) Trauerbataillone; Barsch 1905 Von einem, der auszog I 382 Schock-Krauttonnen-Bataillon; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. IX 29) die Militärpflicht hat jeden schießen gelehrt und die wüste Masse zu Arbeiterbataillonen organisiert; Grabein 1911 Hans 57 Bredereck, . . ein junger Offizier vom Jenenser Bataillon; Goldmann 1915 Militär. 36 der harte Tritt der Arbeiterbataillone; Transfeldt 1917 Militär. Allerlei 50 Gott ist immer mit den stärksten Bataillonen; Dombrowski 1925 System IV 103 Arbeiterbataillone; Harden 1927 Versailles 269 Hilfe des lieben Herrgottes . ., der immer zu den stärksten Bataillonen hält; Transfeldt 1927 Militär. Allerlei 126 Bataillonstambours; Wallenborn 1929 Westfront 64 Bataillonsstab; Döblin 1929 Alexanderplatz 262 Da marschiert Franz Biberkopf durch die Straßen, mit festem Schritt . . links rechts, links rechts. Trommelgerassel und Bataillone; Mimra 1930 Batterie 19 Marschbataillon; Berl. Illustr. Nachtausg. 24.5. 1933 Auch das Sturmbataillon Heinz Hauenstein .. muß sich zerstreuen; ebd. 21. 3. 1934 Neue, junge Bataillone der Arbeit gehen in die Kampfstellungen; Döblin 1935 Pardon 74 Vor den Wurstreihen, den Bataillonen von Schinken kamen die Erinnerungen an ihren Kuhstall, die brüllenden Rinder; Münch. N. N. 13. 8. 1942 sogenannte Auffangbataillone . ., die rücksichtslos in die eigenen zurückgehenden Reihen hineinschiessen; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. Xll 459 Fünf Stunden bin ich trotz Schlamm und Feuer bei Mondlicht sämtliche Trichterlinien des Bataillons abgegangen; Süddtsch. Ztg. 30. 9. 1950 deutsche Söldnerbataillone für die Verteidigung des Westens; ND 17.1. 1959 Ihm zu Ehren erhielt ein Bataillon der Interbrigaden, die in Spanien gegen den Faschismus kämpften, den Namen „Edgar Andre"; Welt 13. 6. 1959 Die drei Rekruten gehörten zum 2. Fliegerausbildungsbataillon; Grass 1962 Blechtrommel 24 Rühmlich hervorgatan hatte sich der Wranka, war dem Kronprinzen als Bataillonsmelder beim Manöver angenehm aufgefallen; Partner 1964 Erben 376 Karl vertrat nicht nur die stärkeren Bataillone, sondern auch die höhere Kultur; FAZ 29. 12. 1965 Ein koreanisches Bataillon wurde von den Aufständischen in ein Gefecht verwickelt; ebd. 7. 1. 1970 Die Zukunft wird zeigen, .. ob Mende die stärkeren Bataillone hinter sich zu sammeln

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Batist

vermag; Andersch 1971 Kirschen 92 Von einem Melder des Bataillons . . erfuhren wir, daß die Schwadron sich in Monte Romano . . sammelte; 1971 — 72 Weißbuch o. S. Die freigewordenen motorisierten Grenadierbataillone bilden den Grundstock für drei von sechs geplanten Heimatschutzkommandos; Zeit 30. 8. 1985 Steel hat die stärkeren Stimmbataillone hinter sich; ebd. 4. 10. 1985 Ich könnte diesem Bataillon von Worten noch einige hinzufügen; ebd. 27. 12. 1985 Sie war bei der Organisation Todt — Hitlers Baubataillonen — als Sekretärin; ebd. im Krieg in das berüchtigte Straf-

bataillon 999 gesteckt, das für die meisten ein Todeskommando war; Stern 10. 9. 1987 all die künftigen Truppenbefehlshaberinnen, Generalinspekteurinnen, Bataillonskommandeurinnen und Kompaniechefinnen; ebd. 17. 9. 1987 als Hitler im Februar 1945 .. die Aufstellung eines ersten Frauenbataillons befahl; MM 7. 1.1988 Erst um 18 Uhr mußten sie am Einberufungstag bei ihrer Ausbildungseinheit, dem Mannheimer Fernmeldebataillon 970, sein; TAZ 23. 2. 1990 Im Sommer wird das ansässige Baubataillon aufgelöst; Spiegel 25. 4. 1994 gelegentlich waren Polizeikräfte sogar in Bataillonsstärke eingesetzt. HK

Batist M. (-(e)s; -e), Mitte des 18. Jhs. entlehnt aus gleichbed. frz. batiste, ungeklärter Herkunft (eventuell nach dem Namen des flandrischen Leinewebers Ba(p)tiste aus Cambrai (13. Jh.), oder aber abgeleitet von frz. battre 'schlagen, (Stoff) walken'; —> Batterie), früher auch in der Schreibung Battist. In der Bed. 'feiner, dichter Leinenstoff, durchscheinende, zarte Leinwand' (s. Belege 1769, 1809, 1820, 1933-43), als Bestimmungswort in Zss. wie Batisthemd, -taschentuch, -mousselin, -tuch/-tüchlein, -bluse. Dazu seit Ende 18. Jh. die adj. Ableitung batisten (ohne Steigerung) 'aus Batist'. Batist: Ramler 1746 (Briefw. Gleim-Ramler l 51) Haben sie gestern oder ehegestern den Battist bekommen?; Halle 1761 Werkstäte d. Künste l 401 Der Battist ist ein leinenes sehr dicht gewebtes und feines Gewebe von französischem Flachse; Hafner 1763 Ges. W. U 106 Mein sonst so starkes gesundes Gesicht wurde so zart und fein, wie ein Patist; Schiller 1769 Ökonom. Beytr. l 488 Aber warum fehlt es nicht an Gelde, wenn man seine ausländische Zitzen, Mousseline, Batist, Spitzen . . und dergleichen, kauffen will?; Hermes 1778 Sophiens Reise V 409 könne auch diese Leinwand des Reichen, weil sie köstlich hiesse, wol der berühmte Asbest seyn, ein Art Batist, die aus Stein gewirkt, und also unverbrennlich wäre; 1795 Journal d. Moden X 419 Der Battist ist ein uraltes FabrikProdukt der Niederlande. Der allgemeinen Meinung nach, bekam es seine Benennung, von einer verdorbenen Aussprache des Taufnahmens, Baptiste, des ersten Verfertigers dieser dichten und feinen Leinwand; 1800 ebd. XV 45 Batisthemde; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA l 20,163) Musselin, Battist, Seide, Schawls und Spitzen wetteiferten an Feinheit, Zierlichkeit und Kostbarkeit; Clauren 1816 Mimili 32 Batist-Hemdchen; Goethe 1820 Entoptische Farben (WA II 5.1,273) Weißer Batist, vor ein besonntes Fenster gezogen, gibt zwar mit dem einfachen Apparat keine Erscheinung; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. II 145) Battist-Taschentücher; Poppe 1837 Technolog. Universalhandb. I 82 Batistmousselin,

die feinste und zugleich dichteste Sorte von Mousselin; 1842 Brockhaus II 104 f. Der indische Batist . . ist der vorzüglichste . . In neuerer Zeit fertigt man auch baumwollenen Batist, der sich den feinsten Mousselinen anschließt; Höfken 1846 Englands Zustände II 96 noch vor zehn Jahren seien drei Viertel der Linnenbatiste auß Frankreich . . eingeführt worden; Müller 1859 Stadtschultheiss 67 Batisttaschentücher; Wickede 1878 Leutnant 127 der, ein über das andere Mal verstohlen in ihr feines Batisttaschentuch mit der großen freiherrlichen Krone, gähnenden Landräthin; 1882 Brockhaus II 557 Man unterscheidet klaren, halbklaren und dichten (holländischen) Batist; eine verwandte Art ist die sog. Batistleinwand; Eckstein 1895 Hartwig 69 [Sie] führte das feine Batisttaschentuch an die Lippen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 216) Sie schluchzte in ihr Batisttüchlein, das mit Spitzen besetzt war und das Monogramm Ag trug; Wassermann 1910 Masken 173 Battistlinon; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 127) Beim Auskleiden sang er vor sich hin . . und zog das lange Batisthemd an, das auf der Brusttasche mit den Buchstaben HC bestickt war; Anet 1925 Ariane 13 Batistbluse; Hinze 1927 Arbeiterfrage o. S. Battistfabrikation; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. 7V/V 783) Dienerinnen, deren Weibesgestalt nach Landesbrauch klar und anschaulich durch den überfeinen Batist ihrer Gewandung schien; Kesten 1952 Casanova 134 Casanova kaufte . . Batist für Taschentücher; Kaus 1956 Teufel 20 Zwar trug sie

Batterie über dem schwarzen Gewand ein zierliches Batistschürzchen und ein Häubchen von Batist über dem Scheitel. batisten: Lichtenberg 1798 Hogarth IV 266 daß Herr Silbermund so eben das Zeitliche mit dem Ewigen, und das batistene Justizkrägelchen mit dem hänfenen verwechselt habe; Varnhagen v. Ense 1814 Buch d. Andenkens // 198 Dicke Schnupftücher habe ich mir kaufen müssen, die paar battistenen konnten in der Krankheit nicht dienen; Immermann 1838-39 W. H 65 Streife das rothe Collet und die weissen battistenen Höschen vom Leibe Dir ab; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVIII 236 Als er einige Zeit gegangen, holte er Ferdinand ein, dessen weiter seidener Mantel sowie der Saum des batistenen langen Rockes sich unab-

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lässig in den Sträuchern und Dornen verwickelten und zerrissen; Viebig 1904 D. schlafende Heer 196 Stasia saß auf dem Schemel beim Küchenherd, holte nun ihr Schnupftuch hervor — ein battistenes der Herrin; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 33) bedient von dem alten Fiete . ., der . . eine ebensolche batistene Halsbinde trug wie der Hausherr selbst; Musil 1930 Mann 917 Ulrich lächelte unbeholfen, als Agathe, mit dem Licht des Vorraums hinter sich, in der geöffneten Tür wie eine von battistenem Rauch leicht umhüllte Silberstatue anzusehen war; Th. Mann 1939 Lotte (W. U 711) das weißbatistene Halstuch gekreuzt und mit einer Amethystnadel zusammengesteckt; ders. 1954 Krull (W. Vll 440) Meine Reisende lag dort . . in einem batistenen Nachtgewande; Schneider 1973 Nekrolog 109 die Muster batistener Tisch- und Bettwäsche. HK

Batterie F. (-; -n), im frühen 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. batterie (< mittel-/ altfrz. baterie 'Geschützeinheit, Festungswerk, schlagende Kriegsschar; Gefecht, das Schlagen', zu altfrz. batre 'schlagen', über vulgärlat. *battere zurückgehend auf gleichbed. lat. battuere\ —» Bataille), zunächst auch in den Schreibformen Bat(t)erey, Bat(t)ery(e), Batteria, Patarey. la Zunächst im militärischen Bereich in der Bed. 'aus mehreren Geschützen bestehende Artillerieeinheit', auch für die aufgestellten Geschütze selbst, insbes. 'Reihe von Geschützen für ein Gefecht; Geschützreihe' sowie für die das Geschütz bedienenden Personen bzw. Truppen (s. Belege 1607, 1793, 1855, 1921, 1954-55), als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Feld-, Festungs-, Belagerungs-, Angriffs-, Laufgraben-, Kanonen-, Kontrebatterie; Batteriegeschütz, -magazin, -kommandant, -chef, auch bildlich gebraucht, bes. in der Wendung die Batterien spielen lassen (s. Belege 1774, 1794, 1834); in Bezug auf Schiffe auch für 'sämtliche auf dem Deck auf beiden Seiten eines Schiffes aufgestellte Kanonen, Kanonenreihe', vor allem in der festen Verbindung schwimmende Batterien (s. Belege 1528, 1783, 1809, 1817) und in Zss. wie Schiffs-, Bresche-, Divisionsbatterie. b Von Anfang 17. bis ins 19. Jh. auch für 'aufgeschütteter Erdhügel, Wall, auf dem das Geschütz aufgestellt wird, Geschützstand, -Stellung', vgl. die Wendung Batterien aufwerfen. c Im 18. Jh. selten auch für 'Deckel der Zündpfanne an einer Pistole'. 2 Seit Ende des 18. Jhs. unter Einfluß von (ebenfalls auf mittel-/altfrz. baterie zurückgehendem) gleichbed. engl. battery in der heute vorherrschenden Bed. 'aus mehreren gleichartigen (parallel oder hintereinander geschalteten) Elementen bestehender Stromspeicher; elektrische Stromquelle', gelegentlich auch übertragen auf die Energie des menschlichen Körpers (s. Belege 1969, 1985); zunächst in der Verbindung galvanische Batterie, heute vor allem in Wendungen wie von Batterien betrieben, die Batterie ist verbraucht, läuft aus, die Batterie (auf-)laden, auch übertragen; eine aufladbare, leere, verbrauchte, volle, neue, alte Batterie und in subst. und adj. Zss. wie Batterieempfänger, -betrieb, batteriebetrieben, -gespeist; Trocken-, Misch-, Autobatterie; gelegentlich auch in technischen Bereichen für 'Gruppe von gleicharti-

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Batterie

gen Geräten, die zusammengeschaltet werden, um die Leistung zu steigern', z. B. eine Batterie von Koksöfen und Zss. wie Koksofen-, Dampfkesselbatterie (s. Belege 1941, 1986, 1987). 3 Seit früherem 19. Jh. unter Einwirkung von la und 2 auch übertragen verwendet im Sinn von 'größere Anzahl, Vielzahl (von etwas Gleichartigem)', bezogen auf Abstrakta und bes. Konkreta, häufig in Verbindungen wie eine Batterie von Flaschen, Gläsern (s. Belege 1834, 1847, 1893, 1915, 1928), auch allgemeiner (s. Belege 1909, 1954); in neuerer Zeit speziell für 'Anlage zur massenhaften Haltung von Legehennen', bes. in den Zss. Käfig-, Legebatterie; Batteriehaltung (s. Belege 1971, 1976, 1985, 1986, 1990). Batterie la: 1528 (Weller 1872 Zeitungen 76) schwimmende Batterien; Lorini 1607 V. Vestung Bauwen (Übers.) 18 in die Batteria; Dilich 1608 Kriegsbuch 261 das fueß volck des lincken fluegels sampt seiner baterye vnd reuterey; Billon 1613 Kriegskunst (Übers.) 90 Es solle die Battereyen offt besehen/ vnnd betrachten/ wie mann dahin kommen könne/ daselbst beuestigen/ vnd die gewonliche Mittel in diesem Fahl an die handt nemmen; Mallinger 1613 — 60 Tagebücher (Mone, QuSamml. 597) Die Patarey continuiert, da man Vor- und Nachmittag starck auf einander geschossen; Wallhausen 1616 Kriegsmanual 5 wie man ein Fortification anstellen/ angreiffen vnnd defendiren/ die Trenchen leiten/ Batterien auffrichten . . soll; Freitag 1631 Architectura 154 Feld-Batterien; Furttenbach 1635 Architect, univ. 5 er machete dann zuvor auff den Fluß ein Batteria; Bürster 1647 Schwed. Krieg 75 unser constabel aus allen disseitigen batterien tapfer antwurt geben; Schreiber 1666 Büchsen-Meisterey 19b Feld- und BatteryStücken; Böckler 1672 Man. arch. tntl. II 222 Feld Batteryen; Mieth 1683 Geschütz-Beschr. IV 2 Die Schlangen Geschlechter erfodern wegen ihrer Länge der Lavetten grosse Batterien; Wagner 1724 Soldatenbibl. 129 Alles Geschütze sind entweder Batterie- oder Feld-Stücke; Lenz 1774 Hofmeister (NL LXXX o. S.) wenn man gegen ein Herz, das sich nicht verteidigen will, noch verteidigen kann, alle möglichen Batterieen spielen läßt, um es . . zu zerstören, einzuäschern, das ist unrecht; 1783 Berlin. Monatsschr. I 113 Der Erfinder und Erbauer der schwimmenden Batterien; Bürger 1786 Münchhausen 92 ließ ich sogleich einen Achtundvierzigpfünder von der nächsten Batterie bringen und richtete ihn . . so genau, daß ich meines Zieles vollkommen gewiß war; Schiller 1790—92 Gesch. Dreißig/. Krieg (H. VIII 289) Gustav Adolf . . ließ von drei Batterien . . das Friedländische Lager beschießen; Archenholz 1791 Gesch. d. 7jähr. Krieges 258 Eine ungeheure Batterie mit 45 Haubitzen besetzt, war fertig; Goethe 1793 Br. (WA IV 10,82) daß die Sprache der Batterien noch einsilbiger ist als die deutsche Sprache; Cogniaczo 1794 Ge-

ständn. 404 hätte die Wirkung unsrer Batterien, die mit mehrerem und schwerem Geschütze als die feindlichen besetzt waren, dem Lärm entsprochen; Job. G. Müller 1794 Briefw. 49 ihre Batterien spielen liess; Schiller 1800 W. P. (H. XV 62) Erwartet ich doch schon von nichts als Märschen/ Und Batterien zu hören und Attacken; Seume 1806 Sommer (W. l 704) Einzelne Kauffahrteifahrer können freilich gezwungen werden zu halten; aber auch mehr durch die Wachschiffe von der Flotte, als durch die Batterien vom Lande; Rouvroy 1809 Batteriebau 45 Batteriemagazine; ebd. 132 schwimmenden Batterien; Aster 1812 Angriff l 138 Batterie nennt man überhaupt jede Anzahl Geschütze, welche gemeinschaftlich gegen einen Gegenstand agieren sollen. In so fern man das Geschütz nicht durch Brustwehren deckt, heißen diese Batterien überhaupt Feld-Batterien; ebd. 256 Küsten-Batterien . . welche theils mit Mauerwerk, theils auch mit Faschinen etc. verkleidet werden; Hoyer 1817 Kriegsbaukunst III 114 Schwimmende Batterieen . . werden in, durch Ueberschwemmungen oder große Landseen gedeckten, Festungen für 2 bis höchstens 3 Kanonen auf Holzflößen oder sehr flachen Fahrzeugen erbauet; Aster 1819 Festungskr. 117 Alle Batterie-Commandanten haben die Munizion-Bedarfs-Anzeigen frühzeitig einzureichen; ebd. 193 die . . Festung-Batterie-Arbeiten; Amalie n. Sachsen nach 1834 Landwirth (III 27) Als mittelloser Landjunker liess ich alle Batterien meiner Liebenswürdigkeit gegen die Familie spielen; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris I 132 in der .. Sitzung werden .. alle Vorschläge der Rechten zurückgenommen, um wenigstens die neuen Batterien der Linken zu entwaffnen; Kossak 1855 Stereoskopen 76 Der Umstand, daß Niemand von der Bedienung zu Fuß war, verlieh der Artillerie einen .. eleganten Anstrich, der seinen Gipfel erreichte, wenn die halben Batterien mit größter Präcision abschwenkten und im Galopp in der Tiefe des Marsfeldes verschwanden; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 49 alles das hatte nicht dazu beigetragen, die Stimmung des Kompagniechefs zu verbessern, zumal bei den übrigen Batterieen und Kompagnieen die Kasernen-

Batterie parade zur Zufriedenheit der Exzellenz ausgefallen war; 1864 Preuß. Expedition l 245 die Maschine . . ragt in das Zwischendeck hinein und der Maschinenraum ist oben offen, so daß man aus der Batterie hineinsehen kann (KLUGE, Seemannssprache); Hartmann 1866 Erlebnisse 95 mußten doch noch Jahre vergehen, bis ich es nur zum Batterie-Chef brachte; ebd. 271 Es wurde jetzt auch die schwere Artillerie in Batterien eingetheilt, die von nun an als taktische Einheiten betrachtet und gebraucht werden sollten; Hartmann 1885 Erlebtes 149 Als ich hinkam, war das Gefecht bereits zum Stehen gebracht . . Eine unserer Feld-Batterien warf die anstürmenden Franzosen zurück, erlitt aber . . recht große Verluste; Werner 1898 Buch v. d. ätsch. Flotte 417 An einem schönen Mittwoch oder Sonnabend nachmittag, an denen die Leute frei haben und in der Batterie sitzen (KLUGE, Seemannssprache); Tb. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 142) Nach einer solchen Schilderung war der junge Graf Tolstoi ein herrlicher Kamerad, die Seele seiner Batterie; Kirst 1954-5508/15738 Sie sind doch von der Batterie meines Sohnes (DUDEN 1993); Johnson 1961 Buch 330 Zwischen gesprengten Bunkern und Batterieständen läuft das unversehrte Betonband auf der Landzunge umher; Grass 3962 Blechtrommel 305 Sie . . stahlen Waffen, Munition und Benzin . . aus den Flakbatterien; Welt 28. 5. 1969 die jordanischen Batterien feuern täglich über die Grenze, oft sechs- bis achtmal; Zeit 15. 2. 1985 dort gibt es riesige Kavernen mit Batterieständen, Kasematten, Quartieren für ganze Regimenter; ebd. 18. 4. 1986 die Amerikaner . . zerstörten eine Raketenbatterie; ebd. Nachrichten . . besagten, daß die amerikanische Luftwaffe . . eine Küstenbatterie . . zerbombt hat; Stern 17. 9. 1987 Vor einem Jahr . . hat sie das Kommando über die Polizeiabteilung der Batterie übernommen. Batterie Ib: Dilich 1608 Kriegsbuch 98 eine Stadt zum beschiessen abmessen, Baterey machen; Lorini 1616 Fortification (Übers.) 58 Wie ein Artilerirer beydes sein Geschütz vnd sich selbst in der Batteria bedecken vnd verwahren sol; 1634 Überlinger Belagerung 6 Schantzen vnd Battereyen; Cellarius 1645 Arch. mil. 5 Battereyen . . Seind auffgeworffene Höhen von Erden, auff welche man die Stücke pflanzet, vmb die gefortificirte Wercke von denselben zubeschiessen; Bürster 1647 Schwed. Krieg 68 dan die Schwedische an den newen laufgräben schanzen und batterien zue st. Catharina .. stark fort gewerket; Lavater 1659 Kriegsbüchlein la Batterey . . sein Höhenen von Erden auffgeschüttet, auff welche man Stück stellet, den Feind darmit zu beschädigen; Krämer 1681 Leben d. Seehelden 220 ein hohes Werck, so .. wir . . Batterie nennen;

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Wagner 1724 Soldatenbibl. 300 sie müssen den Ort bezeichnen/ wo die Redouten und Batterien müssen aufgeworffen werden; Sturm 1737 Wahre Vauban 87 Batterie, die Lage, ist ein von Erden aufgeworffener und mit einer Brustwehr versehener Hauffe . . auf welchen man die Stücke pflanzet; Lichtenberg 1765 ff. Sudelbücher 218 Pfui, sich über solche Kleinigkeiten aufhalten, das heißt Batterien aufwerfen um Bachstelzen zu schießen; Pirscher 1767 Kriegs-Baukunst 2 Batterie oder Stückbettung; Senkenberg 1798 Gedanken 33 eine Batterie . . ist eine Erhöhung, die man macht, um bequemer davon schiessen zu können; Seume 1803 Spaziergang (W. I 237) Auch am Ende des Markusplatzes . . haben die Österreicher sechs Kanonen stehen, und gegenüber auf Sankt George hatten schon die Franzosen eine Batterie angelegt, welche die Kaiserlichen natürlich unterhalten und erweitern; Hoyer 1815 Kriegsbaukunst I 71 Die Belagerungsbatterieen sind . . entweder Erste, die vor Eroberung des bedeckten Weges erbauet werden, und Zweite, die man in den bedeckten Weg, oder vielmehr in das Logement auf dem Kamme des Glacis legt; Keller 1856 Seldwyla (S. W. VII 298) als sie hinter dem Städtlein hinaus die Berge hinanfuhren, war es fast wie ein Artilleriewesen, das da hinauffuhrwerkte, um oben eine Batterie zu besetzen. Batterie Ic: Trenck 1745 Leben 64 Er aber ergriff die gespannt gehabte Pistole, und wollte sie mir in den Leib losdrücken, ich kam ihm aber mit der rechten Hand just zwischen den Stein und die Batterie, daß ich mich stark zerschnitte; Heppe 1779 Jäger 286 Pfanne, oder Batterie. Batterie 2: Lichtenberg 1797 Aphorismen V 57 Wenn wircklich die Bundes Lade ein Leidner Kasten oder eine elecktrische Batterie war, bey der Einrichtung, so [ist] die Sache wircklich ein Wunder; Goethe 1800 Er. (WA IV 15,136) Du hast ja schon wohl von der Galvanischen Batterie welche Volta veranlaßt, vernommen; Hillebrand 1818 Einheit 7 Batterien; Goethe 1824 Br. (WA IV 39,288) Kann ich doch, sobald ich eine tüchtige Voltaische Batterie zusammenstelle, in meiner Stube Gold verbrennen; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti III 166 Batterie-Flaschen; Berl. lllustr. Nachtausg. 19.8. 1933 Die weit vorausschauenden Organisatoren des Volksempfängers haben dieses Gerät auch für Batterieempfang entwickeln lassen; ebd. 26.8.1933 Die Firma .. lud ihre Händlerschaft und die Presse zu einem Besuch der Batteriefabrik .. ein; Lokal-Anz. 19. 8. 1934 Der Apparat mit unabhängigen Stromquellen, also der Batterie-Empfänger; Münch. N. N. 30. 9. 1941 Um ihn [einen Hochofen] zu beschicken, wird gegenwärtig eine

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Batterie

neue Batterie von weiteren 60 Koksöfen angelegt; ebd. 3.14. 10.1942 Neuregelung des Batterieverkaufs. Durch eine gemeinsame Anweisung . . i s t . . der Vetrieb von Trockenbatterien für Beleuchtungszwecke .. geregelt worden; Welt 2. 6.1954 Während Maurice Haynes an einer elektrischen Batterie arbeitete, erhielt er einen Schlag und brach bewußtlos zusammen; ebd. 22. 7. 2954 eine „Sonnenbatterie", die aus Lichtstrahlen elektrischen Strom erzeugt; Frisch 1957 Homo faber 208 Während der Regengüsse sitzen wir in der Baracke sozusagen wie in einer Arche Noah, ohne Licht, weil die Batterie . . längst verbraucht ist; Grzimek 1959 Serengeti 191 Könnte man nicht einzelnen Tieren kleine Sender mit Batterien umhängen, die man dann anpeilt?; Welt 28. 5. 1959 Der Kaffee in Portugal schmeckt wie Batteriesäure; ebd. 30. 11. 1959 Französische Behörden haben . . 203 Kisten mit Trockenbatterien . . beschlagnahmt; ebd. 2. 6. 1964 Bitten Sie ihn, auch zu prüfen, ob alles am Auto in Ordnung ist: Ölstand, Kühlwasser, Batterie, Reifenzustand und Zündkerzen; Offenburger Tagebl. 26. 8. 1964 Batterie-Dienst; Welt 4. 2. 1966 Alle drei bis fünf Jahre ist die Batterie erschöpft und muß . . ausgewechselt werden; 1969 Durch d. schöne Welt o. S. so nutzte er die Zeit, um in der kleinen Sommerfrische Röthenbach im Allgäu die Batterie für ein paar Tage aufzuladen; 1971 VDI-Nachrichten XXXVI 5 einem batteriebetriebenen Hand-Diktiergerät; MM 15. 3. 1985 Von sofort an sollen gebrauchte Batterien aus Quecksilber und Kadmium nicht mehr weggeworfen sondern gesammelt und fachmännisch vernichtet werden; Zeit 5. 4. 1985 In letzter Zeit hab ich das Gefühl, als würde ich allmählich auslaufen wie eine Batterie, die täglich verbraucht, aber nicht wieder aufgeladen wird; MM 26. i. 29S6 die Wissenschaftler [benutzten] zur Zündung der künstlichen „Sonne" eine Batterie von Laser-Kanonen; ebd. 12.2. 1986 das gesonderte Sammeln von Glas, Altbatterien und Altpapier . . gehöre dazu; ebd. 8. 4. 1986 Elektroden für wiederaufladbare Batterien; Zeit 19. 9. 1986 Anderthalb Dutzend Lautsprecherbatterien schleuderten gewaltige Klangmassen . . über den Fluß; MM 22. 2. 2987 der Problemmüll — von Abbeizmitteln über verbrauchte Batterien und nicht verbrauchte Medikamente bis zu WC-Reinigern; Stern 15. 10. 1987 Geladen werden die Batterien innerhalb von zwei Stunden; ebd. 22. 10. 1987 An der Koksofenbatterie der Hamburger Gaswerke; MM 25. 4. 1988 Die für die Energieversorgung von fliegenden Raumschiffen eingesetzten Brennstoffzellen lassen nach Art von Batterien Wasserstoff und Sauerstoff elektro-chemisch miteinander reagieren; ebd. 14.5. 1988 Diese .. Pumpe soll von Batterien angetrieben werden; Spiegel 20. 6. 1994 Eine alte Autobat-

terie spendet elektrisches Licht; ebd. 9. 1. 1995 Batteriebetriebene Aggregate versorgten sie mit Atemluft. Batterie 3: Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti IV 264 Wie bin ich hierher gekommen, in dieß kleine, elende Zimmer? Himmel! welche Batterie von Medicin-Flaschen sehe ich hier stehen!; Hackländer 1847 W. VI 96 Neben sich hatte er eine ganze Batterie mit Flaschen; Heine 1855 Memoiren VII 486 eine Batterie von Weinflaschen . . zu erstürmen; Wiehert 1889 Grafenkind 164 Eine recht stattliche Batterie von Flaschen nahm die Mitte [des Tisches] ein; Fliess 1893 Miasmen 40 Die Batterie von leeren Flaschen; Gilly 1896 Fesseln I 8 mit einer ganzen Batterie Bierseidel; Keller 1902 Waldwinter 337 Gerstenberger . . stieg .. in den Keller hinab und schleppte eine solche Masse Weinflaschen herauf, daß mich ein Grausen überkam, als ich diese Batterie auffahren sah; 2909 Hess. Bl. f. VK Vlll 64 dass. . die Beschuldigung der Unwissenheit mit einer ganzen Batterie von Beweisen begleitet werde; Reck 1909 Grossmutter 101 Das Zimmer war heiß und voll Rauch, Teller mit Aschenresten, eine Batterie Gläser und Flaschen, zerknüllte Servietten bedeckten den Tisch; Schüler 1915 Du ahnst 85 die Geranientöpfe verschwanden von den Küchenfenstern, und die Flaschenbatterien, die an ihre Stelle traten, gaben uns das beruhigende Bewußtsein, daß Herr Mengebier wieder seines Amtes waltete; Heyck 1928 Aussenseiter 42 Drinnen auf dem Tisch zielt eine Weinflaschenbatterie . . zur Decke hinauf; ND 7. 5. 1954 den . . Schwimmunterricht intensiv zu pflegen, mit dem eindeutigen Ziel, eine Batterie von Freischwimmern zu schaffen; Offenburger Tagebl. 29. 4. 1971 Im übrigen stammt das in „Batterien" .. gegebene Futter auch von der Natur; Spiegel 29. 22. 2976 Bonn finanziert einen umstrittenen Großversuch mit neuen Käfig-Batterien; Zeit 25. 1.1985 Würde die Batteriehaltung auch hierzulande verboten . . hätte das Verbot nur die Folge, daß die deutschen Hühnerhalter ihre Ställe schließen müßten . . die Hühner, die für Deutschland legten, täten es dann in den Käfigbatterien des Auslands; MM 20.8. 1985 Auch bei uns dürfen .. bis maximal sechs Tage bebrütete Eier aus großen Brütereien, die Hühnerbatterien und Hähnchenmästereien mit Küken beliefern, in Flüssig-Ei verarbeitet werden; Zeit 13. 12. 1985 Sehr geehrter Herr Wallraff, man munkelt, Sie würden sich, als Huhn verkleidet, demnächst in eine Legebatterie einschmuggeln; ebd. 15. 3. 1986 die ständige Wiederholung längst widerlegter Behauptungen könne nicht davon ablenken, daß die Batteriehaltung in hohem Maße tierschutzwidrig sei; ebd. 2.8. 1986 Sonate für

Bazillus Trecker und Waschmaschine, über Satellit gesteuert von einer japanischen Legebatterie; Stern 22. 10. 1987 die Hotel-Bar, in deren Regalen eine

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Batterie von Kräutertee-Dosen steht; Spiegel 26. 2. 1990 Wurden 1980 . . 4100 Tonnen Zuchtfische aus den Mastbatterien gehievt. HK

Bazillus M. (-; Bazillen), als Rückbildung aus dem Pl. auch Bazille F. (-; -n), 1872 von F. Cohn geprägte Bildung nach spätlat. bacillus (Nebenform von lat. bacillum 'Stäbchen', Diminutivum zu baculum 'Stab'; —> Bakterie). Seit spätem 19. Jh. in der Medizin in der Bed. 'krankheitserregender stäbchenförmiger, zur Gattung der Bakterien gehörender Spaltpilz', bis ins 20. Jh. häufig, zum Teil schlagwortartig bzw. scherzhaft gebraucht (s. Belege 1885, 1893, 1902), als Grund- und Bestimmungswort in den Zss. Tuberkelbazille; Bazillenangst, -furcht, -kulturen, -träger, dazu in neuerer Zeit die gebuchte adj. Ableitung bazillär 'Bazillen betreffend; durch Bazillen verursacht' (vgl. gleichbed. engl. badllary/ .. bacillaire). Etwa gleichzeitig in der Form Bazillus auch übertragen verwendet (s. Belege 1884, 1886, 1889, 1900, 1935, 1951, 1962, 1969), bes. in der Propagandasprache der Nationalsozialisten zur Diskriminierung des politischen Gegners (s. Beleg 1944), heute häufig auf Bereiche des politischen bzw. öffentlichen Lebens bezogen für 'als gefährlich eingeschätzte, viele Menschen (negativ) beeinflussende politische Erscheinung' (s. Belege 1954, 1986, 1989, 1990, 1995), in Wendungen wie von einem (ansteckenden) Bazillus befallen (sein), der rassistische, faschistische Bazillus, der Bazillus des Rechtsextremismus; dazu die Zs. Bazillenjäger und das Ende des 19. Jhs. geprägte Schlagwort Beunruhigungsbazillus (s. Belege 1891, 1892). 1884 Gaea 380 H. Sattler . . entdeckte einen eigenartigen „Bacillus" in dem Aufgusse und damit das erste Beispiel einer unzweifelhaften Übertragung einer Infektions-Krankheit durch eine Pflanze; Francois 1884 Br. II 162 das Langweilige, Ungenügende, Häßliche, das einstmals den Stoff für Humoristen gab, . ., jetzt bitter ernsthaft feierlich mit dem Seciermesser zerfasert und mit der Lupe auf Bacillen untersucht; Trinius 1885 Mark. Streifzüge U 315 jetzt haben wir gar noch den Bacillus entdeckt. Ha! Der Bacillus! Der Liebling unseres Jahrhunderts!; Rosegger 1886 Ges. W. l 3,373 Vor Bakterien (Bazillen) . . habe ich keine Angst; Scherr 1886 Gestalten u. Geschichten 195 Komma-Bacillus (LADENDORF); Fontäne 1889 Br. H 203 die Wissenschaft stellt diese Krankheit [„unterm Liebesstern geboren sein"] . . vielleicht noch mal fest und findet den enstprechenden Bazillus; v. Caprwi 1891 (Nehry 52) Es geht durch das Land ein Pessimismus, der mir im höchsten Grade bedenklich ist . . Es ist, wie wenn ein Beunruhigungsbacillus in der Luft läge, der epidemisch geworden ist (LADENDORF); Harden 1892 Apostata N. F. 71 Beunruhigungsbazillen; Stinde 1893 Torfmoor 37 Wer erlöst uns von den Bazillen? Das Karbol. Das Karbol ist Erlöser!; Flügge 1893 Verbreitungsweise d. Cholera 83 Trotz allen Spottens über die „Bacillentheorie", das heute unter den Ärzten Mode geworden ist; Fontäne 1895 Effi Briest 133 daß in der

Luft Bacillen herumfliegen; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 369 Der . . entdeckte . . , daß die Tuberkelbacillen die Ursache der Schwindsucht bilden; Bismarck vor 1898 Ged. u. Erinn. Ill 117 Bacillen; 1900 Dtsch. Revue I l Die Feder regiert mit in der Welt, und man kann jetzt weit eher von einem Bacillus scriptorum als von grossen Schweigern reden; Oppenheimer 1901 (Ges. Reden II 337) Bazillenjäger; Moll 1902 Ärztl. Ethik 483 Was man nicht rasch erkennen kann,/ Das sieht man als „rheumatisch" an — / . ./ Stimmt's dann noch nicht, flucht man im stillen/ Und hilft sich aus der Klemme mit Bazillen; Spitta 1904 Kelchbewegung 70 daß man für die eigene Person frei von Bazillenfurcht sein könne; 1905 Neue Rundsch. 891 Bazillus-Gedanken — nannte sich die Betrachtung, und sie spann den Einfall aus, daß im Kampfe des Menschen gegen die Seuchen das Ringen der höchsten Zellform, der Gehirnzelle, mit der niedrigsten, wie die Bazillen sie verkörpern, sich uns darstelle; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 213) Sie blickten . . in das Mikroskop, betrachteten .. auf ein Glasplättchen gestrichene Materie, die neben den großen Flecken ganz kleine Punkte zeigte: das waren Bazillen; Wassermann 1910 Masken 378 Furcht vor Bazillen; Hauptmann 1912 Prosa U 8 Ich habe mich natürlich auch mit Tuberlin spritzen lassen und daraufhin beträchtlich Bazillen gespuckt; Franken 1913 Schneide 9 Also uns zwei Alten geht's gut. Den Kirchenlichtern, Bazillen Jägern und Philosophieprofessoren auch; Haeckel 1913 Lebenswun-

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Beau

der 231 Bacillen oder Rhabdobakterien (auch Eubakterien oder Bakterien im engeren Sinne); 1915-16 Polit.-anthropol. Monatsschr. XIV 350 durch einen von außen eingedrungenen Zersetzungsfaktor (Bazillus); Gruber 1916 Aufgaben 32 die schädlichen Wirkungen des Tuberkelbazillus auf den Organismus; Werfet 1920 Mörder 258 Schicksalbazillenträger guter und böser Art; ders. 1922 Schweiger 119 Meine Pläne sind ungeheuer: Bazillenkulturen in die Wassserleitungen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 397) Hirsekorngroße Knötchen bildeten sich, zusammengesetzt aus schleimhautgewebeartigen Zellen, zwischen denen oder in denen die Bazillen nisteten; Graf 1925 Gesicht 415 der Mann müßte in dem Lazarett bleiben, er sei ein Bazillenträger; Heyck 1928 Aussenseiter 197 Missionsschule, Missionarsfabrik, Traktätchendruckerei, ausgedehnte Kulturen für künstliche Züchtung des Schamhaftigkeitsbazillus; Dublin 1929 Alexanderplatz 145 Die Banane ist die sauberste Frucht, da sie durch ihre Schale vor Insekten, Würmern sowie Bazillen geschützt ist; Reger 1930 Reger 146 sie war sehr lange noch Bazillenträgerin und mußte abgesondert bleiben; Gebauer 1932 Kulturgesch. 498 der vielfach so ungeheuer schädlichen kleinsten Lebewesen, der Mikroben oder Bazillen; Heymann 1932 R. Koch 328 das wohlgelungene, lorbeerumrahmte Konterfei des „Bacillenvaters" Koch; Halbe 1933 Scholle 61 Bazillenreinkultur; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. daß grade der tuberkulöse Beamte als Bazilleträger zu einem besonders verderblichen Gefahrenherd . . werden kann; Dtsch. AZ. 13. 10. 1935 Der Abwertungsbazillus fand . . niemals in der amtlichen deutschen Wirtschaftspolitik einen Nährboden; Mumelter 1936 Skibazillus 46 Bazillenträger sind . . wie bei allen infektiösen Krankheiten Personen, bei denen diese in einen Gleichgewichtszustand gelangt ist; 1938 Geopolitik 772 Misstrauensbazillus; 1938 Schweizer. Monatsschr. f. Offiziere aller Waffen 266 Der bakteriologische Krieg (Bazillenkrieg); Ziegelmayer 1940 Lebensmittel 235 Bazillenträger; Münch. N. N. 7. 2. 1942 Der soziale Bazillus, den sich die herrschende Schicht in England mit einem hervorragenden Opfermut wie eine Morphiumspritze injizierte; ebd. 12. 4. 1944 eines vom bol-

schewistischen Bazillus unberührten westeuropäischen Blockes; Pfannenstiel 1944 Krieg 11 die Bazillenruhr, welche als die „eigentliche Kriegsseuche des Weltkrieges" bezeichnet werden müsste; Th. Mann 1944 Reden u. Aufs. (W. XU 931) die allgemeine Anfälligkeit für den faschistischen Bazillus; Welt 22. 7. 1949 Aus der Tabelle geht hervor, daß die Arbeiterschaft am geringsten vom Rassenbazillus infiziert ist; Niekisch 1951 Bilanz 171 Das rationale Element ist schon ein Bazillus bürgerlichen Denkens; Welt 21. 12. 1954 Zypern bleibt ein neuralgischer Punkt, ein Infektionsbazillus, der die Einheit des Westens gefährdet; Remarque 1956 Obelisk 187 Du bläst mir ja deine Bazillen ins Gesicht! Wohin soll das führen, wenn wir beide die Grippe haben?; Bergengruen 1962 Dritte Kranz 568 Schon daß die Russen vom Bazillus der Eile gebissen wurden, hat unendliche Komplikationen bewirkt; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 134 Es war schon ein Wurm in Bienkopps Hirn, ein Bazillus, bevor ihn Julian Ramsch aus Eifersucht mit einem Holzstab auf den Kopf klopfte; Bartsch 1969 Zerreißprobe 304 diese Angst . . war wie ein Bazillus, der das Hirn mit Unruhe infizierte; Nagel 1970 Dieser Mann traf o. S. dabei ist die Wunde verschmutzt worden mit . . Bazillen oder wie dieses neumodische Zeug heißt; Bäumler 1971 Zauberkugel o. S. Das tückische an den Tuberkelbazillen ist, daß sie verhältnismäßig schnell resistent zu werden vermögen; MM 28. 10. 1985 Das Vitamin baue das Immunsystem des Körpers auf, wohingegen der AidsVirus die Widerstandskraft der Organe gegen Bazillen brechen wolle; Zeit 31.1. 1986 Denkbar ist auch, den Bazillus so umzubauen, daß er zusätzliche Nahrungskomponenten, wie bestimmte Vitamine oder Aminosäuren, produziert; MM 5. 2. 1986 der rassistische Bazillus befällt auch .. junge Leute, die wissentlich nie einem Juden begegnet sind; ebd. 27. 1. 1988 Koch, der den Erreger der Schwindsucht, den Tuberkelbazillus, entdeckt hatte; Rhein. Merkur 11.8.1989 die DDR ist von einem grassierenden und ansteckenden Bazillus befallen; ebd. 12.1. 1990 Das illustriert auch der Vorwurf der Kommunisten, die SPD fungiere als Spaltbazillus; MM 21.1. 1995 Sogar ihre aufsässige Dienerschaft ist befallen von den Bazillen der kapitalistischen Epidemie. HK

Beau M. (-; -s, auch Beaux), Mitte 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. le beau, eigentlich 'der Schöne' (zu beau 'schön' < lat. bellus 'schön, hübsch, niedlich, fein'). In der Bed. 'bes. gut oder gepflegt aussehender und meist ausgesucht gekleideter Mann' (—» Dandy), auch eher spöttisch-ironisch oder abwertend gebraucht für 'Mann, der sein gutes Aussehen in übertriebener Weise kultiviert und mit einer gewissen Eitelkeit selbst genießt bzw. von seinem (schönen) Äußeren und dessen Wirkung auf andere allzu überzeugt ist; eitler Stutzer, Geck, Schönling'.

Beaute Wieland 1758 Ges. Sehr, l 2,444 es ist wahr, beyde Amors haben Flügel, aber der Gebrauch, den sie davon machen, ist sehr ungleich; der eine flattert einem Schmetterling oder jungen Beau gleich von einer schönen Figur zur ändern; Imhoff 1791 Br. 3 wenn Sie wieder hier her kommen muß das Hamburger Kleid wieder angethan werden welches so allgemeinen Beyfall gefunden daß unsre wenige [!] Beaux schon anfangen alle Eken [!] an den Kleidern abzustuzen um dem Auge ihrer Schönen wohlgefälliger zu werden; 1839 Badegäste I 69 So saß das schöne Mädchen da . . als sich ihr ein Beau näherte und sie zum Tanze aufforderte; Gurowski 1845 Tour d. Belgien 31 Noch jetzt macht der Herzog, der gar nicht mehr jung ist, den Beau bei dem schönen Geschlechte; Gutzkow 1850 Ritter I 55 Es [Pferd] gehörte dem Stallmeister Lasally, einem fashionablen jungen Mann, der zu den Beaux der Residenz gehörte; 1861 Hausblätter I 4 ein sehr hübscher junger Mann von etwa 28 Jahren, kein Beau, aber ein Mann mit einem offenen und ehrlichen Gesichte; Sehen 1862 Blücher l 186 Zuerst ein Beau von damals und dann eine Belle; Fontäne 1886 Br. II 138 Das Tollste, was es gibt, ist ein Beau; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. Ill 3) Er ist kein Beau, nein, mein Gott, nein, er ist kein Beau; Peters 1904 England 229 Dort [in London] ist die alte Lady von 70 Jahren in der Toilette einer jungen Dame von 20; hier bewegt sich der Beau, der uns voriges Jahr so auffiel, weil er seine Taille schnürte, wie ein Mädchen auf seinem ersten Ball; Brachvogel 1915 Gauklerin 55 Der altersgraue Palast, vor dem der junge Beau auf seine Gondel wartete; Sternheim 1918 Chronik 47 Beim Eintritt ins Theater,. . im Ballsaal sollte Begleitung bedeutend wirken. Aber nicht wie in der frühesten Jugend diente ihr dazu nur regelmäßig Schönes, sondern . . jetzt kannte sie den Reiz gewisser Entstellung, und es gab Situationen, für die den distinguierten Krüppel sie dem glatten Beau vorzog; Friedeil 1927 Kulturgesch. I 131 Sigismund . . dieser geile Beau und feile Schönredner; Brod 1928 Zauberreich 38 Oder geht sie einfach mit jedem Beliebigen, gestern mit mir, heute mit dem alten ausgetrockneten Beau? — Zu den Männern gehöre ich . . nicht, die auf den ersten Blick wirken; Reibnitz 1928 Gestalten 64 Dr. Rudolf Breitscheid [im Berliner Reichstag] . . Groß, schlank, mit einem

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schmalen Gesicht von englischem Typus, gehört er, trotzdem er den Mitte Fünfzig nicht mehr fern ist, immer noch zu den Beaus des Reichstags; Colerus 1929 Kaufherr 234 Wir wanderten . . gehorsam hinter dem beleidigten Beau her; Süddtsch. Ztg. 10. 8. 1951 Zwischen den .. Stars sitzen in der Aufnahmehalle von Geiselgasteig das bunte Volk der Komparsen, Dirndlgesichter und Salondamen, Kraftburschen und Beaus; Hohoff 1954 Geist 219 jener im Roman Anthony Blanche genannte Beau und Snob; Wachtel 1963 A la mode 142 dem Beau, dem Modehelden; ebd. In England gibt es eine lange Ahnengalerie der Beaux; ebd. 165 ob diese Leute [um 1848] sich Raffine, Incroyables, Beaux, Löwen oder Dandies [nennen]; FAZ 1. 4. 1963 Ein Mann lebt in Frankfurt, nicht mehr ganz jung .., schlank und blauäugig, doch grau an Haar; ansehnlich, aber kein Beau (Anzeige); Welt 1. 7. 1969 er war nicht gerade ein Beau; Heuer 1971 Genie o. S. der häßliche Beau Casanova durchlief die merkwürdigste Karriere — Stationen; Zeit 15. 2. 1985 erscheint ein vor Kraft schier berstender Beau, schreitet über die Bühne, als betrete er einen Boxring; ebd. 24. 5. 1985 der Hollywoodbeau, den die arme Frau im halbleeren Zuschauerraum anhimmelt, steigt plötzlich leibhaftig von der Leinwand herunter; ebd. 3. 4. 1987 im .. Lewis-Film „Der verrückte Professor" verarbeitet Jerry den Verlust des Partners dadurch, daß er beide Rollen spielt, die des Idioten und die des Beau; ebd. der Beau ist so schön, daß die Leute auf der Straße stehen bleiben; 1990 Vogue XI 101 Narziß - das war dieser wunderhübsche Jüngling, der die Liebe einer Nymphe namens Echo verschmähte. Eines Tages blickte der gefühllose Beau ins klare Quellwasser und verliebte sich auf der Stelle in sein eigenes Spiegelbild; Ortheil 1992 Agenten 212 Blök habe ich nicht wiedererkannt. . der ist ein richtiger Beau geworden. Die Frauen himmeln ihn an; Spiegel 8. 8. 1994 Natürlich muß der Beau aus Berlin hin und wieder auch ein kleines Tabu brechen. Unter dem Motto „big is beautiful" beschäftigen sich seine Gäste schon mal eine volle Stunde lang mit dem bewegenden Problem der richtigen Penislänge; Illustr. Wochenztg. 21. 1. 1995 In über 50 Hauptrollen profilierte sich der amerikanische Beau [Paul Newman], der seine Frau für die bessere Schauspielerin hält. GS

Beaute F. (-; -s), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. beaute, älter helfet, bealte, biaute (zu beau 'schön', eventuell über fielet. Form von vulgärlat. *bellitas 'Schönheit' zurückgehend auf lat. bellus; —» Beau). Bildungsspr. und mit positiver Wertung verwendet in der Bed. '(elegante) schöne Frau; (klassische) Schönheit', bes. im frz. Syntagma beaute du diable (eigentlich

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Beaute

'Schönheit des Teufels') für 'nicht bes. schön, aber jugendlich frisch und reizvoll oder verführerisch aussehende Frau; Jugendfrische, -reiz'. Daneben seit Mitte 19. Jh. das aus gleichbed. engl. beauty (< frz. beaute} übernommene, häufigere Subst. Beauty1 F. (-; -s, auch Beauties), vor allem im Bereich von Werbung, Film, Show-Business o. ä. eher abgeflacht gebraucht in der Bed. 'Frau, die durch bes. gutes Aussehen, Äußeres auffällt; schlankes, hübsches Mädchen', z. B. eine schlanke, blonde Beauty, Titelschönheiten und Reklamebeautys. Seit Mitte 20. Jh. auch Beauty2 F. (-; ohne Pl.) in der Bed. 'Kosmetik(-branche); Schönheitspflege', auch 'gutes Aussehen, Schönheit', zunächst als Bestimmungswort in Zss. zur Bezeichnung von Kosmetika oder Maßnahmen, Einrichtungen u. ä., die der Schönheitspflege dienen, in aus engl. Bestandteilen (jedoch meist ohne engl. Vorbild) geprägten Zss. wie Beauty-Case 'kleiner Koffer mit Schönheitsutensilien (für Frauen), Kosmetikkoffer', Beauty-Center, -Shop, -Salon 'Laden für Kosmetika; Geschäft, in dem Schönheitspflege betrieben wird; Kosmetik-, Schönheitssalon' und Beauty-Farm '(landschaftlich hübsch gelegenes) Kurhotel oder eine Art Klinik, in der vor allem Frauen ihre Schönheit oder Fitness durch entsprechende Behandlung (oft unter ärztlicher Aufsicht) zu erhalten oder wiederherzustellen suchen; Schönheitsfarm'; in neuester Zeit auch als Simplex verwendet (s. Belege 1995, 1996; vgl. HOPPE 1996), z. B. ein Gefühl für Body, Beauty und Eleganz entwickeln, häufig als Bestimmungs-, seltener als Grundwort in Zss. wie Beautybroschüre, -Business, -Clan, -Fetisch, -Ideen, -Killer, -Produkte, -Styling, -Trends; Urlaubs-, Sonnen-Beauty. Beaute: Wächtler 1714 Manual o. S. Beaute, Schönheit; Elis. Charl. 1718 Br. Ill 279 sie war vor etlichen jähren schön, bekam aber die kinderblattern, wurde hernach greulich fett undt ist es noch, passirt doch noch vor eine beaute undt halt mehr, all? einen, adorateur; Sperander 1727 A la mod Sprach 68 Beaute, .. Schönheit, z. E. diß Frauenzimmer ist eine rechte Beaute; Bodtner 1746 Mahler I 121 Ich habe der Erziehung der Jungfer Wandla, die zu dieser Zeit von jedermann für eine Beaute a la mode angesehen wird, von ihrer Kindheit an zugesehen; Schummel 1771 Reisen l 188 beaute; Michaelis 1776 Räsonnement IV 492 so kann man ja doch auf der Universität diese Gefahr nicht ganz vermeiden, so lange man kein Gesetz hat, das jede Beaute, wenigstens jede intriguante, gern Geschenke nehmende Beaute, von ihr verbannet; Bretzner 1788 Leben l 188 Eine Beaute, eine wahre Beaute [Mädchen im Kaffeehaus]; Richardson 1790 Kl. (Übers.) I 18 Weise mir . . ein Gebrechen auf, wenn ich gleich keine beaute bin; Moritz 1793 Grammat. Wb. 1166 Beaute: Schönheit. Man hört diesen gezierten Ausdruck noch zum öftern in der Umgangssprache: sie ist eine Beaute, anstatt, eine Schönheit; Gotter 1802 Nachlass 170 dass ihr Gnaden . . eine bildschöne Bothee [Beaute] gewesen seyn müssten; 1813 —15 Prinzenbr. 210 Dein Bruder war hier sehr glücklich, aber sehr natürlich; wir haben zweimal getanzt; Dochu (Fritz L. angedichtete Beaute) schien ihm sehr zu gefallen;

E. T. A. Hoffmann 1819 S. W. X 165 Wir haben dieser Extase prosaischer Naturen schon viel Vortreffliches zu verdanken, und schön ist es, daß oft dadurch menschliche Miesmiese von nicht sonderlicher Baute [!] auf einige Zeit einen herrlichen Ruf erhielten; Droste-Hülshoff 1840 Br. l 134 sie [ist] . . etwas hübscher geworden, freilich noch immer keine Beaute; Pückler-Muskau 1840 Bildersaal III 567 dieses einst so gefühlvoll scheinende Geschöpf (denn die sogenannte beaute du diable paßt so gut auf die Seele wie auf den Körper); Alexis 1852 Ruhe (IV 239) Nein, die Gargazin sagte mir neulich, er ist so gut wie verlobt mit einem schönen jungen Mädchen, eine Beaute der Stadt; Wickede 1854 Kriegsleben 96 war sie eine der gefeiertsten beautes des Bades; um 1860 Bazar XV 78a Sie war eine beauta du diable, eine blendende Schönheit mit der ganzen aisance (SANDERS 1871); Spielhagen 1866 S. Romane VII 82 Dies ewige Suchen nach einer beaute, die immer nur so kurze Zeit vorhält, langweilte mich; Monteton 1875 Sonst 24 die Eleganz von der Jugend, dieser beaute du diable; Schweiger-Lechenfeld 1880 Frauenleben 353 New-Yorker beaute; Fontäne 1882 L'Adultera 141 die Beaute jenes Ballabends; Proskewetz 1889 Newastrand 82 Eine Beaute, am Strande der Seine . ., in Berlin oder Petersburg gleich geschätzt, verdankt ihre Riviere dem Bon heur du jour; Suttner 1896 High-life 5 Eine „beaute" zu sein, das ist auch eine Art Rang. Die Besitzerin der Schönheit trägt

Beaute dieses Attribut so stolz .. wie die Fürstentöchter ihre Krone; Hölzke 1902 Hässlichen 71 eine geschiedene Frau und beaute ersten Ranges; Werner 1908 Heir'ann. 247 damit Sie sich von der Beautee [!] nicht zu grosse Vorstellungen machen; 1910 Der Sturm l 73a wie das Volk seine Toiletten von der Aristokratie, dem Theater und einzelnen führenden Beautes aus zweiter oder dritter Hand bezieht; Bebel 1922 Frau 191 bekannte Beautes der Lebewelt; Klein 1925 Generaldirektor o. S. Hast du die Schuhe gesehen, die sie anhat? Wie eine Bauernbeaute am Sonntag!; Colerus 1929 Kaufherr 58 Aber Sie sollten sich auch noch vor Marhold verbeugen. Seine Frau ist die dritte europäische Beaute; v. Winterstein 1947 Mein Leben II178 Sie hatte einen interessanten Kopf, war keine Schönheit im landläufigen Sinne, vielmehr eine Beaute du diable; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 494) erschien . . in Gesellschaft eines Persönchens, das nun wirklich ausnehmend hübsch war — ich konnte seinen Geschmack nicht beanstanden, obgleich es ein Geschmack für die beaute de [!] diable und für das voraussichtlich rasch Vergängliche war; Fischer 1955 Eugen 399 Ich zum Beispiel, wenn ich eine Beautfe wie dich zur Frau gehabt hätte; Zeit 28. 12. 1984 nie vorher, schrieben die Kritiker nach der Premiere, sei Catherine Deneuve eine so hinreißende Beaute gewesen wie hier. Beauty1: Kohl 1844 Reisen in England u. Wales I 221 „beauties" ihres eigenen Vaterlandes; ders. 1845 Skizzen 237 Was nun aber den Schwanenhals betrifft, so trifft hier das Bild der Venus bei den Engländerinnen wieder mehr als bei irgend welchen anderen „Beauties" zu; 1852 Prutz' Museum l 402 in jeder Familie giebt es eine Person, welche von den Verwandten als Schönheit betrachtet wird . . Ob diese beauty es nun auch in den Augen anderer Leute ist, das gilt der Familie einerlei, sie hat einmal das Familienpatent; Scheffel 1854 Br. 23 die ändern beauties of Carlsruhe; vor 1871 NationalZtg. XXI 221 Einem Dichter, dessen concealed [verborgene] beauties vielleicht die schönsten sind (SANDERS 1871); Mensel 1903 Lebensbild 203 macht diese [Braut] zu etwas viel anziehenderem als es in meinen Augen eine „Beauty" ist; Münch. N. N. 17. 2. 1944 die .. Kabaretts mit den beliebten Entkleidungsszenen der Hollywooder Beauties; Colby 1954 „Beauty". Das Schönheitsbuch für die moderne Frau (Titel); Benn 1954 Ges. W. Ill 340 Aber ein Fluidum! Heiße Nacht/ a la Reiseprospekt und/ die Ladies treten aus ihren Bildern:/ unwahrscheinliche Beauties/ langbeinig; Spiegel 27. 5. 1964 Deutsche Mädchen zählen . . zu den umworbensten Titel-Schönheiten und Reklame-Beautys; ebd. 26. 4. 1974 Er, der angeschlagene Skistar, dem das Comeback nicht gelang, sie, ange-

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sichts der 18—20jährigen Beauties, die sich in jährlich frischer Ernte in Aspen drängen, mit 34 Jahren von Alterspanik gepackt; Welt 9.11.1978 das Soultrio aus drei schwarzen Beauties als chorischer Background; Spiegel 26. 2. 1979 Für die Berliner Beauty gab es Stunden später ein böses Erwachen, mit Hautverbrennungen ersten und zweiten Grades; Bild 29. 7. 1984 Trainerin Penny Lane hat keine Nachwuchs-Schwierigkeiten: Die Beautys rennen ihr die Bude ein; FAZ 23. 7. 1990 die schlanken Beauties im „Playboy" sehen so aus, als seien auch sie dafür [zum Kinderkriegen] gerüstet; Spiegel 7.11.1994 Die blonde Beauty mit dem kleinen Mündchen, Barbara Eligmann; ebd. 26. 12. 1994 die Schauspielerin Rosel Zech. Sie, die einst m i t . . Fassbinder Filme wie „Lola" oder „Die Sehnsucht der Veronika Voss" drehte, hat so gar nichts von den hergebrachten TV-Beautys. Beauty2: Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 296) sie hatte sich . . nach durchlesener Nacht in die Pflege eines beauty shop begeben; Jens 1959 Götter 10 [Venedig] Krüppel und Bettler .. - ein mittelalterlicher Totentanz unter Lichtreklamen, eine beauty-show mit Skelett und Gerippe; Welt 28. 9. 1963 muß wirklich wieder ein paar Tage auf Liesbetchen Ardens Beautyfarm; Spiegel 11.12. 1967 „Schönheit durch Arbeit" (in Gestalt von täglich dreißig Minuten Beauty-Gymnastik); Stuttgarter Ztg. 25. 4. 1968 soll am Bodensee in der Nähe von Konstanz eine Beautyfarm, eine Schönheitsfarm für klinische Kosmetik unter ärztlicher Aufsicht, entstehen; Mittelbayer. Ztg. 20. 12. 1969 Schenken Sie „Ihr" dazu die passende Tasche, oder wie war's mit einem Beauty-Case ..? (AWB); Bad. Ztg. 23. 3. 1970 Im „Beauty-Center" in Ruhpolding (Oberbayern) haben Sie die Möglichkeit, den Urlaub im Hotel mit einer Regenerations- und Schönheitskur zu verbinden. Der wöchentliche Behandlungsplan für . . Beauty-Center-Kuren enthält individuell für Damen und Herren: Ganzkörpermassagen, kosmetische Pflege von Gesicht und Hals, . . Körperbestrahlung (Anzeige); Report 4. 10. 1970 Einige Orte im Allgäu haben als neue Form des Hobby-Urlaubs die „Beauty-Ferien" eingeführt; l971 Praline-Reiseberatung Nr. 4 wer sich im Winter dem Hobby „Schönheit" widmen möchte, kann in Oberstaufen eine „Beauty-Kur" mitmachen (AWB); Presse 20. 7. 1974 Die Auswahl reicht von . . geräumigen Bags . . bis zu Beautycases (AWB); Spiegel 26.11. 1984 Allein in der „Beauty-Farm" des Schickeria-Hotels . . absolvieren .. 60 Frauen brav ein Kosmetik- und Fitnessprogramm; Zeit 15. 2. 1985 Sie nennen sich heute: Coiffeur, Hairstylist, Frisurenstudio, .. Beauty Shop, Barber Shop; ebd. 6. 9. 1985 „Nackte Schönheit" .. nannten die Theoretiker . . eine Verbin-

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becircen

dung zwischen einem schweren „Beauty-Quark" und einem leichteren Anti-Quark; Spiegel 27. 6. 1988 Keiner hat das Wesen der Beauty-Branche besser beschrieben als Charles Revlon, der Gründer des Kosmetik-Konzerns Revlon; 1995 Elle VI 92 Model-Wettbewerb. Jean Paul Gaultier sucht die Beauty '95 (Überschr.) Die Jury . . sucht ein Mädchen, das die Ideale und das Zeitgefühl der Neunziger verkörpert: frisch, selbstbewußt und mit einer starken Ausstrahlung. „Ein Mädchen mit Charakter und sehr viel Persönlichkeit", beschreibt . . Gaultier. „Auf keinen Fall eine klassische Schönheit"; 1995 ebd. VII 63 ein interkontinentaler Gemischtwarenladen: Bahamas, Nordkalifornien, Hongkong und Sidney. Hier kommt Ihr Gefühl für Body, Beauty und Eleganz noch ein bißchen mehr

als sonst zum Tragen; 1995 ebd. VIII 250 UrlaubsBeauty (Überschr.) [Ratschläge für pflegende Kosmetik]; 1995 ebd. IX 68 Wie Estee Lauder [Name von Kosmetikfirma] ihre Enkelin coacht/ BeautyClan (Überschr.); Zeit 9. 8. 1996 Den Sommer genießen im 5-Sterne-Gourmet-Hotel . , Fitneßraum, Massagen, Beauty (Anzeige); TV 28. 9. 1996 lOx Essen, das schön macht (Überschr.) Schuppt die Haut, brechen die Fingernägel . .? Dann fehlen unserem Körper ganz entschiedene Stoffe. Die Gründe: Wir ernähren uns zu einseitig, zu fett oder zu süß. Streß, Nikotin und Alkohol, die schlimmsten Beauty-Killer überhaupt, tun ihr übriges; 1996 Vogue IX 257 Purpur, Burgundy, Violett — neue Modefarben inspirieren auch die Beauty (alle sieben HOPPE 1996). GS

becircen, auch bezirzen, V. trans., Mitte 20. Jh. aufgekommene Präfixbildung zu latinisiertem Ci'rce/griech. , dem Namen einer Zauberin, die nach der griech. Sage die Männer betörte. In der Bed. 'jmdn. bezaubern, betören, umgarnen, verführen', z. B. sie hat ihn völlig becirct; insbes. auch 'jmdn. auf verführerische Weise für sich gewinnen', z. B. jmdn. so lange becircen, bis man alles von ihm bekommt, was man will; in neuester Zeit auch allgemeiner gebraucht im Sinne von 'jmdn. (zu etwas) überreden, (von etwas) überzeugen' (s. Beleg 1993). Süddtsch. Ztg. 27. 6. 1951 daß die schöne Helena 46 Lenze zählte, als ihretwegen der trojanische Krieg ausbrach, daß Kleopatra jenseits der 40 war, als sie den Antonius becircte; Neue Bildpost 9.5.1959 Polizei-Oberkommissar .. bekam 18 Monate Gefängnis. Eine SSD-Mata-Hari aus Ulbrichstan hatte ihn bei Ausübung seines Polizeiamtes becirct; N. Z. Z. 9. 9. i959 In dieser Inselwelt . . liebt ein junges Mädchen . . einen Agronomen, bezirzt ihn . . und erhält den Agronomen . . ins Ehebett; Berger 1961 Gewaidwerkt 91 Nach einem selbstmörderisch harten Flirt bezirze ich sie doch zum Griff ins Schaufenster; Offenburger Tagebl. 24. 7. 1971 Peter becirct die Schauspielerin Paula, die sich ursprünglich einmal mit Leo abgegeben hatte; Zeit 1. 2. 1985 und zum erstenmal kommt in der Haltung, die sie sonst so brillant zu wahren versteht, . . im plötzlichen Verzicht auf die frauenkämpferische, becircend selbstbewußte, energische Rhetorik, die sie aus dem ff beherrscht, etwas vollkommen anderes zum Vorschein: Verletzlichkeit; ebd. 22. 2. 1985 der Cotton Club, wie ihn Evans

und Coppola verklärend darstellen, bleibt in Erinnerung als Festivität der becircenden langen Tanzbeine, der samtigen dunkelhäutigen Körper, der lasziven Erotik; ebd. 14. 3. 1986 man sieht sie als becircende Märchentante [im Film]; Kronauer 1987 Bogenschütze 303 Aber was ermutigte sie bloß so, zu hoffen, . . dieses gestenreiche Bedauern und Augenverdrehen würde ihn becircen (DUDEN 1993); 1990 Cosmopolitan 50 Der Psychostreß „Wie becirce ich einen Mann" hat mich nachhaltiger erschöpft als die Bewerbung um einen neuen Job; i 991 Esquire XI 151 Pomadekönig Kalle Mewes eröffnet die Varieteshow mit dem „Chamäleon"-Song. Meret Becker becirct als Meerjungfrau zwei Brillenträger; Spiegel 21. 6. 1993 Mit diesem Coup ist es dem Taktiker gelungen, . . jene gestandenen Genossen zu becircen, die sich bei dem akkuraten Bart- und Brillenträger aus Mainz [Scharping] sicherer fühlen als bei Schröder und Wieczorek-Zeul; MM 2. 2. 1995 Josephine Baker becirct Jean Gabin [in dem Film „Zou Zou"] (Bildunterschr.). GS

Behaviorismus M. (-; ohne PL), im frühen 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. behavio(u)ristn (um 1912 von dem amerikan. Psychologen J. B. Watson gebildet aus engl. behavio(u)r 'Benehmen, Verhalten' und -ism '-ismus'), anfangs vereinzelt in der engl. Form, seltener auch Bebaviourismus.

Behaviorismus

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a Fachspr. in der Sozialpsychologie als Bezeichnung für eine Richtung der Verhaltensforschung, die durch empirische Beobachtung und Analyse des sichtbaren, als Reaktion auf bestimmte Reize und wechselnde Umweltbedingungen objektiv zu Tage tretenden Verhaltens von Lebewesen deren psychische Wesensmerkmale zu erfassen sucht, dabei die Kategorien „Empfindung", „Gefühl", „Denken", „Bewußtsein" u. ä. ebenso ablehnt wie die Methode der Selbstbeobachtung (Introspektion); gelegentlich eher negativ konnotiert mit „mechanistisch, materialistisch, seelenlos" (s. Belege 1932, 1934, 1965, 1987). b Von daher seit früherem 20. Jh. auf die Linguistik übertragen zur Bezeichnung einer sprachwissenschaftlichen Forschungsrichtung (z. B. Bloomfield), die davon ausgeht, daß Sprache primär erlerntes Verhalten ist und somit auf Erfahrung und Gewohnheit, nicht aber auf angeborenen Fähigkeiten beruht (Ggs. Mentalismus). Dazu seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung behavioristisch, auch behaviouristisch, 'den Behaviorismus betreffend; nach der Methode des Behaviorismus verfahrend' (zu a und b) und seit früherem 20. Jh. die Personenbezeichnung Behaviorist M. (-en; -en), auch Behaviourist, 'Vertreter des Behaviorismus' (zu a und b). Behaviorismus a: 1924—25 Köln. Vierteljahres!?. IV 273 f. Filippo Carli, Paretos soziologisches System und der „Behaviorismus" (Aufsatztitel); 1928 Zges. Staatstviss. LXXXIV 173 „Behaviorismus"; Voss. Ztg. 24. 11. 1929 hegt . . eine gewisse Scheu vor allem, was nach Spekulation oder Theorie schmeckt. Selbst der „Behaviorismus", eine echt amerikanische Theorie (Watson), die vor einigen Jahren die Gemüter stark erregte, ist heute nicht mehr so sehr ein Glaubensbekenntnis wie eine Methode. Diese Lehre will Psychologie verwandeln in eine Wissenschaft vom „menschlichen Verhalten"; das „Psychische" als innere Erlebnisweise sei der Forschung nicht zugänglich; übrig als Forschungsaufgabe bleibe nur das genaue Studium des äußerlich sichtbaren Benehmens, wie es als Reflex, als Reaktion auf bestimmte Reize, als Aenderung der Blutzirkulation, als Ergebnis von Lern- und Uebungsprozessen usw. objektiv zu Tage trete; Sombart 1930 Nationalökonomien 136 die Methode der Naturwissenschaften auf die Nationalökonomie anzuwenden [wie dies die Ecole de la Science sociale in Frankreich tut] . . Etwas ähnliches stellt wohl die Schule des Behaviorism in den Vereinigten Staaten dar; Voss. Ztg. 30. 8.1931 Was ist Behaviorismus? Psychologie ohne Problem (Überschr.); Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 570 Die offizielle Sowjetphilosophie ist die „Reflexologie" . . Sie deckt sich vollkommen mit der amerikanischen Philosophie des Behaviorismus . . Diese läßt sich in einen einzigen Satz zusammenfassen: es gibt nur Tun; „mind is, what body does"; ebd. Hl 575 Einige außerordentliche Verdienste wird dem Begründer der Psychoanalyse kein Unbefangener absprechen dürfen. Zunächst hat er nicht bloß den Behaviorismus, sondern alle positivistische Psychologie gegenstandslos gemacht durch die Enthüllung

der Ungeheuern Rolle, die dem Unbewußten zugeteilt ist; 1931 Handb. d. Amerikakunde 319 von Wert ist nur das Studium von Fächern, in denen man experimentell das . . Verhalten der Natur — auch im Menschen — beobachten kann . . Man muß die „Verhaltungsweise" — behavior — lebender Wesen kennen. . . Es ist nicht möglich, die verschiedenen Richtungen vom Pragmatismus bis zum Behaviorismus auf einen Generalnenner zu bringen; Spann 1932 Haupttheorien 173 Behaviorismus-, Volk u. Heimat 20.8. 1932 Ähnlich ist der Erfolg des „Behaviorism" von John Watson, einer völlig materialistischen Psychologie — insofern eine Lehre, die das Seelische leugnet und alles in Reiz und Reaktion aufzulösen sucht, den Namen einer Seelenwissenschaft noch beanspruchen kann; 1933 Revolutionen d. Weltgesch. 733 Man kann Seele brauchen, also hat man sie; oder man schaffte sie. Noch einen Schritt weiter — etwa wie von Döblin zu Brecht — geht der amerikanische Professor Watson mit seinem „Behaviorismus". Er führt alles auf körperliche, physische Zustände zurück; Bühler 1933 Ausdruckstheorie 24 Du willst den „Verschwender" und den „Geizhals" beschreiben, so stell sie dir in einer Anzahl geeigneter Lebenssituationen vor und sag uns, wie sich der eine und wie der andere verhalten wird. Das ist das Hauptrezept von Theophrast, und das ist objektivistische, nicht subjektivistische Psychologie, ist Behaviorismus; Berl. Tagebl. 27. 1. 1934 um dem Redner [Ludwig Klages] Gelegenheit zu geben, des längeren beim amerikanischen Behaviorismus Watsons zu verweilen, dem „Cowboy der Psychologie", der die Seele vollkommen leugnet, „weil er sie noch nie gesehen hat"; 1934 Archiv G Medizin XXVll 15 [der] moderne Versuch, „Psychologie ohne Seele" zu treiben, den man Behaviorismus

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Behaviorismus

nennt; Röpke 1946 Civitas 122 Daher . . die Neigung, die Geisteswissenschaften . . nach naturwissenschaftlichen Methoden zu betreiben und sich auf das Meßbare .. zu beschränken: der Behaviourismus in der Psychologie; Cysarz 1950 Neumond 30 die arbeitspsychologischen Tests und soziologischen Behaviorismen nach dem Gesetz der grossen Zahlen; 1950 Wort u. Wahrh. V 545 Während Behaviorismus, Pragmatismus und Positivismus sich auf die . . Formel einigen könnten, „Wert" sei — von unquantifizierbaren und irrelevanten Gefühlen abgesehen - soviel wie „potentieller technischer Nutzen"; Schock 1952 Soziologie 328 „Behaviorismus"; Hehlmann 1959 Wb. Psych. 389 Behaviorismus; 1964 Muttersprache 285a Brechts vom Behaviorismus beeinflußtes Experimentieren mit dem menschlichen Gestus, diese Reduktion des Menschen im Sinne einer zielgerichteten beschreibenden Soziologie auf dem Theater, wird damit nicht geklärt; Lorenz 1965 Verhalten 9 die mechanistisch orientierte Schule des amerikanischen Behaviorismus (DUDEN 1993); Fischer 1966 Kunst 64 Deutlicher sprach es der Prediger Billy Graham aus: man setze an die Stelle der Bibel „Vernunft, Rationalismus, .. Behaviorismus, Positivismus ..". All dies sei das Werk der sogenannten Intellektuellen; Zeit 17. 4. 1987 läßt sich . . erkennen, wie ein Element in der Therapie eingebaut wird, das im ursprünglichen Psychodrama kaum, in der klassischen Gestalttherapie oder in der Psychologie so gut wie nie verwendet wird: ein solides Stück Behaviorismus, angewandte Lern-, Verhaltenstherapie; ebd. damit ist weder das Menschenbild des klassischen Behaviorismus übernommen, das ein mechanistisches Vorgehen nahelegt, noch werden dessen blinde Flecken übersehen (etwa das Desinteresse an Person und Lebensgeschichte). Behaviorist: Voss. Ztg. 30. 8. 1931 Im Jahre 1912 beschlossen die Behavioristen, sich nicht mehr länger mit Unberührbarem und Unnahbarem zufrieden zu geben, sie wollten entweder auf „Psychologie" überhaupt verzichten, oder sie zu einer Naturwissenschaft machen; 1932 Volk u. Reich 853 Sie wittern . . bei mir eine Art von Verrat, nennen mich gelegentlich einen Eudämonisten, Behavioristen und Taktiker. Aber es ist gewiß kein Verrat an unseren gemeinsamen Ideen und Weltbildern; Bühler 1933 Ausdruckstheorie 163 Man muß ein Lebewesen in seinem Aktionsraum vor sich haben, um an den Bewegungen dieses Lebewesens ablesen zu können, wie und wohin es sich wendet .. das kann der Behaviorist, welcher die Reaktionen eines Tieres oder Kindes in gegebener Versuchssituation beobachtet; 1950 Wort u. Wahrh. V 545 vom naiven Materialismus der Behaviouristen; Rosenstock-Huessy 1955 Mensch (Übers.) 87 Professor

der Psychologie . . Da er ein aufgeklärter Freidenker ist, ein Psychoanalytiker und „Behaviorist", hat er entschieden, daß das Mädchen einen Freund haben müsse, damit sie nicht an Verdrängungen leide; Mitscherlich 1970 Versuch o. S. die .. Tendenz der fragenden Bewußtseinserweiterung korrumpierend, werden von den Behavioristen Techniken der Verhaltensbeeinflussung entwickelt, welche die Introspektion des Individuums überhaupt nicht mehr beanspruchen; Zeit 28. 11.1986 wenn die Behavioristen recht haben, daß die frühere Konditionierung der Schlüssel zu allen Problemen ist, wie kann dann Perls behaupten, nur das Hier und Jetzt sei wichtig?; ebd. 6. 3. 1987 ich bin kein Positivist oder Pragmatiker oder Behaviourist, wie die Amerikaner sagen. behavioristisch: 1925 ZfMenschenkunde l 6,27 Wenn wir unter den Methoden der systematischen Untersuchung des Kindes . . die Gruppe der behavioristischen Untersuchungsweisen nennen, so geschieht das, um zum Ausdruck zu bringen, daß diese Methoden mit voller Konsequenz auf die Berücksichtigung des eigentlich Psychischen verzichten und nur in der Beschreibung und Analyse des sichtbaren Verhaltens beseelter Individuen ihre Hauptaufgabe sehen; Fries 1927 Pflanze u. Tier Vorw. X Es handelt sich . . um den Versuch, im Sinne einer „behavioristischen" Untersuchungsmethode in die Sphäre . . der Pflanzen und Tiere einzudringen; 1930 Ber. Dtsch. Hochschule f. Politik VIII 141 der Mensch ohne geistig-spontanes Ich, als reines Milieu-Reaktionswesen behaviouristisch aufgefaßt; Bauer 1931 Kapitalismus I 159 Die behavioristische Psychologie hat gelehrt, auch das wirtschaftliche Verhalten der Menschen . . zu beobachten und zu beschreiben; Schock 1952 Soziologie 335 „Die Soziologie ist eine Naturwissenschaft"". Dieser Satz .. steht im Einklang mit der pragmatischen, behavioristischen und mechanistischen Färbung unseres Denkens; Brecht vor 1956 Sehr. z. Theater III 72 Die amerikanische Romanschreibung . . hat die Ablösung der introspektiven Psychologie durch die behavioristische, soziologische, experimentelle Psychologie bereits für die Kunst übernommen; Mitscherlich 1970 Versuch o. S. wenn wir gelernt haben, unsere erzieherischen Ziele mit mechanistischen und behavioristischen Begriffen festzulegen, und wenn wir die Situation des Klassenzimmers ausreichend kontrollieren können, dann können wir den Studenten, wenn er etwas lernen will,. . belohnen und den Erziehungsprozeß . . beschleunigen; Zeit 7. 3. 1986 so hatten die Verhaltenstherapeuten, einst bei vielen als Protagonisten eines behavioristischen Menschenbildes

Belcanto verschrien, für ihre Tagung Psychoanalytiker Ethnologen, Sozialwissenschaftler . . sowie amerikanischen Computerwissenschaftler -kritiker Joseph Weizenbaum . . als Redner wonnen.

und den und ge-

Behaviorismus b: Kainz 1941 Psychologie I 8 Sehr brauchbar ist das amerikanische Werk „The Psychology of Language" . . Das mit einem gemäßigten Behaviorismus durch mannigfaltige Beziehungen verknüpfte Buch bewegt sich in den Bahnen einer „Biolinguistik" und gibt eine durch die genannten Standpunkte bereits angedeutete psychologische Interpretation gewisser Urtatsachen des Sprachlebens. Außer einem methodischen Einleitungsabschnitt . . finden sich elf Hauptabschnitte, in denen folgende Themen behandelt werden: der am Sprechgeschehen beteiligte Nervenapparat, die Sprachorgane, . . die motorischen Prozesse ..; 1950 Wort u. Wahrb. V 874 [des Linguisten Carnap] Selbstbefreiung vom logischen Behaviourismus, von den Betrachtung des Denkens also unter dem einzigen Gesichtspunkt eines Verschiebens quasi-materieller algebraischer Zeichen nach immanenten Regeln, ohne Rücksicht auf die Bedeutung und den Sinn, dem nachzuspüren paradoxerweise als „sinnlos" abgetan worden war; 1954 Sprachgesch. 143 Behaviorismus; 1955 Studia Neophil. XXVJI 255 Eine dritte vorhandene Methode [der Sprachwissenschaft] . . nämlich das von L. Bloomfield und seinen amerikanischen Nachfolgern angewandte Verfahren, die sprachlichen Ausdrücke ausschließlich nach ihrer äusseren Form ohne Berücksichtigung des Inhalts zu klassifizieren. Diese vom Behaviorismus angeregte Methode, die . . den einer anderen psychologischen Betrachtungsweise huldigenden Linguisten reichlich befremdend erscheinen muß; Lewandowski 1979

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Linguist. Wb. I 114 Nach dem Vorbild der Naturwissenschaften werden nachprüfbare Grundkategorien (Reiz, Reaktion, Verstärkung/Bekräftigung) [in die Sprachwissenschaft] eingeführt und das Verhalten des Organismus als deren Funktion aufgefaßt, wobei die schon durchlebten Reiz-Reaktions-Vorgänge als Lernen erscheinen. Der Sprachgebrauch ist als motorische Reaktion oder Verbalverhalten Teil des Gesamtverhaltens . . Tiefgehenden . . Einfluß übt der B. auf die amerikanische Sprachwissenschaft seit L. Bloomfield aus, der im Zuge seiner Abkehr vom Mentalismus Wundts für die linguistische Forschung einen konsequenten . . Antimentalismus forderte. Behaviorist: Kainz 1941 Psychologie l 54 Dem Behavioristen erscheint die Sprache nicht in erster Linie als Ausdruck des Seelischen, sondern als Mittel und Werkzeug. behavioristisch: Kainz 1941 Psychologie I 35 Andere im weiteren Umkreis behavioristischer Zielsetzungen angestellte Tierversuche . . sind für das Problem der Sprachlokalisationen und die Theorie der zentralen Vorgänge beim Sprechen und Verstehen zumindest mittelbar von Bedeutung; FAZ 16. 8. 1963 das deskriptive, behavioristische Vokabular; Lewandowski 1979 Linguist. Wb. I 116 Die behavioristische Einstellung zum Problem der . . Bedeutung hat zur jahrzehntelangen Vernachlässigung semantischer Fragestellungen geführt . . Grundsätzliche Kritik am behavioristischen Zugang zu Sprachproblemen übte . . K. Bühler (1934). . . Das methodologische Postulat, Kategorien wie Bewußtsein, mentale Prozesse usw. nicht zuzulassen, . . kann nach der Meinung vieler Kritiker nicht zum Ziele führen. GS

Belcanto, auch Belkanto M. (-(s); ohne PL), im späten 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. bei canto, eigentlich 'schöner Gesang' (aus bel(lo) 'schön, gut' < gleichbed. lat. bellus, und cantare 'singen' < gleichbed. lat. cantare, Intensivum zu canere 'Töne von sich geben, singen'; —> Kantate), gelegentlich auch in Schreibungen wie belcanto, bei canto, Bel-Canto. In der Musik, insbes. im Bereich der Italien. Oper in der Bed. 'virtuoser Gesangsstil, bei dem großer Wert auf die Kultivierung des gesanglichen Vertrags gelegt wird, vor allem auf die Schönheit von Klang und Melodie sowie auf vollkommene Tongebung und Ausgeglichenheit der Stimme; Schöngesang'; als Bestimmungswort in Zss. wie Belcantoarie, -oper, -ensemble, -Sänger, -stil, -technik; gelegentlich auch übertragen gebraucht, z. B. politischer Belcanto (s. Belege 1913, 1932, 1950, 1987). Dazu seit früherem 20. Jh. die Personenbezeichnung Belcantist M. (-en; -en), auch Belkantist, '(Opern-)Sänger, der die Kunst des Belcanto beherrscht', in neuerer Zeit

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Belcanto

die adj. Ableitung belcantistisch, auch belkantistisch, 'im Stil, nach Art des Belcanto' und die nur gebuchte Ableitung belcantieren V. intrans., auch belkantieren, "im Stil des Belcanto singen'. Belcanto: 1884 (Briefw. ]. Burckhardt-Wölfflin 31) [Notiz Wölfflins] 1000 Freibillete für Bayreuth schlechte und verdächtige Spekulation. Der Mann hätte 100 Reisebillete stiften müssen. Wagner verderbe die Stimmen: der bei canto, den die Italiener und Mozart fördern, weicht einem Heulen und Stoßen; Billroth 1891 Br. 415 die Wertschätzung des bei canto hängt nicht nur mit sehr musikalischer, ich möchte sagen specifisch tonlicher Empfindung zusammen, sondern auch mit sehr fein ausgebildeter Empfindung und Intelligenz überhaupt; Grüner 1905 (Schaubühne l 314) Wenn auch Sänger und Sängerinnen später den Belcanto im Dienst der Rossini, Donizetti, Bellini erniedrigten, indem sie ihre Stimme zum ausschließlichen Tyrannen aller und alles machten; Liebknecht 1913 Ges. Reden u. Sehr. VI 362 Auch der leuchtendste Star des politischen Belkanto könnte die Massenstreikstimmung nicht künstlich erzeugen; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 405) eine Weile saß Settembrini an seiner Seite, verschwand aber ebenfalls, nachdem er über den dumpfen bei canto der Ansässigen einiges Pralle, Plastische angemerkt; Köln. Ztg. 17.1. 1930 daß er sich im stillen Kämmerlein im belcanto übt; 1932 ZGOberrhein LXXX1V 351 Es gibt eben damals noch keine deutsche Idee .. für den Staatsmann am Steuer, und Worte wie „Deutschlands Einheit" bildeten für den Politiker lediglich ein . . rhetorisches Rüstzeug; der Fachmann wusste, was er von solchem „Belcanto" zu halten hatte; Lokal-Anz. 3. 9. 1934 Helge Roswaenge gibt einen vollendeten Radames; das nennt man einen Stilsänger, der seinen belcanto geradezu spielend meistert!; Dresd. Anz. 9. 9. 1936 wir wünschen uns . . Schellenberg noch recht häufig in der Rolle des Rigoletto, denn eine echtere Erfüllung des „Belcanto" läßt sich . . schwer denken; Munch. N. N. 7. 7. 1942 Italienischer Bel canto (Überseht.) In einem Konzert, das die Deutsch-Italienische Gesellschaft . . veranstaltete, gab die Sopranistin .. einen Ueberblick über den Bei canto-Stil alter italienischer .. Meister; Th. Mann 1950 Reden u. Aufs. (W. XI 316) wenn sich der Roman von der demokratischen Rhetorik, dem politischen bei canto des Mazzini-Schülers humoristisch distanziert; Süddtsch. Ztg. 3.10.1952 An seiner Gesangskultur, an der Schlichtheit seines Vortrags kann sich noch jeder ein Beispiel nehmen: auch für den alternden Gigli blieben alle Tenorallüren, alle aufgesetzten bei canto-Tricks wesenlos; Andreas 1953 Carneval 24 makellose Belcanto-Technik; N D 10. 9.1964 Milano in Moskau - Bel Canto im

Bolschoi; Bert. Ztg. 10.12. 1966 Daß hier Belcanto und südländisches Feuer dominieren, setzt den Hauptakzent der Aufführung; Hollander 1970 Schubert o. S. in ihr summieren sich die italienischen Belcanto-Erfahrungen der Opera seria-Tradition . ., zugleich aber mutet die wesentlich reichere Orchester- und Chorschreibweise und der tragische Grundgestus wie ein Vorecho von Rossinis französischem Grand Opera-Spätstil an; FAZ 22. 8. 1970 Kesseltreiben um die Idole des Belcanto. Festpremieren in der Arena von Verona (Überschr.); Zeit 15. 2. 1985 Gipfelleistungen des Gesangs [in Opern], hier jenes Bel canto, in dem Wohlklang keineswegs die einzige wichtige Kategorie war und ist; ebd. 3. 4. 1985 Generalmusikdirektor . . verspricht . . Kontinuität zwischen traditionellen Belcanto-Genüssen und interessanten Neuinszenierungen; ebd. 17.5.1985 noch immer hat er unter den Liedermachern die schönste Stimme — mit leisem Belcanto-Zittern; ebd. 28. 5. 1985 nicht „instrumentaler Belcanto" wird zum zentralen Ziel, sondern erdnahe Kraft; ebd. 2. 8. 1985 sie beherrschten ihr Handwerk derart, daß Lehrer wie Popora, Bernacchi, Pistocchi und Tosi noch heute als Synonym mit der Gesangskunst des Bel-Canto in Zusammenhang gebracht werden; ebd. die Stimme dieses Sängers ist denn auch das einzig übriggebliebene klangliche Zeugnis der „eigentlichen Kunst des Bel-Canto", die, wie Rossini meinte, „mit den Kastraten aufgehört hat"; ebd. 4. 7. 1986 Ingvar Wixell ist kein geborener Belcanto-Sänger; ebd. 3. 10. 1986 kein . . italienischer Wohlklang von Engelszungen, sondern ein kerniger . . germanisierter Belcanto; ebd. 2. 1. 1987 daß die „Caro nome"-Arie . . bis in die letzte Verzierung . . artikuliert . . wird, ein Belcantostück nicht der dramatischen, sondern der lyrischen Koloratur; MM 27. 2. 1987 daß sich damit gleichzeitig neue und unverbrauchte Klangräume auftaten, spricht für das Belcanto-Ensemble genauso wie für die Komponistin; ebd. 13. 7. 1987 Radames .. begibt sich mit zwei Schritten an die Rampe und haucht d o r t . . in . . perfektem Belcanto sein Leben aus; ebd. 20. 7. 1987 „Lohengrin" ist eine Oper für Sänger, für Wagnerschen Belcanto; ebd. 16. 9. 1987 Figuren italienischer Belcanto-Opern des frühen 19. Jahrhunderts, in denen zahlreiche Kritiker nur aparte Scherenschnitte exaltiert-romantischer Empfindung sahen; ebd. 9.11. 1987 schwelgt James Dietsch (Marcel) geradezu in einer farbigen Belcanto-Kultur; ebd. 30.11.1987 daß die Welt nicht im Belcanto klingt und auch im Theater der

Beletage Himmel. . nicht voller Geigen hängt, hat sich nach 35 Jahren anscheinend noch nicht überall herumgesprochen; ebd. 1. 3. 1988 wirkt sie doch . . nicht wie eine Primadonna aus dem Bilderbuch — kein Belkanto, der in großen, mit Klangschmelz überzogenen Legato-Bögen dahinströmte; ebd. 10.3. 1988 Ein belcanto-Tenor der oberen Mittelklasse: die melodischen Himmelsstürmereien zeichnet er mit eher sachlicher Diskretion; ebd. 27. 6. 1988 zu später Stunde lockte eine Nachtperformance des Frankfurter „belcanto"-Ensembles ein .. nicht allzu üppiges Publikum auf die Ränge des Jugendtheaters; Spiegel 27.2. 1995 Eine Stunde lang schleimt es aus der Trickkiste der Souther-Crew. Hildegards nobel gesetzter Belkanto wird in künstlichem Nachhall vernebelt; ebd. 19.2.1996 Die glamourösen Live-Auftritte der Belcanto-Giganten Carreras, Domingo und Pavarotti. Belcantist: Berl. lllustr. Nachtausg. 17. 9. 1932 bewährte sich der .. Tenor Julius Patzak, den wir vom Konzertsaal her in bester Erinnerung haben, als außerordentlich kunstvoll singender Belkantist.

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Das Organ ist lyrisch, manchmal an Buffostimmen erinnernd; FAZ 25. 2, 1970 durch Carlo Bergonzis Belkantistencharme ein recht kavaliermäßiges Jünglingsbild des Infanten [„Don Carlos"]; MM 29. 2. 1988 Michael Davidson, der, nicht eben ein Belcantist, einen kernigen, erdverbundenen Rodrigo verkörperte; Spiegel 18. 7. 1994 Als Star . . pflegt Kissin den Stil von vorgestern . . Wie einst die großen Belkantisten des Instruments MozartSonaten in Mozart-Opern verwandelten und die Kantilenen der Romantiker gleichsam vom Stimmband spielten, so hält er auf guten Ton, selbst im Härtetest zeitgenössischer Werke. belcantistisch: FAZ 20. 1. 1970 seine [des Sängers] „belcantistisch und dramatisch gleichermaßen fesselnde Erscheinungskraft" hatte der Rezensent einen „Glücksfall" doppelter Begabung und Schulung genannt; MM 3. 4. 1985 stimmlich behauptet er [Rene Kollo] sich geradezu belkantistisch, selbst noch im dritten Akt [des „Siegfried"] gegen die motivisch strukturierten Klangfluten des Orchesters. GS

Beletage, auch Bel-Etage F. (-; -n), Anfang 18. Jh. entlehnt aus (heute durch premier etage ersetztem) gleichbed. frz. bei etage M., eigentlich 'schönes Stockwerk' (aus bei 'schön' und etage; —* Etage), daneben schon seit dem 18. Jh. entsprechend dem fern. Gebrauch von Etage im Dtsch. häufiger die Formen belle Etage, BeileEtage sowie in unterschiedlichsten Schreibungen (s. Belege 1780, 1788, 1834, 1863, 1877, 1889, 1964). Zunächst bes. mit Bezug auf die Repräsentationsräume in adligen, herrschaftlichen Gebäuden, dann auch auf bürgerliche Verhältnisse ausgedehnt in der Bed. 'schöne, meist über dem Erdgeschoß gelegene, prachtvoll ausgestattete Zimmerreihe eines (größeren) Hauses; erster Stock, Stockwerk über dem Erdgeschoß, Haupt-, (erstes) Obergeschoß'; in neuerer Zeit häufiger bildlich verwendet in der festen Verbindung in der Beletage (der Gesellschaft) verkehren (s. Belege 1963, 1964, 1986, 1990) bzw. auf Personenkollektive übertragen im Sinne von 'die auf den oberen Rängen/auf der höchsten Stufe Agierenden, die Spitze, Spitzengruppe; Personen(-gruppen) in führender, leitender Position; politische, gesellschaftliche, kulturelle/künstlerische Ober-, Führungsschicht' (s. Beleg 1988; —* Elite, —»· Creme), vgl. Wendungen wie die Beletage der Partei, die Beletage der Verdi-Interpreten. Sturm 1714 Anw. (Architektur) Tafel XI Grundriss des Obern Geschosses in dem Fürstl. . . Jagdhaus zu Neustatt an der Elbe. Le plan du Bel-Etage [auf einem Plan]; Penther 1744 Lex. architect. 64b Premier Etage oder Beletage nennen die Frantzosen dasjenige Geschoß, so würcklich das zweyte Geschoß ist, und auch von den Deutschen also benähmet wird; ders. 1748 Bau-Kunst HI 47 In der BelEtage ist die Gerichts-Stube (BRUNT); Leisewitz 1780 Tagebücher I 152 Als ich . . auf das [!] Markt

kam und in der belle etage Licht sähe; Michelis 1782 Reiseschule 187 Ein Gegenstück zu dieser Plusmacherei sind die „Entresols", deren einzelne Hotels sogar schon zwei aufzuweisen haben, damit das dritte Stockwerk Beletage heißen kann; Heinzmann 1788 Beob. 246 In der belle Etage des Gebäudes steht die Bibliothek; Lichtenberg 1798 Hogarth IV 244 vermuthlich ein Hieb auf andere Zieräffchen, nicht aus dem Kuhstall, sondern aus der bel-etage des Hauses selbst; Goethe um 1800

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Beletage

Amü. Sehr. (1911 Zf. Thür. Gesch. NF Suppl.h. HI 85) Herr Prf. Gentz übernimmt die noch fehlenden Zeichnungen zu den Apartements der Belletage (GWB); Kotzebue 1801 Jahr U 228 Außer dem Kaiser und der Kaiserin, wohnten in der bei etage nur noch der Großfürst Constantin mit seiner Gemahlin; Bechstein 1832 Arabesken 51 in dem Fenster der belle Etage mir gegenüber; Bauschke 1834 Bilder 81 die Reichen in der belle etage; Kohl 1841 Petersburg l 16 Unter den Privathäusern sind viele, welche an Zahl und Weitläuftigkeit der Gehöfte . . der Burg in Wien wenig nachgeben .. In der Beletage wohnten zwei Senatoren und die Familien mehrerer reicher Particuliers. In dem zweiten Stockwerke befand sich eine im ganzen Hause sehr berühmte pädagogische Anstalt; Reichensperger 1846 Verm. Sehr. 416 eine Glasthüre setzt. . diesen Vorsprung [Balkon] in Verbindung mit der „BeiEtage"; Kohl 1850 Verkehr 183 die erste Etage Nr. 2 oder die mit Recht sogenannte bel-etage; Holtet 1860 Eselsfresser H 147 Die Bel-Etage hatte nur Madame inne; dort empfing sie, dort thronte sie als Autokratin; Grabowski 1863 Off. 119 Zu ebener Erde waren verschiedene Läden, in der Beile-Etage eine Modewaarenhandlung; ebd. 147 er besaß eine ganze Beile-Etage mit fünf Fenstern Front; Mahler 1864 Ueber d. Eider 51 Ich saß in unserem Bel-Etagezimmer im Hotel zur Stadt Hamburg in Flensburg; Kretschman 1870—71 Kriegsbr. 200 Ich habe mir einen zwei Stock hohen Rapp-Wallach ausgewählt, so dass ich Bel-Etage wohne; Michaelis 1872 Reiseschule 187 Beletage; Faucher 1877 Culturbilder 51 Ich bewohnte die erste Hälfte des ersten Stockwerks über dem Erdgeschoß, welches wir die Beile-Etage zu nennen gewohnt sind, obgleich es, wenn man einmal Französisch sprechen will, das Bel-Etage, also das schöne Stockwerk heißen müßte; Wasservogel 1888 Klinghart 43 Bel-Etage; Frommel 1889 Einwärts 104 Die englische Familie bekam ihre Logis in der belle etage mit Teppichen und seidenen Betten, ich im vierten Stock; Hauptmann 1893 Biberpelz 457 wohnt . . in der Beletage; Fontäne 1898 Zwanzig 637 In eben diesem Hause, dem Aerztehause, waren drei Doktoren einquartiert: in der Beletage der dirigierende Arzt Geheimrat Dr. Bartels; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. / 436) Preußische Offiziere bewegen sich in der parkettierten Zimmerflucht der Bel-Etage von Senator Buddenbrooks neuem Hause; Blüthgen 1907 Spiritisten 86 bewohnte . . eine höchst feudale Beletage in der Tiergartenstrasse; Th. Mann 1909 Hoheit (W.U 134) es war ein Bau von intimen Verhältnissen, im Zopfstil errichtet, mit . . hohen Balkonfenstern in der Bel-etage; der i. 1924 Zauberberg (W. III 32) im Geschmack des nordischen Klassizismus erbauten . . Haus an der Esplanade, mit Halbsäulen zu bei-

den Seiten der Eingangstür in der Mitte des . . Erdgeschosses und zwei Obergeschossen außer der Beletage, wo die Fenster bis zu den Fußböden hinuntergezogen . . waren; Heilborn 1929 Revolutionen II 56 Man findet 1850 eine Fünfzimmerwohnung am Schiffbauerdamm für 120 Taler, die halbe Beletage am Gendarmenmarkt .., sechs Zimmer, kostet 350 Taler; Th. Mann 1939 Lotte (W. 703) das gestreckte Haus mit leicht abbiegenden Seitenflügeln . .: Parterre, Bel-Etage und Mansardenfenster im mäßig hohen Dach; ders. 1947 Faustus (W. VI 544) die Wohnung des Fabrikanten Bullinger in . . München ..: die Beletage des von ihm erbauten herrschaftlichen Mietshauses, unter deren Fenstern . . die Isar ihr unverdorbenes Bergwasserrauschen betrieb; Fallada 1953 Wolf II 353 Er steigt auch nicht wie die Herrschaften fünf Stufen hinauf in die Beletage mit den Spiegelscheiben (WOG); Th. Mann 1954 Krull (W. VII 344) der Schauplatz war zu meinen Häupten: ein offener Balkon der Bel-Etage des großen Hotels zum Frankfurter Hof; Alewyn 1959 Welttheater 44 an dem sozialen Vorrang der Bei Etage hat es [bürgerliche Zeitalter] bis in das 20. Jahrhundert im städtischen Mietshaus . . festgehalten; Jens 1959 Götter 10 Im Süden [Italien] ist alles noch beieinander. Hinterhof und Beletage, Neon und Abfall . . pittoreske Details; Hilpert 1963 Liebe 98 Theaterkritiker . . Snobs und Stildebattierer leben im selben Haus, nur dass die einen im Parterre und die ändern in der Beletage wohnen; Süddtsch. Ztg. 20.10. 1964 Die Staats Vereinfachung . . erlitt ihren Todesstoß schon längst, als man nämlich oben in der Belle Etage — bei Regierung und Parlament selbst — nicht den Hebel zur Vereinfachung ansetzte; Welt 11. 12. 1964 den Anstoß gab unbeabsichtigt ein Kellner, der ahnungslos in der Beletage mit einem Tablett entlang kam und sich unversehens dem Tiger-Tier gegenüber sah; MM 30. 4. 1969 Ob Mansarde oder Mietblock, Beletage oder Bungalow — die Wohnung ist der Mittelpunkt des Lebenskreises geworden; ebd. 10. 1. 1985 ist der Weg von Straßburg, wo Vincent . . das Theatre National de Strasbourg zu einem Stützpunkt des französischen Gegenwartstheaters ausbaute, bis zur Bei Etage an der Pariser Place Colette weiter als es jede Kilometerzahl angeben kann; ebd. 3. 5. 1985 in der Beletage hat eine Werbeagentur aufgemacht; Zeit 7. 2. 1986 in der Beletage der Berliner Politik wurde zwar seit 1981 renoviert — nicht immer berauschend, im Ganzen jedoch beachtlich; angefangen hatte damit schon der kurzlebige „Zwischensenat" unter Hans-Jochen Vogel; ebd. die politischen Schwächen in der Beletage erklären allerdings . ., weshalb auf den Stufen zum Souterrain (und erst recht zum finsteren Keller) die Energie verlorenging, dem kriminel-

Belletrist len Milieu den Zugang zu Parteipolitik und Verwaltung zu versperren; Stern 25. 6. 1987 die Pantoffelblume zählt zu den bescheidenen Freuden für den Pantoffel-Rentner in der feuchten SouterrainWohnung, weswegen sie in der Beletage nicht gern gesehen ist; MM 20. 11. 1987 Verdi von der allerfeinsten Art (Überschr.) . . so weit, so gut: die Beletage der italienischen Verdi-Spezialisten sorgten in Mannheim für ein Stimmfest; ebd. 5. 1. 1988 wer sich aus der internationalen Sängergarde in Mailand, Wien, Hamburg, . . bejubeln läßt, kann gerade in Mannheim einen schlechten Tag erwi-

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schen und so das Publikum lehren, daß man auch in der Beletage der Zunft nur mit Wasser kocht; Tagesztg. 2. 9. 1990 die Deutschen Ost und die Deutschen West haben offensichtlich erkannt, daß sie gemeinsam sehr wohl den Anspruch auf die Beletage im famosen europäischen Haus beanspruchen könnten; Süddtscb. Ztg. 10. 8. 1993 Die Welt, in der wir lesen, ist noch immer ein Haus mit vielen unterschiedlichen Wohnungen. Da ist noch immer die Beletage der Belletristik, das Dachstübchen der Poesie und die Einliegerwohnungen für Billigangebote, Taschenbücher und Offerten der Kettenläden. GS

Belletrist M. (-en; -en), auch Belletristin F. (-; -nen), im späteren 18. Jh. aufgekommen, mit dem Personalsuffix -ist(in) gebildet zu frz. belles-lettres PL, eingedeutscht auch Belles Letters, Belletters, 'schöne Literatur' (aus belle 'schön' < gleichbed. lat. bellus, und lettres 'Literatur', Pl. von lettre 'Buchstabe; Schrift' < gleichbed. lat. litter a), anfangs selten auch in Schreibformen wie Belleterist, Bellettrist. Zunächst allgemein für 'Freund und Kenner der schönen Rede- und Dichtkunst' (vgl. älteres, Anfang 18. Jh. aus gleichbed. frz. bei esprit entlehntes Beiesprit bzw. schon früh lehnübersetztes Schöngeist), dann insbes. in der Bed. 'Verfasser (nur) schöngeistiger oder unterhaltender Literatur, Unterhaltungsschriftsteller, -literat', gelegentlich leicht abwertend gebraucht, vgl. Afterbelletrist (s. Belege 1774, 1788, 1840, 1859, 1932, 1987), heute nur noch selten (vgl. Trivialautor, -» trivial). Dazu etwa gleichzeitig die adj. Ableitung belletristisch, vereinzelt auch in der Nebenform bellet(e)risch, 'schöngeistig; den Belletristen, die Belletristik (s. u.) betreffend, ihr angehörend', gelegentlich auch eher abwertend verwendet für 'künstlerisch wertlos, nur unterhaltend' und negativ konnotiert mit „unschöpferisch, dilettantisch" (s. Belege 1778, 1799, 1804, 1907, 1930, 1986), z. B. in den Wendungen ein belletristischer Schriftsteller; belletristische Literatur, die belletristischen Neuerscheinungen, seine Veröffentlichungen sind rein belletristisch; eine Abhandlung, Darstellung in belletristischer Form; ein künstlerisches Thema belletristisch behandeln; belletristischer Verlag 'Verlag, der (vorwiegend) belletristische Literatur ediert'; im späten 18. Jh. die seltene, bis ins 20. Jh. gebuchte subst. Ableitung Belletristerei F. (-; ohne PL), für 'Schöngeisterei' und insbes. 'das Schreiben von minderwertiger Unterhaltungsliteratur; (nur) schöngeistige Schriftstellerei, dilettantisches Dichten, Versemachen' sowie die Gelegenheitsableitungen Belletristentum 'Wesen und Treiben von Belletristen' und Bellet(e)rie 'Schöngeistigkeit', auch 'Belletristik', s. u.; seit Ende 18. Jh. die subst. Ableitung Belletristik F. (-; ohne Pl.) in der Bed. 'unterhaltende, schöngeistige Literatur (zu der vor allem erzählerische, aber auch dramatische und lyrische Werke gehören), Unterhaltungsliteratur (im Unterschied zu wissenschaftlicher oder fachlicher Literatur)', je nach dem bezeichneten Literaturbereich selten mit positiver Wertung für ' (anspruchsvollere) poetische, künstlerisch gestaltete, hohe Literatur (z. B. Werke der Klassik)' (s. Belege 1928, 1985), gelegentlich auch eher pejorativ für Ohne Fachwissen oder künstlerische Meisterschaft geschriebene Literatur' und konnotiert mit „geistig wenig anspruchsvoll, künstlerisch wertlos, ohne Niveau, nur der Unterhaltung dienend" (vgl. Trwialliteratur, —* trivial; s. Belege

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Belletrist

1804, 1929, 1970, 1985), selten in Zss. wie Belletristikautor, -verlag; Kriegsbelletristik; im 20. Jh. die Gelegenheitsableitung Belletrismus. Belletrist: Goethe 1774 Werther (WA I 19,92) er [der Graf] . . führe eine gute Feder; doch an gründlicher Gelehrsamkeit mangle es ihm, wie allen Belletristen; Schubart 1775 Chronik 518 Um einen Belletristen ists gar ein täuschend Ding . . Alles in der Welt, nur keinen Belletristen zu einem Lehrer gemacht. Das sind Geschöpfchen zum Vergnügen und nicht zum Nutzen; Sulzer u. Hottinger 1778 Brelocken 29 Du spöttelst, wenn wir Herdern sanft und prüfend widerlegen: allein, wenn Schönschwätzer und Gefühlelektrisirer und Belletristengenies Semlern und Tellern zu Religionsläugnern machen; 1779 Wiener. Musenalmanach 139 Doch ist auch, sprech ich gleich nicht Hohn/ Dem Belletristentitel/ Ein Scherflein Erudition/ Gar oft ein trefflich Mittel,/ Das hochgelahrte Dunsenheer/ zu klopfen und zu bläuen; Schubart 1780 Originalien 37 Schönliebhaberey eines Belletristen; Wezel 1781 Sprache 204 Wir haben nichts als Gelehrte: um dem Mangel einigermaßen abzuhelfen, hat man Gedächtnißgelehrte, Wissenschaftsgelehrte und Belletristen geschaffen; 1782 Almanack der Belletristen und Belletristinnen (Titel); ebd. 30 Doch halten wir's für pfiffiger, ein Ding recht, als zehn Dinge nur obenhin zu wissen. Entweder ganz Theolog oder ganz Bellettrist!; Schulz 1783 Friz oder Geschichte eines Belletristen (Titel); Timme 1785 Luftbaumeister l 194 Belleterist; 1787 Journal v. u. f. Deutschland I 362 Der bekannte Belletrist Dreyer; Knigge 1788 Umgang 33 [Ein Professor] nennt Jeden, der sich darauf [auf seine Wissenschaft] nicht gelegt hat, verächtlicherweise einen Belletristen; Westenrieder 1788 Beytr. l Vorr. 4a dass man das Wahre und Zuverlässige gründlich aufsuchen und darlegen könne, ohne darum in einen [!] Ungestüm, und in eine wilde und pöbelhafte Hitze (welche man wohl an jungen sogenannten Belletristen, aber nicht an Männern männlicher Wissenschaften, nicht an historischen Männern gewohnt ist) gerathen zu müssen; Müller 1789 Emmerich VI 183 er war es nach gerade eben so gewohnt, als wäre er ein großer Belletrist gewesen, von seinem Geschlecht beneidet und von den Weibern fetirt zu werden; Schubart 1791 Ges. Sehr. u. Schicksale l 73 Die ernste Weltweisheit, die damals den kindischen Belletristen zu lieb sich aufzuputzen anfing, liebte auch ich im Gewände, das ihr Feder, Kant, . . Riedel und Grave umwarfen mehr, als in ihrem alten staubigten Mantel; Heinzmann 1795 Pest d. Lit. 137 Die Kultur, von welcher Hr. Wieland hier spricht, wird vermuthlich die Verfeinerung bedeuten, in welche uns die Herren Belletristen zum Genuß aller Freuden des Geistes eingeweiht haben; Gutsmuths 1796 Spiele 397 Die Aka-

demie verlangt, daß ihr Belletrist sie durch ein gut deklamirtes Liedchen belustige; Hauff 1826 S. W. V 221 aber statt, wie es einem berühmten Litterator, einem namhaften Belletristen geziemt hätte . ., öffentlich vor dem Richterstuhl . . sich zu verteidigen, begnügte er sich als Gegengewicht das „Tornisterlieschen" auf die Wagschale zu legen; Lewald 1836 Aquarelle I 7 Die ganze Gelahrtheit, ernste Weise, Naturphilosophen und Geschichtsschreiber hatten sich [im Theater] eingefunden, bis herunter zu dem losen Völkchen der Belletristen; Borne vor 1837 Ges. Sehr. 337 Jean Paul, dieses Harzgebirge . . voll der edelsten Metalle, würde, verarbeitet, die Bijouterieläden aller deutschen Belletristen versehen und, zu Goldschlägerplatten ausgedehnt, die halbe Erde bedecken können; 1840 DVjS ill 272 In selbst verfertigten Artikeln macht der Volksbelletrist seinem Publikum all die Kunststücke vor, welche für Hauptelemente moderner Aesthetik gelten; ebd. HI 273 der Afterbelletrist, der zur geistreichen Unterhaltung von Schreibern und Ladendienern, von Putzmamsells und Wittwen . . alles im Himmel und auf Erden unverschämt lorgnettirt, .. ist nichts als die gehudelte, etwas inkorrekte Ausgabe des Schöngeists; Hebbel 1852 S. W. III 5,4 Ich habe in Ihrem Hause den Spion gemacht und mich überzeugt, dass Sie uns Belletristen der neueren Zeit nicht ganz von den Repositorien ausschliessen, auf denen List und Adam Smith den ersten Paltz einnehmen; Strauss 1859 Br. 403 Leute seiner Art [wie Böcking] halten unsereinen so leicht blos für einen Belletristen; Haym 1870 Romant. Schule 59 Den Letzteren prikkelte es nun einmal, auch als Belletrist zu gelten; Schmidt 1878 Lenz 76 Klinger steht unter dem Einflüsse der Raritätenkastentheorie. Da sind mehrere Liebespaare, da sind Kinderscenen . ., auch zusammenhangslose Episoden, da wird das „BelletristenGeschmeiss" von einem polternden Magister trefflich begrandisont; Riehl 1885 Vortr. II174 die modernen Naturforscher, welche so gern von stolzer Höhe auf die Popularphilosophen und vollends auf die Belletristen herabsehen, sollten nicht vergessen, daß ihre Wissenschaft vor Zeiten unter dem Schütze jener Litteratur zu ungeahnter Macht herangewachsen ist; Harden 1892 Apostata N. F. 183 ein Belletrist und deshalb ganz ungefährlich, hatte ihnen zum Ueberfluß noch einen Satz gezeigt, den Balzac seiner verfänglichen Physiologie der Ehe zum Motto gesetzt hat; Fontäne 1895 Br. (Ges. W. II 2,333) Novellisten, Belletristen und Feuilletonisten; Borchardt 1905 Reden 68 Nicht der berlinische, münchnerische oder wienerische Belletrist mittleren Schlages repräsentiert die moderne Lite-

Belletrist ratur, sondern der unabhängige Anonyme; Landauer 1906 Lebensgang i 150 die Gestalt des Cardillac, die bisher durch die Hände des Belletristen E. T. A. Hoffmann und des Spintisierers Ludwig ging, ist noch nicht fertig; Meyer 1911 Aufs, l 26 Gräfin Hahn, die hervorragende Romanschriftstellerin, hatte sich in einem Fremdenbuch als „Ida Hahn-Hahn, Belletriste" verewigt; da schrieb ein Spaßvogel, der diese Berühmtheit der „belles lettres" wohl gut kannte, herunter: Belle warste — / Triste biste — / Siehste wie de biste —/ Belle triste!; 1912-13 Pan ill 651 Wer so spräche, wäre ein Unbelletrist . ., unter dessen Perspektive der . . Gegensatz zwischen Essay und Erzählung . . sicherlich zu einer Angelegenheit von septimärer Bedeutung herabschrumpfen würde; Rathenau 1917 Br. I 345 Es hatte einer anderen Heldenfigur bedurft als dieses Belletristen, um den Gegensatz zu verbinden; 1918 (Dtsch. Spr. Ehrenkr. 573) Man macht aus in Literatur,/ Zunächst Essays und Skizzen nur,/ wobei so manches Impromptu/ wird kolportiert als Apercu,/ dann Journalist und Belletrist/ pro forma, weil man keiner ist../ Man bleibt nicht ein Anonymus/ auf dem Parnaß und Pegasus; Stemplinger 1932 Jugend in Altbayern 101 Wer [bei Universitätsstudium in München um 1890] auf ästhetische Schönheiten hinwies, wer von den Analysen zu synthetischer Behandlung sich hinreissen liess, nicht jeden Satz mit ein paar Zitaten belegen konnte, der galt als „Künstlerphilologe" und wurde verächtlich unter die „Belletristen" geworfen; Th. Mann 1939 Lotte (W. U 703) Herr Stephan Schütze, „unser trefflicher Belletrist und Taschenbuch-Editor"; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XU 314) wüßten unsere Manifestanten und Belletristen der Tat, wie sehr sie sich mit ihrer Antithese von Ästhetizismus und Aktivismus, ihrer Verwechslung des Nutzlosen mit dem Nichtsnutzigen von aller deutschen Bildung entfernen; Zeit 1.5.1987 so daß nun umfassende Gelehrsamkeit notwendiger sei als das Zufallstreiben der Belletristen. Bellet(e)rie: Richter 1781 Reise Wien-Paris 16 sind . . hirnlose Schwätzer, mit einem Anstrich von Belleterie, aber ohne Gelehrsamkeit; Jean Paul 1795 Fixlein (W. VII 83) Solche Nebenstudien trieb er neben seinen Amtsarbeiten; aber ich glaube, ein Staat ist über so etwas toll: er vergleicht den, der in Philosophie und Belletrie groß ist auf Kosten des Amts-Schlendrian, mit den Konzertuhren, die ihre Stunden . . schlechter schlagen als dumme .. Turmuhren; Fessmaier 1799 Oberpfalz I Von. VII In der Philosophie, Belletrie, Philologie (Überschr.). bellet(e)risch: Fronhofer um 1780 (1884 Zs. f. /W/g. Gesch. I 184) Deutschlands belleterisches goldenes Jahrhundert ist . . so gut als vorbey.

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Belletrismus: Miller 1950 Köpfe 46 ich fordere von den paar großen Männern, die unser Schrifttum noch aufweist .., vor allem eines: Konstruktivität. Und zwar nicht dichterische, sondern geschichtsbildnerische. Zweierlei in der hohen Litteratur ist, messen wir mit dem strengsten Maßstab, heute unzulänglich: Belletrismus; und: das nur Destruktive . . Nicht das Ausweichen und der Feuilletonismus führen die Einheit . . herbei — nur der Mut zur Klarheit, nur der kritische Exaktismus. Belletristentum: Keller 1857 Leben, Br. u. Tagebücher II 465 und zweitens weil ich durch die Studien, welche solche Sache erfordert, vor dem geistigen Einfrieren bewahrt werde und vor dem Versinken in ein vages Belletristentum. Belletristerei: Hamann 1775 Briefw. Ill 191 weil . . zu deutl. Stellen gegen Sulzers Moralische Belletristerei vorkommen; 1782 Almanach d. Belletristen 30 Conzius wollen wir wol raten, die Bellettristerei liegen zu lassen; denn ausserdem, daß er eben kein großes Licht zu werden verspricht, komt noch der Umstand hinzu, daß Bellettristen, die kein eigenes Vermögen haben, . . verzweifelt hungern müssen; Riesbeck 1783 Br. I 531 Ich sehe, Bruder, wie du hier die Nase rümpfest. Ich weiß, du lebst und webst in deiner Bellettristerey, und bedauerst uns ändern, daß wir Barbaren genug sind, dem göttlichen Kunstwesen nicht zu opfern; Bürger 1787 Anweisung z. dtsch. Sprache (III 33) O, man lasse sich doch ja nicht von Unwissenheit, Unvernunft und Geschmacklosigkeit gegen alles dasjenige einnehmen, was sie oft mit höhnischem Nasenrümpfen Schöngeisterei, Belletristerei und Gott weiß wie alle, zu schelten pflegen!; Heinzmann 1795 Pest d. Lit. 287 Der Absatz der philosophischen Litteratur . . verhält sich gegen andere Zweige, gegen Naturlehre, Mathematik, Philologie wie 6 zu l, und gegen Polizey, Oekonomie, Chymie wie 8 zu 4; gegen Romane, Belletristerey, Reisen, Revolutionen wie 6 zu 40; ja es stehet in letzterm Falle, wenn es hervorragende Schriften sind, gar in keinem Verhältniß mehr, weil alles was liest; Goethe 1799 Über Dilettantism. Schema (WA I 47,313) Neue Zeit/ Deutschland/ Schöngeisterey . . Impudenz des neuesten Dilettantism . . durch die Leichtigkeit eines guten mechanischen Äußern geweckt und unterhalten. Belletristerei auf Universität durch eine modernere Studierart veranlaßt. Frauenzimmergedichte; 1800 (]. G. Müller 1789-1809 Briefw. 223) Es ist die Giftblume der seit einem Jahrhundert so wohl gepflegten Pflanze der Philosophie, Belletristerey, Aufklärung und Unglaubens; Böttiger 1804 Literar. Zustände (I 266) Der alte Backhof . . war Dilettant in den schönen Wissenschaften . . Hier fand . . Bertuch Gelegenheit, seine Neigung zur

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Belletristerei mit den Neigungen seines Principals zu verschmelzen. Bertuch gab ein paar Bändchen Gedichte des Geheimraths Backhof in Druck und wurde auch selbst Autor; Ehrmann 1806 Frankreich 195 Der Dämon der Belletristerei hat in Frankreich noch früher gespukt, als in Teutschland. Belletristik: Zapf 1793 Literar. Reisen IV 15 Ein junger Mann, dem ich aber für eine solche Stelle [Bibliothekar], mehr literarische Kenntnisse, genauere Bücherkunde, und weniger Hang zur Belletristik wünschte; Goethe 1804 Br. (WA IV 17,99) über sogenannte Belletristik müssen wir uns einmal recht aussprechen. Es giebt immer eine schreckliche Marmelade, wenn dilettantische Schriften von Dilettanten beurtheilt werden: der Nagel hat keinen Kopf und der Hammer trifft falsch; ders. 1804 Br. (WA IV 17,123) Die mit 240 bezeichnete [Rezension] i s t . . ganz unbrauchbar .. Dergleichen Salbadereyen stechen gar zu sehr gegen den übrigen Gehalt ab. Möchten wir doch bald die Rubrik Belletristik ganz auslöschen und Artistik dafür setzen können!; Rohmer 1836 An die moderne Belletristik und ihre Söhne, die Herren Gutzkow und Wienbarg insbesondere (Titel); Rüge 1839 Briefw. u. Tagebuchbl. l 165 Eine andre Bitte an Sie, mir Beiträge aus dem Gebiete der Belletristik von sich zuzusenden, wiederhole ich und lasse Ihnen die Wahl unter den Tageserscheinungen; Slorm-Th. Mommsen 1843 Briefw. 44 Hat K. bezahlt, so bezahlen Sie mit dem Überschuß die Belletristica bei Bünsow; Gutzkow 1845 Reiseeindrücke (XI 175) Die fachwissenschaftliche Gelehrsamkeit nimmt gegen die schöne Literatur keinen hohen Ton an und spreizt sich gegen sogenannte „Belletristik"; Keller 1849 Leben, Br. u. Tagebücher 11 188 indem Morel gar keine juristischen und staatsrechtlichen Vorlesungen besucht, sondern nur Belletristik und allgemeine Schwärmerei und Bummelei getrieben hätte; 1855 Prutz' Museum l 685 Nicht blos die Belletristik, sondern auch die Wissenschaft flüchtet sich bei uns aus den umfangreichen, schwerfälligen Bänden mehr und mehr in die leichtbeweglichen periodischen Blätter; 1863 Bilder a. Paris I 217 Der Vicomte hatte wirklich in dem großen, nach allen Richtungen hin ausgegrabenen . . Schacht der modernen französischen Bellettristik [!] eine neue Goldader entdeckt; ebd. l 219 Freitag's geistreicher . . Roman „Soll und Haben", der, wenn das positiv-christliche Element mehr . . darin vertreten wäre, wohl den Preis in der gesammten modernen deutschen Bellettristik [!] verdiente; Springer 1868 Berlin 79 Aber die Clauren-Belletristik ersteht immer neu, . . so lange es in Deutschland liebessüchtige Blondinen und unpolitische Männer giebt; Wuttke 1875 Zeit-

schriften 63 Die Geistesschlaffheit der 20er Jahre war der fruchtbare Boden für eine marklose Belletristik; Nürnberger 1877 Herzenssachen 254 Und das möchten wir auch der deutschen Belletristik zurufen. Laß dir ein solches Büchlein nicht noch einmal schenken! Nur die graziöseste Dichterhand durfte nach diesem Schmucke greifen; Rutenberg 1877 Zinne 176 Fach der sogenannten Belletristik; 1887 Salon l 244 das Dichten hatte er zum Glück längst aufgegeben, in der Belletristik versuchte er sich aber noch hier und da — jetzt eben schwamm er im vollsten Fahrwasser des sozialen Journalismus; Rümelin 1887 Reden III 228 die sogenannten schönen Wissenschaften oder die Belletristik; Fontäne 1898 Zwanzig 148 Seine Domäne war die Gesamtbelletristik der Deutschen, Franzosen und Russen; 1909 Stimmen d. Zeit LXXVII121 Es sind jetzt elf Jahre, seit Karl Muth . . die katholische Belletristik in Bausch und Bogen vor sein Tribunal gezogen und für inferior erklärt hat; 1910 ebd. LXXV1IJ 83 Dieses . . unheimliche Anschwellen des papiernen Stromes überhaupt und der Belletristik im besonderen wirft auch auf die Redaktionsund Rezensentenstuben seine dichten Schlagschatten. Immer häufiger macht sich gerade den Werken des schönen Schrifttums gegenüber das Bedürfnis geltend, die vielen Neuerscheinungen in einer zusammenfassenden Rundschau kritisch zu beleuchten; Klabund 1915 Br. an e. Freund 100 Dabei ist gerade jetzt das Bedürfnis nach guter Belletristik vorhanden, die nichts mit dem . . Krieg zu tun hat; Ball 1918 Flametti 137 Da ihnen Haushalt und Belletristik nicht lagen, gaben sie selbdritt der kleinen Lotte französischen Unterricht; 920 Vergangenheit u. Gegenwart 275 Historische Belletristik (Überschr.) Angesichts der Fülle der vorhandenen historischen Dichtungen, . . hat wohl jeder Geschichtslehrer schon den Wunsch nach einem Handbuch empfunden, das die für die einzelnen Geschichtsepochen in Betracht kommenden Werke namhaft macht; Th. Mann 1925 Nachtr. (W. XIII 411) ich komme zur deutschen Belletristik und nehme beiseite, was schon große Namen hat, Wassermanns Eheroman „Laudin", den „Kopf" von Heinrich Mann; Frankf. Ztg. 26. 10. 2927sie [Sterbende] möchten ihre letzten Stunden ewigen Dingen widmen und nicht der vergänglichen Belletristik des Tages; Victor 1928 Probleme 10 nicht nur die hohe Kunst, die eigentliche „Belletristik" [darf] Objekt der Forschung [sein], sondern die gesamte literarische Äußerung; Voss. Ztg. 20. 12. 1929 was ist denn das für eine „Ware", die er [Verleger] vertreibt und anbietet; . . Belletristik heisst das komische altmodische Wort; diese gesamte Belletristik wird in ein ungeheuer grosslöcheriges Sieb geschaufelt, das nur ein paar kantige Brocken festhält .. die spärlichen Ueberbleibsel wandern in die

Belletrist Bibliotheken und bilden die „Literatur"; 1929 HZ CXL 548 „historischen Belletristik" eines Emil Ludwig; Reinhardt 1935 Vermächtnis 332 Die Nietzsche-Philologie und Nietzsche-Belletristik hat auch des Ariadne-Rätsels sich bemächtigt und es auf ihre Methode gelöst. . Ariadne wurde Cosima, Dionysos Nietzsche selbst, und Theseus wurde Wagner; Th. Mann 1940 Reden u. Aufs. (W. IX 631) ob nicht die ganze Belletristik eine Albernheit ist, und ob es nicht unsere Pflicht wäre, . . uns in theologisch-philosophische Bücher zu vertiefen; Behrend 1942 Reise 5 sollten die . . Handschriften keineswegs im Fabulieren und in historischer Belletristik bestehen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 223) er . . bediente . . mehrere Verlage mit Verdeutschungen englischer und amerikanischer Unterhaltungsbelletristik; Welt 17.5.1949 angesehener Verlag in Hamburg (Geisteswissenschaft, Belletristik) sucht für Vertrieb und Werbung einen begabten Mitarbeiter (Anzeige); 1954 Gegenwart 26 Sein Lieblingsgebiet war das moderne schöngeistige Schrifttum, das er Belletristik nannte; Frisch 1957 Homo faber 174 ganz abgesehen davon, daß ich in Mythologie und überhaupt in Belletristik nicht beschlagen bin; 1963 Definitionen 80 Damals — um 1928 — hatte die „Historische Zeitschrift" zu ihrem großen Angriff auf Emil Ludwig und die von ihm vertretene Richtung der „historischen Belletristik" angesetzt . . Die Kluft zwischen der sogenannten legitimen und „illegitimen" Geschichtsschreibung war tiefer denn je; Süddtsch.Ztg. 16.10. 1965 Siegfried Unseld, der Leiter des Frankfurter Suhrkamp-Verlags, der als erster . . deutscher Belletristik-Verlag auf der diesjährigen Buchmesse in Leipzig ausstellte; Stuttgarter Ztg. 1. 7. 1969 Es dürfte wohl niemanden die Nachricht überraschen, daß sowohl Titel der Belletristik als auch Fach- und wissenschaftliche Bücher . . besonders oft in den Großstädten verlangt werden; Welt 17.10. 1969 der Verlag Heinrich Scheffler bringt Belletristik und Sachbücher heraus; Foltin 1970 Unterhaltungsliteratur o. S. eine Analyse der wichtigsten inhaltlichen und stilistischen Merkmale dieser Belletristik; ebd. bestreitet Ruth Römer grundsätzlich die Existenzberechtigung jeglicher speziell auf den Geschmack der Frau abgestimmten Belletristik; Zapf 1970 Schrift o. S. der Anteil der Belletristik an unserer Buchproduktion geht mehr und mehr zurück; Süddtsch. Ztg. 1970 Nr. 268 die Swetlana-Memoiren, Charrieres „Papillon", neuerdings Hildegard Knefs „Geschenkter Gaul"; dies waren Spitzenreiter, die ein Programm von Sachbüchern und etwas weniger Belletristik nach sich zogen; Dedecius 1971 Deutsche u. Polen o. S. fast die ganze deutsche Gegenwartsliteratur, vor allem die Belletristik, ist, bis jetzt, antinationalistisch gestimmt; Wehler 1971 Verhältnis v. Geschichts-

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wiss. u. Psychoanalyse o. S. anstatt wie nach dem Ersten Weltkrieg der sog. Historischen Belletristik das Feld zu überlassen, haben sich auch Fachhistoriker der populär gefaßten Biographie zugewandt; Schädlich 1977 Nähe 187 wenn ich die Leute Telefonnummern wählen lasse, sprechen sie seltener über den Ferienplatz an der Ostsee oder kaum noch über Belletristik; Zeit 25. 1. 1985 Wenn eingangs davon gesprochen wurde, der Manesse-Verlag . . lasse Risikofreude im Bereich der Belletristik vermissen, so war damit der Mangel an Klassikern der Gegenwart und überhaupt an Problematikern . . gemeint; ebd. 29. 7. 1985 Aus der umfangreichen tschechischen Belletristik, die sich mit den Verbrechen der Nazis beschäftigt, nur ein Beispiel: Norbert Fryds Roman „Die Schachtel der Lebendigen", 1956 erschienen; MM 10. 10. 1985 So haben [auf Buchmesse] die ausländischen Verlage .. wie auch die Belletristik und Sachbücher . . jeweils ihr eigenes Domizil, die wissenschaftlichen Verlage sind auf einer [extra] Etage untergebracht; Zeit 11. 10. 1985 Belletristik - das ist heutzutage Donella, Konsalik und manchmal auch Simmel, aber ist es auch Literatur?; MM 29. 12. 1986 in dieser Sammlung ist ebensoviel Platz für Klassisches wie für Modernes . ., für Sachbücher ebenso wie für Belletristik; Zeit 6. 3. 1987 die Vergangenheit, der Zweite Weltkrieg — in Deutschland sind das Themen, um die sich die Belletristik kaum gekümmert hat; Frankf. Rundsch. 15. 4. 1988 Eine Totenfeier der Literatur, eine Inauguration der Belletristik — So läßt sich dieses Ereignis am trefflichsten zusammenfassen; Rhein. Merkur 16.2. 1990 der Cheflektor eines Belletristik-Verlags erlebte . . die Umwertung aller Werte; Spiegel 26.727. 2. 994 Die deutsche Belletristik gerät immer mehr in den Ruf, besonders düster, unsinnlich und weltfern zu sein — also mehr Lesemühsal zu bereiten als Leselust zu bieten. belletristisch: 1777 Ephemeriden d. Menschheit X 15 Geschmack einer belletristischen Ode; Meister 1777 Schwärmerey H Vorr. V belletristischen Herrchen; Müller 1778 Fausts Leben 31 Da arbeit ich eben an einer Disputation .. — kann mich jezt ohnmöglich viel mit solch belletristischen Kleinigkeiten abgeben — bin zu sehr mit solidem Geschäften occupirt; 1779 (1889 V/S f. Lit.gesch. U 144 Anm.) Deutschlands belletristisches goldenes Jahrhundert; 1782 Almanach d. Belletristen Vorr. a3b Ich habe beschlossen, Dich wieder mit belletristischen Neuigkeiten zu unterhalten; Zapf 1783 Literar. Reisen IV 15 Rothammer, der sich . . durch . . Belletristische Kleine Piecen bekannt gemacht hat; Forster 1791 Ansichten (IX 22) Zustand der Erziehungsanstalten, der Universitäten, der belletristischen und ernsten Litteratur, . . ja sogar der raiso-

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nirten Schwelgerei und raffinirten Sinnlichkeit; Goethe 1799 Über Dilettantism. Schema (WA l 47,312) Poesie/ . . Schaden/ Subjekt/ Belletristische Flachheit und Leerheit, Abziehung von soliden Studien oder oberflächliche Behandlung derselben . . Gefahr . . eine bloße dilettantische Fähigkeit mit einem ächten Kunstberufe zu verwechseln . . ein Poet ist nichts, wenn er es nicht mit Ernst und Kunstmäßigkeit ist; 1800 Journal f. Baiern 11 [ausländische Leser werden] höchstens sich zum .. Belletristischen des Journals wenden; 1800 Journal d. Moden XV 489 Anm. Belletristischen Zeitung; Bouterwek 1802 Gesch. II 355 belletristische Kleinigkeiten; Goethe 1804 Br. (WA IV 17,102) Man könnte im belletristischen Fache recht aufräumen, wenn man gleich ein paar Dutzend solcher Arbeiten zusammennähme und unter dieser Rubrik abfertigte. Leider aber machen die Mittelmäßigkeiten dem Urtheil mehr zu schaffen, als die guten und schlechten Werke; Böttiger 1804 Literar. Zustände (l 266) Backhof . . war Dilettant in den schönen Wissenschaften . . sprach mehrere Sprachen und hatte sich auf seinen Reisen viel belletristische Kenntnisse . . in der ausländischen Literatur geschafft; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA i 28,177) Mit der Mutter [La Röche] verband mich mein belletristisches und sentimentales Streben; Kepbalides 1818 Italien I 163 in den belletristischen Cirkeln des heutigen Roms; Schall 1824 Kinderspiel (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele IV 290) Dein belletristisches Bedürfniss [nach schöngeistiger Literatur]; 1828 Baier. Int'Bl. (Isar) 957 [Nachlaß mit] circa 200 Bänden Bücher und Hefte durchaus belletristischen Inhalts; 1839 DV;S / 17 Die sogenannten schönwissenschaftlichen, belletristischen oder Unterhaltungsblätter; Dronke 1846 Berlin 71 Es sind dies einige wenige Offiziere, die . . ein paar belletristische Blätter und die Feuilletons der Zeitungen durchsehen; Storm 1853 Br. in d. Heimat 29 Das belletristische Jahrbuch . ., an dem ich auch Teil habe, werdet Ihr diesen Abend erhalten; Landsteiner 1860 Leben 20 Lektüre belletristischer Werke; ebd. 94 belletristische Blätter und Herolde der Zeitgeschichte; Springer 1870 Berl. Prospecte 66 eines belletristischen Journals; Hartmann 1876 Ges. Studien u. Aufs. 242 Aber die belletristischen, historischen, philosophischen u.s.w. Classikerbibliotheken werden oft genug nur gekauft um besessen zu werden; Gutzkow 1878 Schwulst 69 ihr belletristischer erster Beginn [literar. Schaffens]; Holz 1884 Br. 56 Redaktion einer rein belletristischen . . literarischen Zeitschrift; Arneth 1893 Mein Leben l 7 ihre Tochter, die als belletristische Schriftstellerin allgemein bekannte und ebenso als solche wie als Frau hochverehrte Karoline Pichler; Hoffmann 1894 Stolpenburg 157 eine belletristische Zeitschrift zu gründen; Fontäne 1898 Zwan-

zig 127 fein] belletristisches Journal mit dem sehr unbelletristischen Titel „Die Eisenbahn"; Th. Mann 1902 Erz. (W. VIII 168) es gibt Ehen, deren Entstehung die belletristisch geübteste Phantasie sich nicht vorzustellen vermag; Zobeltitz 1902 Papierene Macht l 5 eine neue belletristische Wochenschrift; Th. Mann 1907 Reden u. Aufs. (W. XI 330) ich verbrachte meine Tage mit Schreiben und der Vertilgung jenes Lesestoffes, den man den belletristischen nennt und dem ein anständiger Mensch höchstens zur Zerstreuung in seinen Mußestunden sich zuwendet; Janitschek 1919 Mimikry 17 „Ich bin belletristisch tätig, gnädige Frau." Er suchte seine Befangenheit zu bekämpfen. „Ah, belletristisch," wiederholte sie in ihrer behutsamen Art. „Sie schreiben, haben Sie schon viel geschrieben?"; Voss. Ztg. 23. 4. 1930 Der „belletristische" Verlag ist der Untergang des Verlagswesens; Friedeil 1931 Kulturgesch. III 246 [Renans „Leben Jesu" ist] keineswegs „belletristisch", wie hämische Nichtkönner . . behaupten; Gebauer 1932 Kulturgesch. 248 die Zahl der Leihbibliotheken . . nahm gegen Ende des 18. Jahrhunderts ganz erheblich zu; sie boten nicht nur Werke der belletristischen Literatur, von den beliebten Ritterromanen und Schauerdramen bis zu den Werken der Klassiker, sondern auch schon mancherlei historische, philosophische und theologische Bücher; ebd. 474 Die belletristische Literatur pflegt ein Spiegelbild der geistigen Strömungen ihrer Zeit zu geben; Th. Mann 1937 Reden u. Aufs. (W. XII 799) weit entfernt von der Meinung gewisser Sozial-Intellektueller, die Kunst habe ausgespielt auf Erden, ihre belletristische Müßigkeit sei erwiesen, sie gestalte bloß nach, sie verändere nicht, sie lenke nur schönselig ab von Kampf und Pflicht; ders. 1939 Lotte (W. II 484) ein Dichtergenie kann seine belletristischen Inspirationen nun wohl einmal nicht ausschließlich aus seinem Eheleben schöpfen; Kaegi 1946 Meditationen II 31 Zwittergattung der belletristischen Geschichtsschreibung; ND 26. 4. 1959 bis zu meinem Aufkreuzen hatte er noch kein belletristisches Buch gelesen, und im Theater war er überhaupt noch nicht; Heuss 1963 Erinn. 86 seine „belletristische" Bücherei war zufällig und niveaulos; Welt 7. 8. 1964 belletristische Werke und Klassiker-Ausgaben (Anzeige); ebd. 2. 9. 1964 Besprechungen zu belletristischen Neuerscheinungen; Foltin 1971 Unterhaltungsliteratur o. S. die SED orientierte sich offenbar an der Sowjetunion, die ihren Bürgern ebenfalls die belletristische Ablenkung vom Aufbau des Sozialismus verwehrte; ausgenommen waren dort lediglich Kriegserzählungen; Schädlich 1977 Nähe 215 es sei ein lesendes Blumenmädchen für einen belletristischen Schriftsteller auch ein unwiderstehlicher Anblick; Meckel

Bellizismus 1980 Suchbild 59 Er . . las belletristische oder historische Schwarten; Zeit 18. 1. 1985 Wer heute, nach der jüngsten belletristischen Flut, literarisch zu Gericht sitzt über die Elternwelt, muß wissen, was er tut und besonders, wie er es tut; ebd. 17.5.1985 [Schriftsteller] sicherte sich rasch .. Fachzeitschriften aus dem praktisch-technischen Bereich, um ein ökonomisches Standbein für das belletristische Standbein zu haben; MM 11.3. 1986 Professor Dr. Althaus, der sich eingehend mit

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der experimentellen Lyrik Ernst Jandls beschäftigt hat, wird „Sprachauffassungen in der belletristischen Literatur" erläutern; 1986 Theater heute VI 39 Die gesamte Theaterliteratur unserer Zeit ist eher belletristisch, trivial — Boulevardtheater eben; Zeit 27. 3. 1987 die belletristischen Werke Sperbers . . litten nicht selten an einem Allzuviel von .. ungezügeltem . . Wissen; Wochenpost 31. 8. 1990 die belletristischen DDR-Autoren waren ohnehin in vielen europäischen Landstrichen gefragt. GS

Bellizismus M. (-; ohne PL), im frühen 20. Jh. unter Einfluß von gleichbed. frz. bellicisme aufgekommene -/sm«,s-Bildung zu lat. bellicosus 'den Krieg betreffend' (zu bellicus 'zum Kriege gehörig, Kriegs-', zu bellum 'Krieg'; vgl. das zum gleichen Etymon gehörende, seit dem 17. Jh. nachgewiesene, veraltete Adj. bellikös 'kriegerisch, streitbar'). Im politischen und militärischen Bereich verwendet in der Bed. '(ideologische) Befürwortung des Krieges, dogmatisches Eintreten für militärische Handlungen, Maßnahmen; kriegerische Gesinnung, insbes. die Neigung, internationale Konflikte grundsätzlich durch militärische Gewalt und Krieg zu lösen; Kriegstreiberei, -hetze' (—» Militarismus, Ggs. —» Pazifismus); dazu etwa gleichzeitig die Personenbezeichnung Bellizist M. (-en; -en) (vgl. älteres gleichbed. frz. beüiciste) für 'Anhänger, Befürworter des Krieges; jmd., der nur den Krieg als Möglichkeit zur Beilegung internationaler politischer Konflikte sieht; Kriegstreiber, -hetzer' (vgl. Militarist, Ggs. Pazifist); ebenfalls seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung bellizistisch 'die Anwendung von militärischer Gewalt befürwortend; zum Krieg treibend, hetzend'. Bellizismus: Platz 1922 Geistige Kämpfe 221 Alles, was gegen die Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit war, alles, was für Friedensziele . . und Völkerbundsgedanken kämpfte, stieß auf de Maistre, den Vorkämpfer des Papalismus und, wie man meinte, des Bellizismus; Binder 1930 Sittl. Berechtigung 17 Der kategorischen Forderung Kants: „Es soll kein Krieg sein" tritt so in Hegel geradezu die sittliche Forderung gegenüber: „Es soll Krieg sein" — sofern er sich nämlich nicht als Willkür, sondern als notwendig für die Existenz des Staates und des Volkes .. erweist. [Anm.] Die Reinigung von dem Vorwurf des „Bellizismus", die Victor Basch Hegel in seinem Buch . . angedeihen läßt, halte ich für sachlich verfehlt; Diesel 1934 Verhängnis 207 Vaterlandsliebe . . wird zum Chauvinismus und „Bellizismus", das heißt zu einer Kriegslüsternheit; ebd. 227 „Bellizismus", das heisst des dogmatischen Glaubens an den Krieg und seine systematische Züchtung und Vorbereitung; Brunnerl Conze/Koselleck 1978 Geschieht. Grundbegriffe IV 768 Insofern ließ . . sich das Wort [Pazifismus] beziehen auf den bereits vorher vorhandenen, pejorativ gemeinten Begriff „Militarismus" und auf den sekundären, antithetischen Begriff „Bellizismus", der

sich freilich schwer durchzusetzen vermochte und dessen Gebrauch auf die gelehrte Erörterung beschränkt blieb; ebd. IV 774 Nachdem im französischen Sprachraum bereits die Bezeichnung „mouvement pacifiste" geläufig zu werden begann und die erste lexikalische Definition [von Pazifismus] formuliert worden war, erschien die erste französische Darstellung des Pazifismus .. Er [Faguet 1908] bemühte sich auch um eine Theorie des Bellizismus, die hier . . zum ersten Male systematisch dem Pazifismus gegenübergestellt worden ist; Spiegel 7. 8. 1995 Habermas: Am schlimmsten ist, was dort die Menschen Menschen antun. Aber schlimm ist auch, daß darüber die Uno kaputtgeht. Die Grünen streiten über Pazifismus und Bellizismus . . Spiegel: . . ein Disput, den Joschka Fischer mit seinem Bosnien-Papier angeheizt hat. Bellizist: 1919 Dtsch. Rundsch. CLXXVIII164 Für de Maistre, die zweite Autorität der Bellizisten, ist das Menschenopfer die Grundlage aller gesellschaftlichen Ordnung. Der Henker, der den inneren, der Soldat, der den äußeren Feind schlachtet, sind die beiden Eckpfeiler des sozialen Gebäudes; Spiegel 6. 9. 1993 Vor diesem Hintergrund wird

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klar, wie brüchig zumindest die moralische Argumentation pazifistischer Bellizisten, vom linken deutschen Drittwelthelfer Rupert Neudeck bis zum rechten französischen Philosophen Bernard-Henri Levy, in der Bosnien-Frage ist; ebd. 7. 11. 1994 [In amerikanischem Kriegsfilm:] Ein liberaler Journalist wird von der Friedenstaube in einen Bellizisten verwandelt; Spiegel 7. 8. 1995 Grüner Bellizist Fischer (Bildunterschr.). bellizistisch: 1919 Dtsch. Rundsch. CLXXV//7 164 Neben dem [frei-]maurerischen gab es aber auch noch den christlichen Pazifismus . . Gegen diese Gefahr berief sich das bellizistische Dogma auf zwei Autoritäten: Bossuet und de Maistre. Auf er-

steren zur Rechtfertigung der nationalen Souveränität in Kriegs- und Friedensfragen; Diesel 1934 Verhängnis 229 eine „bellizistische" oder kriegerische Ideologie, welche so weit geht, dauernden Krieg zu fordern; B. N. 14. 4. 1943 [die] bellicistischen Kundgebungen; Hiller 1950 Köpfe 23 Anm. [Stampfer um 1925, Chef des „Vorwärts"] einer jener gemässigt arbeiterfreundlichen, gemässigt nationalistischen bellizistisch-wilhelminischen Konservativen um Ebert; Spiegel 7. 8. 1995 Habermas: Ich finde die Entscheidung furchtbar, Krieg zu führen. Doch in der nicht gewollten Konsequenz einer .. vertretbaren Politik des nicht-bellizistischen Engagierens hat man sich jetzt in eine Situation bringen lassen, die diese Alternative unausweichlich macht. GS

Benefiz N. (-es; -e), im späten 18. Jh. wohl unter Einfluß von gleichbed. frz. benefice (< lat. beneficium] aufgekommene, verkürzte Form von älterem, bereits seit früherem 14. Jh. nachgewiesenem, über mlat. beneficium 'Geschenk, Schenkung, Verleihung, Lohn, Belohnung, Darlehen, Lehngut, Pfründe' auf lat. beneficium 'Gunst, Verdienst, Beistand, Wohltat' (zu benefacere 'wohltun', aus bene 'gut' und facere 'machen, tun') zurückgehendem, heute nur noch historisierend verwendetem Benefizium N. (-(s); Beneficia, auch Benefizien) (vgl. bes. a). a Meist in der Form Benefizium verwendet, zunächst in der allgemeinen Bed. 'Wohltat, Huld, Gunst; Nutzen, Vorteil; Dienst, Beistand' (s. Belege 1481, 1571, 1630); von daher und bes. unter Einwirkung von mlat. beneficium (s. o.) in der Bed. '(materielle) Vergünstigung', speziell im mittelalterlichen (Kirchen-)Recht für 'aus Gunst verliehenes Lehen, zu erblicher Nutzung überlassenes Land, Vergebung von Grundstücken zu einem eigentumsähnlichen Nutzungsrecht gegen Leistung von Diensten oder Abgaben', z. B. ein Gut als Besoldung, eine Pfründe, ein Kirchenamt, das mit einer Vermögensausstattung (Land, Geld, Einnahmen) verbunden ist (vgl. Qffizium Obliegenheit; Pflicht, Dienst, Amt und damit verbundene Verpflichtungen eines Priesters') (s. Belege um 1380, 1574, 1805), gelegentlich für 'Unterstützung armer Schüler' (s. Belege 1612, 1770, 1792), auch 'Wohltat, (Rechts-)Vorteil' (s. Belege 1787, um 1800). Dazu seit spätem 15. Jh. Benefiziat M. (-en; -en) (< mlat. beneficiatus 'Pfründner'; auch 'Lehnsbesitz', subst. Part. Perf. von beneficiare 'Wohltaten erweisen') in der Bed. 'Inhaber eines (kirchlichen) Benefiziums', vereinzelt als N. (-es; -e) zur Bezeichnung der Pfründe selbst; seit Ende 18. Jh. die Personenbezeichnung Benefiziar(ius) M. (-s; -e) (subst. Bildung zu (m)lat. beneficiarius 'zur Wohltat gehörig') in der Bed. 'Inhaber eines kirchlichen Benefiziums'. Seit Anfang 17. Jh. die verbale Ableitung benefizieren (< gleichbed. mlat. beneficiare} in der Bed. 'Wohltaten erweisen', im 18. Jh. das Verbalsubst. Benefizierung. Seit spätem 18. Jh. das adj. Bestimmungswort Beneficial- (< lat. beneficialis 'wohltätig, zu einem Beneficium gehörig') in der Bed. 'ein Beneficium betreffend, zu ihm gehörig', im späteren 18. Jh. vereinzelt gleichbed. benefizisch, und Benefiziarium N. b Seit spätem 18. Jh. unter frz. Einwirkung in der verkürzten Form Benefiz (s. o.), anfangs unter engl. Einwirkung selten auch Benefit, in der Bed. 'Theater- oder Musikaufführung, deren Ertrag nicht der Direktion, sondern einem Künstler, Autor

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zukommt', bald auch allgemeiner für 'Veranstaltung für wohltätige Zwecke, Wohltätigkeitsveranstaltung' (—» Basar), im 18. Jh. gelegentlich in der aus frz. au benefice de lehnübersetzten Wendung zum Benefiz 'zum Vorteil von, zugunsten von' (s. Belege 1787, 1867, 1995), bis heute häufig in der tautologischen Zs. Benefizvorstellung 'Vorstellung, deren Erlös einem wohltätigen Zweck zugute kommt' sowie in Zss. wie Benefizkomödie, -konzert, -spiel, -ball, -tournee, -platte, öfters in Wendungen wie zum Benefiz einladen, ein Stück zum Benefiz wählen, jmd. hat ein Benefiz. Dazu die im 16. Jh. vereinzelt, erst seit frühem 19. Jh. häufiger nachgewiesene, aus (flekt. Form von) mlat. beneficians (Part. Präs, von beneficiare, s. o.) entlehnte Personenbezeichnung Benefiziant M. (-en; -en) 'von einer Benefizvorstellung Begünstigter, Nutznießer derselben' (zu b), anfangs vereinzelt auch 'Inhaber eines (kirchlichen) Benefiziums' (zu a). Benefiz(ium) a: 1338 Urkundenb. Wittelsbach 300 mit dehainer dispensacion, absolucion . ., deheinerlay beneficio; 1376 Urkundenb. Arnstadt 176 czu czwen ewigen beneficien . . sin bestetiget (beide MÖLLER); um 1380 Limb. Chronik 75 geistliche gäbe unde beneficien; Richental 1414—18 Konstanzer Chronik 75 pfründen und benefici; 1438 Chroniken d. dtsch. Städte l 458 welle aber ewer wirdikeit demselben doctor Ehenheymer ein ander beneficium in Bamberger bystume gelegen für dieselb pfarre geben und abtretten; 1446 Urkundenb. NdRhein IV 276 van yren provenden ind beneficien (MÖLLER); um 1450 Chroniken d. dtsch. Städte XVII 333 daz ein iglicher geistlicher in der stad körn und wine von siner beneficien .. gein Mentze ungehindert faren machte; Melber 1481 Voc. o. S. Beneficium guttat, woltadt. gut werck. ein werck. ein pfrunde; Gessler 1511 Formulare 9b Wie wol sich die erben wider disen schuldbrieff etwas behelffen möchten mit etwas beneficien der rechten/ oder der Schuldner ouch mit ettwas listen; Perneder 1544 Lehenrecht Ib Item es wirdet auch das Lehen jhe zuzeyten/ Beneficium oder Gratia genennt/ also das die Bäbstlich heyligkait/ alle geistlichen/ so von dem stul zu Rom Benefitia oder pfründen haben/jre Lehenleüt nennen möchte; Schertlin v. Burtenbach 1547 Br. 240 für allerley bäbstliche kayserliche oder königliche beneficien, Privilegien, freyhaiten; Musculus 1555 Hosenteufel 25 beneficia vnd stiefften; Rot 1571 Diet. 292 Beneficium, Ein wolthat/ wirdt aber für ein Priesterpfruendt genommen/ fuer ein Meß vnnd dergleichen; Fischart 1574 Practick 596 Es werden so viel Geistliche sterben, daß man nit genug finden wird, denen man Beneficia und feyste Pfründen außtheilet (RÜTTER); Rathgeb 1592 Von Kriegssachen 352 beneficia, welche einer allein die zeit seines Lebens zu niessen hat; Ordn. des Gymn. zu Bern 1612 M. G. P. Beih. XII 68 Die ordenlichen stipendia und beneficia sollend allein denen mitgetheilt werden, von denen ein

hoffnung ist das sy mit der zyt als tugentliche personen in den gotsdienst dienen können (NYSTRÖM); Furttenbach 1630 Architect, mart. Vorr. o. S. nach dem der Schöpffer aller Ding jeglichem Land nit alles/ sondern je disem oder jenem ein besonders beneficium ertheilt; 1664 Memorial B4a daß hohe und niedrige Personen .. namentlich alle Mobilien, Renthen/ Zinsen/ Pensionen, Beneficien, Collegien, Officinen . . sampt aller anderer Vermögen und Einkommen/ censiret werden solle; Friedrich Wilhelm 1667 Polit. Test. 49 keine hofnung zu einigen beneficien, oder anderen beforderungen zu gelangen; 1673 (1892 Mitt. G Erzgesch. II 17) Schließlichen sollen Sie Gott umb erhaltung des Lieben Friedens instendig anruffen, die beneficia mit Dank erkennen; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 21 als einer der eine Grammaticalische Ketzerey begangen hätte/ seiner beneficien beraubet wurde; 1708 Academic zu Liegnitz l/"Und wird dieses Beneficium niemanden länger als 3. Jahr zugelassen; Marperger um 1720 Reisen 32 Eine andere Anmerckung/ bey Auffrichtung solcher Ritter-Academien, möchte auch diese seyn, daß man sie nicht zu kostbar anfange, und das Land mehr damit beschwere als erfreue, sondern, weil es ein Beneficium vor die studirende Jugend . . seyn solte, so müste man . . solche Leute haben, welche vor billicher Belohnung viel Arbeit thun; Belemnon 1728 Bauernlex. 33 Beneficium. Wohlthat, Gutthat, Dienst, Gefallen; Boltz 1752 Amts-Actuarius 173 so daß derjenige, deme solche Hypothec verschrieben worden, sich der daraus entspringenden Vorzugs-Gerechtigkeit, Freyheit und allen Rechtlichen Beneficien nicht im geringsten zu erfreuen haben; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 74 [er wollte] lieber seine Benefices und sein Vaterland verlassen, als dem König wider seine Überzeugung zu willen sein; Michaelis 1770 Räsonnement II 58 andere Studirende, die keine Beneficia bedürfen; Berisch 1775 Wittekind 59 Die Gattungen derer Beneficien waren so verschieden als die Verbindlichkeiten de-

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rer Beneficiarien, und die Dauer derer Privilegien die mit ihren Beneficien verbunden waren; Maser 1776 S. W. 111 194 Alles, was den Namen beneficium und Beneficialrecht führte; Müller 1787 Emmerich 49 [er] begonnte stracks sich durch einen balsamischen Schlummer für das frühe Aufstehen zu entschädigen, um durch dieses Beneficium Naturae . . neue Kräfte auf den bevorstehenden Mittag zu sammeln; Goethe vor 1792 Promemoria (Amtl. Sehr. II 209) Im Jenaischen Convictorio werden gespeißt/ 134 Personen/ darunter sind 84 Zahlstellen od. halbe beneficia/ bleiben 50 Ganze Beneficia (GWB); Christ um 1800 Schauspielerleben 217 daß Herr Blank, als schuldig erkannt, heiraten dürfe, wenn er wolle, sie aber nie sich dieses Beneficiums zu erfreuen haben solle; Laukhard 1802 Leben u. Schicksale V 92 Ohne alles Geld kam er nach Halle und wendete sich an den Direktor des Waisenhauses, erhielt auch daselbst die gewöhnlichen Beneficien; Schlabrendorf 1804 AntiNapoleon 197 f. es ist eine allgemein bekannte Sache, daß es für einen Officier, der Versorgung oder Benefize bei einem Bureau nachzusuchen hat, nicht nur keine Empfehlung ist, unter Moreau gedient zu haben; Schiller vor 1805 S. W. XIV 20 Jeder Besitzer eines geistlichen Stiftes hat seine Benefizien und Würden verwirkt, sobald er zur protestantischen Kirche abfällt (KEHREIN); Goethe 1805 Rameaus Neffe (WA I 45,150) Der vornehme Abbe . . macht . . vor dem, der die Beneficien auszutheilen hat, seine Männchen; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 147 Die Menschen gelangen von Natur zu dem Beneficialverhältnisse, sobald sie inne werden, durch selbiges behalten, oder aus selbigem ziehen zu können eine nutzbare und ansehnliche Summe von Vortheilen, welches die Beneficien sind, die sich im bürgerthümlichen Leben hoffen lassen; Görres 1836-42 Mystik V 304 Er erhält in der Kirche ein Benefizium (KEHREIN); Dönniges 1842 Staatsrecht I 19 Sie waren im Besitz geliehener Güter . . Diese Güter hießen gewöhnlich Beneficien . . [sie] verpflichteten . . zu persönlichen Diensten und zur Treue gegen den König; Ratzinger 1884 Armenpflege 184 Das 3. Concil von Orleans verbot den Bischöfen, Verleihungen an Geistliche, welche von ihren Vorgängern gemacht worden waren, zurückzunehmen, womit das Princip der Vereinigung des gesammten Kirchenvermögens in der Hand des Bischofs aufgehoben, der Grund zum Beneficienwesen gelegt war; 1923 Polit. Handwb. I 286 daß das Bleisiegel nur mehr bei Verleihung höherer Benefizien und anderen feierlichen Urkunden des Apost. Stuhles gebraucht .. werde; Hinze 1927 Arbeiterfrage 221 [die] den einwandernden Ausländern gewährten „Colonisten-Benefizien"; Dopsch 1939 Herrschaft 91 die zahlreichen konkreten Beispiele, in welchen Ministerialen „benefi-

cia", das sind hier bäuerliche Zinsgüter, an geistliche Stifte tradirten; Mitteis 1953 Staat 60 die Form des kirchlichen Benefiziums . ., das vielfach gegeben wurde, um Parteigänger und Fürsprecher bei Hofe zu gewinnen; Ganshof 1961 Lehnswesen 9 Das Benefizium .. kann man also definieren als Leihe, für die dem Beliehenen nur geringe oder gar keine Gegenleistungen auferlegt werden und die er dem Wohlwollen des Gebers verdankt; Pörtner 1964 Erben 107 daß ein Teil von ihnen [Siedlungen] dem König, der Kirche oder sonst einem Großgrundherrn gehört hat und von diesem einem Freien als Pachtgut bzw. Beneficium verliehen war; Creifelds 1988 Rechtstvb. 162 f. beneficium . . war im Mittelalter vornehmlich die Bezeichnung für das dem Lehnsmann (Vasallen) gegebene . . Lehen. Es bestand ursprünglich in einer Landschenkung, dann nur noch in einer auf Lebzeiten des Herrn und des Vasallen beschränkten Leihe und konnte erst später erblich sein. Benefizial-: Maser 1776 S. W. III 194 Alles, was den Namen beneficium und Beneficialrecht führte; 1781 Corp. Jur. Frideric. 1.2,97 wenn eine Erbschaft auf Ansuchen der Beneficialerben gerichtlich aufgebothen wird; Bewer 1796 Samml. Rechtsfälle II 87 Von der Gerichtbarkeit und Verfassung in Religions- geistlichen- und benefizial Sachen (Überschr.}; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 147 Die Menschen gelangen von Natur zu dem Beneficialverhältnisse, sobald sie inne werden, durch selbiges behalten, oder aus selbigem ziehen zu können eine nutzbare und ansehnliche Summe von Vortheilen, welches die Beneficien sind, die sich im bürgerthümlichen Leben hoffen lassen; Murhard 1832 Zweck 124 Die ersten germanischen Könige mußten . . zu dem Beneficial- oder Lehnsystem ihre Zuflucht nehmen; Roth 1850 Geschichte des Benefizialwesens von den ältesten Zeiten bis ins 10. Jahrhundert (Titel); 1881 Entscheidungen Civilsachen V 190 wonach die säumigen Nachlaßgläubiger und Vermächtnisteilnehmer gegen den Benefizialerben ihre Ansprüche soweit geltend machen können; Eichmann 1920 Strafrecht Cod. Jur. Canonici 52 Das zu entziehende Gut kann ein geistliches sein, z. B. das Recht auf den Empfang der Sakramente, . . Amts- und Benefizialrechte; Koeniger 1926 Kathol. Kirchenrecht 58 Der gesamte kirchliche Besitz wurde in Fabrik- und Benefizialgut geschieden und . . letzteres dem Pfründeinhaber zur Nutznießung zugewiesen. Benefiziant: Fischart 1588 Bienenkorb 44a wo ist noch heutige tags ein Caplan oder Beneficiant/ Bischoff oder Cardinal/ der ohn gelt oder gonst angenommen werde?

Benefiz Benefiziar: Ordn. d. Gymn. zu Durlach 1614 M. G. P. XXIV 312 Dass nehmlich solche unsre Beneficarij in fünff absonderliche Classes . . unterscheiden; Schulges. d. Gymn. zu Schleiz 1673 Mitteil. II 18 Diesze beneficiarij sollen sich auch kleiden, wie es arme Schülern gebühret; Ordn. d. Gymn. zu Weimar 1713 Vormb. Ill 195 denen Cantorej-Verwandten und übrigen Beneficariis (alle NYSTRÖM); Laukhard 1792 Leben II 39 Ich wiederhole: die Beneficiar-Studirereien taugen überhaupt wenig; Sybel 1844 Entstehung 260 weil sehr bald alle Gefolgsleute auch Beneficiare des Fiscus wurden; Mitteis 1953 Staat 70 Anm. Immunität der spanischen Flüchtlinge (unter denen Benefiziare und Adprisonäre zu unterscheiden sind). Benefiziarium: Lindenborn 1741 Diogenes H 259 Wie es nun schwer ist auf dem Parnassus einen Pegasus-Putzers-Posten zu erlangen (denn dergleichen Bedienungen .. gehören unter die Beneficiaria ..); Berisch 1775 Wittekind 59 Die Gattungen derer Beneficien waren so verschieden als die Verbindlichkeiten derer Beneficiarien, und die Dauer derer Privilegien die mit ihren Beneficien verbunden waren. Benefiziat: Melber 1481 Voc. o. S. Beneficiat ein gepfruntter; Hütten 1521 Sehr. IV 209 Wo dann ein reicher beneficial, vnd doch nit alt, auch nit krank wer; um 1550 Chroniken d. dtsch. Städte XV 52 Ein briester, eines burgers son,. . ein beneficial zu sant Paulus, der was bezechi und was in seines vattern haus zur herberge; Rof 1571 Diet. 292 Beneficiat, ein Priester [der] ein aigne pfruend öd' Meß hat/ dauon er vnuertriben ist; Fischart 1574 Practick 594 Calmeuser . ., Beneficiat, Corporal (RÜTTER); 1610 (Frauenholz 1935 Heerwesen III 2,227) mitl, die ainem iedlichen Pfarrer und Beneficiaten, . . nutz und annemlich sein; 1722 Weiber-Mängel 185 ein Frühmesser oder Beneficiat; Michaelis 1768 Raisonnement 119 sehr kleine Universiläten, . . die fast mil lauier Beneficiaien und Armen beseizt sind; Möser 1771 S. W. Ill 325 die Pflichten eines Pfründners oder Beneficiaten; Laukhard 1792 Leben I 197 Ich glaube dies rühn von .. dem sonderbaren abgeschmackten Wesen . . [her], dessen sich die Benefiziaten befleißen müssen, um zu dergleichen .. Anstalten nur Zutriti zu haben; Berg 1799 Handb. Policeyrecht VI 2,568 Desgleichen in Rücksicht der Landeskinder und Beneficiaten. Insonderheit haben Landeskinder und solche Studirende, welchen durch öffentliche Unterstülzung die Absicht ihres Hierseyns erleichtert wird, sich durch Wohlverhalten auszuzeichnen; Rehberg 1803 Adel 148 Mit welchem Rechte können aber Beneficiaien über die Besiimmungen entscheiden, unter denen ihre Pfründen Jahrhun-

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derte nach ihnen verliehen werden sollen?; Schmeller 1841 Tagebücher II 316 eine Versteigerung des Nachlaßes des mir so freundlich gewesenen Beneficiaten; Holtei 1858 Erz. XXXIII 49 Ich, dem die Gelegenheit willkommen schien, mich dem Benefiziaten gefällig zu zeigen, welcher auch mir durch Übernahme mehrerer Rollen gefällig gewesen war, ergriff sogleich das Manuscript; Justi 1872 Winkkelmann 11.1,90 der Hausprälat und geheime Caplan Seiner Heiligkeit, auch Benefiziat von S. Peter; Ihering 1884 Zweck i. Recht l 469 Das Eigenthum der bloss gedachten juristischen Person . . kommt .. den Individuen zu gute, welche stiftungsmässig die Vortheile der Stiftung geniessen sollen (Desiinatäre, Beneficiaten); 1904 Jugend 741b Der Benefiziat und Landtags- und Reichsralhsabgeordneie; Koeniger 1926 Kathol. Kirchenrecht 229 Desgleichen besiizen aklive Benefiziaten aller Art (Kanoniker, Pfarrer usw.) Wahlrecht; Süskind 1930 Jugend 345 nun halle der Benefizial Namenslag. Benefiziai (N.): Jean Paul 1799 S. W. I 8,71 Herzlich gern hält' er der Erschreckten Schmerzensgelder und Benefiziate in dieser Komödie für die Armen gegeben. benefizieren: Ayrer 1601 Processus 405 mit vorbehält aller rechtlicher wolthaten/ damit die klagend Parthey beneficirl; 1691 Pfalz 8b [durch Teslament] beneficiren; Schudt 1714 Merckivürdigkeiten III 107 Weil sie die Juden nicht allein nach Nothdurfft/ sondern in specie zum Nulzen/ gleich ein Eigenthum können beneficiret werden; Rohr 1736 Vor-Hartz 328 Einige Aulores behaupien, Ilsenburg wäre ein uralles, und mit vielen Privilegiis beneficirtes Städigen; Justi 1744 Dtsch. Memoires 11.1,11 dass er [Fürsi] . . aus der Vorsehung Gottes, in einen solchen Stande gebohren, wo er so viel tausend ändern Menschen helffen und dieselbe beneficiren kan; 1783 Bedencken v. Manufacturen 21 also wird uns solches nicht allein nichi schädlich/ sondern vielmehr beförderlich/ und ein Werck durch das andere beneficirei werden; 1847 Samml. Verordn. Bremen 76 Vermieihen die Bediensieten oder Beneficirten die ihnen angewiesenen Gebäude oder Diensthäuser selbst, so fällt die Abgabe weg. Benefizierung: 1734 (Hinze 1927 Arbeiterfrage 97) wegen Aufnehm- und beneficirung derer nach Berlin sich begebenden fabricanten und Handwercker allermildesi erlaßenen Patents; Crome 1791 Wahlcapit. 74 es sollen solche Gebäude, zu Beförderung des gemeinen Wesens wenigstens also eingerichtel werden/ daß die Schiffe ohngehindert auf- und abkommen können/ und also der von Gott verliehenen stattlichen Gelegenheil und Beneficirung der

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Natur selbst, ein Stand weniger nicht als der andere, nach Recht und Billigkeit sich gebrauchen möge. benefizisch: Möser 1771 S. W. U 338 die sogenannte maleficische [Obrigkeit] aber gerade der Gegensatz von der beneficischen ist, welche das Blut verschont. Benefiz b: 1779 Rhein. Beitr. z. Gelehrsamkeit U 231 anderswo sind in solchen Fällen die so genannten Benefiz-Vorstellungen zur Belohnung auserordentlicher Talente erdacht worden; Mylius 1785 Smoltets P. Pickle IV 161 Wozu soll er drei Benefizvorstellungen theilen; Frtedel 1785 Br. a. Wien 11 357 Beneficekomödie; Archenholz 1787 England l 74 Der Enthusiasmus der Wohlthätigkeit gegen Britanniens Feinde, die als Menschen hülflos waren, ging so weit, daß selbst die Unternehmer der Schauspiele Benefiz-Vorstellungen zu diesem Behuf gaben; Mozart 1787 Br. 266 Gestern wurde sie zum viertenmal (und zwar zu meinem Benefiz) aufgeführt; Christ um 1800 Schauspielerleben 242 wurde . . zu unserm Benefiz gegeben; Goethe 1810 Br. (WA IV 21,335) daß ihnen der neue Götz von Berlichingen .. zu Diensten stehe, wenn sie mir das Einkommen der dritten Repräsentation desselben nach der Art, wie die Benefize den Schauspielern gegeben werden, zugestünden; Görres 1817 Ges. Sehr. 525 eine Benefizvorstellung der Müllerschen Schauspielergesellschaft von Düsseldorf; Tieck 1825 Krit. Sehr. IV 83 Bei neuen oder beliebten Stücken, oder Benefizvorstellungen wurde noch auf dem Theater selbst ein eigenes Amphitheater errichtet; Borne 1833 Br. a. Paris (Ges. Sehr. V 254) es ist ihr Benefiz; Lewald 1837 Aquarelle III 159 daß er Rollen und was noch mehr war, eine Benefizvorstellung erhielt; Wagner-Liszt 1845 Briefw. l 2 daß bereits schon ein schöner Anfang zu dem nöthigen Geld-Fond aus Benefiz-Vorstellungen der Theater zu Dresden, Berlin und München gewonnen worden ist; i 850 Hofdamen-Br. 271 Benefizvorstellung . . für Madame Lagrange; Holtet 1863 Letzte Komödiant 71 wenn man hundert Gulden in der Tasche trägt (es war ja der Benefizabend); Riehl 1867 Neues Novellenbuch 137 er kündigte Egmont an zum Benefiz für Fräulein Sylvia; Hillebrand 1881 Jahrb. d. Revol. 63 Erst nach Verjährung sollten Staatseinrichtungen dieses Benefiz haben, daß man ihren Ursprung

nicht in Frage ziehe; Bodman 1915 Seil 16 wenn wir Benefiz machten, flogen die Batzen reichlich . . in unsere Kappe; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 418) eines Tages hatte Weingarten . . sein Benefiz; Dtsch. AZ. 11. 1. 1935 Des weiteren versprach Friederike Bethmann, dafür Sorge zu tragen, „daß von einem unserer vorzüglichsten Dichter eine Rede oder Prolog angefertigt" werde, der dann an jenem Benefizabend an sämtlichen Bühnen zum Vortrag gelangen soll; Süddtsch. Ztg. 23. 9.1952 die Aktien der Herren Mörder auf das fragwürdige Benefiz eines Lebensabends im Zuchthaus; ebd. 23. 1. 1963 Der erste Abend war ein Benefiz für den Souffleur Theodor Schöppl; MM 16. 12.1968 Honig, der sonst alle Jahre einmal für seine Bühnenkollegen zu einem Benefiz in das Nationaltheater bittet (DUDEN 1993); Zeit 18.10. 1985 in San Francisco . . veranstaltet die Oper in Verbindung mit dem Symphonieorchester und dem Ballett ein besonders elegantes Benefiz; Strauß 1991 Schlußchor 23 ein ganz verflixtes Benefizbankett; MM 14. 9. 1995 Großes Benefizkonzert zugunsten der Kinder von Mostar (Überschr.); Spiegel 20. 11. 1995 Die Rigaer Juden wollen gar nicht mal ausschließen, daß der Wohltäter neben christlichen auch eigennützige Interessen mit seinem Benefiz verfolgt. Benefit: Sturz 1768 Br. (l 18) gab er ihr jeden Winter eine Benefitsvorstellung, spielte alsdann immer selbst; Schmid 1775 Chronologie d. dtsch. Theaters 192 da der Dem. Schönemann, als eine Beysteuer zu ihrer Heurath, eine Benefitkomödie zugestanden ward; 1791 Journal d. Moden VI 68 alsdann gehen die sogenannten Benefits an; das heisst: die ersten Sänger und Virtuosen geben ein Concert für ihren eignen Nutzen. Benefiziant: Raimund 1827 S. W. 552 Herr Ignaz Schuster ist der doppelte Benifiziant dieses Abends; Grill-parzer um 1850 S. W. XIX 68 Mir waren von der Benefiziantin drei Sperrsitze in der ersten Galerie zugekommen; 1854 Prutz' Museum l 46 eine echte Benefizianten-Vorstellung; Bauernfeld 1872 Ausgew. W. IV 20 der dankbare Benefiziant nannte mich dafür ein Genie, machte mich auch mit anderen „Mimen" bekannt; Winterstein 1942 Mein Leben i 173 Die Einnahme des Abends nach Abzug der Tageskosten gehörte zu einem gewissen Prozentsatz dem Benefizianten. OV

Benzin N. (-s; ohne PL, fachspr. -e), im früheren 19. Jh. von dem Chemiker E. Mitscherlich (1833) geprägter, seit Mitte 19. Jh. kontinuierlich nachgewiesener Terminus der chemischen Fachsprache, der über Formen des romanischen Sprachraums im 15./16. Jh. aufgrund der Handelsbeziehungen Spaniens mit Italien (Le-

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vante), insbes. über katalan.-span. benjui (vgl. auch ital. bengiui, belgioino, frz. bengin, benzoin, latinisiertes Benzoe) vermittelt, auf arab. luban gawi 'Harz einer Baumart auf der ursprünglich fälschlich für Java gehalten Insel Sumatra, BenzoeHarz; javanischer Weihrauch' (nach dem Wegfall der mit dem katalan. Artikel lu verwechselten Anfangssilbe) zurückgeht (PFEIFER) (vgl. ebenfalls mit dem Wortstamm Benz- gebildete chemiespr. Bezeichnungen wie Benzoe(-Gummi/-Harz/ -Säure), Benzamid, Benzedrin, Benzpyren, Benzylbenzoat, Benzidin, Benzimidazol und bes. Benzol, s. u.). Zunächst als Bezeichnung für den aus der Benzoe-Säure (als Bestandteil des BenzoeHarzes) unter Zusetzung von Kalk (Calciumhydroxid) destillierten, dann aus Steinkohlenteer industriell gefertigten, flüssig-öligen, flüchtig-aromatischen, einfachen Kohlenwasserstoff (vgl. Steinkohlenbenzin), in dieser Verwendung von dem Chemiker J. Liebig (1834) ersetzt durch Benzol (s. u.); seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. eingeengt als Bezeichnung für das durch chemische Auswertung von Erdöl und Kohle (vgl. Petroleumbenzin) synthetisch hergestellte, leicht brennbare, wasserhelle Kohlenwasser Stoffgemisch, das wenig oder kein Benzol enthält, und in unterschiedlichen Zubereitungen und Konzentrationen als Brennstoff (vgl. Brennspiritus) in Feuerzeugen, Lampen, Campingkochern, als (Fett-)Lösungs- und Reinigungsmittel im Haushalt o. ä. Verwendung findet (s. Belege 1930, 1934, 1937, 1939), z. B. in Zss. wie Benzinsynthese, -feuerzeug, -gas, -kocher; Wund-, Lack-, Synthesebenzin, vor allem aber bezogen auf Kraftfahrzeuge, Motorflugzeuge u. ä. in der Bed. '(aus Erdöl gewonnener) Betriebsstoff für Motoren, der an Tank- oder Zapfstellen getankt werden kann' (s. Belege 1920, 1935, 1936, 1949, 1950, 1954), gelegentlich synonym oder im gleichen Kontext mit Kraft- oder Treibstoff verwendet, selten in Verbindungen wie bleifreies, bleihaltiges, verbleites Benzin, überaus häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Benzinauto, -explosion, -leitung, -kanister, -pumpe, -tank, -zufuhr, in wirtschafts- und umweltpolitischen Zusammenhängen mit zum Teil kritisch-negativen Konnotationen, z. B. Benzinrationierung, -krise, -Steuer, -stopp, -Zeitalter, -dämpfe, auch in Zss., die scherzhafte Synonyme für Kraftfahrzeug bzw. Kraftfahrer darstellen wie Benzinesel, -kutsche, -fresser, -roß bzw. Benzinbaron, seltener als Grundwort, z. B. in Auto-, Leicht-, Normal-, Roh-, Super-, Blei-, Motorenbenzin. Dazu in jüngster Zeit die subst. Ableitung Benziner M. (-s; -) in der Bed. 'benzinbetriebenes Fahrzeug' (meist im Unterschied zum dieselbetriebenen Fahrzeug oder zu dem mit Dreiwegekatalysator). Daneben der seit Mitte 19. Jh. nachgewiesene, im früheren 19. Jh. (1834) von dem Chemiker J. Liebig für Benzin eingesetzte, aus den Wortbestandteilen Benz- und (Alkoh)ol (oder auf der Grundlage von lat. ol(eum) 'Öl') geprägte Terminus der chemischen Fachsprache Benzol N. (-s; ohne PL), zunächst gleichbed. mit Benzin für 'einfachste Verbindung aus der Gruppe der aromatischen Kohlenwasserstoffverbindungen', in jüngster Zeit eingeengt auf den als Produkt der unvollständigen Verbrennung (beim Tabakrauchen, Räuchervorgang, bei der Verkokung von Steinkohle, der Benzinverbrennung in Kraftfahrzeugmotoren u. ä.) entstehenden Stoff, dessen schädliche Auswirkungen als Umweltgift und Krebserreger kontrovers dikutiert werden (s. Belege 1986, 1987, 1988). Benzin: 1862 Meyers Konversattonslex. Ill 183 Benzin (Benzol, Phenylwasserstoff), chemische Flüssigkeit, entsteht bei der trockenen Destillation

von Steinkohlen . . beim Durchleiten der Dämpfe von Fetten, Bergamottöl, Benzoesäure; Raabe 1882-83 S. W. /// 2,369 ich liebe dieses Frauen-

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zimmer und will es bei mir haben, und es so gut als möglich halten in dieser Welt des Benzins und der vergifteten Brunnen; Hammerstein 1916 Februar 241 Benzin; 1920 Prometheus XXXI Beibl. 35 Tatsache, daß neuerdings Benzol vielfach an Stelle von Benzin als Brennstoff für Kraftwagen verwendet wird; Lewin 1924 Phantastica 208 Der Benzinrausch. Bei einzelnen Menschen wird die Unsitte wahrgenommen, absichtlich Benzindämpfe zur Herbeiführung einer angenehmen Betäubung einzuatmen; Th. Mann 1930 Erz. (W. VIII 675) holte . . aus irgendwelcher inneren Tasche ein Päckchen Zigaretten hervor . . entzündete sie . . mit einem prompt funktionierenden Benzinfeuerzeug; Lokal-Anz. 3. 3. 1933 In der Deutsche Erdölraffinerie Deurag . . haben . . bis jetzt noch unbekannte Täter an drei je 600 Tonnen fassenden Benzintanks sämtliche Ventile geöffnet; Berl. lllustr. Nachtausg. 15.5.1933 Der mit einem 1000-ccmAußenbord-Motor .. litt unter Schwierigkeiten der Benzinzufuhr; Hesse 1934 Morath 22 Benzinkocher [scherzhaft für Kleinautos]; Dtsch. AZ. 4. 9. 1935 war das nun Motordefekt oder Propellerbruch? . . Es wird wohl Benzinmangel gewesen sein; Zischka 1936 Monopole 220 Benzin als Kraftstoff; Lokal-Anz. 19. 3. 1937 Gas wird Benzin (Überschr.) Auf eine einfache Formel gebracht spielt sich das Fischer-Tropsch-Verfahren der Benzingewinnung . . ungefähr so ab, daß man auf der einen Seite Gas in chemische Geräte hineinschickt und dafür auf der anderen Seite Benzin abzapfen kann .. gelang es ihm [Fischer nach 1911] zusammen mit Tropsch, die ersten brauchbaren Versuche der Benzinsynthese, die heute für die Treibstoffversorgung Deutschlands außerordentliche Bedeutung erlangt hat, durchzuführen; Münch. N. N. 14.1. 1941 Mit stillem Neid betrachteten die Kutscher der Pferdedroschken die „Benzinbarone", die zum Zeichen ihrer Würde eine weiße Ledermütze und ein dunkles Lederwams mit silbernen Trassen trugen; Nassauer-Volksbl. 7.3.1941 Benzinkutsche und Volkswagen (Überschr.); 1948 Zwiebelturm 29 [die] neimodischen [!] Benzinstinker; Welt 1. 8. 1949 Um den mit ihren Wagen durchreisenden Ausländern Gelegenheit zu geben, sich den notwendigen Kraftstoff zu beschaffen, wurde dem Hildesheimer Reisebüro im Verkehrspavillon eine Ausgabestelle für Benzinmarken übertragen. Diese Kraftstoffcoupons können von den Ausländern gegen Devisen erworben werden; NZ. (Basel) 25. 1. 1950 Einen besonderen Schwabenstreich hat sich die Bundesregierung weiter durch die . . Aufhebung der Benzinrationierung geleistet; Süddtsch. Ztg. 10. 7. 1954 Musterung der Benzinrösser (Überschr.) Das Gesetz verlangt, daß jedes Kraftfahrzeug mindestens alle zwei Jahre in der Zulassungsstelle . . geprüft wird; Welt 9. 11. 1954 An

der Zunahme waren vor allem Gasöl, Motorenbenzin, Heizöl und Flüssiggas . . beteiligt; Grzimek 1959 Serengeti 35 sagte mir der Monteur, daß er uns kein Flugbenzin mehr einfüllen darf. Benzin mit 80 Oktan, wie wir es brauchen, darf nur die ägyptische Luftwaffe verwenden .. so müssen wir tatsächlich Autobenzin hinzutanken, eine höchst unbehagliche Sache; Süddtsch. Ztg. 20. 1.1960 Benzinpreis entflammt die Gemüter (Überschr.) Seit Ende vergangener Woche spricht man vom „Benzinkrieg", der sich vor allem gegen die freien Tankstellen richtet; Offenburger Tagebl. 14. 12. 1962 Das niederländische Verteidigungsministerium hat der Armee den Benzinhahn zugedreht. Um Kosten einzusparen, wurde ein sofortiger „Benzinstopp" für alle Einheiten der Landstreitkräfte eingeführt; ebd. 9.11.1967 Gerade der amerikanische Markt biete gute Chancen für einen Wagen, der kompakter und wirtschaftlicher als die „Benzin-Fresser" aus Detroit sei; Gumpel 1970 Energiepolitik o. S. So stellt das aus den niedrigsiedenden Fraktionen der Rohöldestillation gewonnene Roh- oder Leichtbenzin einen wichtigen Rohstoff für die Petrochemie dar; 1973 ADAC-Motorwelt VI 56 beim F i a t . . wurde vereinzelt die Tankentlüftung beanstandet und Benzingeruch im Wageninneren festgestellt. Auch die Benzinpumpe erwies sich gelegentlich als störanfällig; Welt 11. 3. 1974 wurden die Entlassungen in der Automobilindustrie, die wegen der Benzinkrise mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hat, durch Einstellung in anderen Industriesektoren ausgeglichen; Zeit 25. 1. 1985 Einen Vorgeschmack auf Kommendes vermittelte kürzlich bereits ein Autotüftler in Hamburg, der eine Reduzierung der Schadstoffe im Abgas allein schon mit zusätzlichen Magneten an der Benzinleitung erreichen will; MM 16. 2. 1985 bei halbleerem Tank in Österreich bleifreies Normal- oder bleihaltiges Superbenzin dazumischen, dann aber keine Höchstgeschwindigkeit fahren; ebd. 18. 4. 1986 Vom Display ist abzulesen, daß der Benzintank des Opel Monza noch für 40 Kilometer Treibstoff enthält; Zeit 5. 9. 1986 Spezial- und Testbenzinarten sowie Motorreiniger, Nitroverdünner, Chloroform und Wundbenzin; MM 29. 11. 1986 In die Vorbereitungen für den Krieg fielen technische Pionierleistungen wie die Herstellung von Synthesebenzin; ebd. 7. 1. 1987 Viele Unvernünftige ließen ihren Benzinesel einfach mitten in der Landschaft stehen; ebd. 30. 12. 1987 Spätestens vom 1. Februar 1988 an wird es in der Bundesrepublik im Interesse des Umweltschutzes kein verbleites Normalbenzin mehr geben; ebd. 21. 12. 1995 In einer Analyse über Auto-Kraftstoffe der Zukunft zeichnet der Konzern einen Weg von Benzin und Diesel über komprimiertes und später verflüssigtes Erdgas bis hin zu flüssigem Wasserstoff als Motorenantrieb.

Berserker Benziner: MM 26. 2. 1985 Voraussetzung ist, daß der umweltfreundliche „Diesel" bei den Abgasen (Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffe und Stickoxide) die gleichen Grenzwerte einhält wie ein schadstoffarmer „Benziner" . . Diesel-Modelle sollen genau wie Benziner nachgerüstet werden können; ebd. 12. 2. 1986 Dieselfahrzeuge, die schadstoffärmer als „Benziner" gelten, bevorzugt das Stadtreinigungsamt, geachtet wird dabei auf eine schwermetallfreie Lackierung; ebd. 20. 8. 1987 ein Gutachten des TÜV-Rheinland .. stellt den Motoren der weniger strengen „Euro-Norm" ein verheerendes Zeugnis aus: Bei hoher Geschwindigkeit sollen sie ebenso viele Schadstoffe ausstoßen wie herkömmliche Benziner; Rhein. Merkur 2. 2. 1990 Längst eingeführt hat Ford Dreiwege-Katalysator für alle Benziner sowie ABS. Benzol: 1862 Meyers Konversationslex. IH 183 Benzin (Benzol, Phenylwasserstoff), chemische Flüssigkeit, entsteht bei der trockenen Destillation von Steinkohlen . . beim Durchleiten der Dämpfe von Fetten, Bergamottöl, Benzoesäure; 1878 Buch d. Erfindungen 75 löslich . . in Aether, Chloroform und Schwefelkohlenstoff, erwärmt auch in Terpentinöl und Benzol; Hermann 1896 Physiologie 17 Benzol . . kommt als solches nicht im Organismus vor, ist aber die Grundsubstanz der sogenannten aromatischen Verbindungen, deren der Organismus eine grosse Zahl enthält; Kubner 1900 Hygiene 758 Benzol, Nitrobenzol, Anilinöl, Carbolsäure (Phenol). Das in den Theerraffinerie-Anstalten gewonnene Benzin (im Handel auch Benzol genannt) ist ein Gemenge von Benzol, Toluol und Xylol; Kes 1914 Kraftwagenlinien 10 ob die Gewinnung nur an einigen wenigen Stellen der Erde möglich ist, wie dies beim Benzol und Benzin der Fall ist; 1920 Prometheus XXXI Beibl. 35 Tatsache, daß neuerdings Benzol vielfach an Stelle von

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Benzin als Brennstoff für Kraftwagen verwendet wird; Beumelburg 1930 B. 16 Anm. Daher war die Benutzung des aus Kohle hergestellten Benzols, eines Inlandsproduktes, für Automobile von so großer volkswirtschaftlicher Bedeutung; Berl. Illustr. Nachtausg. 19.6.1933 Durch Zurückstellen auf Lagerbestände und durch weitere Umstellung des Absatzes von unvermischtem Benzol auf BenzolBenzin-Gemisch; Münch. N. N. 11.12. 1937 Im gleichen Gaswerk wurde auch eine neue Benzolgewinnungsanlage errichtet . . In der Benzolfabrik wird das Waschöl vom Benzol durch Erhitzen getrennt und letzteres nach verschiedenen Reinigungsprozessen einem Lagerbehälter zugeführt; Welt 21. 12. 1949 Die Erhöhung des Benzolpreises .. hat für den Verbraucher nur theoretisches Interesse, da das Benzol bekanntlich zur Beimischung des an den Zapfstellen erhältlichen Motorbenzins verwendet wird; MM 23. 1. 1986 Benzol, das von der Mineralölindustrie als Ersatzmittel von Blei verwandt wird, um die Klopffestigkeit zu erhöhen, kann nach wissenschaftlichen Erkenntnissen beim Einatmen größerer Mengen Schwindel, Kopfschmerzen, . . und Rauschzustände bewirken; ebd. 17. 12. 1987 Bodenproben . . hatten zahlreiche Giftstoffe in hoher Konzentration enthalten. Polychlorierte Benzole (PCB) seien . . entdeckt worden; ebd. 23. 1. 1988 Manche Haushalte sind mit Benzol-Verbindungen ähnlich stark angereichert wie eine Straßenkreuzung; ebd. 1. 3. 1988 Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium . . appellierte . . an die Mineralölwirtschaft, die Benzolanteile im Benzin so weit wie möglich weiter herabzusetzen; ebd. 3.3. 1988 Im Organismus wandelt sich Benzol in Phenol um. Als Hauptrisiko gilt Benzol-Phenol-verursachter Blutkrebs (Leukämie). Als gefährdet gelten vor allem Tankwagenfahrer, Tankwarte und Beschäftigte in Benzolfabriken. IN

Berserker M. (-s; -), im 20. Jh. auch Berserkerin F. (-; -nen), im späten 18. Jh. entlehnt aus altnord. berserkr, eigentlich 'Bärenfell', dann bes. 'Krieger im Bärenfell, Bärenhäuter' (aus her- 'Bär(en)-' und serkr 'Hemd, ärmelloses Gewand, Waffenrock', weitere Herkunft ungeklärt). a In der altnordischen Mythologie als Bezeichnung für einen wilden Krieger, der nur in Bärenfelle gehüllt in den Kampf zieht, in Ekstase, Wut und Raserei mit übermenschlicher Kraft kämpft und nach Volksmeinung unverwundbar ist. b Von daher seit Anfang 19. Jh. übertragen verwendet in der Bed. 'sich wild gebärdender, roher, ungeschlachter, kampfwütiger Mann, blind Wütender, Wüterich, Tobsüchtiger', bes. in Wendungen wie wie ein Berserker toben, rasen, sich wie ein Berserker aufführen, in seiner Wut ein wahrer Berserker sein und häufig in der Zs. Berserkerwut 'ungezügelte, wilde Angriffswut, blinde Kampfeswut, zerstörerische Wut; sinnlose Raserei'; gelegentlich auch mit eher positiver Wertung für 'kraftstrot-

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zender Mensch, Kraftmensch; Energiebündel, Arbeitstier', (s. Belege 1927, 1942, 1953, 1985), bes. in der Wendung wie ein Berserker arbeiten 'arbeiten wie ein Wilder, Besessener' und der Zs. Berserkerfleiß 'übereifriges, übermäßiges, blindwütiges Arbeiten, wilder Arbeitseifer' (s. Beleg 1840). Dazu seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitungen berserkermäßig, berserkerisch und vor allem berserkerhaft 'einem Berserker gleichend, in der Art eines Berserkers; angriffslustig, blindwütig', gelegentlich auch eher positiv im Sinne von 'übereifrig, wie wild, wie besessen', z. B. berserkermäßig arbeiten, berserkerhaftes Forschen, berserkerhafter Fleiß (s. Belege 1926, 1987); seit Mitte 19. Jh. die Ableitung berserkern V. intrans. '(wie ein Berserker) sinnlos toben, wüten'; seit späterem 19. Jh. die seltene subst. Ableitung Berserkerei F. (-; -en ungebr.) 'wütendes Toben' und seit Anfang 20. Jh. die subst. Ableitung Berserkertum N. (-s; ohne Pl.) 'Verhalten, Wesen von Berserkern'. Berserker a: Berisch 1775 Wodan 44 daher die Art der Wuth nachher die Art der Beseker [!] oder der wilden Thiere genennt ward; 1786 Journal aller Journale V 114 Versuch, aus der Naturgeschichte die Wuth der Berserker, oder alten nordischen Kämpfer zu erklären, von Odmann (Überschr.) . . Ich glaube nicht zu irren, wenn ich hiezu [zu den „Erdichtungen des finstern Zeitalters"] auch die Nachrichten zähle, welche in den nordischen Sagen die uralten Berserker betreffen; und die berüchtigte Raserei, welche unter dem Namen von Berserker Wuth mit sonderbaren Farben geschildert wird. Diese Kämpfer waren, ihres Zeitalters kriegerischer Denkungsart gemäss, sehr nothwendige Helfer zur Erreichung der Absichten ihrer verheerenden Anführer . . und werden uns mehr als wilde Thiere, denn als Menschen beschrieben. So bald sie die Berserker Wuth überfiel, sähe man sie in einer Raserey, gleich reissenden Wölfen; 1859 Allg. Mil.-Enc. II 566 Berserker (altnord. d.i. Krieger ohne Panzer), in der nordischen Sage ein gewaltiger Krieger, der ohne Panzer in den Kampf ging und sich in demselben . . durch rasende Wuth auszeichnete; 1882 Brockhaus 875 Zu dieser Sage haben die „Berserkir" die Veranlassung gegeben, wilde, ungeschlachte und wütende Menschen, welche, ursprünglich in Bärenfelle gehüllt . ., sich auf den Feind losstürzten; Dtsch. AZ. 3. 2. 1935 Der Wald war . . der Sitz der finsteren Mächte .. Dort im Urwalde hatten die Jünglinge vor ihrer Wehrhaftmachung ihren Mut zu erproben, Genossen der Wölfe und Bären, verkleidet als Werwölfe oder Berserker; Zeit 1. 5. 1987 die künstliche Leistungsverbesserung ist ein uralter Traum der Menschen . . etwa bei den sagenhaften Berserkern der nordischen Mythologie, die mit einer aus dem Pilz Amanita Muskana gewonnenen Droge Bufotenin ihre Kampfkraft bis auf das Zwölffache gesteigert haben sollen.

Berserker b: Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 29,87) er hatte den einzigen Fehler, daß er seinen Namen nicht hören konnte und so bald er ihn vernahm in eine Heldenwuth, wie der Norde sie Berserker-Wuth benennt, augenblicklich gerieht, alles rechts und links todtzuschlagen drohte; Görres 1822 Ges. Sehr. XIII 465 Man mag zittern vor diesem Volke, wenn es in eine Revolution . . gestürzt, und vom äußeren Krieg zum Äußersten aufgereizt, in wüthender, rasender Berserkerwuth entbrennt!; Diesterweg 1836 Lebensfrage III 41 Mit Berserkerwuth schreiben sie Sachen auf, die in tausend Büchern stehen, historischen Wust, gelehrten Kram, Minutien und Quisquilien; Immermann 1838—39 W. IV 70 „Ihr [der Hofschulze] seid, scheint es, in der Berserkerwuth, dem uralten Wahnsinne Eures [westfäl.] Stammes"; Bacherer 1840 Stellungen I 153 Wenn sie [Studenten] wieder einen Redesatz von ihm [Görres] erlauscht, so beeiferten sie sich mit wahrem Berserkerfleiße, denselben in ihre Hefte wie die Worte eines Heiligen einzutragen; Steffens 1841 Was ich erlebte III 177 Der Bediente meines Vaters, ein treuherziger Norweger, war bei dieser Gelegenheit . . in Berserker-Wuth gerathen, und hatte einen Gegner bedeutend verwundet; 1857 Kompass 144 gestaltete sich dieser Enthusiasmus [über eine Schauspielerin] zur Ekstase, ja mehr als das — zur Berserkerwuth; Allmers-Detlefsen 1861 Briefw. 60 ich hätte für mein Leben gerne sofort mit einem Schlage dem Erzbischof den Kopf spalten mögen, so berserkerwütig war ich; vor 1867 (v. Kügelgen 1958 Jugenderinn. 308) Trieben wir es mit unsrem Widerspruche zu weit, so konnte er in die ergötzlichste Berserkerwut geraten (WOG); Treitschke 1874 Jahre 498 der Communismus mit seiner wohlbekannten Berserker-Logik; Kapp 1876 Amerika II 133 Diese Menschen, die kaum lesen können, . . wirthschaften mit wahrer Berserkerwuth gegen den unschuldigsten nördlichen Zeitungswisch; Teuher 1881 Jugendleben I 39

Berserker Mit wahrer Berserkerwuth werden [am Schluß der Vormittagsschule] die Bücher zugeschlagen; Grosse 1896 Ursachen 222 In einer der letzteren fiel mir die Gazetta del Popolo in die Hand mit berserkergleichen Ausfällen gegen Österreich; Potenz 1904 Land 57 Den für seine Geduld berühmten Yankee kann gelegentlich Berserkerwut erfassen; Halbe 1911 Ges. W. IV 254 Susanne: Einen schottländischen Kujon, der mir zu nahe kommen wollte, hab' ich doch niedergeknallt mit der Reiterpistole . . Schwanz: Guck einer die Berserkerin!; Wassermann 1921 Wahnschaffe II 20 Anfälle von Jähzorn . . die ihn zum Berserker machten (WOG); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III418) nun saß er heiter . . als habe er sich nie wie ein Berserker und rasender Trunkenbold benommen; Schüttet 1925 Humor 144 Wie ein Berserker hetzte er nun täglich, mit Sporen und Säbel arbeitend, das arme Tier . . hin und her, stets nur in der schärfsten Gangart; Schickele 1927 Hans 142 deine Langeweile, die du bisher wie ein Berserker bekämpft hast; Lokal-Anz. 5. 6. 1934 Wir mußten [bei Fußball-Länderspiel] kämpfen wie die Berserker gegen die flinken Schotten; Halbe 1935 Jahrhundertwende 144 Berserkerausbrüche des in allem Phlegma angeborenen bajuwarischen Jähzorns; Münch. N. N. 30. 1. 1942 Mario Bonnard hat .. die spannende Verworrenheit der Handlung mit grotesk wirkendem „Berserkerhumor" gewürzt. Unter den Darstellern . . ist vor allem Spalla hervorzuheben, eine Kraftnatur von „übermenschlichen" Dimensionen, die uns .. das Schmunzeln nicht vergessen läßt; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 993) als Sklaven eines elenden Fanatismus fahrt ihr fort, wie Berserker für diese grauenhaft neue Ordnung zu kämpfen; M.-A. Abendztg. 29. 3. 1945 „Wir kämpfen gegen besessene Berserker". Mit diesen Worten beschreibt der Kriegsberichter . . den unerhörten kämpferischen Mut . . der deutschen Truppen; Siiddtsch. Ztg. 7. 9. 1953 Jonathan Shields, ein Fanatiker seines Fachs, ein Berserker der Arbeit, soll den typischen Erfolgsmenschen Hollywoodscher Prägung repräsentieren; ebd. 18. 5. 1956 Daß dieser Aristokrat im Büffellederwams (Jack Palance) das Messer lieber als Eßgerät denn als Waffe benutzt, ehrt seine Gesinnung. Daß er trotzdem zu kämpfen versteht wie ein Berserker, verrät schon sein Name [El Tigre]; 1964 (Schmidt 1990 Orpheus 238) (. . Aber, traun, dort ging es hoch her); er sturmtroppte [!] die barärschige Berserkerin, die Fratzen kußmetisch [!] verschränkt; ND 10. 6. 1964 [daß man] alles mobilisieren muß, um die blindwütigen Berserker in die Schranken zu verweisen; Zeit 31. 5. 1985 Träumer müssen Berserker sein, hervorragende Schauspieler wie Fritz Schediwy auch; ebd. 8. 11. 1985 ein Berserker-Genie, 1982 im Dro-

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genrausch ins Grab gesunken, bewegt, erregt, verwirrt die Republik; ebd. 22. 8. 1986 mit Gobert, der ihm eine neue Arbeits-, also für diesen Berserker des Theaters auch Lebens-Perspektive eröffnet hatte, starb auch etwas von eigener Lebenskraft; ebd. 14. 7. 1987 Zorn , . kann ganz verschiedene Qualität annehmen, je nachdem, mit welchem Teil des Körpers er sich verbindet: der . . kalte, böse Zorn im Kopf, . . der heiße Berserker-Zorn aus dem Bauch, der rasende Zorn, der den ganzen Körper ergreift; MM 12. 2. 1988 Joachim Siska rennt, stampft und wälzt sich auf dem Lebensweg vom süßen Bubi zum Berserker Macbeth, der von drei Ammen, den Hexen, aufgezogen wird. Berserkerei: vor 1871 Stud. 1196 Die knabenhaften Berserkereien (SANDERS 1871); Dehmel 1903 Ausgew. Br. 25 wie die Handlung der Ilias sehr einfach in dem Rachekampf besteht, zu dem Achilleus durch seinen Ingrimm . . getrieben wird. Nur als Folie für die Berserkerei, mit der sich dieser Fleischerknecht . . in seinem Freundesschmerz austobt, ist all das üppige Kampfgewimmel der künstlerisch unerläßliche Apparat. berserkerhaft: Stahr 1850 Italien Hl 239 Es ist .. etwas Berserkerhaftes in dieser nordischen Natur; Scherr 1870 Farrago 486 mittels grauenhaft verlustvoller, berserkerhafter Todesverachtung; Schlenther 1890 (in: Freie Bühne I 539) Berserkerhaft, wie sie [Dramatiker] sind, schäumten sie aber nicht bloß gegen die „farbenblinde" Leitung der Freien Bühne auf; Peetz 1893 Chiemgauer Volk II 159 die berserkerhaft wüthenden Stürme; Dehmel 1903 Ausgew. Br. 55 Ich sage Dir, das ist einfach zum Rasendwerden hinreißend, mongolisch, tartarisch, berserkerhaft; Dublin 1913 Vertreibung 440 Ihre Liebe zur vollen Realität nimmt etwas Berserkerhaftes an; 1915-16 (Barlach 1962 Seespeck 11) seine berserkerhafte Lust schöpfte immer neue Erfindungen in der Ausschüttung von inneren Zuständen auf den Gegner; Th. Mann 1919 Erz. (W. VIII 550) da verstärkt sich das Tanzen und Fuchteln [des Hundes] aufs äußerste, es artet aus ins Derwischmäßige und Berserkerhafte; Fränger 1925 Humor. Voriv. IX die berserkerhafte Komik der grellen Ironien; Th. Mann 1925 Erz. (W. VIII 629) zur Buße für einen berserkerhaften Wutanfall; Stehr 1926 Heiligenhof 33 Sein lasterhaftes Toben, sein berserkerhafter Fleiß; v. Winterstein 1942 Mein Leben I 204 Ich war darauf gefaßt, im nächsten Augenblick als Leiche auf dem Boden zu liegen, so berserkerhaft war sein Aussehen; Gerlach 1946 Vierfüssler 144 Sie [Waldspitzmaus] stürzte sich immer mit einer berserkerhaften Wildheit auf den Käfer und riß ihm zuerst die Beine aus; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 456) besessen sich gebär-

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dende Reitweiber der Pußta, die unter heiseren Schreien zu berserkerhaften, in Taumel versetzenden Voltigierkünsten das ungesattelte, augenrollende Pferd bespringen; ders. 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 830) der berserkerhafte . . rasende Nationalismus seiner „Hermannsschlacht"; Döblin 1956 Hamlet 25 Er war von einer berserkerhaften Hartnäckigkeit; FAZ 1. 9. 1962 des berserkerhaften verschlagenen Gouverneurs; Zeit 19.4.1985 der Schauspieler (ein ganzer Kerl, fast noch ein Jüngling) verstellt sich nicht chargierend in einen fistelnden alten Mann; er hat seine ganze berserkerhafte Kraft in Alterschwere und -langsamkeit verwandelt; ebd. 8. 5.1987 gegen das Vorurteil, daß ihm viele seiner Rollen zu geschmeidig, zu widerstandslos-virtuos gelingen, rennt er nun als Faust geradezu berserkerhaft an; MM 6. 11. 1987 leider gönnt er dem Leser nicht das aus den Quellen gefilterte klare Ergebnis seines berserkerhaften Forschens. berserkerisch: Nora 1932 Am Färbergraben 6 Von italienischem Vater stammend, südlichen Temperaments, konnte er nicht immer seinen Grimm zügeln und mag im kritischen Gedränge oft allzu berserkerisch um sich geschlagen haben; Th. Mann 1939 Lotte (W. U 657) daß sie den Reiz der Wahrheit nicht kennen, ist zu beklagen — daß ihnen Dunst und Rausch und all berserkerisches Unmaß so teuer, ist widerwärtig; Graf 1964 Banscho 364 „Marsch, weiter!" plärrte der berserkerische Hunglinger mit voller Lungenkraft. berserkermäßig: Mendelssohn-Bartoldy 1832 Brieftv. m. Klingemann 103 Wie der ins Zimmer trat, und so ganz unverändert der Alte war, derselbe, der gegen andere berserkermässig wütete; Scherr 1865 Blücher l 6 wurde der Leidende so bärenhaft wild, gebarte sich so berserkermäßig, daß Niemand mehr ihm zu nahen sich getraute.

Berserkern: Heine 1854 Verm. Sehr. 149 Er tobt und rast und berserkert (KEHREIN); Scherr 1865 Blücher III 236 „Der Metternich — berserkerte der Alte — der Millionenhund, der Schuft, welcher gehenkt zu werden verdient, hat euch Alle an Leine und Leitseil .."; Liliencron 1903 S. W. X 137 Weiber und Männer, die zu viel getrunken . ./ Dampfende Mädchen, die vom Tanzsaal kommen/ Wo ein entsetzliches Klavier berserkert; Brod 1916 Tycho Brahe 129 Es war ein grandioses Schauspiel, ihn leiden, fluchen, berserkern .. zu sehen (WDG); Kerr 1924 Spanien 140 Cadiz, ohne Wagenrasseln; wo die Bürger nicht berserkern, still sich .. sonnen in verglasten Erkern; Carossa 1926 Tagebuch 44 berserkert wider Offizier und Mann; Werfet 1939 Himmel o. S. Teta schlug weiter wie toll auf das unschuldige Weißzeug, als wolle sie sich das Leben aus dem Leibe berserkern; Zeit 10. 4. 1987 die namenlose Protagonistin, auch im wirklichen Leben und nicht nur auf der Bühne eine berserkernde Schauspielerin, rebelliert dagegen; Spiegel 21.8.1995 Als Eastman noch an seinem Color rumbastelte, berserkerte 1941 Marika Rökk schon in Farbe durch den Agfacolor-Film „Frauen sind doch bessere Diplomaten". Berserkerturn: Schlaf 1910 Individuum 464 Furchtbare dunkle Verbrechen, Kriege, Erscheinungen wie Amoklauf und Berserkertum, . . Anfälle von Jähzorn, von Grausamkeit und wilder Lust; Kalkschmidt 1928 Freiheit 32 dies Berserkertum mit dem Federkiel; Th. Mann 1930 Reden u.Aufs. (W. XI 880) wäre nicht dieser Mut dem Deutschen . . angemessener als das Berserkertum der Verzweiflung, als der Fanatismus, der heute deutsch und allein deutsch heißen will?; Nora 1932 Am Färbergraben 68 Ich ließ ihm [Pferd] oft bei solchem Start (auf gerader Bahn) Kopf und Nase frei und wartete, bis sein Berserkertum sich von selbst austobte; Zeit 26. 4. 1985 da sind Bettbrutalität und Mondscheinseligkeit, überragendes Schreibtalent und Berserkertum. GS

bestialisch Adj. (Steigerung nur in la), auch Adv., im frühen 16. Jh. über altfrz. bestial 'tierisch, roh; dumm' entlehnt aus (m)lat. bestialis 'tierisch, wild' (zu bestia; —» Bestie), im 19.720. Jh. eventuell unter frz. Einfluß auch in der verkürzten Form bestial (vgl. l a). l a Von Anfang an meist übertragen verwendet zur abwertenden Charakterisierung menschlicher Verhaltensweisen und Handlungen, zunächst im Sinne von 'sich wie ein vernunftloses, wildes Tier gebärdend (und daher menschenunwürdig), von roher Triebhaftigkeit, Lasterhaftigkeit zeugend, abscheulich; auf das Niveau eines (wilden) Tieres herabgesunken' (s. Belege 1594, 1669, 1691, 1731), z. B. bestialisch fressen und saufen, bestialische Gier, Wut, Triebe; ein bestialisches Leben führen; dann auch stärker pejorativ in der dominanten Bed. 'in seiner gefühllosen, grausamen Art eher

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an wilde Tiere als an Menschen denken lassend; unmenschlich, teuflisch, unvorstellbar roh und grausam' (—> Bestie b, —» barbarisch 3a und 3b, —» brutal, —» satanisch), z. B. bestialische Grausamkeit, Brutalität, Verbrechen, Foltermethoden, ein bestialischer Mord, Mörder; bestialischer Fanatismus; jmdn. in bestialischer Weise umbringen; der Krieg ist ein bestialisches Unternehmen, die bestialischen Greueltaten des Nationalsozialismus. Dazu schon Anfang 16. Jh. die über mittelfrz. bestialite 'tierisches, Verhalten, Rohheit, Wildheit', altfrz. bestiaute 'Rohheit; Dummheit' auf (flekt. Form von) gleichbed. mlat. bestialitas zurückgehende subst. Ableitung Bestialität F. (-; -en), zunächst, ohne PL, bis ins 19. Jh. häufiger auf sexuelle Verhaltensweisen bezogen für 'lasterhaftes Verhalten, unzüchtiger Lebenswandel; sexuelle Unzucht' (—» Sodomie; s. Belege 1672, 1730, 1788, 1803, 1828, 1840, 1860), dann in der dominanten Bed. 'viehische Rohheit, entsetzliche Grausamkeit, Unmenschlichkeit, Brutalität', z. B. die Bestialität der Eroberer, des Krieges, mit unglaublicher Bestialität gegen jmdn. vorgehen; seltener, auch mit PL, für 'menschenverachtende, -unwürdige Äußerung; grausame, brutale Greueltat, Handlung' (—* Barbarei 3a; s. Belege 1664, 1859, 1866, 1916, 1935); gelegentlich auch philosophisch gedeutet als Charakterisierung einer kulturgeschichtlichen (endzeitlichen) Entwicklungsstufe (—» Barbarei 3b; s. Belege 1849, 1934, 1946, 1957), bes. nach dem zweiten Weltkrieg in bezug auf politische Untaten und Verbrechen, daher wie bestialisch häufig zur Kommentierung der Greuel des Nationalsozialismus. Seit frühem 19. Jh. die subst. Ableitung Bestialismus M. (-; Bestialismen ungebr.) 'tierisch rohes, grausames, brutales Wesen, Denken, Tun' (—> Barbarismus 4a und 4b); etwa gleichzeitig die seltene, veraltete verbale Ableitung bestialisieren 'verrohen, vertieren, zum Unmenschen machen, brutalisieren' (—»· barbarisieren 3), mit den vereinzelten Präfixbildungen ent-, verbestialisieren und dem Verbalsubst. Bestialisierung F. (-; -en); vgl. auch die im 19. Jh. vereinzelt bezeugte Nebenform bestifizieren mit dem Verbalsubst. Restifizierung und gleichbed. veraltetem Bestifikation. b Daneben seit früherem 16. Jh. selten in der Bed. 'wilde Tiere, Bestien betreffend, zu ihnen gehörend; einer Bestie, Bestien eigen, für sie charakteristisch; tierisch, viehisch' (—» Bestie a), z. B. bestialisch bellen, ein bestialisches Gemecker von Ziegen, gelegentlich abwertend für 'scheußlich' (s. Beleg um 1790) und vereinzelt 'den tierischen Naturzustand betreffend' (s. Beleg 1861). 2 Seit dem 18. Jh., bes. im Drama des „Sturm und Drang", zum meist negativen, emotionalen Ausdruck eines hohen Grades bzw. einer starken Intensität verwendet für 'sehr (groß, viel), außerordentlich, äußerst, im Übermaß, maßlos, ungemein' (—» barbarisch 6a und 6b), ugs. auch für 'unerträglich, fürchterlich, entsetzlich', z. B. bestialisches Gepolter, bestialische Angst haben, vor bestialischer Dummheit strotzen, er war bestialisch ('äußerst') vergnügt, bestialisch viel arbeiten müssen, bestialisch betrunken sein, bestialisch stinken, ein bestialischer Gestank, das ist eine bestialische Arbeit, bestialische Qualen erleiden; hier ist es bestialisch kalt. bestialisch la: Guttel 1523 Wahrheit B2a das ir .. anders nicht dann Tyrannisch, Bestialische über alle Turcken, Hayden vnd Ketzer, die aller gotlosisten menschen müst geachtet . . werden; Luther 1523 Briefw. (W. III 229) Der Römische Lew und Minotaurus soll auch nit allenthalben seinen be-

stialischen Willen haben; 1594 Font. rer. Austr. 58,122 dann es notori und gewis, dass im Enssthal unter dem gemainen volkh solche grobe, rauche, wilde, bestial- und barbarische leuth sein; Albertinus 1598 Guevaras Sendtschr. Ill 86b deine bestialische Laster; ebd. III 89a bestialische Begierd;

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ders. 1599 Geistl. Spiegel 679 Unkeuschheit ein bestialisches Laster; ebd. 750 der bestialische Körper ist unser Feind; Lassenius 1661 Tischreden 252 und trinclcet man also bestialisch, das Getränck in den Leib; Grimmeishausen 1669 Simpl. 86 Mein Pfarrer war noch vorhanden und wurde so wohl als andre zum Trunk genötigt; aber er wollte nicht recht daran, sondern sagte, er möchte so bestialisch nicht saufen; Beroaldus 1669 Lustiger Process 2 daß es [das Trinken] meine Brueder fuer Bestialisch schelten; Ziegler 1689 Asiat. Banise 192 daß er .. befahl, die holdselige Princeßin . . nieder zu sebeln. Welches warlich mehr als eine bestialische wuth und abscheuliche grausamkeit war, daß dieser unmenschliche tyrann . ., die menschliche , . treue und liebes-neigungen so unmenschlicher weise verhindern wolte; Stieler 1691 Stammbaum 211 Bestialisch/ .. Ein bestialisch Leben führen/ . . Er gehet bestialisch mit ihm um/ inhumane . .; Menantes 1709 Satir. Roman II 112 Unehrliche und bestialische Sachen bleiben unehrlich und bestialisch, es mag sie ausüben, wer da will; Stranitzky 1711 Ollapatrida 38 Was muß man nicht mit dem Bestialischen Gesinde ausstehen?; Elis. Charl. 1719 Br. IV 345 So baldt junge kinder in die desbeauchen fahlen, ist ihnen kein laster zu viel, wo sie nicht in fallen, undt werden recht bestialisch; Sperander 1727 A la mod Sprach 69 Bestialisch, tumm, viehisch, abscheulich; Schnabel 1731 Felsenburg I 460 alles selbst in Augenschein zu nehmen, und ein lebendiger Zeuge davon zu seyn, worbey ich nichts mehr, als verdammte Wollust bestialischer Menschen, nechst dem, die ungewöhnliche Zuneigung solcher vierfüßigen Thiere, über alles dieses aber die besondere Langmuth Gottes zu bewundern wüste. Folgenden Tags nahm ich die . . Sodomiten ernstlich vor, und hielt ihnen, wegen ihres begangenen abscheulichen Lasters eine kräfftige Gesetz-Predigt; Abr. a S. Clara 1751 Narrennest Forts. 178 die herrlichsten und edelsten Geträncke pflegen sie theils zu trincken, theils aber bestialisch zu sauffen; Schiller 1781 Räuber (S. W. l 412) Razmann: Ein bestialischer Wunsch, für den man dich hängen sollte — aber es war ein Streich zum Zerplatzen; Laukhard 1797 Leben u. Schicksale IV 1,200 Schneider hat freilich große Fehler begangen; ob er aber auch jene scheusliche Ungerechtigkeit, jene bestialische Grausamkeiten [während der frz. Revolution] verübt habe, läßt sich, nach den Berichten der Elsässer, noch nicht ausmachen; Kotzebue 1803 Kleinstädter 210 ein gottloses bestialisches Wesen; Goethe 1803 Cellini (WA I 44,19) Der rasende Vater .. schwur, daß er mich gewiß ermorden wolle. Als ich diese bestialische Resolution bemerkte, ließ ich ihn die Mündung meines Gewehrs in etwas sehen; ders. 1812 Br. (WA IV 23,24) die alte Mythe [von Samson und

Delila] ist eine der ungeheuersten. Eine ganz bestialische Leidenschaft eines überkräftigen, gottbegabten Helden zu dem verfluchtesten Luder, das die Erde trägt; ders. 1816 Italien. Reise (WA I 30,181) seine [Friedrich II.] Preussen, ein bestialisches Volk und wüthende Ketzer; Nettelbeck 1821 Lebensbeschr. 256 bestialische Tollheit; Laube 1836 Schauspielerin 146 Die Masse hat in gewissen Ausbrüchen immer etwas bestialisches; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW II191) wenn Eugen Sue seine mönchische, seine bestialische Wollust an der Selbsterniedrigung des Menschen .. befriedigt; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. II 58 f.) Maler, Landkartenmacher, . . Handlanger der Geldaristokraten, Gehilfe des Luxus und der Verweichlichung, als Landkartenmacher sogar direkter Vorschubleister des bestialischen Kriegswesens!; Pecht 1876 Glaspalast 57 alle bestialischen Instinkte der Menschennatur; Kürnberger 1877 Herzenssachen 9 Wer wird da gegeißelt? Körperliche Strafen sind doch längst schon abgeschafft; sage mir Henkersknecht, wer trug dir auf, ein so bestialisches Urtheil . . Ich bin kein Henkersknecht, sondern ein Zeitungsredacteur und ergötze mich . . daran, einen meiner Collegen zu geißeln; Conradi 1884 Br. (Liebesbeichte 22) Auch ein dämonisch-bestialisches Element wirkt dabei mit — aber der Künstler ist, ut ita dicam, um mich so auszudrücken, etwas Bestie — ein eigentümlicher Kontrast zu dem hohen Sittlichkeitsideal, in dem er aufgehen soll; Busch 1899 Tagebuchbl. (1870-80) U 11 Was wird Herr de Chaudordy . . zu dem Artikel sagen, worin die Independance Algerienne die Vorstellungen dieser wilden Horden von dem, was im Kriege erlaubt ist, auseinandersetzt.. Verschiedene in Frankreich erscheinende Blätter billigen sie offenbar; denn sie haben den geradezu bestialischen Artikel ohne ein Wort der Mißbilligung abgedruckt; Voss 1901 Fra Checco 53 Mir that das Herz weh um das arme junge Leben, welches auf solche bestialische Weise hingemetzelt worden war; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 35) eine hohes .. Literatentum, das sich längst jeder Fühlung mit dem besonderen Ethos seines Volkes begab, ja schon die Anerkennung eines solchen besonderen nationalen Ethos als bestialischen Nationalismus verpönt und ihm seinen humanitär-demokratischen Zivilisationsund Gesellschafts-internationalismus entgegenstellt; Thiess 1923 Gesicht 30 einer bestialischen Sinnesart; 1928 ZfPolitik 361 [von der] bestialischen Gewalttätigkeit [des Asiatentums]; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 110) Es ist wahr, die blonde Bestie spukt auch in meiner Jugenddichtung, aber sie ist ihres bestialischen Charakters so ziemlich entkleidet; Berl. Illustr. Nachtausg. 10.1.1933 In der „Hölle von Brederney", der Folterkammer, die jedem von uns Ruhr-

bestialisch kämpfern täglich drohte, schmachteten Hunderte — alle bestialischen Rasereien, alle kalten Grausamkeiten vermochten nicht, die wehrlose Bevölkerung eines abgeschnürten deutschen Grenzlandes auf die Knie zu zwingen; Lokal-Anz. 23. 8. 1933 Der Arbeiter .., der .. den 18jährigen Gustav . . mit einem Rasiermesser auf bestialische Weise ermordet hatte; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1047) als nationalsozialistische Revolution ist sie [Idee der Revolution] Raub, Plünderung, Völkermord, wüste Verleugnung der Errungenschaften von Jahrtausenden, fanatischer Rückschlag ins Bestialische geworden; ebd. XII 252 die demokratische Addition des Menschlichen ist nicht sowohl eine Addition des Guten als des Schlechten im Menschen, und je größer die Summe ist, desto mehr nähert sie sich dem Bestialischen; ders. 1946 Reden u. Aufs. (W. XU 686) Geschichtspathos als Vorwand für das Sich-austoben-Dürfen bestialischer Instinkte; Klemperer 1947 LTI 61 ist der an sich gewiß verbrecherische, aber doch nicht ganz so bestialische Faschismus gleichzeitig mit dem Nazismus zugrunde gegangen; ND 22. 10. 1954 auf Befehl eines blutbesudelten Militaristen wurden vor den Toren Roms . . unschuldige Italiener bestialisch niedergemetzelt; Goldschmitt 1954 Genius 118 nannte er den Krieg doch ein bestialisches Unternehmen; Heimfei 1956 Kapitulation 8 was Auschwitz, Buchenwald und Belsen war und der . . Angriff auf Rußland, ist nach 1945 mit bestialischer Scheußlichkeit beantwortet worden — die Akten liegen vor; ND 13. 6. 1969 politische Häftlinge wurden bestialisch gefoltert, das Morden nimmt kein Ende; Welt 8. 12. 1969 der Prozeß gegen den bestialischen Kindesmörder . . soll wieder aufgenommen werden; ND 31. 12. 1969 aus Son My stieg der Blutgeruch bestialisch gemorderter Menschen auf; Zeit 13. 12. 1985 die Macht des Bösen hatte ihn bestialisch verstümmelt; ebd. 17. l. 1986 ein Buch an Hollywood verkaufen, .. sei so, als würde man nachts ein Kind auf dem Times Square aussetzen und aus der Entfernung zusehen, wie es bestialisch niedergemetzelt werde; ebd. 17. 3. 1986 er schreckte nicht davor zurück, bestialische Strafen durch die Nazis herauszufordern; MM 7. 5. 1986 sie mordeten und brannten alles nieder und herrschten .. mit bestialischer Grausamkeit, bis ihr Regime zusammenbrach; Zeit 30. 1. 1987 er zeigte zynische Killer, die ihre zufälligen Opfer bestialisch abschlachten; ebd. 20.3. 1987 die menschliche Aggressivität ist kein bestialischer Trieb, kein teuflischer Makel, auch keine krankhafte Auswirkung des Aufwachsens in einer grausamen Umgebung. bestial: Borne 1808 S. Sehr. I 64 Denn eine Menge bestialer Phänomene würden nicht erklärt werden

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können, wenn man nicht annähme, daß der Main fähig sei, die Manieren seines linken Ufers seinem rechten mitzuteilen; Rauch-Rietschel 1838 Briefw. l 453 weil eine gräfliche Bestial-Natur sich nicht mit ihm über ein paar hundert Thaler einigen konnte; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris I 133 jenes bestiale Verfahren läßt sich in gar keiner Weise rechtfertigen; ebd. I 244 erhoben sie [Abgeordneten], ohne alle weitere Veranlassung, ein bestiales Geschrei (ich möchte glauben sie hätten sich in der Zwischenzeit betrunken); ders. 1860 Histor.-polit. Br. 363 [daß der Krieg] eine bestiale Sittenlosigkeit herbeiführte; Goltz 1860 Typen d. Gesellschaft II 132 Mag nur die frischere Lebenskraft, .. sich mit dem Raffinement, . . dem naturwissenschaftlichen Atheismus und mit den uralten bestialen Hefen vermählen; Schmidt 1871 Bilder II 220 Die neuste Romantik hat . . durch Befleckung des Ideals gesündigt, indem sie das Heilige an das Bestiale klebt; Schaffte 1879 Ges. Aufs. I 14 Aus thierähnlichen Daseinskämpfen heraus hebt der erste Fortschritt an. Thierähnlicher bestialer Streit ist noch lange nicht verschwunden, bestiale Eigenschaften werden noch heute in den thierisch gebliebenen Sphären des socialen Schlachtfeldes gezüchtet; A. Zweig 1909-25 Knaben 380 Hinsehen auf den Einbruch des Bestialen in die Menschenwelt; Kesten 1929 Mensch 124 eine Frau habe viel Erregendes. Das Schwingen der Hüften, die üppige Form eines Beckens, diese Zartheit im Bestialen; Broch 1932 Schlafwandler III 518 das Irrationale wird zum Bestialen schlechthin. (ver-/ent-)bestialisieren: E. T. A. Hoffmann 1814 S. W. / 121 Konnte nun aber Cäciliens Gemüt die Bestie nicht entbestialisieren; Spaun 1822 Eigenthum (U 59) Der Despotismus bestialisirt die Menschen; Stahr 1851 Zwei Monate in Paris II 159 Die verbestialisirte Menschheit in gewisse nothdürftige Schranken der Bestialität zu halten (SANDERS 1871); Seyffarth 1855 Paris 136 die verbestialisirte Pariser Menschheit; 1882 Brockhaus II 905 bestialisieren oder bestifizieren, zur Bestie machen, vertieren; Borchardt 1927 Reden 243 daß der Menschentyp der Großstädte Deutschlands unter diesen Einflüssen sich in zwanzig Jahren .. bestialisiert hat. Bestialisierung: Sedlmayr 1948 Verlust 114 Die Reihe der „Tauromachie" (der Stierkämpfe) ist keine Verherrlichung des spanischen Nationalspiels, sondern eines andere Darstellung des grausamen Menschenwahns und der Bestialisierung; Selbmann 1966 Söhne 93 Alles kam auf ihr Haupt, das Elend und das Grauen aus Hunger und Furcht und die Bestialisierung ihrer Nachläufer und auch ihrer Opfer.

258 bestifiziercn: 1882 Brockhaus zur Bestie machen, vertieren.

bestialisch 905 bestifizieren,

Bestifizierung: Trott zu So/z 1958 Widerstand 79 Durch Hitlers Bestifizierung und noch fürchterlicher durch seine Mechanisierung der deutschen Gesellschaft wurden wir . . zurückgeworfen. Bestifikation: vor 1871 Zukunft I 55 Also das ist die Darstellung des britischen Löwen? Das ist die Bestifikation des Volkes, welches unter Nelson focht? (SANDERS 1871). Bestialismus: Schopenhauer 1819 (3. Aufl. 1859) Welt (S. W. II 528) sehen wir eben jetzt [1844] in England, unter verdorbenen Fabrikarbeitern, die Socialisten, und in Deutschland, unter verdorbenen Studenten, die Junghegelianer zur absolut physischen Ansicht herabsinken, welche zu dem Resultate führt: edite, bibite, post mortem nulla voluptas, und insofern als Bestialismus bezeichnet werden kann; ders. 1847 Satz v. Grunde (S. W. III139) Und wie, wenn Verarmung und Vernachlässigung überhand nehmen, dann die Wölfe anfangen sich im Dorfe zu zeigen; so erhebt . . der stets bereit liegende Materialismus das Haupt und kommt, mit seinem Begleiter dem Bestialismus (von gewissen Leuten Humanismus genannt) an der Hand, heran; ders. 1851 Parerga l 167 Auftretender Materialismus und Bestialismus [in moderner Philosophie]; Wolzogen 1890 (in: Freie Bühne l 1246) Der Naturalismus ist ganz unvermerkt in den Augen der großen Menge zum Bestialismus geworden; Th. Mann 1922 Reden u. Aufs. (W. XI 836) Nietzsche's Lyrik des blonden Bestialismus ist im voraus überholt und abgetan durch die beiläufige Äußerung eines seiner deutschen Meister; Thieß 1941 Reich 691 kein Teufel kann vollkommenere Höllen ersinnen als die, welche der Mensch seiner Grausamkeit . . verdankt. . Der Bestialismus als organisches System ist allein menschlicher Besitz; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1026) was Deutschland tut, was es an Jammer, Elend, Verzweiflung, Untergang, an moralischer und physischer Zerrüttung der Menschheit zufügt, indem es die revolutionäre Philosophie des Bestialismus ausübt, ist von einem solchen Maßstabe, so himmelschreiend . ., daß man nicht absieht, wie in Zukunft unser Volk unter den Brüdervölkern der Erde als gleiches unter gleichen soll leben können; ebd. die neue Lehre und Tat, die Theorie und Praxis der nationalsozialistischen Revolution ist der Bestialismus, — er allein: und ihr Produkt ist das Europa von heute: ein halb ausgemordetes Hunger- und Seuchengebiet, das, wenn der Hitlerkrieg noch einige Jahre dauert, nur noch ein Wechselplatz der Wölfe sein wird; ebd. XI 1027 das Bedürfnis, den Bestialismus mit

Legalität zu umkleiden, ist eine vertraute Eigentümlichkeit der Nazis; Niekiscb 1951 Bilanz 119 Er [Rassismus] war das Evangelium des Bestialismus. Vom deutschen Idealismus zum deutschen Rassismus ist ein weiter Weg; Selbmann 1966 Söhne 78 Als die alte KZ-Ordnung, die nichts anderes war als der mit deutscher Gründlichkeit perfekt organisierte Bestialismus, noch unangetastet blühte, wäre er vielleicht nur in einem der vielen Arbeitslager eingetaucht; Zeit 20. 2. 1987 aber auf Plakatwände drucken .. möchte man in Riesenlettern, was dieser Schriftsteller mitten im Kriege formulierte: „Was Deutschland tut, . . indem es die revolutionäre Philosophie des Bestialismus ausübt . .". Bestialität: Reisch 1515 Margarita hla Bestialitate; 1518 (Lipowsky 1803 Krim. 78) Strafe der Bestialität [Sodomie]; Fischart 1581 Dämonomania 465 daß der Tyrannen prauch ist/ daß sie ihre Underthanen inn äusserstem Vnverstand/ Alberkeyt vnd Bestialitet pflegen zue halten; Albertinus 1603 Sendtschreiben 82a eine Bestialität begehen; ders. 1616 Lucifers Königreich WO da regiret Thorheit und Bestialitet; 1622 Landgericht Wartburg (1909 Archiv f. Osten. Gesch. XCVII 355) \. Act dem bey hiesigem L. G. in pcto furti, Bestialitatis et suspectae Bigamiae zu verhaft gesessenen Wolf Haager betr., ist mit dem Strang hingerichtet; 1664 (Schreiben d. Kurfürsten K. L. v. d. Pfalz 142) Ich höre auch sonst viel unfläterey und bestialiteten; Grimmeishausen 1672 Vogelnest (111 419) [Sodomiten haben] aus lauter viehischer Unwissenheit und Bestialität gesündigt; Mieth 1683 GeschützBeschr. l 55 Gleichwol findet man derer genug/ so sie bedienen/ ihre Infanterie und Artillerie von Tag zu Tag verbessern/ und im übrigen vor ein wenig Geld/ allen Unlust (von solchen Leuten/ die wegen ihrer Bestialität bey allen Nationen stincken) einfressen/ und erdulden; Stieler 1691 Stammbaum 211 Bestialität/ . . Wildheit, Tierheit/ Viehischheit; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 571 die grosse Menge dererjenigen/ die noch in der bestialität stecken; Fabricius 1726 Ablehnung 4b wenn wir das werck mit GOtt anfangen .. so werden wir . . aus dem stände der bestialität . . gesetzet seyn; Sperander 1727 A la mod Sprach 70 Bestialitaet, unvernünfftiges Wesen, eine abscheuliche That; Buchner 1730 Liebe 220 ist ein Dienst-Knecht allhier auf dem Scheiterhauffen erdrosselt, und das Pferd, mit welchem er Bestialität begangen, nebst ihm erschlagen . , worden; Lindenborn 1741 Diogenes II 674 und sie vermeinten mit dem Pythagoras eine Bestialität zu begehen, wenn sie etwas von einem Thier verkosten selten; Boltz 1752 Amts-Actuarius 775 Weil dieser modus coeundi einiger massen der Bestialität zu vergleichen, wovor der Mann einen Abscheu gewonnen; Maler Müller 1776 W. U ISO Bin grad'

bestialisch wie geknebelt, wenn ich allein saufen soll; es glitscht nicht; eine Bestialität, der nichts zu vergleichen; Müller 1778 Fausts Leben 112 Bestialität; Blumauer 1782-87 Gedichte (III 70) so wohlfeil ist die Absolution./ Doch dafür ist mit Recht der Pfleger strenger?/ Denn der bestraft die Sund', die so ein Bärenfänger/ Mit seinem Ziegenliebchen oft begeht,/ Als eine wahre Bestialität; Frank 1788 System d. median. Polizei IV 249 So jemand . . in Bestialität [in widernatürlicher Unzucht] mit einem fremden Viehe, betroffen wird; Laukhard 1792 Leben II 282 Ich mag die Schriften nicht nennen, die . . zum Lesen verborgt werden, und worin alle Arten von Wollust, sogar die Bestialität, in Kupfern abgebildet sind; Meiners 1793 Sitten I 272 Comines . . leitet . . die . . Kriege aus der Verdorbenheit der Voelker, . . oder wie er sich ausdrückt, der Bestialität, und Unwissenheit der Fürsten ab; Lipowsky 1803 Krim. 78 Strafe der Bestialität. Der diese Unthat [im Geschlechtlichen] verübte, wurde verbrannt; ebd. 91 daß diese alten baierischen Gesetze, vorzüglich die im 16. Jahrhundert gegebenen . . eine nähere Bestimmung der Strafen enthalten, daß . . Vielweiberei, und Bestialität, so wie Zauberkunst und Ketzerei, unter die eigentlichen Verbrechen, welche mit dem Tode gestraft wurden, gezählet worden sind; Goethe 1808 Faust l 2297 Uns ist ganz kannibalisch wohl,/ Als wie fünfhundert Säuen!/ . . Gib nur erst Acht, die Bestialität/ Wird sich gar herrlich offenbaren; ders. 1812 Br. (WA IV 23,127) eine gewisse vernünftige Thätigkeit und Denkweise scheint [an der Uni Jena] wieder aufzutauchen, da wir bisher unter Bestialitäten [Unvernunft, Unordnung] mancherley Art gelitten haben; Fries 1818 Philosophie I 66 die niedrigste aller Lebensansichten, die der raffinirten Bestialität [Befriedigung der thierischen Triebe] . ., welche . . unter den reichen oder vornehmen Müssigen . . oft genug herrschend gefunden; Huber 1828 Spanien I 294 Der Fandango ist von manchen Reisenden beschrieben, und als unzüchtig und unmoralisch verschrieen worden . . in Wahrheit ist aber eigentlich nichts Unzüchtiges daran, als die Beschreibungen dieser Herren, besonders gewisser Englischer Reisender, in deren mastiger Phantasie von der Prüderie zur Bestialität nur ein Schritt ist; Heine 1835 Romant. Schule 18 Die katholische Kirche . . hat . . die Bestialität der nordischen Barbaren zu zähmen und die brutale Materie zu bewältigen gewußt; Schopenhauer 1840 Moral 60 diätetische Vorschriften, welche alle . . nicht in die eigentliche Moral gehören. Endlich noch zieht man hieher das Verbot widernatürlicher Wollust, also der Onanie, Päderastie und Bestialität; Goltz 1847 Buch d. Kindheit 170 Warschau ist heute ein Rendenz-vous von aller Welt Schauder — Mysterien, von Bildungspräcession und Bestialität; Grillparzer 1849

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Einfalle u. Inschriften (Gedichte III 3) [Der Weg der neueren Bildung geht] Von Humanität/ Durch Nationalität/ Zur Bestialität (BÜCHMANN); Ellendt 1851 Genesis d. Revolution 27 die entfesselte Bestialität [des Menschen in Revolutionszeiten]; Stahr 1851 Paris 11154 [Cancan] in der ganzen Abscheulichkeit raffinirter Bestialität; Haym 1859 Ges. Aufs. 59 Es wimmelt bekanntlich [in Schillers Räubern] . . von Rohheiten, Nacktheiten und Grässlichkeiten. Die Renommistereien und Bestialitäten der Spiegelberg und Genossen haben denselben physikalischen Hintergrund wie die verbrecherische Sophistik des Junkers; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen II 246 es gibt in Belfast auch schmutzige Stätten der Verworfenheit, dunkle Höhlen der Bestialität [Prostitution]; 1861 Hausblätter III 73 das Dominiren der Bestialität über Gesetz und Ordnung; Raabe 1864 Hungerpastor 456 meldete sich der „Faktotus" auf der Pfarre und zeigte an, daß das Haus rein, die Bestialität [Unordnung] zu Ende . . sei; 1866 Grenzboten III 349 Der Bayer ist von Natur bei aller Derbheit, ja oft Rohheit, gutmüthig . .; aber in den kräftigen, naturwüchsigen Burschen . . steckt immer etwas mehr oder weniger Bestialität, die bei leicht erregbarer Leidenschaft, oder im Trunke oft jäh hervorbricht; ebd. IV 27 die Bestialitäten der blutdürstigen Presse in das Rassistische zu übersetzen; Jäger 1869 Darwin'sche Theorie 86 daß häufig Mischlinge von zwei sehr verschiedenen Menschenrassen sich durch einen seltenen Grad von Bestialität unvortheilhaft bemerklich machen; Kretschman 1870—71 Kriegsbr. 86 Bestialität der Franzosen [gegenüber Verwundeten]; Reichensperger 1872 Phrasen 57 stellten sie . . als Ideal auf, daß es gelte, das Individuum zur Humanität, das heißt, wie gesagt, zur Menschhaftigkeit zu erziehen. Falls überhaupt das Geschrei von und nach Humanität einen Sinn hat, so kann es nur den haben, daß der Gegensatz zur Bestialität erstrebt werden soll; Bodenstedt 1879 Leben l 194 tigerhafte Bestialität Ferrante's, des entarteten Sohnes Alphons des Großen; Nietzsche 1887 Genealogie d. Moral (W. // 833 f.) O über diese wahnsinnige traurige Bestie Mensch! Welche Einfalle kommen ihr, welche Widernatur, welche Paroxysmen des Unsinns, welche Bestialität der Idee bricht sofort heraus, wenn sie nur ein wenig verhindert wird, Bestie der Tat zu sein!; Bleibtreu 1889 Nap. L 234 Er [Taine] sieht die Bestialität [der Revolution] und unlautere Selbstsucht, nicht aber die edlen Leidenschaften, welche sich damit verbinden mußten, um jenes vulkanische Elementarereigniß zu erzeugen; Dahn 1894 Erinn. IV 1,88 Bestialität in Leben und Kunst; ebd. IV 1,254 geschlechtliche Bestialität; Münsterberg 1904 Amerikaner 276 Bestialität der Schwarzen [gegenüber den Weißen]; 1915 Dtsch. Reden I 144 der Hass

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gegen die Deutschen, der . . die Züge der Verwilderung, ja der Bestialität trägt; 1916 Deutschland H 734 Aber es macht einem das Blut erstarren, wenn der höchstkommandierende Großfürst gegen angebliche Verstümmelungen kriegsgefangener Russen und sonstige deutsche „Bestialitäten" .. freventlich „Repression" übt; 1927 Sittengeseh. d. Lasters 230 Bestialität [Sodomie]; Csokor 1933 Br. 29 Bedürfnis nach einer menschlichen Durchdringung des Bestialischen . . die Komödie kann die Bestialität in ihrer nackten Reinkultur zeigen; Diesel 1934 Verhängnis 194 Prophezeiung Grillparzers . .: Von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität; Brach 1935 Br. (X 360) Bestialität der Welt; Langhoff 1935 Moorsoldaten 91 die Keller der 5. A. und S. S. sind rot vom Blut der Geschlagenen . . überall . . dieselben Bestialitäten (PAUL); Th. Mann 1937 Nachtr. (W. XIII 480) der Antisemitismus ist ein Zubehör und Losungswort aller trüben, wirren und mit viel Bestialität vermischten Massenmenschlichkeit und Massenmystik von heute; Muckermann 1943 Mensch 144 Logik der Dinge, die Grillparzer in der Stufenleiter ausprägte: Von der Humanität zur Brutalität zur Bestialität; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1084) die Bestialität der Nazis, ihr Vandalismus, ihre stupide und lasterhafte Grausamkeit, das Maß ihrer Untaten; ebd. XI 1106 das ist die klare Einsicht in die Unsühnbarkeit dessen, was ein von schändlichen Lehrmeistern zur Bestialität geschultes Deutschland der Menschheit angetan hat; Röpke 1946 Civitas 72 ein Weg, auf den sich ein bekanntes Wort Grillparzers abwandeln Hesse: Von der Humanität über die Kollektivität zur Bestialität; Süddtsch. Ztg. 3. 10. 1952 Die Bestialität, mit der Verbrechen begangen worden seien, habe aufhorchen lassen; Treffz-Eichhöfer 1953 R. Maier 13 Die Steigerung, die Grillparzer prophetisch vorausgesagt hatte: „Von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität"; Jordan 1956 Aufstand 78 die im Menschen schlummernde Bestialität; FAZ 29. 6. 1957 daß das zu Ende gehende 20. Jahrhundert lernt, daß Menschen verschiedenen Volkstums friedfertig . . nebeneinander im Gemeinwesen leben können. Sonst geht dieses Jahrhundert als das Jahrhundert der Bestialität in die Geschichte ein. Wenn man dem 19. Jahrhundert dann die Affiche der Nationalität und dem 18. Jahrhundert die der Humanität verleihen will, würde sich das düstere Wort Franz Grillparzers erfüllt haben; Welt 8. 12. 1969 die zunehmende Grausamkeit und Bestialität der gegen uns kämpfenden Spartakisten zwingen mich, folgenden Befehl zu erlassen; Offenburger Tagebl. 6. 8. 1971 Bestialität ist chic (Überschr.) . . Terroristen überfallen eine Bank, halten Geiseln gefangen, . . es kommt zu einer Schießerei — wer wird in der Öffentlichkeit angegriffen? Die Polizei . . Wenn es

bei einer solchen, von angeblich ideologisierter Bestialität initiierten Untat zu unvorhergesehenen . . Vorfällen kommt, wer ist schuld? Die Polizei; MM 14. 3. 1985 die Leugnung der Ausrottungsmassaker von Auschwitz ist nicht nur eine grauenhafte Beleidigung des jüdischen Volkes, es ist auch die Verhöhnung jedes aufrechten Deutschen, der sich der Bestialität der Nazis und des Ditten Reiches widersetzt hat; ebd. 20. 7. 1986 mit dem neuerlichen Mord an Professor Beckurts .. setzt sich eine Serie der Bestialität fort, für die es keine politische noch menschliche Entschuldigung geben kann. bestialisch Ib: Schaidenreißer 1538 Paradoxa 2b welche stimm ich . . für vihisch vnd bestialisch acht; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 169 Aber die andere Thier waren nit so gar thierlich vnd bestialisch/ daß sie den betrug dieses verkleideten Esels nit verstunden; Schilling 1677 Predigten 298 das . . Sprich-Wort: Er hat ein bestialisch Fieber. Bestialisch Fieber? Bestia ist ein wildes, unzahmes Thier . . Haben dann die Bestien . . Fieber? Ja also schreiben die Naturalisten und Naturkündiger; Biantes 1731 Historicus 259 eine Bande bestialischer Hunde; Abr. a S. Clara 1751 Narrennest Forts. 223 Aber die andere Thiere waren gar nicht so thierlich und bestialisch; Goethe um 1790 Morphologie, Paralipomena (WA II 13,251) Die scheuslichen Affen mit zu großen ersten Vorderzähnen/ daß die ferae [Raubtiere] 6 Zähne haben macht sie weniger bestialisch; Riehl 1861 Land 77 In der Urwildniß rodet der erste Siedler: er schafft den Gegensatz von Feld und Wald und hebt das Verhältniß von Land und Leuten über die Linie der uranfänglichen bestialischen Natürlichkeit; Th. Mann 1919 Erz. (W. VIII 534) da ihm warm geworden, öffnete er [Hund] den Rachen, wodurch die gesammelte Klugheit seiner Miene sich ins Bestialische löst, seine Augen sich blinzelnd verschmälen; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. bezweifle ich, daß die Londoner Löwen aus gemeingefährlicher Wildheit und infolge eines bestialischen Blutdurstes jenen Unglücklichen getötet haben, glaube vielmehr, daß der Ueberfall eine Schreckhandlung war; Zeit 14. 11. 1986 wie der Chor der Affen durchs Gestänge turnt, . . wie Stein [Regisseur] die wilden Tiere zu den aufmerksamsten Zuhörern ihres Menschenvetters werden läßt, wie er aus dem bestialischen Gemecker und Gebell eine wortlose, humane Sprache werden läßt; MM 16. 3. 1987 so stellte auch Terese Capucilli die kretische Königin Pasiphae in ihrer Haßliebe zu Poseidons Stier dar . .; die Frauenseele versucht sich verzweifelt gegen die bestialische Anziehungskraft zu wehren.

Bestie bestialisch 2: Schiller 1781 Räuber (H. l 403) hinein mit bestialischem Gepolter in die Zellen der Schwestern; Blumauer 1784—94 Virgils Aeneis (I 37) Denn mancher volle Kammertopf/ Flog uns als Griechen an Kopf,/ Das stank ganz bestialisch!; Goethe 1799 Br. (WA IV 14,119) Da nun der Hauptcharakter des Pfuschers die Incorrigibilität ist und besonders die von unserer Zeit mit einem ganz bestialischen Dünkel behaftet ist; Seume 1803 Spaziergang (W. i 336) Wenn er gestorben wäre, wäre es gewiß zum Wunder bloß darum gewesen, weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge Tauben gegessen hatte, und nicht wegen seines bestialischen Makkaronifraßes; Nordau 1881 Kreml II 52 Als es . . die Fashion war, erschrecklich viel zu trinken, setzte die Aristokratie ihren Stolz darein, viel „six-bottle-men" . . zu liefern, und besoff sich öffentlich aufs bestialischste; Beumelburg 1930 Bosemüller 32 das Vauxkreuz liegt unter einer bestialischen Beschiessung; ebd. 68 bestialischer Qualm

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[beim Rauchen]; Küpper 1963 Simplicius 109 Jauche war . . in das Erdloch hineingeregnet, so saßen sie in unserer Küche . . und stanken bestialisch; Kinski 1975 Erdbeermund 39 Der Gestank ist so bestialisch, daß . .; Süßkind 1981 Kontrabaß 26 Hören Sie das? Das ist so laut wie das Te Deum von Berlioz. Bestialisch. Sie reißen drüben das Hotel ab, und vorn an der Kreuzung kommt . . eine U-Bahn-Station hin, darum wird jetzt der Verkehr hier bei uns unten vorbeigeleitet; Zeit 3. l, 1986 ein Schwein, das an Verdauungsstörungen leidet und das ganze Haus mit bestialischem Gestank erfüllt; MM 12.5. 1987 es ist bestialisch, diese Mischung aus Chemie, billigem Parfüm und Waschmittel; ebd. 16. 9. 1987 gegen zehn Uhr . . habe es draußen bestialisch gestunken; Stern 22. 10. 1987 schlugen Bürger Alarm, weil der Rhein bestialisch stank; Frankf. Rundsch. 5. 3. 1990 zum Teil trägt die Luft bestialischen Gestank herbei, so, als hätte irgendwer die Pforte zur chemischen Vor-Hölle aufgemacht. GS

Bestie F. (-; -n), in spätmhd. Zeit (LEXER) entlehnt aus lat. bestia 'Tier; vernunftloses Lebewesen (im Ggs. zum Menschen)', insbes. 'wildes, reißendes (Wald-)Tier'; bis ins 18. Jh. häufig, vereinzelt bis ins 20. Jh. auch in lat. (fielet.) Form, a In der Bed. 'wildes, gefährliches, sich grausam gebärdendes Tier, vor dem man sich fürchtet; Raubtier', z. B. in Wendungen wie eine grausame, blutgierige, lauernde, große, gereizte Bestie; die Bestie zähmen, dressieren, erschießen; die Bestie hat ihn zerrissen; die (niederen) Instinkte der Bestie im Menschen (s. Beleg 1960; vgl. b); öfter auch leicht abwertend von (widerspenstigen, störrischen, launischen) Haustieren, Nutzvieh oder Tieren, die Schäden anrichten (s. Belege 1474—82, 1614, 1746 , 1838, 1843); daneben auch für 'mythisches, exotisches Tier, Fabeltier, Untier, Ungeheuer' (—» Chimäre; s. Belege 1474—82, 1517, 1688), bes. mit Bezug auf Darstellungen in Literatur und bildender Kunst (s. Belege 1534, 1700, 1803, 1812, 1985); seit dem 18. Jh. selten als Bestimmungswort in den fachspr. Zss. Bestienmalerei, -kapitell 'romanisches Kapitell mit symbolischen Tiergestalten' und -Säule 'Säule mit reliefartigen Darstellungen gegeneinander kämpfender Tiere (bes. in der romanischen Kunst)'. b Seit späterem 15. Jh. (wie auch schon im Lat., z. B. bei Plautus) meist abwertend von Personen gebraucht, zunächst, bis ins 18. Jh., selten bildlich verwendet für 'jmd., der unvernünftig, dumm wie ein (wildes) Tier ist oder sich so gebärdet' (s. Belege 1472, 1526, 1582, 1661, 1781), dann vor allem in bezug auf Charakter und Verhaltensweisen des Menschen, bes. auf niedere Instinkte wie das Tierische, Triebhafte, Animalische und Bestialische (—»· bestialisch), in der übertragenen Bed. 'tierisch roher, grausamer, mitleidloser, amoralischer, lasterhafter Mensch; Unmensch, Scheusal, Monstrum, Ungetüm' (—* Barbar 3a und 3b), dabei öfter als Schimpfwort jmdn. eine Bestie schimpfen, du Bestie! (s. Belege 1539, 1668, 1774, 1963), teilweise in Verbindung mit verstärkenden Attributen wie rasend, wütend, grausam, blutrünstig, verdammt, z. B. in bild- und gleichnishaften Wendungen wie sie ist eine Bestie in Menschengestalt, jmd. verwandelt sich in eine (wilde, reißende) Bestie (s. Belege

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1647, 1832, 1965, 1986) und (wohl als Lehnübersetzung von Zolas Romantitel „La bete humaine") die Bestie im Menschen (wecken); gelegentlich auf Abstrakta, z. B. die Bestie Kapitalismus (s. Belege 1928, 1929) und Kollektiva, z. B. die Bestie Publikum lauert (s. Belege 1933, 1958) bzw. Völker bezogen (s. Belege 1522, 1526, 1571, 1683, 1932, 1942) sowie öfter auch politisch (vgl. Luthers römische Bestie als Schimpfwort für den Papst, s. Belege 1527, 1528) und philosophisch gedeutet, z. B. in schlagwortartigen Syntagmen wie die Bestie Mensch, die menschliche Bestie, die kollektive, wilde Bestie 'Volk, Pöbel' (s. Belege 1668, vor 1852, 1972), ernsthafte, bedrohliche Bestien 'die nichtbesitzenden Klassen' (Schopenhauer) und bes. blonde (germanische) Bestie (Nietzsche) zur Charakterisierung des elementaren Raubtierbedürfnisses von völkergeschichtlich je unterschiedlich in Erscheinung tretenden elitären Schichten und amoralischen Herrenmenschen, die sich für die als Zwang empfundene Anpassung an die soziale Gemeinschaft durch Barbarei und Grausamkeit gegen fremde Völker schadlos zu halten versuchten (s. Belege 1887, 1927, 1941), im 20. Jh. dann auch in schlagwortartigen Verbindungen wie antisemitische, faschistische und bes. (wohl in Anlehnung an Nietzsche und in bezug auf die braune Uniform der Nazis) braune Bestie bzw. Nazibestie zur Charakterisierung der Nationalsozialisten (bes. der SS) und ihrer Greueltaten; vereinzelt auch abwertend in bezug auf Sachen (s. Belege 1935, 1985). Als Grundwort in Zss. wie Kriegs-, Schand-, Erz-, Mord-, Teufelsbestie und bes. Intelligenzbestie, auch Intellektbestie, abwertend für 'jmd., der mit seinem Wissen oder seiner Intelligenz prahlt' (s. Belege 1956, 1985), auch eher wertneutral bis positiv für 'ungewöhnlich intelligenter Mensch, der aber einseitig verstandesorientiert ist' (s. Belege 1962, 1985). Vgl. daneben das Ende 16. Jh. aus mittelniederdtsch. best, niederdtsch. beest 'Untier' (vgl. engl. beast) übernommene, über mittelniederl. beest(e) auf altfrz. beste 'Tier' (< lat. bestia, s. o.) zurückgehende Subst. Biest N. (-(e)s; -er), eher ugs. und meist abwertend gebraucht, zunächst für 'lästiges, unangenehmes, bösartiges Tier', z. B. das Biest (die Wespe) hat mich gestochen, diese Biester (Hunde) bellen Tag und Nacht, nehmen Sie das Biest an die Leine! (zu a). Seit dem 18. Jh. übertragen und häufig als Schimpfwort ironisierend verwendet in der Bed. 'durchtriebener, hinterhältiger Mensch', vgl. Wendungen wie so ein elendes, freches Biest, dieses Biest hat mich belogen, hat mir eins ausgewischt; selten auch als ironisches Kosewort bzw. eher positiv wertend mit dem Unterton widerstrebender Anerkennung, bes. in der Wendung ein (süßes, kleines) Biest 'Mädchen, das aufgrund scheinbarer, vorgetäuschter Widerspenstigkeit oder provozierenden Verhaltens gerade anziehend oder verführerisch auf jmdn. wirkt; kokettes, raffiniertes Mädchen, das sich auf Männerfang versteht'; in neuerer Zeit gelegentlich auch von Sachen im Sinne von 'verwünschter, verflixter Gegenstand', z. B. das Biest (der Apparat) funktioniert, geht nicht mehr, das Biest (der Reißverschluß) will nicht aufgehen, das Biest (der Motor) springt nicht an (zu b). Dazu seit dem Spätmhd. (DIEFENBACH) das über altfrz. bestiaire aus mlat. bestiarium 'Buch über Tiere, über das Tierreich', ursprünglich auch Ort, an dem die Tiere sich aufhalten' (zu lat. bestianus 'die Tiere betreffend, Tier-') übernommene, zunächst selten, erst im 20. Jh. häufiger bezeugte Subst. Bestiarium N. (-s; Bestiarien), anfangs vereinzelt für Ort, an dem Tiere sich aufhalten, gezeigt werden', dann vor allem als Bezeichnung bzw. Titel für die bes. im Mittelalter in der Nachfolge des griechischen „Physiologus" entstehenden allegorischen Tierbücher, in de-

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nen oft legendäre phantastische Vorstellungen von Tieren heilsgeschichtlich und moralisch gedeutet werden, selten auch für eine künstlerische Darstellung von mythologischen Tieren (bes. an romanischen Kirchen, s. Beleg 1919) oder eine Sammlung von Tierbildern (s. Beleg 1962) (zu a); seit frühem 20. Jh. häufiger übertragen im Sinne von '(künstlerische) satirische Darstellung/Zusammenstellung, in der menschliche Charaktertypen oder typische menschliche Schwächen, Fehler, Laster u. ä. in Tiergestalt karikiert werden' (—» Panoptikum, —» Kaleidoskop, —>· Kabinett), vereinzelt auch 'das ganze Ensemble, die ganze Kollektion von Typen menschlicher Bestien, von Bestien in Menschengestalt' (s. Belege 1971, 1983) (zu b). Ebenfalls seit dem Spätmhd. die aus gleichbed. lat. bestiarius übernommene, bis heute gebuchte Personenbezeichnung Bestiarier M. (-s; -) 'Tierkämpfer, insbes. mit Tieren kämpfender Gladiator im alten Rom', mit der ebenfalls nur gebuchten adj. Ableitung bestiarisch 'die Bestiarier betreffend', z. B. bestiarische Spiele 'Gladiatorenkämpfe im alten Rom' (zu a). Bestie a: um 1350 Ostdtsch. Apostelgesch. 54 do ich in daz gesach, do merkt ich und sach virvuzige tyre der erden und Bestien und krichende tyre und daz gevugele des himels; ebd. 103 und do dy unwissende barbari dy owdechse sagen hengen an synr hant, do sprachen sy zusamne: sichirlichen diser mensche ist eyn manslechter, und nu er uz dem mere entkumen ist, so instat sin doch dy gotliche räche nicht, daz er lebe, und da schut er dy bestien van da hant in das vuer; 1444 Pilgerf. träum. Mönch V. 1680 Man ind wijff ich sprechen doen,/ Voegele vliegen, beesten gaen,/ Vissche swymmen, slangen sluyffen,/ Ind mannicherhande andere wurme kruyffen (FRNHD. WB); Steinhöwel 1474—82 Aesop 5 die trygestaltig bestia, chimera; ebd. 193 ain grosse faiste übermütige bestien [Maultier], die würg und füll dich; 1477 Voc. ex quo o. S. die weid von den bestien; nach 1477 Beisp. 24 glich etdichen unvernünftigen bestien (MÖLLER); Melber 1481 Voc. o. S. Bestia, ein wildsz tier, ein riszens tier, vnvernunfftigs tier; Gengenbach 1517 Nolthart 102 Dar von er [Johannes] unß dan schreibt gar clor,/ Wie er hab gsehen auß dem moer/ Ein bestia gon, dar von merck, hoer/ Mit siben hoeüptern sicherleich/ Vnd zaehen hoernern ouch deß gleich; Luther um 1525 Fabeln (Thiele 19) durch Thierer oder Bestien mund; 1534 (Luthers Bibelübers. 1. Macc. 6,37) der mor, so die bestien [Elephant] regiert; Wicel 1535 Vom Beten 3b auss dem leibe einer bestien [Walfisch]; Hedio 1545 Chronica 61a die bestien vnd wild thier; Spangenberg 1561 Jagteuffel M 4b Ein Juncker (der nur dem Jagen ergeben ist) ist eine Bestia, sitzend auff einer bestia (auff einem Ross) vnnd leitet neben sich Bestien (Hunde), führet auff der Hand eine bestien (den Sperber oder Habicht) vnd jagt die Bestien (das Wild). Ist für war ein fein Muster; Fischart 1581 Bienenkorb 39a die zahl der bestien, von deren Johannes meldet (DWB); Chyträus 1597

Casa's Galateus 4 wie sich die Menschen für den grossen wilden Bestien fürchten; 1614 Leben Lazaril 10 hette Er den bestien die hufeysen abgerissen; Opitz 1624 Poemata 7 daß bey vns einiger Mensch mehr gefunden wirdt, der nit sihet die grosse Blindheit, darinnen die armen Heyden [Griechen] gesteckt sein, daß sie auch jhre Sünden angebettet, jhre Laster für Götter gehalten, Thiere vnd Bestien in Himmel gesetzt; Grimmeishausen 1672 Vogelnest (III 420) [die] vierbeinigen Bestien [Weidetiere]; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 31 Hieronymus der grosse Kirchen-Lehrer schreibt . ., daß in dem selbigen Land, allwo obberührter Heiliger GOtt eifferigist diente, seye ein Drach gewest, welcher einen gantzen Reuter sambt dem Pferd geschluckt habe, ja gar . . gantz Herd Schaff . . in seinen Rachen vergraben, daß mueß ein grosse Bestia gewest seyn, aber der Zeit gibt es an vielen Orten noch grössere Bestien; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 286 Conversation . . zwischen denen Hindinnen/ Panterthieren/ und ändern bestien; Kuhnau 1700 Musikal, Quacksalber 211 Man sage mir auch nichts von den Musicis, dem Orpheus, Arion und Amphion, von welchen solche Wunder erzehlet werden, als hätten über dem Klange ihrer Saiten-Instrumenten die Flüsse stille stehen, die grausamsten Bestien ihre Grimmigkeit ablegen . . müssen; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 77 Das dritte Capitel untersucht den Unterschied des Menschen von denen bestien; Zedler 1733 Universallex. Ill 1519 weil der Mensch ein Thier, wie andere, so nennet man die übrigen Thiere, um sie von dem Menschen zu unterscheiden, Bestien; Bodmer 1746 Mahler 25 daß er [Doktor] durch seinen Fleiß und Zucht einen Hund, eine Katze, einen Sperling und eine Maus mit einander als Bruder und Schwester zu leben gelernet hatte. Diese Bestien haben auf einem Bethe geschlaffen, aus einer Schüssel gegessen, . . ohne ein-

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ander einiges Leid zuzufügen; Goethe 1773 Götz (WA I 8,54) Adelheid: Es ist wahr, dieß [Schach-] Spiel ist ein Probirstein des Gehirns. Liebetraut: Nicht darum! Ich wollte lieber das Geheul der Todtenglocke und ominöser Vögel . . hören, als von Laufern, Springern und ändern Bestien das ewige: Schach dem König!; Bürger 1786 Münchhausen 29 daß die wildesten und gefährlichsten Bestien [Bären] mich gerade alsdann angriffen, wenn ich außerstande war, ihnen die Spitze zu bieten, gleichsam als ob ihnen der Instinkt meine Wehrlosigkeit verraten hätte; Matthison 1787 Schweiz (U 139) Bestienmalerey; 1789 Privatleben d. Mar. Ant. 17 Bestien des Waldes; Goethe 1795-96 Lehrjahre (HA Vlll 475) finden . . seine Zwergherden notdürftige Nahrung oder sammelt er sie ihnen kärglich, entweder die Elemente entreißen sie ihm oder wilde Bestien; Seume 1803 Spaziergang (W. l 507 f.) Die Sache war, das linke Bein, um welches sich an der Wade mit großer Gewalt die Schlange windet, war im Abguß und in der Marmorkopie durchaus gar nicht eingedrückt. . . Aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war, und auf dem Kunstwerk [Laokoon] ist, mußte mit ihrer ganzen Kraft der Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich machen; Goethe 1812 Myrows Kuh (WA l 49.2,11) Noch einer Darstellung . . können wir nicht geschweigen, es ist die römische Wölfin. . . Wenn an dem zitzenreichen Leibe dieser wilden Bestie sich zwei Heldenkinder einer würdigen Nahrung erfreuen und sich das fürchterliche Scheusal des Waldes auch mütterlich nach diesen Gastsäuglingen umsieht; Seume 1813 Leben (W. l 16) es wurde ein kleiner dürrer Rotschimmel hervorgeführt, der nur vierthalb Füße hatte. Die Bestie hinkte und wieherte komisch; Immermann 1838 Oberhof 42 der junge Graf . . hat seinen Wildstand vermehrt, so daß die Hirsche und Rehe wie die Schafe aus dem Walde treten und mein Müh und Schweiß verruinieren . . darum haben die Bestien mitunter gewirtschaftet [Ernte vernichtet], daß sich einem das Herz im Leibe umwenden könnte; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre l 9 „Da giebt es wieder eine Mahlzeit für die Sauen" [bei der Ernte] . ."da raufen sie die Frucht handvollweis aus dem Boden und quetschen's nur so aus . . Es sind verflucht delikate Bestien"; Gerstäcker 1848 Flusspiraten l 196 er . . schimpfte . . auf die „Bestien" [Hunde], wie er sie nannte, die draußen vor der Tür lagen und winselten; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 125 Ich stellte mich mit dem Rücken hart an den . . Weidenbaum, verursachte der ersten Bestie eine Erschütterung des Hirnschädels, bediente die zweite mit einem Fußtritt; Raabe 1879 Zum wilden Mann 82 Treibe du dich einmal wie ich ein Menschenalter da drüben [im Urwald Brasiliens] um unter dem Volk und den Völkerschaften, die Affen und

sonstigen Bestien eingeschlossen; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. Vll 306 Anreiz der christlichen Märtyrer und Ketzer, sich den Bestien der Arena entgegenzuwerfen; Voss 1912 Stärker als der Tod 76 f. Sand bedeckte den Boden der Arena .. Aus den unterirdischen Käfigen drang dumpfes Gebrüll der hungernden Bestien herauf an die Oberwelt; Th. Mann 1919 Erz. (W. VW 557) die Beißerei ist da, . . auf einmal sind beide [Hunde] nur noch ein Knäuel . ., aus dem die gräßlichsten Kehllaute reißender Bestien dringen; ders. 1924 Zauberberg (W. III 658) vor einem Löwenkäfig, hinter dessen Gitter die Bestie ihren Rachen mit den fürchterlichen Reißzähnen . . ergähnen läßt; Hauptmann 1931 Spitzhacke 46 als eine graue, unangenehme Bestie sich durch den schmalen Türspalt hereingedrückt hatte und mir mit einem wilden Sprung gegen die Waden fuhr; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 461) der Dompteur . . trat durch eine kleine . . Pforte zu den fünf Bestien hinein, deren scharfer Raubtiergeruch sich mit dem des Pferdestalles mischte; Frisch 1957 Homo faber 184 das Gebell von Hirtenhunden, Alarm ringsum, die Herden in der Nacht; es müssen ziemliche Bestien sein, nach ihrem Gekläff zu schließen; Jaspers 1958 Atombombe 344 Bestien, die man in Fallen lockt; Langgässer 1959 Siegel 470 Das ferne Brüllen einer gereizten Bestie; Winckler 1960 Bomberg 89 Instinkte der Bestie im Menschen; Partner 1964 Erben 127 riß der Hund den Besucher und tötete er ihn, . . war der Besitzer zwar zur Buße verpflichtet, doch hatte er nur die Hälfte des normalen Wergeides zu zahlen, da die Bestie gewissermaßen in Ausübung ihres Dienstes gehandelt hatte; Zeit 4. 1. 1985 die Bremer Stadtmusikanten brechen [auf einer Illustration] wie eine Horde räudiger Bestien in die Räuberstube; ebd. 10. 5. 1985 immer wieder stellt sie in ihren Bildern die Deformation und Verwandlung des eigenen Körpers zum Knödl oder Schwammerl vor, besprungen von der geifernden tierischen Bestie; MM 1. 6. 1988 auf der . . Bühne drängen sich die Menschen . . am Abgrund zwischen Leben und Tod, umgeben und aufgejagt von den sieben Erbsünden, von alptraumhaften Bestien, die das Latten-Gehäuse zum Bersten bringen. Bestiarium: 1512 Gemma Gemmarum o. S. Bestiarium thiergart (DIEFENBACH); Weber 1734 Enc. I 168 Bestiarium, . . Thier-Garten, Behältniß der Thiere. . . Thier-Buch, Schrifft von Thieren; 1882 Brockhaus U 904 Bestiarium .., im Mittelalter der Name einer Schrift in Prosa oder Versen, worin die vierfüßigen Tiere (wirklich existierende oder fabelhafte) nach ihrem Körperbau und ihren Eigenschaften beschrieben werden. Den ältesten lat. Bestiarien liegt wahrscheinlich ein griech. Original, der „Physiologus", zu Grunde; Dehio 1919 Kunst

Bestie / 133 Um 1170, als die Kirche von Rosheim im Elsaß ihr steinernes Bestiarium erhielt; Stuttgarter Ztg. 10. 6. 1962 Zum Bestiarium, einer Sammlung von Tierbildern Graham Sutherlands, die . . von der Londoner Galerie . . ausgestellt wird, gehört auch diese konzentrierte, einen Löwenkopf darstellende Gouache-Komposition; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 160 Da, die Bannerträger aller Contraden, aufgereiht vor dem Palazzo Pubblico, werfen alle zugleich ihre flatternden Speere hoch in die Luft, die Seidenbanner entfalten noch einmal ihre Farbenpracht, das heraldische Bestiarium von Delphinen und Panthern, Giraffen und Wölfinnen bleibt sekundenlang in der Schwebe, dreht sich noch einmal und fällt zurück; Simek 1992 Erde o. S. Die Bestiarien erwähnen selbstverständlich auch wohlbekannte Tiere; Spiegel 30. 1. 1995 Die teils ausgemalten, teils nur in Umrissen abgebildeten Tiere der Ardeche-Höhle seien „von großer Frische, wenngleich nicht ganz so voluminös und schwungvoll wie diejenigen von Lascaux", meint Hahn. Das Bestiarium umfaßt dafür Tiere, die in anderen europäischen Höhlen selten oder gar nicht vorkommen. Bestie b: Eyb 1472 Ehebüchlein 28a Do sprach einer schmelich zu im du alter narre vnd bestia; Gengenbach 1517 Nollhart 192 Was seystu mir vom Alchoran/ Welchs buoch ich gantz für heltum han/ Dan Machomet hat es vns geben/ Dwyl er noch was by sinem laeben/ Den du ein bestia hie thuost nennen/ Welchen man weit bnd breit thuot kennen,/ Er besitzt auch jetz deß hymels thron; Guttel 1522 New iar D 3a [sagt Paulus] die Cretenses seynt allewegen befunden, lugenhafftig böse bestien, Faull vnd gefress; 1524 Satiren u. Pasquillen III 80 dann wir biß her also an uns gezogen haben, daß die groben vollen dollen Teutschen nie gemerkt, und gewislich, wo der teufel den bestien den Luther hin hett, uns würde gelingen, solches auß meinem verstand hab ich euer heiligkeit nit wollen auf beßerung verhalten (FRNHD. WB); Luther 1526 Kriegsleute (W. XIX 631) Wir Deutschen sind Deutschen und bleiben Deutschen. Das ist sew [Säue] und unvernunfftige bestien; 1527 Weissagung Bl. da das seyn [des Papsts] regiment die bestia, oder das thier ist, das mit seynes schwantz; Luther 1528 Gesichte (W. XXVI 131) den betrug der Römischen Bestien; Alberus 1539 Wider Witzeln H7b hörstus nit [spricht Witzel zu seiner Hausfrau Anna], pack dich, trol dich, bestia, oder faust und maul werden ein ding werden! (DWB); Spangenberg 1561 Jagteuffel M 4b Ein Juncker (der nur dem Jagen ergeben ist) ist eine Bestia; Rot 1571 Diet. 292 Bestia, ein thier/ ein veracht wort der Italiener/ damit sie die Teutschen nennen/ als vor zeyten grob vnuerstendig leut; Hayneccius

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1582 Hans Pfriem 69 Er ist ein vnuernünfftig Thier,/ Ein Kue, ein Ochs, ein grober Stier,/ Ein wilde Bestie, ohne verstandt,/ Von grausam, wüstem, rohem tandt,/ Zu nichts nicht besser, dann zum strick; Wedel um 1600 Hausbuch 21 schandbestia; Henisch 1616 Teutsche Sprach 335 Ein bestien kennet den ändern/ .. Ein schalck kennet den ändern; 1620 (Weller, Lieder 111) Er hatt erlegt gantz ungehewr,/ Die Bestia grewlich Monstrum,/ Das Bapstisch Anti Christentumb,/ Das hat er gethan durch Gottes Krafft; Ernstin um 1640 Chronik Villingen 13 Sie war in kindtlicher forcht in allen dingen gehorsam und befliße sich zue meüten die gemainschaft der menschen, besonders des manspersonen, die sye von jugent uf flöhe alle güftige pestien; Harsdörffer 1644 Gesprechspiele 1193 Wo ist das Land, in welchem Bestien auf Bestien reiten; R/si 1647 Friedewünschende Teutschland 48 Ochsen, Esel, Säue und andere Bestien, wiewol in menschlicher Gestalt; Lassenius 1661 Tischreden 455 dass man sich selbst, aus einem Menschen, zu einer Bestien und unvernünftigem Thiere sauf ft; Gryphius 1663 Hon. 72 Da h a t . . ein Teuffei den ändern beschissen, wer wil nun beyde wischen? Ha funeste object! bey der Seele des Großvaters von Machomet, die Erzbestien ziehen auff! als lauter Prinzessen!; Dürer 1668 Lauf d. Welt 53 O du falsche treulose bestie, sprach ich hierauf, giebstu mir solchen lohn vor meine vielen wohlthaten; 1668 Erzh. Österr. 69 So ein wütendes Thier/ ist die vielköpfichte Bestie/ der gemeine Pöbel/ wann sie sich erzürnet; um 1670 Gepflückte finkken 222 Du [Ehebrecherin] vergeylte Carvigne und verfluchte Bestie; Schilling 1677 Predigten 57 Bernardus hält dich [den Menschen] vor die größte Bestia, die auf zwey Füssen stehet; Lebenwaldt 1681 Teufels List 178 Etliche waren dises Sententz/ daß nicht allein der Leib/ sondern auch gar die Seelen transmutirt vnd der Mensch also eine rechte Bestia werde; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 64 Dise Orientalische Bestia ist gantz begierig die Occidentalische Nation zu beissen; Sekkendorf 1691 Reden 415 Derowegen sind verkehrte Lehrer/ wie Thomas Hobbes der Engelländer/ .. welche den Menschen zur Bestia machen/ in dem sie vorgeben/ die Natur an sich selbst treibe den Menschen nicht zur Gesellschaft; 1693 (Nyström, Schulterm. 179) ein Schul-Kind nicht anders als eine bestiam zu handien; Abr. a S. Clara 1695 Judas IV 238 f. (Wunderkur 130) Ein leichtfertige Krott/ ein verdambtes Geflügelwerck/ .. ein vermaledeytes Vieh/ ein nobilitierte Vedel/ ein adeliche Bestia/ ein Teufflische Tantzerin ist Herodias gewest/ welche mit ihrem Hupffen vnd Springen den Herodem . . eingenommen; Prambhofer 1708 Hönig-Fl. 128 da [im Himmel] soll er biß zur Ankunfft des Ante-Christ verbleiben; nachmalen mit

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dem Enoch wider diese Bestia und Teuffels-Brut predigen; Ettner 1719 Maulaffe 257 Gotthard sprach: O lüderliche Canalie, die ihren Leib so muthwilliger Weise wehe thun. Ists auch wohl möglich, daß ich eine solche Bestie, einen Menschen, der so ein Ertz-verwegener Bösewicht, nennen kan, und jehmals seehlig werden; Sperander 1727 A la mod Sprach 69 Bestia, . . auch ein wuester loser Mensch; Zedler 1733 Universallex. Ill 1519 wenn nun auch ein Mensch an nichts weiter als dergl. Dinge [Erhaltung seines Geschlechts] gedencket, so nennet man ihn, um seine Niederträchtigkeit anzuzeigen, eine Bestie oder ein Vieh; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 383) Kann sie [Merope] sich Zeit zur Rache nehmen, so hätte sie sich auch Zeit zur Untersuchung nehmen sollen. Warum ist sie so eine blutdürstige Bestie? Goethe 1774 Plundersweilern (WA l 16,15) [über das Markttreiben] Weitmäulichte Laffen/ Feilschen und gaffen,/ Gaffen und kaufen,/ Bestienhaufen!/ Kinder und Fratzen, / Affen und Katzen; Schiller 1781 Räuber (S. W. I 406) Den hab ich schön ins Garn gekriegt — ich hielt ihm vierzig Dukaten hin, die sollt er haben, wenn er mir seines Herrn Schlüssel ins Wachs drücken wollte — denk einmal! die dumme Bestie tuts, bringt mir . . die Schlüssel und will itzt das Geld haben; Meister 1783 Blätter 82 Und gibt es nicht auch, .. Bestien unter den Menschen?; Blücher 1815 Br. 271 Ich habe mich diese Menschen mit Vertrauen übergeben und nicht einmal eine preußische Schildwache behalten. Die Bestien stürmten mein Haus; Tieck 1827 Krit. Sehr. IV 172 Bestien, oder bestialische Künstler; Goethe 1832 Tagebücher (WA III 13,229 f.) die absurde Meynung . ., Lady Macbeth habe sich nur aus Liebe zu ihrem Gemahl.. in eine Bestie verwandelt; Heine 1835 Romant. Schule 126 [E. T. A.] Hoffmann . . war ein Zauberer, der die Menschen in Bestien verwandelte und diese sogar in königlich preußische Hofräthe; Büchner vor 1837 Woyzeck (S. W. u. Br. I 167) Wozeck: Ach Herr Doctor! Doctor: Bestie, soll ich dir die Ohren bewegen, willst du's machen wie Katze! So meine Herrn, das sind so Uebergänge zum Esel, häufig auch in Folge weiblicher Erziehung; Jahn vor 1852 W. II 310 Und Haller, . . so das Volk eine „kollektive Bestie" nennt, möchte gern von oben bis unten überall rückwärtsen, Gottes Licht auslöschen, damit die geweihte Kerze pfäffischer Blendleuchte heller irrwische (LADENDORF); Keller 1854-55 Heinrich (S. W. l 69) er [Bauer] ist zuweilen eine so wüste und wilde Bestie wie manches andere Menschenkind; Holtet 1860 Eselsfresser I 203 Höllisch gerieben bist Du .. Eine durchtriebene Bestie von einem Eselsfresser!; Nordau 1885 Paradoxe 94 Es ist wol überflüssig, hinzuzufügen, daß die Bestie die Menschheit und die Bändiger die großen Gei-

ster sind; Nietzsche 1887 Genealogie d. Moral (W. II 786) Sie [vornehmen Rassen] genießen da die Freiheit von allem sozialen Zwang, sie halten sich in der Wildnis schadlos für die Spannung, welche eine lange Einschließung . . in den Frieden der Gemeinschaft gibt, sie treten in die Unschuld des Raubtier-Gewissens zurück, welche . . von einer scheußlichen Abfolge von Mord, Niederbrennung, Schändung, Folterung mit einem Übermute . . davongehen, wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei . . Auf dem Grunde aller dieser vornehmen Rassen ist das Raubtier, die prachtvolle nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie nicht zu verkennen; es bedarf für diesen verborgenen Grund von Zeit zu Zeit der Entladung, das Thier muß wieder heraus, muß wieder in die Wildnis zurück — römischer, arabischer, germanischer, japanesischer Adel, homerische Helden, skandinavische Wikinger — in diesem Bedürfnis sind sie alle gleich. Die vornehmen Rassen sind es, welche den Begriff „Barbar" auf all den Spuren hinterlassen haben, wo sie gegangen sind; ebd. jenes . . Entsetzens, mit dem jahrhundertelang Europa dem Wüten der blonden germanischen Bestie zugesehn hat; Schmidt 1892 Offizierthum 80 „la bete humaine", die Bestie im Menschen; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 330 Kama oder die Begierde, auch die Tierseele genannt, d. h. das Heer von Neigungen, Begierden, . . der eigentliche tierische Mittelpunkt, dessen Umhüllung der Körper ist, die „Bestie im Menschen"; ebd. VII 517 Ihren Höhepunkt erreicht diese Manier in „La bete humaine" und „nach Ansicht vieler hat Zola nie etwas anderes beschrieben als die Bestie im Menschen", während Lombroso . . fand, Zola habe niemals Verbrecher beobachtet; Treitschke 1897 Politik l 9 die Bestie regt sich ebensogut im Culturmenschen wie im Barbaren; Wächter 1908 Bestia sum. Einige Kapitel über die Kehrseite des Menscbtums (Titel) . . Das Werk ist ein Spiegel, der . . zeigt, wie nicht nur der Mensch der Urzeit, des Altertums oder des Mittelalters, sondern sogar der das Haupt stolz erhoben tragende heutige Kulturmensch bald da, bald dort durch sein Tun seine tierische Abstammung zu erkennen gibt; 1916 Deutschland II 734 An Ohr und Nase blutend, entkommt der findige Panaßjuk den deutschen „Bestien" und erlangt . . den Anschluß an seine Kameraden; Buhl 1920 Reden 229 [Nietzsches Schlagwort von der] „blonden Bestie" . . [die] törichten Träume vom Übermenschen; Meinecke 1924 Idee 368 entrüstete sich über die Bestie im Menschen, die bei Machiavelli eng verwachsen mit seiner virtu auftrat; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 636) er erzählte von einem Schwerverbrecher, einem vielfachen Mörder, jenem Typ zugehörig, den die Staatsanwälte . . als „vertiert", als „Bestien in Menschengestalt" zu bezeichnen pfle-

Bestie gen; ders. 1927 Reden u. Aufs. (W. XU 638) gilt es, das Pathos großer europäischer Humanität, das seines Wesens Kern bildet, klar herauszuarbeiten . . — Nietzsche's echten Humanismus, gegen welchen alle romantische Exzentrizität seines Denkens . ., die „blonde Bestie", die Verherrlichung der Macht und dergleichen mehr, heute durchaus fade anmutet; Dotninik 1928 Uraniden 47 Die Krallen der roten Bestie [Bolschewismus] griffen jetzt auch hierher; Erman 1929 Werden 4 [man müsse] bedenken, dass die Bestie in jedem Menschen schlummert; Kronberg 1929 Jugend 144 Wieder gelte es, einen Schritt weiterzukommen auf dem Wege zum endgültigen Festsaugen an der Bestie Kapitalismus; Th. Mann 1932 Nachtr. (W. XIII 623) Partei [NSDAP], die damit prahlt, die deutschen Sitten reinigen zu wollen, . . und die Seiten ihrer Presse mit selbstgerechtem Geschrei gegen die „roten Mordbestien" [Kommunisten] füllt; Gebauer 1932 Kulturgesch. 529 Die christliche Ethik ist für Nietzsche ein Erzeugnis des Sklavenaufstandes der Vielzuvielen gegen ihren Herrn und ist . . auszutilgen, . . das Kraftlose zu vernichten, alles Wilde und Harte aber zu erhalten, weil es dem Übermenschen, der „blonden Bestie" zur Macht verhelfen kann; Berl. Illustr. Nachtausg. 4. 3. 1933 Die Sängerin sang die ersten Takte . . Man spürte banges Zittern darin, die Angst vor der Bestie Publikum. Diese Bestie saß schon zum Sprung geduckt, bereit, über die Künstlerin herzufallen; Dtsch. AZ. 24. 8. 1935 heben die schwarzen Krieger Kaiser Haile Selassies tiefe Gruben aus, wie man sie in Afrika zum Fangen von Löwen anlegt, und andere versteckte Fallen, diesmal nicht für wilde Tiere, sondern für weit „gefährlichere Bestien": die italienischen Tanks; Th. Mann 1935 Reden u. Aufs. (W. XII 775) erfand der denkerisch wildgewordene Kleinbürger das Wort „Intellektbestie", eine blödsinnige Vokabel, aber autorisiert . . aus der oberen Sphäre des antigeistigen Geistes . . — eine Totschlageformel, die .. allem politischen und sozialen Vernunftwillen . . galt; ders. 1941 Nachtr. ("W. XIII 704) aber in heroischem Widerspruch zu sich selbst bildete er [Nietzsche] eine rauschvoll antihumane Lehre aus, deren Lieblingsbegriffe Macht, Instinkt, Dynamismus, Übermenschentum, naive Grausamkeit, die „blonde Bestie", die amoralisch triumphierende Lebenskraft waren; Münch. N. N. 1. 10. 1942 bei einem so barbarischen Gegner, wie bei dem im Osten, einem Gegner, von dem man weiß, daß er sich nicht aus Menschen, sondern tatsächlich aus Bestien rekrutiert; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1111) Deutschlands Gegner . . sind aber keine SS-Schinder und Bestien, sondern Menschen; ders. 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 700) wenn dann der Sang von der „Blonden Bestie" sich erhebt, „dem frohlok-

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kenden Ungeheuer", dem Typus Mensch, . . so ist das Bild des infantilen Sadismus vollkommen; ebd. IX 704 der Nichts-Besitzer als bedrohliche Bestie in den Augen des philosophischen Kleinkapitalisten: das stammt von Schopenhauer; ND 11.9. 1949 schon erhebt die antisemitische Bestie in Westdeutschland wieder ihr Haupt, schon zeichnen . . die zynischen Strategen eines dritten Weltkrieges . . ihre Kreuze in die Karten, wo sie ihre Atombomben abwerfen wollen, schon peitschen sie wieder die Leidenschaften und den Haß der Völker im Osten auf, die die Hitlerbestie erdrosselten; ebd. 2. 3. 1954 daß nur der Friedenskampf der Werktätigen der ganzen Welt diese Kriegsbestie zügeln kann; Fahlberg 1956 Erde 54 Sie haben sich wohl eine alte Tante mit Brille vorgestellt — oder sonstwas für eine Intelligenzbestie? (WDG); Thieß 1958 Legende 196 die Bestie Publikum, einmal ausgebrochen, rast und will ihr Opfer haben; Jaspers 1958 Atombombe 38 der Übergang von dem Zustand der Staaten, die sich wie Bestien im Naturzustand gegenüberstehen, zu einer Staatengemeinschaft; Bollnow 1962 Mass 76 schon Herder klagt, „daß der gelehrte Tor der größte Unmensch sei", und man spricht heute sehr bezeichnend von einer Intelligenzbestie, weil die einseitige Ausbildung des Verstandes oft auf Kosten der volleren Menschlichkeit .. geht; Remarque 1963 Obelisk 196 laß den Stock los, sage ich, du Bestie!; Kapeller 1964 Schimpfbuch 26 „Blonde Bestie" ist ursprünglich kein Schimpfwort, sondern ein philosophischer Begriff aus Nietzsches „Genealogie der Moral" und bezeichnet einfach: das Raubtier im (blonden, germanischen) Menschen; FAZ 17. 4. 1965 Diese Bestien in Menschengestalt [SS-Männer] würden nach dem Antrag .. keine weitere Strafverfolgung zu fürchten haben, obwohl gerade Mörder dieser Art sich am wenigsten auf einen Befehlsnotstand berufen können; Abholte 1971 Mitten o. S. Eifersucht war es, die den stillen, stets freundlichen Staatsangestellten . . aus Turin so plötzlich zur reißenden Bestie machte; Büchmann 1972 Geflügelte Worte 553 nennt Horaz das römische Volk . . ein vielköpfiges Ungeheuer oder eine vielköpfige Bestie; ND 7. 10. 1974 die . . Staatsführung der DDR ehrte . . das Andenken an die Kämpfer für Frieden, . . die für die Befreiung der Menschheit von der faschistischen Bestie das Wertvollste, ihr Leben, gaben; Zeit 8. 2. 1985 im Bauch der „Bestie", wie die New Yorker ihre U-Bahn nennen, schoß Bernhard Goetz vier schwarze Jugendliche nieder; ebd. 31. 5. 1985 wir . . wußten wohl, daß die neue Welt so „clean" nicht war, doch hüteten wir uns vor auch nur innerem Widerspruch, der uns automatisch in die Nähe der „Nazibestien" gerückt hätte, bei deren Erwähnung auch meine Eltern nur betreten schwiegen; 1985 Hörzu XLIX 42 Im Fernsehen

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eine Intelligenzbestie, auf der Sprechbühne ein Chamäleon (DUDEN 1993); MM 23. 8. 1985 anders als die Päpste, die den letzten Hohenstaufenherrscher zu seinen Lebzeiten als Bestie und Antichrist schmähten, pflegen die Annweiler Bürger sein Andenken; 1985 Spiegel Nr. 33 Wieder war jemand von kalten Intelligenzbestien umzingelt, die nur niederreißen konnten (DUDEN 1993); Zeit 6. 6. 1986 dieser Krieg ist voller Leidenschaft, sanfte Menschen verwandeln sich über Nacht in Bestien; ebd. 1.5.1987 dann verschwanden die beiden Kinder, und eine ganze Nation suchte nach der Bestie . ., nach dem Trieb-Mörder; Berl. Ztg. 6. 9. 1989 nach dem Sieg der Antihitlerkoalition mit ihrer Hauptkraft, der Sowjetunion, über die braune Bestie und der Befreiung hatten wir die Chance eines grundlegenden gesellschaftlichen Neubeginns genutzt. Bestiarium: Blei 1924 Das große Bestiarium der modernen Literatur (Titel); friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 240 [Flauberts] Oeuvre ist ein riesiges Herbarium, Bestiarium, eine .. Morphologie, Biologie, Ökologie; v. Cube 1948 Bestiarium humanurn oder Spiegel-Kabinett des Allzumenschlichen (Titel); Stuttgarter Ztg. 23. 7. 1962 Zuerst ist diese ausgebleichte, papierene Bühnenwelt [Inszenierung eines Stücks von Nestroy] wenig belustigend . . Doch überzeugt die stilistische Absicht sehr rasch — um so mehr, als Steinboeck es meisterhaft versteht, die Szene immer wieder in ein satirisches Bestiarium zu verwandeln ebd. 9. 10. 1962 Hogarths Bestiarium (Überschr.) Hogarths bitter-böse Satiren sind ein idealer Stoff für den Bildschirm . . Eine pointierte Fotografie, . . eine klare, besonnene Regie verhalfen diesem Hogarth-Bericht [ironisches Welttheater des 18. Jhs. mit satirisch dargestellen

Charaktertypen], dieser imaginären Galerie von Advokaten und Spießern, von Aerzten und politischen Quacksalbern, von kleinen Lüstlingen und großen Gaunern zu sympathisch eindringlicher Wirkung; Spiegel 25. 10. 1971 Damit ist es vorbei, seit Regisseur Robert Aldrich („Das dreckige Dutzend") aus dem Bestiarium der dreißiger Jahre (Background: Wirtschaftsdepression, Prohibition) die Grissom-Gang vor die Kamera geholt hat; Sloterdijk 1983 Kritik 899 Den Autoren wird Gelegenheit geboten, noch einmal das große Bestiarium der Charaktertypen vorzuführen (DUDEN 1993); Zeit 29. 3. 1985 hat man solche metaphorischen Wendungen beim Charakterisieren von Personen auch nicht mit gängigen Feuilletonismen zu verwechseln, wie sie, in seinem „Bestiarium", Franz Blei durchspielt; ebd. 6. 12. 1985 wir dürfen in diesem humanen Bestiarium gewiß auch . . eine sozialkritische Absicht nach dem Vorbild Grandvilles erkennen, die getarnt unter der Maske des Phantastischen menschliche Schwächen nur um so erbarmungsloser entlarven . . konnte; Spiegel 18.1. 1993 Im Bestiarium der Bourgeoisie jeglicher Couleur hat der Immigrant den Platz des Proletariers eingenommen; ebd. 24. 5. 1993 West-Berlin war zum Verdruß seiner Stadtväter die Hauptstadt und das Bestiarium der Minoritäten geworden: der Schwulen, der Lesben, der Radikalen, der Hundebesitzer, der Radfahrer, der Körnerfresser, der Beamten; ebd. 23. 1. 1995 [Filmregisseur] Menges Bonn [in satirischem Film über den Regierungsumzug von Bonn nach Berlin] ist ein lichtes, von sommerlicher Wärme durchflutetes Bestiarium. Zwischen Zimmerpflanzen, in hohen Räumen, walten cool, aufgeräumt und routiniert die Mitarbeiter des Ministers . . ihres Amtes, den Umzug nach Berlin vorzubereiten. Doch keiner will wirklich in die unheimliche Hauptstadt. GS

Bestseller M. (-s; -), im frühen 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. bestseller (aus best 'am besten' und seller in seiner Bed. 'Ware, die sich (gut) verkaufen läßt', zu seil 'verkaufen'). In der Bed. 'Buch, das in kürzester Zeit überdurchschnittlich gut verkauft wird, Buch mit bes. hoher Auflage', z. B. in Wendungen wie einen Bestseller nach dem ändern schreiben, der Roman wurde ein Bestseller, als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Bestsellerautor/in, -markt, -roman, -Spezialist, -verlag, -liste 'Liste mit den aktuellen Bestsellern'; Dauer-, Super-, Top-, Tränen-, Weltbestseller. In neuerer Zeit ausgedehnt auf Verkaufsartikel anderer Branchen mit gutem Absatz wie Schallplatten, Musikstücke, Autos, Kleidung, Pharmaka u. ä., bes. als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Bestsellerauto, -kamera, -Musical; Kino-, Kunst-, Pharma-, Plattenbestseller (s. Belege 1962, 1979, 1982, 1985); seltener auch metonymisch von Personen im Sinne von 'jmd. (z. B. Autor, Musiker), dessen Werk, Produkt sich bes. gut verkauft' (s. Belege 1967, 1969), vereinzelt auch für 'Person

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von großer Ausstrahlungskraft, Wirkung auf die Öffentlichkeit' (s. Beleg 1985). Dazu in neuerer Zeit die Ableitung bestsellern V. intrans. 'sich sehr gut verkaufen, bei einem breiteren Publikum sehr erfolgreich oder populär sein', bes. in bezug auf Bücher, Schallplatten u. ä. Bestseller: Döblin 1929 Alexanderplatz 492 Nachw. Nach dem Erscheinen erwies sich „Berlin Alexanderplatz" als Bestseller, es folgten Auflagen auf Auflagen, mehr oder weniger gute Übersetzungen; Kisch 1942 (1964 Dtsch. Lit. im Exil 220) Wie heißt Ihr neues Buch, mit dem Sie den Kampf um die Bestsellerliste aufnehmen wollen gegen die Lorants und die Lanias und Riesse?; Regler 1943 (1964 Dtsch. Lit. im Exil 226) Die Wünsche sind ziemlich klar in unseren Zeiten . . Vielleicht einen kleinen Best-seller dazu; V. Mann 1949 Wir waren fünf 567 Große Werke entstanden: der dritte und vierte Josef-Band, der Goetheroman „Lotte in Weimar" .. Aber keine geldscheffelnden beststellers; Curtius 1954 Essays 29 Der Bestseller ist an die Stelle des Klassikers getreten; Grzimek 1959 Serengeti 12 Bücher, auch wenn sie „Bestseller" sind, werden nur von einigen zehntausend . . Menschen gelesen; FAZ 8. 3. 1962 ist diese Reiseart [FlugAuto-Reise durch Spanien] gewiß recht nett. . . Sie könnte, wäre sie verständlich betitelt, vielleicht ein Bestseller werden (AWB); Spiegel 17.4.1963 Küngs Konzil-Buch wurde ein Bestseller; 1965 Wochenpost V 25b Monatelang führten die Romane „Hundejahre" und „Ansichten eines Clowns" die wöchentlichen „Spiegel"-Bestsellerlisten an; Spiegel 20.3.1967 Der Welt populärster Tenorsaxophonist, . . jetzt Vater von fünf Kindern und Bestseller; ebd. 29. 4. 1968 Valium . . steht an der Spitze der pharmazeutischen Bestsellerliste; Welt 14.1.1969 Karl Marx wurde Bestseller; Woche 28. 10. 1971 Jesus ist zur Zeit in den USA Bestseller (AWB); Schneider 1973 Nekrolog 203 Das Publikum kauft Bestseller, leicht konsumierbares Zeug; Welt 12. 10. 1977 Der Melden-Verlag hat die Autorin des Welt-Bestsellers „Dornenvögel" . . nach Frankfurt eingeladen (AWB); Spiegel 8. 10. 1979 Zwergbäume aus Japan werden Best-

seller im westdeutschen Grünhandel; Saarbr. Ztg. 1. 12. 1979 Klarer Bestseller ist die Skorpion-Maschinenpistole. Die Waffe ist nur 50 Zentimeter lang und 1450 Gramm schwer; FAZ 21.4. 1982 Ein alternder Bestseller in neuen Kleidern — Der Fiat 127 kann noch mithalten; 1985 ADAC-Motorwelt IX 54 daß Uno und Panda hierzulande absolute Bestseller sind; Zeit 22. 7. 1985 Ein Buch mit Tips zum Steuersparen ist zum Bestseller geworden; Westfäl. Volksbl. 12.8.1985 Hemden und Kleider als neue Bestseller (AWB); MM 21. 8. 1985 Auf den Bestseller-Listen stehen seit Jahren keine Science-Fiction-Romane mehr; FAZ 5. 9. 1985 Jeffrey Archer — Frau Thatchers Bestseller —. Einen solchen stellvertretenden Parteivorsitzenden haben die britischen Konservativen noch nicht gehabt, und da sie nur noch den dritten Platz im Beliebtheitsrennen halten, ist er ihnen hochwillkommen; Spiegel 7. 10. 1985 Bestseller Güttier, den die Deutsche Phono-Akademie bereits 1983 zur „Neuentdeckung des Jahres" ausrief; Sachs. Tagebl. 30./ 31. 7. 1988 Studs Terkel, . . Autor einer Reihe von Interviewbüchern, die in den USA zu Bestsellern wurden (AWB); Sanders 1992 Sprachkritikastereien 30 Seine . . „(Deutsche) Stilkunst" . . und mehr noch seine kürzere . . „Stilfibel" . . verzeichneten einen ungeheuren Bucherfolg. Beide Werke sind auch jetzt noch Dauer-Beststeller. bestsellern: FAZ 6.17. 12. 1969 Sie . . schreiben bestsellernde Memoiren, heimsen Professorentitel ein und besetzen Lehrstühle musischer Akademien; Spiegel 20. 8. 1973 erscheint das Buch, das in Amerika seit Wochen bestseller!; ebd. 3.3.1986 Vier Monate und 22 Folgen lang hat knapp die halbe Bundesrepublik die Siechen-Saga teilnahmsvoll verfolgt; .. zwei Bücher zur Serie bestsellerten mit (Auflage: über 200000) (alle AWB). GS

Beton M. (-s; fachspr. -s und -e), im späten 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. beton (über altfrz. betun 'Erdpech, Mörtel, Schlamm; Müll, Schutt' zurückgehend auf lat. bitumen 'Schlamm, Sand; Erdharz, Erdpech', vermutlich kelt. Herkunft). Vor allem im Bauwesen in der Bed. 'als Baustoff vor allem zum Mauern verwendetes Gemisch aus Zement, Wasser und Sand, Kies o. ä., das im trockenen Zustand sehr hart und fest ist' (—> Zement), im Pl. auch für 'Betonarten'; in Syntagmen wie fetter Beton 'Beton, der wenig Sand und viel Zement enthält', bewehrter, armierter Beton 'Beton mit Stahleinlagen, Eisenbeton', bes. in Wendungen wie Beton mischen, gießen, stampfen; Pfeiler, Bunker, Häuser, Straßen aus Beton; als Grundwort in fachspr.

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Zss., z. B. in Verbindung mit Materialbezeichnungen Bims-, Eisen-, Gips-, Kalk-, Kies-, Stahl-, Kunststoff-, Asphaltbeton (—» Asphalt), oder in Verbindung mit Tätigkeiten bzw. Herstellungs- und Verwendungsarten Rüttel-, Schleuder-, Schutt-, Spritz-, Spann-, Stampfbeton; überaus häufig auch als Bestimmungswort in Zss. wie Beton(-skelett-)bau, -block, -decke, -mischer bzw. -mischmaschine, -guß, -straße, -träger, -piste 'betonierte Fahrstrecke für Wettbewerbe im Motor- und Flugsport' und Betonkosmetiker 'Arbeiter, der Schäden am Beton beseitigt', seit etwa Mitte 20. Jh. (s. Belege 1954, 1961) öfter zur emotional-abwertenden Charakterisierung von unpersönlich oder häßlich wirkenden Gegenständen, bes. Gebäuden, Städten u. ä., verwendet und negativ konnotiert mit „öde, langweilig; bedrückend, kalt, abweisend, abstoßend", z. B. in den Zss. Betonarchitektur, -bunker, -burg, -einerlei, -klotz, -kultur, -fetischist, -landschaft, -mausoleum, -silo 'abstoßender Bau, häßliches Gebäude (bes. Hochhaus) aus Beton', Betongetto und Betonwüste 'Stadt(-teil), die (der) dicht mit Betonbauten, vor allem Hochhäusern, bebaut ist und kaum Grünflächen aufweist' (s. Beleg 1975). Gelegentlich auch bildlich gebraucht (s. Belege 1968, 1971, 1986, 1990, 1994), bes. im Jargon der Politik in Zss. wie Betonfraktion 'Fraktion (innerhalb einer Partei), die einen harten politischen Kurs vertritt' (s. Beleg 1987) und Betonkopf, -schädel 'sturer, völlig uneinsichtiger, auf seinem (politischen) Standpunkt beharrender Mensch' (s. Belege 1989, 1990), vgl. auch betonhart, z. B. in einer Äußerung wie sein betonhartes Nein in dieser Sache (s. Beleg 1989) und die Wendung auf Beton stoßen, häufiger dafür auf Granit stoßen; daneben gebucht im sportlichen Bereich, bes. im Fußballjargon, in Zss. wie Betonabwehr 'aus einer Vielzahl von Spielern bestehende undurchdringliche Abwehr' und Betonfußball 'stark defensive Art des Fußballspielens mit einer massiven Abwehr'. Dazu seit späterem 19. Jh. (gebucht 1871 bei Sanders) die unter Einwirkung von gleichbed. frz. betonner aufgekommene, häufig in der Part. Perf.-Form betoniert adj. verwendete Ableitung betonieren V. trans, 'etwas mit Beton ausführen, (aus-)bauen; mit einem Betonbelag versehen', z. B. einen Hof, Weg betonieren, eine betonierte Straße, betonieren und asphaltieren (—* Asphalt); in neuerer Zeit (s. Belege 1960, 1986 bei betoniert, 1989 bei betonieren) auch übertragen verwendet im Sinne von 'etwas (eine Sache, Haltung, einen Zustand, Standpunkt, politische Gegebenheiten, Tatsachen o. ä.) stur, starr, unverrückbar, endgültig, für immer festlegen, festschreiben' (—»· zementieren), z. B. betonierte Rechte, Verhältnisse; daneben auch gebucht im Sportjargon für 'verstärkt auf Abwehr spielen', vgl. mauern. Dazu seit früherem 20. Jh. die (oft auch bildlich verwendeten) Präfixbildungen auf-, aus (-einander)-, ein-, zubetonieren; seit frühem 20. Jh. das seltene Verbalsubst. Betoni(si)erung F. (-; selten -en), gleichbed. mit (aus frz. betonnage übernommenem) gebuchtem Betonnage F. (-; -n), in der Bed. 'das Betonieren', auch 'Schicht, Belag o. ä. aus Beton' (s. Beleg 1919), vereinzelt übertragen gebraucht für 'Sicherung, Stärkung (z. B. von Herrschaft)' (s. Beleg 1966); in neuerer Zeit die vereinzelte Berufsbezeichnung Betonierer M. (-s; -) 'Betonarbeiter am Bau' und die Gelegenheitsbildung Betonitis 'Beton(ier)krankheit'. Vgl. daneben das bereits Anfang 16. Jh. aus lat. bitumen (s. o.) übernommene Subst. Bitumen N. (-s; -, auch Bitumina) als Bezeichnung für eine aus organischen Stoffen entstandene teerartige Masse (Kohlenwasserstoffgemisch), die u. a. als Abdichtungsund Isoliermasse oder als Asphaltschicht im Straßenbau verwendet wird. Dazu gleichzeitig das aus lat. bituminare entlehnte Verb bituminieren 'mit Bitumen behan-

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dein oder versetzen' und das aus lat. bituminosus 'erdharzhaltig' übernommene Adj. bituminös, bis ins 18. Jh. auch in den Nebenformen bituminosisch, bituminösisch, 'Bitumen enthaltend', z. B. in Verbindungen wie bituminöse Kohle, bituminöses Gestein; in neuerer Zeit das Adj. bitumig 'wie Bitumen, dem Bitumen ähnlich; bitumenhaltig'. Beton: 1786 Strassenbau 111 In Frankreich wird schon gar lange bei Gebäuden, welche in den Ocean kommen, und zu dergleichen versenkter Mauererei ein Mörtel gebraucht, welcher sehr hart wird, und aus nachfolgenden Materialien zusammengesezt ist: Pozzolane, Sand, Ziegeln, Hammerschlag, ungelöschter Kalk und Mauersteine. Die Franzosen nennen diese Masse Beton; 1808 Heidelb. Jahrb. l 4,228 Betonguß; Hailbronner 1837 Cartons H 61 Betonwändebau; v. Rheden 1844 Eisenbahnen II 2,709 Der obere Theil der Mauer .. wurde . . unmittelbar auf die Betonschüttung gesetzt, auf der übrigen Strecke aber auf Pfählen gegründet, nachdem der Raum zwischen letzteren mit dem gedachten Betonmörtel ausgefüllt worden war; ebd. Der Fuß der Futtermauer wurde auf ihrer ganzen Länge vorlängs des Stromes durch eine Spundwand gesichert und .. der unter Wasser liegende Theil derselben durch Beton gebildet; Dekker 1844 Algerien I 386 Die Bestimmung dieser Blöcke (betons) ist nun, in das Meer geworfen zu werden und das Fundament für zu bauende Mole zu bilden; Knapp 1847 Lehrb. d. ehem. Technologie l 644 so kann man auch Mauern unmittelbar gießen und erhält eine Masse, die dem aus Luftmörtel bereiteten beton der Franzosen entspricht; Becker 1853 Baukunde 46 Unter Beton versteht man ein Gemenge von hydraulischem Mörtel und zerschlagenen Steinen; 1892 Portland-Cement 71 f. Geschichtliches über Beton (Überschr.) Beton (englisch Concret) kann man als „Mauerwerk aus ungeformten Massen" erklären . . Der Beton war schon den alten Römern bekannt; sie haben auch Beton-Bauten ähnlicher Art hergestellt, wie die heutigen . . Die Kenntnis des Beton-Block-Baues der Römer scheint aber rasch verloren gegangen zu sein . . Dasjenige Land, in welchem die Benutzung von Beton von jeher am häufigsten stattgefunden hat, ist England: Auch dort benutzte man als Mörtel vorwiegend den . . Wasserkalk und erst später Romanzement; 1896 SB. München 147 Den erstaunlich starken, felsenharten und wasserdichten Mauern, die man jetzt mit sogenanntem Beton herstellt; 1902 Zentralbl. d. Bauverwaltung 470 Die beiden letzten Geschosse sind durch einen Zwischenboden aus Stampfbetongewölben zwischen Trägern getrennt; Morsch 1908 Der Eisenbetonbau (Titel); Grabein 1913 Wildwasser 96 Betonmaschine; Münch. N. N. 18. 9. 1918 Das bisher größte Betonschiff von 5000 t Tragfähigkeit ist . .

auf einer Werft in Kalifornien vom Stapel gelaufen; Th. Mann 1918 Erz. (W. VIII 561) in dem Beton einer Mauer ist eine . . Lücke gelassen; 1928 Koralle Febr. o. S. mußte das Kellergeschoß durch Asphaltpappen und Spritzbeton besonders gewissenhaft gegen das Eindringen von Feuchtigkeit geschützt werden; Brod 1928 Zauberreich 260 Hier ist Prag noch Kleinstadt, sanft und verschlampt, ohne Beton; ebd. 387 Die ändern Steinhäuser, vielmehr Betonhäuser . . sind für die Kinder bestimmt; Golems 1929 Kaufherr 288 rasselte im Fabrikhof schon die erste Betonmischmaschine und entsandte den kostbaren Brei durch den hölzernen Aufzugschacht in die Höhe des obersten Stockwerks; 1931 Die Umschau XXXV 12 Ihr zur Aufnahme einer Wasseruhr dienender Betonkasten ist . . aus undichtem statt aus dichtem Beton hergestellt; 1932 Deutschlands Erneuerung XVI 204 hatte man dem Siedler ein „Beton"haus erbaut, das nach kurzer Zeit auseinanderzubröckeln begann, weil die Mischung eine übernormmäßige Menge von Kies enthielt; Berl. lllustr. Nachtausg. 15.6.1933 Wärmeentwicklung beim Gießen von Betonmassiven; Lokal-Anz. 21.2. 1934 Man denkt nun daran, die Akropolis durch „Betoneinspritzungen" .. zu heilen; Dtsch. AZ. 28. 7. 1935 Das Gotteshaus . . soll an gleicher Stelle, aber auf einem Betonklotz . . Wiederauferstehung feiern; Münch. N. N. 25. 7. 1937 Für die Bewehrung von Eisenbetontragwerken soll hochwertiger Betonstahl . . bevorzugt werden; ebd. 9. 10. 1938 die Speicher [am Hafen], die viele Stockwerke hoch und in ihrer Betonsachlichkeit schön sind; Glisczynski 1939 Vergleichende Untersuchungen bei der . . Herstellung von Betonfahrdecken (Titel); Münch. N. N. 2.13.3. 1940 Beton macht Geschichte (Überschr.) . . Beim Bau des Westwalles habe sich der deutsche Beton .. einen Namen gemacht; Rothe 1941 Das Schrifttum über den Baustoff Beton . . (Titel); Sedlmayr 1948 Verlust 98 Lange vor dem Beton erscheinen die (fälschlich sogenannten) „Beton-Formen"; Schwab. Landesztg. 9.9.1949 Vom Eisenbeton zum Spannbeton; Süddtsch. Ztg. 7. 3. 1951 Die erste Betonfachschule in Bayern soll noch in diesem Jahr . . errichtet werden; Münch. Stadtanz. 30. 7. 1954 Abgeordneter Dr. Lippert bemerkte . ., den Münchnern drehe sich das Herz um, wenn sie vor den modernen „Betonklötzen" [Hochhäusern] stehen; Sedlmayr 1955 Revolution 67 Das Schlagwort vom „Beton als Gestalter" ist trügerisch;

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Münch. Abendztg. 8. 7. 1957 Wie baut man Betonstraßen? (Überschr.); Stuttgarter Zig. 24. 6. 1960 Der Beton wird in zwei Arten geliefert. Als „erdfeuchter" Beton in gewöhnlichen Fahrzeugen und als „plastischer" (breiartiger) Beton in Spezialfahrzeugen mit aufgesetzter Mischtrommel; Niebelschütz 1961 Spiel 116 den kompakten Betonglauben der Baukunst, die, als ein getreuer Spiegel der allgemeinen Geistesverwirrung, unsere Städte je eher je lieber zur versteinerten Kulturwiiste machen wird; Stuttgarter Ztg. 28. 8. 1963 Das Gebäude . . ist eine Stahlbetonskelettkonstruktion mit vorgehängter Fassade; ebd. 11.1. 1968 Gipfeleinsamkeit und Tiefschnee — der sich freilich gelegentlich auch einmal in Bruchharsch oder „Betonschnee" verwandelt konnte — sind heutzutage weniger gefragt; Offenburger Tagebl. 12. 3. 1971 Durch die Empfehlung des Ältestenrats . . sei eine „Betonwand" errichtet worden, „an der wir uns den Schädel nicht einrennen wollen"; FAZ 24. 9. 1971 Über das Märkische Viertel [in Berlin] selber, seine Bausünden und den Betonkoller [im Bauen von Hochhäusern] erfuhr man .. wenig; Offenburger Tagebl. 4. 11. 1971 Der Schwarzwald verträgt keinen „Betonrausch" [Bau von Ferienhäusern usw.]; Die Norddeutsche 8. 9. 1973 keine Hochhaus- und keine Betonklotzbebauung; Frankenpost 11. 9. 1973 nach einer Friedhofsbegehung . . werde man auch dort weitere Verschönerungen vornehmen, unter anderem Betonboxen für Abfälle aufstellen; Welt 4. 12. 1974 an der Costa de la Luz, fern von Betonwüsten und verschmutzten Stranden; 1975 Hörzu XI 7 Manhattan . . Eine grüne Oase inmitten der Betonwüste: der Centralpark; Praunheim 1978 Sex 289 In den Hochhäusern am Frankfurter Berg .. Betonbunker dieser Art gibt es inzwischen auf der ganzen Welt; Loest 1979 Pistole 213 Dann kamen wir an der Aschbergschanze raus, einem riesigen, hellen Betonklotz am grünen Hang; MM 2. 5. 1986 die ihn umgebende Reaktorkammer aus Beton ist mit Stahl gasdicht ausgekleidet; Zeit 2. 5. l 986 aber er hat doch Argumente, die seine Vorgänger einst in Beton gießen wollten, für überholt erklärt; Stern 18. 6. 1986 Diese nichts tragenden Säulen, diese Erkerchen, diese falsche Antwort auf die garstige Beton-Architektur; Zeit 2. 1. 1987 der Unglücksreaktor von Tschernobyl war noch nicht einmal in jenes gigantische Betonmausoleum verwandelt, .. da witterten bereits einige Verlage und Autoren Stoff; ebd. 20. 2. 1987 pro Sekunde verschwindet in der Schweiz ein Quadratmeter Kulturland unter Beton und Asphalt; MM 17. 3. 1987 lautstark wird Kritik geübt an der lebensfernen Wohn-" Kultur" unserer Beton-Silos; Zeit 20. 3. 1987 der rigide und platte Funktionalismus der sechziger und der ungefüge Beton-Brutalismus der frühen siebziger Jahre

[im Baubereich]; ebd. 3. 4. 1987 die alte Betonfraktion unter Karpow,. . als der Verband . . eine Hetzkampagne gegen Pasternak entfachte; ebd. 17. 4. 1987 gotische Kathedralen, wilhelminische Kasernen, Betonfestungen im Zeitalter der sogenannten Postmoderne; Stern 6.8. 1987 die Benediktiner-Abtei . . befindet sich auf teuerstem Grund und Boden, umzingelt von den Betonburgen der Banken und Versicherungen; MM 1.2.1988 überrascht die Farbigkeit, die wie ein leuchtendes Signal gegen die bedrückende Ödnis grauer Betonlandschaften zu protestieren scheint; ebd. 27. 2. 1988 vorbei am Chemiegebäude taucht das gläserne Haus auf, in markanter Weise hebt es sich ab vom üblichen Betoneinerlei der Universitätsarchitektur; Junge Welt 11.3.1989 ich erinnere an die Ereignisse an der Ossietzky-Schule, damals stieß ich nur auf Beton; Bild 8. 8. 1989 setzten sich die „Beton-Köpfe" der SED durch, schränkten den Handlungsspielraum von Anwalt Vogel erheblich ein; ebd. 17. 8. 1989 Honecker blieb in der Sitzung des Politbüros .. bei seinem betonharten Nein; TAZ 17.1.1990 mußte der Spannbeton aufwendig nachgearbeitet werden, weil sich an der Oberfläche Mikrorisse gebildet hatten; Rhein. Merkur 26. 1. 1990 besonders schön gemalte Stücke auf Bestellung ausländischer Kunstsammler aus dem Betonkuchen [Berliner Mauer] zu brechen; TAZ 9. 3. 1990 die Betonburgen zum Wohnen, die Datschen zum Leben; Frankf. Rundsch. 9. 4. 1990 nach sachkundiger Beratung hat er mit diesem Schritt den „Beton-Fetischisten" Kompetenzen entziehen wollen; MM 23. 6. 1990 eine Brücke zwischen Ost und West zu bauen, eine Brücke nicht aus Beton, aus Stahl, sondern aus Frieden und Freiheit; Lukoschik 1990 In u. Out 20 die Betonköpfe der SED; Spiegel 6. 6. 1994 Honecker [wegen des Mauerbaus in Berlin] auf die Dimension des Betonzaun-Königs zu reduzieren würde dennoch seiner Rolle nicht gerecht. betonieren: 1889 Buch d. Erfindungen VII 500 Die Docks sind in ihren Grundbauten betoniert, am Boden, an den Einfahrtswänden und an den Einfassungen der Terrassen aus Granitquadern gebildet; Winter 1970 Untergrund-Verkehrsbauten o. S. läßt sich diese Ausgleichsschicht als Abdichtungsträgerwand benutzen, so daß gegen die . . Abdichtung der Konstruktionsbeton des Verkehrsbauwerks betoniert werden kann; Zeit 19. 1. 1985 daß schon fast zehn Prozent der Fläche unseres Landes asphaltiert und betoniert sind; MM 25. 11. 1985 dies erschwert die Betonierarbeiten, da der abbindende Beton durch unnötige Erschütterungen Risse bekommt; Zeit 20.2.1987 für die Urlauber .. müssen schnelle Straßen durch Täler betoniert werden; Wochenpost 29. 12. 1989 auf ihrem

Beton XI. Parteitag betonierte die SED-Führung die alten, ausgetretenen Wege und nannte das „Kontinuität auf bewährtem Kurs"; Berl. Ztg. 22. 11. 1990 er und Kaminski seien . . von ihrem Politstellvertreter an einen Altmetallhändler „vermietet" worden, um den Hof zu betonieren; Spiegel 15. 2. 1993 Autofahren muß teurer werden — nicht um weitere Strecken zu betonieren, sondern um mehr Verkehr zu verhindern. betoniert: Th. Mann 1912 Erz. (W. Vlll 485) die Wellen schlugen gegen die betonierten Wände des schmalen Kanals; Höhne 1928 Reportage 150 Tief in den Erdball hinein ward ein Schacht getrieben, und endlich befreite eine dröhnende Sprengung das verborgene Urfeuer, das ätherisch strömend in die betonierten Kanäle floß; Welt 3. 12. 1949 zwischen betonierten Panzergräben . . und gesprengten Großbefestigungsanlagen weiden vereinzelt Kühe; ebd. 16. 12. 1959 neben dem Pfad liegt ein betonierter Abfallgraben, Unrat darin, von unzähligen Fliegen umschwirrt; Süddtsch. Ztg. 4. 4. 1960 [Er] verwies auf die rasche Fortentwicklung der Wasserwirtschaft, die eine Gewährung „betonierter Rechte" nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lasse; Grass 1962 Blechtrommel 259 starrte auf jenes grellerleuchtete Geviert, welches einen Teil der Treppe und ein Stück betonierten Kellerboden einrahmte; 1967 Urania I 22 sie entnimmt das Wasser aus einem betonierten Graben; Welt 15.2.1969 Bürohaus ca. 200 qm, . . Hofplatz 150 qm betoniert, zu verkaufen (Anzeige); Zeit 22. 2. 1985 in der betonierten Welt finden Kinder kaum Platz; ebd. 26. 9. 1986 von Rainer Kunzes Texten . ., die er gegen betonierte Verhältnisse in seiner alten Heimat anschrieb; MM 4. 10. 1986 auch die begradigten und oft betonierten Bach-Betten ohne Strauch am Ufer hätten die Arten-Vielfalt eingeschränkt; ebd. 7, 7. 1987 Gehwegplatten wurden [bei Aufstand von Punkern] zu Wurfgeschossen zerkleinert, die Gehwege mit betonierten Bollern und Gerumpel versperrt; Stern 9. 7. 1987 mußte . . die betonierte Sockelplatte für eine Rohrreparatur aufgebrochen werden; MM 4. 1. 1988 in einem schrottreifen Mercedes über betonierte Highways fahren. Betonierer: Neutsch 1964 Spur 840 Als der Beton endlich über den Rand der Schachtel schwappte, brachen die Schalttafeln entzwei, der Brei quoll aus seiner Form. Alle Quälerei der Betonierer war umsonst gewesen, die Zimmerer hatten die Platten nicht fest genug abgestützt. Betoni(si)erung: Th. Mann 1919 Erz. (W. Vlll 578) Sie [Landseite] ist mit klugen Arbeiten aus Weidenruten und obendrein noch durch die Betonierung

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ihres unteren Teiles gesichert gegen das Hochwasser; ebd. Vlll 581 [die Wildflut des Baches] schlägt an die Betonierung, den Sicherungsarbeiten aus Weidengeflecht empor; Berl. Ztg. 7. 12. 1966 Mit Wahlrechtsreform zur Betonierung der CDU-Herrschaft; ND 12. 8. 1969 Betonierungsarbeiten in der Erde . . werden vorgezogen; Gutschick 1971 Forstbetriebsdienst o. S. Gefährdungen [des Waldes] . . durch Grundwasserabsenkungen, Asphaltierung und Betonierung des Wurzelbereichs; Offenburger Tagebl. 3. 3. 1972 wandte sich . . der südbadische Regierungspräsident. . gegen eine „Betonisierung" der Schwarzwaldlandschaft; MM 13. 8. 1987 Bürger .., die gegen die Betonierung einer schützenswerten Landschaft wie dem Erdinger Moos vorgegangen sind. Betonitis: Muth 1939 Gepanzerter Westen 31 Abgeschlossenheit und Stille wirken [beim Bau der Maginotlinie] niederdrückend, und unter der „Kruste" herrscht eine besondere Art von Trübsinn, die als „Betonitis" oder Betonkrankheit bekannt ist. Das beste Heilmittel dafür ist Arbeit, und gearbeitet wird unablässig auf der ganzen Linie. aufbetonieren: Zeit 20. 2. 1987 tatsächlich wollen die Christdemokraten in Hessen noch einen neuen Reaktorblock in Biblis und ein neues Atomkraftwerk in Borken . . aufbetonieren lassen. ausbetonieren: Höhne 1928 Reportage 99 Was mag das kosten, diese Rettungsarbeiten, diese neuen Stützpfeiler und Träger, dies Ausbetonieren der Mauerrisse und Fundamente! Wenn die kaiserliche Hindenburgrepublik Deutschland Geld bewilligt, damit der Kölner Dom und das ritterliche Mittelalter ausgeflickt wird, flucht die „Rote Fahne". auseinanderbetoniert: Zeit 8. 8. 1986 jedem der auseinanderbetonierten Teile Berlins wurde eine eigene Zukunft verordnet, zur Enttäuschung der Politiker beider Seiten. einbetonieren: Offenburger Tagebl. 14.5.1969 [Frau] getötet und die Leiche einbetoniert; Zeit 14. 2. 1986 so blieb der Aufbau einer . . Umweltverwaltung im Bund zuerst in der politischen Blockade des Artikels 65 des Grundgesetzes stekken und wurde dann durch die Sparmaßnahmen einbetoniert; ebd. 23.5.1986 und nun soll das ganze Gebäude von allen Seiten einbetoniert, sozusagen begraben werden; ebd. 7.11.1986 Hochschulrahmengesetz und „Gremien" regieren, der Beamtenstatus und seine Eifersüchteleien betonie-

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ren Mittelmäßigkeiten ein; MM 5. 12. 1987 der vierte Reaktor war nach dem Unglück einbetoniert worden; ebd. 16.1. 1988 daß bislang bei schwach radioaktiven . . Abfällen, die . . in Fässer einbetoniert wurden, tatsächliche Kontrollen nicht stattgefunden haben. einbetoniert: Hilpert 1963 Liebe 40 Ich sprach von einbetonierten Wirkungen; Zeit 17. 10.1986 darauf beruht der Bau eines Entlüftungssystems mit Spezialfiltern, das den einbetonierten Reaktor „entschärfen" soll; Stern 9. 7. 1987 der . . fest einbetonierte Behälter war krumm und schief; MM 11. 12. 1987cm . . Stahlfaß mit 200 Litern einbetonierter Chemikalien. zubetonieren: Zeit 15. 2. 1985 als eine Art Zombie betoniert sie Landschaft und geistige Räume zu, ein Schreckensgespenst; ebd. 5. 7. 1985 der Vorwurf, daß Strande verschmutzen, daß Chemikalien . . das Meer zersetzen und alle noch freien Flecken Land zubetoniert werden, trifft Ligurien nicht weniger als andere Strandgebiete und Inseln Italiens; MM 20. 3. 1986 Bundesrepublik wird immer mehr zubetoniert (Überschr.) . . elf Prozent des Bodens . . sind nach Angaben des Deutschen Naturschutz-

rings . . bereits „zubetoniert"; Zeit 27. 6. 1986 jedenfalls hat sie ihr linkes, marxistisches Erbe zubetonieren wollen; ebd. 13. 3. 1987 was soll man von diesem Hymnus auf die „Mehrzweckform", die die Landschaft verschandelt, von den Freeways, die alles zubetonieren, . . halten, die der Film preist?; MM 22. 6. 1988 derselbe [Künstler] .., der noch vor wenigen Monaten den Börneplatz (mit den Fundamenten der alten Judengasse) zubetonieren ließ; Berl. Ztg. 3.11. 1990 da drüben ist alles so zubetoniert und festgefahren. zubetoniert: MM 23. 4.1986 unbehaust in einer zubetonierten Welt von Hochhäusern oder der Tristesse billiger amerikanischer Hotelzimmer; Spiegel 6.2.1995 Den in Jahrzehnten zubetonierten Flüssen werden einst natürliche Überflutungsräume zurückgegeben. Zubetonierung: Zeit 20. 2. 1987 daß die zunehmende Zurückhaltung der Fremden auch mit der häufig rüden Behandlung der Landschaft zusammenhängen könnte, der extensiven Skipistenerschließung, dem rücksichtslosen Seilbahnbau und der Zubetonierung alter Ortskerne mit modernen Hotelkästen. GS

Bi-, bi-, vor Vokal auch bin-, seit Mitte 15. Jh. als erster Bestandteil in Entlehnungen aus dem Lat. oder in gelehrtenlat. Bildungen, seit dem 18./19. Jh. zunehmend als initiale Lehn-Wortbildungseinheit in dtsch. oder international gebildeten, meist neoklassischen Kombinationen, deren zweites Glied in der Regel dem Lat. oder Griech. entstammt, zurückgehend auf das lat. Präfix bi- 'zwei-, zwie-' in lat. Adj., seltener Subst., zu dem Numerale und Multiplikationsadv, bis 'zwei(-mal); auf zweierlei, doppelte Weise'. Konkurrierend in synonymen indigenen Zss. und Verdeutschungsversuchen mit indigenen Bestimmungswörtern wie zwei-, doppel- (vgl. auch paradigmatisch verwandte Wortbildungseinheiten wie synonymes bis- < lat. bis 'zweimal', duo- < lat. duus 'zwei' und di- < griech. 'zwei', und antonymes mono-, uni-, tri-; multi-, poly-; inter-). Seit dem 15. Jh. selten, seit dem 18. Jh. häufiger in subst. und adj. Entlehnungen, z. B. aus dem Lat. Bizeps (s. u.), Biennium (—> Biennale), aus dem Ital. —» Biennale, —>· Bilanz, aus dem Frz. —»· Bigamie, Billion (s. u.), und bes. im 19.720. Jh. zunehmend in Verbindung mit selbständigen (überwiegend entlehnten) Lexemen in zahlreichen, meist international gebräuchlichen neoklassischen Kombinationen wie Biathlon, bikonkav, bikonvex, bipolar, bisexuell, Bikarbonat, bimetallisch (s. u.). In der Bed. 'zwei, doppelt; doppel-' zur Bezeichnung vor allem von Gegenständen, Handlungen, Vorgängen und Zuständen, die durch Verdoppelung und Wiederholung charakterisiert sind, in doppelter Form oder zweifacher Ausfertigung auftreten, aus zwei Exemplaren (einer Sache) bestehen, zusammengesetzt sind bzw. zwei Teile enthalten, darauf bezogen oder gerichtet sind, in zwei Richtungen, auf beiden Seiten, beid- oder doppelseitig verlaufen; meist bildungsspr. oder innerhalb verschiedener

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Fach- und Wissenschaftsbereiche verwendet, vor allem in den Naturwissenschaften (Medizin/Anatomie, Biologie, Chemie, Mathematik, Optik/Akustik), seltener in geisteswissenschaftlichen, politischen, soziokulturellen u. ä. Zusammenhängen in Kombinationen wie: Mitte 15. Jh. aus gleichbed. frz. billion (aus bi- und (mi)llion) entlehntes Billion F. (-; -en), im 17. Jh. nachgewiesenes Bimillion verdrängend als Zahlwort für die zweite Potenz der Million mit der Bed. 'eine Million Millionen', mit der seit Ende 18. Jh. nachgewiesenen Personalableitung Billionär M. (-s; -e); Ende 19. Jh. Billiarde F. (-; -n), analog zu Milliarde aus bi- und (Mi)lliarde, zunächst in der Bed. 'tausend Milliarden', seit 1900 im heutigen Sinne 'tausend Billionen'. Seit späterem 15. Jh. aus lat. binomium entlehntes Binom N. (-(e)s; -e), bis ins 19. Jh. in der lat. (flekt.) Form, in der Mathematik für 'zweigliedriger Ausdruck, zweiteilige, durch Plus oder Minus verbundene Zahlengröße; Summe aus zwei Gliedern', mit der seit früherem 16. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitung binomisch (vgl. lat. binominis 'zweinamig'), bes. in Verbindungen wie binomischer Lehrsatz, gleichbed. mit seit späterem 18. Jh. nachgewiesenem binomial, in lat. Syntagmen auch in der latinisierenden Form binomialis (s. Beleg 1747) und seit dem späteren 18. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Binomialkoeffizient, -entwicklung, -kurve (vgl. weitgehend gleichbed. binar(isch) bzw. Binär-/Binar-, —» binär). Im früheren 18. Jh. (gebucht 1734 bei Weber) vereinzelt das Adj. biceps 'zwei-, doppelköpfig; zweispaltig, -teilig'; seit früherem 19. Jh. das Subst. Bizeps M. (-; -e), zurückgehend auf lat. biceps, bicipes 'zwei-, doppelköpfig' (aus bi- und -ceps, zu caput 'Kopf, gebildet in Anlehnung an Subst. wie princeps), anfangs für 'jmd. mit zwei Gesichtern, Beiname des doppelköpfigen Janus', gleichzeitig und bis heute anatomischer Fachausdruck zur Bezeichnung des zweiteiligen Beugemuskels am Oberarm, der zwei Sehnen-Verbindungsansätze enthält (vgl. Trizeps), oft auf (männliche) Personen bezogen, die sich nur durch physische Stärke auszeichnen, und pejorativ konnotiert mit „geistig wenig anspruchsvoll" (s. Belege 1915, 1916, 1929, 1961), gelegentlich auch bildlich verwendet (s. Beleg 1929), z. B. in der Wendung den Bizeps (an-)schwellen, spielen lassen, anspannen, (viel) Bizeps haben, seinen Bizeps zeigen, im späteren 19. Jh. (1882 bei Brockhaus) gebucht in der botanischen Bed. 'Wurzel, die sich in zwei kopfartige Teile verzweigt'. Seit frühem 19. Jh. gebucht das Adj. bikonkav, aus bi- und konkav 'nach innen gewölbt, hohl(rund)' < gleichbed. lat. concavus (vgl. frz. biconcave), als Fachausdruck der Optik für 'auf beiden Seiten, beidseitig konkav (von optischen Linsen)', dazu seit späterem 19. Jh. Bikonkavität F. (-; PL ungebr.), gleichzeitig das Adj. bikonvex, aus bi- und konvex 'nach außen gewölbt, runderhoben' < gleichbed. lat. convexus (vgl. gleichbed. frz. biconvexe), für 'auf beiden Seiten, beidseitig konvex', dazu seit späterem 19. Jh. Bikonvexität. Seit früherem 19. Jh. das Adj. bipolar, aus bi- und polar (zu Pol 'das jeweils äußerste Ende (einer Achse); Endpunkt der Erdachse' < lat. polus 'Drehpunkt'; vgl. engl. bipolar, frz. bipolaire), in der Technik, Mathematik und Biologie für 'zwei Pole aufweisend, betreffend, damit versehen, zweipolig', z. B. in Verbindungen wie bipolare Koordinaten 'Abstände der Punkte einer Ebene von zwei festen Punkten', bipolare Ganglien 'Nervenzellen mit zwei Fortsätzen', und Zss. wie Bipolartransistor 'Transistor, in dem Elektronen und Defektelektronen gleichermaßen am Stromtransport beteiligt sind', Bipolartechnik 'Gesamtheit von Verfahren zur Herstellung von

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Bipolartransistoren'; daneben auch in der Bed. 'zu den beiden Polarregionen gehörend', häufig übertragen und bildlich für 'die beiden Extreme (einer Sache) vereinigend', bes. im psychosozialen, politischen und wirtschaftlichen Bereich (s. Belege 1937, 1971), dazu die gleichzeitig nachgewiesene subst. Ableitung Bipolarität F. (-; -en) (vgl. engl. bipolarity, frz. bipolarite) für 'Vorkommen der gleichen Species in jeder der beiden Polarzonen', auch allgemeiner im Sinne von 'Gespaltensein, Spannungsverhältnis zwischen Extremen' (s. Belege 1930, 1937, 1986), vereinzelt auch als Verbaladj. bipolarisiert (s. Beleg 1957). Mitte 19. Jh. unter Einwirkung von gleichbed. frz. bilingue aufgekommenes Adj. bilingue, zurückgehend auf lat. bilinguis 'zwei-, doppelzüngig; zweisprachig' (zu lingua 'Zunge; Sprache'), gleichbed. mit häufiger (1863 bei Kaltschmidt) nachgewiesenem bilinguisch und in jüngster Zeit gebuchtem, engl. beeinflußtem Adj. bilingual, aus bi- und -lingual (zu lat. lingua, s. o.; vgl. engl. bilingual), in der Bed. 'zwei-, doppelsprachig, zwei Sprachen sprechend; auf zwei Sprachen bezogen', dazu gleichzeitig die (eventuell unter Einwirkung von engl. bilingualism aufgekommene) subst. Ableitung Bilingualismus M. (-; ohne PL), gleichbed. mit Bilinguismus M. (-; ohne PL) (vgl. frz. bilinguisme), aus bilingu(al) und dem Suffix -ismus, und Bilingualität F. (-; PL ungebr.) (vgl. engl. bilinguality) in der Bed. 'Fähigkeit, zwei Sprachen zu sprechen, Zweisprachigkeit'. Seit späterem 19. Jh. gebuchtes Fachwort der Chemie Bikarbonat N. (-(e)s; -e), kurz für Natrium-Bikarbonat, aus bi- und Karbonat 'kohlensaures Salz' (aus carb(o)-, in Kombinationen mit der Bed. 'Kohle(nstoff)-', zu lat. carbo, Gen. carbonis 'Kohle', und dem zur Bezeichnung von Säuren verwendeten chemiespr. Suffix -at), für 'doppeltkohlensaures Salz (der Kohlensäure), Natron' (heute durch Hydrogencarbonat ersetzt). Seit spätem 19. Jh. nachgewiesenes Bimetallismus M. (-; PL ungebr.), aus bi-, —* Metall und -ismus (vgl. engl. bimetallism, frz. bimetallisme), von dem Italiener Cernuschi 1876 geprägte Bezeichnung für das vertragsmäßig geregelte feste Wertverhältnis zwischen Gold und Silber als gleichberechtigter Doppelwährung (Ggs. Monometallismus), mit der gleichzeitig nachgewiesenen adj. Ableitung bimetallisch (vgl. frz. bimetallique, engl. bimetallic), und der Personalableitung Bimetallist M. (-en; -en) (vgl. frz. bimetalliste, engl. bimetallist) 'Anhänger der Doppelwährung', mit seit Anfang 20. Jh. belegtem Adj. bimetallistisch, gleichbed. mit bimetallisch (s. o.), gleichzeitig als Fachausdruck der Chemie Bimetall N. (-s; -e), aus bi- und —> Metall, für 'aus zwei Metallen zusammengesetzte Metallverbindung', vor allem bis heute gebucht als Bestimmungswort von Zss., z. B. Bimetall-Thermometer, -Draht, -Streifen und -Platte 'Druckplatte aus zwei Metallen mit unterschiedlichem Verhalten bezüglich der Aufnahme von Farbe oder Wasser' (vgl. auch Trimetallplatte). Vereinzelt im späteren 19. Jh. das Adj. bisexisch, verdrängt von wenig jüngerem bisexuell, aus bi- und sexuell (zu lat. sexus 'männliches oder weibliches Geschlecht'; vgl. engl. bisexual, frz. bisexuel, beide Adj. und Subst.), früher auch bisexual und in der latinisierenden, subst. verwendeten Adj.-Form Bisexuales PL, in der Bed. 'die sich (in sexueller Hinsicht) zu beiden Geschlechtern hingezogen Fühlenden' (Ggs. trans-, homo-, heterosexuell), mit der Anfang 20. Jh. aufgekommenen subst. Ableitung Bisexualität F. (-; PL ungebr.) (vgl. engl. bisexuality, frz. bisexualite), in der Anthropologie für 'gleichzeitiges Angelegtsein von weiblichen und männlichen Geschlechtsmerkmalen', der Biologie 'Vorhandensein männlicher und weiblicher Indi-

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viduen bei einer Art, Getrenntgeschlechtlichkeit', und der Psychoanalyse (nach S. Freud) für 'sexuelle Hinwendung, Hingezogensein eines Individuums zu beiden Geschlechtern'. Seit früherem 20. Jh. (1933 bei Genius) gebucht Bichromat N. (-(e)s; -e), älteres Dichromat ersetzend, aus bi- und Chromat 'chromsaures Salz' (aus Chrom 'chemischer Grundstoff, Metall', zu griech. 'Farbe', und dem chemiespr. Suffix -at 'Salz'), in der Chemie für 'doppeltchromsaures Salz', als Bestimmungswort in Zss. wie Bichromatverfahren, Bezeichnung für ein phototechnisches Umdruckverfahren durch Kopieren des Bildes auf eine durch Salze der Dichromsäure sensibilisierte Gelatineschicht, dazu in jüngster Zeit gebuchtes Adj. bichrom, aus bi- und -(o)chrom '-farbig; Farbe enthaltend', in der Bed. 'zweifarbig'. Gleichzeitig gebuchtes Adj. biatomisch, aus bi- und -atomisch, zu —»· Atom (vgl. frz. biatomique), in der Chemie für 'die doppelte Anzahl Atome enthaltend'. Seit den 30er Jahren des 20. Jhs. Binode F. (-; -n), aus bin- (phonologische Variante von bi-) und -öde, zu griech. 'Weg' (analog Anode, Diode, Elektrode, Kathode usw., also eigentlich 'zweifacher, Doppel weg'), für 'Elektronenröhre, die aus einem Glaskolben mit zwei Röhrensystemen besteht' (—» binär). In den 40er Jahren des 20. Jhs. aufgekommenes Bizone F. (-; ohne Pl.), aus bi- und Zone 'Besatzungszone', veraltete bzw. historisierend verwendete Bezeichnung für den 1946/47 vollzogenen (wirtschaftlichen) Zusammenschluß der amerikanisch und britisch besetzten Zonen im Nachkriegsdeutschland, mit den Gelegenheitsableitungen Bizonien, auch Bizonesien mit bizonesisch, dazu die seit den 50er Jahren nachgewiesene adj. Ableitung bizonal. Seit den 50er Jahren des 20. Jhs. das Adj. binational, aus bi- und —> national (vgl. älteres engl. binational) 'zwei Nationen, Staaten betreffend, ihnen gemeinsam; aus zwei Nationen bestehend, zusammengesetzt; zwei Nationen angehörend' (vgl. international, multinational). Mitte des 20. Jhs. aufgekommenes Biathlon N. (-s; -s), analog zu heute veraltetem Pentathlon (< griech. 3 'Fünfkampf') aus bi- und -athlon (zu griech. 9 'Kampf(-preis)'), in der Bed. 'Doppel-, Zweikampf' zur Bezeichnung einer aus der Skijagd in Skandinavien hervorgegangenen, aus Skilanglauf und Zielschießen kombinierten Wintersportart und olympischen Disziplin (vgl. Triathlon), dazu die in jüngster Zeit nachgewiesene, analog zu —·· Athlet gebildete Personenbezeichnung Biathlet M. (-en; -en). Auf lat. Wörter mit der initialen Einheit bin- (zu lat. bini 'je zwei') gehen Entlehnungen zurück wie —»· Binokel und —* binär, daneben gibt es neoklassische Kombinationen, deren initiale Einheit ebenfalls auf ein weitgehend mit bi- synonymes bin- beziehbar ist, wie z. B. das seit den 30er Jahren des 20. Jhs. nachgewiesene Adj. binaural, auch binaureal, aus bin- (zu lat. bini, möglicherweise aber auch phonologische Variante von bi-) und -aur(e)al (zu lat. auris Ohr'; vgl. engl. binaural, frz. binaural), in der Fachsprache der Akustik für 'zu beiden Ohren gehörend, beide Ohren betreffend, zugleich einsetzend', in der Verbindung binaur(e)ales Hören (Ggs. monaureales Hören), speziell auf ein elektrotechnisches Verfahren der stereophonen Klangwiedergabe bezogen für 'mittels zwei getrennter Mikrophone und Übertragungswege auf beide Ohren einwirkend, mit beiden Ohren (wahrgenommen)'. Nicht zu bi- im etymologischen Sinne gehört Bikini, Bezeichnung für den nach dem Bikini-Atoll im Pazifik benannten und über die dort 1946 stattgefundene Atom-

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Explosion mit „wie eine Bombe einschlagend, explosiv" assoziierten zweiteiligen Badeanzug, bei der die Anlautsilbe wohl nachträglich die Sekundärmotivation 'zwei' angenommen und auf dem Wege der Analogie weitere Neologismen produziert hat (Monokini, Minikint). um 1450 Algorismus Rat. 272 Bilion, byilion; Widmann 1489 Rechenung g 8b Euclides in den 10 buch seyner geometrei do er saget von den binomys (SCHIRMER, Mathematik); RudolfJ1525 Algebra F 6b Binomium heist ein zvvinämig zal, fürend mit ir das Zeichen + ; ebd. } 7b von binomischen zalen (SCHIRMER, Mathematik); i 553 Coß Chr. Rudolffs 116a ein Binomium .. mit dem Binomio; ebd. 118a die Binomia; ebd. 484a Vom extrahiren der cubic wurtzeln auß Binomischen zalen (SCHIRMER, Mathematik); Wolff 1716 Math. Lex. 257 Binomium, eine zweyfache Grosse . . die aus zwey Theilen bestehet, die mit dem mehr-Zeichen zusammen gesetzet werden (SCHIRMER, Mathematik); Fleming 1726 Soldat 17 Sprecht ein blosses Strichlein durch tausend aus, einen Punct durch Million, zwey Puncte durch Bimillion; Zedler 1733 Universallex. Ill 1849 Billion, Billio, wird in der Arithmetic eine Zahl genennet, so in der ändern Ordnung von denen ordinibus primariis sich befindet; ebd. Ill 1897 ff. Biquadratica aequatio . . Biquadratische Gleichung, wird eine Gleichung genennet, darinnen die hächst Dignitaet von der unbekannten Grosse ein Biquadratum ist; Weber 1734 Enc. l 169 Biceps .. zweyköpfig . . zweyspaltig; 1747 Math. Lex. I 211 Binomischer LehrSatz, Theorema Binomiale, heißt die von Isaac Newton erfundene algebraische Formel, welche zeiget, aus was für Theilen eine iede Potenz einer zweytheiligen Wurtzel a+b bestehe (SCHIRMER, Mathematik); Kästner 1761 Mathetnat. Anfangsgründe 111 2,80 Binomialcoefficienten (SCHIRMER, Mathematik); Justi 1769 Betr. lOf. hat ein jedes Saamenthierchen des Adams Billionen Menschen .. in sich gehalten; Campe 1813 Fremdwb. 151 Bifurcation, die natürliche Teilung eines Aderstammes in zwei Äste, auch der gabelichte Wuchs einer Wurzel, eines Stammes, eines Astes; ebd. Biconcav, auf beiden Seiten hohlrund . . also doppelhohlrund . . Biconvex, doppelt runderhoben oder auf beiden Seiten runderhoben; Leuchs 1821 Contorwiss. U 13 Million, Billion, Trillion, Quadrillion; 1827 ff. Magazin d. Ausld. XXXV111 814a Es giebt keine solchen Strukturen, wie unipolare Nervenzellen; alle Ganglienzellen sind b. [bipolar], d. h. sie haben 2 von ihnen ausgehende Nervenfädchen (SANDERS 1871); Platen vor 1835 Ges. W. IV 80 Ein Billionär/ darf bis auf einen gewissen Grad unleidlich sein (SANDERS DWB); Görres 1836-42 Mystik III 250 So zeigte sich ihm aller zum Keimen taugliche Samen bipolar .. Bipolarität

(KEHREIN); Poppe 1837 Erfindungen 403 Den eigentlichen Binomischen Lehrsatz erfand Newton vor dem Jahre 1676; den polynomischen Lehrsatz wenige Jahre nachher Leibnitz; Koner 1843 Buch d. Sinnspriiche Afr. 17 Die [Entdeckung] des bilinguen Denkmals von Phylä (SANDERS 1871); Haeckel 1866 Generelle Morphologie II 59 Zweigeschlechtige, Bisexuales, Zwitter der Hermaphroditen; Springer 1870 Berl. Prospecte 168 Übungen .. nicht um sich den Biceps zu stärken; Cernuschi 1876 Bimetallische Münze (Übers.) (Titel) (LADENDORF); 1877 Bamberger IV 406 Fürs erste empfiehlt auch er jenen Menschheitsbund der Doppelwährung, welcher wieder mehr von sich reden gemacht hat, seitdem zahllose Broschüren .. den hübschen neuen Namen 'Bimetallismus' für die alte Sache verbreiten (LADENDORF); Nordau 1885 Paradoxe 87 Sie brachen zunächst dem Pferde das Kreuz und gelangten schließlich zum Blitzzug, ihren Geist unterwegs mit der Erfindung der Droschke, des Bicykles und Bummelzugs ausruhend; 1896 Cosmopolis I 943 Die Reichsregirung hat den Bimetallisten jede Hoffnung genommen, dass Deutschland durch sein Vorgehen die übrigen Staaten zu Währungsexperimenten ermutigen werde; Münsterberg 1904 Amerikaner I 112 Abwehr aller bimetallistischen Experimente; ebd. l 410 Die Preise für die Produkte der Arbeit sanken, der Wert des Silbers sank ebenfalls und die Doppelwährung hatte aufgehört. Die Bimetallisten verknüpften diese Tatsachen; 1909 Luftschiffer 136 Bimetall-Thermometer; Bodman 1915 Seil 16 streifte . . den Ärmel zurück, ließ seinen Bizeps spielen; 1916 Franzosen 187 Die weniger nach Verstandesgaben als nach dem „biceps", den Armmuskeln rekrutierten Schutzmannstruppen, deren vornehmste Aufgabe die Zurückdrängung und Verprügelung politisch Mißvergnügter .. ist; 1925 Z.fMenschenkunde l 4,41 Binomialkurve; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. X 195) Es ist etwas von der Idee der Androgyne, von der die Romantiker träumten, in jener menschlich ausgeglichenen Kameradschaft zwischen den Geschlechtern, von der ich sprach. Zufall ist es wohl nicht, daß die Entstehung ihrer Möglichkeit mit der psychoanalytischen Entdeckung der ursprünglichen und natürlichen Bisexualität des Menschen zusammenfällt; 1926-27 ZfMenschenkunde U 1,6 Metaphysiker sind sogar geneigt, an die Bisexualität unseres tiefsten Wesens, ja an seine Übergeschlechtlichkeit zu glauben; Hamm 1927 Parallelwährung 10 Bimetal-

Bi-, bilismus [von Soetbeer 1880 geschaffener Begriff]; Baum 1929 Menschen 282 „. . Fühl' mal, wie stark ich bin!" äußerte Preysing und spannte seinen Bizeps an; 1930 Forschung u. Technik 340 Bimetallstreifen; 1930 Fesig, f. Frank I „Bipolarität" der psychopathischen Persönlichkeit; Berl. lilustr. Nachtausg. 17. 8. 1933 Eine andere neue Röhrenart, die „Binode", finden wir bei den großen Fernempfängern in je einem Exemplar vertreten; 1933-34 Verd. techn. Frw. o. S. Bimetall .. Zwiemetall; Dtsch. AZ. 5. 9. 1935 der verhältnismäßig zahlreichen Einöden. Die „Duo-Diode-Triode" sowie die „Duo-Diode-Pentode" spielen in den Geräten eine erhebliche Rolle; 1935 Verd. techn. Frw. o. S. Binode . . Verbundröhre; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 234 Zum Schluß besaß ich vor der Deflation, als das Vermögen durch eine Billion, das heißt 1000 Milliarden, dividiert wurde, Quadrillionen!!!!; Schlosser 1937 Magistra 49 bipolare Anlage des französischen Geistes; Berlin am Mittag 27. 2. 1948 Die bizonesischen Direktoren haben den Bauern ein reines Zuckerbrötchen gestrichen . . [daß] auch der Zucker letzten Endes auf dem Schwarzen Markt landet, ist klar . . Wer möchte in Bizonesien da kein Bauer sein?; Süddtsch. Ztg. 14. 9. 1948 die Scheußlichkeit der Briefmarken zu übertreffen, mit denen wir in Bizonien und mit uns die Bewohner der Sowjetzone (eines der wenigen äußeren Zeichen unserer Verbundenheit) bisher unsere Postsendungen frankieren; Haas 1949 Wesen und Form der Bipersonalität. Grundlagen für eine medizinische Soziologie (Titel); NZ. (Basel) 20.3.1949 Chemieproduktion und -Ausfuhr der Bizone (Überschr.) ebd. 22. 5. M>49 Pläne . . die eine weitgehende Dezentralisierung der Elektrizitätswirtschaft, vornehmlich durch scharfe Umgestaltung der Konzerne der Bi-Zone zum Ziele haben . . bei Fortdauer dieser abwartenden Haltung [würden] die Amerikaner eine solche Gesetzgebung nur für ihre Zone einrichten; ebd. 4. 1. 1950 wenn Jerusalem im Zentrum des erhofften Staates liegen würde, d. h. im Mittelpunkt . . des „binationalen", Juden und Arabern gemeinsamen Staates; ebd. 24. 1. 1950 So kennt kein anderer Distrikt Frankreichs Probleme des Bilinguismus, wie sie im Elsaß zwangsläufig vorhanden sind; Süddtsch. Ztg. 14. 2. 1953 als im August 1947 . . in Hannover die erste „bizonale" Exportmesse zustand kam . . Frankfurt und Hannover streiten um das Erbe Leipzigs; Röpke 1954 Lehre 151 Bimetallismus: Die Einheitlichkeit der Währung und die Aufrechterhaltung der Wertstabilität des Geldes werden, wenn Gold und Silber gleichzeitig Währungsmetall sind, zu einem schwierigen Problem; Süddtsch. Ztg. 7. 7. 1954 In diesem Falle wäre der Abschluß von Verträgen mit nur zwei Besatzungsmächten, den Vereinigten Staaten und Großbritannien,

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denkbar. Dies würde freilich, weil sich ja der Geltungsbereich der Verträge nicht auf die französische Zone erstrecken könnte, ein Wiederaufleben der alten, längst totgesagten Bizone bedeuten — einer Bizone neuen Typs; ebd. 16. 7. 1957 da in einer „bipolarisierten" Welt nur der wirkliche Regierungstypus, der aus einer Symbiose des nationalen Milieus und seiner Traditionen mit dem Verfassungswortlaut entsteht, verraten kann, in welchem Lager ein Staat steht; Offenburger Tagebl. 12.1. 1960 Ergebnisse der ersten Biathlon-Ausscheidungswettkämpfe; FAZ 6. 2. 1960 Der Leiter der Westberliner Treuhandstelle für den Interzonenhandel, vollendet am 6. Februar sein 60. Lebensjahr. Im Jahre 1947 wurde er stellvertretender Leiter der Berliner Vertretung der Bizonen-Verwaltung; Süddtsch. Ztg. 17.4.1961 Die Bizeps-Heroen treten an (Überschr.) . . im Bankdrücken, „einer hervorragenden Übung zur Erweiterung der mittleren Brustpartie und Stärkung des inneren Trizeps"; Steinmetz 1966 Komödie 30 ff. Die binomische Typenkomödie ist dadurch gekennzeichnet, daß ihr satirischer Feldzug an zwei Fronten gleichzeitig geführt wird; FAZ 2. 3. 1969 Alle BiathlonTitel an die Sowjetunion {Überschr.) .. Triumph der sowjetischen Biathlon-Sportler bei den Weltmeisterschaften in Zakopane; Sarris 1971 Wahrnehmung o. S. Personen zeigen im Versuch eine natürliche Tendenz, die ihnen experimentell dargebotenen Reize nach einer phänomenal meist als bipolar erlebten graduierten Skala wie z. B. „leichtschwer", „kurz-lang" usw. einzustufen; FAZ 22. 4. 1971 Ehemalige Hoteliersgattin Endvierzigerin, weltgewandt, bilingual, sucht Stelle (Anzeige); Stuttgarter Ztg. 11.11.1971 Landeskreditbank „bi-polar"? (Überschr.) Ministerpräsident Filbinger sprach davon, daß man an eine „bipolare" Lösung denke, das heißt also, daß Stuttgart und Karlsruhe Verwaltungsstellen dieser Landesbank erhalten sollen; Welt 7. 10. 1974 Am deutsch-französischen Gymnasium in Saarbrücken, wo schon zum drittenmal ein deutsch-französisches Abitur stattgefunden hat, gibt es seit 1972 . . den sogenannten „binationalen Unterricht"; 1984 Journal f. Gesch. V 15 ein bisexuelles, das männliche und weibliche Prinzip in sich vereinigendes Wesen; Zeit 16. 8. 1985 in den Hauptrisikogruppen der Homound Bisexuellen dürfte in den Aids-Hochburgen bereits eine weitgehende Durchseuchung eingetreten sein; Frankf. Rundsch. 10. 9. 1985 Ein Bundestreffen „Zur rechtlichen und sozialen Lage von Frauen in bi-nationalen Ehen, Familien und Partnerschaften in Europa"; Zeit 15. 8. 1986 Seit mehr als drei Jahrzehnten wird Weltpolitik nie mehr anders als im Rahmen der Bipolarität abgehandelt. Die beiden Supermächte sind die Pole, zwischen

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denen sich das Weltgeschehen abspielt; ebd. 6. 3. 1987 Promiskuität galt als Verkommenheit, Homo-, Bisexualität und Androgynie wurden tabuisiert; Stern 16. 7. 1987 Die doppelte Lust (Überschr.) Bisexuelle. Sie lieben Frauen genauso wie Männer . . Erst die Kirche hat aus der Homosexualität eine Sünde und die Ehe zwischen Mann und Frau zum allein heiligen Bund gemacht. Andere Kulturen haben sich die Bisexualität bewahrt . .

Die „klassischen" Bisexuellen, die sich sexuell und gefühlsmäßig von beiden Geschlechtern gleich stark angezogen fühlen . . Männer, die sich nur dann zu ihren homoerotischen Neigungen bekennen können, wenn sie sich in ihrem Selbstverständnis als „bi" einordnen; Süddtsch. Ztg. 8.2. 1994 für die Biathleten wurde in Fichtelberg der nötige Schießstand mit 15 Schützenplätzen eingerichtet. IN

Bibel F. (-; -n), im Mhd. (LEXER) entlehnt aus gleichbed. kirchenlat. biblia (< griech. 'Bücher', PL von 'beschriebenes Blatt, Buch', zu $ 'Papyrusbast, -rolle, Schreibmaterial; Buch, Schrift, Brief, eigentlich Name der phönikischen Hafenstadt Byblos, von der aus Papyrusbast exportiert wurde; —» Bibliothek, —» Bibliographie, —»· Fibel), anfangs auch biblie (mhd.) und bis ins 17. Jh. auch in der lat. Form biblia sowie bis ins frühe 16. Jh. auch in den Formen wibel, bybel. In der Bed. 'Schriften, Bücher des Neuen und Alten Testaments; die Heilige Schrift; die Bücher, Texte der göttlichen Offenbarung; Buch der Bücher', in Verbindungen wie in der Bibel lesen, in der Bibel steht (geschrieben), die Bibel kennen, das steht schon in der Bibel, Text der Bibel, die ganze Bibel, hebräische Bibel, als Beteuerungsformel auf die Bibel schwören; seit Mitte 18. Jh. in Zss. wie Bibelwort, -buch, -glaube, -Studium, -Übersetzung, -Spruch (auch abwertend in der Verbindung frommer Bibelspruch, s. Beleg 1985), -spräche, -auslegung, -konkordanz 'alphabetisches Verzeichnis der in der Bibel vorkommenden Wörter und Begriffe', auf Institutionen bezogen in den Zss. Bibelanstalt, -gesellschaft, 'evangelische Vereinigung zur Herstellung, Übersetzung und Verbreitung von Bibeln', -institut, -werk, -forscher, veraltet für 'Zeuge Jehovas', auch in den adj. Zss. bibelfest, -fromm, -gläubig; als Grundwort auf das einzelne Exemplar bezogen in den Zss. Bilder-, Familien-, Hausbibel; vermutlich schon seit dem 15.716. Jh. in der festen lat. Verbindung biblia pauperutn, lehnübersetzt mit Armenbibel, auch übertragen (s. Belege 1881, 1950); im späten 18. und 19. Jh. studentenspr. scherzhaft in der Zs. Bibelhusar für 'Theologiestudent' (s. Belege 1795, 1865). Im 16. Jh. selten auch allgemeiner verwendet im Sinn von 'Buch' (s. Belege 1528, 1537). Seit Mitte 18. Jh. übertragen, zum Teil scherzhaft-ironisch verwendet in der Bed. 'Grundschrift, auf die man sich immer wieder beruft; Standardwerk eines Fachs oder einer ideologischen Richtung, z. B. einer wissenschaftlichen Lehre, politischen Theorie bzw. Überzeugung; Werk, mit dem man sich identifiziert' (s. Belege 1768, 1829, 1835, 1855, 1907, 1935, 1950, 1986), in Wendungen wie Bibel der Juristen, der Duden ist die Bibel der Sekretärin, bes. in der Studentenbewegung der späten 60er Jahre in der Zs. Maobibel. Dazu seit frühem 16. Jh. die adj. Ableitung biblisch (ohne Steigerung) 'auf die Bibel bezogen, aus ihr stammend, die Bibel betreffend, der Bibel gemäß', vgl. das biblische Wort, die biblische Schöpfungsgeschichte, Botschaft, biblische Sprüche, auch biblischer Roman 'literarisches Werk, das auf den Geschichten der Bibel beruht', in Verbindung mit Namen und Ortsangaben im Sinn von 'in der Bibel vorkommend', z. B. der biblische Noah, das biblische Babel, biblische Person, biblisches Symbol,

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als Stilbegriff in Wendungen wie biblische Sprache, biblischer Ausdruck; seit frühem 20. Jh. im Sinn von 'sehr alt', in Verbindungen wie biblische Zeiten und bes. biblisches Alter 'sehr hohes Alter'. Seit späterem 19. Jh. die subst. Ableitung Biblizismus M. (-; ohne PL) 'sich ausschließlich auf das Bibelwort berufende, wissenschaftliche Erkenntnisse der Bibelforschung nicht anerkennende religiöse Haltung', seit Ende 19. Jh. die selten belegte Personenbezeichnung Biblizist M. (-en; -en), 'Person, die sich ausschließlich auf das Bibelwort beruft' und seit Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung biblizistisch (ohne Steigerung) 'sich ausschließlich auf das Bibelwort berufend'. Seit Mitte 19. Jh. die selten belegte subst. Ableitung Biblizität F. (-; ohne PL) 'Übereinstimmung, Entsprechung mit der Bibel'. Bibel: Hugo v. Trimberg um 1300 Renner 6213 er hebe an die bibeln (MÖLLER); 1343 Beheims Evangelienb. 243 uz der biblien ist dise ubirtragunge . . uz gedruckit; Konrad v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 2 Ez truog Jeronimus/ von hebräisch in lateines wort/ ganz waz diu wibel sinnes hat und auch von ändern zungen; um 1350 Niederrhein. Sehr. ü. d. Orient (Orient u. Occident I 466) in der byblien; Königshofen 1400 Chronik 520 bybel; Hermann v. Sachsenheim 1453 Mörin 3219 bibel; vor 1466 Stretlinger Chronik 68 und geschach im ze glicher wis, als dem Balaam, so man liset in der bibli; 15. Jh. Fastnachtsp. (U 802) wibel; 1502 (Ruf 1933 Ingolstädter Bücherschenkung 10 Anm.) Die wibel in grosser form; Geiler v. Keisersberg 1518 Buch d. Sünden 44a das ist wider die, die da nichts halten uf die bibel, das da ist die heilige geschrift (DWB); Luther 1520 W. VI 616 die leut vor solchen yrthumen zuwarnen, und in die Biblien zufuren, das man der selbenn vorstandt erlangt; ders. 1521 W. VII 317 der halbenn uns die not dringt mit aller lerer schrifft yn die Biblien zulauffen und allda gericht und urteil über sie holen, den sie ist allein der recht lehenherr und meister über alle schrifft unnd lere auff erden; Luther-Emser 1521 Str. U 82 Nu sihe wie feyn Emser mit seyner zwispeltigen Biblie daher ferett, macht das keynis nit gewiß bleybett; 1522 Verhör u. Akta (Flugschr. Reformation I 72) Biblien; Eberlin v. Günzburg 1523 Ausgew. Sehr. II 178 Biblia; ebd. II 190 bibel; ebd. Ill 17 text der Biblia; Kramer 1523 Unterredung 429 die gantze Biblen; ebd. 435 lasst mir mein Biblen holen!; 1524 Gespräch zw. e. Christen u. Juden (Flugschr. Reformation l 411) Bibel; Luther 1528 Wiedertaufe (W. XXVI 167) die Biblia für Biblia . . halten; Volkslied 1530 (Liliencron IV 9) Die alten sonst kein buch, allein die bibel/ gebrauchten wider ketzerei; Salat 1537 Verlorne Sohn Z. 47 Wie bibli, historien und gschrift klar seit; Luther 1542 Verlegung (W. LIII 286) das Buch (die Biblia) gelesen; Ruf 1550 Adam u. Eva Z. 10 Bible; Kulmann um 1560 Witfrau (Schauspiele 16. Jh. I 115) bibel, heilig schrift genant;

Meckel 1571 Anklage (Schauspiele 16. Jh. I 265) ich müst lang sten und einher eisen,/ es wer gleich bibel oder Babel,/ und müst auch brauchen seltsam fabel; Letzner 1590 Chronica Vorr. 5b Herodotus . . zeuget das die Pergamen bletter Bibli genant, vnd anstat der Baumrinden vom Papirbaum gebrauchet worden sein; Paumgartner 1596 Briefw. 261 inn ein pappier zusambgebunden ein teüttsche bibel; Wedel um 1600 Hausbuch 4 biblia; Harsdörffer 1648 Poet. Trichter U 123 Bibel, Biblia; Herberger 1705 Hertz-Postille l 14 des geschriebenen Worts besondern Lobspruch wider die närrischen Enthusiastischen Träumer, die da sagen wie Thomas Münzer: Quid Bibel, Bubel, Babel? . . Die Bibel wäre gar nichts; Schönaich 1754 Ästhetik 6 Teufel- und Bibeldichter; ebd. 137 Bibelworte; Winckelmann 1763 Empfindung d. Schönen (S. W. l 252) sogenannte Bibel des Raphaels; Lichtenberg 1768 Aphorismen I 106 f. Bibel der Juristen; Rabener vor 1771 S. Sehr. I 105 niemand war witzig als ein bibelfester Lustigmacher (DWB); Goethe 1773 Brief Pastors (WA I 37,160) Ich weiß nicht, ob man die Göttlichkeit der Bibel einem beweisen kann der sie nicht fühlt, wenigstens halte ich es für unnötig; 1780 D. dtsch. Satyriker 23 Bibel, ist ein Buch, das bey uns die Layen nicht lesen, und die Priester nicht verstehen dürfen; Blumauer 1782-87 Gedichte (U 125) Bibelbuch; Dalberg 1787 Betrachtungen 129 Biblia Pauperum; Augustin 1795 Idiotikon d. Burschenspr. 93 die Pandekten reiten, die Hefte reiten heißt studiren über die Pandekten oder in den Heften, daher werden die . . Theologen Bibelhusaren genannt; Foote 1796 Dramat. W. (Übers.) II 186 Du hast ein hübsches, nüchternes, bibelfestes Gesicht; Seume 1803 Spaziergang (W. I 466) Ich muß Dir bekennen, daß ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Warum nimmt man nicht etwas besseres aus der Bibel?; Goethe 1810 Zur Farbenlehre. H,st. Theil (WA II 3,138) Jene große Verehrung, welche der Bibel von vielen Völkern und Geschlechtern . . gewidmet worden, verdankt sie ihrem innern Werth. Sie ist nicht etwa nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker;

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Seume 1813 Leben (W. l 33) Hier ließ mein BibelStudium ziemlich nach und an dessen Stelle trat die Beschäftigung mit lateinischen Sprichwörtern; Wessenberg 1814 Elementarbildung 15 [Rousseaus Emile] wurde auf bald das Gesetzbuch und die Bibel aller denkenden Pädagogen; Goethe 1815 Br, (WA IV 25,240) Rühmt man mit Recht die Bibelanstalten, warum sollte man nicht auch loben, wenn eine Gesellschaft von Überzeugten ihre und ihres Lehrers Bekenntnisse zu verbreiten sucht; Nyerup 1816 Wb. d. Skandinav. Mythologien EM. (Übers.) 13 Da die Eddaen die heidnische Bibel der Scandinavier ausmachen; 1818 Heidelb. Jahrb. XI 97 Bibelgesellschaft Basel; Goethe 1819 Divan. Noten (WA l 7,129) Im Orient lernt man den Koran auswendig .. Das Gleiche haben wir in Deutschland erlebt, wo vor fünfzig Jahren die Erziehung dahin gerichtet war, die sämmtlichen Heranwachsenden bibelfest zu machen; ebd. 7,329 Was steht wohl öfters in der Bibel, als daß die Kinder Israel in der Wüsten 40 Jahre zugebracht haben?; ders. 1824 Br. (WA IV 38,272) Indessen die heiligen Bibelgesellschaften alle Unarten der Patriarchen und Könige des gelobten Landes aufs neue fort und fort über die weite Welt promulgiren; ders. 1824 Br. (WA IV 42,270) Luthers Bibelübersetzung hat die größten Wirkungen hervorgebracht, wenn schon die Kritik daran bis auf den heutigen Tag immerfort bedingt und mäkelt; Ranke 1828 Briefwerk 155 die ältesten Weltverhältnisse, deren einzige Urkunde . . die Bibel ist; Goethe 1829 Br. (WA IV 45,273) Die . . Dame, welche meine Farbenlehre wie eine Art Bibel behandelt; 1830 Kunstblatt 53 f. Biblia pauperum; Goethe vor 1832 Maximen u. Reflex. (WA I 42.2,130) so sehen wir in kindlicher Zeit in Gesetzbuch und Heilsordnung, in Bibel und Fibel sich Wort und Bild immerfort balanciren; Heine 1835 Romant. Schule 69 er [Goethes Faust] war die weltliche Bibel der Deutschen; Piper 1841 Kirchenrechn. 85 Das Bibelfest . . ein eigenthümlich protestantisches Fest; 1842 Brockhaus H 325 man . . theilte sie in drei Theile, wie sie noch jetzt in den hebräischen Bibeln stehen . . doch ist in den deutschen Bibeln die Ordnung eine andere; Varnhagen v. Ense 1842 Tagebücher 36 Schelling verkündet den unbedingten Bibelglauben; Weitling 1845 Evangelium 18 die Bibel . . ist eine Sammlung alter, aus alten Sprachen übersetzter, vor den Erfindungen des Papiers und der Buchdruckerkunst . . geschriebener Bücher; Schlesinger 1852 London I 43 Ob der Christ wirklich frömmer ist, als es der Heide war, was geht dies die frommen Missionäre weiter an? Die Bibelgesellschaft hat ihre Schuldigkeit gethan; Bucher 1855 Parlamentarismus 84 Anm. Magna Charta, Petition of Right, Bill of Right die Bibel der englischen Verfassung; 1855 Prutz' Museum I 436 weder das Niggerdeutsch

noch die Bibelstellen, womit die Verfasserin . . ihren Roman ausstattet, haben uns in dieser Ansicht erschüttern können; Becker 1858 Pfalz 183 vielbestrittenen reformirten „heiligen Schrift" unter dem Namen der „Neustadter Bibel" bekannt; 1865 Bur$chikoses Wb. 8 (Henne/Objartel 1984 Hist, dtsch. Studentenspr. III 524) Bibelhusar, diejenigen, welche Theologie studiren; Lübke 1866 Studien 453 Nachdem man längst in jenen Druckwerken des 15. Jahrhunderts, der „biblia pauperum" eine solche Darstellungsweise gekannt; Marlitt 1868 Geheimnis 81 jene frommen Seelen, die mit Inbrunst das Bibelwort festhalten; Harless 1872 Bruchstücke i 28 die alte Augsburger .. Bilderbibel; Rodenberg 1872 Studienreisen i. England 28 an den „bibelentfaltenden" Luther; 1877 Preuss. Jahrb. LX 679 streng bibelgläubiger Christ; Minor u. Sauer 1880 Goethe-Philologie 245 Anm. Gott hat mich zum bibelfesten Mann gemacht; Nordau 1881 Paris 188 Biblia pauperum der Zeitgeschichte; Sandreuter 1883 (Nachlaß I I 1 9 ) wäre das Evangelium ohne die Bibel gepredigt; Hillebrand 1885 Culturgesch. 264 höchstens daß etwa der Gedanke, wie kurz man erst dem Joch entronnen ist, einem Bibelscherz etwas besonders Pikantes gibt; Hehn 1893 Goethes H. u. D. 5 Hermann und Dorothea ist ein Bibelwerk deutscher Religion und Tugend; Duboc 1896 Die Bebel-Bibel (Titel); 1900 Dtsch. Revue XXV 3 „Die Bibel in der Westentasche"; Rilke 1901 Gedichte (S. W. Ill 728) In solchen Nächten steht in der Bibel nichts./ ../ Und was sonst am Tag in der Bibel steht,/ geht unter den Menschen umher,/ schwer gebeugt — / und zeugt/ für Gott; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 92) während schon durch die Spalten der hohen, weißen Flügeltür der Tannenduft drang, verlas die Konsulin aus der alten Familienbibel mit den ungeheuerlichen Buchstaben langsam das Weihnachtskapitel; Allg. Ztg. München 21.4. 1904 Aus Anlaß der 100jährigen Jubelfeier der Britischen und Auswärtigen Bibelgesellschaft ist . . mehr als sonst von der Bibel geredet worden; Taine 1907 Philos. (Übers.) 60 Homer, welcher die Bibel der Griechen ist; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 49) die enorme, mit Metallspangen verschlossene Hausbibel; Meerheimb 1910 Modell 17 die zwei kleinen schwärzlichen Ungetüme mit den Bibelsprüchen im Mund; 1912 Walhalla VIII 2 Eröffnung des Palastes des päpstlichen Bibelinstituts; 1920 Preuss. Jahrb. CLXXIX 386 Ludendorffs Buch mit einem rasch aufgekommenen Schlagwort als „Bibel" bezeichnet; 1924 Mogk-Festschr. 243 Das 14. Jahrhundert verdient den Namen „Jahrhundert der Laienbibel"; Schmidt 1925 Deutschland 215 „Bibel der Weltwirtschaft"; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W.X 663) dies . . Meisterhandwerk, dessen Überlieferung über .. die lateini-

Bibel sehe Armenbibel hoch ins Mittelalter hinaufreicht; Gerstenhauer 1927 Führer 128 Internationalen Bibelforscher; Brecht 1928 Dreigroschenoper (Ges. W. // 446) Ich blickte ihn an, und er weinte bitterlich. Den Trick habe ich aus der Bibel; Wieser 1932 Poiret 23 die in den Kreisen der Herrnhuter viel gelesene Berleburger Bibel; Gebauer 1932 Kulturgesch. 398 bibelfrommen Adel; Tempo 29. 6. 1933 Der preußische Minister des Innern hat . . die Internationale Bibelforschervereinigung . . verboten; Lokal-Anz. 31.10.1934 die Zahl der in Deutschland verbreiteten Bibeln und Bibelteile beträgt allein 956987. Was für ein Segen!; 1935 „Duden" Sammlung o. S. die Spanier spielten, „wie es in der Bibel steht" .. „ordnungsgemäß mit zwei Verteidigern, drei Läufern und fünf Stürmern"; Münch. N. N. 1.6.1937 Bibelforscher sind Staatsfeinde; 1942 Artillerist. Rundsch. 284 „Bibel des Artilleristen"; ß. N. 2. 6. 1943 Bücher sind . . zeitlos, weil sie ganz in der Bibel wurzeln, ohne in einer weltfremden „Bibelsprache" zu reden; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 129) er . . sprach von der Bibel nicht anders als von der „heiligen Geschrifr"; 1950 Neue Rundsch. 282 Die Bildstreifen — comics, funnies — sind die Biblia pauperum der amerikanischen Zivilisation; Süddtsch. Zig. 28. 9. 1950 Jehovas Zeugen haben es schwer. Die „Bibelwürmer" und ihr fanatischer Glaubenskampf; Fendrich 1950 Land 233 Goethes Faust, die „Bibel der Deutschen"; Th. Mann 1953 Reden u. Aufs. (W. XI 689) An den äußern Gang der Handlung . . hielt ich mich so getreu wie bei den Josephsromanen an die Daten der Bibel; ders. 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 820) hat Luther Dogmen gesetzt, die seiner persönlichen Bibelauslegung entsprachen; Süddtsch. Zig. 22. 4. 1955 im Michel-Katalog, der Bibel der Briefmarkensammler; ebd. W. 5. 1958 Hitlers „Mein Kampf", die Bibel der Nazi; Jaspers 1958 Atombombe 492 Der Gottesgedanke in der Grenzsituation des Scheiterns ist für den Abendländer geschichtlich auf die Bibel gegründet; Welt 5. 6. 1959 und die Bibel hat doch recht; Stuttgarter Zig. 21. 10. 1959 dieser engstirnige, bibelfromme und moralisch strenge Mann; 1960 Studium Berolinense 448 „Bibel der Sprachwissenschaft"; 1961 Häresien 41 manch Frage der Bibeltheologie; Grass 1962 Blechtrommel 100 Ganz zu schweigen von jenen bibelfesten Ehrenmännern, die während des Krieges wegen nachlässiger Verdunklung der Schlafzimmerfenster vom Luftschutzwart eine Geldstrafe aufgebrummt bekamen und sich jetzt Widerstandskämpfer nennen; Böll 1963 Clouin 242 Wir bekamen zu Hause bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus der Bibel vorgelesen, weil es in unserer Verwandtschaft von Pastoren wimmelt; Welt 18. 1. 1964 dieses . . Sonderheft führt Sie an die Wiege der Christenheit — es macht die Geschichte

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aus dem Lande der Bibel lebendig; Stuttgarter Zig. 10. 11. 1967 Eine Bibelquiz-Reihe. Ein Ratespiel unter dem Motto „Wer kennt die Bibel?"; Welt 4. 11. 1969 beharrte Rohan auch im Kreuzverhör darauf, durch Offenbarungen und Bibelauslegungen den Auftrag zum Bau des „Tempels der Herren" in Jerusalem bekommen zu haben; Bienek 1970 Bakunin o. S. die sympathischste Person der Bibel ist Luzifer, er verkörpert am reinsten das Prinzip der Empörung; Solle 1971 Polit. Theologie o. S. Ihrer Zielvorstellung nach ist die historische Bibelkritik auf Emanzipation gerichtet; Offenburger Tagebl. 17. 3. 1971 Der Direktor des Katholischen Bibelwerks der Bundesrepublik; FAZ 2. 9. 1971 Bibel in 1431 Sprachen; Welt 8. 8. 1974 Da liegen in evangelischen Häusern griffbereit auf Bordbrettern Bibel und Gesangbuch; Zeit 28. 12. 1984 sparsam sollen sie . . Bibeln drucken und sie in bibelfeindliche Gefilde schicken; ebd. 17.5. 1985 In der Bibel war am Anfang das Wort, Wissenschaftler bekamen es dagegen zuerst mit der Natur zu tun; ebd. 14. 6. 1985 So weit ist es mit dem Kirchentag schon gekommen, daß Theologen Märchen deuten, statt die Bibel auszulegen; MM 7. 9. 1985 Mit frommen Bibelsprüchen allein ist es bei der Bahnhofsmission nicht getan; Zeit 14.2.1986 Das steht schon in der Bibel; MM 24. 7. 19S6 Arbeitsgemeinschaft der Pfarrer, die gemeinsam mit der Bibelgesellschaft und dem Presseverband der Evangelischen Landeskirche in Bayern die „Computerbibel" vorbereitet; Zeit 8. 8. 1986 die ehemalige Vorstands-Schreibkraft, deren Bibel „Duden" heißt; ebd. 12. 9. 1986 688 Seiten . . über das andere Geschlecht, ein dickes Buch, die Bibel der Frauenemanzipation; MM 15. 4. 1987 Als „unheilige Weltbibel" hat der Weimarer Poet und Politiker Goethe sein langes Gedicht . . bezeichnet; Zeit 24. 4. 1987 Auf die Bibelstunde folgt eine Predigt; Stern 22. 12. 1987 Ganz haben wir bis heute dem Charles Darwin seine Entdeckung nicht verziehen; denn wir sind hochmütig, von der Bibel zur Krone der Schöpfung ernannt und nach christlicher Lehre die einzigen Lebewesen, die eine Seele haben; MM 6. 4. 1988 Das etwas anrüchige Thema, dem schon Liselotte von der Pfalz ihre Aufmerksamkeit widmete, findet auch in der Bibel Erwähnung; Rhein. Merkur 3. 8. 1990 das soziale Engagement, zu dem sich die Kirche in ihrer Diakonie bekennt, steht jedoch nicht auf dem Boden einer sozialistischen Ideologie, sondern auf dem der Bibel. biblisch: Eberlin v. Günzburg 1524 Ausgew. Sehr. Hl 78 regel .., daruon das Euangelion nicht waißt . . darumb ist die regul nit byblisch; Murner 1528 Messe 33 nuews vnd alts testament so Biblisch genent würt; ebd. allein Biblisch geschrift; Sleidan

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Bibel

1544 Reden 145 Biblische schrifften; Brunner 1566 Jacob 14 Biblische Geschieht; Fischart 1575 Garg. 137 nach biblischer sprach zu reden; Henisch 1616 Teutsche Sprach 368 Es schmecket ihm die Biblische Schrifft/ grad wie eim febrischen Menschen der gut Wein schmeckt; Comenius 1644 Sprachenthür Nr. 631 erkläret einen wolgegründeten biblischen (auß der Bibel genommen) text; Seume 1793-1811 Kl. Sehr. (W. H 342) wir sind immer in Gefahr, echt biblisch von der Rute zum Skorpion zu kommen; Schiller vor 1805 W. // 379 biblische Ausdrücke (HEYNE); Seume 1806-07 Apokryphen (W. // 27) Das Leben der biblischen Personen vernünftig ohne Bibelglauben . . geschrieben, müßte .. uns in der bessern Kultur einen großen Schritt weiter bringen; ders. 1813 Leben (W. l 30) Mein Studium war biblische Geschichte aus Hübners biblischen Historien und Luthers Bibel selbst; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,169) eins von denen biblisch-physischen Symbolen, dergleichen früher in kirchlich-frommer Zeit mitunter glückten; ders. 1819 Divan. Noten (WA l 7,129) Nun gab es mehrere Menschen, die eine große Fertigkeit hatten auf alles was vorkam biblische Sprüche anzuwenden und die heilige Schrift in der Conversation zu verbrauchen; Jacobs 1824 Verm. Sehr. VII 21 unbiblische Lehre (SANDERS 1871); Goethe 1830 Br. (WA IV 47,351) Die Biblischen Cyklen sind schon zu oft durchgearbeitet, als daß sich da noch Neues hoffen ließe; Kretzer um 1910 Stehe auf 72 „. .Und da ich Gott fürchte, wollte ich mich auch seinem Zorne stellen." „Biblische Redensarten .. Der Blitz sucht sich weder den Atheisten noch den Gläubigen aus . ."; Voss. Ztg. 15. 9. 1929 Wir stehen darin auf dem „biblischen" Standpunkt: „Abraham erkannte sein Weib Sarah"; Ompteda 1929 Sonntagskind 8 biblischen Alters; Gebauer 1932 Kulturgesch. 552 taten sich . . die Gläubigen in besonderen strengbiblischen Gemeinschaften pietistischer Richtung zusammen; Th. Mann 1940 Nachtr. (W. XIII 162) Meine ersten Kenntnisse des biblischen Stoffes habe ich natürlich, wie Sie alle, aus jener Lektüre geschöpft, die neben den Märchen zu den ersten Eindrücken der Kinderzeit gehört; Münch. N. N. 24. 4. 1944 Soweit es sich um die Erreichung des biblischen Alters handelt, ist diese Bezeichnung [„Rat der Alten"] . . zutreffend; Süddtsch. Ztg. 19. 3. 1946 Oberammergau veranstaltet Anfang Mai mit einheimischen Kräften Aufführungen aus dem biblischen Spiel; Th. Mann 1948 Reden u. Aufs. (W. XI 681) eine Leidenschaft sei hier am Werke, die „vorauszusagen bei dem biblischen Alter des Verfassers wohl niemand die Kühnheit aufgebracht hätte"; Welt 27. 1. 1949 Unverkennbare Spuren biblischen Denkens . . haben Pate gestanden; Jaspers 1958 Atombombe 357 Es war die große kirchliche Leistung: im Sicheinlassen

mit der Welt wurden die Formen gefunden, mittels derer das Dynamit der prophetischen biblischen Religion durch die Zeiten bis heute getragen wurde; Welt 12. 8.1959 Die biblische Sprache will hier gehört und begriffen werden; Grass 1962 Blechtrommel 99 Ich jammerte weder um jenen biblischen Rizinus noch um Ninive, selbst wenn es Danzig hieß; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 82 Hermann lächelt fein wie ein biblischer Sieger; Partner 1964 Erben 246 Er ist wie alles, was Bonifatius zu Papier gebracht hat, kunstvoll stilisiert, bis zur biblischen Endfloskel hin; Welt 4. 1.1969 Seine Ursache ist im Verlust der Transzendenz zu orten, in der Säkularisierung der biblischen Botschaft; ebd. 22. 1.1969 Die Bischöfe, denen er vorwarf, zuwenig Seelsorger zu sein, müßten allerdings wissen, daß sich das Zölibat biblisch nicht begründen lasse; Solle 1971 Polit. Theologie o. S. Das ist. . der Beweis des Geistes und der Kraft um mich biblisch auszudrücken; FAZ 2. 9. 1971 Die biblische Botschaft steht in 1431 Sprachen zur Verfügung; Dülmen 1977 Reformation 257 Solange die Kindertaufe . . nicht als biblisch bewiesen werde, sei an einen Widerruf der Prädikanten nicht zu denken; Zeit 29. 3. 1985 Doch eben dabei bewegt und bekümmert diesen Prediger biblischer Frohbotschaft eine gar nicht so fröhliche Erkenntnis; ebd. 23. 8. 1985 hatte eine . . Forschergruppe herausgefunden, daß M. Leprae am besten bei Temperaturen unterhalb der normalen menschlichen Körperwärme gedeiht (dies erklärt auch, warum der biblische Aussatz zunächst die äußeren Gliedmaßen befällt); ebd. 30. 8. 1985 Im übrigen hat die Wirtschaftsspionage längst ein biblisches Alter; ebd. 7. 3. 1986 Die biblischen Gebote waren ihm mehr als Richtschnur, sie waren ihm Lebensinhalt geworden; ebd. 30. 1.1987 Sein Urlaubserlebnis, der vollkommene Einklang mit Natur und Geschichte in „biblischer" Landschaft; ebd. 20. 3. 1987 die biblische Weisheit, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt; MM 31. 7. 1987 Tabori hat . . darauf verzichtet, sich . . mit der biblischen Apokalypse auseinanderzusetzen; ebd. 25. 5. 1990 In szenischen Bildern wird das biblische Thema paraphrasiert, konkretisiert und in die Jetztzeit hinübergezogen. Biblizismus: Troxler um 1866 Gewissheit 49 Der Protestantismus baut auf ein totes Buch, der Katholizismus ist in einem Papst aufgegangen, Biblizismus und Papismus; Achelis 1890 Theologie I 397 Sonst entsteht die Fratze der Biblizität, des Biblizismus, die gesuchte Sprache Canaans; Harnack 1897 (Reden u. Aufs. U 367) dass Ritschi trotz seines starken Biblizismus doch so nicht gesonnen war; Wernle 1912 Renaissance 156 Durch diesen Biblizismus geriet der Protestantismus in eine pein-

Bibliographie lichere Lage als der Katholizismus; 1924 MogkFestschr. 295 der humanistische Biblizismus; Müller 1938 Stiftsköpfe 182 Biblizismus; Burger 1951 Schwaben 148 f. Entschiedener als im siebzehnten wird im beginnenden achtzehnten Jahrhundert die Bibel für den Schwaben Mittelpunkt seiner theosophischen Spekulationen. Der Führer des „Biblizismus" ist Johann Albrecht Bengel; 1956 Dies Univ. IV 46 den mehr oder weniger einfachen Versuchungen eines Fundamentalismus oder archäologischen Biblizismus; Sloterdijk 1983 Kritik 67 Schon Luther hat mit radikalem Biblizismus den Kirchenanspruch auf Autorität zurückgeschlagen; 19X7 Brockbaus I! 281 Biblizismus eine theologische Haltung, die die Bibel Wort für Wort als göttliche Offenbarung gelten lassen will. Biblizist: Harnack 1897 (Reden u. Aufs. 11 347) strenger Biblizist; Seidel 1938 Lennacker 343 mit . . der Autorität des berühmten Biblizisten; Burger 1951 Schwaben 157 indem das Wort den Biblizisten nicht Medium von Geist zu Geist, sondern vielmehr eine Verleibung Gottes, göttlichen Geistleib bedeutet. biblizistisch: Schubert 1904 Grundz. d. Kirchengesch. 223 so . . suchte [man] Ersatz oder Ergän-

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zung in einem biblizistischen Moralismus; Troeltsch 1911 — 12 Glaubenslehre 7 Diese [pietistische Ablösung] kam im wesentlichen der heutigen biblizistischen Dogmatik gleich; 1924 Mogk-Festschr. 257 biblizistischen Bewegung; 1929 Handb. d. Englandkunde 11 252 Daher ist diese Religion natürlich biblizistisch, aber keineswegs im Sinne von Luthers Glauben an das Wort; Burger 1951 Schwaben 151 Mit großer Schroffheit wenden sich alle biblizistischen Chiliasten gegen die spiritualistische Eschatologie; Vögtle 1970 D. Neue Testament o. S. lassen auch evangelischerseits konservative, vor allem ausgesprochen biblizistische Ausleger das Neue Testament das Universum in sehr realistischem Sinne in das Endgeschehen einbeziehen; Dülmen 1977 Reformation 75 Damit ist keinesfalls eine Restitution der Urgemeinde im biblizistischen Sinne gemeint. Biblizität: Tholuck 1853 Vorgesch. d. Rationalismus l 1,303 von der antitraditionellen Biblizität der reformirten Kirche war mehrfach ähnlichen Bedenken Raum gegeben worden; Achelis 1890 Theologie I 397 Die Biblizität der Sprache wird mit Recht als Haupterfordernis betrachtet; Baumgarten 1929 Lebensgesch. 75 wortreiche Biblizität. HK

Bibliographie F. (-; -n), Anfang 18. Jh. unter Einfluß von gleichbed. frz. bibliographie, engl. bibliography in der gelehrtenlat. Form Bibliographia (PFEIFER) aufgekommen (vgl. griech. 'das Bücherschreiben', aus (—* Bibel) und 'schreiben'). In der Bed. '(alphabetisches) Bücherverzeichnis, systematisch angelegtes Verzeichnis von Schriften zu bestimmten Themen, Werkverzeichnis eines Autors', in Wendungen und Zss. wie gewissenhafte, umfassende, ausgewählte Bibliographie, Spezial-, Auswahlbibliographie; auch als Titel gebräuchlich (s. Belege 1836 — 42, 1923). Seit Mitte 18. Jh. die Personenbezeichnung Bibliograph M. (-en; -en), 'Bearbeiter, Verfasser einer Bibliographie, Bücherbeschreiber'; seit Ende 18. Jh. die adj. Ableitung bibliographisch (ohne Steigerung), 'die Bibliographie betreffend, auf die Verzeichnung von Büchern bezogen', ein Werk bibliographisch erfassen, bibliographische Angaben, auch in Buchtiteln (s. Beleg 1821 — 30) bzw. in Namen von Institutionen, z. B. Bibliographisches Institut; seit dem 19. Jh. (PFEIFER) die gebuchte Ableitung bibliographieren V. trans., 'ein Bücher-, Schriftenverzeichnis anlegen, zu einem bestimmten (z. B. wissenschaftlichen) Zweck Titel von Veröffentlichungen sammeln, zusammenstellen', daneben auch 'Titel, Erscheinungsort und -jähr eines Werks feststellen'. Bibliographie: 1713 Neue Bibliothek XXVI 542 Gegenwärtige Bibliographie stillet unser Verlangen/ weilen sie von den Scribenten/ die solche alte Gebräuche erläutert haben/ ausführlicher handelt; Sperander 1727 A la mod Sprach 70 Bibliographie, Erklärung der alten Schrifften; Zincke 1752 Came-

ral.-Bibl. IV 202 Bibliographia; Erdt 1786 Anl. f. Bibliothekare 48 von Recensionen der Schriften, Kritiken, Bibliotheken, Bibliographien . . nützliche Nachrichten geben wollten; Denis 1796 Einl. U 404 Anm. Mehr ähnliche Verzeichnisse sind im historischen Theile des III. Zeitraumes der Bibliographie

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Bibliophiler

angeführet; 1836—42 Allgemeine Bibliographie für Deutschland (Titel); 1843 Brockhaus U 333 f. Die reine Bibliographie hat es mit den Büchern an sich zu thun . . Die angewandte Bibliographie .. betrachtet die Bücher nach ihrer formellen Beschaffenheit, ihren Schicksalen und den äußern Bedingungen, die ihren Werth in Bezug auf Neigung und Bedürfniß der Sammler bestimmen; ebd. 334 Am meisten haben die Italiener für Provinzialbibliographien geleistet; Th. Mann 1919 Reden u. Aufs. (W. X 584) zahlreiche Anmerkungen nebst einer gewissenhaften Bibliographie beschließen das Werk; Meckelein 1923 Bibliographie des Bibliotheks- und Buchwesens (Titel); 1935 Festschr. a. Grabmann 1 Bibliographie Martin Grabmanns; 1937 AfdA LVI 25 Geistesbibliographie; Th. Mann 1953 Reden u. Aufs. (W. X 815) Man sehe sie an, die Bibliographie von Äußerungen über mein Tun und Treiben und den Bienenfleiß, mit dem ihre Items aus aller Herren Länder sammelnd und sichtend zusammengetragen sind; Heuss 1963 Erinn. 261 Mein eigener Fleiß in jenen beweglichen und bewegten Jahren stellt sich mir in der Bibliographie vor; Welt 4. 11. 1969 Eine komplette Bibliographie zur Zukunftsforschung (etwa 650 Titel) wurde inzwischen vom SFB erarbeitet; Oberer 1970 Buchbespr. o. S. Spezialbibliographien würde der Fachmann eher unter der entsprechenden Teildisziplin erwarten; Sieburg 1971 Napoleon o. S. Darauf ist auch die den Band beschließende Auswahlbibliographie abgestimmt; Dedecius 1971 Deutsche u. Polen o. S. Einer polnischen Bibliographie zufolge . . wurden in den Jahren 1946 bis 1948 fast keine deutschen Bücher übersetzt; Welt 31.10.1974 Eine illustrierte Bibliographie mit Inhaltsangaben zu jedem Buch und einem ausführlichen Register; Zeit 6. 12. 1985 Die Bibliographie umfaßt . . 1267 Titel; ebd. 2. 5. 1986 In der jüngst erschienenen Bibliographie „Deutsche Literaturzeitschriften 1815—1850" . . macht. . das Titelregister . . sechzig eng bedruckte Buchseiten aus; MM 18. 12. 1987 Die Bibliographie gibt an, was einst zum Bücherbestand eines Nationalen Zentrums für Kinder- und Jugendtheater gehören wird; Spiegel 15.2.1993 Bereits im Jahre 1960 wurde in Jerusalem unter der Redaktion von Philip Friedman eine Bibliographie mit 1246 Titeln von Werken über den Holocaust veröffentlicht.

Bibliograph: Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,314) du hast das sündermäßge spielen, darauf die Bibliograph! so ofte zielen; Matthisson 1787 Schweiz (II187) Ein gründlicher Bibliograph brachte neulich . . heraus, daß eine vollständige botanische Bibliothek in unsern Tagen über zwölf tausend Reichsthaler kosten würde; 1843 Brockhaus II 334 so ist es .. der praktische Sinn der Nation, welcher die Leistungen der Bibliographen zu einer angemesssenen Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse erhebt; Oberer 1970 Buchbespr. o. S. Der Bearbeiter scheint aus der Richtung eines Bibliothekars oder Bibliographen zu kommen. bibliographisch: Böttiger 1795 Reise n. Hamburg (Literar. Zustände II 59) bibliographische Segen; Jean Paul 1800 S. W. l 8,270 als ich blos höflicher und bibliographischer Weise bei ihm um einige Autographa anhielt; 1803 Europa l 2,150 Die Verbindungen .. in die er mit Gelehrten in Wien getreten ist, verschaffen ihm .. Nachrichten von den bibliographischen Unternehmungen .. der dortigen Griechen; Goethe 1805 Winckelmann (WA I 46,45) Und so war auch die literarisch-bibliographische Bildung dasjenige Verdienst, das Winckelmann früher dem Grafen Bünau und später dem Cardinal Passionei empfahl; 1821-30 Allgemeines bibliographisches Lexikon (Titel); Strombeck 1833 Darstellungen I 62 bibliographische Institut; Benjamin 1920 Br. I 230 Ich bin Ihnen für jeden bibliographischen Fingerzeig . . außerordentlich dankbar; 1934 AfdA Llll 87 die bibliographische Anordnung, die sich als übersichtlich und zweckmäßig bewährt hat; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 52 ein Mangel, der im bibliographischen Sprachgebrauch . . zuweilen noch bis heute spürbar ist; 1966—67 Urania X 34 bibliographische Informationen lassen sich jetzt in der Bibliothek . . vom Magnetband-Katalog eines Computers über normale Kabelleitungen abfragen; Hollenweger 1971 Pfingstkirchen o. S. Davon kann sich leicht überzeugen, wer die zufälligen bibliographischen Angaben über die Pfingstbewegung in den wissenschaftlichen Standardwerken konsultiert; MM 9.5.1985 Bibliographisches Institut AG (BI) in Mannheim, besser bekannt als Duden-Verlag. HK

Bibliophiler M. (Bibliophilen; Bibliophilen), auch Bibliophile F. (-n; -n), Ende 18. Jh. (PFEIFER) entlehnt aus gleichbed. frz. bibliophile (aus biblio- < griech. ßi'Buch' und -phile < griech. 'lieb, liebend, freundlich; Freund', zu 'lieben'; —» Bibel, —·· Bibliothek; vgl. Anglophiler, —» Anglomanie). Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'Bücherfreund, -liebhaber, Sammler seltener kostbarer Bücher'; dazu seit Mitte 19. Jh. die selten belegte subst. Ableitung Biblio-

Bibliophiler

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philie F. (-; ohne Pl.) 'Bücherliebhaberei, Neigung zum Sammeln bes. wertvoller Bücher' und seit Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung bibliophil (ohne Steigerung), auf Personen bezogen im Sinn von 'bücherliebend, wertvolle Bücher sammelnd' (s. Belege 1917, 1929, 1988), auf Druckwerke bezogen in der Bed. 'wertvoll, der Buch(drucker)kunst vollkommen entsprechend' (s. Belege 1913, 1919, 1964, 1992), in Wendungen wie eine bibliophile Ausgabe, bibliophil gestaltet. Vgl. daneben weitere Bildungen mit Biblio- wie Bibliomanie '(krankhaft) gesteigerte Leidenschaft für (kostbare) Bücher', Bibliophobie '(krankhafte) Abneigung gegen Bücher'. Bibliophiler: Preller 1848 Aufs. 528 der Bibliophil kauft nicht mehr Alles ohne Auswahl zusammen, sondern er sammelt nach gewisser Rücksicht an, legt aber dabei doch immer auf ausserwesentliche und zufällige Beschaffenheiten der Bücher einen grösseren Werth als auf den wissenschaftlichen Gehalt; Hoffmanns 1852 Hamburger Bibliophilen (Titel); 1856 Serapeum XVII 385 Ein Bibliophilenverein in Deutschland. (Der Litterarische Verein in Stuttgart.); Treitschke 1865 Br. U 426 Auf S. 108 . . findest Du mich in der ungewohnten Rolle des Bibliophilen; 1903 Grenzboten III 402 „Bibliophile"; Sondheim 1907 Ges. Sehr. 305 leider wächst in Deutschland der Neudruck erotischer Literatur so sehr, daß in vielen Kreisen der Name „Bibliophile" und die Bezeichnung „Ausgabe für Bibliophilen" ein schlimmen Beigeschmack bekommen haben; Dombrowski 1920 System U 78 Er verdingte sich als Gehilfe in einer Buchhandlung der Potsdamer Straße, er der Bibliophile, dem aller Geschäftssinn abging; Bahr 1925 Liebe I 155 ein leidenschaftlicher Bibliophile; 1937 Erlebnisse 12 „Bibliophile"; Neue Ztg. 3. 3. 1949 Die .. Zeitschrift „Thema" wird . . Mitteilungsblatt der Gesellschaft der Bibliophilen; Süddtsch. Ztg. 26. 5. 1952 Jahrestagung der „Gesellschaft der Bibliophilen"; Guggenheim 1959 Sandkorn 19 Geschäftsherren, . . die in weiten Kreisen als Bücherliebhaber, ja als Bibliophile galten, aber in Wirklichkeit in ihrem ganzen Leben nie ein Buch richtig gelesen hatten; Bruyn 1978 Forsch. 44 Der Höhepunkt kam noch: die Bibliothek. Manch Bibliophiler, der sie sah, wurde stumm vor Neid. bibliophil: Benjamin 1913 Br. I 77 angesichts der bibliophilen Bücherei Ungers; 1917 Lit. Echo XIX 1380 Der Verleger des hamacherschen Buches hat mein bibliophiles Gemüt gekränkt, indem er den schönen Druck durch das mit häßlichem Gummistempel auf den Titel geklexte Wort „RezensionsExemplar" schändete; Th. Mann 1919 Br. 159 Das erste, ein Tierstück, „Herr und Hund", erscheint zuerst in bibliophiler Ausgabe; ders. 1924 Reden u. Aufs. (W. X 641) die Erzählungen Stevensons, welche .. bei Buchenau und Reichert, als überaus schmucke, ja zierliche, in scharfer Antiqua ge-

druckte Bände erscheinen, die des Verlages bibliophile Herkunft verraten; Wildgans 1929 Br. 581 ich brauche sie [die Aufmachung] wie einen Bissen Brot, um auch die bibliophilen Schmöcke zu meinen Käufern zu zählen; 1929 Zs. f. Bücherfreunde. Beibl. 228 In Frankreich ist auch der Begriff „bibliophil" nicht wie bei uns in Deutschland umstritten; Neue Ztg. 11.5.1953 daß Goethe, wenn auch nicht gerade Mitglied einer bibliophilen Gesellschaft, so doch in seiner Grundhaltung gegenüber allen Buchfragen ein echter Bibliophile gewesen sei; N D 10. 9. 1964 wird gegenwärtig eine bibliophile Ausgabe von Ernst Barlachs Drama „Der arme Vetter" mit dem dafür vom Autor geschaffenen Zyklus von 36 Zeichnungen vorbereitet; Welt 5. 3. 1969 daß sie . . den allzu bibliophilen Namen SZ-Bibliothek . . geändert haben in SZS-Bücher und SZS-Bilder; Zeit 29. 3. 1985 Die bibliophile Aufmachung (numerierte und handsignierte Teilausgabe mit Original-Offsetlithographien); MM 30. 3. 1988 Bei diesen Spitzenwerken der Buchkunst . . geht dem bibliophilen Besucher das Herz auf; Süddtsch. Ztg. 15. 12. 1992 eine hübsche Weihnachtsüberraschung . . ist die bibliophil gestaltete Edition der „Geschichte des Schlosses zu Berlin". Bibliophilie: Preller 1848 Aufs. 528 Im Verlaufe der neueren Litteratur hat sich dieselbe Thorheit besonders in England .. ordentlich zu einem Systeme ausgebildet, in welcher Gestalt sie sich gerne Bibliophilie nennen läßt und sich mit einer Art von wissenschaftlichem Charakter zu umgeben weiss; Ladewig 1914 Katechismus 8 Bibliophilie gehört in das Museum oder als Ressort in die Archiv- und Quellenbücherei, ist aber nicht Aufgabe der Bücherei als solcher; Diederichs 1927 Leben 49 Die Söhne von reichen Eltern waren ein Stand geworden. Ihren Höhepunkt nach dieser Seite hin erreichte die „Bibliophilie" in der Inflationszeit; Bogeng 1931 Einführung in die Bibliophilie (Titel); 1932 Zs. f. Bücherfreunde 219 war die Bibliophilie fast ausnahmslos eine Art Sport für wenige; Hauser 1935 Judentum 294 vom erotischen Roman bis zur erotischen Bibliophilie; 1937 Erlebnisse 167 Bibliophilie. HK

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Bibliothek F. (-; -en), Anfang 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. lat. bibliotheca (< griech. 3 'Buchbehälter, Büchersaal, -Sammlung', aus 'Buch' und 3 'Behälter'; —» Bibel, —> Apotheke, —» Theke), bis ins frühe 18. Jh. auch in lat. (flekt.) Form bzw. in den Schreibvarianten Bibliotheck, Bibliothec, selten in der frz. Schreibweise Bibliotheque. In der allgemeinen Bed. 'Büchersammlung', im 16. Jh. häufig in Verbindung mit älteren gleichbed. Liberei, Librarei (vgl. mhd. liberie) (s. Belege 1511, 1531, 1548, 1558, 1590), bezogen auf den Bücherbesitz von Privatpersonen, Klöstern (s. Beleg 1649) und Universitäten (s. Beleg 1558), dann auch von Schulen (s. Beleg 1709) bzw. von Städten (s. Beleg 1723), in Zss. wie Schul-, Universitäts-, Kirchen-, Stadt-, Haus-, Privatbibliothek, bes. seit Mitte 19. Jh. nach diesem Muster als Grundwort produktiv, z. B. zur Bezeichnung des Standorts oder der Zielgruppe, vgl. Bürger-, Schiffs-, Vereins-, Gefängnis- und Strafanstalts-, Arbeiter-, Volks-, Pfarr-, Lehrer-, Schüler-, Werkbibliothek, zur Unterscheidung von einer großen bzw. fest installierten Büchersammlung seit Mitte 18. Jh. die Zss. Hand-, Reisebibliothek; in der lat. Form in Verbindung mit Personennamen zur Kennzeichnung z. B. von Herkunft, Würde, Umfang, vgl. Bibliotheca Bodmeriana/Palatina/Mundi. Mit der Ausbreitung des Bildungswesens im 18. Jh. auch als Institutionenbezeichnung verwendet in der Bed. 'systematisch angelegte und verwaltete Büchersammlung zur allgemeinen Benutzung', vgl. die Zss. Lese- und Privatbibliothek, Ggs. öffentliche Bibliothek, Leihbibliothek, zur Kennzeichnung des Bestands in der festen Verbindung wissenschaftliche Bibliothek, zur Bezeichnung der Fachrichtung einer Spezialsammlung medizinische, juristische Bibliothek; als Bestimmungswort in Zss. wie Bibliothekswissenschaft, -künde, -wesen, -geschiente, -schule, -Verzeichnis, -katalog, -aufseher, -gesetze, -groschen; aber Bibliothekenordnung; als Fortentwicklung der Hofbibliotheken des 17. und 18. Jhs. und mit der Ausbreitung des Publikationswesens seit frühem 19. Jh. die Zss. Landes-, Reichs-, National-, Staatsbibliothek, seit 1946 Deutsche Bibliothek 'zentrale Archivbibliothek mit Sitz in Frankfurt/M. zur Registrierung und Aufbewahrung des deutschsprachigen gedruckten Schrifttums'; in Redewendungen und festen Verbindungen wie ein Buch in der Bibliothek suchen, finden, aus der Bibliothek holen, in die Bibliothek einstellen; eine Bibliothek anlegen, einrichten; Bestand einer Bibliothek; eine wertvolle, große, stattliche, kleine Bibliothek; hyperbolisierend in Wendungen wie mit Schriften über etwas/jmdn. lassen sich (ganze) Bibliotheken füllen, über etwas/jmdn. sind schon (ganze) Bibliotheken geschrieben worden zur Bezeichnung einer großen Anzahl (s. Belege 1743, 1769, 1985, 1988); in neuerer Zeit gelegentlich auch als Kollektiv gebraucht (s. Belege 1959, 1969, 1986, 1988). Seit Mitte 16. Jh. auch speziell im Sinn von 'Aufbewahrungsort einer Büchersammlung' auf einen Raum (s. Belege 1548, 1615, 1696, 1889, 1929, 1931, 1986) oder ein Gebäude (s. Belege 1788, 1800, 1879, 1986) bezogen, gelegentlich auch für 'Bücherschrank, -regal' (s. Belege 1924, 1957), vgl. die Wendungen in/auf der Bibliothek arbeiten und Zss. wie Bibliotheksschrank, -gebäude, -saal, -zimmer, -bau. Seit frühem 18. Jh. übertragen verwendet als Buch-, Zeitschriften- oder Reihentitel (s. Belege 1700, 1704, 1708, 1774, 1805, 1827, 1883, 1924, 1987), vgl. Fliegende Bibliothek, Allgemeine Deutsche Bibliothek 'Literaturzeitschrift der Aufklärung, 1765 von Friedrich Nicolai gegründet, bis 1806 erschienen', Altdeutsche Textbibliothek, Bibliothek zur historischen deutschen Studenten- und Schülersprache, die An-

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dere Bibliothek und Zss. wie Reise-, Frauenzimmer-, Kunst-, Handlungs-, Taschenbibliothek, auch allgemeiner, z. B. zur Bezeichnung einer für eine Zielgruppe, einen Zweck u. ä. zusammengestellten Sammlung von Texten, vgl. Campes Kinderbibliothek, Reise-, Jugend-, Nachdruck-, Unterhaltungs-, Groschenbibliothek. Selten auch auf Personen bezogen im Sinn von 'Mensch mit umfangreichem Wissen' (s. Belege 1657, 1692). Dazu ebenfalls seit Anfang 16. Jh. die aus gleichbed. lat. bibliothecarius übernommene Personenbezeichnung Bibliothekar M. (-s; -e), auch Bibliothekarin F. (-; -nen), bis ins frühe 19. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form, als Berufsbezeichnung verwendet in der Bed. 'Verwalter einer Bibliothek, der ihren Bestand ordnet, erhält und ggf. ergänzt', zur Kennzeichnung des Rangs und der Art der Tätigkeit wissenschaftlicher Bibliothekar, Ober-, Stadt-, Hof-, Universitäts-, Landes-, Staatsbibliothekar. Seit Ende 17. Jh. die veraltete subst. Ableitung Bibliothekariat N. (-(e)s; -e) 'Amt, Stelle des Bibliothekars, Ausübung bibliothekarischer Tätigkeiten'. Seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung bibliothekarisch (ohne Steigerung) 'auf die Bibliothek bezogen, das Buch-, Bibliothekswesen betreffend, auf den Beruf des Bibliothekars bezogen'. Bibliothek: Reuchlin 1511 Augenspiegel J3b ist zu verwundernn das sich Pfefferkorn nit empferwet noch scheinet/ so er wol gedencken mag für die wyl myn bibliotheca vnnd libery vor kainem gelertten man beschlossen ist; Paracelsus 1528 S. W. l 6,346 ich hette mich versehen, es were mer geschikklikeit gewesen in euerer bibliothek, dan das ir am lezten die bauren zu zeugnus nemmen; Hedio 1531 Josephus Vorr. lllb Vnnd wiewol in Teutschen landen, souil mir zu wissen ist, vnnd ich von ändern erfarnen der Bibliothecen vnd Libraryen erfragt hab; Canon 1532 Chronica 139a der hat die Römische Rechtbücher jnn Bibliotheken gefunden vnnd widder an das Hecht bracht; 1544 (Urkunden Tübingen 242) Zu vfrichtung ewer bibliotekh megen wir leiden, das ir die buecher dartzu alhie geordnet hinweg fuern, zu euch bringen vnd die liberey vfrichten thuen; Rivius 1548 Vitruv. 25b Weiter gibt solchs den baw auch ein natürliche zier/ wo man die Schreibstuben/ Bibliotheken/ vn alle gemach so villiechts erforderen/ dermassen ordnet/ das sie jren tag vnd Hecht von Orient oder Auffgang der Sonnen empfahen; ebd. 208a Bibliothecae sind die Libreyen da man die bücher haltet/ wie dan in den Klöstern vn in den Vniuersiteten der brauch ist; 1558 Heidelb. Statuten 34 nit eins ieden vermögen, ein eigene bibliotheckh oder librari für sich selber zu zeugen; ebd. Von der universitet bibliotheckhen oder librarien; Ernstinger 1579— 1610 Raisbuch 11 Mehr ist in disem schloss zu sehen die bibliotheca von mancherlay schönen büechern in allerlay sprachen; ebd. 46 ain . . schönes gebey, . . darinnen die bibliotheca di S. Marco; Rasch 1590 Neu Kalender E2a in der alten großen Libreyen oder bibliothec; Hainhofer 1610 Corr. 8 Herr Philip Fugger hat neben ainer überauss stattlichen bibliothec auch sehr vil schöner mahlerei

auff ain hauffen; ders. 1615 Corr. 273 oben die Kunstkamer: in der Mitte die Bibliothec, vnd vnden die rust-Kammer; Prätorius 1619 Syntagma mus. II 5b Man findet in etlichen Bibliothecken ein Buch; Opitz 1624 Poeterey 203 der grösseste lohn ist/ den die Poeten zue gewarten haben; das sie . . inn königlichen vnnd fürstlichen Zimmern platz finden/ . ./ in die bibliothecken einverleibet/ öffentlich verkauftet . . werden; 1630 Comödie v. Fortinato (Tieck, Dtsch. Theater II 17) habe ich vnsern S. Vätern Bibliothec gar durchgesuchet, vnd ein Buch gefunden, worin er alle seine Reisen die Zeit seines Lebens eingeschrieben; Winckelntann 1649 Bedencken 91 eine sehr statliche ja Fürstliche Bibliothec; Schupp 1657 Freund in d. Not 60 eine lebendige Bibliothec; Peschwitz 1663 Parnass 67 Bibliotheke Das Zeughaus aller Künste/ Hoher Seelen Sacristey; Suter 1665 Lustgärtlein 9 deswegen er dann vill Bücher kauffte und eine schöne Bibliothec zusammen brachte; Leibniz 1668—76 Briefw. l 36 er möchte gleich bald dieses bald jenes buch, entweder einzeln, oder gewißer facultäten, materien, bibliotheken, örther und officinen, Bücher zusammen genommen, excerpiren; Abr. a S. Clara 1686 Judas i 280 Der ein Sauffer auff der Seyten hat/ von dem wird er auch lehrnen den Feuchtium auß der Bibliothec zu hellen; Thomaiius 1688 Monats-Gespräche 232 und im übrigen die Buchführer/ so ihre Bibliothec verlegen wolten/ die berühmtesten in Europa wären; 1692 Novellen 166 Jacob Thomasius, so mit Warheit eine Bibliotheca viva et ambulans . . war; Goldmann 1696 Civil Bau-Kunst 111 Den Bücher-Kammern oder Bibliotheken; 1700 Monatl. Auszug Apr. 154 fliegende Bibliothec; 1704 Auserlesene Anm. Vorr. 2b indem sie in ihren Journalen/ Unterredungen/ Auszügen/ Bibliotheken/ Remarquen/ . . die neuesten/

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raresten und besten Bücher in allen Wissenschafften gleichsam in nuce repraesentiret; 1708 (Ettlinger 1891 Hof man von Hoffmanswaldau 25) Schlesiens fliegende Bibliothek (Titel); 1709 Neue Bibliothek I 12 Schul-Bibliothec; 1715 (Kirchner Grundlagen II 196) Bibliotheca historica; 1718 ebd. II 157 Bibliotheca academica; 1718-20 Vermischte Bibliothek oder Zulängliche Nachrichten .. von allerhand . . neuen Büchern (Titel); Marperger um 1720 Reisen 11 eh er die Feder an seine Erd-Beschreibung gesetzet, wie er solches selbst in der Vorrede seiner Bibliothec von sich bezeuget; Ritter 1723 Fl. Illyricus 48 Stadt-Bibliothec; Haller 1723—27 Tagebücher 33 ist kein Ort denen Buchhändlern so günstig [wie Leyden], wo alles Bibliothequen haben will; Zedler 1733 Universallex. IV 1838 Die Bibliotheken werden sonderlich in öffentliche und private Bibliotheken eingetheilt; Philippi 1743 Witz u. Geschmack 250 Der reiche Vorrath an geschriebenen und gedruckten Büchern hat große Herren, Universitäten, Collegia, Ministros und ansehnliche Gelehrte veranlasset, ganze Bibliotheken zu sammlen; 1748 Vergnügte Abendstunden I 116 eine Bibliothecam casuisticam . . herauszugeben; Lessing 1750 Br. l 23 Ich habe mit diesem alten Manne nie länger etwas wollen zu thun haben, als bis ich mir seine große Bibliothek recht bekannt gemacht hätte; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 11 Das beste Mittel, den Untergang der Bücher, die der Erhaltung würdig sind, zu verhindern, sind die öffentlichen Bibliotheken; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 71) Sie erinnern sich doch, daß vor einigen Jahren in dem unterirdischen Herkulano eine kleine Bibliothek gefunden ward?; 7763 Satyr. Bibliothek IV 883 Stadtbibliothek; Michaelis 1766 Satyren (W. I 112) Gedanken, Possen, Trost, Empfindung, Magazine,/ Sammlung, Bibliothek, Einfalle, kom'sche Bühne [Aufzählung von Modetiteln]; Sonnenfels 1768 Br. 20 Ich habe seine griechische Schaubühne nicht mit unter meiner Reisebibliothek; Basedow 1768 Vorstellung 29 Schulbibliothek; Geliert 1769 S. Sehr. V 90 eine ganze Bibliothek moralischer Schriften; Gatterer 1771 Einl. in d. Universalhistorie l 1,58 Bibliothekverzeichnissen; Lavater 1774 Verm. Sehr, l 143 Er ordnete, daß seine Bibliothek unter seine Freunde und einige Studierende ausgetheilt werden sollte; ebd. I 166 Die Verfasser der allgemeinen deutschen Bibliothek sind auch von dem brennenden Eifer der Hamburger angefallen worden; Heinse 1774 Br. (IX 226) Frauenzimmerbibliothek (Zeitschriftentitel); Westenrieder 1774-80 Reden 22 in den .. ästhetischen Gebäuden und Kunstbibliotheken; Schubart 1775 Dtsch. Chronik 219 Stadtbibliothek; Christ 1776 Lit. u. Kunstwerke 352 Man duldet die verbotenen Bücher nur in öffentlichen Bibliotheken; Basedow

1777 Philalethie I Vorr. VII In die Handbibliothek . . gehört ein Buch von der Art; Schlözer 1779 Briefw. histor. Inh. IV 116 der hiesige Kaufmann . . ist gerade das, was gewönlich ein Bibliothekar von einer Leih-Bibliothek ist; Schubart 1780 Originalien 160 Klosterbibliotheken; 1781 Buchhandlung d. Gelehrten 51 in ihren Bibliotheken, Magazinen, Journalen . . und wie ferner ihre gelehrten Schriften heissen; Zapf 1783 Literar. Reise IV 15 Erst im vorigen Jahr wurde sie [die Bibliothek in Regensburg] mit einer medicinischen Bibliothek vermehrt; Riesbeck 1783 Br. I 540 Lesebibliotheken; Hauntinger 1784 Reisetagebuch 18 Bibliothek-Katalog; 1785 Handlungsbibliothek (Zeitschriftentitel); Moritz 1785 Reiser 403 Der Mann ging ins Holz, und verwies Reisern auf seine Bibliothek, daß er sich während der Zeit damit unterhalten sollte; 1786 Journal v. u. f. Deutschland I 405 Universitätsbibliotheken; ebd. II 504 Bibliothekaufseher; Archenholz 1786 Italien II 237 daß .. das aufgeklärteste Volk der Erde keine Leihbibliotheken hat . . dürfte billig befremden; Matthisson 1787 Schweiz (II 186) Bibliothekschränken; ebd. 11 187 Privatbibliotheken; Vulpius 1788 Glossar 16 Bibliothek, eine gelehrte Rüstkammer, in welcher man Waffen zur Schau aufstellt, welche mit dem Gebrauche ihren Glanz verlieren, und wovon die mehresten dastehen, um von der Nachwelt angegafft zu werden; 1788 Journal v. u. f. Deutschland U 508 Bibliotheksgeschichte; Pütter 1788 Versuch II 213 Bibliotheks-Gebäude; Gotter 1795 Schauspiele 251 in der blauen Wunderbibliothek zu lesen; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA I 23,65) Hier in dem Wandschrank . . steht meine ganze Bibliothek; es sind eher Bücher, die ich nicht wegwerfe, als die ich aufhebe; Herder 1796 Br. (S. W. XVIII 205) Leihbibliotheken der großen Gesindstube des Deutschen Witzes und Unraths; Denis 1796 Einl. II 391 Die Verzeichnisse der Bibliotheken sind entweder Manuscripten- oder Bücherkataloge; Laukhard 1798 Schiida I 204 Romane und Komödien, wovon damals die Lesebibliotheken in Schiida voll waren; 1799 Neues Hannöv. Magazin 441 Bibliotheksinstitute; Delbrück 1800 Tagebuchblätter I 33 Geschichten aus Campes Kinder-Bibliothek; Goethe 1800 Br. (WA IV 18,82) alle Kräfte auf eine schöne Facade, von der Hauptwachtecke bis zur Bibliothek wenden; Niemeyer 1801 Pädagogik 62 Sie haben pädagogische Archive, Magazine, Bibliotheken, Schriften . . angelegt; ebd. 64 der erste Anfang einer Jugendbibliothek; 1802 Eunomia II 288 Man nennt gewöhnlich die Leihbibliotheken: Lesebibliotheken; ohne Zweifel aus blosser Satyre gegen die Privatbibliotheken, die gewöhnlich keine Lesebibliotheken sind; Seume 1803 Spaziergang (W. I 506) Auf der Nationalbibliothek herrscht eine musterhafte Ord-

Bibliothek nung; Fichte 1805 Unwersitätsplan (VIII 268) alle Recensiranstalten, Bibliotheken, Literaturzeitungen, und wie sie Namen haben müssen; 1807 Miscellen f. d. neueste Weltkunde l 75 Bürgerbibliothek; 1810 Almanack a. Rom l 41 ihre Kirche, die vielleicht auf den Ruinen seiner Bibliothek oder seiner Antikengallerie stehen mag; ebd. I 171 Zu den vorzüglichsten dieser Museen in Rom gehören gegenwärtig: die Gallerie des Museum Pio-Chiaromontanum nebst der Bibliothek im Vatican; Goethe 1818 Br. (WA IV 29,159) Das Schicksal indem es mir die Anordnung der akademischen Bibliothek überweis scheint sich wegen des faustischen Monologs und jener frevelhaften Geringschätzung alles Wissens rächen zu wollen; Ersch/Gruber 1818 ff. Allg. Enc. X 68 Theile der Bibliothekwissenschaft, . . die Einrichtungs- und .. die Verwaltungskunde; Soden 1821 National-Ökonomie VIII 215 soll, kann er in die Residenz reisen, in der Residenz wohnen, um die Staatsbibliothek zu benutzen?; Goethe 1823 Br. (WA IV 37,54) kurz vor der Reise nach Marienbad, wohin Ihr treffliches Werk als Bibliothek mich begleiten wird; Wit v. Dörring 1827 Fragmente II 4 dem gemischten Publico der Leihbibliotheken zu gefallen; Jack 1827 TaschenBibliothek der wichtigsten und interessantesten See- und Landreisen (Titel); Görres 1827 (Zentner, München 55) nahe bei der Pinakothek, Glyptothek, Bibliothek und allen Theken; Huber 1828 Spanien 6 ich hoffe, er möge nicht mit der Fluth unserer gewöhnlichen Leihbibliotheksromane vermengt werden und in ihr untergehen; 1833 Jahrb. d. Gesch. I 346 Bibliothekswissenschaft; Heine 1835 Romant. Schule 132 die Hoffmannschen Romane . . mußten sie vier Stunden weit aus der Deuerlichschen Lesebibliothek zu Göttingen holen lassen; Preusker 1839 Bibl. I l Stadt-, Bürger-, Gemeindebibliothek; ebd. l 7 Leihbibliotheken; ebd. I 12 Schul-Bibliotheken; ebd. I 28 Bibliothekwesen; ders. 1840 Bibl. // 3 Anm. Wohl wird es manchem bedenklich erscheinen, die Benennung „Bibliotheken" selbst in Hinsicht so kleiner, geringzähliger Büchersammlungen für Dörfer, Schulen etc. gebraucht zu sehen; ebd. II 20 Landes-Bibliotheken; ebd. II 79 Gefängniss- und Strafanstaltsbibliotheken; ebd. U 86 Wander-Bibliotheken; ebd. II 150 Haus- oder Handbibliotheken; 1851 Antiquar. Br. 196 unsere zu gründenden Volksbibliotheken; Keller 1854 Br. an Vieweg 110 Leihbibliothekschwarte; ders. 1855 Br. an Vieweg 127 eine von [Burkhaus] herausgegebene Reisebibliothek; Hoffmann v. Fallersleben 1859 Findlinge I 397 [Lavaters] Gedankenbibliothek; Müller 1859 Stadtschultheiss 3 Bibliothekzimmer; Raabe 1864 Hungerpastor 226 unseres Herrgotts Regimentsbibliothek; 1865 Germania X 506 über englische Bibliotheken fällt Lassberg 1819 kein gutes Urteil;

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Strauss 1872 Glaube 309 Seine [Goethes] Werke bilden für sich allein eine Bibliothek, so reichhaltig, so voll der gesündesten kräftigsten Nahrung für den Geist; Faucher 1877 Culturbilder 399 Reichsbibliothek; Gutzkow 1878 Schwulst 62 Leihbibliothekenkataloge; Mommsen 1879 Reden u. Aufs. 227 Bibliotheksbau; Hillebrand 1882 Zeitgenossen 359 Leihbibliothekwesen; Schmidt 1883 Dtsch. Literaturdenkmale XIII 89 eine gute Portion ausführlicher und kurzer Recensionen, so wie sie die Bibliotheken, Journale und Zeitungen bescheren; Walloth 1886 Seelenrätsel 89 in der Hausbibliothek des Försters; Wiehert 1889 Grafenkind 229 In seinem Arbeits- und Bibliothekzimmer sei er ja doch wie in einer ändern Welt; Baumbach 1895 Jugendzeit 251 Groschenbibliothek der deutschen Klassiker; Nörrenberg 1896 Volksbibliothek 5 Fachbibliotheken für Gelehrte; ebd. 21 um . . 1850 . . in England und Amerika die ersten Bibliotheksgesetze erlassen; 1900 Dtsch. Revue I 5 Frage der Errichtung einer Reichsbibliothek in Anregung zu bringen; Meyer-Förster 1902 Alt-H. 58 Bibliothek von Liqueur-Pullen; Wilde 1908 De profundis (Übers.) 113 Gedankenleihbibliothek; Richter 1909 Kunsterz. Gedanken 116 Hamburgische Liebhaberbibliothek; Wassermann 1910 Masken 104 Erwin und Ulrich setzten sich in der Bibliothek einander gegenüber, rauchten und tranken aus kleinen goldnen Tassen Mokka; Harnack 1916 Aus d. Friedensarbeit 41 bibliotheca sacra; Benjamin 1920 Br. I 240 Meine Bibliothek lagert nun ganz verpackt, an zwei verschiedenen Orten, in Kisten; Th. Mann 1920 Reden u. Aufs. (W. X 584) die Sammlung Pandora und die Bibliotheca Mundi, die . . die Meisterwerke der Weltliteratur . . vereinigen . . sollen; Harnack 1921 Reden u. Aufs. (N. F. IV 222) Man stelle also das Thema „Bibliothekswissenschaften" im Sinne der Nationalökonomik des Geistes; Th. Mann 1923 Reden u. Aufs. (W. X 874) Ich bin kein Bücherwurm, aber der Anblick einer Bibliothek kann mich zuweilen erschüttern; Werfet 1924 Verdi 47 Die dunkle breite Zimmerwand war von der Bibliothek ausgefüllt, deren Kompagnien zerrüttet und strapaziert aneinanderlehnten. Eine Leiter stand vor den Regalen; 1924 Festschr. Kippenberg 159 Bibliothek der Romane [Reihentitel]; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. III 771) Eine Dame mit zwei Zwickern auf der Nase blätterte an der Bibliothek sitzend in einem illustrierten Bande; 1925-26 Hefte f. Büchereiwesen X 278 Arbeiterbibliothekswesen; 1929 Zentralbl. f. Bibliothekswesen XLVI 236 Bildungsbibliotheken; Colerus 1929 Kaufherr 354 Es wurde in der Bibliothek serviert; Döblin 1929 Alexanderplatz 117 Jedoch spielt sich das alles sehr entfernt ab zwischen Sikkam und Bhutan in Indien, es ist für Berlin eine ziemlich unfruchtbare Bibliothekweisheit; Hintz

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Bibliothek

1931 Gisela 125 Dann verschwindet sie in der Bibliothek, um den Besucher anzumelden; LokalAnz. 21. 6. 1933 daß die Angeklagten in ein Bibliotheksbuch auf dem Polizeipräsidium geschrieben haben; Brecht 1933-38 Gedichte (Ges. W. IX 704) Und Angst ist es/ Die sie ganze Bibliotheken verbrennen läßt; Th. Mann 1939 Lotte (W. H 594) die . . Anstalten für Kunst und Wissenschaft, will sagen die Bibliotheken, die Zeichenschulen, den Botanischen Garten, die Sternwarte und die naturwissenschaftlichen Cabinette; Münch. N. N. 24. 10. 1944 die Liberei .. war . . das älteste selbständige Bibliotheksgebäude Deutschlands; Klemperer 1947 LTI 15 wo ist meine Bibliothek geblieben, in der ich nachsehen könnte? Ob es Zweck hätte, sich bei der Gestapo nach ihrem Verbleib zu erkundigen?; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 525) In seiner Gesellschaft . . verbrachte Adrian . . zwölf Tage in einer Häuslichkeit von vornehmer Pracht, . . als Nutznießer einer fünfsprachigen Bibliothek; Welt 28.9.1949 Wertvolle Bibliothek aus Privathand, 729 Bände, Leder und Leinen, sofort zu verkaufen (Anzeige); Süddtsch. Ztg. 24. 8.1951 In Kiefersfelden . . entstand eine Hörbibliothek für Blinde; ebd. 15. 9. 1954 tritt dieser Tage eine Internationale Jugendbibliothek in das sechste Jahr; Th. Mann 1957 Nachtr. (W. XIII 24) Er trat an die Bibliothek, nahm ein Buch heraus und schlug es auf; Welt 2. 1. 1959 Da Toulouse-Lautrec seine Karriere als Plakatmaler begann, hat die Nationalbibliothek eine Auswahl aus dem graphischen Werk des Künstlers beigesteuert; ebd. 12. 8. 1969 Die Autoren wollen . . gewerkschaftliches Verhandlungsrecht erhalten, um mit Verlegern und Bibliotheken ihre Rechte kollektiv aushandeln zu können; FAZ 17.3. 1971 Verlängerung der Schutzfrist für den sogenannten Bibliotheksgroschen; Welt 8. 8.1974 Diese Buchspenden . . wurden bisher an sechs israelischen Hochschulen und an die „Jüdische National- und Universitätsbibliothek" in Jerusalem verteilt; Zeit 11. 1. 1985 Ganze Bibliotheken sozialwissenschaftlichen Wissens werden . . übersehen; ebd. 21. 6. 1985 eine mächtige Bücherwand signalisiert jedem Besucher, daß in diesem Hause die Bildung wohnt — weshalb ganz vornehme Menschen auch nicht von ihren Büchern reden, sondern von ihrer Bibliothek; MM 26. 11. 1985 er kann . . eine elektronische Bibliothek befragen; Zeit 24. 1. 1986 Tugend und Klugheit sucht Montaigne . . in der runden Bibliothek im Turm seines Landsitzes; ebd. 31.1. 1986 der Bibliothek mit ihrer irritierenden Fassade; MM 5. 7. 1986 die weltberühmte Palanna-Bibliothek, die als „Mutter aller deutschen Bibliotheken" gilt; ebd. 14. 8. 1986 So müssen die großen Bibliotheken alle Möglichkeiten der Konservierung wie auch der Übertragung zugleich verfolgen; Zeit 24. 10. 1986 die von der

Deutschen Bibliothek in Frankfurt herausgegebene Bibliographie; MM 8. 4. 1987 Wenn die Heidelberger . . ihre Bibliotheca Palatina feiern können; Zeit 10. 4. 1987 Diesem Mißstand abzuhelfen, kann die Publikation der „anderen Bibliothek" dienen; Stern 14.5.1987 Vor der Bibliothek wächst eine abstrakte Plastik aus dem Boden, die von Kunstbanausen bekritzelt worden ist; MM 19. 2. 1988 eine Ausstellung, die von der Königlichen Bibliothek Kopenhagen übernommen worden ist; ebd. 22. 2. 1988 Thomas Mann, über dessen Schopenhauer-Rezeption Bibliotheken verfaßt worden sind; Frankf. Rundsch. 23. 2. 1990 der Bibliotheksdirektor der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der DDR für klassische deutsche Literatur; Strauß 1991 Schlußchor 73 Schon als Zwanzigjährige hat sie sich tagelang in die Bibliothek ihres Vaters eingeschlossen; Zeit 16. 6. 1995 In der vor siebenhundert Jahren für ein Kloster erbauten Paulinerkirche, die seit langem schon als Bibliotheksgebäude genutzt wird . . stand 1801 auch der Weimarer Bibliotheksdirektor Goethe; ebd. Hat eine öffentliche Bibliothek in der Demokratie nicht auch eine politische Verpflichtung? Die Bibliotheksgesellschaft Hannover wehrt sich gegen die Auszehrung der Bibliotheken zu „bloßen Buchverleihanstalten". Bibliothekar: Reuchlin 1510 Ratschlag XIV v Dann die Juden sind unsere . . bibliotheracij, die sollich bücher behalten, darauß wir unßers glaubens zeugnbus mögen stellen; v. Watt um 1530 (Dtsch. hist. Sehr, l 180) ein besorger der liberei, den man bibliothecarium, das ist libereimeister genent hat; 1536 (Urkunden Tübingen 197) Bibliothekar; 1564 (Urkundensamml. Univ. Marburg 87) Also auch kan er selben . . eynen zum Ephoro, den ändern zum Bibliothecario machen; Ernstinger 1579-1610 Kaisbuch 140 dem nation ebenster haisst procurator, . ., dessen zuegebne sein dise officier: ain assessor, quaestor, bibliothecarius und 12 seniores genent; 1580 Heidelb. Statuten 172 bibliothecarius; Fischart 1582 Geschichtklitterung 441 vnnd zu eingang hielt der abcontrafeit Bibliothecarius Ptolomaeus inn eim langen Zedel folgende Verß geschriben; Spangenberg 1591 AdelsSpiegel I 369a bibliothecarius, von Griechen Bibliophilax, dem die Librarey befohlen war; 1591 (Mitt. G. Erz'gesch. X 65) Es soll auch der Rector dem Bibliothecario aufferlegenn, das er keinem Professor! meher dann Vier buecher auff einmahl, unnd lenger nichtt, denn acht tage gegen einer Recognition volgenn, unndt dorauff achtung gebenn lasse, das die Buecher reine gehalttenn, unndt von niemandt etwas dorein signirt oder geschriebenn werde; 1597 Kammerordn. (Hofordn. II 227) Sonst seyen Sy vor niemandt.. red und antwort zu geben

Bibliothek schuldig. Also ist es auch mit den Bibliothecarijs, Antiquarijs, Verwalter der Khunstkhamer und Schazgewelb; 1624 Ged. dtsch. Poeten 23 Caspar Kirchner Rath vnd Bibliothecarius; Winckelmann 1649 Bedencken 90 zum Bibliothecario gesetzet; 1653 (Hoffmann v. Fallersleben 1859 Findlinge I 17) Bibliothecario; Leibniz 1668-76 Briefw. I 18 dem . . Kayserl. Mayt. rath und Bibliothecarius; Weise 1673 Erznarren 28 da brachte nun Gelanor etliche Fragen auf die Bahn, welche dem grossen Bibliothecario zu schaffen machten; 1701 Monatl. Auszug Jan. 87 Bibliothecarius; 1713 (Kirchner, Grundlagen II 185) Der unpartheyische Bibliothecarius; Uffenbach 1728 Tagebuch 29 Oberbibliothecarii; ebd. Unterbibliothecarii; Key ssler 1729 Reisen (Ausg. 1776) I 194 Bibliothecarius; 1739 Hamb. Berichte 261 Stadtbibliothecarius; Reichard 1747 Historic 191 Die Briefe, welche er an den ehemaligen Bibliothecarium zu Wolfenbüttel . . geschrieben; 1749 Vergnügte Abendstunden 391 Unterbibliothekarius; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 64 Bibliothekarius; Zobel 1771 (Er. Gelehrter an Klotz U 78) die allgemeinen deutschen Bibliothekare; 1774 Leipz. Almanack d. dtsch. Musen 87 Auf einen unwissenden Bibliothekar; Christ 1776 Lit. u. Kunstwerke 357 Bibliothekar; Lessing 1778 Anti-Goeze (S. Sehr. XIII 177) Aber nie habe ich diese meine Schwachheit, — wodurch ich . . zum Bibliothekar gebohren, oder zum Bibliothekar von der Natur verwahrloset bin, — . . denken können, ohne meine individuelle Lage glücklich zu preisen. Ich bin sehr glücklich, daß ich hier Bibliothekar bin . . das ich dieses Herrn Bibliothekar bin, und keines ändern; Semler 1781 Lebensbeschr. l 90 Unterbibliothecarius; Zapf 1783 Literar. Reisen IV 15 Herr Rothhammer .. ist als Bibliothekar angestellt; 1784 Journal v. u. f. Deutschland II425 Hofbibliothekar; 1755 ebd. l 55 von dem UniversitätsBibliothekario; Erdt 1786 Anl. f. Bibliothekare 69 Bibliothekar und Unterbibliothekare; Bürger 1786 Münchhausen II 182 in Italien ist, trotz der Ehrenrettung des Herrn Bibliothekar Jagemann in Weimar, Armut und Bettelei . . groß; Nicola: 1790 Anekdoten H. IV 13 da der König eine Bibliothek baue, so brauche er einen Bibliothekar; Mattkisson 1794 Besuche (111 196) Leihbibliothekar; Wölfling 1795 Reise l 208 Umgange mit solch griesgramigen Bücherwürmern, Bibliothekare genannt; 1798 Annalen d. dtsch. Univ. 30 Universitäts-Bibliothekar; Seume 1803 Spaziergang (W. I 176) Der Bibliothekar, Rat Unger, der um Literatur und Aufklärung viel Verdienste und gegen Fremde große Gefälligkeit hat; Goethe 1809 Br. (WA IV 21,22) Durch den Bibliothekarius habe ich dir schon drey Fischchen . . geschickt; ders. 1811 Br. (WA IV 22,5) Es ist ein . . durch die Erfahrung bewährter Satz, daß Verwahren und Benutzen zweyerley Dinge sind.

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Ein thätiger Gelehrter ist kein guter Bibliothekar .. da Bibliothekare und Subalternen aufs Erhalten angewiesen und verpflichtet sind; Sartori 1812 Reise l 39 Bibliothekar; Gutzkow 1838 Blasedow I 4 Leihbibliothekar; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre I 155 Dieser freundliche Mann, der häufig auf der neu errichteten Bibliothek arbeitete, war ihm gleich bei der Frage nach dem ersten Buch behilflich, und sein Betragen munterte die Bibliothekare zu derselben Gefälligkeit auf; 1852 Prutz' Museum II 769 das gutgerüstete Bibliothekargedächtnis; 1853 ebd. II 559 Leichen-Bibliothekar; Bachtold 1870 (Kl. Sehr. 11) Der Bibliothekar ist. . ein dreschender Ochse, dem das Maul verbunden ist; 1890 Unsere Zeit l 477 bis er . . an der Kaiserlichen Oeffentlichen Bibliothek . . seine dauernde Stellung fand, in dieser aber nicht zum Oberbibliothekar . . aufstieg; Raabe 1891-93 S. W. III 3,486 daß . . ein jüngerer Gelehrter . . die Bücher an ihrem Orte liegen ließ, aber eine der Bibliothekarinnen mit sich nahm; Nörrenberg 1896 Volksbibliothek 17 Das Allerwichtigste für eine jede Bibliothek ist der Bibliothekar. Was zu einem tüchtigen Bibliothekar gehört, und daß viel dazu gehört, das ist den meisten Menschen unbekannt . . eine Bibliothek verwalten, das will jeder können; ebd. 18 Landes-Bibliothekare; Poppenberg 1913 Rokoko 46 aus der Feder des Bibliothekars Uriot; Dombrowsky 1920 System II 42 das ist doch nur meine Uniform als Königlich Bayrischer Hof- und Staatsbibliothekar; 1925 Geschichtswiss. I 258 Nichts als Bibliothekare; 1929 Hefte f. Büchereiwesen XIII 475 Volksbibliothekar; Lokal-Anz. 6. 7. 1933 Der Bibliothekarinnenberuf leidet zur Zeit unter Ueberfüllung; ebd. 7.4.1934 Tagung der deutschen Volksbibliothekare; Th. Mann 1939 Nachtr. (W. XIII 434) man frage unsere Bibliothekare, ob die Nachfrage nach Büchern unter den Triumphen von Film und Radio geringer geworden ist; Seghers 1949 Die Toten bleiben jung 268 Die kleine Bibliothekarin allein kannte ihre Leselust; Kesten 1952 Casanova 9 auf dem Schloß Dux, wo er ab seinem sechzigsten Jahr der Bibliothekar des böhmischen Grafen Waldstein war; ND11.9. 1959 die Verbindung zwischen Leser, Schriftsteller, Buchhändler und Bibliothekar weiter zu festigen; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 112 Ein Bibliothekar scheidet die Menschen in Leser und Nichtleser; Welt 7. 2. 1969 wie es die Lehrer als Zumutung empfänden, wenn man gescheiterte Verwaltungsleute, Bibliothekare, Juristen usw. in Schulen abschöbe; Böll 1971 Gruppenbild 218 die streng geäußerte und gezeigte Mißbilligung einer ältlichen Bibliothekarin; Frankenpost 11.9.1973 wurde Pater Leonhard . . Schneider, bisher Missionsprokurator und Bibliothekar in St. Jakob, . . zum Superior . . berufen; Schädlich 1977 Nähe 168 Im Gedächtnis

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Biennale

bleibt ihm, daß eine Schrift des königlichen Bibliothekars angezeigt war über die merkwürdigsten Bauten der Stadt; Zeit 8.11.1985 Gerhard Stebner . . lebt als wissenschaftlicher Bibliothekar in Saarbrücken; MM 5. 7. 1986 Bibliothekar und Archivar der Römischen Kirche; Zeit 20. 9. 1986 sein Brief wird länger und länger und der Anlaß, die Bibliothekarin, tritt vollends in den Hintergrund; MM 11.6.1988 Prorektoren und .. Professoren hasteten ihm entgegen, um die Kiste feierlich an den Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek zu übergeben; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 54 Wustmann . . (der allerdings Leipziger Stadtbibliothekar war); Zeit 16. 6. 1995 Wenn erst das . . Informationssystem mit dem lateinischen Namen „Subito" . . seine Dienste anbietet, was soll da noch der Bibliothekar? Bibliothekariat: Spener 1696 (Beitr. z. Gesch. A. H. franck.es 352) Daher wünsche sovielmehr, das der junge Hr. Struve zu der verhoffenden bibliothecariatsstelle gelangen . . möchte; 1711 Neue Bibliothek IV 359 Bibliothecariat; Uffenbach 1728 Tagebuch 32 Bibliothecariatsstelle; 1738 Hatnb. Berichte 287 welcher in dem Bibliothekariat sein Nachfolger seyn mögte; Hatnann 1762 Briefw. H 177 Wegen des Bibliothecariats haben Sie auch HE. Schlegel geschrieben; ders. 1780 Briefw. IV 257 Lenz . . hat Hofnung zu einem Bibliothekariat ich glaube beym Großfürsten; Zapf 1783 Literat. Reisen IV 15 Belletristik . . steht mit der Literatur und dem Bibliothekariat in keinem Verhältniß; Leisewitz 1787 Tagebücher U 175 um mir durch das Vorwort der regierenden Herzoginn das Bibliothecariat in Hannover zu verschaffen; Grimm 1813 (Er. d. Br. Grimm an Savigny 149) Bekommt der Wilhelm noch 200, oder 150 mit jenem kleinen Bibliothecariat, so läßt sichs schon durchschlagen; ders. 1838 Unbekannte Br. 223 Ich zweifle nicht daß man auch beabsichtige Ihnen bald ein Bibliothecariat zu übertragen; Strauss 1846 Br. zw. Strauss u. Vischer I 172 Mit dem Bibliothekariat scheints keine Gefahr zu haben; Ave-Lallemant 1870 Mechulle-Leut l 2 Der rasche geniale Arbeiter . . wird erst recht verdorben, wenn eine liebe weib-

liche Hand . . auch noch freiwillig das Bibliothekariat mit übernommen hat. bibliothekarisch: Lessing 1770 S. Sehr. XIX 421 Ehe ich schließe, muß ich mir noch zur neuen bibliothekarischen Collegenschaft Glück wünschen; 1772 Frankf. gel. Anz. 122 Bibliothekarischen Zeiten; Fichte 1801 Nicolais Leben (S. W. VIII 19) Zweifel an der Gründlichkeit der bibliothekarischen Aufklärung; Jean Paul 1801 S. W. / «,407 Die Kurrentphilosophie hat das Gute, daß sie die Aufklärungs- die Volks- .. die allgemeine deutsche bibliothekarische Philosophie ist; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,310) mein hiesiger Aufenthalt nötigt mich in die bibliothekarische Gelahrtheit; Jean Paul 1818 S.W.I 6,319 Ich .. ruhe nun in Vaduz bei einem studierenden bibliothekarischen Grafen aus; Ersch/Gruber 1818 ff. Allg. Enc. X 69 Bibliothekwissenschaft ist .. der Inbegriff aller zur bibliothekarischen Geschäftsführung erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten; Goethe 1823 Über Kunst u. Alterthum (WA l 41.2,27) Den näheren ausführlichem Inhalt jenes bibliothekarisch-archivarischen Verzeichnisses lege ich . . vor; ders. 1827 Br. (WA IV 42,223) werden Sie . . Ihre bibliothekarischen Schätze gewiß mit Vergnügen vorweisen; ders. 1829 Tagebücher (WA III 12,11) Später Professor Riemer, mit welchem manches Bibliothekarisches und Litterarisches durchgesprochen wurde; Grillparzer um 1850 S. W. XIX 58 Von bibliothekarischen Systemalarbeiten war gar nicht die Rede; Curtius 1859 Alterthum u. Gegenwart 261 dem bibliothekarischen Eifer der Pisistratiden verdanken wir ja unsern Homer und Hesiod; Grillparzer 1868 Br. u. Tagebücher l 285 Außer einem neuen Band von Lope de Verga überlasse ich das übrige Ihrer Freundschaft und Ihrer bibliothekarischen Einsicht; Mohl 1874 Lebenserinn. 335 abgesehen von einer bedeutenden, zu meinem bibliothekarischen Schmerze schlecht in Ordnung gehalteten Bibliothek; 1970 Presse- u. Informationsamt o. S. Aufstellung einer bibliothekarischen Regionalplanung; MM 21.11.1985 Wir haben nur noch bibliothekarischen Wert; Zeit 3. 10. 1986 Die gewiß nicht zufällige, fast gar demonstrativ wirkende bibliothekarische Konstellation. HK

Biennale F. (-; -n), im frühen 20. Jh. entlehnt aus ital. biennale 'alle zwei Jahre (stattfindendes Fest)' (< lat. biennalis 'zweijährig', zu biennium 'Zeitraum von zwei Jahren', gebildet aus bi- 'zwei, doppel-', —» bi-, und annus 'Jahr'; —» anno, —* Annalen). In der Bed. '(meist) alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung, repräsentative Schau oder Vorführung bes. der bildenden Kunst und des Films mit dem Ziel, eine möglichst breite Übersicht über das jeweils aktuelle Kulturschaffen zu geben' (Schau-

Bigamie

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platze der bekanntesten Biennalen sind Venedig (Film, moderne Kunst), AntwerpenMiddelheim (moderne Plastik) und Sao Paulo (moderne Kunst)), häufig in Wendungen wie eine Biennale veranstalten, eröffnen, auf einer Biennale ausstellen, zu sehen sein, gelegentlich als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Film-, Kunst-, Musikbiennale, auch Frauen-, Dichterbiennale und Biennalepreis. Dazu seit frühem 18. Jh. das bis heute gebuchte Subst. Biennium N. (-s; Biennien) in der Bed. 'Zeitraum von zwei Jahren'; seit früherem 19. Jh. (gebucht 1838 bei Heyse) das Adj. biennal (< lat. biennalis, s. o.) in der Bed. 'zwei Jahre dauernd; alle zwei Jahre wiederkehrend, stattfindend'. In neuerer Zeit in Anlehnung an Biennale gebildetes Berlinale F. (-; -n) als Bezeichnung für ein seit 1950 in Berlin stattfindendes internationales Filmfestival. Biennale: Sacerdote 1925 Italien 73 Biennale, . . zweijährliche Kunstausstellung . . die internationalen Kunstausstellungen in Venedig und Rom, die von den größten Künstlern aller Herren Länder beschickt werden; Lokal-Anz. 25.4.1934 Am 12. Mai wird in Venedig die diesjährige Biennale eröffnet .. In der Ehrenhalle des Italienischen Pavillons werden Gemälde, Zeichnungen und Plastiken des 19. Jahrhunderts gezeigt; Manch. N. N. 14. 9. 1940 Pokal der Biennale für den deutschen Film „Der Postmeister"; Neue Ztg. 24. 11. 1950 Filmbiennale in Venedig; Süddtsch Zig. 21.6.1952 Denn dies war die ursprüngliche Idee, wie der Name Biennale sagt, jeweils die Produktion der letzten zwei Jahre aus den verschiedenen Ländern . . zusammenzufassen; ebd. 24. 7. 1952 Biennale der Dichtung; 1952 Neue Ztg. (Anfang Sept.) „Frauenbiennale" in Südtirol. . Vom 6. bis 30. September findet in Bozen eine internationale Ausstellung von Werken europäischer Malerinnen der Gegenwart statt; Süddtsch. Zig. 16. 9. 1952 Die internationale Dichter-Biennale wurde in der belgischen Stadt Knokke eröffnet; ebd. 9. 6. 1954 31 Nationen, die höchste bisher erreichte Anzahl, stellen auf der 27. Kunstbiennale von Venedig . . aus; Akkermann 1954 Mode 129 die Biennale, ein Filmwettkampf von 15 Nationen; FAZ 13. 7. 1959 Dreißig junge deutsche Künstler . . werden sich an der diesjährigen internationalen Biennale junger Künstler in Paris beteiligen; Süddtsch. Ztg. 5.4.1960 XXX. Kunstbiennale von Venedig; Stuttgarter Ztg. 19.5. 1961 Die überwiegend aus Kollegen bestehende Jury der vierten Ulmer „Biennale" wählte aus hundert Künstlern vierundfünfzig aus; FAZ 17. 8. 1971 Die Biennale war 1893 entstanden und hatte im Jahre 1930 jenes Statut erhalten, das zur Zielscheibe der Angriffe geworden

war; ebd. Musik-Biennale; Zeit 5. 4. 1985 Biennalen hat es seit ihrer Gründung durch Andre Malraux schon zwölf gegeben; MM 31. 12. 1985 was Darmstadt vor fast zwanzig Jahren als Biennale ohne Dauerwert versuchte, das scheint sich in Nürnberg im Dreijahreszyklus zu etablieren; Süddtsch. Ztg. 6. 8. 1987 Otto Dressler, Künstler und Verfremder, hat den Biennalepreis der Ostseebiennale 1987 erhalten, die noch bis zum 20. September in der Kunsthalle in Rostock stattfindet; Stern 17. 9. 1987 wer sich auf der „documenta" in Kassel oder der „Biennale" in Venedig einen Namen gemacht hat und hierzulande die renommierten Museen schmückt, wird schnell teuer; Spiegel 9. 5. 1994 Anders als das Berliner Renommierhaus hat die bayerische Biennale, dieses von Hans Werner Henze inspirierte Musiklabor, den Beweis erbracht: Tagespolitik und Tonkunst vertragen sich. Berlinale: 1971 Student. Filmclub o. S. vier schwedische Filme, die auf der letzten Berlinale gespielt wurden; Zeit 1. 2. 1985 Godards Marienfilm . . wird auf der Berlinale laufen; MM 28. 2. 19S5 nie zuvor waren auf der Berlinale mehr Filme gezeigt worden; Zeit 28. 2. 1986 es schien sich auf der Berlinale ein Trend abzuzeichnen: zum dokumentarischen Film und zur Auseinandersetzung mit Politik und Geschichte; MM 4. 3. 1987 der Cineast aus Genf [Godard], dessen Karriere auf einer Berlinale begann; FAZ 17. 11. 1989 „Corning out" soll nun auf der Berlinale im nächsten Februar laufen; Rhein. Merkur 23. l. 1990 Berlin 1990, das Filmfestival der Superlative und Jubiläen: 40 Jahre Berlinale, 20 Jahre Internationales Forum des Jungen Films; Spiegel 15. 2. 1993 Im offiziellen BerlinaleProgramm allerdings ist die Goodwillaktion nicht verzeichnet. OV

Bigamie F. (-; selten -n), im späten 15. Jh. entlehnt aus mlat. bigamia 'Doppelehe; Zweitehe (nach dem Tod eines Ehepartners)' (zu kirchenlat. bigamus 'doppelt verheiratet', durch Präfixaustausch von griech. - 'zwei-' gegen gleichbed. lat. bi- (—»

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Bigamie

bi-) entstanden aus älterem kirchenlat. digamus, digamia < gleichbed. griech. $, , zu 'Hochzeit, Ehe'), anfangs in der mlat. Form und in der Form Bigami, seit dem 18. Jh. (wohl unter Einfluß von gleichbed. frz. bigamie) in heutiger Form. In der Bed. '(gesetzwidrige, mit Strafe bedrohte) Doppelehe' (Ggs. —»· Monogamie, —» Polygamie), häufig in der Wendung in Bigamie leben, im 20. Jh. selten auch übertragen gebraucht (s. Beleg 1949). Seit Anfang 19. Jh. (CAMPE) die adj. Ableitung bigamisch 'die Bigamie betreffend, in Bigamie lebend', gleichbed. mit im 20. Jh. gebuchtem bigamistisch. Seit früherem 19. Jh. die (1838 bei Heyse) gebuchte Personenbezeichnung Bigamist M. (-en; -en) (vgl. gleichbed. älteres engl. bigamist), auch Bigamistin F. (-; -nen) in der Bed. 'jmd., der eine zweite Ehe eingeht, obwohl die erste gesetzlich noch besteht', gleichbed. mit seit dem 15. Jh. selten bezeugtem Bigamus, dem Subst. zu kirchenlat. bigamus (s. o.). Bigamie: Melber 1481 Voc. o. S. Bigamia . . so einer zwo frawen hat; 525 Wegsprech gen Regenspurg (Schade, Satiren u. Pasquille III 189) Das verwundert mich nit minder, daß auch die veter (wie du sagst) die bigarni so groß geachtet haben; Stieler 1695 Auditeur 331 Zweyweibigkeit oder bigamia; Archenholz 1787 England II 85 Die Herzogin von Kingston befand sich in Rom, als sie 1776 wegen der Bigamie angeklagt wurde; 1791 Thalia III 9,44 Der Fall der Bigamie schien ziemlich erwiesen, der Baron kam in engen Verhaft; Rebmann 1795 Ludwig 333 Auf der ändern Seite mußte ich heimlich lachen, daß Se. Exzellenz mich zur Bigamie verleiten wollten; Heynatz 1796 Antibarbarus l 304 Doppelehe schlägt Campe für Bigamie vor. Bigamie selbst heißt bekanntlich besser Digamie; Lichtenberg 1798-99 Aphorismen V 121 In England wird ein Mann der Bigamie wegen angeklagt, und von seinem Advokaten dadurch gerettet, daß er bewies, sein Client habe drey Weiber; Steffens 1843 Was ich erlebte VIII 381 suchte er doch in seinem Roman Woldemar eine Art, ohne allen Zweifel höchst unschuldiger, Bigamie als annehmlich und von hoher geistiger Bedeutung darzustellen; Gutzkow 1860 Zauberer VI 212 Von der schweren Sünde der Bigamie, scheint es, will die römische Curie die Herzogin von Amarillas freisprechen; Lindau 1877 Blätter I 49 Urkundenfälschung und Bigamie; Böhm 1909 Menschen u. Moden 138 Die schöne Elisabeth Chudleigh, . . durch ihren famosen Bigamieprozeß so bekannt geworden; Voss. Ztg. 13. 7. 1929 Bigamie hört sich verrucht an. Aber diese Sünde ist reizlos; Gebauer 1932 Kulturgesch. 397 schlimmer wurden die Zustände noch unter seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm II., der sich niedrigen Liebschaften ergab und sogar in Bigamie lebte; NZ. (Basel) 17. 3. 1949 Darum wird er gewählt, ob er nun ein Radikaler ist, der die „politische Bigamie" nicht mitmacht, d. h. nicht

außerdem auch de Gaulles Bewegung angeschlossen ist; Dingolfinger Anz. 7. 9. 1956 Wegen Bigamie wird [er] sich . . vor Gericht zu verantworten haben; Stuttgarter Ztg. 8. 4. 1960 Wegen Bigamie und Urkundenfälschung hat der . . Oberstaatsanwalt . . Anklage erhoben; Bildztg. 22. 4. 1967 er hatte inzwischen eine neun Jahre jüngere Frau geheiratet. Wegen Bigamie wurde er . . zu acht Monaten Gefängnis verurteilt; Offenburger Tagebl. 18.4.1969 Mindeststrafe für Bigamie; MM 6.6.1986 Bigamie [bei Vögeln] ist nur für die Männchen schön. Weib und Kinder leiden darunter. bigamisch: Sohm 1875 Eheschliessung 132 das chronische Leiden der eherechtlichen Zustände . . der zweiten Hälfte des Mittelalters: die claudestina matrimonia und das mit denselben zusammenhängende häufige Vorkommen bigamischer Verhältnisse; Heusler 1908 Br. 46 Der Auftritt, wie der bigamische Eskimoschamane Sie aufsucht . . das begegnet nicht alle Tage; Berolzheimer 1914 Moral 301 die bigamische Natur vieler Männer; Bayer. Gerichtsztg. 27. 8. 1950 Der bigamische Heinrich (Überschr.). Bigamist/in: 1890 Freie Bühne I 1108 Ein solcher, dem Untergang verfallener Mensch ist in dem vorliegenden Drama Katharina Weller, die unselige Bigamistin; Eichmann 1920 Strafrecht Cod. Jur. Canonici 112 Infamia facti ist der tatsächlich schlechte Leumund, den jemand in den Augen von anständigen und ernst zu nehmenden Gläubigen wegen eines begangenen Deliktes oder schlechter Sitten (.. Apostaten, Bigamisten, Ehebrecher ..) genießt; Dublin 1928 Vertreibung 19 Meine Mutter hat ihn einen Bigamisten genannt; 1946 Weltbühne I 115 Einst hatte Ossietzky ironisch gefragt: „Wann

bigott wird die deutsche Justiz politisch Mißliebige mit Bigamisten und Defraudanten zusammenketten?"; Winterstein 1947 Leben U 299 Einen ganz besonderen Erfolg hatten die Höflich und ich in der Szene, als der Brief von Fedja kommt und Lisa erfährt, daß er noch lebt, daß sie also Bigamistin ist; Süddtsch. Ztg. 19.3.1949 wenn das Buch aber doch von ihm wäre, dann sei das meiste erlogen, weil er ein . . Lügner, Feigling, .. Trunkenbold und Bigamist sei; Kurier (Berlin) 10. 5. 1950 Kindesräuberin und Bigamistin (Überschr.); Dingolfinger Anz. 7. 9. 1956 Unverheirateter Bigamist (Überschr.) Schon geschieden, doch Anklage; Stuttgarter Ztg. 12. 3. 1959 Bigamist vor dem Richter (Überschr.); Süddtsch. Ztg. 19.1.1962 Bigamistenleid (Überschr.); Welt 10. 3. 1964 die zweite Frau . . verübte Selbstmord, als sie erfuhr, daß sie einem Bigami-

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sten zum Opfer gefallen war; MM 6. 6. 1986 Vaterschaftsuntersuchungen haben bei ihnen [Vögeln] gezeigt, daß der Bigamist voller Lust nach neuen Abenteuern seine Erstfrau schon verläßt, wenn diese noch empfänglich ist; Pieske 1989 Traumfrau 159 Bitte sehr, ists so recht, mein kleiner Bigamist? sagt sie. Bigamus: 1414 (Urkundenb. Hildesheim 111 272) ok sint we berichtet, dat he eyn bigamus sey; Weber 1734 Enc. I 169 Bigamus . . so viel als Digamus, der zwey Weiber hat. 2) der zum andernmal heurathet; Lipowsky 1803 Kriminalrecht 77 Strafe der Vielweiberei. Ein Bigamus wurde in einem Sak ertränket; Oertel 1831 Fremdwb. 140 Bigamus, zweiweibig, der zwei Weiber hat. OV

bigott Adj., Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bigot (< altfrz. bigot, zunächst zur abwertenden Charakterisierung der Normannen verwendet, weitere Herkunft ungeklärt, doch eventuell herzuleiten aus einer der nhd. Fügung bei Gott entsprechenden german. Schwurformel (vgl. in oberdtsch. Mundarten die Beteuerung bigott 'wahrhaftig, fürwahr'), oder aus span, (hombre de) bigote '(ernster Mann mit) Knebelbart', das übertragen 'Mann mit Charakter' bedeutet und ebenfalls auf eine Schwurformel zurückgeht; vgl. älteres ital. bigotto, engl. bigot), vom späten 18. bis ins frühere 20. Jh. selten in der Nebenform bigottisch. Abwertend gebraucht in der Bed. 'blindgläubig, übertrieben glaubenseifrig, engherzig fromm' (s. Belege 1709, 1751), häufig in Wendungen wie ein bigotter Sektierer, eine bigotte Jungfer, ein bigottes Land, bigotte Erziehung, in bigotte Frömmigkeit verfallen; auch 'scheinheilig, Frömmigkeit zur Schau tragend' (s. Belege 1992, 1994), z. B. ein bigotter Heuchler, sich bigott ereifern, entrüsten. Dazu schon seit späterem 17. Jh. die veraltete Personenbezeichnung Bigot(t) M./ Bigot(t)e F. 'Frömmler(in), Scheinheilige(r), Betbruder bzw. -Schwester'. Etwa gleichzeitig die aus gleichbed. frz. bigoterie entlehnte subst. Ableitung Bigotterie F. (-; ohne PL) in der Bed. 'abgöttische, engherzige Frömmigkeit, scheinheiliges Wesen, Frömmelei', (mit Pl. -n) auch abwertend für 'bigotte Handlungsweise, Äußerung'. Seit Ende 18. Jh. die subst. Ableitung Bigottismus M. (-; ohne Pl.) als Bezeichnung für den Hang zur Frömmelei. bigott: Elis. Charl. 1709 Br. II 71 Hir aber kan man nicht sagen, daß zu nichts nicht nutzt, bigot zu sein, den es ist die große mode undt wer nicht auff den schlag sein kan, hatt nichts zu hoffen; Haller 1732 Tagebücher 80 War bey Hrn. Alberti . . Ein bigot doux Männgen; Lessing 1751 S. Sehr. IV 367 diejenigen Väter, welche durchaus nicht wollen, daß ihre Kinder, wie sie sich auszudrücken belieben, bigott erzogen werden sollen; 1755 Richardsons Grandison V 459 bigotte Frau, ich bin keine Heiligenfresserin; Schummel 1771 Reisen // 70 Lest

nun getrost weiter, meine unbigotten Herren Leser!; Schiller 1781 Räuber (H. l 420) Mir ist bang für die Stadt. Er hat schon lang eine Pique auf sie, weil sie so schändlich bigott ist; Timme 1785 Luftbaumeister l 470 ein bigotter Mönch; Leon 1786 Br. an Reinhold (Wiener Freunde 62) bey einer damals noch sehr eingeschränkten und erzbigotten Censur; Schubart 1789 Vaterlandschronik 554 Wer predigt doch den bigotten Kölnern einmal Verträglichkeit; Laukhard 1792 Leben l 135 Die Geistlichkeit .. ist so bigot, dass man wohl schwerlich in

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bigott

der Welt ein bigotteres Grob antreffen wird; Seume 1793-1811 KL Sehr. (W. II 310) Das Militär zeigte hier durch seine mutige Bereitwilligkeit, die wohltätigen Maßregeln der Regierung zu unterstützen, was Ordnung und Pflicht und vernünftige Aufklärung gegen wilden, enthusiastischen, bigotten Taumel der Menge vermag; Laukhard 1794 Feldzug l 96 Die Einwohner von Trier selbst sind, wie die übrigen Trierländer, grob und ungeschliffen, dabey bigott und intolerant im höchsten Grade; Hess 1798 Durchflüge d. Deutschland V 30 Folgen einer bigotten Erziehung; Holtet 1825 Berliner (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele V 163) und schneiden bigotte Gesichter; Goethe 1831 Br. (WA IV 48,223) Das leidige Marterholz, das Widerwärtigste unter der Sonne, sollte kein vernünftiger Mensch ausgraben und aufzupflanzen bemüht seyn. Das war ein Geschäft für eine bigotte Kaiserin Mutter; Bechstein 1836 Reisetage l 182 er war ein bigotter Pfaffe; Boretius 1857 Br. 94 Wie dies nicht selten der Fall ist, ist nun Leo nach solchen Antecedentien aufrichtig bigott geworden und streitet mit demselben Zornmuth, wie früher für jene Richtungen, jetzt gegen dieselben; Gregorovius 1858 Wanderjahre II 86 in so bigotter Weise; Hartmann 1866 Erlebnisse 169 Die Prinzessin Solms,.. früher eine gepriesene Schönheit, jetzt bigott katholisch; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 105) Louis war bigott und träge, ein Weibsmann; der s. 1924 Zauberberg (W. Ill 895) während über ihren Köpfen bigotte und grausame Priester im Tempel ihren Kult feierten; ders. 1939 Lotte (W. U 554) oft ist gegen diese geniale und höchstverfeinerte Ehebruchsdichtung von philisterlicher Seite der Vorwurf der Unmoral erhoben worden, und Sache eines classischen Gefühls war es selbstverständlich, ihn als plump und bigott zurückzuweisen oder auch nur die Achseln darüber zu zucken; Kesten 1952 Casanova 31 Dr. Gozzi war bigott, sagt Casanova; Grass 1962 Blechtrommel 476 naschhaft, aufrichtig und bigott; Bildztg. 13. 7. 1967 sie sind dabei, überholte Moralbegriffe und bigotte „Aufklärung" mit revolutionierenden Maßnahmen hinwegzufegen; Zeit 27. 12. 1985 beide sind fromme Christen, dabei jedoch überhaupt nicht bigott; MM 30. 5. 1988 insgesamt aber . . hat das Kind Mozart mit der recht bigotten Dichtung des Ignaz Anton Weiser nur wenig anzufangen gewußt; Spiegel 7. 12. 1992 aufgeregt und bigott wie immer debattierte die US-Öffentlichkeit über Vergewaltigungen, über sexuelle Belästigungen und wieviel Schuld eine Frau daran trägt, wenn ihr so etwas passiert; ebd. 4. 7.1994 Effenberg mit seinem Stinkefinger und der DFB mit seinem bigotten Gezeter darüber. Bigott/e: Addison 1672 Westbarbarey II 57 Auch die Bigoten/ welche sich nahe bey solchen Brun-

nen/ aufhalten/ verfügen sich täglich dahin ihre Bigotage, oder Abergläubische Andacht zu verrichten; Gundling 1707 Otia III 205 Wer sich aber einbildet, eine galante Dame könnte keine Bigotte sein; Edelmann 1740 Vom Logos 236 halten sie vor abergläubische Bigotten; ders. 1740 Moses 128 den Layen und ändern Bigotten; Schubart 1788 Br. U 260 der abscheuliche Bigot Zoglio; Laukhard 1797 Leben u. Schicksale IV 1,194 Die Klugen loben und ehren Dich; die Gelehrten und Virtuosen schätzen Deine Verdienste; aber die Pfaffen, die Bigotten; Niebuhr 1800 Br. I 245 die finstern Bigotten; Borne 1808 Ges. Sehr. I 23 daß wenigstens manche Stellen darin [in den Gebetbüchern der Juden] den ungebildeten Sinn der Bigotten und der Kinder zu Mißverständnissen verleiten dürften; Höllischer 1912 Amerika 59 Die anständige Presse der Stadt schreit sich seit Jahr und Tag den Hals wund über diese Schmach, die alte Bigotte aber stellt sich taub, liegt da im Geschäftsviertel und besitzt. Bigotterie: 1670 (Mangold, Notizen 23) dieweil er aus Bigotterie und Scheinheiligkeit unterschiedliche kunstreiche nackte Bilder und Statuen, so über etliche hunderttausend Gulden ästimirt worden, daselbst hat entzwei schlagen lassen; Seckendorff 1685 Christenstaat I 24 der Gottesfurcht, oder, wie sie es nennen, dem Aberglauben, der Pfafferey und der bigotterie; Elis. Chart. 1700 Br. l 191 Wen die devotion nur nicht in bigotterie außschlegt, so ist sie sehr löblich, allein daß rechte mittel ist schwer zu treffen; 1708 Leopold d. Große I 99 wie man in der Andacht selbst einen Exceß begehen kann, welchen die Franzosen bigotterie nennen; Keyssler 1729 Reisen (Ausg. 1776) I 176 Bigoterie; Schummel 1771 Reisen II 57 Ganz gewiß, Bigotterien, die mich um allen Ruhm meines Wizes und Verstandes bringen werden?; Hirschfeld 1776 Br. die Schweiz betr. 59 Man schreibt den Freyburgern [in der Schweiz] eine grosse Bigotterie, und einen abergläubischen Eiffer in Religionssachen zu; Wezel 1781 Sprache 306 Klagt und schreyt nicht noch itzo Bigotterie und fromme Einfalt über Schriftsteller, die nicht so moralische Engbrüstigkeit haben wie manche Herren?; Nicolai 1790 Anekdoten l 59 Es erwachten dadurch . . nicht wenige Leute zuerst aus der stumpfen Bigotterie, worinn damals diese Länder versunken waren; Seume 1793—1811 Kl. Sehr. (W. II 310) Der Tumult der Bigotterie ward unter der ganzen Populace allgemein; Wölfling 1795 Reise l 29 Bigotterie eigennütziger . , Altern; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland / 77 stumpfe Bigotterie; Riem 1799 Reise I 12 Bigotterie der altfranzösischen Geistlichkeit; Fülleborn 1802 Rhetorik 36 Bigotterie, Andächteley; Brun 1806 Episoden I 11 Allein im südlichen Deutschland ist es noch mehr Bigotterie als Schwärmerey; Blücher

Bijou 1815 Br. 306 Durch Bigotterie wird man zu allem verleitet, zumal wenn Weiber sich mit das Apostelhandwerk abgeben; Goethe 1829 Br. (WA IV 46,159) es ist in allen den dahin gehörigen Schriften keine pfäffische Bigotterie zu spüren; Strombeck 1836 Darstellungen III 127 Schreitet denn Bayern wirklich zum Aberglauben und zur Bigotterie zurück? fragt man in Norddeutschland . . den . . Reisenden; Kohl 1844 Brit. Inseln U 461 das Thörichte aller Bigotterie; Szarvady 1852 Paris I 7 Während in ändern Staaten Bigotterie den Einfluß der katholischen Geistlichkeit aufrecht erhielt; Hillebrand 1876 England 285 die meisten französischen Mädchen, die sich nie von ihrer Mutter getrennt, nur mit ihr ausgehen . . aber wie trostlos eng ist ihr Gesichtskreis, welche Bigotterie, welcher Conventionalismus; Nordau 1881 Paris I 259 Andachtsübungen, strenges Katechismusochsen, häufige Messen und fast ebenso häufiges Beichten wirken zusammen, um den Geist des jungen Mädchens mit der abergläubischesten, finstersten Bigotterie zu füllen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 275) sie mokierten sich über Clara's Strenge und Bigotterie; Hammerstein 1916 Februar 63 kommt mir nicht wieder mit der verwünschten Bigotterie; Brey 1924 Kreuzhof 26 spötteln über ihre „engen Ansichten", ihre „kleinbäuerlichen, rückständigen Begriffe" und ihre „Bigotterie"; Friedeil 1928 Kuliurgesch. II 174 Libertinage und Bigotterie seltsam gemischt; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 535) die selbstgerechte Bigotterie des Missionars und Pharisäers; ders. 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 837) so wird bei dem Schädling Nicolo von jung auf eine Doppelneigung zur Wollust und Bigotterie, zur Pfaffenfreundschaft beobachtet; Friese 1971 Nordische Lit. o. S. [er macht] die Bigotterie der Bourgeoisie zur Zielscheibe seines Spotts; Fest 1973 Hitler 32 im Dunkel verworrener, von Not, Dumpfheit und ländlicher Bigotterie geprägter Verhältnisse; Zeit 7.11. 1986 die Mutter hat keine Beziehung zur intelligenten, rebellischen Tochter, die Drill, Bigotterie und leere Konventio-

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nen verachtet; ebd. W. 4. 1987 bürgerliche Wohlanständigkeit entpuppt sich als abgrundtiefe Selbstgerechtigkeit und gründlich indolente Bigotterie; Spiegel 22. 8. 1994 Die bösen Geister der Dummheit, die Dämonen des Aberglaubens, der Bigotterie und des Hexenwahns flattern durch die Gassen. bigottisch: Hamann 1780 S. W. III 269 bigottische Leichtgläubigkeit; Rothammer 1785 Maximilian III. 61 bigotischen Erziehung [des Volkes]; Wessenberg 1804 Briefw. 24 in diesem bigottischen Lande; Dörfler 1934 Notwender 192 Die Schwester Afra liess sie bigottisch, und nichts, nichts konnte die Mutter reden hören als von Käsepreisen und von der Hoff art. Bigottismus: Heinzmann 1795 Pest d. Lit. 55 Nicht durch Bigotißmus und Fanatißmus allein, sondern durch jede imaginäre Neuerung, durch jeden Luxus des Geistes kann ein Volk zerrüttet werden; Görres 1798 Blatt l 71 zernichtete dort der Fanatism zugleich mit der politischen Existenz seiner Gegner auch ihre physische, um seine eigene Reinheit zu bewähren, so schonte hier der Bigottism zwar der letztern, um seine Mäßigung zu beweisen; Heinzmann 1800 Frühst. 192 Auf der einen Seite, der Obern, war gänzlicher Unglaube, auf der ändern, der Niedern, Aberglauben und Bigotismus; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti U 107 Anm. Seine Bewohner, ohne Bildung und in Bigottismus versunken; Wachsmuth 1851 Culturgesch. II 95 Dieser wilden Unbändigkeit gegenüber lagerte weit und breit mit bleiernem Gewicht der Bigotismus auf den Seelen; Dühring 1871 Nationalökonomie 467 Ansichten . ., die dem Bigottismus oder auch nur Mysticismus absichtlich Vorschub leisteten; 1932 Archiv G Medizin XXV 279 [die „Bacchantinnen"] ein Protest . . gegen die orthodoxe Religion und den Bigotismus seiner [Euripides'] Zeit. OV

Bijou N., auch M. (-s; -s, selten auch frz. PI. Bijoux), im späteren 18. Jh. übernommen aus gleichbed. frz. bijou (zurückgehend auf breton. bizou 'Ring mit gefaßtem Stein, Fingerring', zu biz 'Finger'). In der Bed. 'Kleinod, Schmuckstück', häufig übertragen verwendet in bezug auf Sachen und Personen (s. Belege 1830, 1926, 1969, 1984). Dazu bereits seit Mitte 18. Jh. die aus gleichbed. frz. bijouterie (zu bijou, s. o.) übernommene Sammelbezeichnung Bijouterie F. (-; -n), zunächst (ohne PL) in der Bed. 'Schmuckherstellung und -handel, Edelsteinhandel', um 1800 auch 'kostbare Goldschmiedearbeit, Geschmeide, Kostbarkeit', gelegentlich übertragen (s. Belege 1774, 1946); speziell in der Schweiz für 'Schmuckwarengeschäft'; heute eher abwertend für 'Gesamtheit aller (meist serienmäßig hergestellten) Schmuckgegenstände,

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Bijou

(billiger, unechter) Schmuck, Modeschmuck', häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Bijouterie waren c Schmuckwaren', Bijouteriefabrik, -handler; dazu im 20. Jh. die adj. Gelegenheitsableitung bijouteriehaft. Seit Ende 18. Jh. die aus gleichbed. frz. bijoutier übernommene Berufsbezeichnung Bijoutier M. (-s; -s) 'Schmuckwarenhändler, Juwelier'. Bijou: Goethe 1773 Er. (WA IV 2,78) Lottens Granatring will ich behalten ich hab ihr ihn so tausendmal am Finger gesehn und am Finger geküsst er soll unter meinen Bijous liegen biss ich ein Mädgen habe die soll ihn tragen; l 786 Journal d. Moden l 24 Die Gränzen der Bijoux und Nippes sind noch zur Zeit in Frankreich so unbestimmt .. daß man beyde Artikel nicht wohl trennen kann. Alles, was man mit einem Worte Pretiosa nennt, gehört dazu; Christ um 1800 Schauspielerleben 92 ein Ringelchen oder anderes Bijou; Görres 1808 Ges. Sehr. Ill 356 Es wäre daher Bocksblut wohl zu dem Zwecke zu versuchen, man sagt, es erweiche den härtesten Brillant; wir bekämen, geläng es, sehr wohlfeil ein schönes Bijou; Goethe 1808 Tagebücher (WA /// 3,383) Geschichte der Stieftochter des jungen Grafen Moschynski, die ein Packetchen von ihren Ohrringen und anderen kleinen Bijoux machte; Wieland vor 1813 S. W. XLIV 221 Es geht damit, wie mit dem, was in Kleidung, Putz, Bijoux, Hausgeräthe und dergleichen Mode ist (KEHREIN); Rauch 1830 (Briefw. Rauch-Rietschel I 113) Das kleine Enkelchen Eugenie ist ein wahres bijou und assistirt bei The und Frühstück; Kohl 1844 Schottland I 3 Insel Aram, die für den Maler, wie für den Geologen, ein wahres Bijou sein soll; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 176 ein Bijou — ein Schloß in einem uralten Park, Alpenausläufer als Abschluß des Horizonts, großer See, Jagd, kurz alles in allem ein Eldorado; Burckhardt 1885 Br. an Alioth 246 von dem Bau . . haben Sie doch hoffentlich eine kleine Skizze genommen? Das muss ja ein Bijou sein!; Poppenberg 1913 Rokoko 3 auch die Kupferstiche enthüllen bereitwillig Bijoux indiscrets; Kühlmann 1926 Von Freunden 11 Sein Rauchzimmer war nun einmal das Bijou seines Hauses; 1926 Sittengesch. v. Paris 100 ganz zu schweigen von den Fetischisten des „Bijou", des geheimsten und kostbarsten Schmuckstückes der Frau; Friedell 1931 Kulturgesch. Ill 206 In diesen Werken, erlesenen Bijoux einer komplizierten Luxuskunst; Th. Mann 1953 Erz. (W. VIII 937) die Räumlichkeiten dieses Bijous von Schloß; Pörtner 1964 Erben 139 was sonst an Almandinarbeiten, an Fibeln, goldenen Arm- und Ohrringen und anderen Bijous eingebracht wurde; FAZ 1. 3. 1969 in den Hintertaunus, wo Steidles ein kleines Haus („Ein Bijou") gemietet haben; N. Z. Z. 12. 5. 1984 ein „teatrino", ein Bijou von Kleintheater, um das uns viele Städte beneiden werden (DUDEN 1993).

Bijouterie: 1758 Modeztg. l 39 Anfänglich hielte man es vor ein sogenanntes sophistisches Gold, wovon man verschiedene Arten solches zu machen hatte, als es aus Engelland, und nachmahls aus Franckreich bey uns in den kleinen Bijouterien bekannt wurde; Goethe 1774 Br. (WA IV 2,173) Der Trödelkrämer Merkurius fährt fort seine philosophisch moralische poetische Bijouteries, Etoffes, Dentelles pp an Weiber und Kinder zu verhandeln; 1782 Leipz. Intelligenz-Bl. 393b Schlegel, Kaufmann in Bijouterie- und Galanteriewaaren; Merck 1783 Br. 177 Ew. hochfürstliche Durchlaucht werden nächstens eine Schachtel mit den neusten Bijouterie-Waaren erhalten; Jean Paul 1797 S. W. l 7,105 [Alles sah] auf dich und deine Bijouterien und auf die Blitze deiner Ringe . . hin; Schopenhauer 1800 Journal (Gwinner, Seh. 228) auch Galanterie-, Bijouterie- und Modehändler aus Prag und Wien [kommen] hierher; Ehrmann 1806 Frankr. 145 Bijouterie-Arbeiten, das heißt die Kunstarbeiten in Edelsteinen, Gold und Silber; 1815 Fahnenbergs Magazin VI 189 GoldschmiedArbeiten und Bijouterien; Schreiber 1818 Handb. f. Reisende 104 Den Sommer wimmelt es von fremden Kaufleuten, Modehändlerinnen, Bijouteriehändlern .., was zum Theil den angesessenen Kaufleuten sehr nachteilig ist; Poppe 1837 Technolog. Universalhandb. I 35 In Bijouteriefabriken und in den Werkstätten der Gold- und Silberarbeiter wendet man die Amalgation . . an; Werther 1861 Kl. Deutschland II 99 Bijouterieputz; Rodenberg 1863 Strassensängerin // 54 Diese Mütze war nämlich sein Bijouterie-Magazin, während die solideren Dinge für den Haus- und Wirthschaftsbedarf sich in den Abgründen seines Fracks und seiner Beinkleider befanden; Springer 1870 Berl. Prospecte 2 geschmackvolle Bijouterien; Pecht 1876 Glaspalast 17 Bijouterie-Fabrikation; Bittmann 1907 Hausindustrie Baden 37 Die Pforzheimer Bijouterie-Industrie; Janitschek 1919 Mimikry 14 Bijouterieladen; Lokal-Anz. 13. 8. 1933 Pariser Bijouterien sind sehr beliebt; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. X 659) man braucht nur Proust und die psychologischen nouveautes, Überraschungen und Bijouterien, von denen sein [Dostojewskis] Werk wimmelt, zum Vergleich heranzuziehen; Hülsen 1947 Zwillings-Seele II 41 die Verkäufer von Postkarten, unechten Perlenketten und andren zweifelhaften Bijouterien; Welt 18. 9.1954 Kaufhaus . . sucht .. Einkäufer(innen) und Abteilungs-

Bilanz leiter(innen) für die Abteilungen: Haushaltwaren, Spiel waren und Bijouterie (Anzeige); Partner 1964 Erben 56 zwei schwere Spangenfibeln aus Silber, wieder unverkennbare Erzeugnisse einer fränkischen Bijouterie-Werkstatt; Bad. Ztg. 26.2. 1965 bei Ausstellern von Bijouterie, Schmuck, Metallwaren; Welt 15. 2. 1969 Warengruppen: . . Glaswaren, Bijouterie, Schmuck-, Metallwaren; Prodöhl 1977 Tod 7 seine Handelsbeauftragten für die Schwarzmarktgeschäfte . . hatten den Auftrag bekommen, die beiseite gebrachten kaiserlichen Bijouterien diskret an alliierte Offiziere für harte Devisen abzusetzen (DUDEN 1993). bijouteriehaft: Friedeil 1928 Kulturgesch. U 307 Die Frechheit Figaros unterscheidet sich jedoch sehr wesentlich von der Rousseaus, sie gehört noch

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zum Rokoko, ist graziös, bijouteriehaft, aimabel und voll Selbstironie. Bijoutier: Jean Paul 1794 S. W. I 3,154 der Bijoutier setzte überall seinen witzigen Ausleerungen nach und hielt die beiden Ohren unter; 1863 Bilder a. Paris l 51 Allen Modehändlern, Putzmacherinnen, Bijoutiers .. sind daher die kaiserlichen Hofbälle äußerst willkommen; Poschinger 1870 Bundesrat 179 abends kam ein Kurier mit einem Pakket, eine goldene mit Brillanten besetzte Feder enthaltend, welche Pforzheimer Bijoutiers dem Grafen Bismarck zur Unterzeichnung des Friedensvertrages senden; Rose 1884 Revanche 114 die Perlenschnüre des Bijoutiers; N. Z. Z. 26. 10. 1986 Goldschmuck und Silberbestecke .., die sie für knapp 400 Franken an einen Bijoutier und einen Antiquitätenhändler weiterverkauften (DUDEN 1993). OV

Bilanz F. (-; -en), Ende 15. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. bilancio M. (zu bilanciare 'abwägen, prüfen, abschätzen; im Gleichgewicht halten', zu bilancia F. 'Waage', über vulgärlat. "bilancia zurückgehend auf fielet. Form von spätlat. bilanx; —* Balance), im 16.717. Jh. häufig auch M. und N. und in der ital. Form, seit dem 17.718. Jh. wohl unter Einfluß von frz. balance F. 'Waage, Gleichgewicht, Bilanz' zunehmend F., gelegentlich in der Schreibung Bilance und in den Nebenformen Balance, Balanz (—» Balance 2). la Als Terminus der Wirtschaft und der Kaufmannssprache in der Bed. 'Überblick über zwei verschiedene Zahlenreihen, abschließende Auf- und vergleichende Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben, Vermögen und Schulden für ein (abgelaufenes) Geschäftsjahr zum Zweck der Erfolgsermittlung, Kontenabschluß, Rechnungsabschluß (zum Nachweis der Verwendung eines Etats)' (vgl. Aktiva, —» aktiv, Passiva, —* Saldo), in Wendungen wie eine aktive, passive, positive, negative, ausgeglichene, gesunde Bilanz vorlegen, aufstellen; eine Bilanz prüfen, die Bilanz verschleiern, fälschen, frisieren 'die Vermögenslage absichtlich falsch darstellen', häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Handelsbilanz 'Verhältnis des Gesamtwertes der Ausfuhr eines Landes zu dem der Einfuhr', Vermögens-, Zahlungsbilanz 'Verhältnis von Vermögen und Schulden zu einem bestimmten Zeitpunkt', Über-, Unterbilanz 'Bilanz, bei der die Summe des Habens bzw. Solls überwiegt', Bilanzdelikt 'vorsätzlicher, strafbarer Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung', Bilanzsumme 'Summe der Aktiva (Vermögen, Mittelverwendung) und Passiva (Kapital, Mittelherkunft)', Bilanzverschleierung 'unwahre Bilanzdarstellung, so daß eine unrichtige Beurteilung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens veranlaßt wird', Bilanzbuchhalter 'Buchhalter, der für die Aufstellung der Bilanz eines Betriebes zuständig ist', Bilanzprüfer 'öffentlich bestellter Wirtschaftsprüfer zur Prüfung der Jahresabschlüsse', auch in adj. Zss. wie bilanzsicher 'sicher im Aufstellen einer Bilanz', bilanzanalytisch, -kritisch. b Seit frühem 19. Jh. übertragen gebraucht in der Bed. 'Ergebnis, abschließender Überblick (z. B. über Ereignisse)' (—» Fazit), als Grundwort in Zss. wie Lebens-, Zwischenbilanz, häufig in Wendungen wie eine Bilanz, (die) Bilanz aus etwas ziehen,

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Bilanz

ugs. oft Bilanz machen, eine persönliche, stolze, ermutigende, zufriedenstellende, traurige, erschütternde, abschreckende Bilanz, die Bilanz einer Spielzeit, Bilanz politischer Ereignisse, die blutige Bilanz zweier Weltkriege. 2 Im 17.718. Jh. selten in der Bed. 'Gleichgewicht, Ausgewogenheit', z. B. in den Proportionen (s. Beleg um 1790) (—>· Balance 1), auch 'vergleichende Abwägung, Überlegung' (s. Beleg 1793). Dazu seit Anfang 17. Jh. aus ital. bilanciare (s. o.) übernommenes bilanzieren V. intrans. in der Bed. 'in bezug auf Soll und Haben ausgeglichen sein, sich ausgleichen, aufheben', z. B. ein Konto bilanziert 'ist ausgeglichen' (s. Belege 1666, 1718), auch trans, für 'eine Bilanz aufstellen, abschließen, einen Rechnungsabschluß machen', vereinzelt auch in der Präfixbildung ausbilanzieren (s. Belege 1780, 1935) (vgl. balancieren, —+ Balance 2), selten auch 'etwas vergleichend abwägen' (s. Beleg 1798) (zu l a); auch übertragen verwendet im Sinne von 'über etwas eine Bilanz aufstellen, ein Fazit ziehen, sich einen abschließenden Überblick (über etwas Vergangenes, Geschehenes) verschaffen, die Auswirkungen betrachten' (zu Ib). Dazu seit frühem 18. Jh. das Verbalsubst. Bilanzierung F. (-; -en) in der Bed. 'Kontoausgleich, Bilanzaufstellung' (zu la), im 20. Jh. auch übertragen für '(Schluß-)Betrachtung, Aufstellen von Ergebnissen' (zu Ib); gleichzeitig die subst. Gelegenheitsableitungen Bilanzierer M. 'jmd., der Bilanzen erstellt', Bilanziererei F. 'das Aufstellen von Bilanzen' und Bilanziertheit F. sowie das Adj. bilanzierbar 'planbar, vergleichbar' (alle zu la). Bilanz la: Paccioli 1494 Summa de Arithmetica l 9 el bilancio (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Schwartz 1518 Buchhalten 3b Das Schuldtbuech vergleicht sich ainer Wag, das nennen die Walhen Bilantza (KLUGE 1975); i 53 i Gotlieb A4a verzeichnuß . . der Kauffmanshendel . ., so . . gleich als auff ein wilantze oder wag gelegt wirdt; Schweicker 1549 Buchhalten. Vorr. 5h in deinem Bilanzen oder im Beschluß des Hauptbuchs (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); Fischart 1575 Garg. 288 daß der Leib wie ein Kaufmännische Bilantz inn der Wag stund; 1585 Amann, Taf. Dardurch erklärt wird die Bilantz;. . Die Wag sich fein vergleichen thut, Im Bschluß einer Bilanza gut (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Hainhofer 1610 Br. 4 dass er pro raggio di stato den fürsten contra das Haus Oesterreich assistiren werde, umb spagna im aquilibrio un bilanzo zu erhalten; Furttenbach 1630 Architect, mart. 87 Derowegen so wolt das Schuldbuch für euch nemmen/ vnd alle Posten was von jeder Sort obert/ auff ein besondern Bilantz oder Inventarium herauß zeichnen; ders. 1649 Schul-Gebäw 17 in ziehung eines Bilanzen; Overheide 1657 Schreibkunst 223 Bilantz, Vergleichung; Spreng 1662 Wechselpraktik 85 Und ist die Bilanz eine Zusammen-Fügung aller Partiten so wol in credito als in debito, darinn alle tratte und remisse gesetzt werden. Seynd mehr tratte als remisse, so ist ein Mancament, seynd aber mehr remisse als tratte, so ist es ein avanzo, welchen fals

das Bilanz bilanzirt: Seynd aber die tratte und remisse gleich, so bilanzirt das Bilanz, & adaequatum est bilancium; Becher 1668 Discurs 150 bey den Kaufleuten .., deren Vermögen und bilantz man nie wissen kann, es liege dann auf der einen Seite der Wagschal die Todtenbahr; Schurtz 1672 Materialkammer (Anh. c4b) Daß bey Schliessung der Alten und Anfang der Neuen Bücher es allezeit sein verbleiben hat, wie der letzte Billanz besaget, und werden alle Debitores und Creditores nach dem Billanz in die neuen Bücher transport!« — wird auf das Neue, umb der neuen Charta willen, wider ein Billanz gezogen; Abele 1675 Unordnung V 149 keinen man selig rühmen soll, Er schliesse dann sein Bilanz wohl; Dalhover 1687 Gartenbeetlein I 227b darauß macht man die Conto oder Rechnung, bilancien vnd Schluß-Rechnung; Ettner 1697 Doktor 882 ehe einmahl noch die geringste bilance gezogen worden; 1701 Kaufmannsschaft 70 wenn man zumalen die bilance ziehet gegen die Holländischen Stoffe; Amaranthes 1710 Proben 356 Die Rechnung ward gemacht und die Bilance geschlossen; 1718 Abentheuerl. Welt III 27 Der Kauffmann wenn er zieht sein Monatlich Bilantzel; ebd. VII 7 Und nie ist ein Bilanz von ihm zurück geblieben; 1746 Grab (Übers.) 5 einen Billanz machen; Boltz 1752 Amts-Actuarius 324 Hierauf ich dann einen Bilanz, samt einer betitulten Erklärung meines Vermögens .. meinen Gläubigern vorgeleget; Sonnenfels 1771 Polizey II 501 übersteigt die

Bilanz Summe der Ausfuhr, die Summe der eingeführten Waaren, so heißt die Bilanz vortheilhaft; Rabiosus 1778 Reise 69 die Staatsbillanz . . oder die jährliche Tabelle der allgemeinen Staatsausgaben und Staatseinnahmen und des Kassarests. Sie ist bey den Operationen des Kabinets und der Kriegskanzley ohnentbehrlich; Beckmann 1783—86 Erfindungen I 11 man findet hier nicht Gewinn- und Verlustconto, nicht Bilanzconto; Schlettwein 1784 Archiv Vll 30 von den Einkünften der verschiedenen Pfarreyen Bilanzen machen; ebd. Vll 109 Jährliche Revision der Bilanz; Knigge 1792 Büchernachdruck 26 Ist die ordentliche Buchhandlungs-Verlags-Bilanz einem Lande vortheilhaft; 1810 Fahnenbergs Magazin l 52 Bilancen der letzten Jahre; Goethe 1818 Br. (WA IV 29,142) Den Bibliothecks Bericht bringe ich mit. Den Museen Bericht mit Bilance konnte nicht enden . . doch ward alles vorbereitet, die Belege nach der neuen Etatsform von mir selbst geordnet, einsweilige Summen gezogen . . Sobald die Rechnung gefertigt und revidirt ist, können auch wir abschließen; Lotz 1821 Staatswirthschaftslehre l 109 günstige Handelsbilanz; Kohl 1852 Südöstl. Deutschland I 22 ich empfand dabei immer eine Art Antipathie oder Erbitterung gegen die Leipziger und Nürnberger Engros-Händler, die so große „Bilanzen" mit den mühevollen Producten der Gebirgs-Künstler erzielen; Willkomm 1857 Ammer 279 Es ist mein Hauptbuch und enthält die Bilanz des Geschäftes, das wir nun seit Jahr und Tag miteinander geführt haben; Raabe 1879 Zum wilden Mann 97 Meine Hausbücher liegen zu deiner Einsicht bereit; du wirst mit meiner Schwester zufrieden sein, denn sie hat die Bilanz gezogen; Röscher 1899 Handel (System III 235) Über- oder Unterbilanz; Däbritz 1922 Essener Credit-Anstalt 103 Die Risikoverteilung, welche die Bilanzen der Bank Ende der 70er Jahre mit ihren überhohen eignen Mitteln und mit der starken Anspannung des Akzeptkredits zeigten; Baum 1929 Menschen 172 Es besaß kaum halb soviel Aktiven, und die Bilanz zeigte eine reichlich angespannte Lage; Berl. lllustr. Nachtausg. 15. 5. 1933 Den Verhafteten wird Bilanzverschleierung, Untreue, Urkundenfälschung und Unterschlagung vorgeworfen; Lokal-Anz. 31. 10. 1934 Es ist noch keineswegs sicher, daß bis zum Bilanzstichtag der noch vorhandene Verlust von etwa 62000 RM voll abgedeckt werden kann; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 284 Des Kaufmanns Sohn macht sorgsam die Bilanz/ Beim Buchabrechnen. Und die enthält erst ganz,/ Wie klein das Saldo in dem Soll und Haben/ Der Lebenshoffnungen, die all begraben; V. B. 22.1 23. 7. 1944 sorgfältige bilanzkritische Nachprüfung der praktischen Ergebnisse der einzelnen Fabrikationsabteilungen; Süddtsch. Ztg. 24.4.1957 Eine bilanzanalytische Untersuchung des Bankhau-

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ses . . weist.. ein Steigen der Umsätze . . aus; Partner 1964 Erben 11 die Straßen, . . die gepflegten Parks, die Villen der Seidenbarone, die großen Hotels und Kulturinstitute — das alles verrät Reichtum, Weltoffenheit, Selbstbewußtsein und jenen Bürgerstolz, den fette Bilanzen und steigende Umsätze erzeugen; Welt 17. 7. 1969 zur Jahresmitte 1969 habe die Bilanzsumme rund 300 Mill. DM betragen; FAZ 29. 11. 1971 Die jetzige internationale Währungskrise ist in erster Linie eine Folge der amerikanischen Zahlungsbilanzkrise; Welt 27. 9. 1974 die sehr schlechten amerikanischen Handelsbilanzzahlen für den Monat August vermochten den Kurs des Dollars zu beeinflussen; MM 16.1.1985 mit dem wachsenden Defizit der Handelsbilanz müssen auch die Importe von Grundnahrungsmitteln verringert werden; Spiegel 15.2.1993 So führt .. ein Mann die Finanzgeschäfte, der zuvor über Jahre in Berlusconis TVImperium die Bilanzen verantwortete; ebd. 4. 7. 1994 Mit den Handelsbilanzzahlen oder anderen ökonomischen Fakten habe der gegenwärtige Wechselkurs gar nichts zu tun. bilanzierbar: Berl. Ztg. 2. 12. 1966 Erkennt der Betrieb, daß die Aufgaben nicht bilanzierbar sind; Leipz. Volksztg. 13. l. 1990 da . . keine finanziellen Analysen vorliegen und materielle Sicherheiten nicht bilanzierbar sind. bilanzieren: Lerice 1606 Forma d. Buchhaltens l A 4a Bilantziern (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Pisanus 1666 Gesetze u. Ordn. 121 in dem die beleidigung deß einen gegen der ändern bilantziret und aufgewogen wird; Overheide 1668 Schreibkunst 339 diese negoti zu bilanziren; Stieler 1674 Sekr. 167 Conto del tempo, oder Zeitrechnung, welche sich mit den Schulden und Gegenschulden bilanciren und eintreffen muss (beide SCHIRMER, Kaufmannsprache); Rohr 1718 Staatsklugheit 95 Ihre Domainen mit guten Nutzen administriren, die Ausgaben vernünfftig eintheilen und mit den Einnahmen bilanciren; Beckmann 1783—86 Erfindungen I 11 Das Saldiren und Bilanciren hat Gottlieb nicht gelehrt; Goethe 1794 Br. (WA IV 10,133) Was vorzüglich auszuarbeiten ist, ist die Material Tabelle, bilanzirt mit den vorig jährigen Preisen; ders. 1798 Br. (WA IV 13,326) Den fünffachen Buchstaben [F als magisches Pentagramm], ob er mir gleich wohl gefällt, weiß ich noch nicht gegen jenes astrologische Zimmer zu bilanciren; Berg 1935 Wie bilanziert der Kaufmann? (Titel); Süddtsch. Ztg. 13. 9. 1951 Hausväter, die einen Monatsetat von 196,50 Mark virtuos bilanzieren, ergehen sich in den schärfsten Berechnungen; Jaspers 1958 Atombombe 239 Kalkulieren und Bilanzieren läßt sich nicht abschaffen, wenn ein Unternehmen

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Erfolg haben soll; Welt 23. 2. 1959 hingegen bilanzieren die Bergbautochtergesellschaften und die Handelsgesellschaft . . zum 31.; ND 8. 8. 1974 die Forderung, alle Aufgaben arbeitskräftemäßig, materiell und finanziell zu bilanzieren; MM 30. 5.1987 im Jahr 1985 hatte die AG vor Auflösung von Reserven einen Verlust von 2,6 Mio. DM bilanzieren müssen. ausbilanzieren: Berl. Ztg. 18.11. 1989 wie die Staatliche Plankommission mitteilt, ist es zur Zeit noch nicht möglich, den Planentwurf auszubilanzieren. Bilanzierer: Spiegel 24.9.1990 Wasserkopf des alten Kombinats aus Bilanzierern und Projektanten. Bilanziererei.· Wochenpost 29. 12. 1989 die Bilanziererei macht keinen Sinn. Bisher bekamen die Betriebe ihre Vorleistungen, die Produktionsmittel und die Arbeitskräfte in Abstimmung mit dem Produktionsplan zugeteilt. Bilanziertheit: Berl. Ztg. 20. 12. 1966 daß der vorliegende Perspektivplan einen verhältnismäßig hohen Grad von Bilanziertheit erreicht hat. Bilanzierung: Rohr 1718 Staatsklugheit 1013 Denn nicht die Ein- und Ausführung des Geldes, sondern die Bilancirung der Commercien gegen einander verursacht den Reichthum oder Armuth des Landes; Schlettwein 1780 Archiv l 384 weil die jährlichen Summen der beiden lezten Classen nicht anders als durch Bilancirung mehrerer Jahrgänge bestimmt werden können; Goethe 1793 Amtl. Sehr. II 361 Bilancirung Weimarischer, Erfurtischer, Casseler und Chur Sachs Valvationen (GWB); Bismarck 1882 Polit. Reden IX 326 Erhöhung der bestehenden directen Steuern .., falls nicht die weitere Entwicklung der indirecten Reichsbesteuerung weitere Mittel zur Bilancierung ihres Budgets liefern sollte; Schaffte 1886 Ges. Aufs. H 246 Dekkung und Bilanzirung der Dienstbedarfe zu thun; 1923 (Gesch. d. dtsch. Arbeiterbewegung III 657) zur Bilanzierung des Etats, zur Stillegung der Notenpresse und gegen Währungsverfall; Berl. IIlustr. Nachtausg. 15. 1. 1933 Die BilanzierungsSelbsthilfe der Banken (Überschr.); Scherke 1948 Betriebspsychologie 79 Das Finanzbüro . . bearbeitet die Finanzdisposition, die Erfolgsrechnung, die Bilanzierung, die Steuern und die gesamte Vermögensverwaltung; Süddtsch. Ztg. 9. 3. 1951 die hohen Steuern und die dehnbaren Bilanzierungsbestimmungen; 1956 Wiss. Annalen 235 die Bilanzierung der Geldeinnahmen und -ausgaben der Bevöl-

kerung; ND 1. 8. 1959 eine exakte Bilanzierung wird dazu führen, daß solche Objekte nicht ausgeführt werden, die die Kapazität des Bezirks übersteigen; Welt 26. 3. 1964 die neuen Bilanzierungsvorschriften sollen erst für das laufende Jahr angewendet werden; Berl. Ztg. 8. 11. 1966 Von den bilanzierungspflichtigen Organen . . sollte bald die serienmäßige Fertigung solcher Geräte in die Wege geleitet werden; FAZ 15. 12. 1970 Das zeigt, wie wenig die Kalkulation als Grundlage für-die Bilanzierung in einer Zeit taugt, in der zahlreiche Kosten nach oben gehen; Welt 11.9. 1974 weil ihnen das Pensionsrückstellungssystem zu kompliziert oder aus Bilanzierungsgründen ungeeignet erscheint; Kant 1986 Bronzezeit 51 es sei der Bilanzierung wegen wichtig, genaue Preiskenntnisse zu gewinnen; Wochenpost 29. 12. 1989 Rahmenbedingungen von Planung und Bilanzierung; MM 15. 2. 1990 doch werde der Jahresüberschuß wegen der stärkeren Anpassung der Bilanzierung an die internationale Praxis „periodenfremde Erträge in erheblichem Umfang" enthalten. Bilanz Ib: Goethe 1827 Br. (WA IV 42,296) Das Jahr hat, zwar irdisch genug, mit Freud und Leid angefangen, doch überwiegt jene; uns so müssen wir's dankbar erkennen. Gebe das waltende Geschick, daß in der Bilance die Affirmation das Übergewicht behalte; ders. 1830 Br. (WA IV 47,31) Wollte man aber billig seyn und könnte man zuletzt eine Bilance aufstellen, so würde ich doch immer als der Gewinnende erscheinen; Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 277 Wenn ich alles Glück und alles Unglück . . zusammennehme und nach Art eines Krämers die Bilanz ziehe, dann bleibt die Seite des ersteren diejenige, welche überwiegt; Hartmann 1891 Pessimismus 190 dauernde Besserung der Lustbilance; Jodl 1905 (Vom Lebenswege II 691) Lebensbilanz; Frisch 1930 Essays 126 Beginn einer geistig-seelischen Bilanz der Zeit; Lokal-Anz. 8. 1.1933 Das Sendejahr 1932, reich an Erschütterungen und nicht arm an Versuchen, dem deutschen Rundfunk neue Arbeitsmöglichkeiten zu erschließen, ist vollendet und — reif für eine Bilanz; ebd. 11.2. 1933 Die furchtbare Bilanz der Katastrophe im Eisenwerk; ebd. 29.9. 1934 Letzte „Leistungsbilanz" der Schuljugend [Zeugnis]; Weizsäcker 1955 Natur 11 fand ich ihn mit der Bilanz seines Lebens beschäftigt; Süddtsch. Ztg. 19. 9. 1957 In diesen Tagen versammeln sich in Bonn die Vorstände der Parteien, . . um Bilanz zu machen; Partner 1964 Erben 29 Bilanz dieser Entwicklung gezogen; Bildztg. 28. 7. 1967 erschütternde Bilanz der viertägigen Krawalle; Zeit 13. 9. 1985 in München zog Lubar nun eine Zwischenbilanz seiner Bemühungen; ebd. 14. 2. 1986 die Autoren haben eine Erfolgsbilanz vorgelegt;

bilateral Spiegel 15. 2. 1993 Die Bilanz des Autoverkehrs wird noch schlechter, werden Faktoren wie Flächenbeanspruchung, Lärm, Luftverschmutzung und Unfallschäden berücksichtigt. bilanzieren: Wassermann 1910 Masken 171 daß ich mit Sixtus Flügel eine alte Rechnung ausgeglichen und zu meinen Gunsten bilanziert habe; 1972 Deutschunterricht II 129 der Autor . . bilanziert den erreichten theoretischen Stand; Rheinpfalz 7. 7. 1984 „Bis jetzt bin ich eigentlich mit allen Bundesligaspielern gut ausgekommen", bilanziert der 39jährige sein Verhältnis zu den Stars der Liga (beide DUDEN 1993); Zeit 29.3. 1985 seltsame Lese-Erfahrungen mit einem kalt bilanzierenden Notizbuch; MM 6.11. 1987 Heimatliteratur, sofern sie sich nicht bloß als Fremdenverkehrswerbung versteht, kann eigentlich nur noch die Verluste bilanzieren: etwa das Verschwinden der bäuerlichen Welt oder die Naturzerstörung; Wochenpost 26. 9. 1990 das gehört eben zu den so schwierigen Dingen beim Bilanzieren über die DDR. Bilanzierung: Rhein. Merkur 23. 2. 1951 Die senile Selbstmord-Energie ergibt sich . . aus der nüchter-

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nen Bilanzierung der Vor- und Nachteile mit dem Schluß, „daß es sich nicht mehr lohnt . ."; Welt 12. 12. 1974 eine nüchterne, bestürzende Bilanzierung des Drogenproblems in Iran; Zeit 10. 5. 1985 eine Bilanzierung des In- und Outputs von Chemiebetrieben; ebd. 18. 10. 1985 die Berliner Ausstellung — eine additive, auf Thesen verzichtende und eher glanzlose Bilanzierung; ebd. 22. 5. 1987 Gelegenheit zu thesenhafter Bilanzierung der zwischenzeitlich er- und gelebten Epoche; MM 30. 1. 1988 Musils Stück ist ein Bilanzierungsversuch in doppelter Weise. Bilanz 2: Rist 1642 Rettung E3v auff der bilance jhrer hohen Vernunfft (JONES); Londorp 1673 Acta publica X 59 a die Gleichgewichtigkeit und Bilantz in Europa zu halten (BRUNT); Goethe um 1790 Naturwiss. Sehr. (WA // 8,336) und dürfen nur Längen, Breiten und hauptsächlich die Bilance der Theile [untere Kinnlade bei Säugetieren] genau bestimmen; ders. 1793 Atntl. Sehr. II 377 18. Frage, ob man zu den hohen Münzfuße zurückkehren wolle . .? Oder ob man bey dem . . mittleren . . zu bleiben räthlicher fände .. 39. Bilance der zwey Vorschläge den hohen und mittlern Fusses (GWB). OV

bilateral Adj., seit früherem 19. Jh. (gebucht 1838 bei Heyse) nachgewiesen, eventuell unter Einfluß von frz. bilateral gebildet aus bi- (—>· bi-) und lateral 'seitlich gelegen' (zurückgehend auf lat. lateralis 'seitlich', zu latus 'Seite'; —> Adlatus). In der Bed. 'nach zwei Seiten gerichtet, von zwei Seiten ausgehend, auf zwei Seiten gleich verteilt; zwei-, beidseitig': a Zunächst als Fachausdruck der Biologie im konkret-lokalen Sinne auf Lebewesen bezogen, z. B. in der Verbindung bilaterale Symmetrie 'vollständige, spiegelbildliche Gleichmäßigkeit, Symmetrie auf beiden Seiten einer gedachten Mittellinie, der Körperachse', seit früherem 20. Jh. (1933 bei Genius) gebucht in der Mathematik für 'auf beiden Seiten (der Mittellinie) gleichmäßig verteilt', z. B. in der Zs. bilateralsymmetrisch 'durch eine Symmetrieebene in zwei spiegelbildliche Hälften teilbar' (Ggs. radiärsymmetrisch), in jüngster Zeit auch als Fachausdruck der Sprachwissenschaft gebucht, vor allem in der Verbindung bilaterales Zeichenmodell als Bezeichnung für eine linguistische Theorie, die das sprachliche Zeichen als Verbindung von Lautkörper und Inhalt betrachtet. Dazu in jüngster Zeit gebuchtes latinisierendes Bilateralia, auch Bilateria PL, in der Biologie für 'zweiseitig symmetrisch gebaute vielzellige Tiere mit zentralem Nervensystem'. b Seit den 30er Jahren des 20. Jhs. ausgedehnt vor allem auf politische (Völkerrecht), wirtschaftliche (Handelsverkehr) u. ä. internationale Beziehungen, in den Zeiten des Kalten Krieges und vor der Wende insbes. auf das Verhältnis zwischen West und Ost, speziell das der beiden ehemaligen deutschen Staaten, bezogen für 'zwei, beide Seiten, Partner gleichermaßen betreffend, verpflichtend (von Verträgen)' (Ggs. multilateral), bes. in Verbindungen wie bilateraler Vertrag, bilaterale Beziehungen, Abkommen, Fragen, Gespräche, Verhandlungen, bilaterale Zusammenarbeit, bilatera-

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les Monopol 'Marktform mit nur einem Anbieter auf der einen und nur einem Nachfrager auf der anderen Seite', bilateral verhandeln, regeln, und Zss. wie Bilateralkontrakt 'Vertrag, bei dem beide Seiten zu einer Leistung verpflichtet sind'. Dazu die seit späterem 19. Jh. (1871 bei Sanders) gebuchte subst. Ableitung Bilateralismus M. (-; PL ungebr.), gleichbed. mit veraltetem Bilaterismus M. (-; PL ungebr.) und dem seit den 40er Jahren des 20. Jhs. nachgewiesenen Bilateralität F. (-; PL ungebr.) in der Bed. 'System von zweiseitigen völkerrechtlichen Verträgen (vor allem über den zwischenstaatlichen Handels- und Zahlungsverkehr)' (Ggs. Multilateralismus). bilateral a: Haeckel 1866 Generelle Morphologie II133 „bilaterale" oder richtiger dipleure Differenzierung; Zeit 11.4. 1986 Der Embryo ist in diesem Stadium ein bilateralsymmetrisches Gebilde mit einem deutlich bestimmten Kopf, der paarige Sinnesorgane trägt, einem dorsalen Zentralnervensystem und einem in der Mitte liegenden dorsalen Stützorgan. bilateral b: Kunz 1935 Kriegsrecht 43 bilateralen politischen Verträge; Stuttgarter Ztg. 9. 10. 1944 Die Gegner des Abkommens sind zumeist identisch mit den Befürwortern einer rücksichtslosen Ausnützung der Importmöglichkeiten Englands zugunsten der Exportförderung durch bilaterale Abkommen; ebd. 30. 12. 1958 Bilaterale Verhandlungen über EZU-Schulden (Überschr.); Bad. Ztg. 1.2. 1968 Die Tatsache, daß es nur wenige bilaterale Fragen zu besprechen gibt, ist ein Beweis für das gute freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Ländern; Offenburger Tagebl. 10. 12. 1968 Es ist kein Zufall, daß der den bilateralen Beziehungen zwischen Paris und Moskau gewidmete Teil der französisch-sowjetischen Erklärung . . länger ausgefallen ist; ebd. 11.2.1969 bekräftigen beide Seiten insbesondere die Notwendigkeit, die bilaterale Zusammenarbeit auf landwirtschaftlichem Gebiet zu verstärken; ebd. 27. 2. 1969 Bei der Erörterung von währungs- und handelspolitischen Problemen hat Präsident Nixon . . bilaterale Gespräche befürwortet; Stuttgarter Ztg. 12.4. 1969 Frankreich und die Bundesrepublik würden das Projekt nun zunächst „bilateral" vorantreiben; N. Z. Z. 29. 3. 1971 Es werden . . alle Aspekte der bilateralen und der multilateralen Diplomatie behandelt; FAZ 24. 9. 1971 So hat die Bundesregierung .. geglaubt, sie könne über Berlin bilateral mit der DDR verhandeln; MM 25. 1. 1985 Beide Parlamentspräsidenten sprachen sich für „intensive bilaterale Kontakte auf parlamentarischer Ebene" aus; Zeit 25. 10. 1985 Entlastung der UN von allem, was bilateral gelöst werden muß; ebd. 2. 5. 1986 die Bundesrepublik, die im Lauf der Jahre aus einem stark bilateral geprägten Verhältnis, aus einer Fixierung auf die amerikanische Schutzmacht, in eine kompliziertere Konstellation

hineingewachsen ist; MM 15. 5. 1986 Gleichermaßen gelte es, auf bilateraler und multilateraler Grundlage einen internationalen Mechanismus zu schaffen, um auf dem schnellsten Wege Hilfe zu leisten, wenn es zu einer gefährlichen Lage komme; ebd. 25. 4. 1987 Das deutsch-sowjetische Abkommen schafft zusätzliche Möglichkeiten für den bilateralen wissenschaftlichen Austausch; FAZ 11.9.1989 Wie MTI meldet, hat Ungarn das bilaterale Abkommen mit der DDR aus dem Jahre 1969 aufgekündigt; Bert. Ztg. 13. 9. 1989 Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik stellt fest, daß diese Dokumente für beide Seiten gleichermaßen verbindlich sind. Weder die oben angeführten bilateralen völkerrechtlichen Vereinbarungen, noch die einschlägigen Bestimmungen der Wiener Konvention . . der beide Staaten angehören, sehen die Möglichkeit einer einseitigen Suspendierung der übernommenen Verpflichtungen durch einen Abkommenspartner vor; MM 9. 7. 1990 Vordringlich erschienen bilaterale Kooperationen zwischen Rundfunkanstalten, Schwerpunktbildungen in einzelnen Häusern und eine straffere Organisation der ARD. Bilater(al)ismus: Lokal-Anz. 25. 11. 1934 Der Bilaterismus, d. h. der Abschluß zweiseitiger Handelsabkommen, erstrebe, den Güteraustausch zwischen zwei Ländern in ein absolutes Gleichgewicht zu bringen; Weidemann 1938 Gestaltung 81 Anm. Bilateralismus; N. Z. Z. 30. 5. 1943 Überhandnehmen des Bilateralismus; Röpke 1948 Gesellschaftskrisis 383 Prozess des Bilateralismus in der Weltwirtschaft; ders. 1950 Mass 123 Bilateralismus, Willkür, Staatsmonopole des Außenhandels .. Kollektivismus bedeutet hundertprozentigen Etatismus; Süddtsch. Ztg. 16.3.1950 den Güteraustausch der europäischen Länder aus der Zweigleisigkeit gegenseitiger Handelsabkommen (Bilateralismus) in die Vielgleisigkeit europäischen Ausmaßes (Multilateralismus) zu überführen; Arbeitgeber 20. 4. 1959 Solange .. der Güter-, Dienstleistungsund Zahlungsverkehr .. im wesentlichen den Praktiken des Bilateralismus unterliegt; FAZ

Billett 11. 2. 1977 es [Europa] wendet sich nun entschlossen politischer Einigung zu, oder . . fällt, zentrifugalen Kräften des Bilateralismus nachgebend, wieder auseinander; Zeit 15. 11.1985 Die sowjetische Position wirke wie eine Aufforderung zum „Bilateralismus der Supermächte" — nach dem Motto: große Sicherheit für die Großen, kleine für die Kleinen; ebd. 28. 3. 1986 Sorge vor dem rabiaten Versuch, das strategische Gleichgewicht zu verändern, die Furcht vor einem übertriebenen deutsch-

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amerikanischen Bilateralismus, der weder dem Bündnis noch Europa bekommt. Bilateralität: NZ. (Basel) 19.5.1949 Auch der Reiseverkehr nach der Schweiz steht unter dunklen Wolken — die Zwangsjacke der Bilateralität . . wirkt sich in dieser Beziehung äußerst ungünstig aus; Dtsch. Ztg. 21. 1. 1959 die Drohung eines Rückfalls in eine krasse handelspolitische Bilateralität. IN

Billett N. (-(e)s; -s oder -e, anfangs gelegentlich auch -en), Mitte 16. Jh. entlehnt aus frz. billet (de logement) '(Quartier-)Schein' (zu (mittel-)frz. billet 'Briefchen, Anweisung, Schein, Los', wohl unter Einfluß von altfrz. bille 'Kugel' zurückgehend auf altfrz. billete, einer Nebenform von bullete F. 'Siegelabdruck, Medaillon, Bescheinigung, amtlicher Bericht', zu bulle 'Kugel, Siegelkapsel, Urkunde' < lat. bulla 'Blase, Buckel, Knopf, mlat. auch 'Siegel, gesiegelte Urkunde'; —» Bulle, —» Bulletin), anfangs auch von der Aussprache beeinflußte Formen wie Billiet, Bill/eh; erst seit Ende 19. Jh., zunächst nur im Pl. Billette, in der eindeutschenden Schreibung mit -tt, im 18.719. Jh. auch die Diminutivform Billettchen. Vgl. daneben bereits im 15./16. Jh. die wahrscheinlich aus gleichbed. ital. bolletta, bulletta (zu bolla 'Siegel, Urkunde' < (m)lat. bulla, s. o.) entlehnten, noch in oberdtsch. Mundarten weiterlebenden Formen Bolete, Bollett(e), Bolita, Bolite, Pollite F., auch Bal(l)ett(e) in der Bed. '(Zoll-)Bescheinigung, Zettel, Geleitbrief' (vgl. WIS; SCHIRMER, Kaufmannssprache). a Zunächst als militärischer Terminus in der Bed. 'Logierzettel der Soldaten, Berechtigungsschein (für ein Quartier)' (s. Belege 1595, 1627, 1713); seit frühem 18. Jh. allgemeiner verwendet, zunächst in der Bed. 'Eintrittskarte (für Theater, Konzert, Ball u. ä.)' (s. Belege 1723, 1729, 1787, 1954), dann auch '(Lotterie-)Los' (s. Belege 1741, 1775) und seit Mitte 19. Jh. 'Fahrkarte, Fahrschein' (s. Belege 1846, 1864—70), häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Eintritts-, Frei-, Kino-, Konzert-, Theater-, Logen-, Eisenbahn-, Retour-, Rundreisebillett und Billettverkäufer, -kontrolleur, -Schalter. b Seit Ende 17. Jh. auch 'kurzes Schreiben, kleiner Brief, Blättchen, Zettel mit kurzer Mitteilung (häufig privaten Charakters), der meist durch Boten (im Ort) überbracht oder einer Sendung beigelegt wurde' (s. Belege 1695, 1709, 1715), gelegentlich als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Hand-, Taufbillett und Billettschreiber. Dazu seit Anfang 18. Jh. aus frz. billet doux 'süßes, liebreiches Briefchen' (aus billet 'Briefchen' und doux 'süß, anmutig' < gleichbed. lat. dulcis) übernommenes Billetdoux N. (-; -, auch Billetdous), häufig auch in der Schreibform Billet-doux, in der Bed. 'kleiner Liebesbrief. Dazu seit Ende 18. Jh. die Berufsbezeichnung Billeteur M. (-s; -e) und Billeteurin F. (-; -nen)/Billeteuse F. (-; -n), bes. österr. für 'jmd., der beim Einlaß die Karten verkauft, kontrolliert oder die Plätze anweist' (s. Beleg 1794), Schweiz, auch 'Straßenbahn-, Autobusschaffner(in)' (s. Beleg 1943) (zu a). Im 17./18. Jh. die aus gleichbed. frz. billeter übernommene, selten belegte verbale Ableitung billettieren 'Quartierzettel für die Soldaten ausschreiben', auch 'Eintritts-

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Billett

karten lösen, mit Preiszetteln versehen' mit dem Verbalsubst. Billettierung (zu a), im 19. Jh. die adj. Gelegenheitsableitung billettlich 'brieflich' (zu b). Billett a: Fronsperger 1555 Kriegß Regiment Bl. 52 a/b Alß dann so es in einer Statt/ Flecken oder Dorff ist/ vnd die Quartier außgeteylt seind/ machen sie Belleten/ darinn aller heüser Herrn namen beschriben/ . . vnd so der hauff zum legen kompt/ so laßt man allwegen die Rotmeyster lauffen/ der jeder kompt zuo seinen Furier/ dann gibt der Furier die Belleten vnder die Rotmeyster auß (ZFDW XIV 56); 1595 Henriciados 4 ließ die Soldaten mit Billetten Losament nemen (JONES); Junghans 1589 Kriegsordnung Cla die Billet machen/ damit wann das Kriegßvolck ankompt/ daß sie nicht lange warten dörffen; Dilich 1607 Kriegsbuch 42 Er muhß schreiben und lesen wohl gelehrnet haben/ und Baletten eilfertig zu machen geschickt sein; Henisch 1616 Teutsche Sprach 381 Billet/ bullet/ bolete/ ein zettel/ paßbort; Martin 1627 Colloques 224 les etiquettes des Soldats logez par fourrier, der Soldaten Billet, darauff ihres Losaments Nam stehet; 1713 Berl. geschr. Zig«. 44 Den 1. Oktober sollen wir 6000 Mann Infanterie einquartirt bekommen; die Billets seyn schon davon außgetheilet; Zschackwitz 1723 Karl VI. 524 wo hinein niemand ohne ein von seiner Gesandtschafft vorhabendes Billet kam; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 736 Es werden ihnen [den Hofleuten] nach eines jeden Rang und Condition entweder Billetten ausgetheilt, daß sie die Commoedien und Opern . . besuchen dürffen oder ihnen sonst bey den Zuschauern bequeme Plätze angewiesen; 1741 Statsu. Gel. Ztg. Hamburg I 147,4b Denenjenigen, so in der neuligst gezogenen ersten Vertheilung der Hamburgischen Kirchen-Lotterey S. Jacobi &: Gymnasii die Gewinne zugefallen, wird hiemit kund gemacht, daß sie, gegen Vorzeigung ihrer Billets . . bey den Collecteurs, . . abfedern können; Möser 1775 Phantasien I 166 [„Gedanken über die vielen Lotterien"] Gewiß Sie werden noch selbt hunderts Billets nehmen; 1781 Hausball 5 ein junger Mensch, der im Begriff war, Billeten für eine Kompagnie zu lösen; Goethe 1786 Br. (WA IV 7,202) Wielanden ist würcklich ein Streich passirt er zieht ein Loos wen er zu Tische neben sich haben . . soll, er liest Mad. Ackermann und ist höchst glücklich. Nachher findet es sich daß Knebel diese Schöne gezogen und wie der Alte sein Billet besieht ists Herr Ackermann; Archenholz 1787 England I 74 Hunderte von Zuschauern bezahlten ihre Billets mit Gold; Forster 1791 Ansichten (HI 331) wo niemand Zutritt haben kann, der nicht von den Theilnehmern Billets bekommt; Kotzebue 1806 Carolus (XX 275) Eine allgemeine Gewohnheit in Deutschland. Man pflegt einige Leute mit Freibillets unter das Publikum zu mischen, damit sie zu rechter Zeit

schreien; Seume 1806 Sommer (W. II 634) Den ändern Tag erhielt ich ein Billet zum Familientheater der Kaiserin, wo . . eine französische Oper gegeben wurde; Brun 1809 Episoden II 145 Einlaßbillets; Kerner 1811 Reiseschatten 220 Freybillette; Jäger 1835 F.Schnabel 209 mit Freibillets ward das Theater besucht; Hebbel 1846 S. W. II 3,114 als ich mir für die Eisenbahn nach Prag ein Billet lösen wollte; Hohenlohe-Ingelfingen 1864—70 Leben III 63 Als er erfuhr, daß wir bezahlen wollten, meinte er, er könne uns wohl Billetts verkaufen, aber die Züge gingen noch nicht, weil die Bahn verschneit sei; Hartmann 1866 Erlebnisse 71 Für mich und meine Leute war die Aussicht, von dem Billetamte in den nächsten Stunden ein Nachtquartier zu bekommen, gering; Langhans 1872 Orient 201 Mein Billet nach Athen hatte ich in der Tasche; Nordau 1881 Kreml I 6 Rundreisebillets; Lindenberg 1883 Berlin 42 denn die Billet-Preise sind wahrlich nicht theure zu nennen; Zapp 1896 Offizierstöchter l 125 an dem kleinen Schalter, vor dem er soeben seine fünfzehn Pfennige für ein Billet Zweiter nach dem Alexanderplatz niedergelegt; Th. Mann 1899 Erz. (W. VIII 154) obgleich sein Billett nach Florenz lautete, verließ er das Coupe; Barsch 1905 Von einem der auszog H 195 Jeden Kunden, der ihm kein Billett vorzeigen konnte, forderte er auf, schleunig das Haus zu verlassen; Kaiser 1911 Lebenserinn. 108 f. Das Verlieben betreffend, so nahm es auch mich in die Schule, . . meine 18 Jahre, meine lebhafte Phantasie, gute Gesundheit und der Beginn des eigentlichen Brotstudiums mir eine Art Freibillet ausstellten; Th. Mann 1925 Erz. (W. VIII 623) ein alter Herr schräg gegenüber, der sein Billett zusammengefaltet zwischen Zeigefinger und Siegelring trägt; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 32 Crowe hatte öfters Billets zum Besuch der Diplomatenloge des damals noch in der Leipziger Straße befindlichen Reichstags; Münch. N. N. 7. 3. 1944 Im Billetthäuschen am Eingang zum Weiher hokken regungslos die Wächter; Hiller 1950 Köpfe 172 jene mondäne Gesellschaft internationaler Schöngeister mit Luxuskabinenbillett; Süddtsch. Ztg. 23. 11. 1950 ein kampferprobtes Detachement von Billettkontrolleuren [betrat] die Empore; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 499) über die angenehme Mahlzeit hinaus sah ich einem genußreichen Abend entgegen, denn in der Tasche hatte ich ein Billett für die Opera Comique; Grass 1962 Blechtrommel 38 oftmals erhoben wir uns auch nach Filmschluß, um an der Kasse abermals ein Billett für dieselben Darbietungen zu erstehen; Bieler 1975 Mädchenkrieg 312 Ich kenne einen Fagottisten, der stammt von hier und fährt seit Jahren

Billett ohne Billett (DUDEN 1993); MM 16. 7. 1988 alle Abendkassen halten Billetts für etwa zehn Prozent der Sitzplätze bereit; Spiegel 2. 5. 1994 Statistisch muß der Normalbürger vor Ort an die 20 Jahre auf ein Billett [für das Bolschoi-Theater] warten; MM 27. 7. 1995 Glücklich, wer ein Billett besitzt. Billeteur: Goethe 1794 Br. (WA i V 10,180) Das Billeteur Amt hat bey der Gallerie Loge der Theater Diener Friedrich . . bey dem Iten Parterre der Billeteur Rötsch, bey dem 2ten Parterre der Theater Meister Brunquell zu übernehmen; ebd. 10,199 Was meine erste Anfrage betrifft so wäre vorerst der Billeteur des ersten Platzes anzuweisen: Frau von Felgenhauer auf einzelne Oertelische [Abonnement-JBillets passiren zu lassen; Schütze 1800 Handwb. f. Schauspieler 53 Billeteurs heissen auch wohl, die diese Karten bei den verschiedenen Plätzen einnehmen und umtauschen; Jean Paul 1801 S. W. l 9,184 Vorher wollt er sich den Lektor dazu holen als Thürhüter oder Billetör der versperrten Hofthüren; Grillparzer 1836 S. W. XX 72 Die Männer muß man aus den Billeteurs und Feuerwächtern rekrutiert haben; Lewald 1836 Aquarelle I 31 Die Cassiere saßen da, die Wache wurde sichtbar, die Billetteurs, die Zettelverkäufer; 1*49 Fontane-Lepel Briefw. I 211 Billeteur eines Theaters; Langhans 1872 Orient 81 Der Billeteur, bei dem ich sofort reclamirte; 1899 Fliegende Blätter CX 113 Wobei er ihr den Auftrag gibt,/ Zu fragen, ob beim Billeteur/ Des Stadttheaters, erste Reih',/ Kein Sperrsitz mehr zu haben war'; 1904 Jugend 721c Jetzt erst ist vom Regisseur/ Bis herab zum Billeteur,/ . . Staunenswerth und ideal/ Das gesamte Personal!; Werfe! 1924 Verdi 16 Aber trotzdem ich solch ein Kenner bin, haben sie mich wegen meines Alters hier heruntergeschickt und zum Aushilfsbilletteur gemacht; Frankf. Ztg. 25.4. 1928 Mit Hilfe eines alten Billeteurs, dessen würdevolles Betragen sogar mich — für einen kurzen Moment — adelt, finde ich meinen Platz; Roth 1929 Rechts 11 selbst wenn der lange Schlauch des Gärtners zartes Wasser zerstäubte, verspürte man keine Kühlung, sondern wurde eher an die feinen . . Flüssigkeiten erinnert, die der Billetteur im Kino über die entblößten Köpfe der Zuschauer rieseln läßt; Kisch 1937 Rasender Reporter 259 An der Eingangstür, wo . . der Billeteur stand .. sind jetzt Tische mit Papieren und Stempeln aufgestellt; ß. N. 15. 9. 1943 Billetteur; Schwaiger 1977 Wie kommt 29 Wenn ich mit Rolf ins Theater ging, lächelten die Billeteure (DUDEN 1993). Billeteuse: N. Z. Z. 13. 7. 1943 Billeteusen beim Zürcher Tram. billettieren: 1629 (Schafstädt 1899 Mülheim am Rhein 33) die Soldaten umbbillettiren; Bretzner

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1787 Leben I 26b Die Bälle, Assembleen, Konzerte .. nebst den dabey vorfallenden und höchstnöthigen Beschäftigungen als Frisieren, . . Silhouettiren, . . Billetiren, .. lassen ja den armen Geschöpfen kaum so viel Zeit Odem zu holen. Billettierung: 1655 (Frauenholz 1935 Heerwesen IV 124) Jedes Orts Magistrat behält die Billetirung aber ohne Conniventz ihrer Befreundten und Gönner; 1672 Interims-Ordinantz A9b Billettirung und Ausstheilung der Quartire bleibet auff dem Lande den Commissarien, und in den Städten dem Magistrat [vorbehalten]. Billett b: Elis. Charl. 1695 Br. l 50 Hirbey schicke ich eine andtwort auff herr Fabritzius billiet, welches ich recht artig gefunden; Menantes 1709 Satir. Roman I 108 Hierauf sendete er noch ein kleines Billet an sie; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 1159 Liebes-Brieff, oder, Billet, Ist eine Schrifft, worinnen das Frauenzimmer ihren Amanten die Neigung und Liebe entdecket; Lünig 1719 Theatrum cerem. l 783a wenn der Printz nur durch ein Billet oder Briefgen ihn den Gesandten zum Besuch ermahnete; 1721—22 Chronik d. Ges. d. Mahler 73 wie übel habet Ihr gethan, daß Ihr nicht von Castelen ein billet nach Zürch ablauffen laßen; Rohr 1728 Zeremoniellwiss. l 324 Es ist dem Wohlstand zuwider, wenn sich der Geringere untersteht, an den Höhern ein bloß Billet oder zugeknüpfftes Briefgen zu uberschicken; Philander 1743 Vorrat h 277 Verliebtes und galantes Billet an ein Frauenzimmer; Geliert 1747 Schwestern (S. Sehr. Ill 40) Der Herr Vormund des Herrn Damis hat dem Papa in einem Billette gemeldet; Placius 1749 Brief-Buch H 4 Billet . . Verliebte brauchen dergleichen, einander ihre Liebe kund zu thun; Weisse 1767 W. U 270 ich erhielt .. ein Paquet.. nebst einem Billetgen; Geliert u. a. 1768 Br. (S. Sehr. IX 417) Er überreichte mir ein Billet von seiner Verwandtinn; Wekhrlin 1777 Denkwürdigkeiten 134 In der That gab die großmüthige und in der Beförderung der Künste nie ermüdete Prinzessin dem Herrn von Kempele ein Billiet an die Kammer zu Preßburg; Hase 1779 Aldermann II 19 ein Billetchen; Lavater 1781 Verm. Sehr. II 183 Ich weiß, Sie thun von Herzen gern, . . und schreiben dem Kindlein ein Taufbilliet mit einer guten Erinnerung auf den Weg des Lebens; ebd. II 194 Ich beschwöre Sie, mir auf dieß Billiet nicht zu antworten; Heynatz 1781 Handb. I 660 Die Billette, welches Briefe sind, die man an jemand schreibt, der an ebendemselben Orte wohnt, unterscheiden sich in der innern Einrichtung von den ordentlichen Briefen vornehmlich dadurch, dass die weitläufigere Anrede wegbleibt; Schiller 1788 Br. 151 daß dieses Billet nicht alles ist, was ich hätte

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binär

erhalten sollen; Laukhard 1792 Leben l 117 Sogleich fertigte ich ein Billet in des Haus der Madame B.; Böttiger 1796 Uterar. Zustände l 182 Einige kleine Billets von Schiller beantwortete Wieland nicht; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 815) Von den Giftpfeilen . ., die er bisher in seine Billette eingewickelt hatte; Goethe 1821 Br. (WA IV 35,137) Das Billet . . werden Sie erhalten haben, wodurch ich Sie auf den Donnerstag einlade; Kohl 1845 Skizzen 150 Jeder Brief, jedes Billetchen wird in England aufs Pünktlichste beantwortet; Freytag 1846 Valentine (l 230) Dies Billet wurde abgegeben; Holtet 1860 Eselsfresser II 136 die Schreiberin dieses Billetchens; Berghaus 1862 Wallfahrt I 197 Cabinetsordre . . (in Wien heisst so ein Schriftstück Kaiserliches Handbillet); Eckstein 1889 Camilla 106 Hastig schob sie die Bankbillette hinein [in die Brieftasche]; Jänicke 1899 Falkenburg 17 Tragen Sie dies Billetchen hinüber in's Pfarrhaus; Duncker 1918 Liebe 4 das kleine duftende Billet; Th. Mann 1933-43 Joseph (W.IV/V 1195) sie wußte gar nichts von Süßen Billetts und mußte erst von mir, dem Weltmann, über dies zarte Mittel belehrt werden; ders. 1939 Lotte (W. II 693) hinübergehen und der Billettschreiberin aufwarten wirst du nicht; ders. 1947 Faustus (W. VI 506) in regelmäßigen Billets .. unterrichtete er die Geliebte von seinen Fortschritten; Kesten 1952 Casanova 81 Er wies sie an, wie sie dem Kardinal das Billett zugehen lassen .. solle; Augsb. Allg. 27.128. 5. 197« Zweimal trafen in diesen Tagen Rosen mit galanten Billets bei Giovanna ein (DUDEN 1993); Spiegel 20. 3.1995 die Schauspielerin . . empfing sein Billett. Billetdoux: Wächtler 1709 Manual 50 Billet, (Billjeh) ein Zeddul . . ich habe ihm keinen Brief/ sondern nur ein Billet zugeschickt. Billet doux, ein Liebes-Brieffgen; 1712 Neue Bibliothek XVIII 653 Aber es haben bereits etliche gelehrte Männer gewiesen/ litterarum secreta hießen billets doux; Rohr 1728 Zeremoniellwiss. I 339 diese Künsteleyen oder vielmehr Tändeleyen schicken sich eher, wenn man seiner Lisimene ein billet doux überschicket; Goetz 1745-65 Gedichte 86 Die Billets-doux, in seiner [Prediger] Noth geschrieben,/ Bestellete . . sein Küster Kasimir; 1762 Der Welt Lauf 38 Ein unbekannter Mensch hat mir dieses Billet gegeben und befohlen, es ungesäumt Euer

Gnaden zuzustellen. — Bollet doux, Billets doux, auf der Messe giebt es dergleichen; Goethe 1772 Br. (WA IV 2,50) so herzinnigliche Briefe . . Ich wollte meiner Tochter ein Deckbette mit solchen Billetdous füttern und füllen; Hamann 1772 Brieftv. III 6 ein wahres Billet doux; 1788 Journal d. Moden III 435 Billet-doux einer Pariserin an ihren Liebhaber in der Provinz; Laukhard 1792 Leben U 15 eine Menge Liebesbriefe und Billets doux; Kotzebue 1795 Armuth l 8 da ist wieder ein Brief. Von ihm? Sollte man nicht glauben, es sei ein billet doux?; Jean Paul 1801 S. W. I 9,158 Er ist auf dem Wege, sich einen Billetdoux-Beschwerer anzuschaffen; Körner 1812 Goui>. (W. IV 74) 'S ist nicht genug, daß man solche Billet-doux bekommen; Schall 1825 Wahl (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele V 41) ein billet doux von einer wunderschönen Statistinn; Hebbel 1844 S. W. III 3,142 Ich .. konnte nicht zweifeln, daß es ein Billet doux . . sey; 1863 Bilder a. Paris l 387 Auf den blendend weißen Marmortischen findet sich ein zierlicher SchreibApparat (zu einem Billetdoux könnte man nichts Feineres verlangen); 1864 Volksgarten 654 ein zärtliches Billet doux auf duftendem Rosa-Papier; Wikkede 1878 Leutnant 277 Zwar hatte Pulverrauch von der Landräthin zwei billets-doux erhalten, den heutigen Abend in ihrem Boudoir zuzubringen; Polenz 1899 Wald 54 eine Reihe von Schäferstunden, flatterhaft und schon verbleichend wie die Billetdoux, die er davon aufbewahrte; Der Junggeselle 8. 3.1929 Es war eben etwas sauberer in jener Zeit des „billet-doux", als mit der Erreichung eines geliebten Menschen noch etwas Geduld verknüpft war und ein paar nette Worte auf das Papier gebracht werden mußten; Berl. Illustr. Nachtausg. 6. 2. 1933 Johanna . . hat . . gar kein Hehl aus dem Billet-doux gemacht; Riess 1981 Cäsar 146 Man findet sogenannte Billetdoux, Kärtchen, in denen eine Verabredung getroffen, eine Liebesnacht versprochen wird (DUDEN 1993); Spiegel 19. 6. 1995 Axel Springer schreibt eins seiner berühmten kleinen „billets douces" und läßt das nach vorn aufs Podium durchreichen. billettlich: Heine 1827 Br. l 305 Es wäre daher gut, wenn Campe an Michaelis das Resultat der abendröthlichen Unterhaltung billettlich mittheilte. OV

binär Adj., seit früherem 19. Jh. nachgewiesen, über frz. binaire zurückgehend auf lat. binarius 'zwei enthaltend' (zu hint '(je) zwei (zusammen)'; —» bi-), auch in den Nebenformen binar und binarisch gebucht. In verschiedenen Fachbereichen wie der Biologie, der Mathematik (Arithmetik) und Informatik für 'doppelt, zweiteilig, -fältig, -gliedrig; in je zwei Teile zerfallend, je

binär

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zwei Einheiten enthaltend, daraus bestehend, zusammengesetzt, kombiniert, zweistellig, zweiwertig', in zahlreichen festen fachspr. Verbindungen wie binäre Darstellung 'Darstellung im Dualsystem', binäre Zahlen 'im Dualsystem dargestellte Zahlen', binäre Elemente 'Signale, Systemelemente, die nur zwei Werte bzw. sich gegenseitig ausschließende Zustände annehmen können', binäre Ziffern 'Dualzahlen als Träger numerischer Informationen' und in der Chemie binäre Verbindungen 'aus zwei Atomen zusammengesetzte chemische Verbindungen', binäres System 'Zweistoffsystem', sowie als Bestimmungswort von Zss. wie Binärcode 'Code mit einem Zeichenvorrat, der aus nur zwei verschiedenen Zeichen besteht' (—» Code a), Binär(zahl)system 'System der Darstellung von Zahlen auf der Basis von zwei Symbolen' (Ggs. Dezimalsystem usw.), Binärzeichen, -folge. Dazu in neuerer Zeit die subst. Ableitung Binarismus M. (-; Pl. ungebr.), als sprachwissenschaftlicher Terminus mit der Bed. 'Sprachbeschreibung als System binärer Oppositionen'; vgl. dazu Bit N. (-s; -s), im 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. bit (kontrahiert aus bi(nary) < lat. binarius, und (dig)it 'Ziffer, Zahl', zurückgehend auf lat. digitum 'Finger, Zahl', also eigentlich 'binäre Zahl') in der Bed. 'Informationseinheit, die zwei Zustände (ja/nein, plus/minus o. ä.) annehmen kann'. binär. Görres 1836-42 Mystik III 200 Materielle Einheiten und Binare (KEHREIN); Lotze 1843 Kl. Sehr. 1175 Man hat früher einen Unterschied darin gefunden, dass lebendige Körper ternär und quaternär, unlebendige binär verbunden seien; ebd. I 208 Keine Lebenskraft hindert durch einen unbegreiflichen Einfluss die Massen des Körpers, sich ihrem Streben nach binären Verbindungen zu überlasen; A. v. Humboldt 1845-50 Kosmos III 296 Wie die Wissenschaft zu dem Schatze gründlicher Kenntniß von partiellen, besonders binären Systemen im Weltraum gelangt ist (KEHREIN); 1903 Stimmen d. Zeit LXI 176 Der hohe Wert von Linnes Systema naturae liegt . . vor allem darin, daß es zum erstenmal eine feste wissenschaftliche Terminologie in Gestalt der binären Nomenklatur schuf und . . präzise Diagnosen von lakonischer Kürze einführte; Friedeil 1928 Kulturgesch. U 208 Linnes „binäre Nomenklatur"; 1933—34 Verd. techn. Fnv. o. S. binär . . Zweistoff-; Bauer 1971 Informatik o. S. bevor wir die Subtraktion besprechen können, ist zunächst die (Binär-)Codierung negativer ganzer Zahlen zu besprechen; Lohmann 1978 Evolution 434 f. Beispiele sind funktional spezialisierte binäre Schematismen, etwa der Logik oder des Rechts; Zeit 20. 9. 1985 durch die technischen Eigenschaften der neuen sogenannten „binären Waffen". Sie enthalten zwei voneinander getrennte chemische Substanzen, die erst beim Abschuß zu einem Kampfstoff verschmelzen und dadurch ihre tödliche Wirkung erreichen; MM 11. 10. 1985 Transistoren bilden das Rückgrat aller Computerschaltungen. Sie weisen zwei Schaltzustände auf: ein oder aus oder die Logikzustände „l" oder „0". Die binäre Mathematik kann aus diesen „digitalen" Zahlen alle auch noch so kom-

plizierten Berechnungen bewerkstelligen; ebd. 14.5. 1986 Binärcode, Rechneraufbau, Codierung und Programmierungen sind .. keine Fremdwörter mehr für die Abiturienten; ebd. 19. 7. 1986 Bei der digitalen Übertragung werden die Schwingungen in sehr kurzen Abständen gemessen und in Zahlenkombinationen umgesetzt. Das besondere: dazu wird nicht das übliche Dezimalsystem verwandt, sondern das ßinärsystem. Jede Information, also auch jedes der 26 Zeichen des Alphabets, Zahlen und Zeichen, läßt sich durch eine Kombination von nur 2 Zeichen, etwa der 0 und der l, darstellen . . Mit dem Binärsystem arbeiten die Computer, denn beim Strom gibt es nur 2 Zustände: Entweder er ist da, oder er ist nicht da; Geyer-Ryan 1989 Dialektik 121 f. in dem Moment, wo die Autoren [der Odyssee] einen Ursprung setzen, verwickeln sie sich notgedrungen in die ganze Metaphysik . . der binären Konstruktion wie Natur und Kultur, Mythos und Roman, Gefühl und Rationalität, Mann und Frau; Süddtsch. Ztg. 28.129. 8. 1993 die Naturgewalt einer Revolution mit den natürlichen Vorgaben zu verwechseln . . die wir in ihrer binären oder dualen Verwendung bisher geschildert haben. Binarismus: Gülich 1977 Textmodelle 97 die Pikesche Konzeption . . huldigt auch keinesfalls dem Prinzip der stetigen Dichotomie bzw. des grammatischen Binarismus. Bit: Schiro 1971 Computer o. S. das kleinste Speicherelement in einer Datenverarbeitungsanlage ist ein einzelner Magnetkern (Bit), der zwei Zustände annehmen kann: Ein oder Aus; l oder 0. In einem Bit könnten also maximal zwei Zeichen dargestellt werden. IN

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Binokel

Binokel N. (-s; -), vom früheren 18. bis Anfang 20. Jh. nachgewiesen, über gleichbed. frz. binocle zurückgehend auf gelehrtenlat. binoculum (aus lat. bin-, zu hint 'je zwei, doppelt', —* bi-, und oculus 'Auge'), zunächst in der latinisierenden Form, im 19. Jh. auch in der frz. Form Binocle. Veraltete bzw. heute allenfalls historisierend verwendete Bezeichnung für eine Brille, ein Fernglas oder Mikroskop mit zwei Okularen (Ggs. —» Monokel); daneben noch heute regional (schweiz.) als Bezeichnung für ein Kartenspiel (s. Beleg 1963). Dazu seit Anfang 19. Jh. nachgewiesenes, bis heute gebuchtes Adj. binokular (vgl. gleichbed. frz. binoculaire) 'für beide Augen bestimmt; mit beiden Augen, beidäugig; plastisch', in Verbindungen wie binokulares Instrument Optisches Gerät, das für die Benutzung mit beiden Augen eingerichtet ist' und binokulares Sehen 'beidäugiges, räumliches Sehen', häufig als Bestimmungswort Binokular-XBinokulär- in Zss. wie Binokular-/Binokulärsehen, -teleskop (dafür auch Binoculum) 'doppeltes Fern-, Sehrohr mit zwei Röhren für beide Augen'; in jüngster Zeit gebucht als Subst. Binokular N. (-s; -e) (vgl. gleichbed. engl. binocular) Optisches Instrument aus zwei nebeneinander liegenden Okularen, die das beidäugige, räumliche Sehen ermöglichen'. Binokel: Zedler 1732 Universallex. HI 1883 f. Binoculum, Tubus Binoculum, ein doppeltes Perspectiv, ist ein optisches Instrument, so aus zweyen Tubis von einerley Länge und Proportion derer Gläser dergestalt zusammengesetzet ist, daß man mit beyden Augen durch beyde Tubos zugleich sehen kan; Campe 1813 Fremdwb. 152 Binoculum oder Binoculartelescop, ein Fernrohr mit doppelten Röhren für beide Augen; Teuber 1881 Jugendleben 5 mit eingekniffenen Monocles und Binocles; Baumbach 1895 Jugendzeit 359 Die schimmernde Reclame auf der geschwärzten Mauer des ehrwürdigen Hauses nimmt sich aus wie ein goldenes Binocle auf der Nase eines geharnischten Ritters; Th. Mann 1897 Erz. (W. V///136) trat einen Schritt zur Seite, indem er mit allen fünf Fingern sein randund bandloses Binokel erfaßte und mich zwischen diesen Fingern hindurch betrachtete; ders. 1901 Buddenbrooks (W. l 228) Das Binokel fiel von seiner Nase, die sich zwischen die Augen hinaufzog, während sein winziger Mund . . zu zerreißen drohte; Zanke 1963 Stuttgart 52 einen Binokel und damit eine Wette auszutragen.

binokular, Binokular-/Binokulär-: Campe 1813 Fremdwb. 152 Binoculum oder Binoculartelescop, ein Fernrohr mit doppelten Röhren für beide Augen; 1852 ff. Natur XVI 324b Dieser Hauptunterschied des binokularen Sehens vom monokularen (SANDERS 1871); Hermann 1896 Physiologie 593 Binoculärsehen .. Das binoculäre Sehen (Überschr.) Beim gewöhnlichen Sehen wirken beide Augen zusammen; Boruttau 1898 Physiologie 395 Trotzdem wir mit zwei Augen sehen, erscheinen uns doch die Gegenstände meistens einfach; es rührt dies daher, dass die Erregung gewisser zusammengehöriger Punkte der beiden Netzhäute im Bewusstsein an dieselbe Stelle des Raumes verlegt werden, so dass die Gesichtsfelder . . beider Augen zum grossen Theil sich decken, so ein „gemeinschaftliches binoculäres Gesichtsfeld" bildend, welches von dem gesammten binoculären Gesichtsfeld wohl zu unterscheiden ist, ebenso dieses wieder von dem „binoculären Blickfeld". IN

Bio-, bio-, seit früherem 18. Jh. als erster Bestandteil in Entlehnungen aus dem Lat. oder in gelehrtenlat. Bildungen, im weiteren Verlauf des 18. Jhs. zunehmend als initiale Lehn-Wortbildungseinheit in dtsch. oder international gebildeten Kombinationen, deren zweite Bestandteile zunächst aus dem Griech./Lat. stammen, im Laufe des 19. und 20. Jhs. aber zunehmend selbständige, häufig auch indigene Lexeme darstellen (vgl. 3a, 3b), zurückgehend auf das griech. Kompositionsglied ßioin subst. und adj. Komposita, zu ßios 'Leben, Lebenszeit, -dauer' (im Unterschied zu 3 $ 'Tod') und 'Lebensart, -weise, -gewohnheit; Lebensunterhalt (von vernünftigen Wesen, Menschen)' (im Unterschied zu 'tierisches, organisches Leben'). Konkurrierend in Komposita mit indigenen Bestimmungswörtern wie

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Lebens-, Natur- und bed.verw. mit Lehn-Wortbildungseinheiten wie 200- (vgl. Zootomie, Zooskop, zoologisch, Zoophage), —»· ko- (vgl. kotop) und sozio- (vgl. Soziotop). Daneben morphologisch und grammatisch Variante Auspr gungen wie Bio in absoluter Verwendung, und zwar attributiv (vgl. Bio wei , bio fein, bio Waschpulver, Bio 2000), pr dikativ (vgl. bio sein) oder als deklinierbares Subst., das eine bestimmte foo-Kombination repr sentiert und deren Grammatik bernimmt (vgl. Bio f r Bioapfel, Bio f r Biographie, Bio(fasching) f r Biologen(fasching)); auch als terminale, gegen ber der vollst ndigen Wortgestalt reduzierte Form -b '-lebend' (vgl. (an-)aerob), suffixal erweitert auch -bischl-biell (vgl. amphibisch, mikrobiell) und -bel-biel-biuml-bierl-hius 'Lebewesen' (vgl. Mikrobe, Amphibie; Amphibium; (An-)Aerobier; Enterobius, Hylobius, Nyctibius, Ectobia). Vgl. etymologisch verw. entlehnte/lehngebildete Lexeme und Wortbildungseinheiten, wie z. B. das auf griech. βίων, Gen. βιοΰντος 'Leben' (eigentlich Part. Pr s.-Form von βιοείν 'leben') zur ckgehende initiale biont(o)- und terminale -bion'(t) (vgl. biologische Bezeichnungen f r verschiedene Organismen wie Bion, Mikrobion, Bionten, biontisch, Aerobiont, Antibiont, Symbiont/symbiontisch); das auf griech. βίος 'Leben' bzw. auf die abgeleitete Nebenform βίωσι$ 'Leben(-sweise)' zur ckgehende Bios (vgl. Biosfaktor, -stoff), auch als Grundwort -bios (vgl. Aerobios), terminales -biose (vgl. biologische Bezeichnungen f r verschiedene Lebensformen und -vorg nge wie Symbiose, Antibiose, (An-)Aerobiose, (An-)Abiose, (An-)Oxybiose, Makrobiose, Parabiose u. .) und -biosie (vgl. Philobiosie); das auf die von griech. βίος abgeleiteten Nebenformen mit stammauslautendem -τ, wie βιοτή, βίοτος/βιωτός 'Leben(-sunterhalt)', zur ckgehende initiale biot(o)- (vgl. (Makro-)Biotik, Biotikon, (Anti-/Amphi-)Biotika, (a-/anti-/makro-/phylo-/sym-)biotisch, Biotologie u.a.). Seit fr herem 18. Jh. vereinzelt in subst. und adj., zum Teil veralteten Entlehnungen aus dem Griech. oder Lat. wie Biothanat, Biolychnium (vgl. 1), berwiegend aber in zahlreichen (neoklassischen), meist international gebr uchlichen subst. und adj. Kombinationen wie Biograph (—» Biographie), Biomantie, Biosophie (vgl. 1), —* Biologie, Biodynamik, Biosph re, Biotomie2, Biomorphologie, Biogen, Bioklimatologie, Biotop, Biorhythmus (vgl. 2), im 20. Jh. Biotechnik, Biohumd nger, Bioalkohol, Βίο-Filter, Biobatterie, Βίο-Computer, Biokatalysator (vgl. 3a) und seit den 80er Jahren des 20. Jhs. Βίο-Laden, Biokost, Bio-Programm, Biosthetik, -Apfel, -Bauer, -Brot, -Garten, -Nahrung, -Produkt, -Waschmittel, -Wein (vgl. 3b): In der Bed. 'das Leben (im philosophischen/organischen/biochemischen Sinne) betreffend; Lebenszeit/-dauer, Lebenserscheinungen, -Vorg nge, Lebewesen betreffend, darauf einwirkend, dadurch bedingt; Lebens-', meist bildungs- oder fachspr. verwendet im philosophisch-biographischen (vgl. 1), naturwissenschaftlich-biologischen (vgl. 2), technisch-biologischen (vgl. 3a) und im kologisch-biologischen Bereich sowie in der Werbesprache (vgl. 3b). l Zun chst bezogen auf (Forschungs-/Erkenntnis-)Methoden, Lehren, Aufzeichnungen, Schriften u. ., die mit 'Leben' im philosophisch-anthropologischen Sinne im Zusammenhang stehen, in der am Vorbild von griech. βίος in seiner Bed. 'Lebenszeit, -art; Lebensunterhalt, -erhalt' orientierten Bed. 'das menschliche Leben, den Lebensverlauf, -ablauf, die Lebensdauer, -f hrung betreffend, (voraus-)berechnend',

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auch, semantisch biographisch repr sentierend, f r 'die Lebensgeschichte, das Schicksal, ein Menschenleben beschreibend, betrachtend', in Entlehnungen aus dem Griech./Lat. und international oder im Dtsch. gebildeten (neoklassischen) Kombinationen: Z. B. das (1733 bei Zedler) gebuchte, heute veraltete Subst. Biothanat M., zun chst im lat. Pl. Biothanati, entlehnt aus gleichbed. (m)lat. biothanati/gnech. ioSavcrroi (zu lat. biothanatus/gnech. βιο-θάνατος 'eines gewaltsamen Todes sterbend'), in der Bed. 'Ermordeter; Selbstm rder'; ebd. nachgewiesenes Biolychnium N., auch in der griech. Form Biolychnion, entlehnt aus gleichbed. griech, βιολύχνιον (zu λύχνος 'Licht'), in der Bed. 'Lebenslampe' als Bezeichnung f r die mittels einer aus Menschenblut bereiteten Fl ssigkeit brennende Flamme, deren Helligkeit und Brenndauer f r das individuelle Schicksal vorbedeutend sind; seit Anfang 19. Jh. das veraltete Subst. Biosophie F. (-; ohne PL), aus bio- und -sophie (zu griech. σοφία 'Wissen, Verstehen; Geschicklichkeit, Gelehrsamkeit; Weisheit'), in der Bed. 'Lebensweisheit, -klugheit', mit der im fr hen 20. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitung biosophisch; seit fr herem 19. Jh. (1838 bei Heyse) gebuchtes Biometrie1 F. (-; -n), aus bio- und -metrie (zu griech. μέτρον 'Ma '), gleichbed. mit Mitte 20. Jh. (1953 bei Brockhaus) gebuchtem Biometrik F. (-; ohne PL), in der Bed. 'vern nftige, vorausplanende Lebenseinteilung' (vgl. auch 1863 bei Kaltschmidt gebuchtes Biometer N. (-s; -) 'Lebensbericht nach Stunden'), speziell f r '(Voraus-)Berechnung der wahrscheinlichen mittleren Lebensdauer und -erwartung der Durchschnittsbev lkerung (im Bereich der Lebensversicherungen und in der Nutzen-Risiko-Ermittlung der Arzneimittelindustrie)' (s. Belege 1841, 1862, 1985; vgl. dagegen Biometrie2}; im sp teren 19. Jh. (1871 bei Sanders) gebuchtes Biostatik F., gleichbed. mit Biometrie1 (s. o.), mit der gleichzeitig nachgewiesenen adj. Ableitung biostatisch, im fr heren 20. Jh. (1933 bei Genius) gebuchtes Biostatistik F., mit dem noch in den 40er Jahren nachgewiesenen Adj. biostatistisch 'die Lebensdauer (voraus-)berechnend'; im fr heren 19. Jh. nachgewiesenes Biotomie1 F. (-; ohne PL), aus bio- und -tomie (zu griech. τόμος '(Ab-)Schnitt'), f r 'Lehre von den Lebensabschnitten' (vgl. dagegen Biotomie2, s. u.); seit sp terem 19. Jh. (1862 bei Meyer Enz.) gebuchtes Biomantie F. (-; ohne PL), aus bio- und -tnantie (zu griech. μαντεία '(Gabe der) Prophezeiung, Weissagung'), gleichbed. mit gleichzeitig aufgekommenem veraltetem Biomantik F. (-; ohne PL) in der Bed. '(unwissenschaftliche) Vorherbestimmung der Lebensdauer und des Lebensschicksals eines Menschen (z. B. aus dem Puls oder den Handlinien)', daneben auch, gleichbed. mit Bioskopie (s. u.), f r 'Lungenprobe bei Neugeborenen, anhand deren festgestellt wird, ob ein Kind bei der Geburt gelebt hat', mit dazugeh rigem Biomant M. (-en; -en) 'Wahrsager ber Lebensschicksal und -dauer; Betr ger, der mit Lebensprophezeiungen Leute hintergeht' und das Adj. biomantisch; seit fr hem 20. Jh. Biogramm N. (-(e)s; -e), aus bio- und -(o)gramm (zu griech. γράμμα 'das Eingegrabene; Buchstabe'), f r 'Aufzeichnung des Lebensablaufs von Individuen einer bestimmten Gruppe; schriftlicher Lebensbericht', gleichbed. mit —»· Biographie; seit den 30er Jahren das Adj. biozentrisch, aus bio- und -zentrisch 'im Zentrum liegend' (zu lat. centrum 'Mitte(-lpunkt)'), in der philosophischen Bed. 'die Erhaltung und Steigerung des Lebens in den Mittelpunkt aller Dinge stellend' (Ggs. logozentrisch), mit der gleichzeitig nachgewiesenen subst. Ableitung Biozentrismus M. (-; ohne PL); in j ngster Zeit in Kombinationen, bei denen bio- als semantischer Repr sentant f r biographisch/—* Biographie fungiert, wie (1972 bei

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Meyer Enz. gebuchtes) Biobibliographie F. (-; -n), aus bio-/Bio(graphie) und —» Bibliographie (vgl. gleichbed. älteres frz. biobibliographie und engl. biobibliography), für 'Verzeichnis aller Schriften über eine berühmte Persönlichkeit und ihre Werke' mit dazugehörigem Adj. biobibliographisch; ebenfalls in jüngster Zeit (1988 bei Brockhaus/Wahrig) gebuchtes Biointerview N. (-s; -s), aus bio(graphisch) und —» Interview, für 'Lebensbeschreibung (einer bekannten, für bestimmte Ideen und gesellschaftliche Entwicklungen repräsentativen, exponierten Persönlichkeit) auf der Grundlage von Interviews'. 2 Seit frühem 19. Jh. in der Biologie, Medizin und Geologie bezogen auf naturwissenschaftliche Vorgänge, Sachverhalte, Gegenstände (lebende Organismen), Forschungs-, Beschreibungsmethoden und Personen (Wissenschaftler), die mit 'Leben' im naturwissenschaftlich-biologischen Sinne in Verbindung gebracht werden können, in der (am Vorbild von griech. in seiner Bed. Organisches Leben; Fauna und Flora' orientierten) Bed. 'auf die organisch-belebte Natur, die (Gesamtheit der) Organismen (Pflanzen, Tiere, Menschen), organischen Lebensprozesse und -prinzipien bezogen, auf sie (als Objekte) einwirkend, angewendet, durch sie (als Subjekte) bedingt, hervorgerufen, auf ihnen beruhend; Lebens-, Natur-; tierisch, lebend', auch 'physiologisch, medizinisch, heilkundlich' und, biologisch/—> Biologie semantisch repräsentierend, für 'die Wissenschaft von den biologischen Gegenständen, die Biologie betreffend, biologisch', in zahlreichen international oder im Dtsch. gebildeten (meist neoklassischen) Kombinationen: Z. B. seit früherem 19. Jh. (1838 bei Heyse) gebuchtes Biodynamik1 F. (-; ohne PL), aus bio- und —> Dynamik 'Bewegung, Bewegtheit; (Trieb-)Kraft', zunächst in der Bed. 'Lehre von der allgemeinen Lebenstätigkeit, den in Lebewesen wirkenden physiologischen Vorgängen und Kräften' und in jüngster Zeit speziell (gebucht 1967 bei Brockhaus) für 'Wissenschaft (als Teilgebiet der Physiologie) von den physikalischmechanischen Außeneinflüssen auf Organismen, z. B. der Wirkung von Beschleunigung, Stoß, Vibration, Schwerelosigkeit u. ä. auf die Organfunktionen und das Verhalten des Menschen (z. B. in der Raumfahrt)' (vgl. dagegen Biodynamik2), mit der seit spätem 19. Jh. (1879 bei Petri) gebuchten adj. Ableitung biodynamisch1 'auf die Biodynamik bezogen, sie betreffend' (vgl. dagegen biodynamisch2); seit Mitte des 19. Jhs. Biolith M. (-s; -en), aus bio- und -lith (zu gleichbed. griech. 'Stein'), von C. G. Ehrenberg 1854 eingeführte (Brockhaus 1953) Bezeichnung für ein Sedimentgestein, das aus abgestorbenen und abgelagerten fossilen Lebewesen und Pflanzen besteht (vgl. Phytolith, Zoolith); gleichzeitig Biosphäre F. (-; -n), aus bio- und —» Sphäre Oberflächennahe Schicht eines Planeten, z. B. der Erde' (< griech. 'Erd-, Himmelskugel'; vgl. älteres engl. biosphere und frz. biosphere), anfangs (1863 bei Kaltschmidt) gebucht in der veralteten Bed. 'kugelförmiges Atom', dann als Bezeichnung für die Gesamtheit der lebenden Organismen auf der Erdoberfläche, insbesondere die Schicht des Erdbodens (Biogeosphäre) und der Gewässer (Biohydrosphäre), in jüngster Zeit als Name für ein amerikanisches Forschungsprojekt, das in der Wüste Arizonas eine künstliche Biosphäre als Testmodell errichtet hat, mit dem dazugehörigen, in jüngster Zeit nachgewiesenen Adj. biosphärisch; gleichzeitig (1863 bei Kaltschmidt) Biochemie1 F. (-; ohne PL), aus bio- und —> Chemie, für 'Wissenschaft von den chemischen Vorgängen in Lebewesen' (vgl. aber Biochemie2), mit dem dazugehörigen, (1871 bei Sanders) nachgewiesenen Adj. biochemisch

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und der seit Mitte 20. Jh. bezeugten Personalableitung Biochemiker M. (-s; -); seit sp terem 19. Jh. (1870 bei Heyse) gebucht Biotomie2, aus bio- und -tomie (zu griech. τόμος 'Abschnitt'), 'Zerlegung lebender Tierk rper als Versuchsobjekte; Vivisektion' (—> Anatomie; vgl. dagegen Biotomie1}, gleichbed. mit Zootomie; Biomorphologie F. (-; ohne PL), aus bio- und Morphologie 'Gestalt- und Formenlehre' (zu griech. μορφή 'Gestalt'), in der Bed. 'Lehre, Wissenschaft von Gestalt und Bau der Lebewesen', mit dem in j ngster Zeit nachgewiesenen, bildlich auf Kunstgegenst nde bezogenen Adj. biomorph; veraltetes Bioskopie F. (-; ohne PL), aus bio- und -skopie (zu griech. σκοπεΤν 'schauen'), f r 'Untersuchung (bei toten Neugeborenen) auf eventuell vorhanden gewesene Lebensf higkeit'; seit sp tem 19. Jh. das Adj. biogenetisch, aus bio- und —» genetisch, vor allem in der Verbindung biogenetisches Grundgesetz als Bezeichnung f r die von E. Haeckel entwickelte These, nach der die Entwicklung des Einzelwesens (Ontogenese) die Wiederholung der stammesgeschichtlichen Entwicklung (Phylogenese) darstellt, mit dazugeh rigem, seit fr hem 20. Jh. nachgewiesenem Biogenie F. (-; PL ungebr.), aus bio- und -genie (zu griech. γένος 'Abstammung, Herkunft, Ursprung'), gleichbed. mit Biogenese F. (-; ohne PL), aus bio- und —> Genese, fr her auch Biogenesis, in der Bed. 'Ursprung, Entstehung, (Einzel- und Stammesgeschichte umfassende) Entwicklungsgeschichte des Lebens', dazu in j ngster Zeit (1980 bei Brockhaus/Wahrig) gebuchtes Biogenetik F. (-; PL ungebr.) f r 'Lehre von den Gesetzen und Erscheinungen der Biogenese'; seit fr hem 20. Jh. nachgewiesen Biogen N. (-s; -e), aus bio- und Gen 'kleinste genetische Einheit, Erbfaktor', Bezeichnung f r die von M. Verworn 1895 hypothetisch angenommene kleinste Lebenseinheit im Protoplasma, auch 'Eiwei k rper, dessen Nachweis lebende Zellsubstanz von toter unterscheidet', gleichzeitig das Adj. biegen (eventuell unter Einwirkung von gleichbed. frz. biogene) aus bio- und -gen, entlehntes Suffix mit der Bed. 'entstanden, stammend (aus, von), erzeugt (durch); -erzeugend, -bildend' (zu griech. γένος 'Herkunft, Ursprung'), in der Bed. 'durch T tigkeit von Organismen entstanden, von Lebewesen stammend; aus Ablagerungen von organischen Resten gebildet (von Sedimentgestein)', auch 'Leben erzeugend, stimulierend'; seit fr herem 20. Jh. (1933 bei Genius) gebucht Biogeographie F. (-; ohne PL) 'Lehre von der geographischen Verbreitung der Lebewesen', mit bereits seit Ende 19. Jh. nachgewiesenem Adj. biogeographisch, aus bio- und geographisch (—»· Geographie); seit fr herem 20. Jh. Bioklima N. (-; -s, -ta), aus bio- und —> Klima, in der Bed. 'bestimmte (konstante) Witterungsverh ltnisse, die sich (positiv) auf die menschliche Gesundheit auswirken (z. B. im Kurbetrieb)', weitgehend gleichbed. mit in j ngster Zeit nachgewiesenem Biowetter (s. u.), mit dazugeh rigen Ableitungen wie seit fr herem 20. Jh. nachgewiesenes Bioklimatologie F. (-; ohne PL), aus bio- und Klimatologie (vgl. gleichbed. engl. bioclimatology}, gleichbed. mit Mitte 20. Jh. (1953 bei Brockhaus) gebuchtem Bioklimatik (vgl. gleichbed. engl. bioclimatics) in der Bed. 'Wissenschaft von den Einwirkungen des Bioklimas auf menschliches und tierisches Leben'; in den 40er/50er Jahren des 20. Jhs. vereinzelt (neben dem Adj. biotop), seit den 70er Jahren h ufiger nachgewiesenes Biotop N. (-s; -e), aus bio- und -top (zu griech. τόπος 'Raum, Gegend, Ort'), in der Bed. 'nat rlicher Lebensraum, Standort einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart mit einheitlichen Umweltbedingungen; Lebensgemeinschaft bestimmter, nach Boden, Klima einheitlich charakterisierter Tiere und Pflanzen' (vgl. Soziotop, kotop, —> ko-), auch bildlich verwendet im Sinne von 'gesellschaftliche Gruppierung, Umfeld' (s. Beleg 1987), in j ngster Zeit dane-

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ben Biotopia, ohne Genus und Flexion, aus bio- und (U)topia, Name eines alternativen Gartenbaubetriebs; seit den 50er Jahren (1953 bei Brockhaus) Biom N. (-s; -e), aus bio- und -ora, zurückgehend auf die griech. Subst.-Endung (vgl. älteres gleichbed. engl. biome), für 'in einem größeren zusammenhängenden geographischen Gebiet (z. B. Wüste, Steppe, Urwald u. ä.) verbreitete Lebensgemeinschaft von Tieren und Pflanzen'; seit den 60er Jahren des 20. Jhs. Biorhythmus M. (-; Biorhythmen), aus bio- und —» Rhythmus, in der Bed. 'stoffwechselbedingter periodischer Ablauf von Lebensvorgängen in Organismen (Wachstum, Verhalten, jahreszeitliche Veränderungen, Schlaf-Wach-Intervalle, weiblicher Zyklus u. ä.)', auch 'Abhängigkeit der Körperfunktionen vom kosmischen Geschehen', mit seit den 50er Jahren (1953 bei Brockhaus) gebuchtem Biorhythmik F. (-; ohne Pl.) 'Art, Charakter des Biorhythmus' und der bereits in den 30er Jahren des 20. Jhs. nachgewiesenen adj. Ableitung biorhythmisch; gleichzeitig (1967 bei Brockhaus) gebucht Biophonetik F. (-; Pl. ungebr.), aus bio- und —»· Phonetik, für 'Teilgebiet der Phonetik, das die biologisch-physiologischen Grundlagen des Sprechens, die Entstehung und Aufnahme der Sprachlaute sowie die entsprechenden Vorgänge im zentralen Nervensystem erforscht'; seit den 70er Jahren des 20. Jhs. Biokinetik F. (-; ohne PL), aus biound Kinetik 'Lehre von der durch Kräfte verursachten Bewegung' (zu griech. 'bewegen'), okkasionelle Bezeichnung für eine Moderichtung der Bildenden Kunst, die ihre Inspiration aus wuchernden Zellkulturen bezieht; gleichzeitig Biosatellit M. (-en; -en), aus bio- und —» Satellit, für 'mit Tieren oder Pflanzen besetztes Raumfahrzeug, das die Lebensbedingungen bei Schwerelosigkeit, die biologischen Veränderungen bei längerem Aufenthalt im All erforschen soll'; gleichzeitig das gebuchte Adj. biozid, aus bio- und -zid '-tötend' (zu lat. occidere 'töten'), in der Bed. 'lebende Organismen zerstörend', wenig später das (1980 bei Brockhaus/Wahrig) gebuchte Subst. Biozid N. (-s; -e), (vgl. gleichbed. älteres engl. biocide, anfangs auch 'Zerstörung menschlichen Gewebes, Gewebstod'), Bezeichnung für ein chemisch wirkendes Schädlingsbekämpfungsmittel, das Mikroorganismen und Pflanzen (Pilze, Insekten, Unkraut u. ä.), speziell die, gegen die es angewandt wird, zerstört, sich aber auch schädlich auf andere Lebewesen und die restliche Umwelt auswirkt (vgl. analoge Bildungen wie Fungizid, Insektizid, Herbizid); seit den 80er Jahren Bioindikator M. (-s; -en), aus bio- und —»· Indikator, meist plur. verwendete Bezeichnung für Organismen, die empfindlich auf Umweltveränderungen reagieren und Aufschlüsse liefern über den biologischen Zustand und die Qualität bestimmter Ökosysteme; Bionaut M. (-en; -en), (analog zu Aeronaut, Astronaut, Kosmonaut) aus bio- und -naut '-fahrer; Reisender (durch die Gewässer, den Luftraum)' (zu griech. 'Schiffsmann, Seefahrer'), übertragen verwendete okkasionelle Bezeichnung für einen Forscher, der unter raumfahrtähnlichen isolierten Bedingungen im Testmodell einer Biosphäre biologische Zusammenhänge untersucht; Bioakustik F. (-; ohne Pl.), aus biound —»· Akustik, Bezeichnung für den biologisch-zoologischen Forschungsbereich der Untersuchung von Tierstimmen; Biophage M. (-en; -en), aus bio- und -phage '-fresser' (zu gleichbed. griech. $), für 'Tier, das sich von lebender organischer Substanz ernährt' (vgl. Zoophage 'Tierfresser, Raubtier', Ggs. Phytophage 'Pflanzenfresser'); Biolyse F. (-; -n), aus bio- und -lyse 'Auflösung, Zersetzung' (zu gleichbed. griech. ), in der Bed. 'Auflösung, chemische Zersetzung organischer Substanz (durch lebende Organismen)' mit dem dazugehörigen Adj. biolytisch; Biolumineszenz F. (-; ohne Pl.), aus bio- und der neulat. Bildung Luminenszenz 'das Leuch-

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ten' (zu lat. lumen 'Licht, Leuchte(n)'), Bezeichnung für das Phänomen der auf biochemischen Vorgängen beruhenden Lichtausstrahlung bei bestimmten Lebewesen (Fische, Bakterien); Biotropie F. (-; -n), aus bio- und -tropie (zu griech. / 'Wendung, Kehre'), in der Bed. 'Einwirkung physikalischer Reize und klimatischer Bedingungen auf Organismen' mit dazugehörigem Adj. biotrop; Biopsie F. (-; -n), wohl aus gleichbed. frz. biopsie entlehnt (analog zu frz. necropsie aus biound -opsie, zu griech. 'Sehen; Sicht'), in der Bed. 'medizinische Untersuchung an lebendem Zellmaterial, Gewebe, das dem lebenden Organismus entnommen wurde', mit dem dazugehörigen Adj. bioptisch (vgl. dagegen frz. biopsique); Biometrie2 F. (-; -n), aus bio- und -metrie (zu griech. 'Maß'), in der Bed. 'Anwendung mathematisch-statistischer Methoden auf die Biologie durch Zählungen/Messungen und Ähnlichkeitsstudien bei Lebewesen' (vgl. dagegen Biometrie1); in jüngster Zeit nachgewiesenes Biowetter N. (-s; ohne PL) 'bestimmte (konstante) Wetterverhältnisse, die sich (positiv) auf die Gesundheit auswirken (z. B. in Kurorten)'. 3a Seit früherem 20. Jh. bezogen auf (Umwelt-)Technologien und Industrieprodukte im Zusammenhang mit der Anwendung, Auswertung und Nutzbarmachung biologischer/biochemischer Prozesse und Systeme zum Zwecke der Lösung technologischer Problemstellungen (in der Arzneimittelherstellung, Landwirtschaft, Energiegewinnung, Nahrungsmittelproduktion, Schädlingsbekämpfung, Abwasserbeseitigung, Abluftreinigung), semantisch repräsentativ für biologisch (oder auch biotechnisch/ biotechnologisch) im Sinne von 'lebende organische Substanz, Mikroorganismen (Bakterien, Algen, Mikroben, Pilze, Viren u. ä.) und kleinste Lebensbausteine (Chromosomen, genetisches Material u. ä.) einsetzend, sich ihrer Stoffwechseleigenschaften und -produkte (Gärung, Wärmeenergie-, Hormon- u. a. Wirkstoffbildung) bedienend, Verfahren der technischen Nutzung von Erkenntniswissen und Forschungsergebnissen über biologische Vorgänge, Prozesse, Systeme anwendend; auf biologischbiotechnischem Wege, bakteriologisch, mithilfe von Mikroorganismen (gewonnen, hergestellt)', in bezug auf die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt teils positiv konnotiert mit „naturangepaßt, umweltgemäß, -orientiert", teils negativ (im Zusammenhang mit der davon ausgehenden Gefahr des Mißbrauchs) mit „(manipulativ) in Lebensbaupläne eingreifend; anmaßend, inhuman", in international oder im Dtsch. gebildeten (neoklassischen) Kombinationen: Z. B. seit den 20er Jahren des 20. Jhs. nachgewiesenes Biotechnik, aus bio- und —»· Technik (vgl. gleichbed. engl. biotechnics), Bezeichnung für Techniken und Verfahren der Beeinflussung oder Nutzbarmachung biologischer Vorgänge, des Einsatzes organischer Substanzen in großtechnischen Prozessen zur Stoffumwandlung, der Übernahme ihrer Funktionsweisen (als Muster) für technisch-konstruktive Aufgaben auf medizinischem, landwirtschafts-, energie- und umwelttechnologischem Gebiet (z. B. zur Herstellung von Enzymen, Petroproteinen, zur Abwasserreinigung, Energiegewinnung, Nahrungsmittelherstellung aus Gärprozessen u. ä.) sowie zu gentherapeutischen und -manipulativen Zwecken, mit dem seit den 70er Jahren gebuchten Adj. biotechnisch und der gleichzeitig nachgewiesenen Berufsbezeichnung Biotechniker; in den 30er Jahren nachgewiesenes Biocel, aus bio und -cel (wohl zu Zelle/ Zellsubstanz), Warenname für ein kosmetisches Hautpräparat, das aus der Haut von Jungtieren gewonnen wird; seit den 30er/40er Jahren Biohumdünger, auch Biodünger 'aus Nährstoffen, -produkten hergestellter Dünger, der aus einer Mischung

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von ausgefaultem Klärschlamm, Torfmüll und Kunstdünger besteht'; seit den 40er Jahren Biochemie2 F. (-; ohne PL), aus bio- und —> Chemie, für 'Einsatz biochemisch erzeugter Produkte und Wirkstoffe in der Medizin oder Lebensmittelherstellung' (vgl. aber Biochemie1), seit den 60er Jahren nachgewiesenes Bioghurt M./N. (-s; -s), aus bio- und (Jo)ghurt, Warenname für ein diätetisches Sauermilcherzeugnis, das aus dem Stoffwechsel spezieller Bakterienkulturen gewonnen wird; gleichzeitig (1967 bei Brockhaus) gebucht Biotechnologie F. (-; -n) 'Wissenschaft/Lehre von der technischen Nutzung, wirtschaftlichen Bedeutung und kommerziellen Verwertung der Lebensprozesse von Mikroorganismen; Erforschung, Entwicklung und Anwendung von Biotechniken', Biomasse F. (-; -n) '(aus organischen Abfällen, Kuhmist u. ä. bestehende) Masse, Material, das in der Landwirtschaft in ein methanhaltiges Gasgemisch umgewandelt, zur Herstellung von Biogas eingesetzt wird', und Biosolarzelle 'Anlage zur Umwandlung von Sonnenenergie in chemische Energie unter Ausnutzung biologischer Prozesse'; seit den 70er Jahren (1970 bei Mackensen) gebuchtes Biorisation F. (-; -en), aus bio- und (Vapo)risation 'Verdampfung, Zerstäubung', in der Bed. 'Verfahren zum Entkeimen/zur Pasteurisierung von Milcherzeugnissen mittels Dampf, mit der dazugehörigen Gerätebezeichnung Biorisator M. (-s; -en) 'Zerstäubergerät zur Gewinnung keimfreier Milch, zur Pasteurisierung'; gleichzeitig (1972 bei Meyer Enz. gebucht) Biozelle F. (-; -n) '(u. a. für die Bordnetz speicherung in Satelliten eingesetzte) relativ leistungsstarke Batterie, deren Energieabgabe auf bioelektrischen Vorgängen im Stoffwechsel von Bakterien beruht'; seit den 80er Jahren (1986 bei Brockhaus) gebucht Bioalkohol M. (-s; ohne PL), aus biound —» Alkohol, 'durch Gärung aus Biomasse gewonnener Äthylalkohol, der zu einem bestimmten Prozentsatz mit Normalbenzin gemischt wird'; gleichzeitig (1986 bei Brockhaus) gebuchtes Bio-Filter M. (-s; -) 'Filtersystem zur Neutralisierung (z. B. beim Rösten von Kakaobohnen in der Schokoladeherstellung, bei der Intensivtierhaltung, Müllkompostierung u. ä. entstehender) geruchsintensiver Stoffe mithilfe von Mikroorganismen, die die Inhaltsstoffe beim Durchströmen des Filters auffressen und zu Kohlendioxyd und Wasser abbauen', Biochip M. (-s; -s), aus bio- und —* Chip, Bezeichnung für einen Mikroprozessor, der aus organischen Verbindungen besteht; gleichzeitig Biobatterie F. (-; -n), aus bio- und —»· Batterie, für 'die internen Energiequellen von Lebewesen nutzende Batterie', -Beet N. (-es; -e) 'Reinigung des Bodens von Schadstoffen durch den Einsatz von Sauerstoff verbrauchenden Bakterien', Bio-Computer M. (-s; -) 'aus Bio-Chips zusammengesetzter Computer, der ähnlich komplex wie das menschliche Gehirn funktionieren soll und für biotechnische Verfahren in der pharmazeutischen Produktion eingesetzt wird', Biotech-Firma F. (-; -Firmen), daneben auch biotec, Gen-Bio Tech und Genbiotec, Eigenname für Firmen/Produkte im Zusammenhang mit Genforschung und -technologic, Biokatalysator M. (-s; -en), aus bio- und —* Katalysator, in der Bed. 'Stoffwechselvorgänge steuernder Wirkstoff, Katalysator in Form von Enzymen, Protein Wirkstoffen, Hormonen (die von gentechnisch hergestellten Bakterien produziert werden)', Biomethode F. (-; -n) 'Methode, die biologisch gewonnene Eiweißsubstanzen in der Schnaken- und Malariabekämpfung einsetzt', Biosprit M. (-s; ohne Pl.) 'auf pflanzlicher Grundlage, biologisch hergestellter Alkohol mit einem Anteil von bis zu 30% zugesetztem Benzin'; Biowaffe F. (-; -n) 'gegen Schädlinge eingesetztes bakteriologisches Bekampfungsmittel', auch 'Einsatz von Krankheitserregern, bes. krankmachenden Bakterien in der Kriegsführung; bakteriologische Waffe' (—» Bakterie); das Adj.

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bioaktiv 'biologisch-technologisch, auf natürlicher Grundlage aktiv (von Substanzen, Materialien)'; in jüngster Zeit Bio-High-Tech, aus bio- und High-Tech, für 'High-Tech auf dem Gebiet biologischer Kampfstoffe', Bio-Tonne F. 'Müllcontainer für die separate Entsorgung und spätere Weiterverwertung von Küchen- und Gartenabfällen; grüne Tonne', und zahlreiche weitere Kombinationen, vor allem auch Warennamen, mit selbständigen, zum Teil gekürzten, zunehmend auch indigenen Lexemen Bio-Mist, -Mittel, -therapie, -Industrie, -prozesse, -firma, -reaktor, -Wissenschaften; biotechnologisch; high-bio; Biodetox. 3b Seit den 60er Jahren des 20. Jhs. vereinzelt, seit den 70/80er Jahren zunehmend als schlagkräftiges Werbepräfix, auch in absoluter Verwendung, als Attribut (s. Belege 1983, 1985, 1987) und gelegentlich adv. (s. Beleg 1987) gebraucht, semantisch repräsentativ für biologisch in der Bed. Organisch-biologische, kontrolliert-biologische Methoden (bei Anbau, Herstellung und Behandung von landwirtschaftlichen und industriellen Produkten) anwendend, ungespritzt, unbehandelt, auf natürlichem Wege, ohne chemische Zusätze (hergestellt, angebaut, erzeugt); naturbelassen/ -gemäß/-nah/-rein/-verbunden; Natur-/Vollkorn-/Vollwert-/Reform-; Schadstoff-, rückstandsfrei, biologisch abbaubar' (im Unterschied zu herkömmlich, konventionell (erzeugt, angebaut), chemisch, synthetisch (hergestellt); vgl. —> öko-, vgl. auch mak.ro- im Sinne von 'makrobiotisch'; Ggs. chem(o)-, Chemie-/Synthetik-/Kunstfaser-}, bezogen auf Einstellungen und Lebensweise auch für 'der ökologischen Bewegung angehörend, ihr verpflichtet, darauf bezogen, umweit-, gesundheitsbewußt denkend, lebend, handelnd; ökologisch, alternativ, grün; Müsli-', von daher meist positiv konnotiert mit „förderlich/unschädlich für die Gesundheit; sanft, schonend, rein; (ernährungsphysiologisch, diätetisch) wertvoll, gesund, verträglich, bekömmlich", in zahllosen, meist subst., oft eher okkasionellen und insbes. werbespr. Kombinationen mit (häufig durch Bindestrich abgetrennten) selbständigen Lexemen als Basen oder auch in Abkürzungskombinationen mit unselbständigen Wortbildungseinheiten bzw. Lexemkürzungen, die namenartige Bezeichnungen für Einrichtungen, Personen(-gruppen) oder eingetragene Firmen- und Warennamen (der Nahrungsmittel-, Reinigungs-, Heilmittel-, Kosmetikindustrie, der Sport- und Fitneß- sowie der Textil-, Schreibwaren-, Bau- und Möbelbranche u. ä.) darstellen, bei denen ein Zusammenhang mit positiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Verbraucher, die Erhaltung von Natur und Umwelt hergestellt und die Herkunft/Nähe eines Produktes, die Anhängerschaft seiner Vermarktungsagenten (Hersteller, Verbraucher) zur ökologisch-alternativen Weltanschauung und umweltpolitischen Bewegung suggeriert werden sollen. Wegen der inflationären und vielstrapazierten Verwendungsweise als Gütesiegel für Wissenschaftlichkeit und Seriosität aber auch zunehmend eher negativ konnotiert im Sinne einer kritischen Abwehrhaltung gegenüber kommerziellem Mißbrauch oder übertriebener Weltanschaulichkeit der Modeerscheinung (s. Belege 1985, 1986, 1987, 1988): Z. B. in den 50er Jahren nachgewiesenes Bionelle, aus bio-, -n- (vermutlich in Fugenfunktion) und dem (französisierenden) Diminutivsuffix -eile, Warenname eines Schmerzmittels gegen Kopfweh, Rheuma und Frauenbeschwerden; seit den 80er Jahren Biosthetik F. (-; Pl. ungebr.), aus bio- und (Ä)sthetik, Produktbezeichnung für eine der Natur besonders verbundene Form der Haar- und Schönheitspflege, mit der Berufsbezeichnung Biostethiker M. (-s; -); gleichzeitig Bio-Laden M. (-s; -Läden), für 'Laden, in dem nur Produkte, besonders Nahrungsmittel verkauft werden, die

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aus biologisch-dynamischem oder organisch-biologischem Anbau stammen und nicht chemisch behandelt wurden', das Adj. biodynamisch2, aus bio(logisch) und —» dynamisch, vor allem in Syntagmen wie biodynamisch angebaut, angepflanzt, für 'mit organischen Düngemitteln gedüngt; biologisch-dynamisch, -organisch', mit der in jüngster Zeit nachgewiesenen Gelegenheitsableitung Biodynamik2 (s. Beleg 1988), Biodyn/-Dyn, aus biologisch) und dyn(amisch), geschützter Name von Betrieben, die sich in der Umstellungsphase vom konventionellen zum biologisch-dynamischen Landbau befinden, Biokost F. (-; ohne Pl.) 'naturbelassene, Natur-/Reformkost', Bio-Exercise, undekl., aus bio- und (engl.) exercise, Bezeichnung für eine natürliche, sanfte Gymnastikmethode, die scherzhafte Gelegenheitsbildung Bio-Fraktionssaal 'Fraktionssaal der Grünen Partei', Bio-kats, aus bio und -kats, wohl nach engl. cats 'Katzen', Warenname für ein Tierpflegeprodukt (Streusand für Katzentoiletten), Bio-Palais N. (-; ohne PL), okkasionelle Bezeichnung für das Haus des Malers Hundertwaser in Wien, der sich damit seinen Traum vom „natürlichen Wohnen" erfüllt hat, -Plastik N. (-s; ohne PL), Bezeichnung für ein biologisch abbaubares Kunststoffmaterial, das unter der Markenbezeichnung Biopol im Handel ist, BioProgramm N. (-(e)s; -e) 'Waschmaschinenprogramm, das Waschvorgänge mit bioaktiven Waschmitteln ermöglicht', Bio-Wand, scherzhafte Bezeichnung für die begrünte Wand im Fraktionssaal der Partei der Grünen im Bundestag; bis heute weiterhin produktiv als erster Bestandteil in unzähligen Kombinationen wie Bio-Aktie, -Apfel, -Architekt, -Bau, -Bauernhof, -Betrug, -Bett, -Bewegung, -Bier, -Boom, -Brötchen, -färbe, -fritze, -Garten, -Haus, -Kaffee, -Küche, -Lack, -Lebensmittel, -Matratze, -Nahrung, -Produkt, -Seife, -Trip, -Tourismus, -Trend, -Waschmittel, -Wein, -Welle, -Winzer, -Zirkus, -Zukunft und in der Werbung mit zunehmend erweiterten Wortbildungslizenzen, vorzugsweise mit gekürzten oder fremdsprachlichen Konstituenten kombiniert, bei gleichzeitiger Bedeutungsentleerung und Abnahme des konkreten Bezugs, z. B. in den (undekl.) Warennamen Bio-S für ein biologisch wirksames Pflanzenschutzmittel gegen Mehltau und Pilzbefall, Biosamol für ein Schlankheitsmittel, Biotin für ein Haar-, Nagel- und Hautvitamin, Biobronch für ein Hustenmittel, Bioline für eine Schuhmarke, Biotherm für eine kosmetische Faltencreme, Bio-vital für ein vitaminreiches Eisenpräparat und Stärkungsmittel, gelegentlich auch als zweiter Bestandteil vorkommend, z. B. in texbio (s. Beleg 1986), Almacabio (s. Beleg 1987) und neobio (s. Beleg 1988). 4 In der 1. Hälfte des 20. Jhs. vereinzelt und eher idiosynkratisch gebraucht in der Bed. 'auf belebte Vorgänge, lebende, bewegte Bilder bezogen' (vgl. kineto-), nur in vereinzelten neoklassischen Kombinationen: Z. B. Anfang des 20. Jhs. nachgewiesenes Biorama N. (-s; Bioramen), aus bio- und -(o)rama (zu griech. 'das Gesehene, der Anblick; das Schauspiel'), weitgehend gleichbed. mit seit den 30er Jahren (1933 bei Genius) gebuchtem Biograph M. (-en; -en), aus bio- und -graph (zu griech. 'schreiben'; vgl. gleichbed. engl. biograph, vgl. dagegen Biograph, —> Biographie), in den 50er Jahren nachgewiesenem Biomatograph M. (-en; -en), aus bio- und (Kine)matograph, und (wohl Ende des 19. Jhs. von dem Franzosen Demeny geprägt) seit den 60er Jahren (1967 bei Brockhaus) gebuchtem Bioskop N. (-s; -e), aus bio- und -skop (zu griech. 'schauen'), als Bezeichnungen für Vorführgeräte zur optischen Darstellung lebendiger Vorgänge, die als erste Einrichtungen zur Projektion von Filmszenen gelten können.

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Bio-, bio- 1: Zedler 1733 Unwersallex. Ill 1892 Biolychnium . . Flamma vitalis, Calor nativus, Calidum innatum, die angebohrne Wärme, welche der Frucht von denen Eltern mitgetheilet wird . . Ferner wird durch dieses Wort angedeutet eine gantz besondere Zurichtung und Quint-Essentz des menschlichen Blutes . . hievon Blut-Lampe; ebd. III 1896 Biothanati . . heissen . . diejenigen, welche eines gewaltsamen Todes gestorben sind; Troxler 1811 Die Elemente der Biosophie (Titel); Heyse 1838 Fremdwb. l 133 Biotomie . . die Lehre von den Lebensabschnitten; Bernoulli 1841 Populationistik 389 Populationistische Biometrie . . der statistischen Erforschung der Lebensdauer; 1862 Meyer Enz. Ill 491 Biomantie (v. Griech.) .. angebliche Vorherbestimmung der Lebensdauer aus dem Pulse und ändern Zeichen; daher Biomant, ein Betrüger oder Charlatan, welcher mit dergleichen Prophezeiungen die Leute hintergeht; ebd. Biometrie (v. Griech.), Wahrscheinlichkeitsrechnung in Beziehung auf die durchschnittliche Lebensdauer der Menschen, wie dieselbe namentlich bei dem Versicherungswesen von Wichtigkeit ist; dann Berechnung der Zeit, sowie der uns zu Gebote stehenden physischen und moralischen Kräfte, um davon innerhalb der gegebenen Lebensverhältnisse den besten Gebrauch zu machen; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 89 Biometer . . Lebensbericht nach Stunden; Sanders 1871 Fremdwb. l 154 Biolychnion . . „Lebenslampe", eine aus dem Blut eines Menschen bereitete brennbare Flüssigk., die durch den Helligkeitsgrad u. die Dauer ihres Brennens für sein Lebensschicksal vorbedeutend sein soll; Lombroso 1894 Antisemitismus (Übers.) 31 die sogenannten biostatischen Unterschiede zwischen Juden und Christen; 1895 Naturwiss. Wochenschr. X 357 Bio-Statistik; 1916-17 Polit.-anthropolog. Monatsschr. XV 636 biosophisch . . Biosophie; 1917 Festschr. f. Joseph Schlecht 364 Lebensberichte . . Biogramme, wie sie Dove nennen würde [Wortbildung Georg Wolffs, Direktor der Universitätsbibliothek München]; Kluckhohn 1941 Ideengut 25 Biosophie [Wortprägung von Troxler]; Münch. N. N. 10. 3. 1941 Der Sitz dieser „Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsstatistisk" des Reichsgesundheitsführers, die gleichzeitig . . als „Biostatistisches Institut der Universität Berlin" anerkannt wurde; 1972 Meyer Enz. IV 227 Biobibliographie, eine Bibliographie, in der Werke von Autoren und Veröffentlichungen über deren Leben zusammengestellt sind. — auch Personalbibliographie; Brockhaus/Wahrig 1980 Dtsch. Wb. l 698 -Interview Lebensbeschreibung einer für gewisse Ideen, gesellschaftliche Entwicklungen usw. repräsentativen Person, bei der der Autor Interviews mit dem Betreffenden als Material benutzt; 1981 Hamb. Antiqu. CLIV 22 Aufstellung von 409

Pflanzennamen mit kurzen bio-bibliographischen Angaben über die Forscher; Zeit 19. 4. 1985 medizinische, biometrische und statistische Bewertung von Untersuchungen mit Nutzen-Risiko-Ermittlungen von Arzneimitteln; MM 29. 6. 1989 Autoren gesucht (Überschr.) Anthologie ist geplant . . Beiträge, mit bio-bibliographischen Angaben können bis zum 31. August 89 eingereicht werden. Bio-, bio- 2: Treviranus 1802 Biologie oder Philosophie der lebenden Natur (Titel); Heyse 1838 Fremdwb. I 132 Biodynamik . . die Lehre von der allgemeinen Lebensthätigkeit; Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 89 Biochemie, die (gr.) Lehre von den Erzeugnissen der Lebensthätigkeit in der Scheidekunst; Haeckel 1866 Generelle Morphologie I 18 Die anorganische oder abiologische Formenlehre (Abiostatik) .. Ihr steht coordinirt und parallel gegenüber die Morphologie der Organismen, die organische oder biologische Formenlehre (Biostatik); ebd. I 20 Die Physiologie oder Biodynamik beschreibt und erklärt die Leistungen (Funktionen, Bewegungen, Kräfte) der Organismen; Ratzel 1897 Polit. Geogr. 94 Wohl ist die Wüste zuerst ein . . biogeographischer Begriff; 1899 Naturwiss. Wochenschr. XVII 327 das biogenetische Grundgesetz sagt: das Individuum macht im Laufe seiner ontogenetischen Entwicklung die Phylogenese des gesamten Stammes von der Urzelle an durch; 1902 ebd. XVII 613 Biocönose oder Lebensgemeinschaft von Pflanzen; Benedikt 1903 Das biomechanische . . Denken in der Medizin und in der Biologie (Titel); ebd. 3 Ich ersetze den Audruck „Neo-Vitalismus" durch „Biomechanik" d.i. die Lehre von den Bau-Anordnungen; 1905 Naturwiss. Wochenschr. XX 128 vom biokönotischen Standpunkte, vom Standpunkte der Produzenten, der Pflanzen; Schaffte 1906 Soziologie 32 Biophysik und Biochemie, eine Biogeographie . . Gefällig sind die Bezeichnungen allerdings nicht, und sie werden sich schlecht einleben; Haeckel 1913 Lebenswunder 89 Der Biologie gegenüber steht .. die Gesammtwissenschaft von den Anorganen oder den „leblosen" Naturkörpern, die Abiotik oder Abiologie; ebd. 113 daß die physiologischen Individuen (Bionten) bei den Protisten ebenso eine beschränkte Lebensdauer haben; ebd. 117 Biogene [von Verworn geschaffenes Wort]; ebd. 415 dabei sind besonders die entgegengesetzten Ansichten über Art und Werth der Biogenesis zu vergleichen . . So wenig wir eine besondere übernatürliche „Lebenskraft" für die Erklärung der physiologischen Functionen zulassen dürfen, ebensowenig kann eine solche als Regulator oder Factor der biogenetischen Processe angenommen werden . . Wenn wir unter Biogenie die Gesammtheit aller organischen Entwickelungs-Processe auf der Erde verstehen, unter Geogonie dagegen dieje-

Bio-, bionigen der Erde selbst, und unter Kosmogenie die der ganzen Welt; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Hl 928) In seiner Sprache handelte es sich da um biophysische Projektionen unterbewußter Komplexe ins Objektive; ders. 1931 Reden u. Aufs. (W. XU 657) der von Nietzsche herkommenden „biozentrischen" und geistfeindlichen Lehren; 1931-32 Ostdtsch. Monatsh. XU 112 bioklimatischer Heilwert; Bucht 1932 Goethe 9 „Biozentrismus und Logozentrismus"; Berl. lllustr. Nachtausg. 19.3.1934 Biobund unter neuer Leitung (Überschr.) Zur Korruptionsaffäre im „Biochemischen Bunde Deutschlands; 1934 Archiv G Medizin XXVII 281 „Biocönologie der Tiere"; ebd. XXVII 337 der Weltorganismus oder Biokosmos; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Was ist Biochemie? (Überschr.) Biochemie heißt eigentlich LebensChemie, bedeutet also jene Wissenschaft, die die Lebensvorgänge im menschlichen und tierischen (evtl. auch im pflanzlichen) Organismus zum Gegenstand hat. Im engeren Sinne verstehen wir unter Biochemie jedoch eine Heilmethode; Spetsieris 1938 Formproblem (Diss. phil. München) 66 „Biosphäre" Wortprägung von Le Roy; Münch. N. N. 10.4.1938 Das ist die wissenschaftliche .. Beschäftigung mit der Homöopathie . . Das ist die Atemlehre . . Und da ist — neben anderen, etwa „biorhythmischen" Gedankengängen — schließlich eine „kosmische", aufs Ganze der Lebenserfassung hindrängende Anschauung; Schipkowensky 1938 Schizophrenie und Mord. Ein Beitrag zur Biopsychologie des Mordes (Titel); 1943 Blätter f. dtsch. Philos. 17 Woltereck geht von den Bioimpulsen und ihrer Ursprungsdynamik aus; Münch. N. N. 9.3.1942 Biochemie und Krebsforschung (Überschr.) sprach der Direktor der Institute für Vitaminforschung und für organisch-chemische Forschung . . über „biochemische Angriffspunkte und Fragen in der Krebsforschung"; Hellpach 1944 VPs. 13 „biogon", „biochron" und „biotop" als Merkmale der wirklichen Lebewesen, der Organismen; Berg 1947 Einführung in die Bioklimatologie (Titel). Aufgabe der Bioklimatologie ist die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen den meteorologischen Erscheinungen und klimatischen Gegebenheiten mit den Lebensvorgängen von Pflanze, Tier und Mensch; 1949 Urgesch. d. Schweiz l 171 eiszeitliche Biotope; Bamm 1956 Ex ovo o. S. Für die Entstehung dessen, was man Genie nennt, scheint . . ein bionegatives Element unentbehrlich zu sein; König 1958 Grundformen 13 Biom; Welt 24.12.1959 In Zelloforton können erstmals Zellgewebsstoffe in Drageeform eingenommen werden, während bisher diese biogenen Stimulatoren nur durch operative Einpflanzung . . Anwendung finden konnten; Vögtle 1970 Testament o. S. Es ist uns schon längst vertraut, das,

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was die heutigen Naturwissenschaften über die Kosmogenese, die Biogenese und Anthropogenese sagen, auch im Lichte der biblischen Schöpfungslehre zu sehen; FAZ 28. 1.1970 Weitere Tierversuche mit Biosatelliten (Überschr.); Pape 1971 Gesteinsbestimmung o. S. Als Biotop ist das Moor sehr nährstoffarm, da die für die Pflanzenernährung erforderlichen Salze nur durch Regenwasser und Staub zugeführt werden; 1971 Bild d. Zeit II II o. S. Schult . . ließ Zellkulturen wuchern. Die von ihm kreierte Kunst nennt er Biokinetik; Müller 1977 Biogeographie und Raumbewertung (Titel); 1985 Unispiegel Heidelberg U 5 Die Sorge um die Zukunft macht die Biosphäre als Ganzes zum „Treugut des Einsichtigen" . . Fragen der Bio-Ethik treten gerade im Bereich der Gentechnologie auf; Zeit 15.3. 1985 unsere Studenten in bioethischen Grundlagen auszubilden, damit wieder einer Generation der Vorwurf gemacht werden muß, daß sie darin versagt hat, das Gewissen der jüngeren Generation zu schärfen; ebd. 3. 5. 1985 Sie [die Seevögel] stehen am Ende einer biologischen Nahrungskette und dienen den Wissenschaftlern als Bioindikatoren für die Beurteilung des Ökosystems See; ebd. 4. 10. 1985 Schwingungstechniker . . der biodynamisch dem Bewegungsmangel begegnen wollte . . langfristig müsse sich sogar zeigen, ob halbseitig Gelähmten mit biodynamischen Sitzmöbeln geholfen werden kann; ebd. 18. 10. 1985 Diese Wanne ist ein geradezu ideales Biotop für Pilze und Bakterien, die wiederum über die Luft in die Arbeitsräume transportiert werden können; 1985 Mannh. lllustr. Nov. Bioregulatoren machen Pflanzen kräftiger, widerstandsfähiger und ertragreicher; Zeit 27. 12. 1985 per Computerprogramm die biorhythmischen Kurven seiner Mitarbeiter zu ermitteln, um danach Urlaubspläne, Dienstreisen und Besprechungstermine zu gestalten; 1986 JubelDeutsch 56 Feuchtbiotop nach Swimmingpool der neue Trend für den Villenbesitzer, der mit der (Öko-)Zeit geht: Tümpel, Pfütze mit Chic-Appeal; MM 22.3. 1986 Die Kraft des Windes und biothermische Energie, die durch Wärmepumpen genutzt wird, sind . . weitere sogenannte PrimärEnergiequellen; Zeit 6. 6. 1986 Der dritte Pavillon schließlich . . enthält Bilder und Skulpturen . . der Blick von drinnen nach draußen oder draußen nach drinnen wird zum Dialog zwischen Kunst und Natur, anthropomorphe und biomorphe Formen verwandeln sich im Wechselspiel; ebd. 27.6.1986 Am Institut für Medizinische Dokumentation, Statistik und Datenverarbeitung ist . . die Stelle eines Biometrikers . . zu besetzen; ebd. 25. 7. 1986 im Bereich der experimentellen oder theoretischen Bioakustik; MM 21.4.1987 Zur Zeit gedeihen beim alternativen Gartenbaubetrieb „Biotopia" . . Kohlrabi und Salat; ebd. 11. 12.

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1987 Neid und Mißgunst blühten in diesem feudalen Biotop prächtig, die Hofschranzen ließen die Gräfin Taxis schon spüren, wer sie nicht war; ebd. 20. 1.1988 Mit der Bachforelle und den Amphibien hat man also empfindliche natürliche Meßinstrumente - sogenannte Bioindikatoren - in der Hand, um die Auswirkungen der Versauerung untersuchen zu können; ebd. 18. 3. 1989 Viele dieser Biozide oder Pestizide werden an die kostbaren Humusstoffe gebunden und bleiben dadurch dauernd im Boden. Im naturnahen Garten gibt es darum keine Chemikalien, die Insekten, höhere Pflanzen oder Pilze, Schnecken oder Nagetiere abtöten; ebd. 15. 9. 1989 Es war schließlich der große Philosoph und Naturforscher Rene Descartes (1596-1650), der den menschlichen Körper Fleisch und Blut — unter rein physikalischen und mechanischen Gesichtspunkten betrachtete . . Descartes darf daher als einer der Väter der heutigen Biometrie, Biophysik und -mechanik gelten; SAT l (Heute am Donnerstag) 4. 10. 1990 Biowetter: Wer an Rheuma leidet, muß sich . . auf erhöhte Schmerzempfindlichkeiteinstellen; 3992 Übermorgen VII 6 ff. Leben mit Kolibris und Korallen: In der Wüste Arizonas werden sich acht Forscher zwei Jahre lang in einer künstlichen Biosphäre einschließen (Überseht.) Im Glashaus am Fuß der Schwarzen Berge wollen sich acht „Bionauten" zwei Jahre lang einschließen, um mehr über die rätselhaften Zusammenhänge in der Natur und über regenrative Technologien zu erforschen . . Die Idee eines solchen Bioraumschiffs stammt nicht aus Hollywood, sondern aus dem Institut für Biophysik im sibirischen Krasnojarsk . . Edward P. Bass . . machte mit einer 20-Millionen-DollarSpende zum Aufbau eines Instituts für Biosphärische Studien an der Universität Yale von sich reden . . ein Energiezentrum . . das auf Biogas-Basis funktioniert. . Was nützt der stabilste Biokreislauf, wenn die Psychosphäre der Beteiligten in dieser paradiesischen Isolation nicht funktioniert ? . . Das Vertrauen der Biospherianer in die Selbstorganisationskraft der Natur basiert auf fünfjährigen Versuchen; Leipz. Volksztg. 23. 10. 1991 Der Name des Unternehmens in Schönwalde: „Biomodelle GmbH". 33 Beschäftigte „produzieren" hier vor allem Ratten und Mäuse sowie „Ausrüstungen für kleine Versuchstiere"; Spiegel 6. 9. 1993 Expressionistisches, Biomorphes, Konstruktives, Futuristisches, alle Bildsprachen, zumal die abstrakten, existieren nebeneinander; ebd. 15. 11. 1993 Im derart aufgeräumten Wald, der aus gleichaltrigem Stangenholz besteht, schwindet die Biodiversität, die Vielfalt der Arten; ebd. 8. 5. 1995 Rund 3,3 Milliarden Jahre nach der Erfindung der Photosynthese brachen ganze Ökosysteme zusammen .. Ursache war eine afrikanische Primatenart, die sich explo-

siv vermehrt und das subtile Gleichgewicht der Biosphäre gestört hatte: der Mensch. Bio-, bio- 3a: Manch. N. N. 30. 1.1939 eine Industrieanlage . . in der durch Mischung von Klärschlamm, Torfmüll und Kunstdünger der trockene, sehr wirksame Biohumdünger hergestellt wird; ebd. 27. 1.1944 Dr. Kurt Enders, Dozent für angewandte Chemie . . wurde für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Brauwissenschaft und der Biochemie der „Engelhardt-Brauerei Preis 1943" . . zur Förderung der Brauwissenschaft und -technik einstimmig zuerkannt; Süddtsch. Ztg. 26. 7. 1958 wies das Bundesverwaltungsgericht die Klage eines Drogisten zurück, dem von der zuständigen Behörde der Verkauf von „biochemischen" Funktionsmitteln untersagt worden war; Korth 1975 Mod. Konversation 33 Bio-Mist .. Hochwertiger Dünger, der aus kommunalem Klärschlamm und Preßstroh hergestellt werden soll; Zeit 25. 1. 1985 Hoffnung, durch diese Moleküle in Zukunft das Immungeschehen beeinflussen zu können, da sich vielleicht alle Lymphokine einmal biotechnisch herstellen lassen; MM 5. 8. 1985 Biotechnik-Zentrum soll 1985 Arbeit aufnehmen (Überschr.) . . noch in diesem Jahr ein „Internationales Zentrum für Gen-Manipulation und Biotechnik; Zeit 6. 9. 1985 Für jeden Yen, den die öffentliche Hand für biotechnologische Projekte ausgibt, investiert die Privatwirtschaft zusätzlich fünf Yen, lautet die Formel . . für Bioindustrie; ebd. 27. 9. 1985 Sie heißen Organogen und Gen-Bio-Tech, Oxo-Chemie und Denagen, Fermigen, Testimmun und IBL International Biotechnology Laboratories — allein diese sieben Biofirmen haben zusammen mit dem Branchenpionier Progen ihren Sitz in Heidelberg: die Unistadt am Neckar ist eindeutig das deutsche Zentrum der biologischen Zukunftstechnik; MM 11. 10. 1985 sieht als Fernziel sogenannte BioComputer, weil die Produktion der Bauteile auf biotechnologisch-biologischen Verfahren geschehen kann; ebd. 8. 4. 1986 Man geht auch den Problemen ultradünner Schichten nach, um neuartige Membranen, Sensoren oder bioaktive Kunststoffe schaffen zu können; Zeit 25. 7. 1986 Professur für Mikrobiologie .. Bewerbungen .. an den Dekan der Fakultät für Geo- und Biowissenschaften; Süddtsch. Ztg. 28. 7. 1986 Neue Wortschöpfungen tauchen auf . . so ist beispielsweise 'high-chem' schon zu einem eingeführten Begriff geworden. Bekommen jetzt im Zuge der Gleichbehandlung auch die Biologen ihr 'high-bio' und die Mediziner ihr 'high-med'?; Zeit 12. 6. 1987 Brisanz der Gentechnik (Überschr.) Für Kiper ist praktisch alles, was den Menschen in irgendeiner Form krank macht oder beeinträchtigt, eine potentielle Biowaffe; MM 1. 9. 1987 Die biologische Methode im Kampf ge-

Bio-, biogen die Schnaken am Oberrhein soll auch in der Dritten Welt greifen . . Bazillen als Lebensretter? . . Biomethode . . in der Dritten Welt gegen Malaria; Zeit 3. 6. 1988 Weil der Alkohol-Motor sauberer ist, schlugen anfangs die Herzen deutscher Umweltschützer höher, als sie vom brasilianischen Alkohol-Programm hörten. Dazu trug sicher auch die verführerische Kraft des Wortes „Biosprit" bei — Treibstoff auf pflanzlicher Grundlage; Süddtsch. Ztg. 19. 10. 1988 was durch genmanipulierte Pflanzen auf uns zukommt . . von Saedlers lieblichen manipulierten lachsrosa Petunien ist kein BioGAU zu erwarten; MM 21. 12. 1988 Der Bio-Filter soll den Geruch, der beim Rösten von Kakao entsteht, neutralisieren . . die Inhaltsstoffe werden beim Durchströmen des Filters von Mikroorganismen aufgefressen . . ein funktionierendes Bio-System; 1989 Meier (Mannh. Stadtmagazin) IV 15 Das Projekt -Tonne läuft als Pilotversuch . . In . . ausgewählten Stadtgebieten . . wird kompostierter Abfall vom Rest-Hausmüll getrennt, wertvoller Rohstoff gewonnen und die Umwelt geschont; TAZ 29. 1.1991 Auch bei der Erforschung und Produktion biologischer Kampfstoffe gingen dem Irak deutsche Techno-Söldner zur Hand . . die hessische Firma Labsco will . . lediglich einen irakischen Pestizid-Hersteller mit -High-Tech beliefert haben; Spiegel 8. 2. 1993 Werden dem Huhn Antibiotika verabreicht, setzt ein tückischer BioProzeß ein: Im Tierdarm dezimieren die PharmaPräparate die weniger gefährlichen Keime und ermöglichen so eine explosionsartige Zunahme widerstandsfähigerer Erreger; ebd. 12. 4. 1993 Kaum jemand weiß, daß weltweit mittlerweile 75 Prozent aller Waschmittelenzyme gentechnisch in Bioreaktoren erbrütet werden; ebd. 1991 stellten die Maggi-Leute ihr Herstellungsverfahren um. Sie vergären die braune Maggi-Soße nun mit hochaktiven Biomolekülen — den Enzymen. Diese winzigen Biokatalysatoren gelten als neuer „Zauberstoff einer sanften Chemie"; ebd. 25. 10. 1993 Kliewe ermittelte derweil die Lebensfähigkeit von Pestbakterien auf Granatsplittern und entwickelte in seinem Berliner Labor einen „Ultrazerstäuber", der nach dem Zerplatzen der Bombe die Bakterienaufschwemmung in feinste Tröpfchen auflöste. Arn effektivsten wirkten Biobomben, deren Wirkung durch Giftgas verstärkt wurde. Bio-, bio- 3b: Stuttgarter Ztg. 29. 5. 1968 Der Biosthetiker führt bei Ihnen die „biosthetische Analyse" . . durch . . mit den biosthetischen Präparaten . . Haaruntersuchung, durch welche Haarschäden und ihre Ursachen erkannt werden können; Brigitte 15. 6. 1983 Einen entscheidenden Fortschritt im Kampf gegen Falten erzielten die Biologen von Biotherm mit Creme Special Rides; Saarbr. Ztg.

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29. 10. 1983 wir sind hierzulande auf dem BioTrip. Wer sich an der Marktlage orientiert, wird nicht länger zögern, gibt es doch kaum noch Produkte, die auf die Vorsilbe „bio" verzichten zu können glauben . . „Bio" . . steht ganz allgemein für bessere, gesündere Ware. Wer biologisch-dynamisch gezüchtete Radieschen Leberwurst aus dem Bio-Fleischladen . . vorzieht, lebt . . besser und gesünder . . sehr rasch ist die Kosmetikindustrie auf die -Masche gekommen, Seifenläden locken in den Auslagen mit umweltfreundlichen Bio-Seifen. Möbel-Designer entwerfen Bio-Betten . . Längst ist der -Tourismus en vogue . . Der Bio-Verlag präsentiert einschlägige Literatur . . Deshalb sollten unsere Autoren, falls sie Absatzschwierigkeiten haben, nicht nur Biographien, sondern auch Bio-Romane, -Dramen, Bio-Sonette, -Features und -Glossen schreiben, am besten mit grüner Tinte; Stuttgarter Ztg. 6.12.1983 Bio. Bio (Überschr.) Die „ ''-Welle läuft und läuft . . Anfänglich war sie vor einer Reihe von Jahren vom „Bio"Obst und vom „Bio"-Gemüse ausgegangen, das sich durch das Kürzel „Bio" als biologisch gedüngt auswies . . das verleiht . . der „Bio"-Welle jenen Hauch von Wissenschaftlichkeit, der . . ein „Bio"Radieschen über ein Jaucheradieschen erhebt; Miiller-Thurau 1984 Köpfe 131 Bio-Küche .. Die „natürliche Küchenalternative für Menschen mit umweltbewußtem Lebensstil" ist da . . Herd, Schränke und Spüle . . dies alles ist neuerdings in „Bionorm-gerechter Verarbeitung in hochwertiger Qualität" zu haben; MM 14. 3. 1985 Zur Vorsicht gegenüber den Werbeaussagen der sogenannten Biobranche, die ihren Produkten mit Vorsilben wie „Bio-" oder „Öko-" häufig nur ein verkaufsförderndes Mäntelchen umhängen will, hat das Umweltbundesamt geraten; ebd. 16.117. 3. 1985 „ Betrug? — Eine Beweisaufnahme" . . Was die Verfasser .. sich bei einer solchen Rufmord-Kampagne gedacht haben, werden sich selbst jene Leser fragen, die aus Prinzip der -Bewegung ablehnend gegenüberstehen. Wird doch hier behauptet . . daß „der ganze -Zirkus" nur ein Betrugsmanöver geschäftstüchtiger Produzenten sei .. Die Bio-Welle hat sich . . nicht selten durch übertriebene Weltanschaulichkeit und Besserwisserei. . unbeliebt gemacht; Brigitte 7.8.1985 „Bio. biologisch, öko- und naturgemäß" sind ungeschützte Bezeichnungen, die keine Bedeutung haben. Wer gesünder einkaufen möchte, kann sich an den folgenden Markennamen orientieren: Bioland: Geschützter Name für organisch-biologischen Anbau aus kontrollierten Höfen . . Biodyn: Geschützter Name für Produkte von Höfen, die sich in der fünfjährigen Umstellperiode vom konventionellen

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Bio-, bio-

zum biologisch-dynamischen Landbau befinden . . Die Bezeichnungen „Bio, Öko" oder „naturgemäß" tauchen auch auf ganz normalen Nahrungsmitteln und Kosmetika auf; MM 16. 10. 1985 „ -Bau" des Malers Friedensreich Hundertwasser sorgt in Wien für viel Aufregung . . Das „BioPalais" . . ist derzeit Gesprächsthema Numer eins . . obgleich kräftige Abstriche bei der „Bio-Verwirklichung" gemacht wurden; 1986 Werbeprospekt o. S. Spezial-Waschmittel . . texbio: für Baumwolle, Leinen und Ramie; MM 24. 7. 1986 Ihr Programm ökologischer Bewirtschaftung der Reben . . reicht von der natürlichen Begrünung über die organische Düngung mit Stallmist und Kompost und die Anwendung biodynamischer Präparate zur Bekämpfung von Rebschädlingen bis zur schonenden Bearbeitung des Bodens; Das Parlament 18./20. 9. 1986 Im Bio-Fraktionssaal der Grünen im Bundeshaus: Eine Bio-Wand mit rankenden und Feuchtigkeit spendenden Pflanzen ist ebenso vorhanden wie der Naturwollbodenbelag, auf dem die Kinder der Abgeordneten spielen können; 1986 Werbeprospekt o. S. Sonderschau Gesund schlafen mit Natur -Lattenrosten und BioMatratzen Gesundheitstest mit dem DAK-Computer; 1986 Jubeldeutsch 201 Vollkornbrotmann . . der bio-bewußte Chauvi mit der Passion für Ballaststoffe . . Hauptsache, Vollkornbrot im Brotkasten. Knirsch; 1987 Broschüre Schrot u. Korn Vlll 5 Bei der Notenvergabe . . erhielten die konventionellen Erdäpfel Noten von 8 bis 9, die Bios lagen bei 5 und besser; Für Sie 27.5.1987 Der neue Gymnastiktrend: -Exercise . . Das ist ein neues, sanftes Training für den ganzen Körper (Anzeige); Süddtsch. Ztg. 17.118. 10. 1987 Jetzt ist es der BioFritze, der als grün angehauchter Gymnasialprofessor meint . . die Polizei müsse friedliche Demonstranten schützen, aber gewalttätige festnehmen; 1987 Prospekt Büchergilde 3 Der Bio-Garten (Überschr.) Gemüse, Obst und Blumen naturgemäß angebaut . . gesundes Leben wenigstens im eigenen Garten . . -Medizin (Überschr.) Alles über die moderne Naturheilpraxis . . Die wesentlichen Verfahren der biologischen Ganzheitsmedizin; 1988 Prospekt neuform o. S. neobio . . Krauter-Kosmetik; MM 29. 6. 1988 Die Bio-Inflation (Bildunterschr.) Schwarze Schafe im Grün. Alltag eines Naturköstlers . . Schindluder mit dem Titel „Bioware" (Überschr.) Jeder Bäcker, der hierzulande was auf sich hält, hat inzwischen Bio-Brot in seinem Sortiment . . Den -Boom an den Verkaufstheken können die Erzeuger . . längst nicht mehr befriedigen — in die Lücke stoßen auch dubiose Verkäufer, die Betrügereien mehren sich; ebd. Im Bio-Laden wogt die Freßwelle (Überschr.) . . Nach langen Jahren der Kargheit und des Verzichts huldigt man hier neuerdings dem „Natur-Gour-

met", der sich ausschließlich von Bio-Schlemmereien ernährt . . In Mannheim öffnete unlängst gar der erste Supermarkt für -Produkte seine Pforten . . ungespritzte Kiwis werden aus Korsika importiert und garantiert nicht begaste Bio-Bananen gibt's aus Teneriffa . . Statt der obligatorischen -Freaks mit selbstgestricktem Pulli und Gesundheitslatschen begegnet man hier fast nur noch Jungakademikern, Managern und Ärzten, sind Nadelstreifen und Stöckelschuhe zum gewohnten Anblick geworden; Frankf. Rundsch. 31. 8. 1989 zu verhindern, daß Lebensmittel auch in der Bundesrepublik bestrahlt und d a m i t . . bio-emwertet werden; FAZ 8. 2. 1990 Bräunungsstudios dürfen . . nicht mit dem Namen „Biolarium" werben. Durch eine solche Bezeichnung werde dem Kunden eingeredet, daß die Bestrahlung in dem Solarium unschädlich für die Gesundheit sei; 1990 Test (Stiftung Warentest) XXV 12 f. Mit Bio auf Kundenfang (Überschr.) Je stärker die Umwelt belastet ist und je sensibler Verbraucher auf diese Entwicklung reagieren, desto kräftiger rühren die MarketingExperten die Werbetrommel „bio", „umweit" und „natur" verkaufen sich gut .. „Bio" sollte auch eine Kindermalfarbe sein, das zeigte schon der Name „Biocolor"; MM 30. 1. 1991 Er greift ins Regal, nimmt Milch aus dem Kühlschrank und mischt sich ein -Müsli zusammen; Süddtsch. Ztg. 23. 11. 1991 Bio-Jeans . . Die ökologisch unbedenkliche Variante des weltweiten Hosentyps. Bio- 4: Chamberlain 1904 Br. / 155 Wenn ein Denker, wie Kant, zwanzig Jahre an einem Werke arbeitet, so wird dieses Werk . . zum Ausdruck seiner Persönlichkeit . . die festgebannte, ewige Person, gleichsam ihre Statue, wogegen ich hier . . Ihre lebende Photographic, das Biorama Ihres Denkens zu erblicken glaube; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 440) Selbst ins Bioskop-Theater . . führten sie Karen Karstedt eines Nachmittags . . In der schlechten Luft . . flirrte eine Menge Leben, kleingehackt, kurzweilig und beeilt, in aufspringender, zappelnd verweilender und wegzuckender Unruhe, zu einer kleinen Musik, die bei beschränkten Mitteln alle Register der Feierlichkeit und des Pompes . . zu ziehen wußte, auf der Leinwand vor ihren schmerzenden Augen vorüber; Münch. N. N. 6. 3. 1943 Das „gewaltige Bioscop" (Überschr.) Amsterdam ohne sein Riesenkino . . Filmgesellschaft Metro Goldwyn Meyer . . beabsichtigte im Herzen der niederländischen Hauptstadt einen Kinopalast zu bauen; Süddtsch. Ztg. 26. 9. 1950 Vor 50 Jahren gab es auf der Oktoberwiese eine große Sensation: Die beweglichen Bilder, genannt „BioTableaus". Auf der breiten Schaubudenstraße . . stand ein gewaltiges Zelt: „Dienstknechts Biomatograph". IN

Biographie

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Biographie F. (-; -n), Anfang 18. Jh. aufgekommene Gelehrtenbildung aus —» Biound -graphic (zurückgehend auf gleichbed. griech. , zu 'schreiben'; wohl ohne Verbindung mit spätgriech. ). In der Bed. 'Darstellung eines Lebenslaufs, Beschreibung einzelner Lebensstationen und besonderer Wesenszüge einer (berühmten) Person, Lebensbeschreibung einer bekannten Persönlichkeit' (s. Belege 1774, 1811, 1840, 1928, 1995), in Zss. wie Selbstbiographie 'Beschreibung des eigenen Lebens, Selbstdarstellung' (gleichbed. mit —» Autobiographie), Künstler-, Kurzbiographie, auch als Titel verwendet, vgl. Allgemeine deutsche Biographie (s. Beleg 1875), bzw. zur Bezeichnung einer (literarischen) Gattung für 'Werk, das den Lebenslauf einer Person darstellt' (s. Belege 1798, 1936, 1943, 1987), jmds. Biographie schreiben, eine Biographie lesen; heute auch allgemeiner im Sinn von 'Lebenslauf, -weg, -geschiente eines Menschen', z. B. sich mit jmds. Biographie beschäftigen, gelegentlich bezogen auf bestimmte Merkmale einer Persönlichkeit, vgl. Wendungen wie intellektuelle, musikalische Biographie (s. Belege 1985, 1986, 1990, 1994). Gleichzeitig die Personenbezeichnung Biograph M. (-en; -en), anfangs in latinisierter Form Biographus und in der frz. beeinflußten Form Biographe, 'jmd., der den Lebensweg einer Person darstellt (und als Biographie veröffentlicht), Lebensbeschreiber', z. B. der Biograph Goethes, bes. in der Kombination Autobiograph 'jmd., der sein eigenes Leben beschreibt (und als Werk veröffentlicht)'. Seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung biographisch (ohne Steigerung) 'auf den Lebensweg eines Menschen bezogen, auf ihm beruhend, jmds. Biographie betreffend', auf die literarische Form bezogen in Wendungen wie biographischer Roman, Text, biographische Skizze und Zss. bzw. Ableitungen wie auto-, selbstbiographisch; gleichzeitig die selten belegte subst. Ableitung Biographik F. (-; -en) 'Schreibung von Lebensläufen, Biographiewesen', bes. 'Kunst der Lebensbeschreibung' als Zweig der Geschichtsschreibung; seit Anfang 20. Jh. die subst. Ableitung Biographismus M. (-; ohne Pl.) 'ein (literarisches) Werk einseitig aus der Biographie eines Autors erklärende Interpretation'; daneben die selten belegten, veralteten Ableitungen biographieren 'biographisch schildern' und biographisieren 'übermäßig viele Biographien verfassen'. Biographie: Feind 1709 Anm. 8 Da starb gleich der hochverdiente Theologus Windeier, und Feind, da er seine Biographie herausgab; Seybold 1747— 1804 Selbstbiographien berühmter Männer (Titel); Hamann 1769 S.W. IV 326 Italiänische Biographie; Möser 1770 S. W. / 432 Aufmunterung und Vorschlag zu einer westphälischen Biographie; Rust 1774 Antiquitäten l 366 Die Biographiensucht ist eine . . Art von Krankheit. Das Wort Lebensbeschreibung ist nicht ästhetisch genug; Biographie klinget . . zierlicher und witziger; Gleim 1783 Br. 421 Briefe sind die besten Dokumente zu Biographien; Moritz 1785 Reisen 122 daß dasjenige, was ich .. einen psychologischen Roman genannt habe, im eigentlichsten Verstande Biographie, und zwar eine so wahre und getreue Darstellung eines Menschenlebens, bis auf seine kleinsten Nuancen ist; Müller 1786 Emmerich l/U 9 Dies ist alles, was mir über die Biographie meines Emme-

richs zum voraus zu sagen nöthig scheint; Bretzner 1788 Leben III 421 Die Archive, Biographien, Journale . . sind . . in so großer Menge da, daß sie die Leser anekeln; Seume 1793 — 1811 Kl. Sehr. (W. II 233) die Geschichte der Kaiserin Katharina der Zweiten . . ist keine geordnete vollständige pragmatische Biographie: denn dazu fehlt es dem Verfasser . . an Materialien und ununterbrochenen richtigen Urkunden; Pütter 1798 Selbstbiogr. Vorr. 2b litterarische Biographien; ebd. 3b chronologische Selbstbiographie; Jenisch 1800 Geist u. Charakter I 379 Biographie unsrer Gesellschaften; 1811 Almanack a. Rom II 56 Von diesen Ideen geleitet begannen wir die in diesem Almanach jährlich mitzutheilenden Lebensbeschreibungen ausgezeichneter bildender Künstler mit der Biographie des Raphael; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,7) Denn dieses scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen

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Zeitverhältnissen darzustellen, und zu zeigen, in wiefern ihm das Ganze widerstrebt, in wiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet, und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt; Seume 1813 Leben (W. I 11) Das Mißliche einer Selbstbiographie kenne ich so gut als sonst irgend jemand; und ich halte mich für nicht wichtig genug, daß überhaupt mein Leben beschrieben werde; Gutzkow 1835 Vorr. zu Schleiermacher, Br. Luc. XXXIII Aber das Interesse der Frauen ist dies, so wenig wie möglich Biographie zu haben und ihre Vergangenheit ohne Nachrede zu erhalten; Rousseau 1840 Emile (Übers.) 11 168 Diejenigen, welche Biographien schreiben, sagen mir am meisten zu, sobald sie mehr Betrachtung als Begebenheiten lieben, sich mehr um das Innere als um das Äussere kümmern; Wolff 1841 Gesch. d. Romans 9 romantisch-lyrische Biographie; Wagner-Liszt 1851 Briefw. I 130 Damals, als ich auf Laubes Wunsch jene Selbstbiographie verfaßte; Burckhardt 1857 Br. Ill 268 Deine alte Idee von Künstlerbiographien; 1875 Allg. dtsch. Biogr. Vorr. o. S. Das unter dem Namen einer „Allgemeinen deutschen Biographie" herauszugebende Werk war . . zugleich für den wissenschaftlichen Gebrauch des Gelehrten und für die Gesammtheit der Gebildeten zu berechnen . . Aufgenommen werden sollen . . in die Biographie alle bedeutenderen Persönlichkeiten; Dilthey 1883 EM. (Ges. Sehr, l 33) Die Stellung der Biographie innerhalb der allgemeinen Geschichtswissenschaft entspricht der Stellung der Anthropologie innerhalb der theoretischen Wissenschaften der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit; Nietzsche 1887 Genealogie d. Moral (W. II 878) wer von ihnen hielte noch eine Wahrheit „über den Menschen" aus! . . Oder, greiflicher gefragt: wer von ihnen ertrüge eine wahre Biographie!; Bin 1900 Dtsch. Wiss. 12 So wurde dann unsere Weltgeschichte selbst zur Darstellung des gesammten Volkslebens, eine wirkliche „Biographie" der Völker; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 101) den deutschen Bildungs- und Entwicklungsroman, die große deutsche Autobiographie als Memoiren eines Hochstaplers zu parodieren; Dombrowski 1920 System 157 Die Geschichte hat ihr Seitenstück in der Entwicklung des einzelnen Menschen, des Tieres, der Pflanze, das heißt Biographie, Morphologie und Physiognomie; 1923 Polit. Handwb. l 113 Seine zweite Frau . . veröffentlichte ihre Selbstbiographie in 2 Bänden; Wätzold 1924 Kunsthistoriker U 213 Deutscher Bildungsroman und deutsche Künstlerbiographie sind Kinder des individualistischen Kulturbewusstseins; Th. Mann 1926 Nachtr. (W. XIII 315) Die Konfession, die schöne Seele, die Autobiographie, der deutsche Bil-

dungs- und Entwicklungsroman .. sind Kinder des Pietismus; 1928 Querschnitt 816 Diese Bio- und Ergographie Walter Rathenaus erhebt sich über das Durchschnittsmaß einer Lebensbeschreibung; 1929 ebd. 717 Elemente einer Schriftsteller-Biographie können sein: eine glückliche oder eine unglückliche Kindheit, gute oder schlechte Eltern, eine Menge in der Jugend erlebter Romane oder ihr Nichtvorhandensein usw.; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 258 Ich habe übrigens Papen, der kürzlich in einer Biographie als leichtsinniger Kartenspieler geschildert wurde, .. niemals eine einzige Karte anrühren sehen; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 686) So dauern die krystallinischen Pyramiden hinaus in die Zeit und überdauern die Jahrtausende, aber das hat nicht Leben noch Sinn, es ist tote Ewigkeit, es hat keine Biographie; Brentano 1943 Tagebuch 94 Man liest diese Biographie gern, die trotz der Romanform nicht ins Romanhafte abgleitet; Hitler 1950 Köpfe 238 Biographiebücher über Ganzvergangne; Kesten 1952 Casanova 17 Die Biographie . . hat einen exemplarischen Charakter; statt der verflossenen wahren Realität will sie nur ein wahrhaftiges Beispiel eines Menschen geben; Bamm 1956 Ex ovo 73 Man kann die Biographie einer Seuche schreiben; Jaspers 1958 Atombombe 260 Es wäre von Interesse, diesen Zug in der Biographie der Forscher der Jahrhunderte zu verfolgen; 2963 Definitionen 81 Ein Zettelkasten ist so wenig eine Biographie, wie ein Korb mit Eiern ein Omelette ist; FAZ 30. 9. 1967 Die Uraufführung von Max Frischs neuem Schauspiel „Biografie" .. ist abgesagt worden; Heinrich 1970 Buchbespr. o. S. Jeder Dichter wird mit einem Porträt und einer Biographie vorgestellt; Gall 1971 Bismarck-Problem o. S. von zwei umfangreichen Bismarckbiographien, die . . Persönlichkeit und Werk Bismarcks von grundlegend unterschiedlichen Blickpunkten her darstellten und beurteilten; Dülmen 1977 Reformation 63 Weit aus zurückhaltender hingegen thematisierte Elliger in seiner grundlegenden, aber ebenfalls theologiegeschichtlich orientierten Biographie das Problem des Revolutionärs Müntzer; MM 26. 4. 1985 Er . . skizziert Kurzbiographien, proletarische Lebensläufe oft von zukurzgekommenen Wbyzeck-Figuren; Zeit 26. 7. 1985 Er hat nicht . . eine Autobiographie geschrieben, obwohl er über das „Ich", allerdings die Geburtswehen des modernen Ich geschrieben hat; ebd. 7. 9. 1985 Die gemeinsame Arbeit an der „Dialektik der Aufklärung" fällt in die Phase, in der sich die intellektuellen Biographien von Horkheimer und Adorno am engsten berührt haben; ebd. 4. 10. 1985 Die Männer, die Geschichte machen, mögen aus dem Blickfeld geraten — aber die Biographien, in denen so geschrieben wird, als ob Männer Geschichte machen, kommen wieder in

Biographie Mode; ebd. 23. 5. 1986 Einstein spart in seiner Braque-Biographie die Geschichte des Kubismus weitgehend aus; ebd. 27. 6. 1986 Cassiber . . ist eine Art Kampf zwischen vier Leuten mit sehr unterschiedlichen musikalischen Biographien; ebd. 3. 10. 1986 das Bemühen der Tochter aus gutem Hause, sich eine eigene Biographie zu erkämpfen; ebd. 23. 1. 1987 Die Leidensgeschichte einer Familie als kollektive Biographie; ebd. 10. 4. 1987 Das Leben in die Linie einer Abfolge zu bringen, dem nicht zu rechtfertigenden Moment den Schein der Notwendigkeit zu verleihen, dem sinnverlorenen Augenblick seine verborgene Bedeutung zurückzugeben, darin liegt die Lust . . am Lesen einer Biographie; MM 2. 7. 1987 Die Sterne für große Biographien stehen auf dem Buchmarkt derzeit günstig; TAZ 6. 2. 1990 Er wagt in seinem patriarchalischen Selbstverständnis und geschützt durch seine achtenswerte Biographie nur einen besonders harschen Ton; Spiegel 21. 11. 1994 die jahrzehntelang vom politischen System der DDR profitierten und heute die „Zerstörung ihrer Biographien und Ausgrenzung" beklagen; ebd. 23. 1. 1995 Während der eine die autorisierte und offizielle Biographie schreiben durfte, mußte der andere auf jedes Zitat aus Briefen und Werken Greenes verzichten. Biograph: Ludwig 1705 Ges. kl. Sehr. 85 der neue und so beschriebene Biographus vom Leben des Fürsten von Waldeck; /. A.Schlegel u.a. 1754 (Geliert 1774 S. Sehr. VIII 29) Und alles mit einem Worte zu sagen, wird Ihr künftiger Biograph Ihren Lobspruch beschließen: Er fürchete Gott, darum war er so groß!; Lessing 1760 S. Sehr. VIII 301 Meursius hat, bey Gelegenheit dieser Stelle des Biographs, einen Fehler begangen; Wieland 1773 Agathon (S. W. Ill 358) sein eigener Biograf zu werden; Schubart 1791 Leben I 121 Man macht daher die Biografen, sonderlich die Autobiografen so furchtsam, daß sie oft diejenige Umstände unterdrükken, die den Helden just am meisten heben, und ihm so zu sagen seine Selbstheit geben würden; Seume 1793-1811 KL Sehr. (W. U 397) Jeder bringe was er hat, und gebe seinem Biographen etwas Stoff zu einem schönen wahren Bilde, in literarischer und noch mehr in humaner Hinsicht; Herder 1801 Adrastea II (S. W. XXIII 229) Dankbar zeichne der Selbstbiograph die Schutzengel seines Lebens; 1805 Helfet. Almanack 215 den merkwürdigen Charakter dieses Biographen; 1810 Almanack a. Rom l 107 Was für Eindrücke diese damalige Künstlerhauptstadt Italiens . . auf Raphaels jugendlichen Geist machte, darüber finden wir bei seinen Biographen keine bestimmten Nachrichten; Seume 1813 Leben (W. l 11) Mehrere meiner Freunde drohen mir, wahrscheinlich genug, daß ich auf alle Fälle einem Biographen doch nicht entgehen würde; Goethe 1826 Über Kunst u.

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Altertum (WA I 41.2,202) wie der Biograph mit Wohlwollen das Offenbare sich zuzueignen und das Verborgene zu entziffern gewußt hat . . wie er . . zu gewissen Ansichten über seinen Gegenstand gelangte, die denjenigen in Verwunderung setzen, der sie vor allen ändern hätte gewinnen sollen und dem sie doch entgangen sind, eben weil sie zu nahe lagen; Heine 1835 Romant. Schule 176 Der Biograph Hoffmanns, der Herr Kriminalrat Hitzig, hat auch Werners Leben beschrieben; 1841 Europa l 570 Karl IX. als Poet; ein neuer Biograph von Katharina von Medicis; Holtet 1860 Eselsfresser 11 63 die Pflicht des Biographen erheischt einzelne Schilderungen, welche sich mit den Ansprüchen und Rücksichten gewisser Leserinnen schwer vertragen; Hillebrand 1876 England 321 Der deutsche Biograph . . hört nicht auf, wesentlich deutsch und protestantisch zu sein; Dilthey 1883 Einl. (Ges. Sehr. I 33) Man kann das wahre Verfahren des Biographen als Anwendung der Wissenschaft der Anthropologie und Psychologie auf das Problem, eine Lebenseinheit, ihre Entwicklung und ihr Schicksal lebendig und verständlich zu machen, bezeichnen; Nietzsche 1886 Menschliches Allzumenschliches (W. I 955) Dies ist die Aufgabe des Biographen: er muß nach dem Grundsatze über das Leben denken, daß keine Natur Sprünge macht; Sternheim 1918 Chronik II 60 Sie konnte sich nicht enthalten, besonders krasses Lob dem zukünftigen Biographen seines Lebens mit Tinte in ihnen anzustreichen; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 68) Man könnte, wollte man gehässig sein, dieser Aufrichtigkeit der berühmten Autobiographen auch andere Beiwörter geben; 1929 Nord u. Süd Lll 274 Absolute Leidenschaftslosigkeit erfüllt den Biographen, ohne daß dieser darum seinem Gegenstand mit Herzenskälte gegenüberstände; Th. Mann 1950 Reden u. Aufs. (W. XI 302) Vielleicht liebe ich mein Leben nicht genug, um zum Autobiographen zu taugen; 2963 Definitionen 81 Ich glaube .., daß der Biograph sich der strengsten Methoden des Historikers bedienen sollte; Meyerowitz 1971 Jüdische Witz o. S. Die vollkommene, fast schreckliche Aufrichtigkeit des Autobiographen gibt dem Buch den Charakter bedeutender Echtheit; Zeit 29.3. 1985 diese künstlerische Selbstdisziplin des Autobiographen Canetti verleiht seiner Darstellung . . Entschiedenheit und Gedrungenheit; ebd. 19. 6. 1987 An diesem stupenden Selbstbewußtsein ist mancher Biograph oder Porträtist irre geworden; Ohler 1990 Sterben 115 Zum Begräbnis des Martin von Tours strömte nach dem Bericht seines Biographen eine gewaltige Menschenmenge zusammen; Spiegel 11.7. 1994 Die Bereitwilligkeit, mit der er Namen von Unternehmern, Gewerkschaftsführern und Kirchenleuten . . preisgab, h a t . . seine Biographen vor beunruhigende Fragen gestellt. biographieren: Szarvady 1852 Paris I 377 Biographirten; vor 1871 Grenzboten XXVI 2,442 Um das

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Biographie

große Genie zu biographieren (SANDERS 1871); Eulenberg 1919 Leben 340 Eine tiefe Lieb zur Kunst . . beseelte den Realisten, der Schiller, Kleist biographierte; A. Zweig 1920 Br. 132 Ich bitte Dich, lasse jetzt das Biographieren und lebe dir selbst; 1927 (Weltbühne 911) Ich habe schon einige Zeitgenossen bei lebendigem Leibe biographiert und fühle mich trotzdem von den Biographen mit dem Notizbuch nicht getroffen. Biographik: Bode 1774 Tristram Schandi l 149 unsre Wissenschaften Aenigmatik und Biografik; Burckhardt 1869 Ges. W. /// 223 eine sammelnde und vergleichende Biographik, welche nicht mehr nötig hat, sich an Dynastien und geistliche Reihenfolgen zu halten; Cornelius 1903 Ausgew. Br. l 7 um der Wahrheit willen, der alle Biographik dient; 1916 Lit. Echo XIX 140 weshalb Weinigers „theoretische Biographie" nicht als jene umfassende Wissenschaft vom Menschen gelten kann, als die er sie anspricht, und weshalb hier lieber von „Biographik" gesprochen wird; Wätzold 1924 Kunsthistoriker II 231 Die Biographik verlangt besondere Gaben; Hausenstein 1935 Wanderungen 9 die zu den klassischen Urkunden deutscher Autobiographik und der Selbstbiographik der Weltlietratur gehört; Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. X 513) Die Frage jener Schrift geht nun aber dahin, . . was Formelgut legendärer Biographik, . . was Lebenseigentum des Künstlers ist; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 39 die „Personengeschichte" (Biographik) = Erforschung und Darstellung der Lebensgeschichte einzelner Personen; 1963 Definitionen 68 Biographik. biographisch: Bode 1774 Tristram Schandi IV 110 Eine Bemerkung, die sich noch niemals auf einen biographischen Schriftsteller . . gepaßt hat; Ulrich 1780 Gesch. d. Gymnasien I 5 biographische Skizzen; Müller 1788 Emmerich V/VI 307 bloße Versuche in der biographischen Romantik; Goethe 1811 Br. (WA IV 22,452) meine biographischen Confessionen; ders. 1812 Br. (WA IV 22,244) Ihre lieben Worte über meinen biographisch-poetischen Versuch haben mich sehr erquickt; Strauss 1854 Br. 325 meiner briefbiographischen Neigung; Kompert 1859 Selbstlaut (Ges. Sehr. VII 233) Zweifel und . . Bedenken . ., ob die biographischen Daten .. die vollste Wahrhaftigkeit für sich in Anspruch nehmen können; Holtet 1863 Letzte Komödiant I Vorr. IX mit biographischer Konsequenz; Frenzel 1868 Studien 76 der biographische Roman in Deutschland; Th. Mann 1916 Reden u. Aufs. (W. XI 702) der autobiographisch erfüllte Bildungs- und Entwicklungsroman; ders. 1922 Nachtr. (W. XIII 254) Der autobiographische arme Hund, auf nichts als . . auf die Rettung und Recht-

fertigung des eigenen Lebens von Haus aus bedacht; Colerus 1929 Kaufherr 46 waren die biographischen Daten des Ingenieurs aphoristischer Natur; Münch. N. N. 1. 8. 1937 daß sie aus dem . . Thema ewiger deutscher „Südlandsehnsucht" schöpft, um in autobiographischer Form das Bild einer entsagenden und gerade dadurch reichen Frau zu zeichnen; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. XI 574) Das Biographische ist das eigentlich humane Element der Kritik; Münch. N. N. 7. 10.1944 Solche „biographische Löcher" finden wir übrigens in der politischen Geschichtsschreibung seltener; 1955 Sociologica 363 Die biographische Mode; J963 Definitionen 80 Andre Maurois, die letzte Säule aus dem sensationellen biographischen Jahrzehnt; ND 30. 4. 1974 Die konkreten Tatsachen der biographischen Chronik charakterisieren Lenin als scharfsichtigen Strategen des revolutionären Kampfes; MM 28. 1. 1985 Die romanhaft anmutende Existenz des Weltbürgers Hermann Kesten spiegelt sich in seinen biographischen Daten; Zeit 5. 4. 1985 so sehr er sein Stück . . mit autobiographischen Zügen versehen hatte; ebd. 8.8.1986 Beschämt erinnern wir uns an dieser Stelle unseres eigenen biographischen Chauvinismus, an die flotten Reden, daß „zu meiner Zeit" in der Schule noch was gelernt worden sei; ebd. 8. 5. 1987 Sein erster Roman, .., stark autobiographisch geprägt, beschreibt seine Kindheit in Österreich; Rhein. Merkur 1. 12. 1989 Trotz des durchgängig autobiographischen Gestus sollte man das lyrische Ich dieser zwischen Kunstprosa und Lyrik changierenden Texte nicht allzu vorschnell in eins setzen; Altner 1991 Naturvergessenheit 286 Unter Ausblendung biographischer, sozialer und gesellschaftlicher Zusammenhänge wird der Mensch vorrangig von seinen genetisch bedingten Eigenschaften her gesehen; Zeit 29. 10. 1993 Die Öffnung des Ostens war für Rheinsberg ein Glücksfall, der ihm die Regale seines biographischen Nachkriegs-Gedächtnisses füllte; Spiegel 6. 2. 1995 In dem kurzen Lebenslauf, den Bisky selbst verfaßt hat, sucht man Hinweise auf die biographische Zäsur . . vergebens. biographisieren: Voss. Ztg. 8. 12. 1929 Neue Biographien und biographische Essays (Überschr.) Die Mode des „Biographisierens" schlägt haushohe Wellen. Biographismus: Herrmann 1900 Jahrmarktsfest 2 der Biographismus in der Goethephilologie; Unger 1921 Studien II 225 zum roh stofflichen und sensationssüchtigen Biographismus vergröbert; i 979 Hölderlin-Jahrb. 25 Gefahr des Biographismus entsteht nicht aus dem, was festgestellt, sondern . . aus der Art, wie das Feststellbare behandelt wird. HK

Biologie

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Biologie F. (-; ohne PL), Anfang 19. Jh. aufgekommene Gelehrtenbildung aus —> Bio- und -logic (zurückgehend auf gleichbed. griech. , zu 'Wort; Wissenschaft'; —* Logik). Von K. F. Burdach (1800) und Lamarck (1802) eingeführte, von Treviranus (1802) systematisch gefaßte Wissenschaftsbezeichnung und Oberbegriff für eine Reihe von naturwissenschaftlichen Fächern wie Zoologie, Botanik u. a. in der Bed. 'Wissenschaft vom Leben, von den Lebewesen, Lehre von der belebten Natur', nach Methode und Gegenstand unterschieden durch Fachbezeichnungen wie allgemeine, angewandte, theoretische, experimentelle Biologie; häufig allgemeiner verwendet (s. Belege 1884-88, 1885, 1954, 1956, 1958, 1995); seit Mitte 20. Jh. als Grundwort zunehmend produktiv, vgl. Zss. wie Evolutions-, Human-, Immun-, Tumor-, Zell-, Baubiologie und Kombinationen wie Psycho-, Sozio-, Agro-, Molekular-, Mikrobiologie (—» Bio-); speziell in der sog. Rassenkunde bes. zur Zeit des Nationalsozialismus in der Zs. Erbbiologie zur scheinwissenschaftlichen Legitimierung völkischrassistischer Politik (s. Beleg 1933). Daneben auch Bezeichnung für ein Unterrichtsund Studienfach, vgl. die Zss. Biologielehrer, -Student, -Unterricht, -buch; seit frühem 20. Jh. auch in der Bed. 'die besondere natürliche Anlage eines belebten Wesens, biologische, der Natur entsprechende Beschaffenheit', bes. auf Frauen bezogen in einer Wendung wie Biologie der Frau (s. Belege 1928-29, 1970, 1985, 1986), auch übertragen gebraucht (s. Belege 1953, 1984), in der sog. Rassenkunde in der Zs. Völkerbiologie. Seit Ende 19. Jh. gelegentlich bildlich verwendet in der Bed. 'natürliche Anlage des menschlichen Intellekts', in Wendungen wie Biologie des Geistes, geistige Biologie (s. Belege 1893, 1939). Seit früherem 19. Jh. die Berufsbezeichnung Biologe M. (-en; -en), auch Biologin F. (-; -nen), 'Wissenschaftler/in, der/die sich mit der Lehre vom Leben befaßt', seit der Ausdifferenzierung des Fachs Mitte 20. Jh. in Zss. wie Molekular-, Meeres-, Human-, Mikrobiologe; seit späterem 19. Jh. die adj. Ableitung biologisch (ohne Steigerung), zunächst 'auf die Biologie bezogen, auf ihr beruhend' (—> Bio- 2), vgl. Wendungen wie biologische Forschungen, biologisches Gesetz und die in der sog. Rassenkunde bes. des Nationalsozialismus ideologisch verwendeten Zss. Völker-, volks-, erbbiologisch; speziell im Kriegswesen in den Wendungen biologische Kriegsführung, biologische Waffen 'mit nichtchemischen, giftigen pflanzlichen Substanzen versehene Waffen', dafür auch bakterielle Waffen (—» Bakterie); seit Mitte 20. Jh. mit zunehmendem Gesundheitsbewußtsein häufig mit positiver Wertung im Sinn von 'natürlich, aus natürlichen Stoffen, ohne chemische Zusätze, den natürlichen Bedingungen entsprechend, ökologisch, umweltfreundlich' (s. Belege 1945, 1950, 1969, 1972, 1985, 1986, 1987, 1991), häufig auf Nahrungs- und Reinigungsmittel bezogen, bes. in der Werbesprache zum Teil schlagwortartig gebraucht in Verbindungen wie rein biologisch, biologisch aktiv, biologisch (nicht) abbaubar, biologisch-dynamisch und in Wendungen wie biologisches Waschmittel, (Landwirtschaftsprodukte) aus biologischem Anbau, dafür heute zunehmend das Präfix Biound entsprechende Kombinationen (—» Bio- 3a und 3b); auf Arzneimittel bezogen im Sinn von 'homöopathisch'; daneben auch auf botanische Gegebenheiten und auf Gewässer bezogen in Wendungen wie biologisches Gleichgewicht (der Natur, einer Landschaft, eines Waldes), biologische Selbstreinigung (eines Flusses, der Nordsee), (ein See ist) biologisch tot. Seit Anfang 20. Jh. die subst. Ableitung Biologismus M. (-, auch -ses; Biologismen) 'ein ausschließlich auf biologische Zusammenhänge

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bezogenes einseitiges Denken, ausschließlich auf biologischen Argumenten beruhende Deutung bestimmter (bes. psychologischer und sozialer) Erscheinungen, auf einer biologischen Perspektive beruhende Weltsicht'; etwa gleichzeitig die adj. Ableitung biologistisch c den Biologismus betreffend, auf ihm beruhend', häufig zur Kennzeichnung des rassistisch-völkischen Denkens bes. des Nationalsozialismus sowie zur Charakterisierung nationalsozialistischer Sprache; Mitte 20. Jh. vereinzelt Biologist M. (-en; -en). Biologie: Treviranus 1802 Biologie oder Philosophie der lebenden Natur (Titel); Bartels 1808 Systematischer Entwurf einer allgemeinen Biologie (Titel); 1842 Brockhaus U 611 Die Lehre von den Erscheinungen, durch welche das Leben sich ausspricht, und von den Gesetzen, nach denen sich diese Erscheinungen richten, nennt man Biologie; Haeckel 1866 Generelle Morphologie l 8 der Biologie oder Lebenswissenschaft, wenn wir unter diesem Namen, wie es neuerdings geschieht, die gesammte Wissenschaft von den Organismen oder belebten Naturkörpern unseres Erdballs zusammenfassen; Schaffte 1875 Bau l Vorr. V daß auch in der Gesellschaftslehre analog jene anlytische Vorarbeit gethan werden müsse, welche für die Biologie durch Histologie, Anatomie und Physiologie großenteils gethan ist; Nietzsche 1884—88 W. IX 296 Insofern ist das Phänomen der Moral vom Standpunkt der Biologie aus höchst bedenklich; Nordau 1885 Paradoxe 45 Die Biologie, die Wissenschaft des Lebens, kennt nur das Individuum, nicht die Gattung; Hallier 1889 Kulturgesch. 405 Die Biologie, früher kaum mehr als eine Sammlung von Anekdoten, gestaltete sich zu einem wichtigen Wissenszweig; 1893 Z. f. vgl. Literaturgesch. N. F. VI 491 Biologie des Geistes; Dilthey 1896-96 Ges. Sehr. V 311 Die Biologie hat in drei Epochen die Individuation der Pflanzen- und Tierwelt systematisch zu ordnen und zu erklären unternommen; 1901 Stimmen d. Zeit LXI 167 Die Biologie im engeren Sinne stellt sich . . dar als die Wissenschaft von der Lebensweise und den Lebensbeziehungen der Tiere und der Pflanzen; Benedikt 1903 Das biomechanische Denken in der Medizin und in der Biologie (Titel); 1904 Naturwiss. Wochenschr. XIX 416 Was Haeckel in seiner Schöpfungsgeschichte . . Ökologie nennt, ist die „Biologie" vieler Autoren; 1906 Mitt. G Medizin V 52 Biologiegeschichte; Haeckel 1913 Lebenswunder 87 Lebenskunde oder Biologie; 1915 — 16 Polit.-anthropol. Monatsschr. XIV 525 was der Geschichte vor der Naturgeschichte, das heißt der Biologie der nichtmenschlichen Lebewesen, ihre Besonderheit gibt; 1925 flora 560 Biologie als Wissenschaft wäre . . nur in diesem Sinne [als Wissen in mathematischer Form] möglich und deshalb die Physiologie die einzige Form der wissenschaftlichen Biologie; Gerstenhauer 1927 Führer 43

Lebenswissenschaft (Biologie); ebd. 145 Völkerbiologie; 1928-29 ZfMenschenkunde IV 351 Biologie der Person; Springer 1929 Blutmischung 20 Die Biologie, d. h. das Denken auf Grund der Lebensgesetze muss der Unterbau aller Kulturbetrachtung werden; Burdach 1930 Eindrücke 15 Biologie des Geistes; 1933 Geopolitik X 307 Staatsbiologie; Berl. lllustr. Nachtausg. 15.6. 1933 Die Arbeitsdienstpflicht soll uns Gelegenheit geben, .. den Nachwuchs unseres Volkes . . mit dem Rüstzeug der Erbbiologie zu erforschen; Lokal-Anz. 29. 11. 1934 Lehrgänge in germanischer Vorgeschichte, Biologie und pädagogischer Charakterkunde; Zischka 1936 Monopole 55 Bodenbiologie; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. X 355) ein Problem geistiger Biologie, welche sich mit der natürlichen nicht einfach denkt; Nilsson 1941 Der Entwicklungsgedanke und die moderne Biologie (Titel); Reichold 1953 Arbeiterbewegung II 31 Die Biologie der Arbeiterschaft . . Jeder Stand hat seine eigene Biologie; 1954 Veritas 294 Man hat unser Zeitalter das Jahrhundert der Biologie genannt; Welt 26. 6. 1954 Darum wenden wir uns ja an die kühne Wissenschaft, welche den Namen des Lebens auf ihren Schild schreibt — an die Biologie; Bamm 1956 Ex ovo 28 ist zu erwarten, daß die experimentelle Biologie das Ziel ihrer Forschung, das Geheimnis des Lebens zu erklären, der Natur der Dinge nach niemals erreichen wird; ebd. 129 Es war nicht nur die Biologie, die sich ihren eigenen Adam schuf; Jaspers 1958 Atombombe 52 Trotz dessen, was Biologie und Psychologie erfassen, ist geschichtlich ein Wandel des Menschen möglich; Grzimek 1959 Serengeti 343 Unter den Wissenschaftlern sind Ökologen, Verhaltensforscher, Tierärzte und Spezialisten in anderen Zweigen der Biologie; 1961 Theorie u. Praxis 273 Völkerbiologie; ND 26. 3. 1964 Aber nicht jeder Biologielehrer ist .. Gärtner; ebd. 25.11.1964 Die Molekularbiologie hat sich in erster Linie auf der Grundlage der modernen Biochemie herausgebildet; Welt 3. 12. 1964 Mit diesem alarmierenden Ergebnis entlarvten die Professoren . . des Institutes für Hygiene und Mikrobiologie . . das Gemeinschaftshandtuch als gefährlichen Bakterienträger; Kühn 1970 Primatenforschung o. S. die Abteilung für experimentelle Biologie am Anatomischen Institut der Universität Bonn; ebd. um die Kenntnisse

Biologie der Biologie der Primaten zu vermehren; Uhlenbruck 1971 Immunbiologie (Titel); Habermas 1971 Theorie d. Gesellschaft o. S. daß den Sozialwissenschaften das klar geschnittene empirische Problem des Todes fehlt, das in der Biologie als Kriterium für den Fortbestand dient; MM 16.8.1984 habe die Biologie der Kläranlage . . keine negative Reaktion gezeigt; ebd. 11. 2. 1985 eine Reihe von Forschungsprojekten, welche Tumorbiologie, Diagnose und Behandlung des Dickdarmkrebses .. einbeziehen; Zeit 29.3.1985 Sie verteidigten . . mit Bibel und Biologie das traditionelle Frauenbild; ebd. 13. 4. 1985 Dem Biologieunterricht über Darwins Theorie konnte freilich noch kein Riegel vorgeschoben werden; ebd. 3. 5. 1985 Auf Helgoland können sie eine Biologie betreiben, die sich aus direktem Naturleben speist; ebd. 14.2.1986 Diese Einstellung .. enthält bezeichnenderweise schon Formulierungen aus dem Bereich der Biologie; ebd. 11.7.1986 Sie öffnete den Frauen erstmals die Möglichkeit, sich in Rollen zu üben, die nichts mehr mit ihrer Biologie zu tun hatten; MM 23. 8. 1986 Aufgabe der Baubiologie ist, den gesundheitsschädigenden Einflüssen durch die Wahl des Bauplatzes und der Baustoffe vorzubeugen; ebd. 17. 10. 1986 Molekularbiologie: Gebiet der Biologie, das sich mit den Lebensvorgängen auf der Ebene der Moleküle und Atome beschäftigt; ebd. 7.11.1986 daß der biblische Schöpfungsbericht . . gleichberechtigt neben dem darwinistisch orientierten Biologieunterricht angeboten wird; ebd. 24. 6. 1987 tiefe Einblicke in eine bisher unbekannte Biologie der damaligen Tier- und Pflanzenwelt; ebd. 21. 12. 1987 In der Hauptsache werden Umweltprobleme im Biologieunterricht abgehandelt; ebd. 5.5. 1988 In der Mikrobiologie, in der Diagnostik von Infektionskrankheiten sieht Hof den Schwerpunkt seiner künftigen Arbeit; Altner 1991 Naturvergessenheit 18 von der Physik über die Chemie bis in die moderne Molekularbiologie; Spiegel 16. 1. 1995 in einer Zeit wie dieser bin ich sehr dagegen, die Menschen nach ihrer Biologie auseinanderzudividieren; ebd. 17.4.1995 auch wenn im Untergrund die Biologie listenreich fortwirkt. Biologe/Biologin: Lenau 1832 Gedichte //124 Biologen; Sanders 1871 Fremdtvb. 154 Biolog . . Kenner der Biologie; Nietzsche 1884-88 W. IX 45 Herr Herbert Spencer ist als Biologe ein decadent; 1902 Preuss. Jahrb. CX 545 Leben ist das verwikkelste und komplizirteste Ding . . Das merken . . die Biologen und noch deutlicher die Psychologen; 1903 Natunviss. Wochenschr. XVIII 4 Erforscher der Lebewesen (Biologen); Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. IX 666) Krankheit als Größe .. hat ihre geistige und kulturelle Seite, die mit dem Le-

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ben selbst und seiner Erhöhung, seinem Wachstum zu tun hat, und auf die der bloße Biologe und Mediziner sich nur mangelhaft versteht; Süddtsch. Ztg. 6. 4. 1955 Der erste deutsche Biologentag; Bamm 1956 Ex ovo 230 Unversehens sind den Physikern und Biologen metaphysische Probleme sozusagen zwischen die Finger geraten; Jaspers 1958 Atombombe 30 In der Atombombenfrage ist heute ein typisches Verhalten, daß jeder Fachmann seine Sache vorträgt, nacheinander der Physiker, der Biologe, der Militär, der Politiker, der Theologe; Gail 1958 Weltraumfahrt 127 Die Tätigkeit des Biologen und Arztes ist für die Vorbereitung der Weltraumfahrt ebenso unentbehrlich wie die des Astronomen und Physikers; ND 25. 11. 1964 Biochemiker, Chemiker, Physiker, Genetiker und andere Biologen haben zu den großen Fortschritten oft in Gemeinschaftsarbeit beigetragen; Blume 1971 Mensch o. S. Wenn ein Biologe den Aufbau eines Lebewesens erfassen will, vergleicht er es mit den Lebewesen, die ihm am meisten ähnlich sehen, also mit verwandten Lebewesen; Pruszak 1972 Frühsommer 36 Seine Frau eine Biologin. Eine Schönheit; Zeit 26.4. 1985 Die Oma, von Beruf Biologin; ebd. 6. 12. 1985 Vor zwei Jahren . . wollte der amerikanische Biologe Steven Lindow . . gezielt veränderte Bakterien . . auf einem Versuchsfeld mit Erdbeerpflanzen ausbringen; MM 25. 9. 1986 Biologen sind jedenfalls skeptisch, ob noch andere Planeten unter einem so günstigen Stern standen, wie die Erde seit drei Millionen Jahren; ebd. 8. 1. 1987 Während meiner praktischen Ausbildung als Molekularbiologe . . diskutierten wir angehenden Wissenschaftler gerne und oft die Möglichkeiten zur Gründung einer eigenen Gentechnikfirma; Zeit 12.6. 1987 Regine Kollek, die als Biologin selbst mit gentechnischen Methoden an Viren gearbeitet hat; Stern 22. 10. 1987 Genug Arbeit. . für die Förster, Landschaftsgestalter, Biologen und Ökologen; MM 2. 1. 1988 In der Prozeßdatenverarbeitung sehen die Biologen und Chemiker eine Chance, . . die Tierversuche auf ein Minimum zu beschränken; ebd. 28. 5. 1988 Nach Angaben des Wildbiologen . . wurden in Seehundkadavern . . Konzentrationen von Umweltgiften festgestellt; ebd. 1.6. 1988 Der Algenschwarm bewegt sich nach Angaben von Meeresbiologen auf das offene Meer hinaus; ebd. 29. 9. 1989 Astrologen gehjen sich gern wissenschaftlich .. und führen Titel wie „Kosmobiologe" oder „Astrotherapeut". biologisch: Haeckel 1866 Generelle Morphologie I 21 Biologische Chemie besteht aus Biostatik oder organischer Morphonomie; ders. 1877 Entwicklungslehre 7 den weitaus grössten Theil der biologischen Wissensfächer; Nordau 1884 Lügen 227 Das ist ein biologisches Gesetz, das den Menschen

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Biologie

ganz so beherrscht wie alle übrigen Lebewesen; Nietzsche 1884-88 W. IX 35 Wie verhalten sich zu dieser biologischen Grundfrage die bisherigen obersten Werthe?; Gottschall 1885 Totenkl. 220 biologischen Wissenschaft; Nordau 1885 Paradoxe 57 biologische Begründung; Schallmayer 1903 Vererbung 273 Berücksichtigung der „biologischen" Gesetze; Hesse 1904 Natur 47 biologische Soziologie; 1905 Naturwiss. Wochenschr. XX 608 zur Frage der biologischen Stationen; Haeckel 1913 Lebenswunder 107 biologische Geographie; 1914 Württemb. Jahrb. f. Statistik 111 So haben . . die . . Fälle .., bei welchen die Braut das 50. Lebensjahr überschritten hatte, . . keinen „biologischen" Wert mehr; Münsterberg 1914 Psychotechnik 284 Vom rassenbiologischen Standpunkt aus hat man selbst die Anerkennung der Embryotötung befürwortet; 1916—17 Polit.-anthropol. Monatsschr. XV 294 „biologisches" Denken; 1920 Prometheus XXXI 287 biologischen Imperativ; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 144) Goethe's biologische Intuitionen; Weidenbach 1923 Weltanschauung 10 den Staat als biologischen Organismus; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 632) Naphta beabsichtigte, die Menschheit in ihrer irrationalen Stellung zu den biologischen Tatsachen festzuhalten; Lettenbaur 1927 Morgen 89 Daß der bewußte, sozusagen völkerbiologisch gedachte Satz keine Lästerung war; 1927-28 Z)^Menschenkunde III 150 Er untersucht empirisch die Entsprechung von Körpergestaltung und Persönlichkeit . . nach der . . dem kriminalbiologischen Bedürfnis angepaßten Methode; Springer 1929 Blutmischung 20 Die biologische Reformation; Gründel 1929 Menschheit 55 Das sind die zwei kulturbiologischen Grundtendenzen; Winnig 1930 Proletariat 27 biologischen Rohstoff für die Entstehung des Bürgertums; Th. Mann 1931 Reden u. Aufs. (W. X 318) Sie ist reizend, diese Jugend . . vielleicht hat nie eine die biologische Liebenswürdigkeit des Jugendlichen auf so bezwingend malerische Weise herausgestellt wie diese; Volk u. Heimat 20. 11. 1932 Nun ist aber in Europa . . eine volksbiologische Wendung eingetreten, die . . auf die Wirtschaftsgestaltung rückwirken muß; Lokal-Anz. 30.11. 1934 Die denkenden Eltern schätzen die Ehrenpartnerschaft ein als . . biologischen Adelsbrief; Jung 1934 Archetypen 208 weil biologisch einzig die größere Anzahl von männlichen Genen den Ausschlag in der Wahl des Männlichen gibt; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Dieser hat . . zusammen mit seinen Mitarbeitern für einen großen Theil der Rhönbevölkerung die erbbiologischen Untersuchungen vornehmen lassen; Günther 1938 Verstädterung 14 Linien des geringsten biologischen Widerstandes; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 577) Gesundheit und Krankheit als Werturteile sind aus dem Grunde mit

soviel Vorsicht auf das Menschlich-Geistige anzuwenden, weil sie biologische Begriffe sind, die Natur des Menschen aber im Biologischen nicht aufgeht; Münch. N. N. 22.6.1940 Was Frankreich jetzt noch zu retten versuchen könnte, sei das französische Volk selbst, seine biologische Existenz; Dtscb. AZ. 8. 6. 1944 aufklärende Druckschriften über die Gattenwahl und die „Biologische Wehrpflicht"; Münch. N. N. 10. 3. 1945 „biologische Konservierung" .. die Konservierung des Gemüses von seinen biologischen Voraussetzungen aus; Welt 22.2.1949 Schon als junger Arzt widmete ich mich aus innerer Neigung . . mikrobiologischen Arbeiten; NZ. (Basel) 22. 1.1950 Biologisches Gemüse, besser ausgedrückt „biologisch gezogenes Gemüse", darf ohne weiteres mit Schnellkompost behandelt werden; 1950 Wort u. Wahrh. V 882 die sog. „biologische Kriegführung" . ., also vornehmlich die Ermordung von Gefangenenmassen durch Hunger und Erschöpfung; Süddtsch. Ztg. 18J 19.3. 1950 Der vorgesehene Landstrich habe die günstigsten Voraussetzungen für ein „Gebiet mit biologischem Gleichgewicht"; Schock 1952 Soziologie 12 die moderne Soziologie in ihrer großen Aufgabe bestärken, die Heilung der erbbiologischen Konflikte . . zu versuchen; Hartmann 1954 Begegnung 17 am Obergang vom physikalischen zum biologischen Zeitalter; Welt 26. 3.1954 daß es sich bei dem Krebs um eine Allgemeinerkrankung handelt, . . bei der grundsätzliche Verschiebungen im biologischen Gleichgewicht des Körpers vor sich gegangen sind; Bamm 1956 Ex ovo 258 Die biologische Heilung eines kranken Menschen ist eine sehr nützliche Unternehmung, aber sie ist banal; Jaspers 1958 Atombombe 386 Man will schließlich den Menschen selber . . nach Plan machen, sei es biologisch züchten, sei es durch Herstellung zwingender Daseinsbedingungen formieren; ND 8. 3. 1959 Deutschland darf nicht besitzen, produzieren, erwerben und experimentell erproben jegliche Art von Kernwaffen und anderen Mitteln der Massenvernichtung einschließlich der biologischen und der chemischen; 1961 Dies Univ. VIII 125 biologische Uhr; ND 18. 9. 1964 Ein dritter, von deutschem Boden ausgehender Weltkrieg würde die biologische Vernichtung unseres Volkes bedeuten; 1967 Bild d. Wiss. l 27 In der unberührten Natur befinden sich die verschiedenen Lebewesen eines Lebensraumes im biologischen Gleichgewicht, Zugang und Abgang halten sich die Waage; Welt 5.3. 1969 Für moderne und biologische Waschmittel wird moderne, hochwertige Waschmaschinentechnik gebraucht; Eibl-Eibesfeld 1971 Liebe u. Hass o. S. Unsere angeborenen Angriffshemmungen sind auf unsere biologische Ausstattung abgestimmt; Andersch 1971 Kirschen 38 und wir sahen nicht voraus, daß auch der Feind

Biologie unterlag, als er die Freiheit einschränkte; nicht die unsere, . . sondern seine eigene Freiheit, die er auf den „arischen Menschen" einengte und an biologische Gesetze band; FAZ W. 3. 1971 Biologische Waffen an der sowjetisch-chinesischen Grenze?; Kemper 1971 Chemie o. S. Bei geringer Verschmutzung wirkt in den Gewässern eine sogenannte biologische Selbstreinigung; Offenburger Tagebl. 2. 3. 1972 „biologisch-aktive" Waschmittel höchst bedenklich; Schwendter 1973 Subkultur 10 Kultur ist der Inbegriff alles nicht Biologischen der menschlichen Gesellschaft; MM 18.1.1985 tritt der DGB-Kreis . . für die Entfernung aller atomaren, chemischen und biologischen Waffen ein; Zeit 25.1.1985 Kindermöbel „baubiologisch geprüft und überwacht", frei von schädlichen Ausdünstungen oder Inhaltsstoffen; ebd. 17.5.1985 Die Schockwellen der biologischen Revolution erschüttern nicht mehr nur Naturwissenschaftler und Ärzte, sondern auch Philosophen und Politiker, Juristen und Ökonomen; ebd. 5. 7. 1985 Das . . halten Kritiker für den ersten Schritt zu einer biologischen Kriegsführung; MM 3. 8. 1985 Zu diesen zum Teil hochgiftigen, biologisch kaum abbaubaren Schwermetallen komme noch eine ganze Reihe organischer Schadstoffe; Zeit 18, 8. 1985 daß der medizinische Fortschritt . . mit mikrobiologischen Untersuchungsmethoden dringend erforderlich . . ist; ebd. 13.9. 1985 Wasser, das vielleicht durch den Einsatz moderner biologischer Toiletten gespart werden könnte; MM 12.11. 1985 Während in England eine 1865 eingesetzte Kommission Flüsse als „biologisch tote Kloaken" vorfand; ebd. 10. 1. 1986 Mit der Hydrobiologischen Anstalt in Plön entstand das wohl erste ökologische Institut der Welt überhaupt; Zeit 1. 8. 1986 Registriert sind .. auch die biologischen Eltern des Adoptivkindes; ebd. 3. 10. 1986 Der stark sozialdarwinistisch gefärbte Zeitgeist stellte ihn auf eine rassistisch-biologische Grundlage; MM 7. 11. 1986 Die Gene waren für das biologische Denken so wichtig geworden, daß die Molekularbiologen darüber kurzerhand den übrigen Organismus vergaßen; ebd. 29. 11. 1986 Ethylenglykol sei „von sehr geringer Giftigkeit" und innerhalb von fünf bis sechs Tagen im Rheinwasser biologisch abbaubar; ebd. 6. 3. 1987 Um ihre Existenz zu sichern, schlössen sich neun biologisch anbauende Landwirte . . zusammen; ebd. 13. 3. 1987 Der hormongesteuerte Bartwuchs .. scheint einem wochenweisen biologischen Rhythmus zu folgen; ebd. 4. 11. 1987 Die Silbe „bio" und ein hoher Preis sind noch kein Garant für „biologische", „naturgemäße" oder „ökologische" Produkte; TAZ 9. 3. 1990 Ein biologisches Gutachten bestätigt die reiche Fauna und damit die Schutzwürdigkeit des Hertasees; Altner 1991 Naturvergessenheit 258 der arbeite im Garten

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. . ökologisch bzw. biologisch-dynamisch; Spiegel 7. 12. 1992 Die Wortführerinnen rechtsextremer Frauenzirkel beschwören wie ihre Männer die Ideologie von der biologischen Ungleichheit der Völker, Rassen und Geschlechter. Biologismus: Rucken 1912 Erkennen u. Leben 52 so hält der Biologismus sich an das Bild der Natur; 1918 Deutschland u. Katholizismus l 53 der evolutionistische „Biologismus"; Bauch 1923 \Vabrh., Wert u. Wirklichk. 497 Gegen eine solche Auffassung ist von seilen der Werttheorie mit Recht der Vorwurf des „Biologismus" . . erhoben worden; Landgrebe 1928 Diltheys Theorie 256 Vorwurf des Biologismus; Stein 1933 Frauenbildung 83 wir stellen uns damit ein in den großen Kampf des Geistes gegen Materialismus und Biologismus; Plessner 1935 Schicksal d. Geistes 131 setzen die Politiker der Masse gegen Marx und vulgären Klassenmaterialismus einen handfesten Biologismus; Benn 1935 Ges. W. IV 258 Europa .. verschleiert sich mit dem Nietzscheschen Biologismus; 1944 Zs. f. Geistesu. Glaubensgesch. 28 Biologismus; Müller-Armack 1949 Diagnose 237 indem sie . . den Menschen als immanent gebundenes Wesen definieren und so . . die Fehler des früheren Biologismus wiederholen; 1949 Dies Univ. l 101 der Mensch ist nicht nur das Wesen des praktischen Intellekts, wie er von allen Biologismen immer wieder mißdeutet wird; Auerbach 1959 Mimesis 443 Der Biologismus, der Balzac vorschwebt, ist .. mystisch, spekulativ und vitalistisch; 1965 Festschr. a. Maurer 414 Biologismus; MM 18. 6.1985 Gegen einen Biologismus, der den Menschen auf die Evolution reduziert; Wuketits 1987 Darwin 99 Unter Biologismus ist. . die Deutung verschiedenster Phänomene außerhalb der Biologie aus biologischer Perspektive zu verstehen; Spiegel 24. 10. 1994 Unter Murrays . . Regie künden die Daten von der unumschränkten Macht des IQ — ein beispielloser Triumph des Biologismus. Biologist: Schock 1952 Soziologie 162 Oswald Spengler als Biologist. biologistisch: Bubner 1923 Ich u. du 67 Das biologistische und das historiosophische Denken . . haben . . zusammengewirkt, um einen Glauben an das Verhängnis herzustellen; Conrad-Martius 1938 Urspr. u. Aufbau d. lebend. Kosmos 45 Daß aber die Abstammungslehre . . an einen Punkt kommt, an dem weder die rationalistische, noch die (romantisch-) biologistische Einstellung ausreicht; Kimpel 1969 Erziehung 22 Wird die Entwicklung der Persönlichkeit hierbei nicht weitgehend biologistisch betrachtet?; Zeit 2. 5. 1986 Die biologisti-

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sehe Lebenskunde der Nationalsozialisten; ebd. 3. 4. 1987 Ausdrücke wie „Ostjudenplage" und „am Volksmark saugende ausländische Parasiten", „Krebsgeschwür" und andere biologistische For-

mulierungen waren antisemitische Stereotypen; de Vries 1989 Dialektik 189 nach dem klassich-modernen Muster der biologistisch-materialistischen Auslegung der Werke von Freud. HK

Biwak N., auch M. (-s; -s, auch -e), Ende 18. Jh. (eventuell im Gefolge der französischen Revolution) entlehnt aus frz. bivouac 'Nacht-, Feldwache; Feldlager' (über niederl. bijwacht 'Wacht, Bewachung; Hilfswachdienst' zurückgehend auf niederdtsch. biwake, mittelniederdtsch. biwacht(e) 'Beiwache, die im Unterschied zur Hauptwache im Freien postiert ist' (vgl. Schweiz. Beiwacht 'Bürgerwachpatrouille'), nachträgliche und oft im selben Kontext verwendete Wiedereindeutschungsversuche wie Biwacht, Beiwacht erfolgreich verdrängend), bis ins 20. Jh. häufig in frz. beeinflußten Formen wie Bivoua(c)q, Bivouac(k), Bivouak. Zunächst in der Bed. '(bewaffnete) Feld-, Nachtwache unter freiem Himmel' (s. Belege 1808, 1820), dann 'behelfsmäßiges Nachtlager für das vorübergehende Kampieren im Freien', vor allem, gelegentlich auf frz. Verhältnisse bezogen, im militärischen Bereich von Soldaten, Truppen, oft in kriegsverklärender Verwendung konnotiert mit „romantisch, idyllisch, stimmungsvoll; abenteuerlich, draufgängerisch" (s. Belege 1836, 1854), „entbehrungsreich, spartanisch" (s. Belege 1862, 1927), seit Mitte 19. Jh. auch allgemeiner von Bergsteigern, Wanderern, Touristen, Forschungsexpeditionen, Landfahrern u. ä. im Sinne von 'Rast(-platz)' (s. Belege 1860, 1866, 1889, 1890, 1934, 1956), und im 20. Jh. insgesamt eher eingeschränkt gebraucht, vereinzelt bildlich (s. Beleg 1986), selten als Bestimmungswort in Zss. wie Biwakfeuer, -platz, -zeit. Dazu seit Anfang 19. Jh. die aus gleichbed. frz. bivouaquer übernommene Ableitung biwakieren V. intrans., vereinzelt im 20. Jh. auch biwaken (s. Belege 1908, 1940) und bis ins späte 19. Jh. meist in frz. beeinflußten Formen wie bivouakieren, bivouaquieren sowie mit (verdeutschenden) Nebenformen wie b(e)iw'achten; zunächst in der Bed. 'Nachtwache unter freiem Himmel halten', dann allgemeiner 'im Freien ein provisorisches Nachtlager aufschlagen, lagern, kampieren', vereinzelt auch bildlich verwendet im Sinne von 'sich (vorübergehend) niederlassen, festsetzen' (s. Beleg 1940). Biwak: Beckmann 1795 Anm. 53 Bivouac [für ein urspr. deutsches Wort, das wir aus dem Frz. wieder erhalten sollten]; Campe 1808 Wb. I 152 Bivouac .. eine Nachtwache unterm Gewehre; Goethe 1814 Sankt-Rochus-Fest (HA X 405) Und so war das Gebäude denn aller gottesdienstlichen Erfordernisse, ja aller Zierden beraubt, durch Biwaks angeschmaucht und verunreinigt, ja durch Pferdestallung geschändet; Rhein. Merkur 17. 7. 1814 So kamen sie [die Franzosen] zu dem Ausdruck Biwacht, den sie, da sie unser eh nicht auszusprechen vermögen, durch Bivouaq verfranschten (TRÜBNER); Cancrin 1820 Militairökonomie l 188 Bei Reisemärschen in größeren Etappen ist aber zu betrachten [!]: . . Wenn in hellen Haufen marschiert wird, die Verpflegungsmittel; als Etappen, Magazinverpflegung, Reisebivuaks, Militairwege u.s.w.; Goe-

the 1822 Campagne (HA X 207) als die Kälte des einbrechenden Morgens uns an ein Biwak der Ostreicher trieb, welches, die ganze Nacht unterhalten, einen Ungeheuern wohltätigen Kohlenkreis darbot; Soden 1824 Nationalökonomie IX 51 Beiwachten oder Bivouacs; Colombier 1832 Militär. Handb. 58 Bivouac oder Biwak, heisst der Platz, wo auf der Stelle eine Armee . . unter freiem Himmel bleiben [sie], um entweder abzukochen, oder zu übernachten; Lewald 1836 Aquarelle l 101 die Aschenhaufen und klimmenden Fichten der Bivouak qualmen; Holtet 1854 Schneider 532 im nassen Biwak; Wickede 1854 Soldatenleben 5 Das war denn ein schöner Tag gewesen, und obgleich wir Alle sehr ermüdet waren, jubelten und sangen viele Landers doch bei den Bivouacfeuern, die wir unweit Etoges angezündet hatten, noch lange fort;

Biwak ebd. Ill 243 Viele Monate habe ich, in einsamen Blockhäusern und Militairposten garnisonirt, gar manche Nächte am Bivouacfeuer verbacht, mich mit Kabylen und Hajuten herumgerauft, Säbelhiebe ausgetheilt; Seyffarth 1855 Paris 88 plauderte Napoleon, oft in der Sprache des Bivouaks; Holtet 1860 Eselsfresser III 283 Wenn unser Einer zum Wollmarkt nach Groß-Breslau kommt, da denkt er manchmal, er war' in Berlin oder gar in Wien . . die Bivouaks von dreizehn und vierzehn; Suckow 1862 Soldatenleben 169 Wir bezogen gegen Mittag ein Bivouak diesseits des Dnieper, ohne an diesem Tage, was wenigstens unsere Linien-Infanterie betraf, an der Schlacht theil zu nehmen; ebd. 299 Die Märsche bis nach Wilna waren .. die härtesten, insoferne, als Entbehrung und und demnach der gräßlichste Hunger mich, namentlich während der bitterkalten Nächte am Bivouakfeuer, wahrhaft quälte; Hartmann 1866 Erlebnisse 131 Da also das ländliche und biwakartige unserer Ruhepunkte zu einem unbefangenen Verkehre einlud, so wurde die von mir geführte Gesellschaft bald recht froh; Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 186 wie schnell die Spuren des Kampfes verschwinden. Biwak-Plätze, an den Bäumen eingeschlagene Gewehr- oder Geschützkugeln, ein verwitterter Stiefel oder ein einsamer Rockärmel, das ist alles; Sünde 1889 Frau Buchholz 197 Das Deck war mit Passagieren vollgelagert, als fände ein regelrechtes Biwak statt; Siemens 1890 Lebenserinn. 229 Als es zu dunkeln begann . . bezogen wir ein Bivouak oder . . eine Beiwacht, wie man lieber wieder sagen sollte (beide TRÜBNER); 1890 ZDÖAlpenver. 441 Bis zur Bütlassenhütte hatte Ulrich Brunner den Anstieg früherer Ersteiger verfolgt, während er selbst am Bivouakplatz zurückgeblieben war; Liliencron 1896 Poggfred (W. XI 57) Die Biwakfeuer flackern; still geworden; Bloem 1910 Sommerlt. 209 Der Oberst . . nahm die Meldung des Biwakskommandanten entgegen; ebd. 285 Unter der vordersten Buche des Gehölzes machte der Hauptmann halt. Dicht standen die Männer einander gegenüber . . ihre Gesichter schimmerten nur schwach im Widerschein der Biwaksfeuer; Schmtdt-Oßwald 1927 Das Altenburger Regiment 41 Erst sehr spät am Abend kommt das Regiment . . ins Biwak bei Wersbeek (TRÜBNER); 1932 ZDÖAlpenver. 142 unendlich langsam verrinnen die frostigen Biwakstunden . . lange und bange Stunden müssen wir ausharren in unbequemster Lage; Lokal-Anz. 28. 5. 1934 SA am Biwakfeuer (Überschr.) . Zu einem einzigartigen Erlebnis gestaltete sich das Volksfest der SA-Standarte 24 in Neuruppin, das in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag mehr als 6000 Braunhemden der SA, der SS . . und des Freiwilligen Arbeitsdienstes in einem riesigen nächtlichen Biwak mit den Einwohnern der Stadt Neuruppin vereinte;

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ebd. 22. 7. 1934 Sommersonnenwende .. Ein fröhliches Biwak am Lagerfeuer hielt die Festtteilnehmer noch lange nach der Feier beisammen; 1936 Heeres-Dienst-Vorschr. CCC/I 650 Truppen, die zur Ruhe übergehen, beziehen Unterkunft in Ortschaften als Ortsunterkunft, unter freiem Himmel als Biwak, bei nur teilweisem Unterkommen in einer Ortschaft als Ortsbiwak (TRÜBNER); Dingolf. Anz. 7. 9. 1956 Nach zehnstündiger Kletterei erreichte die Seilschaft die sogenannte Biwakschachtel und am nächsten Morgen bewältigte der 75jährige mit seinem Begleiter frisch und munter die letzten 400 Meter der senkrechten Watzmannostwand; MM 15. 9. 1986 An die Soldaten wurde ein Merkblatt „erhaltet unsere Landschaft" verteilt, in dem es heißt: „Ein Biwak-Raum ist so zu verlassen, wie man ihn vorgefunden hat"; Zeit 3. 10. 1986 Einen Biwak beim Anstieg zum Gipfel haben Michail Gorbatschow und Ronald Reagan vereinbart: Die Reise Gorbatschows nach Washington, dem ursprünglich vereinbarten Treffpunkt, wird über Reykjavik führen; MM 20. 1. 1987 Der junge Mann aus gutem Hause war unauffällig bis zum Abitur. Dann packte er das Bündel, verzog sich mit einem Biwak-Zelt in den Wald. Dort lebte der Einsiedler jahrelang — finanziell von den Eltern unterstützt; Zeit 6. 3. 1987 Wohnungsloser tot aufgefunden . . am Rand der Innenstadt, im Biwak, in der Fußgängerebene, im Weinberg vor der Stadt, in der polizeilichen Ausnüchterungszelle; erfroren, von Jugendlichen im Schlaf angezündet, erschöpft, neuerdings: von kommunalen „Sheriffs" zusammengeschlagen; Wocbenpost 12. 1. 1990 der größte Immobilienmakler Hamburgs hat vorgeschlagen, Klassen zusammenzulegen, um 100 Schulen freizumachen, einige Museen zu räumen, Soldaten im Biwak unterzubringen, um noch mehr Kasernen zu nutzen. biwakieren: Seume 1806 Sommer (W. l 727) Man hatte, um mehr Platz zu gewinnen, das Orchester den Zuschauern mit eingegeben . . Aber man hatte den Ort meistens mit so jämmerlichen zerbrochenen Bänken besetzt, wie sie nur ein Holzhacker braucht .. Meiner Person ist das ganz gleichgültig; denn ich bivouackiere so gut, als irgend einer; Campe 1808 Wb. l 152 Bivaquiren, die Nacht unter freiem Himmel, und unter dem Gewehre durchwachen; Chamisso 1810 W. V 273 diese Winternacht werd' ich aber auf jeden Fall in Frankreich noch biwakieren; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 83) Augenblicks waren die friedlichen Straßen in einen Kriegsschauplatz verwandelt. Dort verharrten und biwakierten die Truppen, bis durch regelmäßige Einquartierung für ihr Unterkommen gesorgt wäre; Jacobs 1812 (Platen 1911 Brieftv. I 130) Hier mußte ich Tag und Nacht bi-

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vuaquiren, denn die englischen Schiffe lagen uns drohend gegenüber, aber dafür hatte ich auch den herrlichen Anblick des Meeres; 1814 Sachsens Verwüstung 10 Ganz Frankreich mußte . . zu den Waffen eilen. Man dachte nur darauf, Pulver, Blei, Kanonen, Säbel und Menschen und Pferde zusammenzubringen und beschloß, für ihre Bekleidung und Ernährung den Zufall sorgen zu lassen. Es wurde mit einem Worte, das seinem Sprachursprung nach nicht zu enträthselnde bivouakiren, eingeführt, und mit ihm wurde die Geißel des Krieges nun blutiger; Cancrin 1820 Militairökonomie l 191 Die Vorposten müssen nun bivuakiren; oder doch nach Umständen so eng kantonniren, dass sie, auf die erste Meldung der Kette, in wenigen Stunden ihr Gros aufstellen können; Lewald 1836 Aquarelle l 97 Auf dem großen Ringe und in den . . Straßen bivouakirten die angekommenen Truppen; Bechstein 1836 Reisetage II 80 Engländer und Preußen biwakirten .. in diesen Feldern; Moltke 1846 Wanderbuch (Spanien) 149 Die Bewohner haben Tagesreisen bis auf ihre Felder . . sie müssen in der Ernte und Saatzeit auf dem Felde bivouakiren; Wickede 1854 Soldatenleben U 33 um denselben aber gegen jede etwaige Gefahr zu schützen, bivouacirten einige hundert frühere Officiere . . auf dem großen Carousselhof der Tuilerien; Hartmann

1866 Erlebnisse 73 Die Pferde biwackierten, die Mannschaft war in zwei Bauernhöfen untergebracht; ebd. 75 der General Wrangel .. ließ mich kommen und befahl mir kurz, sofort aus der Stadt hinauszumarschieren; draußen könne ich biwakkieren; König um 1875 Hum. 157 hab' oft genug bei schlechtem Wetter bivouakirt und, Gott sei Dank, nie mehr als höchstens einen Schnupfen davogetragen; 1908 ZDÖAlpenver. 232 Das Biwaken ohne Decken aber hatten wir beide gründlich verschworen; 1936 Heeres-Dienst-Vorschr. CCC/1 661 die nicht in Ortsunterkunft befindlichen Teile biwakieren im Anschluß an den Ort (TRÜBNER); Münch. N. N. 22. 7. 1940 Die kleine weißhaarige Exzellenz . . biwakt im Restaurant la Presse und hat trotz der strengen Rationierung .. eine reichliche Tafel vor sich; Stern 1986 Erinn. 203 Zwischen den hohen Bäumen des Kurparks biwakierten Soldaten; Stern 11. 1. 1990 Um ihre Forderungen durchzusetzen, biwakierten Soldaten und Unteroffiziere vor dem Kasernentor oder schwärmten aus, um DDR-Bürger und Reisende aus der Bundesrepublik über ihre Forderungen aufzuklären; Spiegel 3. 7. 1995 Als Mitte vergangener Woche ruchbar wurde, das Künstlerpaar [Christo] werde am nächsten Morgen Plakate signieren, biwakierten Hunderte über Nacht vor dem Reichstag. IN

bizarr Adj., Mitte 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bizarre (< ital. bizarro 'launenhaft, zornig, lebhaft, eigensinnig; seltsam; mutig', zu bizza 'Zorn, üble Laune, Wut', ungeklärter Herkunft, vgl. span, bizarro 'tapfer, mutig; ritterlich, prächtig', zurückgeführt auf bask, bizarra 'Bart'), auch in frz. beeinflußten Schreibungen wie bizarre, bisarr. Schlagwortartig aufgekommen in der Alamodezeit des Barock zur (lobenden) Charakterisierung des äußeren Erscheinungsbildes, der Kleidung und Haltung von Personen verwendet im Sinne von 'elegant, prachtvoll, kostbar; ungewöhnlich, auffällig, besonders', von daher auch auf andere Gegenstände ausgedehnt, vor allem stilistische und ästhetische Charakteristika in der Bildenden Kunst, Architektur, Literatur, Mode u. ä. in der dominanten Bed. 'seltsam, sonderbar, eigenartig, eigentümlich, merkwürdig (geformt, aussehend); eigenwillig, außergewöhnlich, ausgefallen (gestaltet)' (s. Belege 1714, 1788, 1811, 1854-55, 1902, 1924, 1970, 1985), häufig in Wendungen wie bizarre Verkleidung, Landschaft, Felsen, Schatten, Monster, Gestalt, Figur, Skulptur, Muster, und in der Folge bis heute oft eher abwertend verwendet für 'ungereimt, widersprüchlich, verworren, unklar; überraschend, unerwartet; abweichend, abwegig, verzerrt; unwirklich, unverständlich, verwirrend, beunruhigend, befremdlich' (—» absurd, —* barock, —»· exotisch, —* grotesk, —» kurios, —» pittoresk, —» skurril; vgl. auch extravagant, phantastisch, irrational, surreal), z. B. in den Verbindungen bizarrer Geschmack, Einfall, bizarre Laune, Vision, gelegentlich in additiven adj. Zss. wie bizarr-expressionistisch, gelegentlich auch mit negativen Konnotationen wie „morbid, krankhaft; unheimlich, beklemmend" (s. Belege 1985, 1986,

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1990) sowie mit eher positiven wie „geheimnisvoll, schaurig-schön, malerisch" oder „abwechslungsreich, originell, witzig" (s. Belege 1902, 1987). Seit Ende 17. Jh. übertragen auf Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften von Menschen, bes. Künstlern, und ebenfalls eher pejorativ verwendet für 'eigensinnig, launenhaft, unberechenbar; wunderlich, schrullig, (ab-)sonderlich, verschroben' (s. Belege 1696, 1700, 1728, 1733, 1766-67, 1948, 1986; -» exzentrisch, vgl. kapriziös, —» Kaprice), auch 'gestört, verwirrt, verrückt; bitter, heftig, verzweifelt' (—» anormal; s. Belege 1985, 1987, 1995), in Wendungen wie bizarres Wesen, Verhalten, bizarrer Kopf. Dazu die seit spätem 17. Jh. (STIELER) nachgewiesene, aus gleichbed. frz. bizarrerie entlehnte subst. Ableitung Bizarrerie F. (-; -n), auch in der Schreibung Bisarrerie, weitgehend gleichbed. mit dem vereinzelt vom 17. bis ins 19. Jh. nachgewiesenen Subst. Bizarrie, dem seit Mitte 19. Jh. bezeugten Bizarrheit E (-; -en) und Anfang 20. Jh. (1911 bei Petri) gebuchtem Bizarrität, in der Bed. 'Wunderlichkeit, Sonderbarkeit, Seltsamkeit, Groteskheit; Eigensinn, -Willigkeit', auf menschliche Charaktere und Verhaltensweisen bezogen sowie auf das äußere Erscheinungsbild von Gegenständen und Personen, speziell im Bereich von Kunst und Ästhetik für 'absichtliche Abweichung, Verzerrung von Regeln und Normen, Originalitätssucht', auch allgemeiner im pejorativen Sinne von 'Ungereimtheit, Widersprüchlichkeit; Fremdheit, Exotik' (s. Beleg 1845); im 19. Jh. das vereinzelt nachgewiesene Subst. Bizarre F., auch Bizard, für 'Sonder-, Abart (von Pflanzen, Blumen)', speziell als botanische Bezeichnung für eine verschiedenfarbig gestreifte Nelken- oder Tulpenart, gleichbed. mit bis Anfang 20. Jh nachgewiesenem Bizarria F., daneben auch (1838 bei Heyse) als musikalischer Fachausdruck gebucht für 'plötzliches, unerwartetes Überspringen in eine andere Tonart'. bizarr: Lauremberg 1652 Scherzgedichte 47 Wo heb gy juw Habit chamarret so bizzarre; Abr. a S. Clara 1695 Judas IV 373 sie ist recht gallant in dem Aufzug, sie gehet recht sauber, alles ist Bizarr an ihr; Thomasius 1696 Sittenlehre 455 wenn solcher Leute Eyfersucht sehr irritiret wird/ zumahl wann sie Gewalt haben/ richtet sie offters grausame aber doch dabey bizarre Exempel an; Kuhnau 1700 Musikal. Quacksalber 12 bizarres Wesen; Sturm 1714 Anw. (Architektur) Ha Ich hätte gewünschet, den Riss noch bey Händen zu haben, von einem Altar, den ich in Quedlinburg auffgerichtet habe, woran ich gezeiget, wie eine gantz bizarre Figur nicht nur mit einer, sondern gar mit zwey Reihen Säulen .. könne ausgetheilet werden; Sperander 1727 A la mod Sprach 72 Bizarre, eigensinnig, capricieux, z. E. er hat eine gantz bizarre und eigensinnige Art zu leben; alle Zuredungen mit einer bizarren Mine ausschlagen; Glaser 1728 Kriegs-Bau-Kunst 15 unglückseligen Einfallen bizarrer Köpffe; 1733 Gundlingiana XX 393 alles wilde, bizarre, alle seine Affoten . . auf die Seite schaffen, und sich zwingen; Trichter 1743 Kitterlex. 175 Bizarrement, Bigearrement, Eigensinnisch, fantastisch, närrisch, wird in der Music gesagt, wenn eine Modulation bald geschwind, bald lang-

sam, bald starck, bald leise u. s. f. gehet . . Wenn aber jemand seine Einfalle mit unangenehmer und wunderlicher Art an- und vorbringt. . so sagt man: Die Composition ist bizarr gesetzt, oder das Singen und Spielen ist bizarr; 1766—67 Merkwürdigkeiten 34 den bizarren Einfall, einen Herrn von Breitenbauch just ä la tete eines Geßner zu stellen . .?; Sturz 1767 Julie 163 bizarre Gestalten; Musäus 1781 Physiognom. Reisen U 80 bisarren Schwunglinien, die nur einem Hogarth zu Gebothe stehen; 1788 Journal d. Moden III 31 mit dieser .. bizarren Hutform; Wolf 1793 Dulder 1182 Stunden, ja Tage lang ihren oft bizarren Launen zu frönen; ebd. I 189 Agnes fand es sehr bizarr und launisch von ihrem Philipp, daß er nicht kam; Matthisson 1795 Italien (IV 253) Denons Urtheil über Therons Grabmal fällt nachtheilig aus; er nennt es bizarr und barok; Foote 1796 Schriftsteller (Übers.) II 13 ihr Gelehrten seid Genies, wisst erschrecklich viel; aber ihr seid dabei wunderliche, bizarre Wesen; 1798 Berlin. Archiv d. Zeit l 280 Ebenso bin ich des Dafürhaltens, daß dem Studenten in Absicht seiner Kleidertracht alle Freiheit verstattet werden kann und muß. Wem schadet er dadurch, wenn er sich auch noch so bizarr ausstaffiert?; Matthisson 1808 Wallfahrt (VI 285) Die geschmackvolle und

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einfachedle Verzierung der Zimmer des Kaisers und der Kaiserin macht einen angenehmen Abstich gegen die schwerfälligen, bizarren und nicht selten grotesken Ueberladungen der altköniglichen Pracht; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 281) eine glückliche Vereinigung bizarrer und widerstrebender Elemente kunstgemäß dargestellt; Dalberg 1830 Betrachtungen 30 das Seltsame, und oft sehr Sonderbare (bizarre) ihres Charakters; Heine 1835 Romant. Schule 73 [Goethe] mißfiel an diesem Lande [Indien] das Bizarre, Verworrene, Unklare; ebd. 102 Wer Italienisch versteht, kann sich einen ziemlich richtigen Begriff jener Tieckschen Dramen verschaffen, wenn er sich in die buntscheckig bizarren, venezianisch phantastischen Märchen-Komödien des Gozzi noch etwas deutschen Mondschein hineinträumt; 1842 Brockhaus I 394 Der bizarre Geschmack unterscheidet sich von dem eigensinnigen (capricieux) darin, daß dieser aus bekannten Formen willkürlich zusammengewählt und durch unüberlegte Wahl die Regeln der Kunst entstellt; jener aber diese Regeln verschmäht und durch den Gebrauch außerordentlicher Formen alle Regeln umzustoßen sucht. Der bizarre Geschmack . . entsteht . . aus dem Überdruß; Blanc 1847 Organisation d. Arbeit (Übers.) 143 bizarre Ausdrucksweisen; Gregorovius 1854— 55 Wanderjahre III 26 Wieder eine wüste Felsenpartie; darauf Gärten und bizarre Landhäuser mit offenen Hallen; 1858 Kunst u. Handwerk I 110 Er gewahrte bald, daß man ihn als Curiosität betrachtete . . um seines eigenthümlichen Wesens willen - die Franzosen bezeichneten es als „bizarr, aber angenehm"; Rolof 1887 Reisebr. 56 Dabei wird auf rhythmische Weise mit den Füßen gestampft und werden bizarre Bewegungen mit den Armen gemacht; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 748) eine Art Jagdlied . . in verzerrten und bizarren Harmonien, quälend, irrselig und süß; ders. 1902 Erz. (W. V/// 198) Manchmal tritt ein Kunstbau aus der Reihe der Bürgerlichen hervor, das Werk eines phantasievollen jungen Architekten, breit und flachbogig, mit bizarrer Ornamentik, voll Witz und Stil; ders. 1902 Reden u. Aufs. (W. X 715) müde des Zweifels, der Unruhe, der Romantik und Melancholie . . in einem „ausgesprochenen Widerwillen gegen alles Absonderliche, Bizarre, Krankhafte, Anormale"; Reck 1909 Großmutter 85 Jede Unterhaltung, an der er sich beteiligte, bekam unmerklich einen bizarren, traurigen Charakter, und führte zu einer leisen Verzerrung der Dinge, in der alles Kranke und Unglückliche eine unnatürliche Beachtung fand; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 168) Ernste Fichten . . standen einzeln und in Gruppen auf dem Boden der Schlucht .. und eine davon, zur Seite des Wildbaches schräg im Gehänge wurzelnd, ragte schief und

bizarr in das Bild hinein; Schwärm 1938 Christoffelstrunk 37 ein alleinstehender Mann, mit den bizarren Neigungen und Seltsamkeiten eines Sonderlings; Welt 17. 11. 1949 die „schöne" Malerei, in der es nichts Beunruhigendes und Bizarres mehr gibt; Bild 16. 5. 1967 Teenager .. suchen das Seltsame. Bizarres befriedigt ihre Wünsche. Die Kleider, die sie tragen, müssen sexy, originell, zweckmäßig und als allerletzter Schrei so auffällig wie möglich sein; Welt 17. 10. 1969 Dichter des Ausgefallenen, Bizarren, Wunderbaren: vor 400 Jahren wurde Giambattista Marino geboren; 1970 Süddtsch. Ztg. Nr. 183 gestochen scharfe Aufnahmen von der bizarren Landschaft des Erdtrabanten über eine Entfernung von fast 4000000 Kilometern; Hilsenrath 1977 Friseur 206 Max Rosenfeld findet all das . . sonderbare, absonderliche, befremdende, seltsame, ungewöhnliche, wunderliche, bizarre, kuriose Verhalten ganz natürlich; MM 19. 2. 1985 eine Folge alptraumhafter Seelenraum-Bilder .. bevölkert mit bizarr-expressionistisch figurierenden Gespenstern; Zeit 16. 8. 1985 Groteske Situationen und skurrile Komik begegnen einem tagtäglich. Und obwohl geistige Verwirrung im Alter nichts zum Lachen ist, sind einige Erlebnisse so bizarr, erinnern Dialoge so sehr an absurdes Theater, daß man nicht viel anders reagieren kann als mit einem Lachen; MM 23.8. 1985 Den Abschluß dieser Schildwehr nach Westen stellt die bizarre Sandsteinpyramide des Asselstein dar; ebd. 7.11. 1985 Als grandioser Hauptdarsteller glänzt Spitzbergen mit bizarren Eisbergen und kahlen Felsen, mit Wolken- und Nebelbänken; Zeit 6.12.1985 So sehr Savinio, dieser subversive Enzyklopädist, das Spiel des Zufalls, des Aus- und Einfalls, so sehr er das Bizarre und die Überraschung liebt, er ist mindestens in gleichem Maße ein guter Beobachter und klarer Denker . . ein bewußter Liebhaber des Absurden . . und sein Surrealismus war der gezähmte eines geistreichen homme des lettres, nicht der eines Revolutionärs . . der sarkastische Witz lag Savinio so nahe wie die bizarre Verkleidung; MM 7. 12. 1985 Viele Betrachter sind noch immer schockiert und von ehrlichem Entsetzen geschüttelt angesichts der monströsen, gequälten Gestalten auf seinen bizarr-brutalen Bildern; ebd. 26. 8. 1986 Schlachtengemälde, auf denen die formalistisch reglementierte Aufstellung und Kampfführung der Truppen . . Preußens bizarr und beklemmend anschaulich werden; Zeit 13. 3. 1987 Er ist eine der bizarresten Kreationen, phantasievoll im Entwurf, aber nur zur Extravaganz zu tragen; MM 10. 4. 1987 Dem Genie so nahe wie dem Wahnsinn (Überschr.) Bleistiftzeichnungen . . die wie ein grenzenloser Kosmos bizarre Visionen beschwö-

bizarr ren; Zeit 1. 5. 1987 Die glühenden Geschosse fliegen durch die Nacht, bilden bizarre Muster. Auch hier blühen die Blumen des Bösen; Stern 2. 7. 1987 wahre Verstellungskünstler, die ihre Krankheit geschickt verbergen könnten ,. Sie bewegen sich . . in zweierlei Realitätsräumen, in der äußeren Wirklichkeit . . und in der Realität ihrer persönlichen und bizarren Verhaltenweisen; MM 27.6.1987 das Verfahren der Solarisation, bei dem die Tonwerte umgekehrt werden und bizarre Negativbilder von surrealistischer Verfremdung gelingen; ebd. 13. 5. 1988 Die Handschrift der DDR-Regisseurin .. bleibt in den Bühnenbildern . . immer noch bizarr und eigenwillig genug; Zeit 24. 9. 1993 Magische Nachtstücke entstanden damals .. Oft sitzen wir . . dann vorne und werfen bizarre Schatten, und manchmal leuchten die Sterne über uns; Spiegel 30. 1. 1995 So bitter und bizarr, so unbeherrscht und egomanisch wie dieser schwedische Lazarus hat sich noch kein Komponist seine Verzweiflung von der Seele geschrieben. Bizarrerie: Marperger 1716 Küchendict. 532a worzu hernach noch die Pracht/ der allenthalben von Gold/ Silber und Juwelen/ reichlich besetzten Masquen, item die Bizarrerie, und manigfaltige lächerliche und ungewöhnliche Seltzamkeit derselben/ . . kommt; Riedel 1767 Theorie 95 Wir eignen einem Volke einen Nationalhumour zu, wenn es sich durch seinen Charakter und besondere Bizarrerien von ändern Völkern sehr merklich unterscheidet; Bettinelli 1778 Enthousiasmus (Übers.) 131 Bisarrerie, Unüberlegtheit und Unzuverlässigkeit; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland W 7 Die Erde prangt hier mit keinen romantischen Scenen, keinen pittoresken Gruppen, ohne alle Bizarrerien hüllt sie sich in den anspruchlosen Schmuck der Wiesen, Weinhügel und Saatfelder ein; Schiller vor 1805 Br. I 268 So lang mich unter den manichfaltigen Bizarrerien des Schicksals das Gefühl meiner selbst nicht verlassen wird, hoffe ich alles; Matthisson 1808 Rheinfahrt (U 45) Man kennt ja die Bisarrerien im Bauwesen der Zauberer und Genien; 1815 Briefw. Gentz-Miiller 194 Träumereien oder Bizarrerien, wie Sie es nennen; Grabbe 1827 Shakespearo-Manie III 393 Trotz .. der für Genialität ausgerufenen Bizarrerien [des jungen Schlegel); Marx 1845 Heil. Familie (MEW // 14) die Kritik muß diese Bizarrerie der englischen Konstitution notwendig aufheben; Haym 1859 Ges. Aufs. 53 Ein geistiger Sinn, ein lebhafter Bildungstrieb, verbunden mit einem Zuge zur Bizarrerie hebt ihn über seinen Stand und über das Alltägliche hinaus; Vogt 1896 Leben 29 der Bürger rächte sich . . durch Schabernack und Verhöhnung der Schwachheiten und Bizarrerien der Gelehrten, die freilich der Sonderlinge genug in ihren Reihen zählten; Tb.

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Mann 1902 Erz. (W. V/// 202) die kostbaren Rahmen in ihrer simplen Bizarrerie, die Renaissanceplastik, die Bronzeleiber und Ziergläser, die schillernden Vasen; ders. 1925 Reden u. Aufs. (W. XI 356) ein deutsches Fahrzeug, das unsere Flagge auf hoher See und in den fremden Häfen zeigt, mit einer Atmosphäre von Hamburger Nüchternheit und Sauberkeit, die sehr wohltut nach den exotischen Bizarrerien, in die es einen getragen; Sternheim 1926 Schule v. Uznach 47 Bizarrerieen des logischen Realismus, überbetonten Ausdrucks sind Sentimentalitäten; Friedell 1928 Kulturgesch. U 423 Künstlerbizarrerie; Halbe 1935 Jahrhundertwende 314 Bizarrerien des Dichters; wenn man's mehr als artistisches Spiel und Gespinst nimmt . . es fasziniert daran . . das Blitzen jener Bizarrerie; Heuss 1961 Bücherwand 106 romantische Bizarrerien; Sloterdijk 1983 Kritik 208 die Bizarrerien seines Verhaltens; Spiegel 30. 1.1995 Natürlich läßt sich .. der populärste Silberscheitel im amerikanischen Plapper-TV, diese jüngste Bizarrerie der konservativen Kulturrevolution nicht entgehen; ebd. 17. 4. 1995 Die verquollenen Formen der eisernen Ladenrollos vor den ausgebrannten Geschäften, die Bizarrerie zusammengeschmolzener Zinkdächer, die wilden Gesten hitzeverbogener Eisenträger. Bizarre/Bizard: Heyse 1838 Fremdufb. 134 Bizarre . . auch Bizard . . eine außer der Grundfarbe noch mit zwei verschiedenen Farben breit gestreifte Nelke od. Tulpe. Bizarrheit: Nestroy 1849 S. W. V 251 Je mehr der Anzug seiner Vollendung naht, desto mehr erschreckt mich seine Bizarrheit; Bunsen 1935 Nichte 168 die deutschen Betten mit ihren knappen Laken und den dicken Federkissen waren ihr zuwider, auch einige „Bizarrheiten" der deutschen Küche. Bizarria: Bölsche 1909 Stunden im All 70 Die sogenannte Bizzaria leistet sich das, ein Baum, der seit dem siebzehnten Jahrhundert in den italienischen Gärten existiert. Bizarrie: 1629 Monsieurisch Alia mode und Damische Bisarrie (Titel) (JONES); Trichter 1743 Ritterlex. 175 Eigensinnisch, fantastisch, närrisch, wird in der Music gesagt, wenn eine Modulation bald geschwind, bald langsam, bald starck, bald leise u. s. f. gehet . . wie denn einige Verfasser ihre Klangstücke selbst Bizarrie betitelt haben; Rumohr 1832 Reisen 28 Bizarrie von Bekleidungen und Kopfbedeckungen. IN

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Blackout

Blackout M., auch N. (-(s); -s), in den 60er Jahren des 20. Jhs. aufgekommene Entlehnung aus gleichbed. engl. blackout (eigentlich 'Verdunkelung, bes. als Maßnahme der passiven Verteidigung gegen Luftangriffe', aus black 'schwarz' und out 'völlig, absolut, total'), gelegentlich noch als engl. Wort empfunden und daher klein oder auseinander geschrieben, vereinzelt mit Bindestrich. l In der Film- und Theatertechnik für 'effektvolle, die Pointe unterstreichende, plötzliche Verdunkelung der Bühne am Ende oder auf dem Höhepunkt einer Szene' (s. Belege 1977, 1980, 1984, 1987), vor allem als Bezeichnung für eine solche Szene oder ein kurzes Stück selbst im Sinne von 'kurze, komische Einlage in einer Theateroder Kabarettaufführung; witziger, doppelsinniger (Kabarett-)Sketch' (vgl. Slapstick, Pointe; s. Belege 1967, 1969, 1976, 1979, 1981). 2a In der Elektrotechnik für '(vorübergehender oder endgültiger) Funktionsausfall in elektronischen Systemen' (—» Crash Ib), speziell 'völliger Zusammenbruch der Strom-, Energieversorgung, totaler Strom-, Lichtausfall' (s. Belege 1971, 1973) und in der Funktechnik für 'zeitweiliges oder totales Aussetzen, Ausfall eines (Kurzwellen-)Empfangs oder einer (Telefon-/Funk-)Verbindung (z. B. mit einem Raumfahrzeug beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre); Funkstille' (s. Belege 1980, 1985, 1986). b Von daher seit den 70er Jahren bildlich und übertragen verwendet für 'totaler (wirtschaftlicher o. ä.) Zusammenbruch, Krise, Katastrophe, Bankrott, Kollaps', dann auch im speziellen Sinne von 'Abbruch, Unterbrechung der politischen, wirtschaftlichen u. ä. Beziehungen zwischen Staaten', und 'zeitweilig verhängte Nachrichtensperre, Unterdrückung, Verschleierung von Informationen, Zurückhalten von Radio- oder Fernsehübertragungen (aus politischen Gründen); über eine peinliche öffentliche Angelegenheit verhängtes Stillschweigen' (s. Belege 1971, 1984), z. B. in der Wendung ein(en) Blackout verhängen. 3 Ebenfalls seit den 70er Jahren in terminonologisch unscharfer Weise auf den medizinischen Bereich übertragen und auf körperliche oder psychische Befindlichkeitsstörungen und Ausfallerscheinungen bezogen für 'plötzliche, vorübergehende, physisch bedingte Bewußtseinsverminderung, -trübung, Verlust der Sehfähigkeit o. ä. (z. B. durch starke Beschleunigung in der Luft- und Raumfahrt)' (s. Belege 1974, 1982, 1986), auch allgemeiner für 'zeitweiliger Erinnerungsverlust, Gedächtnisschwund; Amnesie, Absence' (—» Absenz) und vor allem in den Bereichen von Politik und Medien schlagwortartig ironisch gebraucht im Sinne von 'kurzzeitige Gedächtnislücke, sprachliche Entgleisung einer exponierten Persönlichkeit während eines öffentlichen Auftritts (etwa infolge eines Verdrängungsvorgangs); Fehleinschätzung, Fehlverhalten' (s. Belege 1986, 1987), in jüngster Zeit speziell auf plötzliche Leistungsausfälle im Sport und bei Prüfungen bezogen (s. Beleg 1991), in Wendungen wie totaler, absoluter Blackout. Blackout 1: Welt 23.9.1967 Die restlichen zwei Episoden sind kurze Blackouts; Mittelbayer. Ztg. 18.1. 1969 eine Menge Verkleidungen, black outs, treffsicher gesetzte Pointen und Geräuschkulissen; Spiegel 6. 9. 1967 Da gibt es . . im ZDF jenen unsäglichen llja Richter, den mit dem 90-Grad-Bükkling, der sich mit Blackouts beim Publikum anbiedert; ebd. 14. 3. 1977 Der Blackout war voll ausgeleuchtet. Wäre jetzt der Strom weg . . würde es im

Funkhaus finster; Welt 6. 2. 1979 Die Insterburgs haben die amerikanischen Slapstickkünste literarisch herausgeputzt, indem sie das Herzstück des Slap, das Blackout, begrifflich zerlegten und daraus ihre Effekte bastelten - unvermutet heiter und doppelsinnig; FAZ 3. 6. 1980 Die Tharp, jetzt nur noch im schwarzen Trikot, bewegt sich in einem langsamen Solo vom Bühnenhintergrund zur Rampe, springt in den Orchestergraben, Blackout;

Blackout ebd. 1. 9. 1980 Durch geschickt inszenierte technische Pannen . . „Kurzschlüsse" etwa, die als Blakkouts funktionieren, läßt Freitag sein Publikum wechselweise an der fingierten Klassikerlesung und an der Kleinkunst-Darbietung teilhaben; ND 17. 9. 1981 Die Palette der nahezu beliebig kombinierbaren Szenen . . reicht von der szenischen Anekdote bis hin zum in sich geschlossenen und meisterhaft gebauten Einakter, wobei die meisten Szenen auf einen politischen black-out, eine stark wirkende Pointe hin geschrieben sind (alle AWB); Spiegel 17. 9. 1984 Der spannende Spot läuft im Vorprogramm der Schweizer Kinos. Ein Bösewicht nähert sich einer ahnungslosen Schönheit in der Badewanne. Doch gerade als der Killer die Tür aufstößt und die schreckensstarren Augen des Mädchens sieht, fällt jaulend der Ton aus und das Bild versinkt im Blackout; MM 13. 2. 1985 weil im bedeutenden Einzelfall des Orchestralen und geschickter Instrumentierung Lautsprecher einen Eindruck von den „7 Black-Outs für großes Orchester" nur in fragmentarischer akustischer Gestalt vermittelten; FAZ 2.3.1987 Die Enthüllung der Hauptfigur dauert länger .. Dunkel-Sekunden unterbrechen die Prozedur. Nach dem Blackout hat sich das Tableau jedesmal ruckartig verändert (AWB); Zeit 8. 5. 1987 Mit viel Mühe und Kunstfertigkeit hat Dieter Dorn ein dämonisches Kleinbürger-Panoptikum entworfen. Starre, gespensterhafte Tableaus, von vielen Blackouts zerrissen. Auerbachs Keller: eine Spießer-Vorhölle; ebd. 29. 5. 1987 Letzte Szenen in Momentform (Überschr.) . . es wird spärlich hell.. Immer wieder diese Blackouts: Reminiszenzen an die Technik des harten Schnitts beim Film; MM 13. 10. 1989 „Blakkout und Applaus" lautet auch die letzte szenische Anmerkung im Buch. Blackout 2a: 1971 Spiegel Nr. 32 Würde Europas Energieversorgung bereits von Kernkraftwerken bestritten, hätte es wegen solcher Technikpannen den ersten Total-Blackout schon gegeben . . Im Dezember 1968 standen sämtliche Leistungsreaktoren der Gemeinschaft still; ebd. 17. 12. 1973 Ein bundesweiter Blackout, so errechnete Schaefer, wäre selbst dann schon zu erwarten, wenn nur jeder zehnte Heizlüfter in der Bundesrepublik „schlagartig eingeschaltet" würde (AWB); Stern 7.2. 1980 Im Funk ist Blackout. Totale Stille (AWB); Spiegel 23. 6. 1980 Explodiert eine Wasserstoffbombe von etwa zehn Megatonnen in 300 Kilomter Höhe, so kommt es im Umkreis von einigen 1000 Kilometern zu einem nachrichtentechnischen Black-Out (AWB); Zeit 18.1.1985 Noch heute geraten viele New Yorker ins Schwärmen, wenn sie sich an die beiden Blackouts erinnern. Damals hatte es in Manhattans großer Dunkelkammer weniger Ver-

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brechen, viel Hilfsbereitschaft unter Nachbarn und auch zwischen Fremden gegeben; ebd. Eine Stadt schaltet ab (Überschr.) Die Geburtenzahl stieg neun Monate später. Hundertfünfzig Meilen nordöstlich, in einem Städtchen des Neu-England-Staates Connecticut, das sich jetzt zum zweitenmal auf einen Blackout ganz besonderer Art eingestellt hat, will man allerdings nicht der Geburtenzahl, sondern eher den schon anwesenden Kindern helfen. Wie schon im letzten Januar sollen die Familien . . auch jetzt wieder einen Monat lang ganz auf das Fernsehen verzichten oder es zumindest stark reduzieren; ebd. 18.10.1985 Sie schneiden eben oft auch an den Silben des Sprechpartners etwas ab. Die Telephonierenden könnten solche blackouts vermeiden: Wenn sie sich nicht räuspern, während der andere spricht, wenn sie keine Einwürfe machen, wenn sie nicht ja oder nein dazwischenrufen, dann kann der Computer die Gesprächspausen schön einsammeln; Stern 2. 7. 1987 Der „Elnot"Monteur hatte lediglich die durchgeschlagene Hauptsicherung ausgewechselt und den Auslöser für den Blackout im Wasser-Boiler vermutet; Zeit 9. 2. 1990 Pannen im Atomkraftwerk Greifswald, tonnenweise Gift aus den Schloten altersschwacher Braunkohlekraftwerke — Ost-Berlins Notregierung muß auf Notstrom schalten. Nur schnelle Hilfe aus dem Westen kann die DDR vor Blackout oder Ölkollaps retten. Blackout 2b: Spiegel 14. 6. 1971 Von 1965 bis 1969 verhängte Mao Tse-tung über 700 Millionen Chinesen ein totales Nachrichten-Blackout; FAZ 6. 8. 1984 Nach fünftägigem Blackout gegenüber Teilnehmern aus der Volksrepublik China hat das taiwanesische Fernsehen erstmals Yao Jingyuan, der unter der Flagge Pekings Gewichte hebt, in die Wohnstuben gelassen; ebd. 18. 10. 1984 Blackout für Italiens Privat-Fernsehen — Sender und Filmarchive plombiert RA1 verliert Zuschauer (alle drei AWB); Zeit 9. 5. 1986 Zurückgebliebene Technik, vernachlässigte Sicherheit . . Dem fallout folgte der blackout; anstatt sofort Notsignale aufzuziehen, banalisierte und bagatellisierte Moskau das schreckliche Geschehen mit optimistischen MaiParaden. Michail Gorbatschow, der gerade noch verlangt hatte, die „Publizität zu einem störungsfrei funktionierenden System" zu machen, versagte beim ersten Störfall die Stimme; Flensb. Tagebl. 28. 10. 1986 „Big Bang" begann mit einem Blakkout — Londoner Börse: Chaos bei Umstellung auf die Computertechnik (AWB); MM 17. 10. 1987 Black-out an der Londoner Börse (Überschr.) Die Londoner City hatte gestern einen erzwungenen Ruhetag . . Zum ersten Mal erlebte das Finanzzen-

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trum einen solchen totalen Kollaps, der den „black-out-friday" zu einem historischen Tag in der Geschichte macht. Blackout 3: Spiegel 18.2.1974 Infarkttod durch Nerven-Blackout (Überschr.); ebd. 3. 5. 1982 Den Medizinern war aufgefallen, daß es bei manchen Motorradunfällen vermutlich zu einer kurzen Benommenheit („blackout") der Fahrer gekommen war (beide AWB); MM 21. 2. 1986 Der [Opposition] käme ein kopfloser Regierungschef als Wahlgegner natürlich gerade recht. Es wäre schon arg verwunderlich, wenn das Wort vom „BlackoutKanzler" nicht alsbald Flügel bekäme und zum Hit der Wahlkampfsaison würde. Auch mit seinem Gerede über des Kanzlers Kenntnisse von der Spendenwaschanlage Koblenz hat Geißler seinem Herrn und Meister einen Bärendienst erwiesen, wie der gewitzte Schily erkannt hat; Spiegel 17. 3. 1986 Der Druckanzug verhindere auch bei Düsenjägerpiloten in extremen Kurvenflügen jene Blutleere im Gehirn, die zum Blackout führe (AWB); MM 27. 3. 1986 Hermann Motz weiß bis heute noch nicht, ob der Beamte bei der Formulierung des Protokolls einen „Blackout" hatte oder ob er ihm einfach nicht grün war und Prügel zwischen die Beine werfen wollte; ebd. 6. 12. 1986 Das Wort des Jah-

res 1986 in der Bundesrepublik heißt „Ausstieg". An zweiter Stelle steht „Blackout" in der Bedeutung von „kurze Gedächtnisstörung" . . „Blakkout" ist CDU-Generalsektretär Heiner Geißler zuzuschreiben. Er benutzte diesen Begriff als Erklärung für widersprüchliche Aussagen von Bundeskanzler Helmut Kohl als Zeuge in der FlickSpendenaffäre; Zeit 1. 5. 1987 „Wenn ich es getan habe, muß es ein Blackout gewesen sein", hat er gegenüber der Polizei gesagt, die anfangs ihn verdächtigte. Reinhard Weimar hat sich wegen Bewußtseinsstörungen, wegen langer ohnmachtsähnlicher Ausfälle mehrfach in ärztliche Behandlung begeben müssen; MM 3.1.1989 Der Blutdruck steigt, der Puls hämmert, die Hände werden feucht, der Atem geht schneller — Mediziner sprechen jetzt von Streß. Und wissen auch von dem bei Angst ausgeschütteten Hormon Adrenalin, daß es im Gehirn zu Denkblockaden führt: der gefürchtete „Black out" — bei einer Prüfung fatal; ebd. 15. 1. 1991 einen Schlag auf den Kopf habe er noch im Gedächtnis, ansonsten: totaler Blackout; ebd. 20. 1. 1991 die hochgepriesene Abwehr patzte mit einem Blackout nach dem anderen, hatte die Angriffslawine der Eisenacher wohl auch gar nicht erwartet . . „Zwei Fehlstarts sind mir bisher erst einmal unterlaufen", sagte der Heppenheimer nach seinem „Blackout" im Endlauf über 60m. IN

blamabel Adj., im frühen 18. Jh. selten, erst seit Mitte 19. Jh. häufiger nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. blamable (zu blätner, —>· blamieren). Zunächst in der Bed. 'tadelnswert, kritik-, strafwürdig; sträflich, schimpflich', seit dem 19. Jh. allgemeiner im Sinne von 'beschämend, erniedrigend; peinlich', in bezug auf Mißgeschicke, Pleiten und Pannen in der Öffentlichkeit, eigene und gegnerische Niederlagen in der Poltik oder im Sport (s. Belege 1859, 1903, 1928, 1929, 1951, 1968), häufig in Wendungen wie blamable Angelegenheit, Niederlage, blamables Ergebnis, blamabler Reinfall; etwas (als) blamabel empfinden. Fassmann 1720 Gespr. XIV 1054 Madame! sie wären blamable deswegen (BRUNT); Sperander 1727 A la mod Sprach 72 Blamable, schelt- oder straffwürdig, tadelhafftig, was tadelns werth ist; Fassmann 1729 Narr l Der Hochmuth ist an allen Menschen überhaupt, lasterhaft und blamable. Aber nichts ist lächerlicher als ein stoltzer und hochmüthiger Gelehrter; Marx/Engels 1858 MEW XXIX 323 genau gelesen, blamabel für den Kerl; dies. 1859 MEW XXIX 620 Da langte ein Brief von der Redaktion der „A. A. Z." an ihn an, worauf er ihr jene schmähliche blamable Epistel, natürlich hinter dem Rücken seiner Freunde, zuschickte; T/7. Mann 1903 Erz. (W. VIII 322) Beim Frühstück sah er den jungen Kaufmann wieder, der heftig errötete, wahrscheinlich vor Scham, im

Dunklen so poetische und blamable Dinge geäußert zu haben; ders. 1911 Nachtr. (W. XIII 522) die Tatsache, daß er den Decamerone unter den Werken aufzählt, die ein anständiger Buchhändler in seinem Katalog nicht anführen dürfe, läßt erkennen, wie blamabel er im Grunde darüber denkt; ders. 1924 Zauberberg (W. /// 189) Es lag aber so . . daß die blamable Erscheinung, mit der er kämpfte, nicht nur körperlicher Herkunft . . sondern eine innere Erregung ausdrückte und mit jenen Spannungen und Sehenswürdigkeiten selbst unmittelbar zusammenhing; Heyck 1928 Aussenseiter 221 Der deutsche Reichstag hat auch seine blamable Rolle in dieser Tragödie gespielt und Bismarcks Samoa-Politik zum Scheitern gebracht; Grüne Post 26. 5. 1929 Die Frage ist ein wenig bla-

Blamage mabel, aber die Antwort darauf werden uns bestimmt viele tausend Leser schuldig bleiben müssen und — das ist noch viel blamabler als die ehrlicher Frage; Voss. Ztg. 3. l L 1929 So sieht der jetzt von den Veranstaltern notgedrungen als „Sieg" bejubelte Erfolg in Wirklichkeit aus. Ein blamabler Reinfall; Th. Mann 1934 Reden u. Aufs. (W. IX 460) diese außerordentliche Szene ist mir in den Worten des Cervantes wieder recht lebendig geworden, nebst ihrem Fortgange, der die so glimpfliche wie blamable Zurückweisung und Auflösung von Don Quijote's Heldenattitüde bringt; Aussiger Tagebl. 26.4. 1937 blamable Niederlage; Süddtscb. Ztg. 20. 4. 1951 Es mag blamabel für den deutschen Geist sein, sich derart vom Ausland übertreffen zu lassen; Stuttgarter Ztg. 16. 12. 1961 Und zwar ereignete sich diese blamable Geschichte unmittelbar nach der Beerdigung eines Altersgenossen; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 214 Konnte das der Autorität eines Kreissekretärs auf die Dauer guttun? Dieses Konsultieren von Fachleuten war ja geradezu blamabel!; Heuss 1963 Erinn. 24 In der Erinnerung gehört diese halbe Stunde zu den durchaus blamablen Angelegenheiten — ich bin der Meinung, man soll solche sich wohl merken; Stuttgarter Ztg. 20. 3. 1968 Denn nie hatte ein Europapokalendspiel eine blamablere Kulisse als jenes von 1961 . . das das Berner Wankdorfstadion noch nicht einmal zu einem Drittel füllte; Hamm-Brücher 1970 Verwirklichung o. S. die Selbstgerechtigkeit der CDU ist nur fatal — und blamabel!; 1971 Bild am Sonntag Nr. 49 blamabler noch als die Niederlage ist ihre Deutlichkeit;

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N. Z. Z. 29.3.1971 jenes Teils der Presse, der nach der blamablen US-Niederlage gegen Westdeutschland unverhohlen die Ansicht geäußert hatte, die Ueberseer hätten vor der Begegnung . . zu sehr dem Alkohol zugesprochen; FAZ 11.2. 1972 sie finden es empörend und blamabel zugleich, daß die doch sonst so hoch entwickelten Industrieländer mit der Inflation nicht fertig werden; Zeit 1. 2. 1985 Wirtschaftspolitik zunehmend so zu gestalten, daß ein als blamabel empfundener stärkerer Verfall einer Währung gegenüber der europäischen Rechnungseinheit Ecu vermieden werden konnte; ebd. 15. 2. 1985 Es hieß, er wolle den Jungstar für alle Zeiten mit der blamablen 0:6-Niederlage psychologisch belasten; ebd. 12. 4. 1985 die monatliche Meldung der Arbeitslosenzahlen oder die verbalen Pflichtübungen dazu, die einfallslosen, Monat für Monat fast wörtlich sich wiederholenden Kommentare der Politiker .. sind ein blamables Zeugnis der in Bonn herrschenden Ratund Ideenlosigkeit; TAZ 29. 1.1990 „Das Ganze ist im höchsten Grad unordentlich, konfus, unzusammenhängend, unlogisch und blamabel". Das war der Kommentar von Friedrich Engels zum Gothaer Programm der „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands"; Zeit 2.11.1990 Heiner Müller nennt auf einer Podiumsdiskussion in Berlin die Kritik an Christa Wolf einen „Stalinismus des Westens", und Ivan Nagel spricht eben dort von „einer rechten Verschwörung" (dies entnehmen wir einem Bericht der Süddeutschen Zeitung, die ihrerseits die Kritik an Christa Wolf „blamabel und peinlich" findet). IN

Blamage F. (-; -n), im späten 18. Jh. aufgekommene französisierende Bildung der Studentensprache zu —»· blamieren (vgl. Renommage, Stellage, —»· Courage), im 19. Jh. vereinzelt in der phonetischen Schreibung Blamasch. a Zunächst in bezug auf studentisch bzw. großbürgerlich geprägte Ehrvorstellungen und Denkweisen für 'Schimpf, Schande, Schmach, Ehrverlust', im Laufe des 19. Jhs. (s. Belege 1830, 1863) zunehmend allgemeiner in der Bed. 'peinlicher, beschämender Vorfall, Panne in der Öffentlichkeit; (öffentliche) Demütigung, Kränkung, Bloßstellung, Niederlage, Schlappe (die jmdm. zugefügt wird oder widerfährt)', bis heute schlagwortartig in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens (Medien, Politik, Justiz, Sport o. ä.), oft zur polemischen Charakterisierung der Handlungen des politischen Gegners verwendet (s. Belege 1933, 1934), in Wendungen wie eine böse, unnötige, große, schöne Blamage. b Daneben von Mitte 19. bis Anfang 20. Jh. als studentenspr. Ausdruck abfällig verwendet für ein Mehr-Personen-Verkehrsmittel, das öffentlich Fahrgäste auflas und mitnahm, vor allem in der Zs. Blamagewagen. Blamage a: Kindleben 1781 Studentenlex. 35 Blamage, Beschimpfung; Laukbard 1792 Leben l 97 Der stäts im Career sitzt, einher tritt wie ein

Schwein, Der überall besaut, nur von Blamagen rein, und den man mit der Zeit, wenn er gnug renommiret, Zu seiner höchsten Ehr aus Gießen rele-

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Blamage

giret; Augustin 1795 Idiotikon d. Burschenspr. 109 tief in Schulden stecken . . große Schulden haben, tief in der Blamage stecken .. wenig Ehre haben; Bode 1800 Gigantomachia 20 Siehst du wohl, nun kommt er in Rage, Und macht dir da 'ne schöne Blamage; Heine 1830 Italien III 262 recht ingrimmig glücklich ist er [Tacitus], wenn er irgendeine senatorische Blamage, etwa eine verfehlte Schmeichelei zu erzählen hat; Rüge 1841 Briefw. u. Tagebuchbl. I 218 Indessen wird es nothwendig werden, seine [Schellings] Vorlesungen mit der Intention zu besuchen . . zu beweisen, was alle Welt schon weiß, daß er nämlich nichts Neues weiß. Die Blamage ist kläglich und wird sehr gründlich werden, wenn die Hegelianer die Gelegenheit gut auskaufen; Pocci 1852 Briefw. Mommsen u. ]ahn III zur Blamage der Fakultät; ders. 1859 Komödienbüchlein 171 Das scheint mir eine reine Schicanederie und eine Buleidigung [sie] . . und Blamasch!; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 41 Der Oberst zürnte auch wegen der gehabten Blamage; Grabowski 1863 Off. 193 aber der Mensch hat Recht, und ich kann es gewiß nicht über das Herz bringen, auf ihn zu feuern. Und dann die Blamage vor allen Cameraden, vor Sophie, die mir nun ewig verloren ist; Bahr 1893 Liebe 200 Er ahnte, daß er sie nicht lassen durfte. Nein — er merkte sich dicht an einer neuen Blamage; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. / 317) man hat mir . . von einer Bemerkung erzählt, die . . so deplaciert, so über alle Begriffe taktlos war, daß ich keine Worte finde. Die Blamage hat nicht auf sich warten lassen. Es ist dir eine klägliche Abfertigung zuteil geworden; 1912 Walhalla VII 27 daß die [deutschen] Akademien organisierte Blamageinstitutionen sind; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 784) Die Niederlage des Gefühls vor dem Leben, das ist die Unzulänglichkeit, für die es keine Gnade, kein Mitleid und keine Würde gibt, sondern die erbarmungslos und hohnlachend verworfen ist . . Schmach und Entehrung sind gelinde Worte für diesen Ruin und Bankerott, für diese grauenhafte Blamage; Kyber 1925 Tierschutz 181 Es ist eine Schande, daß diese Barbareien, die für uns als Volk und für den Kulturwillen unserer Heimat durchaus eine Blamage sind, auch noch in Denkmälern verherrlicht werden; Wohl 1932 Reporter 361 wenn er sich nicht der Blamage aussetzen wollte, seine oder vielmehr Ihre Ankündigungen nicht auszuführen; Lokal-Anz. 11.2. 1933 Neue Blamage des roten Magistrats (Überschr.); ebd. 16. 8. 1933 Die separatistische „Saarländische Sozialistische Arbeiterpartei" erlebte bei einer stark besuchten Versammlung in Plättlingen eine große Blamage. Als der Redner den deutschen Reichskanzler angriff, erhob sich der größte Teil der Versammlung und sang das Deutschlandlied und das Hort-Wessel-Lied, womit die Versamm-

lung aufflog; ebd. 24.8. 1933 Der Diebstahl bedeutet natürlich eine riesige Blamage für die polnische Polizei; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 229 Dem Prinzen . . hätte er zumuten können, daß er in der Verzweiflung des letzten Augenblicks bereit sein würde, alles aus eigener Tasche zu bezahlen, um der Blamage zu entgehen; Süddtsch. Ztg. 5. 2. 1949 Es müsse ein Uebereinkommen angestrebt werden, um dem Landtag solche Blamagen zu ersparen; Welt 22. 7.1954 Die Blamage von 6:1 war nicht das Schönste, was ich in meinem Leben gehört habe; Süddtsch. Ztg. 17. 3. 1958 auf den Eucharistischen Kongreß 1960 in der bayerischen Landeshauptstadt, der umfangreiche Vorbereitungen erfordere und dessen Abwicklung nicht zu einer „Blamage" für die Stadt werden dürfe; Arbeitgeber 5. 4. 1961 Wenn sich jemand mit seiner Beurteilung zur Situation und des Fragenkomplexes nicht durchsetzt, dann erscheint so leicht und so schnell der Ruf: „Selbstblamage"; Süddtsch. Ztg. 14. 10. 1964 Schon wenige Tage nach der Abreise de Gaulies besteht in Buenos Aires . . Einigkeit darüber, daß der Besuch für Argentinien eine ungeheure Blamage darstellte; Bild 19.4.1967 Wir brennen auf einen Start, aber eine Blamage können wir uns nicht leisten; Offenburger Tagebl. 23. 3. 1970 Die Jugend müsse aber kämpfen und mitmachen wollen, auch wenn es einen hohen Preis verlange. Dazu gehöre auch der Mut zur Blamage, d. h. man müsse auch eine Niederlage von vornherein einkalkulieren; Welt 19. 9. 1974 Es war eine einseitige Angelegenheit, eine böse Blamage für die zunächst so großspurig aufgetretenen Männer vom fünften Kontinent; Strauß 1984 Mann 43 Keine Probe verging, ohne daß ich nicht empfindliche Blamagen einstecken mußte; Zeit 25. 1. 1985 Eine Blamage für Kohl, ein Fiasko für die Ostpolitik, ein Triumph für Hupka; ebd. 1. 2. 1985 Diesem Angeklagten macht der Prozeß Spaß — das ist an jedem Prozeßtag deutlich zu beobachten. Und die Blamage der Nürnberger Staatsanwälte wird der Republik einen Skandal bescheren; ebd. 5. 4. 1985 Schon um die Blamage nicht ausufern zu lassen, vertieft sich der Unglückliche in seine Noten . . Die Blamage bleibt aus; sogar Beifall kommt auf; MM 19. 8. 1985 die unablässige Folge von Affären und Skandalen in Politik und Wirtschaft ist inzwischen mehr als nur eine Anhäufung von Peinlichkeiten, Pannen und Blamagen; Zeit 6. 12. 1985 Die Becker-Blamage hat Vorstandssprecher Christians sehr unmutig gemacht. Von Werbeträger Boris hatte man sich — für drei Millionen einen „Aufmerksamkeitserfolg" erhofft; TAZ 11.11.1989 Die Mauer tritt zurück. Wann geht Kohl? (Überschr.) Keine von Kohls Plattheiten war dazu angetan, ihn aus seinem Popularitätstief zu reißen. Nur durch geschickte öffentlich-rechtliche Mikrophon-

blamieren Technik wurde das ganze Ausmaß der Blamage verschleiert; de Groot 1990 Vater 62 Wie raffiniert von Inge, einfach mit dem Tennislehrer durchzubrennen. So hatte sie sich der Blamage entzogen, als verlassene Braut dazustehen; Süddtsch. Ztg. 24. 2. 1994 Die legendäre CIA .. steht vor einer der größten Blamagen seit ihrer Gründung . . Ein Karriereagent, seit 31 Jahren dabei, hat neun Jahre lang hochsensible Informationen an Moskau verkauft. Blamage b: Niebergall 1841 Datterich 64 is de Eisebahn e Nutze for Dammstadt odder net? .. E bedeidender Nutze . . wieviel reise dann an Dammstadt vabei, die wo sonst ihr Lebdaag net vabeigerahst wehrn . . Wie werd's dann do de Blamahsche

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geh? . . Die kumme nicht außer Dähtigkeit . . [Anm.:] So hießen in der Studentensprache Familienomnibusse, die öffentlich um Mitfahrer warben. Ein Fahrzeug, in dem man sich der hergelaufenen Passagiere wegen schämte; 1842 Naturgesch. d. dtsch. Studenten 159 Blamage [Wagen!]; Werther 1861 Kl. Deutschland U 202 Den Schluß bildete ein Blamagewagen mit vier Frischlingen bespannt, worin eine Häsin in der Gestalt der Kaierin Josephine .. saß; Bamberger 1899 Erinn. 11 Auf dem offenen Marktplatz pflegte der Omnibus zu übernachten, welcher täglich die Reise von Gießen nach Frankfurt und zurück machte. Er trug den schönen Namen Blamage-Wagen; 1905 Hessenland XIX 40 Zwischen Gießen und Friedberg und von da mit Frankfurt erhob sich ein lebhafter Verkehr mit Blamagen (1844). IN

blamieren V. trans, und reflex., im frühen 17. Jh. entlehnt aus frz. blämer in seiner Bed. 'tadeln' (< altfrz. blasmer, vgl. ital. bias(i)ntare, altspan. blasmar, vulgärlat. *blastemare, mlat. blas(i)tnare, kontrahierte Formen zu kirchenlat. blasphemare '(Gott) lästern, schmähen' < gleichbed. griech. ; —»· Blasphemie), vereinzelt bis ins 19. Jh. in etymologisierenden Schreibungen wie blasmieren, blamieren nachgewiesen. Anfangs in der Bed. '(be-)schimpfen, schmähen', selten auch 'tadeln, Vorwürfe machen; beschuldigen, bestrafen' (s. Belege 1706, 1724), im Laufe des 18.719. Jhs. innerhalb der Studentensprache weiterentwickelt zu 'jmdn. in seiner Ehre kränken, in üble Nachrede, um seinen guten Ruf, seine Ehre bringen', mit der Abschwächung solcher Ehrbegriffe dann auch allgemeiner verwendet im heute üblichen Sinne von 'jmdn. bloßstellen, kränken, beschämen, lächerlich machen' (s. Belege 1832, 1845, 1860), häufig in der Wendung jmdn. öffentlich/vor jmdm. blamieren; seit Ende 18. Jh. auch als V. reflex, sich blamieren in der weiter abgeflachten Bed. 'sich (durch eine Dummheit) bloßstellen, der Schande, Beschämung aussetzen, lächerlich machen; auf etwas hereinfallen', vor allem in ugs. Wendungen wie sich gründlich, schön, unsterblich, schrecklich, bis auf die Knochen (vor jmdm.) blamieren. Dazu seit dem 19. Jh. das vereinzelt bis ins 20. Jh. belegte Verbalsubst. Blamierung und Anfang 20. Jh. die Gelegenheitsableitung Blamiertheit. Daneben das seit früherem 17. Jh., vereinzelt bis ins 20. Jh., nachgewiesene Subst. Blame F. (-; ohne PL), übernommen aus gleichbed. frz. bläme (zu blämer, s. o.; vgl. ital. biasimo, provenzal. blasme, altspan. blastno, zurückgehend auf mlat. blasphetnium), anfangs in provenzal./frz. beeinflußten Fomen wie blasmelblame und vereinzelt (SANDERS DWB) gebucht in der Form Blam, in der Bed. '(öffentlicher) Tadel, Beschimpfung, Vorwurf; Verläumdung, üble Nachrede; (selbst verursachte) Schande, Schmach; Schuld, Verbrechen', weitgehend gleichbed. mit —* Blamage. blamieren: Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Blamirn. Schmähen oder verachten; Chemnitz 1648 Krieg I 128 durch dergleichen . . abschewliche proceduren die gantze Armee blasmiret (JONES); 1672 Friedrich Wilhelm (UAS XVII 209) so könnte drinn Niemand Ew. Ch. D. blamiren

(BRUNT); Thomasius 1688 Monats-Gespräche II 672 nach seinem Tode dieselben blamiren und auslachen werde; Elis. Charl. 1696 Er. I 59 Ich wäre schon zu alt, wie ich in Franckreich kämme, umb von gemühte zu endern; mein grundt war schon gesetzt undt hiran ist gar nichts zu admiriren, liebe

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blamieren

Louisse! aber ich were unerhört zu blamiren, wen ich falsch were undt die nicht liebte, die ich zu lieben schuldig bin; dies. 1699 Er. \ 157 Ich muß nun, waß serieux ist, nicht mehr blasmiren; den ich bins unerhört geworden, man lernt hir braff sein; dies. 1706 Br. I 471 Die hertzogin von Zel ist zu loben, ihre Schuldigkeit bey ma tante abzulegen; den sie würde sehr blasmirt werden, änderst zu thun; Amaranthes 1710 Proben d. Poesie 418 wer vor der weit nicht will blamiret seyn, Der lasse sich nur nicht mit solchen bösen Frauen und alten Hexen ein; Sturm 1714 Anw. (Architektur) a die jenige . . die mich immer vor einen bloßen Theoreticum ausschreyen und blamiren; Melissas 1715 Fleurie 31 Wollet ihr aber das Letzte erwehlen, so wißet, daß ich dahin trachten werde, euch mehr zu blamiren, als eure Ehre zu erhalten; Wagner 1724 Soldatenbibl. 145 zu blamiren und zu verwerfen; Edelmann 1740 Moses I 5b daß auch die Frömmsten unsrer Zeit dergleichen Leute am allermeisten zu blamiren . . bemüht sind; Lindenborn 1741 Diogenes II 408 ich hätte mich an ihrer Person vergriffen, daß sie mich für einen Affen regardirt, blamirt und angesehen haben; Lessing 1778 Anti-Goeze (S. Sehr. XIII144 f.) Es thut mir leid, daß ich dieses sonst gute Haus so blamiren muß; Kindleben 1781 Studentenlex. 35 Blamiren, beschimpfen; Laukhard 1792 Leben H 53 Der Advokat riet ihm . . still zu sitzen . . er würde den Kürzeren . . ziehen und sich nur noch mehr blamiren; ders. 1802 Leben V 239 meynten, ein solches Betragen einer Frau Professorin blamire die ganze Innung; Arnim 1808 Br. an Savigny 40 schafft doch, daß es in Bayern zu einer öffentlichen Prüfung des Code Napoleon kommt, das blamirte herrlich die übrigen Regierungen, die ihn blind angenommen haben; Bechstein 1832 Novellen l 217 Blamirt bin ich! Das fehlt mir noch; 1838 Die Eisenbahn 244a Mit Urtheilen über Musik blamiren Sie sich nur; Chownitz 1845 Laufd. Welt 170 er kann es nicht ertragen, vor Käthen so blamirt zu erscheinen; FontaneLepel 1845 Briefw. 2 wenn Sie's mir daher nicht gleich schreiben, blamire ich mich schrecklich vor Europa; Raumer 1849 Frankf.-Paris l 234 Ich hatte gewünscht auch einmal meinen Mund aufzuthun, die Berathung ward aber wieder geschlossen ehe ich an die Reihe kam, und so habe ich wenigstens den Trost, mich gewiß mit meinen Reden nicht „blamirt" zu haben; Bismarck 1851 Br. 264 weil ich mich sonst wegen Unkenntniß der actenmäßig üblichen Formen blamiren würde; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 54 mit der gewissen Ansicht, drei Minuten später der blamirte Mann zu sein; ebd. Die Lacher blamirten sich größtenteils auch; Meissner 1866 Schwarzgelb 137 Kurz, ich wäre furchtbar blamirt, wenn sich die Sache so verhielte, wie der Rittmeister behauptet; Harden 1892

Apostata N. F. 139 als er [Virchow] durch seine Spiegelfechterei gegen den Darwinismus unsterblich . . bei allem verdienten Ruhm sich blamirte; Bahr 1893 Dora 67 Es wäre das Beste, entschlossen zu enden. Aber das geht wieder nicht, weil er es dem Manne nicht gönnt. Dann wäre er ganz der Blamierte; Dahn 1895 Erinn. IV 2,76 Anm. Die den Norddeutschen allgemein eignende state Besorgnis . . „sich zu blamiren" . . Bei uns in Baiern blamiert sich jeder so gut er kann; Liliencron 1896 Poggfred (XI 33) Und eh mein „Sang" unsterblich mich blamiert; Zobeltitz 1902 Papierene Macht U 116 Willst du mich vor den Domestiken blamieren?; Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 334) Lachtest du, blonde Inge, lachtest du mich aus, als ich moulinet tanzte und mich so jämmerlich blamierte?; Boem 1910 Sommerlt. 225 Sie mußte ihn . . entschädigen für die Unbill, die der widerwärtige Quinke ihm zugefügt ... [sie] offenbar mit Absicht in ihrer Gegenwart ... [sie] um ihn zu blamieren vor ihr . .; Lokesch 1927 Fortf. v. Scherr, Kulturgesch. 702 Jeder blamiert sich auf eigene Kosten und Gefahr so gut er mag; Harden 1927 Versailles 238 bis auf die Knochen blamiert; Lokal-Anz. 29. 6. 1934 sich blamiert, sich wie ein unbehilfliches [Kind] benommen zu haben; ebd. 17. 10. 1934 Zudem wurde die Statue im Zeustempel öffentlich mit Namensnennung des dadurch „unsterblich blamierten" Uebeltäters ausgestellt; Heuss 1963 Erinn. 262 Von dem Menschenrecht des sachlichen Irrtums habe gewiß auch ich Gebrauch gemacht. Einen davon will ich anstandshalber mitteilen, mit dem ich mich vor mir selber und den Lesern grandios blamiert habe; Welt 17. 10. 1969 keine Jury ist unfehlbar, und jeder Mäzen muß das Recht haben, sich mit seiner Wahl so gründlich zu blamieren, wie immer er will; MM 26. 6. 1985 Daß heute fast die Hälfte aller Erwerbslosen keine abgeschlossene Ausbildung vorzuweisen hat, blamiert eine Gemeinschaft, die sich rühmt, eine moderne Industriegesellschaft zu sein; Zeit 18.10. 1985 Ein Feuilletonchef, der nicht richtig lesen kann . . die Zeitung ist blamiert, die Redaktion zornig; MM 13.3. 1986 Die Bonner Staatsanwälte, die nun vor Gericht einen schweren Stand haben, fühlen sich als die Blamierten. Im Fall Kohl wollten sie nicht noch einmal die Dummen sein; Zeit 25. 4. 1986 Der Bundeskanzler ist bei SDI innen- und außenpolitisch einem Irrtum erlegen. Er hat sich unnötig blamiert; ebd. 16. 5. 1986 Bonns Vorkämpfer für Europa, voran der Bundeskanzler, stehen ziemlich blamiert da, und das nicht ohne eigene Schuld; ebd. 5. 9. 1986 aufhalten, was doch kommt, hat immer etwas mit Donquichotterie an sich, man kann sich dabei nur blamieren,

blanchieren und viele haben sich in dieser Frage recht gründlich blamiert; Frankf. Kundsch. 15.2. 1990 Die Theoretiker wurden von der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR überholt. Jetzt haben sie Mühe, ebenso rasante theroetische Wandlungen zu vollziehen, damit sich nicht erneut die Theorie vor der Realität blamiert; Spiegel 3. 9. 1990 DDR-Leichtathleten siegten bei den Europameisterschaften wie nie zuvor, die Westdeutschen blamierten sich; ebd. 7. 11. 1994 die Grundgesetzlippengebete der konservativen Vorgänger durch demokratische Praxisbedürfnisse zu blamieren. Blamierung: Kehrein 1876 Fremdwb. 75 Blamage . . Blamierung; Liebknecht 1913 Ges. Reden VI 114 Herr Jagow hat in nicht gar so langer Zeit ganz erkleckliches zur Blamierung des preußischen Geistes geleistet. Blamiertheit: Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. / 688) Er hatte noch nicht eine Träne vergossen und schämte sich dessen ein wenig. Das Gefühl der Blamiertheit überwog in ihm jegliche andere Empfindung. Blame: Nicolai 1631 an Sattler (Irmer I 88) suspicion und blasme; Hille 1647 Palmenbaum 129 Wie die Liebesflamme mich brentt/ sonder blasme, Gleich der Pestilentz (beide JONES); Thomasius 1701 Kl. Sehr. 463 daß in unserm Teutschland man . . spühren wird/ wie sich edle Gemüther bemühen werden/ den bißher ihrer Nation angeklebten

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Schandfleck .. umb die Wette auszuwaschen/ und ohne ohnmächtige Bestreitung diese blame würcklich und in der That zu widerlegen; Nerreter 1707 Schauplatz 962 [Hat er] dem Christentum insgemein vor Juden und Heiden eine arge bläme gemacht; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 11 Ich will mich nur bemühen/ alle dessen vornehmste Eigenschafften anzuführen/ und ihn insonderheit von seiner unverdienten Bläme zu befreyen; Friedrich Wilhelm. 1. 1725 Br. (Klepper, In tormentis 83) Wenn es nuhr nit so ein Blame verursachte; Belemnon 1728 Bauernlex. 35 Blame. Beschimpffung, Schuld, Vorwurff, Lästerung; Carsted 1762 Atzendorfer Chronik 491 Peter Meyer, ein Sohn des vorigten, nam das Gut an; vorher hatte er schon ein Mensch beschlafen und überdiß die Blam, daß er nicht reine Hand halte; Lenz 1776 Soldaten l 5 Die gottvergessne Allerweltshure will honette Mädels in Blame bringen, weil sie so denkt; Caroline 1786 Br. l 38 und nun bin ich in so eine Blame gekommen .. laß mich nicht entgelten; 1848 Grenzboten I 2,94 Bläme [Schmach; hier: militär. Niederlage]; Hopfen 1893 Elend l 159 Blame [Beschämung]; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 581) Du hast der Familie genug der Blame zugefügt, Mensch, als daß es noch nötig wäre, uns mit einer Kurtisane zu verschwägern und ihren Kindern unseren Namen zu geben; Liliencron 1903 Bunte Beute (X 171) Zwei Jahre Zuchthaus und Ehrverlust Für den Meineid: bewußt! Er stritt hoch für seine Dame, Wollte decken ihre Blame, Dafür hat er drangemußt; Hofmann 1923 Gesch. Porzellanmanufaktur Nymphenburg III 659 Schaden, Schimpf und Blame. IN

blanchieren V. trans., seit frühem 18. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. blanchir, eigentlich 'weiß machen' (zu blanc 'weiß', german. Herkunft, vgl. blank], vereinzelt in der frz. beeinflußten phonetischen Schreibung blanschieren. a In der Kochkunst für '(Fleisch) im heißen Wasser aufwallen lassen, auf-, abkochen, abbrühen (um es hinterher zu spicken)', im 19. Jh. auch gebucht in der allgemeinen Bed. 'weiß machen, entfärben, bleichen', speziell (SANDERS 1871) für '(Salat-)Blätter in den Sand stecken, um sie durch Lichtentzug an der Chlorophyllbildung zu hindern und so auszureichen'; seit früherem 19. Jh. (s. Beleg 1832) in der Lebensmitteltechnik weiterentwickelt als Bezeichnung für ein Verfahren bei der Gemüsezubereitung in der Bed. 'Gemüse kurzzeitig erhitzen, kurz überbrühen mit heißem Wasser oder mit einem Heißluftgerät zur Geschmacksverbesserung, Bakterienabtötung oder Inaktivierung von Enzymen'. Dazu das im späten 19. Jh. (1882 bei Brockhaus) gebuchte, aus gleichbed. frz. blancherie entlehnte Subst. Blancherie F. '(Wäsche-)Bleiche'. b Seit Ende 19. Jh. nachgewiesen als Bezeichnung für bestimmte Verfahren bei der Lederverarbeitung zur Glättung der Lederinnenseite, in Zss. wie Blanchiermaschine, -eisen 'Vorrichtung zum Abschleifen dünner Lederspäne'.

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blanchieren a: Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 225 Nehmet Kalbs-Füsse, schneidet diese aus, blanchiret sie, damit das geblichte [sie] heraus komme; Chomel 1750 Lex. I 20 Aalraupen-Lebern wohl zuzurichten. Nehmet diese und blanchiret sie ein wenig in Wasser, thut hernach in einen Tiegel ein Stück Butter, Muskat-Blumen; 1752 Pariser Koch-Buch 18 und nachdem ihr ihn [den Kapaun] sauber gerupft und ausgenommen, so blanschiret ihn im heißen Wasser; Apperst 1832 Kunst 12 Weissieden der Zugemüse [Anm.] Blanchiren; 1841 Hofdamen-Br. 56 Die Spargelerbsen werden nur leicht blanchiert, in Bütten weich gedämpft und beim Anrichten frikassiert; Neudecker 1858 Köchin Vorw. XV [Gemüse] blanchirt, d. i. übersotten; Barnes 1933 Lebensmittellex. 18 Blanchieren, Vorkochen, Dämpfen, Abbrühen von Fleisch, Fischen, Gemüse, Obst; Zeit 20. 2. 1987 Kichererb-

sen- und Alfaifa-Sprossen in Tofu-Erdnußsauce; Hülsenfrüchte-Salat mit blanchiertem Gemüse. blanchieren b: Luegers 1894—99 Lex. d. ges. Technik 19 Um das Leder vollständig zu egalisieren und der Fleischseite eine helles, gleichmäßiges Aussehen zu geben, wird letztere blanchiert. Man verwendet hierzu das Blanchiereisen, mit dessen umgelegten, gratförmigen Schneiden die zu dicken und rauhen Stellen durch Wegnahme von dünnen Lederspänen (Blanchierspäne) egalisiert werden; 1987 Brockhaus II 382 Blanchieren . . Lederbearbeitung . . das Egalisieren und Glätten der Fleischseite von gegerbtem Leder durch Entfernen der obersten Schicht. . das Abschneiden dünner Lederspäne auf Blanchiermaschinen durch schnell rotierende Walzen, die mit schraubenförmig gewundenen Messern besetzt sind. IN

blanko Adv., im späten 17. Jh. übernommen aus ital. in bianco 'in nicht vollständig ausgefülltem Zustand, unausgefüllt, frei, offen (gelassen); unbedruckt, unbeschrieben, unliniert, leer, weiß (von Papier), d. h. unbeschrieben' (zu bianco 'weiß'), unter formalem Einfluß von frz. en blanc in der Form in bianco, dann in Anlehnung an dtsch. blank weiterentwickelt zu in blanko und schließlich zu blanko verkürzt. a Zunächst in ital. und frz. Syntagmen (s. o.) im kaufmännischen Bereich, Bankund Kreditwesen aufgekommen für 'bis auf die Unterschrift leer, unbeschrieben, Raum für die Haupteintragung, z. B. die Warenbezeichnung, den Rechnungsbetrag, das Datum freilassend (bei Wertpapieren, Rechnungen, Wechseln, Schecks usw.)', von daher vom reinen Bezug auf Geldgeschäfte auch auf andere Bereiche ausgedehnt, in denen etwas verbindlich schriftlich fixiert wird, für 'unvollständig ausgefüllt (von Formularen, Verträgen, Vollmachten o. ä.)', häufig in Wendungen wie in blanko indossieren/lassen e (auf der Rückseite eines Wechsels) über der Unterschrift Platz für den Namen des Empfängers lassen', in blanko stehen 'bis zur Verfallszeit ohne Deckung sein', in blanko stellen 'den Namen des Empfängers unausgefüllt lassen', und seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. in Zss. wie Blankoakzept 'Wechsel, der akzeptiert wird, ehe er vollständig ausgefüllt ist' (—»· akzeptieren), Blankorezept 'vom Arzt unterschriebenes Rezept, bei dem noch der Name des Medikaments eingetragen werden muß', Blankokredit Offener, auf Vertrauensbasis gewährter Kredit', Blankoindossament 'Übertragung eines Orderpapiers ohne Angabe des Nachnamens', und seit dem 20. Jh. in zahlreichen Zss. wie Blankoabgabe, -geld, -Wechsel, -Scheck, -Formular, 'unterschriebener Wechsel, Scheck, unterschriebenes Formular ohne Angabe des Handels- oder Vertragspartners, des Geldbetrags oder der Ware'; auch im allgemeineren Sinne von 'vorläufig, im voraus, auf/im Vorrat, ohne Dekkung, pro forma', z. B. in der Wendung etwas blanko verkaufen 'etwas verkaufen, was man erst im Nachhinein erwirbt' und der Zs. Blanko(ver)kauf 'Vorausverkauf (mit der Absicht, das Verkaufte danach günstig zu erwerben); ungedeckter Verkauf, Leerverkauf. b Von daher seit dem frühen 20. Jh. im partei-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Bereich verwendet im übertragenen Sinne von 'vorgreifend, vorwegnehmend,

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vorauseilend, von vorneherein, im Vorhinein (gewährt, bewilligt, ermächtigt); auf Vorannahmen, Vertrauensvorschuß, -kredit beruhend; auf Treu und Glauben; freie Hand lassend', überwiegend in Zss. aus dem konkreten kaufmännisch-juristischen Kontext, der häufig noch mitassoziiert ist, wie Blankowechsel, -formular, -Scheck und bes. (im Umfeld des Versailler Vertrages und des Zweiten Weltkrieges schlagwortartig aufgekommenem) Blankovollmacht 'Freibrief, General-XPauschalerlaubnis, -ermächtigung, -entschuldigung, -absolution (zur Ergreifung politischer oder wirtschaftlicher Maßnahmen)'; in jüngster Zeit allgemeiner verwendet für 'generell, pauschal, uneingeschränkt; vorschnell, ohne Überlegung', z. B. in den eher okkasionellen Zss. (mit Bindestrichschreibung) Blanko-Kriegserklärung, -Eheversprechen, -Entscheidung und Blanko-Formel 'allgemeine, unverbindliche, pauschale, vorgefertigte Formulierung, Leerformel, Floskel' (s. Belege 1985, 1986, 1987). Daneben vom früheren 16. bis Mitte 20. Jh. nachgewiesenes Blankett N. (-s; -e), wohl französisierend zu dtsch. blank gebildet (vgl. dagegen frz. blanquet, mlat. blanquetum), eventuell auf ein kanzleispr. lat. *blancetum 'blank' zurückführbar, auch in Schreibungen wie Blan(c)ket und (französisierend) Blanquet(t), in der kaufmannsspr. Bed. 'nur mit Unterschrift (und Siegel) versehenes Blatt Papier, bei dem ein Raum freigelassen wird für Eintragungen, nicht vollständig ausgefülltes Schriftstück; Generalvollmacht; Wechsel, Anweisung; (unausgefülltes) Formular, Vordruck', in Zss. wie Blankettgesetz, -normen (zu a), vereinzelt bildlich verwendet (zu b); vgl. gleichbed. fremdsprachige Syntagmen wie im 17./l8. Jh. nachgewiesenes, aus span. c(h)arta blanca übernommenes C(h)arta blanca, und im 17.719. Jh. nachgewiesenes, aus frz. carte blanche entlehntes Carte blanche (vgl. auch ital. c(h)arta bianca, engl. blank charter/letter) (zu a), auch in bildlicher Verwendung belegt (zu b). blanko a: 1676 Savary l 265 in den Ordren/ welche in bianco oder en blanc das ist weiß/ wo nemblichen nichts geschrieben ist/ gegeben wurden; 1682 Leipz. W-O $11 (1733 Banquier II 270) das Indossement in bianco; 1688 Schück U 333 die Namen der Einzeichner in bianco gelassen; ebd. 334 Obligation in bianco (alle SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1795 (Ehrenberg 1925 Parish 75) Zu dem Zwecke sollten die Hamburger Häuser an Boyd & Co. umfangreiche „Blankokredite" (ungedeckte Kredite) gewähren; i 796 Berghaus 1 98 in bianco indossiren; 1836 Courtin 31 Fonds oder Staatspapiere in bianco (d. h. ohne sie zu besitzen) auf eine bestimmte Lieferungszeit an Jemand verkaufen (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1858 Preuss. Jahrb. I 102 „Blancocredit geben"; 1876 Glagau 95 Blanco-Abgaben (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Röscher 1899 Handel (System ill 357) Blancoindossamente in Frankreich 1660 verboten; Moll 1902 Arztl. Ethik 55 Eine solche Täuschung könnte z. B. durch Blankorezepte erfolgen, wobei der Arzt vor der Reise seine Unterschrift unter die Rezepte setzt, deren Ausfüllung aber dem Vertreter überlässt; 1912 Technik u. Wirtschaft V 386 Der Grund für diese Schichtung ist wohl darin zu suchen, daß die Vornahme eines Kaufes in der

Absicht des Wiederverkaufes zum gestiegnen Kurs zweifellos einem einfacheren Gedankengang entspringt, als ein Blankoverkauf in der Hoffnung, daß später die Beschaffung zu gewichenem Kurs möglich sein werde; Arnholds Wochenber. 6. 12. 1930 daß die Spekulation, die sich an einzelnen Märkten . . mit Blankoabgaben etwas zu weit vorgewagt hatte, Deckungsbedürfnis zeigte; LokalAnz. 19.10. 1934 Am Geldmarkt war Blankogeld für erste Adressen mit 4 bis 4,25% ausreichend angeboten; ebd. 28. 12. 1934 daß der geschädigte Ehemann die Unterschrift unter diesem Schriftstück als die seine anerkennen mußte . . der Angeklagte hat es verstanden, ein Blankoformular mit der Unterschrift des Zeugen in die Hand zu bekommen; Dtsch. AZ. 21.1. 1935 Sir John Simon scheint .. Laval bei seinem Weihnachtsbesuch einen sehr ansehnlichen Blankowechsel übergeben zu haben; ND 8. 8. 1954 Er ließ sich von ihnen die Gehaltsquittungen mit der Bemerkung blanko unterschreiben, daß er sie nachher erst mit Schreibmaschine ausfüllen müsse. Den Agenten gab er nur einen geringen Betrag; seine Einkünfte stiegen um das Doppelte; Girnth 1954 Spielen 12 Man verkauft „blanko", das heißt man verkauft etwas, was man im Augenblick noch gar nicht besitzt, und

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zwar in der Hoffnung, es später billiger anschaffen zu können; Welt 29. 4. 1964 Aktienzertifikate, die auf den Namen der Deutsche Bank Aktiengesellschaft ausgestellt und mit deren Blankoindossament versehen sind, können ab 1. Juni 1964 an den Schaltern . . zur Dividendenzahlung vorgelegt werden; Bild 15. 3. 1967 internationale Zulassungen, Blankoführerscheine und das Kennzeichen MH-PX 93; Welt 30. 4. 1974 Kredit gesucht (Überschr.) DM 13000,- als Blanko-Kredit für ein Jahr; Zeit 2. 8. 1985 Ein Ehepaar, das in einer Tierhandlung einen Yorkshire-Terrier kaufte und nach der Ahnentafel fragte, machte eine merkwürdige Erfahrung: Der Händler griff kurzerhand unter die Theke, wo ein Stapel Blanko-Formulare lag, und stellte rasch einen fiktiven Nachweis aus; MM 19. 7. 1986 Arzthelferinnen setzten Rezepte auf Namen von nicht informierten . . Patienten, die teils von gutgläubigen Ärzten unterschrieben waren, als Zahlungsmittel ein oder trugen Medikamente sogar in von Ärzten blanko unterzeichneten Rezepte ein; Zeit 24. 4.1987 In Talence stellte das „interregionale Labor zur Bekämpfung von Betrügereien" einfach Blanko-Formulare aus, die bestätigen, daß die Ware eines Händlers nicht stärker als zulässig verstrahlt ist; Stern 14. 5. 1987 Hotels und Autovermietungen fragen oft schon bei Ankunft nach der Karte, um die Kreditwürdigkeit zu prüfen. In solchen Fällen sollte nur die Karte gezeigt und nicht etwa bereits ein Blankoformular unterschrieben werden; TAZ 17.1. 1990 Überall Papierschnitzel (Überschr.) Haufenweise Buchungsformulare des DDR-Reisebüros. Allesamt blanko. Nur wenige Papiere sind beschrieben; Berl. Rundsch. 2.3. 1990 Tief enttäuscht zeigt sich Hans Modrow nach seinem Bonn-Besuch, daß er ohne einen „Blanko-Scheck" über 15 Milliarden DMark in der Tasche nach Hause reisen muß. Blankett: Luther 1539 Wider d. Bischof z. Magdeburg VII 359a Aber die Blancketen oder so Hans Schenitz einen Brieff hette, sollen nichts gelten . . Blancketen sind blos papir mit eigner hand vnd Pirtschafft verzeichnet, darin man schreiben mag, was man wil; Mathesius 1562 Sarepta 146a Blankket; Schweinichen 1577 Denkwürdigkeiten 141 Blanquet; 1709 Hübner K-L 204 Blanquet, Charta blanca, Charta bianca (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Sperander 1727 A la mod Sprach 72 f. Blanquet, Charta blanca, Carte blanche, ein weiser Bogen Papier, so mit einem Nahmen unterschrieben und besiegelt ist, worauf hernach Vollmachten verfertiget werden; Hansson 1897 Jugend 62 Der leitende Director . . blätterte im Haufen der langen, blauen Blankette, die er auf dem Pult vor sich hatte; 1923 Polit. Handwb. l 525 Ermächtigungsgesetz (Blankettgesetz); Herrmann 1928 Prostitu-

tion 3 ein sogenanntes Blankett- oder Rahmengesetz; ebd. 28 Blankettstrafgesetz (auch Blankooder Rahmenstrafgesetz genannt); NZ. (Basel) 21.3.1949 Allein die sogenannten „Blankettnormen" (Allgemeinermächtigungen), wie sie . . im Polizeiwesen in Kraft blieben . . die gesetzlichen Generalklauseln (Blankettnormen) des „öffentlichen Interesses", der „Zweckmäßigkeit", der „Gesundheitsrücksichten ". C(h)arta blanca: Kiechel um 1600 Reisen 130 mütt einem brief, welcher . . abgesant, uf due iberschrift seinen gebürenden tittel gegeben, aber innwendig ward es carta blanca, also kein antwort auch ein anttwort sein soll; 1709 Hübner K-L 204 Blanquet, Charta blanca, Charta bianca (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Sperander 1727 A la mod Sprach 72 f. Blanquet, Charta blanca .. ein weiser Bogen Papier, so mit einem nahmen unterschrieben und besiegelt ist, worauf hernach Vollmachten verfertiget werden. Carte blanche: I651 Schück II 35 die ihm gegen einen Revers gnd. anvertrauete charte blanche (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Sperander 1727 A la mod Sprach 72 f. Blanquet.. Carte blanche, ein weiser Bogen Papier, so mit einem nahmen unterschrieben und besiegelt ist, worauf hernach Vollmachten verfertiget werden; Goethe 1784 Br. (WA IV 6,410) Carte blanche; Fontane-Lepel 1853 Briefw. II 55 charte blanche. blanko b: Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 109) Dem Vertrag von Versailles, der die Antwort auf den von Westminster bildete und der in der Tat schon so gepfeffert war, daß man ihn eine „Blanko-Kriegserklärung" für den österreichischen Staatskanzler genannt hat; 1922 Deutschlands Erneuerung 581 „Blankowechsel" von Versailles; 1924 Deutschlands Erneuerung 315 Immer wieder von neuem hebt das Spiel an, das mit der Unterschrift unter die Versailler Blanko-Vollmacht begann, und bei jedem neuen Akt werden größere Riemen aus unserer wunden Haut geschnitten; Voss. Ztg. 4. 7. 1929 weil . . die bisherige Praxis der einmal jährlichen Aussprache anläßlich der Thronrede nicht ausreiche, um die Kontrolle des Parlamentes über eine Minderheitsregierung ausreichend zu gewähren. Man könne dem Kabinett MacDonald nicht bis Oktober 1930 eine Blankovollmacht geben; 1932 Volk u. Reich 498 Unter diesen Voraussetzungen, die erst in das „Blankoformular" des Abkommens eingeschrieben werden müßten, war Lausanne ein Komporomiß; 1934 ebd. 660 Am 28. Juni 1919 haben sich dann Deutsche gefunden, die diesen Blankowechsel unter-

blasiert schrieben, und die formal auch die Alleinschuld des Deutschen Reiches am Kriege anerkannten; Süddtsch. Ztg. 7. 2. 1951 Vorschlag der Bundesregierung . ., mittels einer Blankovollmacht jeden beliebigen Verbrauch nach Gutdünken oder Ermessen durch entsprechende Verteuerung einzuschränken; ND 4.4. 1954 Beinahe im Stile Hitlers hat sich die Adenauer-Regierung vom Bundestag ein Ermächtigungsgesetz und eine Blankovollmacht für eine militaristische Wehrverfassung geben lassen; Denn 1954 Altern 13 das ist ja ein Blankoscheck für jedes politische Verbrechen; Offenburger Tagebl. 10. 1.1961 Auch ohne Volksentscheid hätte er [de Gaulle] in Algerien (und auf allen anderen Gebieten) tun können, was er wollte, aber er hat es für richtig gehalten, sich noch eine Blankovollmacht unterzeichnen zu lassen; Welt 10. 9. 1964 Die meisten Franzosen stimmen freilich dem Urteil Gaxottes bei, daß die Schuld Deutschlands größer war als die der anderen Mächte weil es Österreich-Ungarn einen Blankoscheck ausstellte um gegen Serbien vorzugehen — in der trügerischen Hoffnung, der Krieg werde sich lokalisieren lassen; FAZ 3.2. 1971 Müller-Hermann macht die Bundesregierung für die ungezügelte Kosten- und Preisentwicklung durch ihre Vollbeschäftigungsgarantie verantwortlich, die einem „Blankoscheck zur Sünde" gleichkomme; Zeit 15. 2. 1985 „Mit der Aussicht auf Deine Liebe gebe ich hier vor 100000 Zeugen ein Blanko-Eheversprechen!"; MM 18. 4. 1985 Spöri bezeichnete die Regierungsvorlage als „eine in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartige Kapitulationsurkunde" im Bezug auf das Waldsterben. Die Regierungsparteien hätten sich eine „Blanko-Entscheidung" aufnötigen lassen, weil die zu der Steuerstaffelung passenden Entgiftungsstandards erst später festgelegt werden sollen; Zeit 25. 4. 1986 Eine derartige Blankoeinwilligung kann nicht als rechtswirksam angesehen werden . . Eine solche gene-

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relle Ermächtigung ist unverhältnismäßig und damit unzulässig; ebd. 28. 11. 1986 Jens-Peter Ostendorfs „Musik ohne Film" ist gewissermaßen ein Filmmusik-Blankoscheck. Der Titel freilich verhindert das „Einlösen"; Stern 10. 12. 1987 „Es besteht Handlungsbedarf". Mit dieser Blanko-Formel, die sich Martin Bangemann von der Union schon im März dieses Jahres in die Koalitionsvereinbarung diktieren ließ, will die Parteispitze nun die Mannheimer Delegierten auf jenen Kurs bringen, von dem sie sich Ruhe im Koalitionslager verspricht; 1989 Bundestagsprotokolle CLl 13688 Es ist allein Sache der Menschen, in freier Selbstbestimmung auch über ihre wirtschaftliche Zukunft zu entscheiden. Unsere Verantwortung gebietet es jedoch, jetzt keine Blankoschecks auszustellen, die dazu benutzt werden könnten, den Reformdruck zu mindern und den längst überfälligen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Umbau hinauszuschieben. Blanke«: Jung 1912 Problem 334 daß die „Blankettnatur" von Begriffen wie Treu und Glauben . . anerkannt wird. Carte blanche: Iffland I860 Theatral. W. IX 381 Es sind Leute mit mir gekommen — und ich habe Carte blanche. Nutzen Sie die Warnung, weil es noch Zeit ist, und begeben Sie sich weg; Burckhardt 1872 Br. an Preen 59 Bismarck, der sich bei der Dreikaiserzusammenkunft carte blanche geholt haben soll, mit Frankreich weiter zu „verfahren"; Braun 1881 Bilder IV 331 war der Auftrag [ein Ministerium zu bilden] keine carte blanche, sondern an bestimmte Voraussetzungen gebunden; Hansjakob 1898 Erzbauern 12 Am 29. April 1842 aber hatten sie „carte blanche", d. h. sie durften „im Kreuz" essen und trinken, so viel und so lange sie wollten. IN

blasiert Adj., Ende 18. Jh. entlehnt aus frz. blase 'übersättigt, abgestumpft, unempfindlich, zerstört, ruiniert (z. B. durch Ausschweifungen, übermäßigen Alkoholgenuß)' (ursprünglich Fachausdruck der Medizin und Chemie für 'übersättigt (in bezug auf Flüssigkeiten)', dann übertragen auf die Alkoholaufnahme im menschlichen Körper und deren Wirkung auf die körperlich-geistige Verfassung, Part. Perf. von blaser '(durch Alkoholmißbrauch) abstumpfen, zugrunde richten, ruinieren', ungeklärter Herkunft, eventuell german. Ursprungs und etymologisch verw. mit dtsch. blasen im Sinne von 'aufblasen, -blähen'). Vor allem im 19. Jh. schlagwortartig verbreitet zur negativen Charakterisierung des Lebensgefühls, der weltanschaulichen Grundhaltung oder einer Modekrankheit bestimmter gesellschaftlicher Schichten (Adel und Großbürgertum), Gruppen (Künstler, Akademiker) und Generationen in der Bed. '(infolge ausschweifender Lebens-

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führung, übermäßigen Alkoholgenusses oder Überreizung) geistig und gefühlsmäßig abgestumpft, geschwächt, entnervt, kraftlos; unempfänglich, unempfindlich, teilnahmslos, gleichgültig' (vgl. apathisch, —» Apathie), auch Oberflächlich, uninteressiert, gelangweilt; übersättigt, überdrüssig; müde, verlebt' (vgl. dekadent, —> Dekadenz), von daher verstärkt pejorativ auf Einstellung und Verhalten von Personen anderen gegenüber eingeengt für 'überheblich, herablassend, verächtlich; eitel, eingebildet, hochnäsig, dünkelhaft' (s. Beleg 1987; vgl. arrogant, —* Arroganz), und mit Bezug auf ihre Wirkung auf andere 'langweilig, fade, borniert; affektiert, gekünstelt', speziell auf die äußere Erscheinung auch konnotiert mit „bloß schön, elegant, vornehm (aber dumm) aussehend; gecken-, stutzerhaft" (s. Belege 1878, 1892, 1896, 1912, 1985, 1986), wohl aufgrund der lautlichen Übereinstimmung gelegentlich assoziiert mit „aufgeblasen"; in Wendungen wie blasierte Miene, Züge, Weltanschauung, blasiertes Gesicht, Benehmen, blasierte Leute, blasierter Typ, Dandy, und Zss. wie vornehm-, höfisch-, geistreich-, gleichgültig-blasiert. Dazu seit früherem 19. Jh. die subst. Ableitung Blasiertheit F. (-; ohne Pl.) 'geistige und gefühlsmäßige Abgestumpftheit, Übersättigung, Überdruß' (Ggs. Unblasiertheit); vgl. daneben das im 19. Jh. vereinzelt nachgewiesene, aus gleichbed. frz. blaser entlehnte Verb (sich) blasieren '(sich) abstumpfen (durch Überreizung o. ä.)'. blasiert: 1793 (Mitt. Schies. Ges. f. KK. XIX 221) Blasiert; W. v. Humboldt 1802 Br. an Brinkmann 139 Ueber alles eigentlich Wissenschaftliche ist er blasirt und Tagschriften wird kaum der Moment auf eine irgend brillante Weise erlauben; Jacobi 1804 (Nachlaß I 352) in diesem ermüdeten, blasirten, entnervten Jahrhundert; Laube 1836 Reisenovellen IV 178 er empfand es schmerzlich, daß die Welt auf solcher Bildungsstufe blasirt sein müsse; 1837 ebd. V 435 er kennt alle hübschen Mädchen, alle Opern, alle Weinhäuser, er wäre blasirt, wenn er Geist und Anspruch hätte; 1837 Das Glück 76 eine kokette oder blasirte Dame; Gaudy 1839 Paris (VI 114) fühlten, von deren Vollgenuß übersättigt, sich tödtlich blasirt und zum Hängen reif; Devrient 1841 Treue Liebe (Hl 91) blasirt und gleichgültig gegen Alles; Steffens 1841 Was ich erlebte IV 137 Es war nicht eine blasirte Zeit, die sich stimuliren mußte, um aus der leeren Kraftlosigkeit irgend einen vorübergehenden scheinbar lebendigen Effekt hervorzulocken; Trendelenburg 1842 Kl. Sehr. II 121 Es ist eine Klage, daß die Jugend unserer gebildeten Stände, frühzeitig altklug, schon dann übersättigt und abgestumpft („blasiert") sei, wenn sie erst mit voller Lust in die Zukunft ihres Lebens hineintreten sollte; Lewald 1843 Mappe 279 Wer übrigens von der Einförmigkeit der gesellschaftlichen Formen dieser blasirten Welt gelangweilt wird; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW // 72) Weit entfernt, daß Cecily grade auf aristokratisch-gebildete, blasierte Leute so magisch einwirkte; ebd. II 216 man klagt mich an, blasiert, hart, unbeugsam zu sein!; Freiligrath 1849 Polit. Gedichte I 22 Ihr aber seid blasirt und stumpf, faul

und verfault (KEHREIN); Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris l 180 ein inhaltsloser . . gedankenloser, gemüthloser, blasirter . . Dandy; 1852 Prutz' Museum l 207 die Wissenschaft . . so zu appretiren, daß sie dem verwöhnten Gaumen einer faden und blasirten Modewelt schmackhaft wird; Schieiden 1857 Studien 153 aber wie ein blasirter Geschmack der vornehmen Welt den . . modern und französisch aufgeputzten Socialromen . . wieder aufgenommen und in dem sittlichen Schmutz civilisirten Elendes Gewürz für seine abgestumpften Nerven gefunden hat; Döderlein 1859 Öffentl. Reden 135 Dem Ursprung und ältesten Gebrauch der Wortes nach . . ist jeder blasirt, der seine Gesundheit durch unmäßigen Lebensgenuß, durch starke Getränke oder Ausschweifungen zu Grunde gerichtet hat. Die moderne Zeit aber oder die Mode des Sprachgebrauchs hat das Wort, das eigentlich ein körperliches Mißbefinden bezeichnet, auf einen krankhaften Seelenzustand übertragen, den wir mit keinem ächtdeutschen Worte ganz bezeichnen können, aber annäherungsweise vielleicht mit keinem besser, als mit lebenssatt; Raumer 1861 Leben l 71 Unbegreiflich, wie jetzt so viel Jünglingen vertrocknet aufkeimen, minderjährig schon blasirt sind, alles tadeln, an allem nergeln und nichts über sich Erhabenes, Verehrungswerthes anerkennen; Springer 1877 Banquier 73 pikanten Feuilletons, die den entnervten Sinn blasirter Leser kitzeln; Wickede 1878 Leutnant 65 Er war ein hübscher Mann, zwar ziemlich verlebt und blasirt aussehend und nicht allzuviel Geist und Thatkraft in seinem Gesicht zeigend, aber von äußerst eleganten Tournüre und so recht für den Salon und Paradeplatz

blasiert geschaffen; Roland 1888 L. 33 Vielleicht gibt es jemanden, der ihn in einer Minute sah, als Gefühl und Gedanke die abscheuliche Apathie von seinen Lippen jagten, der in seinen Augen etwas anderes zu lesen verstand als blasierte Selbstgefälligkeit; Pfleiderer 1890 Erinn. 17 Die heruntergekommene Leichtfertigkeit oder mit den hier sehr passenden Fremdwörtern ausgedrückt die blasierte Frivolität in religiösen Dingen; Rabenstein 1891 Dtsch. Soldatengesch. 30 ein arroganter Mensch, der ist so blasiert, daß er kaum „ja" oder „nein" sagen kann; Eckstein 1892 Dombrowsky I 257 Vornehm-Blasiertes; Zapp 1896 Offizierstöchter II 27 das hübsche, aber blasirte Gesicht des Lebemannes; Hesse 1910 Roßhalde 167 Er hat manchmal direkt etwas Blasiertes, der Junge. Was ich auch vorschlug und was ich ihm zeigte oder anbot, war ihm kaum ein Jaja oder ein Lächeln wert; Falke 1912 Stadt 209 ein blasses, blasiertes, übrigens ganz hübsches Herrchen; Berolzheimer 1914 Moral 349 Dieser Pseudosnob . . hält sich einen von Herrschaften abgelegten Diener und eine von Kavalieren aufgegebene Maitresse, er markiert den Blasierten; Dombrowski 1920 System U 159 scheinen beinahe gleichgültig-blasiert, völlig uninteressiert zu sein; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. 111 868) Sie lassen das Maul hängen, ich sehe es alle Tage, die Verdrossenheit steht Ihnen an der Stirn geschrieben. Sie sind ein blasierter Balg, Castorp, Sie sind verhätschelt mit Sensationen; 1929 Handb. d. Englandkunde II 274 Es ist jene blasierte fin de siecleWeltanschauung, die in der ganzen Kulturmenschheit grassiert; Gebauer 1932 Kulturgesch. 350 geistreich-blasierte; Renker 1935 Land 22 blasierte Eleganz; Koeppen 1961 Frankreich 107 In den Arkadencafes bemühten sich die Studenten, blasiert auszusehen; Böll 1963 Clown 92 Es wäre fast humaner gewesen, sie hätten alle den Daumen zur Erde gekehrt. Diese müde, blasierte Verachtung meiner Nummern war so schal wie das Bier in dem dummen Silberbecher; Jung 1971 Traubenmadonnen o. S. Der französische Marientypus des Barock und Rokoko — kokett lächelnde Schönheit ohne betont religiöse Prägung, oft auch höfisch-blasierte Vornehmheit oder süßliche Manieriertheit — hat hier eine glückliche Läuterung erfahren; Zeit 5. 4. 1985 Zugleich täuscht er die Welt, behält er die Maske des blasierten Dandys bei, ein Blick auf die schlecht gebundene Krawatte des anderen elegants, Schnitzler, vernichtete diesen für lange Zeit. Als Mittel gegen den privaten Weltschmerz verordnen die Eltern Bildungsreisen, es geht in die westlichen Länder, nach Paris; ebd. 23. 8. 1985 All das Gequatsche, der Bruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Achottochott, all diese blasierten Typen, verwöhnt in ihrem Mannes- und Überlegenheits-Wahn, aber fern der Praxis; ebd. 28. 2. 1986

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Es ist an ihm etwas Stutzerhaftes und Blasiertes; Stern 19.11.1987 Mittendrin in dem Yuppie-Gewoge steht Tama Janowitz, weiß und unschuldig. Zum Fressen süß sieht sie aus . . ein schnuckeliger Köder für diesen Schwärm von blasierten, gehässigen Kultur-Barracudas; Rhein. Merkur 25. 5. 1990 Berlin, zugleich sensitiv und abgebrüht, blasiert und doch stets erpicht auf Sensationen, hat das geistig-moralische Klima nie zu bestimmen und zu beherrschen vermocht, wie etwa Paris das in Frankreich tut. blasieren: Heine 1835 Romant. Schule 205 denjenigen Nasen, die für Rosenöl blasiert sind; Szarvady 1852 Paris l 168 endlich blasiren sie sich notwendig über alle Gefühle, sie, welche die Gesetze, die Menschen, die Institutionen, wie die Grauvögel, über noch warme Leichen zu fliegen zwingen; Noe 1865 Voralpen 49 die Leichtigkeit .. mit der die Phantasie der Menschen blasirt wird. Blasiertheit: Tieck 1835 Sehr. XXIV 142 die legitime, officielle, durch alle Lebensepochen so geschwächte blasirte Blasirtheit noch erwärmen und aufreizen; Schumann 1839 Ges. Sehr. U 196 So sehen wir ihn . . in den trüben Phantasien herumgrübeln und bis zur Blasirtheit indifferent, während er sich andererseits wieder in den ausgelassensten Virtuosenkünsten erging, spottend und bis zur halben Tollheit verwegen; Steffens 1842 Was ich erlebte VI 61 Ausdruck der Stumpfesten Blasirtheit; Burckhardt 1852 Br. 28 wenn ich auch zuweilen ein bittres Gedicht schrieb, so kann ich diese moderne Zerfallenheit mit dem Leben [bei Heine], diese eklige Blasiertheit.. doch nicht leiden; Hettner 1852 Drama 94 in den Romanen die Vorstellung der vornehmen Blasirtheit in erschreckender Weise Platz greift, wir blicken mit Ekel in diese sittliche Fäulniß; Döderlein 1859 Öffentl. Reden 135 eben so ist auch der Begriff der Blasirtheit durch jene Übersetzung keineswegs erschöpft. Denn lebenssatt ist gar mancher, ohne blasirt zu sein. Der neunzigjährige Greis, der sich als ein nutzloses Glied der Gesellschaft, als eine Last seiner Umgebung fühlt, nennt sich selbst . . oft lebenssatt und sehnt sich dankbar für das Genossene nach seinem Stündlein . . ohne blasirt zu heißen; Waldau 1860 Böhm. Nationaltänze U 7 Die jungen Leute tanzen mitunter so taktfest, so gewandt und zierlich, so anständig, daß sie gar manchen hypereleganten Dandy der Hauptstadt zum Muster dienen könnten; kein einziger trägt die heutzutage so beliebt gewordene, affektirte Blasirtheit zur Schau; Hornberger 1885 Nachlaß 109 intensivere Art der Blasiertheit. Die Blasiertheit schließt aber keineswegs die Impressionabilität, Excitabilität, Impellibilität aus; Hoffmann 1894

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Blasphemie

Stolpenburg 91 eine sorglose Heiterkeit des Gemüthes, die weder Überhebung noch Geckenthum oder Blasirtheit aufkommen ließ und ihm alle Herzen . . gewann; Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 300) Eine andere, aber nicht minder liebenswürdige Seite der Sache ist dann freilich die Blasiertheit, Gleichgültigkeit und ironische Müdigkeit aller Wahrheit gegenüber, wie es denn Tatsache ist, daß es nirgends in der Welt stummer und hoffnungsloser zugeht als in einem Kreise von geistreichen Leuten, die bereits mit allen Hunden gehetzt sind. Alle Erkenntnis ist alt und langweilig; 1905 Walhalla I 27 Kunstblasiertheit; Hesse 1910 Roßhalde 38 der kleine Zug von herrischer Blasiertheit oder Altklugheit stand ihm [einem kleinen Knaben, Künstlersohn] gut an; Grabein 1911 Hans 19 Mit unveränderten Zügen, immer noch jene leise müde Blasiertheit im Antlitz; ebd. 24 Ich glaube, Ihre Blasiertheit, die Sie so geflissentlich zur Schau tragen, ist gar nicht echt . . Nur eine Weltdamenpose, mit der Sie uns „Spießern" hier imponieren wollen; 1914 Dtsch. Rundsch. CLVIH 154 Aber auch welche Tatkraft, welche Kampfeslust und Sieges-

freude! Das war es eben, was die einen [Franzosen] aus ihrer skeptischen Blasiertheit, die anderen aus den Revanchegelüsten, den Königsträumen und Kreuzzugsgedanken herausriß; Sydow 1922 Kultur 73 Blasiertheit; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 511) aber bei dieser Blasiertheit haben Sie sich zuviel vorgenommen, wenn Sie gedachten, mir die Reise plausibel zu machen; FAZ 2. 12. 1967 Dame . . mädchenhafter Typ, natürlich und abhold jeder Blasiertheit, sucht die Gelegenheit, dem adäquaten Partner für eine Liebesheirat zu begegnen (Anzeige); Zeit 27. 3. 1987 Choukri erzählt von Hunger und Angst, von Liebe und Haß, von Polizeiwillkür und von der Blasiertheit der Besitzenden, von hilfloser Brutalität der Armen gegen die Armen. Unblasiertheit: Süddtsch. Ztg. 28. 2. 1951 Den Filmen, die er uns zur Einführung in die Kunst der Story-Ersinnung vorführen ließ, saß er, obschon im Umgang mit „pictures" alt und grau geworden, in kindlicher Unblasiertheit gegenüber. IN

Blasphemie F. (-; -n), um 1500 entlehnt aus gleichbed. kirchenlat. blasphemia/ griech. (zu griech. 'schmähen, lästern', dessen erster Bestandteil unklar ist und dessen zweiter Bestandteil auf 'Aussage, Kunde; (Ge-)Rede, Gerücht' zurückgeht; —> blamieren), bis ins 19. Jh. auch in der lat./ griech. Form. Zunächst in der Bed. '(nach kirchlichem und weltlichem Recht mit Strafe belegte) Verhöhnung, Schmähung Gottes und heiliger, göttlicher Symbole, Gotteslästerung, Frevel; Verfluchung', im 19. Jh. auch gebucht für 'Lästerung gegenüber gekrönten Häuptern, Hoheits-, Majestätsbeleidigung', auch, meist im PL, für '(gottes-)lästerliche, ehrenrührige Rede, Fluch; verletzende Äußerung, Beleidigung' (s. Belege 1789, 1809, 1881; vgl. Injurie), im 18. Jh. bes. in der Zs. Blasphemienprozeß; seit dem späten 18. Jh. (s. Beleg 1786) und bes. in jüngster Zeit zunehmend im Bereich der Literatur-, Kunst- und Filmkritik in der Bed. 'Verläumdung, Verunglimpfung, Abwertung, Entweihung, Entwürdigung (von etwas Ehrwürdigem, Seriösem)', gelegentlich konnotiert mit „frivol, pornographisch" (s. 3 Belege 1985); in Wendungen wie eine Blasphemie aussprechen, einer Blasphemie gleichkommen. Daneben das gleichbed., Anfang 20. Jh. vereinzelt nachgewiesene, verkürzte Subst. Blasphem N.; dazu das ältere, von Mitte 15. bis Ende 19. Jh. nachgewiesene, aus lat. blasphemare (—»· blamieren) entlehnte V. (in)trans. blasphemieren, anfangs noch in unterschiedlichen Schreibungen und in der lat. (flekt.) Form, in der Bed. '(Gott, etwas Heiligem, einer hochgestellten Persönlichkeit o. ä. gegenüber) lästerliche Reden führen, lästern, schmähen; fluchen; übelreden, beschimpfen, beleidigen'; von Mitte 18. bis ins spätere 19. Jh. die Personenbezeichnung Blasphemant M. und gleichbed., vom späteren 19. (1871 bei Sanders) bis ins 20. Jh. gebuchtes Blasphemist 'jmd., der eine Blasphemie äußert, Gott lästert; Gotteslästerer'; seit Mitte 18. Jh. das auf gleichbed. lat. blasphemus/gnech. $ zurückgehende Adj.

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blasphemisch, gleichbed. mit der verkürzten Form blasphem und den im 19. Jh. nachgewiesenen (erweiterten) Formen blasphemistisch, blasphematorisch und blasphematisch, in der Bed. '(Gott) lästernd, schmähend; gott-, pietätlos, unchristlich', oft auch im Sinne von 'anstößig, unanständig; frivol' (vgl. pornographisch; s. Belege 1984, 1985, 1986, 1987). Blasphemie: Geiler v. Keisersberg vor 1510 Euangelia mit vßlegung 135ra es wer ein gotslesterung . . es wer blasphemia; Pauli 1520 Keiserbergs Narrenschiff I72vb Es seindt die die got lesteren mit bösen gedencken Blasphemie/; Emser 1525 Annotationen C 3b Blasphemien vnd lesterung; Lauterbach 1538 Tagebuch 132 Eitel blasphemia; Rot 1571 Diet. 292 Blasphemi, Lestrung/ Verfluchung/ böse zured/ schmach wort; Fabricius 1588 Surius' Chronik 195 blosz gemeinen Blasphemien; Hansonius 1588 Warnung 8 jhre Blasphemias wider Gott; Mengering 1638 Soldatenteufel A Sa mit den allergrauslichsten Flüchen vnd Blasphemien; ders. 1642 Gewissensrüge 307 solche schreckliche blasphemien . . sind gehöret/ gelesen worden; Böckler 1665 Schola militaris 417 so mit göttlicher Verachtung und Blasphemien vermenget gewesen; 1700 Monatl. Auszug Febr. 121 Blasphemie; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,421) und ihn, so fern er es nicht glaubt, mit den Gnosticis vergleichen . . und jenen hingegen zwey unbegreifliche Nonsense und eine unleugbare Blasphemie durch eine gewaltsame Consequenzmacherey zuschreibt?; Lenz um 1775 Pandämonium (NL LXXX 153) bedenk' nur, was für schnöde Worte er im Munde führt, wenn man das alles auseinander nehmen wollte, was der Werther sagt — Gotteslästerung, Blasphemien, Injurien; Schlözer 1783 Stats-Anzeigen III 222 BlasphemienProceß in Baiern; ebd. Ill 424 das Verbrechen einer tätlichen Blasphemie, oder wie mans nennt, das Crimen Blasphemiae realis; 1784 Berlin. Monatsschr. Ill 45 Anm. ein Blasphemienprozess, der auf Leib und Leben geht; 1786 Journal d. Moden I 273 die Blasphemien gegen die Mode; 1789 Arbeit u. Lohn 30 Es selbst wurde Inquisitor, mit brennendem Eifer erkundigte er sich bey denjenigen, mit denen mein Freund einigen Umgang hatte; ob sie sich nicht erinnerten von disem ruchlosen Doktor Blasphemien gehört zu haben; Seume 1803 Spaziergang (W. II 301) zu den Augustinern führten . . die hier für ihre Bäuche den behaglichsten Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht hatten . . Ihr Gebäude ist für das Gelübde der Armut eine Blasphemie; Fischer 1809 Günstling 93 „Oh mein Gott!" - rief der Mensch in einem Tone, als habe ich eine Blasphemie ausgesprochen; Ranke 1836 Brief werk 283 literarische Blasphemie; Gutzkow 1838 Blasedow l 461 Mit Bleistift sind Entwürfe an den Rand geschrieben,

die an Blasphemie streifen; Werther 1861 Kl. Deutschland II 222 Das ist die ungeheuerlichste Erfindung des Absolutismus, eine Blasphemie des Kosmos, ein Frevel an dem Weltschöpfer; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 132 es wäre ihm wie eine Blasphemie erschienen, hätte er eine dieser Frauen mit Maria oder gar mit Elisabeth vergleichen wollen; Nordau 1881 Kreml II 52 Als es zu Anfang dieses Jahrhunderts üblich war, fortwährend Flüche und Blasphemieen im Munde zu führen, fluchte und blasphemierte die Aristokratie; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 275 In diesen Schriften aber Unterschieds- und kritiklos insgesamt das „Wort Gottes" zu finden, erscheint gegenüber den darin enthaltenen vielen anstößigen Geschichten, krassen Widersprüchen und zahllosen Ungereimtheiten geradezu als Blasphemie; Senden 1900 Tänzerin 118 diese ganze Ehe, die nichts war als eine Blasphemie, gemeiner als die gemeinste Liebschaft; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 498) Dies ist das Chaos! Dies ist Demagogie, Blasphemie und Wahnwitz!; Bierbaum 1910 Reife Früchte 183 Die ewigen, großen Götter vom Thron herabzustoßen/ Und, Blasphemie, als Gottes Sohn/ An ihre Stelle einen Schwerverbrecher,/ Bestraft nach heiligem römischen Recht; 1916 Deutschland II 765 Und der sacro egoismo der Italiener wurde in dem Augenblicke zur Blasphemie, wo er ohne zwingenden Grund sich auf den Bundesgenossen warf, um ihn auszuplündern und zu erwürgen; 1928 Handb. d. Frankreichkunde I 162 diabolischen Blasphemien; Friedeil 1928 Kulturgesch. II 43 dies ist eine ebenso monumentale Blasphemie wie der Christus Michelangelos, der als Apoll und Herakles in der Wolke thront; Hauptmann 1931 Spitzhacke 102 Das ist nichts weiter als Blasphemie. Dieser sogenannte Engel ist wahrscheinlich nicht mehr als ein verkapptes und verkleidetes Tier; Th. Mann 1948 Reden u. Aufs. (W. X 372) als ob er alle Natur-Erforschung . . für Blasphemie, Vermessenheit und Sünde hielte; Bamm 1956 Ex ovo 64 Auch in Europa waren jahrhundertelang die Krankheiten nichts anderes als Strafen Gottes für die Sünden der Menschen. Welche Blasphemie, die Strafen Gottes durch intravenöse Injektionen aus der Welt schaffen zu wollen! Und wie erfolgreich ist diese Blasphemie geworden!; Welt 12. 11. 1969 die Visionen des spanischen Genius in allen Jahrhunderten, blutig, hart und aufsässig, ein überlateinischer Katholizismus gerade ob seiner

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Blasphemien — Goya in Worte gesetzt, Herausforderung aller Gewalten und Höllen, Poesie mit Peitsche und Knüppel; Zeit 12. 4. 1985 Und wenn sich das Kalvarienberg-Bild mit den drei Kreuzen erweist als der raffiniert erzeugte Dreifach-Schatten eines einzigen Kreuzes, an dem statt des Heilands die (fast) nackte Helena hängt, weiß man längst, daß hier weder Blasphemie noch Pornographie an der (Des-)Illusionierung mitgeholfen haben; MM 21. 7. 1986 So ist Hermann Nitschs blutiges Meßgewand auf den ersten Blick nur eine blasphemische Provokation. Aber wäre die Blasphemie überhaupt möglich ohne die Voraussetzung des Heiligen? Erinnert nicht das Tierblut auf dem sakralen Brokat auch an uralte religiöse Riten von Schlachtopfern, vielleicht sogar an Kannibalismus und die Idee des „Gottessens"?; ebd. 21. 11. 1986 vor 150 Jahren war es Bayern, das dem Strafrecht liberale, laizistische Impulse gab, nachdem die Blasphemie und ihre Strafdrohungen erst 1794 vom preußischen allgemeinen Landrecht eingeschränkt worden waren; Spiegel 29. 8. 1994 Ihre sportlichen Auftritte „mit nackten Beinen vor Tausenden von Männern" sind in den Augen der Strenggläubigen ein Akt der Blasphemie. Blasphem: Wildgans 1917 Mittag 72 Und dennoch wissen — höhnisches Blasphem! — Daß keines Himmels Macht und Anathem/ Austilgen kann, was durch der Wollust Tür/ Sich etwa einschlich, wachsend zum Geschwür. blasphemieren: Wolff vor 1468 Beichtbüchlein 11 Und bij synem namen [Gottes] mit murmeln blasphemern geloben . . Blasphemern daz ist lestern als wo der mentsche got hette etwas zu geleyt das yme nit zu zu legen were; 15. ]h. Schauspiele d. Mittelalters (Mone II 279) Blasphemirt er hat gespot und hie gelestert den waren got; 1514 Heidelb. Passionsspiel LV 28 Ich sagenn das an allenn spott Diesser mensch blaßphamirett gott; 1569 Theatrum diabolorum 135r Es solte billich auch solche Lesterer/ . . Blasphemirer/ die Oberkeit straffen; Rot 1571 Diet. 292 Blasphemirn, schelten/ lestern/ vbelreden/ fluchen/ schmehen; um 1638 Teutscher Michel 205 Was ist .. blasphemieren, was buccinieren? Was balsamieren, blandieren?; 1667 Samml. wirzb. Landesverordn. 267a durch Fluchen, Vermaledeyen . . seine heilige . . blasphemirte Wunden zum Schröcken [der Menschen]; Chilemont 1702 Kriegs- u. Staatsrat 1181 also dieselben gleichwohl zu vollziehen nicht besser ist/ als/ Regiersucht und Geitz halber/ blasphemiren/ meineydig werden/ ehebrechen/ huren/ morden und rauben; Lebrün 1825 Vielliebchen (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele V 88) blasphemiren; Räder 1867 Robert u. Bertram 38 O blasphemierte

Gerechtigkeitsvollstreckungsmaschine! Gewerbe? Schäme dich des Ausdrucks; Nordau 1881 Kreml 52 Als es zu Anfang dieses Jahrhunderts üblich war, fortwährend Flüche und Blasphemieen im Munde zu führen, fluchte und blasphemierte die Aristokratie; Gombert 1889 Progr. XVII 18 blasphemieren. Blasphemant: Hederich 1743 Antiqu.-Lex. 484 Plasphemantes; Laukhard 1792 Leben I 172 Anm. Oder warum verbrannte man nicht auch den Luther, als Blasphemanten, da er die Messe einen Drachenschwang nannte; Rutenberg 1877 Zinne 39 Bei einem der renommiertesten Sach-Masoch'schen Machwerke, bei der „Venus im Pelz" ist es dagegen . . leicht, unter der falschen Schminke des Verfassers den Blasphemanten zu erkennen. Blasphemist: Raabe 1855 S. W. I 1,140 Mit diesen Worten wendet sich der Blasphemist vollends hervor, schiebt sich ganz sachte zwischen seine Mutter und Elise; ders. 1865 S.W.I 6,323 und sterben nach der Blasphemisten Art; ebd. 6,403 und faßte den Blasphemisten am Kragen. blasphemisch: Wieland 1754 Ges. Sehr, l 4,123 Was für eine Cloack ist doch die Seele dieses Menschen! Stimmt es nun nicht mit allen diesen herrlichen Tugenden, welche den Neologisten zieren, sehr wohl überein, daß er auch an Gottlosogkeit, Schriftspötterei und blasphemischer Frechheit auch nicht einmal dem berühmten Herrn Edelmann nachgiebt; Hamann 1755 Briefw. I 115 soll gestört seyn [und] seine wunderl. selbst bisweilen blasphemische Grillen nicht an sich halten können in seinen bösen Stunden; Seume 1806 Sommer (W.I 657) Man hat die himmlische Vernunft Blasphemisch in den Kot getreten; Steffens 1844 Was ich erlebte IX 55 Die Gegner fanden es fast blasphemisch, daß sie eine religiöse Wendung nahm; Fontäne 1860 Jenseits (Ges. W. II 4,320) geht ein blasphemischer Zug durch diese ganze Art von schaustellerischem Christentum; Meissner 1866 Schwarzgelb 157 Der Gegenstand ihrer lebendigsten Verehrung, der heilige Johannes, war das Opfer eines blasphemischen Hohnes geworden! Er hatte nämlich einen alten, brüchigen Cylinderhut, bis tief in die Augen gedrückt, auf dem Haupte; Nordau 1881 Paris U 119 Dudelnde Gassenjungen, Drehorgeln und die bekannten Liebhaber-Orchester, die man hier blasphemisch „Orpheon" nennt, hatten ihren Melodienschatz ausschließlich aus der berühmten Operette bezogen; Werfet 1928 Abituriententag 112 Dies würde ich niemals erreichen. Jeder Wettkampf wäre blasphemisch .. seine Überlegenheit . . ertrug ich nicht; Gebauer 1932 Kulturgesch. 476 Häckel stand in scharfem Gegensatz zur

blessieren Religion und zum positiven Christentum und schreckte auch vor blasphemischen Wendungen nicht zurück; Brach 1933 Größe X 58 [Kissenbezug mit der Aufschrift INRI und dem Spruch „Wo Liebe wohnt, ist Gottes Segen"] Ein blasphemischer Zweck und eine scheußliche Ausführung; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 691) Der Hof würde unruhig. Es wäre gegen die Pietät und entschieden blasphemisch; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. X 776) In der skurrilen Traumsymbolik des Romans . . mit . . einem unerschöpflicheren Reichtum an fromm-blasphemischer Psychologie; Böll 1963 Clown 125 Marie wurde blaß, als ich das sagte, gab zu, daß ihr die Vorstellung eines Christus mit Feierabend blasphemisch vorkomme, er habe gefeiert, aber wohl nie Feierabend gehabt; Welt 30.4. 1974 Die Heilige Synode der griechisch-orthodoxen Kirche hat das Verbot des Filmes „Jesus Christ Superstar" gefordert, der vor kurzem in Athen angelaufen ist. Der Film wird als blasphemisch bezeichnet; MM 26. 9. 1986 daß . . Henri Le Bret eifrig um eine purgierte Fassung der Weltraumtouristik [Cyrano de Bergeracs] bemüht war und die frivolen und blasphemischen Stellen milderte; ebd. 27. 2. 1987 das von Achternbusch selbst ausgedachte Bühnenbild mit seinen blasphemischen Monstermonument aus Anspielungen zugleich auf Altar und Kothaufen; Zeit 3.4.1987

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Seine Filme . . sind raffinierte Racheakte am Religiösen, blasphemische Kameraorgien, in denen die unbefleckte Schönheit der Bilder mit Wollust zum Teufel gejagt wird; Spiegel 14. 11. 1994 Er wußte sehr wohl, was er an moralisch Anstößigem und Blasphemischem dem Publikum seiner Zeit zumuten konnte. blasphem: Sintenis 1799 Dialogen II 209 Das ist blasphem, was er da spricht; 1772 Frankf. gel. Anz. 490 Die Stelle vom Vorbilde des Propagationssystems . . ist blasphemer Unsinn. blasphematisch: Gombert 1889 Grosstrelitz XVIII 784 daß uns unsere blasphematische Zunge abgeschnitten werden soll; ders. 1889 Progr. XVII 18 blasphematisch. blasphematorisch: Heine 1850 Er. III 216 wie gegen die Menschen, will ich auch gegen Gott ehrlich verfahren und Alles, was aus der frühern blasphematorischen Periode noch vorhanden war. blasphemistisch: Bauer 1836 Überschuß. II 122 blasphemistische; Heyse 1869 Ges. W. II 4,139 und daher wollte man auch in München . . von Jan van Kuylens oft etwas blasphemistischen Spaßen nicht viel wissen. IN

blessieren V. trans., im früheren 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. blesser (< altfrz. bieder, ungeklärter, eventuell german. Herkunft), anfangs auch in Schreibungen wie plessieren. In der militärspr. Bed. 'jmdn. (im Krieg, Kampf, Duell) verwunden, verletzen; jmdm. eine Wunde zufügen', meist auf Soldaten, seltener auf verletzte Tiere (z. B. im Krieg verwundete Pferde, Jagdwild; s. Belege 1748, 1822) bezogen; von daher zunehmend auf Bereiche und Gegenstände des Alltags ausgedehnt (s. Belege 1719, 1817), auch auf Gefühle übertragen im Sinne von 'seelisch verletzen; in der Ehre, im Ansehen treffen; beleidigen' (s. Beleg 1835), heute veraltet und nur vereinzelt archaisierend oder leicht ironisch verwendet in bezug auf Personen(-gruppen), Sachen oder Sachverhalte für '(leicht) verletzen, lädieren; anschlagen, beschädigen' (s. Beleg 1990). Überwiegend adj. verwendet in der seit Ende 17. Jh. bezeugten Part. Perf.-Form blessiert, bis ins 20. Jh. gelegentlich noch im militärischen Kontext für '(im Krieg) verletzt, verwundet', erst in jüngster Zeit allgemeiner und übertragen gebraucht im Sinne von '(seelisch, moralisch) lädiert, angeschlagen', z. B. in Wendungen wie gefährlich, tödlich, leicht blessiert, und Zss. wie schwerblessiert. Dazu seit spätem 17. Jh. das meist plur. verwendete Subst. Blessierter M. (Blessierten; Blessierten), anfangs meist auf Soldaten bezogen für '(in der Schlacht, im Kampf, Krieg, seltener bei einem Duell oder Handgemenge) Verwundeter, Kriegsverletzter, -verwundeter', z. B. in Zss. wie Blessiertenträger, -wagen und Blessiertendienst 'Sanitätsdienst', bis ins 20. Jh. in (para-) militärischen Kontexten und zunehmend auch allgemeiner im Sinne von '(Gewalt-)Opfer' (s. Belege 1962, 1985), von daher in übertragener Ver-

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wendung für 'jmd., der psychisch angeschlagen, belastet, betroffen ist' (s. Beleg 1987) und bes. 'jmd., der politische Ansehensverluste erleidet, hinnehmen muß' (s. Belege 1985, 1986); in neuerer Zeit die Gelegenheitsableitung Blessiertheit F. (-; -en) 'Verletzung'. blessieren: Friederich 1636 Clytie U 218 blessirt und verwundet (JONES); Birken 1669 Ulysses 180 wodurch Er am rechten Arm . . blessirt wurde (BRUNT); um 1670 Gepflückte Finken 129 [im Duell] durch den Arm blessiret; Weise 1675 Leute 105 Am Rheine haben zween Cavalliere Kugeln gewechselt ohne daß ein einiger [sie] blessuret worde; Krämer 1681 Leben d. Seehelden 996 auf feindlicher Seite aber bey die 60. erlegt, viel blessirt und wol 70. gefangen worden; Luther 1683 Belagerung Wien 17 tödtlich . . blessiret; Beer 1683 Sommer-Tage 193 Daß/ wann noch welcher unter den Geschlagenen vorhanden/ der zwar plessiert/ aber dennoch getrauete/ heil und gesund zu werden; 1683 Polit. Grillenfänger 129 aber mich [Duellant] hat leider! das gröste Unglück betroffen/ indem ich nicht durch eine blitzende Kugel/ sondern aus Unvorsichtigkeit meines muthigen Pferdes/ so in Kopff verwundet/ gefährlich blessiret worden; 1688 Braunschw. Schulordn. U 247 da aber ein oder ander von ihnen blessiret, verwundet oder gar umbs leben gebracht würde; Reuter 1696 Schelmuffsky 51 welche .. tödtlich plessiret waren (BRUNT); Elis. Charl. 1701 Er. l 256 Mein dochter hatt sich bleßirt, weillen sie mitt ihrem herren gespilt, so ihr die arm vertrehet; dies. 1702 Br. I 306 Melac ist gar nicht blessirt worden; er ist ein braver undt gutter soldat, aber greußlich cruel; Friedrich I. 1709 Br. 173 noch dahrzu sehr blessieret am schenckel; Menantes 1709 Satir. Roman l 138 an der rechten Hand leicht blessiert; Callenbach 1714 Genealogie 86 der Herr sieht meinen miserablen Stand, ich bin bey Ramely blessirt; 1719 Abentheuerl. Welt VI 6 Die Gold-Pistohle hat schon manche Treu blessirt; Durangel 1722 Wegweiser 43 wird einer vom Feinde blessirt oder todt geschossen; Wagner 1724 Soldatenbibl. 329 Es ist auch für das gemeine Wesen nützlich/ daß solche Häuser gestifftet werden/ weil sonst daraus viel Schaden entstehen und die abgedanckten oder blessurten Soldaten vielmals Busch-Klöpper und Schnaphahnen werden; Dominicus 1763 Tagebuch 21 [wir marschierten] ins Lager, wo die Wagen mit den Blesirten vorbeyzogen, welche bey Culin blesirt waren; ßretzner 1787 Leben U 210 f. eine lange Liste von Grafen, Rittern und Herren . . die er theils in die andre Welt geschickt, theils aus dem Sattel gehoben, blessirt und desarmiert hatte; Blücher 1813 Br. 166 Nachdem den von Zieten seine Adjutanten tot oder blessiert wurden, wünschte genannter General, Bonin zur Dienstleistung als Ad-

jutant bei sich zu behalten; Goethe 1817 SanktRochus-Fest (HA X 407) Am sechzehnten August . . während so viele den heiligen Rochus feierten, brannte ihm das Haus ab. Ein anderes Jahr am selbigen Tage wurde sein Sohn blessiert; ders. 1822 Campagne (HA X 284) Dem Freunde war das Pferd blessiert, durch dieselbe Kugel sein Stiefel gestreift; Aurbacher 1835 Volksbüchlein 1173 Ich bin blessirt und hab kein Wund; Bild 7. 2. 1967 Wolfgang Müller wollte mit seinem Telegramm zum Ausdruck bringen, daß sein Mann, Karl Mildenberger, blessiert sei .. Das blaue Auge Karl Mildenbergers, die einzige Begründung dafür, daß er seine Amerika-Reise absagte, hat wirklich genug Wirbel ausgelöst; Wochenpost 23. 2. 1990 Unsere Kulturszene — so heterogen und zerklüftet sie ist, so viele Eingriffe sie blessierten, so viele Opfer sie ausdünnten — schuf Bleibendes für die Nation. blessiert: Abr. a S. Clara 1689 Judas U 56 f. (Wunderkur 270) daß er [Prediger] das nechste mahl Himmelblaue Augen/ vnd ein blessirte Nasen darvon tragen [hat]; Selhamer 1699 Tuba l 300 wie hart blessirte Soldaten; 1711 Fama XI 784 plessirten Soldaten; Berckenmeyer 1712 Antiquarius 510 Man hat in allen Gassen und Häusern todte und blessirte Menschen gefunden; Schnabel 1731 Felsenburg I 40 sonderlich wird mir die Affaire wegen des blessirten Adjutanten und der erschossenen Hottentotten ganz gewiß Verdruß machen; Trenck 1748 Leben 9 Da ich also der bleßirten Ente nachfuhr, und die Gefahr, in der ich war, vergasse, stiesse mich eine Eyß-Scholl auf eine andere; Bloem 1910 Sommerlt. 97 die berühmte Szene, wie Kronprinz Friedrich Wilhelm nach der Schlacht die Verwundeten des Regiments im Feldlazarett besucht und dem schwerblessierten Regimentskommandeur persönlich das Eiserne Kreuz erster Klasse überreicht; Grass 1962 Blechtrommel 182 der Doktor .. gab dem älteren blessierten Herrn den Befehl, im Namen Polens Ruhe zu bewahren. Der zweite Verwundete lag schwer atmend auf einem Strohsack und zeigte kein Verlangen mehr nach den Sandsäcken; Welt 19. 6. 1974 Zum Schluß der Kettenreaktion steht Teures auf der Rechnung: Mercedes 600 lädiert, Konsul blessiert, wichtiger Termin geplatzt, zweihundert Mille Gewinn verpatzt; Zeit 28. 6. 1985 Die blessierten Deutschen haben an Überzeugungs- und Durchsetzungskraft verloren.

Blessur Blessierter: 1677 Friedrich Wilhelm (UAS XVIII 35) der Tbdten und Blessirten vom Feinde sind . . über 40 gewesen; 1690 D. Verunruhigte Teutschland 111 4 Es wurden des Nachts 6. Todte gezehlet/ und noch einmal so viel Blessirte (beide BRUNT); Dominicas 1763 Tagebuch 21 [wir marschierten] ins Lager, wo die Wagen mit den Blesirten vorbeyzogen; Nicolai 1790 Anekdoten I 336 Ich weiß, wie große Summen dieser König mit Freuden hergab, um seine Kranken und Blessirten gut besorgt zu sehen; Dreyer 1810 Leben 16 Die Schlacht begann, der Kanonen-Donner übertönte das Röcheln der Sterbenden, und das Gewimmer der Blessirten; Goethe 1822 Belagerung v. Mainz (HA X 368) An Toten und Blessierten ließen sie 30 Mann zurück, was sie mit sich geschleppt, ist unbekannt. Der Verlust der Preußen an Toten und Blessierten mag 90 Mann sein; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 126 Angriff und Verteidigung war das Werk weniger Secunden gewesen; heulend und winselnd suchten die drei Blessirten das Weite; Hohenlohe-Ingelfingen 1864 — 70 Leben 111 33 Somit wichen die Wagen soweit als möglich im Dunkeln rechts aus und fuhren mit den rechten Rädern halb im Graben, zu noch größerer Pein und Qual der Blessierten; Mammon 1887 Tagebuch e. Feldgeistlichen 5 vorzüglichen Organisation des Blessirten- und Sanitätsdienstes; Derblich 1889 Militärarzt l 125 Blessirten wagen; Heyse 1892 Dorfromantik (Ges. W. 111 2,576) als Träger oder Pfleger der Blessierten [im Krieg 1870/71] dem Heere zu folgen; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 534) Unsere Stadt . . war ständig von Truppen verschiedener Völker, durch-

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ziehenden und eingelagerten, bedrückt. Vom eingeschlossenen Erfurt her strömten die Blessierten, Verstümmelten, an Ruhr und Nervenfieber Erkrankten in unsere Lazarette; Grass 1962 Blechtrommel 182 Man brachte den Verwundeten in jenen fensterlosen und deshalb sicheren Lagerraum für Briefsendungen . . Auch glaubte man, da es an Matratzen mangelte, in den Briefkörben zwar zu kurze, aber immerhin weiche Unterlagen für die Blessierten zu finden; Zeit 25. 10. 1985 Jeder Drehbuchautor . . von einiger Intelligenz hätte schon aus dramaturgischen Gründen . . sich noch ein paar Filmminuten Zeit genommen, den Blessierten dieser Straßenschlacht wenigstens bis in die Krankenhäuser zu folgen; MM 4. 6. 1986 Er hat Freund und Feind mit dem Beweis von Handlungsfähigkeit verblüfft. Diese Kanzlerentscheidung ist zudem erstaunlich reibungslos über die Bühne gegangen, obwohl sie einen schwer Blessierten im CSU-Lager zurückläßt. Kohl dürfte damit Boden gut gemacht haben; Zeit 20. 3. 1987 Lisa liegt in der Etora-Pyramide und schluchzt zum Gotterbarmen über den Tod ihrer 20jährigen Tochter, Marlies weint in der Gruppe wegen der unmenschlichen Zustände in Krebskliniken. Nicht wenige solcher Blessierten hoffen sogar über spiritistische Seancen den Kontakt zu ihren verlorenen Lieben wiederherzustellen. Blessiertheit: Schulz 1962 Wir 544 Da er während seiner vielen Blessiertheiten den Feldschern einiges abgesehen hatte, ernannte er sich, Kurpfuscher in höchsteigener Person, zum Chirurgen. IN

Blessur F. (-; -en), Mitte 17. Jh. als soldatenspr. Ausdruck im Gefolge des 30jährigen Krieges entlehnt aus gleichbed. frz. blessure (zu blesser, —> blessieren), anfangs in frz. beeinflußten Schreibungen wie Blesseure, Blessure, eingedeutscht Blessure. In der Bed. 'Wunde, Verwundung, die sich jmd. im Krieg, in der Schlacht, in einem Kampf, Duell zuzieht; Kriegsverletzung', meist eher mit „leicht, weniger gravierend (verletzt)" konnotiert, dann auch auf nichtmilitärische Bereiche ausgedehnt und allgemeiner für 'physisches, körperliches Angeschlagensein, Beeinträchtigung, Krankheit' (s. Belege 1966, 1985, 1987, 1995), auf Sachen bezogen auch 'Beschädigung' (s. Belege 1985, 1995), heute überwiegend in der auf abstrakte Gegenstände, Gefühle, Sachverhalte o. ä. übertragenen Bed. 'psychische, seelische Verletzung, Verwundung, Kränkung', und vor allem, gelegentlich noch assoziativ an den militärischen oder medizinischen Kontext anknüpfend, im politischen Bereich meist plur. gebraucht für '(leichte) (Ansehens-, Ehr-, Prestige-, Karriere-) Einbußen, (politische, persönliche, finanzielle, materielle o. ä.) Verluste, Rückschläge' (s. Belege 1970, 1985, 1986), z. B. in konkret, häufiger übertragen gebrauchten Wendungen wie (nicht) ohne (größere) Blessuren davonkommen, Blessuren erhalten, davontragen.

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Chemnitz 1648 Krieg I 403b welcher an der blesseure . . Todes verfahren; 1678 Diarium 10 eine gefährliche blessüre forn am Hirnscheitel (beide BRUNT); 1700 Graf Ehrenfried 88 Allein, ist auch der Herr Fendrich ohne blessuren immer davon gekommen?; Trier 1708 Gemütbs-Bewegungen 144 wenn . . die Frau oder die Liebste . . ihn wohl gar mit Thränen gebeten hat, er solle .. ihren lieben Mann und den Kindern ihren Vater gesund, und auch ohne gefährliche Blessuren wieder ins Quartier zurück bringen; 1714 (1902 Berl. geschr. Zig«. 238) maßen er bey seiner Frauen . . einen Galant gefunden, welchem er . . 2 tödliche Blessuren gegeben; Wagner 1724 Soldatenbibl. 9 Alte versuchte Soldaten zieht man vor und ehret sie/ ob sie gleich grau worden/ und viele Blesuren an sich haben; Fleming 1726 Soldat 100 wenn er mit vielen Marschen und Wachen defatigiret wird, wenn er bey denen vom Feinde in dem Treffen bekommenen Blessuren grosse Schmerzen ausstehen muß, und mit mancher ändern Widerwärtigkeit gequählet wird; Trenck 1745 Leben 12 Ich hatte noch zwey kleine Scharmützel in diesem Jahr, die aber ohne Blessur ablieffen; Geliert 1763 Br. (S. Sehr. IX 340) Endlich bin ich, ungeachtet aller meiner Blessuren, noch gesund . . Als ich nach der Affaire bey Görlitz, tödtlich blessiret nach Böhmen gebracht wurde; Schummel 1773 Duell 39 Er hat Blessuren [vom Feind], deren sich der tapferste Kriegsmann nicht schämen dürfte; Hufeland 1797 Kunst 172 wohnte 17 Hauptbataillen bey . . wo er unzähligemal dem Tode trotzte und viele Blessuren erhielt; Blücher 1813 Br. 123 Ich glaube, der . . Leutnant Hörn, verdient eine Beförderung vorzüglich, da er sich so ausgezeichnet hat und schwere Blessuren eingeerntet; Holtet 1860 Eselsfresser l 112 Es gab Tage . . wo er Nichts inniger wünschte, als eine hübsche Blessur am linken Beine und das beneidenswerthe Vorrecht, an der Krücke zu hinken; Alfieri 1924 Leben (Übers.) 157 Jene gerade nicht rühmliche Blessur verbitterte mir sehr den gewaltig langen Weg von Cadix nach Turin . . Aber dank meiner Körperkraft, Hartnäckigkeit und Geduld kam ich bald .. in Perpignan an; Winnig 1939 Maurergesell 24 Blessur [leichte Verletzung]; Grass 1962 Blechtrommel 192 Vor dem Lagerraum und Notlazarett fing uns Doktor Michon . . mit dem Beauftragten aus Warschau, einem gewissen Konrad ab. Sofort setzte in allen Spielarten, schwerste Blessuren vortäuschend, Jan Bronskis Angst ein; Welt 24. 1. 1966 In vielen Betrieben fehlt an jedem

Winter-Montag ein „nennenswerter Prozentsatz" der Belegschaft, berichtete der Professor. Als Grund für die Ausfälle gab er an: Beinbrüche, Erkältungen, Blessuren — oder einfach Übermüdung; 1970 General-Anz. Nr. 24 der trickreiche Präsident [Nixon], der mit allen Mitteln versucht, möglichst ohne Blessuren seine Hand aus dem Wespennest zu ziehen, in das er mit so verblüffender Entschlossenheit hineingegriffen hat? Erst die nächsten Monate werden zeigen, ob Nixon die . . erste große Krise seiner Präsidentenzeit halbwegs ungeschoren überstehen wird; Zeit 15.3. 1985 In Einkaufszentren und Verkehrsdichten Zonen eröffnete Humana eine Kette von Sofort-Ambulatorien, in denen kleine Blessuren rund um die Uhr repariert werden; ebd. 5.4. 1985 Ohne Blessuren am hehren Selbstverständnis von weiblicher Politik ging das nicht ab; ebd. 30. 8.1985 Als „Partei-Soldat" ließ er sich in die Pflicht nehmen. Der dünnhäutige Apel, der sich gern hinter markigen Sprüchen versteckte, trug Blessuren davon; ebd. Im Dienst der kranken Kunst (Überschr.) Sein ganzer Körper ist mit Wunden und Schrammen übersät. Blessuren, die ihm nicht nur die Zeit zugefügt hat. Die mittelalterliche Holzfigur hat vor allem unter den Rettungsversuchen zu leiden, die im Laufe von Jahrhunderten ungeübte Kräfte an ihr unternommen haben; ebd. 11.4. 1986 Ihre Karriere ließ sich vielversprechend an, aber der Weg war dornenvoll. Sie holten sich manche Blessuren, bisweilen wollten Sie verzagen, aber Ihr Aufstieg war unaufhaltsam, die Parteispitze wurde auf Sie aufmerksam; ebd. 17. 10. 1986 Die Auflösung dieses Rätsels erklärt, weshalb Franz Josef Strauß nur Blessuren erlitt, Johannes Rau aber demoralisiert wurde; MM 1. 9. 1987 Wenn Kinder verunglücken (Überschr.) Die körperlichen Blessuren ihres Kindes infolge des Unfalles schienen doch schwerwiegender; ebd. 21. 11. 1987 Alle erhoben sich erleichtert, waren sie doch ohne Blessuren davongekommen. Wieder einmal hatten Theaterleute und Publikum das beglückende Bild einer gemeinsamen Bootspartie geboten; Spiegel 16.1. 1995 in der Tat krabbelten die meisten Unfallopfer wie abgestürzte Trapezartisten ohne Blessur aus den Maschen [des Sicherheitsnetzes]; ebd. 30. 1. 1995 Um seinen festen Stand zu sichern, überwuchert der Baum die kritischen Stellen mit „Wund-Holz" .. Die Wundheilung dauert so lange an, bis die durch Baum-Blessuren entstandenen Kerbspannungen vollständig abgebaut sind. IN

Blockade F. (-; -n), Mitte 17. Jh. eventuell unter Einwirkung von gleichbed. ital. bloccata (subst. Part. Perf. von bloccare < frz. bloquer, —>· blockieren) aufgekommene französisierende Bildung zu —> blockieren (analog zu anderen Subst. auf -ade

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wie Kanonade, Bastonade, Eskapade, Parade, Fassade, Palisade, Barrikade; vgl. auch engl. blockade), anfangs und bis ins späte 18. Jh. daneben in Schreibungen wie Plocquata, Ploquada, Bloquada, Blo(c)quade und bis ins 19. Jh. auch Blocade, Blokade. 1 Zunächst im Bereich des Befestigungswesens in der Bed. 'militärische Ein-, Absperrung, Einschließung, -kreisung, -kesselung, (kurzfristige) Belagerung einer Festung', seit spätem 17. Jh. vereinzelt, seit Mitte 19. Jh. dann zunehmend als kriegsund völkerrechtlicher Begriff weiterentwickelt und auf Terraingewinnungen in der Seekriegsführung ausgedehnt, bes. im Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen und im Zuge des Ersten Weltkrieges für 'Absperrung von Häfen, Flußmündungen, Bildung einer Sperrzone vor Küsten oder Inseln durch Kriegsschiffe zur Verhinderung der Ein- und Ausfahrt von Schiffen, um den Gegner wirtschaftlich zu schwächen' (s. Belege 1677, 1898, 1899, 1923, 1962), von daher allgemeiner in bezug auf außen- und handelspolitische Druckmittel auch in der nichtmilitärischen, „kalten" Kriegsführung zwischen Staaten, bes. im Zweiten Weltkrieg und danach innerhalb der Ost-West-Auseinandersetzung schlagwortartig für 'politische, diplomatische und wirtschaftliche Abkapselung, Isolierung eines Landes durch Einschränkung der Einund Ausfuhr, des freien Austauschs von Waren, insbes. der Lebensmittel-, Medikamentenzufuhr u. ä., Kontrolle der Verkehrs-, Transport- und Handelswege u. ä.' (—» Embargo, —> Quarantäne, —» Boykott, —* Sanktion, —» Schikane; s. Belege 1847, 1931, 1940, 1941, 1942, 1944, 1949, 1950, 1962, 1977); in festen Verbindungen wie feindliche Blockade (s. Belege 1899, 1942), und vor allem zur Bezeichnung historischer Ereignisse wie englische Blockade (s. Beleg 1919—20), amerikanische Blockade (s. Beleg 1962), und bes. Berliner Blockade, Berlin-Blockade (1948/49), schlagwortartig für die wirtschaftliche und politische Einkesselung Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg (s. Belege 1949, 1962), auch in Wendungen wie eine Blockade (gegen jmdn.) errichten, verhängen, aufheben, brechen, und zahlreichen Zss. wie Hunger-, Gegen-, Luft-, Teil-, Kriegs-, See-, Wirtschaftsblockade; Blockadefestung, -linie, -flotte, -krieg, -politik, -ring, -maßnähme, Blockadebrecher 'ein Schiff, eine (Militär-)Macht, die eine Blockade bricht'; blockadefest, -sicher 'gewappnet, unempfindlich gegenüber wirtschaftlicher Isolierung' (—> autark, —» autonom). 2 Von daher seit der 2. Hälfte des 19. Jhs. im Sinne einer konkreten oder bildlichen Platzbesetzung oder -sperre: a Speziell (1871 bei Sanders) bis heute gebucht als satztechnischer Terminus im Buchdruck für 'Einsetzung umgekehrter Lettern in den Drucksatz zur Markierung von Korrekturstellen', auch zur Bezeichnung der so blockierten Stelle. b In neuerer Zeit vereinzelt bildlich in der (an die militärspr. Metaphorik angelehnten) Sportsprache im Sinne von 'das Fest-, Besetzthalten, alleinige Einnahme, Vereinnahmung (eines Titels), Sperrung für andere' (s. Beleg 1967; vgl. häufigeres —» blokkieren 2b). c Seit den 60er/70er Jahren und verstärkt in jüngster Zeit vor allem (wiederum an die militärisch-politischen Verwendungen anknüpfend) schlagwortartig für 'das Besetzen der Zugänge von öffentlichen Gebäuden, speziell der Zufahrtswege von staatlichen, militärischen und industriellen Einrichtungen durch Sitzstreiks, Aufmärsche, Versammlungen, durch Lahmlegung des Verkehrs an Grenzübergängen, Behinderung der freien Durchfahrt von Fahrzeugen u. ä. als (meist gewaltfreie) Form des Widerstands (von „unten") gegen etwas, politisches Druckmittel zur Erzwingung

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von Aufmerksamkeit für etwas' (vgl. Sit in, —> Barrikade, —* Streik, —* Aktion, —» Demonstration), z. B. in Wendungen wie eine Blockade/Blockaden bilden, gewaltfreie, -tätige, friedliche Blockade, und in Zss. wie Blockadeaktion; Sitz-, Straßenblockade. 3 Seit früherem 20. Jh. gebucht als Fachausdruck der Technik in der spezifischen Bed. 'Feststellung, Verriegelung, Sperrung' und bes. 'Sicherung der Weichen oder Signale in einem Streckenabschnitt, solange sich ein Zug darauf befindet, um zu verhindern, daß der folgende Zug einfahren kann', verdrängt durch Blockierung (—» blockieren 3). 4 In neuerer Zeit im konkreten Sinne von 'Unterbrechung, (vorübergehender) Stillstand; Funktionsstörung, Ausfall, Hemmung', vor allem in Verwendungszusammenhängen der Medizin, Biochemie, Pharmazie und Psychologie: a In der Bed. '(zeitweilige) Hemmung, Unterbindung, Unterdrückung, Lahmlegung, Beeinträchtigung, Ausfall', von physiologischen Funktionen im Körper, der Produktion körpereigener Stoffe (durch pathogene Prozesse, Medikamente u. ä.), auch Organisch bedingte Unterbrechung der Zufuhr, Stockung, Stauung in der freien Passage', z. B. von Körperflüssigkeiten, Blut in den Zellen, Blutbahnen und Nervenleitungen, Atem-, Harnwegen. b Daneben eher bildlich und speziell im Grenzbereich zwischen Medizin und Psychologie für 'psychosomatische, innere Blockierung, Lähmung, Störung; Hemmung psychischer Vorgänge, Empfindungen, Verdrängungsprozeß; innere Verweigerung'. 5 Ende 19. Jh. vereinzelt, seit früherem 20. Jh. kontinuierlich nachgewiesen in bildlicher Übertragung, vor allem bezogen auf Mittel der innenpolitischen Auseinandersetzung und Druckausübung im gesellschaftlichen, geistig-kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Bereich für 'behördlich-staatlicher Einspruch, Verhinderung, Verweigerung, Abwiegelung, Hemmung, Verbot einer Sache (von „oben")' (—» Veto, —* Intervention), z. B. bezogen auf die Durchführung und Durchsetzung von Ideen, Plänen, Reformen, Maßnahmen, Interessen u. ä., speziell auch im Sinne von 'öffentlich bekundete oder verordnete (moralische, geistige, inhaltliche) Ablehnung, Mißachtung, Ächtung gegenüber etwas oder jmdm.', z. B. in bezug auf fortschrittliche Bestrebungen, Bewegungen, Tendenzen, Kunstwerke oder exponierte Persönlichkeiten, Personengruppen, Parteien o. ä. (—» Boykott); auch 'Unterbrechung, Abbruch, (vorübergehender) Stillstand von (geistigen o. ä.) Entwicklungen, Prozessen'. Blockade 1: 1641 Continuation (Schöne, Ztg. 156) die Frantzösische Plocquata (JONES); 1642 (ZG Oberrhein LXXXI 431) die würckliche plocquada mehrermelten Vestung Breisach auch vornemmen lassen; Chemnitz 1648 Schwed. Krieg l 189b Zu Belagerung/ oder vielmehr blocqvade der Stadt vnd Festung Griephswalde; 1653 ebd. II 109 blocquade der Stadt Paderborn; Grimmeishausen 1669 Simpl. 444 folgende holte ich .. mein Pferd/ und was ich noch vor Geld und Cleinodien hatte/ und nachdem ich alle meine Sachen richtig/ und wegen Aufferziehung erstermeldten meines wilden Sohns Anstalt gemacht/ wurde angeregte Bloquade unversehens auffgehoben/ also daß wir auffbrachen/ und zu der Haupt-Armee marchiren mußten; Karl Ludwig 1676 Br. (BLVS 167,289) zu einer weitleuf-

figen bloquada (BRUNT); 1677 Verwahrlostes Formosa 158 es wäre doch eine blosse Bloquade auf so lange Monate gnug, das Volck zu consumiren (KLUGE, Seemannssprache); 1691 Pfalz 41a Bloquade [von Frankreich 1632]; Fleming 1726 Soldat 601 Wie eine Festung unverhofft zu überfallen und mit einer Blocade zu schliessen; Seegebart 1741 Tagebuch 18 die beyden Glogauschen evangelischen Prediger . . beim Kirchenvorstand Fahreisen, der sie 12 Wochen lang (denn so lange hatte die blocquade gedauert) bey sich unterhalten; Deidier 1762 Ingenieur (Übers.) 300 Hulfsmittel wider die Bloquade oder Einsperrung ist, viel Proviant und Munition in der Festung vorräthig zu halten; Pirscher 1777 Belagerungskunst 117 Einsperrungen oder Blockaden; Kuniaczo 1780 Beytrag 89 Bloquaden

Blockade der Gotteshäuser [im Krieg]; Matthisson 1806 Wörlitzer Bl. (VI 253) Meine Mutter war, mitten im wildesten Getümmel der französischen Blokade . . nach Berlin gerettet worden; Heyer 1815 Kriegsbaukunst l 143 Blokade, (blocus) oder Einschließung einer Festung, wird nur dann unternommen, wenn die Umstände keine förmliche Belagerung gestatten; Goethe 1822 Belagerung v. Mainz (HA X I ) unterhielt man sich über das Detail der Lage überhaupt, über Blockade und künftige Belagerung . , Nun wollt' ich auch die Mitte des Blockadehalbkreises kennen lernen, ritt auf die Schanze vor dem Chausseehaus, übersah die Lage der Stadt, die neue französische Schanze bei Zahlbach; Florencourt 1847 Zeitbilder II 267 Außer dem directen Kriege mit Pulver und Kanonen gibt es aber noch eine andere Art von Unterdrückung, einen indirecten Krieg .. den man dem Nahrungsstande des Landes macht, ein Krieg durch allerlei Chicanen, durch Zölle, die man um das feindliche Land legt, ein Blokade- und Aushungerungskrieg; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 211 Endlich wendete man auch damals schon . . die Blokade an, indem man den Platz einschloß, von allen Verbindungen abschnitt und auf diese Weise aushungerte und zur Übergabe zwang; Dahn 1875 Krieg 1870/71 (Generalstabswerk) II 1313 letzterer erachtete nur die Aufrechterhaltung der befohlenen Blokade, allenfalls auch eine Beschießung von Danzig oder Kolberg, für ausführbar; Werner 1898 Buch v. d. dtsch. Flotte 221 Im November benutzte letztere jedoch eine passende Gelegenheit, die Blockade zu brechen und ihrer Ordre gemäß im Biskayischen Meerbusen zu kreuzen (beide KLUGE, Seemannssprache); Röscher 1899 Handel (System Hl) 87 Statt dessen begnügt man sich lieber mit Handelssperren, Küstenblockaden, Eroberung vorliegender Inselchen und ähnlichen Hautverwundungen des Gegners; Stavenhagen 1910 Verkehrsmittel 118 Liegt den Kreuzern doch ob . . den eigenen Handel, die Kolonien und Kohlenstationen zu schützen und Blockadelinien zu brechen; 1915 Stimmen d. Zeit LXXXIX 239 Geschichtlicher Betrachtung erscheint diese Blockade Bismarcks . . als ein ironisches Vorspiel zum Berliner Kongreß . . denn aus der Blockade wurde durch Bühnenwandel eine Zentralstellung des Blockierten, wie sie kaum je einem Staatsmann gewährt war. Wie haben drei Jahre nach versuchter Einkreisung die Einkreiser den Eingekreisten umkreist! . . dem Einkreisungsversuch tut man fast zu viel Ehre an, wenn man ihn als „papierne Blockade" bezeichnet; 1919—20 Süddtsch. Monatsh. XVII 1,5 Der völkerrechtliche Begriff der Blockade, wie er aus der historischen Entwicklung . . herzuleiten ist, enthält das Recht einer Seemacht, bei Aufwendung genügender Machtmittel den Zugang zu den feindlichen oder

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vom Feinde besetzten Häfen und Küsten auch für neutrale Schiffe gänzlich zu sperren, und neutrale Schiffe, die die Blockade durchbrechen wollen, aufzubringen . . Das Wort „Blockade" wird in einem englischen offiziellen Schriftstück zum erstenmal im März 1915 gebraucht; ebd. 1,17 die verderbliche Folge der chronischen Unterernährung auf Grund der großen Nahrungsmittelnot, die in erster Linie die beabsichtigte Wirkung der Hungerblockade war; Dtsch. Rundsch. 10. 5. 1941 In Anerkennung dieser Verdienste hat der Führer für die Besatzungen dieser Schiffe das BlockadebrecherAbzeichen gestiftet; Münch. N. N. 27. 1.1942 Deutschland ist blockadefest geworden und alle Rohstoffe . . stehen ihm für die Kriegführung und die Steigerung seines Wirtschaftspotentials offen; Münch. Merkur 12. 1.1949 Am 200. Tag der Berliner Blockade durch die Sowjets kündigte der amerikanische Stadtkommandant . . den Einsatz einer neuen Transportmaschine . . an; ebd. 1.2.1949 bis ein Außenministerrat .. über das deutsche Problem als Ganzes beraten kann, würde die Sowjetunion keine Einwände mehr gegen die Aufhebung der Blockade Berlins erheben. Es sei jedoch notwendig, daß die von den drei Westmächten eingeleitete Gegenblockade gleichzeitig aufgehoben werde; ND 13.4. 1954 Allen ist bekannt, daß die amerikanische Regierung einen Wirtschaftskrieg gegen die Volksrepublik China führt, indem sie ein „Embargo" (Handelsverbot) verhängte und gegen China eine militärische Seeblokkade organisierte, um auf jede Art und Weise den Handel Chinas mit anderen Ländern zu behindern; Stuttgarter Ztg. 24. 10. 1962 Als Musterbeispiel für eine umfassende Blockade ist die sogenannte „Kontinentalsperre" Napoleons I. gegen England, die er am 21. November 1806 . . erließ, historisch geworden; Süddtsch. Ztg. 25.10. 1962 Blockade: ein völkerrechtlich umstrittenes Mittel, um Häfen und Küsten eines Landes oder ein Land überhaupt militärisch abzusperren und damit die Ein- und Ausfuhr der als Konterbande erklärten Waren zu verhindern; Welt 29. 2. 1964 Überlegungen, ob man durch eine See- und Luftblockade des kommunistischen „Freistaates" in Nordvietnam die Unterstützung der Partisanen von außen abschnüren könnte; FAZ 31. 1. 1966 Die von dem britischen Premierminister Wilson angekündigte Verschärfung der Sanktionen gegen Rhodesien ist am Sonntag nachmittag bekanntgegeben worden. Sie bestehen aus einer völligen Handels- und Kreditblokkade; Bild 8. 6. 1967 Das Ziel des südlichen israelischen Stoßkeils durch Sinai in Richtung Scharm el Scheich war, die arabische Blockade-Festung am Zugang zum Golf von Akaba zu brechen und den Weg ins Rote Meer frei zu machen; Zeit 2. 5. 1986 Wenn sie bis dahin weiter bei Mais, Soja und Hirse

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blockieren, schlagen wir zurück und verhängen über Europa eine Wurst- und Käseblockade und drohen mit weiteren Sanktionen; Rhein. Merkur 15.6.1990 Die versuchte Okkupation West-Berlins durch die Sowjetunion mißlang, weil die verhängte Blockade von den Amerikanern durch die Luftbrücke ihrer Wirkung beraubt wurde. Blockade 2a: 1987 Brockhaus 111 419 f. Blockade . . Satztechnik: das Ausfüllen von Stellen im Satz mit (im Bleisatz) auf den Kopf gestellten Buchstaben, um im Korrekturabzug auf unleserliche oder fehlende Stellen im Manuskript hinzuweisen .. Die blockierte Stelle heißt Blockade. Blockade 2b: Bild 26. 6. 1967 Die „Blockade" des [Box-]Titels besteht darin, daß Mildenberger vorläufig nicht gegen den Deutschen Meister Gerhard Zech, seinen offiziellen Herausforderer, antreten kann. Blockade 2c: Welt 21.6.1969 Der niedersächsische Innenminister .. hatte .. 15 Hundertschaften Polizei . . in Hannover zusammengezogen, um nötigenfalls gegen eine neue Verkehrsblockade vorgehen zu können; FAZ 30. 1.1971 Eine Art Blockade (Überschr.) Die Störung des Berlin-Verkehrs wegen einer Zusammenkunft von Fraktionsvorsitzenden der FDP . . ist für die Sowjetunion politisch eine zweischneidige Sache . . Im Ausland tauchen bereits Stimmen auf, die von einer „Blockade mit Unterbrechungen" gegen Berlin sprechen. Und vor dem Bundestag hat der Kanzler das Recht auf ungestörten Zugang und „freie Versammlung" in Berlin noch einmal ausdrücklich als Grundbedingung für die Ratifizierung genannt; Zeit 30. 9. 1983 Die „Autonomen" . . legten sich buchstäblich quer. Sie verhinderten die Veranstaltung ihrer Freunde ausgerechnet mit dem Mittel, das sie sonst nur auf Gegner anwenden: durch eine Blockade; MM 10. 10. 1985 So erwarten SPD und Grüne am Wochenende rund 40000 Demonstranten zu einer Kundgebung in München. Auch Platzbesetzungen und Blockaden des Baugeländes in der Oberpfalz wurden bereits angekündigt; ebd. 4. 4. 1986 Die Strafkammer weist in dem Beschluß auch darauf hin, daß die Störungen, die von der Sitzblockade an der Zufahrtsstraße zu dem US-Depot verursacht wurden, denkbar gering gewesen seien; ebd. 13. 12. 1986 Der sich ausbreitende „Öko-Terrorismus" im Gefolge gewalttätiger Demonstrationen und Blockaden; TAZ 24. 1.1990 Das ist der umfassende Anspruch auf Kontrolle des Staates von unten, der sich im Streichen der Straftatbestände für zivilen Ungehorsam und gewaltfreie Blockaden genauso ausdrückt wie in der Abschaffung von Stasi und Verfassungsschutz; Wochenpost

13.7.1990 Als ein Wortführer der westdeutschen Friedensbewegung nahm er [Albertz] . . an einer friedlichen Blockade des amerikanischen Atomwaffendepots Mutlangen teil. Blockade 3: Genius 1933 fremdwb. 148 Blockade oder Blockierung . . Eisenbahn: eine Einrichtung, welche verhindert, daß ein Zug in eine Strecke einfahren kann, bevor der vorhergehende Zug darüber hinaus ist. Blockade 4a: FAZ 15. 1. 1971 Organisch kann alles in Ordnung sein. Aber die Nerven machen nicht mit und blockieren das männliche Leistungszentrum. Titus — eine wohlabgestimmte Kombination erprobter Wirkstoffe — hebt diese Blockade wieder auf, legt die zeitweise verschüttete Vitalität wieder frei; MM 5. 1. 1985 Vor der medikamentösen Thyroxin-Blockade .. kamen den Schilddrüsen-Patienten Zeitabschnitte von zehn, 20 und 30 Sekunden Dauer wesentlich kürzer vor als einer Vergleichsgruppe Gesunder; ebd. 3.8.1985 Die Sterilisation, und zwar die Tubenligatur (Blockade der Eileiter), die rückgängig gemacht werden kann, ist in den USA als Mittel der Empfängnisverhütung bereits weiter verbreitet als die Pille; Zeit 7. 3. 1986 Eine Blockade der Produktion körpereigener Sexualhormone funktioniert bei der Behandlung von Brustkrebs oder Prostatakrebs nur dann, wenn die Krebszellen in diesen Organen auch auf die Wachstumsimpulse von Hormonen ansprechen; ebd. 18. 7. 1986 Cholesterin lagert sich an den Gefäßwänden an und verhärtet die Arterien, die sich überdies verengen, was vor allem im Herzmuskel zu einer Blockade der Blutzufuhr, also der Sauerstoffversorgung führen kann; MM 9. 10. 1986 einen 23 Wochen alten Fötus, der an einer Blockade der Harnwege zu sterben drohte; Zeit 17. 4. 1987 Übergewicht muß reduziert werden, da es eine Blockade der Atemwege während des Schlafs fördert. Blockade 4b: Zeit 3. 5. 1985 kein Verleger müßte mehr auf Termineinhaltung drängen, weil der Poet wieder einmal seiner Schreibblockade erliegt; MM 14. 11. 1987 Beim Komma hoch mit der Stimme, beim Punkt runter und in den Sinnpausen tief durchatmen . . Der 25jährige Betriebswirtschaftsstudent hat mit dieser Technik die Blockade aus Angst und Hochspannung überwunden; ebd. 19. 11. 1987 Im Familienkreis ja nicht als militanter Nichtraucher auftreten, Geschimpfe mit erhobenem Zeigefinger erreiche allenfalls totale Blokkade; Stern 26.11. 1987 Befreiender Schrei - bei der „Lomi"-Therapie sollen seelische Blockaden durch richtiges Atmen gelöst werden .. Durch tiefes, kräftiges Atmen soll die „Energie" in Bewe-

blockieren gung kommen, seelische Blockaden lösen sich auf; ebd. 3. 12. 1987 Keiner meditiert so inbrünstig wie er, keiner schlackert bei unseren Entspannungsübungen so total gelöst. Aber irgendwo muß er doch eine Blockade haben, die mein unkundiges Auge nicht entdecken kann . . Hier lernen die Teilnehmer, sich ihres Herzschlags und ihrer Atmung bewußt zu werden und sie nach außen deutlich zu machen. Diese Übung soll helfen, innere Blockaden aufzubrechen, zu sich selbst zu finden und Lebenskrisen zu bewältigen. Blockade 5: Roggenbach 1893 Br. 397 moralische Blockade . . gegen mich errichtet; Münch. N. N. 30.9. 1939 „Blockade" gegen Richard Wagner (Überschr.) Das städtische Orchester der englischen Stadt Hastings hat beschlossen, aus seinem dieser Tage beginnenden Musikprogramm die Werke Richard Wagners zu streichen, weil Wagners Musik „schwer, streitlustig und eine Vorahnung Hitlers" sei; Welt 22. 7. 1949 Wie lange soll die Informationsblockade noch andauern, nachdem ihre Aufhebung in Paris theoretisch beschlossen war? Wie lange sollen Menschen noch in Konzentrationslager gehen, weil sie sich zur geistigen Freiheit bekennen?; Süddtsch. Ztg. 5. 3. 1951 Im kurzen Zeitraum eines Menschenalters hat das deutsche Volk zweimal jede Verbindung zur Außenwelt verloren. Nach dem ersten Weltkrieg wirkte die Blockade auf geistigem und kulturellem Gebiet noch viele Jahre nach; FAZ 31.1. 1966 In beiden Städten werden sich auch die sozialistischen Oberbürgermeister Burauen (Köln) und Becker

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(Düsseldorf) für ein Landtagsmandat bewerben. Völlige Blockade gegen Smith; Hocke 1976 Tagebücher 456 Erkannt wird auch die Möglichkeit einer wirksamen, innerweltlichen Blockade .. des biologischen, ökonomischen oder etatistischen Materialismus; Zeit 14. 2. 1986 So ist sie [die Umweltverwaltung] auf ihre frühere Taktik, die als Maginot-Denken bezeichnet werden kann, zurückgefallen. Sie verteidigt ihre Position mit immer den gleichen Argumenten, schafft Blockaden, Verzögerungen, Abschwächungen; ebd. 30.5.1986 Die Blockade des wissenschaftlichen Nachwuchses; ebd. 24.4. 1987 Man kann nicht gleichzeitig die Blockade des deutschen Geschichtsbewußtseins durch den Nationalsozialismus bedauern und an seiner Abriegelung gegenüber geschichtlichem Verstehen festhalten; ebd. 5. 6. 1987 Deshalb geht es nicht darum, fundamentalistische Denkansätze zu beseitigen. Vielmehr . . ihnen die Blockadefunktion gegenüber der Reformpolitik zu nehmen; Wochenpost 17. 11. 1989 Sendeplatz im Fernsehen der DDR nach zehnjähriger Blockade dieses Films, vor allem durch die Leitung des Ministeriums für Volksbildung; Rhein. Merkur 22. 12. 1989 in der Fernsehpublizistik dauerte es länger. Es gab dramatische Versammlungen mit vielen Vorschlägen, aber noch die Blockade von oben; ebd. 20. 4. 1990 technische Schwierigkeiten — die .. Folge der jahrelangen Blockade bundesdeutscher Medienpolitik sind und . . auf Fehlentscheidungen beim Aufbau des Satellitenrundfunks durch die Post beruhen; FAZ 25. 5. 1990 Zu seiner Biographie gehören der frühzeitige Ausschluß aus der Partei, seine Ächtung und Karriere-Blockade als Künstler. IN

blockieren V. trans., im frühen 17. Jh. im Gefolge des 30jährigen Krieges entlehnt aus gleichbed. frz. bloquer (zu bloc 'Klotz, roher Baumstamm; Holzwerk'), eigentlich 'mit einer Befestigungsanlage versehen, ein Fort errichten', daher wohl unter semantischem Einfluß von blocus 'Festung, Fort; Sperre, Blockade' (< mittelniederl. blochuus 'Balken-, Blockhaus', zu bloc 'Klumpen, Klotz', etymologisch verw. mit dtsch. Block], anfangs in frz. beeinflußten Schreibformen wie blo(c)quieren, ploquieren. l Zunächst als militärspr. Fachausdruck des Befestigungswesens in der Bed. 'eine Festung, eine Stadt von allen Seiten einschließen, -kesseln, militärisch belagern, Ausund Eingänge (mit Truppen) besetzen, sperren, abriegeln (und so von der Außenzufuhr abschneiden)', seit frühem 18. Jh. vor allem als kriegs- und völkerrechtlicher Begriff in der Seekriegsführung verwendet für 'einen Hafen, eine Flußmündung, Küste oder Insel durch Kriegsschiffe absperren, vom Seeverkehr abschneiden', (s. Belege 1726, 1848, 1874), vereinzelt auch auf nichtmilitärische Zusammenhänge übertragen und bildlich verwendet im Sinne von 'jmdn. umringen, einkesseln, am Gehen hindern, in Beschlag nehmen' (s. Belege 1670, 1792). Von daher im Laufe des 19. Jhs. unter zunehmender Betonung des wirtschaftlichen Aspekts auf die An-

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wendung eines Kampf- und Druckmittels im internationalen Zusammenspiel außenund handelspolitischer Auseinandersetzungen übertragen in der Bed. 'einen Staat durch wirtschaftspolitische Sanktionen (Behinderung der Ein- und Ausfuhr, des freien Austausche von Waren) isolieren und aushungern' (s. Belege 1941, 1942, 1950, 1955). 2 Von daher seit späterem 19. Jh. im übertragenen Sinne einer Terrainbesetzung: a In der Bed. 'einen freien Raum, Platz frei lassen, besetzt oder gesperrt halten', zunächst (1860 bei Sanders) und bis heute gebucht als Fachausdruck des Druckereiwesens in der Bed. 'Lettern umgekehrt einsetzen, um die Stelle, an der etwas fehlt bzw. eine Korrektur erfolgen muß, zu markieren bzw. für andere Eintragungen zu sperren', bes. in der festen Verbindung blockierte Buchstaben, b In neuerer Zeit auch bildlich verwendet im Sinne von 'etwas (freie Arbeitsstellen, -platze, Titel o. ä.) besetzt halten, fest innehaben, vereinnahmen, den Zugang (für andere) vorübergehend sperren', z. B. Titel/Kapazitäten/Arbeitsplätze blockieren (s. Belege 1967, 1985, 1986, 1989, 1990). c Im früheren 20. Jh. vereinzelt, vor allem seit den 60er Jahren wohl wiederum in verstärkter Anlehnung an die militärische Metaphorik sowie unter Einfluß von —» Blockade 2c schlagwortartig gebraucht in bezug auf innenpolitische Druckausübung (von „unten") für '(Grenzübergänge, Straßen, Fahrbahnen, Eisenbahnschienen, Einund Ausgänge von öffentlichen Gebäuden u. ä.) besetzen, versperren, (den fließenden Verkehr) durch Sitzstreiks, Versammlungen u. ä. aufhalten, lahmlegen, (Transportmittel und -wege) behindern, mit der Absicht, auf Mißstände aufmerksam zu machen, politischen Druck auszuüben' (—> demonstrieren, —» boykottieren, —> protestieren). 3 Von daher in neuerer Zeit auf andere Bereiche ausgedehnt in der Bed. 'den Bewegungsfluß, Durchgang versperren, unmöglich machen, unterbinden, unterbrechen, aufhalten, und dadurch etwas in seiner Funktion beeinträchtigen, stören'. a Zunächst in bezug auf (unbeabsichtigte) Handlungen oder Vorgänge einer konkret-räumlichen Behinderung im Sinne von '(den Weg, Zugang zu etwas, den Durchgang, die Durchfahrt zu/durch etwas, die Durchlässigkeit von etwas) versperren, verstopfen, eine Stauung verursachen', z. B. in den Wendungen eine Straße, den Verkehr blockieren, auch 'die Zufuhr von etwas unterbrechen', z. B. die Wasserleitung/Stromzufuhr blockieren. b In neuerer Zeit speziell in der Medizin, Pharmakologie und Immunbiologie, bezogen auf anatomische und physiologische Phänomene und Vorgänge im menschlichen Körper, für 'physiologische Funktionen, Wirkungsmechanismen und Prozesse außer Kraft setzen, beeinträchtigen, stören, behindern', z. B. die biochemische Produktion körpereigener Stoffe (Enzyme), bes. auch 'den freien, ungehinderten Zustrom, Durchfluß, die Passage hemmen, unterbrechen, stauen', z. B. von Nervenleitungen, Blut- und Lymphbahnen o. ä., adj. verwendet in der Part. Perf.-Form blockiert 'gestört, unterbrochen, gehemmt sein', in Verbindungen wie blockierte Arterien, Harnwege, auch 'psychische Empfindungen hemmen, stören' bzw. 'psychisch, psychosomatisch gestört, gehemmt sein' (s. Beleg 1987). 4 Seit Anfang 20. Jh. (gebucht 1911 bei Petri) im technischen Bereich, speziell als Fachausdruck der Mechanik auf bewegliche Körper, Maschinenteile bezogen für 'etwas in seinem (mechanischen) Bewegungsablauf hemmen, anhalten, stören, unterbrechen, stoppen, zum Stillstand bringen, sperren, sichern, verriegeln, (und damit)

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für eine gewisse Zeit außer Funktion setzen' (—»· arretieren b), bes. von Tasten, Typenhebeln (bei der Setz- oder Schreibmaschine), z. B. in Wendungen wie den Hebel, die Signale, Weichen, Räder blockieren; vereinzelt auch in der Physik von (ultravioletten, infraroten) Strahlen 'nicht hindurchlassen, unterbrechen, ablenken' (s. Beleg 1985) und gelegentlich allgemeiner verwendet (s. Beleg 1977); daneben gleichzeitig als V. intrans. 'in seiner Bewegung gehemmt werden, plötzlich unbeweglich sein; sich nicht mehr drehen, nicht mehr arbeiten; feststecken, -sitzen; gesperrt, außer Funktion sein', bes. von technischen Geräten, z. B. der Motor blockiert, die Räder, Bremsen blockieren (s. Belege 1935, 1985), die Telefonleitung ist blockiert, und vor allem in der Zs. Antiblockiersystem 'Vorrichtung bei Kraft- oder Schienenwagen, die das Blockieren der Räder beim Bremsen, d. h. ihr Gleiten ohne Drehbewegung verhindert'. 5 Seit den 40er/50er Jahren vorwiegend in der Innenpolitik bildlich und übertragen verwendet für 'etwas unterbinden, abwiegeln, (z. B. durch Gesetze, Verbote, Vorschriften, von „oben") verhindern, vereiteln, sich gegen etwas stellen, sperren', vor allem in bezug auf (die Durchführung, Durchsetzung von) Entscheidungen, Beratungen, Verhandlungen, Maßnahmen, Gesetzesvorlagen, auf Lösungswege und -schritte, (die Einleitung von) Reformen u. ä., auch 'etwas aufhalten, bremsen, verzögern, aufschieben, zu keinem Ergebnis kommen lassen', z. B. vom Ablauf gesellschaftlicher, kultureller Prozesse, (positiver) Entwicklungen o. ä., und 'etwas (Gelder u. ä.) zurückhalten, (den Zugang dazu) sperren' (vgl. 2b; s. Beleg 1949), sowie 'etwas (Gedanken, Initiativen u. ä.) lahmen, lahmlegen, brachliegen lassen, einfrieren', oft auch reflex, gebraucht in der Wendung sich selbst/gegenseitig blockieren 'sich selbst/gegenseitig im Wege stehen' (s. Belege 1969, 1989, 1990), eher im Sinne eines Vorgangsverbs in passivisch konstruierten Wendungen wie massiv, gänzlich, systematisch blockiert sein. Dazu seit früherem 17. Jh. das Verbalsubst. Blockierung F. (-; -en), zunächst in der Bed. 'Einkesselung, -Schließung einer Festung, eines Seehafens', seit den 60er Jahren auch im Sinne von 'außenpolitische, wirtschaftliche Isolierung durch Abschneiden der Verkehrswege und andere Handelsbeschränkungen' (zu 1; gleichbed. mit —> Blockade 1); seit späterem 19. Jh. auch 'Unterbrechung, Hemmung der ungehinderten Durchlässigkeit, des Bewegungsflusses, der Funktion von etwas' (zu 3b; —> Blokkade 4); 'Verriegelung, Festsitzen einer mechanischen Funktion, eines mechanischen Teils' (zu 4; —* Blockade 3) und in jüngster Zeit 'Behinderung, Unterbindung, Verbot von Entscheidungen, Maßnahmen (auf gesellschafts- und innenpolitischem Gebiet)' (zu 5; —» Blockade 5); in jüngster Zeit die Personalableitung Blockierer M. (-s; -) 'Teilnehmer an einer Blockade' (vgl. Boykotten^ —* boykottieren, —> Demonstrant) (zu 2c), auch 'jmd., der (von „oben") Entscheidungen, Verhandlungen, Maßnahmen, Reformen, Fortschritte, Veränderungen u. ä. abwiegelt, be-/verhindert, aufhält, sich dagegen stellt, sperrt' (zu 5). blockieren 1: Mallinger 1613 — 60 Tagebücher (Mone, QuSamtnl. II 567) habe Regenspurg . . bloggiert, dass man weder auss noch ein kommen köndte; 1615 Stralsund (1778 Pomm. Mag. IV 92) ward die Stadt von ihm . . zu Wasser und zu Lande blockiret (JONES); Wallhausen 1616 Kriegsma-

nual (Gl.) Plocquirn, Ein Ort oder festung mit schantzen beschliessen; Zinkgref 1628 Spruch l 35 Als nun die in der Statt kein entsatz mehr gewußt/ die Stadt Blocquirt/ oder recht Teutsch zu reden vmbschlossen ware/ vnd mangel an aller notturfft darin erschien/ dahero die capitain vnd Burgerauß-

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schuß sich mit einander berathschlagt; Ens 1630 Postreiter 57 die Keyserische haben die Statt Hanaw, Wormbs vnnd Speyr bloquirt; 1631 Bericht v. Magdeburg 5 dise feindtselige vnd widerwertige Statt Magdeburg abermals mit herumblegung einer anzahl Kayserlichen Kriegsvolcks zu ploquirn; Dilich 1640 V. Vestungsgebewen I 27 vmbschantzen vnd blocquiren; Duez 1652 Nomencl. 223 Blocquer, plockieren; Lavater 1659 Kriegsbüchlein 2a Blocquiren, Mit schantzwerck versperren; Grimmelshausen 1670 Springinsfeld (HI 236) Ich hingegen schargirte mit halben und gantzen Ziegeln auf sie hinunter .. und wann ich gleich den einen oder ändern auf den Peltz traf, so bekümmerten sie sich doch nichts darum, sondern behielten mich also belagert oder ploquirt; Groben 1694 Oriental. Reise-Beschr. lila 117 daß zweytausend Türcken sich sehen Hessen, umb . . die Vestung zu entsetzen, worauff man mit weniger Mannschafft die vestung blocquirt hielt; Stöcklein 1726 Weltbott l 75a erwehnter Losencillo unterhält eine genaue Verständnis mit derjenigen Frantzösisch- und Englischen Räuber-Flotte, welche auf dem stillen SudMeer herum creutzet, und bißher viel Spanische Schiffe hinweg genommen, den Hafen und die Stadt Panama ein halbes Jahr blockirt, auch der Spanischen Silber- und Gold-Flott aufgepasset hat (KLUGE, Seemannssprache); Sturm 1737 Vauban 87 Bloquer une place, Bloquiren, heisst einen Ort so einschliesen, daß man nichts hinein noch heraus kommen lasset, doch ohne daß man den Ort förmlich belagert; Laukhard 1792 Leben II 333 Für mehrere [Besuche] blieb keine Zeit übrig: die Studenten blockirten mich; Goethe 1822 Belagerung v. Mainz (HA X 379) Die Franzosen hatten bei androhender Gefahr sich zeitig vorgesehen und vor die Hauptwerke hinaus kleinere Schanzen kunstgemäß angelegt, um die Blockierenden in gewisser Ferne zu halten, die Belagerung aber zu erschweren; Moltke 1827 Freunde l 70 Dagegen werden seitens der Preußen alle Zugänge blockiert und jeder Ausfall der Garnison zurückgewiesen; Schmidt 1848 Ruiter 1167 unterdessen rückte die Flotte vor Landskrone und blokirte den Hafen einstweilen (KLUGE, Seemannssprache); 1874 Krieg 1870/71 (Generalstabswerk) I 117 das Geschwader selbst sollte aber demnächst bei Nacht umkehren, um die preussischen Schiffe im Jadebusen zu blokiren (KLUGE, Seemannssprache); Blume 1899 Wehrkraft 114 die vom Gegner . . blokirten Häfen; 1919-20 Süddtsch. Monatsh. XVII 1,5 Der Handelsverkehr zwischen einem neutralen und einem kriegsführenden Staat über eine Landgrenze oder über ein Binnengewässer, das nicht der direkten Seebeherrschung durch den Blockierenden unterliegt, war nach dem überlieferten Völkerrecht durchaus legal; Münch. N. N. 26. 1.1941 Bemer-

kenswert scheint zum Schluß noch, daß dieser gesamte „blockierte Block", wie man die europäische Wirtschaft bezeichnen kann, in immer intensivere Austauschbeziehungen . . eintritt; ebd. 6. 10. 1942 heute ist die Blockade und die Aushungerung, wie sie sich der Gegner einst dachte, nicht mehr möglich. Wenn schon blockiert wird, und wenn wir uns fragen, wer blockiert wird, dann bestimmt nicht wir, sondern der Engländer!; Süddtsch. Ztg. 27.4. 1955 Der Mangel an Nickel, das auf den Weltmärkten kaum erhältlich ist, gestattet die Prägung neuer Münzen nicht. (Die Ausfuhr wird von den Vereinigten Staaten nahezu blockiert); Grzimek 1959 Serengeti 25 Wenn wir die italienische Küste entlangfliegen, blockieren immer wieder militärische Sperrgebiete unseren Weg, die wir nicht überfliegen dürfen; Heuss 1963 Erinn. 205 Walther Rathenau, der die Rohstoff-Bewirtschaftung . . als öffentliche Aufgabe eines in der Zufuhr blockierten Raumes begriff; Welt 16. 8. 1974 Die geographische Position der griechischen Alliierten, die etwa 750 Kilometer in mediterranes Gewässer hineinreicht, gab zumal dem amerikanischen Verbündeten .. eine Stellung, durch die es möglich ist .. die Straße von Otranto zwischen Korfu und Brindisi zu sperren, also die Einfahrt in und die Ausfahrt aus der Adria zu blockieren; Zeit 4. 7. 1986 Ich bin überzeugt, daß es im Interesse aller Betroffenen gelegen hätte, wenn die Europäer gemeinsam mit den Amerikanern Ghaddafi isoliert, seinen Erdölexport ebenso wie seine gesamten Einfuhren ganz einfach blockiert hätten; MM 20. 12.1986 Erpreßbare Staaten (Überschr.) Mit der Geiselnahme erreichten die Iraner, daß ihr in Genua blockiertes Schiff auslaufen durfte .. ein Fall eindeutiger Erpressung. Blockierung: 1631 Magdeburg (A) A4v nach langwieriger Bloquierung; ebd. (D) 13 Verfolg- SperrPlocquir- vnd letztlich gar Belagerung (beide JONES); 1634 (Dtsch. Ztg. 17. Jh. 166) Anfang zur Blocquirung gemacht [der Stadt Bamberg]; 1636 (1520-1738 Eisleber Stadt-Chronik 166) die Plockquierung von Mansfeldt; Micraelius 1639 Pommerland II 237 Auch ist in der Insull Rügen bey wehrender blocquirung der Stadt Stralsund/ grosse Hungersnoth gewesen; Bürster 1647 Schwed. Krieg 197 Volgt anjezo nun Überlinger belägerung, bloquierung, cur, medicin, einlägung und beschleißung diser ubelkranken; Stieler 1691 Stammbaum 199 Blockirung .. Blockade/ . . inclusio urbis . . Die Blockirung aufheben; Hoyer 1815 Kriegsbaukunst I 145 Die Blokirung ganzer Stellungen und Armeekorps kann nur von einer überlegenen Macht geschehen, wenn sich das Terrain dazu eignet, und die eingesperrten Truppen den günstigen Moment vorbeilassen, sich durchzu-

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schlagen; Lang 1833 Reise XI 77 Wo er die eigensinnigen Egyptier . . endlich einmal hat zum Nachgeben bringen wollen, geschah es nicht durch Blokkirung des Nils, oder durch Einschließung des Babylonischen Thurms; Münch. N. N. 13. 8. 1942 in Verbindung mit der von den japanischen See- und Luftstreitkräften durchgeführten Blockierung der Haupt-Juteausfuhrhäfen; NZ. (Basel) 15. 5. 1949 Ferner wurde im Berichtsjahr eine Abschreibung .. gemacht in Anbetracht der Blockierungsmaßnahmen, welchen die argentinischen Werte unterworfen sind; ND 20.9.1949 Durch die Blockierung des Interzonenhandels mit der Ostzone hat die westdeutsche Chemie-Industrie 40 Prozent ihres Absatzmarktes verloren; Süddtsch. Ztg. 25. 7. 1950 Alle deutschen Vermögen in Italien . . werden den Eigentümern zur Verfügung gestellt.. Blockierungen und Beschlagnahmen werden aufgehoben; Welt 6. 1. 1969 Israel muß die Angriffe gegen seine Passagierfluglinie EI-AI als einen Würgegriff empfinden. Offenbar rechneten die arabischen Angreifer auch diesmal damit, daß die Großmächte wie bei der Blockierung der Meerenge von Tiran auch jetzt wieder untätig bleiben würden.

solche junge Menschen, die ohne Zweifel eine große pädagogische Begabung haben; ebd. 27. 8. 1986 Im Zusammenhang mit der berufstätigen Frau ist auch immer wieder der Vorwurf zu hören, daß Doppelverdienerinnen Arbeitsplätze blockieren, ohne wirtschaftlich auf den Zweitverdienst angewiesen zu sein; ebd. 28. 2. 1987 die Notrufnummern sollen nur im Ernstfall benutzt werden. Blockieren „Spaßvögel" diese Nummer, kann das unter Umständen für einen Hilfsbedürftigen fatale Folgen haben; ND 2. 12. 1989 daß durch diese Bauten Baukapazitäten blockiert wurden, die zur Werterhaltung für die in Rechtsträgerschaft der Versorgungseinrichtung befindlichen Wohnhäuser und Delegationsgästehäuser bestimmt waren; Stern 8. 2. 1990 Journalisten . . fielen um den 9. November herum wie Heuschrecken ein, bauten in den Zimmern .. TV-Studios auf . . zerkratzten die Furniermöbel, blockierten Fernschreiber; MM 31. 12. 1990 Als der Kartriographische Verlag Busche in Dortmund 1979 ein aufwendiges „AutoReisebuch DDR" herausbrachte, landete der Verlag zunächst einen Flop. Die 50000 Autoreiseführer blockierten jahrelang die Läger.

blockieren 2a: 1882 Brockhaus III 177 f. Blockieren . . statt des Buchstaben eine verkehrt gestellte Letter setzen, zur Andeutung einer noch auszufüllenden Lücke im Satz; Klenz 1900 Druckerspr. 22 blockieren . . Kann der Setzer in einem Manuskript ein oder mehrere Worte nicht lesen, oder nimmt er eine Auslassung wahr, so stellt er soviel Buchstaben, als die unleserlichen resp. fehlenden Worte ungefähr ausmachen können, auf den Kopf, er 'blockiert' sie, damit das Fehlen derselben bei der Korrektur sofort bemerkt werde. Blockiert werden auch momentan fehlende Buchstaben auf so lange, bis sie ergänzt werden können; Marens 1906 Drukkersprache 5 blockierter Buchstabe.

blockieren 2c: Lokal-Anz. 28. 1.1933 daß die Taxen schon in den Nachmittagsstunden von überallher nach der Innenstadt fuhren und dort nach dem Muster des kurzlichen Taxistreiks in Prag sämtliche Straßen des Zentrums blockierten. Binnen einer Viertelstunde waren alle Plätze und Straßen der inneren Stadt von Autos verstopft; Stuttgarter Ztg. 9. 10. 1969 Haake hatte . . an einer Demonstration gegen die Auslieferung der „Bild"-Zeitung in Essen teilgenommen und dabei mit anderen Demonstranten ein Auslieferungsfahrzeug blockiert; ND 28. 1. 1974 Aus Protest gegen die horrenden Preiserhöhungen in Bolivien haben am Sonnabend Tausende Bauern alle Straßen rund um die Stadt Cochamba blockiert; Zeit 28. 12. 1984 Naturschützer . . hatten alle Forstwege und Waldstraßen mit enggestaffelten Barrikaden blockiert und ihre Zeltlager und Schlafsäcke mit mehrreihigen Palisaden und ausgehobenen Gräben befestigt; ebd. 4. 10. 1985 Die Aktion gegen die notorische Wasserverschmutzung durch die Papierfabrik Holtzmann und Cie. in Karlsruhe-Maxau läuft jetzt bald zwölf Stunden. Das Werkstor und die Gleise sind blockiert, der Kran ist besetzt; MM 22. 2. 1986 Die Firma erwäge jetzt nur, Greenpeace die Kosten für zusätzliche Standgebühren ihrer blockierten Waggons zu berechnen; ebd. 10. 12. 1987 Stahlwerker blockieren heute ganz Duisburg (Überschr.) Mit einer Blockade aller Zufahrtsstraßen, Rheinbrücken und Autobahnanschlüsse wollen die Stahlwerker aus allen Duisburger Betrieben nach Angaben von Belegschaftssprechern „ganz Duisburg" lahmlegen;

blockieren 2b: Bild 26. 7. 1967 Die Europäische Boxunion .. in Rom hat ihm mir nichts dir nichts den Titel aberkannt. Begründung: wegen seiner Teilnahme am Weltmeisterschaftsturnier blockiere der Kaiserslauterer den Europatitel . . ein Meister darf seinen Titel nicht unnötig lange blockieren; Zeit 1.2. 1985 Die Staatsregierung von Bayern hat die Bundesregierung aufgefordert, den „Verwendungsstau" bei den Streitkräften auf andere Weise als durch die von Verteidigungsminister Manfred Wörner geplante Frühpensionierung zu beheben. Eine unzweckmäßige Altersstruktur und blockierte Aufstiegswege gibt es nämlich auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes; MM 7. 9. 1985 Vor zehn bis 20 Jahren wurde jeder Lehrer eingestellt, der irgendwie durch die Prüfung kam. Die Stellen sind jetzt blockiert, vor der Tür stehen auch

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Bild 4. W. 1989 Als die Andacht zu Ende war, kamen immer mehr Menschen aus den Häusern, den Geschäften, schlössen sich dem Zug an. Um 18.30 Uhr waren alle Straßen blockiert. Kein Auto, keine Straßenbahn fuhr mehr .. Tausende von Stasileuten, Volkspolizisten blockierten die Ausfahrtsstraßen; frankf. Rundsch. 17.1.1990 Nur etwas über eine Stunde nach dem Sturm der Demonstranten auf die ehemalige Stasi-Zentrale hatte das Bürgerkomitee die Lage wieder fest im Griff. In Zweierreihe untergehakt blockierte sie den Zugang und mußte sich von den Herausdrängenden böse Worte gefallen lassen; ebd. 25. 1.1990 Die Schönberger hören die tickende Bombe (Überschr.) Das Ding muß gestoppt, saniert und abgetragen werden, damit da mal wieder ein Acker draus wird .. Und während die anderen noch überlegten, wie man am klügsten gegen Behörden, Politiker und Industrie vorgehen könne, war für einige ganz klar: „Da hilft nur blockieren, blockieren, blockieren. Wir müssen die Straße vernageln"; ebd. W. 9. 1990 in Neubrandenburg und Dresden . . hat man sich überlegt, daß das Blockieren von Autobahnen eine gute Idee wäre, um auf die Probleme des Hörfunks der DDR aufmerksam zu machen. Blockierer: MM 11.1.1985 Als „äußerst problematisch" wertete sie [Datenschutzbeauftragte] die geplante Aufnahme aller Blockierer in den im Aufbau befindlichen bundesweiten KriminalaktenNachweis; ebd. 29. 1.1985 Für „Promis" keine Ausnahme (Überschr.) Wie viele andere hatte sich Jens vor dem Raketengelände auf die Straße gesetzt und „für einige Minuten" Militärfahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert. Über 1100 Blockierer haben Strafbefehle bekommen . . die Blockierer wollten eine „höhere Legitimität gegen die Legalität ausspielen", indem sie für Blockadeaktionen Straffreiheit forderten; ebd. 4. 4. 1986 Blockierer bleiben straffrei (Überschr.) Das Verfahren gegen die 57 Blockadeteilnehmer ist damit abgeschlossen; Zeit 6. 6. 1986 Mutlangen und Bitburg sind Stichworte für fließbandähnliche, stereotype Urteile gegen Straßenblockierer und Sitzdemonstranten; Stern 6. 8. 1987 Volkszählungs-Boykotteure, Mutlangen-Blockierer, Demonstranten, die Polizei-Anweisungen ignorieren — alles eine Chose, jedenfalls „keine normalen Bürger". blockieren 3a: Grass 1962 Blechtrommel 61 Als ich . . bemerken mußte, wie fettige Brotreste den Abfluß des Wassers beträchtlich blockierten und also in der Schale eine üble Brühe stand, verging mir der Durst; FAZ 10. 2. 1966 Die neue Kältewelle . . hat in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen sowie in Mecklenburg und Brandenburg zu einem Verkehrschaos geführt. Viele

Straßen waren am Mittwoch durch Schneeverwehungen blockiert; MM 15. 1. 1985 Entgegen früheren Prognosen, die sich auf einen Rückgang der Wohnbevölkerung in Innenstädten, den Ausbau unterirdischer Verkehrsmittel und die sich selbst blockierende Autoballung stützten, ist die Zahl der zugelassenen Personenkraftwagen in München Jahr für Jahr weiter gestiegen; ebd. 7. 5. 1985 Ein mobiler Trupp der Städtischen Verkehrsabteilung wird aber auch dafür sorgen, daß die Radwege nicht durch Autos blockiert sind; Zeit 20. 9. 1985 auf der nördlichen Erdhalbkugel blockierte vorriikkendes Packeis die Quellen kalter Meeresströmungen; ebd. 8. 5. 1987 Die Abschleppanordnung . . ist rechtmäßig, wenn ein Auto über Stunden einen Parkplatz unerlaubterweise blockiert .. Es muß keine Behinderung des anderen Verkehrs vorliegen; ebd. 17. 10. 1987 Die Stromversorgung war zeitweise unterbrochen. Gestürzte Bäume blockierten Straßen und Eisenbahnlinien. Der Zugverkehr im Londoner Raum wurde gar nicht erst aufgenommen, und U-Bahn — und Busdienste waren stark gestört; ebd. 18. 6. 1988 daß vor Garagen mit einem Tor, das per Schlüssel geöffnet wird, eine Stellfläche in Wagenlänge sein muß, damit durch das ein- oder ausfahrende Fahrzeug die Straße nicht blockiert wird. blockieren 3b: Apel 1970 Synthese o. S. Allerdings wird in den Chloramphenicol-empfindlichen peaks der Einbau auch dann gehemmt, wenn mit Cycloheximid nur die Synthese an den 80s-Ribosomen blockiert wird; Kummer 1970 Schädlingsbekämpfungsmittel o. S. [organische Phosphorverbindungen] hemmen mehr oder weniger stark . . bestimmte körpereigene, lebenswichtige Enzyme im Blut und in den Geweben . . indem sie diese durch Phosphorylierung blockieren und damit deren Funktion, die Spaltung des körpereigenen Überträgerstoffes Acetylcholin, unterbinden; FAZ 15. 1. 1971 Organisch kann alles in Ordnung sein. Aber die Nerven machen nicht mit und blockieren das männliche Leistungszentrum; Uhlenbruck 1971 Immunbiologie o. S. Durch bestimmte Pharmaka kann die Wirkung der einzelnen biogenen Amine blockiert werden, und zwar handelt es sich um eine Blockierung der Rezeptoren, an denen diese Amine angreifen; Zeit 26. 7. 1985 Die vom Transplantat aktivierten T-Lymphozyten können ihre Kollegen nicht mehr aktivieren, der Abstoßungsmechanismus war blockiert; ebd. 15. 11. 1985 Da diese Substanzen im Menschen nicht vorkommen, könnte zum Beispiel ihre Biosynthese in Bakterien mit entsprechenden Wirkstoffen blokkiert und damit eine Vermehrung der Keime verhindert werden; MM 31.1. 1986 Ein Meßgerät registriert . . welche Regionen der Lunge wegen blök-

blockieren kierter Arterien schlecht durchblutet werden; Zeit 11.4.1986 Beide, Endorphine und Opiate, blokkieren . . die Schmerzempfindung; MM 9. 10. 1986 Dann . . wurde die Blase direkt mit der Haut verbunden, um die blockierten Harnwege zu umgehen; ebd. 25. 10. 1986 die Entdeckung, daß Verapamil, der Wirkstoff von Isoptin, den Zustrom von Calcium in den Herzmuskel blokkiert; ebd. 13. 5. 1987 die Bildung von Tochtergeschwülsten durch mobilisierte Abwehrzellen zu blockieren oder zumindest zu bremsen; ebd. 15. 10. 1987 Eltern, die Schwierigkeiten mit seelisch und körperlich blockierten Kindern haben, gründeten mit Hilfe der städtischen Erziehungsberatung einen Verein; ebd. 5. 11. 1987 ohne daß es irgendwelche Beweise dafür gab, daß sein Immunsystem die Ausbreitung der Krankheit blockierte. Blockierung: Cotta 1970 Orthopädie o. S. Das plötzliche Schmerzereignis, verbunden mit Bewegungssperre bei Fehlhaltung wird heute allgemein als „Wirbelblockierung" bezeichnet; Uhlenbruck 1971 Immunbiologie o. S. eine Blockierung der Rezeptoren, an denen diese Amine angreifen .. eine kompetitive Hemmung . . Desensibilisierung ist in diesem Falle eine durch das Antigen hervorgerufene Blockierung der zellgebundenen Antikörper . . bzw. Inaktivierung von Rezeptoren; MM 9. 1. 1985 Sehr vielfältig sind die Gründe für das Versagen in Schule und Lehre. Der Psychologe spricht von seelischen Blockierungen, von Konzentrationsstörungen, von Lernunlust, von Tagträumen, von Prüfungsängsten und von schlichtem Trödeln; Stern 26. 11. 1987 Die Bioenergetik geht davon aus, daß unbewußte psychische Konflikte sich im Körper niederschlagen, zum Beispiel in Muskelverspannungen, diese Verspannungen und Blockierungen können durch bestimmte Körperübungen gelöst werden. Dadurch soll ein „freier Energiezufluß" möglich werden. blockieren 4: Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 133 blockieren . . Signale, Weichen verriegeln; Berl. lllustr. Nachtausg. 22. 8. 1933 In einer Nacht habe ich acht Züge zu je 60 Wagen aus dem besetzten Gebiet herausgebracht. Die Weichen haben wir blockiert; 1933 u. 1934 Verd. techn. Frw. o. S. blockieren . . blocken, sichern, sperren, verriegeln; Schulze-Eckardt 1935 Übungsflug 49 Die Steuer . . „versagen oder blockieren"; Grzimek 1959 Serengeti 61 Wir bohren Metallspiralen tief in die Erde und binden Flügel, Räder und Schwanz unserer „Ente" daran fest, wir blockieren die Räder mit Steinen und ziehen die Bremsen an, damit nicht ein Gebirgsgewitter sie wegrollt; Johnson 1961 Buch 160 Achim ist gleich in den ersten Kilometern gestürzt, weil Papiergirlanden von begeisterten Kin-

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dern über die Strecke geworfen ihm das Hinterrad und die Schaltung blockierten; Schädlich 1977 Nähe 133 Damit die Karte nicht wegrutscht, hat Paulchen den unteren Rand mit einem Kaugummi blockiert; Zeit 11. 1. 1985 daß ein Atomkrieg genügend Rauch und Staub erzeugen würde, um das Sonnenlicht zu blockieren und gewaltige Temperaturstürze auszulösen . . Ozon blockiert ultraviolette Strahlen; MM 12. 1. 1985 Die Umkehrung des Anti-Blockier-Systems ist das Anti-Schlupf-System: Das erste verhindert blockierende Räder beim Bremsen, das zweite durchdrehende Pneus beim Anfahren; ebd. 16. 4. 1985 Wenn auch inzwischen die meisten Computerhändler die Geräte blockieren . . die findigen Kinder stört es kaum; ebd. 5. 6. 1985 Jeden Monat müssen seine Mitarbeiter durchschnittlich 400 bis 500 Mal die Sicherung herausdrehen und die Stromleitung blockieren; ebd. 28. 2. 1986 Der erste Versuch mit der in Paris erfolgreich eingesetzten „Parkkralle", die in Park- oder Halteverbotszonen abgestellte Fahrzeuge bis zur Ermittlung des Fahrers blockiert; ebd. 4. 12. 1987 Durch den blockierten Sonnengenerator des direkt strahlenden Satelliten TV-SAT l ist möglicherweise das Gesamtprojekt gefährdet; ebd. 29. 6. 1988 Zweifel am Airbus-Steuerungssystem (Überschr.) Die ausgezeichnete Software des A320 übersteige die Kapazitäten der Computer. Bei manchen komplizierten Rechnungen könnten die Computer deswegen blockiert werden. Blockierung: Genius 1933 fremdwb. 148 Blockade oder Blockierung . . Eisenbahn: eine Einrichtung, welche verhindert, daß ein Zug in eine Strecke einfahren kann, bevor der vorhergehende Zug darüber hinaus ist; Ganzer 1970 Untersuchungen o. S. Die Größe der Modelle stellt einen Kompromiß dar zwischen der versuchstechnischen Forderung nach kleinstmöglicher Blockierung der TransonicMeßstrecke und der Vermeidung fertigungstechnischer Schwierigkeiten; Zeit 27.6. 1986 Alle nach 1962 gebauten Reisezugwagen haben zusätzlich eine neue elektromagnetische Türblockierung. Sobald der Zug schneller als fünf Stundenkilometer fährt, rastet automatisch ein Bolzen der Klinke aus, so daß die Türen während der Fahrt von innen überhaupt nicht geöffnet werden können; MM 15. 1. 1988 Gerade, wenn es am wenigsten paßt, bimmelt das Telefon. Um nicht gestört zu werden, hängen manche Menschen einfach den Telefonhörer aus, was die Post nicht gerne sieht, denn dadurch werden Blockierungen im Netzknoten verursacht. blockieren 5: Welt 6. 7. 1949 Daher wird der größte Teil der jetzt blockierten Wertpapiere und Sammelpapiere nach und nach .. in den Markt

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kommen; ND 3. 4. 1954 Die Verträge von Bonn und Paris blockieren die Straße zur deutschen Einheit und öffnen den Weg zum Krieg; ebd. 25. 12. 1959 Seit Monaten hatte die amerikanische Delegation die Beratungen der Dreimächtekonferenz . . blockiert; Stuttgarter Ztg. 19. 3. 1963 Die Sowjets „blockierten" die Verhandlungen [der Abrüstungskonferenz], da sie nicht bereit seien, sich über die Form dieser Inspektionen zu äußern; FAZ 15. 12. 1965 Wenn man von der Einstimmigkeit abgehe, werde jedes Land ein Vetorecht besitzen, und dies könne den Fortgang der europäischen Integration blockieren; Welt 21. 6. 1969 Alle wesentlichen Punkte seiner Regierungserklärung hat seine Regierung nicht verwirklicht, weil sich die beiden Koalitionspartner gegenseitig blockiert haben; ebd. 20. 12. 1974 der SPD-Fraktionsvorsitzende in Berlin . . blockierte als Rundfunkrats-Vorsitzender . . die Auszahlung; Zeit 18. 1. 1985 Musterbeispiel dafür .. wie unser begrenztes Vorstellungsvermögen den Fortschritt der Wissenschaft blockieren kann; ebd. 15. 2. 1985 Als Generalsekretär hat Tschernjenko bisher, soweit es seine Kräfte zuließen, gebremst, aber nicht blockiert; ebd. 23. 8. 1985 so wenig hat Peres in seiner brüchigen Regierungskoalition genügend Spielraum für entschlossene Vorstöße. Jeder ist blockiert und blokkiert automatisch den anderen. Schmal ist gleichfalls die Bewegungsbreite für Ronald Reagan; ebd. 24. 1. 1986 im Kongreß blockierten immer noch erzkonservative Volksvertreter die eingebrachte Gesetzesvorlage; ebd. 28. 2.1986 Klauseln, 'Verknüpfungen' und 'Bedingungen', die die Lösung grundlegender Fragen der Abrüstung praktisch blockieren; MM 7. 3. 1986 Die Bonner Gesprächspartner versicherten, es sei nicht beabsichtigt, die Forschung zu behindern oder sogar zu blockieren; Zeit 10.11.1989 Reformer und Reformgegner (damals vor allem die DDR und Rumänien) blockierten sich gegenseitig; Junge Welt 10.1. 1990 Die Linke blockiert sich selbst, indem sie sich zersplittert; Prankf. Rundsch. 22. 2. 1990 Vierzig Jahre

lang hat ein stalinistisches System Gefühle, Phantasie, Denken und Handeln blockiert; Rhein. Merkur 6. 4. 1990 Ein bestimmter Teil des Sparguthabens . . wird zu pari umgetauscht, ebenso ein weiterer Teil, der jedoch vorerst blockiert wird; Zeit 6. 7.1990 daß die gegenwärtige Strategie der Abschreckung . . Energien der jungen Leute blockiert . . Sie unterbindet die bewahrenden, helfenden Impulse, die für die kommenden Erneuerungsarbeiten so wichtig sind; Frankf. Rundsch. 28. 9. 1990 da die Lufthansa dann Entscheidungen bei Interflug blockieren und unter Umständen auch auf die Preise einwirken könne; 1990 Bundestagsprotokolle CUV 2413 Wir dürfen die Menschen eben nicht durch Katastrophengerede zusätzlich zu den wirklichen Problemen belasten und verunsichern und damit noch mögliche und notwendige Maßnahmen blockieren. Blockierer: Rheinpfalz 29. 4. 1991 Was in fast allen Landesverbänden gelang, nämlich . . eine realpolitische Neuorientierung, scheiterte . . an den linken Blockierern (DUDEN 1993). Blockierung: ND 16. 5. 1974 die Schaffung einer Kontrollbehörde für Erdöl und Minerale . . eines nationalen Investitionsfonds sowie .. die Einführung einer staatlichen Krankenversicherung. Die Blockierung dieser Gesetzesvorlagen im Senat hatte zur vorzeitigen Auflösung beider Häuser des Parlaments geführt; Wochenpost 17. 11. 1989 Das ist nicht allein als Quittung für jahrzehntelang erzwungenes Applaudieren zu sehen. Das ist auch der Versuch, durch Blockierung von Dialog die Wende aufzuhalten; MM 10. 4. 1986 Die Abgabe solle von denjenigen Betrieben erhoben werden, die in großem Umfang menschliche Arbeitskraft durch technische Großautomaten ersetzen. Der Verbandspräsident betonte, seine Organisation rede nicht einer Blockierung moderner Technologien das Wort; jedoch müsse der technische Fortschritt sozial abgefedert werden. IN

blond Adj., vereinzelt bereits im 13. Jh. mit Bezug auf die literarische Gestalt der Isolde (bei Gottfried v. Straßburg) in der mhd. Form blunt, blund (< altfrz. blont) bezeugt, erst Mitte 17. Jh. im Zusammenhang mit der frz. Perückenmode neuentlehnt aus gleichbed. frz. blond (< mlat. blondus, vulgärlat. blundus, german. Herkunft; vgl. ital. biondo, span, blundo; —» blümerant, —> brünett), anfangs vereinzelt in der Schreibung blund, im späten 18. Jh. auch in der dialektalen Form blondigt. Zunächst in bezug auf die Farbe der (gepuderten) Perücken, in der Folge auch auf die natürliche Haarfarbe für e hell(-farben), hell-, goldgelb' (im Unterschied zu —» brünett), z. B. blonde Perücke, blondes Haar, von daher dann auch zur Charakterisierung von Personen und bes. bezogen auf einen vor allem in Nordeuropa vorkom-

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menden Menschentyp (s. Beleg 1795 — 96), von der Ideologie des Nationalsozialismus mit den Deutschen schlechthin identifiziert; oft als weibliches Schönheitsideal assoziiert mit (bes. bei Rilke) „jung, gesund, in der Blüte (stehend); unschuldig, naiv; primitiv" (s. Belege 1855, 1900, 1906, 1910, 1920, 1926), auch mit „attraktiv, begehrenswert, verführerisch, kokett, erotisch", z. B. in der Wendung Das blonde Gift (s. Beleg 1940; —»· Blondine), gelegentlich auch leicht abwertend mit „blaß, fade; langweilig" (s. Belege 1881, 1896), oft in festen Verbindungen wie blondes Kind, blonde Dame, blonder Jüngling, insbes. blonde Bestie, im späten 19. Jh. (Nietzsche) in der auf Aristoteles zurückgehenden Tradition, den Menschen als Sozialwesen mit dem wilden Tier zu vergleichen, schlagwortartig zur (negativen) Charakterisierung der „vornehmen" (u. a. germanischen) Rasse und bis heute zitatartig darauf bezogen (s. Belege 1887, 1894, 1898, 1940, 1957; -* Bestie), häufig in Zss. wie seit Mitte 19. Jh. nachgewiesenes aschblond (teillehnübersetzt aus frz. blond cendre, daher anfangs noch Cendre-Haare), hell-, dunkel-, flachs-, gold-, strohblond; Blondhaar, -köpf, -schöpf, -ton; blondbezopft, -gelockt, -wallend; gelegentlich auch als Farbbezeichnung im Sinne von 'hell' auf Tiere, Pflanzen und Genußmittel (Getreide, Tabak, Bier) u. ä. übertragen (s. Belege 1748, 1891, 1928, 1963) und vereinzelt bildlich verwendet, z. B. in bezug auf Naturerscheinungen, Landschaften o. ä. (s. Beleg 1878). Dazu seit Anfang 18. Jh. die subst. Form Blonde1 F. (-n; -n), überwiegend auf weibliche Personen bezogen in der Bed. 'blonde Frau' (gleichbed. mit —» Blondine), speziell auch als Name für die Soubrettenfigur in Mozarts „Entführung aus dem Serail" (s. Beleg 1987), vereinzelt auch als M. von männlichen Personen (s. Belege 1896, 1965) und seit Mitte 19. Jh., auch als N., bildlich gebraucht zur Bezeichnung einer hellen Biersorte für '(Berliner) Weißbier', z. B. in den Wendungen die kühle Blonde, Berliner Blonde (s. Beleg 1918), sowie einer Zigarren- oder Zigarettensorte (s. Beleg 1950); daneben seit Anfang 19. Jh. die Deminutivform Blondchen N. (-s; ohne PL), in der Bed. 'blonde Frau', auch als Name in Mozarts Oper weitgehend gleichbed. mit Blonde (s. o.), jedoch mit leicht negativer Konnotation. Im 18./19. Jh. aus gleichbed. frz. blonde F. übernommenes Blonde2 F. (-n; -n), meist plur. in der Bed. '(nach der Farbe der verwendeten Rohseide) champagnerfarbene, geklöppelte feine Spitzen aus Seide'; seit Ende 18. Jh. das Subst. Blond N. (-s; -s ungebr.), vor allem in Zss. wie Asch-, Goldblond, oft in poetischer Verwendung in der Bed. '(gold-, asch-)blonde Haarfarbe'. Seit früherem 18. Jh. die verbale Gelegenheitsableitung blondinisieren (vgl. Blondin, —«· Blondine) 'hell färben, bleichen', gleichbed. mit seit früherem 20. Jh. nachgewiesenem blondieren V. trans., meist in der Part. Perf.-Form blondiert, für '(die Haare) künstlich aufhellen, blond färben, bleichen', mit dem vereinzelten Verbalsubst. Blondierung F. (-; -en); seit Ende 18. Jh. die subst. Ableitung Blondheit F. (-; ohne PL), gleichbed. mit in der 1. Hälfte des 20. Jhs. vereinzelt nachgewiesenem Blondentum 'das Blondsein'; seit Anfang 19. Jh. die leicht abwertende Personenbezeichnung Blondling M. (-s; -e) 'blonder Mann, Mensch' und gelegentlich auf Tiere (mit hellem Fell) übertragen (s. Beleg 1931); seit Mitte 20. Jh. selten nachgewiesen die verbale Ableitung erblonden V. intrans. 'sich die Haare blond färben, blondieren'; in jüngster Zeit das anglisierende Subst. Blondie als Name und namenartige Bezeichnung für ein blondes Mädchen.

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blond: Gottfried v. Straßburg um 1210 Tristan (Ranke) 9166 Ma blunde Isot, ma bele (TRÜBNER); ebd. (Golther) U 18472 Tristandes leben und sin tot, sin lebender tot, diu blonde Isöt; Konrad v. Würzburg vor 1287 Trojan. Krieg 20680 Helena diu blunde (HEYNE); Harsdörffer 1653 Poet. Trichter 111 429 Sonne . . die blonde Schäferin/ die dieser Erden Herd auf grüner Heiden weidet; Thomasius 1688 Monats-Gespräche l 491 blonde Perruque; Elis. Chart. 1703 Br. 1326 f. der hertzog von Meiningen . . ist mittelmäßiger lenge, mehr fett, alß mager, eine blunde peruque; Amaranthes 1710 Proben 294 ein blondes Kind; Leucorande 1717 Kontusche 83 dencket doch an eure Peruquen . . Muß die Couleur nicht bald weiß, bleu, blond, cendre, braun, schwartz, grau seyn?; Wagner 1724 Soldatenbibl. 83 mit einer blonden Dame; Picander 1727 Gedichte 559 blond Haar; Stoppe 1729 Gedichte II 170 Die Tochter . . geht manchmahl so stattlich her .. Die Brüste schickt sie weit voran, der blonde Kopff muss rückwärts bleiben; Brockes 1748 Vergnügen in Gott IX 366 das blonde reifende Getreide (TRÜBNER); Goethe 1795-96 Lehrjahre V 6 (Jub.-Ausg. XVIII 32) Als Däne, als Nordländer ist er [Hamlet] blond von Hause aus, und hat blaue Augen (TRÜBNER); 1799 Journal d. Moden 212 unter diesen Perrücken war nicht eine einzige braune, die nicht auf dem Kopf einer Blondine gesessen hätte; und keine einzige blonde, die nicht den Scheitel einer Brünette bedeckt hätte; Dreves 1836 Gedichte 274 Weil den König man erkannte/ An den deutschen blonden Locken (TRÜBNER); Kerner 1849 (Menzels Literaturbl. XXVIII 112b) das Brustbild eines wunderschönen jungen Mannes . . mit aschblonden Haaren (cendre, wie es die Franzosen nennen); Burckhardt 1855 Br. an Brenner 225 Sie lesen mit Rührung die Lyriker wieder, die Ihnen in den guten blonden Jahren des erwachenden Bewußtseins gefielen (TRÜBNER); Villamaria 1873 Manon 41 Laß uns Dein holdes Antlitz sehen, mein blondgelockter Engel; 1878 Fünfzehn Tage an d. Donau 6 Die blonde Donau, wie der Ungar sie in seinen Volksliedern so richtig nennt; Moser/Schönthan 1881 Krieg im Frieden 45 Sehn Sie, unsere Europäerinnen, das ist alles abgeblaßt, matt, blond, Schablone (TRÜBNER); Nietzsche 1887 Genealogie d. Moral (W. II 786) Auf dem Grunde aller dieser vornehmen Rassen ist das Raubtier, die prachtvolle, nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie nicht zu verkennen .. das Tier muß wieder heraus, muß wieder in die Wildnis zurück — römischer, arabischer, germanischer, japanesischer Adel, homerische Helden, skandinavische Wikinger — in diesem Bedürfnis sind sie sich alle gleich; Pfleiderer 1890 Erinn. 31 die „blonden deutschen Jungfrauen"; Hopfen 1891 Taillefer 73 das blonde

Weißbrot (TRÜBNER); Eckstein 1895 Hartwig 319 mit dem blondwallenden Haar und der künstlerisch-wirksamen Art, sich in den Mantel zu hüllen; Rilke 1896 S. W. l 137 Du, Mutter, was hast du gesungen,/ eh deinem blassen, blonden Jungen/ der Schlaf die Wangen warm geküßt; Th. Mann 1898 Nachtr. (W. XIII 377) das Mark der Nation ist vertrocknet, die morsche Herrlichkeit ist reif, unter den Streichen blondlockiger „Barbaren" zusammenzustürzen; Rilke 1900 S. W. III 710 Blassblondes Mädchen im grünen Kleid,/ es singt des Lebens Sinn:/ .. Blonde Blüte, der überstolze Garten beginnt,/ dir Wurzeln zu schenken; Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 331) dieser lichten, stahlblauäugigen und blondhaarigen Art, die eine Vorstellung von Reinheit, Ungetrübtheit, Heiterkeit und einer zugleich stolzen und schlichten, unberührbaren Sprödigkeit hervorrief; Rilke um 1906 S. W. l 470 von allem Anbeginn/ war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben,/ blond zu sterben; Bierbaum 1910 Reife Früchte 72 in seiner blonden Gesundheit; Hannemann 1920 Kristian 17 Der lachende Blondkopf kann doch nicht diese Alte geworden sein; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III113) ein blondköpfiger junger Mann; Günther 1925 Rassenkunde 134 Will man kurze und verallgemeinernde Bezeichnungen wählen, so könnte man die nordische Rasse goldblond, die ostbaltische aschblond nennen (TRÜBNER); Sternheim 1926 Schule v. Uznach 20 Blonde Primitivität; Hauser 1928 Brackwasser 39 ein blonder Tabak (TRÜBNER); LokalArn. 21.8.1934 auf dem Bahnhof, eingeklemmt zwischen blondbezopften Nichten mit Kornblumensträußen; 8 Uhr-Blatt 7. 5. 1936 Aus Braun mach blond! (Überschr.) Aus hohen Kristallspiegeln blendet es in allen Nuancen; Münch. N. N. 29. 12. 1940 Das „blonde Gift" mag zum Teil noch gewirkt haben, als bereits die zwei Atlantos ihre Kraft zu zeigen begannen; Th. Mann 1940 Nachtr. (W. Xlll 143) Es ist wahr, die „blonde Bestie" spukt auch in meiner Jugenddichtung, aber sie ist bestialischen Charakters so ziemlich entkleidet; Süddtsch. Ztg. 14.3.1953 Der sogenannte „Export in Blond" nach orientalischen, nordafrikanischen und südamerikanischen Städten; ebd. 10. 9. 1957 Wie diese blonde Bestie in der Maske eines strahlenden, wenngleich halbirren Siegfried, so könnte man sich einen KZ-Sadisten vorstellen; ebd. 20. 5. 1963 In den Handel kommen .. nämlich auch „blonde" 7 1/2 Pfennig Zigaretten und ein vorgeschalteter Feinschnitt für 1,20 Mark je 50Gramm-Päckchen; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 55 Annegrets Blondhaar flatterte wie Wollgras im Winde; MM 5. 12. 1987 daß das blondmähnige Wesen, das sich ihr gegenüber so verklemmt gebärdet .. ihr verkleideter Sohn ist; ebd. 21. 12.1987 der zwölfjährige Christus im Tempel, dieser blond-

blond schopfige Bub . . ist nicht auch er ein Kind des Nordens?; Bälden 1990 Mädchen 21 Jedem, der die charmante Kathlyn kennenlernte, fielen zuerst die in einem ungewöhnlichen hellen Blondton schimmernden Haare und die unwahrscheinlich blauen Augen auf; de Groot 1990 Vater 26 Neben seiner Mutter saß am Eßzimmertisch ein kleiner Blondschopf auf seinem Kinderstühlchen. (Gold-, Asch-)Blond: Müller 1791 Herr Th. II 245 daß dies seidne Haar vom schönsten aschblond war; Meissner 1866 Schwarzgelb 17 Das Mädchen — es zählte höchsten achtzehn Jahre — war die lieblichste Blondine, die sich denken läßt . . Auf ihren zarten, sanften Wangen war das zarteste Roth, das Haar, von dunklem Goldblond, hob sich leicht emporgehoben in natürlichen Ringeln von der klaren, reinen Stirn . . Sie hatte etwas so Mildes, Weiblich-Sanftes in ihrem ganzen Wesen; Rilke 1899 S. W. /// 660 Kaum kann ich jede Schönheit unterscheiden/ die sich mir reif aus deinen Schätzen schenkt./ Dein Blond wird manchmal wieder kinderseiden; Friedeil 1927 Kulturgesch. l 204 Die Modefarbe [in der Hochrenaissance] ist das majestätische Goldblond, das die Damen durch alle möglichen Geheimmittel und Tinkturen und durch tagelanges Liegen in der Sonne zu erzielen suchten; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Blondes Haar dunkelt oft nach. Blondinen verwenden deshalb die Spezial-Sorte Schwarzkopf ExtraBlond mit dem Blond-Verstärker, die dem Haar das ursprüngliche Blond zurückgibt. Blonde1: Menantes 1709 Satir. Roman l 67 Ihren Augenbrauen und den schönen Haaren nach . . war sie unter die Blonden . . zu zählen; Kindleben 1781 Studentenlex. 36 Blonde, eine, auch Blondine, ein Frauenzimmer, welches blaue, schmachtende Augen, weisslichtes Haar, und eine weisse, mit Roth gemischte Gesichtsfarbe hat. Solche Frauenzimmer sind . . mehr, als andere zu den Werken der Liebe geneigt; pflegen aber in Ansehung ihres Körperbaues nicht so fest und dauerhaft, als die Braunen oder Brünetten zu seyn; Grecourt 1787 Auserles. W. (Übers.) II 73 Die Braune und die Blonde (Überseht.) Eine Braune, eine Blonde,/ Sie, die schönsten in der Welt,/ fesseln beyde mich; Hermes 1789 Eltern l 199 Ich will vom Gesicht dieser prächtigen Blonde nichts sagen; ebd. II 86 eine unsäglich huldreiche schmachtende Blonde; Prutz 1854 Neue Sehr, l 109 was dem Berliner die „kühle Blonde" . . ist; Springer 1868 Berlin 136 Die Berliner „Blonde" ist eine Schönheit, welche . . nie altert. Dahin sank der Ruhm der köstlichen Biere .. des Rastrum und der Mumme — aber das Berliner Weißbier wird ewig leben; 1870 Humor im Felde II 14 die lang ver-

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mißte, ganz nach Wiener Art gebraute kühle „Blonde"; Springer 1870 Berl. Prospecte 14 „Berliner Blonde"; Lindenberg 1883 Berlin 60 „große Blonde" [berlinisch]; Wolzogen 1891 Kühle Blonde l 6 Eine kühle Blonde! Es ist die langweiligste Sorte von Schönheit, die ich kenne (TRÜBNER); Suttner 1896 High-life 309 dort, an der Thür steht er der große, elegant aussehende Blonde; Rilke vor 1909 S. W. l 148 Hätte sie [meine Lieder] gerne zu Ronden aneinandergereiht,/ einer erwachsenen Blonden/ als Geschenk und Geschmeid; Wohlmuth 1918 Schauspielerleben 39 bei mancher „kühlen Blonden" [Weißbier; norddtsch. um I860]; Voss. Ztg. 30. 12. 1927 Wenn wir Männer untreu sind, macht die Blonde keinen Skandal . . Schon denkt sie nach, wen sie zu unserem Nachfolger ernennt. Gewöhnlich denkt sie nicht einmal nach; Berl. IIlustr. Nachtausg. 10.2.1933 Die Flachsblonde schloß die Haustür und ging die Marmortreppe wieder hinauf; NZ. (Basel) 1.3.1950 Liegt der Blonden die runde Form besonders gut? (Überschr.) Beim Stumpen scheint dies der Fall zu sein, denn seit Burger die berühmte Blonde . . nun auch in rund herausbringt, gelang es, eine Feinheit zu erzielen, wie man sie bis jetzt. . noch nie erreichte; Stuttgarter Ztg. 18.5. 1960 „Une blonde" - eine Blonde, das ist wohl der Ruf, den man im Pariser Haus der Presse am häufigsten hört. Nicht etwa die bemerkenswerten Blondinen in blauen Schneiderkostümen mit weißen Strohhütchen werden damit angefordert, sondern das helle Bier; Offenburger Tagebl. 16. 9. 1960 In Marylin mischte sich der Typ des Vamps mit einem anderen Typ der dreißiger Jahre, der „dummen Blonden"; Frisch 1965 Homo faber 7 der junge Deutsche neben mir .. ein Blonder mit rosiger Haut; MM 30. 7. 1987 Blonde könnte sich eine Beziehung zu Osmin durchaus vorstellen — wenn er nur lernen würde, manierlich um sie zu werben. Blondchen: Rochlitz 1808 Romane l 10 Meine Schwester, mein kleines Blondchen .. ist dein! Erwirb dir ihre Liebe; Schottky 1834 Alpenwelt 65 das wunderlich schöne Blondchen; Jäger 1835 F. Schnabel 318 „Blondchen bist Du es?" redete das hübsche Kind den bekannten Besucher an; Eckstein 1892 Dombrowsky l 203 Blondchen; 1936 Köln. Ztg. Aug. Eigentlich ist das Blondchen da drüben viel netter; Stern 22. 12. 1987 ein verzückter Zuschauer . . riß ihr die schwarze Langhaarperücke vom Kopf, mit der Annie ihren BlondchenKomplex kaschierte. Was hervorkam, war ein kurzgeschorener Karottenkopf; MM 12.1. 1988 sein Blondchen fliegt nicht mit Pedrillo; er läßt es im Serail zurück .. Pedrillo, der Versager, schafft es nicht, Osmin betrunken zu machen, sondern geht selbst besäuselt aus dem „Vivat, Bacchus!"-

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blond

Duett hervor. Blondchen klammert sich erschrokken an Osmin, als die Freiheit winkt.

erinnerte Achim an die Blondheit von Mädchengesichtern; er blickte ihm sanft und hübsch entgegen.

Blonde2: Michaelis 1766 Gedichte (W. I 89) Alongen, Blonden, Bänder und Karkassen; Möser 1775 Phantasien I 24 achtzehn Ellen Blonden; Bittmauer 1782-87 Gedichte (III 5) O Mädchen, schaue nicht zu viel Auf jeder Mode Fratzenspiel! Ein Mädchen, das nur Blonden mißt, und dessen Buch der Spiegel ist, dem ob dem Putz der Nachbarin Vor Ärger beide Backen glüh'n; Forster 1791 Ansichten (IX 165) Blonden [Spitzen aus roher Seide, von scharfgelblichem Farbton]; 1796 Journal d. Moden XI 228 Ein Stück Spitzen hält gemeiniglich 10 Ellen, ein Stück Blonden aber 30 Ellen; Borne 1822 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. II 30) Hüte, Blonden, Schleier, Geschmeide von Gold und Edelsteinen, und alles in so reichem und kostbaren Vorrathe, daß selbst eine Königin mit Bedenken wählen müßte; Heine 1835 Romant. Schule 130 einer heiteren, dicken, rotbäckigen Frau mit einem hohen Busen, der, mit seinen ausgezackten steifen Blonden, wie eine Festung aussah; 1846 Urania 23 eine kleine ausgedorrte, vornehme Gestalt, in parfumirte Blonden und zarte Seidenstoffe gehüllt; 1855 Hausblätter II 65 Blondenrosetten; 1863 Bilder a. Paris l 49 Auf dem letzten Hofballe trug sie ein weißes Atlaskleid mit feiner Goldstickerei, alle Blonden-Volants mit Amethyst-Agraffen aufgefaßt; Bahn 1909 Menschen u. Moden 148 In Dublin verbanden sich 1755 die jungen Herren zu einem Verein, welcher alle Damen, die französische Spitzen tragen würden, boykottieren wollte. Seit 1756 die Blonde auftauchte, 1768 Hammond in Nottingham eine Maschine erfand, welche den Tüll — den man zuerst Fond de Bruxelles nannte — auf mechanischem Wege herstellte.

Blondie: Bild 20. 10. 1989 Hier verlustierte sich der Wodka-Fan [Krenz] wechselweise mit Honeckers Ex-Frau Margot und willigen FDJ-Blondies in Schäferstündchen, die ihn von der täglichen Volksunterdrückung ablenken; MM 24. 11. 1987 Das Sextett kombiniert die aufputschenden GitarrenRhythmen des Sechziger-Jahre-Beat mit jenem aufreizenden Jungmädchen-Gesang, den „Blondie" weltweit bekannt gemacht hat; Stern 19. 11. 1987 Jungstars und Neidhammel wie Bret Easton Ellis, der sich gerade an Kurt Vonnegut heranpirscht, oder Blondie, die gerade ein Fernsehinterview gibt.

Blondentum: Voss. Ztg. 15.2.1928 eine Beleidigung des Blondentums. Blondheit: Heynatz 1796 Antibarbarus I 268 die Blondheit statt der blonden Farbe kömmt verschiedentlich vor, und ist nicht wohl zu entbehren; Tieck 1839 Sehr. XXVI 410 Du inklinirst zum Aberglauben, Kind . . in Deiner Blondheit hast Du überhaupt etwas zu viel mittelalterliches, solche saumselige Schwärmerei, die man heut zu Tage nicht mehr brauchen kann; Th. Mann 1933—43 Joseph (W. /V/V 286) wegen der Fülle und Blondheit ihres schwer geknoteten Haares und der Stattlichkeit ihres zur Mutterschaft tüchtigen Leibes; ders. 1940 Nachtr. (W. XIII 143) die „blonde Bestie" .. ist bestialischen Charakters so ziemlich entkleidet, und übriggeblieben ist nichts als die Blondheit zusammen mit der Geistlosigkeit; Johnson 1961 Buch 196 Er hatte fast weißes Haar und

blondieren: 1935 Samml. Weinbender o. S. blondiertes Haar; Benn 1947 Prosa u. Szenen (1958 Ges. W. II 210) nun kenne ich als Fachman natürlich Wasserstoff vom Blondieren, aber dies „bereits" lebt von einem Zweispalt; Pech 1981 Mützentransaktion 42 Aus einem niedrig gelegenen Fenster des Institutsgebäudes sah eine junge Frau, die dichtes blondiertes Haar und lange Wimpern hatte; MM 14. 12. 1985 drei gealterte Industriebosse, die mit ihren Gespielinnen („zwei Blonde und eine Blondierte") eine Jachtpartie unternehmen; Zeit 14. 2. 1986 Im Schwarzlicht werden die Gesichter fremd, erscheinen die blondierten Haare noch blonder, die falschen Zähne noch falscher. Blondierung: Zeit 20. 6. 1986 In „Ruth's Frisierkommödchen" in Solingen kostet eine Blondierung 20 Mark, das Gesichts-Make-up ist für zehn Mark zu haben. blondigt: Klinger 1780 Plimplamplasko 198 So war auch sein Haar schön blondigt, und thät fallen in gar fliegenden Ringlen. blondinisieren: Lindenborn 1741 Diogenes II 71 sie hätte schon eine geraume Zeit ein merckliches versalben müssen/ um ihre haut, welche etwas Olivenfarbigt ausgefallen wäre/ zu blondinisiren. Blondling: Arndt 1804 Reisen II 191 Blondlinge und Blauaugen; ebd. IV 395 Aufgefallen ist es mir, dass man hier [bei Bonn und Koblenz] mehr Blondlinge und ächte Flachsköpfe findet als in irgend einer anderen Provinz Teutschlands, es sei denn in den unteren Harzbergen (beide GOMBERT); Gombert 1893 Progr. 15 f. Blondling . . scheint nur eine von E. M. Arndt zur Vermeidung des fremdklingenden Wortes Blondin gebrauchte Wortform zu sein; Modersohn-Becker 1897 Br. u. Tagebuchbl. 28 Ein fixer, aufgeweckter Blondling;

Blondine Fischart 1918 Weltbühne II 507 Wie ein Fremdling sieht er [Friedrich Ebert], rein äußerlich, unter den Blond- und Bräunungen dieses Parteikollegiums aus. Ein süddeutsch-romanischer Mischling?; Häusler 1920 Br. an W.Thalbitzer 116 Richtige Blendlinge, mit allen Kennzeichen, sieht man kaum; Gagern 1931 Kirschen u. Böcke 33 wie eines Jahres einer der begehrten Bräunlinge, jener vorerwähnte ungerade Zehner [Hirsch], mit Vorliebe und Wut eben jene Fichten . . beraspelte, die Frühlings zuvor ein nicht besonders ansehnlicher

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„Blondling" mit gleicher Sonderleidenschaft bearbeitete; Hauser 1935 Judentum 33 Trajan selbst war ein Blondling aus der Kolonie Spanien; Erpenbeck 1965 Gründer II 130 der Lehrer, ein etwas dicklicher Blondling. erblonden: Tritsch 1954 Erben 119 Die molligsten Mädchen erblondeten ebenso rasch wie die langbeinigen, schlanken; Offenburger Tagebl. 30.3. 1967 Sagen wir es offen: ein Teil von ihnen war nicht naturblond, sondern „erblondet". IN

Blondine F. (-; -n), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. blondine (zu blond, —>· blond), anfangs vereinzelt in der Form Blandine, im 18.719. Jh. auch in der Deminutiv-Form Blondinchen. Bezeichnung für eine Frau mit hellen bis goldgelben Haaren und meist weiteren typischen äußeren Merkmalen wie helle Haut, blaue Augen o. ä. (vgl. Blonde1, —* blond), oft im selben Kontext Brünette (—> brünett) gegenübergestellt (s. Belege 1806, 1810, 1926, 1928, 1967), teils positiv konnotiert mit „schön, anmutig; zart", teils auch leicht negativ mit „farblos, blaß, bleich(-süchtig), matt" (s. Belege 1709, 1889, 1896), in neuerer Zeit zunehmend abwertend, bes. bezogen auf Frauen mit blond gefärbtem, blondiertem Haar (s. Belege 1935, 1989, 1995), mit eher negativen Assoziationen wie „(nur) schön und dumm; (gefühls-)kalt; frivol, leichtfertig, sinnlich, verführerisch, sexy" (s. Belege 1868, 1887, 1927, 1949, 1967, 1985, 1987, 1989, 1993), in festen Verbindungen wie schöne, hübsche, zarte, junge, kleine, charmante, dumme, attraktive, rassige, (auf-)reizende, üppige, falsche Blondine, häufig in der als Redensart (in Buchtiteln u. ä.) verbreiteten Wendung Blondinen (werden) bevorzugt, seltener in abwertenden Zss. wie Sex-, Vorstadt-, Fünfziger-Jahre-Blondine und bes. in jüngster Zeit Blondinenwitz. Daneben von Mitte 18. bis ins frühere 20. Jh. Blondin M. (-s; -s), gleichbed. mit Blondling (—»· blond), bei Goethe fälschlich mit Bezug auf Albinos (—» Albino) gebraucht (s. Beleg 1779), gelegentlich konnotiert mit „fade, langweilig" (s. Belege 1870, 1900). Blondine: Menantes 1703 Galant zu schreiben 523 und ist einer Blandinen gleich (BRUNT); Wächtler 1709 Manual 51 sie ist eine Blondine, eine bleichgelbe Weibs-Person; Stranitzky 1711 Ollapatrida 55 Ich will nur wissen/ ob ich eine Brünette oder Blondine heurathen soll?; 1716 Berl. Beschrieb. Ztgn. 529 eines Leutenants nachgelaßene Tochter . . so eine fast vollkommene schöne Blondine ist; Zachariä 1744 Renommist II 534 Blondine; La Röche 1771 Sternheim 254 Blondine; Goethe 1774 Werther (WA l 19,28) Eine kleine naseweise Blondine . . von ungefähr sechs Jahren; Tekete 1780 Beytrag 29 noch weniger der reizendsten unter alle möglichen Blondinen oder Brünetten .. nachsetzen sollten; 1796 Journal d. Moden XI 388 Anm. Heut zu Tage lassen sich Blondinen, die von der Natur mit einem Uebermaaß des Blonden gesegnet wur-

den, das einige roth nennen wollen, aus England Salben verschreiben, die das Rothe wegbeizen sollen; Ehrmann 1806 Frankr. 109 Ein großer Theil des weiblichen Geschlechts [unter den Franzosen] verdient wirklich mit vollem Rechte den Beinamen des schönen; doch giebt es im Durchschnitte genommen mehr Brünetten als Blondinen; Goethe 1810 Farbenlehre (HA XIII 507) Die Blondine hat zu Violett und Hellgelb, die Brünette zu Blau und Gelbrot Neigung, und sämtlich mit Recht; ders. 1821 Wanderjahre (HA VIII 137) es war das nußbraune Mädchen nicht, vielmehr gerade das Gegenteil; zwar auch eine schöne, schlanke Gestalt, aber blond, mit allen Vorteilen, die Blondinen eigen sind; Glassbrenner 1836 Bilder l 49 jede schmachtende Blondine; Fontane-Lepel 1848 Briefw. l 97 eine junge Blondine; König 1857 Clu-

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Blondine

Rothaarige pikante, Blondinen leichte, blumige bisten l 16 Eine hübsche Blondine . . fütterte ein Schoßhündchen mit Zuckerbrot; Meissner 1866 und Brünette herbe Parfüms verwenden; Zeit Schwarzgelb 17 Das Mädchen — es zählte höch15.2. 1985 einer aufreizenden Blondine . . im stens achtzehn Jahre — war die lieblichste Blonhauchdünnen Bodystocking; MM 5.8.1987 Das dine, die sich denken läßt . . Sie hatte etwas so Sexsymbol einer Epoche war .. die Schöpfung eiMildes, Weiblich-Sanftes in ihrem ganzen Wesen; ner irrealen Figur. „MM" [Marylin Monroe] war Springer 1868 Berlin 79 liebessüchtige Blondinen; jedoch viel mehr als die „dumme Blondine" . . Wolff 1887 Hagestolze 27 eine schlanke, blühende, Schon in Kassenknüllern wie „Blondinen bevorüberaus lebenslustige Blondine, die gut zu Pferde zugt" .. hatte sie gekonnt ihren eigenen Typ parsaß, verführerisch lächeln konnte und sich überodiert; ebd. 7. 11. 1987 Verachtung für die lebenshaupt der Macht ihrer Reize allen Männern gegen- lustige Blondine, die ihr Kind nur aus der Ferne über sehr wohl bewußt war; Zapp 1896 Offiziersliebte, um die Nähe von Besatzungssoldaten sutöchter 107 Die Braut war eine zarte Blondine, chen zu können; Spiegel 21. 6. 1993 eine Landesvon schmächtiger, fast noch unterentwickelter Getochter als Loreley .. blond und langmähnig, wie stalt; den matten Zügen in dem fahlen Gesicht des die Sage befiehlt.. die Blondine .. Star eines Musikaum zwanzigjährigen jungen Mädchens hatte cals über die männerverschlingende Rhein-Nixe; körperliches Leiden bereits seine sichtbaren Spuren ebd. 26. 9. 1994 Mythos blond - Blondinenwitze, eingedrückt; Falke 1912 Stadt 153 eine zierliche Vorurteile, Kultfiguren: Gesprächsrunde mit BeBlondine mittlerer Größe; Weber 1926 Max Weber troffenen über die Last, blond zu sein; MM 423 Nachweis .. ob die Blondinen oder die Brünet6. 9. 1995 Blondine mit magischem Flair (Überten hübscher sind; Loos 1926 Blondinen bevorschr.) . . eine wie Lauren Bacall gestylte Fünfzigerzugt! (Übers.) (Titel); Voss. Ztg. 30. 12. 1927 Jahre-Blondine; ebd. 28. 9.1995 die meisten waren Warum werden Blondinen bevorzugt? (Überschr.) hin und weg von der falschen Blondine aus Texas. Bei ihnen riskiert man am wenigsten . . Wenn wir Männer untreu sind, macht die Blonde keinen Skandal; ebd. 15. 2. 1928 Blondinen . . ein Experi- Blondinchen: 1781 Hausball XV111 34 Blondinchen; Goethe 1819 Diwan (HA VI 165) Du Blonmentalpsychologe . . hat an vier brünetten und vier dinchen, bist so zierlich, Aller Weis' und Weg' so blonden New Yorker Chorgirls festgestellt, daß die nette, Man gedenkt nicht ungebührlich Alsogleich Brünetten zu bevorzugen seien; Berl. lllustr. Nachtder Minarette; Kürnberger 1876 Haustyrann 24 ausg. 21.6.1933 95 Prozent der Blondinen bleiBlondinchen. chen (Überschr.) „Männer bevorzugen Blondinen" hieß ein vielgelesener amerikanischer Roman .. die Nachfrage nach blonden Filmkünstlerinnen überBlondin: Geliert 1747 Krauter Frau (S. Sehr. 111 steigt offenbar das Angebot; Sander 1935 Kliff414 f.) Ach der allerliebste Blondin! .. Ja, ein Blonsommer 140 in der faden Äußerlichkeit einer wasdin ist er . . schöne große blaue Augen hat er; Goeserstoffsuperoxyden Blondine (TRÜBNER); NZ. the 1779 Br. (WA IV 132,21) Wir nahmen unsern (Basel) 26. 3. 1949 in einem Lande, in dem schon Weg nach dem Wirtshause zu, bei der Wohnung das Wort „Blondine" alle Versprechungen eines lüsternen Abenteuers in sich trägt; Süddtsch. Ztg. zweier Blondins vorbei: Kinder von zwölf bis vier30. 8. 1954 Blondinen bevorzugt (Überschr.) Die . . zehn Jahren, die sehr weise Haut, weise, doch schroffe Haare, rothe und bewegliche Augen wie iranische Morgenzeitung Azhang brachte auf dem die Kaninchen haben; Christ um 1800 SchauspieTitelblatt das Photo einer wohlproportionierten lerleben 135 eines jungen, blauäugigen Blondins; Blondine mit der Unterschrift „Dies scheint das Springer 1868 Berlin 163 jener hektische Blondin; einzige zu sein, in dem alle Perser einer Meinung Dincklage 1870 Gesch. l 7 Dort reitet, groß und sind"; Boll 1963 Clown 119 Da tanzen in irgendeiblond, mit lang herniedergewirbeltem Schnurrbart nem Wildwest-Tingel-Tangel Blondinen Cancan, . . ein hungrig aussehender, fader Blondin; Senden rauhe Cowboys . . schauen den hübschen, jungen Blondinen beim Cancantanzen zu; FAZ 30. 3. 1963 1900 Tänzerin 124 einen faden, eleganten Blondin; Th. Mann 1911 Erz. (W. VIII 437) Beide waren Charmante Blondine . . sehr gut aussehend, gute bleich, aber bei Jappe sah man es deutlicher, weil Figur (Anzeige); Bild 23. 2. 1967 Wer behauptet, Blondinen seien kühl, versteht nichts von Frauen! er gewöhnlich rotbackig war. Er hatte das Gesicht eines munteren und etwas brutalen Blondins mit Wenn sie einmal in Fahrt sind, sind sie temperaStülpnase und einem Sattel von Sommersprossen mentvoller als Südländerinnen! . . Man muß sich zwar Mühe geben, wenn man eine Blondine er- darüber; Lokal-Anz- 29. 7. 1934 jene Berühmtheit . . die einst . . jener Blondin erlangt hatte, der . . obern will, dafür ist sie aber nachher um so anüber die fürchterlichen Strudel des Niagara schritt. hänglicher; ebd. 23. 5. 1967 Grundsätzlich sollten IN schwarzhaarige Frauen schwere Düfte tragen,

Blouson

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Blouson N., auch M. (-s; -s), seit Mitte 20. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus frz. blouson (zu blouse, —> Bluse). Anfangs auf frz. Verhältnisse bezogen, dann auch allgemeiner in der Bed. '(meist) kurze, sportliche Jacke mit blusig bequemem, weitem Schnitt, elastischem Bund an Taille und Ärmeln, Steh- oder Umlegekragen und Reißverschluß', auch in Zss. wie Blousonkleid, -anzug, -Stil; Herren-, Knaben-, Jersey-, Jeans-Blouson. Trostb. Tagebl. 5. 3. 1958 Kurze, gerade fallende Jacken, die eigentlich verlängerte Boleros sind, wechseln mit „Blousons" und „Candiennes". Dazu trägt man Blusen in Jumperform, die nur selten mit der Farbe des Kostüms kontrastieren; 1958 Werbeanzeige o. S. Modischer Blouson — Popeline „no-iron"; ebd. Jugendliches Blousonkleid — zweiteilig. Die Linie, die modisch, schick und doch sehr tragbar ist; Stuttgarter Ztg. 13.3.1959 Es gibt diesmal keine . . Sach-, Trapez- oder Rucksack-Linie, lediglich leicht angedeutete Blouson-Rücken bei Mänteln; ND 28. 5. 1959 sommerlich gemusterte Bluse, Blousonstil; Offenburger Tagebl. 8. 12. 1959 Herren-Blousons Baumwoll-Flanell . . Herren-Sommer-Jacken; ebd. 6.3.1969 KnabenBlousons Synthetik, Baumwolle, ganz gefüttert (Anzeige); Zeit 8. 2. 1985 Vier junge Schwarze stecken Schraubenzieher in die Innentaschen ihrer Blousons; MM 30. 7. 1986 taillierte Jacken und Westen mit kleinen Gürteln im Rücken oder

Nappa-Lederhosen zu Jersey-Blousons mit kontrastierenden Leder- oder Pelzärmeln; ebd. 6. 9. 1986 Als bunter Vogel sticht Ralf Schwirtlich aus dem graubraunen Herrenkonfektions-Bild heraus. Er schleppt silbrige Blousons, seidenglänzende Hosen und wagt sich auch mal im nabelfreien Shirt über den Pausenhof; ebd. ob Jeans-Blousons oder weißer Smoking, die Einzelstücke haben Paßform und können sich sehen lassen; ebd. 31. 10. 1986 Schon äußerlich stoßen zwei Welten aufeinander. Jeans und fetzige Pullover und Blousons auf westlicher Seite, Schuluniform auf der östlichen; Zeit 27. 4. 1990 Die jungen Herren trugen ausnahmslos Blousonanzüge; Spiegel 18. 12. 1990 Herr Pfarrer Eppelmann aus der Samariterstraße, modisch verpackt im zweifarbigen Goretex-Blouson, schließt die kleine Widerstandsfeier ab; Strauß 1991 Schlußchor 86 Der Rufer . . zieht ein Paar aus der DDR mit sich, bescheidene, etwas unförmig wirkende Leute in ihren graublauen Blousons. IN

Bluff M. (-s; -s), seit Anfang 20. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus engl. bluff in seiner auf den diplomatisch-politischen Bereich übertragenen Bed. 'politisch-taktisches Täuschungs-, Betrugsmanöver', ursprünglich im Amerikan.-Engl. auf das Kartenspiel bezogen für 'Spieltrick beim Pokern, bei dem der Gegner durch hohen Einsatz bei schlechten Karten getäuscht wird' (zu bluff 'bei schlechten Karten durch hohen Einsatz täuschen; irreführen, täuschen', unsicherer Herkunft, eventuell auf niederdtsch./niederl. bluffen 'prahlen' zurückgehend, von daher gelegentlich, auch aufgrund der lautlichen Ähnlichkeit etymologisierend mit Verblüffung, verblüffen, verblüfft in Zusammenhang gebracht), anfangs als Anglizismus bekämpft und mehrfach Eindeutschungsversuchen unterzogen, überwiegend in der engl. Aussprache gebraucht. In der Bed. 'taktisch berechnende, strategisch kalkulierte, geschickte Irreführung, gerissenes Täuschungsmanöver; Einschüchterung (durch dreistes Auftreten, Vorgehen), Überraschungs-, Überrumpelungseffekt; Lüge, Taktik', bes. in der Politik und Diplomatie, vor allem als politisches Schlagwort der 30er/40er Jahre von den Nationalsozialisten verwendet zur negativen Kennzeichnung des politischen (Kriegs-)Gegners während des Zweiten Weltkrieges (s. Belege 1938, 1943, 1944, 1945, 1955; -* Propaganda), speziell in bezug auf die Charakterisierung der USA (s. Beleg 1942); daneben zunehmend allgemeiner gebraucht in verschiedenen Bereichen wie Medien, Wirtschaft, Kriminalität, Kunst, Mode o. ä. im Sinne von 'effektvoller, gerissener Schwindel; Knalleffekt' (-» Coup; s. Belege 1957, 1964, 1967, 1985, 1987); in jung-

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Bluff

ster Zeit auch vereinzelt (in Anlehnung an die ursprüngliche Bed. im Amerikan.Engl.) für 'Kartenspieler-, Zaubertrick' (s. Beleg 1993). Oft in festen Wendungen wie auf einen Bluff hereinfallen, (das ist) alles nur/bloß/einfach Bluff!, kein Bluff!, der große Bluff, ein aufgelegter Bluff, seltener als Bestimmungswort mit der Bed. 'vorgetäuscht' in Zss. wie Bluff-Politik, -offensive, -methode und als Grundwort z. B. in Wahl-, Riesenbluff, Propaganda-Bluff. Dazu gleichzeitig aus engl. bluff (s. o.) entlehntes bluffen, als V. trans, 'jmdn. (z. B. einen politischen Gegner) durch dreistes, geschicktes Vorgehen, Auftreten überrumpeln, irreführen, täuschen, einschüchtern, abschrecken; jmdn. hereinlegen, ins Bockshorn jagen', als V. intrans. auch 'so tun als ob', auch in der Wendung sich (nicht) bluffen lassen; seit früherem 20. Jh. die selten nachgewiesene Personenbezeichnung Bluffer M. (-s; -), Anfang 20. Jh. vereinzelt auch in der französisierenden Form Bluffeur. Bluff: Holstein 1905 Papiere IV 322 Se. Maj. . . sagt . ., daß Deutschland doch wohl nie etwas anderes gewollt hat als bluffen . . Sogar in die französische Presse ist der Ausdruck Bluff gekommen; 1908 ZDSprachfer. o. S. Bluff (Überschr.) Bluff das ist augenblicklich auch solch ein Lieblingswort so manches lieben Deutschen. Man schreibt von Delcasses Bluff, behauptet, man käme sich sehr geblufft vor . . und vermeidet es geflissentlich, darüber nachzudenken, daß wir eigentlich diese Engländerei gar nicht nötig haben, sintemalen unser deutscher Wortschatz noch immer über so bezeichnende Ausdrücke verfügt wie Täuschung, Irreführung, Prahlerei, Spiegelfechterei, Herausforderung, Schreckschuß und dazu täuschen, irreführen, prahlen, herausfordern, abschrecken, einschüchtern. Wir haben sogar das gut deutsche verblüffen, das vielleicht mit dem englischen Worte stammverwandt ist; Peters 1912 Weltpolitik 319 Ernst oder Bluff [in der Politik]; 1912-13 Pan III 441 Merkt Ihr ein System im innerdeutschen Bluff? Stets werden eindrucksvolle Vorgänge, wenn sie den Linken vorteilhaft waren, hinterdrein durch einen Bluff genullt; Kjellen 1916 Polit. Probleme (Übers.) 120 welche Rolle „Kalkül" und „Bluff" in der Weltpolitik unserer Zeit spielen; Brachvogel 1919 Glück 161 Glauben Sie doch das nicht, Doktor, das ist ja alles nur Bluff!; 1926 Sittengesch. v. Paris 264 So ist das geheime Paris, das man heute sieht . . Alles was man in der Eile ohne eigene Anstrengung sehen kann, um seine bloße Neugier zu befriedigen, ist „gestellt" und in dümmster und gröbster Weise „Bluff"; Berl. Illustr. Nachtausg. 10. 5. 1932 Was? Sie haben die fünf Millionen? Die Geschichte war also kein Bluff?; Wohl 1932 Reporter 289 Sie sind auf einen ungeheuerlichen Bluff hereingefallen; Lokal-Anz. 22. 1.1933 Kein Bluff. Selbständige Lebensexistenz, Garantiertes Eink. Erfordert 1500,- (Anzeige); Berl. Illustr. Nachtausg. 2. 2. 1933 „Der große Bluff" (Überschr.) Ju-

welenraub um Mitternacht; Lokal-Anz. 26. 8. 1933 Der Bluff mit dem Reichstagsbrandmaterial (Überschr.); Dtsch. AZ. 4. 12. 1935 In Völkerbundskreisen wird das aus Rom gemeldete Erdölabkommen als ein „riesiger Bluff" bezeichnet; Munch. N. N. 29. 12. 1938 Es war der entscheidende Fehler des Auslands, daß es . . hinter der unaufhörlichen deutschen Pressevorbereitung einen „Bluff" sah, bis die Tage von Berchtesgaden, Godesberg und München zeigten, daß aus der entschlossenen Sprache der deutschen Presse der zum Letzten entschlossene Wille des Führers und seines Volkes sprach; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. XI 937) Kein Wunder, daß er [Faschismus] diesem Wagnis den . . Mittelzustand zwischen Krieg und Frieden vorzieht, der seine Erfindung ist und der ihm erlaubt, den inneren und äußeren Bluff, die Erpressung der demokratischen Friedensliebe sicherer fortzusetzen und vielleicht ohne eigentlichen Krieg zu seinen Machtzielen zu gelangen; Munch. N. N. 6. 10. 1942 Amerika hat ein Wort ganz groß geschrieben, riesengroß, und dieses Wort heißt Bluff; M.-A. Abendztg. 3. 12. 1943 Abschluß der Bluffkonferenz (Überschr.) . . zwischen Stalin, Churchill und Roosevelt im sowjetischen Okkupationsgebiet des Iran; ebd. 6. 12. 1943 daß sich das deutsche Volk in den vergangenen Jahren sehr eingehend mit den Bluff- und Terrormethoden des Feindes aus unmittelbarer Erfahrung heraus befassen konnte; ebd. 12. 5. 1944 Der Feind wird auch zweifellos agitatorische Bluffs starten, die eine Erschütterung der inneren Kampfmoral der Heimat anstreben; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1082) Die Festung Europa war niemals mehr als ein Propaganda-Bluff, denn eine Festung, deren Insassen mit geringen Ausnahmen glühend danach verlangen, erobert zu werden, verdient kaum diesen Namen; Lochner 1955 Unerwartete 136 daß die Nazis entschlossen seien, die verlorenen Kolonien zurückzugewinnen, wenn möglich mit Bluff,

Bluff ansonsten durch Gewalt; Süddtsch. Ztg. 22. 8. 1957 Die von der Bundesregierung angekündigten Zoll- und Steuersenkungen bezeichnete ein Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion als „Wahlbluff"; Jaspers 1958 Atombombe 117 Wenn [die englische Weltherrschaft] ein Bluff war, so hat dieser aufgehört, als England und Frankreich Millionen von Indern und Negern als Soldaten nach Europa brachten zum Kampf gegen Deutschland; Welt 25. 7. 1959 Es lohnt sich manchmal, auch über die militärpolitischen Hintergründe im Bilde zu sein, um nicht auf jeden Bluff in der Weltpolitik hereinzufallen; Heuss 1963 Erinn. 395 der Hinweis, daß Hitler in seinen Aussagen der Lüge und dem Bluff nicht auswich, hat die Richter bei dem Finden des Strafmaßes nicht weiter beunruhigt; Welt 17. 6. 1964 Ist das Finanzministerium auf einen Bluff hereingefallen — ja oder nein?; Offenburger Tagebl. 14.4. 1966 Gegen bewußte Fehldeutung einzelner Vorschläge [der deutschen Friedensoffensive] als „Propaganda und Bluff" kann man nichts machen; Bild 9. 2. 1967 Der Kumpel mit der Maschinenpistole war Bluff. Es gibt keinen Anhaltspunkt, daß der Räuber einen Komplicen hatte; Welt 23. 9. 1969 [Die] Utopie, daß das „große sozialistische Experiment in der Sowjetunion" am Ende doch noch erfolgreich sein werde . . habe aber spätestens ihre Zugkraft und ihre Verlockung verloren, als man erkennen mußte, daß Utopia ein aufgelegter Bluff war; Zeit 4. 1. 1985 war das Ganze ein Bluff? Wollte man mit ein paar irgendwie dahingeratenen Plastiken wenigstens einen Teil des Touristenstroms ablenken, damit auch in Sommacampagna die Registrierkassen flotter klingelten?; ebd. 4. 4. 1986 Die Designer-Labels regieren wieder die Szene . . Der große Bluff ist angesagt, aber das war ja auch schon bei den Punks nicht anders; ebd. 3. 4. 1987 ob das nun richtig oder albern inszeniert war — es waren doch zwei gewaltige Abende voll Schönheiten und Verblüffungen, voll Bluff ganz sicher auch; MM 1. 10. 1987 Die ganze moderne Kunst ist Bluff. Eine Mafia aus Galeristen, Künstlern und Museumsleuten hat sie erfunden, um dämlichen, betuchten Sammlern in die Tasche zu greifen oder um an reichlich fließende Steuergelder heranzukommen; Spiegel 2. 8. 1993 Das Zersägen einer Jungfrau zum Beispiel war ein Bluff. bluffen: 3904 Zfösterr. Gymn. 114 bluffen; Holstein 1905 Papiere IV 322 Se. Maj. . . sagt . ., daß Deutschland doch wohl nie etwas anderes gewollt hat als bluffen; 190« ZDSprachver. o. S. Man . . behauptet, man käme sich sehr geblufft vor .. und vermeidet es geflissentlich, darüber nachzudenken, daß wir eigentlich diese Engländerei gar nicht nötig haben; 1912 Olmütz 49 Deutschland dürfe sich

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nicht „bluffen" lassen; 1916 Deutschland U 641 Daß eine Regierung sich durch die Anwendung des Bluffs zu weit vorwagt und dann nicht mehr imstande ist, selbst einen sachlich berechtigten Rückzug anzutreten. Die Verantwortlichkeit . . steigert sich, wenn sich ein Ring des Bluffens bildet, in dem jedes starke Wort von dem zweiten Gliede dankbar aufgenommen und verstärkt weitergegeben wird; Frankf. Ztg. 15. 10. 1927 Beim Züchten von Menschen .. ergab sich, daß die Natur einfach bluffte . . Hatte er [der Baron G. R.] einen Sportsmann züchten wollen, bekam er ein grüblerisches Geschöpf; Voss. Ztg. 19. 9. 1929 Es wäre an der Zeit, daß die französische Sportpresse den Parisern klarmachte, daß sie mit dem Riesen Carbera in der unverschämtesten Weise geblufft werde; Berl. 11lustr. Nachtausg. 20.3. 1933 daß die glanzvollen Verhältnisse in der Villa Hintzes dazu beigetragen haben, daß sich Frau Bindernagel dort hingezogen fühlte. Zeuge: Ich möchte es so ausdrücken: Meine Frau hat sich bluffen lassen; Münch. N. N. 31. 1. 1941 Als ich im Reichstag, im September 1939, das Ausmaß der deutschen Rüstung bekanntgab, haben die anderen das nicht geglaubt. Das mag verständlich sein. — Denn wer selbst nur vom Bluff lebt, glaubt, daß auch andere nur bluffen; ebd. 18.5. 1944 daß dort [Montparnasse] in den besten Privatkunstschulen von Paris nicht bloß geblufft, sondern auch enrnsthaft gearbeitet wurde; Süddtsch. Ztg. 16. 7. 1946 Coring blufft (Überschr.); ebd. 30. 3. 1965 „Ich bin verblafft" .. Und verblafft sind auch wir; Zeit 19. 4. 1985 Themen .. auf die sich der Schüler nur schwer vorbereiten kann, weil sie zu allgemein sind . . bei denen wieder mit Rhetorik geblufft werden kann; ebd. 15.11. 1985 Noch hoffen manche Beobachter, der Präsident [Reagan] bluffe nur; er wolle lediglich einen möglichst hohen Preis für den Verzicht auf Star-Wars-Tests herausschlagen; Torwegge 1990 Liebe 27 Ach was, eine Prinzessin von Läutenkirchen nimmt sich nicht das Leben — sie blufft nur! Bluffer: Dörfler 1933 Sitte u. Sprache 18 Bluffern; Hilpert 1963 Liebe 18 „Vorsprechbluffer", Leute, die mit einer seltenen Fertigkeit in der Nachahmung von Schauspielern, die sie gesehen haben, Kopien liefern; Zeit 27.3.1987 Der derzeit vermutlich größte Bluffer der Stadt, ein begieriger Nachwuchsmaler namens Mark Kostabi aus Kalifornien, verpflichtete sich einen eigenen Promotor; ebd. 24. 4. 1987 Wilson - das ist die Eleganz des Zombies, die Genialität des Bluffers; Spiegel 7. 11.1994 Die Pfeife .. läßt den Rauchenden wissend erscheinen . . Und wissend will er erscheinen - der Bluffer. Bluffeur: Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 185 „Bluffeure!" diese Amerikaner, ausgezeichnete Schaupieler. IN

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blümerant

blümerant Adj., im früheren 17. Jh. aufgekommene verballhornende Eindeutschung von frz. bleu-mourant 'matt-, blaßblau; bleich' (aus bleu 'blau' und mourant, Part. Präs, von mourir 'sterben', also eigentlich '(hin-)sterbendes Blau'), früher in (regionalen) Schreibformen wie blimerant, blömerant, plümerant und bis ins 20. Jh. in der frz. Form bleu-mourant, bleu mourant. a Anfangs auf eine (in der Mode beliebte) Farbe in der Farbskala und ihre poetische Symbolkraft bezogen in der heute veraltenden Bed. 'matt-, blaßblau; licht-, himmelblau', im 17. Jh. (Zesen) vereinzelt verdeutscht mit sterbeblau. b Seit früherem 19. Jh. über die Vorstellung von der ins Bläulich-Schwärzliche spielenden Gesichtsfarbe des Unwohlseins und der Ohnmacht umgedeutet auf einen medizinterminologisch unscharfen physischen/psychischen Zustand und eher ugs. verwendet im Sinne von 'flau, unwohl, übel, schwindelig; krank, schwach, elend', vor allem in der Wendung mir ist/wird (ganz) blümerant (zumute/vor den Augen) (vgl. mir wird blau (heute: schwarz) vor den Augen). blümerant a: Moscherosch 1643 Gesichte U 150 bleu-mourant (JONES); Zesen 1645 Adriat. Rosemund 270 bleu-mourant, stärbe-blau, schähl-blau; Lauremberg 1652 Scherzgedichte 47,372 De upschlag gantz herdael van violet Satyn. Vmher vyff Finger breed dar was ein knüppeis Rand, Van siden Passement, van Farven Blömerand; Neumark 1657 Lustwald II 289 Hat der Himmel wo zwo Seelen zur getreuen Lieb' erwekkt/ Und in ihrer beiden hertzen heilige Flammen angestekkt/ So laest uns das Bleumerant die Bestaendigkeit ersehen/ Daß man sich/ nicht wie ein Schiff/ hin und her soll lassen wehen; Praetorius 1666 Anthropodemus I 495 von der gedachten Blümerantfarbenen Seyde; Grimmeishausen 1672 Vogelnest (HI 294) Plümerant Kleid angethan! (WEIGAND); ebd. Ill 297 Plümerant-Rock; Pickelhäring 1685 Kleideraffe 70 Couleur de pon9eau ist doch die schönste Farbe von der Welt/ es sag mir einer was er wolle/ so ist blümerant doch Hahnreih-Farbe/ und tragen es alle Schindersknechte; 1703 Neukirchs Samml. III 346 Blau mourant; ebd. III 354 Der Purpur pflegt zwar schön zu zieren, Leibfarben und auch blümerant; Wächtler 1709 Manual 50 Bleumourant, (Blämurang) dunckel- oder Himmel-blau, z. B. er trägt ein bleu-mourantnes Kleid/ bleumourantne Strümpffe; Schöttger u. Kreysig 1731 Nachlese III 543 eine ziemliche Menge Faden von bleumourantfarbner Seide; Schönaich 1754 Ästhetik 64 Blümrant, wie ein Türkis, und grün, wie ein Chrysolit, oder Jaspis; Döbel 1783 Jäger-Practica l 53 ein schöner bleumourant-blauer Vogel; immermann 1839 Münchhausen III 244 Ganz blümerant aufgetakelt (SANDERS DWB); Heinze 1882 Alliteration 26 blau-blümerant; Ettlinger 1891 Hofman v, Hoffmanswaldau 49 blümeranten Zierlichkeit der Pegnitzschäfer; 2928 Handb. d. Frankreichkunde I 124 Aus der Zeit der Preziösen stammt auch bleu mourant („mattblau"), das als blümerant, blieme-

rant und dergleichen noch heute in deutschen Mundarten fortlebt; Berl. Morgenpost 27. 3. 1928 das verwässerte Blau, das man einst bleu mourant nannte; 1933 Melle-Festschr. 153 Da ich deinem schönen Kleide ein blömourant, ein sterbend Blau wie man es nennet, schau; Niebelschütz 1961 Spiel 439 mit eigener Hand korrigierte er, höchst kunstsinnig, die Kostüm-Entwürfe seiner TheaterArchitekten: couleur de perle und bleumourant .. waren seine Lieblingsfarben, sehr elegant, sehr differenziert, deliziös wie das ganze Rokoko. blümerant b: Holtet 1834 Theater VI 298 männikken, wird ihnen blümerant? (TRÜBNER); Guseck 1851 Salfator 1142 Du wirst ja ganz bleu mourant auf Deine alten tage!; Genthe 1892 Slang 8 blümerant . . wirr, Red.: mir wird ganz blüm., unwohl; Holm 1906 Kerkhoven 65 alle die Jahre geschwärmt, daß einem ganz blümerant werden konnte; Bock 1907 Hessenlust 119 dem Elmedritschel wurde es blimmerant vor den Augen (TRÜBNER); 1908 Zukunft LXV S3 es kommt kein neuer Stil, sondern eine neue frauenzimmerliche Empfindsamkeit. Und, verlaßt Euch darauf: die Reaktion ist ein neuer Ekel am Lyrischen. Aber auch abgesehen von dieser blümeranten Nuance: Hütet Euch überhaupt etwas mehr vor den großen Worten; Werthenau 1910 Interessante Wörter 24 Man sagt: mir wird ganz blümerant und meint damit schwindlig, elend. Dieses blümerant ist nichts anderes als das korrumpierte frz. bleu mourant hellblau, wörtlich: sterbendes Blau. Der Schriftsteller Philipp von Zesen gebraucht in seinem Schäferroman „Die adriatische Rosamund" (1645) geradezu die Bezeichnung sterbeblau . . Wir gebrauchen: es wird einem blümerant (hellblau) vor den Augen, um das häufig mit Farbenvorstellungen verknüpfte Gefühl des Schwindels zu charakterisieren; Schlicht um 1910 Leutnant Flirt 76 wurde ihm et-

Bluse was blümerant zu Mute; Waldeyer 1926 Sportmädel 95 plümerant; Rother 1928 Sckles. Spr. 194 S werd mr blimerant verr a Aucha; Lommel u. Märdicke 1935 Paul Neugebauer 172 Ihm wird langsam blümerant (TRÜBNER); Lochner 1955 Unerwartete 133 Mir wurde ziemlich blümerant bei dem Gedanken, daß ich Deutschland verlassen sollte; Zeit 14. 3. 1986 Die neue Frauenbewegung . . will nicht nur gleiche Rechte, gleiche Chancen in einer von Männern organisierten Arbeitswelt, sondern eine andere Arbeitswelt. Wen wundert's,

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daß es manchem Unternehmer etwas blümerant wird; Spiegel 14. 11. 1994 Als Präsidentin nahm Frau Süssmuth den dickleibigen Schlußbericht des Aids-Untersuchungsausschusses entgegen. Der handelt über weite Strecken vom Versagen der Gesundheitsministerin a. D. Süssmuth. Der Staatsschauspielerin war sichtbar blümerant zumute; ebd. 20.3. 1995 Nieder mit den Lebegreisen, die im sozialen Netz gratis mit lustigen Witwen schmusen. Das klang blümerant, aber diskutabel. IN

Bluse F. (-; -n), im frühen 19. Jh. mit der entsprechenden (Damen-)Mode entlehnt aus frz. blouse 'Fuhrmannskittel; Arbeitskleidung; Frauen-Überkleid', ungesicherter Herkunft, oft zurückgeführt auf den Namen der ägypt. Stadt Pelusium, in der die mit Indigo blau gefärbten, über der Rüstung getragenenen Kittel der Kreuzfahrer hergestellt wurden (vgl. mlat. pelousia 'Gewand aus Pelusium'), gelegentlich auch etymologisch in Verbindung gebracht mit frz. blaude, bliand, 'Billardloch; Sack, sackartiger Fuhrmannskittel' (vgl. das schottische Plaid), in der Variante belousa mit lat. bullosa 'blasenartig, gebauscht' (zu bulla 'Blase, Kugel') sowie mit provenzal. (lano) blouso 'kurze Wolle'. Bis Mitte 19. Jh. ausschließlich und bis Anfang 20. Jh. daneben in der frz. Schreibung Blouse. a Zunächst auf eine (aus Frankreich stammende) Mode der (Damen-)Oberbekleidung bezogen für 'faltiges, bequemes, weit getragenes oder gegürtetes, hemdartiges Damen-Überkleid, leichter MorgenmanteP, von daher in der heute dominanten Bed. 'hemdartiges, weit geschnittenes, meist von Frauen zu Rock oder Hose getragenes (festliches oder folkloristisches) Kleidungsstück für den Oberkörper', oft in der Wendung weiße, bunte Bluse (s. Belege 1974, 1990) und als Grundwort in Zss. wie Hemd-, Seiden-, Sommer-, Sonntags-, Matrosen-, Rüschen-, Russen-, Trachten-, Tüllbluse, seltener als Bestimmungswort in Blusenkleid, -ausschnitt, -anzug, -kragen, -knöpf, -stoff; dazu im 19.720. Jh. die seltene Deminutivform Blüschen und die in den 50er Jahren vereinzelt nachgewiesene adj. Gelegenheitsableitung blusend, gleichbed. mit bis in jüngste Zeit gebrauchtem blusig 'weit, bauschig, gebauscht (wie eine Bluse)'. b Etwa gleichzeitig in der oft auf frz. und bes. belg. Verhältnisse bezogenen, heute meist historisierend verwendeten Bed. '(zum Schutz vor Staub, Nässe u. ä. übergezogenes) Oberhemd, hemdartiger Kittel, Arbeitskleidung', speziell 'Fuhrmannshemd', auch von Soldaten 'Waffenrock' und allgemeiner 'kittelartiges Kleidungsstück für Arbeiter, Arbeiterkittel; Tracht der Leute aus dem Volk, Volkstracht', von daher gelegentlich metonymisch für 'Arbeiterschaft, -kollektiv; (arbeitendes) Volk' (s. Belege 1848, 1849, 1852, 1857), speziell auch als historische Bezeichnung für die Kleidung der frz. und belg. Revolutionäre und Arbeiter während des Juliaufstands 1830/ 31, vor allem in der meist plur. verwendeten Zs. Blusenmann 'Revolutionär; Proletarier', daneben Blusenträger, -Helden, -leute. Bluse a: Hauff 1827 Mann im Mond (S. W. XII 178) der Gürtel, welcher den wunderniedlichen Blousenleib zusammenhielt; 1830 Jahrb. f. wiss. Kritik H 375 Unsre Damen .. wurden nicht deut-

scher, als sie jetzt [1830] in ihren französischen Blousen sind; 1832 Eleg. Welt f. Damen llc die kleinen Knaben tragen eine Blouse von Merinos; 1835 Europa l 247 Janine trägt beim Arbeiten eine

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Bluse

graue Blouse und eine baumwollene Mütze; Lewald 1836 Aquarelle II 4 [Die Damen] waren in grau leinene, kurze Blousen und eben solche Pantalons gekleidet; Rochlitz 1846 Gauner 57 eine weißwollene Jacke, eine Blouse von Leinwand; Landsteiner I860 Leben 368 Sammtblouse [f. Männer]; Schnitzler 1896 Liebelei 33 ich hab [für Toiletten] auch schon ein Gedächtnis — in gewissen Fällen. Zum Beispiel an die dunkelgraue Blouse erinner' ich mich sehr gut, die Du angehabt hast, wie wir uns das ertse mal gesehen haben; Th. Mann 1897 Erz. (W. VIII 131) Sie trug eine ganz leichte Bluse aus heller Seide, in deren Gürtel ein Veilchensträußchen steckte; ebd. VI11 637 ein junger Mensch, der fern davon ist, den Herrn zu spielen .. in gegürteter Bluse und kurzer Hose, mit einer dicken Haartolle; Volksztg. Berlin 8. 3. 1905 Woher stammt das Wort „Bluse"? Diese unsere Damenwelt interessierende Frage wird von den Gelehrten dahin beantwortet: Die Umgegend der Stadt Pelusium in Unterägypten gehörte zu den sonnigen Landstrichen, in denen der Anbau von Indigo und die Herstellung der damit blau gefärbten Gewänder einen Hauptgegenstand der Industrie bildete. Als im Mittelalter die Kreuzfahrer die egyptische Küste berührten, erstanden sie bei ihrer Landung im Hafen von Pelusium in der Nähe des heutigen Port Said, jene blauen Gewänder, die sie über ihre Rüstung warfen. Man nannte sie nach dem Namen des Ortes „Pelusia", und dieser Name hat sich bis auf den heutigen Tag in dem wohlbekannten ursprünglich französischen Worte „Bluse" fortgepflanzt; Wassermann 1910 Masken 201 Sie trug ein dunkelgrünes Kostüm und unter dessen Jacke eine einfache, weiße, von grünen Streifen durchzogene Seidenbluse; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 473) Der Knabe trug heute einen leichten Blusenanzug aus blau und weiß gestreiftem Wasserstoff; ebd. VIII 474 dem barfüßigen Alten, der sich in Leinwandhose, Matrosenbluse und Strohhut dort unter als Bademeister tätig zeigte; Meinhard 1928 Narr 28 die Mutter hatte die Bluse aus rotem Seidenzeug an, die sie sonst nur an Festtagen trug; Heilborn 1929 Revolutionen U 93 Das englische Schneiderkostüm, die vom Rock gelöste Bluse, kennzeichnen die innere Tendenz. Es ist etwas von Revolte gegen das Korsett darin; Münch. N. N. 6. 3. 1937 eine breitmaschige Schleife . . einzige Verbindung mit dem Blusenkleid, das der Mantel verbirgt oder freigibt; ebd. 26.127. 9. 1942 Man muß ihn im Verdacht haben, daß er weniger in Suzannes Rennprogramm schaut als in ihren modernen Blusenausschnitt unter dem Kostüm, der in diesem Pariser Modeherbst das Oberteil der weiblichen Kleidung in einem gefährlich spitzen Winkel bis fast zum Magen offenläßt; ND 22. 10. 1949 diese kleine Frau mit der ausge-

blichenen Rüschenbluse und dem Hut, der vielleicht vor 20 Jahren einmal modern war; Welt 5. 9. 1959 die heute bevorzugten rostroten Hemden, die türkisähnlichen giftgrünen Blusen und Röcke, die knalligen Pullis mit den hochgezogenen Ärmeln; Johnson 1961 Buch 182 Der andere, in dessen aufgeblasenem Blusenkragen der Rand eines Trikots zu erkennen war; Grass 1962 Blechtrommel 53 Wie zu erwarten war, hockte Mama mit verrutschter Bluse auf Jan Bronskis Schoß; ebd. 353 Auf Herren-Oberbekleidung verzichteten sie, zogen aber Frau Maria Matzerath eine hellblaue Kunstseidenbluse . . aus; ebd. 443 sobald einige Herren die Krawatten lösten, einige Damen an ihren Blusen nestelten; Bö// 1963 Clown 278 im Schrank . . Nichts mehr von ihr, nicht einmal ein abgesprungener Blusenknopf; Frisch 1965 Homo faber 87 Sie zog ihre Wolljacke aus, weil sie das Spiel verloren hatte, und krempelte ihre Bluse herauf; Offenburger Tagebl. 17.5. 1966 Wußten Sie schon . . (Überschr.) . . daß Blusen ursprünglich blaue Kittel waren, die im alten Ägypten getragen wurden, und diese Kittel in der Stadt Pelusium produziert wurden und sich aus diesem Städtenamen Pelusium der Name Blusen entwickelte?; Bild 31.7. 1967 Dazu trägt man Rollkragenpullover oder seidene Blusen mit weiten Ärmeln, Jabots oder gebundenen Schleifen; Welt 11.9.1974 Eine Mäntel- und Kostümproduktion sei nicht ohne weiteres auf Kleider und Blusen umzustellen; Zeit 27. 9. 1985 Frau Doktor Mettler trägt kein Nadelstreifenkostüm; sportliche lange Hosen und eine Hemdbluse findet sie praktischer; ebd. 7. 2. 1986 Margaret Thatcher, die kerzengerade im grauen Kostüm und lila Tüllbluse vorn auf der Regierungsbank saß; Stern 3.6. 1987 wenn ich Zeuge werde . . wie eine junge Mutter ihre Bluse aufknöpft und den kleinen Babykopf an ihre Brust legt; de Groot 1990 Vater 28 Wie schmal ihre Taille war, über der sich die weiße Bluse mit den Bauernspitzen bauschte; Stern 1. 2. 1990 Eine frisch vereidigte Aushilfssekretärin, deren Bluse von einer hübschen schwarzrot-goldenen Spange zusammengehalten wurde; Frankf. Rundsch. 13. 10. 1990 einer kippte ihr sogar absichtlich aus Versehen ein volles Glas mit Tinte über die einzige Sonntagsbluse. Blüschen: Max. . Mex. 1852 Leben III 22 ein Fries von Kindergestalten mit Glace-Handschuhen, netten Blouschen, Käppchen, Häubchen, und Blumensträußen; 1900 Brandenburger 372 „Blüschen"; Münch. N. N. 22. 2. 1941 da kamen aus schon geschneiderten Kostümen kleine Wunder duftiger Blüschen aus Georgette und Krepp, aus Seide und Spitzen in allen Farben und Formen.

Bluse blusend: Süddtsch. Ztg. 20.3. 1950 Die Kostüme waren gegürtet, im Rücken leicht blusend, schmal berockt; Offenburger Tagebl. 9. 3. 1963 Das zweiteilige Kleid weist gleichfalls viele Variationen auf und präsentiert sich vom kurzen blusenden Modell bis zum Jumperkleid. blusig: Kretscbtner 1918 Umgangsspr. o. S. blußig; MM 5. 3. 1956 Im Mix liegt der Witz der neuen Mode (Überschr.) Aus seidigen und gekreppten Stoffen flattert auch das Imprimekleid der 40er Jahre durch die Kollektionen, unten schmal geschnitten, mit Godets, Falten und Schlitz, das Oberteil blusig, die Ärmel unterm Ellenbogen geschoppt. Bluse b: Pückler-Muskau 1831 Er. e. Verstorbenen 111 65 ganz in der heutigen Form, selbst das Costume des Fuhrmanns in seiner blauen Blouze; ders. 1836 Afrika H 24 Dort fanden wir den Ehegemahl in einer Blouse vor dem Thore stehend, einen Orangenbaum stutzend; Burckhardt 1842 Kunstwerke (l 168) sein [des Grafen Friedrich von Merode] Kleid, die nationale Blouse, an sich schon eine malerische Tracht, ist aufs herrlichste behandelt; 1848 Grenzboten l 2,239 siegte die Blouse über die Redingote, ebenfalls durch Putsch mit Schießpulver und blankem Eisen; Heine 1848 Februarrevolution (Vll 380) Die Franzosen sind der poetischen Livree des Royalismus entwachsen und sie vertauschten dieselbe mit der republikanischen Blouse; Ring 1849 Berlin 11 53 Ein fliegender Buchhändler in der knappen Blouse; Freiligrath 1849 Neuere polit. Gedichte l (111 158) a ira, 93 ira, die Blouse siegt, O Vorstadt St. Antoine! Massen auf Massen! Keiner wankt — schon hat der Guizot abgedankt; Brass 1849 Freiheitskampf 30 die Blouse . . nun einmal die Uniform der Revolution geworden .. ein ganz zweckmäßiges Kleidungsstück sein dürfte; Füster 1850 Mem. 11 293 Die sogenannten „Blusenmänner", Handlanger und derlei Menschen, im Dienste der Reichen, ein Theil der Communalgarde, leisteten der Reaction vortreffliche Dienste; ebd. 11 301 Ich stellte mir vor, daß man in einer Republik blos Menschen mit Calabresern, Blousen, bartigen Gesichtern und dergleichen begegne; Gutzkow 1850 Ritter l 172 Auf der hohen Stirn schien ein anderer Beruf zu schlummern, als ihn die Bluse verrieth; Auerbach 1851 Dorfgeschichten 4 Er trug ein nach vorn geöffnetes kurzes Burgunderhemd, die sogenannte Blouse (SANDERS DWB); 1852 Prutz Museum l 57 Jetzt ist der Louvre ein großes Kunstmuseum . . und alle seine Säle .. stehen dem Volke offen. Die Blousen wandern über das glatte Parquet, mitten durch die Reihen der Künstlerinnen, welche hier Meisterwerke von Rubens u. a. copiren; ebd. l 59 die Stra-

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ßen der bourgeosie . . die Straßen des regsten, lebendigsten Verkehrs, in denen noch nicht die Blouse vorherrscht . . Weiter nach Osten beginnt das Paris des Volks, der Blouse; Lewald 1853 Wandlungen H 118 Maler in seiner Arbeits-Blouse (SANDERS DWB); 1853 ff. Gartenlaube XV11 86b Das Fluchen des französischen Blousenmannes (SANDERS DWB); Niendorf 1854 Paris 39 der blaue Blousenmann; Freytag 1855 Soll u. Haben I 40 Fuhrleute in blauen Blousen; Stahr 1857 Nach Jahren l 12 die Blouse, das Volk [von Paris]; Hillebrand 1874 Frankreich 80 jeder Blousenmann wird den [spezifisch französischen] Witz rascher im Flug auffassen als unsereiner; Faucher 1877 Culturbilder 229 Die Blouse des Französischen Arbeiters hat eben ihre revolutionäre Poesie verloren, welche einst dazu führte, daß sie in Deutschland auch von Revolutionairen anderer Gesellschaftsklassen nachgeahmt wurde . . im Jahre 1848; Mauthner 1878 Ber. Muster 84 die entstellende Arbeiterblouse; Nordau 1881 Paris l 132 Auf den Trottoirs vor dem Gebäude lungern Dutzende von Arbeitern in blauer Blouse .. herum; ders. 1883 Lügen 262 [der Studierte] läßt die Blouse die Uniform des Kafferthums bleiben; Hartmann 1885 Erlebtes 230 [in Dole 1871] die Arbeiter in der Blusentracht; ebd. 232 den Blusenmännern; Dahn 1894 Erinn. IV 1,387 „die blaue Bluse", die jedes männliche Wesen auf dem flachen Land in Frankreich trägt; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. Vll 135 Wenn auch Alle „in der Blouse" arbeiten, so ist doch keiner ein Berufsarbeiter; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 414) Man sieht Seeleute mit bloßem, tätowiertem Halse, die Hände in den weiten, niedrigen Hosentaschen, Kornträger mit ihren Blusen und Kniehosen aus schwarzem Glanzleinen und ihrem unvergleichlich biederen Gesichtsausdruck; ders. 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 105) plötzlich kam unter seinem Bauernbart, unter seiner demokratischen, zerknitterten Bluse der . . hohe Aristokrat zum Vorschein; Brauer 1936 Bismarck 12 in Gesprächen mit Droschkenkutschern und Blusenmännern; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 55) Zu Hause sah man ihn stets in einer hochgeschlossenen, faltigen Handwerkerbluse aus Barchent; Johnson 1961 Buch 226 neunzehnjährig im blauen Hemd marschierte er zwischen blauen Hemden und blauen Blusen durch die Hauptstraßen Ostberlins .. Fanfarengekreisch als Melodie und Tonart für das Lied der Kommunisten, die im spanischen Krieg auf der Seite der rechtmäßig gewählten Regierung gekämpft hatten; Garner 1990 Gannions Gold 18 Der Reiter, der die gelben Winkel eines First-Sergeants auf den Ärmeln seiner Feldbluse trug, schob seinen mit Pulverschleim bedeckten Armeecolt ins Halfter. IN

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Body

Body(-) M. (-s; -s), vereinzelt bereits Anfang 20. Jh. als engl. Wort im dtsch. Kontext oder in engl. Syntagmen vorkommende, etwa seit Mitte 20. Jh. zunehmend integrierte, oft aber durch Flexion, Schreibung und Aussprache als „fremdes" Wort noch kenntliche Entlehnung aus engl. body 'Körper; Gebilde, Gesellschaft, Körperschaft'. a Zunächst in der Bed. '(menschlicher) Körper, Leib', vereinzelt auch 'Körperschaft', bis heute auch in zitat- oder namenartig benutzten, auf Verhältnisse in England bezogenen engl. Syntagmen wie political body, Body part, Body and Soul, von denen einige (z. B. body art, body count, body lotion, Body Shop] sich als Komposita im Dtsch. verfestigt haben (s. u.). In neuerer Zeit im Zusammenhang mit der Fitneßund Körperkultwelle als Sloganwort vor allem der Werbe-, Jugend-, Film- und Szenesprache zunehmend auch für 'Körper in seiner äußeren Erscheinung, (gute) Figur als Objekt der Medien-, Mode-, Sport-, Film- und Kosmetikbranche', z. B. in Verbindungen wie einen makellosen, durchtrainierten, schlaffen Body haben (s. Belege 1983, 1986, 1993, 1994). Vereinzelt bereits seit den 40er Jahren, zunehmend dann seit den 60er/70er Jahren als Bestimmungswort in meist aus dem Engl. entlehnten Zss. der Bereiche Sport, Mode, Kosmetik und Bildende Kunst: z. B. aus gleichbed. engl. bodycheck(ing) (zu check 'anhalten; hemmen') entlehntes Bodycheck M. (-s; -s), daneben vereinzelt die Vollform Bodychecking M. (-; ohne PL), im Eishockey für '(nach den Regeln unter bestimmten Bedingungen erlaubte) Behinderung des Gegners durch hartes Anrempeln mit Schulter und Hüfte (ohne Benutzung der Arme und Beine)' (s. Belege 1949, 1956, 1963), gelegentlich übertragen auf nicht-sportliche Bereiche (s. Belege 1979, 1986, 1987); das seit den 60er Jahren häufig nachgewiesene, als Leitwort fungierende und als Ableitungsbasis produktive —* Bodybuilding; gleichzeitig aus dem Engl. entlehntes Bodycount M. oder N. (-s; -s) (zu engl. to count 'zählen') in der Bed. 'Zählung der Kriegstoten; Leichen-, Totenzählung zur Errechnung der Kriegsverluste'; ebenfalls in den 60er Jahren als Schlagwort der Kunst-Szene aufgekommenes Body-Art F. (-; ohne PL), eigentlich 'Körperkunst', Bezeichnung für eine künstlerische Darbietungsform oder Kunstrichtung, die aus der Happeningbewegung der 60er Jahre hervorgegangen ist und bei welcher der menschliche Körper, oft der des Künstlers selbst, als Kunstobjekt oder Mittel der künstlerischen Darstellung dient, bemalt oder kostümiert, vor einem passiven oder aktiv einbezogenen Publikum präsentiert oder durch Film, Photographic, Video festgehalten wird (vgl. Performance, Prozeßkunst, Körpersprache)·, seit den 60er/70er Jahren als Fachausdrücke der Modebranche aus dem Engl. übernommenes Bodystocking M. (-(s); -s), Bezeichnung für ein dicht anliegendes, den gesamten Körper bedeckendes, meist als Unterwäsche unter Sportkleidung getragenes Damen-Kleidungsstück aus elastischem Material mit verstärktem Slipteil, und Bodysuit M. (-(s); -s), gelegentlich gleichbed. mit Bodystokking (s. o.), meist jedoch als Bezeichnung für ein nur den Rumpf bedeckendes Damenunterwäschestück mit enganliegendem, leicht formendem Oberteil und angesetztem Slipteil, der im Schritt zu knöpfen ist, dafür auch kurz Body (vgl. b); in den 70er Jahren aus gleichbed. engl. body guard übernommenes Bodyguard F. (-; ohne PL) 'Personengruppe, die zur ständigen Bewachung von Regierungs- oder Würdenträgern eingesetzt wird, Leibwache zum Schutz vor Angriffen oder Attentaten', meist aber als M. (mit PL -s) für den entsprechend ausgebildeten und eingesetzten Leibwächter; seit den 80er Jahren Body-Szene und Body-Center (—> Bodybuilding;

Body

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s. Belege 1985, 1986); in jüngster Zeit Body-Shop M. (-; -s), Bezeichnung für eine internationale Ladenkette, die Körperpflegeartikel auf Umwelt- und Tierschutzbasis herstellt und vertreibt (vgl. aber daneben Body-shopping für 'Vermittlung von Söldnern' mit dazugehörigem Bodyshopper 'jmd., der Soldaten/Söldner einkauft und vermittelt'); aus gleichbed. engl. body lotion übernommenes Bodylotion F. (-; -s) 'Hautcreme für den Körper; Körperlotion'; die Fachausdrücke der Punk- und SadoMaso-Szene Bodypiercing N. (-s; ohne Pl.) (zu engl. to pierce '(durch-)stechen, (-)löchern') 'Durchstechen der Haut mit Nadeln, Ringen u. a. auffallenden, meist metallischen Accessoires' und Bodypainting N. (-s; ohne Pl.) (zu engl. to paint '(be)malen, (an)streichen') 'Körperbemalung als modisch-künstlerische Audrucksform'. Schon seit den 70er Jahren und heute zunehmend auch in dtsch. Lehn-Wortbildungen wie Bodyschmuck, Bodyarbeit und vor allem Bodykult. b Seit Ende der 80er Jahre als Fachausdruck der Textilbranche im Sinne einer Kurzbezeichnung für Bodysuit, Bodystocking (s. o.). Body a: Zabel 1902 Mandschurei 63 ich sehne mich nach dem Hotel [in Port Arthur] und vor allen Dingen nach der notwendigen Reinigung meines „body"; Schmidt 1939 Großraumfahndung 83 Staat als „political body"; Süddtsch. Ztg. 19.3. 1949 Die äußerst harten und manchmal wirklich die Grenzen des Erlaubten überschreitenden Bodychecks (hier taten sich vor allem die USAVerteidiger . . hervor, ebenfalls konnte es sich Kilmartin nicht verkneifen, im letzten Drittel eine kleine Schlag- und Boxszene aufzuführen . .) fanden nicht immer die Zustimmung der Zuschauer; Münch. Abendztg. 18. 8. 1954 Der hier [in Honolulu] zur Kur weilende Filmstar Marie McDonald — ihrer Kurven halber „The Body" (Der Körper) genannt; Stuttgarter Ztg. 19. 3. 1963 Eishockeyspieler verstehen nun einmal mehr von Eishockey als von den Verwicklungen des Völkerrechts . . Entscheidungen solcher Art . . gehören in ein Milieu, wo der „body-check" ebenso ungebräuchlich ist wie das Verprügeln von sittenstrengen Hotelportiers oder das öffentliche Ausspucken; Zeit 19. 1. 1968 Auf einem entlegenen Kriegsschauplatz verlieren die USA, trotz eines für sie günstigen Bodycount — der „Totenzählung" — vielleicht keinen Krieg, aber ihr letztes moralisches Prestige (AWB); FAZ 15. 2. 1968 Dienten sie den flinkeren Gegnern als geeignete Trainingspartner für brutalen Bodychecking?; FAZ 2.4.1971 mit der militärischen Taktik und . . der Methode des „Body Count" .. die militärische Tüchtigkeit an der Zahl der Todesopfer mißt; 1973 Für Sie XX 7 Die Amerikanerin hat ihn schon lange entdeckt: den Bodysuit. Er sieht so ähnlich aus wie ein Gymnastikanzug, ist aber oben Pulli oder Bluse und Hemdhöschen mit Druckknopfverschluß im Schritt . , Nicht zu verwechseln ist der Bodysuit mit dem Bodystocking, was auf Deutsch 'Körperstrumpf' bedeutet, und so wird er auch getragen, nämlich auf der Haut; Welt

8. 5. 1979 Wo hatte es das schon einmal gegeben, daß ein Kripo-Beamter im Fernsehen beim Aufbrechen einer Wohnungstür per Bodycheck scheiterte — diesmal brach sich ein Polizist das Schlüsselbein; Spiegel 17. 10. 1983 Für die unfaßbare Kinoposse hat sich Travolta ein paar Muskeln auf den makellosen Body trainiert; ebd. 27. 5. 1985 In ein BodyCenter zu gehen, in dem vorwiegend Männer trainieren — und noch dazu urige Muskelmänner —, kostet Überwindung (alle vier AWB); MM 5. 3. 1986 Man trägt Haut und hauteng, Mini und Body Stocking, Stretch, Synthetic, Plastik, Metall; Spiegel 30. 6. 1986 die Geschichte eines stellvertretenden Sparkassen-Filialleiters . . der plötzlich seinen schlaffen Body wieder stählen möchte (AWB); Zeit 3. 10. 1986 die junge Body-Szene . . braungebrannte Skipisten-, Sauna- und Surf-Typen; Volksbl. 7. 12. 1986 Ein „Bodyslip", ganz aus Cotton. So bequem war das „Darunter" noch nie (AWB); Zeit 27. 3. 1987 Anfang der siebziger Jahre war 'Body Art' der letzte Schrei: etwa das Abbrennen der Körperbehaarung oder das Zeichnen auf der Haut; Stern 5.11.1987 Wettlauf der freien Marktwirtschaft . . bei dem Rempler, Schultergriffe und Bodycheck an der Tagesordnung sind; MM 2.5. 1989 „Standing ovations" und ein Hauch von Hollywood, als Saalordner (oder Bodyguards?) die Großen Drei [Frank Sinatra, Liza Minnelli und Sammy Davis jr.] schützend von der Bühne in die Garderobe geleiten; ebd. 31. 10. 1989 Um das Rad der Un-Freizeit schneller zu drehen, können die Häftlinge schwimmen, fußballspielen und ihren Body „builden"; FAZ 13. 10. 1990 Das Schlüpfen von der Nietenhose in die „(Blue) Jeans" fiel ihnen schon leicht, als das begehrte steifgewirkte Tuch in der DDR noch kaum zu bekommen war. Daß ihnen der Markt nun die „body lotion" beschert, die für gutes „feeling" sorgt . . werden sie alsbald lernen; Spiegel 10. 5. 1993 ein Spektakel

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Bodybuilding

mit 600 Biersorten, Skateboard-Simulator und Bodypainting am Schweizer Mädi; ebd. Rund 100 Möchtegern-Agenten .. melden sich .. weil sie wissen wollen, was man tun muß, um irgendwann einen Body wie den von Whitney Houston oder Bill Clinton zu schützen; ebd. 14. 6. 1993 Auch Aktien von Body Shop dürfen nicht fehlen. Diese Firma vertreibt äußerst erfolgreich Naturkosmetika und unterstützt Greenpeace-Kampagnen; ebd. 25. 10. 1993 „Nouveau Punk" heißt der neue Stil, der . . Tätowierungen und das aus der Sado-MasoSzene stammende Body-Piercing (Körperlöchern) als Accessoires verwendet. Da glänzen Silberringe an Nasenflügeln . . werden Sicherheitsnadeln in den Mundwinkel geklemmt; MM 11.9.1994 Schön durch Fitneß. Vom „Bodykult" mit Schönheitsdrogen; ebd. 20.11. 1994 Unbelastet von inhaltlich relevanten Texten, kann sich der Body des Zuhörers lasziv von einem Titel zum anderen schwingen . . eine ruhige Ballade, zu der sich die verschwitzten Bodys aneinanderdrücken und Kraft tanken können. Body b: 1986 Prospekt d. Fa. Klingenthal o. S. Ganz schön raffiniert, diese Schnittführung! Flotter Body, eingefaßt mit glänzenden Satinpaspeln; 1986 Katalog d. Fa. Alba Moda 68 Zauberhafter Body aus ganz sanfter weicher Tüllspitze mit filigranem

Blumendessin und zierlicher Bogenbordüre; Flensb. Tagebl. 12.9.1986 „Body" oder „Bodystocking": leichte Einteiler in verschiedenem Material; Spiegel 23. 3.1987 Herren-Body von Nikos Entsorgung über Druckknopf; 1987 Funk Uhr XL/// Body . . Ein figurnaher Einteiler. Er formt die Figur, wenn er aus elastischem Material gearbeitet ist (alle AWB); MM 28. 1. 1991 Tutus unter Wespentaillen, engen Bodys, kurzen Bustiers oder knappen Jacken, dazu halbhohe Westernstiefel!; Spiegel 12. 4. 1993 Mit ausgefallener Unterwäsche für Männer, vom naturbelassenen -Slip bis zum elastischen Designer-Body mit Spitze, macht der frühere volkseigene Betrieb jetzt ordentlich Gewinn . . Statt auf weißen Doppelripp-Garnituren pappte das DDR-bekannte Logo Kristall . . nun auf bunten, modischen Männerdessous — auch auf jenem knappgeschnittenen Ur-Body-Modell Fashion 4520, das der Chef gezeichnet hatte. Allein im vergangenen Jahr strickten, färbten und nähten die 110 Unger-Mitarbeiter rund 50000 der enganliegenden Männer-Strampler .. Der Erfolg kam mit dem Body; MM 11.10.1994 Nach Angaben der Polizei Worms soll sich das Mädchen im Bereich Mannheim aufhalten. Sie hat rotblondes schulterlanges Haar . . trägt weiße Jeans, schwarze Turnschuhe, einen lila Body und eine schwarze Jacke. IN

Bodybuilding N. (-(s); ohne PL), Anfang der 60er Jahre entlehnt aus gleichbed. engl. body-building (aus body, —» Body, und building, Part. Präs, von build 'aufbauen'), häufig in unterschiedlichen, engl. beeinflußten (Klein-, Auseinander- oder Bindestrich-)Schreibungen. Als Schlagwort im Gefolge der Fitneßwelle in der Bed. 'Körperkultur, -kult', Bezeichnung für ein Gerätetraining zur Stärkung und Festigung der Körpermuskulatur, dann auch für die daraus resultierende sportliche Disziplin mit (inter-)nationalen Meisterschaften, in Zss. wie Bodybuilding-Szene, auch kurz Body-Szene, Bodybuilding-Center, auch kurz Body-Center, Bodybuilding-Studio, -Schweiß, -Amateur (—» Body(-)). Dazu gleichzeitig die Personenbezeichnungen Bodybuilder M. (-s; -), auch in movierten Formen wie Bodybuilderin F. (-; -nen) und mit anglisierender Endung -ess Bodybuildress F. (-; -en); die vereinzelt nachgewiesenen Gelegenheitsableitungen (er)bodybuilden V. intrans., auch in der sprachspielerischen Form Body bilden, meist aber als adj. verwendetes Part. Perf. bodygebuildet 'durch Bodybuilding durchtrainiert, geformt' und bodybuilderisch. Bodybuilding: Süddtsch. Ztg. 17.4.1961 BodyBuildern . . Body-Building-Studios; Hess. Allg. 2. 3. 1962 „Bei mir bist Du schön". So heißt eine Fernsehsendung, die Radio Bremen für das erste Programm produzierte .. Thema ist das BodyBuilding, jene grassierende Weltanschauung, die

als Gymnastik begann (AWB); Stuttgarter Ztg. 26. 3. 1962 Der kraftvoll-häßliche Jack Palance gibt seinem Übermenschen wenigstens nicht die vielgesehene Body-building-Schönheit; Süddtsch. Ztg. 27.128. 4. 1962 Hemmungen - mit Muskelkater kuriert (Überschr.) Allerlei Wege zum Erfolg:

Boheme Bodybuilding, Schlankheitskuren, Anstandsunterricht und Rednerschulung; FAZ 4. 8. 1971 Das ist ja das reinste Bodybuilding! [Schwerstarbeit]; MM 2. 1. 1985 die Normierung des Menschen durch Mode und Ideologien, durch physische Techniken wie Body Building und psychische wie die der Gehirnwäsche gewisser Sekten; Zeit 18. 10. 1985 Da ist jenes Präfix „Freizeit", das nach Kommerz, organisierter Langeweile und Bodybuilding-Schweiß riecht; MM 31. 1. 1986 In Fitnesszentren und Bodybuilding-Studios „werde das Dopingproblem ebenfalls immer akuter"; ebd. 30. 4. 1987 Die soziale Ächtung [der Raucher] durch eine joggende Gesellschaft, für die das gesunde Leben samt Bodybuilding und Vitaminpillen den Rang einer Ersatzreligion angenommen hat; Zeit 1.5.1987 Ein braungebrannter, Bodybuilding- und Squash-trainierter Hüne öffnet dem sich unwillkürlich gnomenhaft fühlenden Besucher; ebd. Was in der seriösen Sportwissenschaft tabu ist, wurde in der Bodybuilding-Szene vereinzelt durchgeführt; MM 9. 6. 1987 während im „Luxus"-Zelt Mode-, Hairstyling- und Bodybuilding-Shows (als Beispiele für einen neuen Narzißmus- und Lifestyle-Kult) auf reges Publikums-interesse stießen, wurde in den Veranstaltungen zum Thema „neue Armut" über Besuchermangel geklagt; ebd. 23. 4. 1991 Gesundheit und Prävention (Überschr.) Tag der offenen Tür im Body- und LadyGym-Center Viernheim. Wer in einem Fitneß-Studio trainiert, der zielt heute beileibe nicht mehr in erster Linie auf Muskelzuwachs . . einige Body-Building-Posing-Einlagen durch Guido und Michael vervollständigten das ganztägige Programm; Spiegel 25. 4. 1994 Arnold, dessen Body-Building-Klub „World Gym" nur einige Schritte entfernt liegt. Bodybuilder/in, Bodybuildress: Süddtsch. Ztg. 17.4.1961 Body-Buildern .. Body-Building-Studios; Spiegel 12. 12. 1962 Bereit sein ist alles, Peter Brügge unter Body-Buildern (AWB); Zeit 8. 2. 1985 Einen Ausgleich wollen sie schaffen für die berufsbedingte Stubenhockerei. Doch beim Treppensteigen geraten Body-Buildressen genauso außer Atem wie die untrainierte Nachbarsfrau; Zeit 27. 6. 1986 Er und andere Nicht-Schauspieler wie Chuck Norris und Arnold Schwarzenegger lassen ohne lange Diskussion die Muskeln und als deren Verlängerung die Waffen sprechen .. Norris als Karateweltmeister, Schwarzenegger als der Welt berühmtester Bodybuilder; ebd. Brillanz ist auch

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außerhalb der intellektuellen Relais möglich, und sei es in einer Karriere als Tennisspielerin oder als Bodybuilderin; Mittelbayer. Ztg. 18. 9. 1986 Seinen Silberschmuck konnte der Bodybuilder gleich um zwei Pokale bereichern (AWB); Spiegel 2. 8.1993 läßt Bassistin Christa Hillhouse wie eine Bodybuilderin ihren tätowierten Bizeps schwellen. Zähnefletschende Anmache und wüste Muskelmädchenscherze statt politisch korrektem Weltverbesserungsrock; ebd. 1.11. 1993 das Wachstumshormon Somatropin, verkauft sich gleichfalls gut unter Bodybuildern und Leistungssportlern; ebd. 18. 4. 1994 Regino sieht aus wie ein Bodybuilder. Im Fitneßstudio des Sanatoriums stemmt er Gewichte. bodybuilderisch: Zeit 17. 4. 1987 Griechisches, Bodybuilderisches, Schwules und ein Spiegel zeigt die eigene, weder glatte noch heroische Außenhaut; Spiegel 16. 8. 1993 Es handelte sich um ein weltweit bestauntes Phänomen, der Sekundenbruchteil (sonst nur für Sportrekorde von Belang) machte die bodybuilderisch durchtrainierte Mittdreißigerin Sharon Stone zu einer der höchstbezahlten Schauspielerinnen Hollywoods, zur „ultimativen Sexbombe". bodygebuildet: Zeit 4. 1. 1980 Eine Stunde später stand der Vater mit drei bodygebuildeten Söhnen im Jugendhaus und verlangte nach den Tätern; Bild am Sonntag 12. 2. 1984 3 Jahre habe ich meinen Body gebildet. Jetzt werde ich beim Schauturnen als Adonis gefeiert; Neue Westfäl. 16. 4. 1984 Die Abhängigkeit des Selbstbewußtseins der „bodygebuildeten" Frauen vom Urteil der Männer scheint den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Nachmittags im Fit-Center nicht aufzufallen; ebd. 12. 2.1985 Nun braucht der Leser sich nur noch die schmale Taille zu erhungern, die Muskeln zu erbodybuilden . . und schon ist er schön, wenigstens so lange bis dann Formen ä la Rubens zum Schönheitsideal erkoren werden (alle AWB); MM 5. 4. 1989 die Überraschung Don Johnson — der Mann kann, richtig geführt, einem ausgefuchsten Draufgänger das passende Quantum Blut so durch den bodygebuildeten Körper pressen, daß einem schon der Atem stockt; ebd. 7. 4. 1989 Manegenspektakel blendet durch riesigen Einsatz von Akrobaten, Clowns und Tieren . . Am Seil windet er den bodygebuildeten Körper in luftige Höhen, schwingt am Trapez durch die Luft, daß den Zuschauern der Atem stockt. IN

Boheme F. (-; ohne PL), Mitte 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. boheme, bes. nach Henri Murgers „Scenes de la Vie de Boheme" (1848) bezogen auf das unbürgerliche Künstlermilieu von Paris (< mittelfrz. boheme 'sorglos lebende Person', älter

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Boheme

'Zigeuner', zurückgehend auf mlat. bohemus 'Böhme', weil Böhmen für die Heimat der Zigeuner gehalten wurde), gelegentlich auch in der frz. Schreibweise und im 19. Jh. in der Form Bohemie. In der Bed. 'Milieu unbekümmert lebender, bürgerlichen Konventionen widersprechender Künstler und Intellektueller', zunächst bes. auf das Künstlerleben in Paris um 1830 bezogen, dann auch allgemeiner, als Bestimmungswort in der Zs. Bohemeleben; daneben gelegentlich auch M. als Personenbezeichnung und häufig als Kollektivum verwendet im Sinn von 'Gruppe leichtlebiger Künstler' (s. Belege 1876, 1896, 1928, 1950, 1985), vgl. die Zs. Künstlerboheme, im späten 19. Jh. und unter Einfluß von Puccinis Oper „La Boheme" (1896) dann auch mit erweitertem Bezugsbereich, vgl. Münchner, Wiener Boheme. Dazu gleichzeitig die aus gleichbed. frz. bohemien, bohemienne übernommene Personenbezeichnung Bohemien M. (-s; -s), Bohemienne F. (-; -) 'Angehörige(r) der Boheme, leichtlebige(r) Künstler(in), Intellektuelle(r)'; seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung bohemehaft (ohne Steigerung) 'auf die Boheme bezogen, wie die Boheme lebend, gekleidet, aussehend'. Boheme: Szarvady 1852 Paris l 139 Der Künstler fühlt sich nur in der sorgenvollen Heimath der Boheme ganz in seinem Elemente; 1852 Prutz' Musuetn H 57 Sehr anmuthig ist in dem Capitel: Künstlerleben die Schilderung der Bohemes; 1857 Kompass 114 Bohemes; Lewald 1864 Villa Riunione I 14 Überall bleibe ich in der boheme, wie die Franzosen es nennen; Heyse 1874 Ges. W. / 2,422 wenn Ihr Freund sich auch einmal zu dieser Boheme herabläßt, wie Sie selbst es tun; Hillebrand 1874 Frankreich 144 Der Schreckensroman wie das Schreckensmelodram . . sind . . von jungen Abenteurern oder in der hauptstädtischen boheme graugewordenen outlaws verfertigt; Lewald 1876 Benvenuto U l Man nannte sich in der That nach den Zigeunern, la Boheme, und nicht nur die bildenden Künstler, auch die jüngeren unter den Dichtern, Musikern und Bühnenkünstlern hielten sich zu dem schwungvoll bewegten Kreise; Rutenberg 1877 Zinne 192 in jenem tollen classisch-lüderlichen, aber freilich mehr lüderlichen als classischen vie de boheme, welches man dem Studenten eher nachzusehen sich gewöhnt hat als z. B. einem jungen Kaufmann; Nordau 1881 Paris 1245 hat die Boheme-Journalistik . . vollkommen auf die Politik verzichtet und pflegt ausschließlich den Calembour und das obscöne Genre; Heyse 1896 Blaustrümpfchen 16 und alle Jünger der sieben freien Künste als Boheme in einen Topf wirft; Hesse 1901 Camenzind 127 Der Sinn für die Romantik der Boheme ist mir . . abhanden gekommen und ihr müßt mir erlauben, daß ich mich an das Reinliche und Gute halte; Werner 1908 Heirats-Annonce 153 in der literarischen und Künstler-Boheme; Höcker 1910 Sonne 19 der pikante Einschlag der Boheme durch die jungen Künstler; Voss 1920 Leben 91 Dieser [verwahrloste Literaten-]Haushalt war eine tolle Boheme, aber echt römisch, also war ich ent-

zückt; Hatzfeld 1923 Symbolismus 38 [Baudelaire als] Boheme-Politiker; Joel u. Fränkel 1924 Cocainismus 15 Halbwelt- und Bohemekreise; 1926 Sittengesch. v. Paris 246 ein elegantes, wenn auch nicht immer dauerhaftes Bohemeleben; 1927 Zfrz. Sprache L 474 Das Wesen der Boheme ist . . nicht nur, nach außen, d. h. nach der Gesellschaft hin, abgeschlossen zu sein. Die Boheme steht vielmehr . . im Gegensatz zur Gesellschaft; Bahr 1927 Zauberstab 157Schwabing . . noch gar nicht münchnerisch, sondern nur ein Euphemismus für Boheme; Werfe! 1928 Abituriententag 81 Die spiritistisch ansprechbaren Irr-Seelen bildeten gleichsam die Boheme des Jenseits; Block 1936 Zigeuner 3 Die unstete Lebensweise [der Zigeuner], die man seit Murgers Roman nach ihrer fälschlich angenommenen Heimat „Boheme" nannte, ist einmal das Vorbild für die Lebensführung einer heute als überholt zu betrachtenden Künstlergeneration gewesen; 1940 Münchnerin 156 Münchner Boheme; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 261) Es war künstlerische und halbkünstlerische Welt, . ., eine sozusagen stubenreine Boheme, gesittet und dabei frei; NZ. (Basel) 28. 3. 1950 In gewissen Stadtvierteln, wie Chelsea, einer hauptsächlich von Boheme und Kleinbürgern bewohnten Gegend an der Themse; Bettex 1954 Spiegelungen 64 Volksboheme; Eppelsheimer 1955 Schild 54 hielt man in der Boheme mit Ernst darauf, romantisch kränkelnd und „dekadent" zu sein; Frisch 1957 Homo faber 230 Ich habe dieses Cafe Odeon eigentlich gehaßt; Emigranten und Intellektuelle, Boheme; FAZ 13. 7. 1959 Sachverständiges Publikum, lässige Eleganz neben Boheme; Wachtel 1963 ä la mode 165 Es ist seine [Baudelaires] Generation, die dem Begriff „Boheme" den Beigeschmack von Romantik und stets rückgängig zu machender Weltflucht nimmt; Böll 1963 Clown 190 Ich fühlte mich als

Boheme „Künstler" . ., und wir verwirklichten unsere kindlichen Vorstellungen von Boheme: mit Chiantiflaschen und Sackleinen an den Wänden und buntem Bast; Bad. Ztg. 8. 5. 1969 Auf die Schule folgt die Boheme; Fest 1973 Hitler 197 Frau Hanfstaengl . . führte ihn in jene Edelboheme von Schriftstellern, Malern, Wagner-Interpreten und Professoren ein, die bei ihr verkehrte; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 37 deshalb verbreiten sich die in der Boheme vorexerzierten Lebensstile mit ihren hedonistischen, schrankenlos subjektiven Wertorientierungen und untergraben die Disziplin des bürgerlichen Alltags; Zeit 3. 5. 1985 ein Hauch von Boheme; ebd. 13. 2. 1987 Unter Boheme-Anarchisten galt. . das Prinzip, sich unkonventionell und phantasievoll zu kleiden; ebd. Die Arbeiterbewegung entwickelte ihre Konsumgenossenschaften, die Bürgerboheme ihre Siedlungsgenossenschaften; MM 18. 5. 1988 Pem . . meinte über Hamburger, der habe äußerlich gar nichts mit einem Poeten gemeinsam, „keine Spur von Boheme"; Zeit 28. 7. 1995 Laut schwoft die Boheme, und ganz leise langweilt sich der Zuschauer. Boheme (M.): Peterssen 1870 Genrebilder 20 Mit der Romantik, die uns aus „Preciosa" anheimelt, ist der Pariser Zigeuner, der Boheme, nicht vertraut; Saltarino um 1880 A. 103 Der Boheme führt entweder zum Ruhm oder zum Spital; Nordau 1881 Paris l 229 Ein großes Talent! Das ist der stete Vorwand des Boheme. Bohemien: Szarvady 1852 Paris l 143 Aber der Bohemien kann seinen Magen im Louvre täuschen oder sich damit trösten, daß er morgen gewiß wissen werde, wo er heute zu Mittag gegessen hat; 1857 Kompass 7 unter dem Namen „les Bohemiens" den Kunstkennern bekannt; Nordau 1881 Paris l 52 wenn Paul de Kock und Henri Murger heute ihr Grab verließen . ., sie würden vergebens ihr geliebtes „lateinisches Land" mit . . seinen . . närrischen wie genialen Bohemiens suchen; Bahnesen 1905 Wie ich wurde Vorr. XIX jener Bohemien- und Spelunkenpessimismus; Hegeler 1908 Ärgernis 197 ein wenig Bohemien; Grabein 1911 Hans 29 In einer Stadt wie Jena, wo einer dem ändern in den Suppentopf guckt, muß ein honoriger Mensch eben auf sich halten. Für Bohemiens ist hier kein Pflaster; Halzfeld 1923 Symbolismus 21 des dandyhaften Bohemiens; 1927 Elsaß-Lothringen. Heimatstimmen V 598 ein Wiener Bohemien-Literat; 1927 Zfrz. Sprache L 470 Murger . . nimmt als ältesten Bohemien den Sänger des griechischen Altertums in Anspruch; Blei 1930 Männer 55 Bohemienne; 1934 ZfdA LXX1 203 der Künstler-Bohemien, wie er im Buche steht; Halbe 1935 Jahrhundertwende 217 Altenburg war schon da-

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mals ein wandelnder Mythos. Die Gloriole des ewigen Bohemiens umnebelte sein kahles, nur von einem Haarkranz umgebenes Haupt; Stuttgarter Nachr. 2. 4. 1949 Wiener oder Pariser Cafes .., wo gleichmütige Literaten und Bohemiens einen beträchtlichen Teil ihres Tagespensums hinter kleinen Tischchen absitzen; Th. Mann 1950 Reden u. Aufs. (W. XI 515) Es gibt da kleine Boulevard-Cafes, wo abgerissene Intellektuelle, alte, von Geist und Nichtstun existierende Absinthbrüder und Bohemiens ihre Tage verbringen; Kantorowicz 1959 Tagebuch I 286 Lotte Pritzel, die .. kreisbildende Bohemienne der zwanziger Jahre; Bad. Ztg. 8. 5. 1969 Er schreibt sich in der juristischen Fakultät ein, ohne die Vorlesungen zu besuchen, er macht Schulden und führt ein unstetes BohemienLeben; Andersch 1971 Kirschen 49 Alles, nur kein Bohemien, sondern ein deutscher Künstler; Zeit 7. 11. 1986 der Künstler als „asoziales" Subjekt, als Bohemien, als methodischer Narr; MM 10. 3. 1988 wenn die Musik über die Spaße der Bohemiens kichert; Spiegel 27. 6. 1994 Aristokraten, Snobs, Gelehrte und Bohemiens, Dichter auf Sinnsuche und Maler in der Schaffenskrise. bohemehaft: Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. X 213) Jeder Künstler, besonders jeder Dichter von Wirkung, macht sie einmal, wenn nur erst gewisse Jahre bohemehafter Absolutheit und Beziehungslosigkeit vorüber sind; Kronberg 1929 Jugend 71 Bei diesen so überaus wichtigen Leuten mußte auch der geringste Anschein eines bohemehaften Lebenswandels vermieden werden; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 119) Ein stolzer und spöttischer Charakter, entbürgerlicht, aber vornehm, liebte sie die Literatur, den Geist, die Kunst und wurde durch eine unentwickelte, ihrer Stufe ungünstige Zeit ins unselig Bohemehafte gedrängt; Klemperer vor 1933 Ges. Aufs. 92 Eine literarisch interessierte, bohemehaft beschwingte jugendliche Gesellschaft bildet in den neunziger Jahren in Berlin eine Art Klub oder Studentenverbindung; Hülsen 1947 Zwillings-Seele 11 204 er lebte . . ein recht bohemehaftes, ihm aber wohlangenehmes Leben; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 494) daß er es auf nichts abgesehen habe als zu bummeln und sich bohemehaft zu deklassieren; Bertololy 1970 Schrei o. S. Er ist über die erste Jugend hinaus, trägt langes, dunkles Haar, das seinen hageren, unregelmäßigen, unschönen Zügen einen bohemehaft genialischen Anflug gibt; Zeit 4. 4. 1986 Die bohemehafte Vorhut der Friedensbewegung waren die Blumenkinder; Spiegel 4. 7. 1994 Wenn es nicht ganz ernst zugeht, .. entfaltet er seine bohemehafte Beredsamkeit. HK

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Bolschewik M. (-en; -i und -en), auch Bolschewikin F. (-; -nen), Anfang 20. Jh. entlehnt aus russ. bol'sevik 'Mitglied der SD APR, KPR(B), KPdSU(B)', eigentlich 'Angehöriger der Mehrheit, Mehrheitler', subst. Ableitung von bol'se 'größer, mehr', Komparativ von bol'soj 'groß'; aufgekommen 1903 auf dem illegal in Brüssel und London durchgeführten 2. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (SDAPR), als der von Lenin geführte linke Flügel die Stimmenmehrheit erhielt und die SD APR sich in die leninistische bol'sinstvo 'Mehrheit mit (angeblich) revolutionärem Programm, Bolschewiki' und men'sinstvo 'Minderheit mit (angeblich) opportunistischen Zielen, Menschewiki' spaltete. a Zunächst bis etwa 1917 als historischer Eigenname für ein Mitglied des von Lenin geführten revolutionären Flügels der SDAPR; dann von etwa 1917 bis in die 50er Jahre als historische Bezeichnung für ein Mitglied der Kommunistischen Partei Rußlands (KPR(B)), seit 1925 der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU(B)); der Zusatz (B = Bolschewiki) wurde bis 1952 beibehalten; als Bestimmungswort in Zss. wie Bolschewikengespenst, -Herrschaft, -revolution, anfangs selten auch in Zss. wie Bolschewiki-Armee, -Führer. b Seit frühem 20. Jh. auch allgemeiner in der Bed. 'jmd., der den russischen Marxismus-Leninismus als Bewegung und Herrschaftssystem entschieden vertritt, Wegbereiter, Anhänger oder Führer des Bolschewismus' (—* Kommunist, —» Sozialist), von dessen Kritikern bzw. Gegnern auch abwertend gebraucht, seit etwa 1945 bes. in der Ost-West-Auseinandersetzung in der heute veralteten Bed. 'jmd., der die Grundsätze des russischen Marxismus-Leninismus und des ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Systems der UdSSR auf andere Staaten des damaligen Ostblocks überträgt, mit dem Ziel, diese in den von der UdSSR geführten Ostblock zu integrieren', gleichzeitig die subst. Ableitung Antibolschewik 'Gegner des Bolschewismus'. Dazu seit frühem 20. Jh. das gleichbed., aus gleichbed. russ. bol'sevist entlehnte Subst. Bolschewist M. (-en; -en), Bolschewistin F. (-; -nen); als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Bolschewistenfurcht, -herrschaft, -revolution, -schreck, -terror; Anarcho-, Rechts-, Salonbolschewist (zu a und b), von den Nationalsozialisten diffamierend gebraucht, bes. in den Zss. Agrarbolschewist (s. Beleg 1963) und Kultur-, Kunst-, Literaturbolschewist (s. Belege 1933, 1937, 1946, 1987) (zu b). Gleichzeitig das aus gleichbed. russ. bol'sevizm (zu bol'sevik) entlehnte Subst. Bolschewismus M. (-; ohne PL), zunächst bis etwa 1917 im Hinblick auf die SDAPR, in der Bed. '(Bewegung zur) Befreiung der russischen Arbeiterpartei von sog. revisionistischen Tendenzen und Entwicklung einer einheitlichen revolutionären kommunistischen Massenpartei' (zu a); von etwa 1917 bis in die 50er Jahre in der Bed. 'von den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus bestimmte Theorie und Praxis, Strategie und Taktik der KPdSU(B) sowie der ihrer Politik zugrundeliegende Marxismus-Leninismus selbst' (—*· Kommunismus, —» Sozialismus) (zu a und b), dann allgemeiner zur Bezeichnung entsprechender historischer Erscheinungsformen für 'Gestaltung (z. B. der Wirtschaft) eines Landes nach kommunistischen Prinzipien; Verstaatlichung des Privatbesitzes, Vergesellschaftung der Produktionsmittel' (—* Sozialismus; s. Beleg 1924) (zu b); von den Nationalsozialisten, die sich als sog. Schutz vor dem Bolschewismus auszugeben bemühten, sowie von den Gegnern des MarxismusLeninismus oft abwertend gebraucht (s. Belege 1919, 1928, 1931), dabei von letzteren zuweilen mit dem deutschen Nationalsozialismus und italienischen Faschismus

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gleichgesetzt (s. Belege 1921, 1923, 1938, 1939, 1986), seit etwa 1945 als abwertendes Schlagwort in der heute veralteten Bed. 'Übertragung der Grundsätze des russischen Marxismus-Leninismus auf andere Staaten des damaligen Ostblocks' (s. Belege 1945, 1959, 1989) (zu b), bes. in den Ableitungen Antibolschewismus, Sammelbezeichnung für die gegen den Bolschewismus gerichteten Bewegungen, Austrobolschewismus, Sammelbezeichnung für bolschewistische Richtungen, Gruppen in Österreich, als Grundwort in Zss. wie Rechts-, Staats-, Weltbolschewismus (zu a und b), auch übertragen gebraucht in der Bed. 'alles negierender Radikalismus, radikale Zerstörungslust' (s. Beleg 1919), als Grundwort in den von den Nationalsozialisten geprägten diffamierenden Zss. Kultur-, Kunstbolschewismus (s. Belege 1932, 1939, 1988) (zu b). Ebenfalls seit frühem 20. Jh. die subst. Ableitung Bolschewistentum N. (-s; ohne Pl.) 'den Grundsätzen des russischen Marxismus-Leninismus entsprechende Theorie und Praxis der Bolschewiki; das Vorhandensein, die Anzahl und Verbreitung von Bolschewiki in einem Land, Gebiet' (zu a und b), von den Gegnern auch abwertend gebraucht (zu b), vgl. die Gelegenheitsableitung Bolschewisterei F. (-; ohne Pl.) 'sklavisch nachahmende Angleichung an die Grundsätze des russischen Marxismus-Leninismus' (zu b). Gleichzeitig die adj. Ableitung bolschewistisch (ohne Steigerung), zunächst bis etwa 1917 in der Bed. 'zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands gehörend' (zu a), seit etwa 1917 bis etwa zu Stalins Tod in der Bed. 'den Grundsätzen des russischen Marxismus-Leninismus entsprechend, vom Bolschewismus bestimmt, zu ihm gehörend, auf ihm beruhend', z. B. das bolschewistische Programm, System, Regime, die bolschewistische Regierung, bolschewistische Auffassungen, Verhaltensweisen, als Grundwort in Zss. bzw. Ableitungen wie anti-, früh-, rechtsbolschewistisch (zu a und b), von den Gegnern auch abwertend verwendet (s. Belege 1919, 1930, 1932, 1958, 1987) (zu b), gleichzeitig die vom Nationalsozialismus geprägten diffamierenden Zss. kultur-, kunstbolschewistisch (s. Beleg 1933) (zu b), auch übertragen für 'radikal; alles radikal negierend' (s. Belege 1919, 1922); gleichzeitig die seltene gleichbed. Ableitung bolschewikisch (zu a und b). Dazu gleichzeitig das V. trans, bolschewisieren, zunächst im Syntagma Arbeiterparteien bolschewisieren 'Arbeiterparteien von sog. revisionistischen Tendenzen befreien und zu einer revolutionären kommunistischen Massenpartei umgestalten', dann auch 'etwas (bes. eine Partei, politische Richtung, die Politik) nach dem Muster des russischen revolutionären Marxismus-Leninismus gestalten' (zu a und b), z. B. ein Land bolschewisieren (s. Beleg 1944), die Wirtschaft eines Landes bolschewisieren (—» sozialisieren) (zu b), etwa seit 1945 in der heute veralteten abwertenden Bed. 'auf andere Staaten des damaligen Ostblocks die Grundsätze des russischen Marxismus-Leninismus übertragen' (s. Belege 1945, 1951, 1971) (zu b); seit früherem 20. Jh. auch übertragen für 'etwas radikal negieren' (s. Beleg 1936); dazu die verbale Präfixbildung entbolschewisieren V. trans, 'vom Bolschewismus befreien' (zu b). Dazu gleichzeitig das Verbalsubst. Bolschewisierung F. (-; selten -en) (zu a und b); als Bestimmungswort in Zss. wie Bolschewisierungsgefahr, -kampagne, -pakt, -politik, -praxis, -prozeß, gleichzeitig in den Präfixbildungen Durch-, Verbolschewisierung (zu b).

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Bolschewik a: Tag/. Rundsch. (Berlin) 7. 7. 1917 In den Zeitungsberichten über Rußland ist seit einiger Zeit häufig von „Bolschewiki" und „Menschewiki" die Rede, Namen, die offenbar neue politische oder soziale Parteigruppen bezeichnen sollen; Glauchauer Ztg. 17.1.1919 „Was heißt Bolschewik? Von den meisten Menschen, die den Namen Bolschewiki oder Bolschewismus gebrauchen, weiß kaum einer den Namen zu erklären .. Die Bolschewiki haben auf ihrem 2. Kongreß den Namen „Russische kommunistische Partei" angenommen, worauf die Menschewiki sich in „Russische sozialdemokratische Arbeiterpartei" umtauften. Wer also für Bolschewiki ein deutsches Wort gebrauchen will, sage dafür russische Kommunisten; Sotnbart 1919 Sozialismus 143 das . . Regierungssystem einer Gruppe der russischen Sozialisten: der Bolschewiki. So heißen sie, weil diese Gruppe einmal bei einer Abstimmung (auf dem Brüssel-Londoner Kongresse im Jahre 1903) in der Mehrheit blieb: die Minderheit hieß von da an die Menschewiki; Nadel 1924 Proletariat 59 Ihr Bolschewiki,/ Ruhm der einstigen Welt,/ Wohl habt ihr gemordet; Brockschmidt 1929 Sozialdemokratie 36 Liebknecht . . als „Bolschewik vor dem Bolschewismus"; Brecht 1932 Johanna (Ges. W. // 720) wir wollen es wie die Bolschewiken machen und die Fabriken in unsere Hand nehmen; ND 1. 1. 1949 wohl kämpfte Karl Liebknecht und die Linken unter dem Einfluß der Haltung der Bolschewiki seit September 1914 mit Feuereifer gegen die Bewilligung der Kriegskredite, aber es fehlte die revolutionäre Partei zur Führung des Kampfes; Welt 20.4.1949 den später erschossenen „Stephan", dessen Name jetzt in der „Kurzen Geschichte der Kommunistischen Partei der Bolschewiken" als der eines „Volksfeindes" erscheint; Grass 1959 Blechtrommel 46 im tiefsten Rußland wird eine Aufnahme der Zarenfamilie gemacht, Rasputin hält den Apparat, ich bin der Zarewitsch und hinter dem Zaun hocken Menschewiki und Bolschewiki, beschließen, Bomben bastelnd, den Untergang meiner selbstherrscherlichen Familie; Heuss 1963 Erinn. 284 aus der Zeit, bevor in Rußland selber der böse Konflikt zwischen den Menschewiki und Bolschewiki entbrannt war; Welt 1. 3. 1974 er nennt neben dem späteren sowjetischen Diktator auch andere Bolschewiken, die ihre Laufbahn der Ochrana zu verdanken haben; MM 19. 8. 1986 unter diesen „tollgewordenen Hunden" befand sich Sinowjew, damals 53 Jahre alt, seit 1903 enger Mitkämpfer Lenins, Mitglied des ZK der Bolschewiki seit 1907 - also lange vor Stalin - und 1919 bis 1926 Vorsitzender der Komintern; Zeit 12. 9. 1986 war nicht der „Klassenmord" der Bolschewiki das logische und faktische Prius des „Rassenmords" der Nationalsozialisten?; TAZ 6. 2. 1990 Sonderh.

2 nach dem Staatsstreich der Bolschewiki war das erste, was Lenin abschaffte, die Freiheit, die Menschenrechte und die Demokratie. bolschewikisch: Wohl 1932 Reporter 209 Zapato hält Molley für eine bolschewikische Agentin. Bolschewisierung: Thälmann um 1924 Reden I 68 Wenn dort in der Mitgliedschaft eine andere politische Auffassung .. sich geschlossen auf dem Leipziger Parteitag dokumentierte, so hatte Brandler die Pflicht, zur Einheit, Konsolidierung und Bolschewisierung der Partei wenigstens Genossen aus diesen Bezirken in die Zentrale mit hineinzunehmen; ebd. H 23 Der Kapp-Putsch, der März 1921, der Oktober 1923 gaben die weiteren entscheidendsten Lehren, auf Grund deren sich der langsame und komplizierte Prozeß der Bolschewisierung der deutschen Kommunistischen Partei vollzog; Raddatz 1976 Traditionen l 23 Gegen eine als ultralinke Opposition denunzierte Gruppe in der Parteispitze wird jetzt die Bolschewisierung der KPD im Sinne der Moskauer Empfehlung durchgedrückt (DUDEN 1993). Bolschewismus: Sombart 1919 Sozialismus 143 Bolschewismus nannte man zunächst das Glaubensbekenntnis aber auch das danach in die Wirklichkeit übertragene Regierungssystem einer Gruppe der russischen Sozialisten: der Bolschewiki; Kjellen 1921 Großmächte W. 209 Bolschewismus bedeutet buchstäblich Maximalismus zum Unterschied von Menschewismus; Lenz 1922 Staat 163 Den grundsätzlichen Wendepunkt in der Gesellschaftslehre des zur Herrschaft gelangenden „Bolschewismus" kennzeichnet Lenins wichtige Schrift „Staat und Revolution" (1917); Heuss 1963 Erinn. 283 Joseph hatte den Sieg des Bolschewismus als Rußlands Gesandter in Siam erlebt; MM 19. 8. 1986 vor allem aber vernichtete Stalins Geheimpolizei die alte Garde des Bolschewismus, das gesamte Führungskorps aus der Zeit Lenins. Bolschewist: Sombart 1919 Sozialismus 151 „Demokratie" in dem bürgerlichen Sinne gibt es nach Marx und den Bolschewisten überhaupt nicht, solange es einen Staat gibt; ebd. 153 Für den Bolschewisten ist der Krieg für alle absehbare Zeit ein notwendiges Lebenselement; Buhl 1920 Reden 232 so reisst, nach den ewigen Gesetzen der Revolution, eine Minderheit die Herrschaft an sich, Independenten in England, Jakobiner in Frankreich, Bolschewisten in Russland, vielleicht auch Spartakisten in Deutschland!; Tb. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. X 596) ich hörte . ., daß Mereschkowski .., vor der Bolschewistenherrschaft flüchtig, sich

Bolschewik in Warschau befinde; Süddtsch. Ztg. 2. 10. 1952 Im Herbst 1902 wurde die Redaktion der Iskra von München nach London verlegt, . . weil Plechanow die Verlegung erzwang . . Plechanow, und nicht der bayerischen Polizei hatte es München zu verdanken, daß es durch den rechtzeitigen Abzug Lenins und der Seinen nicht die Geburtsstätte der „Bolschewisten" wurde; Zeit 15. 2. 1985 [der] Kronstädter Matrosenaufstand gegen die Bolschewisten 1921; MM 1. 10. 1987 als Beispiel nannte er nachdrücklich den blutigen Terror der Bolschewisten in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution von 1917. bolschewistisch: Kossowsky 1918 Das bolschewistische Regime (Titel); Sombart 1919 Sozialismus 153 Die bolschewistische Krasnaja Gazeta vom . . 1. September 1918 aber schrieb: „Auf den Tod eines jeden der unsrigen werden wir mit dem Tode von Tausenden antworten"; 1919 D. Ziegelbrenner XV 11 Sind während des Krieges in Deutschland und im besetzten Gebiet nicht viel mehr Leute hingerichtet worden als unter der bolschewistischen Regierung in Rußland?; Tb. Mann 1925 Nachtr. (W. XIII 571) aller westlich-marxistische Einschlag . . hindert uns nicht, in der bolschewistischen Umwälzung das Ende der Epoche Peters, der westlichliberalisierenden, der europäischen Epoche Rußlands zu sehen, welches mit dieser Revolution sein Angesicht wieder nach Osten wendet; Voss. Ztg. 23. 3. 1930 Der langjährige Kampf, den die bolschewistische Regierung gegen den Bauer um die Versorgung der städtischen Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Produkten . . führt; Röpke 1946 Civitas 334 Auffallend ist die Parallele zwischen dem Schicksal des Bauern im nationalsozialistischen Deutschland und im bolschewistischen Rußland; Welt 9.11. 1964 mit einer Parade .. auf dem „Roten Platz" in Moskau feierte die Sowjetunion am Wochenende den 47. Jahrestag der bolschewistischen Oktoberrevolution; MM 19. 7. 1986 37000 Briten hatten Schadensersatzansprüche geltend gemacht, nachdem ihr Besitz im zaristischen Rußland 1917 von den neuen bolschewistischen Machthabern enteignet worden war; Zeit 12. 9. 1986 was die bolschewistischen Morde betrifft, so zitiert Fest einen Chef der Tscheka, der Ende 1918 erklärte: „wir sind dabei, die Bourgeoisie als Klasse auszurotten"; ebd. viel . . aufregender ist die zweite Behauptung, die Nolte für wahrscheinlich erklärt, und die Fest aufgreift, nämlich die von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen den bolschewistischen und den nationalsozialistischen Morden; ebd. 7.11. 1986 dasselbe gilt für den Vergleich der NS-Verbrechen mit den bolschewistischen Vernichtungsaktionen; ebd. 3. 4. 1987 die Auswirkungen der bolschewistischen Revolution.

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Bolschewik b: Sperber 1923 Bedeutungslehre 40 oder ich kann einen Neuerer auf künstlerischem Gebiet einen „Bolschewiken" nennen; Hoehne 1928 Reportage 138 der Papst spricht: „Du bist Erzbischof zu Schanghai! Revolutioniere China, Bolschewik Christi! Welterlösung ist deines Amtes; Werfet 1928 Abituriententag 40 Diejenigen Herren aber, die erwartet hatten, heute in Komarek einen radikalen Politiker, einen Bolschewiken zu finden, waren auf dem Holzwege; Th. Mann 1937 Reden u. Aufs. (W. XII 795) in diesem Buch, dessen Text nicht von wilden Bolschewiken geschrieben ist, kann man lesen, wie wenig umstürzlerisch das Reform-Programm der spanischen Volksfront.. war; Bredel Hm 1949 Einen Schritt weiter (Publizistik 79) Es gibt für einen Bolschewiken kein Ausruhen, er kennt kein genügsames Zufriedensein mit bisher Erreichtem, er kann nur ein Weitertreiben des schon Erreichten zu immer größerer Vollkommenheit kennen (EICHELBERGER); Zeit 11.4. 1986 Kissinger verstand allerdings auch etwas, was viele Amerikaner, Industrielle zumal, die von Dobrynin als einem „ganz anderen Bolschewiken" schwärmten, nicht durchschaut hatten. Antibolschewik: Zeit 27. 2. 1987 nun muß man jedoch dem Grafen Galen seine beherzte Rede von 1941 um so mehr zugute halten, als er von Haus aus ein Erzkonservativer war, noch fest in monarchisch-patriarchischen Prinzipien wurzelnd, sicherlich kein Freund der Weimarer Verfassung, und ein wackerer Antibolschewik. bolschewisieren: i927 Weltbuhne XXIII 1,552 Also geben wir das Stück dem Piscator zur Inszenierung . . Der nahm es in dieselbe kräftige Regiefaust, die schon Schillers Räuber bolschewisiert, die aus dem lustigen Spiegelberg den echten Revolutionär und die Figur Trotzkis herausgeschnitten hat; 1932-33 Schweizer. Rundsch. XXXII 2,963 „bolschewisierende" Initianten und Demonstranten; 1936 Das Volk 267 Die Sowjetunion steht außerhalb des Völkerrechts. Die Sowjets sind friedlos. Muß man diese juristischen Thesen als radikal bezeichnen? Wenn ja, nur deshalb, weil unser bisheriges Völkerrecht dem juristischen Nihilismus verfallen, d. h. bereits „bolschewisiert" ist; Dtsch. Adria-Ztg. 1. 6. 1944 Welche Aussichten es [England] einem bolschewisierten Europa und Nahost gegenüber hätte, einem Moskau, das mit Aplomb ins Mittelmeer als Seemacht einzieht, wird es sich im stillen längst selber sagen; M.-A. Abendztg. 23. 1. 1945 Ein sowjetisierter Balkan ist nämlich nur Verbindungsglied zu einem bolschewisierten Italien und einem sowjetisierten Frankreich; Süddtsch. Ztg. 8.2. 1951 Nun bestehen zwar im Grundsätzlichen kaum Differenzen zwischen ihnen

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[den Westmächten]. Keine der drei Westmächte wünscht eine Gesamtregelung für Deutschland, in deren Rahmen die westliche Hälfte auf kaltem Wege früher oder später bolschewisiert werden würde; Kuczynski 1955 Gesch. d. Arbeiter i. Deutschland II 2,163 vor einer öffentlichen Versammlung in München betont Professor Carlo Schmid, der sozialdemokratische stellvertretende Bundestagspräsident, .. Es wäre seiner Ansicht nach besser, in einem unzerstörten Hause bolschewisiert zu werden als die Bolschewisierung als Krüppel in einer Erdhöhle zu erleben; Flake 1960 Abend 389 [nach 1920] wurde die [deutsche] liberale Presse .. von der sozialisierenden oder bolschewisierenden Literatur unterhöhlt; Steinberg 1971 Ikebana 137 Japan habe sich stets in einer verzweifelten Lage befunden, vieles sei nur von daher zu verstehen, und ebenfalls zum Verzweifeln sei es, daß sich ihr Land völlig an die Vereinigten Staaten anschließen müsse, wolle es nicht bolschewisiert werden, und das wolle es nicht. Bolschewisierung: Stadtler 1919 Weltkrieg 15 der daraus resultierenden Bolschewisierung Deutschlands; Buber 1920 Jude 518 Nur eine Systemänderung vom Grunde aus könnte helfen; eine solche aber ist nur von einer Änderung des europäischen Systems selber zu erwarten. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ich damit keine Bolschewisierung meine; Bang 1921 Entedelung d. dtsch. Wirtschaft 72 Unmittelbar hinter der heute in größtem Maßstabe sich vollziehenden Umwandlung des werteschaffenden Kapitals in Effektenkapital, hinter dieser Vermarktung . . hinter dieser Verbörsung der Industrie wie überhaupt der deutschen Warenerzeugung steht ebenfalls eine Entthronung, steht das, was man als Sozialisierung bezeichnen und was man dem schließlichen Ziele nach besser Bolschewisierung nennen sollte; Hoffmann 1925 Aufzeichnungen H 324 [die] Bolschewisierung ganz Europas und damit der Untergang der abendländischen Kultur; 1928 Rubiner Ber. 130 es wird die Arbeit der Gesamtpartei sein, der Bolschewisierung der Presse mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, damit wir eine wirkliche „Arbeiterpresse" in dem Sinne haben; Hesse 1931 Br. 57 Seine [Deutschlands] Zukunft ist die Bolschewisierung, mir an sich gar nicht widerwärtig, aber sie bedeutet eben doch einen großen Verlust an einmaligen nationalen Möglichkeiten; Bloem 1934 Hindenburg a. Reichspräsident 17 [die] Bolschewisierung Deutschlands vom Westen her; Münch. N. N. 25.11. 1941 Churchill und Roosevelt . . haben im stillen bereits zugestanden, daß der Erdteil [Europa] der Bolschewisierung ausgeliefert wird; ebd. 30. 3. 1944 Die Sowjets hoffen, auf diese Weise den Grundstock für die beschleunigte Bolschewisierung

der gesamten mohammedanischen Welt zu legen; Süddtsch. Ztg. 25. 9. 1950 engste Zusammenfassung der christlich-demokratischen Kräfte gegen die Bolschewisierung Ostdeutschlands; Hartmann 1954 Begegnung 219 1948 mußte er [Benesch] seine Unterschrift unter die Bolschewisierung seines Staates setzen. Bald darauf starb er, ein Einsamer; Heimpel 1956 Kapitulation 22 Wir vergessen auch nicht, daß auch das römisch-katholische Polen vor der Bolschewisierung, daß das katholische, aber auch starken protestantischen, vor allem calvinistischen Einflüssen offene Ungarn .. nicht zum Osten, sondern zu Europa gehörten; Stuttgarter Ztg. 1. 8. 1962 Wir müssen uns fragen, ob . . wir Einflußbereiche abtreten könnten, ohne dem Kommunismus mit dieser Abtretung auch das Recht der Bolschewisierung zuzugestehen; Haffner 1965 Todsünden 23 war ja dann auch die dauerhafteste seiner [Deutschlands] Kriegstaten die Bolschewisierung Russlands; 1984 Jahrb. Kaufmann-Stiftung 11 auf dem Höhepunkt des Krieges behaupteten sie, Europa nicht nur vor der Bolschewisierung, sondern auch vor der Amerikanisierung retten zu wollen; Zeit 5. 4. 1985 Niemand konnte wissen, daß . . Winston Churchill, zwei Jahre zuvor bereit gewesen war, den Deutschen, um des lieben europäischen Friedens willen, eben das zuzumuten, was ihre Repräsentanten jetzt als Träumerei verspotteten oder (wie Franz Josef Strauß) „als Übergangszustand zur Bolschewisierung" vehement ablehnten — die Neutralisierung eines wiedervereinigten Deutschlands. Bolschewismus: Sombart 1919 Sozialismus 146 daß der gesamte Geist, aus dem der Bolschewismus geboren ist, der alte Revolutionsgeist, genauer: der Geist des revolutionären Marx ist; ebd. 149 Aber ist denn . . in ihrem Glaubensbekenntnis, dem Bolschewismus, gar nichts Positives? gar keine Liebe? gar keine Bejahung? .. Was sie bejahen, .. ist die absolute Negation; was sie lieben, ist die Idee der Zerstörung; wofür sie sich opfern, ist „die Revolution"; Stadtler 1919 Weltkrieg 22 [das] Gespenst des Bolschewismus; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 166) der Faschismus Italiens ist das genaue Gegenstück zum russischen Bolschewismus, und seine antikische Geste und Mummerei kann nicht über die Humanitätsfeindlichkeit seines Wesens hinwegtäuschen; ders. 1923 Reden u. Aufs. (W. XI 858) eine Stimmung der Rückschlägigkeit und der depressiven Antihumanität, deren augenfälligste Auswirkungen der Bolschewismus in Rußland, der Faschismus in Italien, die Reaktion in Ungarn und eben gewisse fixe und finstere Ideen in Frankreich sind; ebd. wir rechnen den Bolschewismus, obgleich er doch radikalistisch-revolutionären Geistes ist, zu den Erscheinungsformen dieser

Bolschewik Depression, weil auch er . . jedenfalls nicht Demokratie, nicht Freiheit und Menschlichkeit ist, sondern Diktatur und Terror; und die diktatorisch-terroristische Tendenz eben ist es, was diese Weltbewegung als Ganzes kennzeichnet; Thälmann um 1924 Reden II 483 Der Sieg des Bolschewismus in Deutschland — das bedeutet die Enteignung der Banken, Fabriken, der Bergwerke, des Großgrundbesitzes; Liebig 1928 Verschwetzerung 5 Bolschewismus ist eine akute Krankheit mit Ungewissem Ausgang; Voss. Ztg. 23. 3. 1930 Zu dem unverbesserlichen Pessimismus dieser Tage gehört die übertriebene Angst vor dem Bolschewismus; ebd. 19. 7. 1931 die These Clemenceaus ..: „Der Bolschewismus ist eine Krankheit der besiegten Staaten, gegen die die Sieger immun sind"; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. XI 900) die . . Restauration, deren geistiges Rüstzeug hauptsächlich in dem stupiden Schimpfwort Kulturbolschewismus besteht und die . . darauf ausgeht, den Zustand des Landes um ein Menschenalter zurückzuschrauben; Lokal-Anz. 2. 2. 1933 14 Jahre Marxismus haben Deutschland ruiniert. Ein Jahr Bolschewismus würde Deutschland vernichten; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. XI 926) in entscheidender Beziehung, nämlich gerade in wirtschaftlicher, ist der Nationalsozialismus nichts anderes als Bolschewismus; ebd. XI 940 ist es aber schon eine Frage, die soziale Demokratie für eine Vorstufe des Bolschewismus auszugeben, so kommt der Betrug auf seinen Gipfel, wenn der Faschismus — und insbesondere der deutsche Nationalsozialismus - sich für den Schutz und das Bollwerk gegen den Bolschewismus ausgibt; ders. 1939 Reden u. Aufs. (W. XII 859) Gewalt, Anarchie, Blut, Brand und Pöbelherrschaft, Verfolgung des Glaubens, schmutzigste Grausamkeit, die Verkehrung aller Begriffe . . — der Nationalsozialismus, nur er, ist dieser Bolschewismus, und wenn Kriege, zerstörender und barbarischer als der Dreißigjährige, über Europa hingehen und es atomisiert und um Jahrhunderte zurückgeworfen hinterlassen werden, er, der Feind der Menschheit wird der Urheber gewesen sein; 1939 ZG Oberrhein XCl 543 [die] Flut der Überfremdung und des Kunstbolschewismus; Münch. Abendztg. 15. 2. 1945 Europa wäre somit praktisch dem Bolschewismus ausgeliefert; Klemperer 1947 LTI167 [die] „Vermassung", auf die der Marxismus abziele, und auf die erst recht seine Übersteigerung im jüdischen und asiatischen Bolschewismus hinarbeite; Jaspers 1958 Atombombe 377 Man hört heute die Forderung, mit dem russischen Bolschewismus sei zu einer fruchtbaren Polarität zu kommen; Grzimek 1959 Serengeti 43 in drei, vier Generationen, wenn man Bolschewismus und Kapitalismus längst vergessen hat und Ostblöcke und Westblöcke nicht mehr wichtig sind, werden

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vielleicht viele Menschen froh darüber sein, daß sich in unseren Tagen jemand um die Tiere Afrikas Sorgen gemacht hat; Zeit 17. 10. 1986 Musil ging sogar so weit, auf diesem Forum, zu diesem Zeitpunkt und vor diesem Publikum den Bolschewismus und den Faschismus in Parallele zu setzen; Frankf. Rundsch. 23. 1.1988 Das in seiner Mehrheit konservative Bildungsbürgertum teilte das Vorurteil rechter Intellektueller, der egalitäre Freiheitsbegriff der westlichen Demokratie sei . . eine .. Mixtur von Bolschewismus und Amerikanismus; MM 28. 1.1988 Hans Ziegler, federführend bei dieser Kampagne, [schreibt]: „was in der Ausstellung „Entartete Musik" zusammengetragen ist, stellt das Abbild eines wahren Hexensabbats und des frivolsten, geistig-künstlerischen Kulturbolschewismus dar"; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter 380 Im Sprachgebrauch der westlichen Länder wird Totalitarismus von Anfang an in einen deutlichen Gegensatz zu den positiven Begriffen Demokratie und Liberalismus gestellt und als schlagwortartige Sammelbezeichnung auf unterschiedliche politische Herrschaftssysteme des 20. Jhs. angewendet: auf den italienischen Faschismus .., den Nationalsozialismus ebenso wie auf bestimmte Erscheinungsformen des Kommunismus, insbesondere den Bolschewismus und Stalinismus; Wochenpost 23. 2. 1990 es war schon in den zwanziger Jahren in Europa die Angst vor dem Stalinismus (Bolschewismus), die Hitlers dämonische Karriere ermöglichte. Antibolschewismus: Niekisch 1929 Gedanken 347 Antibolschewismus als Dogma; Frankf. Ztg. 10. 5. 1936 Durch seinen radikalen Antibolschewismus lenkte er [Stadtler] die Aufmerksamkeit einiger Männer von Gewicht, insbesondere Karl Helfferichs, auf sich; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1001) Hitler sieht das Stück Weltgeschichte, das er in die Wege leitete, indem er durch die Bündnisse mit Rußland und Japan die beiden Grundprinzipien seiner politischen Religion, den Antibolschewismus und die Rassenidee, als bloße Mittel zum Weltbetrug preisgab . . er sieht diese Geschichte . . unter .. dem Gesichtspunkt seiner Biographie, einer Schwindlerlaufbahn; MM 19. 8. 1986 so sagte Sinowjew vor 50 Jahren: „mein defekter Bolschewismus hat sich in Antibolschewismus verwandelt, und über den Trotzkismus bin ich zum Faschismus gelangt". Bolschewist: 1918 Weltbühne II 140 Herr Doktor Helfferich .. hat die angenehme Aufgabe erhalten, zwischen Bombenlunten mit Bolschewisten und Sozialrevolutionären zu verhandeln; Sombart 1919 Sozialismus 143 es gibt jetzt in allen Ländern „Bolschewisten". Wollen wir jedoch erfahren, wes Gei-

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stes Kind sie sind, so werden wir unser Augenmerk doch zunächst und vor allem auf die russischen Bolschewiki richten müssen; ebd. 146 Der Bolschewist sagt zu allem, was Menschengeist bis daher geboren hat, nein: er ist der Gegner schlechthin, der Antimensch; 1923 Bausteine 255 Will man ihr [der Schwerindustrie] da etwa zumuten, mit ihrem „guten" Gelde „Bolschewisten" großzuzüchten; Keyserling 1926 Welt 72 f. Die heutige Jugend ist über alle Begriffe primitiviert, der Chauffeur kein hohes Ideal, und weder die Bolschewisten- noch die Fascistenführer sind Kulturvorbilder; Berl. lllustr. Nachtausg. 9. 12. 1933 Diese Liste .. enthält . . die Namen eines Teiles jener Literaturbolschewisten, die als die Wegbereiter des Kommunismus zu bezeichnen sind; Tb. Mann 1937 Reden u. Aufs. (W. IX 510) wenn es das Wort schon gegeben hätte, so hätte er [der deutsche Bildungsbürger] Wagner einen Kulturbolschewisten genannt; ders. 1940 Reden u. Aufs. (W. XI 975) Hitler war der Bändiger der Arbeiter, der Schutzherr des Kapitals, das Bollwerk gegen alles, was man Bolschewismus nannte, und wer ihn verabscheute, wer das Land floh, wo er seine Greuel verübte, war selber ein Bolschewist; Tagespost (Graz) 12.3.1944 Die schwedische Presse .. [sei] vielmehr bestrebt, Schweden in die Arme der Anglo-Amerikaner und Bolschewisten zu treiben; 1946 Süddtsch. Ztg. Nr. 23 Als dann seit 1938 eine Verschärfung des Kampfes gegen die moderne Kunst einsetzte, der deutschen Presse verboten wurde, die sogenannten „Kulturbolschewisten" auch nur mit Namen zu erwähnen, moderne Künstler ein offizielles Arbeite-, Ausstellungs- und Verkaufsverbot erhielten; Heuss 1963 Erinn. 439 für einen in seiner politischen Haltung konservativen Mann wie Schlange wurde die Formel vom „Agrarbolschewisten" gefunden; MM 20. 11. 1987 an Mannheim, wo im April 1933 zeitgleich mit Karlsruhe — in einer Ausstellung in der Kunsthalle die sogenannten „Kulturboschewisten" an den Pranger gestellt wurden, . . erinnern . . Reproduktionen jener Werke, die dem braunen Bildersturm zu Opfer fielen: Bilder von Max Beckmann, Marc Chagall,. . Emil Nolde, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Dix, George Grosz; ebd. 2. 2. 1988 El Lissitzky war ein ruheloser Ideenproduzent, fanatischer Veränderer und Manipulator, . . er sympathisierte mit den Bolschewisten und starb 1941 als unterschwelliger Stalinist. Bolschewistentum: Lettenbaur 1927 Morgen 322 Bolschewistentum. Bolschewisterei: Huch 1919 Br. 60 ich halte es für möglich, daß wir da [in Italien] die Bolschewisterei gleich fortsetzen können.

bolschewistisch: 1918 Weltbühne U 556 Alle Posten wurden doppelt besetzt: immer ein Mehrheitssozialist und ein Unabhängiger. Ebert und Haase an der Spitze des Ganzen. Die einen zogen rechts, die ändern links, und die bolschewistische Spartacus-Gruppe der Liebknecht, Luxemburg . . suchten die Unabhängigen täglich weiter nach links zu zerren; Sombart 1919 Sozialismus 146 Will man mit einem Worte ausdrücken, was die Gesamtstruktur des bolschewistischen Geistes kennzeichnet, so wird man sagen dürfen: es sei seine wesentlich negative Einstellung zur Welt; Moszkowski 1922 Inseln 124 Ihre Variationslust, Herr Magister, imponiert mir durch die rücksichtslose Konsequenz, mit der Sie sozusagen bolschewistisch an den Denksäulen rütteln; Thälmann 1924 Reden H 13 das Fehlen einer zielklaren bolschewistischen Partei [in Deutschland]; Thiess 1927 Gesicht 90 Der entscheidende und fürchterliche Kampf zwischen europäischer Vormundschaft und russischem Eigenwillen wird in der bolschewistisch-nachbolschewistischen Ära ausgefochten werden; Voss. Ztg. 23. 3. 1930 so kann man nicht glauben, daß heute gerade in dem Augenblick, da sich wirtschaftlich und politisch wohltuend die Beruhigung anbahnt, der bolschewistische Spuk in Deutschland ernstliches Unheil anrichten könnte; Th. Mann 1932 Nachtr. (W. XIII 623) was kann . . „bolschewistischer", was kann unchristlicher und undeutscher sein, als die Feigheit all dieser Taten, als dies Abschießen aus dem Hinterhalt, dieses Eindringen in Menschenheime; Lokal- Anz. 14.2.1933 Beide wendeten sich auch gegen die Fortsetzung und die Anarchie auf dem Gebiete der Kunst durch die bolschewistische Idee; Berl. Illustr. Nachtausg. 23.2.1933 Aufrechterhaltung ihrer scharfen Stellungnahme gegen die kunstbolschewistische Versetzung der städtischen Bühnen; Dtsch. AZ. 18. 11. 1935 Jedenfalls hatten die Führer der bolschewistischen Weltrevolution Deutschland bereits als sichere nächste Etappe für die Bolschewisierung Europas betrachtet; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. XI 966) alle Zeichen deuten darauf hin, daß sich die nationalsozialistische Revolution, die als radikale Rechtsbewegung begann, schneller und schneller nach links, das heißt ins Bolschewistische entwickelt oder vielmehr aus einem RechtsBolschewismus in Links-Bolschewismus umzuschlagen im Begriffe ist; ders. 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 687) noch heute ist die kommunistische Partei nicht verboten, aber ihre Führer und Anhänger werden in Gefängnissen gefoltert . . von Menschen, die viel bolschewistischer sind als die biederen Parteimitglieder des deutschen Kommunismus; Süddtsch. Ztg. 15. 1.1951 „Der erste Revolutionär ist der biblische Teufel" — mit diesen Worten Bakunins bezeichnete Stepan . . den dämonischen

bombardieren Messianismus der bolschewistischen Lehre und ihrer Wirklichkeit; Jaspers 1958 Atombombe 177 wenn ein Augenblick gewählt wird, in dem Amerika nicht eingreift, kann Europa vom bolschewistischen Totalitarismus auch heute noch ohne Atombomben wahrscheinlich schnell erobert werden, was nach 1945 .. leicht gewesen wäre, wenn nicht Amerika geschützt hätte, damals durch seinen Alleinbesitz der Atombombe; 1970 FAZ Nr. 37 diese Gesetze, die von dem seinerzeitigen bayerischen Ministerpräsidenten . . Hoegner (SPD) vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß als Entgegenkommen der amerikanischen Besatzungsmacht an ihre „damaligen bolschewistischen Freunde" bezeichnet wurden; 1973 Handlex. Politikwiss. U 455 Die globale Begriffsbildung Totali-

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tarismus wird fragwürdig in ihrer Anwendung auf das faschistische wie bolschewistische System; MM 1. 10. 1987 die Gegenseite . . bestreitet, eine Relativierung der NS-Greuel mit dem Vergleich des bolschewistischen Terrors anzustreben. antibolschewistisch: Mitnch. N. N. 23. 6. 1941 [Duce im November 1936:] „Niemand wundert sich, wenn wir heute das antibolschewistische Banner hissen"; N. Z. Z. 28. 9. 1943 antibolschewistische Parolen der Politiker; ebd. 20. 8. 1944 Menschen . ., die . . sich von der englandfeindlichen, antirussischen und anitbolschewistischen Tendenz der Macht- und Eroberungspolitik des Dritten Reichs mitreißen ließen. RS

bombardieren V. trans., im späten 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bombarder (zu bombarde 'Steinschleudermaschine' (s. u.) < gleichbed. mlat. bombarda, zu lat. bombus, —» Bombe), anfangs auch in der Schreibung bombardiren. la Zunächst in der militärischen Fachsprache in der heute veraltenden Bed. 'etwas mit schwerer Artillerie beschießen', seit frühem 18. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Bombardiergaliote, -geschütz, -kompanie, -schiff, gleichzeitig auch bildlich verwendet, z. B. jmds. Meinung mit Kanonen bombardieren 'jmds. Meinung heftig bekämpfen' (s. Beleg 1688). Dazu bereits seit frühem 15. Jh. das über frz. bombarde 'Steinschleudermaschine, Donnerbüchse' aus gleichbed. ital. bombarda entlehnte Subst. Bombarde F. (-; -n), anfangs auch in den Schreibungen Bumbarde, Bombard(a), in der Fachsprache des Militärs für 'Belagerungsgeschütz, mit dem Steine geschleudert wurden' (s. Belege 1496, 1507, 1574, 1689,1709, 1793), Anfang 17. Jh. auch für 'Geschützkunst' (s. Beleg 1607) und Anfang 19. Jh. auch für 'mit großkalibrigen Vorderladergeschützen reich bestücktes Kriegsschiff (s. Beleg nach 1811); seit frühem 17. Jh. die aus gleichbed. ital. bombardiere, frz. bombardier entlehnte, heute veraltete Personenbezeichnung Bombardier M. (-s; -e, selten -s) für 'Soldat der Artillerie, der ein Geschütz bedient, Kanonier', vom frühen 18. bis ins spätere 19. Jh. gleichbed. Bombardierer M. (-s; -) und im späteren 19. Jh. vereinzelt Bombardeur M. (-s; -s). Seit frühem 20. Jh. (s. Belege 1928, 1944, 1950, 1966, 1985, 1986, 1992) für 'etwas mit Bomben belegen, Fliegerbomben auf ein Ziel abwerfen', in Wendungen wie z. B. eine Stadt, feindliche Stellungen bombardieren. b Seit früherem 18. Jh. von Waffen auf andere Gegenstände übertragen, ugs. verwendet in der Bed. 'etwas/jmdn. mit (harten) Gegenständen bewerten', z. B. die Demonstranten bombardierten das Gebäude mit Steinen; die Kinder bombardierten einander mit Schneebällen; daneben etwa seit Mitte 20. Jh. auch in der Fachsprache der Physik, z. B. eine Materie mit Laserstrahlen, Teilchenstrahlen, Partikeln bombardieren 'auf eine Materie Laserstrahlen o. ä. gezielt einwirken lassen' (s. Beleg 1986). 2 Ebenfalls bereits seit spätem 17. Jh. in bildlichem Gebrauch für 'jmdn. mit etwas, bes. mit Worten überschütten, überhäufen, so daß er in Bedrängnis gerät', in Wendungen wie z. B. jmdn. mit Briefen, Telefonanrufen, Vorwürfen bombardieren; von allen Seiten mit Fragen bombardiert werden.

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Dazu Ende 17. Jh. das Verbalsubst. Bombardierung F. (-; -en), zunächst in der Fachsprache des Militärs für 'anhaltende Beschießung durch schwere Artillerie' (s. Belege 1695, 1710, 1793, 1848); seit früherem 20. Jh. in der Bed. 'Abwurf von Fliegerbomben auf ein Ziel' (s. Belege 1939, 1940, 1943, 1944, 1950, 1985) (zu la); seit früherem 18. Jh. auch übertragen verwendet für 'Bekämpfung, Feindseligkeit' (s. Beleg 1741) und für 'Überschüttung, Überhäufung mit etwas', z. B. die Bombardierung der Behörde mit Eingaben, Briefen (zu 2). Seit Anfang 18. Jh. das aus gleichbed. frz. bombardement entlehnte Subst. Bombardement N. (-s; -s), zunächst in der Fachsprache des Militärs für 'anhaltende Beschießung durch schwere Artillerie' (s. Belege 1715, 1719, 1794, 1822); seit früherem 20. Jh. in der Bed. 'massierter Abwurf von Fliegerbomben auf ein Ziel' (s. Belege 1940, 1941, 1944, 1945, 1947, 1949; gleichbed. mit Bombardierung), als Grundwort in Zss. wie Dauer-, Flächen-, Luft-, Nacht-, Terrorbombardement (zu la); seit späterem 18. Jh. auch ugs. übertragen verwendet für 'Überschüttung, Überhäufung mit etwas', z. B. ein Bombardement mit Fragen, Briefen, Eingaben (s. Belege 1761, 1947, 1961; gleichbed. mit Bombardierung), als Grundwort in Zss. wie Wortbombardement (zu 2); seit frühem 20. Jh. für 'das Bewerfen mit (harten) Gegenständen' (s. Belege 1917, 1970), als Grundwort in Zss. wie Schnee-, Steinbombardement; daneben etwa seit Mitte 20. Jh. in der Fachsprache der Physik auch für 'gezielte Einwirkung mit Teilchenstrahlen o. ä. auf eine Materie' (s. Belege 1966, 1985, 1986) (zu Ib). bombardieren la: 1686 Rath-Stube 103 5 Gallioten/ zum Bombardiren (BRUNT); Thomasius 1688 Monats-Gespräche 63 Wer wolte mit dem Herrn auskommen/ . ., wenn er eine Meinung mit Canonen bombardiret?; Ziegler u. Kliphausen 1695 Schau-Platz 514a Das herrliche Genua rauchete noch unter seiner Asche/ und die Seufftzer der bombardirten Inwohner stürmten den Himel; Elis. Charl. 1695 Br. VI 531 Die Frantzosen bombardiren jetzt Brüssel undt die Engelländer Dünkercke; Juncker 1696 Du Londel, Geschichts-Calender 53 Bombardirte der Marquis de Joyeuse besagtes Rheinfelden; Grimarest 1707 Feldzüge Carls XU. (Übers.) l 77 so that die Alliirten einen Versuch Copenhagen selbst zu bombardiren (BRUNT); Wächtler 1709 Manual 52 Bombardiren/ Bomben einwerffen/ z. E. eine Stadt oder Vestung bombardiren; Sperander 1727 A la mod Sprach 74 Bombardiren, eine Stadt mit eingeworffenen Feuer-Kugeln verbrennen, einer Vestung mit Feuer-Einwerffen zusetzen, it. beschiessen . . Bombardier-Galliotte, ist ein plattes Schiff von starckem Holtz, und hat kein Verdeck. Man bedienet sich derselben, die Feuer Mörser darauf zu führen; Zedler 1733 Unwersallex. IV 513 Bombardiren heißet, eine Festung mit Bomben und ändern Feuer-Einwerffen beängstigen; Gottsched 1740 Bayles Wb. l 68 so könnte es sich wohl zutragen, daß nach achtzig Jahren dieselbe Stadt bombardiret und verheeret würde (REICHEL); Blumauer 1784-94 Virgils

Aeneis (Ges. W. l 305) Die Bürger wollen meist nicht mehr/ Sich bombardiren lassen; Goethe 1793 Br. (WA IV 10,86) Wenn wir nur nicht das traurige Schicksal ansehen müßten daß alle Nacht die Stadt [Mainz] bombardirt wird und nun so nach und nach vor unsern Augen verbrennt; Rindfleisch 1870 Feldbr. 113 solange sich Paris hält, das unseres Wissens auch jetzt noch nicht bombardiert wird; Marx 1871 Bürgerkrieg i. Frankreich (MEW XVII 350) Die Artillerie von Versailles bombardiert Paris nicht, sie kanoniert es bloß; Brod 1928 Zauberreich 404 Heimkrieger haben eben in keinem Falle das Recht, sich mit verlausten und täglich bombardierten Frontsoldaten in Harmonie zu fühlen; Münch. N. N. 26. 4. 1944 Laßt uns bombardieren und immer wieder Bomben werfen, wo sie am wehesten tun; ebd. 31. 5. 1944 [die] Durchstöberung der bombardierten Häuser; ebd. 5.7. 1944 Wir bombardierten in Deutschland Stadt für Stadt; Rinser 1950 Mitte d. Lebens 342 als Ninas Wohnung im Dezember 43 bombardiert und zur Hälfte zerstört worden war; Zuckmayer 1955 Kaltes Licht 7 sie haben doch schon Warschau bombardiert; FAZ 4. 1. 1966 strategische Fernbomber . , bombardierten . . vermutete Vietkong-Stellungen; Domin 1968 Paradies 131 Liverpool war die Nacht zuvor bombardiert worden (DUDEN 1993); Zeit 28. 6.1985 in Kriegswirren und Bürgerwirren wurden gegnerische Gebiete nicht nur mit Artillerie und Raketen beschossen,

bombardieren sondern auch von Flugzeugen bombardiert; ebd. 18. 4. 1986 dort wurden nach der Darstellung von Verteidigungsminister Weinberger ein Kasernenkomplex und ein Luftwaffenstützpunkt bombardiert; MM 5. 9. 1986 im Stuttgarter Opernhaus, einem der wenigen unzerstörten Gebäude im schwer bombardierten Stuttgart; Spiegel 7.12. 1992 Das Militär hat ihre [der Flüchtlinge] Dörfer umstellt und läßt sie gelegentlich bombardieren, weil sie angeblich der Guerilla Unterschlupf bieten. Bombarde: 1423 (1877 Qu. z. Gesch. d. Feuerwaffen l 2 f.) bombardas; Wierstrait 1476 Belagerung v. Neuss 2405 buombard; 1496 Dtsch. Pilgerreisen 251 die selve stat [Modon] wirf dycke belestiget van den Turcken, sy synt ever waill dar vur versein, als man in eyner cleyner stat mach fynden myt bumbarden (und bussen), das ys mit geschutze; Herzog Friedrich II. 1507 Pilgerfahrt 119 grosse Bombarden; Messia 1570 Schöne Historien (Übers.) 31r auss eisenen Fessern oder Bombardis; Guicciardini 1574 Beschreibung (Übers.) 19r Die grössten Büchsen aber nante man Bombard oder Bomhart (alle drei WIS); Lorini 1607 V. Vestung Bauwen (Obers.) 124 hat man die Teuffelische Kunst des Puluers vnd dess Geschützes erfunden, welches erstlich Bombarda genennet worden; Garzoni 1641 Piazza universale (Übers.) 656a die Carthaunen/ halbe Carthaunen/ Bombarden/ Steinbüchsen vnd Pöler; ebd. 657b Die Bombarde, dieweil sie diese drey Effecten hat/ daß sie nemblich . . knallet/ ardet, brennet/ vnnd dat, einen Schlag gibt; Dilich 1689 Krieges-Schule l 443 Von denen Bombardis, die man zum Schiessen brauchet insgemein; Zedler 1733 üniversallex. IV 513 Bombarde, war vor diesem ein großes Stücke, daraus man Stein-Kugeln schoß. Es ist ietzo nicht mehr in Gebrauch; Musäus 1787-88 Volksmärchen 11 Die Bombarden und Donnerbüchsen erschütterten die Basteien; Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. 11123 Die Bombarde, . . Ein ehemahliges kriegerisches Werkzeug, ungeheure Steine damit in die Ferne zu werfen .. Nach der Erfindung des Schießpulvers nannte man eine Art großer aber dabey kurzer Kanonen, aus welchen man große Steine schoß, Bombarden, und im Deutschen auch Donnerbüchsen. Der Nähme ist mit dem Geschütze selbst nunmehr veraltet; Goethe nach 1811 Beschr. d. Gemähide [Hackertsl (WA l 46,345) Die vier Schiffe, Europa, Rastislaw, Netron Menja und Saratow, zwei Fregatten, Africa, Nadeschda und eine Bombarde machen die Escadre aus; ebd. Die Bombarde wirft beständig Bomben; Gries 1812 Ariosto's Rasender Roland (Übers.) 11 72 ihr habt bey Padua nimmer Bombarden solcher Groß' und Art gesehn; Erschf Gruber 1818-89 Allg. Enc. I 11,368 Bombarden oder Donnerbüchsen heißen die ältesten Feuerge-

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schütze, deren Gebrauch wir höchst wahrscheinlich den Mauren verdanken; Decker 1822 Geschützwesen 7 Bombarden von 1372 an in Italien bei Belagerungen und im Seekrieg verwendet; Hauff 1826 S. W. HI 114 auf den Feldern zeigten tiefe Spuren, wohin die schweren Feldschlangen, Falkonen und Bombarden, die Kugel- und Pulverwagen, der ganze Apparat einer langen Belagerung gezogen war; Platen 1832 W. /// 50 aus den Bombarden wurden ungeheure Steine in die Stadt geschleudert; Gumtau 1834 Jäger l 3 mannigfache Arten von Handrohren, halbe Haken, Arkebusen, Donnerbüchsen, Bombarden und Musketen traten . . an die Stelle der Armbrüste und Piken; Scheffel 1857 Ges. W. Ill 182 sie . . setzten ihm mit Minen, Ballisten und Bombarden dermaßen zu, daß die Besatzung . . den Turm an die Bürger übergab; Burckhardt 1869 Kultur d. Renaissance i. Italien (Ges. W. Ill 68) nicht nur weil die festesten Burgen vor den Bombarden erzitterten; Halbe 1898 Ges. W. 7V 52 die Brustwehren für die Bombarden; Handel-Mazzetti 1931 Hochzeit 492 Sogleich würden die Bombarden auf Ihre Brust gerichtet werden. Bombardement: Gregorius 1715 Schauplatz I 216 Darauf wurde das Schloss Greiffenberg dermassen beschossen dass solches durch das unaufhörliche Bombardement in vollen Brand gerieth; Fassmann 1719 Gespräche 111 154 weilen gedachte Daenen die Vestung Stade durch das Bombardement so sehr ruiniret (BRUNT); Monfz 1782 Reisen 132 im Milton .. die kolossalische Beschreibung von dem Streit der Engel .., wo die abgefallenen Engel ihre Gegner mit einem starken Bombardement angreifen, diese sich aber dagegen vertheidigen; Goethe 1794 Br. (WA IV 10,219) es ist eine allgemeine Bemerckung daß die Prolification [Geburtenrate] nicht beßer gedeihe und gerathe als zu Zeiten des Erdbebens, eines Bombardements, oder irgend einer Stadt- oder Landkalamität; Böttiger 1798 Literar. Zustände I 229 [die] Composition, die nun ganz vertilgt ist (und wahrscheinlich beim letzten Bombardement von Mannheim mit verbrannte); Aster 1819 Festungskrieg 459 Verhindern nicht, bei einem bevorstehenden Bombardement, weit vorgeschobene Werke die Annäherung der feindlichen Batterien, so verdoppelt man die Löschanstalten; Goethe 1822 Campagne (WA I 33,27) Als nun die Festung, .. auf die erste Forderung sich zu ergeben abgeschlagen, mußte man mit Anstalten zum Bombardement vorschreiten; ders. 1822 Belagerung v. Mainz (WA l 33,323) Erst sah man mit Schrecken das Bombardement als ein unvermeidliches Elend an, die zerstörende Gewalt der Feuerkugeln war zu groß, .. daß niemand glaubte, entgegenwirken zu können; Marx 1848 Revolution 1848 (ME W V 15J

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Es galt, den übermütigen Soldaten zur Rechenschaft zu ziehen, der es wagte, Mainz fast unter den Augen der Nationalversammlung mit dem Bombardement zu bedrohen; Moltke 1856 Wanderbuch (Paris) 79 wüste Plätze und Schutthaufen, wie nach einem Bombardement; 1861 Allg. Mil.Enc. II 8 Es giebt vier Angriffsarten, sich in den Besitz einher Fastung zu setzen: 1) der Ueberfall, 2) der gewaltsame Angriff, 3) die förmliche Belagerung, 4) das Bombardement; ebd. II168 Im J. 1689 eroberte [die Stadt] der Kurfürst Friedrich III. nach einem heftigen Bombardement; ebd. II 617 Bombardement, die Beschiesung eines Platzes . . aus Mörsern mit Bomben; Mahler 1864 Über die Eider 54 Zogen sie sich in ihre Verschanzungen von Missunde zurück, dann hieß es durch ein forcirtes Bombardement ihre Standhaftigkeit und Zähigkeit auf eine harte Probe zu stellen; Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 229 jedenfalls wäre dieser Druck leichter durch den Beginn des Bombardements als durch eine Schlacht bei Orleans auszuüben; Freytag 1870—71 Vogesen 64 ein „Bombardement" der inneren Stadt Paris; Becker 1940 Abschied (Ausw. IV 290) Peck, der zur Artillerie wollte, erfreute sich an der Schilderung eines Bombardements; Münch. N. N. 24. 5. 1940 Man sieht die Wirkung dieses Bombardements in erregenden Bildern; Th. Mann 1941 Reden u. Aufs. (W. XU 903) die rasende Gemeinheit des Bombardements von Rotterdam; Kisch 1942 Marktplatz 15 [dieses Lied] entstammt der Prager Revolution von 1848, ihrem letzten Tag, an dem vom Stadtteil Kleinseite aus der österreichische General Fürst Windischgrätz das Bombardement auf die Bürgerschaft eröffnete; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1095) In den freien Ländern ist der totale Krieg, sind die Bombardements deutscher Städte aus der Luft und der Jammer, den sie für die Zivilbevölkerung mit sich bringen, ein Problem des öffentlichen Gewissens; ders. 1947 Faustus (W. VI 231) das fürchterliche Bombardement der Stadt Dürers und Willibald Pirckheimers war kein weit entferntes Ereignis mehr; und als das jüngste Gericht auch München traf, saß ich bleich und wie die Wände, die Türen, die Fensterscheiben des Hauses bebend in meinem Studio; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 163) schwerstes Bombardement von Dortmund mit mehr als tausend Flugzeugen; Welk 1953 Morgennebel 826 sie bringen schon die schweren Geschütze in Stellung, das Bombardement soll in der Nacht beginnen; Welt 2. 1. 1954 erst nach einem blutigen Bombardement durch ein Marineflugzeug ergab sich die meuternde Besatzung; FAZ 14.1. 1966 daß . . die Pause im Bombardement auf Nordvietnam noch bis mindestens Ende dieses Monats andauern [werde]; Zeit 16.1. 1987 zu dem auf- und abschwellenden Geheul der Fliegeralarm-

sirene, das uns, ein neues Bombardement ankündigend, nächtlich aus dem Schlaf weckte; Süddtsch. Ztg. 10. 2. 1994 da las ich über das Bombardement von Auschwitz, das kein Bombardement auf die Krematorien war, sondern nur das Bombardement eines Flugzeuges, das seine Bombenlast loswerden wollte. Da stand ich daneben! Bombardeur: 1871 (Lokal-Anz. 15. 2. 1936) „Bombardeurs — Antibombardeurs" .. Im Großen Hauptquartier zu Versailles kam es wegen der Frage der Beschießung [von Paris im Jahre 1871] zu heftigen Auseinandersetzungen. Den „Bombardeurs" — Bismarck und Roon — standen die „Antibombardeurs" — Moltke, der Stabschef der III. Armee General v. Blumenthal und der nächst ihm maßgebende Geralstabsoffizier von Gottberg — gegenüber. Bombardier: Krafft 1616 Reisen 310 dj Z wen Bombardier oder Bixsenmaister mußten das geschütz mit kugel laden vnd An Ir ortt Stollen; Abr. a S. Clara 1699 Etwas f. alle 82 f. Constabel und Bombardiere; Gottsched 1728 Biedermann II 113 wegen gehabten Streits mit der Ehegattin eines Unter-Offiziers von den Bombardiers (REICHEL); Zedler 1733 Universallex. IV 514 Bombardier, heist derjenige Feuer-Wercker, der die Feuer-Mörser ladet und abfeuert; Schmucker 1774 Wahrnehmungen II 429 Herr Theden, . . Bombardier unter dem Artillerie Corps; Bruce 1784 Nachrichten 49 Ein Regiment Artillerie besteht aus 2400 Mann Bombardier, Kanonier, Minierer und Handlanger; Goethe 1803 Cellini (WA l 43,101) ich .. fand mich nicht weit von einigen Kanonen, die ein Bombardier von Florenz . . in Aufsicht hatte; Kühle v. Lilienstern 1811 Vertheidigung 386 Die Hälfte der obern innern Kasematten besteht aus Arkaden, aus denen der oben durchs Gewölbe gedeckte Bombardier über das gegenüberstehende Gebäude hinweg auf die feindlichen Werke wirft; 1813 RussischDtsch. Volksbl. X 6b Der Bombardier, durch dessen glücklichen Wurf das Pulver-Magazin aufflog; Arndt 1818 S. W. IV 206 Auf! Bombardier und Kanonier! Lasst die Musik erklingen!; Jahn 1839 Er. 438 Vier Jahre ist er Bombardier gewesen — und hat nur Kanoniersold bezogen; Engels 1841 Zwischen 18 u. 25. Jugendbr. 210 Übrigens bin ich seit vier Wochen Bombardier, . . trage die Tressen und Litzen und den blauen Kragen mit roter Paspelierung; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 6 die auf Parole befindlichen Unteroffiziere und Bombardiere der Kompagnie begleiteten mit Lächeln einige Redensarten; Holtet 1862 Erz. Sehr. XXVIII 9 [der] Bombardier, dessen Wurfgeschütz diese Bresche gemacht; Hartmann 1876 Ges. Studien u. Aufs. 24 indem ich zu der jetzt ausgestorbenen Charge der

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Bombardiers befördert wurde; Schurz 1906 Lebenserinn. l 2 Später wurde er zur Artillerie versetzt und stieg zur Würde eines Bombardiers empor; Berger 1966 Nettesheim 515 Kobes .. Bewunderer Friedrichs, dessen in Zinn gegossene Soldaten er in großer Zahl und nach exakter Planung eingekauft, wo immer er ihrer hatte habhaft werden können, an die zweihundert friderizianische Bombardiere und Grenadiere und Kürassiere und Husaren in allen soldatischen Existenzformen; Mugay 1987 Musike 54 Im Jahre 1799 war es, als ein Bombardier namens Fuhrmann auf Befehl des Soldatenkönigs bei St. Nikolai auftauchte und mit kgl. Schreiben kundtat, er sei der künftige Organist. Bombardierer: Fleming 1726 Soldat 77 Die Bombardirer sind bey ihrer Kunst um ein gut Theil höher zu achten, als die Canonirer, indem es weit künstlicher aus denen Bomben zu werfen, denn aus denen Canonen zuschiessen; Spet'ander 1727 A la mod Sprach 74 Bombardirer, .. derjenige welcher die Bomben machet und aus dem Mörsern wirfft; Gottsched 1760 Bielefelds Staatskunst l 626 Minirer, Bombardierer und Feldbaumeister (REICHEL); Comenius 1769 Orbis II 270 Der Constabel. Bombardierer; Marx 1871 Bürgerkrieg i. Frankreich (MEW XVII 335) die .. Scheußlichkeiten . ., begangen von den Bombardierern von Paris. Bombardierung: Ziegler u. Kliphausen 1695 Schau-Platz 514a Franckreich .. praetendirte: Daß . . 3. alle Unkosten der Bombardirung ersetzt werden sollen; Crophius 1710 Attgspurg o. S. Belagerung und Bombardirung [der Stadt Augsburg]; Gottsched 1744 Bayles Wb. IV 69 zehn Jahre vor der Bombardierung von Brüssel; ders. 1760 Bielefelds Staatskunst II 226 die Bombardierungen und Schleifungen der festen Plätze; 1761 Neueste a. d. anmuthigen Gelehrsamkeit XI 226 Doch wir müssen auch hören, was nach der bombardierung geschehen (alle drei REICHEL); Moritz 1793 Grammat. Wh. I 170 Bombardement: Bombardirung. Wegen des zu ausländischen Klanges von Bombardement, bedient man sich lieber des Wortes mit der deutschen Endung; Marx 1848 Revolution 1848 (MEW VI 43) Die Herren Professoren, welche „Geschichte machten", zu ihrem Privatvergnügen, mußten geschehen lassen die Bombardierung Wiens, die Ermordung Robert Blums, die Barbarei Windischgrätz'; Münch. N. N. 11. 12. 1939 Dokumente und Karten . ., worin Objekte der Bombardierung . . eingetragen waren; ebd. 8. 7. 1940 In keiner meiner Unterredungen .. habe ich um die Genehmigung einer Überfliegung türkischen Gebietes durch französische Flugzeuge zum Zweck ei-

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ner Bombardierung Bakus nachgesucht; N. Z. Z. 8. 10. 1943 strategische Bombardierungen; Münch. N. N. 12./13. 2. 1944 Der englische Fachmann gibt darum unumwunden zu, daß zwischen der „Flächenbombardierung" und der „wahllosen Bombardierung" als der reinen Terrorbombardierung kein Unterschied sei . . daß bei den Angriffen der deutschen Luftwaffe auf London immer noch die Zielbombardierung ausschlaggebend sei; V. ß. 15./ 16. 7. 1944 die Nachtbombardierung „militärischer Ziele" (!) schließe notwendigerweise „die Bombardierung des Gebiets" ein; NZ. (Basel) 31. 3. 1950 Dass die Deutschen selbst mit der Bombardierung offener Städte begonnen haben; FAZ 10. 2. 1966 die Bombardierung größerer und wichtigerer militärischer Ziele; MM 17.1. 1985 Erleichterung herrschte 1945 über das Ende der Frontkämpfe und der Bombardierungen, wohl weithin auch über das Ende der Naziherrschaft; Zeit 18. 4. 1986 um zwei Uhr morgens begannen die Bombardierungen des Militärflugplatzes in der Nähe von Tripolis; MM 19.11. 1987 ob Radioaktivität bei der Bombardierung freigesetzt wurde, wurde von iranischer Seite nicht mitgeteilt. bombardieren Ib: 1738 Voss. Ztg. (Buchner II348) sie wären aber von dem Pöbel mit Lichtern, Aepfeln, Citronen etc. erschrecklich bombardiret (BRUNT); 1781 Hausball 19 Jedermann schrie nach Krapfen, doch ein paar lustige Herrchens . . warfen die Krapfen den Gästen ob'n, als unten an die Köpf, es gab ein kleines bombardiren, das Gelächter; Engels 1873-83 Dialektik d. Natur (MEW XX 445) Mit ihr [mit der Hand] ergreifen sie [die Affen] Knüttel zur Verteidigung gegen Feinde oder bombardieren diese mit Früchten und Steinen; Perrin 1977 Frauen 69 Das trug wesentlich dazu bei, daß wir nicht mit faulen Tomaten bombardiert wurden (DUDEN 1993); Zeit 16. 5. 1986 in . . Essen bombardierten . . Atomkraftgegner die Zentrale der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke . . mit Salatköpfen; MM 27. 8. 1986 um 1990 soll eine kleine Raumsonde den nur 24 Kilometer langen Felsbrocken Phobos mit Laserstrahlen und mit Teilchenstrahlen zur Analyse der dann verdampfenden Gesteinspartikel bombardieren; Zeit 17. 10. 1986 erreicht wird sie, indem die Cäsiumatome zusätzlich mit Laserimpulsen bombardiert werden. Bombardement: Wildenbruch 1917 Neid 45 eröffnete sich ein Bombardement von Schneebällen auf den weissen Mann; 1966 Urania XI 34 durch ein achtstündiges Bombardement von Wismut-207 mit Alpha-Teilchen gelang es Wissenschaftlern .., erstmalig, direkte chemische Untersuchungen mit dem Element Astat vorzunehmen; Offenburger Tagebl.

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19. 3. 1970 Mehrere hundert Jugendliche begannen mit Steinen die Fensterscheiben von Geschäften einzuwerfen .. Erst bei Beginn dieses „Bombardements" ging die Polizei .. gegen die Demonstranten vor; MM 7. 2.1985 sie [die Materie] verwandelt sich unter der ultravioletten Strahlung von der Sonne und dem Bombardement mit hochenergetischen Partikeln in andere Verbindungen; Zeit 24. 10. 1986 Licht, so hatte Einstein erkannt, ist nicht nur eine Wellenerscheinung, sondern zugleich ein Bombardement mit winzigen Teilchen, den Photonen; Spiegel 29. 5. 1995 Eine Roggenähre setzt 4 Millionen Pollenkörner frei. . Auf das Bombardement reagiert der Atopiker mit einem aufgeblähten „Adeoid-Gesicht". bombardieren 2: Thomasius 1687 Nachahmung d. Franzosen 32 Wie viel verliebte Briefe, . . werden da all geschicket, gleich als ob man des guten Kindes affection damit bombardiren wolle; Zeidler 1701 Geister 155 und einander reciproce paedantischen Schrifften bombardiret (BRUNT); Menantes 1709 Satyr. Roman 46 sonst wären sie von ihnen . . mit Complimenten zu Tode bombardirt worden; Wächtler 1709 Manual 51 Also wird auch Scherzweise gesagt: du bombardirest ihn recht, z. E. mit dem Frantzösischen etc. it. mit vollen Gläsern einen bombardiren; Podagra 1721 Apothekertod 109 O Sie bombardiren mich mit gar zu vieler Höflichkeit; Geliert 1761 Br. (S. Sehr. IX 303) Doch muß man sie [Personen, die uns mit ihrer Korrespondenz Ehre erweisen] mit nichtsbedeutenden Briefen nicht so bombardiren; Mozart 1777 Br. 69 ich wurde mit lauter fugen themata Bombardirt und gleichsam belagert; Bürger-Goecking 1779 Briefw. 425 mit Mahnbriefen von allerlei feinem und groben Inhalt bombardirt; Hermes 1789 Für Eltern III 386 das ewige Ermanen, .. womit die Generalinn pietistischen Andenkens uns zu bombardiren pflegte; Laukhard 1792 Leben II 242 Sie [die Freunde, die ihn vom Soldatsein loskaufen wollten] liefen mehrmals zum Hauptmann, und als dieser sich nicht so erklärte, wie sie es wünschten, bombardirten sie den damaligen General des Regiments; Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. l 1123 bombardiren .. figürlich im gemeinen Leben, jemanden mit Briefen u. s. f. bombardiren, beschwerlich fallen; Hauff 1827 Mann i. Mond (Prosaische u. poet. W. XII 8) keinem Menschen, so viel man ihn auch mit Schmeichelwörtchen und schönen Redensarten bombardirte, vertraute er ein Sterbenswörtchen davon; Glassbrenner 1836 Berlin II 10 bombardirt sie den Zögling . . so unaufhörlich mit seltenen Benennungen; Meissner 1866 Schwarzgelb 12 Ich komme nicht mehr hin, seit sich einige Menschen dort eingenistet haben, welche mich mit ihrer Zudringlichkeit bombardiren;

Engels 1891 Br. (MEW XXXVIII 22) Lieber Kautsky! Du glaubst, wir würden hier mit Briefen bombardiert wegen des Marx-Artikels — ganz im Gegenteil, wir hören und sehen nichts; Kellermann 1913 Tunnel 89 Er . . bombardierte die Londoner Bankhäuser mit Offerten; Dominik 1928 Uraniden 63 Die Zeitungsredaktionen bombardierten das Polizeipräsidium mit Anfragen; f. Wahlendorf 1936 Erinn. 97 bis nach einigen Monaten Frl. X. mich mit Telegrammen bombardierte; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1101) Anfang des Krieges, als die Engländer Deutschland mit „leaflets", mit kleinen Propaganda-Broschüren bombardierten; ders. 1947 Faustus (W. VI 236) wobei ich mir natürlich klar darüber bin, daß es ein Fehler ist, den Leser mit Namen zu bombardieren, mit denen er noch nicht das Geringste anzufangen weiß; N Z. (Basel) 19. 3. 1950 Diese [Jungverheirateten] vom ersten Tag ihrer Heirat an mit Fragen und Anspielungen zu bombardieren, . . wann jetzt endlich einmal Nachwuchs zu erwarten sei, ist unserer Meinung nach eine Einmischung in Dinge, die niemanden etwas angehen; Remarque 1956 Obelisk 432 Eine Schweizer Zeitung, die ich seit zwei Jahren mit Gedichten bombardiert habe, hat in einem Anfall von Raserei eines angenommen und mir gleich den Scheck geschickt; 1957 Aufbau V 457 Eugen Reichel, der uns mit Vorträgen über den braven alten Poesie-Professor Johann Christoph Gottsched bombardierte, welcher in der Anerkennung der Nachfahren auf den Platz Goethes gehöre; Welk 1959 Bulle 24 Sie [die Bodengenossenschaft] bombardierte zunächst die Siedlungsgesellschaft mit Eingaben; Zeit 3. 5. 1985 ein Großkonzern zur Weltverbesserung . ., der . . Millionen Amerikaner mit Postwurfsendungen bombardiert; ebd. 11.8.1985 die Autoren bombardieren uns beim Erzählen mit sprachlichen Versatzstücken und gedanklichen Klischees; ebd. 11. 10. 1985 außerdem wird der Leser plötzlich mit Fremdworten bombardiert; ebd. 20. 2. 1987 die Lokalpolitiker der beiden Departements Vienne und Indre bombardierten die Regierung mit wütenden Protestschreiben; ebd. 27.2. 1987 das Vertrauen der Bürger ist dahin, seit . . sich später staatliche Stellen in Bund und Ländern mit einander widersprechenden Becquerelwerten in Boden und Nahrung bombardierten; ebd. 27.3. 1987 nach wie vor bombardieren die Medien ihr Publikum mit schlecht vermittelten Wahlprognosen; Spiegel 18. 4. 1994 Der Zeuge ist nach seinem Auftritt in Schwierigkeiten gekommen, hat sich korrigiert. Er ist bombardiert worden; ebd. 25. 7. 1994 mit jeder frisch diagnostizierten Neurose wächst für den so bombardierten Otto Normalmenschen das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit.

Bombast Bombardement: Geliert 1761 Br. (S. Sehr. IX 303) Doch muß man sie [Personen, die uns mit ihrer Korrespondenz Ehre erweisen] mit nichtsbedeutenden Briefen nicht so bombardiren. — Der gute Mensch! Er hat noch kein Bombardement erfahren; Voss. Ztg. 2. 8. 1934 Als das Bombardement der ausländischen Kreditkündigungen begann; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 361) die Daten der kosmischen Schöpfung sind ein nichts als betäubendes Bombardement unserer Intelligenz mit Zahlen, ausgestattet mit einem Kometenschweif von zwei Dutzend Nullen; Offenburger Tagebl. 25. 8. 1961 Kaum . . hatte der Staatsanwalt die Anklage wegen Unterschlagung von über 2000 Mark erhoben, als

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Edgars Braut unter einem Bombardement von beschwörenden Briefen schließlich weich wurde und ihren Strafantrag zurückzog; MM 29. 4. 1986 mit einem Bombardement an Fragen; Zeit 31. 6. 1986 ein Bombardement mit Info-Material; Spiegel 16. 5. 1994 Kino, Fernsehen, Video, Radio, Computer — ein elektronisches Bombardement aus Unterhaltung und Informationen bestimmt den Alltag der Kinder. Bombardierung: Gottsched 1741 Baytes Wb. l 480 Es war . . eine gegenseitige Bombardierung zwischen der Akademie zu Leiden und dem Collegio zu Antwerpen entstanden (REICHEL). RS

Bombast M., früher vereinzelt N. (-(e)s; ohne PL), Anfang 18. Jh. entlehnt aus engl. bombast 'schwülstige Rede', älter 'Baumwolle' und 'Baumwollgewebe zum Auswattieren von Jacken', wobei die übertragene Bed. vermutlich von der Vorstellung eines aufgebauschten Kleidungsstückes ausgeht (Variante von älterem bombace, über flekt. Form von mlat. bombax, bambax, bombyx 'Seidenraupe; Seidenstoff; Baumwolle; Baumwollgewebe; Watte', gleichbed. spätlat. bambax, bambagium zurückgehend auf gleichbed. griech. , < gleichbed. mittelpers. pambak). Vgl. seit späterem 13. Jh. Bombastus 'derjenige, der ein Wams trägt' und von Mitte 14. bis Anfang 19. Jh. das aus gleichbed. frz. bombasin, ital. bombagino (< mlat. bombadnium) entlehnte Bombasin M. (-s; -e), auch Bombasium, Bombsen, Bammais, 'eine Art von baumwollen-seidenem Stoff. Zunächst in der Fachsprache der Literaturkritik und Stilistik abwertend gebraucht in der Bed. 'hochtrabender Redeschwall, Wortschwall, schwülstige Rede', z. B. ein hohler, steifer Bombast; ohne Bombast sprechen; etwa seit Anfang 19. Jh. auch allgemeiner, bes. in der bildenden Kunst und Musik abwertend verwendet in der Bed. 'übertriebener Aufwand, Pomp' (s. Belege 1803, 1983, 1987, 1988), in neuester Zeit als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Bombast-Rocker; Geigen-, Soft-Bombast. Dazu seit späterem 18. Jh. die eventuell unter Einfluß von gleichbed. engl. bombastic aufgekommene adj. Ableitung bombastisch, zunächst in der Bed. 'schwülstig redend, sich/ etwas in hochtrabender Sprache ausdrückend' (—* barock), in Wendungen wie eine bombastische Rede, bombastische Phrasen, Formulierungen; etwas bombastisch ankündigen; etwa seit frühem 19. Jh. auch allgemeiner verwendet für 'übertrieben viel Aufwand aufweisend, pompös', z. B. eine bombastische Statue, ein bombastisches Denkmal, Bauwerk, eine bombastische Musik; ein bombastisches Finale, Festival, eine bombastische Show, Stimmung, bombastische Zahlen; etwas bombastisch aufziehen (s. Belege 1917, 1929, 1979, 1985, 1987, 1988, 1989); seit Mitte 19. Jh. die selten belegte verbale Ableitung (aus-)bombasten V. (in)trans. 'sich/ etwas schwülstig ausdrücken', in dichterischem Gebrauch 'durch prunkvolles Aussehen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, prunken'; im späten 19. Jh. die subst. Ableitung Bombastik F. (-; ohne Pl.) 'übertriebener Aufwand, Pomp'; seit Anfang 20. Jh. die vereinzelte latinisierte Personenbezeichnung Bombastikus "jmd., der sich mit übertriebenem Aufwand, Pomp umgibt' und seit Mitte 20. Jh. die Gelegenheitsableitung Bombasterei F. (-; -en) 'schwülstige Redeweise'.

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Bombast: Mencke 1710 Verm. Gedichte 49 Und da ich wiederum ans Reimen bin gebracht,/ So darffst Du dennoch nicht auff / schwülstgen Bombast warten; Gottsched 1726 Tadlerinnen II 227 Eine Schwulst nenne ich, sprach er, was sonst die Frantzosen Phöbus, und die Engelländer Bombast nennen; ders. 1730 Dichtkunst 228 derjenige Fehler der poetischen Schreibart . ., den man das Phöbus oder den Schwulst zu nennen pflegt. Die Franzosen haben diesen Namen [Phöbus] einer schwülstigen Art des Ausdrucks, so viel mir wissend, zuerst beygelegt, und die Engelländer nennen dieselbe einen Bombast; Bodmer/Breitinger 1746 Mahler H 586 die Schande, ein solches rothwelsches Bombast verfertiget zu haben; L. A. Gottsched 1749 Guardian I 64 eine erhabne und figürliche Schreibart; die aber von kurzsichtigen oder sanft und träge gearteten Lesern, welche etwa die Wörter Schwulst und Bombast gehöret haben, leichtlich . . verworfen wird (GANZ); Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 42) Unsre Staats- und Helden-Actionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz; Kant 1764 Gefühl d. Schönen (Ges. Sehr. II 249) Der Deutsche ist vornehmlich von dieser Schwachheit [Hoffärtigkeit] angesteckt. Die Wörter: Gnädig, Hochgeneigt, Hoch- und Wohlgeb. und dergleichen Bombast mehr, machen seine Sprache steif und ungewandt und verhindern gar sehr die schöne Einfalt, welche andere Völker ihrer Schreibart geben können; Riedel 1767 Theorie 64 Diese Fehler [das Große und Erhabene nicht im rechten Maß anzuwenden] bekommen in der Kunstsprache allerhand Benennungen. Das Erhabene am unrechten Orte heist Parenthyrsus. Phöbus und Bombast ist Schwulst, der uns noch mit einiger Phantasien füllet; wenn man ihn aber gar nicht mehr sinnlich gedenken kan, so heist er Nonsense oder Galimathias; Lessing 1767—68 Dramaturgie (S. Sehr. X 32) Grobheit und Wust ist eben so weit von ihr [der einfachen Natur] entfernt, als Schwulst und Bombast von dem Erhabenen; Kant 1770—80 Reflexionen z. Anthropologie (Ges. Sehr. XV 1,408) eine alchemistische oder adeptensprache, deren Verfasser sehr wohl weiß, daß er (unter einem Bombast und Flittergold von Worten) nichts deutlich und ungetäuschten Augen zur Prüfung vorlegen könne; Wieland (1773 Teutscher Merkur II 216) einen so unförmlichen Mischmasch von tragischen Bombast und burleskem Spaß; ders. 1774 Abderiten XIX 200 viele von Bombast strotzende Perioden (GANZ); Kollonetz 1785 Verf. 26 Bombast leerer Wortdreschereyen; Knigge 1789 Umgang II 70 die Lust an . . buntschäckightem Coloritte, an Sinn-Gedichtchen, an Bombast und leerer Phraseologie; Schaller 1802 Stuziade 1109 Dort [in Circes Zauberreich] bläht ein Reimling sich, als Frosch,/ Zum Barden auf, und füllt die Gösch/ Mit

allgewalt'gem Bombast; Seume 1803 Spaziergang (W. l 177) Schlicks des Ministers Grabmal . . ist ein verdorbener gotischer Bombast ohne Geschmack und Würde; ebd. I 455 Der Künstler fand eine angesehene Gesellschaft von Fremden und Römern, welcher er von dem Lord mit vielem Bombast als ein Universalgenie, ein Erzkosmopolit, ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde; Goethe 1805 Kameaus Neffe (WA l 45,184) Dieses ging so weit, daß der außerordentliche Voltaire bei Vorlesung seiner eigenen Stücke, in einen ausdruckslosen, eintönigen, gleichfalls psalmodirenden Bombast verfiel; ders. 1810 Farbenlehre (WA H 4,209) Newtons Versuche und Theorien werden mit großem Bombast ausgekramt; Schopenhauer 1851 Parerga (S. W. V 552) Hinsichtlich dieses Wohlgefallens am Bombast, überhaupt am hochtrabenden, aufgedunsenen, pretiösen hyperbolischen und aerobatischen Stile, ist ihr [der deutschen Schriftsteller] Typus der Fähnrich Pistol, dem sein Freund Fallstaff ein Mal ungeduldig zuruft: „sage was du zu sagen hast, wie ein Mensch aus dieser Welt!"; Glassbrenner 1856 Bilder I 157 [die Aphorismen Raupachs] sind lauter Schlacken, selten eine Perle, ein Körnchen Gold; nichts als Bombast, philosophisches Geschwätz, vergoldeter Unsinn; 1884 Grenzboten II 2 sie [die Rede] hob die Verdienste des Toten hervor, aber ohne Bombast und Übertreibung, ohne Schärfen und Bitterkeiten; Kussmaul 1903 }ugenderinn. 150 der Bombast der Herweghschen Muse; Werthenau 1910 Interessante Wörter 25 Bombast hat vielleicht einen ganz konkreten Ursprung, indem es nämlich auswattiertes Zeug bedeutet. Eine bombastische Rede ist demnach eine geschwollene, aufgeblähte. Die letzte Quelle des Wortes ist das lat.-gr. bombyx Seidenraupe, Seide. Vielleicht aber ist der Ausdruck auf Paracelsus zurückzuführen, der sich bekanntlich die hochtrabenden Namen Philippus Aureolus Theoprastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim beigelegt hatte; Lamprecht 1912 Gesch. I 85 die Medizin des Theophrastus Bombastus Paracelsus, die freilich noch bis in die Lehren des großen Helmont und damit bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts ausstrahlt, im übrigen aber neueren Zeiten doch nur das Wort Bombast hinterlassen hat; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 728) eine geistige Kulturgeschichte der Deutschen, . . die . . angesichts der Größe nicht in Bombast und Räucherei ausartet; ders. 1947 Faustus (W. VI 514) Aber der Milliarden-Rausch, dieser Bombast der Misere, nahm ja eines Tages ein Ende, in das verfratzte Antlitz unseres Wirtschaftslebens kehrte der Ausdruck der Vernunft zurück; Steinberg 1955 Tag 472 Victor Hugo, über dessen Bombast sich Heine kürzlich nicht wenig lustig gemacht hat; Weiskopf 1956 Streifzüge 101 Zuckmayer selbst glaubt nicht an die Lösung, die seine

Bombast Helden für sich finden. Daher stammt der Bombast der Sprache; Meckel 1980 Suchbild 154 Ich machte genialische, schlechte Poesie, Gewitterlyrik, brüllenden Bombast, kopierte Rimbaud und rumorte durch alle Formen; 1983 Szene VI 50 Musik mit einem Hang zu wagnerianischem Bombast (beide DUDEN 1993); Zeit 15. 3. 1985 die . . mit dem üblichen Bombast „größte Steuerreform der Geschichte" angekündigten Steuererleichterungen von 1986 und 1988; MM 22. 7. 1987 Die SynthieSpezialisten mit der Vorliebe für melodiösen SoftBombast; ebd. 29. 2. 1988 musikalisch regiert der Bombast; ebd. 6. 6. 1988 das Ganze [das Musical] mit einer ausgeklügelten Mischung aus Geigenbombast und Synthesizerklängen; Spiegel 6. 2. 1995 In den achtziger Jahren zählten die schottischen Bombast-Rocker zu den erfolgreichsten Bands der Welt. (aus-)bombasten: Gervinus 1849—52 Shakespeare l 232 Er sei wohl fähig einen Jamben ausbombasten zu können, wie der Beste von Euch (SANDERS DWB); Bartsch 1919 Heidentum 229 Der rote Mohn bombastet grell aus dieser seidigen, grauglitzernden Dezenz des Ährenbrautkleides. Bombasterei: Nelissen-Haken 1958 Häuser 31 Nun, gerade auf die Bombasterei als solche kam es uns an, das Marktgeschrei, den bizarrsten der bizarren Slogans, die Übertreibung in Potenz. Bombastik: Scherr 1885 Blücher Hl 153 Bombastik. Bombastikus: Lauff 1903 Pittje Pittjewitt 49 Ein Bombastikus in seinem äußeren Wesen, konnnte er weinen wie ein Kind, wenn empfindsame Saiten bei ihm ins Klingen gerieten. bombastisch: Meusel 1774 Er. angesehener Gelehrter a. Bahrdt II 9 Ich selbst habe sie [die Rezension] aufgesetzt, weil mir so ein Lavaterscher bombastischer Ton durchaus nicht behaget; Wieland 1774 Abderiten XIX 208 Die Hälfte wenigstens waren mißlungene bombastische Nachahmungen des Aeschylus (GANZ); 1804 Br. v. d. Univ. 139 gelehrt bombastische Versmacherei; Voss 1826 Antisymbolik II 262 meist durch solche Kunstwörtelei ist sein bombastischer Styl gedunsen (DWB); Goethe 1829 Br. (WA IV 45,403) Die sach- und zweckgemäße Anzeige der Müllerschen Lithographie [nach Raffaels Sixtinischer Madonna] erkenn ich deshalb mit lebhaftem Dank. Freylich ist diese Art die rechte und allem pompastischen Wesen durchaus vorzuziehen; Lewald 1836 Aquarelle l 134 ein bombastischer, hohl klingender Satz; Kohl 1846

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Paris l 147 nach jener bombastischen Phrase; Raumer 1849 Br. Frankf.- Paris I 242 durch leere bombastische Redensarten Eindruck zu machen; Marx 1850 Klassenkämpfe i. Frankreich (MEW VII 58) daß die bombastisch angekündigte passive Allianz der französischen Republik mit den ringenden Völkern ihre aktive Allianz mit der europäischen Konterrevolution bedeutet; Keller 1854 Heinrich (S. W. 208) wenn er . . mit bombastischen Worten seine Gradheit, Ehrlichkeit und arglose Derbheit anrühmte; 1858 Kunst u. Handwerk l l [die] hochtrabenden bombastischen Recensionen; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 189 Bei solchen Zuständen ist es fast als ein Glück zu preisen, dass der deutsche Geschmack sich . . in die Herrschaft des französischen begab, der . . wenigstens der Verwilderung Gränzen setzen und anständige Formen geben konnte, wenn diese Formen auch in das Bombastische und Pompöse hinausliefen und die Barock-Zeit wieder im Triumph zurückbrachten; Oppenheim 1866 Verm. Sehr. 15 von der bombastischen Ruhmrednerei aus den Rodomontaden; Mehring 1893 Lessing-Legende 44 als im Oktober 1890 das Lessing-Denkmal in Berlin enthüllt wurde durch eine bombastische Festrede des Professors Schmidt und unter dem tönenden Posaunenschalle der Bourgeoisiepresse, da schrieb die „Kreuz-Zeitung" fast noch beißender; Welti 1907 Br. II 350 [der Entwurf des Bildes] scheint mir noch etwas zu weitläufig und bombastisch; Gregor« 1908 Josef Kainz 9 Ihm hat weder die Schule, deren Zwange er überantwortet war, noch die Vorliebe der Menge für das Bombastische und Steifleinene viel anhaben können; Rathenau 1917 V. kommenden Dingen 324 die Photographie, der Knalleffekt vermeintlich geschichtlicher Momente, die Pose vor dem künftigen Historiographen und die monumentale Redensart traten an die Stelle organischer Arbeit und entsprachen den bombastischen Architekturen, die der erwerbende Eifer um sich streute; Tucholsky um 1929 (Ganz anders 151) Das ganze bombastische und doch so kleine Wesen des kaiserlichen Deutschland wird schonungslos in diesem Buch aufgerollt; Berl. IIlustr. Nachtausg. 13. 6. 1933 Es wurde dann ein Telegramm in dem üblichen bombastischen Konferenzstil an die Arbeitszeitkonferenz beschlossen; Münch. N. N. 4. 12. 1941 Der ungeheure Aufwand an bombastischen Überlegenheitserklärungen; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 729) Wie lange wird dies Volk die Überfütterung mit bombastischer Geschichtsvortäuschung ertragen?; Welk 1949 Nachtmann 31 Und nun vermag ich zu lächeln über das Wort gewaltsam, das so bombastisch eine im Grunde belanglose Angelegenheit beglänzen will; Th. Mann 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 827) ein bombastisches Ritterstück und

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Schicksalsdrama voll halber und ganzer Lächerlichkeiten; Putlitz 1956 Unterwegs 126 Es waren die üblichen bombastischen Phrasen; Karger-Dekker 1956 Zirkusparade 7 Der Zirkus kommt! Die Ankündigung ist etwas bombastisch; aber das gehört wohl dazu; Heuss 1963 Erinn. 310 wir ärgerten uns ganz einfach, wie er in pompöser, wenn nicht gar bombastischer Art sich als Interpret eines aggressiven deutschen Nationalismus gab; MM 9.1. 1979 Der bombastische dämonische Auftritt mit Rauch, Feuer und Donner gehört der Vergangenheit an (DUDEN 1993); 1983 Spiegel Nr. 28 Lassen Sie doch die bombastischen Formulierungen; Zeit 1. 2. 1985 ihr und ihrem Publikum imponieren bombastische Statistiken nicht; MM

22. 4. 1987 in der „Fassadenkunst" unserer Tage verdecke der bombastische Ausdruck die eigentliche Aussagelosigkeit; Stern 21.5.1987 Giorgio Moroder .., [der] King des bombastischen DiscoSounds; MM 15. 9. 1987 die Streicher-Ekstase des „Liebesgesangs" krönte ein ebenso leidenschafliches wie bombastisches Finale; ebd. 25.5. 1988 der Dirigent .. vermied jede bombastische Klangballung; 1989 Geo Wissen I I 1 3 Mit bombastischen Multi-Media-Shows ziehen Rockmusiker ihre Fans in Bann; Keller 1990 Sprachwandel 196 f. eine Prinzipienwissenschaft .. oder eine Kosmologie, wie man heute bisweilen (etwas bombastisch) sagt; Spiegel 18. 7. 1994 Da zieht Herr Thomas bombastisch gegen den Tarifvertrag der Orchestermusiker zu Felde. RS

Bombe F. (-; -n), im frühen 17. Jh. über gleichbed. frz. bombe entlehnt aus ital. bomba 'dumpf tönendes Geschoß' (< (m)lat. bombus 'Summen, Brummen, dumpfer, tiefer Ton' < gleichbed. griech. ). l Zunächst in der Bed. 'mit Sprengstoff gefüllter und mit einem Zünder versehener länglicher Hohlkörper (aus Metall), Sprengkörper, der bei der Explosion schwere Zerstörungen hervorruft'. Bis ins 19. Jh. bezogen auf Artilleriegeschosse aus Metall, Stein oder Holz, die mit Mörsern geschossen wurden (s. Belege 1616, 1638, 1726, 1815), z. B. eine Festung mit Bomben belegen, seit frühem 18. Jh. als Bestimmungswort in Zss. wie Bombenbatterie, -kanone, -kartätsche, -mine, -schiff, -wurf, gleichzeitig in den adj. Zss. bombenfest, -frei, -sicher. Seit frühem 20. Jh. mit Bezug auf Sprengkörper, die bei Luftangriffen von Flugzeugen abgeworfen werden (s. Belege 1927, 1944, 1961), z. B. Bomben abwerfen, es hagelte, regnete Bomben, Bomben pfiffen durch die Luft, eine Bombe hatte eingeschlagen, als Bestimmungswort in Zss. wie Bombenabwurf, -alarm, -angriff, -einschlag, -entschärfer, -explosion, -flieger, -flüchtling 'jmd., dessen Wohnung durch Bombenangriff zerstört ist', -flugzeug, -geschwader, -hagel, -inferno, -katastrophe, -krater, -krieg, -nacht, -operation, -opfer, -politik, -regen, -splitter, -Staffel, -Strategie, -teppich 'große Anzahl dicht nebeneinander von Flugzeugen abgeworfener Sprengkörper', z. B. eine Stadt, Ölfelder mit Bombenteppichen belegen, Bombenträger 'mit Bomben ausgerüstetes Flugzeug', Bombentrichter, -Überfall, -unterstand, -Zünder, in (partizipialen) Adj. wie bombengeschädigt 'durch Bombenangriff geschädigt, Wohnung und Besitz verloren habend', bombensicher, seit frühem 20. Jh. als Grundwort in Zss. wie Bakterien-, Brand-, Dynamit-, Flieger-, (Gift-)Gas-, Leucht-, Napalm-, Phosphor-, Raketen-, Rauch-, Spreng-, Zeit(zünder)bombe 'Bombe mit Zeitzünder', auch übertragen verwendet für 'sich insgeheim entwickelnde drohende äußerste Gefahr, äußerst kritische Situation', auch in den Zss. Umwelt-, Viruszeitbombe (s. Belege 1986, 1987); speziell seit Mitte 20. Jh. auch verkürzt für 'Atombombe' (s. Belege 1949, 1956, 1957, 1958, 1959, 1984), z. B. mit der Bombe leben, als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Atom-, H-, Kernspaltungs-, Kobalt-, Neutronen-, Plutonium-, Uran-, Wasserstoffbombe; Bombenversuch, -stopp. Ebenfalls seit frühem 20. Jh. bezogen auf die bei terroristischen Aktionen an oder in bestimmten Objekten versteckten oder auf etwas/jmdn. geworfenen Sprengkörper (s. Belege 1927, 1932, 1946, 1954, 1967, 1986, 1990), in Wendungen wie z. B. Born-

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ben legen, Bomben auf das Gebäude, auf einen Bus, Eisenbahnzug, auf eine Person werfen, als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Bombenanschlag, -attentat, -drohung, -komplott, -leger(in), -opfer, -terror; Auto-, Benzin-, Paket-, Plastik-, Stink-, Terroristen-, Tränengasbombe. 2 Seit Anfang 19. Jh. vor allem in Syntagmen und Zss. häufig bildlich und übertragen verwendet, dabei oft mit Konnotationen, die mit l in unterschiedlicher Weise assoziiert sind, wie „plötzlich", „überraschend", „schnell", „viel", „wirkungsvoll, stark, gewaltig", „großartig", „durchschlagend" u. ä.: a Zunächst übertragen für 'große, überraschende Wirkung (von etwas)', z. B. die Bombe des Gesprächs, der Nachricht, dann auch in bildlichen Vergleichen, z. B. schnell wie eine Bombe 'blitzschnell', auch in Wendungen wie z. B. etwas, bes. eine Nachricht, ein Ereignis schlägt ein wie eine Bombe 'etwas ruft große Überraschung, Verwirrung hervor', auch in ugs. Wendungen wie die Bombe ist geplatzt, damit war die Bombe geplatzt für 'das unerwartete, (aber seit längerer Zeit befürchtete) außergewöhnliche (unangenehme) Ereignis ist eingetreten', mit Bomben und Granaten durchs Examen fallen 'im Examen völlig versagen', (potz) Bomben und Granaten! als Ausruf des Ärgers, der Entrüstung, der Überraschung, potz Bombenelement! als Fluch. b Seit Mitte 19. Jh. meist als Bestimmungswort in subst. Zss. als positiv wertender Ausdruck der Verstärkung in der Bed. 'ausgezeichnet, hervorragend', z. B. Bombenapplaus, -besetzung, -erfolg, -form, -gedächtnis, -gehalt, -geschäft, -job, -rolle, -stimme, -Stimmung, -Wirkung, auch nur verstärkend für 'sehr groß, riesig', z. B. Bombenglut, -hitze, -hunger, -ruhe, vgl. auch als Grundwort in der Zs. Kalorienbombe 'Speise mit sehr hohem Kaloriengehalt, Energiewert'; als Bestimmungswort in adj. Zss. für 'sehr, völlig', z. B. bombenfest, -ruhig, -sicher. c Seit früherem 20. Jh. im Sportjargon, eventuell als Verkürzung von Bombenschuß, in der Bed. 'wuchtiger, sehr harter Schuß oder Wurf mit dem Ball auf das Tor', z. B. eine Bombe schießen, abfeuern. d Seit Mitte 20. Jh. im saloppen Sprachgebrauch, eventuell als verkürzte Form von dem aus engl. sexbomb übernommenen Subst. Sexbombe F. (-; -n), in der Bed. 'Frau, von der eine starke sexuelle Reizwirkung, Anziehungskraft ausgeht'. 3 Daneben etwa seit früherem 19. Jh. übertragen verwendet für Dinge, die einer Bombe äußerlich ähnlich sind: a In der Fachsprache der Geologie für 'in der Luft erstarrte Lavamasse'. b Etwa seit Mitte 20. Jh. für 'in der Form einer Kugel oder Halbkugel gefrorenes Speiseeis', als Grundwort in der Zs. Eisbombe, c Gleichzeitig ugs. in der Bed. 'steifer, runder (Herren-)Hut'. d Seit späterem 20. Jh. im Bankwesen als Grundwort in der Zs. Geldbombe für 'metallenes Behältnis (für die Tageseinnahmen eines Geschäftes), das nach Schalterschluß durch eine Öffnung an der Bank eingeworfen wird und in den Schacht zum gesicherten Nachttresor der Bank hinunterfällt'. Dazu seit Ende 18. Jh. die ugs. adj. Ableitung bombig 'großartig, hervorragend, ausgezeichnet', in Wendungen wie bombig in Form sein; sich bombig amüsieren; eine bombige Stimmung, Leistung, Besetzung; ein bombiger Film; ein bombiges Gehalt; ein bombiger Kerl (zu 2b), in neuerer Zeit im Sportjargon für 'den Fuß- oder Handball wuchtig, hart schießend', z. B. ein bombiger Schuß (zu 2c), gleichzeitig vereinzelt in der Bed. 'von einer Fliegerbombe stammend', z. B. bombiger Phosphor (zu 1).

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Dazu seit früherem 20. Jh. die subst. Ableitung Bomber M. (-s; -), zunächst für 'Bombenflugzeug', als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Düsen-, Feind-, Fern-, Jagd-, Kampf-, Langstrecken-, Mittelstrecken-, Nacht-, Überseebomber; Bombereinheit, -flotte, -flugzeug, -pilot, -schwärm, -Stützpunkt, -ziel, auch als Grundwort in speziellen Zss. für 'Flugzeug, das bei Katastrophen, Notsituationen zu Hilfsdiensten eingesetzt wird', z. B. Rosinenbomber 'mit Hilfsgütern beladenes ausländisches, bes. amerikanisches oder englisches Transportflugzeug, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in der Zeit der Berliner Blockade die Bevölkerung mit den notwendigsten Lebensmitteln versorgte', Wasserbomber 'Löschflugzeug' (zu 1), in neuerer Zeit im Jargon der Sportler für 'Fuß- oder Handballspieler mit überdurchschnittlicher Schußkraft' (zu 2c). Dazu seit früherem 20. Jh. das eventuell unter engl. Einfluß aufgekommene trans. Verb bomben für 'bei militärischen Aktionen Fliegerbomben auf ein Ziel werfen' (s. Belege 1941, 1948, 1955, 1969, 1984, 1986), z. B. ein Gebiet bomben, gebombte Städte, als Grundwort in präfigierten Verben wie be-, nieder-, ver-, weg-, zer-, zusammen- und bes. ausbomben, vor allem in den 40er Jahren als partizipiales Adj. ausgebombt 'durch Bombenangriff geschädigt und Wohnung und Besitz verloren habend', auch subst. als Personenbezeichnung Ausgebombte(r) F./M. (Ausgebombten; Ausgebombten) 'durch Fliegerangriff Geschädigte(r)' (zu 1); seit früherem 20. Jh. in der Bed. 'bei terroristischen Aktionen Bomben legen, jmdn./etwas durch gelegte oder geworfene Bomben in die Luft sprengen' (s. Belege 1979, 1983, 1985), z. B. die Terroristen bombten und mordeten, auch übertragen verwendet in der Wendung jmdn./etwas in die Luft bomben (s. Beleg 1995) (zu 1); seit Mitte 20. Jh. im Sportjargon für 'beim Fuß- oder Handball den Ball mit großer Wucht auf das Tor schießen', z. B. den Ball ins Tor bomben (zu 2c). Bombe 1: Wallhausen 1616 Kriegsmanual 94 Pechring, Feuwerlantzen vnd Pomben; 1638 (Qu. Gesch. Brasso V 446) Anno 1688 am Tage vor Himmelfahrt Christi umb 6 Uhr ist das Chroner Schloss auf 2 Pompon, so die Theissen hineingeworfen, den Theuschen übergeben; Scheither 1672 Novissima Praxis militaris 75 Von den Bomben, oder grossen Granaten; Weingarten 1673 FürstenSpiegel 1114 ein Baron von Degenfels . . durch der Teutschen inventirten Bomben . . grossen Schaden dem Feind zugefuget hatte; Albinus 1676 (Killy 1963 Dtsch. Lit. Ill 876) zu Hause seyn ist mein Verdruß/ ich liebe den Canonen-Schuß und Feuervolle Bomben; 1683 Vier dramat. Spiele U. d. zweite Türkenbelagerung 10 werfft Bomben ein/ dal? durch die state Hitze Sie angefeuert bleib'; Dalbover 1689 Gartenbeetlein 111 81Sa Gucken und Schnüffeln Sturm unnd Wurff-Laittern, das grobe Räder-Geschütz, Canonen Bomben Granaten und Feuer-Mörser, Spieß und Stangen; Stranitzky 1711 Ollapatrida 31 Es ist/ als wenn es eitel Bomben, Granaten, Carcassen, Cartetschen/ und andere Kugel schneyete; Gottsched 1725 Tadlerinnen l 353 Er wisse auch nicht, warum eine eifrige Predigerin, eine muntre Küraßreuterin, eine ansehnliche Bürgermeisterin, eine geübte Bomben-

werferin, eine erfahrene Steuermännin . . nicht eben so gute Dienste verrichten wolle, als das Mannsvolck bißhero verrichtet hätte (REICHEL); Fleming 1726 Soldat 67 Die Würckung der Bomben ist, die Dächer, Gewölber und Häuser zu zerschmettern, und sie, wenn sie zuspringen, in Brand zustecken; ebd. 447 Die Mörser und Böler sind Geschütze, daraus man Bomben, Carcassen, Granaten und andere Kugeln in einen Bogen werffen kan; Keyssler 1729 Reisen l 216 Die Bombons oder grossen Bomben von siebenhundert bis achthundert Pfund schwer [bei Belagerung von Turin]; Adelung 1793 Grammat.-krit. Wb. I 1124 Bombe . . in der Geschützkunst der Neuern, eine hohle mit Pulver gefüllte eiserne Kugel, welche mit einer Brandröhre versehen und aus einem Mörser geschossen wird, Gebäude damit einzuschlagen und in Brand zu stecken. Bomben werfen; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 993) Fressen will ich meine Zunge vor Hunger und, wie man von Bomben sagt, krepieren; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA I 27,176) Von der Kuppel der [Dresdner] Frauenkirche sah ich diese leidigen Trümmer zwischen die schöne städtische Ordnung hineingesät; da rühmte mir der Künstler die Kunst des Baumeisters, welcher Kirche und Kuppel auf einen so un-

Bombe erwünschten Fall schon eingerichtet und bombenfest erbaut hatte; Hoyer 1815 Kriegsbaukunst I 169 Bomben (Bombes) sind eines der wichtigsten Angriffs- und Vertheidigungsmittel der Festungen; ebd. I 172 Bombenfest . , sind alle über 3 Fuß starke Gewölbe; Goethe 1822 Belagerung v. Mainz (WA l 33,290) Wir sahen auf der Schanze von Marienborn diesem schrecklichen Schauspiele zu; es war die sternenhellste Nacht, die Bomben schienen mit den Himmelslichtern zu wetteifern; Engels 1848 Köln i. Gefahr (MEW V 60 f.) Granaten und Bomben über die Bäume weg in die Stadt zu werfen; Raabe 1870 Schüdderump (S. W. Ill 1,345) Die bombenfesten Speicher, die wunderbaren Kasematten, über und unter der Erde [in der Festung Verona]; A. Zweig 1927 Grischa 166 pfiffen, von Fliegern gelenkt, Bomben auf die Köpfe von Flüchtenden; Graf 1927 Gefangene 63 ich . . erinnerte mich undeutlich an Luccheni, den Mörder der Kaiserin Elisabeth von Österreich, an Bombenattentate; Remarque 1929 Westen 104 Im bombensicheren Unterstand kann ich zerquetscht werden; Bert, lüustr. Nachtausg. 18. 6. 1932 die Entlassung sämtlicher in Haft befindlichen holsteinischen „Bombenleger"; Münch. N. N. 22.123. 4. 1944 es sei das Ziel der Bombenpolitik, die deutschen Städte zu vernichten; Dtscb. AZ. 27. 6. 1944 Wußten sie bis jetzt nicht, daß unter dem Regen der Bombenteppiche eine ganze Kultur zusammenbrach; H. Mann 1944 Zeitalter 227 Ein absonderlicher Verehrer des Alten .. könnte sich auch schwer zurechtfinden in dem Deutschland, wo es Bomben regnet; Münch. N. N. 11.12. 1944 die Tapferkeit des vom Bombenterror gequälten Münchens; Brecht 1946 Schweyk (Ges. W. V 1925) Auf den Führer ist ein Bombenattentat verübt worden in einem Münchner Bräukeller; A. Zweig 1947 Beil 489 Ob du von 'ner Mine in die Luft fliegst und mich hier 'ne Fliegerbombe erwischt; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 1) als sich „der erste Angriff auf Japan mit Bomben, in denen die Kräfte des gesprengten Uran-Atoms wirksam", ereignete; ebd. XI 223 unser Haus, wiederholt von Bomben getroffen, in den Umrissen erhalten, war im Inneren, das schon vorher manche Veränderung erfahren, gründlich zerstört; 1954 FAZ Nr. 89 Die Regierung von Kambodscha hat am Mittwoch bei den Vereinten Nationen wegen eines Bombenanschlags der Kommunisten auf einen Eisenbahnzug Protest erhoben; Welt 28. 6. 1954 bei der Fahrt zum Rathaus wurde eine Bombe auf das Auto des Erzherzogs geschleudert; Heisenberg 1955 Naturbild 30 bei der Atombombe kann man zwar auch noch eine obere und eine untere Grenze für die Stärke der Explosion angeben; Anders 1956 Antiquiertheit 235 unser Dasein unter dem Zeichen der Bombe; Mackensen 1956 Sprache 151 etwas war bombensicher = ge-

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gen Bomben gut geschützt; C. F. v. Weizsäcker 1957 (Büchmann 1981 Geflügelte Worte 649) [man muß] mit der Bombe leben; Renn 1957 Krieg o. Schlacht 107 Die Straße vor ihnen war von Bomben aufgerissen; Strittmatter 1957 Wundertäter l 517 drei englische Tiefflieger . . feuerten auf die Soldaten, . . setzten eine Bombe auf die Mole und zersprengten die Herde der Kajiks; 1958 Süddtsch. Ztg. Nr. 290 Bomben . ., die ihre Sprengkraft hauptsächlich der Kernfusion verdanken (sogenannte „saubere Bomben") oder hauptsächlich den Kernspaltungsreaktionen (sogenannte unsaubere Bomben); 1958 Aufbau IV 344 Japan .. weiß, was geschieht, wenn man die Bombe ein zweites Mal ausklinken läßt. Hiroshima und Nagasaki sind nicht nur Erinnerung, sondern auch Warnung; Jaspers 1958 Atombombe 17 die Bombe auf Hiroshima am 6. August 1945 war die erste; ebd. 70 sie protestieren nur gegen die Bombe; ebd. 97 [Compton äußerte:] weniger als tausend Superbomben (d. h. Wasserstoffbomben), abgeworfen innerhalb eines Jahres, würden ausreichen, die gesamte Erdatmosphäre in einen Zustand zu bringen, deren Radioaktivität oberhalb der Sicherheitsgrenze liegt, die für Menschen gilt, die mit radioaktiven Substanzen arbeiten; Welt 12.1. 1959 die bisher allein gültige Strategie des totalen Krieges mit der großen Bombe abzulösen durch eine Vielfalt von strategischen Antworten; Johnson 1961 Buch 54 den Querbahnhof hatten Bomben im letzten Kriegsjahr bis in die untersten Stockwerke der Lagerräume aufgerissen; Kipphardt 1964 Oppenheimer 200 Wenn in unserer Regierung keine Kommunisten sitzen, warum verzögern wir dann die Wasserstoffbombe . ., während .. die Russen die HBombe fieberhaft vorantreiben? (PAUL); FAZ 17. 2. 1966 die Polizei .. und die Feuerwehr mit Wasserwerfern und Tränengasbomben befanden sich seit den Nachmittagsstunden in Alarmbereitschaft; Bildztg. 26. 5. 1967 Sprengstoffanschlag auf eine israelische Brükke in der Nähe der jordanischen Grenze: mehrere versteckte Bomben explodierten; Heym 1984 Schwarzenberg 10 Sie wissen ja, was hinter der Firmenbezeichnung Wismut sich verbirgt: Uran, Kernenergie, die Bombe (DUDEN 1993); Stuttgarter Ztg. 6. 8. 1984 Paradox genug: eine „Bombe", sonst Chiffre für Tod und Vernichtung, brachte die Verschütteten ans Tageslicht; MM 6. 12. 1985 mit welcher Unbekümmertheit in jenen Pioniertagen des Atomzeitalters das kontrollierte Zünden der nuklearen Bomben erfolgte; Zeit 11.4.1986 während die Sonderkommission der Polizei auf der Suche nach den Bombenlegern noch keine Spur gefunden hat; ebd. 8. 8. 1986 außerdem wurde nun an einer der Filialen eine Bombe angebracht; MM 6.11.1986 viele der rund 5000 bis 7000 Altdeponien in Baden-Württemberg, Rhein-

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land-Pfalz und Hessen sind mit ihren früher sorglos vergrabenen Giftstoffen heute eine ökologische Zeitbombe für Boden und Wasser; Zeit 23.1.1987 stecke in der Armut . . eine Zeitbombe; MM 12. 2. 1987 die in einer Zelle schlummernde VirusZeitbombe; Zeit 20. 2. 1987 aus zehn Kilogramm solchen „waffenfähigen" Plutoniums wurde die Bombe gebaut, die am 9. August 1945 Nagasaki auslöschte; MM 27.5.1987 unüberhörbar tickt allenthalben die Umweltzeit-Bombe; Berl. Ztg. 13. 2. 1990 anonyme Bombendrohungen gab es seit Jahresanfang in unserer Stadt; Wochenpost 28. 11. 1990 vor Stunden erst waren Bombenanschläge auf Parteibüros im Saarland bekannt geworden; MM 13. 6, 1995 kurze Zeit später explodierte die Bombe. bomben: 1937 Scherzschr. „Igel" Sept. o. S. Die Roten bomben; V. B. 22.2.1941 Zwischen uns und den Yankees liegt ein Ozean, und der Atlantik ist genügend breit und tief, um uns das Gefühl vollständiger Sicherheit zu verleihen . . Was herüber kommt, wird „ob mit oder ohne Begleitung", wie der Führer ankündigte — torpediert und gebombt; Berlin a. Mittag 2. 2. 1948 Die ersten, die in dieser Art zu bomben begannen, waren die Flieger Görings; 194« Zeit i. Bild IV 5 die Trümmer der schwer gebombten Städte; Benn 1955 Ges. W. IV 118 Zumindest die außerhalb der gebombten Städte glauben fest an neue Waffen; Welt 4. 9. 1969 Treibstoffwerke gebombt: Tödlicher Schlag 1944 (AWB); 1979 Spiegel Nr. 36 Weil die IRA weniger bombte, glaubten die Briten schon, die nordirische Terrororganisation endgültig besiegt zu haben (DUDEN 1993); Bild a. Sonntag 11. 9. 1983 Der Kreml erkannte sofort: Hier haben wir eine TerrorGruppe, die in unserem Auftrag bomben kann (AWB); 1984 Profil XXIII 4 weil die kriegführenden Parteien . . aus gebombten Förderstellen und versenkten Tankern gigantische Mengen tödlichen Öls ins Meer rinnen lassen (DUDEN 1993); MM 18. 1. 1985 Die beiden Rückgrat-Gruppen der neuen „westeuropäischen Guerilla" bombten buchstäblich um die Wette, die AD in Frankreich, die RAF in der Bundesrepublik; Zeit 8. 2. 1985 Seit fünfzehn Jahren bomben und morden deutsche Terroristen, beseelt von dem Wahn, sie könnten Staat und Gesellschaft wie ein Kartenhaus zusammenstürzen lassen (beide AWB); Zeller 1986 Nein u. Amen 267 Die wollen uns kapitulationsreif bomben (DUDEN 1993); Spiegel 29. 5. 1995 Doch habe er, sagt Bertram heute, nie die Absicht gehabt, „das Staatswesen in die Luft zu bomben". ausbomben: N. Z. Z. 15.7.1941 in Dover seien einige grosse Hotels ausgebrannt und „ausgebombt"; Carstensen 1965 Engl. Einflüsse 83 Ledig-

lich in Einzelfällen liegt Lehnbildung oder Lehnbedeutung vor: ausbomben nach to bomb out. ausgebombt: ß. N. 26.10.1943 [die im Elsaß] einquartierten Bewohner „ausgebombter" Städte; N. Z. Z. 28. 10. 1943 „ausgebombte" deutsche Familien; Münch. N. N. 26.127. 2. 1944 jene ausgebombte Kölner Mutter, die an ihren besorgten Sohn .. ins Feld schrieb. Ausgebombte(r): B. N. 25.10.1943 [die] Zahl der „Ausgebombten" in Deutschland beginnt „in die Millionen zu gehen"; ebd. 8. 12.1943 einen Strom von Ausgebombten, die mit ihren wenigen geretteten Habseligkeiten durch die brennenden Straßen zogen und ein Nachtlager suchten; Münch. N. N. 3. 3. 1944 Ausgebombte nicht aufgenommen; ebd. 17.7.1944 Die Ausgebombten. Heimatlose des Krieges? Die an Neubildungen so erfinderische Sprache des Krieges nennt sie die „Ausgebombten" oder die „Totalgeschädigten". Bomber: 1930 Marine-Rundsch. XXXV 451 Bomber; Brecht 1938 Furcht u. Elend (Ges. W. /// 1179; Jetzt kriegen alle Arbeit. In den neuen Motorenwerken sind Sie, nicht? Da machen Sie wohl Bomber?; Osterkamp 1940 Jagdflieger Nr. 19 „Kampfflieger" sind hierin verwöhnt, — Der Name „Bomber" ist verpönt; Süddtsch. Ztg. 26.127. 1. 1950 Zum Andenken an die Schlacht um England sind darin einige Bomber, Jäger, Flak-Granaten und Fallschirmspringer kunstvoll verwoben; Bredel 1953 Enkel 273 die Bomber konnten ungehindert den Berggipfel umkreisen und ihre ganze Bombenlast abwerfen; 1954 FAZ Nr. 45 Die amerikanischen Luftstreitkräfte in Europa sollen in Kürze zwei Staffeln ferngelenkter Bomber mit Überschallgeschwindigkeit erhalten; Welt 2. 3. 1954 um Angriffe feindlicher Bomber und Jäger abzuwehren; ebd. 17. 10. 1959 Atombomber und Tankflugzeug abgestürzt; ebd. 7.2.1966 amerikanische Bomber flogen weitere Angriffe auf strategische Ziele in Nord Vietnam; Zeit 3. 5. 1985 im April 1945 zerstörten 1000 Bomber die Insel in fast zwei Stunden; ebd. 13. 9. 1985 sie könnten von U-Booten oder tieffliegenden Bombern, die mit derselben, den Radar umgehenden Technik ausgerüstet sind, in eine flache, bodennahe Flugbahn geschossen werden; ebd. 21.3.1986 im Spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939 proben deutsche Bomber bereits das Inferno des kommenden Luftkrieges; ebd. 18. 7. 1986 atomar bewaffnete Bomber; Stern 17. 9. 1987 die Freidemokraten wollen Frauen auch in Panzer, Bomber und U-Boote stecken und „jenen Dienst mit der Waffe leisten" lassen; de Bruyn 1994 Zwischenbilanz 139 Da die feindlichen Bomber von G.'s Stadt aus noch mehr als 100 Kilo-

Bombe meter nach Osten fliegen müssen, um in den Bereich der Berliner Abwehr zu geraten, kommt dem jugendlichen Vaterlandsverteidiger, der überdies inzwischen von der Ohnmacht seiner Waffe überzeugt ist, diese Erklärung so irrsinnnig vor, daß es ihm schwerfällt, nicht mit Spott zu erwidern. bombig: Kunert 1967 Hüte 52 die Erde . ., sie nimmt die Gebeine, sie säuft das Blut, den Saft, rötlich, weißlich, ob an bombigem Phosphor verreckt, ob durch Genickschuß verendet. Bombe 2a: Goethe 1804 Br. (WA IV 17,230) Die Bombe dieses Gesprächs [„Rameaus Neffe" von Diderot] platzt gerade in der Mitte der französischen Literatur; ders. 1805 Rameaus Neffe (WA I 45,71) Wenn z. B. die Meinungen getheilt sind, wenn der Streit sich bis zum höchsten Grade der Heftigkeit erhoben hat,. . so muß man sich besonders halten .., entfernt von dem Schlachtfeld. Den Ausbruch muß man durch ein langes Stillschweigen vorbereitet haben, und dann schnell wie eine Bombe mitten unter die Streitenden hineinfallen; ders. 1817 Br. (WA IV 28,23) Mein zweytes Rheinund Maynheft wird ehstens aufwarten und wird als eine Bombe in den Kreis der Nazarenischen Künstler hinein plumpen; Kurtz 1837 Genzianen 121 Bomben und Granaten! schrie er: Ihr miisst..; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre l 124 Er [Schubart] zog ein Blatt heraus und las einen Ausfall auf den Pater Merz in Augsburg, . . vor, worin solche Bomben von Witz geschleudert wurden, daß die Gesellschaft Essen und Trinken vergaß und unaufhörlich lachte; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris l 203 fiel diesmal das anliegende Schreiben des hannoverschen Ministeriums und die Erklärung der hannoverschen Abgeordneten wie eine Bombe in die Versammlung; Engels 1851 Br. (MEW XXVII 187) Sorg nur, daß Du die Briefe erhältst. Ich möchte die sittliche Entrüstung sehn, wenn die Bombe platzt. Ihr scheint seit einiger Zeit wieder gute Spione in der Great Windmill Street zu haben; Marx 1868 Br. (MEW XXXII 223) Borkheim fuhr auf wie eine Bombe. „Er hätte nie geglaubt, daß irgendein Mensch in London etwas von dieser Geschichte wisse .."; ders. 1870 Br. (MEW XXXIII 7) Unser Beschluß . . ist . . wie eine Bombe unter die Kerls [das von Bakunin gebildete Gegenkomitee] gefahren; König 1875 Humoresken l 174 „Bomben und Granaten, was wollen Sie damit sagen?" fragte Wiedemann; 1903 Preuss. Jahrb. CXI 39 Die Bombe ist geplatzt! [Rücktritt mehrerer Minister]; Flake 1917 Logbuch 179 Aber heute morgen kam eine Nachricht, die wie eine Bombe einschlug; Musil 1930-52 Mann 1007 „Ich?" verwahrte sich Ulrich, nachdem sein Freund dergestalt seine Bombe platzen ließ; A. Zweig 1931 Junge

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Frau 263 Die Einladung Schieffenzahns hat Unter den Linden bei seinen Bekannten wie eine Bombe gewirkt; Münch. N. N. 6. 7. 1942 Dann allerdings platzte die Bombe. Der Heinrich war nämlich bereits verheiratet und lebte nur getrennt; Neue IIlustr. 4. 2. 1954 Dort . . schlägt die Aussage . . wie eine Bombe ein (OKSAAR); 1954 Muttersprache XII 465 Kein Wunder, daß der lautmalerische Wert des Wortes [Bombe] bald auch zu übertragenen Bedeutungen führte. Als Fluch taucht es schon früh auf in „Potz Bombenelement!; Mackensen 1956 Sprache 150 man bereitete die Wahl wie eine Schlacht vor .., ließ, wo man früher die Katze aus dem Sack gelassen hatte, nun wirkungsvoller die Bombe platzen (um 1860); Brugsch 1957 Arzt 184 Ende Juli [1914], während die Familien in den Ferien sind — platzt die Bombe: der Krieg bricht aus; Offenburger Tagebl. 30. 9. 1971 Wie eine Bombe hat in Göppingen die Nachricht eingeschlagen, daß . . der Trainer .. seinen Rücktritt erklärt hat; Zeit 20. 2. 1987 wenn wir in zehn Jahren vier bis fünf Millionen Arbeitslose haben, dann ist die Bombe wohl kurz vorm Zünden; MM 31.5. 1995 Und diese Zahlen schlugen ein wie eine Bombe. Bomben-/bomben- 2b: Engels 1851 — 52 Revolution u. Konterrevolution (MEW VIII 33) Sie und ihre Verleger machten damit ein „Bombengeschäft"; Mommsen 1880 Reden u. Aufs. 419 Was er [Treitschke] sagte, war damit anständig gemacht. Daher die Bombenwirkung jener Artikel; Schlenther 1896 Theater u. Reichshauptstadt (Nation 574a) Fast jedes unserer Theater hatte in den letzten Jahren derartige im Agentenjargon sogenannte Bombenerfolge; Fontäne 1897 Stechlin 30 wer nicht ein Bombengedächtnis hat, muß da notwendig 'reinfallen; ders. 1898 Zwanzig 410 hat ein Bombengeschäft gemacht; Huch 1909 Pitt u. Fox 263 Sichere Papiere? — Bombensicher! Erste Hypotheken und Staatspapiere!; Mehring 1918 Marx 386 In einer ganz hübschen Anzahl auch von bürgerlichen Blättern wußten sie vorläufige Notizen über das Erscheinen des Buches oder den Abdruck der Vorrede unterzubringen. Sogar eine Bombenreklame nach den Begriffen der damaligen Zeit; Schleich 1921 Besonnte Vergangenheit 2 daß ich .. als mit einer Bombennatur begnadet mich erwiesen habe; Werfet 1924 Verdi 120 daß dies ein sehr schöner dunkler Tenor sei, .. ohne jedoch das zu sein, was man eine einzigartige, eine Bombenstimme nennt; WoW 1932 Reporter 61 Der dicke Redakteur .. ist kaum enttäuscht, schon das, was er hier gesehen hat, gibt einen Bombenbericht; Lokal- Anz. 29. 12.1934 Den stärksten Erfolg in einer Bombenrolle hatte Leo Slezak als Ferdinand Raimund; Fallada 1934 Blechnapf 401 Die lassen das Geschäft mit so 'ner Bombenauslage natürlich Tag

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und Nacht bewachen; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 230 war der Saal am Abend mit dem besten Publikum fast gefüllt. Es war ein Bombenerfolg; Brecht 1938 Furcht u. Elend (Ges. W. Ill 1165) Meckern Sie mal nicht, ja? Deutschland, und das steht mal bombenfest, braucht Kanonen und keine Butter. Hat er ganz deutlich gesagt; NZ. (Basel) 31.3.1949 Eine „Bombenrolle" für Therese Giehse; Bredel 1949 Söhne 406 Onkel Matthias habe als Zolldirektor eine Bombenstellung; Loest 1953 Sportgeschichten 100 Wenn alle durchdrehen, dann steht sie bombenruhig auf dem Feld; 1954 Muttersprache XII 465 Es entstanden die . . „Bombenhitze", das „Bombengehalt", der „Bombenhunger" und das „Bombengeschäft"; Berl. Ztg. 22. 10. 1960 Die Verträge sind bombensichere Angelegenheiten; ebd. 3.5.1961 Über 5 Stunden herrschte auf zwei Schiffen der Weißen Flotte eine Bombenstimmung, wurden Freundschaften geschlossen, wurde gesungen und getanzt; Gong 16. 1. 1970 bringt das Deutsche Fernsehen wieder eine solch aufwendige Koproduktion „. . die drei Musketiere" .. Mit einer Bombenbesetzung; MM 22. 12. 1986 so stellten alkoholische Getränke oft wahre Kalorienbomben dar; ebd. 18.4. 1987 natürlich ist dieser Professor eine Bombenrolle für Wehnert; ebd. 18. 12. 1995 Für Franz Vranitzky ist die Wahl ein Bombenerfolg geworden. bombig: Augustin 1795 Idiotikon d. Burschensprache 79 Anm. bombige Gelder; Zarek 1930 Begierde 523 ich habe bombig verdient; 1960—65 Sprachpflege V 102 „Zur Zeit bin ich bombig da", hörte ich kürzlich eine Sportlerin sagen. Sie meinte, sie sei in guter körperlicher Verfassung; Zeit 10. 5. 1985 die Fahrt sei rasch vergangen, die Witterung günstig, die Stimmung im Wageninneren bombig; ebd. 24. 10. 1986 [der] Film, dessen Premiere . . bombig ankam. Bombe 2c: Berl. Illustr. Nachtausg. 20. 4.1936 Schneider, Helmchen, Munkelt und Groß zeigten reihum, was Kern- und Schmetterschüsse sind. Balinski im BSV-Tor war gegen solche „Bomben" machtlos; 1954 Muttersprache XII 465 Aber erst im Atomzeitalter erfuhr die Bombe ihre letzte sprachliche Steigerung. Einer der Stürmer der deutschen Handball-Elf hieß unter Kennern nur AtomOtto", — eben wegen seiner „Bomben"-würfe; Walter 1955 Spiele 99 Ottmar ließ eine Bombe los, die Schaffer zweifellos gehalten hätte, wenn . . (DUDEN 1993); 1956 Süddtsch. Ztg. Nr. 223 Juskowiak setzte zu einem seiner gefürchteten Freistöße an. Jaschin hielt die Bombe mit verblüffender Ruhe!; Bauermeister 1958 Bereicherung d. dtscb. Wortschatzes durch d. Fachsprache 21 Die „Bombe" ist nunmehr ein sehr kräftiger, scharfer

Ballschuß .. Als typische Beispiele für die mannigfachen Verbindungsmöglichkeiten sind folgende Zusammenstellungen aus Sportberichten anzusehen: „eine Bombe halten (d. h. ein Tor halten), eine Bombe schießen, abfeuern, eine Bombe an die Latte knallen". bomben: Bauermeister 1958 Bereicherung d. dtsch. Wortschatzes durch d. Fachsprache 21 Die „Bombe" ist nunmehr ein sehr kräftiger, scharfer Ballschuß und „bomben" die entsprechende Handlung dazu. Als typische Beispiele . . aus Sportberichten . .: „ . . einen Weitschuß in die Ecke (des Tores) bomben, aus kürzester Entfernung bomben, einen Freistoß vorbeibomben". Bomber: Bildztg. 9. 5. 1967 bekommt der deutsche Pokalsieger FC Bayern München einen zweiten „Bomber" namens Müller?; ebd. Lübking, RekordTorjäger der letzten Hallenhandball-WM: Bomber von Gründweiß Dankersen; ebd. 12.6. 1967 Bayerns Bomber Müller; Offenburger Tagebl. 22. 6.1970 Der 24jährige „Bomber vom Dienst" des FC Bayern München, Gerd Müller, ist der Torschützenkönig der neunten Fußball-Weltmeisterschaft in Mexiko. bombig: 1966 Dtsch. Sportecho Nr.2077c welch ein Wirbel dumpfhallender bombiger Schüsse auf die Tore. Bombe 2d: Neue Illustr. 20. 8. 1955 Die „importierte Bombe" [die junge Pariserin Alma Hugo]. Ihr Manager machte sie unter dem Namen die „Bombe vom Montmartre" bekannt; Bild 9. 9. 1955 Hollywoods und Italiens „Bomben", die bisher kaum mehr als ihren gutgebauten Körper vor die Kamera brachten; Stuttgarter Ztg. 11.9.1959 Dem SexBomben-Nachschub hat der „Bombist" sein Leben geweiht.. Die filmunerfahrenen „Bomben" erhoffen sich von ihrem Begleiter ein Lancement in die erotisch durchsonnten Täler des Film-Industriegeländes; Spiegel 26. 12. 1962 zieht das Ehepaar . . in München einen großen Ball auf, zu dem Showgeschäft-Bomben wie Ella Fitzgerald oder Caterina Valente herbeigeflogen werden, um Burdas Gästeschar zu imponieren (CARSTENSEN); Stave 1964 Leute 194 Küpper hat versucht, die unübersehbare Fülle umgangssprachlicher Ausdrücke „im Alleingang" zu sammeln . ., die . . in den Allgemeinbesitz der Umgangssprache eingegangen sind, Ausdrücke wie . . Synonyme für Mädchen: Biene, Bombe (Sexbombe) . . Traumpuppe; Carstensen 1965 Engl. Einflüsse 218 Bombe hat besonders in dem Kompositum Sexbombe (nach engl. sexbomb) eine neue Bedeutung angenommen.

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Bombe 3a: Cotta 1842 Geognosie 30 f. Schlackenkugeln, sogenannte Bomben. Bombe 3b: 1954 Muttersprache XII 465 Damit war der Weg frei zu zahlreichen anderen Zusammensetzungen. Es entstanden die „Eisbombe" . .; Th. Mann 1954 Kmll (W. VII 493) auf den Tellern . ., worauf ich ihm seine zwei Bratenschnitten und sein Stück Eisbombe legte; MM 21.3.1987 Eisbombe, flambiert mit Danziger Goldwasser. Bombe 3c: Süddtsch. Ztg. 4. 6. 1954 Wahrhaftig, diesen bei uns vom Kriege verwehten Hut, den die

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Münchner Gogs und die Berliner Bombe nennen. Durchaus kein Massenhut also; 1954 Muttersprache XII 465 Der steife schwarze Hut wurde schlichtweg zur „Bombe". Bombe 3d: Stuttgarter Ztg. 19. 10. 1961 ein Betrag von 2500 Mark . ., der von der Angestellten einer Firma in einer sogenannten Geldbombe zum Nachttresor gebracht werden sollte; Offenburger Tagebl. 17. 5. 1971 Ein 19 Jahre alter Lebensmittelkaufmann ist. ., als er eine Geldbombe mit etwa 15000 Mark zum Nachttresor einer Bankfiliale . . brachte, überfallen . . worden. RS

Bon M. (-(s); -s), Ende 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. hon (Subst. von bon gut' < gleichbed. lat. bonus), ursprünglich das Wort, mit dem ein Zahlungspflichtiger seinen Schuldschein anerkannte, z. B. in Fügungen wie bon pour 'gut für . . (eine bestimmte Geldsumme)', dann auch zur Bezeichnung des mit einem solchen Vermerk versehenen (Gut-)Scheins. Zunächst als Terminus des Kaufmannswesens in der Bed. 'Zahlungsverpflichtung, Zahlungsanweisung, akzeptierter Wechsel' (s. Belege 1797, 1802), in neuerer Zeit auch für 'Kassenzettel einer Registrierkasse, Quittung, die zur Entgegennahme bezahlter Ware berechtigt' (s. Beleg 1986), z. B. Kassen-, Warenbon (—+ Quittung); seit Mitte 20. Jh. auch für '(von Firmen o. ä. ausgegebener) Gutschein, Marke, für die man Speisen und Getränke erhält' (—»· Coupon; s. Belege 1951, 1959), z. B. Essen-, Getränkebon. Dazu die nur selten belegte verbale Ableitung bongen, auch bonen V. trans, und gebuchtes bonieren, in der Bed. 'an der Registrierkasse den für eine Ware zu zahlenden Betrag auf einen Bon tippen, einen Bon ausstellen', häufig in Wendungen wie einen Betrag bongen, der Kellner bongt das Gericht (s. Beleg 1985), in neuerer Zeit auch die ugs. Wendung etwas ist gebongt 'etwas ist abgemacht, wird wie besprochen erledigt'. Seit Anfang 18. Jh. aus gleichbed. frz. bonifier (aus lat. bonus, s. o., und facere 'machen, tun') entlehntes bonifizieren V. 'vergüten, gutschreiben', im 20. Jh. das selten belegte Verbalsubst. Bonifizierung F. (-; -en); seit spätem 18. Jh. der aus frz. bonification 'Vergütung' entlehnte Terminus der Kaufmannssprache Bonifikation F. (-; -en) 'Preisnachlaß, Entschädigung für unbrauchbare Ware, (zusätzliche) Vergütung; Gutschrift am Jahresende im Großhandel (vgl. Jahresbonus); Rückvergütung von Einfuhrzöllen und Steuerrückerstattung bei Ausfuhrgeschäften', häufig auch in der Zs. Umsatzbonifikation (s. Belege 1777, 1781, 1897), im 20. Jh. selten auch als Terminus der Landwirtschaft in der Bed. 'Neugewinnung landwirtschaftlich nutzbarer Böden (durch Entwässerung und Bodenverbesserung)' (s. Beleg 1938). Dazu seit Anfang 18. Jh. das aus lat. bonitas 'gute Beschaffenheit, Vortrefflichkeit, Güte' (zu lat. bonus, s. o.) entlehnte Subst. Bonität F. (-; -en ungebr.), zunächst in der Bed. 'Güte, Wert, Qualität', z. B. Bonität einer Münze, eines Grundstücks, eines Gewässers (unter dem Aspekt der Fischereiwirtschaft), Bonität eines Bodens (im Hinblick auf seine landwirtschaftliche Nutzung) (s. Belege 1711, 1712, 1744); seit Ende 18. Jh. auch '(einwandfreier) Ruf einer Person oder Firma im Hinblick auf ihre Zahlungsfähigkeit oder -Willigkeit' (s. Belege 1795, 1895). Seit frühem 19. Jh. e

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die verbale Ableitung bonitieren V. trans, 'die Qualität, Güte von etwas (meist an Güteklassen ausgerichtet) begutachten, einschätzen, veranschlagen, einstufen', bereits seit Ende 18. Jh. das Verbalsubst. Bonitierung F. (-; -en) 'Einschätzung, Begutachtung und deren Ergebnis'; seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitung bonitarisch 'geschätzt' und die Personenbezeichnung Boniteur M. (-s; -e) in der Bed. 'Begutachter (von Böden und Tieren)'. Seit spätem 18. Jh. das latinisierende Subst. Bonus M. (- oder Bonusses; - und Bonusse, auch Boni), unter engl. Vermittlung entlehnt aus lat. bonus (s. o.), anfangs selten lat. flekt., in der Bed. 'etwas, was jmdm. gutgeschrieben, ihm (als Ausgleich für eine schlechtere Ausgangsposition) als Vorteil gewährt, als Vorsprung vor anderen angerechnet wird' (s. Belege 1782, 1795, 1970; Ggs. Malus), gelegentlich als Grundwort in Zss. wie Amts-, Kanzlerbonus. Daneben häufig als Terminus z. B. des Börsenwesens im Sinne von 'Sondervergütung', des Versicherungswesens in der Bed. 'Gewinnbeteiligung des Versicherungsnehmers an den Überschüssen' und der Wirtschaft '(nachträglich eingeräumte) Vergütung wie Gutschriften oder Preisnachlässe' (—» Skonto, —> Rabatt), z. B. Steuerbonus. Bon: Laukhard 1797 Leben u. Schicksale IV 1,49 [Dann] trug er mir auf, die Bons . . für die Subsistenz der Deserteurs in Zukunft zu besorgen; Schaller 1802 Stuziade l 32 Die Karpfen lieferte der Rhein,/ Die Rhone die Forellen./ Man lies sie gegen einen Schein/ Hier Bon genannt, bestellen; 1814 D. neue Deutschland 303 Alle Forderungen des preuß. Gouvernements und der preuß. Unterthanen ohne alle Ausnahme, werden durch gültige Bons bescheiniget; Goethe 1822 Campagne (WA I 33,22) sie requirirten nicht, aber sie borgten gewaltsam . . Man hatte Bons drucken lassen, die der Commandirende unterzeichnete, derjenige aber, der sie in Händen hatte, nach Befund beliebig ausfüllte, Ludwig XVI. sollte bezahlen; Mauvillon 1829 Einquartierungs-Wesen 199 Magazine und Bons; Lewald 1837 Aquarelle III 61 reichliche Bons auf Fleisch und Gemüse; 1842 (Hartmann 1866 Erlebnisse 256) ermächtigte ihn, Pferde in erforderlicher Anzahl anzunehmen und für deren Benutzung Bons auszustellen, die das aerarium honoriren werde; Dahn 1870 Kriegsrecht 21 Empfangscheine [!], Quittungen, Bons; Friesen 1880 Erinn. 216 dass ich gezwungen war, für viele Leistungen Anweisungen auf künftige Zahlung (Bons) zu geben; Lang 1887 Erinn. 53 gegen einen „bon" requirieren; 1890 Im Felde 174 Ausstellung der Bons, der Quittungen über die empfangenen Lieferungen; 1895 Aus grosser Zeit 322 ich stelle einen „Bon" aus; Thäter 1911 Feldzugserinn. 61 überreiche ihm einen Bon, den ich . . mit Blei geschrieben habe; Berl. lllustr. Nachtausg. 26. 1.1933 Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, daß die Rotters durch ihr Bonsystem auch für die anderen Theater sehr schädigend gewesen sind; Münch. N. N. 24.12. 1939 Zur Durchführung der großen Heeresanleihe . . wurden [sie] . . ermächtigt, steuerfreie

Bons herauszugeben; Süddtsch. Ztg. 27. 2. 1951 Hier gibt es neben dem im Speiseplan festgesetzten Bons-Essen in beschränktem Umfange auch noch andere Speisen; Lenz 1959 Brot 150 Wir aßen auf Bons in der Kantine (DUDEN 1993); Zeit 21. 6. 1985 die Geduldigen, die einen Bon für eine Fahrt mit dem Autoscooter erstanden; MM 9. 8.1986 für jeden ausgeführten Gegenstand müssen Bank-Umtauschquittung und Kassenbon des Verkaufsladens vorgelegt werden; Berl. Ztg. 19.9.1989 die aus Bussen des Bundesgrenzschutzes heraus verteilten Benzinbons sind an den nächstgelegenen Autobahntankstellen einzulösen. bon(g)en: Konsalik 1985 Promenadendeck 206 Da die Barmixer die Flaschen im Magazin der Atlantis einkauften, blieb eine beachtliche Differenz für die eigene Tasche übrig. Vor allem, wenn man auch noch falsch oder gar nicht bonte; 1985 Hörzu Ll W Manche Tanne wird nadeln, . . noch ehe die letzten Weihnachtseinkäufe gebont sind (beide DUDEN 1993); MM 1. 12. 1995 [sie] benutzen das Goethe-Institut schon mal als Auskunftsbüro, wenn zwar der Flug nach Frankfurt gebont, die Weiterfahrt . . dagegen noch nicht geregelt ist. Bonifikation: Hamann 1777 Briefw. Ill 313 aber mit der Bedingung . . mir einen Aufsatz desjenigen was sie an bonification zu fordern hatte [mir] mitzutheilen; 1781 Corp. Jur. Frideric. I 2,171 Sollten übrigens Unterthanen, wegen der . . zur Ungebühr abgeforderten . . Dienste, Bonifikation verlangen, so ist solche als ein besondrer Klagepunkt zu betrachten; 1789 Westpreuss. Feuersocietätsreglement 5 daß .. dieser Austritt nur in sofern, als das bisherige Mitglied noch keine Bonifikation von der

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Societal erhalten hat, stattfinde; 1792 (Hinze 1927 Arbeiterfrage 182) sonst sie sich allhier der ihnen zugestandenen Bonification nicht zu gewärtigen haben; List 1822 Sehr. VIII 220 statt die fünf Freiexemplare sogleich abgehen zu lassen und Herrn Göriz zu versichern, daß die Sache schon könne durch Bonifikation gemacht werden; Bismarck 1879 Polit. Reden VIII 98 so hätte der Zoll doch nur dieselbe Wirkung, als wie eine Fracht von l Pfennig pro Meile der Centner, .. auch bei den grossen russischen Bonificationen ist sie kaum noch etwas über l Pfennig pro Centner die Meile; Poschinger 1897 Bundesrat l 244 Der Ausschuß für Zoll- und Steuerwesen . . gelangte nach eingehender Erwägung zu der Überzeugung, daß die vorgeschlagene Erhöhung der Export-Bonifikation gerechtfertigt sei; Wewer 1912 Geschäftsmann 157 Bonifikation, Vergütung; Hinze 1927 Arbeiterfrage 121 Dabei erhielten Angehörige des wichtigen Ledergewerbes 10 Jahre Akzise-Bonifikation; 1938 Petermanns Mitt. 366 seit 1926 begann man mit der Bonifikation der römischen Campagna durch umgesiedelte Bauern; Welt 25. 11. 1964 zwischen den Herstellern und dem Großhandel kam es in den vergangenen Jahren häufig zu Meinungsverschiedenheiten über Rabatte und die nach dem Umsatz gestaffelten Bonifikationen; Stuttgarter Ztg. 21.4. 1969 bei relativ hohem Bonifikationsabschlag; FAZ 28. 5. 1971 Verkauf von achtprozentigen Pfandbriefen und Kommunalobligationen .. fast gänzlich eingestellt, nachdem sie noch bis zum Mittwoch diese Titel mit 100 und Bonifikationsabschlägen von 0,5 Prozent verkauft hatten. bonifizieren: Marperger 1711 Beschr. d. Messen U 25 ihm Cajo solche [Gelder] wieder bonificire; Trenck 1745 Leben 2 Mein Vater . . bezahlte meine verübten Excesse, und ich bonificirte solche mit der Haut; 1761 (Belli, Leben in Frankf. am M. IV 182) daß derjenige, so ihm etwas lehnt . . solches auf seinen Rissico geht dann die Eltern werden niemand keinen Kreuzer bonificiren; 1781 Corp. Jur. Frideric. l 2,211 darüber gestritten wird: ob Verpächter schuldig sey, einen durch Viehsterben entstandenen Schaden zu bonificiren; 1783 Allg. Deposital-Ordn. 106 In einem solchen Falle kann der Rendant darauf antragen: daß, um die Zahlung aus dieser Masse A. zu leisten, ein der Masse B. zugehöriges Quantum genommen, und demnächst, wenn in die Masse A. Gelder kommen, daraus der Masse B. der geleistete Vorschuß bonificirt werden möge; Kotzebue 1795 Armuth 110 Beruhigen Sie sich, hochedle Mamsell, ich werde Ihnen diesen Schaden zu bonificiren suchen; Reden 1844 Eisenbahnen Deutschlands 2,629 Absender, die das Frachtgut auf den Bahnhof senden, erhalten pro

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Zentner vier Pfennige bonifizirt; 1987 Brockhaus III 525 bonifizieren, gutschreiben, vergüten. Bonifizierung: Voss. Ztg. 13. 4. 1930 in der Campagna blühten die Obstbäume, auf den wenigen nach der Bonifizierung dieses historischen Geländes zwischen den Ruinen der alten Wasserleitungen übrig gebliebenen Weideflächen hüpften . . die Lämmlein; 1934 Petermanns Mitt. 249 Bonifizierungsarbeiten des faschistischen Regimes. bonitarisch: Savigny 1840 System I 260 Das hatte ursprünglich den Sinn, dass der Prätor durch das zweyte Decret das Eigenthum geben wollte, aber nicht mehr als das bonitarische geben konnte; Bluntschli 1878 Beuterecht 25 Der Unterschied des quiritarischen und des bonitarischen Eigenthums kam freilich auch bei gewissen beweglichen Sachen vor; ebd. 34 Die alte römische Unterscheidung zwischen dem quiritischen Eigenthum, das am Provincialboden dem römischen Volk oder Kaiser zugeschrieben wurde und dem bonitarischen Eigenthum der Grundbesitzer war aufgehoben; Bartsch 1903 Rechtsstellung 30 Wie das quiritische Eigentum . . von seinen Prätensionen nicht ein Jota nachgibt, wiewohl es neben dem bonitarischen zur Fratze herabsinkt, so vergibt sich auch die väterliche Gewalt nichts. Bonität: Marperger 1711 Beschr. d. Messen l 54 da er differenter Saltz-Siedereyen, ihres Saltz Bonität und Valeur gegen einander beschreiben wolte; ders. 1712 Naturlex. 31 die innerliche bonität einer Müntzsorte; Justi 1744 Dtsch. Memoires 11.1,110 Dieserwegen aber ist .. nicht zu schliessen, dass es denen Thieren nur am Verstande fehle, solche Dinge zu erwählen .. oder deren Nutzen und Bonität zu begreiffen; 1769 (1791 Corp. lur. Metallici 1167) so müßten die Frisch- und Stab-Schmiede . . dem Eisen alle mögliche Bonität .. geben; 1783 Allg. Deposital-Ordn. 126 Von Dokumenten und Prätiosis, sollen nach Maßgabe ihrer Anzahl, Wichtigkeit, Werth und anscheinenden Bonität der darunter begriffnen Schuld-Verschreibungen, 1:4 Rthlr. ein- für allemal, von jeder Masse, in welche dergleichen Prätiosa einkommen, angesetzt werden; Kotzebue 1795 Armuth I 3 versichere, dass der Hans Wilhelm von besonderer Bonität ist; Gebhard 1817 Güter-Arrondirung 65 Bonitätsklasse; 1860 Landwirthschaft in Bayern 702 weil der Boden an sich schon etwas mager ist. Bonitätsklasse ist 18; Kraft 1884 Durchforstungen 25 Die obigen Zahlen sind aus Untersuchungen in Beständen von 21 bis 89 Jahren meist mittlerer Bonität; Horix 1895 Erl. 47 die Herren . . haben zu ihrer rascheren Information über die „Bonität" ihrer Offiziere zunächst deren Qualifikationen eingesehen;

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Potenz 1895 Büttnerbauer 131 Das ist noch sehr koulant, in Anbetracht dessen, dass Ihre Bonität zweifelhaft ist; 1901 Stimmen d. Zeit LX 360 Getreidemengen . . nach bestimmten Bonitätsklassen oder Graden geschieden; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 294) etwas auserlesen Feines, handelt es sich nun um eine Rotweinmarke, um eine Zigarre, um ein Diner oder um geschäftliche Bonität; Voss. Ztg. 21. 4. 1929 die Frage nach der Bonität dieser Bürgschaft; 1931 Mitt. Geogr. Ges. Wien LXXIV 19 Eine Bonitätskarte für alle Arten von Grundstücken würde die Brücke zwischen der pflanzengeographischen und der Kulturenkarte schlagen; Berl. Illustr. Nachtausg. 10. 6. 1933 Das Haus stand auf Grund seiner Tradition im Rufe größter Bonität; Süddtsch. Ztg. 26. 3. 1949 Sie haben die Bonität der Kreditsuchenden zu prüfen; ebd. 19. 9. 1952 Bei der Freigabe von landwirtschaftlichem Gelände als Baugebiet sind nicht nur Bodenbonität und Grundwasserstand zu berücksichtigen; Stuttgarter Ztg. 13. 3. 1964 daß das bayerische Unternehmen in den letzten Jahren nach der Sanierung seine Bonität in vollem Umfang wiedererlangt habe; Offenburger Tagebl. 15.7. 1970 Eine Bonitätsgarantie für Investmentfonds könne aber niemand übernehmen; Welt 26. 1. 1974 die Bonität dieses Unternehmens ist über jeden Zweifel erhaben; 1979 Profil XVII 42 Händler, die wegen ihrer angekränkelten Bonität von anderen längst nicht mehr beliefert werden; Tages Anz. 28. 7. 1984 Während ein Bankkunde bei entsprechender Bonität sein Konto längere Zeit überziehen kann (beide DUDEN 1993); Zeit 21. 6. 1985 ihre programmatische ebenso wie ihre personelle „Bonität" wird von einem erheblichen Teil ihrer Wähler gewiß nicht allzu hoch gehandelt; MM 27. 9. 1986 die Bonität von Kreditnehmern zu prüfen; Rhein. Merkur 16. 2. 1990 die mangelnde Bonität der DDR-Unternehmen; Spiegel 18.4. 1994 Bevor der Tiefbau-Unternehmer . . seine Arbeiter nach Leipzig schickte, erkundigte er sich über die Bonität des Auftraggebers. Boniteur: Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti I 164 ein Heer von Oeconomie-Commissarien .. nebst Feldmessern, Boniteurs . . auf jene ohnehin armen Landestheile los gelassen; Ratheburg 1859 Standortgewächse 317 Auf keinen Fall aber darf man die physikalische Beschaffenheit des Bodens gegen die chemische zurücksetzen. Man frage nur die Boniteurs; Uexküll 1936 Welten 103 Da die Arbeit, die großen Vieh- und Schafherden des Majorates durchzuprüfen, mehrere Monate in Anspruch nahm, hatte mein Onkel dem Boniteur . . ein nettes Häuschen . . zur Verfügung gestellt. bonitieren: Schrank 182610. Bericht Akad. d. Wiss. München 362 die Praxis des Bonitirens des

Bodens; 1806 (Berg, Handb. Policeyrecht VII 86) was sie an jedem Orte bonitiren sollen; 1816 Allg. Lit.-Ztg. II 174 Die Klassen werden nach Musterflecken bestimmt, welche nach der natürlichen Beschaffenheit des Bodens und dem Fruchtwechsel ein Obercommissar mit seinen sämmtlichen Taxatoren aussucht (bonitiren); Rau 1839 Volkswirthschaftspolitik 144 Die Weise wird vermessen und . . wenn es zur Abfindung eines Berechtigten erfordert wird, auch abgeschätzt (bonitirt); Grosse 1896 Ursachen 71 nach Reideburg, um dort zu messen und zu bonitieren — eine langweilige Arbeit; V. Mann 1949 Wir waren fünf 478 ob die mittelbonitierten Äcker . . mit vier oder fünf Goldmark pro bayerische Dezimale zu bewerten seien. Bonitierung: i 799 (Berg, Handb. Policeyrecht VII 83) Jede Bonitirung enthält die Würdigung der Beschaffenheit der Grundstücke, und deren Einfluß auf den wirklichen Ertrag; Thaer 1809 Landwirthschaft I 56 die Morgenzahl sammt der Aussaat und dem Ertrag nach der Bonitirung von Winterung und Sommerung; Gebhard 1817 Güter-Arrondirung 64 aus der Boniitirung durch Taxatoren den Zehentertrag an Körnern und Stroh auszumitteln; Koch-Sternfeld 1826 Beytr. II 426 Bonitirung [der Böden und landwirtschaftlichen Anwesen]; 1860 Landtvirthschaft in Bayern 230 Ertragsermittlung (Bonitirung); Polenz 1899 Wald 36 Und was gab es da noch alles über die Bonitierung, den Umtrieb, die Verjüngung [von Bäumen] zu sagen; Fauser 1922 Meliorationen II 129 die Bonitierung oder den Ausbau der gemeinsamen Anlagen; 1928 Bausteine z. Geopolitik 331 Bonitierung der Erdoberfläche; Uexküll 1936 Welten 41 die Bonitierung des Viehbestandes; Münch. N. N. 15. 12.1940 Beetund Frühsatzbesichtigungen, Feldschauen und Bonitierungen an der Waage; Schmitthenner 1951 Lebensräume 225 die Forderung nach einer Bonitierung der Erde. Bonus: Schlözer 1782 Stats-Anzeigen II 465 dieses vorzüglichste Bonum der Fabriken, nämlich die Erhaltung der Preise; Heinzmann 1795 Pest d. Lit. 326 das moralische bonum des Menschen; Schiebe 1837 Universallex. d. Handelswiss. I 194 Bonus . . im engl. Anleihe-System .. Überschuß (SCHIRMER, Kaufmannssprache); vor 1871 Volksztg. XVI 24 Ein Produktionsgewinn . . Zum Unterschiede sei der auf die Arbeit entfallende Theil Bonus, der auf das Kapital entfallende Theil hingegen Dividende genannt (SANDERS 1871); Peters 1904 England 116 einen Bonus für die Einführung kolonialer Artikel bewilligen; Hesse 1925 Strassenekken 129 Arbeiter, für 7 Dollar und 9 Cents den Tag, worin der Bonus schon eingerechnet ist; Arnholds Wochenber. 10. 1.1931 daß der Eingang der

Bonapartismus Freigabegelder zwar die Ausschüttung eines einmaligen Bonus wahrscheinlich mache; Süddtsch. Ztg. 6. 10. 1950 sofortige Verhandlungen über eine zusätzliche Bonuszahlung; Welt 30. 7. 1954 vom 1. Januar 1954 an wird die Belegschaft einen Produktivitätsbonus erhalten, der etwa 4 Pfennig je Stunde betragen soll; ebd. 18. 3. 1964 Sparer sollen Bonus erhalten; FAZ 22. 9. 1970 Ein Bonus von einem Notengrad bei der Berechnung des für die Zulassung zum Studium maßgeblichen Notendurchschnittes ist also weniger ein Geschenk an Landeskinder als ein Ausgleich für die höheren Anforde-

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rungen, die hier in Bayern beim Abitur gestellt werden; Zeit 17.5. 1985 Johannes Rau, versehen mit dem Amtsbonus des Regierungschefs und sehr populär im Lande, hatte eine gute Ausgangsposition; ebd. 6. 2. 1987 zur Dividende von fünf Mark kam ein Bonus von einer Mark hinzu; MM 14. 6. 1988 Sondersparformen . ., bei denen ein mit der Vertragsdauer steigender Zins, ein Bonus oder eine Prämie gutgeschrieben . . wird; Spiegel 26. 7. 1993 Aus dem Ossi-Bonus, so sieht Sennewald den Wandel, ist ein Malus geworden; ebd. 4. 7. 1994 Im täglichen Kleinkrieg wird der Bonus des neuen Intendanten schnell verbraucht. OV

Bonapartismus M. (-; ohne PL), im frühen 19. Jh. übernommen aus gleichbed. frz. bonapartisme (vgl. gleichbed. engl. bonapartism), einer nach dem Namen der korsischen Patrizierfamilie Bonaparte gebildeten Bezeichnung für den autoritären Herrschaftsstil in Frankreich unter den Kaisern Napoleon I. und III., später für eine politische Richtung, die für die Wiedereinsetzung des Hauses Bonaparte und das Kaisertum eintrat. Zunächst Bezeichnung für eine politische Strömung, die soziale Umwälzungen zu verhindern oder aufzuhalten sucht und gegen bürgerliche Neuerungen gerichtet ist (Ggs. —»· Republikanismus) (s. Beleg 1832), dann auch für eine bes. Form von Militärdiktatur, deren militärische Führer nach einer Revolution mittels eines Staatsstreiches die Herrschaft im Staat übernehmen und diese diktatorisch (—* Diktatur) ausüben, um die Ergebnisse der Revolution rückgängig zu machen (—» Cäsarismus). Dazu gleichzeitig die aus gleichbed. frz. bonapartiste übernommene Personenbezeichnung Bonapartist M. (-en; -en), auch Bonapartistin F. (-; -nen) 'Anhänger(in) des Bonapartismus'; meist plur. als Bezeichnung für eine politische Gruppe in Frankreich, die das Regierungssystem und die Thronansprüche der Familie Bonaparte vertrat und am Aufstieg Napoleon III. beteiligt war, und die verbale Ableitung bonapartisieren V. intrans. 'dem Bonapartismus gemäß umgestalten'. Seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitung bonapartistisch 'den Bonapartismus/die Bonapartisten betreffend', im 19. Jh. gelegentlich auch bonapartisch 'Napoleon Bonaparte betreffend, auf ihn und seine Herrschaft bezogen'. Bonapartismus: Wit v. Dörring 1827 Lucubrationen 139 der reinste Bonapartismus . . in seinem Grundwesen, dem frechen Hinwegsetzen über alles Bestehende; Heine 1832 Engl. Fragmente 10 (S. W. ill 493) ihr Bonapartismus . . ist ihnen die Idee einer Alleinherrschaft der höchsten Kraft, angewendet zum Besten des Volks (BRUNNER/ CONZE/KOSELLECK); Niendorf 1854 Paris l Gleich auf der Schwelle kündigte sich Frankreich mit Bonapartismus an; Treitschke 1859 Gesellschaftswiss. 85 Entöffnung des gesamten Volkslebens durch eine übermächtige Staatsgewalt, welche der gekrönte Vertreter des Bonapartismus . . mit so merkwürdiger Selbsterkenntniss schilderte; Rasch 1865 Häuser 40 sprach Paris seine Sympathien für den Bonapartismus und für das Kaiser-

thum aus; Engels 1866 ME W XXX7 20« der Bonapartismus ist doch die wahre Religion der modernen Bourgeoisie (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); 1870 Magazin d. Ausld. 743 Der Bonapartismus vor dem Richterstuhle der Geschichte; Hillebrand 1874 Frankreich 201 Bonapartismus und Republikanismus, . . sind vorübergehende Bezeichnungen, mit denen sich gewisse Parteien und Interessen schmücken; Engels 1883 MEW XXXVI 54 [die Franzosen hätten die bürgerliche Republik, während die Deutschen] noch in einem Mischmasch von Halbfeudalismus und Bonapartismus stecken (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); 1888 Grenzboten 206 den Bonapartismus in Bastardform wieder aufleben lassen; Bleibtreu 1889 Nap. I. Vorr. o. S. Gerade heut, bei dem drohenden

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Steigen des Bonapartismus in Frankreich .. dürfte eine nochmalige kritische Beleuchtung des großen Corsen von Nutzen sein; 1916 Deutschland l 398 die gewaltigen Vorstöße der Revolution und des Bonapartismus; Curtius 1921 Barres 101 Die Republik hat nichts vom Bonapartismus zu befürchten; aber alles vom Cäsarismus; Harden 1927 Versailles 252 Von Absolutismus, Caesarismus, Bonapartismus . . kann in Deutschland überhaupt nicht die Rede sein; 1938 Dtsch. Wehr 737 Die Sowjetunion auf dem Wege zum Bonapartismus?; Graff 1951 Goethe 52 Beweis seines Starrsinns, der niemals klar und eindeutig vom Bonapartismus und Cäsarismus, sowie deren Methode abrücken wollte; Salomon-Delatour 1959 Soz. 32 Der Bonapartismus oder Cäsarismus ist keine militärische Diktatur, sondern ein Staatsstreich mit Plebiszit; Stuttgarter Ztg. 21. 12. 1961 sicherstellen, daß die sowjetischen Streitkräfte jederzeit die politischen Richtlinien ohne Bedenken befolgen und das Wiederauftauchen des „Bonapartismus" ein für allemal verhindert werde; Rosenberg 1962 Demokratie 90 Mit dem Bonapartismus wählten die französischen Volksmassen die Form der Knechtschaft, die ihnen als die erträglichste erschien; ebd. 204 Der Bonapartismus war seit Sedan moralisch erledigt; Stuttgarter Ztg. 3. 8. 1966 Nur ist Lin Piao eben auch ein Militär, und niemand weiß, ob ihn nicht doch die Versuchung eines eigenen Bonapartismus befällt; Sieburg 1971 Napoleon o. S. angesichts der großen Bedeutung, die die beiden napoleonischen Reichsschöpfungen für Deutschland gehabt haben, nimmt es nicht wunder, daß das Problem des Bonapartismus im 19. Jahrhundert nicht nur im französischen, sondern auch im deutschen historisch-politischen Denken . . eine erstrangige Rolle gespielt hat; Brunner/Conze/Koselleck 1972 Geschichtl. Grundbegr. I 726 Im Gegensatz zu vielen im 19. Jahrhundert entstandenen oder weit verbreiteten Begriffen war 'Cäsarismus' oder 'Bonapartismus' kein sozialer Verfassungsoder Richtungsbegriff . . sondern ein Herrschaftsbegriff vor allem politischer Natur; Zeit 21. 11. 1986 Müller stellt sich einen sechzigjährigen Mann vor, der Feudalismus, Demokratie, Absolutismus, Bonapartismus, Aufklärung, Sturm und Drang .. erlebt hat. bonapartisch: Lady Morgan 1821 Reisen. Frankreich (Übers.) l 125 Das bonapartische Ministerium . . wird mit erklärter Verachtung behandelt; Gregorovius 1852 Wanderjahre l 22 wie die Weltgeschichte trotz Elba und Sanct Helena wieder bonapartisch geworden sei; Gervinus 1860 Leben 18 Dergleichen Erfahrungen machten unseren bonapartischen Vater nicht eben besser auf die Verbün-

deten zu sprechen; Vonderhalde 1895 Frz. Soldatenleben 32 das bonapartische Regime. bonapartisieren: Seume 1806—07 Apokryphen (W. U 71) Ehrhardt und Mahlmann sollen, wie ich höre, sehr französieren und bonapartisieren; Szarvady 1852 Paris I 404 Nun wurden die Administration und die Armee immer mehr bonapartisirt; vor 1871 National-Ztg. Berlin XXI 571 In dem heutigen bonapartisierten Frankreich (SANDERS 1871); Kleinschmidt 1878 Karl Friedrich v. Baden 237 Andlaw und Dalberg gaben sich alle Mühe, die Pariser Politik in Karlsruhe zur Alleinherrschaft zu bringen, sie waren Werkzeuge Napoleon's, um Baden ganz zu francisiren oder besser gesagt zu bonapartisiren. Bonapartist/in: Mutius 1806-19 Br. 306 Die eifrigsten Royalisten gibt es hier, aber auch die wütendsten Bonapartisten; Gentz 1815 Br. an Pilat l 180 Bonapartisten giebt es (ausser vielleicht in einigen Trümmern der Armee) durchaus nur noch in der fieberhaften Phantasie unheilbarer Aristokraten; 1815 (Marwitz 1852 Aus d. Nachlass U 131) daß sie, die Königlich Gesinnten, heute ihr Amt wieder angetreten und die Buonapartisten entfernt hätten; Lady Morgan 1821 Reisen. Frankreich (Übers.) I 123 Es ist sonderbar, daß selbst die Bonapartisten und Constitutionalisten, obwohl sie über die Politik und Falschheit der englischen Regierung klagen, sich günstiger gegen die Nation äußern, als die Royalisten; Wit v. Dörring 1828 Fragmente 111 27 die sogenannten Buonapartisten . . Diese Leute, unter denen die geistreichsten und practischsten Köpfe befindlich; Prokesch v. Osten 1831 Tagebücher 105 der Fürst möge ihm etwas Näheres über die Umtriebe der Bonapartisten sagen; Heine 1843 S. W. VI 359 es sind alte abgelebte Bonapartisten; 1849 Briefw. Stüve-Detmold 171 ein eifriger Bonapartist; 1852 Prutz' Museum l 455 Der Bonapartist, männlich und edel; Holtet 1858 Erz. XXIX 228 Fanny's Tante, im Herzen Bonapartistin und Französin; 1863 Bilder a. Paris l 296 die getreuen, die guten, d. h. die Bonapartisten sagten ungenirt und laut: morgen werde doch gut Wetter sein, wie stets an den napoleonischen Festen; Rindfleisch 1870 Feldbr. 229 die ersten Bonapartisten, die mir unterwegs vorgekommen sind; Nordau 1881 Paris l 150 Das Cafe de la Paix ist seit dem 4. September das Hauptquartier der Bonapartisten; Schneegans um 1890 Memoiren 170 ich fühlte .. ein gewisses Schaudern in dieser Gesellschaft ehemaliger Bonapartisten; Mittelstadt 1904 Krieg von 1859 .. 163 Betrachtungen . . über die Stützen des bonapartistischen Thrones, die lediglich in der Uneinigkeit der Nichtbonapartisten bestehe; Oncken 1914 Aufs, l 266 sie [deutschnatio-

Bonbon nale Gesinnung] zeigte den alten Bonapartisten an der Universität ungeheuchelte Verachtung; Platz 1922 Kämpfe 79 Zeitschrift „La Cocarde", an der Royalisten und Bonapartisten friedlich mit Sozialisten und Anarchisten zuammenarbeiteten; Stuttgarter Ztg. 23. 12. 1961 der Gegenspieler des als „Bonapartist" verschrieenen Marschalls Schukow; Brunner/Conze/Koselleck 1972 Geschieht!. Grundbegr. l 727 Die Verwandlung Napoleons I. in einen „Empereur" hatte zur Folge, daß seine Anhänger nicht mehr nur 'Bonapartisten', sondern auch 'Imperialisten' genannt wurden; Zeit 15. 2. 1985 im Inneren kam es zu abscheulichen Mördereien an „Bonapartisten" .. wie auch zu Prozessen gegen gar zu treue Anhänger Napoleons. bonapartistisch: Prokesch v. Osten 1831 Tagebücher 105 in alle bonapartistischen Pläne tief verwickelt; 1837 (Varnhagen v. Ense 1861 Tagebücher l 36) Sie sind hier am Hofe ganz wüthig über die Freisprechung der bonapartistischen Aufrührer durch die Geschworenen in Straßburg; Heine 1840 S. W. VI 172 Die Franzosen, aller republikanischen Eigenschaften bar, sind ihrer Natur nach ganz bonapartistisch; Häusser 1851 Denktv. 13 die Anfänge der staatlichen Organisation nach bonapartistischem Muster; Szarvady 1852 Paris I 358 wie sich die monarchischen Regierungen und die bona-

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partistische von heute ihrer [Gegner] zu entledigen suchen; Bennigsen 1862 Reden I 111 Wozu bonapartistische Experimente kleiner Staaten nachmachen?; Oppenheim 1866 Verm. Sehr. 216 Irregeleitete Proletarier, die etwa zu . . reaktionären Putschen oder bonapartistischen Diktaturen zu verwenden wären; Rebel 1876 Ausgew. Reden I 325 der verhaßte bonapartistische General Vinoy [wurde] zum Gouverneur von Paris ernannt; Hillebrand 1881 Jahrb. d. Revol. 175 Die Generation von 1860 . . ist weder legitimistisch noch orleanistisch, bonapartistisch noch republikanisch; Schneegans um 1890 Memoiren 182 Der Salut public war bonapartistisch gesinnt gewesen unter dem Kaiserreich; 1916 (Liebknecht 1958 Ges. Reden IX 84) Man gedachte, alle Pein durch geschickte Kriegsmache bonapartistisch fortzueskamotieren; Lokal-Anz. 31. 10. 1934 wie sich an den Wänden und Decken des Schlosses von Fontainebleau immer wieder die Lilien der Bourbonen mit den Bienen des bonapartistischen Kaisertums vermählen; Graff 1951 Goethe 68 Träger der bonapartistischen Gewaltherschaft und des cäsaristischen Systems; Rosenberg 1962 Demokratie 219 Neuauflage des bonapartistischen Programms; Spiegel 5. 9. 1994 Lebed wird zugetraut, notfalls eine bonapartistische Lösung durchzusetzen, falls Rußland weiter in der Krise versinkt — also nach dem Präsidentenamt zu greifen. OV

Bonbon M., auch N. (-s; -s), im späteren 18. Jh. übernommen aus gleichbed. frz. bonbon, einer der Kindersprache entstammenden Wiederholungsform von subst. bon 'gut' (< lat. bonus 'gut'; —* Bon), anfangs auch in den an die Aussprache angelehnten Formen Bombom, Botnbon. In der Bed. 'zum Lutschen bestimmtes kleines Zuckerzeug, Süßigkeit' (s. Belege 1769, 1803), in Wendungen wie ein säuerliches, gefülltes, klebriges Bonbon in den Mund stecken, lutschen und ugs. jmdm. ein Bonbon ans Hemd kleben e jmdn. veralbern', häufig als Grund- und Bestimmungswort in subst. und adj. Zss. wie Eukalyptus-, Malz-, Sahne-, Husten-, Lutsch-, Stiel-, Knallbonbon 'Papierhülle (mit einer Überraschung), die beim Zerreißen knallt' und Bonbonfabrik, -papier, -büchse, -schachte!, -färbe '(kitschige) Farbe, die der von Bonbons ähnelt', bonbonrosa 'grellrosa', bonbonfarben, -farbig 'von (oft als kitschig empfundener) greller Farbe'; gleichzeitig auch übertragen verwendet für 'reizvolle, kleine Kostbarkeit, etwas Schönes, das Kennern besonders gefällt, ein bes. Genuß ist, Trost oder Beruhigung sein soll' (s. Belege 1773, 1789, 1951), gelegentlich ugs.-scherzhaft für 'rundes Parteiabzeichen, dessen Form einem Bonbon ähnelt' (s. Beleg 1962). Dazu im 19. Jh. die adj. Gelegenheitsableitung bonbonartig. Seit spätem 18. Jh. das aus gleichbed. frz. bonbonniere entlehnte Subst. Bonbonniere F. (-; -n) in der Bed. 'Behälter (aus Kristall, Porzellan o. ä.) für Bonbons, Pralinen; hübsch aufgemachte Packung, Schachtel mit Pralinen', häufig in Wendungen wie jmdm. eine Bonbonniere schicken, überreichen, Gästen aus einer Bonbonniere anbieten.

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Bonbon

Bonbon: Bürger 1769 Gedichte (S. W. l 10) Auch sollen dich belohnen/ Bonbon und Marzipan; Herder 1770 an Merck 11 wir essen alle Bomboms; Hommel 1773 Plappereien 480 Allenfalls mögen mit dergleichen Bon-bons junge Schüler der Beredsamkeit ihre Chrien aufmutzen; Schubart 1774 Chronik 502 einen Bogen voll Pompons; ebd. 503 Es ist kein süßer Tändler, der lauter Pompons in der Tasche führt; Hermes 1789 Für Eltern III 146 Beweise von Herzensgüte . . deren ich Einige Ihnen als Bonbon für Ihr Mutterherz mittheilen mus; //"fland 1795 Reise (Theatral. W. H 51) die Bergenaus warfen uns mit Bonbons, als wir unter dem Fenster vorbei gingen; 1803 Eunomia 168 Schmeicheleien sind für die Weiber, was Bonbons für die Kinder; Seume 1803 Spaziergang (W. / 266) Die armen Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit Bonbons aller Art; Detmold 1834 Kunst 36 Da es manchem schwerfallen möchte, die folgenden Phrasen ganz oder zum Teil auswendig zu lernen, so kann man sie auch als Devisen für Bonbons besonders abdrucken lassen und dann durch zweckmäßige Anwendung dieser Bonbons . . die Phrasen unvermerkt auswendig lernen; 1849 Rückblicke 52 auf der politischen Tribüne . . die kleinen Giftkügelchen und Knallbonbons auszustreuen; Niendorf1854 Paris 197 Hübsche Pariser Bonbons-Ideen; Holtet 1863 Letzte Komödiant l 48 [ich wurde] hinter den Coulissen mit ganzen Ladungen Bonbons und anderen Näschereien empfangen; Nordau 1879 Seifenblasen 9 manche Zweige geknickt und unordentlich herabhängend, an anderen statt goldener Aepfel und Bonbons langes Spinnweb schwankend; ders. 1881 Paris I 256 Später ist sie zur Bonbonsschachtel und zum Backwerk . . gelangt; Eckstein 1889 Camilla 222 den roten Bonbonzettel mit der Bleistiftnotiz; Th. Mann 1894 Erz. (W. VIII13) [er] winkte mit einem großen Dessertbonbon, den er hernach mit wichtiger Gebärde in den Mund schob; Bieberstein 1903 Recamier 11 Juliette erhielt von ihm ungezählte Bonbons; Reck 1909 Grossmutter 17 sie herzte und küßte mich und fütterte mich mit Bonbons; zur Megede 1911 Quitt 387 so sanft und so glatt wie ein Lutschbonbon; Schmilz 1913 Frauen 59 sie war neugierig darauf gewesen, wie ein Kind, das einen Knallbonbon öffnet und wissen will, was für es auf dem kleinen Zettel geschrieben steht; Keppler 1921 Mehr Freude l Manche gefallen sich darin, höchst verächtlich von der Freude zu reden — Bonbons für Kinder und Damen!; Lokal-Anz. 30. 12. 1934 Die Amerikaner z. B. lieben einen bei älteren Teppichen ungewohnten himbeer-rosa Farbenton, den die Händler „Bonbonrot" nennen; Süddtsch. Ztg. 19. 4. 1951 als Bonbon wurde nach der Pressekonferenz die erste öffentliche Besichtigung des Hauses geboten; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 308)

urnenartig geformte Glasschalen mit Dessertbonbons und überzuckerten Früchten; Grzimek 1959 Serengeti 47 dann werden wir mit Knallbonbons, einem Häufchen Papierschlangen und künstlichen knallroten Schneebällen aus Papiermache beliefert; Offenburger Tagebl. 20. 10.1961 Trotzdem bleibt die Bonbonwährung („Darf ich Ihnen drei Bonbons herausgeben? Pfennige haben wir nicht!") im Kurs; Grass 1962 Blechtrommel 324 [er] nahm sich auf Anraten der Witwe Greif das Parteiabzeichen vom Rockaufschlag, wußte aber nicht, wohin damit . . er bedauerte mehrmals, den Bonbon nicht oben im Luftschutzsand gelassen zu haben; Offenburger Tagebl. 18. 12.1970 Millionen greifen allabendlich zur flimmernden „Bonbondose"; Welt 31. 7. 1974 der Weltuntergang, den Matta hier voll Vehemenz in schaurig-schönen Bildern mit oszillierenden Bonbonfarben arrangiert; Saarbr. Ztg. 5.10.1979 Und noch ein Bonbon hat der Club für seine Fans: eine Riesentombola (DUDEN 1993); MM 22. 5. 1985 vorher hatte das . . Orchester dem Publikum als Versöhnungsbonbon Ravels Klavierkonzert D-Dur . . geboten; Zeit 3. 1. 1986 die Industrie bekäme das Bonbon einer Unterstützung bei der Sondermüllbeseitigung, müßte aber die Kröte Altlasten-Solidarbeitrag schlucken; MM 16.1.1988 der Benz Coupe Mylord von 1901 steht tomatenrot auf bonbonrosafarbenem Hintergrund, abgehoben in gelben Konturlinien; ebd. 24. 6. 1988 den Großbanken, die gegen die Quellensteuer operieren . . heftete Stoltenberg ein klebriges Bonbon an den weißen Kragen: Luxemburgs Erwägungen zur Einführung einer lOprozentigen Quellensteuer; Spiegel 29. 5. 1995 Da mehr Bedienstete von Bonn nach Berlin müssen als umgekehrt, gibt es für Bonner Umzugsgegner ein weiteres Bonbon: Sie sollen in anderen Behörden unterkommen — ohne ihre dann eigentlich hinfällige Ministerialzulage zu verlieren. bonbonartig: Devrient 1856 Tagebücher II170 Mit Haase Differenzen . . er wollte . . sich möglichst bonbonartig die Rolle einrichten. Bonbonniere: 1786 Journal d. Moden I 68 Born bonnieres von Gold; 1788 ebd. III 442 in goldnen Bonbonnieren; 1796 ebd. XI 377 die Bonbonnieren für eine kleine Portion Dragees; Gotter 1802 Nachlass 272 die versprochene bonbonniere; Heuberger 1806 Handwb. 85 Bon-Bon, Zuckerwerk, welches man in Dosen nachträgt, die man Bonbonnieres nennt; Borne 1840 Ges. Sehr. Ill 117 Das Schmackhafteste aus der Geschichte seiner Zeit . . hat der Herr Ahasverus zusammengelesen, so daß sein Werk eine Bonbonniere voll historischer Bonbons zu nennen ist . . oder um mit Mozin und Heyse reines Deutsch zu sprechen, eine Gutschenbüchse,

Bonhomme angefüllt mit geschichtlichen Süßbrötchen; König 1857 Clubisten I 56 Er sprach viel und naschte dazwischen aus einer Bonbonniere, die er stets bei sich führte; Kürnberger 1874 Siegelringe 208 Bonbonniere voll Praslins; Wallner 1874 Land 164 mit Bonbonnieres beladen; Janitschek 1896 Weib 10 schöne Bonbonieren mit seidnen Schleifen; Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 10 eine emaillirte Bonbonniere; Schmilz 1914 Land 45 eine zu Boden gefal-

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lene Bonbonniere oder Blume aufheben; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 116) acht Bonbonnieren, fünf Tafeln Gala-Peter und vier Pfund Lindtschokolade , . — das alles haben die Damen des Sanatoriums mir . . zustellen lassen; Voss. Ztg. 1. 10. 1929 Das untere Fach dieses Schrankes beherbergt eine Spezialschau mit Ehrgeiz auf Ausbau: Bonbonnieren; Zeit 22.2.1985 seidenbandverschnürte Bonbonnieren. OV

Bonhomme M. (-(s); -s), im frühen 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bonhomme (aus bon 'gut' < gleichbed. lat. bonus, —» Bon, und frz. homme 'Mensch, Mann' < gleichbed. lat. homo). In der Bed. 'gutmütiger, einfältiger Mensch, Biedermann'; dazu seit spätem 18. Jh. aus gleichbed. frz. bonhomie übernommenes Bonhomie F. (- ; -n), in der Bed. 'Gutmütigkeit, Jovialität, Biederkeit, Einfalt'; im 18. Jh. die adj. Gelegenheitsableitung bonhomisch 'bieder, treuherzig, wenig weltgewandt, provinziell', im 19. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Bonhommeschaft F. Bonhomme: 1718 Abentheuerl. Welt H 35 Last seyn, daß was drinn vor den Sitten-Lehren komme,/ Das Gifft liegt doch darbey, so gar, daß ein bon homme/ Sie nicht einst überließt, und das nur nümmt/ in acht; l 781 Journal Tiefurt 23 Profil dieses Jupiters bewundert, welchem der Künstler einen Ausdruck von Unbefangenheit, Gleichmüthigkeit und sorgloser Sicherheit gegeben hat, der ihn zu einem wahren Bon- . ., oder, wenn dieser Ausdruck erlaubt seyn kan, zu einem wahren Bonhomme . . macht; Kindleben 1781 Studentenlex. 88 Guter Mann, ein, franz. bon homme, ein Hahnrey; Kohl 1841 Petersburg l 151 die ärgsten russischen Despoten sind höchst launige und zutrauliche „bons hommes" gewesen; 1849 Rückblicke 53 Unter einem unscheinbaren Äussern, das nur den bon homme und eine gewisse beschränkte Bürgerlichkeit zu verrathen schien; Engels 1868 MEW XXXIi 1700 so einfach geht die Substitution doch nicht, wie der bonhomme das glaubt; Fontäne 1898 Zwanzig 177 er wußt' es nur geschickt und mit einer ihm eigenen Bonhomme-Miene zu verschleiern; Dombrowski 1920 System III 250 Ein vollendeter Bonhomme auf den ersten Blick; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 63) der kurzhalsige kleine Mathematiker mit seinen braunen Kugelaugen, seinen gepolsterten Händen und seinem Bonhomme-Schnurrbart; ders. 1934 Reden u. Aufs. (W. IX 439) Obersteward . ., etwas falscher Bonhomme und guter Geschäftsmann sicher; Heuss 1963 Erinn. 46 nachher setzte er sich zu mir an den Tisch, bonhomme aus Oberschwaben; Spiegel 31.5.1993 dem Bonhomme aus Bremen sieht man an, daß er vom neuen Medienzauber nichts hält.

Bonhommeschaft: Fontäne 1898 Zwanzig 246 Der Tunnel . . hatte doch . . längst weg, was es mit der Bonhommeschaft dieses deutschen Marryat eigentlich auf sich habe. Bonhomie: Lavater 1776 Physiognom. Fragmente II 133 Ein länglichter schlanker Jüngling voll Bonhomie; Goethe 1780 Tagebücher (WA III 1,108) nach Gotha. waren recht gut da, mit vieler wechselseitiger aisance und bonhomie . . Kam mancherley interessantes vor; Becker 1784—86 Reise 80 ein Mann, dem die Bonhomie auf der Stirn sitzt und der herzlich gern lacht; Forster 1791 Ansichten (IX 238) die ungezwungene Artigkeit ihrer südlichen Nachbarn galtet sich sehr angenehm zu ihrer eigenen Simplicität und Bonhommie; Riem 1799 Reise l 41 Züge von Gutmüthigkeit, Bonhommie; Heinzmann 1800 Fruehst. 190 Ehrlichkeit (bonhomie); Seume 1803 Spaziergang (W. I 181) In Mähren scheint mir durchaus noch mehr Liberalität und Bonhommie zu herrschen als in Böhmen; Sartori 1812 Reise l 101 Mit einem Träger, dessen Bonhomie, mit seiner Stupidität im Gleichgewicht stand; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (HA X 164) nichts von der unaussprechlichen Bonhomie, mit welcher er Warnung und Tadel, sogar Vorwürfe und Unrecht, annimmt und duldet; Lewald 1836 Leben l 123 Auch Salieri fand man dort, mit einer so liebenswürdigen Bonhommie, wie sie wohl selten bei einem Italiener angetroffen werden wird; Kohl 1841 Petersburg I 151 Die Bonhommie, die „bona fides", die Aufrichtigkeit, die sich in dem ganzen Wesen des Russen ausspricht; Niendorf 1854 Paris 89 Naivität, Bonhomie, oder Unverschämtheit; Holtet 1863 Letzte Komödiant II 57

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Bonmot

Der Mangel an geistiger, oft an geselliger Bildung wurde ausgeglichen durch treuherzige, ungeschminkte Bonhomie; Dincklage 1870 Gesch. I 29 Vater: dick, graumeliertes Haar, blaue Augen, derbe Nase, großer Mund, Ausdruck von Bonhommie und Mangel an Pommade; Nürnberger 1874 Siegelringe 81 diese echt französische Bonhommie; Koch-Breuberg 1891 Jahre 46 ein älterer Mann, dem man die Bonhomie vom Gesicht las; Fontäne 1898 Zwanzig 592 ein stattlicher Mann voll Bonhommie; Voss 1901 Fra Checco 6 er . . steckte die Verwünschungen und wütenden Ausfälle gegen sein Kleid und seinen Gott mit derselben echt christlichen Demut und Bonhomie ein; Tb. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. X 416) wie ihn, geistig, eine gewisse Bonhomie näher zu Fontäne stellt; Benjamin 1923 Br. I 314 ohne Hinterhalt und ohne Bonhommie wird er auch mit dem Ausländer reden können; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. XI429) Ojetti. ., der große Journalist und Kritiker, Italiener von Kopf zu Fuß in seiner Bonhomie und Energie; Lokal-Anz. 12. 8. 1934 Schon auf dem Weg . . fiel ein Teil seiner Bonhomie von ihm ab . . aus dem guten Onkel wurde unvermittelt der hohe Beamte; Münch. N. N. 16. 6. 1944 den stets „gut gelaunten", krachend lachenden unproblematischen Duchschnittsamerikaner voll posiertet Bonhomie; Welt 12. 2. 1949 mit der souveränen Bonhomie und gutgespielten Bescheidenheit des klugen Stars; NZ. (Basel) 12. 4. 1950 Der schlichten Bonhomie des Präsidenten ist diese bissige Ag-

gressivität .. offenbar als verletzende, unkameradschaftliche Böswilligkeit vorgekommen; Näf 1954 Bilder 149 jenen kraftvollen Bauern . . der das ungute Kriegszeug mit so selbstverständlicher Bonhomie behandelt, dass es darüber die Unverfänglichkeit von Haustieren gewinnt; Jaspers 1958 Atombombe 213 die geselligen Formen der Höflichkeit, der Bonhommie, der Vertraulichkeit verschleiern, daß der potentielle Kampf durch Gewalt hinter jedem Wort steht; Boderer 1962 Merowinger l 288 Döblingers Art zu sein war . . von einer aufdringlichen, geschwollenen Bonhommie; Zeit 4. 1. 1985 der Kanzler mit seinem Hang zu fröhlicher Laune mag sich zwar als Muntermacher wähnen, einer Vielzahl von Wählern bereitet aber seine bekennende Bonhomie mindestens ebensowenig Vergnügen wie die Pannen und Profilierungsprobleme seines Kabinetts; ebd. 22. 8.1986 der aus seiner vitalen Bonhomie und bürgerlichen Wohlanständigkeit . . ins Nichts stürzende Bürgermeister; MM 30. 9. 1989 Bei aller Bonhommie .. wußte sie immer sehr genau, was sie wollte; Spiegel 9. 10. 1995 mit der großbürgerlichen Bonhomie eines gebildeten Herrn aus gutem Hause. bonhomisch: Goethe 1787 Br. (WA IV 8,293) ein verwegnes Unternehmen, mit denen mir bezeichneten Personen, mit einer ganz bonhomischen, ununterrichteten, so gut als mit dem Lande unbekannten Carawane einen Zug durch diese Gegenden anzutreten. OV

Bonmot N. (-s; -s), im späten 17. Jh. entlehnt aus der gleichbed. frz. festen Wendung hon mot, eigentlich 'gutes (richtiges) Wort' (aus hon 'gut' < gleichbed. lat. bonus, —> Bon, und frz. mot 'Wort' < vulgärlat. *mottum < spätlat. muttum 'Muckser'), anfangs vereinzelt in frz. Syntagmen und gelegentlich, da noch als Wendung empfunden, mit Pi. bons mots, bonsmots (vgl. auch Beleg 1947). In der Bed. 'geistreiches, treffendes Wort, witziger Ausspruch, geistreiche Bemerkung, Pointe' (—» ). Dazu seit frühem 18. Jh. die veraltete Personenbezeichnung Bonmotist 'jmd., der Bonmots von sich gibt', im 18.719. Jh. die verbale Ableitung bonmotisieren 'geistreich witzeln, Bonmots aussprechen' und die adj. Gelegenheitsableitungen bonmotistisch (früheres 19. Jh.) und bonmotartig (frühes 20. Jh.). Bonmot: 1685 Abdruck 31 Voila, sagt er/ l'apparence d' un bon mot; 1705 Auserles. Anm. H 167 weil der Titel gnugsam zu verstehen giebet/ daß sie allerhand critische/ Historische und moralische Gedancken in sich fassen und von denen bons mots oder lustigen Schwencken weit entfernet seyn; 1708 Leopold d. Große I 227 Er pflegte bonsmots zu reden, welche eine grosse pointe und Verstand zeigeten; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 103

Und hier muß man suchen/ dasjenige in Übung zu bringen/ welches die Frantzosen Maniere nennen/ und welches gemeiniglich mit einem bon mot begleitet ist; Picander 1726 Schauspiele 48 Lauter bons mots, du sollest dich in die Zunfft der hiesigen Bonmotisten und Raisonneur-Lade wohl schikken; 1733 Gundlingiana XX 392 Die bon mots, oder sinnreiche Ausdrückungen; Philippi 1743 Reimschmiedekunst 50 Händel über einem beis-

Bonvivant senden Scherz und stachlichten bon-mot anfangen; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 155) die Geschichte eines bon-mot; Herder 1767 Dtsch. Literatur (S. W. I 287) wenn die Franzosen ihre Aesthetische -Mots nun denn oft gnug wiederholt . . haben; 1776 Bibl. f. Schauspieler I 2,79 Unser Schneider, ein an bons mots reicher Mann; Michaelis 1776 Räsonnement IV 208 ein einziges ungeschicktes und grobes bon mot; Leisewitz 1780 Tagebücher 77 Ich traf Baidinger da an, der noch immer die alten Bon mots hat; Bretzner 1787 Leben l 279 ein Paar schaale Bonmots; Nicolai 1790 Anekdoten H. V 111 Ein solches kurzes bon-mot frappirt, darum mag man es gern lesen; Bahrdt 1790 Lebensbeschr. I I 1 1 2 mit Bons Mots unterhalten; 1791 Journal d. Moden VI 29 eine Anekdote, die als Bonmot dieser Tage durch die hiesigen frivolen Zirkel lief; Seume 1803 Spaziergang (W. l 518) Man sagt sich hier und da still und leise mehrere Bonmots, die seinen Stempel tragen; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 906) Dreitausend fatale Bonmots hatte der Notar allemal schon gelesen; Mutius 1810 Br. 117 mit all den witzigen Redensarten und bonmots, deren sie sich gegeneinander bedienten; Goethe 1816-17 Italien. Reise (WA I 32,109) Abends geht man in die Komödie, wo Pulcinell die Hauptperson ist, und trägt sich dann einen Tag mit den bonmots des vergangnen Abends; Nürnberger 1855 Amerikamüde 178 [der] dem Prinzen Ligny zu einem seiner unzähligen Bonmots Veranlassung wurde; Fontäne 1883 Petöfy 102 alles, was von medisanten Bonmots in Kurs gesetzt werden konnte; Niebergall 1911 Person 76 ebenso lieben wir alle das Bonmot und überhaupt manche Art von Anekdote; Eulenberg 1923 Erscheinungen 112 schien [ihn] zum erstenmal zu verblüffen und zu dem einzigen Bonmot seines Lebens anzuregen; Kesten 1932 Scharlatan 329 er wollte wirklich kein Bonmot von solcher Tiefe prägen; Uexküll 1936 Welten 61 Am Hofe Alexanders II. war Keyserling sehr beliebt wegen seiner Bonmots; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 725) das paradoxe Bonmot des seiner Zeit voranstürmenden Binding; Dörfler 1947 Sohn 148 die wirklich berüchtigten Bons-Mots; Neue Ztg. 9. 5. 1950 Das Premierenpublikum freute sich hörbar mehr an den vielen pointierten Bonmots und den halbausgesprochenen Andeutungen; Kesten 1952 Casanova 163 [sie] war sechsundzwanzig Jahre alt, geistreich, lebhaft, ohne Vorurteile und voller Bonmots; Bad. Ztg. 24.7. 1958 mit lauter intelligenten Bonmots; Fichte 1974 Versuch 84 meine Großmutter beherscht die Unverblümtheit und das Bonmot (DU-

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DEN 1993); Zeit 8. 5. 1987 soll das Bemühen um „Allgemeinbildung" heute nicht, einem Bonmot gemäß, dazu führen, daß man über immer weniger weiß, bis man über alles nichts weiß, muß der Bildungsbegriff umgewertet werden; MM 21. 1. 1988 der grüne Fraktionschef . . kennt seine rhetorischen Stärken und die Wirkung seiner Bonmots; Zeit 28. 7. 1995 [sie] schießen einander giftige Bonmots in die Brust. bonmotartig: Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. X 211) dieser Satz steht in einem gewissen Widerspruch zu einem anderen bonmotartigen, der in diesen Tagen gefallen ist. bonmotisieren: Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge l 199 wenn beim fein raffinirten . . Diner oder Souper bonmotisirt wurde; 1797 Handlungsbibl. 269 Anm. es fehlt ihm an Geduld, die Sache zu erklären; er sophistisirt und bonmotisirt, anstatt zu entwickeln; 1800 Berlin. Archiv I 125 Der Franzose, der das Bonmotisiren auch auf dem Schaffet noch nicht lassen kann; Varnhagen v. Ense 1814 Buch d. Andenkens II183 Das Gute dabei ist aber das: daß .. ich von der lustigsten bonmotisirendsten, heitersten Gemütsstimmung bin; Nestroy 1853 S. W. VIII37 Wenn die Männer nur über die alten Frau'n bonmotisieren können. Bonmotist: Picander 1726 Schauspiele 48 Lauter bons mots, du sollest dich in die Zunfft der hiesigen Bonmotisten und Raisonneur-Lade wohl schikken; Riesbeck 1784 Br. 82 Er hat viel Studium, ist ein Kenner der alten und bekanntesten neuen Sprachen, . . ein guter Gesellschafter, Bonmotist; Knüppeln 1784 Charakteristik v. Berlin I 26 die Gemeine beschwerte sich deshalb beym König, und dieser große Bonmotist unter den Bonmotisten antwortete; Heynatz 1797 Antibarbarus U 644 Wird ein Bonmotist nun Witzwörter heißen müssen?; Meist 1820 Quodlibet (l 103) Elender Bonmotist, jetzt hab ich satt [Deine Sprüche zu hören]; Nestroy 1833 S. W. Ill 299 O, elender Bonmotist; Auerbach 1875 Gedanken 249 Tiefere poetische und philosophische Naturen sind selten oder nie Bonmotisten; Dessauer um 1899 Der Deutsche Humorist. Auswahl der . . Unterhaltungs-Gespräche des weltberühmten Bonmotisten .. (Titel). bonmotistisch: Nestroy 1844 S. W. XII 122 O Freund, mir is nicht bonmotistisch zu Mut. 0V

Bonvivant M. (-s; -s), Anfang 18. Jh. entlehnt aus der gleichbed. frz. Wendung bon vivant, eigentlich 'gut Lebender' (aus adv. gebrauchtem bon 'gut' < gleichbed.

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Bonze

lat. bonus, —> Bon, und frz. vivant 'Lebender', subst. Part. Präs, von vivre 'leben' < gleichbed. lat. vivere). Zunächst in der Bed. 'Lebemann, Genußmensch, lustiger Bruder, jmd., der gut zu leben versteht' (s. Belege 1719, 1760), seit spätem 18. Jh. als Terminus des deutschen Theaters für das Fach des intriganten Weltmanns, seit früherem 19. Jh. für das Fach des leichtlebigen, eleganten Salonlöwen (s. Belege 1879, 1929). Dazu im späteren 18. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Bonvivanterei F. Bonvivant: Callenbach 1714 Puer 79 kommt jemand zu ihm ein bon vivant agiren, als wäre bey ihm alles wohl auf; Marperger 1716 Küchendict. 348 b Die Bon Vivants unter ihnen sind einer guten Bouteille Wein und einem delicaten Bißlein/ . . sehr ergeben; ebd. 711 b Die Frantzosen nennen den/ welcher gerne mit machet/ un bon vivant, einen Wohllebenden; 1719 Abentheuerl. Welt Vlll 13 ein bon Vivant; 1760 (Mannlich 1910 Erinn. (St.) 36) war ein heiterer Geselle, liebenswürdig und auch das, was man einen Bonvivant nennt; Becker 1784—86 Reise 22 ein gutmütiger Bonvivant; 1787 Journal v. u. f. Deutschland l 363 Im Umgang war er ganz angenehm, bon vivant, kein Pedant, ein wenig Weltmann und Freigeist; Iffland 1795 Aussteuer (Theatral. W. VI 97) Das ist er: ein Spieler, Bonvivant, Egoist, Großthuer; Laukhard 1796 Leben u. Schicksale 111 73 ein wahrer Bon-vivant, der blos für seinen Bauch sorgte; ders. 1800 Erz. l 342 Dabey war er doch ein Bon Vivant, liebte das Spiel, ein gutes Glas Rheinwein, und puzte sich über Stand und Vermögen; Schmeller 1802 Tagebücher I 79 Ein Pfarrer . . Allem Anschein nach ein Bonvivant; £. T. A. Hoffmann 1814 S.W. I 70 Ein Bonvivant, der Wein und Mädchen über die Maßen liebt; Meisl 1820 Quodlibet (l 29) Ein Elegant, ein Bon-vivant, ein Adorateur/ Aller schönen Mädchen; Wolff 1823 Cäsario (l 246) Ein allerliebster kleiner Bonvivant, er ist wie toll in mich verliebt; Glassbrenner 1836 Bilder I 139 den jungen Wiener Bonvivants, die keine Ahnung von wahrhaften Verdiensten um Menschenwohl haben;

Gutzkow 1850 Ritter I 328 Sie duldete an ihrem Manne nie das träge schleichende Aufkommen einer griesgrämigen Stimmung, von der der alte Bonvivant keineswegs ganz frei war; Springer 1868 Berlin 177 Die fein gekleideten Bonvivants der Handelsstadt; Spitzer 1879 Herrenrecht 7 der neu engagirte Schauspieler für die Rollen von Bonvivants soll ein Jude sein!; Suttner 1896 High-life 17 Herzog Emil war ein Feinschmecker in litterarischen Dingen, ein Bonvivant; Berl. Illustr. Nachtausg. 29. 11. 1929 Mattoni, der fesche Darsteller junger Bonvivants; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 94 der Wiener Bonvivant par excellence; Munch. N. N. 17.5. 1938 Für die Hauptrollen sind . . verpflichtet .. der singende Bonvivant Toni Nießner; NZ. (Basel) 30. 7. 1949 der Fall des sehr gut aussehenden Bonvivants, dessen Intelligenz sich mit seiner äusseren Erscheinung nicht messen konnte; Süddtsch. Ztg. 2. W. 1959 Riemann, gefeierter Liebhaber und Bonvivant auf Berliner Bühnen und in Filmen der alten Ufa; Lentz 1976 Muckefuck 153 der einstige Bonvivant war nur äußerlich noch einer; 1977 Hörzu XXII 55 Angefangen hat er als singender Bonvivant am Metropoltheater in Berlin (beide DUDEN 1993); Zeit 31. 10. 1986 der Bonvivant in Seidenanzügen von Giorgio Armani; Spiegel 28. 2. 1994 Rezzori über Literatur, Frauen und sein Leben als Bonvivant (Überschr.); Zeit 28. 7. 1995 die Kolumnisten, Autoren, Zeilenschinderinnen und Bonvivants. Bonvivanterei: Lavater 1775 Physiognom. Fragmente l 222 weibliche Bonvivanterey. OV

Bonze M. (-n; -n), selten auch Bonzin F. (-; -nen), Ende 16. Jh. über gleichbed. frz./engl. bonze, port, bonzo wohl entlehnt aus Japan, bonso/bozu 'buddhistischer Mönch oder Priester' (< chines, fanseng 'fremdländischer Mönch', weitere Herkunft ungeklärt), anfangs auch in den Formen Bonzi, Bonzier, Bonse, Bontze. a Zunächst als Bezeichnung für buddhistische Priester und Mönche Japans und Chinas; dazu die subst. Gelegenheitsableitung Bonzerei F. 'Amtsbezirk eines Bonzen'. b Seit späterem 18. Jh. (von den Aufklärern, vor allem Wieland) abwertend gebraucht für bigotte Geistliche eines jeden Glaubensbekenntnisses (s. Belege 1766, 1775, 1792); ausgehend von deren geistiger und ideologischer Unbeweglichkeit seit

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dem 19. Jh. auch allgemein und schlagwortartig für Reiche, Hochstehende, herrschsüchtige Vorgesetzte, (höhere) Beamte, bes. als Terminus der Studenten- und Soldatensprache für Lehrer, Schulräte, Rektoren, militärische Kommandeure (s. Belege 1895, 1974, 1986), häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Bonzenheer 'Beamtenheer', Literatur-, Kathederbonze 'Universitätslehrer' und Bierbonze 'großer Trinker', Kommißbonze 'Militärpfarrer' und bes. Oberbonze; vereinzelt schon im früheren 19. Jh. (s. Beleg 1843), verstärkt seit Ende 19. Jh. als Spottwort im politischen Bereich, bes. in der Arbeiterbewegung, in der Bed. 'verständnisloser, auf den eigenen Vorteil bedachter, hochstehender Würdenträger; Funktionär von Parteien oder Gewerkschaften, der sich nicht um die Belange anderer kümmert, egoistische Parteigröße', oft konnotiert mit „engstirnig, überheblich, einflußreich" (s. Belege 1929, 1933, 1945), in der Zeit des Nationalsozialismus für Marxisten und Kommunisten gebraucht (s. Belege 1932, 1933), häufig in Zss. wie Parteibonze, Bonzenghetto 'Wohnsiedlung hoher Regierungsbeamter' (bes. in der DDR gebräuchlich), -Schlitten 'Auto eines hohen Funktionärs', -regierung, -wesen, -Wirtschaft und veraltet Bonzenheber 'Fahrstuhl für Direktoren, leitende Angestellte, Besucher u. ä.'. Dazu seit Anfang 19. Jh. die subst. Ableitungen Bonzentum N. (-s; ohne Pl.) 'Gesamtheit der Bonzen; beherrschende Stellung der Bonzen' (zu a und b) und vereinzelt Bonzenschaft F. (-; ohne Pl.) (zu b). Seit den 30er Jahren des 20. Jhs. die in Anlehnung an —> Bürokratie aus Bo«z-, s. o., und -(o)kratie (aus griech. 'Herrschaft', zu 'Macht, Stärke', zu 'herrschen') gebildete neoklassische Kombination Bonzokratie F. (-; ohne Pl.) in der Bed. 'Herrschaft, übermäßiger Einfluß der Bonzen', gleichzeitig die seltene Personenbezeichnung Bonzokrat M. (-en; -en) und die adj. Ableitung bonzokratisch (alle zu b). Bonze a: 1598 Orientalisch Indien U 75 Sie [Japaner] haben fast eine Religion mit denen in China, haben jhre Abgötter, vnd deren Priester, welche sie Bonses nennen, vnd in grossen Würden halten; Zeiller 1653 Dialogi 517 Ihre Priester oder Bonzes; Prancisci 1677 Trauersaal III 954 Nachdem der Kloster-Vogt/ und Oberster unter den Bonziern/ daselbst/ ihn empfangen: wurden alle Ab- und Zugänge mit Soldaten besetzt; Schönaich 1754 Ästhetik 241 jener [that] so ernsthaft, als ein Bonze; Meiners 1776 Sehr. Ill 222 In ihrem äußern Gesetz, das die Bonzen dem Volke predigen, tragen sie die Geschichte des Fo, und seiner Vergötterung vor; vor 1871 Globus VII 327a Im südlichen Ghina giebt es auch Bonzinnen (SANDERS 1871); Liliencron 1896 Poggfred (XU 88) Aus Asien kamen sie und drängten, eilten,/ Bis endlich fern der Kaukasus entschwand./ Mit ihren Götzenbildern, Bonz und Sklav; ND 15. 5. 1954 [es wurde] behauptet, in Kambodscha seien „ein Unterpräfekt, ein Krankenpfleger und ein Bonze (Prediger)" getötet worden. Bonzentum: Seume 1806-07 Apokryphen (W. U 96) Was die ehrlichen Heiden baueten, hat des

christlich Dalai Lama Bonzentum in eine Wüste verwandelt; Immermann 1836 W. V 202 im Grunde ist's [die indische Mythologie] verkappter Katholicismus, der mit uraltem Bonzen- und Pfaffenthume eingeschwärzt werden soll. Bonzerei: Wieland vor 1813 S. W. XVI 143 Man messe zu einer jeden Derwischerei und Bonzerei so viel Land, als sie zu ihrem Unterhalte vonnöthen haben (KEHREIN). Bonze b: Wieland 1766 Ges. Sehr, l 6,77 da er selbst von seinem System besser überzeugt war, als irgend ein Bonze von der Kraft der Amulete, die er seinen . . Gläubigen austheilt; ders. 1775 W. XXXII 220 Dieses unscheinbaren Aufzugs ungeachtet, hatte der Mann etwas in seiner Gesichtsbildung und Miene, das mich für ihn einnahm, und überdies schien er zu einem Orden zu gehören, dessen Bestimmung in meinen Augen so ehrwürdig ist, daß ich dem geringsten Mitgliede desselben (insofern er kein Bonze ist) mit ebensoviel Ehrerbietung zu begegnen gewohnt bin, als ob es der Erzbischof zu York oder der Cardinalvicarius wäre (LADENDORF); 1782 Almanack d. Belletristen 28 Wir nei-

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den nicht das Bonzenheer/ Um seine dikken Köpfe; Alxinger 1784 Poet. Sehr. 125 Wo man noch gern nach Amuletten greift,/ Und Gold dafür in Bonzensäcke häuft; Heinzmann 1792 Feyerstunden 180 In den Katholischen Ländern, so wie überhaupt da wo die Mönche und Bonzen noch Beschwörungen treiben; Seume 1793-1811 Kl. Sehr. (W. U 368) hier erzählte ein Abenteurer mit Bonzenweisheit ein Märchen aus Tausend und Eine Nacht; Christ um 1800 Schauspielerleben 120 die Bonzen aller Sekten; Seume 1803 Spaziergang (W. l 467) Christus hat gewiß seiner Religion keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat; Lang um 1820 Memoiren II 279 Reformationsfeier, welche nichts als Samen der Zwietracht unter die beiderseitigen Bonzen und Zeloten ausgestreut; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre l 56 das ist die Art, wie diese Bonzen und Paschas von so und so viel Gänsekielen sich am Ruder halten; 1852 Prutz' Museum II 250 Die kritischen Bonzen knien vor den Dalailamas der Nationalliteratur; Raabe 1864 Hungerpastor 138 Es war für den Redner nicht gerade angenehm, . . durch ein ärgerliches Klopfen des Stiefelknechtes an der dünnen Wand akkompagniert zu werden und dumpf dazwischen allerlei böse Wünsche für den „wahnsinnigen Bonzen" zu vernehmen; 1895 Dtsch. Dichtung XVIH 125 daß in Freytag's Führung als Breslauer Dozent nichts war, was irgend einem anderen Menschen, als eben einem Kathederbonzen die Haare hätte sträuben können; Hörn 1905 Soldatenspr. 54 Seinen unmittelbaren Vorgesetzten nennt der Offizier heute seinen Brotherrn oder auch Bonzen; Hammerstein 1916 Februar 63 Aber da sind eure Hausbonzen, eure Götzen, eure Gebetbücher und Gebetschnüre und Heiligenbilder; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. XI 368) worauf es aber ankommt, ist, nicht allzu sehr zum Lebensbürger zu werden, sich von Sympathie, Vertrauen und Ehrungen nicht zum Bonzen, zum ethischen Magister machen zu lassen; Ponten 1926 Siebenquellen 86 In einer künstlerischen Monatsschrift entrüstete sich ein Kunstbonze darüber, daß gewerbsmäßige Fälscher, Antiquitätenhändler und andre die neuen Erzeugnisse als historische Kunstobjekte verkauften; Stein 1929 Schmied Roms 21 die krakehlenden Gewerkschaftsbonzen; Münch. N. N. 8.1. 1929 Die Bonzen kamen und die Bonzinnen: drei Stadträte, vier alte, feine Damen; Fallada 1931 Bauern, Bonzen und Bomben (Titel); Rosenberg 1932 Blut u. Ehre 294 marxistische Bonzen (TRÜBNER); Berl. Illustr. Nachtausg. 30. 5. 1933 [die] Stadt übernahm immer mehr Aufgaben, nur um neue Pöstchen für Bonzen zu schaffen; Volk. Beob. 30. 12. 1933 Die Macht der roten Bonzen in Stadt und Land ist zwar durch den Sieg

des Nationalsozialismus überall gebrochen worden (TRÜBNER); Lokal-Anz. 13.6.1934 Da schreit aus der Ferne der Küchenbonze; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 167) vor allem aber bin ich kein offizielles Tier, kein nationaler Würdenträger, kein Bonze, der, wenn er spricht, es in dem Bewußtsein tut, Deutschland gegen das Ausland zu repräsentieren; Süddtsch. Ztg. 26. 7. 1946 Während der Nazizeit war der Tegernsee bekannt und berüchtigt als „Bonzenparadies"; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 222) gehäufte Selbstmorde unter den Nazibonzen, die nun ihre vorsorglich verteilten Blausäure-Kapseln zerbissen; Hitter 1950 Köpfe I 31 Die Impotenz einer bis ans Idiotische verkalkten Bonzenbürokratie wäre der Arbeiterbewegung mit einem Schnitt fortoperiert; Süddtsch. Ztg. 21.8. 1951 daß es um so wichtiger ist, mit den Deutschen der Sowjetzone trotz aller Schwierigkeiten das Gespräch zu suchen . ., je eindeutiger jedes Gespräch mit den „Bonzen" jener Zone abgelehnt werden muß; Remarque 1954 Zeit 126 Aber vielleicht konnte gerade er ihm deshalb helfen, seine Eltern zu finden . . Gerade, weil er ein Parteibonze war; Heuss 1963 Erinn. 433 aber, meine Herren Nationalsozialisten, während Sie sich hier noch als „Elite" installieren, sind im Hintergrunde Ihre Leute schon dabei, zu entdecken, daß sie bloß „Bonzen" seien; Welt 26.11. 1974 daß der Schulleiter in den „Drucksachen" als „Boß — Gefängniswärter — Oberbonze oder Leithammel" bezeichnet wird; Ziegler 1975 Konsequenz 94 die Bonzen regieren, und wir kleinen Schweine werden in die Pfanne gehauen (DUDEN 1993); Zeit 24. 1. 1986 der Unmut gegen Partei- und Gewerkschaftsbonzen wächst deutlich; ebd. 5. 9. 1986 aus dem Sylter „Bonzenrestaurant Auster-Traum" dringt in einer Sprechblase die Stimme des Kellners; Frankf. Rundsch. 6. 2. 1990 mit Staunen, aber auch mit einiger Genugtuung über das am Ende einer im Arbeiter- und Bauernstaat als völlig ungerecht empfundenen Bevorzugung werden die 23 Villen der abgesägten „Bonzen" besichtigt; Die Andere Ztg. 30. 8. 1990 eines scheint klar: Eier-Krause ist in altgewohnter Bonzen-Manier Schäuble und Kohl in den Arsch gekrochen, damit die ihre neobismarcksche Politik durchziehen können; Spiegel 7. 8. 1995 Wandlitz war das Refugium für die Beton-Bonzen der SED. Bonzenschaft: Wieland vor 1813 S. W. VII 170 Bonzenschaft (SANDERS 1871); Scherr 1870 Farrago 522 die römische Bonzenschaft; ders. 1876 Größenwahn 112 Die Bonzen .. traten eifrig für das bockelson'sche Königthum in die Schranken, natürlich unter der gewiß vorher vereinbarten Bedingung, daß die Bonzenschaft bei dem Geschäfte nicht zu kurz käme.

Boom Bonzen turn: 1840 DVjS III 262 den dürren beschränkten Kastengeist aller Arten, den Nimbus des Bonzenthums; Schuselka 1849 Fahrten II 94 das geheimnisvolle Ceremoniell der Höfe mit seinem Prunk und Pomp wirkt in politischer Beziehung auf die Menge so, wie die Gaukeleien des Papst- und Bonzenthums in religiöser; Sehen 1865 Blücher l 44 der große Grundsatz gegenseitiger Duldsamkeit [griff] immer entschiedener Platz und ermuthigte die gekrönten Aufklärer zu und bei ihrer Bekämpfung eines abgeschmackten und herrschsüchtigen Bonzenthums; Liliencron 1878 Ausgew. Br. I 85 Es war mir vor allem darum zu thun, erst einmal das kennen zu lernen, was der plumpe Protestantismus bei Euch „Götzendienst und Bonzenthum" nennt; Jodl 1907 (Vom Lebenswege II 456) daß sie [römische Kirche] nicht längst dem Schicksal ihrer Schwester, der orthodoxen Kirche Rußlands, verfallen ist und in ein ödes geistliches Bonzentum ausgeartet ist; Bebe! 1908 Ausgew. Reden l 470 Das protestantische Bonzentum stand dem katholischen Pfaffentum in nichts nach; Kleinstück 1927 Beamtentum 19 der vor allem in Krisenzeiten sich fühlbar verstärkende Widerstand der proletarischen Massen gegen das „Bonzentum", eine fast immer zum Scheitern verurteilte Auflehnung gegen die Allmacht der Parteiund Gewerkschaftsbureaukratie; Voss. Ztg. 21. 9. 1930 Und wenn auch die moralische Integrität im großen ganzen erhalten blieb, so hat sich doch eine Aemterpatronage und ein „Bonzentum" entwikkelt, das wachsenden Anstoß erregte; Berl. Illustr. Nachtausg. 11. 3. 1933 Vierzehn Jahre lang haben wir in den Kommunen, insbesondere in Berlin, die Mißwirtschaft eines sozialdemokratischen Bonzentums bis zur Neige auskosten müssen; Halbe 1935 Jahrhundertwende 82 [dem] literarischen Bonzentum verfallen; Tritsch 1954 Erben 71 Mandarinentum, Rentnertum, Bonzentum; Th. Mann 1954 Re-

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den u. Aufs. (W. X 824) das Absinken des kulturellen Niveaus, .. die Stumpfheit im Hinnehmen von Untaten einer politisierten Justiz, Bonzentum, blinde Gewinngier . . sind ein schlechter Schutz gegen den Ausbruch eines dritten [Weltkrieges]; Heuss 1963 Erinn. 433 weil das, was sich selber für Elite hält, auf einmal, von dem anderen aus gesehen, nichts weiter ist als „Bonzentum"; Spiegel 23. 4. 1984 Für mich ist die Rotation auch so ein Instrument, einfach mal das Bonzentum auszuhebern (DUDEN 1993). Bonzokrat: Aussiger Bonzokrat.

„Stadtfackel" 13. 12. 1935

Bonzokratie: Renn 1930 Nachkrieg 125 Ich bin Führer des Matrosenbataillons! Nicht sehr beliebt bei der sozialdemokratischen Bonzokratie; LokalAnz. 16. 3. 1933 Es ist undenkbar, die Bonzokratie und Bürokratie der Systemparteien zu beseitigen und die der Systemgewerkschaften als „Vertretung" der deutschen Arbeiter und Angestellten zu belassen; Süddtsch. Ztg. 19. 10. 1948 Sache der Freiheit . ., die doch Dr. Erhard gegen eine „seelenlose Bürokratie und Bonzokratie" verteidigen will; ebd. 8. 3. 1953 die Bonzokratie in ihrer ganzen Schamlosigkeit; F. A. Z. 27. 10. 1971 denn keine Bonzokratie wird mit dem echten Unternehmer oder Manager erfolgreich konkurrieren können; Spiegel 26.4. 1993 Die Rechnungsprüfer stießen auf unglaubliche Fälle von Günstlingswirtschaft, die an die unselige DDR-Bonzokratie erinnern. bonzokratisch: 1930 Ber. Dtsch. Hochschule f. Politik VIII 44 unter dem Gesichtspunkt der Reinigung des echten arbeiterrevolutionären Marx von den „bonzokratischen" Folgerungen seiner vermeintlichen Jünger. OV

Boom M. (-s; selten -s), Ende 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. amerikan.-engl. boom (vermutlich zu lautmalendem engl. boom 'Gebrumme, Sausen, Dröhnen', zu boom 'summen, brummen, brausen, mit großer Geschwindigkeit segeln'). Als Terminus der Wirtschaft in der Bed. '(durch bes. Ereignisse ausgelöster, plötzlicher) wirtschaftlicher Aufschwung, Hochkonjunktur, Hausse an der Börse' (—» Konjunktur, —» Hausse) (s. Belege 1943, 1964, 1970), als Bestimmungswort in Zss. wie Boomjahr, -Branche, -zeit; dann auch auf andere Bereiche übertragen für 'starkes Ansteigen, Zuwachs, plötzliches gesteigertes Interesse an/für etwas, das dadurch sehr gefragt ist oder populär wird' (s. Belege 1959, 1961, 1987), dabei sehr häufig als Grundwort in Zss. wie Bio-, Kunst-, Geburten-, Baby-, Bildungs-, Auftrags-, Bau-, Börsen-, Auto-, Export-, Kosten-, Erdöl-, Immobilien-, Investitions-, Verpakkungsboom, seltener auch von Personen, z. B. Rilke-Boom, Hesse-Boom und in Wendungen wie einen Boom auslösen, konstatieren, etwas erlebt, verursacht einen Boom.

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Dazu in neuerer Zeit die verbale Ableitung boomen V. intrans. (< engl. boom, s. o.) in der Bed. 'einen Boom erleben, stark anwachsen, sich rasch ausweiten, blühen' (—» prosperieren); gleichzeitig die adj. Ableitungen boomartig und boomhaft 'in Art und Weise eines Booms' (vgl. engl. boom-like). Boom: 1898 D. Neue Jahrhundert l 1057 Bestreben der Bodeneigentümer und Spekulanten, bei den schlechten Zeiten die Grundstücke zu behalten, bis ein neuer 'boom' die Preise zu der gewünschten Höhe steigert. Was boom heisst? Das ist ein amerikanisches Wort und unübersetzbar, — Hausse könnte allenfalls der Finanzier sagen — es bedeutet das Gegenteil eines allgemeinen Bankerotts; 1903 Preuss. Jahrb. CXIV 110 eine Folge der nach dem Boom und der ungeheuren Hausse sich geltend machenden Reaktion; Münsterberg 1904 Amerikaner l 400 Überanforderung an die Eisenbahnen, die der grosse „Boom" der letzten Jahre brachte; Schmilz 1914 Land 15 das zwölf Stunden im Regen auf den Zug wartende Volk, der ungeheure „boom", zu dem die Spekulation in Fensterplätzen führte; Kircher 1926 Engländer 318 die Möglichkeit zum erfreulichen Verdienst hat einen wahren Boom für Journalismus aller Art geschaffen; N. Z. Z. 15. 12. 1943 Demobilisierung der Kriegsindustrie, . . die während des Krieges den grössten „Boom" erlebte; Süddtsch. Ztg. 1. 9. 1950 „Boom" ist ein Wort, das bereits nach dem ersten Weltkrieg in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen ist und jene sprunghafte, hektische Aufwärtsbewegung der Konjunkturentwicklung bezeichnet, die aus besonderen Anlässen, nicht aber aus normaler wirtschaftlicher Weiterentwicklung entsteht . . Dem „Boom" pflegt der „Slump", der Zusammenbruch eben jener unnatürlichen Sonderkonjunktur, zu folgen; ebd. 30. 9. 1954 zum grössten Boom in der Bauindustrie; ebd. 30. 10. 1959 So wie es nach der Währungsreform eine Freßwelle, einen Bekleidungsboom, eine Reisehausse und eine Vergnügungshochkonjunktur gab; ebd. 5. 5. 1961 Von den deutschen Expressionisten erzielten einzelne Bilder und Aquarelle hohe Preise. Jedoch ist der „Boom" vorüber; Spiegel 10.4. 1963 im internationalen Brecht-Boom dieser Jahre (AWB); Offenburger Tagebl. 30. 5. 1964 Die deutsche Wirtschaft hat zu ihrer vierten Boomperiode nach dem Kriege angesetzt; FAZ 25.5. 1970 Kein Boomjahr für das Handwerk (Überschr.); ebd. 12. 3. 1971 der Boom am deutschen Automarkt; Offenburger Tagebl. 7.8.1971 Beförderungs-Boom bei den Beamten des Bundes, der Länder und Gemeinden; FAZ 4. 12. 1971 Neuer Boom und Hausse in Kanada und USA (Überschr.); Zeit 15. 5. 1987 die stark anwachsenden Schülerzahlen infolge des BabyBooms; ebd. 29. 5. 1987 dieser Grundstücksboom

hat den gegenwärtigen Aktienboom mit ausgelöst; Stern 3. 12. 1987 die Zahl der selbsternannten Experten, die mit unseriösen Techniken vom Psychoboom zu profitieren versucht, wächst; Altner 1991 Naturvergessenbeit 275 Es widerspricht der Würde des menschlichen Lebens zutiefst, wenn durch den unkontrollierten Bevölkerungsboom Millionen und schließlich Milliarden von Menschen in unsägliches Elend gestürzt werden; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 92 Tatsächlich gibt es seit den siebziger Jahren, im Gefolge des damaligen LinguistikBooms, eine Fülle von stiltheoretischen, stilanalytischen und stildidaktischen Schriften; Spiegel 24, 4. 1995 Keiner will den erhofften Boom verpassen, aber niemand weiß, worauf sich das Wirtschaftswunder gründen soll; Zeit 22. 9.1995 Über die westdeutsche Wirtschaft, die Unternehmen und die Arbeitnehmer kam der Geldsegen des Vereinigungsbooms. boomartig: Silberschmidt 1958 Entwicklung 96 boomartigen Landkäufen; Welt 10. 8. 1963 boomartige Konjunktur; ebd. 23. 9. 1970 Immer noch boomartig . . nimmt die Zahl der Verbrauchermärkte im Bundesgebiet zu; Spiegel 23. 6. 1975 Segeln wie auf dem Bügelbrett — ein neuartiges Freizeitvergnügen hat sich boomartig ausgebreitet; FAZ 19.1.1983 1981 war der Umsatz durch den boomartigen Absatz bei Videogeräten deutlich schneller gestiegen als in den Jahren zuvor; MM 3. 3. 1988 erst als die Nachfrage nach den „kleinen Exoten" boomartig anstieg, entwickelten die großen Hilfsorganisationen wirksame Schutzmaßnahmen, damit die Kinderadoption nicht zu einer bloßen Mode degenerierte; Berl. Ztg. 5. 10. 1990 zugleich aber konstatierte der Kanzler den „längsten Aufschwung der Nachkriegszeit" und einen sich „boomartig" entwickelnden Arbeitsmarkt, womit er eine überraschend verengte Sicht nur auf den westlichen Teil der Bundesrepublik demonstrierte. boomen: Spiegel 20. 9. 1971 [sie fand] dennoch einen Einstieg ins boomende Geschäft; ebd. 17.6.1974 Jahrelang boomte der Reisemarkt; FAZ 11.7.1986 Jetzt kaufen! Bevor die Preise boomen (Anzeige) (alle AWB); Stern 14.5.1987 das Dämmaterial war bis in die siebziger Jahre ein beliebter Werkstoff der boomenden Baubranche; MM 4. 3. 1988 der Absatz an Kreditkarten boomt; Frankf. Rundsch. 21.3. 1990 die hohen Hürden,

Bordell die dem boomenden deutsch-deutschen Geschäftsverkehr einstweilen noch im Wege stehen; Altner 1991 Naturvergessenheit 93 angesichts eines boomhaft steigenden Fleischverzehrs; Süddtsch. Ztg. 12. 8. 1993 Bankmanager . . verweist auf die boomenden Börsen; Spiegel 11.9.1995 Weltweit boomt ein riskantes Verfahren zur Goldgewinnung — mit hochgiftigem Zyanid.

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boomhaft: Mittelbayer. Ztg. 20. 5. 1969 Die Konjunktur nimmt schon „boomhafte Züge" an; Spiegel 17.9. 1984 Boomhaft griffen die Ausreisewilligen kurz vor Ende der Gesetzesfrist noch einmal in Bonns Prämientopf; FAZ 24.11. 1986 Für die Republik China, also Taiwan, ist das Jahr 1986 wirtschaftlich über alle Erwartungen hinaus boomhaft verlaufen (alle AWB). OV

Bordell N. (-s; -e), seit der 2. Hälfte des 14. Jhs. selten, seit späterem 16. Jh. kontinuierlich belegt, über mittelniederl. bordeel entlehnt aus gleichbed. altfrz. bordel (vgl. gleichbed. ital. bordello] (eigentlich 'Bretterhüttchen, kleiner Bauernhof, Diminutivbildung zu borde 'Hütte', zurückgehend auf vulgärlat. *borda, Pl. von ''bordum 'Brett', german. Herkunft, vgl. dtsch. Bord, —* Bordüre), anfangs in Formen wie Bordel, Bordäl, Pardell. In der Bed. 'Haus, Räumlichkeiten, in denen Prostituierte ihr Gewerbe ausüben, sich gegen Bezahlung Männern hingeben', gleichbed. mit Freuden-, Dirnenhaus, meist konnotiert mit „unzüchtig, unmoralisch, schmutzig", häufig in Wendungen wie ein Bordell besuchen, aufsuchen, in ein Bordell gehen und als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Provinz-, Edel-, Soldatenbordell; Bordellwirt, -besitzer, -milieu, -szene, -viertel. Dazu seit frühem 20. Jh. gelegentlich die französisierende Personenbezeichnung Bordellier M. (-s; -s) 'Inhaber, Betreiber eines Bordells'. Bordell: 2. Hälfte 14. Jh. (1979 Germanist. Ling. 52) die ander ist gut zu einer erbensnel,/ die ist aus dem purdel; 1475 Teuthonista o. S. bordeel (WEIGAND/HIRT); Thurneysser 1569 Archidoxa Q2r Do ist einr inß Pardell gegangen; Fischart 1575 Garg. 90 Hellegablische Bordäl, Sixtische Mummenheuser; Albertinus 1599 Sendtschreiben III 106a Bordel vnnd Kuppelhauß; ders. 1615 Gusman v. Alfarche 401 drittens nimb kein sehr schöne Fraw/ dann die allerschönsten Frawen gerathen ins bordel; Henisch 1616 Teutsche Sprach 453 Bordel/ hurenhauß; Garzoni 1653 Schauplatz 687a Huren im Bordell; Grimmeishausen 1670 Courasche 56 Ich bekam bald Buhler: etliche suchten mich wie das Frauenzimmer im Bördelt; Zesen 1679 Simson 136 Anm. Die Franzosen sagen auch, wann sie von einem solchen unzüchtigen Orte reden, bordeau, die Niederteutschen bordeel, die Wälschen bordello; Wezel 1775 Tob. Knaut III 183 Sie glaubten ihm wegen der Ernsthaftigkeit, mit welcher er log, giengen mit ihm und kamen — — in ein Bordell!; Lenz um 1775 Pandämonium (NL LXXX 148) heraus mit euch Bänkelsängern, Wollustsängern, Bordellsängern; Wagner 1776 Kindermörderin 98 seine Mutter war eine Hure, er ein Basiert, im Bordel gezeugt, das warf ihm einer im Trunk vor (DWB); Schink 1778 Marionettentheater 136 Ich dacht nicht anders, als ich kam in ein Bordel; Blu-

mauer 1784-94 Virgils Aeneis (l 274) In halbes Jahres-Dauer/ Soll jetzt kein Tanz und Schauspiel seyn,/ Und in Bordellen groß und klein/ Fein alles still hergehen!; Bretzner 1787 Leben U 199 unser Jünglung [war] einer der ausgelassensten Wollüstlinge und Verschwender und ein so unbeständiger Flattergeist und Schmetterling, daß es ihm ein Leichtes war, im Husch .. von der zärtlich liebenden Schöne zur gemeinen Bordelschwester überzugehen; Laukhard 1792 Leben l 64 führte mich ins Bordell .. In meinem Leben war ich noch in keinem Hause gewesen, welches der Venus geweiht war: ich erstaunte also nicht wenig, als ich die zügelloseste Wollust sich hier in ihrer abscheulichsten Reizbarkeit entwickeln sah; 1794 Br. ü. Hamburg 212 öffentlich privilegirte Bordelle; Bötticher 1794 Literar. Zustände (l 168) Nur eins meiner frühern Gedichte habe ich deswegen auf immer verdammt, weil es teuflische Caricatur und Bordellcharakter hat; Kortum 1799 Jobsiade 259 Und Egyptens große Rhodopin,/ Ward aus 'ner Bordellschwester Königin; Laukhard 1802 Leben u. Schicksale V 129 Die Hämmern hält kein eigentliches Bordel, das heisst, es ist bey ihr keine regelmässige Auflage feiler Menscher, welche jedem zu Gebote stehen, der den geringen Preis bezahlt, auf welchen sie sich taxirt haben; Keil 1803 Rhapsodien 187 Man gebe dem weltdummen Platoniker, der den Funken eines

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Bordüre

höheren Wesens in den Tugenden des weiblichen Geschlechts ahndet und darüber zum Narren ward, eine Bordell-Nymphe zur Gesellschaft . . sie wird ihn von seinem Wahn bekehren; Goethe 1808 Br. (WA IV 20,27) ich verarge dir's gar nicht wenn du das verkoppeln und verkuppeln des Heiligen mit dem Schönen oder vielmehr Angenehmen und Reizenden nicht vertragen magst: denn es entsteht daraus . . eine lüsterne Redouten- und Halb-Bordellwirthschaft, die nach und nach noch schlimmer werden wird; Glassbrenner 1836 Bilder l 24 in Wien dürfen keine Bordelle existiren; Steinmann 1842 Mefistofeles U 2 Casanova'scher Bordellmemoiren; Varnhagen v. Ense 1858 Tagebücher XIV 321 Der Kirchentag ist zu Ende, doch zieht er großes Aergerniß hinter sich her, und Hohn und Spott die Fülle. Ein Schwarzrock ist im Bordel gewesen, und weil er betrunken war und nicht bezahlen wollte, vor die Polizei geführt worden; 3859 Staatswb. IV 303 ob der Verbreitung der Lustseuche durch Einführung von koncessionirten Bordellen erfolgreich entgegengewirkt werde; Wuttke 1875 Zeitschriften 74 einer Leipziger Bordellwirthin; Nordau 1881 Paris l 253 Zeitung, die statt des Leitartikels eine cynische Bordellgeschichte, statt der Tagesneuigkeiten Sauglockengeläute . . enthält; ders. 1881 Paris 118 Goncourt . . und wie die Apostel des Meisters alle heißen, haben eine abjekte Bordellliteratur geschaffen, die unter der Flagge Zolas segelt und den Namen dieses großen Schriftstellers schwer kompromittirt; Schmidt 1892 Offizierthum 64 Riehl bezeichnete einmal die Offenbach'schen Schöpfungen der späteren Periode . . als die richtige „Bordellmusik"; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 118 tendenziös materialistische Bücher, giftgeschwollene Kolportageromane und Bordell-Litteratur; Bierbaum 1910 Reife Früchte 170 Vorbei an Goldschmiedläden, an Basaren,/ Hotels, Bordells (und mancher trat auch ein); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 442) eine Bordellstraße in Japan, wo Geishas hinter hölzernen

Käfiggittern saßen; 1926 Sittengesch. v. Paris 79 So wurden die Theater in Paris nach und nach „die Bordelle der grossen Welt"; Moreck 1928 Liebe 183 Hochburgen der Bordellprostitution waren Köln, Hamburg . . ; Kesten 1932 Scharlatan 92 Er machte nach zwei Jahren Konkurs und erschoß sich in einem Bordell; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 635) im Bordell trifft der Jüngling das Mädchen wieder, das er geliebt .. hat; ders. 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 296) wie er sich . . bei einem einmaligen Besuch im Bordell . . die Franzosen [Geschlechtskrankheit] geholt; ND 25. 11. 1949 Absteigequartiere und Bordelle sind Pestbeulen am Körper der Hauptstadt Deutschlands; Middendorf 1959 Soziologie 137 So wählte die Dirnenzunft in Nürnberg alljährlich eine Bordellkönigin, die für die Ordnung im Bordell zu sorgen hatte und die von der Obrigkeit bestätigt und vereidigt wurde; Hocke 1976 Tagebücher 110 Am 9. Oktober 1911 zeichnet Kafka einen Bordell-Traum auf; Zeit 2. 5. 1986 er versackte im Spielhöllen- und Bordellmilieu; MM 21. 3. 1987 wen er zeichnete, sei es ein Börsenspekulant oder ein perverser Bordellbesucher, der war im zwiefachen Sinn des Wortes gezeichnet; Junge Welt 29. 9. 1989 die jungen Mädchen, die in Charlottenburg am Stuttgarter Platz die Bordelle beherrschen; MM 29.11.1994 Die Szene soll dem LKA-Chef Frauen zugeführt haben, um ein Bordell-Projekt zu fördern. Bordellier: Mehring 1927 Paris 155 die Pilger sangen noch einen erhebenden Choral, der von einem Bordellier der Matrosen übergrölt wurde; 1976 Spiegel Nr. 39 In Stuttgart-Stammheim hat es ein ehemaliger Bordellier zu Macht und Ansehen gebracht (DUDEN 1993); ebd. 19. 6. 1995 Gegen 200 Mark Tagesmiete stellt das „Büffchen", ein Projekt des Frankfurter Großbordelliers . . den 48 Damen der horizontalen Zunft Putzfrauen und Türsteher zur Verfügung. OV

Bordüre F. (-; -n), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bordure (zu (alt-)frz. border 'den Rand besetzen, einfassen', zu bord, bort 'Rand, Seite, Saum, Borte, Schiffsrand', auch 'RandVerzierung, Stickerei', german. Herkunft, vgl. dtsch. Bord, — Bordell). In der Bed. 'Einfassung, Rand, verzierte Kante, Borte, Besatzstreifen', meist auf Stoffe, Teppiche oder Kleidungsstücke bezogen (s. Belege 1793, 1989, 1993), auch übertragen verwendet, z. B. als Bezeichnung für den oberen Musterrand bei Tapeten und Feldbegrenzungen bei unterteilten Wänden, für Buchschmuck wie Randleisten und -Verzierungen (s. Belege 1900, 1911). Dazu bereits im späten 16. Jh. das aus gleichbed. frz. border (s. o.) entlehnte V. trans, bordieren in der Bed. 'mit Borte besetzen, einfassen', meist auf Stoffe bezogen, daneben auch übertragen verwendet (s. Belege 1666, 1727, 1927); das im 17./18. Jh.

Bordüre

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belegte, bis heute gebuchte Verbalsubst. Bordierung F. (-; -en) als Bezeichnung für die Einfassung von Kleidern und Stoffen (s. Belege 1676, 1763), daneben als Terminus der Bildhauerei 'Einfassung, Rahmen von Spiegeln' und des Gartenbaus 'Einfassung von Wegen und Alleen mit Hecken, Bäumen oder Springbrunnen' (s. Belege 1666, 1687, 1750). Im 17. Jh. die seltene Personenbezeichnung Bordureur M., gleichbed. mit nur gebuchtem Bordierer M. 'jmd., der Bordüren fertigt'. Bordüre: Wächtler 1709 Manual 51 Bordüre, Bordierung; it. der Rand eines Spiegels oder Tafel-Bilder . . z.E. ein in einer übergüldeten Bordüre eingefaßter Spiegel; 1787 Journal d. Moden 279 Der neueste und gewiß beste Geschmack in dieser Art ist, die Wände . . soviel möglich in reguläre Felder abzutheilen, diese mit einer sanften egalen Grundfarbe . . anzustreichen, und sie rundherum mit einer gemahlten Bordüre von anderer dazu passender Farbe einzufassen; 1793 ebd. VIII 99 Trägt eine Morgenhaube ä Transparent, von Cambray oder Gaze mit gestickter Bordüre; Goethe 1796 Br. (WA IV 11,26) Die Bordüren, hoff ich, werden Ihnen gefallen, nur muß man Acht haben, daß sie nicht falsch aufgeklebt werden; sie haben zweyerlei Lichtseiten, um sie rechts und links gegen die Fenster wenden zu können; i 799 Journal d. Moden XIV 98 Die zartesten Linons und indischen Musseline mit tausendfach veränderten Bordüren; vor 1805 Briefw. Schiller-Körner IV 68 Ich höre, daß man in Dresden Bordüren zu Zimmern haben kann. Willst du mir eine Bordüre zu einem blauen Zimmer aussuchen lassen (KEHREIN); Gutzkow 1852 Ritter VI 32 Schlafrock mit Bordüren besetzt (SANDERS DWB); Klenz 1900 Druckersprache 35 Einfassungen, Bordüren, bestehen entweder aus einem Stück, welches zugleich Eckstück . . ist, oder aus mehreren Stücken, von welchen eines die Ecke bildet; Fleischer 1911 Wendelin 107 die Bäume hatten weisse Bordüren [Schnee] an den kahlen Ästen, die sich scharf und schwarz in die Luft zeichneten; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 716) in dem von der classischen Riesenbüste beherrschten, mit gestickten Wandbordüren, Aquarellen . . geschmückten Empfangszimmer; MM 22.9. 1989 die feingestrickten Deckchen und zartgewebten Tücher mit bunten Bordüren; Spiegel 15.2. 1993 Mal verpackte er seine Models in meterlange Tüllkleider mit Gesäßpolstern und Posament-Bordüren. bordieren: Fischart 1575 Garg. 185 die Händschuch gebordiret; Hollonius 1605 Somnium (61) Mein' kleidet wern mit Golt bordirt (JONES); Henisch 1616 Teutsche Sprach 453 Borden/ bordieren/ praetexere; Aldenburgk 1627 Reise (73) von Gold . . bordiret vnd versetzet (JONES); Ens I630 Postreiter 31 Da ward ein Stuhl mit gülden Lacken geborduret; Elßholtz 1666 Garten-Bau/ 46 Zum

dritten/ ist es Zeit/ die gezogene Linien zu brämen oder zu bordiren/ damit die Bettlein und Steige scheinbar werden; Stranitzky 1711 Ollapatrida 94 brave Leute/ mit bordirten Hüten; Callenbach 1714 Puer 75 mit dem rothen Scharlachen bordirten Rock; Wagner 1724 Soldatenbibl. 316 sehr lange Mützen/ welche sie mit Fellen bordiren; 1727 (1865 Zs. f. Gesch. d. Oberrheins XVII 15) wie sie aber ins Dorf kamen, funden sie den Weg bordirt mit französischen Grenadieren (TRÜBNER); Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II 33 ein prächtig verbordirtes Kleid; Seume 1731 Lex. 31 Pordiertes Kleid und Hut viel Leuten wohl anstehen; Philippi 1743 Reimschmiedekunst 51 unter einer .. mit goldenen Franzen bordinen Weste; Lenz 1774 Hofmeister (NL LXXX 7) an seinem links bordierten Kleide; Schlözer 1780 Briefw. histor. Inh. VI 53 Bordiren der Strümpfe; Riesbeck 1783 Br. l 104 Die vielen Titel und die bordirten Westen der hiesigen Einwohner setzen einen Fremden nicht sicher von ihnen angebettelt zu werden; Bräker 1789 Lebensgesch. 60 goldbordirten Hüten; Schubart 1791 Leben I 121 mit dem bordirten Rokke; Hebel vor 1826 S. W. U 216 Mantel . . mit Gold bordiert (SANDERS DWB); Goethe 1829 Italien. Reise (WA l 32,235) sein Hut ist klein und meistens bordiert; Aurbacher 1835 Volksbüchlein II 102 Das goldbordirte Hütlein; Kinkel vor 1849 Erz. 201 Goldbordierte Kammerdiener (SANDERS DWB); Holtei 1860 Eselsfresser l 122 da er die bordierte Livree vor seinem Schreibtische erblickte; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 283) ausgestattet mit . . breiten, bordierten Sammetstühlen und Vorhängen aus dem gewirktem Stoff des Sofabezuges; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 41) mit dem langen und faltigen Gehrock, als dessen Urbild und Eigentlichkeit dem kleinen Hans Castorp der bordierte, pelzverbrämte Talar erschien; Lauff 1927 Perdje Buhl 439 als sich die Deichflanken wieder mit schwefelgelben Sumpfdotterblumen und Himmelschlüsselchen bordierten (TRÜBNER); Th. Mann 1939 Lotte (W. II 707) an dem . . Gürtel ihrer am Saume antik bordierten, citronenfarbenen Robe; ders. 1947 Faustus (W. VI 33) eine Art von bordiertem Mieder . ., dessen eckiger Ausschnitt den einigermaßen gedrungenen Hals und den oberen Teil der Brust frei ließ; ders. 1954 Krull (W. VII 650) m i t . . farbig bordierten engen Hosen.

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borniert

Bordierung: Elßholtz 1666 Garten-Baw 48 Dahero andere bewogen worden/ das Zwiebelwerck an die Ecken und zu nechst an die Bordirung der Bette zu bringen; Francisci 1676 Lust-Haus 905 die zierliche gueldne oder silberne Bordirung [des Kleides]; Hohberg 1687 Georgica l 683b weil sie [Krauter] zu Bordirung der Bette und Garten-Stuecke/ nach Belieben moegen genommen . . werden; Sperander 1727 A la mod Sprach 75 Bordirung . . die von Gold, Silber u. d. gl. gemachte Einfassungen der Kleider . . Tressen- und Borten-Schmuck der Kleider . . die kostbaren Einfassungen oder Rahme der Spiegel, Schildereyen . . das Laub- Schnitz- Kalckund Gips-Werck an den Gebäuden und Säulen . .

die Einfassung, welche den Schild an allen Seiten . . einschliesset . . die Bordirung der Alleen oder Hauptgänge; Chomel 1750 Lex. l 287 Die Bordirung der Alleen geschieh.« mit schönen Vasen, darinnen Orangerie oder mit Cypressen- und Castanien-Bäumen; 1763 (Belli, Leben in Frankf. am M. V 29) Gantz fertige und wohl gemachte Peltzund Salopp-Mäntel . . zu haben sind, . . wie auch schöne verfertigte Bordirung von Zobel, Nertze und Marder-Schweiffen. Bordureur: 1687 Nord. Mercurius VII 4 werden auch einige Bordeurers/ Perlenstickers und dergleichen Leutte mit gehen (BRUNT). OV

borniert Adj. (Steigerung selten), im späten 18. Jh. entsprechend gleichbed. frz. borne aufgekommene Part. Perf.-Form von seit frühem 18. Jh. selten nachgewiesenem, veraltetem bornieren 'begrenzen, beschränken, einengen, einschränken' (< frz. borner 'abgrenzen, ein-, beschränken', eigentlich 'mit einem Grenzzeichen versehen', zu borne, altfrz. bon(n)e, bodne, bosne, borne 'Grenzstein, Grenze', vermutlich zurückgehend auf gall. *bodina\ —* abonnieren). Zunächst in der Bed. 'geistig unflexibel, beschränkt' (s. Belege 1780, 1787, 1802), dann auch stärker abwertend gebraucht für 'engstirnig auf seinen Vorstellungen beharrend, uneinsichtig, überheblich, unbelehrbar' (s. Belege 1786, 1792, 1848) (—>· pedantisch, —> philisterhaft, —» prätentiös), häufig in Syntagmen wie ein bornierter Mensch, Egoismus, ein borniertes Vorurteil, eine bornierte Meinung, Politik, Forderung, Ansicht und jmd. gilt als borniert, sich borniert verhalten, handeln. Dazu seit Ende 18. Jh. die subst. Ableitung Borniertheit F. (-; selten -en) in der Bed. 'geistige Beschränktheit; Engstirnigkeit, Eingebildetheit, Unbelehrbarkeit', z. B. in Wendungen wie die Borniertheit seiner Einstellung, Meinung, seines Horizontes, Vorurteils. borniert: Pestalozzi 1780 S. W. I 308 so muß mans sich doch nicht verhehlen, daß alle Gewerbshäuser ihre eigene und bornierte Gesichtspunkte haben; Hamann 1786 S.W. III 394 ein kleingeistiger, nebenabsichtlicher, ärgerlicher bornierter Feinschreiber; Schiller 1787 Br. I 362 Ihr Geist ist äuserst bornirt; Laukhard 1792 Leben II 401 Meister Demaree, dieser hochbornirte Zionist; Goethe 1795 Br. (WA IV 10,334) Es ist sehr leicht die unsinnige Unbilligkeit dieses bornierten Volks anschaulich zu machen, man hat dabey das vernünftige Publicum auf seiner Seite; Kant 1798 Anthropologie (Ges. Sehr. VII 138) Der welcher nicht selbst denken, wenngleich viel lernen kann, wird ein beschränkter Kopf (bornirt) genannt; Laukhard 1802 Leben u. Schicksale V 88 Er hatte bey dem sehr bornirten Unterricht auf der Schule zu Fulda keine Gelegenheit gehabt, die morgenländischen Sprachen zu lernen; 1806 Br. v. d. Univ. 347 einen bornirten Menschen, dem der Sinn mit Nägeln verschlagen ist; Gaudy 1836 Tagebuch (I 184) fragt er

bornirterweise; Laube 1836 Reisenovellen III 57 sehr bornirte Leute; Devrient 1839 Br. a. Paris (IV 215) Rachel sei bornirt und spreche ganz ungeschickt; 1848 Hofdamen-Br. 181 allen bornierten Menschen, welche unter dem Wort Freiheit den höchsten Grad der Sittenlosigkeit verstehen; Haym 1849 Nationalvers. II Vorw. I die Schmähungen und bornirten Urtheile des reaktionären und des radikalen Haufens; 1854 Prutz' Museum l 80 unserer heutigen, vom Parteigeist bornirten Franzosen; Sybel 1859 (Kl. histor. Sehr. I 176) in bornirtem inneren Hader; Meyr 1866 Gespr. 195 Es gibt Männer der Wissenschaft, die ihre Specialität betreiben, wie der dümmste und bornirteste Handwerker sein Handwerk; Hartmann 1869 Philosophie 63 je bornirter und schwächer ein Verstand ist, desto langsamer und schwerfälliger lösen sich in ihm die Vorstellungen ab; Wiehert 1889 Grafenkind 105 einem bornirten Theile der Gesellschaft; Treitschke 1897 Politik I 154 Völlig aufzugehen in seiner Partei heißt sich absichtlich bornieren, und

Börse wirklich freie Naturen haben immer eine gewisse Abneigung gehabt gegen die bornierte Einseitigkeit des Parteisinnes; 1898 Kladderadatsch 124 die beiden Repräsentanten eines bornirt-blasirten Junkerthums; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 68) seine Lieblingsredensart lautete „grenzenlos borniert!", und es ist niemals aufgeklärt worden, ob dies ein bewußter Scherz war; Hegeler 1908 Ärgernis 31 dieser ganze Abscheu des Publikums vor Margarine [war nichts anderes] . . als borniertes Vorurteil!; Janitschek 1912 Ehen 172 wie grenzenlos borniert ein Mensch sein muss, der aus dem Leben scheidet, weil ein paar Neidbasen dumme Bemerkungen über ihn gemacht haben; Th. Mann 1939 Lotte (W. 11 415) borniert und höfisch verklatscht möchte das Nest wohl sein, dünkelhaft oben und dumpf sinnig unten; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 990) diese Generäle sind nicht alle nur ergraute Kadetten und bornierte Techniker des militärischen Augenblicks; Frisch 1957 Homo faber 90 das menschliche Ressentiment gegen die Maschine, das mich ärgert, weil es borniert ist; Welt 14. 10. 1964 bohrende, qualvolle Diskussionen zwischen Zivilisten und Soldaten, bornierten Offizieren und ironischen Landsern; ebd. 30. 12. 1974 eine bornierte, bilderstürmerische Aktivität; Zeit 2.5. 1986 dann kam der Richtungsstreit, die alten Sprachen wurden als Relikt bornierter Elitebildung verteufelt; ebd. 13. 6. 1986 als Folge einer bornierten Kulturpolitik hat die deutsche Geschichtswissenschaft in der Breite und Universalität den Anschluß an die internationale Spitze längst verloren; Altner 1991 Naturvergessenheit 4 Schweitzers Denkansatz ist durch Jahrzehnte hindurch einer bornierten philosophischen und theologischen Kritik ausgesetzt gewesen; Spiegel 31. 10. 1994 Das naiv-dümmliche Staunen darüber, daß der Osten „gar nicht so schlimm ist" und man auch ohne Telefon überleben kann, empfinde ich fünf Jahre nach der Wende als unerträglich borniert. bornieren: 1721—22 Discourse d. Mahlern 44 daß das Frauen-Volck andere Mesures würde nehmen, und ihre Geschaffte nicht mehr borniren, den Leib schöner zumachen, sondern vielmehr bedacht seyn das Gemüthe auszupoliren; Hillebrand 1774 Wälsches 458 „Borniren thut mich mein Land doch nicht," durfte Rahel sagen, „was Närrisches drin vorgeht, ärgert und frappirt mich genug."

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Borniertheit: Goethe 1799 Über Dilettantismus (WA l 47,312) Vervielfältigtes Interesse an Humanioribus, im Gegensatz der Roheit des Unwissenden oder der pedantischen Bornirtheit des bloßen Geschäftsmannes und Schulgelehrten; Görres 1808 Ges. Sehr. Ill 396 jene kahle ärmliche Bornirtheit, die gegen jede wahrhaft große Ansicht blind, nimmer sich von der Idee erwärmen, höchstens nur hohl auftreiben läßt; Laube 1836 Reisenovellen III 65 sie sind in dieser Bornirtheit so schnurrig und liebenswürdig; Hebbel 1838 S. W. Ill 1,277 falsche [Theilnahme], die jeden Altar bekränzt, ist unausstehlicher, als die Gleichgültigkeit der Bornirtheit; Wagner-Liszt 1851 Briefw. l 152 Dir zur Seite sehe ich nur die Stupidität, die Bornirtheit, die Gemeinheit; Heine 1854 Geständnisse (VI 66) Von fanatischer Feindschaft gegen die römische Kirche kann bei mir nicht die Rede sein, da es mir immer an jener Borniertheit fehlt, die zu einer solchen Animosität nötig ist; Hartmann 1869 Philosophie 102 wenn wir dagegen die Thiere betrachten, deren Hauptcentra ungefähr auf der Stufe der menschlichen Nervencentra stehen, so tritt uns auch die grösste Stupidität und Bornirtheit entgegen; ebd. 276 Die Mystik ist vielmehr eine Schlingpflanze, die . . sich mit den extremsten Gegensätzen gleich gut abzufinden weiss: Hochmuth und Demuth, . . Genie und viehische Bornirtheit; Gilly 1896 Fesseln I 29 Graue Fledermäuse, die im Zwielicht ihrer Borniertheit, ihrer aufgestachelten Sinne zwecklos hin und herhuschen; Lissauer 1913 Aufs. (I 94) [er hat] den Kampf gegen Willkür und Subjektivismus ohne rückschrittliche Engherzigkeit und Borniertheit gekämpft; Voss. Ztg. 25. 11. 1929 So sehr ich gegen den Verdacht reaktionärer Borniertheit gefeit zu sein glaube; Th. Mann 1937 Reden u. Aufs. (W. XII 815) der Ruhm deutscher Nation bestand immer in einer Freiheit, die das Gegenteil patriotischer Borniertheit ist: in einer besonderen Beziehung zum objektiven Geist; ders. 1947 Reden u. Aufs. (W. IX 698.) er verachtete alle nationalistische Borniertheit; ND 25.7.1969 die Pointe .. geht auf Kosten der Borniertheit von einstigen Kolonialbeamten; MM 19. 6. 1985 die Arroganz, Borniertheit und Korrumpierbarkeit hoher Beamter; ebd. 11.2.1988 Richlings .. derzeit originellste Type ist eine alte Jungfer, die in lupenreinem Nordpfälzisch .. ihrer Borniertheit und Intoleranz Ausdruck verleiht, über Italien, FKK und Asylanten labert; Spiegel 13. 6. 1994 Kein Mensch entgeht ganz den Borniertheiten seiner geistigen Umwelt. OV

Börse1 F. (-; -n), Mitte 15. Jh. entlehnt aus gleichbed. niederl. beurs < mittelniederl. borse 'Zusammenkunft der Kaufleute (in Antwerpen) und das entsprechende (Börsen-)Gebäude' (so genannt nach der borse, einem Platz vor dem Haus des Brüg-

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Börse

ger Kaufleutegeschlechts van der Börse, wo die Kaufleute seit dem 14. Jh. regelmäßig zusammenkamen, um Warenproben auszulegen, (Geld-)Geschäfte abzuschließen usw.), älter auch 'Beutel, Geldtäschchen' (die Familie van der Börse führte drei Geldbeutel im Wappen) (< mlat. bursa 'Lederbeutel, -tasche, Geldsäckchen; Kasse einer Genossenschaft; Genossenschaft' < lat. byrsa/griech. 'abgezogene Haut, Fell'), anfangs auch in verkürzter Form Bors und (eventuell unter Einfluß von nhd. Bursche, —> Börse2) im 17. Jh. auch Bursch, Barsche. In der Bed. 'Handelszusammenkunft; Treffpunkt der Kaufleute', dann insbes. in der Bed. 'regelmäßig stattfindender Markt für Devisen, Wertpapiere und Waren, für die nach festgelegten Regeln Preise ausgehandelt werden' (s. Belege 1662, 1706, 1852, 1970); daneben auch als Bezeichnung für das Gebäude, in dem der Wertpapierund Warenhandel abgeschlossen wird, sowie für das Personenkollektiv und die dort ablaufenden Prozesse (s. Belege 1667, 1733, 1877, 1901); häufig in Wendungen wie an der Börse (ver-)kaufen, handeln, spekulieren 'durch Kauf und Verkauf von Aktien usw. Geschäfte zu machen suchen', der Preis für etwas sinkt/steigt an der Börse, etwas an der Börse notieren, die Börse eröffnete flau, behauptete sich, blieb fest, war bewegt, lustlos, schloß gut, schwach, die Börse verläuft, ruhig, lebhaft, stürmisch, an der Börse herrschte Panikstimmung, Stille; seit dem 19. Jh. auch als Bezeichnung für börsenähnlich organisierte Märkte wie z. B. Briefmarken-, Kleider-, Informations-, Kunst-, Kontaktbörse, seit dem 18. Jh. auch übertragen verwendet (s. Belege 1762, 1800, 1926, 1964); als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Effekten-, Wertpapier-, Devisen-, Waren-, Auslands-, Getreide-, Korn-, Metallbörse; Börsenaufsicht 'staatliche Überwachung der Börse auf Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften', -baron, -bericht 'Mitteilungen über Ereignisse an der Börse', -beginn 'Eröffnung der Börse', -geschäft, -notiz, -krach 'Börsensturz infolge einer Wirtschaftskrise', -makler 'berufsmäßiger Vermittler von Börsengeschäften', -stürz 'plötzliches tiefes Fallen der Börsenkurse', -Spekulation 'auf Gewinne aus künftigen Kursschwankungen abzielendes Verhalten an der Börse', -index, -kurs 'an der Börse ermittelter Kurs eines Wertpapiers', -jobber 'Börsenspekulant', -manöver 'unlauteres Geschäft an der Börse', -notierung 'Feststellung der amtlichen Börsenkurse', -papiere, -Schieber, -Schluß, -verlauf, gelegentlich in adj. Zss. wie börsenfähig 'zum Börsenhandel zugelassen', -notiert, -gängig, -täglich 'an einem Börsentag (stattfindend)'. Dazu seit Mitte 19. Jh. die latinisierende Personenbezeichnung Börsianer M. (-s; -), bis ins 20. Jh. auch in der Form Börseaner, für 'Börsenmakler, -Spekulant'; im 19./ 20. Jh. vereinzelt das davon abgeleitete Adj. börsianisch 'auf die Börse/den Börsianer bezogen'; im 20. Jh. selten börslich, meist in den Zss. bzw. Präfixbildungen vor-, nach-, außerbörslich. Börse: 1454 (Toeppen 1878-1886 Ständetage Preußen IV 283) Ouch ist mir nun in korcz czu wissen worden, daz die Polan gereit sollen sein und warten, op sich ein ungeluke enhube, daz sie dobey weren und mochten etczwaz irwerben. Daz ist die lose borsse, aber von den oversten hovetman nichs nicht (FRNHD. WB-Archiv); 1557 (Neumann 1863 Gesch. d. Wechsels 97) 500 [Pfund] flam., die ich gelobe in Antdorff .. mith gutter ganck hafftiger beczalung czur Borsse czu beczalenn; 1560 (Ehrenberg 1896 Zeitalter d. Fugger I 82) „Bourse

Glöcklein" in Nürnberg (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); Kiechel um 1600 Reisen 29 Es haben düe kaufleüt zu London ein schön ort, do sue täglich zuesamen kommen, das würt genant düe böers, ein vüeröckent haus, in demselbigen ein schöner plaz oder hof, an den 4 seytten rung umb her gewölbt, domüt süe vorm regen truckhen wandten mögen; ebd. das mann in gemein erst zu ein uhre nach müttag ab der böers zum essen geth; Ernstinger 1610 Raisbuch 179 Die bourse der kauffleuth (JONES); Henisch 1616 Teutsche Sprach

Börse 566 Burs/ bursa, forum, domicilium in quod mercatores sub meridiem versperamque conveniunt, ut Brugis et Amstelodamii; ebd. Bursch der Kauffleuten/ kauffleuthauß; 1621 (Ehrenberg 1896 Zeitalter d. Fugger H 247) auff der Borsch vorm Römer [in Frankfurt] (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Garzoni 1641 Piazza Universale 22b Eine solche Burß oder Markt (SANDERS DWB); Lauremberg 1652 Scherzgedichte 43 De Fohrlüde am Strande, de Jungens up der Bors; Zeiller 1653 Topographie (Niedersachsen) 130a Wer [in Hamburg] umb den Mittag oder auff den Abend, in die Burs oder Börß (ein zierlich Gebäw, so theilß bedeckt, theils offene Spatzier-Plätz hat) gehet, der wird sagen, daß täglich mehr als ein Leipziger Meß da seye; Schurtz 1662 Buchhalten 7 was täglich gehandelt wird, im Hauß, auf der Pörse; Schupp 1663 Sehr. 195 Börsch; Praetorius 1667 Anthropodemus 111 410 [in London] war die Börse verbrannt; Becher 1668 Discurs 141 Die Börss, ist gleichsam dess Kaufmanns Schuel . . ist der Ort, wo die Handlsleut zusammen kommen, und ihre Unterredungen pflegen; Krämer 1681 Leben d. Seehelden 810 Diese [Schaubühne] ward auf dem Platz vor dem Königlichen Schlosse an dem Aufgang der Börse/ aufgerichtet; Thomasius 1691 Vernunftlehre II 81 auf der Börse, in Buchläden, in Gewölben; 1706 Curieuser Schau-Platz 31 Das grosse Hauss [von Brügge], allwo die Kauffleute zusammen kommen, war weyland mit einem Geld-Seckel, (auf Frantzösisch la Bourse) bemercket, dahero dann hernach dieser Nähme allen ändern dergleichen Plätzen gegeben worden, dass man sie Börse genennet; Berkkenmeyer 1712 Antiquarius 193 davon nachmahls alle Oerter der Handels-Leute den Namen Börse erhalten; Haller 1723-27 Tagebücher 114 Die Börse oder Kings-Change [in London]; Seume 1731 Lex. 16 Nenn Bors den Ort, wo sich die Kauffleut oft einfinden; Zachariä 1756 Tageszeiten (II 65) Auf der Börse versammelt sich jetzt der emsige Kaufmann; 1762 Der Welt Lauf 10 KlatschBörse; Moritz 1782 Reisen 149 Auf der Börse ist ein kleiner Thurm mit einem Glockenspiel; Seume 1793-1811 Kl. Sehr. (W. II 435) die Aktien [stiegen] sogleich um sieben Prozent, welcher glückliche Vorfall auf der Börse einen allgemeinen Jubel verursachte; Engel 1795-96 Lorenz Stark I 77 Steck' Er Geld ein und geh' Er zu dem Manne gegen der Börse über; Goethe 1795 — 96 Lehrjahre (WA I 21,123) zur größten Zufriedenheit seines Vaters war niemand auf dem Comtoir und der Börse, im Laden und im Gewölbe thätiger, als er; ders. 1800 Sehr. z. Kunst (WA I 48,12) das griechische Kaffeehaus, die römische Börse der Künstler; Seume 1803 Spaziergang (W. I 228) Man bedient sich des Schauspiels zu Rendezvous, zu Konversationen, zur Börse; 1815 Fahnenbergs Magazin VI

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314 Handels- und Börsenpolizei; Cancrin 1820 Militairökonomie l 123 die laufenden Preise auf dem Lande, welche entweder auf dem Wege der Börsenautonomie oder durch obrigkeitliche Annotationen gefunden . . werden; Jäger 1835 F. Schnabel 132 Schnabels Vorsaal glich zu dieser Zeit einer Börsenhalle, denn nach einer vermaledeieten Einrichtung in Jena . . war es augenblicklich stadtkundig, wenn ein Akademiker Geld empfangen hatte; Kinkel 1849 Erz. 400 Die Gaststube ist die Bank und Börse des Dorfes, wo man die Schrannenpreise der nächsten Märkte erfährt (SANDERS DWB); Schlesinger 1852 London l 257 Kornbörse; Szarvady 1852 Paris I 84 Das Treiben auf der Börse hat etwas Dämonisches an sich; Mundt 1857 KaiserSkizzen I 74 [sie] findet doch bald an dem veränderten Wesen ihres Geliebten die Wirkungen des Börsenspiels mit Entsetzen heraus; 1864 Vjschr. Volkswirtschaft IV 135 wo es Kredit- und Kapitalmärkte gibt, welche man Handelsbörsen nennt; 1866 Grenzboten III 433 Das „Börsenblatt" . . als Spiegel des deutschen Buchhandels betrachten; Dingelstedt 1868 Amazone (VI 40) Zeit ist Geld, Börsenstunde hat Gold im Munde; Springer 1877 Banquier 180 als ich vor der Börse abstieg, dem neuen Palaste, in welchem der Handel und die Staatspapiere . . übersiedelt sind; Rutenberg 1877 Zinne 11 Geldgötzen und Börsenkönige; Wickede 1878 Leutnant 3 Wo der Ruf der reichen Tochter eines Börsenkönigs auftaucht, da strömt gewiß auf viele Meilen weit in der Runde der Officiere kühn verwegene Schaar als Freiwerber herbei; Nordau 1881 Paris I 50 Schon haben viele seiner [des Pariser Faubourg St. Germain] erinnerungsreichsten Gassen und vornehmsten Residenzen einem neuen Emporkömmling von Boulevard Platz machen müssen, der sich rücksichtslos wie ein reichgewordener Börsenjobber mit Fäusten und Ellenbogen mitten durch die dichtesten Gruppen dieser historischen Häuser seinen Weg bahnt; Rose 1884 Revanche 41 Börsenbarone; Richter 1884 Creditsystem 53 der ausraubende Börsenschwindel; Harnstein 1890 Mem. 170 Sie gab mir die auf der Liebesbörse üblichen Preise an; Harden 1892 Apostata N. F. 158 Urtheile über das schnöde Treiben des Börsenpöbels; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 565 Weltausstellung in Wien 1873, deren glänzende Leistungen durch den gleichzeitigen Ausbruch der Cholera und den rasch nachfolgenden Börsenkrach in trauriger Weise begleitet wurden; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 287) mein kleines, reinliches Hotel ist mit hübscher Aussicht auf den Kanal, inmitten der Stadt, unweit der Börse gelegen; 1911 Grenzboten IV 430 Börsenmanöver; Sternheim 1916 Chronik II 235 [er] ging zur Warenbörse; Schickele 1920 Mädchen 46 Das Orchester lärmte, in einer Nische brannte ein Weihnachtsbaum, die Huri der weltbekannten Frauenbörse hatten phantastische Binden durchs Haar gezogen;

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Voss. Ztg. 2. 12. 1926 Das Gespräch steht zurzeit sehr in Mißkredit. An der Börse der geistigen Werte wird es nicht gehandelt; Corti 1927 Rothschild 413 Das Haus Rothschild habe erst im Monat Mai eine fürchterliche Börsenkrisis für Frankfurt mit üblen Folgen auf anderen Plätzen . . vermieden; Lokal-Am. 5. 7. 1933 Das Börsenbild des heutigen Tages unterschied sich von dem der letzten Tage nicht unwesentlich, denn während der Aktienmarkt zunächst seine uneinheitliche Haltung beibehielt, zeigte der Rentenmarkt eine erheblich freundlichere Veranlagung; ebd. 6. 7. 1933 Auslandsbörsen. New York: Schwächer. (Überschr.); Uexküll 1936 Welten 20 Die Erlebnisse beider Menschen, des zerlumpten Kutschers und des Börsenmagnaten, spielten sich am gleichen Objekt [Golf von Neapel] ab; Süddtsch. Ztg. 6. 8. 1949 Das Börsenbarometer — eines der wichtigsten und empfindlichsten Kriseninstrumente zum Abhören des Pulsschlags jeder Wirtschaft — zeigte auf Sturm; Augstein 1964 Spiegelungen 28 Die deutsche Wiedervereinigung wird an der internationalen Börse zur Zeit nicht gehandelt (DUDEN 1993); FAZ 14.11. 1970 Der Entwurf bringt eine weitgehend einheitliche Regelung für die Börsenorganisation und vor allem für die Zulassung zur Börse; MM 20. 6. 1987 mit einer täglich geöffneten Informations- und Kontaktbörse steht das „Forum der Jugend" im Mittelpunkt; Stern 5.11.1987 nach dem Börsenkrach am „Schwarzen Freitag" 1929 brach wenig später die internationale Wirtschaft zusammen; MM 29. 12. 1987 der Kurswert börsennotierter Gesellschaften betrug danach noch 330 Milliarden DM; Spiegel 12. 6. 1995 Vor allem in Großbritannien entstanden Mitte der achtziger Jahre viele solcher Börsen, die mittlerweile einige tausend Mitglieder zählen. Börsianer: Szarvady 1852 Paris l 89 Der fragliche Börsianer hatte ein belgisches Anlehen ganz in seiner Hand, warf ungefähr im Betrage von dreißigtausend Franken davon auf den Markt; Hebbel 1854 S. W. II 4,3 Ein Reise-Gefährte, von einem Officier für einen „Börsianer" erklärt . . hatte uns ein Logis besorgt; Ratzel 1876 Städtebilder a. Nordamerika l 28 Trödlerstraßen und Börsianerviertel; Hopfen 1893 Elend III 111 Lieutenant und Börsianer, das gehört nicht zusammen; Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 19 das berüchtigte Berliner Premieren-Publikum, das sich vorwiegend . , aus den Börsianern und ihren Frauen zusammensetzt; Brod 1908 Nornepygge 291 Er machte den Börseaner Reckleiner nach, schritt mit geschäftigem Ernst durch das Zimmer; Wassermann 1910 Masken 180 die sorgenvollen Berechnungen des Börsianers; Frank 1919 Mensch 34 Deshalb wird er Offizier, Staatsbeamter, Börseaner, deshalb ist er hab-

gierig, brutal, elegant; Spann 1924 Kategorienlehre 55 den Börseaner Rothschild; Klein 1925 Generaldirektor o. S. Drei, vier angesehene Börsianer versuchen, den ersten Vertreter des Bankhauses auszuhorchen; Dibelius 1929 England 1135 jeder Londoner Börsianer; Münch. N. N. 31. 12. 1937 Der alte Börsianer, der schon zehn, zwanzig oder mehr Jahre aufs engste mit dem Börsenleben verbunden ist; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W.XU 210) will man es als politische Wirkungen Nietzsche's ansprechen, daß er einige Grubenbesitzer oder Großbörseaner bewog, sich für Renaissancemenschen zu halten; Welt 17. 7. 1969 die starken Kursverluste in den vergangenen vier Wochen haben diie Unternehmungslust der Börsianer fast auf den Nullpunkt sinken lassen; FAZ 26. 2. 1970 die alle „Börsianer" beherrschende Frage; Zeit 9. 8. 1985 begreiflicherweise machen sich die Börsianer Gedanken über die bei den Banken für 1985 zu erwartenden Dividenden; ebd. 26. 9. 1986 nach allen bisherigen Erfahrungen werden börsengängige Anleihen von Krisenländern aber auch dann noch bedient, wenn sonst alle Zahlungen eingestellt worden sind; MM 28. 10. 1987 nach einem leichten Kursanstieg in Frankfurt äußerten sich Börsianer zwiespältig über das Ergebnis; Spiegel 7.11. 1994 Bei Börsianern, Professoren und Zentralbankern geht die Sorge um, eine überschäumende Konjunktur könnte die Inflation anheizen. börsianisch: Schaffte 1878 Bau III 449 In den Kreis der „börsianischen" Rentenjagd werden periodisch große Massen der Bevölkerung hineingezogen; Suess 1916 Erinn. 68 das Unglück, daß sich seinen Bemühungen ein Vermittler zugesellte, den Schäffle . . als seinen „börsianischen Detektiv" bezeichnet hat. börslich: Arnholds Wochenber. 1.11. 1930 vorbörslich; Münch. N. N. 1. 12. 1937 daß die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Börse nur durch Einschränkung der außerbörslichen Umsätze erreicht werden kann; Welt 16. 4. 1969 nachbörslich setzte eine Befestigung der D-Mark ein; MM 8. 2. 1986 Wer was wann wo bis zu welchem Kurs verkaufen will — der Händler schreibt es auf. Telefonhandel vorbörslich heißt dieses morgendliche Vorspiel, das um 10.30 Uhr abrupt endet; ebd. 24. 6. 1989 Besonders lebhaft wurden Aktien vorbörslich gehandelt; ebd. 28. 12. 1989 Der nicht mehr zeitgemäße außerbörsliche Handel soll einem Computerhandel weichen, der einen neuen Keil zwischen die Börsenteilnehmer getrieben hat; ebd. 11.6. 1991 Nachbörslich lag der Dollar bei knapp 1,77 DM; Süddtsch. Ztg. 12. 12. 1995 Hinzu kommt ein größeres EDV-System zur Überwachung des börslichen und außerbörslichen Wertpapierhandels. OV

Börse - Boskett

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Börse2 F. (-; -n), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. niederl. (geld-)beurs (< mittelnieder l. borse < mlat. bursa, —» Börse1; vgl. schon mhd. burse 'Geldbeutel', das wie mittelniederl. borse auf mlat. bursa zurückgeht, dann über frühnhd. bursze, borse, bursche 'Geldbeutel', auch 'Gemeinschaftshaus für Studenten, Handwerksgesellen, Soldaten' (vgl. noch nhd. Burse F. 'Studentenheim') und 'die dort aus gemeinschaftlicher Kasse lebende Genossenschaft' sich zu nhd. Bursche M. entwickelt), anfangs in der niederl. Form. In der Bed. 'Geldbeutel' (—» Portemonnaie), meist in der tautologischen Zs. Geldbörse, öfters in Wendungen wie eine kleine, zierliche, gestickte, volle, pralle Geldbörse herausziehen, zücken, in der Geldbörse herumsuchen, gelegentlich auch in der Bed. 'Gage, Honorar' (s. Beleg 1828), bes. 'Einnahme eines Berufssportlers aus einem Wettkampf (bes. bei Boxern)' (s. Belege 1977, 1979). 1719 Abentheuerl. Welt VI 6 Der Geld-Sack öffnet mir zu aller Lust die Thüre,/ Daran bin ich erkannt, wann meine Goldbeurs spricht,/ So taugt des ändern Wort und gute Meynung nicht; Belemnon 1728 Bauernlex. 84 Gold-Börse. Ein Beutel, Seckel, worinnen man goldene Müntz bey sich trägt; Fleischer 1730 Herr v. Lydio I 18 ich kleidete mich rein und propre an steckte meine Gold-Beurse zu mir; Zachariä 1754 Schnupftuch (l 278) Wenn meine Börse dann das Gold nicht mehr begreift [faßt]; Bretzner 1788 Leben III 73 Der . . Reliquienkrämer, dem bey Ansicht der ansehnlichen Gold- und Silbermännerchen in der Börse des jungen Herrn der Mund wässerte; Seume 1803 Spaziergang (W. i 505) meine Börse wird mich bald genug erinnern die väterlichen Laren zu suchen; Goethe 1828 Br. (WA IV 44,82) Sicherlich nimmt sie [Opernsängerin] von hier eine gute Börse mit; Platen vor 1835 Ges. W. IV 290 Seidne Börse voll Zechinen (SANDERS DWB); Rose 1884 Revanche 113 Der Geschäftswelt gilt die Börse des Brautpaares als gute Prise; Th. Mann 1898 Erz. (W. VIII145) da zog Tobias eine schwarze Lederbörse aus der Tasche, entnahm derselben einen

Fünfmarkschein; ders. 1903 Erz. (W. VIII222) er redete laut, salopp und gutgelaunt, wie ein Mann, dessen Verdauung sich in so guter Ordnung befindet wie seine Börse; Ponten 1926 Siebenquellen 279 Sie . . zog ihre Börse aus Filigranarbeit heraus; Langgässer 1946 Siegel 454 der junge Autor, die Hand auf der glücklich geblähten Börse, warf sich sofort in den nächsten [Wagen] (DUDEN 1993); Kesten 1952 Casanova 142 Casanova weinte gerührt mit und bat ihn, über seine Börse ohne Abrechnung zu verfügen; Grass 1962 Blechtrommel 102 eine Dame bückte sich nach Vinzents ausgeworfener Börse, hatte schon die Finger am Leder; Prodöhl 1977 Tod 14 Der Boxverband entzog Speer die Lizenz für weitere Kämpfe und behielt seine Börse in Höhe von 80.000 Mark ein; Saarbr. Ztg. 3. 12. 1979 Der Bundesranglistenerste [im Tennis] . . kassierte als Börse noch 10.000 Dollar (beide DUDEN 1993); Zeit 8. 5. 1987 daß . . deutsche Soldaten das Saffianleder aus den Sesseln herausgeschnitten und sich daraus Geldbörsen gemacht hätten; ebd. 1. 12. 1995 Chipkarte und elektronische Geldbörse rücken auch in Deutschland immer mehr ins Bewußtsein der Banken. 0V

Boskett N. (-s; -e, selten -s), schon im frühen 17. Jh. vereinzelt bezeugt als direkte Übernahme aus dem Ital. (s. u.), seit früherem 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus frz. bosquet, engl. bosket 'Wäldchen, Baum-, Gehölzgruppe' (< gleichbed. ital. boschetto, einer Verkleinerungsform von bosco < mlat. boscus 'Wald, bewaldetes Gelände, Gebüsch', eventuell zurückgehend auf altprovenzal. böse, altfrz. bois, bos(c) 'Wald, Baum'; —> Bukett, vgl. dtsch. Busch), anfangs und vereinzelt im 19. Jh. in der ital. Form (s. Belege 1624, 1812), im 18./19. Jh. häufiger in der frz. Form Bosquet(t) und gelegentlich in der Schreibung Bosket. In der Bed. '(Lust-)Wäldchen mit gewundenen Wegen und schattigen Sitzen, Gruppe von beschnittenen Büschen und Bäumen auf geometrischen oder in freien Formen gestalteten Grundrissen, meist symmetrisch angeordnet, manchmal auch in Form eines Irrgartens; Gehölzgruppe; Parkanlage, bes. in Renaissance- und Barockgärten' (—> Park), gelegentlich als Grund- und Bestimmungswort in Zss. Blumen-, Fliederboskett; Boskettpartie, -anläge, -pflanzen.

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1624 (Christian d. ], zu Anhalt 1858 Tagebuch 272) Der garten ist Zimlich schön, hat einen feinen wald oder boschetto von schwarzen und weißen tannen; Brockes vor 1740 Ird. Vergnügen in Gott VIII 293 Die allerschönsten Lust-Fontainen, Bosquetten, Gärten, waren hier; Wieland 1769-70 Ges. Sehr, l 7,334 in irgend einem anmuthigen Bosket; 1772 Frankf. gel. Anz. 632 Der Eingang seines Werks ist Deklamation gegen die Europäische Gärtnerey, besonders die Englische Bosquets; Goethe 1774 Werther (HA VI 56) ich habe dir . . schon viel davon geschrieben, wie hohe Buchen wände einen endlich einschließen und durch ein daranstoßendes Boskett die Allee immer düsterer wird, bis zuletzt alles sich in ein geschlossenen Plätzchen endigt; Möser 1776 Phantasien l 465 es heißt nun auch, wenn ich es recht verstehe, eine Schrubbery oder wie andere sprechen, ein englisches Boßkett; Wezel 1776 Belphegor I 109 Als ich eines Tages in einem Bosket sitze; Landerer 1783 Anl. 26 Gebüsche oder Bosquets; 1784 Journal v. u. f. Deutschland 11 164 Auf der hintern Seite befinden sich, außer verschiedenen Boskets und Spaziergängen, gegen dem ersten langen Gebäude über verschiedene Gemüsgärten; Hirschfeld 1785 Theorie d. Gartenkunst V 98 Die andere größere und schönere Hälfte des Gartens ist ein sogenanntes englisches Bosquet, oder ein Lustgebüsch im freyen natürlichen Geschmack; Jacobi 1792 Allwill I 58 Wir liefen in das hinterste Bosket; 2795 Neues Hannover. Magazin 638 Bosquetpflanzen; Pütter 1798 Selbstbiogr. 554 [Bassin] das in der Rundung [!] mit einem Bosket nach Art eines Englischen Gartens umgeben ist; Matthisson 1802 Evian (V 407) Dies antike Denkmal befindet sich, in einem reitzenden Boskete; Goethe 1808 Tagebücher (WA III 3,361) Allein im Bosket . . Sonnen Untergang sehr schön. Nachts ins Bosket; ders. um 1812 Hackert (WA I 46,258) Die Passion zur Jagd ging so weit, daß des Morgens die Köchin mit dem König in's Boschetto gehen mußte um zu zeigen, wo sie die [Fasanen-)Eier genommen hätte; Pückler-Muskau 1831 Br. e. Verstorbenen IV 358 Die Gesellschaft erging sich in Haus und Garten . . andere tanzten unter Zelten .. oder munkelten im Dunkeln in dichten Boskets; Moltke 1845-46 Wanderbuch (Rom) 70 wirkliche Wäldchen oder doch Bosketts

von sechzig bis achtzig Stämmen; Storm 1858 S. W. l 90 Und wir gingen weiter .. unten an dem Wasser entlang nach den Bosquetpartien; Werther 1861 Kl. Deutschland II 150 [sie] schlich einsam durch die dichtbelaubten Gänge nach dem Bosquet des Waldschlosses Auerbach; Holtet 1863 Letzte Komödiant I Vorr. VII Ich sitze auf dem Schloßberge, am kleinen Tische im Boskett dicht unterm Uhrthurme; Hartmann 1866 Erlebnisse 3 Der Teil zunächst dem Hause enthielt Boskets und Blumenanlagen; v. Kügelgen vor 1867 Jugenderinn. 485 Das etwas kahlgelegene Wohnhaus sollte mit Blumen- und Bosquet-Anlagen eingefaßt, der Röhrbrunnen .. zum Springbrunnen . . umgeschaffen werden; Storm 1882-83 S. W. VII 87 sah er ein helles Kleid zwischen den Bosquetpartieen schimmern; Lindenberg 1883 Berlin 65 Blumen-Bosquets; Polko 1895 Hell u. Dunkel 11 Die kühlen Bosquets des Parkes schützten vor der Sonnenglut; Eckstein 1897 Roland 110 rechts der Park mit seinen Baumriesen, seinen Bosketts und Blumenbeeten; Kürnberger 1898 Eis 60 ein dichtgepflanztes Bosquet von Zwergfichten, untermischt mit hochstämmigen Ahornen; Zobeltitz 1902 Papierene Macht I 7 Auf den Bosketts, die die freien Plätze schmückten, setzten die Knospen an; zur Megede 1911 Quitt 276 zierlichen Bosketten und Rasenrabatten; Gothein 1926 Gartenkunst II 192 die Gestaltung der Bosketts, welche „alles, was das Schönste in einem Garten ist, enthalten"; ebd. II 200 Die geringe Bedeutung der Bosketts [in England] lag allerdings in der Erkenntnis, daß sie für das feuchte Klima Englands nicht passen; Brod 1928 Zauberreich 201 Das Auto surrt auf langer, boskettgeschmückter Prachtchaussee; Volkmann 1938 Streifen 22 ein richtiger Pfarrgarten aus der guten alten Zeit, mit mächtigen Bäumen und dichtem Boskett, mit gewundenen Wegen, berankten Lauben und schweren Tischen und Bänken aus Stein; Behrend 1942 Reise 17 die mittägliche Stille des Gartens, dessen Bosketts von immergrünem fremdländischen Gesträuch ihn fast sommerlich erscheinen ließen; Korrodi 1952 Aufs. 54 die geschorenen Boskette; MM 30. 6. 1988 [er hat] ein Rondell auf den Stufen mit leuchtenden Begonien bepflanzt, vis-a-vis ein Boskett aus Lorbeerbäumchen arrangiert; Zeit 3. 4. 1987 französischer Barockgarten mit Bosketts. OV

Boß M. (Bosses; Bosse), im späten 19. Jh. übernommen aus amerikan.-engl. boss 'Chef, Manager, Parteiführer' (< niederl. baas 'Aufseher, Herr, Meister'). In der Bed. 'jmd., der in einem Unternehmen eine Führungsrolle innehat, für einen bestimmten Bereich verantwortlich ist, Anweisungen gibt, in leitender Stellung ist; Vorgesetzter, mächtige, einflußreiche Person an der Spitze eines Unternehmens' (s. Belege 1921, 1987; -» Chef), auch für 'Anführer einer Gewerkschaft, Partei, Frak-

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tion' (s. Belege 1904, 1950) und 'Anführer einer Gruppe, Bandenführer' (s. Belege 1978, 1988), häufig als Grundwort in Zss. wie Industrie-, Wirtschafts-, Konzern-, Bank-, Öl-, Gewerkschafts-, Partei-, Film-, Kreml-, Gangster-, Bandenboß. Kapp 1876 Aus Amerika U 12 Er hieß in der Folge wegen seines allmächtigen Einflusses nur der Boß (Meister, Herr, das niederdeutsche Baas); Zapp 1896 Offizierstöchter II 160 Aber nur drei Tage hielt er aus, dann gerieth er mit seinem „Boß", einem groben, ordinären Mecklenburger in einen Wortwechsel; Brandt 1900 Zeitfragen 343 Chamberlain war der erste Präsident und der „Boss" der nach England übertragenen amerikanischen Institution des „Caucus"; Münsterberg 1904 Amerikaner l 92 er schafft die Parteien, aber die Partei kann zur Maschine, der Parteiführer zum „Boss" werden — und damit stehen wir schon mitten im Kreis der politischen Institutionen; Kjellen 1921 Grossmächte W. 123 Bedrängnis zwischen Bossen und Trusten; 1931 Handb. d. Amerikakunde 171 boss, der häufige Amerikanismus für „Herr, Meister", der auch in den politischen Slang überging; Zuckmayer 1931 Hauptmann (Ges. W. Ill 314) Da wem wa schon'n Boß finden, der kesse Jungs braucht, und wenn's forne Schmiere is (PAUL); Münch. N. N. 22. 8. 1940 nach der Art jenes unerträglichen Typs von amerikanischem „boss"; ebd. 25. 11. 1944 Dem damaligen demokratischen „Boss" von Kansas City . . hat er zehn Jahre lang gedient; Süddtsch. Ztg. 21. 10. 1950 die bayerischen Parlamentarier und Parteibosse; ebd.

13. 9. 1954 Als Willi Baumeister, der Boss der abstrakten Gilde in Stuttgart, 65 Jahre wurde, widmete ihm der württembergische Kunstverein eine große Gesamtausstellung; ebd. 11.9.1959 des „Kardinalskollegiums", wie die Zusammenkunft der „Bosse" [des DGB] genannt wird; Offenburger Tagebl. 21. 10. 1971 Die grossen Bosse der internationalen Rauschgiftringe kamen bisher ungeschoren davon; Christiane F. 1978 Zoo 17 in Gropiusstadt, in unserem Block, war ein Junge der Boß. Er war der Stärkste (DUDEN 1993); MM 26. 3. 1985 gutbezahlte Tätigkeiten im erlernten Beruf, und dennoch das Gefühl, sein eigener Boß zu sein; Zeit 31. 10. 1986 warum die Architekturbosse beider Institutionen nicht den Streit um die Bauwerke beenden; ebd. 20. 2. 1987 die wochenlangen öffentlichen Anhörungen, bei denen sich Mitglieder der Bürgerinitiative und Atombosse Auge in Auge gegenübersaßen; MM 2. 1. 1988 der kolumbianische Drogenschmuggelboß hatte mit einem echten Entlassungsschein ein Gefängnis in Bogota verlassen; Berl. Ztg. 5. 10. 1990 die CDU verschärfte am Schluß die Polemik, als sie Gysi als „Mafia-Boß" bezeichnete; Spiegel 5. 12. 1994 Ein Polizeiauto eskortiert sie auf dem Weg vom Hotel zum Stadion, auf den verkehrsarmen Alleen des Botschaftsviertels läßt der Fußballboß kurz die Sirene aufheulen. OV

Botanik F. (-; ohne PL), im späteren 17. Jh. entlehnt aus mlat. botanica (sciential ars) 'Heilkräuterkunde, Wissenschaft von den Pflanzen' (zurückgehend auf griech. ( ) 'Krauter-, Pflanzenkunde', zu 'die Krauter betreffend', zu 'Weide, Futterkraut, Gras'), anfangs selten in der lat. (flekt.) Form Botanica. In der Bed. 'Teilgebiet der Biologie, das die Pflanzen erforscht, Pflanzenkunde', bes. von dem Naturforscher Carl von Linne geprägt, der im 18. Jh. die Grundlagen der botanischen Fachsprache schuf, vorbildliche Pflanzenbeschreibungen verfaßte und mittels einer Nomenklatur jeder Pflanzen- und Tierart eine lateinische Doppelbezeichnung (Gattungs- und Artnamen) gab (—» Biologie), früher selten auch 'Pflanzenwelt einer bestimmten Gegend' (s. Belege 1785, 1821), im 20. Jh. öfters ugs. für 'die freie Natur, das Grüne' (s. Belege 1974, 1994). Dazu gleichzeitig die Berufsbezeichnung Botaniker M. (-s; -), zunächst bis ins spätere 18. Jh. in der gelehrtenlat. (flekt.) Form Botanicus, 'Wissenschaftler und Forscher auf dem Gebiet der Botanik, Pflanzenkundler, -kenner', dafür im 18./19. Jh. unter Einfluß von frz. botaniste gebräuchliches Botanist. Seit frühem 18. Jh. die adj. Ableitung botanisch 'pflanzlich, pflanzenkundlich, zur Pflanzenkunde gehörig, die Pflanzenwelt betreffend', häufig in Syntagmen wie (auch

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als Name verwendetes) Botanischer Garten 'Pflanzengarten, in dem bes. seltene oder exotische Gewächse und Heilkräuter gezogen werden; Anlage, in der Bäume und andere Pflanzen nach einer bestimmten Systematik zu Schau- und Lehrzwecken kultiviert werden', botanische Studien, Kenntnisse, Vorlesungen, botanische Exkursion, botanischer Katalog (—> vegetabilisch); im 18./l9. Jh. vereinzelt gräzisierendes bzw. lat. Botanikon/Botanikum (PL Botanika) in der Bed. 'Kräuterbuch', auch 'etwas Botanisches als Untersuchungsgegenstand, etwas die Botanik Betreffendes' (vgl. mlat. botanica, lat. botanicum 'Kräuterbuch'). Gleichzeitig die verbale Ableitung botanisieren V. intrans. (vgl. gleichbed. griech. ) 'Pflanzen zu Studienzwecken sammeln' (vgl. herbarisieren), gelegentlich als Bestimmungswort in Zss. wie Botanisierbüchse, -trommel 'länglicher (Blech-)Behälter, in dem beim Botanisieren die Pflanzen aufbewahrt werden', und das vereinzelte Verbalsubst. Botanisierung F. Botanik: Schorer 1663 Arznei d. Reisenden 178 in der Botanic oder Krauter-Wissenschaft; Ettner 1700 Apotecker 431 Es ist gar gut/ dass die Medicinae Studiosi ad Anatomiam . . ad Pathologiam, Chirurgiam .. ad Botanicam . . angeführet werde; Marperger 1712 Naturlex. 237 Botanica, heist die mit Fleiß erlernte und untersuchte Lehre von denen Krautern, Blumen, Saamen und Pflantzen; 1720 (Mitt. G Erz'gesch. XIII 187) Die Potanica solte auch nicht ohne grossen Nutzen des Sommers über mit denen Knaben vorgenommen werden, zu welchen Ende man sich auch einen Platz erwehlen würde, allerley Kräutter und Pflantzen darin zu zeigen; Crusius 1722 Portrait aller Wiss. 43 Die Botanicam, oder Erkäntniss der Krauter und deren Tugenden; Cröker 1736 Mahler 9 gehöret hierher als ein Theil der Natur-Lehre die Botanic, oder die Wissenschaft der Krauter und Pflantzen; Sulzer 1748 Erziehung d. Kinder (Pädagog. Sehr. 57) Botanik oder Pflanzenwissenschaft; Michaelis 1763 Käsonnement I 94 man denke an die Botanik, oder Sprachen: wie schwer werden die dem Anfänger, der nichts als Bücher gebrauchen kann?; Beckmann 1784-88 Erfindungen // 196 Soll inzwischen jemals die Botanik und überhaupt die Naturgeschichte der Alten aufgeklärt werden; Goethe 1785 Br. (WA IV 7,59) schicke dir eine Schachtel hiesiger Botanick; Matthisson 1795 Italien (IV 132) Dieser wahre Weise widmet einen großen Theil seiner Nebenstunden der Botanik; 1800 Buschs Almanach d. Fortschritte 65 Kräuterkunde oder Botanik; Seume 1806 Sommer (W. l 575) Wenn ich Gurkenblätter und Kartoffelkraut unterschieden habe, bin ich mit meiner Botanik bald zu Ende; ebd. l 588 Die Botanik ist die Lieblingsbeschäftigung mehrerer wohlhabender Edelleute in der umliegenden Gegend; Goethe 1816 Br. (WA IV 27,200) Linnes Schriften .. in denen er die Botanik begründet; ders. 1821 Br. (WA IV 35,38) das Studium der fossilen Botanik in Schlesien . . wo die Naturforscher

zu zeigen bemüht sind, daß die vom Grafen Sternberg bekannt gemachten unterirdischen Pflanzen ganz eigentlich Cactusarten seyen; Matthisson 1825 Sehr. V 335 Vor einigen Jahren studirten sie mit dem nämlichen Eifer Botanik; Carus 1866 Lebenserinn. II 219 In früherer Zeit hat man gewöhnlich eine ungeheuere Lernbegier, man möchte alles umfassen, Geschichte, . . Botanik, Physik; Hartmann 1869 Philosophie 230 die Specialwissenschaften, z. B. Zoologie, Botanik; Riehl 1885 Vortr. II 174 Im Anfang unsers Jahrhunderts galt die Naturlehre für die harmloseste und unschuldigste aller Wissenschaften. Die Botanik war die scientia amabilis, die liebenswürdige Wissenschaft; Kaufmann 1888 Gesch. d. dtsch. Universitäten I 87 die Geschichtschreiber der Botanik [haben] z. B. den Arbeiten des Albertus Magnus ein großes Verdienst beigemessen; Spitteler 1905 Wahrheiten 105 Botanik heisst, buchstäblich übersetzt: Wissenschaft von den Krautern, welche die Kuh frisst; Haeckel 1913 Lebenswunder 105 Allerdings muß die Zellenlehre . . sowohl in der Botanik als in der Zoologie eingehend behandelt werden; Gothein 1914 Gartenkunst l 259 die Paduaner Universität [hatte] als erste einen Lehrstuhl der Botanik; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 512) einiges floristische Rüstzeug war angeschafft, ein Lehrbuch der allgemeinen Botanik . . ein Herbarium, eine kräftige Lupe; Ponten 1926 Siebenquellen 272 Von dem Webstück ohne Ende, Leben, das auf ewig drehenden Walzen läuft, sollen so kleine Musterstreifen wie Botanik, Zoologie und Geologie eine Vorstellung geben?; v. Wahlendorf1936 Erinn. 89 Examen in . . der mir zwar gar nicht zusagenden, aber leicht zu bewältigenden Botanik; Th. Mann 1953 Erz. (W. VIII 884) [sie] wußte genug Botanik, um die Tochter belehren zu können, daß die Pappelbäume „zweihäusige" Gewächse seien; Süddtsch. Ztg. 17. 12.1965 Professor Merxmüller, Direktor des Instituts für systematische Botanik; Kempotf-

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ski 1974 Immer 29 unser Lehrer . . Ich fand es un- Schönheit noch die Nutzbarkeit der Pflanzen rühren, er soll ihre Bildung, ihr Verhältniß zu dem übwahrscheinlich, wenn er mit uns den ganzen Tag rigen Pflanzenreiche untersuchen; Seume 1793 — durch die Botanik zog und nachher das vertiefte 1811 Kl. Sehr. (W. 11 158) Wenn der Knabe . . an (DUDEN 1993); MM 20. 7. 1985 Wissenschaftler des Forschungszentrums Wald-Ökosysteme/ Wald- dem Bache sitzen bleibt, Krauter sammelt, sie zersterben am Göttinger Institut für Forstbotanik ha- gliedert und darüber Untersuchungen anstellt, so mag er vielleicht . . als Botanikus mit Cook um die ben erstmals mit Hilfe radioaktiver Strahlen . . Bäume durchleuchtet und sind dabei auf alarmie- Welt segeln; ders. 1806 Sommer (W. l 720) Für ihn rende Tatsachen gestoßen; ebd. 24. 10. 1985 die als Botaniker mag Schweden allerdings sehr reiche biologischen und medizinischen Experimente, wo Ausbeute geben; Sartori 1812 Reise l 72 Botaniker, im Bereich der Botanik z. B. die Wachstums-Rich- die meist ihr Obdach hier [Holzhauerhütte] finden; tung von Pflanzenwurzeln in der Schwerelosigkeit Goethe 1830 Naturwiss. Sehr. (WA II 6,265) diebeobachtet wird; Zeit 3. 10. 1986 Rheinland-Pfalz sem vorzüglichen Manne, der zugleich als einsichpauschaliert die Bestimmungen für Hecken, diffetiger Botaniker und genauster Zeichner, sowohl renziert aber sehr stark die für Bäume . . der Para- vollendeter Pflanzen als ihrer mikroskopischen Anfänge, rühmlich bekannt ist; Herbart 1841 Vorlegraph liest sich wie ein Auszug aus einem BotanikLehrbuch; Spiegel 18. 4. 1994 tonnenschwere Men- sungen 57 Das empirische Interesse wird in seiner gen an Körnern, Kokoskringeln und Krusten, die Art einseitig, wenn es eine gewisse Art von Erfahvon Omis und Opis Tag für Tag in der städtischen rungsgegenständen mit Vernachlässigung der übriBotanik ausgestreut werden; ebd. 13.6.1994 gen ergreift. So wenn einer bloß Botaniker, oder Linne .. Begründer der modernen Botanik. Mineralog, oder Zoolog sein will; Sulzer 1860 Seehof 23 da er von Jugend auf ein Blumenfreund und Botaniker: Lassenius 1661 Tischreden 354 in Erler- tüchtiger Botaniker gewesen; Holtet 1863 Letzte Komödiant 111 214 Und so berg' ich abermals diese nungen der wunderlichen Nahmen, die die BotaBlätter in die blecherne Kapsel, die ich wie ein Bonici den Krautern gegeben; Addison 1672 WestBarbarey 10 Dieses wurde ich von einem/ in die- taniker überall mit mir herumtrug; Kaufmann 1888 Gesch. d. dtsch. Universitäten I 87 Wenn es sem Stuck der Natur/ wolerfahrnen Botanico beaber einen Botaniker sonderbar anmuten wird, in richtet/t welcher angefangen die Barbarischen Simseinem Fache den scholastischen Formeln und plicia zu samlen; Lehmann 1699 Schauplatz 496 Quästionen zu begegnen, so haben doch die GeWiewohl von den Botanicis nicht ausdisputirt, schichtschreiber der Botanik z. B. den Arbeiten des wie nahe die Eschern/ Buch-Eschern/ SteinAlbertus Magnus ein großes Verdienst beigemesEschern und Han-Buchen eigentlich unterschieden; sen; 1898 Zschr. f. dtsch. Phil. XXX 419 Im ganScheuchzer 1707 Natur-Gesch. 1.2,90 Die neuesten zen mutet das buch in seiner trockenheit und seiBotanici . . bringen dise Pflanze under das Genem Schematismus etwa wie ein reichhaltiges und schlecht des Steinklee; Fassmann 1729 Narr 96 wolgeordnetes herbarium an; einem sprach-botaweil Andreas Matthiolus, Parnaßischer Botanicus, niker wird es sicher gute dienste leisten; Th. Mann unter diesen Krautern und Blumen den gifftigen Napellum gefunden hat; 1738 Hamb. Berichte 474 1911 Reden u. Aufs. (W. IX 53) er setzt die Geographie unerforschter Länderstrecken fest, er ist erfahrene Botanici oder Kräuterkenner; Sulzer 1745 Kurzer Begriff aller Wiss. 32 wenn sich alle Botaniker und Zoologe großen Stils; ders. 1924 Zauberberg (W. III 505) man könnte zum BotaniBotanici so viel Mühe würden geben, die Kräffte ker werden . . man könnte wahr und wahrhaftig der Pflanzen zu erforschen; Schönaich 1754 Ästhetik 63 In der blühenden Schreibart . . ist der Bota- Lust bekommen zu dieser Wissenschaft vor lauter Spaß an dem Wiedererwachen der Natur nach einikus und Grammatikus stark; Sonnenfels 1769 nem Winter bei uns hier oben!; Dtsch. AZ. Polizey 11104 Die Chymisten, Mechaniker und Botaniker geben die Verbesserung der Ackerbaugerä- 4. 9. 1935 der internationale Botanikerkongreß; Uexküll 1936 Welten 190 Die Zelle, die von den the, und Versuche andrer Art an die Hand, um sie Zoologen und Botanikern als Baustein angesprovon den Landwirthen ausführen zu lassen; Beckchen wird, reicht zum Bau eines Pflanzen- oder mann 1783—86 Erfindungen l 224 Obgleich der Tierkörpers aus, aber nicht weiter; Bamm 1956 Ex Blumenhändler ein zahlloses Verzeichnis der Tulovo 228 der hervorragende Tübinger Botaniker; penarten ausgiebt, so kennet der Botaniker doch Zeit 30. 8. 1985 Gustave Flaubert, leidenschaftlinur zwo, höchstens drey Arten dieses Geschlechts; ders. 1784-88 Erfindungen II 585 Wer diese Annä- cher Botaniker in der Flora des Geschwätzes, hat herung nicht erkennet gleicht dem Unbotaniker, im Laufe seines Lebens und Lesens ein schönes welcher die natürlichen Ordnungen der Pflanzen Herbarium der plattesten Platitüden und dümmnicht bemerkt; Goethe 1793 Naturwiss. Sehr. (WA sten Dummheiten angelegt; ebd. 2. 1. 1987 das Un11,22) So soll den echten Botaniker weder die kraut ist auf dem besten Weg zur Modellpflanze

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für genetische Experimente, zur „Fruchtfliege der Botaniker" zu werden; MM 24. 6. 1987 trotz eines eindringlichen Appells von mehr als 100 Paläobotanikern; ebd. 5. 9. 1987 dort sammelt er seine Eindrücke und trägt sie nach Hause wie der Botaniker seine kostbaren Funde; Süddtsch. Ztg. 3.2.1994 Marie Therese war eine hochgebildete Frau, eine anerkannte Botanikerin; MM 4./S. 11. 1995 Zwei erfahrene Botaniker . . schrieben damit das Werk ihres Lebens, das die gesamte mitteleuropäische Flora vorstellen soll. Botanikum/Botanikon: Elis. Charl. 1720 Br. V 28 chicoree . . wo mir recht, heist es wegerich. Ich wils alleweil in dem teütschen botanicum nachsuchen; Goethe 1790 Br. (WA IV 9,173) Außerdem noch Fausten und das Botaniken in Buchhändlers Hände geliefert; ders. 1828 Tagebücher (WA 111 11,192) Kam eine Sendung von Wien: Botanika; ders. 1830 Tagebücher (WA 111 12,224) Nachher zeigt' ich ihm Botanica auf Metamorphose der Pflanzen bezüglich. botanisch: Messerschmidt 1725 Sibirien IV 93 schriftliche Resolution . . sonderlich der Maler und des botanischen [zum Botanisieren benötigten] Jungen wegen; Michaelis 1770 Raisonnement U 35 Ist aber ein botanischer Garten auf öffentliche Kosten angelegt; 1772 Frankf. gel. Anz. 228 von unsern botanischen Systemen zu reden, so ist keines, das nicht hin und wieder einen Zusatz, oder eine Feile zuließe; Musäus 1781 Physiognom. Reisen l 171 Was aber wichtiger ist als alle physische, botanische, oekonomische .. Entdeckung und Beobachtung; 1787 Journal d. Moden II 6 der botanische Garten; Kortum 1791 Lebensgesch. 35 da ich das botanische Studium vorzüglich liebte, so brachte ich viele Nebenstunden im Sommer entweder im medizinischen Garten draußen, oder in Wäldern und kräuterreichen Fluren zu; Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 288 In Holland hat wenigstens der botanische Garten zu Leyden schon vor dem Jahre 1686 diese Pflanze gehabt; Seume 1803 Spaziergang (W. l 377) ein Kanonikus [hat] einen kleinen botanischen Garten, wo er schon die Papierstaude von Syrakus als eine Seltenheit hält; Matthisson 1804 Alpen (VI144) daß ich die harmlosesten Stunden in einsamen Bergthälern auf botanischen Wanderungen verlebte; Goethe 1806 Atntl. Sehr, LII1 508 befindet sich zu Jena ein botanischer Garten, vor etwa zehn Jahren angelegt, worin die Pflanzen nach ihren natürlichen Familien, soviel es sich thun läßt, geordnet sind (GWB); 1818 Die Wage l 228 Das arme Kind, wußte gar nichts von dem botanisch-erotisch-martialischen Geschenke; Goethe 1828 Br. (WA IV 45,55) Sollte beykommend abgebildete Pflanze noch nicht zu Ihrer

Kenntniß gelangt seyn, so wird die Darstellung derselben, nebst botanischer Beschreibung, willkommen seyn; Csaplovics 1829 Ungern 1181 einen mit wahrem botanischen Reichthum gezierten Park; Schütz 1835 Darstellung II 171 Wenn der Hallische botanische Garten einen guten botanischen Gärtner besitzt; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre l 53 die Gewächshäuser mit ihren botanischen Seltenheiten zogen ihn wenig an; 1867 Beschr. OA Tübingen 251 1805 botanische Garten in Tübingen angelegt; Raabe 1879 Zum wilden Mann 39 Es war mein Kamerad, . . mein botanischer Wissenschaftsgenosse; Gothein 1914 Gartenkunst 1258 der botanische Garten in Padua .., das vielbewunderte Vorbild all der anderen öffentlichen botanischen Gärten in Nord und Süd; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 505) ich werde mir einen oder den anderen botanischen Schmöker zulegen, um mich etwas besser zu informieren auf diesem Lebens- und Wissensgebiet; Schindler 1934 Getreidearten 15 botanisch-morphologische . . Merkmale; Böttner 1935 Gartenbuch 133 kommt es doch dem Gartenfreund in der Regel nicht auf eine botanische Pflanzenzusammenstellung, sondern auf die physiognomisch richtige Wirkung an; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 594) die Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Kunst und Wissenschaft, will sagen die Bibliotheken, die Zeichenschulen, den Botanischen Garten, die Sternwarte und die naturwissenschaftlichen Cabinette; Münch. N.N.l. 3. 1944 25 Jahre Botanisches Museum (Überschr.); Welt 14. 7. 1949 der botanische Garten von Nancy zeigt in einer Sonderschau die verschiedenartigsten Kakteen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 588) der Professor erklärte, daß er sich an unserem botanischen Spaziergang nicht beteiligen könne; Süddtsch. Ztg. 17.12. 1965 Die Regensburgische Botanische Gesellschaft, am 14. Mai 1790 gegründet . . beging in einer Feierstunde ihr 175jähriges Bestehen; 1966 Urania XI 26 zwei Forstbotanische Gärten .. haben sich auf forstlich wichtige Pflanzen spezialisiert; MM 18.4.1985 neben den botanischen Experimenten wird im Rahmen einer biologischen Forschungseinheit auch die Entwicklung von Froschlarven in verschiedenen Altersstufen untersucht; Zeit 27. 9. 1985 die Geschichte der Botanischen Gärten und ihrer Pflanzen in Berlin begann im Jahr 1573 im Lustgarten am Berliner Schloß; ebd. 14. 11. 1986 er benutzt die Flagge der Welternährungsorganisation, um zu sammeln und den Fluß botanischer Schätze aus der Dritten Welt in den Norden zu lenken; Spiegel 4. 7.1994 Die dabei gefundene Pflanzenvielfalt in den verschiedenen Bergregionen verglichen sie mit botanischen Berichten aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts.

Boudoir botanisieren: Thilo 1716 Vorr. z. Franckes Kräuterlex. 7b [wenn sie] das eine [Exemplar] bey dem botanisiren gebrauchten; Messerschmidt 1722 Sibirien 1306 Ich botanisierte also die Gebürge etwas durch; Stoppe 1728 Gedichte 1151 Bey finstrer Nacht botanisiren; Hasselquist 1762 Reise n. Palästina l Ich hatte allemal große Lust gehabt, auf den schwedischen Scheeren zu botanisiren; Goethe 1773 Baukunst (WA 137,140) Blumen, Blüthen, Blätter . . das alles ich auf dem Spaziergang. . zu meinem Zeitvertreib botanisirend eingesammelt; Musäus 1781 Physiognom. Reisen 111 5 [er] habe sich tief aus Schwabenland heraus ins Erzgebürge botanisirt; ]ean Paul 1795 Fixlein (W. VII 19) nämlich den Rabenstein und einen wohlgekleideten Herrn, der darauf botanisierte; Ratschky 1805 Neuere Gedichte 5 Hier. .,/ Stört nichts mehr, als ein Hase,/ Der rauschend in dem Grase/ Des Hains botanisirt; Brentano 1813 Valeria 51 Ich bin der Arzt des Schlosses, ich komme vom Botanisiren; Wagner 1848 Kaukasus H 8 ein schlichter Reisender, der wohl selbst Hammer und Botanisirbüchse auf die Berge schleppt; Kohl 1852 Südöstl. Deutschland l 74 botanisirenden Exkursionen in die Wildnisse des "Todten Gebirges'; W. Heine 1856 Reise um d. Erde l 48 Nachdem wir einen guten Theil des Tages mit Abschlagen kleiner Brocken von grossen Steinen — geologisiren genannt — und Auszerren von Pflanzen mit den Wurzeln — botanisiren genannt, zugebracht hatten; Noe 1865 Baier. Seebuch 452 hundertmal den schwanken Boden durchwandern, und stets die Botanisirbüchse mit neuem Raub heim bringen; Raabe 1879 Zum wilden Mann 33 Um neun Uhr morgens zog ich mit meinem Auftrage, das Frühstück in der Tasche, die Botanisierbüchse auf dem Rücken, vom Hause .. ab; Trinius 1885 Mark. Streifzüge U 161 da hängt ja schon wieder Deine Botanisirtrommel Dir auf dem Magen statt auf dem Rücken; Th. Mann 1911 Reden u. Aufs. (W. IX 46) um jene Zeit, als der Dichter in einem menschlich und politisch desperaten Zustand auf dem Gute der ihm befreundeten Familie Itzenplitz botanisierte; Heilborn 1925 Berlin 80 die Fuchsberge, wo wir Sonnabend mit unserm alten Professor Bischof botanisieren gingen; Loan 1930 Mensch (Übers.) 243 Denn an Hand dieses Büchleins .. kann nun ein jeder ein bisschen in menschlichen Erfindungen botanisieren, seine eignen Schlußfolgerungen ziehen; Nora 1932 Am Färbergraben 139 [er] botanisierte . . die kleinste und geheimste Flora Deutschlands bildete sein Forschungsfeld; Münch. N. N. 15. 6. 1944 Der Sinzin-

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ger spielt noch immer sinnierend mit dem Deckel der Botanisierbüchse aus den Kinderjahren; Fallada 1965 Herr 106 So werden wir botanisieren gehen, nach Räupchen suchen und Schmetterlingen; Zeit 27. 9. 1985 die Pflanzenheilkunde ist vorangekommen, nachdem sie lange Zeiit in der Botanisiertrommel zweifelhafter Wunderheiler verschunden war; ebd. 28. 2. 1986 die moderne Ökologie hat einen weiten Weg zurückgelegt seit jenen Zeiten, als ein Biologe sich schon für einen Ökologen halten konnte, wenn er, ausgestattet mit Botanisiertrommel . . die Spielarten und Mengen von Lebewesen in einem Tümpel, einem Unterholz . . feststellte; ebd. 8. 8. 1986 Tagebücher von Schriftstellern sind meistens auch literarische Botanisiertrommeln, Reservekanister für Einfalle und Formulierungen — ein „Ideenmagazin", wie Kleist das nannte; MM 23. 3. 1988 der Jubilar wohnt ganz in der Nähe im Grünen, wo er beim Wandern und Botanisieren immer noch die lebendige Natur beobachten kann. Botanisierung: Hebel 1797 Br. 59 Mit meiner oberländer Botanisirung haben Sie Ihren lieben Spaß, wozu ich mich einem Freund gern hergebe. Botanist: Hamann 1759 Briefw. l 304 Unser Freund ist ein guter Botanist, er versteht sich auf Blumen und Pflantzen; 1772 Frankf. gel. Anz. 229 die Trivialnamen des Linnäus, dessen Beschreibungen, nebst einigen ändern vom Bauhin, Morison .. und sonst berühmten Botanisten; Volkmann 1778 Italien III 176 ein grosser Botaniste; 1786 Journal v. u. f. Deutschland U 509 Die umliegende Gegend scheint der Wissbegierde der Kräuterkundigen, die nicht blosse Stubenbotanisten seyn wollen, viele Nahrung zu geben; Schrank 1789 Baier. Flora 148 Gleichwohl ist es wahr, daß es dem Botanisten oft sauer wird, eine Pflanze, die er in der Hand hat, im linnäischen Systeme zu finden; ders. 1793 Reise 347 Botanisten, nicht bloss Kräuterkenner; Herder vor 1803 S. W. VIII 87 Daß ein Botanist bloß die Krauter, die auf Mistbeeten wachsen, für die ganze lebendige Flora angesehen hätte (KEHREIN); 1816 Allg. Lit.-Ztg. U 136 daß sie noch ferner die ganze Aufmerksamkeit der Botanisten verdienen; Goethe 1828 Naturwiss. Sehr. (WA U 7,161) In dem Falle. . wo zwei beschreibende Botanisten dasselbe Wesen auf eine widersprechende Weise darstellen; ]. Grimm 1846 Kl. Sehr. VII569 botanist (wenigstens die Franzosen gebrauchen botaniste, falls bei uns botaniker vorherrscht). OV

Boudoir N. (-s; -s), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. boudoir (mit dem den Ort einer Tätigkeit bezeichnenden Suffix -oir abgeleitet von bouder 'schmollen').

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Boudoir

In der Bed. 'elegantes, intim-privates Zimmer einer Dame, in das sie sich zurückzieht, wenn sie ungestört sein will', vgl. im 18. Jh. Verdeutschungsversuche wie Schmoll-, Launen-, Trotzwinkel, heute veraltend, zuweilen auch ironisch-spöttisch gebraucht; seit früherem 19. Jh. als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Dirnen-, Frauenboudoir; Boudoirdame, -geheimnis, -intrige, -maierei 'Malerei, mit der ein Boudoir ausgestattet ist', Boudoirszene und das Adj. boudoirsmäßig. Dazu vom späten 18. bis Anfang 20. Jh. das intrans. Verb boudieren 'schmollen', z. B. mit jmdm. boudieren 'mit jmdm. schmollen, böse sein', im frühen 20. Jh. die subst. Gelegenheitsbildung Bouderie F. (-; ohne PL) 'das Schmollen'. Boudoir: Linde 1706 Gedichte 12 Das Cabinet der Modedame, (Boudoir), ein Zeughauss schöner Frauen; Möser 1778 Phantasien (S. W. /// 132) Die Kunst Nichts zu thun, mag . . auf zweierlei Art ausgeübet werden, als einmal auf diese, daß man würklich die Seele völlig ruhen läßt und sich in dem Launewinkel (boudoir) einschließt; Hermes 1778 Sophiens Reise HI 685 Haus und Stube wären wieder, was sie waren, nicht mehr Pallast und Boudoir; Blumauer 1784—94 Virgils Aeneis (Ges. W. / 183,1 Frau Juno . . hielt, in ihr Boudoir versperrt, . . Dies Selbstgespräch darüber; Ramdohr 1787 Malerei III 319 das ganze Werk gehört nicht in eine Kirche. Im dem Boudoir eines Pariser Freudenmädchens, da würde es an seiner Stelle stehen; 1788 Journal d. Moden III 101 ein elegantes Boudoir einer Dame; 1790 Beobachter 3 alle skandalösen Anekdoten aus allen Kabinetten, Klosets und Boudoirs; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 171 Boudoir: ein kleines Zimmer, worin man sich begiebt, um allein zu seyn .. Campe hat dies fremde Wort zuerst durch Maulzimmerchen und nachher durch Schmollwinkel, oder Schmollkämmerchen, verdeutscht. Ich bringe statt deßen Trotzwinkel in Vorschlag . . Indes haben alle diese Ausdrücke für die feine Umgangssprache noch etwas zu Hartklingendes, und das fremde Wort wäre in dieser Rücksicht wohl nicht ganz zu verwerfen; Schütze 1794 Hamburg. Theatergesch. 648 von woher dies Gerücht kam, ob aus den Koulissen oder Boudoirs (Schmollwinkel nach einer neuen, hier wenigstens passenden Verdeutschung [Campes]), ob von weiblicher oder männlicher Lästerzunge; Heynatz 1797 Antibarbarus II 383 das Schmollkämmerchen ist eine ganz richtige Uebersetzung von Boudoir; Imhoff 1799 Br. 39 haben die Elegantes und Elegans in ihren Boudoirs sich schon dergleichen Suportes und Wandverzierungen angebracht?; Kotzebue 1801 Jahr II 227 Das letzte Zimmer . . war ein Boudoir oder rundes Cabinet, welches abermals von Pracht strotzte; Goethe 1811 Hackert (WA l 46,122 f.) Gouache-Landschaften .. diese Art Mahlerei gefiel so durchgängig, daß jedermann kleine Cabinette und Boudoirs mit Gouache-Gemählden und Handzeichnungen verziert begehrte;

Lady Morgan 1821 Reisen. Italien (Übers.) 349 wie ein Pariser Schmollzimmerchen (boudoir) ein Ort ist, wo Niemand schmollt; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti III 199 horreur eines Boudoirs mit grünen Vorhängen, gold'nen Quasten und einem scharlachrothen Divan, wird keine Dame aus der großen Welt, ihren Geliebten liebkosend: „Du Schuft!" nennen; Guseck 1851 Salvator I121 Manche Dame, die in einem eleganten Boudoir, umgeben von tausend Überflüssigkeiten eines raffinirten Luxus; 1855 Prutz' Museum l 685 Ansichten und Kenntnisse, die bisher . . eingeschlossen lagen im Zauberbann der Gelehrtenstube, verbreiten sich auf den Schwingen der Journalistik mit derselben Schnelligkeit in das Boudoir der Dame wie in das Bureau des Geschäftsmanns; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen l 268 ein Boudoir, das still und schattig und reich ist, wie das Boudoir der Liebesgöttin; Meissner 1866 Schwarzgelb 206 war er schnurstracks umgekehrt und als glücklicher Besitzer eines Hausschlüssels ohne jedes Hinderniß in das Boudoir der Frau von Sesie gedrungen, deren Geliebter er schon seit längerer Zeit war; Nordau 1881 Paris l 257 schon zu vier Jahren war sie mit allen Details des Boudoirs vertraut, das für den Mann ewig ein Museum von tausend bizarren Geräthen, von Schachteln und Flaschen und Töpfen aus Silber und Schildpatt, aus Glas und Porzellan bleibt; Falke 1895 Zeit 186 f. [das] Boudoir [im 18. Jh.] . . das Gemach für Geist und Liebe, das Gemach, in dem es nur ein tete-ä-tete gab, ein Leben und Geniessen zu zweien . . Um die Mitte des 18. Jhs. war das Boudoir ganz allgemein; Gilly 1896 Fesseln I 49 saß seine Cousine Clara in ihrem prachtvoll ausgestatteten Boudoir; Taine 1907 Philosophie (Übers.) 21 bei den Akademie- und Boudoirmalern, mit welchen im 18. Jh. die französische Malerei aufgehört hat; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 137) ihr Boudoir, der Raum, in dem sie ganz enge Nachmittagsempfänge gab; Bin 1910 Provence 134 Ich wagte, in ihr elegantes kleines Boudoir einzudringen und beging das noch größere Wagnis, da Brahms zu spielen; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 106) Allmählich wurde sie [Kaunitz' Theorie] zum dernier cri, zur politischen

Boulevard Mode, zum schicksten Gesprächsstoff der Boudoirs und Kaffeehäuser; ders. 1915 Reden u. Aufs. (W. X 109) im Boudoir ihres Lustschlößchens Babiole fanden jene geheimsten Unterhandlungen zwischen ihr, dem Grafen Starhemberg und dem Abbe Bernis, ihrem Günstling, statt; Werfe! 1924 Verdi 239 f. Ja, alle Manneskraft und -arbeit von Paris scheint ins Boudoir zu münden. Carmen . . ist dieses Paris, das den Mann aussaugt und ihn herunterbringt; 1928 Querschnitt 825 Das Coupe war elegant wie das Boudoir einer Dame, die auf sich hält, blaubespannt und zierlich; St. Zweig 1948 Balzac 346 Gleich der erste Antrittsbesuch dehnt sich in dem berühmten Boudoir in der Rue des Batailles drei Nächte lang aus; Th. Mann 1953 Erz. (W. VIII 884) auf den Etageren und Tischchen ihres Boudoirs Sträuße von wohlerquickten Rosen; Zeit 22.2.1985 im Hilton, Hinterzimmer oder Boudoir, wo die Politik gemacht wird; ebd. was trennt uns vom Boudoir der nicht bloß ansehnlichen, sondern auch lebensklugen Mätresse; Torwegge 1990 Liebe 62 „treten Sie ein, meine Herren, in mein bescheidenes Boudoir", empfing sie die Fürstin; Spiegel 8. 2. 1993 Die Innenausstattung eifert Neuschwanstein und Versailles nach: Zimmerfluchten, Kamine und Boudoirs; ebd. 7. 6. 1993 Hängt so der Neue Philosoph einer älteren Denkrichtung nach, der „Philosophie im Boudoir" des Marquis de Sade.

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Bouderie: Handel-Mazzetti 1929 Maria I 50 und es war etwas von der Bouderie eines jungen Mädchens in ihren Augen. boudieren: 1784 (1917 Mitteil. Schles. Ges. f. V. K. 221) Boudieren; Pückler-Muskau 1822 Briefw. u. Tagebücher V 334 [das] Kind boudirt daher noch, und stellt sich sehr ungebärdig an; Heine 1844 S. W. VI 453 er [Donizetti] boudiert, Gott weiss, warum!; Gutzkow 1850 Ritter U 127 Mutter, die wegen meines plötzlichen Entschlusses zu reisen, mit mir boudirte; Heine 1854 Br. (S. W. Ill 514) Nachdem Sie fast ein Jahr boudirt, boten Sie die Hand zum Frieden; Treitschke 1857 Br. l 417 Bist Du durch den Verkehr mit Deinen vielgeliebten „unbefangenen" Schwäbinnen so tief in die irae amantium hineingerathen, daß Du das Boudiren selbst unter Männern nicht lassen kannst?; Hackländer 1868 Welt H 227 ein Herr von Ihrem Vermögen zieht sich [wenn er die Hofgunst verloren hat] auf seine Güter zurück und boudirt mit dem ganzen Hofe; Heyse 1904 Ges. W. Ill 4,457 Eine Laune wird es von ihm sein, einmal einer femme de quarante ans so beflissen den Hof zu machen,. . vielleicht bloss, um eine andere, mit der er gerade boudiert, zu kränken. RS

Boulevard M. (-s; -s), im späten 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. boulevard, älter auch boulevart, boulever, bolevers, 'Festungswerk, Stadtwall' (< mittelniederl. bolwerc 'Festungswall, Wallgang zwischen der Brustwehr und der inneren Böschung'; verw. mit dtsch. Bollwerk, vgl. schon mhd. bol(e)werc 'Gerüst zum Werfen und Schleudern, Wurfmaschine; Anlage zur Verteidigung einer Feste'), anfangs selten auch in der Schreibung Boulevart. a Zunächst für ' (Festungs-) Wall und Schanze zur Verteidigung, Festungswerk vor dem Hauptwall, Bollwerk' (—* Bastei, —» Bastion). b Von daher seit späterem 18. Jh. in der Bed. '(an der Stelle ehemaliger Festungswerke verlaufender) Wallgang, bes. zum Spazierengehen oder als gesellschaftlicher Treffpunkt' (—» Promenade), seit früherem 19. Jh. (s. Belege 1832, 1835) übertragen verwendet für '(zuerst von Napoleon für militärische Paraden wie eine Schneise ins Stadtbild geschlagene) breite, ringförmig verlaufende, meist von Bäumen bzw. Alleen gesäumte Ring-, Pracht-, Monumentalstraße' (—» Allee, —* Avenue, —» Chaussee), bis ins 19. Jh. vorwiegend auf frz. Verhältnisse (bes. Paris) bezogen, z. B. Boulevard Montmartre/St. Michel, im 20. Jh. häufiger auch für andernorts befindliche ähnliche Straßen verwendet, vereinzelt bildlich gebraucht (s. Beleg 1963). Als Bestimmungswort oft in der abgeflachten Bed. 'Straßen-' in Zss. wie Boulevardtheater (spätes 18. Jh.), zunächst für die kleinen Theater an den Boulevards von Paris, dann allgemein für 'Theater mit leichtem Unterhaltungsrepertoir', Boulevardstück 'publikumswirksames, leichtes Unterhaltungsstück', Boulevardblatt/-zeitung (Ende 19. Jh.) '(im Straßenverkauf angebotenes) groß aufgemachtes Sensationsblatt/Sensa-

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Boulevard

tionszeitung mit Gesellschaftsklatsch zur Unterhaltung der Leser' und Boulevardpresse (Ende 19. Jh.) 'Gesamtheit der in großen Auflagen erscheinenden, sensationell aufgemachten, überwiegend im Straßenverkauf angebotenen billigen Zeitungen' (vgl. Regenbogenpresse), vgl. auch verhüllende Zss. wie Boulevardprinzessin, -dämchen 'Straßendirne' (s. Belege 1870, 1892); seltener als Grundwort in Zss. wie Prachtboulevard. Daneben in jüngster Zeit gelegentlich im Sinne einer Kollektivbezeichnung verwendet für 'Boulevardkunst, -theater' (s. Belege 1988, 1995), z. B. eine Aufführung des Boulevard, Boulevard spielen. Dazu seit Mitte 19. Jh. die (aus gleichbed. frz. boulevardier, eigentlich 'Spaziergänger' übernommene) subst. Ableitung Boulevardier M. (-(s); -s), zunächst für 'Liebhaber der Boulevards; Boulevardbummler', heute auch gebucht für 'Verfasser von reißerischen Bühnen-, Boulevardstücken'; in neuerer Zeit die vereinzelte Berufsbezeichnung Boulevardist M. (-en; -en) 'Journalist, der vorwiegend für die Boulevardpresse tätig ist' und in jüngster Zeit die Gelegenheitsableitungen boulevardisieren V. trans, 'das Wichtigste eines Artikels o. ä. zusammenfassen und verdeutlichen (z. B. durch einen speziellen Druck); etwas aufreißerisch, sensationslüstern darstellen', mit dem Verbalsubst. Boulevardisierung F. (-; -en) und der adj. Gelegenheitsableitung boulevardesk. Boulevard a: Ernstinger 1579-1610 Kaisbuch 176 le boulevard de Momoranci; Wallhausen 1616 Manuale (Gl.) Bastillion. Bastion. Bollovvart. Ein Bollwerk; Neumayr 1620 Reise 13 das alte Thor vnd Beloard; Zeiller 1643 Episteln III 301 Baluardo, Bollwerk (beide JONES); Steiner 1682 Kriegs-Bau-Kunst 20 Bollwerck oder Bouleuuart; Zedler 1733 Universallex. IV o. S. Boulevard s. Bastion; Pirscher 1767 Krieges-Baukunst 23 Boulevard . . Bastey; Humboldt 1789 Tagebücher I (XIV 131 Anm.) Die alten Boulevards umschließen die innere Stadt im Norden vom Tor St. Honore bis zum Tor St. Antoine; Hoyer 1815 Kriegsbaukunst I 149 Bollwerk (le bastion auch boulevard) heißt . . nach seiner ursprünglichen Bedeutung jedes gegen den Feind . . aufgeführte Werk; 1882 Brockhaus III 395 Boulevards oder Boulevarts (abgeleitet vom deutschen Bollwerk) hießen früher in Frankreich die Walllinien der befestigten Städte. Boulevard b: Bode 1768 Yoricks empfindsame Reise II 103 Es schien, als ob das Gesinde den Tag nach Paris kommen sollte, und er hatte mit dem Mädchen und zwey oder drey ändern von des Grafen Bedienten, eine Parthie auf den [!] Boulevard verabredet; Richter 1781 Reise 65 Garten im Palais Royal [in Paris] . .; der Boulevard ist meine Morgenpromenade. Er ist dreyfach mit hohen Bäumen besetzt, und führt fast um die ganze Stadt; 1781 Dtsch. Museum II 511 Jeannot aux Boulevards, der neuere Name für den etwas veränderten Arlequin [in Paris]; Wieland 1783 Aeropetomanie (S. W. XXX 36) die Gilles und Crispins auf den Boulevards [in Paris]; Knüppeln 1784 Charakteri-

stik v. Berlin l 62 Zur Schande der Einwohner ist das hiesige Komödienhaus eine Kasematte, dagegen ein Boulevards-Theater [!] in der kleinsten brittischen Stadt ein Pallast ist; Campe 1789 Br. a. Paris o. S. Ich habe .. bis nach dem Palais royal, und von da bis nach den Boulevards hinauf . . Massen . . anschwellen sehn (PAUL); 2790 Journal d. Moden V 164 Boulevard-Theater; Heinzmann 1800 Fruehst. 182 einen mit bewohnten Häusern umgebenen Spaziergang um die Stadt, (Boulevards), der beynahe zwey Stunden lang ist; Seume 1803 Spaziergang (W. I 522) Die Franzosen haben mehr als andere Nationen dafür gesorgt, daß man in der Hauptstadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien, die elysäischen Felder, die Boulevards . . gewähren eine schöne Ausflucht; 1804 A. Schinkels Nachlaß 1156 wenn man aus den rauschenden Freuden des Palais Royal, der Boulevards, der Theater . . tritt; Campe 1808 Wb. 156 Boulevards [!] . . eine Straße in Paris, da wo ehemals Festungswerke waren; ich nannte sie die Bollwerksstraße; 1813-15 Prinzenbr. 120 Die Boulevards von einem Ende zum ändern, aufm rechten Seine-Ufer, waren von den Garden occupirt; 1814 Br. a. Paris 16 Anm. Boulevards .. So werden die, Parks umgebenden, angenehmen Spaziergänge genennt. Sie bilden die äußere Gränze der Stadt und sind mit mehrern Reihen schattiger Bäume besezt; Borne 1822-24 Ges. Sehr. II 84 Die Pariser Straßen sehen jetzt ganz glorios aus. Die Boulevards, die Quais, alles behängt mit Bildern,.. die Waffentaten erzählen und abbilden; Depping 1832 Erinn. 75 So wie auf den Boulevards, so war auch in dem ehemaligen Garten des Klosters .. ein wahrer

Boulevard Tummelplatz fürs schaulustige Volk; Heine 1835 Romant. Schule 162 will ich aus Vorsorge einige Sous irgendwo auf den Boulevards begraben. Bis jetzt habe ich zwar schon in Paris Geld totgeschlagen, aber nie begraben; Carus 1835 Reise II 284 Ja, ja! Es ist nicht zu verkennen, dieses Genf möchte gar zu gern ein kleines Paris vorstellen! Da müssen dann Boulevards, Assembleen, Academien, Institute, Alles, Alles da sein, freilich in sehr verjüngtem Maassstabe; Beurmann 1836 Hansestädte 159 dier Boulevards . . bieten erfreuliche Lichtpunkte dem Auge dar; Kohl 1845 Paris 57 Es [Gebäude] zeigt der Straße eine zwar alterthümliche, aber keineswegs erfreuliche Seite. Der Boulevard de Capucins trägt seinen Namen davon; Gutzkotv 1846 Pariser Eindrücke 399 in dem „socialen" Boulevard-Drama; Szarvady 1852 Paris l 12 Das Schauspiel auf diesen Boulevards ist so anziehend, so abwechslungsreich, daß man fast nicht dazu kommt, die Häuser selber zu betrachten; 1852 Prutz' Museum I 138 ein solches typisches Boulevardsstück; ebd. l 448 Romantik der BoulevardsTheater; Seyffarth 1855 Paris 206 f. Eine breite Fahrstraße, meist zu beiden Seiten mit glatten Fußwegen gesäumt und überall mit Bäumen bepflanzt, umgürtet die Mauer und bildet. . die äußeren Boulevarts; Rodenberg 1856 Bilderbuch 89 die Boulevards .., dieses Stelldichein von Allem, was schön, galant und gefühlvoll, hinreissend und bezaubernd ist; Mundt 1857 Kaiser-Skizzen l Vorw. o. S. an jedem neuen Vaudeville eines Boulevardtheaters; ebd. I 60 Die Boulevards sind dies unaufhörlich sich schüttelnde Kaleidoskop des französischen Charakters geworden; 1863 Bilder a. Paris I 157 Gegenüber . . der unvermeidliche Restaurant [!] mit seinem Pariser Büffet, . . Kellnern und dem ganzen obligaten Lärm eines Boulevard-Kaffeehauses; ebd. l 371 einer von den tausend Wagen, die von früh bis spät auf den innern Boulevards hinund herrollen; Peterssen 1870 Genrebilder 107 Wer aber nach Paris kommt, und wäre er aus Hinterpommern oder der Auvergne, der nehme sich wohl vor der Urbanität der Boulevard-Prinzessinnen [Dirnen] in Acht; Ratzel 1876 Städtebilder a. Nordamerika l 49 werden sowohl die Straßen als die Avenuen mit Zahlen benannt. .. Seit 1869 geht von der 59. Straße ein Boulevard von 150 Fuß Breite bis zur 150. Straße; er ist längs seiner Mittellinie mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt; Faucher 1877 Culturbilder 193 Es folgen . . der Boulevard des Capucines, der Boulevard des Italiens, der Boulevard Montmartre . . und schließlich der Boulevard St. Martin, welcher auf dem weiten Platze des Chateau d'Eau anlangt, der, als Sammelplatz der östlichen Vorstädte, in allen Straßenaufständen eine so große Rolle gespielt hat; Nordau 1881 Paris l 57 Die Schauspielerin des Boulevardtheaters; ebd.

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l 253 da beeilten sich . . die Boulevardblätter, diese pikante Gerichtsverhandlung aus den englischen Zeitungen zu übernehmen, und es entstand ein lebhaftes Gekicher in der Pariser „Welt"; 1882 Brockhaus 111 395 berühmt sind die Boulevards von Paris, . . die . . an den Platz der Befestigungen traten und erst Spaziergang, dann Straße wurden . . Alle B. von jüngerm . . Datum haben . . mit den ältesten B. nur so viel gemein, daß sie breite, mit Bäumen bepflanzte Straßen sind; 1888 Grenzboten I 264 Er ist derselbe .. wohlbelesene Attache, der sich seine Motive vom Pariser Boulevard, vom Wiener Tanzsaal, vom Markusplatz zu Venedig . . holt; Eckstein 1892 Dombrowsky II 294 Boulevard-Dämchen [Dirne]; Hessen 1895 Dramat. Handwerkslehre 21 vor der frivolen, gepfefferten, durch und durch übelriechenden Pariser Boulevard-Presse; Bin 1910 Provence 83 Wir schlendern auf den Boulevards. Wie belebt die Fahrstraße! Landfrauen kutschieren; zur Megede 1911 Quitt 149 [der] nachlässige Unterhaltungston der Boulevardcafes, den Masso . . in der Gegend [Ostpreussen] einbürgerte; Eberle 1912 Grossmacht 59 Emil de Girardin . . begründete die sensationssüchtige Boulevardpresse; 1927 Sittengesch. d. Hafens 15 Die Reeperbahn [in Hamburg], der Boulevard der Prostitution; Sedlmayr 1933 (Epochen II 264) die vielfache Baumreihe eines „Boulevard" [Ringstraße in Wien]; Berl. Illustr. Nachtausg. 6. 6. 1933 die Boulevard-Reporter sind nun dabei, die Vorgeschichte aufzuspüren; Kitzing 1941 Paris 9 Boulevard St. Michel (die Pariser nennen ihn zärtlich Boul 'Mich'); Welt 9. 8. 1949 es wirkt wie eine Art Ibsen-Thema im Boulevardstil; Gmelin 1950 Zyklenroman 15 Sittenbilder des entarteten Pariser Boulevardlebens; Welt 15. 5. 1954 der Scheveninger Strandboulevard zeigte .. ein Bild wie in der Hochsaison; Süddtsch. Ztg. 5. 5. 1956 Neuer Akzent am Schwabinger Boulevard (Überschr.); Münch. Stadtanz. 29. 7. 1960 Sie [Sonnenstraße in München] ist, im echten Sinne des Wortes, ein „Boulevard", auch in der wortgeschichtlichen Ableitung dieser französischen Bezeichnung nach dem deutschen Wort Bollwerk. Sie repräsentiert sich als eine moderne Monumentalstraße; Offenburger Tagebl. 6. 7. 1963 Straßenlaternen [in der Linden-Allee] . ., die den „neuen Boulevard" zwischen Brandenburger Tor und Humboldt-Universität in strahlende Helle tauchen; Marti u. a. 1963 Literatur 133 Der Boulevard des Lebens im XX. Jh.; Süddtsch. Ztg. 2. 9. 1963 der politische Einfluß des Fernsehens oder der Massen-Boulevardzeitungen; Heuss 1963 Erinn. 36 „Welt am Montag" . ., die man als einen frühen Vortyp der späteren „Boulevardblätter" nehmen mag; Stuttgarter Ztg. 11. 3. 1967 am Einkaufsboulevard Mönckebergstraße [in Hamburg]; FAZ 27. 6. 1971 eine SPD-eigene Boulevard-Zeitung als

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Bourgeoisie

Gegengewicht zu Springers „Bild"; Offenburger Tagebl. 21. 10. 1971 Aus dem Bummel-Boulevard [Kurfürstendamm] mit Gaststätten, Amüsierbetrieben, Hotels, Theatern, Kinos und exquisiten Läden wird langsam ein Geschäfts- und Handelszentrum. Dabei büßt der Ku'damm jedoch seine bisherige Funktion als Westberliner Vergnügungsmittelpunkt nicht ein; FAZ 28. 12. 1971 explodierte ein Sprengkörper auf dem „Boulevard der Revolution" in Belgrad; Zeit 15. 2. 1985 das ist ein erstklassiges Boulevardstück über eine allenfalls drittklassige Boulevardtruppe; MM 20.2. 1985 er war der letzte König des Boulevards, in ihm . . traten noch einmal die Verbindung von Witz und Geist, die Fähigkeit, sich selbst und andere zu unterhalten . . ans Licht einer entzückten Öffentlichkeit; Zeit 7. 6. 1985 eine Schlagzeile über Verrat und Rache im Stil des Boulevardjournalismus; MM 6. 12. 1985 daß die Schlagzeilen der Boulevardpresse . . ebenso einseitig sind wie manche Mutmaßungen; Zeit 24. 1. 1986 von Zeit zu Zeit jubeln Boulevardblätter und Regenbogenpressen ein „neues Krebsmittel" hoch; MM 5. 1.1988 eine Aufführung mit allen Vorteilen des Boulevard, nämlich witzig, locker, unterhaltsam - aber ohne dessen Nachteile wie oberflächliche Figurenzeichnung und plumpe Pointen;. . vermutlich wollte sie das Handwerk und die Techniken des Boulevard einmal so richtig ausprobieren; ebd. 21. l. 1988 Kirche kann weder Boulevard noch Ghetto sein, sondern muß es wagen, offen den Dialog zu führen; Frankf. Rundsch. 12.9. 1990 gegenüber der ehrwürdigen Deutschen Oper an Ost-Berlins Prachtboulevard „Unter den Linden"; Spiegel 4. 7. 1994 das mit dem Münchner Verleger . . Burda . . gestartete Ost-Boulevard-Blatt „Super" wurde schon nach 14 Monaten wieder eingestellt; ebd. 3. 7. 1995 Stückl aber entgeht der Gruftfürsten-Mystik ebenso wie der rhetorischen Blähung — indem er das Stück so spielt, wie es sich der Autor wünschte: als aberwitzigen Boulevard in Richtung Hölle; ebd. 26. 2. 1996 In dieser Woche werden in der Friedrichstraße, dem Pracht-Boulevard des alten Berlin, die Galeries Lafayette eröffnet.

len vermag; Süddtsch. Ztg. 26. 3. 1993 Zwischen dem . . Tingeltangel vom Friedrichstadtpalast und den rein kommerziell kalkulierten Musicalunternehmungen . . bildet sich bereits eine schnell verdauliche, boulevardeske, international vernetzte Großstadttouristen-Kultur heraus; MM 26.3. 1996 Daß gerade dieser leichte, schwerelos-boulevardeske Ton des „Hoffmann" mit all seiner parfümierten Eleganz . . so schwer zu treffen ist — man hörte es bei der Premiere deutlich.

Boulevardisierung: Zeit 18. 4. 1986 von Beethoven zum Roll over Beethoven bis zum Rollerskating mit Beethoven spannt sich das Netz der Boulevardisierung der Ästhetik und der Ästhetisierung der Boulevards.

boulevardesk: MM 4. 4. 1986 durchaus von heute ist die Welt, von der „Company" einen kleinen Ausschnitt zeigt, und heutig sind die Probleme, die es zwar nicht zu lösen, aber mit boulevardesk eingefärbter Skepsis doch . . unterhaltsam darzustel-

Boulevardist: Welt 20.5.1969 eine Ganovenkneipe, die Tag und Nacht geöffnet hat und zur Festspielzeit das Feld freigibt für gut verzehrende deutsche Kritiker und Produzenten, Fernsehredakteure und Boulevardisten. GS

Boulevardier: um 1848 Salon l 489 Wo der Asphalt ihrer [der Stadt Paris] Boulevards auch dem eingefleischtesten Boulevardier unter den Sohlen zu brennen beginnt; Wachenhusen vor 1871 Ev. 64 Dem Boulevardier, dem Pariser, der auf den Boulevards lebt und zu flanieren gewohnt (beide SANDERS 1871); Nordau 1881 Paris II 107 daß der „alte Jacques" . . an einem akuten Gichtanfall gestorben sei, da wurden die Boulevardiers nachdenklich . . und sie sagten einander mit so viel Rührung . .:"Armer Jacques! Wir werden ihn recht, recht schwer vermissen"; Wachenhusen 1890 Leben II 357 die übermüthigsten Boulevardiers, die petits creves; 1898 Das Neue }abrunden l 1010 Boulevardier [Boulevardbummler]; Harden 1927 Versailles 23 [Eduard VII.] geistreich vergnügt wie der skrupelloseste Pariser Boulevardier; Halbe 1935 Jahrhundertwende 216 Peter Altenberg. Er war, was man in Paris einen Boulevardier nennt; das heisst ein Mensch, der ums Leben nicht von seinen Boulevards loskommt; Schuster 1936 Nachbar im Westen 24 Boulevardier. boulevardisieren: Spiegel 30. 5. 1994 Die politische Glaubwürdigkeit des Fernsehens habe „deutlich" abgenommen, Nachrichten würden boulevardisiert.

Bourgeoisie F. (-; selten -n), im späteren 18. Jh. entlehnt aus frz. bourgeoisie 'Bürgertum, Bürgerstand' (Kollektivbildung zu bourgeois 'Bürger', ursprünglich 'Bewohner einer Stadt (im Unterschied zum Angehörigen des Adels und der Landbevöl-

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kerung)', zu altfrz. bourg 'Marktflecken; befestigte Siedlung' < spätlat. burgus 'Burg, kleine Festung', german. Herkunft, vgl. altfränk. *burg- und dtsch. Burg, Bürger). Zunächst, bis weit ins 19. Jh. häufig noch mit Bezug auf frz. Verhältnisse, als — hinsichtlich seiner sozialen Reichweite — nicht exakt festgelegter Standesbegriff für 'gesellschaftliche Schicht, die alle freien (Stadt-, Gemeinde-)Bürger unter sich begreift, die weder zum Adels- noch zum Bauernstand gerechnet werden; freies, städtisches Bürgertum, Bürgerstand' (s. Belege 1785, 1807, 1827, 1846); im Anschluß an den durch die Saint-Simonisten in Frankreich eingeführten Gebrauch des Wortes speziell für 'kapitalistische Ausbeuterklasse' von den Vertretern der frühen sozialistischen Bewegung in Deutschland (bes. Marx und Engels) aufgegriffen und (seit den 40er Jahren des 19. Jhs.) als gesellschaftswissenschaftlicher Klassenbegriff präzisiert im Sinne von 'die Produktionsmittel besitzende und daher sozial und politisch herrschende Klasse' (s. Belege 1842, 1845, 1848, 1850, 1853, 1877, 1882, 1929, 1935, 1950, 1954, 1989), dabei in verschärften Ggs. zur Industriearbeiterschaft und zum besitzlosen Volk, dem —» Proletariat, gestellt und oft als Kampfwort kritisch oder polemisch auf das industrielle und kommerzielle Unternehmer-Bürgertum bezogen (s. Belege 1840, 1852, 1857, 1888, 1930, 1949), gelegentlich gleichgesetzt mit Ausdrücken wie höheres Bürgertum, wohlhabender Mittelstand, Geldfeudalität, -adel, Besitzbürgertum, Finanz-, Bildungsaristokratie (—» Aristokratie), dabei oft negativ konnotiert mit „egoistisch, habsüchtig, nur auf den eigenen (finanziellen) Vorteil bedacht, unsozial, ausbeuterisch, imperialistisch" (s. Belege 1845, 1866, 1869, 1917, 1954, 1992); etwa gleichzeitig mit zunehmender Betonung des wirtschaftlichen Aspekts auch allgemeiner als Bezeichnung für die meist städtische, wohlhabende, nach politischem Einfluß und Ansehen strebende Oberschicht der Gesellschaft, insbes. für die Besitzer von gewerblichem Vermögen und Finanzkapital (—» Kapital, —> Kapitalismus), daher gelegentlich auch abgeflacht für 'wohlhabendes Spießbürgertum', mit negativen Konnotationen wie „selbstzufrieden, selbstgefällig, saturiert", auch „geistig vertrocknet, philisterhaft, dekadent" (s. Belege 1845, 1919, 1929, 1938, 1966); bis heute jedoch, bes. in bezug auf die höheren Kreise der demokratischen Gesellschaft, vorwiegend wertneutral verwendet zum Ausdruck von Wohlhabenheit und Bildung, bes. in den attributiven Verbindungen die höhere, gehobene, gebildete Bourgeoisie (s. Belege 1950, 1963, 1972, 1987), auch in Wendungen wie zur Bourgeoisie gehören, aufsteigen; die städtische, kapitalistische, verrottete, dekadente Bourgeoisie, Bourgeoisie und Geldadel, der Aufstieg der Bourgeoisie im 19. Jahrhundert, der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie, als Bestimmungs- und Grundwort in zum Teil abwertend gebrauchten Zss. wie Bourgeoisieregiment, -system, -gesellschaft; Groß-, Krämer-, Lumpen-, Monopolbourgeoisie. Dazu die schon seit Mitte 18. Jh. selten, seit früherem 19. Jh. häufiger belegte, aus gleichbed. frz. bourgeois (s. o.) entlehnte Personenbezeichnung Bourgeois M. (-; -), auch Bourgeoise F. (-n; -n; s. Belege 1848, 1898, 1916, 1948), zunächst für 'Angehörige^) des städtischen Bürgertums, des Bürgerstandes', dabei (nach Vorbild von frz. bourgeois vs. citoyen) gelegentlich differenziert in 'Stadtbürger/städtischer Besitzbürger' und '(politisch bewußter) Staatsbürger' (—» Citoyen; s. Belege 1792, 1798, 1827, 1844); seit früherem 19. Jh. speziell als klassenkämpferische, marxistische Bezeichnung für den Angehörigen der sog. Ausbeuterklasse bzw. für den IndustrieUnternehmer (—> Kapitalist), auch als abwertendes Schlagwort z. B. gleichgesetzt

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mit Industrieritter und konnotiert mit „satt, beschränkt, selbstzufrieden, spießerisch, unsozial", selten auch im Sinne von 'Krämerseele' (s. Belege 1847, 1850, 1880, 1920), gelegentlich auf den Bereich von Ästhetik, Kunst und Philosophie übertragen für 'Philister, Dilettant' (s. Belege 1845, 1893, 1929, 1934); bes. als Bestimmungswort in Zss. wie Bourgeoisregiment, -liberalismus, -Sozialismus, -republik, -Staat, -Herrschaft, -literatur, -milieu, -bazillus, selten als Grundwort, z. B. Kunstbourgeois. Dazu seit Mitte 19. Jh. die seltene subst. Ableitung Bourgeoistum N. (-s; ohne PL) '(Spieß-)Bürgerlichkeit (als Gesinnung), Wesen des/der Bourgeois' (s. Belege vor 1898, 1918, 1945), auch 'die Gesamtheit, soziale Schicht der Bourgeois' (s. Belege 1857, 1924), im 19.720. Jh. die adj. Ableitungen bourgeoishaft, -mäßig und bourgeoisoid sowie die vereinzelte verbale Ableitung (ver-)bourgeoisieren 'verbürgerlichen' mit dem Verbalsubst. (Ent-)Bourgeoisierung. Dazu schon seit frühem 18. Jh. das zunächst nur selten in frz. Syntagmen vorkommende, kontinuierlich seit Mitte 19. Jh. nachgewiesene, aus gleichbed. frz. bourgeois übernommene Adj. bourgeois (ohne Steigerung) 'den Bourgeois, die Bourgeoisie betreffend, zu ihr gehörend', gelegentlich negativ konnotiert mit „spießerhaft, dekadent", auch „konventionell, reaktionär" (s. Belege 1971, 1983), in Wendungen wie die bourgeoise Klasse, aus bourgeoisen Kreisen stammen, eine bourgeoise Ideologie, Spießermoral vertreten, bourgeoise Sattheit, bourgeoise Konventionen, Ansichten. Bourgeoisie: Bode 1768 Yoricks empfindsame Reise l 158 Ein medicinischer Reisender möchte sagen, das kömmt von dem unzeitigen Einwickeln — Ein milzsüchtiger, vom Mangel der Luft — und ein neugieriger Reisender, um das System zu unterstützen, mag messen, wie hoch ihre Häuser — wie eng ihre Gassen, in wie wenig Quadratfuß Raum im sechsten und siebenden [!] Stockwerke, eine so grosse Anzahl von der Bourgeoisie zusammen isset und schläft; 1776 ebd. 1161 Bourgeoisie [Kleinbürgerschaft]; ebd. IV 54 Bourgeoisie; Timme 1785 Luftbaumeister I 681 Der Grose [!] . . lernt auch bürgerliches Verdienst schäzen, und der Bourgeoisie die Achtung erweisen, die ihr die verfeinerte Menschheit zugesprochen hat; 1807 Reformministerium Stein l VII Vor allem aber wurde aus Preußen . . „das fortgeschrittenste deutsche Land", dessen Bourgeoisie . . an die Spitze der deutschen Bour-geoisie trat; Tieck 1827 Krit. Sehr. IV 136 Aber der Vornehmere oder Gebildetere in Paris, wenn er in der Vorstadt ein Melodram mit Mord und Todtschlag .. ansieht, bildet sich nicht ein, im Theater gewesen zu sein, er zuckt die Schultern und bedauert die Bourgeoisie, für die es geschrieben ist, und die natürlich noch weit hinter den feinen Einwohnern der Provinz in Bildung zurücksteht; 1827 Brockhaus // 310 Bürgerstand, Bourgeoisie, eine zahlreiche Klasse, welche alle Freie unter sich begreift, die weder zu dem Adel noch zu dem Bauernstand gerechnet werden können; Immermann 1838-39 W. /// 190 Ja, der Adel ist eine Magie; Bourgeoisie und Philosophie mögen sagen, was sie wollen; Heine 1840 S. W. VI 225 Die

Bourgeoisie, nicht das Volk hat die Revolution von 1789 begonnen und 1830 vollendet; Grün 1840 Soziale Bewegung in Frankreich u. Belgien 40 Jottrand [belg. Sozialistenführer] spricht sich in mehreren Artikeln über den Gegensatz zwischen Volk und Bourgeoisie ganz in dem Sinne aus, den Louis Blanc auch in Deutschland bereits populär gemacht hat und der eigentlich ein Verdienst des St. Simonismus ist. Anstatt der alten Feudalität des Adels, hat sich eine Geldfeudalität gebildet, die dem Volke gerade so feindlich entgegensteht, wie jene dem dritten Stande, welcher die Revoluzion machte (LADENDORF); Stein 1842 Soz. 71 in der neuesten französischen Geschichte [gibt es] die Ausdrücke Bourgeoisie und Peuple . . Es ist die Trennung von Besitzenden und Nichtbesitzenden, der Bürgerstand und das Proletariat; ebd. 84 erscheint die Bourgeoisie im Allgemeinen gegenwärtig nicht mehr als . . die Masse der Besitzenden, sondern als die der grossen Capitalisten und Fabrikherrn; 1844 (Bund Kommunisten l 197) Die Straßen sind bei Abend sehr unsicher, die Bourgeoisie wird geprügelt und mit Messern gestochen und beraubt; Gurowski 1845 Tour d. Belgien 118 Die Bourgeoisie, die Philister machen die Menschheit nicht aus und vertreten diese auch nicht. Die Bourgeoisie ist neidisch nach oben, stolz, herrisch, gefühllos nach unten; ebd. 118 f. Das Königthum hat den Adel verläugnet und hat ihn geradezu vor längerer Zeit für baares Geld an die Bourgeoisie verkauft; 1845 Das neue Europa I 251 Weil man sich dort stets in „guter Gesellschaft" zu bewegen hoffen darf, von den unangenehmen Berührungen

Bourgeoisie der „bourgeoisie" nichts zu fürchten hat, . . so hat auch die deutsche „creme de la societe" schon seit langen Jahren sich Scheveningen als denjenigen [Bade-]Ort ausersehen, wo sie sich par excellence ennuyiren; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW II 13) der Kampf zwischen der industriellen Bourgeoisie und der Grundaristokratie endete 1846 mit der Annahme der Bill über die Abschaffung der Korngesetze; Auerbach 1846 Ges. Sehr. XX 245 Aufreizung gegen die Bourgeoisie (wie man das freie Bürgerthum zu nennen beliebt) (LADENDORF); 1848 Grenzboten l 2,15 Unter Republik aber versteht unsere Bourgeoisie Staatsbanquerot und Terrorismus; Marx/Engels 1848 Manifest (MEW IV 463) unsere Epoche . . der Bourgeoisie [hat] die Klassengegensätze vereinfacht . . in zwei große feindliche Lager ..: Bourgeoisie und Proletariat; Stahl 1848 Revolution 79 Dem constitutionellen Königthum, das der Liberalismus und die Bourgeoisie erfunden hat, wird dann ein constitutionelles Eigenthum genau entsprechen, das der Socialismus und die Arbeiterklasse erfinden wird; Schlözer 1848 Jugendbr. 124 Auf offenem Wege könne man nicht dahin gelangen, die Bourgeoisie zu ruinieren, sie müsse durch versteckte Angriffe und Guerillakriege erschöpft werden; Bassermann 1849 (Mollat 1895 Reden u. Redner d. ersten dtsch. Parlaments 488) Es erinnert mich dies an den widerlichen Gegensatz, welchen die Socialisten unserer Tage gleicherweise zwischen Volk und Bourgeoisie aufstellen (LADENDORF); Füster 1850 Mem. 289 Die Bourgeoisie blühet in Leipzig wie kaum irgendwo; Stein 1850 Königthum 281 [Louis Blancs] Histoire des dix ans .. hat zum erstenmale den Gegensatz zwischen der besitzenden und der nichtbesitzenden Klasse, oder wie Louis Blanc mit saintsimonistischem Ausdrucke sagt, zwischen Bourgeoisie und Peuple . . gemacht; Häusser 1851 Denkw. 64 Auch in Baden hatte man schon vor der Februarrevolution nach französischem Muster den Unterschied zwischen „Bourgeoisie" und „Volk", zwischen „Besitzenden" und „Arbeitern" aufgefunden; 1851 Constitutionellen 12 Der Liberalismus wurde ein Bourgeoisiesystem; 1852 Prutz'Museum i 59 Die Rue de Richelieu, die rue de Vivienne . . sind die Strassen der Bourgeoisie, an deren prächtigem Tempel, der Börse, die rue Vivienne vorbeiführt; ebd. l 287 auch die Demokratie hat sich an der „Bourgeoisie" arg versündigt . . Zu deutlich trug sie das Gelüst zur Schau, mit dem „vierten" Stande nicht allein den ersten und zweiten, sondern auch den dritten über den Haufen zu werfen; ebd. 7 Der Andrang socialer Fragen stürzte das egoistische, innerlich frivole und unritterliche Bourgeoisieregiment Louis Philippe's; 1853 fKnies 1883 Polit. Ökonomie 291) es hat sich kaum irgendein Gegensatz innerhalb derselben bürgerlichen Gesell-

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schaften so schroff herausgebildet, wie der zwischen den Kapitalbesitzern und den Handarbeitern . ., nach dem heutigen Sprachgebrauch: zwischen der höheren Bourgeoisie („Plutokratie") und dem „vierten Stande" (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK I 721); Stein 1856 System 11 334 Bei uns ist der Anfang der Bildung der Mittelklasse gegeben in dem Begriffe und Wesen des s.g. Bürgerthumes, der Bourgeoisie, die wirthschaftlich in dem Versuche der Kapitalassociationen, gesellschaftlich in dem der Bildungsvereine aller Art ihren ersten Ausdruck findet; Steinmann 1857 Mefistofeles I 295 Dazu war das Börsenspiel die Hauptbeschäftigung der grossen Bourgeoisie; Sybel 1859-61 (1940 HZ CLXll 73) die unruhige, halt- und glaubenslose Bourgeoisie; Frantz 1862 Kritik aller Parteien 98 die bourgeoisie, wie man jetzt in Frankreich den dritten Stand nennt; Stahl 1863 Parteien 178 die Partei des Mittelstandes (bourgeoisie); Honegger 1865 Literatur 24 von der Parlamentären [!] und industriellen bourgeoisie; ebd. 60 Krämer-Bourgeoisie; Oppenheim 1866 Verm. Sehr. 213 von der engherzigen „Bourgeoisie"; Wochenbl. d. Nationalver. 18. 7. 1867 Zum Begriff der Bourgeoisie gehört ein politisches Vorzugsrecht, wie es in Frankreich durch hohen Wahl- und Wählbarkeitszensus begründet war, in Deutschland aber nirgend existiert (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK I 721); 1869 (Salomon, Parteiprogr. I 99) Selbstsucht der Bourgeoisie; Strauss 1872 Glaube 280 Schlagwörter wie das von dem Kriege zwischen Kapital und Arbeit, Spott- und Schmähreden gegen die gehasste Bourgeoisie, wie wenn sie ein abgeschlossener Stand und nicht dem intelligenten und fleissigen Arbeiter jeden Tag zum Eintritt offen wäre; Treitschke 1874 Jahre 517 die deutsche „Bourgeoisie" der Socialdemokraten ist ein verlogenes Zerrbild; Meysenburg 1876 Mem. I 291 in unserer modernen, mit Bourgeoisie und Geldadel durchflochtenen Gesellschaft; ebd. l 365 der Sommer war da . . der Adel und die reiche Bourgeoisie entflohen auf das Land; Stockt 1877 Materialismus 99 zwei Klassen von Menschen . .: die reiche Bourgeoisie und die besitzlosen Arbeiter; Kretzer 1880 Genossen 155 Marats des Zweiten Haß gegen die Bourgeoisie . . war größer, als seine Gerechtigkeitsliebe; Saltarino um 1880 Aufzeichnungen 29 Aristokratie und wohlhabende Bourgeoisie mischen sich hier [Badeort] in bunter Abstufung; 1882 Brockhaus Hl 404 Bourgeoisie .. heißt in Frankreich die Bürgerschaft als Stand, als Volks- und Berufsklasse, welche die Handelsleute, selbständigen Handwerker, Kaufleute, Künstler, Rentiers, Juristen, Sachwalter, Agenten . . kurz die Inhaber eines festen und sichern Besitzes in sich begreift; 1886 Salon II 587 Pariser Hochzeitsfeierlichkeiten in der vornehmen Welt und in der „Bourgeoisie"; 1888 (Faber, Bleib-

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treu 9) Ihr kennt den Feind! Die Bourgeoisie ist die Fäulnis, die Bourgeoisie ist der Feind — sie falle!; Bios 1891 Dtsch. Revol. 474 So elend unterlag die liberale und demokratische Bourgeoisie der Gewaltspolitik des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel; 1891 (Salomon, Parteiprogr. 66) Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat; Fontäne 1898 Zwanzig 469 „Die verhasste Bourgeoisie durch die Sozialdemokratie zu bekämpfen"; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. 7 138) wir, die Bourgeoisie, der dritte Stand, wie wir bis jetzt genannt worden sind, wir wollen, daß nur noch ein Adel des Verdienstes bestehe, wir erkennen den faulen Adel nicht mehr an, wir leugnen die jetzige Rangordnung der Stände; Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 196 Ordensfest der Berliner Bourgeoisie; Th. Mann 1908 Reden u. Aufs. (W. X 55) verloren . . scheint das Theater erst, seitdem es zum Zeitvertreib der Bourgeoisie geworden, welche die antiromantische, die unvolkstümliche Demokratie . . repräsentiert, und zu welcher das Bürgertum sich verhält wie das „wirkliche, wahre" Volk zur modernen Masse; 1916 Schwed. Stimmen 112 plutokratische Bourgeoisie; Renner 1917 Marxismus 373 die Bourgeoisien, die ihre kapitalistischen Interessen im Kriege verfolgen; Sombart 1919 Soz. 2 die petite bourgeoisie, das Kleinbürgertum; ebd. 7 diejenige Klasse, die die Interessen dieses kapitalistischen Wirtschaftssystem vertrete, sei die Bourgeoisie; Dombrowski 1919 System I 385 verrottete Bourgeoisie; Diehl 1920 Sozialismus 252 „goldene Tage der Bourgeoisie"; ders. 1920 Diktatur 31 muss die proletarische Diktatur die Enteignung der Grossbourgeoisie und des Junkertums durchführen; Th. Mann 1921 Nachtr. (W. XIII 471) Tatsache scheint.., daß nur das Deutsche, das auch den Juden gefällt, als höheres Deutschtum in Betracht kommt, während umgekehrt die echtstämmigen Bourgeoisien Europas schlechtes jüdisches Wesen, als da war: Meyerbeer, Offenbach und Blumenthal, sich öfters nur zu gut haben gefallen lassen; 1922 Heimatland (München) Nr. 28 Man beachte . . die .. aufreizende Sprache der radikalen Presse wie der „Roten Fahne", die . . zum Bürgerkrieg hetzt und zur brutalsten Gewaltanwendung gegen die „Bourgeoisie" auffordert; Bahr 1925 Liebe I 345 ein blosses Amalgam . . jenes scheussliche Gemisch von Junkertum mit Bourgeoisie wilhelminischer Prägung; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 32) der Franzose sei geneigt zu denken, die deutsche Bourgeoisie sei von gestern, parvenue, ohne kulturelle und politische Überlieferung; Brockschmidt 1929 Sozialdemokratie 14 Das Wort „Bourgeoisie" ist nur der europäische Ausdruck für die politischen Ansichten, deren „spezifisch preussischer Ausdruck" die Fortschrittspartei ist; Voss. Ztg. 29. 9. 1929 Bourgeoisie ist heute noch

Fleisch und Geist Frankreichs, Bourgeoisie, das sind die Ideen der Freiheit und Gleichheit, die in der großen Revolution den Vorrechten von Adel und Geistlichkeit den Garaus gemacht haben; Der dtsch. Vorwärts 3. 11.1929 In sündhaft teuren Lokalen, die man den Arbeitern als die „Schlemmerstätten der Bourgeoisie" hinstellt; 1930 Sittengesch. d. Revolution 223 „Lumpenbourgeoisie"; 1930 Hefte f. Büchereiwesen XIV 371 verrottete Bourgeoisie; Tönnies 1931 Einf. 91 Die französische Revolution brachte 100 Jahre später die „Bourgeoisie" . . zur politischen Macht; 1932—33 Schweizer. Rundsch. XXXII 2,903 internationale Bourgeoisie . ., die sich um den Völkerbund kristallisiert hat; Berl. Illustr. Nachtausg. 25. 2. 1933 der verhaßten Groß-Bourgeoisie; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 412) am Ende sind Wagners Kunst und Makartbukett .., das die gesteppten und vergoldeten Salons der Bourgeoisie schmückte, ein und derselben . . ästhetischen Herkunft; Dtsch. AZ. 8. 8. 1935 Verteidigung der Sowjetunion mit allen Mitteln . ., revolutionärer Sturz der Bourgeoisie, Errichtung der Diktatur des Proletariats; Halbe 1935 Jahrhundertwende 23 [der] bildungssüchtigen und reichgewordenen Bourgeoisie; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. „Die Brennessel" zeigt in ihrer Folge 33 den Don Quichote der II. Internationale (ein Brett vor dem Kopf) und Sancho Pansa mit der Fahne der liberalen Bourgeoisie; 1938 Bücherkunde 4 Das Ende der literarischen „Bourgeoisie" in Europa (Überschr.) .. ist die vorliegende Arbeit eine Art Nekrolog, der unter dem Begriff der „literarischen Bourgeoisie" nicht die bürgerliche Literatur schlechthin, sondern nur die verstanden wissen will, die in einer unbeschreiblichen Überheblichkeit, inneren Hohlheit und äußeren Verkrustung nahezu ganz Europa in die literarische Sterilität geführt hat; Th. Mann 1944 Reden u. Aufs. (W. XII 934) der Kommunismus ist der Gottseibeiuns der Bourgeoisie, genau so wie um das Jahr 1880 bei uns in Deutschland die Sozialdemokratie war; ND 18. 3. 1949 die gesamte Bourgeoisie Frankreichs, alle Gutsbesitzer, Börsenjobber, Fabrikanten, alle großen und kleinen Diebe, alle Ausbeuter hatten sich gegen sie verbündet; NZ. (Basel) 6. 3. 1950 [Stalin:] „Der russische Bürgerkrieg (der ja in den Augen der Kommunisten nichts anderes war als der Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat) wurde von Lenin gewonnen, weil es ihm gelang, die Bauern zu gewinnen"; Röpke 1950 Mass 11 die verhasste „Bourgeoisie"; Mosca 1950 Klasse 241 in der bestehenden Bourgeoisiegesellschaft; ebd. 308 Eigentlich entstand erst im XVIII. Jh. die Bourgeoisie im weitesten Sinne, jene zahlreiche Klasse von Männern in freien Berufen, von Kaufleuten und Industriellen, die mit einem gewissen Wohlstand eine alle

Bourgeoisie anderen Klassen überlegene technische und wissenschaftliche Bildung verbinden; Tritsch 1954 Erben 7 die kapitalistisch verrottete Bourgeoisie; Welt 14. 10. 1954 in der Sowjetunion wird sich eine bürgerliche Mittelklasse bilden, wie sie als „Bourgeoisie" in den kapitalistischen Ländern heute von den Kommunisten verachtet wird; Salomon 1957 Fortschritt (Übers.) 8 Saint Simon nannte Ludwig XIV. äusserst scharfsinnig den „König der niederen Bourgeoisie"; Arbeitgeber 3. 9. 1959 diese Grundthese der Versöhnung der Klasseninteressen . . ist der Boden des Antikommunismus, den die reaktionäre Bourgeoisie für ihre imperialistischen Ziele ausnutzt; Stuttgarter Ztg. 13. 12. 1960 Die sogenannte „nationale Bourgeoisie" in den Entwicklungsländern, praktisch also alle Regierungen in Asien, Afrika und Lateinamerika, die nicht kommunistisch sind; K. Mann 1963 Wendepunkt 416 wenn Dein Sohn auch nicht gerade zur Aristokratie gehört, so darf er sich doch zur gehobenen Bourgeoisie zählen (DUDEN 1993); ND 2. 9. 1964 daß die deutsche Bourgeoisie in zwei Weltkriegen ihre völlige Unfähigkeit .. bewiesen hat, die nationalen Interessen des Volkes zu wahren; Drewitz 1965 Salons 10 als [um 1840/50] der Druck von unten, von jenem vierten Stand in den Vorstädten [Berlins], das Bürgertum in eine Bourgeoisie verwandelt, die sich nach dem Hof orientiert; Fischer 1966 Kunst l [der] dekadenten Bourgeoisie; 1967 Urania l 45 das Revancheprogramm der westdeutschen Monopolbourgeoisie . . sieht . . die Annexion Westberlins . . vor; Fetscher 1967 Marx 218 Die faschistische Politik aber sei eine Politik der Grossbourgeoisie; ND 20. 5. 1969 hatten sozialdemokratische Erfüllungsgehilfen der Großbourgeoisie als Blutspender gedient; Girnus 1971 Literaturwiss. o. S. auch hier beruhten die Geschichtsfälschungen auf Klasseninteresse — Positionen der deutschen Bourgeoisie; Andersch 1971 Kirschen 42 es waren lauter Kaufleute und Ärzte und Rechtsanwälte, Bourgeoisie; Bunuel 1972 Der diskrete Charme der Bourgeoisie (Filmtitel); ND 8. 5. 1974 die chromblinkende Fassade, mit der die Apologeten der Bourgeoisie die unlösbaren . . Widersprüche dieses Systems zu verdecken suchen, ist nun abgeblättert; Zeit 12. 9. 1986 was die bolschewistischen Morde betrifft, so zitiert Fest einen Chef der Tscheka, der Ende 1918 erklärte: „Wir sind dabei, die Bourgeoisie als Klasse auszurotten"; MM 10. 12. 1986 Die DDR entdeckt die deutsche Geschichte (Überschr.) . . bisher als Handlanger der Monopolbourgeoisie, Militaristen und Junker beschimpft, gelten sie nun als Patrioten; ebd. 3.4.1987 in der Welt der „Haute Bourgeoisie" fühlt er sich zu Hause, und so dominieren auf seinen Porträts auch die Stars aus dem Show-Business und die Berühmtheiten des internationalen Jet-set;

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ebd. 22. 2. 1988 verbirgt sich hinter Schopenhauers zwieschlächtiger Moral die geistige Misere einer traditionell zukurzgeratenen Bourgeoisie?; Berl. Ztg. 21. 10. 1989 die Wertvorstellungen der bürgerlichen Demokratie sind die der Bourgeoisie, des bürgerlichen, kapitalistischen Staates; ebd. die Bourgeoisie schuf sich diese Herrschaftsform, weil die vorhergehende dem Feudalismus gemäße absolute Monarchie für den Kapitalismus untauglich war; Spiegel 7. 12. 1992 Alte und neue Bourgeoisie arbeiten bei der Sicherung von Pfründen und Exklusivität Hand in Hand: Städtische Grundstücke und Gebäude werden obskuren Aktiengesellschaften „geschlossenen Typs" zugeschanzt; Zeit 19.11.1993 „Zeit der Unschuld" erzählt . . von der unschuldigen Liebe des Arbeitersohns . . zur Großbourgeoisie; Spiegel 7. 8. 1995 Der schnelle Wohlstand der neuen Bourgeoisie [in Kenia] übt besonders auf junge Leute einen starken Reiz aus. Bourgeois: Geliert 1746 Loos (S. Sehr. Ill 290) Lassen Sie den alten Gecken gehen. Es ist ein Bourgeois. Er taugte in Frankreich zu keinem Thürsteher; 1792 Neues Götting. Histor. Magazin l 56 Die verschiedenen Mitglieder der Republik [Genf], die bisher mit dem Namen von citoyens, bourgeois und natifs belegt wurden, sollen künftig einander gleich sein; Garve 1792 Versuche I 302 f. Das Wort Bürger hat im Deutschen mehr Würde als das französische bourgeois . . Und zwar deswegen . ., weil es bei uns zwei Sachen zugleich bezeichnet, die im Französischen zwei verschiedene Benennungen haben. Es heißt einmal ein jedes Mitglied einer bürgerlichen Gesellschaft, — das ist das französische citoyen; — es bedeutet zum ändern den unadligen Stadteinwohner, der von einem gewissen Gewerbe lebt, - und das ist bourgeois (BRUNNER/ CONZE/KOSELLECK I 701); Kant 1793 Gemeinspruch (Ges. Sehr. VIII 295 f.) Derjenige, welcher das Stimmrecht in dieser Gesetzgebung hat, heißt ein Bürger (citoyen, d. i. Staatsbürger, nicht Stadtbürger, bourgeois). Die dazu erforderliche Qualität ist. .: daß er sein eigener Herr (sui juris) sei, mithin irgend ein Eigentum habe (wozu auch jede Kunst, Handwerk oder schöne Kunst oder Wissenschaft gezählt werden kann), welches ihn ernährt (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK I 696); 1794 Revolutions-Almanack 5 bourgois; Feuerbach 1798 Anti-Hobbes I 21 f. Anm. Bürger (citoyen) darf nicht mit Burger (bourgeois, burgensis, burgarius) [verwechselt werden] (BRUNNER/ CONZE/KOSELLECK I 701); Hegel 1805-06 Jenenser Rechtsphilosophie 249 Beide Individualiäten [sind] . . dieselben. Derselbe sorgt für sich und seine Familie, arbeitet, schließt Verträge usf. und ebenso arbeitet er auch für das Allgemeine, hat dieses zum Zwecke. Nach jener Seite heißt er

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bourgeois, nach dieser citoyen (BRUNNER/ CONZE/KOSELLECK I 708); ders. 1824-25 Philosophie d. Rechts (Nachschr. v. Griesheim, Tl. 2,81) Die bürgerliche Gesellschaft hat zu ihrer Grundlage . . das besondere Interesse der Individuen. Die Franzosen machen einen Unterschied zwischen bourgeois und citoyen; das erste ist das Verhältnis des Individuums in einer Gemeinde, in Rücksicht der Befriedigung seiner Bedürfnisse, hat so keine politische Beziehung, diese hat erst der citoyen. Hier betrachten wir nur die Individuen als bourgeois (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK I 707); 182 7 Brockhaus U 310 Man unterscheidet .. den Staatsbürger, Citoyen, und den eigentlich sogenannten Bürger einer Stadt, von den Bürgerlichen überhaupt, Bourgeois; Marx 1842—43 Publizist. Arbeiten (MEGA I 1,157) wir haben die Opposition des Bourgeois, nicht des Citoyen, vor uns; ders. 1844 Judenfrage (MEW l 355) Der Widerspruch, in dem sich der religiöse Mensch mit dem politischen Menschen befindet, ist derselbe Widerspruch, in welchem sich der bourgeois mit dem citoyen . . befindet; Engels 1845 Jugendbr. 252 ist es zu scheußlich, nicht nur Bourgeois, sondern sogar Fabrikant, aktiv gegen das Proletariat auftretender Bourgeois zu bleiben; Heimen 1845 Mehr als 20 Bogen 107 die dicken Bourgeois [im Klassenkampf]; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW U 53) er verwandelt den Bourgeois aus einem justemilieu-Bürger .. in „unsere guten Bürger", wofür sich die französische Bourgeoisie bei ihm bedanken mag; ebd. er verwandelt die französischen Bourgeois in geistlose Bürger, wo der wirkliche Proudhon die unedlen bourgeois (bourgeois ignobles) den gebrandmarkten Edlen .. entgegenstellt; 1845 Rhein. Jahrb. z. gesellschaftl. Reform l 127 Die Gesetzgebung als . . Offenbarungsakt verhält sich zur Volkssouveränität, wie der Citoyen sich zum Bourgeois verhält; Bakunin 1847 Br. v. u. a. Herwegh 12 f. Feuerbach ist ein Bourgeois' und das Wort Bourgeois zu einem bis zum Überdruß wiederholten Stichworte geworden — alle selbst aber von Kopf zu den Füßen durch und durch kleinstädtische Bourgeois (LADENDORF); Engels 1847 Status quo (MEW IV 45) Der Kleinbürger repräsentiert lokale, der Bourgeois universelle Interessen; (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK I 719); 1848 (Pölnitz 1930 Einheitsbewegung 147) „Die Bourgeoise und der Arbeiter"; Laube 1849 Pari, l 50 „Bourgeois" . . Kleinbürger; Hettner 1850 (Sehr. 289) Der Sozialismus ist daher nicht, wie unsere bedrängten Bourgeois so gerne . . behaupten, der Tod der Bildung; Messenhauser 1850 Polit. Hausschatz f. dtsch. Staatsbürger 19 In neuerer Zeit hat das Wort einen ändern Sinn bekommen, und man bezeichnet mit Bourgeois nur noch den berechtigten und vermögenden Bürger, denjenigen,

dem der Staat allein die Vertretung zugewendet hat, der mit Leichtigkeit Geld gewinnen kann, und dessen einziges Sinnen und Trachten dahingeht, Geld zu gewinnen; auf dem allein der .. Staat ruht, den er ausbeutet und mit seiner ganzen Wucht wieder auf den untern Klassen liegt, um auf ihre Kosten und zu ihrem Nachteile sich zu bereichern. Also der eigentliche französische Geldadel untern Ranges, die Spießbürger, Krämer, heißt Bourgeois, und das Wort hat die Nebenbedeutung erhalten, daß es einen habsüchtigen, herzlosen, geistig vertrockneten, Alles seinem Vorteile opfernden Menschen bezeichnet (ZFDW VIII 3); Unruh 1851 Erfahrungen 159 Die Demokratie achtet jede tiefe Überzeugung und lässt vielen Conservativen volle Gerechtigkeit widerfahren, aber sie zieht den absoluten Staat dem Bourgeoisregiment vor; Riehl 1861 Ges. 313 Nicht ohne Grund hat man ihn auch „Bourgeois-Liberalismus" genannt. Er trieb vorwärts, ohne selber von der Stelle zu kommen; ebd. 477 daß die reichsstädtischen Kaufleute und Juden (also „Bourgeois" und „Geldsäcke") den ganzen Bauernkrieg künstlich angezettelt hätten; Huber 1865 Proletarier 19 während der grosse Kapitalist nach einer seit der Julirevolution in Frankreich gebräuchlich gewordenen Bezeichnung Bourgeois genannt wird; Treitschke 1874 Jahre 518 die Leiter der deutschen Socialdemokratie sind selbst „Bourgeois"; Springer 1877 Banquier 120 reichen Bourgeoiskreise [Berlins]; Schmidt 1878 Portraits 228 nivellierende Nüchternheit des Bourgeois-Regiments; Kretzer 1880 Genossen 24 er wollte diesem „verkappten Bourgeois" die Maske vom Gesicht reißen; ebd. 108 diese Krämer- und Bourgeoisseelen; 1882 Brockhaus III 404 Der Bourgeois ist verschieden von dem Citoyen .., dem röm. Civis oder Staatsbürger, und steht im Gegensatz sowohl zu dem Adel wie zu dem peuple im engern Sinne, den Bauern, den Arbeitern und Proletariern; Hopfen 1893 Elend l 34 als nach dem ersten Akt das eigentliche Publicum der Kunst-Bourgeois [Berlins], der Theater-Philister, sich den Anschein gab, als gefiele ihm das Stück nicht; Boguslawski 1895 Vollkampf 5 dass die Massen zum ingrimmigsten Hass gegen die Aristokratie, die „bourgeois", den Besitz, gegen die Religion aufgestachelt wurden; 1897 Histor.-polit. Blätter CXIX 457 die vielverhöhnte Bourgeoisökonomie; Fontäne 1898 Zwanzig 427 dazu bestimmt, der Typus einer stattlichen Bourgeoise zu werden; 1904 Kgr. Württemberg l 118 dass sich . . Proletarier kleiden wie die „Bourgeois", nur in der Regel billiger und schlechter; Th. Mann 1904 Reden u. Aufs. (W. X 405) Staatskrüppel, Sonnengeflechtler, Schopenhauerianer, Verfallsanalytiker, zwiespältige . . Mischlinge aus Bourgeois und Künstler, die als Artisten das Leben und als Bürger die Kunst bespötteln; ders. 1904

Bourgeoisie Nachtr. (W. X1I1 393) aber jetzt, da die sensitive Bourgeoise ein wenig Karriere gemacht hat, da sie einen anderen, einen adligen Namen führt; ders. 1910 Reden u. Aufs. (W. IX 28) der Bourgeois ist furchtbar, und Adel und Klerus sind altbacken, immer dasselbe; Sombart 1913 Der Bourgeois. Zur Zeitgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen (Titel); Th. Mann 1914 Nachtr. (W. XIII 536) daß Deutschland mit . . der Fortgeschrittenheit aller seiner sozialen Einrichtungen . . ein viel modernerer Staat ist als etwa die unsauber plutokratische Bourgeois-Republik, deren Kapitale noch heute als das „Mekka der Zivilisation" verehrt zu werden beansprucht; 1916 Franzosen 67 Eine Frau aus dem . . Bürgerstande, eine „bourgeoise", nicht vorzulassen; 1916 Festschr. a. Brentano 252 das Aufkommen eines neuen Typus von Wirtschaftsmenschen, des „Bourgeois"; Binding 1918 Er. 71 Bourgeois- und Philistereigenschaft; Diederichs 1918 Br. 325 die bisherigen Schlagworte „Proletarier", „Bourgeois" und „Junker"; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 108) aber wenn Wagner ein wenig bourgeois war, so war er auch Bürger in einem hohen, deutschen Sinn, und seine Selbst-Inszenierung und Kostümierung als deutscher „Meister" hatte ihre gute innere und natürliche Berechtigung; Schumpeter 1918-29 Aufs. z. Soz. 2 weil der Staat — so sagt der Bourgeois mit Behagen — oder weil die freie Wirtschaft — so sagt der Intellektuelle mit Begeisterung — versagt habe; Bock 1920 Tagebücher 20 der satte, behäbige Bourgeois; 1921 Das Volkshaus Märzh. 49 Der Arbeiter kennt den Bourgeois nur aus den Hetzreden seiner Parteiführer; Damaschke 1922 Nationalök. II 282 „Bourgeois-Bazillus"; Lenz 1922 Staat 78 der von Marx sogenannte „Bourgeoissozialismus"; 1922 Deutschlands Erneuerung 618 Alles Wahre und Gute ist nicht an sich, es ist nur Erfindung der Klassenherrschaft, . . der Bourgeois-Ideologie, des Ausbeutungsraffinements; Th. Mann 1922 Reden u. Aufs. (W. XII 607) aus Haß gegen die verlebte und schönrednerische Bourgeois-Ideologie des Internationalismus; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 709) Bildung und Besitz, da haben Sie den Bourgeois!; ebd. III 958 das Wirklichkeitsergebnis der gepriesenen Französischen Revolution sei der kapitalistische Bourgeoisstaat — eine schöne Bescherung!; ders. 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 398) die Geschichte der Entbürgerlichung — aber nicht zum Bourgeois oder zum Marxisten, sondern zum Künstler; Heilborn 1929 Revolutionen II 177 Feuerbach und Nietzsche: Arbeiterseelen. Diese Strauß und Haeckel und ihre Gefolgschaft: die Bourgeois der Philosophie; 1932—33 Schweizer. Rundsch. XXXII 2,1117 jenen erschreckten „Bourgeois", die bei diesem Wort [Sowjetrußland] Weihwasser nehmen und Zetermordio schreiend davon-

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laufen; Lokal-Anz. 18. l. 1933 Eine Untersuchung des Bürgerbegriffs im deutschen Staatsrecht . . scheint zu ergeben, daß der Typ des eigennützigen Individualisten im Vordergrund steht, des „Bourgeois", der Rechte fordert; 1934 AfdA LIII 209 wobei eigentliches Bürgertum jeweils gegen seine Fehlformen, den Philister und den Bourgeois, abgegrenzt wird; Münch. Abendztg. 24. 1. 1944 ein Wort Lenins besagt, daß ein wahrer Kommunist, der sein Ziel erreichen wolle, auch in der Lage sein müsse, sich als Bourgeois zu tarnen; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 136) was das Wort bourgeois betrifft, so ist es freilich durch das kapitalistische Zeitalter internationalisiert worden, aber es mit Bürger zu übersetzen, ist ein Literaturunfug; ebd. XII 145 so gesehen, ist Thomas Buddenbrook nicht nur ein deutscher Bürger, sondern auch ein moderner Bourgeois; ebd. der modernkapitalistische Erwerbsmensch, der Bourgeois mit seiner asketischen Berufspflicht sei ein Geschöpf protestantischer Ethik; Röpke 1948 Gesellschaftskrise 21 jene bedrückende Erscheinung einer dekadenten Bourgeoise; De Man 1951 Vermassung 122 einen bourgeois, d. h. für einen Menschen, dessen soziales Ansehen erst dann auf eine qualitative Grundlage Anspruch erheben kann, wenn neben dem Besitz auch die Bildung nachweisbar ist; Th. Mann 1951 Reden u. Aufs. (W. IX 800) der Gegensatz zum Bourgeois war ihm nicht der Bohemien, sondern der Sozialist; Herzfeld 1960 Aufs. 208 dass er [Th. Mann] . . bereit gewesen war, den Krieg gegen den Westen .. allein weiter zu führen, gegen die trois payslibres der Zivilisation und einer rhetorischen Bourgeois-Literatur; Offenburger Tagebl. 31. 3. 1962 Wer ihn [Botschafter der Sowjetunion in den USA] noch nicht kannte, bemerkte sofort, daß dieser wohlgenährte kräftige Mann mit der massiven Stirn und dem untadeligen Anzug mehr wie ein Bourgeois aussieht als ein diplomatischer Rotarmist; Brentano 1962 Literatur 58 Der Bourgeois Siebenhaar im „Fuhrmann Henschel" ist ein sentimentaler Mensch; Heuss 1963 Erinn. 41 jener aber war aus der Großstadt gekommen, aus einem gepflegten „Bourgeois"-Milieu, dieser aus dem Schwarzwalddorf; Roth 1966 Prophet 54 Der Zar ist kein Herr mehr, er ist ein Bourgeois. Mit ihm beginnt in Russland das demokratische Zeitalter, das Zeitalter einer kleinbäuerlichen Demokratie; FAZ 2.8. 1971 Kein Verfechter des Stalinismus konnte angesichts des Segens, den der ehemalige „Bourgeois" Lukäcs [marxist. Sprachphilosoph] .. den [philosophischen] Arbeiten Stalins erteilte, nur im geringsten an der Richtigkeit von Stalins Weg zweifeln; ebd. 7. 10. 1971 [er] bezeichnete die Druckerpresse [für Geldscheine] des Volkskommissariats für Finanzen als das Maschinengewehr, „welches die Bourgeois-Herrschaft,

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nämlich das Geldsystem, in seinem Rücken angriff, indem es das bourgeoise ökonomische Gesetz der Geldzirkulation in ein Mittel der Vernichtung dieser Herrschaft . . verwandelte"; Scholl 1971 Bourgeois - Untertan - Pikaro. Zur Typologie des bürgerlichen Individuums (Titel); Zeit 22. 2. 1985 Beethoven, Schubert und Tschaikowskij wurden zu „unglücklichen Bourgeois" erklärt und aus den Konzertsälen vertrieben; ebd. 19. 7. 1985 gewiß gibt es mehr Ähnlichkeiten mit Brecht, als manche Brechtomanen ahnen . ., nur bin ich kein Bourgeois, auch nicht bürgerlicher Herkunft — sondern eben dieses Gemisch aus Proletariat, Boheme und verstörtem Kleinbürgertum; MM 16. 9. 1987 dieser Doktor de Vries, ein dünkelhafter Bourgeois, kaisertreu und autoritätshörig, ist eine k.u.k.-Kopie seines Wilhelminischen Vetters Diederich Heßling, Heinrich Manns „Untertan"; MM 19. 3. 1996 Auf Parteiversammlungen [der SED vor 1989] wird gesagt, [der Schauspieler] Krug spiele zwar Parteisekretär, führe aber das Leben eines Bourgeois, man müsse sich von solchen Leuten trennen. bourgeois: Uffenbach 1728 Tagebuch 19 Er wohnete . . in einem neu zurecht gebauten schönen Hauße und empfinge uns . . in einem weisen Camisölgen und Kappe a la bourgeoise, wie ich denn aus den übrigen Umständen wohl muthmaßete, daß er ein reicher Kauffmann alhier seye; Wit v. Dörring 1830 Fragmente l 141 [in Paris] beschloss ich, mich in eine Pension bourgeoise zu begeben; Kohl 1844 Brit. Inseln 11 119 Die Bürgerlichen haben [in England] von Geburt an ein erbliches „air bourgeois"; Marx 1851 Br. an Engels (MEW XXVH 271) dies erkannte jener geächtete Dichterrebell, welcher an den Abenden . . vor einem bourgeoisen Publikum bei der Geschichte des modernen Theaters seine „dissolving views" aussprach; Stahr 1851 Paris l 273 roi bourgeois; I865 (1949 Leibhaftiges Baiern 58) Münchens Landschaft ist nicht bourgeois; Noe 1865 Voralpen 184 Die Leute sehen manierlich und sehr bourgeois aus; Harden 1892 Apostata N. F. 21 als agrarischer Produzent war ihm der Zwischenhändlergeist, als Junker das protzige Behagen der empor gekommenen Bourgeoisie ein Gräuel: . . seine wachsende Antipathie gegen den radikalen Liberalismus, der wirthschaftlich . . die Interessen des bourgeoisen Zwischenhandels vertritt; 1895 (Curtius 1950 Welt 144) „bourgeoise" Dame; Bieberstein 1903 Recamier 117 Mad. Recamier sagte kein Wort. War sie nicht zufrieden? Vielleicht fand sie sich nicht schön genug [auf Porträtbüste] dargestellt? Oder war sie zu sehr „bourgeoise", um sich darüber hinwegzusetzen, daß die Büsten nicht von Bronze oder Marmor . . waren; Th. Mann 1908 Reden u. Aufs. (W. X 58) die höfische Epoche des Theaters ist vorüber,

die bourgeoise auch, — das Theater will wieder Volksanstalt, Volksveranstaltung werden; SchulzeGaevernitz 1909 Marx 40 „Erhöhung des Lustquantums", „grösstes Glück der grössten Menge", diese westeuropäisch-bourgeoise Zielsetzung beherrscht . . die sozialistische wie die liberale Weltanschauung Deutschlands; Ruederer 1916 Erwachen 232 Der König hielt nichts von der bourgeoisen Gemütlichkeit, die sein . . Vater entfaltete; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 108) was aber Wagner betrifft, so findet sich ja in seiner menschlichen und künstlerischen Persönlichkeit ein nicht nur bürgerlicher, sondern geradezu bourgeoiser und parvenühafter Einschlag, — der Geschmack am Üppigen, . . am Luxus, an Reichtum und bürgerlicher Pracht; ders. 1922 Reden u. Aufs. (W. XII 614) der Geist des offiziellen Frankreich, das den Krieg führte, war der Ententegeist überhaupt, der vom Schlagwort „Demokratie" gedeckte Geist des Westens, bourgeoise Aufklärungs-ideologie; ders. 1924 Zauberberg (W. Ill 720) man ahne nicht, wie weidlich das Volk sich über unsere Doktortitel und unser ganzes Bildungsmandarinentum lustig mache und über die staatliche Volksschule, dies Instrument bourgeoiser Klassendiktatur, gehandhabt in dem Wahn, daß Volksbildung verwässerte Gelehrtenbildung sei; Bahr 1925 Liebe I 348 eines unbourgeoisen Bürgertums; Voss. Ztg. 28.10. 1926 Gulliver-Jubiläum (Überschr.) Das schwerfällige, bourgeoise, geistig wenig bewegliche London; Schmilz 1926 Dämon 60 ein Zeichen meines unverbesserlichen bourgeoisen Denkens und Fühlens; Harden 1927 Versailles 256 die Urteile der bourgeoisen Presse; Th. Mann 1927 Reden u. Aufs. (W. IX 189) die Tage jener literarischen Barbarei, die dem Verfall der Romantik folgte, sind gezählt ..; Nietzsche's Name bedeutet Morgenröte und Zeitenwende . .; viel ist in seiner Nachfolge geschehen, um eine neueste Welt über Jahrzehnte bourgeoiser Verdummung hin an die vorvorelterliche anzuknüpfen; ein verjüngter Idealismus triumphiert in den Wissenschaften; Voss. Ztg. 24. 4. 1930 daß die . . Sozialrevolutionäre wenig Sympathie für eine so „bourgeoise" Einrichtung wie eine Duma [Parlament] haben; Scheler 1931 Idee 41 „bourgeoiser Pazifismus"; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 412) wir nähern uns hier dem Punkt, wo das Bourgeoise ins unheimlich Künstlerische, Tolle und Anrüchige zurückschlägt, ein Gepräge rührender . . Krankhaftigkeit annimmt, worauf das Wort „bürgerlich" schon wieder durchaus nicht mehr passen will; 1935 Volk u. Reich 37 Anstelle des bourgeoisen Ideals: Ruhe und Ordnung, tritt die Freude an der Gefahr; 1936 Das Volk 262 wird nicht davor zurückgeschreckt, aus taktischen Gründen mit „bourgeoisen" Staaten zu paktieren; 1937 Dtsch. Volkwirt 289 Die Frage

Bourgeoisie betrifft die Geltung, die das Bürgerliche — das nicht einseitig gleichzusetzen . . ist mit dem Begriff des „Bourgeois" — in Frankreich behauptet; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XU 142) diese Kulturverhältnisse sind sehr altdeutsch-städtisch — man hört die „Meistersinger" nirgend besser als in München: besser als in dem bourgeoisen Nürnberg; ebd. XII 233 daß die feinsten Typen aus Deutschlands bürgerlich-vorbourgeoiser Epoche, daß Geister wie Uhland und Storm politischer Leidenschaft nicht entbehrten; Röpke 1948 Gesellschaftskrisis 22 Existenz einer solchen liberalbourgeoisen Welt; N D 1.1. 1949 der Faschismus konnte in Deutschland nur zur Macht gelangen, weil die deutsche Arbeiterbewegung gespalten war . ., weil die rechte Führung der SPD im Bunde mit den bourgeoisen Parteien gegen den revolutionären Flügel der Arbeiterbewegung stand, weil sie sich von der Bourgeoisie nach dem alten Grundsatz „teile und herrsche" gegen die Bruderpartei ausspielen ließ; Süddtsch. Ztg. 7. 12. 1950 [die] bourgeois-kapitalistischen Klein-Moritz-Träume vom Glück; Flake 1960 Abend 383 man ersticke in der bourgeoisen Überlieferung; ebd. 597 eine reiche bourgeoise Dame . ., bis Hitler ihr Leben zerstörte; ND 2. 9. 1964 auf der Grundlage der engen Verbindung zwischen Junkertum und Monopolkapital entstand jener besonders aggressive Charakter des deutschen Imperialismus, den Lenin als „junkerlich-bourgeois" bezeichnete; Süddtsch. Ztg. 3. 3. 1966 Er kritisiert. ., daß ein „bourgeoiser Sozialismus" nicht in der Lage sei, die Voraussetzungen für eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Kommunismus zu schaffen; Stuttgarter Ztg. 10.1.1967 daß der Eindruck scheußlicher Verbrechen der Anhänger der „bourgeois-reaktionären Linie" entstehen müsse; Süddtsch. Ztg. 13. 4. 1968 Entschliessung [in Moskau], . . in der alle sowjetischen Parteiorganisationen aufgefordert werden, den Offensivkampf gegen „bourgeoise Ideologien" aufzunehmen; Welt 22. 1. 1969 er hatte allen Grund, das stalinistische Regime zu hassen, das ihn 1951 als „titoistischen Verschwörer" und „bourgeoisen Nationalisten" in den Kerker geworfen hatte; FAZ 20. 3.1970 Die in den 20 Jahren als „bourgeoise Pseudowissenschaft" in den UdSRR verfemte Soziologie; Offenburger Tagebl. 8. 10. 1971 Diese Zurückhaltung ist ein Charakteristikum. Sie könnte ausdrücken, was seit 1952 das Prinzip der Internationalen Filmwoche Mannheim unaufdringlich bestimmt, und was man vielerseits als „bourgeois", als „konventionell" verschreit; Hermand 1971 Pop o. S. gegen jene pseudo-linken Aktivisten, die bei dem Wort „Kultur" sofort zum Messer greifen, weil sie darin von vornherein etwas Bourgeoises wittern; Welt 31. 10. 1974 in Südamerika ist mir klar geworden, daß wir hier in un-

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serer . . bourgeoisen Umgebung vielleicht ganz ähnlichen Zwängen und Riten ausgesetzt sind wie südamerikanische Stämme; Zorn 1980 Mars 198 Zürcher Eltern aus bourgeoisen Kreisen (DUDEN 1993); Sloterdijk 1983 Kritik 106 etwas, was der bourgeoisen Spießermoral zum Verwechseln ähnelte; Zeit 4. 4. 1986 der Liebhaber dagegen ist weder reich noch bourgeois, sondern „scheißt auf die Arbeit"; ebd. 15.8.1986 den vielen chinesischen Ehen, die am Widerstand der werktätigen Frauen gegen Hausarbeit zerbrechen, wird in der Presse nicht etwa disziplinierte Selbstüberwindung empfohlen, sondern der „bourgeoise" Weg der Bequemlichkeit: Dienstmädchen vom Lande; ebd. 20. 3. 1987 eine neue Gesellschaft müsse sich neue Gehäuse schaffen, wie könne sie auf den Gedanken kommen, es sich in den Relikten der bourgeoisen, der domestizierten Welt bequem zu machen; Das Blatt 10.4.1990 die elektronischen Medien, als politische und wirtschaftliche Machtzentren, gehören zu den besonders begehrten Objekten bourgeoiser Begierde. bourgeoishaft: Fontäne 1898 Zwanzig 140 Der sächsische Großstadtbürger ist sehr bourgeoishaft, der sächsische Adel sehr dünkelhaft — viel dünkelhafter als das Junkertun; ebd. 584 Der einzige fast nüchterne war ich. In einem gewissen ästhetischen Empfinden fand ich alles, was ich da eben über die Schloßplatzhergänge gehört hatte, so bourgeoishaft ledern, daß ich mich mehr zum Lachen als zur Empörung gestimmt fühlte. (ver-)bourgeoisieren: Keyserling vor 1930 (1930 Preuss. Jahrb. CCX1X 82) Ueberall schlägt heute eine neue Adelsstunde, so sehr, daß vielfach von einem Wiederanknüpfen an die Zeit von vor 1789 die Rede ist . . Und in der Tat ist die neu entstehende Welt den noch so ruinierten Edelleuten am meisten, den Proletarien am wenigsten hold. Diese drohen . . zu verbourgeoisieren, wie dies von keinem Bürger jemals galt. (Ent-)Bourgeoisierung: 1937 Prager Tagbl. (August) Entbourgeoisierung; Hellpach 1944 VPs. 18 die politische und soziale „Bourgeoisierung" des französischen Landvolkes. bourgeoismäßig: Strauss 1846 (Briefw. Strauss-Vischer 180) Der unklasssische Kopf unter dem Helm, die kurze bourgeois-mäßige Figur im grauen Rock, das heldenmäßige Gesicht, das er hinmachen will, sind recht wirksam; Wagner-Liszt 1853 Briefw. l 250 Ich kann die lithographirten Portraits nicht gut leiden, sie haben mir immer ein etwas bourgeoismäßiges Aussehen — während die Sculp-

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tur ganz anders den Menschen darstellt; Bauer 1942 Kraniche 92 wegen burshuimässigen [!] Verhaltens. bourgcoisoid: Sombart 1919 Soz. 7 Die freie Lohnarbeiterschaft ist es, die den Kern dieser Klasse [Proletariat] bildet, das heißt alle in kapitalistischen Unternehmungen beschäftigten Personen (soweit sie mit ihren Interessen nicht zu den . . „bourgeoisoiden" Existenzen gehören); Gebauer 1932 Kulturgesch. 342 bourgeoisoide Geistesrichtung. Bourgeoistum: Stahr 1857 Nach 5 Jahren II 40 jenes zufriedengestellten [französischen] Bourgeoisthums, jener ächten satisfaits . ., deren goldene Zeit die Regierung des Bourgeoiskönigs gewesen ist; Fontäne vor 1898 (1961 Unterscheidung 228) Geldsackgesinnung des Bourgeoistums; Bäumer 1913 Band 25 unsoziales Bourgeoistum; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII103) Lukacs .. unterscheidet vor allem zwischen jenem fremden, gewaltsamen und maskenhaften, asketisch-orgiastischen Bourgeoistum, dessen berühmtestes Beispiel Flaubert und dessen Wesen die abtötende Vernei-

nung des Lebens zugunsten des Werkes sei, — und dem echt bürgerlichen Künstlertum eines Storm, Keller, Mörike, welches das Paradoxon seines Beiwortes erst eigentlich verwirkliche, indem es bürgerliche Lebensführung, gegründet auf einen bürgerlichen Beruf, verbinde mit den harten Kämpfen der strengsten künstlerischen Arbeit und dessen Wesen „des Handwerkers Tüchtigkeit" sei; Sombart 1919 Soz. 191 Dadurch, daß die Bolschewiki die Sowjet-Verfassung . . als einen Damm in die anschwellende Flut des . . Demokratismus und Parlamentarismus, diese Ausdrucksformen des amerikanischen Bürgertums, hineinbauten, haben sie die scharfe Scheidung gegen alles Bourgeoistum zur vollendeten Tatsache gemacht; Martersteig 1924 Theater 346 daß diesmal [bei der Julirevolution] das um seinen wohlfeil gewonnenen Profit ängstlich gewordene Bourgeoistum das verblendete Volk in den Straßenkampf gehetzt hatte, dafür dämmerte in Deutschland das Verständnis erst sehr spät; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 139) die Bürgerlichkeit, die meine Jugend umgab, und die mit neudeutschem Bourgeoistum sehr wenig zu tun hatte, war .. im Durchschnitt eine nichts weniger als geistige Bürgerlichkeit. GS

Boutique F. (-; -n, auch -s), im späten 15. Jh. übernommen aus ital. bottega, mittelfrz. boutique 'Kramladen' (über altprovenzal. botica, botiga zurückgehend auf (m)lat. apotheca/griech. , —»· Apotheke), zunächst in den Formen Botiga, Potege, Bot(t)ege, bis ins 19. Jh. in den Varianten Butique, Boutick und bes. in der Nebenform Butik(e) (s. u. Budike), im 17. Jh. gelegentlich auch schon in der heutigen Schreibweise Boutique. Zunächst bis ins 18. Jh. (vereinzelt bis ins frühere 20. Jh.) in der Bed. 'Kaufmannsladen, Geschäft', auch abwertend im Sinn von 'Kramladen' (s. Belege 1480, 1558, 1661, 1700, 1727, 1781, 1933), auch 'Marktbude', vgl. das bis ins 20. Jh. gebuchte frz. Syntagma boutique ambulante; daneben gelegentlich im Sinn von 'Werkstatt' (s. Belege 1724, 1727, 1767); bis ins frühere 18. Jh. selten auch allgemeiner für 'schlecht gebautes kleines Haus, Bude' (s. u. Budike; s. Belege 1567, 1724); im 18./ 19. Jh. selten auch im Sinn von 'schlechte Gastwirtschaft, Kneipe' (s. Beleg 1827), bes. in den Zss. Branntwein-, Schnapsboutique (s. Belege 1748, 1773). Im späten 18. Jh. gelegentlich in der Bed. 'Bekleidungsgeschäft mit billigen Waren' (s. Beleg 1791). Mitte 20. Jh. neu entlehnt aus gleichbed. frz. boutique in der heutigen Bed. 'kleines Bekleidungsgeschäft, bes. für elegante, teure Damenmode' (s. Belege 1950, 1965, 1969, 1971, 1985), vgl. die Wendungen eine kleine Boutique eröffnen, Geschäfte und Boutiquen und die Zss. Damen(moden)-, Kleider-, Modeboutique, speziell auch 'Abteilung eines großen Modegeschäfts, in dem preisgünstige Ware angeboten wird' (s. Belege 1950, 1953); heute auch mit erweitertem Anwendungsbereich im Sinn von 'kleines Geschäft, in dem ein spezielles Warensortiment angeboten wird', vgl. die Zss. Geschenk-, Schmuckboutique.

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Dazu die im späten 15. Jh. vereinzelt, vom späten 18. bis ins spätere 19. Jh. selten belegte und heute nur noch gebuchte Berufsbezeichnung Boutiquier (vgl. frz. boutiquier), 'Besitzer eines Kramladens, Händler, Kaufmann'. Seit etwa Mitte 19. Jh. das aus gleichbed. frz. boutique (s. o.) entlehnte, formal an Bude angelehnte Subst. Budike F. (-; -n), (vgl. auch die ältere Nebenform Butike, s. o.) in der Bed. 'kleiner Laden; Wirtshaus, einfache Gastwirtschaft, Kneipe', heute nur noch regional (bes. berlinisch); dazu gleichzeitig die heute veraltete Berufsbezeichnung Budiker 'Besitzer einer Budike, Schank-, Kneipenwirt'. Boutique: 1472-80 Leman 107 sind die bottig . , offen (WIS); 1480 (Schulte 1923 Handelsakten Mittelalter, Neuzeit III 158) den die botigers ietz for firtagen hond zuo schaffend gehept in den botiga; Meder 1558 Handelb. 6b Vnnd was man fuer Specerey kaufft in den Potegen, das sollen die Traeger holen; 1563-72 Türck. Hist. II 70 kein Bottegen, Gewelb, oder Kaufleden (WIS); um 1566 Zimmer. Chronik II 3,248 Darumb bedacht er sich nit lang, gieng den nechsten zu des apotekers butiken; 1567 Kurmärk. Ständeakten II 531 Heiligen Geysts steig. Dorinnen sein 8 büdichen, die bewohnen alte Beginen, gehören den hospitall und schössen nichts; Lubenau 1628 Beschr. d. reisen II 77 Die untere Stadt ligt an der Ebene nach der Leng unter dem Geburge, darein auch der Besenstein oder Kaufhause von allerlei kostlichen Wahren und sonst andere Laden und Botegen sein; Nicolai 1633 an Mathias (Irmer H 214) in allen boutiquen und laden der Stadt (JONES); Schütz 1661 Reflexiones 8 wo zuvor die herrliche Boutiquen/ und reiche Kaufmannsläden . . zu sehen waren; 1677 Machiavell. Hocuspocus 57 daß Matz im Magazin nicht, wenig in boutique, den Blöden leget hin; Hosmann 1700 Denck-mahl 3 Er wäre mit einem Juden . . ind Haus gangen/ umb Zucker . . zu kauffen; Wie nun sein Camerade gesehen/ daß die Boutiqve wenig verwahret/ hätten sie solches . . gsaget; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 207 Es fället mir itzo gleich eine Historic ein/ die sich vor etlichen Jahren alhier mit einem Boutiquen Krämer zutrug/ der fleckseiffe zu verkauffen hatte; Stranitzky 1711 Ollapatrida 165 Wo ich eine Kaufmanns-Boutique sähe/ da bemerckte ich Weibsbilder/ mit denen die Manns-Personen ohne Scheu löffelten; 1719 Abentheuerl. Welt VI 30 Käss-Boutique; Wagner 1724 Soldatenbibl. 4 auf seiner Werkstatt oder in seiner Boutique; 1727 (Buchner, Ärzte u. Kurpfuscher 230) denen Galanterie- und ändern Krämern, welche Botiquen und Plätze bey der . . Promenade zu miethen verlangen, um eine geringe Bezahlung überlassen werden; Woytt 1747 Parnassus l 24 Ein Savojard geht mit seiner Boutique von allerhand Galanterien angefüllt; ders. 1748 Parnassus II 66 Eine Brande-Wein-Butique; Reiske 1767 Demosthenes IV 55 eine Werk- und Handelstätte, ein Bu-

tigken; Bürger 1773 Br. l 110 Schnaps-Boutique; Richter 1781 Reise 82 schöne Weiber und Töchter, die den Verkauf besorgen, und die Bücher führen .. Diese Geschöpfe sind so gefällig, und so geduldig .., dass ich nicht begreife, wie man aus der Boutick gehen könne, ohne ihnen etwas abzukaufen; Meiners 1785 Br. Schweiz l 124 dunkle oder niedrige Boutiquen; Goethe 1786 Tagebücher (WA III 1,202) Kaufmannsläden und Handwercks Boutiquen an einander .. da ist nicht etwa eine Thüre in den Laden oder das Arbeitszimmer . . Die Boutiquen machen einen Theil der Gasse; Bahrdt 1791 Gesch. Ill 343 Ehe sie [Dirnen] ihren Umlauf antreten, gehen die ärmern, welche keine eigne Kleidung haben, in eine Butike, deren es für dieses Gewerbe viele giebt, und lassen sich kleiden; Schopenhauer 1803-04 Reisetagebücher 82 die schönsten Boutiquen; 1808 Br. v. d. Univ. I 449 Kaffeeboutiquen; Goethe 1812 Br. (WA IV 23,90) selbst die von Carlsbadern besetzten kleinen Boutiquen werden nach und nach geschlossen; List 1820 Sehr., Reden, Br. 181 Auf den Schauplätzen sind Butiken, in welchen Gefrorenes verkauft wird; Grabbe 1827 W. II 448 Wie war's, wenn wir zum Schluss dieses so glücklichen Geschäfts in die Butiken des Forums gingen und in Gesellschaft ein gutes Glas Falerner tränken?; Nestroy 1835 Geist 50 die Boutique, wo der Herr Hobelmann logiert; Schwarzenberg 1844 W. II 45 die Boutique (so nannte man eine Art Restaurant, wo die Offiziere gewöhnlich hingingen); Prokesch v. Osten 1851 Br. 209 sehr wackelnde boutique; Gregorovius 1854—55 Wanderjahre III 18 Volksboutiquen; Rodenberg 1856 Bilderbuch 21 Handschuhboutiquen; Schücking vor 1871 Fr. R. o. S. Euer Haus ist abgebrannt, die ganze Butik liegt in Asche, die ganze Bude (SANDERS 1871); Hesse-Wartegg 1880 Nord-Amerika II 157 Boutiken; Benjamin 1933 Br. II 600 In der Tat war ihre boutique recht still und ich hatte alle Ruhe, mir schöne Porträts und Handschriften .. zu besehen; NZ. (Basel) 24. 3. 1950 So sah man z. B. ein sehr hübsches Nachmittagskleid aus der „boutique" von Fath; Süddtsch. Ztg. 20.3.1953 Boutiques sind die kleinen Straßenläden großer Modehäuser und die Rettungsanker für Frauen mit mehr Geschmack als Geld. Adlmüller zeigte aus seiner Bou-

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tique Torrerohosen; Münch. Stadtanz. 4. 12. 1959 Draußen auf dem großen Markt mit seinen prunkenden Schaufenstern würde diese Verkaufsausstellung . . heute als „Boutique des Christkindls" berühmt sein; Welt 11.12. 1964 „Boutique-Laden"; Siiddtsch. Zig. 2.2. 1965 Madame probiert in der eleganten Boutique neue Schuhe unter einer Petroleumlampe; Stuttgarter Ztg. 22. 1. 1966 Boutique-Vorführungen; Offenburger Tagebl. 3. 11. 1967 Boutique-Parfümerie; Welt 2. 8. 1969 Boutiques, Bars, Restaurants; Bad. Zig. 20. 10. 1969 Erst nachträglich wunderte es . . die Leute, daß Frau „Cooke" .. teure Kleider aus Boutiquen trug; Freib. Wochenbl. 11.11. 1971 Seit dem 25. Oktober gibt es . . eine „Brot-Boutique". Nicht nur in der Mode verspricht das Wort „Boutique" etwas ganz Exquisites; Zeit 15. 11. 1985 Gymnasiasten, die ihre Kleidung . . wöchentlich in den umliegenden Boutiquen aktualisieren; ebd. 10. 10. 1986 Jugendboutiquen; ebd. 19. 6. 1987 St. Polten hat ein Stadttheater und 300 Geschäfte und Boutiquen allein in der Innenstadt; Berl. Ztg. 10.11.1990 Seinen Gewinn will das .. Ehepaar in die neueröffnete Geschenkboutique stecken. Boutiquier: 1480 (Schulte 1923 Handelsakten Mittelalter, Neuzeit 111 158) den die botigers ietz for firtagen hond zuo schaffend gehept in den botiga; Heinzmann 1795 Pest d. Lit. 26 Modehändler, Boutiquieres, Vergnügungsorte; Heine 1832 S. W. V 74 Die Anhänger des Ministeriums, d. h. Angestellte, Bankiers, Gutsbesitzer und Butikiers, erhöhen das allgemeine Mißbehagen; 1842 DVjS l 42 die Klasse der Spiessbürger oder Boutiquiers; Szarvady 1852 Paris l 6 sehen wir ganz Paris auf Zerstreuung bedacht, die Restaurants und Boutiquiers sind es mitunter auch auf die Zerstreutheit der Pariser; Hillebrand 1876 England 244 Der Pariser Ladenbesitzer (Paul de Kock's boutiquier), der sich . . am Lebensabend in sein Gartenhäuschen . . zurückzieht. Budike: Springer 1868 Berlin 192 An Zahl und Frequenz die Tabaks- und Materialläden überbietend

sind die Viktualienkeller oder „Budiken", die Hökergeschäfte in Fleisch-, Back, Brauerei- und Destillationswaaren, zugleich die Kaffeehäuser und Restaurationen der untersten Klasse; 1890 Freie Bühne 259 lockt sie heraus aus den dumpfen Destillen und Budiken; Werfel 1924 Verdi 149 In den Budiken drängten sich die Gäste der Seestadt. Über den Fässern . . konnte man auf weißen Schildchen lesen: Aquavit, Rum, Punsch; Voss. Ztg. 30.4. 1930 die „Budike" gegenüber mit der Inschrift „Franz. Billard"; Maierheuser 1938 Dreizack 95 urgemütliche Budiken; Süddtsch. Ztg. 13. 4.1961 „Budike"; Johnson 1965 Ansichten 170 Er ließ das Taxi . . vor dem Eingang der Budike halten (DUDEN 1993). Budiker: 1868 Gartenlaube XVI 410a Schenkwirth, sogenannter Budiker; Gisbert 1879 ZeitArabesken 7 Budiker; Rodenberg 1885 Bilder 235 Schanck- und Speisewirthe (Budiker); 1888 (1936 Berl. Blätter 11) Die schlesischen Bäckerlehrlinge tragen . . auch bei ihren Wegen zu den „Budikern" und sonstigen Kunden ein Schurzfell vom dicksten Rindsleder; 1890-91 Velhagen u. Klasings Monatsh. I 81 Der Budiker und der Droschkenkutscher, der frühere Kavallerist und der ehemalige Trainsoldat; Göhre 1891 Fabrikarbeiter 29 Wenige setzten sich auch in den der Fabrik benachbarten Budikerladen; Fontäne 1898 Zwanzig 624 kleine Handwerker, Budiker und Kellerleute; Dombrowski 1920 System II 92 haben Sie die nicht einem Schöneberger Budiker . . gegeben?; Lokesch 1927 Fortf. f. Scherr, Kulturgesch. 692 Interessant ist eine besondere Form des Tanzvergnügens, auf die ein findiger Budiker kam; Döblin 1929 Alexanderplatz 57 was die Budiker heute für schlechten Schnaps verzapfen, ist himmelschreiend, und der gute ist teuer; 1932 Deutschlands Erneuerung XVI 199 Budiker Ebert; Böer 1939 Schiffbuch 34 Ein „Waterbudiker" . ., der die . . Schiffe mit Brot, Wurst, Bier, Kartoffeln, Eiern, Speck . . versorgt; Kapeller 1964 Schimpfbuch o. S. Budiker. Inhaber einer Gastwirtschaft (Berlin), nur herabsetzend, wenn man einen renommierten Gastwirt einen „Budiker" schimpft. HK

Box F. (-; -en), Mitte 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. box (< altengl. box, eigentlich 'aus Buchsbaumholz hergestellter Behälter, Büchse', über gleichbed. mlat. buxis zurückgehend auf lat. pyxis, griech. $ 'Büchse (aus Buchsbaumholz'); vgl. dtsch. Buchse, Büchse), anfangs in der engl. (flekt.) Form und bis Anfang 20. Jh. gelegentlich mit engl. PL -es (vgl. la, Ib und 2a), im 19. Jh. vereinzelt auch mit PL -e (vgl. Ib), bis in neuere Zeit selten auch in der Sing.-Form Boxe (vgl. Ic). l Zunächst in der Bed. 'durch Seitenwände abgeteilter Raum, Unterstand in einem größeren Raum; Loge', in verschiedenen Verwendungsbereichen:

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a Anfangs als Exotismus vereinzelt auf engl. Verhältnisse bezogen und mit engl. PL für 'abgesonderter, -geschlossener, zellenartiger Sitzplatz (bei Gericht, in Strafanstalten)'. b Vor allem auf (Renn-)Pferde, aber auch andere Stalltiere bezogen für 'mit Bretteroder Lattenwänden abgeteilter Stand, Verschlag (in einem Stall), in dem sich Tiere frei bewegen können', in Zss. wie Hunde-, Kuhbox und bes. Pferdebox (lehnübersetzt aus engl. horse box), vereinzelt auch bildlich verwendet mit Bezug auf Menschen, die (wie Tiere) in kabinen- oder verschlagartigen Gehäusen (untergebracht) sind (s. Belege 1985, 1986; vgl. la). c Seit frühem 20. Jh. auf Kraftfahrzeuge und andere Verkehrs- oder Transportmittel bezogen in der Bed. 'Ab-, Einstellplatz (z. B. in einer Großgarage)' (s. Belege 1929, 1943); gleichzeitig im Motorsport in der (im Engl. nicht vorgeprägten) Bed. 'eingezäuntes Areal, Unterstellraum am Rande einer Rennstrecke, in dem einzelne Fahrzeuge vor und nach dem Rennen eingestellt oder während des Rennens kurzfristig aufgetankt oder bei Pannen repariert werden können, abgegrenzter Montageplatz', z. B. in der Zs. Boxenstop(p). d Von daher seit den 50er/60er Jahren in der Bed. 'kleiner Verkaufsstand, Kiosk, abgeteilter (verglaster) Schalterraum (von dem aus Kunden bedient werden)', z. B. Kassenbox, Kassierer-Box, in jüngster Zeit auch 'in oder hinter einem Zuschauerraum, -podest abgetrennter Funktionsraum (für Regie, Presse, Technik, Überwachung o. ä.)' (s. Beleg 1995), und 'abgekapselter, kabinenartiger Raum, der mit allem Nötigen zum konzentrierten (technischen, schulischen) Lernen und Üben ausgerüstet ist', in Zss. wie Bildungs-, Info-, Lern-, Übungsbox (—» Container 2; s. Belege 1987, 1995). 2 Seit Anfang 20. Jh. selten, kontinuierlich seit den 60er Jahren auf kästen- oder behälterartige Gegenstände unterschiedlichster Art bezogen und in zahlreichen spezifischen Bereichen verwendet: a In der Bed. 'kastenförmiger Behälter, Büchse, Dose, Schachtel, Kasten, Kiste, Gehäuse, Kassette (zur Aufbewahrung, zum Schutz oder Transport von etwas)' (s. Belege 1913, 1947, 1959, 1970, 1973; -»· Etui), oft in festen Verbindungen wie kleine, handliche, praktische, stabile Box und als Grundwort in (meist mit Bindestrich geschriebenen) Zss. wie Mini-, Spender-, (Tief-)Kühl-, Kühlschrank-, Werkzeug-Box, Abfall-, Brillen-, Dekor-, Eis-, Kosmetik-, Zettel-, Matchbox (nach engl. matchbox 'Streichholzschachtel', Bezeichnung für ein winziges Spielzeugauto), bes. Zeitungs-, CD-, Kassetten- und Platten-Box als Bezeichnungen für (stapelbare) Behälter zur Aufbewahrung von Ton-/Bildträgern, sammelbandartig präsentierten Ausgaben von literarischen Werken, Zeitschriften, informativem Schrift- und Bildmaterial o. ä. (—» Container Ib und Ic) b Etwa gleichzeitig in technischen Fachbereichen, bezogen auf verschiedene mechanische und elektronische Geräte, zunächst als heute veraltete phototechnische Bezeichnung für das Gehäuse einer einfachen Rollfilmkamera (s. Belege 1940, 1985) bzw. kurz für Boxkamera; seit den 60er Jahren zunehmend in der Phono- und Medientechnik (abweichend vom Engl.) für 'Lautsprecherkasten, quaderförmiges Gehäuse mit eingebauten Lautsprechern als Teil einer Phonoanlage' bzw. kurz für Lautsprecher-, Verstärkerbox (s. Belege 1968, 1985), sowie als Bezeichnung für ein in Tanz-, Spielsalons oder Cafes zur musikalischen Unterhaltung aufgestelltes elektronisches Schallplatten-Abspielgerät mit Münzbedienung bzw. kurz für aus dem

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Amerikan. übernommenes Musikbox, auch Musicbox und Musik-Box (vgl. gleichbed. engl. juke-box, neben musical box 'mechanisches Tastenmusikinstrument'); in jüngster Zeit zunehmend in der Fernmelde-, Computertechnik und Elektronikbranche bezogen auf ein kastenförmiges, an Computer oder Telefone anschließbares Gerät, das als Datenschreiber, -Speicher zur Überwachung meßbarer technischer Vorgänge dient, als Kurzform für aus dem Engl. übernommenes Black box, Black-Box, auch bildlich im Sinne von 'etwas, in das man nicht hineinsehen kann; unbekannter, undurchschaubarer Gegenstand, Angelegenheit' (s. Belege 1985, 1987, 1990; vgl. auch das engl. Syntagma Black box 'geschlossener, verdunkelbarer Raum für Filmoder Theatervorführungen'), in Verbindungen wie elektronische (Black-)Box und Zss. wie Decoder-, Fax- und vor allem (aus gleichbed. engl. mail-box entlehntes) Mail-Box 'elektronisches Postfach'. Box l a: Carus 1845 England u. Schottland I 258 Ich gab meinen Namen und man öffnete mir im Sitzungssaale eine Box (einen abgeschloßnen Sitz); ebd. I 274 f. Einen sonderbaren Anblick gewährt die Kapelle der Anstalt! In amphitheatralischen Reihen übereinander sind hohe hölzerne Boxes aufgerichtet, welche die Aussicht nach der Kanzel gestatten, aber jeden darin eingelassenen Gefangnen den Ändern unsichtbar machen. Sie gelangen durch schmale Treppengänge zu diesen kleinen Behältern, und es gab einen trüben Anblick, als . . nun auf Commando plötzlich eine Anzahl Boxes sich mit maskirten Gefangenen füllten. Box Ib: 1851 Beschr. OA. Stuttgart 63 Anm. ein gut gelegener geräumiger mit Laufständen (Boxes) versehener heizbarer Stall; 1866 Gartenlaube 300 Die Thiere [Pferde aus dem Kgl. Gestüt Scharnhausen] stehen in sogenannten Laufständen (boxes) . . den Kopf nach dem Gange herausgestreckt, welcher zwischen den Ständen hindurch läuft; Scheiben 1879 Offizier-Brevier 80 Mir ist es noch in jedem Stalle gelungen, durch . . das Einfügen einer leichten Bretter- und Lattenwand dem Pferde einen freien Stand zu verschaffen. Der Grund, dass es in den Städten so wenig Boxe giebt, liegt darin, dass die Wagenpferde, die meist den ganzen Tag über im Freien sich bewegen, natürlich einer solchen Einrichtung nicht bedürfen; Sanden 1910 Geländereiten 141 Im Stalle selbst seien entweder Boxen, in denen die Pferde frei herumlaufen oder Stände, in denen das Pferd . . durch Ketten oder Riemen befestigt wird; Zobeltitz um 1920 Gross-Q. 181 Wir müssen ihm einen [Namen] geben, der wird mit Kreide auf eine schwarze Tafel geschrieben, und die hängen wir in seiner Box über der Krippe auf; Münch. N .N. 29. 12. 1940 Erkennt es [das Pferd] seinen Herrn . . läuft es sogar vom Futterbarren weg, um ihn an der Boxentüre zu begrüßen; Welt 15. 8. 1964 Dieses Gestüt ist voll bewirtschaftet und einschließlich den Ställen und Boxen in

erstklassigem Zustand; FAZ 1. 10. 1971 Leben in der Box (Überseht.) Ich sah vor Jahren ein kleines Kalb in einer Box, in der es nur stehen und liegen konnte; Spiegel 27. 6. 1977 Unter Kennern gelten die 123 Hundeboxen, durch die jährlich über 2000 Vierbeiner geschleust werden, als „Hunde-KZ"; ebd. 21. 11.1977 doch mußten die Melker Sauggerät und Milcheimer mühsam von einer Kuhbox zur anderen schleppen; ebd. 21.5.1984 Oft ist das Mädchenzimmer die Rumpelkammer des Hauses, kleiner und schlechter belüftet als eine Pferdebox (alle drei AWB); Zeit 16. 8. 1985 Ein paar Dutzend schulterhoher großer Boxen liegen vor mir. Oberhalb der Zwischenwände wandern überall Köpfe hin und her. Jede Box ist ein Behandlungsraum .. Ich lasse mich in der mir zugewiesenen Box nieder; ebd. 13. 6. 1986 nicht einmal Franz Josef Strauß und Theo Waigel, die beiden Matadore der CSU, erhoben ihre Stimme, als ihr altes Schlachtroß von Bundeskanzler Helmut Kohl in die hintere Box geschoben wurde; TAZ 21.2.1990 Die Schweine werden zu zehnt in zwei mal vier Meter großen Boxen auf Spalten gehalten . . Massentierhaltung wie in westlichen Agrarfabriken. Box Ic: Voss. Ztg. 21.4.1929 Boxe [Abteilung in einer Großgarage]; Dtsch. AZ. 29. 7. 1935 nach der 6. Runde erschien Rosemeyer an der Box mit schlagendem Hinterrad und verlor durch Wechsel kostbare Zeit; Münch. N. N. 10. 8. 1940 Eine moderne Großgarage mit sauberen Chauffeurstübchen über den Boxen steht vor der Vollendung; Johst 1943 Todt 38 die Boxen für die Boote hier am Atlantik; ebd. 44 unzerstörbare, unverwüstliche Boxen für Tausende von Unterseebooten [am Atlantikwall]; Welt 5. 12. 1949 Aus den Boxen stürmten Helfer herbei, und in wenigen Minuten war die Bahn wieder frei (AWB); Böll 1963 Clown 165 In Züpfners Box der Mercedes bewies, daß Züpfner zu Fuß gegangen war; Bunte 17. 8.1971 Ehefrau Heien hat an der Box gesessen und die

Box

Rundenzeit ihres Mannes gestoppt (AWB); Welt 28. 1. 1974 der Skandinavier mußte kurz nach dem Start mit einem Reifenschaden an die Boxen; ND 26. 8. 1974 Er fühlte sich dem Tempo nicht gewachsen und hatte zudem noch einen Reifenschaden. Der Wechsel an der Boxe dauerte einen Augenblick zu lange, und das Feld war schon fast hinter den Begleitwagen verschwunden; Spiegel 15. 3. 1982 Die peinliche Situation, daß ein Wagen in der Box stehenbleibt, statt am Rennen teilzunehmen, durchkreuzt alle Werbepläne von Sponsoren und schadet dem Image der Marke; ebd. 18. 10. 1982 Boxenstop (beide AWB). Box Id: Welt 16. 12. 1959 Ich sah eine Reihe lose aus Brettern und ausgedienten Reklametafeln zusammengebauter Verschlage, dazwischen einfach durch ein paar Kisten seitlich abgeriegelte, zur Straße hin offene Boxen; ebd. 17.3. 1977 In der Fruchtallee . . haben die Händler in ihren klitzkleinen Boxen Obst und Gemüse säuberlich aufgebaut; Spiegel 5.11.1984 In der Zweigstelle der Dresdner Bank . . ist die Kassierer-Box aus schußsicherem Panzerglas abgebaut worden; Bild 4. 9.1985 Filial-Leiter Karl-Heinz A l t . . öffnet den Kassenraum, Kassiererin Daniela K. . . tritt in die verglaste Kassenbox (alle drei AWB); Zeit 11.7.1986 Damit sich die verlangte Ausdauer beim Telephonieren besser überwachen läßt, sitzen Wolfs drahtige Vertreter in einem Großraumbüro mit einzelnen Boxen; MM 12. 12. 1987 Im Augenblick hilft er aber gerade seinem Kollegen, einem künftigen Elektroinstallateur, in der Übungsbox der Lehrwerkstatt einen Hauptanschluß an einem Stromzähler anzubringen; ebd. 29. 6. 1995 BASF verschickt Bildung in der Box (Überschr.) Eine mobile Ausbildungsanlage im Kleinformat . . Der Container enthält auf einer Fläche von 15 Quadratmetern alles, was zu einer fundierten Schulung in moderner Prozeßleittechnik notwendig ist. Die handliche „Bildungs-Box" kann mit Lkw und Schiff überall dorthin transportiert werden, wo Aus- und Weiterbildung auf diesem Gebiet gefragt sind; ebd. 19. 7. 1995 Denn ihnen verschafft ein neuer Container mit Dachterrasse gleich einen dreifachen Raumzuwachs. Ausbreiten dürfen sich auch die Medienvertreter, die, in einer eigenen Box über den Stehplatzrängen untergebracht, dort Fernseher, Telefone und Faxe vorfinden; ebd. 19. 10. 1995 Seit einigen Tagen hat die Info-Box dem geneigten Interessenten auch ihr Inneres geöffnet. Auf mehreren Etagen können sich die Berliner und die auswärtigen Besucher jetzt über die zukünftige Gestaltung des Potsdamer Platzes ein Bild machen. Box 2a: Kadich 1913 Richter Lynch 102 alte Nägel und Schrauben . . alte Bretterkisten und

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„Boxes", um die ja der Amerikaner selten mehr etwas gibt, sowie sie ihrem Zweck gedient haben; Baum 1929 Menschen 70 schlurfte die [Hotel-]Korridore entlang, steckte den Kopf ins Schreibzimmer, in den Lesesaal .. untersuchte die Zeitungsbox; Hülsen 1947 Zwillings-Seele II 99 Und nach dem Netzeinholen, wenn der silberne Fang in den großen Holzboxen auf Deck die letzten müden Schwanzschläge tut; Welt 21. 9. 1963 Jede Lux [Seife] ist aromafrisch, weil die klimafeste Lux-Box das reiche Aroma . . bewahrt; Spiegel 9. 9. 1968 In der Tat liefern Italiens Eisbox-Produzenten seit langem ein Beispiel für rationelle Herstellung und ausgeklügeltes Marketing (beide AWB); Hergenröder 1970 Männer o. S. Dort wird das Kunststoff-Granulat . . zu Endprodukten verarbeitet — zu . . Babyflaschen und Kühlschrank-Boxen, Filmkassetten und Ferngläsern; 1973 VDl-Nachr.-Zeitschr. XXXVI 8 kann man sich vorstellen, daß es kein Vergnügen ist, Tag für Tag zigtausend Käselaibe zu wenden, Box für Box mit krummgebogenem Rücken; Freundin 17. 8. 1978 Die praktische Spender-Box mit der passenden Nachfüll-Packung (AWB); Spiegel 25.6.1984 In speziellen Tiefkühlboxen .. verwahren die Doktoren derzeit insgesamt 25 menschliche Embryos; Zeit 5. 9. 1986 die Schultüte mit Überraschungsei .. Matchbox-Auto oder Müsliriegel; MM 2. 6. 1987 Meißner, der bereits 1983 vorgeschlagen hatte, die Altglassammelbehälter mit Boxen für Altbatterien auszustatten; ebd. 16. 9. 1987 Der Raum vermittelt Leere: keine Rollschränke, keine Schreibmaschinentische, kein Archiv, keine Zettelbox; ebd. 31. 3. 1988 die Abfallbox wird kombiniert mit Litfaßsäule oder Werbetafel, Parkbank und Telefonhäuschen und so zum Multifunktionsobjekt. So wird die Müllbox zum Ort der Kommunikation; ebd. 11.6. 1988 um die Medikamente . . zu schützen, empfiehlt es sich, sie entweder in einer Box aus Isoliermaterial zu transportieren oder aber sie in Alufolie zu wickeln, wie es Ihr Apotheker empfohlen hat; Zeit 31. 5. 1989 eine neue zehnteilige CD-Box . . umfaßt alle Aufnahmen von Charlie Parker aus den Jahren 1949 bis 1955; MM 6.6.1989 Schließlich erfordert die Präsentation [von Frauenzeitschriften] in der Box einen Schriftzug auf der Frontseite; ebd. 7. 3. 1991 In einer handlichen stabilen Box befinden sich 200 Karten zu sechs allgemeinen Themenbereichen [Gesellschaftsspiel]; ebd. 15. 6. 1991 die Einschlagfolie der Cassetten-Box ist metallic blau und trägt . . noch den Hinweis 135mType H-Chrome; ebd. 25. 7. 1995 eine praktische Box mit zwölf Tourenvorschlägen . . Unter dem Motto „Rauf aufs Rad".

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Box 2b: Daring 1940 Deine Box kann mehr (Titel) Mit 28 Abb. .. Kamera-Dienst 6; N. Z. Z. 31. 8. 1968 Solche Boxen sind in einem Wohnraum leichter zu plazieren (AWB); MM 4. 1. 1985 neben dem Hifi-Turm, dem portablen Farbfernseher und den Super-Sound-Boxen auch ein Video-Computersystem; Zeit 8. 2. 1985 Er war mit sieben Jahren zum erstenmal photographiert worden, mit elf hatte er endlich eine Box bekommen, von da an photographierte er alles; ebd. 29.3. 1985 Hinter dem Tresen der Dorfwirtschaft, in die gerade eine Musicbox Einzug hält; ebd. 17. 5. 1985 Unzählig sind die „Boxen", die zumeist jugendliche Computeramateure als Hobby eingerichtet haben und die kostenlos von jedermann benutzt werden können . . postalische Datendienste mit dem Gattungskürzel DATEX, dazu „Teletext" und „Telebox" . . Beliebt bei Firmen, in zunehmendem Maße auch bei

Privatleuten, ist die „Mailbox", der „elektronische Briefkasten"; ebd. 22.11. 1985 die Verstärkerbox der Stereoanlage; ebd. 27. 12. 1985 Ratlos vor der Blackbox (Überschr.) Mit dem Betrachten des Äußeren eines Computers . . ist überhaupt nichts gewonnen, solange alles, was sich dahinter tut, als Blackbox im Dunkeln bleibt; ebd. 1. 8. 1986 Heute sind es gutgelaunte junge Leute in Cafes, wo Rockmusik aus der Box kommt; MM 2. 1. 1987 aus den Lautsprecher-Boxen tönte es mitunter essigscharf und leicht scheppernd; Rhein. Merkur 13. 4. 1990 Für die westdeutsche Linke war die DDR eine „Black Box" . . eben der real existierende Sozialismus, mit dem wir nichts gemein hatten; MM 8. 12. 1995 Für den Zuschauer sind [digitalisierte Fernsehprogramme] nur zu empfangen, wenn die Signale von einer Decoder-Box entschlüsselt werden. IN

boxen V. (in)trans., im späteren 18. Jh. im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden der seit dem 17. Jh. in England verbreiteten Sportart entlehnt aus engl. box 'mit der Hand schlagen, stoßen', unsicherer Herkunft (eventuell etymologisch verw. mit dtsch. pochen), zunächst und bis Ende 18./Anfang 19. Jh. auch (entsprechend der engl. Aussprache bei mündlicher Überlieferung?) oder aber eigenständig daneben in der regional (niederdtsch.) beschränkten Form (sich) baxen, auch in anfänglichen Schreibungen wie haaksen, paksen, boksen, seit Anfang des 19. Jhs. nur in der heutigen Form. In der anfangs häufig auf engl. Verhältnisse bezogenen Bed. 'mit den Fäusten kämpfen, ringen', speziell als Zweikampf-Sportart für '(vor Publikum und Ringrichter) einen öffentlichen Faustkampf (nach bestimmten Regeln gegen einen bestimmten Gegner) austragen' (vgl. fighten), auch reflex, sich boxen 'sich prügeln'; in festen Wendungen wie gegen jmdn. boxen, als V. trans, auch jmdn. boxen für 'jmdn. zum Gegner beim Boxkampf haben' (s. Belege 1961, 1967), sowie in Zss. bzw. Ableitungen wie jmdn. niederboxen und bildlich gebrauchtem sich/jmdn./etwas (z. B. Interessen) durchboxen 'sich/etwas/] mdn. rücksichtslos gegen Widerstände und Konkurrenten durchsetzen, durchkämpfen' (vgl. die Redensart sich durchs Leben boxen), sich an die Spitze boxen, etwas/jmdn. aus etwas (heraus-), in etwas (hinein-), von etwas (herunter-), auf etwas (hinauf-)boxen 'etwas/jmdn. aus etwas heraus-, in etwas hinein-, von etwas herunter-, auf etwas hinaufbefördern, -schubsen, -stoßen, -bugsieren', häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Boxkampf (lehnübersetzt aus engl. boxing-match), -arena, -champion, -handschuh, -match, -ring, -sport, -turnier, -Weltmeister(-schaft). Daneben häufig als Subst. Boxen N. (-s; ohne Pl.) (vgl. gleichbed. engl. boxing) in der Bed. 'Faustkampf; Berufsringertum, Boxsport (als deutsche Nationalsportart)' (s. Belege 1783, 1813, 1844, 1871, 1933, 1954, 1962, 1985, 1988), in Zss. wie Amateur-, Berufs- und bes. Schattenboxen, als Bezeichnung für eine meditative chinesische Körperübung, auch übertragen verwendet im Sinne von '(politische) Schau-/ Scheindebatte, -gefecht', und in jüngster Zeit Kickboxen (vgl. gleichbed. engl. kickboxing) 'Sportart, die asiatische Kampf arten mit dem Boxen verknüpft'.

boxen 1767 Brew. Wb. I 42 baaksen . . schlagen; 1771 Lieblichkeit d. Stuzer 21 er [der Stuzer ä la mode] ist in Schlägereyen mit der Faust (im Paksen) ein Held, und scheint von dieser adelichen Übung den erhabensten Begriff zu haben; Bürger 1773 Gedichte (S. W. l 32) Und alt und jung umschwärmet Nun, wie behext, dein Haus. Man baxet sich, man lärmet . . Ach! Wo will das hinaus; Niebuhr 1774 Reisebeschr. II l75 Hiebey gab es keine Stöße oder Schläge, als wenn die Engländer sich boxen; Klinger 1776 Sturm u. Drang II 316 Wir wollen uns ein wenig baksen, daß meine Gelenke in Ordnung kommen (GANZ); Wendeborn 1780 Beytr. 149 Wenn zween Kerle . . sich einander mit Fäusten schlage, welches man hier [in England] boxing nennt . . Anmerkung: Diese Gefechte mit den Fäusten wird als eine Art von Kunst behandelt (GANZ); Kindleben 1781 Studentenlex. (Ndr.) 28 Baxen, ist eine Art der Schlägerey, die unter den Engländern, sonderlich bey dem Schiffsvolke, gewöhnlich ist, da sie mit geballter Faust aufeinander losgehen und sich derbe Stösse versetzen; Riesbeck 1783 Br. l 302 Die Stiergefechte des Spanier, das Rauffen der Trasteverini zu Rom, die Schlägereyen unserer Edelleuthe und Officiers, das Boxen der Britten sind freylich politische Unordnungen . . welche von einem stärkern Nationalcharakter .. unzertrennlich sind; Schiller 1783 Fiesko (H. II 111) Die drüben baxen sich um ein Herzogtum; Blumauer 1784-94 Virgils Aeneis (l 1649) Sieh da auf jene Wiese hin:/ Zween Knaben, die sich baxen,/ die werden, ehe noch am Kinn/ Die Haare ihnen wachsen . ./ Der als ein kleiner Erzbischof,/ Und der als Bischof glänzen; 1787 Kinderklapper 94 Die Herrn Spartaner theilten sich in zwo Partheyn, Und rauften sich nun öffentlich, Sie baxten, schlugen, balgten sich; Archenholz 1791 England III 45 Nur erst seit der letztern Hälfte dieses Jahrhunderts ist diese alte Mode [Duelle] wieder etwas in England aufgekommen, nach dem Maaße, als man das Baxen aufgegeben hat (GANZ); 1796 Berlin. Archiv d. Zeit l 475 Die Arme streckten, die Fäuste ballten sich. Sie hatten nicht umsonst von ihrer Reise durch England die edle Boxkunst profitirt. Sie zogen die Röcke aus, streiften die Ermel auf, stürzten auf einander los, und zerpauckten sich mit der fürchterlichsten Wuth; Jenisch 1800 Geist u. Charakter // 206 Die Pferderennen, das Baxen, die Hahnengefechte, gehören in England zu den eigenthümlichsten Vergnügen der Nation, denen der Lord, wie der gemeine Handwerker zueilt; Arndt 1813 Br. a. Miltenberg 78 einige . . Franzosen niederbaxen; Seume 1813 Leben (W. l W) das Boxen ging fort, und bald lag Jakob oben, bald Gottfried; Picard 1826 Minard II 48 sie baxten; Kohl 1844 Brit. Inseln II 258 wie in der Box-Arena (ring); ebd. III 304 Das Boxen (Überschr.) Unter

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den Sports, bei welchen der Mensch mit dem Menschen seine Kräfte misst, steht derjenige obenan, dessentwegen die Engländer von fremden Nationen am meisten angegriffen werden; Bauernfeld 1851 Kategor. Imperativ VII 9 boxt; Rasch 1863 London I 116 Als wir uns weigerten, wurden sie noch zudringlicher, und einer von ihnen forderte mich auf, mich mit ihm zu boxen; Lammers 1871 Deutschland 29 die Einführung des Boxens; Eckstein 1876 Satir. Zeitbilder 63 In den Augen des Publikums behält dann Der Recht, der am lautesten zu brüllen versteht, der am besten boxen, schießen oder stechen gelernt hat; Voss. Ztg. 17.10.1926 In der Kunst ist es möglich: Jago boxt, fightet den Riesen Othello in Grund und Boden; Kircher 1927 Fair Play 109ff. boxen; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. X 743) Sportpalast .. wo eben .. ein sensationeller Boxmatch vonstatten geht; Berl. lllustr. Nachtausg. 1. 2. 1933 ein Matrose, ein früherer Boxchampion . . bringt ihm die Kunst des Boxens bei; B. Z. am Mittag 6. 6. 1933 Aufnahme der beiden Ex-Weltmeister vor der Boxweltmeisterschaft-Vorentscheidung . . in New York; Lokal-Anz. 19. 8. 1934 Vor 45 Jahren fand in den Vereinigten Staaten . . der letzte Boxkampf mit bloßen Fäusten statt; Welt 11. 1. 1954 Schulungsfilm . . der die besten Kampftechniken aus Ringen, Boxen und Judo kombiniert zeigt; ebd. 22. 2. 1954 es gelingt ihnen nicht einmal, auf 100 km Entfernung das Nachspiel zum Berliner Kongreß von den Titelseiten der Zeitungen zu boxen; Süddtsch. Ztg. 23.4.1957 Eisenhower aber versucht nicht, sein Programm dort, wo es auf Widerstand stößt, durchzuboxen, sondern bemüht sich, die ihm in den Weg gestellten Hürden zu umgehen; Bild am Sonntag W. 12. 1961 Ich boxe nie wieder einen unbekannten Gegner (AWB); 1962 Landarzt XXXVIII 789 f. Über den Boxsport (Überschr.) Das Boxen muß als öffentlich geförderter Sport verschwinden. Diese Forderung bezieht sich auf das Amateurboxen noch mehr als auf das Berufsboxen; Spiegel 8. 9. 1965 Der amerikanische Seifentrust . . boxte innerhalb eines Jahres sein Dash auf 15 Prozent; Bild 6. 2. 1967 Ich kann noch in diesem Jahr den Weltmeister boxen. Wenn ich Ernie Terrell geschlagen habe, muß ich lauter Flaschen boxen; ebd. 13. 7. 1967 Japanische Veranstalter unterbreiteten dem WeltranglistenVierten im Super-Leichtgewicht ein Angebot, am 3. September in Tokio gegen den Weltmeister Paul Fuji zu boxen; FAZ 24. 1.1972 Schattenboxen um das amerikanische Etatdefizit (Überschr.); ND 26.8.1974 Stevenson und Hussing hatten sich schon vor zwei Jahren einmal im Halbfinale des olympischen Boxturniers gegenübergestanden; Zeit 2. 1. 1984 Um ihre Interessen durchzuboxen, schienen die USA entschlossen, auch einen Han-

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Boxer

delskrieg mit Europa zu riskieren; ebd. 28.12. 1984 Neben diesem glattrasierten Frieden-mit-derNatur-Apostel verstanden es auch andere, sich an die Spitze zu boxen; ebd. 1.2.1985 Sportfans kommen beim Boxen, Basket oder Football auf ihre Kosten; ebd. 31.5. 1985 versuche die etablierte Ärzteschaft durch erschwerte Prüfungsbedingungen und den neuen Studiumseinstieg, „Leute brutal aus dem Studium zu boxen"; ebd. 21. 2. 1986 Der Aramid-Vorreiter Du Pont hat bisher immensen Aufwand getrieben, um die neuen Fasern in den Markt zu boxen; MM 21. 10. 1987 Wütend boxte er sich seinen Weg durch ein Kame-

rateam des Fernsehens und einige Fotografen; Westf. Volksbl. 13. 1. 1988 Neu . . ist der Kampfsport Kickboxen. Die aus Amerika kommende Sportart, die sich immer größerer Beliebtheit erfreut, vereinigt Techniken von Teakwon-Do, Karate (Beinarbeit) sowie Boxen (Faustarbeit); MM 1.10.1994 Prügeleien waren alltäglich, der große, kräftige Gerard [Depardieu] mußte sich wehren können. Er lernte boxen, und seine lange Nase bekam ihren typischen „Akzent"; ebd. 31. 5. 1995 Frauen mögen lieber Boxen als Fußball (Überschr.) Frauen sind zu einem großen Teil für die Beliebtheit des Profi-Boxens im deutschen Fernsehen verantwortlich. IN

Boxer M. (-s; -), im späten 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. boxer (zu box; —» boxen), anfangs auch in der Form Baxer. 1 Zunächst auf engl. Verhältnisse bezogen, dann auch allgemeiner in der Bed. '(Beruf s-)-Sportler, der Faustkämpfe austrägt, in öffentlichen Boxkämpfen auftritt', vereinzelt auch auf männliche Personen mit bes. ausgeprägter Körperkraft übertragen, häufig konnotiert mit „derb, grob; grobschlächtig, vierschrötig" (s. Belege 1818,1931, 1963) und in bildlicher Verwendung mit „sich (wie ein Boxer) rücksichtslos, grob durchsetzend" (vgl. Boxerdiplomatie; s. Beleg 1852); als Gundwort in Zss. wie Amateur-, Berufs-, Preisboxer, häufiger als Bestimmungswort (gleichbed. mit Box-, —» boxen) in Zss. wie Boxerfaust, -champion, -handschuh, -kämpf, -gesicht, -nase, in jüngster Zeit aus dem Engl. übernommenes Boxershorts, auch Boxer-Hose, -Höschen, -Jeans, Bezeichnung eines Sportmode-Artikels für 'kurze, seitlich geschlitzte Turnhose (im Stil der Sportbekleidung beim Boxkampf) für Damen und Herren; modische Herrenunterwäsche in diesem Stil'; daneben seit späterem 19. Jh. auch als Bezeichnung für eine robuste Hunderasse, eine Doggenart mit einer kurzen, auffällig eingesunkenen, gekrausten Nase, kurz für Boxerhund. Dazu seit spätem 18. Jh. die meist leicht abwertend verwendete Gelegenheitsableitung Boxerei F. (-; -en) 'Boxkampf, Balgerei; das Herumboxen, Geboxe'; seit den 30er Jahren des 20. Jhs. die adj. Ableitung boxerisch 'auf das Boxen bezogen, auf dem Gebiet des Boxens'. 2 Vereinzelt seit Mitte 19. Jh. nachgewiesen in der regional (süddtsch./österr.) beschränkten Bed. 'Faustschlag, Stoß, Stüber'. 3 Seit Anfang 20. Jh. als historische Kollektivbezeichnung für die Mitglieder der (gegen Ausländer gerichteten) Patriotenvereinigung in China um die Jahrhundertwende, die ihre Wurzeln im 18. Jh. in einem religiösen Geheimbund gegen das Herrscherhaus hat, vor allem in der Zs. Boxer auf stand. Boxer 1: Musäus 1782 Grandison 221 daß er aus Furcht vor dem großen baxer Salmonet .. sich auf einige Tage in ein geräumiges Packfaß .. absentiret hatte (GANZ); ders. 1787-88 Volksmärchen l 75 weil keiner [der beiden Champions] Platz einzuräumen willens war, mußte das Faustrecht entscheiden. Die Alte sah eine Zeit lang ruhig zu, wie sich die Boxer herumzogen; 1789 Göttinger Taschen-Calender 200 Boxer-Academien; Foote 1796 Schulze (Übers.) l 225 Werfen Sie die hindernden

Scheidewände über den Haufen und der beste Baxer wird ein Weltbeherrscher; Kleist 1810 Anekdote V 115 Zwei berühmte englische Baxer (GANZ); Goethe 1818 Philostrat Gemälde (WA / 49.1,121) Diesem vierschrötigen Boxer steht ein gelenker Held entgegen; Sue 1843 Geh. v. Paris (Übers.) 110 Jack Turner's, eines der berühmtesten Boxer in London; Kohl 1844 Brit. Inseln l 224 Nach England sind zu verschiedenen Zeiten große irische Boxer („Champions of Ireland") herüberge-

Boxer kommen und haben mit den „Champions of England" gefochten; Arnim 1845 Bemerkungen e. Reisenden III 28 ein berühmter Boxer; Wagner 1852 Persien I 112 Altenglands grobe Boxerdiplomatie; Kompert 1859 Selbstlaut (Ges. Sehr. VII 220) ich glaubte, er wolle mir wie ein englischer Boxer das Nasenbein zerschlagen; Springer 1868 Berlin 229 ein englischer Boxerhund; Horix 1895 Erl. 157 Vor ihm, den dicken Kopf auf den Pfoten, lag der Boxer, . . der den längst herbeigesehnten Herrn durch energisches Wedeln begrüßte; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 107) als sie einen Mann gewahrte, der nach der letzten Mode gekleidet war, gute Manieren hatte und ausschließlich über Hahnen- und Boxerkämpfe sprach, die er sich in London angesehen; Kircher 1926 Engländer 257 Die Skandale im Boxergewerbe sind weltbekannt; Brod 1928 Zauberreich 215 Er hält ihm jetzt seine Boxerfaust direkt unters Kinn; Stratz 1929 Lill 23 Er ist doch Amateurboxer von hoher Klasse. Schwergewicht; Colerus 1929 Kaufherr 22 eine hohe, modellierte Stirne und eine harte, gerade, kurze Nase. Eigentlich das Gesicht eines Preisboxers; Voss. Ztg. W. 7. 1929 Gegen Boxer-Import (Überschr.) Die britische Boxbehörde hat gestern erklärt, daß in Zukunft alle ausländischen Boxer, Manager und Trainer nur mit besonderer Genehmigung . . in England landen dürfen; Berl. Illustr. Nachtausg. 28.8. 1931 Ich brauche keinen Mann mit Boxerfäusten, der eiserne Ketten zerreißen kann; Wohl 1932 Reporter 370 Der kleine Klaus antwortet dadurch, daß er in Boxerstellung geht; Lokal-Anz. 14. 10. 1934 Einer der erfolgreichsten Berufsboxer der neunziger Jahre . . erschien im Ring, als das Zeitalter der „bar knuckle fights", der Kämpfe mit bloßen Fäusten, schon vorüber war; Welt 20. 9. 1949 Neusei ist kein Maßstab für die Qualitäten eines Boxers. Wer soviel nehmen kann, wer so erfahren ist, kommt immer über die Runden, auch wenn der andere weit überlegen ist; Grass 1962 Blechtrommel 245 Ich horchte nur auf, als sie den großen Boxer Max Schmeling sprechen ließen; Böll 1963 Clown 89 Er war sehr fromm, richtig kirchlich, gehörte dem Dritten Orden an und trug sein Skapulier immer vorne auf seiner enormen Boxerbrust; Bild 22. 2. 1967 Ein sechs Jahre alter Boxerhund aus Essen bringt den Rentner Josef Ekrod zur Verzweiflung . . Um der Zwangsräumung zu entgehen, hatte Erich Irrgand den sprechenden Boxer vorübergehend ins Tierasyl gegeben; Bender 1970 Parapsychologie o. S. Dort war ein Boxmatch im Gange. Zwei junge Leichtgewichtsboxer kämpften miteinander; Bunte 11.3. 1979 Seilspringen fällt leichter in glänzenden Boxershorts mit Frotteeshirt; Stern 16. 8. 1979 In dieser Saison ist der Straß-Tanga angesagt, das Shirt, das beim Bükken den Po enthüllt, die imitierten Cowboystiefel

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zur Boxer-Hose aus Satin; Bild am Sonntag 16. 9. 1984 Für Sportliche: seidene Boxer Shorts, schmal geschnitten, an den Seiten kurz geschlitzt (alle drei AWB); Zeit 14. 2. 1986 Die Boxersprache hat ein schönes Gleichnis dafür: Wer seinen Gegner k.o. schlägt „schickt ihn ins Reich der Träume"; MM 9.4. 1987 ein Fall von Persönlichkeitsspaltung. Werner Schneyder, der passionierte Ringrichter, hat das Herz eines Boxers. Er ist gewohnt, hart zu schlagen und auszuteilen; Berl. Ztg. 11. l. 1990 wenn es bald schon keine DDR-"Boxer"-Jeans mehr gibt, wird der Käufer vielleicht nicht gleich heulen — wenn er dafür „Levis" kaufen kann. Boxerei: 1788 (Buchner, D. Neueste IV 1) Vorige Woche hatten wir wieder 5 Boxereien, allein die des Juden Mewndoza und Schlächter Humphrys bleibt auf lange Zeit die merkwürdigste; Kufahl/ Schmied 1896 Duellbuch 379 New York sah sich wegen der damals überhandnehmenden Boxereien veranlaßt, am 17. März 1835 strenge Strafen für Boxer zu erlassen; Wiegler 1916 Figuren 157 Sie gehen auf den Kontinent, praktizieren ein wenig und töten nach hitziger baxerei etwa einen Mannheimer Bäcker, um ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden; Moszkowski 1922 Inseln 262 Noch nie hat der Verfolg einer völkerbestimmenden Idee zu etwas anderem geführt, als zu einer Boxerei; Reger 1932 Hähnchen 558 Wenn ich mal mit meiner Boxerei genug verdient habe, kaufe ich das Parkhotel. boxerisch: Musil 1930 Mann 477 es erweckte den Eindruck, daß sie stark „angeschlagen" sei, so es erlaubt ist, das boxerisch auszudrücken; Berl. Illustr. Nachtausg. 23.1.1932 trat die boxerische Überlegenheit Bernlöhrs deutlich zu Tage; ebd. 11.3.1933 [der] die vielen boxerischen Blößen nicht verdecken kann, wenn er einem Gegner von gutem boxerischen Können entgegengestellt wird; Stuttgarter Ztg. 6. 4. 1960 Scholz glaubt an seine Weltmeisterschaft (Überschr.) Jetzt stehe ich auf dem Höhepunkt meiner boxerischen Laufbahn, und dies muß ich ausnutzen; Schallück 1962 Reineke 190 Wir wußten, daß sich diese beiden auf eine boxerische Auseinandersetzung von außergewöhnlicher Heftigkeit vorbereiteten; Bild 20.3. 1967 Wie könnte er es sonst so weit gebracht haben — ein primitiver Schläger, ein Mann ohne boxerische Klasse, aber ein wahrer Eisenfresser mit der Kraft eines Roboters . . Ich konnte ihm boxerisch alles vormachen und hatte trotzdem Mühe, nicht von ihm ausgeknockt zu werden; FAZ 8. 3. 1971 die Wahrheit über die beschränkten boxerischen Verhältnisse des zu seinen Amateurzeiten . . mehrfach deklassierten Conny Velensek.

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Boykott

Boxer 2: W. Heine 1856 Reise um d. Erde l 139 Ich versetzte ihm einen Boxer, der ihn alle 12 Stufen der Terrasse auf einmal hinabspedirte; Wallner 1872 Ufer 220 Ein englischer Lümmel . . gab [einem starken Burschen] einen Boxerstreich auf den Magen. Boxer 3: 1900 Dtsch. Revue XXV 3,103 Die als Aufstand der „Boxer" bezeichneten Unruhen — in Wirklichkeit heißt die Gesellschaft, um die es sich handelt: l ho chuan, das heißt der Bund der vereinigten Patrioten; chuan, gleich ausgesprochen, wenn auch anders geschrieben, kann aber ebenfalls „Faust" bedeuten, und so haben wir es entweder mit einem Übersetzungsfehler oder mit einem chinesischen Wortspiel zu thun; Frankf. Ztg. 1. 4. 1926 Die Verwendung des Boxerfonds (Überschr.) Wu Pel-fu hielt gestern abend bei einem Bankett, das er zu Ehren der Mitglieder der Boxerentschädigungskommission gab, eine Rede, in der er den Wunsch äußerte, der aus den Zahlungen Chinas für die Entschädigungen aus dem Boxeraufstand gebildete Fonds möchte für den Bau von Eisenbahnen verwendet werden; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 430 Die Volkswut gegen die „weißen Teufel" kam im Aufstand des „Faustbunds" zum Ausbruch, einer über ganz China verbreiteten Geheimorganisation fanatischer Nationalisten, die, weil sie sich für den bevorstehenden Kampf gegen

die Fremden durch Leibesübungen zu stählen suchten . . spottweise die Boxer genannt wurden; Lokal- Anz, 22.1. 1934 Erinnerungen an Chinas Kaiserhof (Überschr.) Als wir im Boxerjahr 1900 von Tientsin nach Peking durch das verwüstete Land marschierten; 1936 Eiserne Blätter 304 Im Boxerprotokoll von 1901 gestand China zu, daß von den fremden Mächten Schutzwachen für die Gesandtschaften gehalten werden durften; 8 Uhr-Blatt 7. 5.1936 Seit Anfang 1899 hatte der Gouverneur von Schantung .. Vereinigungen von Knaben und Mädchen gebildet, die . . gemeinsam auszogen, um Freiübungen zu machen. Englische Ansiedler, die diese Freiübungen beobachtet hatten, gaben den jungen Leuten die spöttisch gedachte Bezeichnung „Boxer". Diese freiwilligen patriotischen Vereinigungen [mit fremdenfeindlichen Zielsetzungen] verbreiteten sich außerordentlich schnell über ganz China; Grzimek 1959 Serengeti 108 der deutsche General von Lettow-Vorbeck . . der schon den Boxeraufstand in China mitgemacht, bei der HereroRebellion in Deutsch-Südwestafrika verwundet worden war und die Kolonialtruppen von Kamerun befehligt hatte; Zeit 5. 4. 1985 Der Akzent scheint nie auf Evolution oder Reform gelegen zu haben, sondern auf Revolte (zum Beispiel im Boxeraufstand 1900) und auf Revolution (zum Beispiel durch Sun-Yatsen 1911 und erneut durch Mao Tse-tung). IN

Boykott M. (-s; -e und -s), Ende 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. boycott (zu boycott, —» boykottieren), früher auch in der engl. Schreibung Boycott. Unter engl. und bes. amerikan. Einfluß zunächst vor allem bezogen auf wirtschaftspolitische Maßnahmen bei Arbeitskämpfen in der Bed. 'Vereinbarung, Verabredung, bei einer Person/einer Gruppe nicht zu arbeiten oder bei ihr nichts zu kaufen; öffentliche Ächtung, Meidung eines Gegners durch den Abbruch bestehender (wirtschaftlicher, rechtlicher, sozialer u. ä.) Beziehungen', gleichzeitig auch auf außenpolitische Druckmittel bezogen für 'Isolierung einzelner Staaten/Staatengruppen, die den wirtschaftlichen Austausch, die politische Zusammenarbeit oder den Abschluß von Verträgen mit anderen Staaten verhindern soll' (—» Blockade l, —+ Embargo, —* Sanktion), speziell in den 30er Jahren mit je nach Standpunkt wechselnder Wertung, zum einen bezogen auf die soziale und politische Ächtung der Juden durch die Nationalsozialisten, zum ändern auf die politisch-wirtschaftlichen Sanktionen des Auslands gegenüber Deutschland; seit den 40er/50er Jahren allgemeiner verwendet im Sinne von 'Verweigerung der Mitarbeit, Teilnahme oder Unterstützung; Nichtbeachtung, Erschwerung oder Verhinderung der Durchführung von (staatlichen, behördlichen) Plänen, Maßnahmen, (politischen, kulturellen) Aktivitäten, Veranstaltungen u. ä.' (s. Belege 1949, 1953, 1956, 1971, 1985; -» Blockade 5, — Sabotage, —» Streik, —> Kampagne); oft in attributiven Verbindungen wie politischer, wirtschaftlicher, internationaler, militärischer, geheimer, stillschweigender, befristeter Boykott, und festen Wendungen wie zum Boykott (für/gegen etwas/jmdn.) auffor-

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dern, aufrufen, den/einen Boykott ausrufen, verkünden, (durch-)brechen, bilden, verhängen, betreiben, verfügen, aufheben, häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Boykottmaßnahmen, -bewegung, -erklärung, -aktion, -aufruf, -kampagne, -initiative, -politik und Boykotthetze, bis 1968 DDR-spezifische Bezeichnung für den Tatbestand staatsfeindlicher, politisch mißliebiger Handlungen. Häufiger auch als Vorgangsbezeichnung im Sinne von 'das Boykottieren, Verweigern, Nichtbeachten', bes. als Grundwort in Zss., deren erste Bestandteile sowohl das Objekt als auch das Subjekt des vom Grundwort bezeichneten Vorgangs darstellen, z. B. Europäer-, Namibia-, Handels-, Medien-, Rohstoff-, Schul-, Überstunden-, Unterrichts-, Veranstaltungs-, Verbraucher-, Vorlesungs-, Waffen-, Wahl-, Wirtschafts-, Zahlungs-, Zuschauerboykott. 1890-91 Velhagen u. Klasirtgs Monatsh. V l vergeblich waren bisher alle Eingaben und Versuche, diese [deutsche Bodenkreditgesellschaft] ihres Besitzrechtes zu entheben, hatte sich doch sogar schon ein Boykott der Umwohnenden gebildet, nichts bei den Mietern dieses „Schandfleckes" zu kaufen; Hofmannssthal 1891 Briefw. Vlll o. S. Außerdem lasse ich mir von einer alten Engländerin .. viel erzählen . . von dem häßlichen boycott in England; Harden 1892 Apostata N. F. 58 Der Boykott und die Beleidigungsklage: das sind die Waffen, mit denen diese Herren ihre Angreifer bekämpfen; 1894 Der neue Kurs III 365 Bierboykott [Verrufserklärung]; Polenz 1895 Büttnerbauer 306 Haschke nannte [den Streik der Landarbeiter] mit geheimnisvoller Miene „Boykott"!; Boguslawski 1895 Vollkampf 20 die Boykotts, die Verrufserklärungen [noch 1877 von Bebel verurteilt]; Henneatn Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 165 der Boycott (Verruf der Waren eines Unternehmers) [bes. in Nordamerika]; Bismarck vor 1898 Ged. u. Erinn. II117 es blieb 1870 mir gegenüber, bei dem militärischen Boycott, wie man heute sagen würde; Kleeberg 1904 Ein Beitrag zur Revision der Begriffe Strike, Lockout und Boykott (Titel); Polenz 1904 Land 215 Der Boykott, der einem Etablissement, einem ganzen Geschäftszweig die Lebensader unterbindet; Schwabach 1910 Akten 181 wie sich auch die Sozialdemokraten durchaus nicht scheuen, kleinen Handeltreibenden, Gastwirten usw. . . gegenüber die Waffe des Boykotts zu verwenden; Retzbach 1916 Boykott Iff. Name, Begriff und Arten des Boykotts (Überschr.) Boykott, deutsch Verrufserklärung, ist ein Kampf-, Zwangund Machtmittel, welches darin besteht, daß eine Mehrheit von Personen sich planmäßig verabredet, eine bestimmte Person, bestimmte Personen oder Personengruppen zu maßregeln, um hierdurch wirtschaftliche, sociale oder politische Vorteile für die direkt Beteiligten oder eine andere Person oder andere Personen zu erwirken .. Heckel versteht unter Boykott ein Kampfmittel der geschlossenen Arbeiterorganisationen gegen das Unternehmer-

tum, welches seine Waren ächten und von jedem wirtschaftlichen Verkehr ausschließen soll; 1918 Deutschland 526 Rohstoffboykott; Diehl 1920 Sozialismus 311 Als solches Mittel empfiehlt der revolutionäre Syndikalismus vor allem: Boykott, Sabotage .. partielle Kampfstreiks und endlich .. Generalstreik; Bonnet 1926 Unternehmertum (Übers.) 58 Der Boykott bildet ein höchst wirksames Zwangsmittel der Gewerkschaften; Reibnitz 1928 Gestalten 130 Würde ein guter Klub ein Mitglied, das . . grundlos Ehrenkränkendes über andere verbreitet, entfernen, wäre die Folge für dieses Mitglied gesellschaftlicher Boykott; Lokal-Anz. 23. 3. 1933 Rundfunkhetze und Boykottanzeichen (Überschr.); ebd. 27. 3. 1933 Nach Mitteilung von nationalsozialistischer Seite ist an Boykottmaßnahmen gedacht, die sich innerhalb der gesetzmäßigen Möglichkeiten halten; ebd. 18. 8. 1934 In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es in Irland einen Gutsverwalter namens Boycott, der die ihm unterstellten Pächter so streng und hartherzig behandelte, daß ihr Haß sich schließlich in einer gemeinsamen Aktion gegen ihn Luft machte: Sie verabredeten, ihm nichts mehr zu liefern, nichts abzukaufen, nicht für ihn zu arbeiten . . Die Zeitungen gewöhnten sich daran, jede ähnliche Handlungsweise . . als Boykott zu bezeichnen, und bald war der Name des bösen Verwalters als feststehender Begriff in den Sprachgebrauch eingegangen; Dtsch. AZ. 15. 8. 1935 seit Wochen [wird] in Detroit, Los Angeles und anderen Städten ein wirksamer Fleischkaufboykott durchgeführt; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 261 es kamen die bekannten Märzereignisse, die immer ungezügelter aufhetzenden Reden gegen alle Juden und schließlich der 1. April 1933 mit dem Boykott gegen alle Juden ohne Unterschied; Münch. N. N. 27. 5. 1939 die Hetze gewisser Kreise und vor allem die Boykottaktionen des polnischen Westverbandes gegen deutsche Waren; ND 27. 1. 1949 Gegen Kultur-Boykott (Überschr.) Der Schutzverband Deutscher Autoren hat sich . . gegen jede Boykottbewegung und böswillig einseitige Unterrichtung auf kulturellem Gebiet

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ausgesprochen; Süddtsch. Ztg. 14.8. 1951 Düsseldorf ruft zum Milchboykott auf (Überschr.) . . bis die Regierung von Nordrhein-Westfalen die Erhöhung des Milchpreises wieder rückgängig mache; ebd. 22.5. 1956 eine Auflösung des berüchtigten Artikels 6 der DDR-Verfassung über „Boykotthetze" in einzelne Strafbestände wie Staatsverrat, Spionage, Diversion und Sabotage; Jaspers 1958 Atombombe 209 durch Handelsboykott, Stornierung aller Ankäufe ägyptischer Baumwolle, Beschlagnahme des ägyptischen Vermögens im Auslande, Sperre des Fremdenverkehrs nach Ägypten; ebd. 211 Ist es nicht schon eine aggressive Handlung gegenüber einem fremden Staat, wenn dessen Verkehr gestört wird, z. B. durch staatlich verfügten Boykott, durch gewaltsames Verhindern seiner Schiffahrt in internationalen Wasserstraßen?; Süddtsch. Ztg. l. 4. 1959 In Österreich ist der offizielle „Boykott-Aufruf", Italien wegen seiner Haltung in der Südtirolfrage als Reiseland zu meiden . . weitgehend befolgt worden; Offenburger Tagebl. 4. 9.1961 die Internationalität der Leipziger Messe habe durch die „Boykottkampagne von Bonn und Westberlin" nicht beeinträchtigt werden können; FAZ 4. 12. 1965 Schon jetzt hat er [Mitterand] den Boykott durchbrochen, den die demokratischen Parteien über die zuletzt 22 Prozent der Wähler bindenden Kommunisten verhängt hatten; Offenburger Tagebl. 17. 7. 1967 arabische Vertreter in der Bundesrepublik hätten dem arabischen IsraelBoykottbüro einen totalen Wirtschaftsboykott der Bundesregierung empfohlen. Auch eine totale Liefersperre arabischen Öls solle gegen die Bundesrepublik verhängt werden. Etwa zur selben Zeit verlautete aus Kuweit, daß die Ölminister . . übereingekommen seien, ihr Oelembargo noch nicht aufzuheben; Welt 17. 10. 1969 Ein „öffentlicher Ausschuß von höchstem Range", den das Orchester einsetzen will, soll nun ein Urteil über den Boykott

der Werke von Richard Strauss fällen; Dedecius 1971 Deutsche u. Polen o. S. dagegen scheint der Boykott deutscher Bücher, den ein Teil unserer Jugend zusammen mit dem Boykott der Zeitungen und Zeitschriften fordert, sinnlos; Offenburger Tagebl. 9. 6. 1971 Die Studenten der Staatlichen Ingenieurschule Konstanz haben einen bis zum 16. Juni befristeten Vorlesungsboykott beschlossen; MM 10. 1. 1985 Auf das Haus bezogen, bedeutete dies Zuschauerboykott, Bühnenstreiks, politischer Grabenkrieg in den Pariser Feuilletons; Zeit 17.5. 1985 mehr als eine Million verkaufter Platten, aber doch auch Tiefs, Krisen, Medienboykott, falscher Umgang mit zu plötzlichem Geldsegen; ebd. 9. 8. 1985 Der schwarze Boykott der weißen Geschäfte in Port Elizabeth dauert trotz Verhaftung der Boykottführer an und hat sich jetzt auch auf East London ausgeweitet; ebd. 27. 12. 1985 an der CDU-Basis formieren sich gar Grüppchen zum Wahlboykott; ebd. 4.4.1986 Das wichtigste Kampfmittel ist jetzt nicht mehr der Schulboykott, sondern es sind Arbeitsniederlegungen, Mieterund Käuferboykotts; MM 6. 10.1986 daß auch schon in der Vergangenheit Sanktionen und Boykotte den Beweis erbracht hätten, daß die Kap-Republik politisch und wirtschaftlich gestärkt aus solchen Hexenjagden hervorgegangen sei; erinnert sei an die Öl- und Waffenboykotte; ebd. 10. 4. 1987 Das . . evangelische Massentreffen soll . . möglichst breit unter das Thema Südafrika- und Namibia-Boykott gestellt werden; Stern 14.5. 1987 Mit Bittbriefen, Demonstrationen und schließlich mit Unterrichtsboykott wehrten sich die Eltern der gefährdeten Kinder gegen die bürokratische Trägheit; Altner 1991 Naturvergessenheit 151 Es liegt in der Konsequenz des zivilen Ungehorsams und der daraus abzuleitenden Handlungsweisen (Boykott, Blockade, Besetzung. .), daß gegen geltendes Recht verstoßen wird. IN

boykottieren V. trans., Ende 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. boycott (zu boycott 'Ächtung, öffentliche Verrufserklärung', abgeleitet von Boycott, dem Namen eines von der irischen Liga um 1880 wegen übertriebener Härte gegen Pächter und Arbeiter geächteten Gutsverwalters, von daher für einen solchen Vorgang der Ächtung verallgemeinert). Vor allem in bezug auf innen- und außenpolitische Kampfmaßnahmen bei wirtschaftspolitischen und sozialen Auseinandersetzungen in der Bed. 'jmdn./eine Berufs- oder ethnische Gruppe gesellschaftlich, geschäftlich in Verruf erklären, ächten, wirtschaftlich, sozial, politisch isolieren; von Handelsbeziehungen mit anderen Ländern ausschließen' (—» blockieren l, —> sanktionieren, —» sabotieren), in den 30er Jahren speziell auf die soziale und politische Ächtung der Juden durch die Nationalsozialisten bezogen (s. Belege 1933, 1936), häufig in Syntagmen wie etwas (ein Land, einen Staat)/jmdn. wirtschaftlich, politisch boykottieren, Waren, Rohstoffe, Ex-

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porte, Geschäfte boykottieren; von daher übertragen und allgemeiner verwendet im Sinne von '(durch passiven Widerstand) die Ausführung von etwas (z. B. staatlichen, behördlichen Maßnahmen, kulturellen, politischen Aktivitäten) ablehnen, erschweren oder zu verhindern suchen; etwas oder jmdn. (zum Ausdruck der Ablehnung) bewußt meiden, nicht beachten' (s. Belege 1942,1950,1966,1985, 1986,1988, 1989, 1990, 1992; —» blockieren 5, —»· demonstrieren, —> ignorieren), in Wendungen wie eine Veranstaltung, Sitzung, Feier, Wahl, ein Gesetz, Entscheidungen, Vorhaben, Pläne, Ziele, den Unterricht, einen Kollegen o. ä. boykottieren. Daneben das im späten 19. Jh., bes. in der Part. Perf.-Form geboykottet, vereinzelt nachgewiesene, gleichbed. Verb boykotten. Dazu das seit Ende 19. Jh. bezeugte Verbalsubst. Boykottierung F. (-; -en) 'das Boykottieren', in jüngster Zeit die Personalableitungen Boykottierer M. (-s; -) und wohl unter Einwirkung von gleichbed. frz. boycotteur aufgekommenes Boykotteur M. (-s; -e) in der Bed. 'jmd., der jmdn./etwas boykottiert'. boykottieren: Bismarck 1898 Ged. u. Erinn. II 185 wenn . . der betheiligte verantwortliche Minister plötzlich von allen bisherigen Freunden boycottirt, als Feind behandelt . . wird; Sohle 1900 Musikanten 127 einigten sich . . sämtliche Wirte dahin, Zwillichs schamlosen Konkurrenten schlankweg zu boykottieren; zur Megede 1911 Quitt 199 Den etwaigen Schwiegersohn .. konnte man doch nicht boykottieren; Brahm 1913 Krit. Sehr. 311 Nicht Kainz verteidige ich hier, nicht eine Ausnahmemoral fordere ich für die geniale Persönlichkeit — das System des Boykottierens ist es, dem mein Widerspruch gilt; 1915 — 16 Polit.-anthropol. Monatsschr. XIV 464 Es verschloß vor uns die eigenen Häfen und die seiner Verbündeten. Es boykottierte unsere Waren mittelst Ministerratsbeschlüssen; Johnston 1917 Mensch enverst. 21 in Fällen, wo es nicht gerade um die Existenzbedingungen des britischen Reiches geht, gibt es . . gewisse Zwangsmittel, die vollkommen genügen, um ohne Waffengewalt die Achtung vor Verträgen und der gerechten Sache durchzusetzen. Man boykottiert die Erzeugnisse des schuldigen Teils; Colerus 1929 Kaufherr 141 ein Mädchen, das von einem ganzen Gesellschaftskreis deshalb boykottiert wurde, weil sie altertümliche Moralbegriffe hat; 1931 Technik XXXIII 23 Geld, das auf festem Preisstand ruht, läßt sich nicht boykottieren; Berl. Illustr. Nachtausg. 30. 3. 1933 Man „boykottiert" erst seit rund 50 Jahren. 1880 erschien dieses neugebildete Wort zum erstenmal schwarz auf weiß in einer Dubliner Zeitung. Ein englischer Kapitän war der unfreiwillige Vater des Wortes und der ersten Boykottbewegung; ebd. 31. 3. 1933 Entlassungen von nichtjüdischen Angestellten und Arbeitern dürfen von den boykottierten jüdischen Geschäften nicht vorgenommen werden; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 277 Der Jude muß das Gefühl erlernen können, sich in taktvoller Weise zurückzuhalten .. und tut er es

nicht, da sollte die gute jüdische Gesellschaft, statt seinem Gelde oder seiner Klugheit nachzulaufen, ihn kurzerhand boykottieren; Münch. N. N. 22. 7. 1942 Noch werden zwar die offenen Bekenner zur nationalen Evolution boykottiert und behindert; ebd. 26.727. 9. 1942 Peinlich wirkten schon die 40 leeren Stühle der die Sitzung geschlossen boykottierenden Kongreßvertreter; NZ. (Basel) 25. 2. 1950 England schickt seine Verbrecher in die Gefängnisse von Australien. Sie werden, wenn sie sich bewähren, freigelassen und kolonisieren als Farmer das Land . . Aber die gute Gesellschaft boykottiert die ehemaligen Verbrecher; FAZ 1. 2. 1966 Bei den Demonstranten handelte es sich vorwiegend um Studenten, die Straßensperren errichtet, den Unterricht boykottiert und Omnibusse mit Steinen beworfen hatten; MM 20. 7. 1985 Die Berliner Genossen boykottieren die zentrale Feier zum Gedenken der Hitler-Attentäter . . weil Geißler dort als Hauptredner der Veranstaltung sprechen soll; ebd. 17. 8. 1985 Der Druck, Südafrika wirtschaftlich zu boykottieren, nimmt jedenfalls zu. Im Kongreß hat das Repräsentantenhaus schon ein paar Sanktionen beschlossen: einen Importstopp für den Krügerrand, einen Stopp neuer Kredite; ebd. 21. 8. 1986 die Angehörigen von Edinburghs bürgerlicher Mittelschicht, die vom Festspiel-Programm entäuscht sind und damit drohen, die Veranstaltungen zu boykottieren; ebd. 18.9. 1986 warnte Ebert davor, sich enttäuscht abzuwenden und die Wahlen zu boykottieren; ebd. 25. 11. 1986 Zunächst waren es Ärzte in Kliniken der Sozialversicherung, die das Gesetz boykottierten und die Frauen im Besitz regelrechter Bescheinigungen vergeblich an ihre Türen anklopfen ließen; ebd. 27. 5. 1988 So mancher schwer Asthmakranke, der aus Furcht vor Nebenwirkungen seine CortisonTherapie heimlich boykottierte, mußte dafür mit dem Leben bezahlen; Zeit 16.2.1990 Hunderte

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brachial

von Frauen . . boykottierten den Zugang zum Gebäude und handelten den anderen Verbänden gegen ein Durchgangsrecht das Versprechen ab, den Sitz für Frauen einzufordern; Frankf. Rundsch. 25. 7. 1990 „Bild", „Stern" oder „Bunte" aber fehlen in ihrem Sortiment, da die Großverlage laut Christiansen die Belieferung „boykottieren". Sollte die Blockade anhalten, „können wir nicht mehr lange überleben"; Spiegel 30. 11. 1992 Frankreich [hatte] schon einmal alle EG-Sitzungen boykottiert und den Partnern schließlich einen Kompromiß abgetrotzt. Boykotten: Waltershausen 1885 Boycotten, ein neues Kampfmittel der amerikanischen Gewerksvereine (Titel); Brahm 1890 (Freie Bühne I 853) daß eine schwache Frau geboykottet, gemißhandelt, in Elend und Hunger gejagt wurde; Göhre 1891 Fabrikarbeiter 81 Unteroffiziersmäßig anschnauzen ließ sich keiner. Wer es versuchte, wurde stillschweigend, ohne jede Verabredung, geboykottet, d. h. die Handarbeiter ignorierten ihn. Boykottierung: Brahm 1890 (Freie Bühne l 853) daß er die Frau, die ihn verlassen, nicht in der Hauptrolle seines Schauspiels sehen wollte, dieses bescheidene Autorrecht wird man ihm wohl noch zugestehen, und es nicht als „Boykottierung" brandmarken; Grosse 1896 Ursachen u. Wirkungen 267 Folge war Boykottierung des Theaters seitens des Adels und somit chronische Permanenz des Deficits; Hirschberg 1897 Soz. Lage 186 Die Arbeitgeber . . sperrten die Feiernden auf drei Tage aus . . hieran schloss sich zunächst in Rixdorf die Boykottierung der beiden dortigen Brauereien; Mittnacht 1904 Erinn. an Bismarck 47 Er [Bismarck] beschwerte sich [im Mai 1890] über seine „Boykottierung", seine früheren besten Freunde wenden sich von ihm ab und meiden ihn; Legten 1914 Arbeiterbewegung 158 Es wird dort [in Amerika] vielfach der Boykott über Erzeugnisse verhängt, an deren Boykottierung man in Deutschland nicht denken könnte; 1919 Gesch. d. dtsch. Arbeiterbewegung III 559 die Boykottierung der

Freiwilligentruppen . . durch manche Arbeiter empfindet der Parteitag als eine Ungerechtigkeit; Lokal-Anz. 31.3.1933 über alle jüdischen Geschäfte, Warenhäuser, Kanzleien usw. den Boykott zu verhängen. Dieser Boykottierung Folge zu leisten, dazu rufen wir euch, deutsche Frauen und Männer, auf. Kauft nicht in jüdischen Geschäften und Warenhäusern, meidet judische Ärzte; Süddtsch. Ztg. 13. 1. 1949 Keine Boykottierung der Konsumgenossenschaften (Überschr.); Scheer 1952 Lebenswege o. S. durch Boykottierung des Hafens für Schiffe jeder Art die Arbeiter kirre zu machen; i960 (Journalist. Handb. DDR 15) der noch erscheinende Rest [Zeitungen] erliegt beständiger Boykottierung und aktiver Verfolgung durch Polizei und Regierung; MM 20. 7. 1985 So gehört auch die Boykottierung seiner Person für den CDU-Generalsekretär zum vertrauten Instrumentarium der Auseinandersetzung; Zeit 22. 5. 1987 Die Rechtsschutzversicherer unterstützen das Volkszählungsgesetz in vollem Umfang und lehnen jede Boykottierung ab. Boykotteur: Zeit 1. 5. 1987 Die Geheimdienste als Paten der Volkszählung — keinem Boykotteur hätte man eine solche Erfindung abgenommen. Diese Eseleien mögen Wasser auf die Mühlen der Boykotteure sein; aber sie rechtfertigen noch lange keinen Boykott und schon gar nicht die Tatsache, daß sich die Grünen als parlamentarische Partei die Verweigerung zu eigen gemacht haben; MM 14. 5. 1987 daß es gelingen könnte, den harten Kern der Volkszählungsgegner und -boykotteure auf drei Prozent zu begrenzen; Zeit 22.5.1987 Wer wie ein Boykotteur aussieht, wird nicht versichert . . Wer Formulare beschädigt oder vernichtet, hat ebenfalls keinen Versicherungsschutz .. Zudem müsse ein Boykotteur, wenn er nach dem Gang durch alle Instanzen den Prozeß verloren hat, die Bußgelder . . immer aus eigener Tasche zahlen. Boykottierer: Zeit 20.2. 1987 Die Union . . hat Mißtrauen verstärkt, das nun auf die Volkszählung zurückschlägt, keineswegs nur bei den harten Boykottierern. IN

brachial Adj. und Brachial- Bestimmungswort, seit früherem 19. Jh. (1838 bei Heyse) gebucht, seit Ende 19. Jh. kontinuierlich belegt, zurückgehend auf lat. brachialis 'den Arm betreffend, zum Arm gehörig' (zu lat. brac(c)hium/g,riech. 'Arm; Schulter'; —» Bratsche; vgl. die übertragene Verwendung in lat. Syntagmen wie Brac(c)hium ecdesiasticum bzw. seculare 'geistliche bzw. weltliche Gewalt, Macht, Obrigkeit'). a Im 19./20. Jh. in der Medizin, auch in der medizinerlat. Form brachialis, gebucht in der anatomischen Bed. 'auf den (Ober-)Arm bezogen; den Arm betreffend', in

brachial

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Zss. wie Brachialarterie 'Armpulsader', Brachialneuralgie (aus brachial und —» Neuralgie 'Nervenschmerz'), gleichbed. mit Brachialgie (aus bracht-, gekürzt aus brachial(is), s. o., und -algie, zurückgehend auf griech. 'Schmerz') für 'Armschmerz, Neuralgie des Armnervengeflechts'; dazu das im 19. Jh. vereinzelt gebuchte Subst. Brachiale 'Armband'. b Von daher seit Ende 19. Jh. übertragen verwendet für 'handgreiflich; mit roher Körperkraft, Gewalt', bezogen auf tätliche Auseinandersetzungen, seltener auf die daran beteiligten Personen (s. Beleg 1985), auch bildlich in bezug auf politische, soziale u. ä. Konflikte, Maßnahmen im Sinne von 'unbekümmert, bedenken-, kompromißlos (vorgehend), (sich/etwas) rücksichtslos (durchsetzend)' (—»· rabiat, —> brutal, —» rigoros; s. Belege 1934, 1963, 1968, 1985), überwiegend in konkret und übertragen gebrauchten Wendungen wie (mit) brachiale(r) Gewalt, brachiale Methode, Auseinandersetzung, brachiales Temperament, Tempo, auch als Adv. in (jmdn.) brachial angreifen, brachial vorgehen, durchgreifen; von Anfang an und bis heute vor allem als Bestimmungswort in der seit Ende 19. Jh. belegten Zs. Brachialgewalt 'rohe, körperliche Gewaltanwendung (unter Zuhilfenahme der Arme)', im übertragenenen Sinne 'rücksichtsloses Vorgehen, Durchgreifen, Durchsetzen (von politischen o. ä. Zielen, Maßnahmen)', auch in adj. Gelegenheitsbildungen wie brachialgewaltig, -kapitalistisch. Dazu die im früheren 20. Jh. vereinzelt nachgewiesene Ableitung Brachialität 'körperlicher Gewaltakt, brutales Vorgehen' (vgl. Brutalität, —» brutal) und in jüngster Zeit die Nebenform brachialisch. brachial a: Heyse 1838 Fremdwb. l 144 brachial, was auf den Arm Bezug hat; 1882 Brockhaus II 420 Brachial, auf den Arm bezüglich, z. B. Brachialarterie, Armpulsader; Bechhold 1919 Handlex. I 192 Brachialgie (Brachialneuralgie) Neuralgie des Plexus brachialis; eine Folge von Rheumatismus, Gicht; Pschyrembel 1942 Klinisches Wb. 102 Brachialgie . . Armschmerz . . Brachialneuralgie: Neuralgie des Armnervengeflechtes . . Brachialis . . zum Arm (Oberarm) gehörend. Brachiale: 1882 Brockhaus 420 Brachial, auf den Arm bezüglich . . Brachiale, Armband. brachial, Brachial- b: 1899 (Kraus, Fackel VII 15) Wilhelm II. verschmäht die Brachialgewalt und ist vornehm genug, seine Rancunen literarisch zu vertreten; ebd. XII 5 Wer glaubt daran, dass die Verhinderung der Delegationswahlen durch Brachialgewalt die Regierung hindern werde, auf irgendeine Art das gemeinsame Budget im Einverständnisse mit Ungarn festzustellen; Bierbaum 1910 Reife Früchte 178 Das Urteil kam: Der Mime ist verhalten,/ Zu spielen — eventuell mit Brachialgewalten; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 808) Aber doch auch nicht aus körperlichen! Doch nicht seiner Kapitänsschultern wegen, in Hinsicht auf rohe Brachialgewalt und weil er jeden von uns mit der Faust niederstrecken könnte; ebd. Ill 809 Und doch spielt ganz ohne Zweifel das Körperliche eine

Rolle dabei, — nicht im brachialen Sinne, sondern in einem ändern, im mystischen; 1926 Zges. Staatswiss. LXXXI 247 Brachialgewalt der Arbeiterschaft; Mühsam 1927—29 Namen 126 nahm an deren Herausgeber brachiale Rache; Strasser 1932 Kampf um Deutschland 306 die brachiale Auseinandersetzung mit der altgewohnten Terrormethode der Marxisten; 1934 Volk u. Reich 228 Wer ändern seine Meinung . . mit Brachialgewalt aufzwingen will; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Ein Zwischenruf sollte auch in einer innerlich scharf angespannten Atmosphäre nicht dazu angetan sein, aus einer geistigen eine brachiale Angelegenheit werden zu lassen; Klemperer 1947 LT1 9 Die „braunen Sturmabteilungen", deren Aufgabe eine rein brachiale ist, die über politische Gegner innerhalb der Versammlung herzufallen und sie aus dem Saal zu treiben haben; Nelissen-Haken 1952 Häuser 255 Je zwei Herren, je zwei Damen hatten sich bereits brachial attackiert; Welk 1952 Land 153 jener friedlich gedachten Expansionspolitik .. die, das liegt nun einmal im Machtstreben der Menschen, ganz gleich, ob dieses Streben geistiger oder brachialer Natur ist, zu Besitzgier, Genußsucht und zur Machtanwendung führte; Heuss 1963 Erinn. 358 Geschulte Brachialgewalt für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner; Partner 1964 Erben 178 Wenn ihm die Gesetze des Glaubens verletzt schienen, entwickelte er einen alttestamentarischen Zorn, der brachiale Mittel nicht ver-

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schmähte. So schlug er eigenhändig eine Bäuerin blutig, die „vom Teufel verführt", mit Zaubersprüchen und unchristlichem Firlefanz den kranken Herzogssohn behandelt hatte; MM 7. 6. 1985 Daß ihr brachiales Ehegesponst religiöse Läuterung im Sinn hat, begreift sie schon gar nicht; Zeit 28. 6. 1985 der Ehemann .. sieht dem brachialen Liebesakt tatenlos zu. Eine stürmische Szene; ebd. 25.4.1986 Warum . . in aller Welt, fragen sich viele, hat die Weltmacht Amerika dann derart brachial gegen einen Zwergstaat mit nur drei Millionen Einwohnern losgeschlagen?; ebd. 18. 7.1986 Moreaus Darstellungen der Salome und Messalina . . machen aus dem brachialen Geschlechterkampf das komplizierte Drama von Liebe und Haß; ebd. 5. 9. 1986 Alexander von Humboldt, der mit seinen genauen Natur- und Fremdkulturbetrachtungen der Aufklärung Material gegen den brachialen Kolonialismus des 17. und 18. Jahrhunderts lieferte; ebd. 19. 6. 1987 die „Krankheiten" des Landes brachial zu kurieren; MM 29. 2. 1988 „ich brech die Herzen der stolzesten Fraun" in einer brachialgewaltigen Rockversion; ebd. 22. 4. 1988 Das Daumenlutschen ist kein Beinbruch (Überschr.) Mit brachialen Methoden lassen sich Kinder nicht davon abhalten; TAZ 2. 1. 1990 Gegen Abend waren die U-Bahnen und Busse nur noch unter Einsatz von Brachialgewalt zu benutzen — alles, was Beine hatte, war auf dem Weg zum Brandenburger Tor; ebd. 15.3. 1990 Für die CDU

(West) . . rächt sich die brachiale Gewalt, mit der sie sich den DDR-Wahlkampf angeeignet hat; Stern 23. S. 1990 „Brachial und mörderisch" nennt der Ost-Berliner Lyriker Jürgen Rennert das Tempo, mit dem die deutsche Einheit betrieben wird; 11. Volkskammertagung/Thema Marktwirtschaft 7. 6. 1990 Kommupitalisten sind Menschen, die in den letzten Jahren die Fahne so hoch gezogen haben . . daß sie heute über ihre brachialkapitalistischen Methoden nicht mehr rot werden können; 1991 Wiener VI 67 Der Polizeieinsatz lief brachial und effizient ab wie ein Planspiel im Trainingscamp; Spiegel 30. 1. 1995 Erfolg für die nachtschwarze Brachial-Sinfonik des Schweden Alan Pettersson; ebd. 29. 5. 1995 Gleichzeitig gibt die Pilotin Vollgas, damit sie wieder abheben kann, falls die brachiale Bremsung mißlingt. Brachialität: Smithanders 1926 Nordamerika 261 Es ist das Land des Ellenbogenkampfes, das Land, in dem männliche Brachialität den Urgrund für alles Kommende legte, wo der Revolver und das Messer ursprünglich Machtfragen entschieden, und große Vermögen aufgehäuft wurden, indem man über die Leichen der Schwachen schritt. brachialisch: Zeit 9. 8. 1985 Das volle Ausmaß des Blutzolls, den die brachialische Ruhe-und-Ordnungs-Aktion bisher forderte, wird offensichtlich verschwiegen. IN

Brain- Bestimmungswort, seit früherem 20. Jh. nachgewiesen in zusammengesetzten Entlehnungen aus dem Amerikan.-Engl. mit dem ersten Bestandteil brain(-) 'Gehirn; Verstand'; oft in amerikan.-engl. beeinflußter Kleinschreibung, mit und ohne Bindestrich. In der Bed. 'Hirn, Geist, Verstand, Intelligenz; intelligente Schicht (der Bevölkerung eines Landes), (Gruppe, Team von) Experten', in häufig auf amerikan. oder engl. Verhältnisse bezogenen Zss. wie seit den 30er Jahren nachgewiesenes, aus engl. braintrust 'Gehirntrust' (zu trust 'Vertrauen, Verpflichtung; Treuhänder(-gruppe, -gesellschaft), Stiftung, Beirat, Kuratorium') entlehntes Brain-Trust M. (-(s); -s), auch in Schreibungen wie Braintrust, für 'Gruppe, Gremium, Ausschuß von Fachexperten, der mit der wissenschaftlichen Beratung von Regierungen oder Institutionen in bezug auf Fragen oder Problemstellungen bes. in Politik und Wirtschaft beauftragt ist; Beratergruppe, -stab' (dafür auch teillehnübersetztes dtsch. Gehirntrust), bes. historisierend bezogen auf die Beraterstäbe F. D. Roosevelts (in der Frühphase des New Deal) oder W. Churchills, dazu in neuerer Zeit die Personenbezeichnung Braintruster M. (-s; -), auch brain-truster, 'Angehöriger eines Brain-Trusts', auch im Sinne von 'Chefberater, -denker'; seit den 60er Jahren aus engl. brainstorm 'Geistesblitz' (zu storm 'Gewitter, Sturm') entlehntes Brainstorming N., vereinzelt M. (-s; ohne PL), neben vereinzeltem Brainstorm M., auch in Schreibungen wie brainstorming, Brain-Storming, Brain-storming, Brain storming, Bezeichnung für eine

Brain-

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1930 von A. J. Osborne entwickelte, zunächst im militärischen Bereich, dann zunehmend in Wirtschaft, Werbung und Politik angewandte konferenztechnische Methode der kreativen Gruppendiskussion, die zur spontan-assoziativen, ungesteuerten Ideenfindung und Sammlung zunächst nicht beeinflußter oder bewerteter Äußerungen, Argumente, Vorschläge und Anregungen zu einem bestimmten Thema oder Problem dient und deren Auswertung für die Problemlösung und Strategie erst nachträglich in einem zweiten Schritt erfolgt; seit den 60er/70er Jahren aus gleichbed. engl. brain drain (zu drain 'Abzug(-skanal), Entwässerung', zu drain 'ableiten, -fließen') entlehntes Brain-Drain M. (-s; ohne PL), auch in Schreibungen wie Braindrain, Brain Drain, Brain drain und brain drain, Bezeichnung für das Phänomen der wirtschaftlich oder sozial motivierten Abwanderung qualifizierter Fachkräfte in ein anderes Land oder Wirtschaftsgebiet mit besseren Arbeite- und Verdienstmöglichkeiten, bes. für die Wanderbewegung aus Entwicklungsländern in Industriestaaten als Hauptproblem vergleichsweise unter- oder minderentwickelter Volkswirtschaften. Brain-Trust: 1938 Geopolitik 767 die um Roosevelt gescharte politische Intelligenz, der brain trust; 1952 Süddtsch. Ztg. Nr. 10 Winston Churchills zweites Gehirn (Überschr.) Der britische Premierminister läßt wieder seinen im Kriege bewährten Brain Trust arbeiten; Bonn 1953 Gesch. 74 Ihr [der London School of Economics] erster Direktor . . wurde später einer von Joseph Chamberlains wichtigsten Beratern im schutzzöllnerischen „Braintrust"; Hartmann 1954 Begegnung 141 eine Art Roosevelt'scher Brain Trust (Gehirn-Trust); Stuttgarter Ztg. 7. 2. 1959 Seit der leidigen Affäre .. ist das Wirtschaftswissenschaftliche Institut nicht mehr so sehr ein gesellschaftsideologischer Brain-Trust, sondern eher eine Staatsabteilung des DGB; Spiegel 6.11.1963 Nach amerikanischem Vorbild baut SPD-Kanzler-Kandidat Brandt einen „Braintrust" auf, in dem namhafte Wissenschaftler aus der Bundesrepublik mitarbeiten sollen (AWB); Welt 2.3.1964 die Nichtverwirklichung des „Brain-Trusts", eines Beraterstabes von Wissenschaftlern und Gelehrten; Köllner 1967 Marx o. S. Das bedeutet nicht, daß die Zeit für erklärte Fachkabinette und moderne brain-trusts nicht reif wäre; Regierungen aus hervorragenden Fachleuten hat es schon zu Metternichs Zeiten wiederholt gegeben; Stuttgarter Ztg. 7. 10. 1967 Ein junger Popsänger, der von einem an ihm glänzend verdienenden Braintrust gemanagt und zum Massenidol der Jugend emporstilisiert wird; Doucet 1971 Forschungsobjekt Seele o. S. Übrigens muß Plotin als Berater des Kaisers Gallienus bereits eine Art brain-trust aus einer Reihe bedeutender Gelehrter zusammengestellt haben. Sein Wunsch, ihm für die Errichtung einer unabhängigen Gelehrtenrepublik eine Stadt zu schenken, wurde allerdings nicht erfüllt; FAZ 19.10. 1971 NRW Braintrust, Experten der Ministerien schaffen Voraussetzungen für Ihre Standortentscheidung; Zeit 3.5.1985 Der rechte

Braintrust umfaßt Prediger und Strategen, Organisationsexperten und Programmdenker, junge radikale Politiker und eine Vielzahl oft merkwürdiger Standartenträger erzkonservativer Ansichten; ebd. 19. 7. 1985 Die Akademie ist als eine Art „Brain Trust" gedacht, in der Hochschulmitglieder und Externe über wissenschaftliche Fragen debattieren; ebd. 16. 8. 1985 Selbst Gorbatschows Gefolgsleute an der Spitze vermitteln nicht gerade den Eindruck eines ideensprühenden brain trust; 11. Volkskammertagung/Treuhandgesetz 7. 6. 1990 wir haben hier vorgeschlagen, daß man dazu vielleicht ein[en] Brain-Trust [!] veranstaltet oder vielleicht sogar als Herrn des neuen Aufsichtsrates zusammenruft. Braintruster: Spiegel 14. 2. 1962 Er nimmt . . eine Machtstellung ein, die von keiner grauen Eminenz, weder von Woodrow Wilsons Oberst House noch von Franklin D. Rosseveits Braintruster Hopkins erreicht wurde; Zeit 10. 3. 1967 Nach jeder Rede hatte er es freilich schwer: Der Brain-truster Bahr war dem Staatsprecher Bahr oft ein Hindernis; Spiegel 29. 1.1968 Im stillen AA-Kämmerlein hatte Brandts Braintruster Egon Bahr für die Pariser Verhandlungen Formeln ausgebrütet, die vertuschen sollen, daß die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Belgrad ein Staatsbegräbnis für die Prinzipien bedeutet, derentwegen Bonn zehn Jahre zuvor seinen Botschafter von der Save abberufen hatte (alle AWB). Brainstorming: Spiegel 23.5. 1966 In kleinen Arbeitsgruppen werden die Werbeideen nach der Methode des „Brain storming" (etwa GeistesGewitter) geboren; ebd. 7. 10. 1968 trafen sich .. fünf SPD-Politiker, zehn Werbefachleute und zwei Links-Intellektuelle zu einem Brain-Storming. Thema: die Bundestagswahl 1969; Hamb.

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Bramarbas

Abendbl. 25. 9. 1969 Berliner „Gehirnstürmer" „Brainstorming" zu deutsch „Gehirnstürmen". Das ist eine neue Gesprächstechnik, in der Wissen und Phantasie kombiniert werden. Sie kommt, wie sollte es anders sein, aus den USA. Robert Jungk veranstaltet heute im 3. Programm ein „Berliner . . Brainstorming" mit Wissenschaftlern und Künstlern, die über die Grenzen ihrer Spezialgebiete hinaus schöpferische Phantasie an Zeitund Zukunftsprobleme verschwenden sollen (alle AWB); Zeit 27. 9. 1985 Forscher entdecken den Profit (Überschr.) Der vom Reiz persönlichen Reichtums stimulierte Forscherfleiß der Professoren kann zum biologischen brainstorm für die Industrie . . werden . . Ermuntert vom guten Heidelberger Beispiel, finden Professoren, die ihr Biotechnikwissen vermarkten wollen, überall politische Förderer und großzügige Geldgeber aus der Wirtschaft; 1968 Lierow 17 Brainstorming — Die Neigung, alles was durchs Hirn stürmt, unverzüglich durch den Mund hinauszulassen, hat eine lange und peinliche Tradition in der Werbebranche. Im persönlichen Umgang heißt der nämliche Vorgang Spontaneität und wirkt gleichermaßen verheerend (AWB); MM 4. 1.1986 Wirtschaftsminister Herzog hat nun seine Beamten angewiesen, erst einmal ein „Brainstorming", einen Ideenwettbewerb, zu veranstalten. Brain-Drain: Zeit 2.6.1967 Sie [Naturwissenschaftler] siedeln sich dort an, wo sie ihre Forschungspläne verwirklichen können . . Brain drain nennen die Engländer dieses Phänomen; N. Z. Z. 15. 9. 1968 Das Andauern oder gar eine Zunahme dieses „brain drain" würde wesentlich zu einer

Ausweitung des Grabens zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten beitragen; Spiegel 10. 3. 1969 Verschärft wird die Auszehrung der Berliner Wirtschaft noch durch den brain-drain der Führungskräfte (alle AWB); FAZ 18.3. 1970 Ein Symposion, das sich mit der Abwanderung wissenschaftlicher Fachkräfte, dem brain-drain, befaßt, findet . . in Cambridge/Massachusetts statt; Spiegel 21.3. 1977 Der Abzug der Intelligenzler aus den Entwicklungsländern mit höherem Lebensstandard — der sogenannte „brain drain" — wird sich wahrscheinlich noch weiter verstärken (AWB); Zeit 23. 8. 1985 Sie alle zieht es nach Amerika, wo bessere Arbeitsbedingungen, Karriere- und Verdienstmöglichkeiten locken. Diesen brain drain gibt es schon lange, nicht nur aus England; Wir sind das Volk (Broschüre) 20. 1.1990 Ähnlich wie in der Dritten Welt ist die DDR-Wirtschaft .. gekennzeichnet durch . . die Tendenz zum Exodus von Arbeitskräften, die um so stärker ist, je höher die Qualifikation: Das, was weltweit als Braindrain bezeichnet wird, die geistige Trockenlegung ganzer Sub-Kontinente; Rhein. Merkur 5. 10. 1990 Die Folge dieses konsequenten Anknüpfens an Weimarer Republik, Volksfront und Exilliteratur, verbunden mit einer entsprechenden Personalpolitik, war ein gewaltiger „brain drain" aus dem weltweiten Exil in die DDR; ebd. Die negativen Folgen, die dieser zweite „brain drain", nun in Gegenrichtung, für die Entwicklung der DDR-Kultur hatte, brauchen hier nicht ausgeführt zu werden — es genügt, Namen wie Johnson und Biermann, Bloch und Kipphardt, Jurek Becker und Günter Kunert, Sarah Kirsch und Bettina Wegner zu nennen. IN

Bramarbas M. (-; -se), im früheren 18. Jh. von Gottsched aus der 1710 veröffentlichten Satire Burckard Menckes (Pseudonym Philander von der Linde) „Cartell des Bramarbas an Don Quixote" (wohl zu span, bramar 'schreien, brüllen, toben') übernommen zur Bezeichnung der Figur des Jacob von Tyboe in dem Holbergschen Lustspiel „Jacob von Tyboe eller den stortalende Soldat" (Gottsched, „Bramarbas oder der großsprecherische Off icier", s. Beleg 1741). Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'Haudegen, Prahlhans, Großmaul, Aufschneider', zunächst vor allem auf Soldaten bezogen; dazu etwa gleichzeitig das V. intrans. bramarbasieren 'prahlen, angeben, großtun', auch subst. und im Part. Präs, bramarbasierend adj. gebraucht für 'angeberisch, prahlerisch'. Bramarbas: 1741 Dtsch. Schaubühne III XVI Das vierte Stück ist Bramarbas, aus dem Dänischen des Herrn Professor Hollberg aus Copenhagen übersetzt. In seiner Sprache heißt des großsprecherischen Officiers Name Tiboe, der aber in unserer Sprache keine Anmut gehabt haben würde. Ich habe daher geglaubt, daß ich keinen bessern Na-

men finden könnte, einen pralerischen Windmacher zu benennen, als denjenigen, den ich in Philanders von der Linde Unterredung von der Poesie in einer Ode gefunden, die dergleichen Character abgeschildert. Sie hebt an: Bramarbas, Cyperns Herr und Kaiser; Buchner 1775 Liebe 192 nun verkroch sich der Wirth, aber kaum hatte der Officier

Bramarbas sich den ganzen Handel erzählen lassen, so zog man ihn als einen Bramarbas secundus hinter allen Bettgardienen hervor; Lichtenberg 1778 Sudelbücher 314 Es gibt zweierlei Arten von Bramarbas, den positiven dick- und den negativen dünnetuenden, beide zu gleich windigem Endzweck, daß der letztere noch zuweilen rechtschaffene Leute hintergeht, kommt unter ändern auch daher, daß man in moralischen Dingen noch nicht rechnen gelernt hat; Müller 1789 Emmerich VII 150 aber der Bramarbas taugte so wenig zum Mucker, als der Heilige zum Renommisten; Cogniaczo 1794 Geständn. U 51 Wer daraus schließen wollte, . . daß man einen Preußen wenigstens auf drey Oestreicher rechnen dürfte — einige Bramarbasse nehmen das Verhältniß gar wie l : 10 an; Wölfling 1796 Reise III 371 guckt doch überall ein gewisser BramarbasAnstrich hervor. Es ist, als wollten die Knaben jedem Fremden die Idee auf die Nase binden, dass sie in einer Schule lebten, wo sie von den . . Fesseln der Erziehungs-Pedanterie des Schulkrames frey sind; Schiller 1800 W. L. (H. XV 34) So ein Bramarbas und Eisenfresser!; Kotzebue 1804 Pagenstreiche (XVII 98) da ist ein Bramarbas gekommen, der soll ein Mann werden; Müller 1820 Br. (Lohre, W. Müller 108) litterarischen Bramarbas; Heine 1834 Br. 61 Goldschmidt. ., welcher einen ungeheur großen Schnurrbart trägt, so daß, wer ihn nicht kennt, ihn für einen kalabrischen Banditen, kurz für einen wüthenden Bramarbas halten würde; Alexis 1852 Ruhe V 221 Und gesetzt, die Preußen siegten, wie viel Brosamen Ehre würden die Bramarbasse dem russischen Succurs zukommen lassen?; Kussmaul 1899 Jugenderinn. 115 Endlich sei noch des roten Fischers gedacht . , ein großer, starker, ehemaliger Fischer mit rötlichem Haar und rotbraunem Gesicht, ein Bramarbas, der auch im Winter mit aufgeschlagenen Hemdärmeln ging; Tucholsky 1921 Ges. W. l 826 Tartarin ist beides: Don Quichote und Sancho Pansa, stolpernder Bramarbas und Hauptmann der Reserve aller Nationen; Th. Mann 1927 Reden u. Aufs. (W. IX 222) Namentlich Oberst Argatiphontidas zeigt sich höchlichst gekränkt darob, ein Bramarbas und Eisenfresser, hier eingeführt, um die hohe Peinlichekit des Spiels mit drolligster Menschlichkeit zu durchheitern; Supper 1937 A. halbvergangenen Tagen 180 Er war sparsam mit Worten, und was er erzählte, klang nicht nach Bramarbas (TRÜBNER); Stuttgarter Ztg. 9. 2. 1959 hielt er die strapaziöse Rolle des Bramarbas mit bewunderungswürdiger Energie durch, überzeugend als blutrünstiger Elefant im Prozellanladen des Lebens; Zeit 7.11. 1986 Das Bilderbuch ist „vor-atomar", schildert den „kleinen" Krieg und zeigt, wie durch eine glückliche Wendung die beiden Haudegen und Bramarbasse mit ihrem hoffnungslos antiquier-

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ten Weltbild schließlich zu anständigen Berufen kommen. bramarbasieren: Geliert 1751 Br. (S. Sehr. IV 149) So könnt ich von der Liebe singen, Wie sie . . Bald aus der Jugend lacht, bald aus dem Alter keucht, Aus dem Bramarb bramarbasiret, Aus dem Pedanten meditiret; Schummel 1771 Reisen I 296 bramarbasirte; Schubart 1775 Chronik 178 [eine Korrespondenz,] die von den Heldenthaten der Spanier vor Melilla bramarbasirt; Schiller 1781 Räuber (S. W. I 368) Der Wein bramarbasirt aus deinem Gehirne; Laukhard 1797 Leben u. Schicksale IV 1,430 Ich nahm den ersten besten, und ohne weiter zu bramarbasiren . . gingen wir hinter das Haus; Jäger 1835 F. Schnabel 353 Er kam täglich in die Gesellschaft der „Liberalen", politisirte und bramarbasirte mit ihnen; Kaiser 1848 Mem. 70 der sonst häufig mit seinem Mute bramarbasierte; Bächtold 1870 Kl. Sehr. 257 Die Leute benahmen sich überaus taktvoll und scheinen — abgesehen vom Bramarbasieren Einzelner, die sich gerne Lorbeeren vor Metz oder Paris holen würden — . . sich .. sehr wohl zu befinden; Kist 1888 Erlebnisse 126 Der Franzose kann eben das Renommieren und Bramarbasieren nicht lassen; Ruhkopf 1921 D. tolle Assessor 255 f. Wir müssen unseren Offiziernachwuchs dazu erziehen, daß er auch nicht den Schein des Bramarbasierens erweckt (TRÜBNER); Werfel 1924 Verdi 380 Als der Maestro nun auch den alten Theaterdiener sah, wie er in einer Gruppe von Lauschenden bramarbasierte, entfernte er sich schnell; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. X 926) Es ist da, in Wagners Bramarbasieren, ewigem Perorieren, Allein reden wollen, über alles mitreden wollen, eine namenlose Unbescheidenheit, die Hitler vorbildet; Süddtsch. Ztg. 25.4.1951 der 1946 aus Düsseldorf hergeholte Auerbach — bramarbasierend und ständig zum Fenster hinaus redend; Pörtner 1964 Erben 341 Ihr Stolz entartete oft zum Bramarbasieren, ihre Vitalität zur Kraftmeierei; MM 9.11.1987 So rundlich und knubbelig der eine . ., so verkniffen und eisern bramarbasierend der andere; Spiegel 29. 5. 1995 Er spricht über sich, und auch wenn er streckenweise bramarbasiert, vermittelt er doch eine Ahnung vom Leben auf einem staatlich organisierten Abenteuerspielplatz. bramarbasierend: Jäger 1835 F. Schnabel 334 Inzwischen paßte auf der Neckarbrücke der „rothe Schiffer" auf, dieser spitzbübische, bramarbasirende Feigling; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 349) Seine überlegene, väterliche und herzlich bramarbasierende Art hielt sie in Atem; Curtius 1921 Barres 217 Das deutsche Gespenst, die Erinnerung an die Germaneneinfälle steht hinter der bramarbasie-

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Branche

renden Phrase; Lokal-Anz. 13. 3.1933 Er ist kein bramarbasierender Heldentenor, sondern wirklicher Held; Näfl954 Bilder 75 diese etwas bramarbasierenden Worte; Glaser 1964 Spießer 136 Minderwertigkeitsgefühle schlagen in bramarbasierende Biermystik um; Prodöhl 1977 Tod 276 Die

beiden jungen Leute konnten die bramarbasierenden Belehrungen nicht mehr mit anhören (DUDEN 1993); MM 10. 6. 1985 einer Vitalität, die sich nicht im bramarbasierenden Auftrumpfen mit den Elementarkräften erschöpfte, die Wagners Partitur entfesselt. HK

Branche F. (-; -n), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. branche, eigentlich 'Ast, Zweig' (zurückgehend auf altprovenzal. branca 'Zweig, Arm' < (spät-)lat. branca 'Pranke, Pfote', ungeklärter Herkunft, eventuell volksetymologisch verknüpft mit lat. bracchium 'Unterarm; Seitenzweig'). l Zunächst als Fachausdruck der Genealogie in der Bed. 'Verzweigung, Ast, Neben-, Abstammungslinie eines Familienstammbaums'. 2a Seit Mitte 18. Jh. auf andere Bereiche übertragen und allgemeiner verwendet, zunächst in Militär und Politik für '(organisatorische) Unterabteilung, (Dienst-) Zweig in einer militärischen/staatlichen Einheit' (—* Division, —» Regiment, —> Korps; s. Belege 1743, 1787, 1811, 1839, 1844, 1861, 1875, 1890, 1895); seit späterem 18. Jh. bezogen auf weniger stark strukturierte Bereiche wie Kultur und Wissenschaft für '(akademisches, wissenschaftliches, literarisches, künstlerisches u. ä.) Teil-, Fachgebiet, Fach-, Wissensbereich', z. B. die Branche wechseln, zwei Künstler derselben Branche (s. Belege 1772, 1787, 1803-04, 1852, 1855, 1929, 1954). b Im späten 18. Jh. vereinzelt, seit früherem 19. Jh. zunehmend auf wirtschaftliche, durch gleichartige Warensortimente oder Dienstleistungsangebote gekennzeichnete Bereiche bezogen in der heute dominanten Bed. 'berufliche, gewerbliche Untergruppe; Geschäfts-, Industrie-, Handels-, Wirtschaftszweig' (—»· Sparte, —* Sektor; s. Belege 1780, 1838, 1842, 1883, 1895), als Grundwort in Zss. wie Geschäfts-, Eisen-, Holz-, Kfz-, Konfektions-, Wirtschaftsbranche, häufiger als Bestimmungswort, in den Formen Branche(n)- in zahlreichen Zss. wie Branchen-Adreßbuch, -Fernsprechbuch und -Verzeichnis als Bezeichnungen für Nachschlagewerke, in denen Unternehmen nach Branchen geordnet sind, Branchenbereich, -bereinigung, -boom, -gewinn, -Jargon, -kenntnis, -konjunktur, -kreise, -mix '(in einem Kaufhaus oder Einkaufszentrum angebotene) Sortiments- und Warenmischung', Branchentarif, -verband, -Werbung, oft auch mit Grundwörtern zur Bezeichnung von Personen (-gruppen), Firmen, Unternehmen u. ä., die in bezug auf ihren wirtschaftlichen Ausschnitt/ Bereich im Vergleich mit anderen in irgendeiner Weise herausragend, führend sind, in zahlreichen Zss. wie Branchenchef, -Insider, -Vertreter, -führer, -Sprecher, -riese, -gewinner, -experte, -Spezialist, häufig auch in Adj., z. B. brancheerfahren, branchenfern, -orientiert, -spezifisch, -übergreifend, -weit, branchenkundig, -fremd, -(un)üblich, gelegentlich auch auf nicht-kaufmännische Bereiche übertragen (s. Belege 1955, 1986); dazu in jüngster Zeit die adj. Ableitung branchenmäßig. Branche 1: Elis. Charl. 1714 Br. II 387 Der Montauban Lachaud ist nicht der, so monsieur De la Hontan m e i n t . . Seine dochter ist freüllen bey madame la duchess du Maine undt sehr geendert. Dießer ihr vatter heist St. Feriol de Montauban, ein andere branche; Falckenstein 1738 Thüring. Chronicka II 1359 dasselbige wird auch von diesem Adelichen Geschlecht gesaget, wie auch dieses, daß

es bey geschehener Vertheilung in gewisse Branchen den ersten Stamm-Nahmen bisweilen changirt; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien 11 10,381) Mit grösserem Recht würden die neumährischen Brüder in vier, als in drei Topos oder Branchen eingetheilet; Wieland 1758 Ges. Sehr, l 4,459 indem es sich in den Besitz des spanischen Reichs setzen wollte, in welchem mit Carl

Branche II. die östreichische Branche ausgestorben war; 1766 Br. ü. Merkwürdigkeiten d. Litteratur 66 Skald war endlich ein Ehrenname . . und endlich eine adeliche Branche, die eine große Rose im Schilde, und eine kleinere zwischen zween bewaffneten Armen im Halme führte; Massenbach 1809 Friedrich d. Großen Unterredungen 22 Branche [Zweig einer Familie]; Prokesch v. Osten 1852 Br. 289 Man sagt auch, daß Neapel bereits anerkannt hat, und diese bourbonische Branche die Ehre hat, von . . Napoleon als Muster empfohlen zu werden. Branche 2a: Beust 1743 Consilarius 181 Wenn also z. E. bey einer Fürstlichen Branche [Dienstbereich, Abteilung in der Staatsverwaltung], zu einigen dringenden Geld-Ausgaben, Aemter in Versatz kommen, so wäre das Consilium keineswegs zu biligen, daß man das Unterpfand lieber einem Extraneo gönnen und anvertrauen . . solte; Lessing 1757 S. Sehr. 1XX 116 Das Trauerspiel ist gewiß eine Branche von den schönen Wissenschaften, die mir vorzüglich gefällt; 1772 Frankf. gel. Anz. 164 constituirte , . zwey neue Corps: die abgesonderte Branche des Wittenagemots, die den König allzeit begleitete, oder die Barons of the Realm; Ramdohr 1787 Malerei III 205 müssen die Künstler [des Kirchenstils] in der Epoche von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an .. noch in drei Branchen abgetheilt werden, die sich durch besondere charakteristische Kennzeichen von einander abgesondert haben; Berg 1787 Handb. Policeyrecht Vll 705 Derselbe concurrirt also bei allen Branchen der Policey-Anstalten, in Ansehung der Aufsicht; Moritz 1793 Grammat. Wb. I 172 Branche: Zweig; im figürlichen Sinn: diese oder jene Branche einer Wissenschaft; Lichtenberg 1794 Hogarth l 102 Branchen der Heilkunde; Schiller 1795 Br. IV 274 Deine philosophische Ode halte ich für keine Grenze, bloß für eine Branche meines Faches; Schopenhauer 1803-04 Reisetagebücher 26 Hörsäle für Mathematik und ihre verschiedenen Branchen; Blücher 1811 Br. 137 In ganz Stettin ist nur ein einziges Regiment Kavallerie, und ich bin ihnen in dieser Branche an Zahl und Güte überlegen; W. Grimm 1826 Beziehungen zu Hessen I 100 Wenn Leute dieser Art, die alles und jedes mit dem Verstand durchsetzen wollen und die in irgend einer Branche der Administration z. B. beim Wegebau . . sehr an ihrer Stelle sind; Jäger 1835 F. Schnabel 278 er mußte alle theologischen Branchen von Anfang an beginnen; Laube 1837 Reisenovellen V 390 unter dem Worte Erziehung versteht die übrige Welt noch eine besondere Kulturbranche, nicht blos ein moralisch Ding; Lengerke 1839 Reise d. Deutschland 253 die Landbaumänner [sollen] bei größern einzelnen Branchen unter der Leitung des Eigenthümers oder Verwalters . .

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dirigiren [können]; Kohl 1844 Brit. Inseln l 342 Die Branche der englischen Regierung, welche sich mit Indien beschäftigt; 1852 Prutz'Museum II 523 in keiner Branche der deutschen Literatur; 1861 Allg. Mil.-Enc. II 192 Zu den übrigen oben genannten Branchen des Artilleriedienstes werden die mittleren und größten Kaliber aller Geschützarten . . verwendet; ebd. II 193 Die Eintheilung der ausübenden A.[rtillerie]-Mannschaft in die verschiedenen oben genannten Branchen des Dienstes durch die Friedensorganisation .. Die übrigen Dienstzweige werden dann im Falle der Nothwendigkeit versehen; vor 1871 Grenzboten XXVI 3,197 Die Haupt-Branchen des Unterrichts (SANDERS 1871); Berlepsch 1875 Schweizerkunde 580 in allen Branchen der Gesetzgebung und Staatsverwaltung; Kürnberger 1877 Herzenssachen 285 Ach, könnten wir diesen kostbaren Hofrath auch in jenen Branchen des Nationallebens haben, wo sich mit Hofräthen nicht regieren läßt; 1890 Im Felde 87 „Branche" oder Division; Derblich 1895 Militärarzt l 3 Branche [wohl um 1849 im österr. Heer eingeführter Begriff]. Die Bezeichnung Branche theilt das militärärztliche Corps mit dem Verpflegungsamt und der Monturkommission . . feldärztlichen Branche; Grüne Post (Berlin) 8. 12. 1929 Mit gemischter Freude betrachtet man die Rekorde im Tanzen und Klavierspielen. Bei der letztgenannten „Branche" ist jetzt ein gewisser Heinz Arntz der Meister; Gröber 1935 Weltkrieg 121 kam bei den Russen das verfluchte Gasschießen auf, und ich sollte nun in dieser Branche, das heißt in der Gasabwehr, besonders ausgebildet werden; Th. Mann 1954 Krull 340 noch zwei Künstler derselben Branche arbeiten wie ich für die Kuckucksche Schöpfung (DUDEN 1993); FAZ 25. 1. 1971 Im Gegensatz zu diesen Ämtern eines „Branchenchefs" ist das Innenministerium ein wichtiger politischer Posten. Branche 2b: Pestalozzi 1777 S. W. I 165 nach diesem Gesichtspunkt wurden Arbeiter, die nach allgemeinen Grundsätzen erzogen wären, in solchen Unglücken . . am ersten sich nach den übriggebliebenen Branchen der Industrie hinzulenken fähig seyn; Sinapius 1780 KH 31 irgend einer neuen . . Branche der Industrie; 1836 Courtin 356 Geschäftszweig, Geschäfts-Branche (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1838 ZKrieges XLIII 86 Handwerker-Branche; Schliemann 1842 Br. I 31 Unsere Geschäftsbranche sind Getreide- und Banquiergeschäfte; 1915 — 16 Polit.-anthropolog. Monatsschr. XIV 175 Gütererzeugungs- oder Verteilungszweig (Branche); Hahn 1929 Steigerung 199 Eine Unterart der Urteilsfähigkeit ist .. die Menschenkenntnis, wie überhaupt jede sogenannte „Branchenkenntnis"; Roth 1930 Panoptikum 81

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Bratsche

„Branche [Film]; Der Tag 17.2.1931 Berliner Branchen-Adreßbuch 1931, die namentlich in Geschäftskreisen bekannte und geschätzte Sonderausgabe des im Berliner Adreßbuch enthaltenen Branchenverzeichnisses; Arnholds Wochenber. 12. 9. 1931 Die Beschickung der Branchen bewegte sich wieder im gleichen Rahmen wie zur vorjährigen Herbstmesse. Die großen technischen Industrien und einige Sonderbranchen wie Photo, Kino, Optik . . waren . . in kleinerem Umfange vertreten; Berl. lllustr. Nachtausg. 24. 1. 1933 daß man zu sehr versäumt, die Verbaucher durch geeignete Branchenwerbung auch auf die geschaffenen Gütezeichen hinzuweisen; Lokal-Anz. 4. 3. 1933 Zugleich mit dem amtlichen Fernsprechbuch erhält jeder .. Teilnehmer kostenfrei ein BFB, BranchenFernsprechbuch für Groß-Berlin; Münch. N. N. 19. 1. 1945 zwar sind die Handelsumsätze in manchen Branchen sogar gestiegen, aber der Kreis der Abnehmer hat sich grundlegend gewandelt; 1948 Duttweiler-Festg. 147 Waren eines riesigen Sortiments (im Kolonialwarenladen 1500 Sorten und mehr) um den „brancheüblichen Durchschnitt"; Welt 30. 7. 1949 leistungsfähige Hamburger Farbenfabrik sucht branchekundige Vertreter zum Besuch v. Handel, Handw., Industrie auf Prov.-Basis; Neue Ztg. 9. 5. 1950 Daß für das . . in seiner Auswirkung auf andere Wirtschaftsbranchen wichtigste dieser Güter, nämlich Häuser, nicht nur die Kaufabsicht besteht; Münch. Abendztg. 12.5. 1950 an erster Stelle stehen hier Stände für Lebensmittel und Textilien, während die Branche zoologische Artikel mit nur zwei Anmeldungen den Abschluß bildet; Welt 18.9.1954 Von führender westdeutscher Baufirma wird . . brancheerfahrener Bilanzbuchhalter gesucht; Süddtsch, Ztg. 22. 7. 1955 Lustspiel, in dem jenem Filmmann ein Mädchen .. ins Haus schneit, das . . schließlich auf brancheunüblichen Umwegen seine Frau wird; ebd. 15. 6. 1959 In vielen Zweigen sei es sogar unmöglich, eine gleichmäßige Linie der Branchenkonjunktur festzustellen; Welt 15. 8. 1964 Unternehmen der Elektro-Branche . . an schnell entschlossenen Käufer abzugeben (Anzeige); Stuttgarter Nachr. 12. 12. 1964 Das Prinzip der Branchentarife hat sich nun auch in Baden-Württemberg weitgehend durchgesetzt; Süddtsch. Ztg. 22. 2. 1965 forderte die Unternehmer auf, hohe Branchengewinne nicht nur in eigenen Gesellschaften zu investieren; Offenburger Tagebl. 8. 1. 1970 in dieser Industrie, die über das rein maschinelle hinaus viel branchenspezifische, eben textile Kenntnisse erfordert; FAZ 23. 11. 1970 daß der klassische Sortimentsbuch-

handel von „sparten- und branchenfremden Unternehmen" aus dem Markt gedrängt wird; Welt 4. 12. 1974 für den Bereich Klima-Hoch- und Niederdruckanlagen .. suchen wir einen Maschinenbauingenieur . . Wir bevorzugen einen Herrn, der bereits Branchenerfahrung gesammelt hat; Zeit 3. 5. 1985 Es ist also eindeutig falsch, InvestmentGesellschaften einer „sterbenden" Branche zurechnen zu wollen; ebd. 18. 10. 1985 der Kommentar eines führenden Branchensprechers; ebd. 21.3. 1986 Dem Branchenjargon zufolge trug ihnen der CD-Boom, das neue Compact-Disc-Wundermittel, „das beste Geschäft aller Zeiten" ein; MM 19. 4. 1986 Bezieht man die Beträge für die Risikoabsicherung auf das Gesamtbetriebsergebnis, dann hat der Branchenriese .. den kleinsten „Vorsorgeanteil"; ebd. 1. 10. 1986 als bezeichnenderweise untalentiertes Strichmädchen, das ganz branchenfern seine Freier umarmt; ebd. 30.1. 1987 wenn der Arbeitsausfall .. auf branchen- oder betriebsübliche beziehungsweise saisonbedingte Gründe zurückzuführen ist; ebd. 12. 8.1987 Branchenexperten stellen aber auch die Frage, ob und wo nach der Vereinigung überschüssige Kapazitäten abgebaut werden müßten; ebd. 14.11.1987 Orientierungs- und Handlungshilfen zu geben, und zwar gewerkschafts - und branchenübergreifend; Rhein. Merkur 18. 5. 1990 eine Kooperation und später eine Vereinigung zwischen den Branchenverbänden hüben und drüben; Frankf. Rundsch. 25. 10. 1990 die mit der Kreditbank gegründeten Joint-ventures dürften bald in den beiden westdeutschen Branchenführern aufgehen; MM 13. 12. 1990 Damit stieg ihr Marktanteil bei Süßwaren . . Für den Branchenboom sind vor allem die DDRBürger verantwortlich; Spiegel 7. 12. 1992 Die Krise hat die ganze Branche erfaßt; MM 22. 12. 1995 Branchenmix mit Filialisten und „Einzelkämpfern" (Überschr.) im neuen Einkaufscenter . . renommierte Mode-Filialisten, ein großer Elektrofachmarkt, Juweliere, ein Sportartikler und viele kleine Einzelhändler aus der Stadt und der Region. branchenmäßig: Zeit 7. 3. 1986 Alle Berufsgruppen, von den Eisenbahnern bis zum Bolschoi-Ballett, erhielten ihre „branchenmäßigen Zuteilungen"; Frankf. Rundsch. 17. 3. 1990 daß bei den DGB-Gewerkschaften die Bequemlichkeit siegen könnte, daß sie also dort . . wo die branchenmäßigen Schnittstellen überhaupt nicht übereinstimmen, sich voreilig für Neuorganisation entscheiden. IN

Bratsche F. (-; -n), im späten 17. Jh. aufgekommen als Kürzung aus Bratschgeige, einer Lehnübersetzung des 17. Jhs. aus ital. viola da bractio (im Unterschied zu

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viola da gamba 'Knie-, Beingeige; Gambe') 'mit dem Arm gehaltene Geige, Armgeige' (aus viola, —» Violine, und braccio < gleichbed. lat. brac(c)hium/gnech. '(Unter-)Arm'; —»· brachial), anfangs vereinzelt in der Form Prätsche, bis ins 18. Jh. daneben in Formen wie Braccio, Braz(zo). In der Fachsprache der Musik als Bezeichnung für ein Streichinstrument, das Altinstrument der Violinfamilie, eine Art größere Geige mit tieferer Tonlage, auf der die zweite Mittelstimme bzw. im Streichquartett die dritte Stimme gespielt wird, in der Bed. 'Arm-, Doppelgeige; Alt-, Tenorgeige' (vgl. Viola, —* Violine), gelegentlich metonymisch verwendet im Sinne von 'Bratschenspieler(in)' (s. Belege 1902, 1985); selten als Bestimmungswort in der Form Bratsch- in veralteten Zss. wie Bratschgeige, -violine, häufiger in der Form Bratschen- in Zss. wie Bratschenton, -konzert, -solo, -stimmen, -klänge; dazu Personenbezeichnungen wie im 17. Jh. nachgewiesenes Bratschenist, gleichbed. mit seit Mitte 18. Jh. bezeugtem Bratschist M. (-en; -en), auch Bratschistin F. (-; -nen), und seit Mitte 20. Jh. wohl analog zu Geiger gebildetes Bratscher M. (-s; -), auch Bratscherin F. (-; -nen), in der Bed. 'Bratschenspieler(in)'; im 19. Jh. analog zu geigen vereinzelt die verbale Ableitung bra t sehen. Bratsche: Beer 1677-78 Hopffen-Sack B 3 v und lernet ein Knabe bey einem solchen Praeceptore so wenig singen/ als der Esel auf der Prätschen geigen (CARMESIN); Speer 1687 Unten, v. d. musikal. Kunst 84 Von einer Viol Braccio oder Braz. Wie hoch und tieff gehet eine Braz? . . Eine Braz hat eben wie eine Violin vier Saiten; ebd. 91 BrazenSaiten; Sperander 1727 A la mod Sprach 782 Viola di Braccio . . wird sonsten gemeiniglich eine Bratsche genennet; Walther 1732 Musical. Lex. Ill Braccio oder Brazzo (ital.) ist eine an structur und Proportion etwas grössere Geige, als eine Violin, hat 4 Saiten, deren tieffste ins c . . die vierdte ins a gestimmt wird; Scheibe 1745 Musikus 431 Die Instrumentalbegleitung einer Arie besteht insgemein aus zwo Geigen und einer Bratsche; Quantz 1752 Flöte 184 Die zweyte Violine kann hinter die erste; und hinter diese, die Bratsche kommen; Marpurg 1754 Abhandlung v. d. Fuge II 128 die erste Violine geht mit dem Diskant, die zweyte mit dem Alt und die Bratsche geht mit dem Tenor; C. Ph. E. Bach 1762 Versuch U 2 Einige lassen sich beym Solo mit der Bratsche oder gar mit der Violine ohne Ciavier begleiten; ebd. U 178 Dieser Fall kommt zuweilen in Sinfonien und Concerten vor, wo die zwo Violinen zusammen, und die Bratsche mit dem Basse auch zusammen im Einklänge fortgehen; Adelung 1774 Grammat.-k.rit. Wb. I 1047 Die Bratsche . . eine große Geige, welche den Alt spielet, und welche im Spielen mit ausgestrecktem Arme gehalten werden muß . . Armgeige; Nicolai 1783 Reise I 129 Bratsche, Hoboen, Violine (TRÜBNER); E. T. A. Hoffmann 1819 S. W. VII 288 Als ich dem das Verständnis eröffnete, warf er geschwinde, geschwinde die Geige hinter den Ofen, nahm dafür Bratsche und Viol d'Amour zur Hand und tat wohl daran (TRÜBNER); Eyth 1902

Cheobspyramide U 74 Der eine durfte der blonden ersten Violine einen Mokka aufwarten, dem ändern trank die kräftige Bratsche zutraulich das Bierglas aus (TRÜBNER); Schlosser 1922 Präludien 385 Das sind außer den alten Arm-Violen . . deren Name noch in unsrer „Bratsche" fortlebt . . namentlich die in allen Größen von Diskant bis zum „Großbaß" gebauten „Beinviolen", die Gamben; Dtsch. AZ. 12. 2. 1935 Hausmusik und Solisten (Überschr.) Die Stunde der Hausmusik machte diesmal vor allem mit der Bratsche vertraut; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 57) Das gesangreiche Cello, das seine vollendete Form dem Antonio Stradivari verdankt, war reihenweise vorhanden, aber auch seine Vorgängerin, die sechssaitige Viola da gamba, die in älteren Werken noch neben ihm zu Ehren kommt, war hier, wie die Bratsche und das andere Geschwister der Geige, die Viola alta, immer zu finden, wie denn auch meine eigene Viola d'amore, auf deren sieben Saiten ich mich mein Leben lang ergangen habe; Offenburger Tagebl. 10. 7. 1971 Die Bratsche (Überschr.) Melancholie aus dunklem Ton. Die Namen der stattlichen Familie der Streichinstrumente waren mit dem Wort „Viola" verbunden. Es gab die Viola da braccio (ital. braccio = Arm), aus der die Geige und die Bratsche (Verdeutschung von braccio) entstanden. Eine wichtige Rolle spielte die Viola da Gamba (gamba = Bein), also die Kniegeige. Erst im 18. Jahrhundert erreichte die Bratsche ihre musikalische Gleichberechtigung. Sie blieb lange Zeit hinter der in ihrer Entwicklung früher abgeschlossenen Geige zurück; MM 12. 3. 1985 Tadeusz Gardon besaß einen eigentümlich näselnden Bratschenton, mit dem er . . gekonnt dem inneren Weg der Linien folgte; Zeit 13.9.1985 Herr Szczech klagt, daß nicht genug Bratschen nachwachsen, die

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erste Geige sei im vierten Unterrichtsjahr . . Da ist auch eine dabei, die hat Talent, aber keine Lust, macht ihre sieben Jahre, weil die Eltern es wollen; MM 31. 1. 1987 Der erste Teil .. ist . . auf Hindemiths strenges, ein wenig sprödes Bratschenkonzert op. 36 (Solobratsche: Gerd Grötzschel) gestellt; ebd. 11. 2. 1987 Wie ein heller Quell ergossen sich die sprudelnden Geigen- und Bratschenstimmen; ebd. 21.2. 1987 Im dritten Satz, wenn das Bratschen-Solo erklingt .. vermittelt das „Mannheimer Streichquartett" . . präzise erarbeitete Homogenität; Rhein. Merkur 27. 7. 1990 Raphael Hillyer hat einst in der ersten Besetzung des New Yorker Juilliard-Quartetts die Bratsche gespielt; Frankf. Rundsch. 31. 7. 1990 In Schwerin und Greifswald hatte bei den vorangegangenen Konzerten des Musikfestes Ministerpräsident Lothar de Maiziere zeitweilig die erste Geige der Politik mit einer schlichten Bratsche auf der Bühne vertauscht. Bratschen: Wolzogen 1892 Erlebtes 145 Ich geigte, bratschte, klarinettierte, wie's gerade kam (TRÜBNER). Bratschenist: Beer 1677-79 Weit 28 Basisten, Bratschenisten, Organisten und dergleichen gesehen (CARMESIN). Bratscher/in: Stuttgarter Ztg. 19. 12.1963 eine kaum zu bändigende Intensität des Primgeigers . . der .. sich von seinen Kollegen nicht zügeln läßt — weder von dem tonlich gewissenhafter disponierenden zweiten Geiger .. noch von dem ganz ausgezeichneten Bratscher, dem besten Mann des Quartetts; Zeit 14. 11. 1986 Der Bratscher erzählt lächelnd und durchaus zufrieden, wie „unglaublich unkompliziert" ein halbjähriges Studium beim Guarneri-Quartet in Washington zustandekam; ebd. das abschließende Allegretto con Variazioni

— und last, but not least der Individualist Stewart Eaton, der britische Bratscher; ebd. Manchmal aber ist aus Prinzip nichts zu bekommen. So kann etwa der Deutsche Musikrat das deutsche Auryn Quartett nicht fördern — weil der Bratscher Steuart Eaton Ausländer ist!; ebd. W. 4. 1987 Aus der Transzendenz der Musik erfahren wir die Kraft wie das Bewußtsein, wie klein wir eigentlich sind . . sagt die kluge Bratscherin .. und ich halte daran fest, daß der Komponist Beifall verdient und wir uns nicht vorzudrängen haben. Bratschist/in: Quantz 1752 Flöte 176 weil aber doch dabey Vieles mit vorkömmt, welches sich auch die Bratschisten . . zu Nutze machen können; Hafner 1762 Ges. W. I 390 in der Musik [sind] die vornehmsten Leute .. Violinisten, Pratschisten; L.Mozart 1780 Br. (U 168) Jeder, auch der schlechteste Bratschist, ist aufs Empfindlichste gerührt, wenn man ihn tete ä tete lobt; Oertel 1831 Fremdwb. 155 Bratschist, Armgeiger (armer Geiger!); Meerheimb 1888 Psychodramen I 16 Was meinen Sie, Herr Bratschist Niemeyer?; Reimann 1928 Komponist wider Willen 25 [Er] hatte zu seiner Zeit als hervorragender Bratschist gegolten (TRÜBNER); Münch. N. N. 3. 6. 1941 Die Bratschistin Elisabeth Alsweiler wurde ab August 1941 an das Landestheater in Linz .. verpflichtet; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 202) Mendelssohn, Brahms und Dvorak. Michael, unser Jüngster .. beteiligte sich als Bratschist daran; MM 5. 6. 1989 Solistin war die amerikanische Violinistin und Bratschistin Nora Chastain, die auch bei Yehudi Menuhin ausgebildet worden war; ebd. 28. 12. 1989 ehemaliger Schüler . . an der Städtischen Musikschule Mannheim, der viele Jahre als Bratschist des Mannheimer Streichquartetts .. tätig war, erhielt.. ein Engagement bei den Berliner Philharmonikern; ebd. 20. 6. 1991 Er begann als Bratschist im Blüchner-Orchester und bei den Berliner Philharmonikern. IN

brav Adj. (braver, bravsten; süddtsch. braver, bravsten), im früheren 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. brave (< ital./span. bravo 'tapfer, tüchtig; wild', über vulgärlat. *brabus zurückgehend auf lat. barbarus 'ausländisch; wild'; —»· bravo, —» barbarisch), bis ins 18. Jh. auch in den Varianten prav, braf. a Zunächst in der Bed. 'bestimmten Anforderungen in sehr zufriedenstellender Weise entsprechend, tüchtig', häufig im Zusammenhang mit Berufsbezeichnungen (s. Belege 1532, 1549, 1642, 1670, 1722, 1820, 1918), bes. auf Handwerker und Künstler bezogen (s. Belege 1689, 1788, 1854-55, 1947), gelegentlich auch abwertend im Sinn von 'durchschnittlich, handwerklich, nicht genial' (s. Belege 1807, 1985, 1990, 1996), in Wendungen wie ein braver Mahler, ein Bild ist brav ausgeführt, eine brave Aufführung, das Stück ist brav inszeniert, bis Mitte 19. Jh. ugs.

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auch als Adv. in steigernder Funktion für 'sehr, heftig, trefflich, tüchtig, gehörig' (s. Belege 1658, 1682, 1711, 1776, 1782, 1840), z. B. das war brav gesprochen, gehandelt, mit jrndm. brav politisieren, auch in Aufforderungssätzen wie das wirst du brav sein lassen. Seit dem 17. Jh. auch allgemeiner im Sinn von 'redlich, ehrlich, rechtschaffen' (s. Belege 1617, 1778, 1789, 1804, 1847, 1908, 1929), bes. in der Zs. kreuzbrav, in Wendungen wie braver Mann, treu und brav (vgl. auch c) und in der Redensart der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt; seit dem 18. Jh. auch in der Bed. 'sittlich, anständig', bes. auf Frauen bezogen (s. Belege 1835, 1956); auch ironisch bzw. abwertend gebraucht im Sinn von 'bieder, langweilig', heute bes. in der Verbindung braver Bürger; schon seit dem 17. Jh. auch von Sachen für 'gut, ordentlich' (s. Belege 1670, 1711, 1776, 1927, 1985), heute meist abwertend im Sinn von 'hausbacken' in Wendungen wie ein braves Kleid, eine brave Frisur, b Seit dem frühen 17. Jh. unter Einfluß des dreißigjährigen Krieges vor allem auf Soldaten bezogen in der heute veraltenden Bed. 'mutig, tapfer', meist in der festen Verbindung braver Soldat und bis heute in Wendungen wie sich brav halten, vgl. den 1926 in dtsch. Sprache erschienenen Roman von J. Hasek „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk". c Seit Ende 17. Jh. in der Bed. 'artig, folgsam, gehorsam', von Tieren (Pferden, Hunden) im Sinn von 'gut erzogen', vgl. die Wendung braver Hund, und bes. im Hinblick auf das Verhalten von Kindern (s. Belege 1783, 1856, 1964, 1985, 1987, 1991), in Wendungen wie sei schön, hübsch brav! gib brav das Händchen! seid ihr auch brav gewesen?, auf Erwachsene bezogen ironisch verwendet (s. Beleg 1963) bzw. abwertend im Sinn von 'willenlos' (s. Belege 1963, 1989). Dazu seit spätem 18. Jh. die selten belegte subst. Ableitung Bravheit F. (-; ohne PL), in der Bed. 'Tapferkeit, Mut' (zu b), 'Rechtschaffenheit, Angemessenheit' (zu a) und vor allem 'Folgsamkeit, Artigkeit, Bravsein' (zu c). brav a: 1532 (Württemb. Vierteljahrsh. N.P.IV 321) Der Amtmann zu Nerenstetten sei brav; 1549 (Bl. f. württemb. Kirchengesch. N. F. VI 187) Gehorsam, brav und gewärtig sein (beide TRÜBNER}; Moscherosch 1642 Visiones 71 köstliche brave Diener; Schock 1658 Comödia 18 Biss nur stille, es wird prav zu fressen und zu sauffen setzen; Grimmeishausen 1670 Springinsfeld (HI 254) vor einen praven Wirth in einem praven Wirthshause gehalten werden; Weise 1682 Masaniello 208 zur Saatzeit hab ich schoen Wetter. Wo mir die Erndte brave zuschlaegt/ so werd ich ein stattlicher Kerl seyn; Abr. a S. Clara 1689 Judas II 48 zu einem Tantz gehört ein gutes paar Schueh . . vnd zwar von einem präfen Schuster; Stranitzky 1711 Ollapatrida 317 Ich könnte als kleiner Fürst mit ihr leben; Sie soll brave Mittel haben; Fr. W. /. 1722 Instr. 72 so ein kluger und Brahwer Regent; Salmasius 1749 Handlex. 68 (Henne/Objartel, Bibliothek II 4) Wo kan eine vernünftige Universität seyn, wo keine prave und fitele Pursche sind? Pursche, die vor dem Risse stehen, die Galle haben?; Klinger 1775 Otto Ib sagte, Mama und wir müssten hier bleiben, das thun wir aber brav nit; Goe-

the 1776 Br. (WA IV 3,38) Ich .. streiche was ehrlichs in Thüringen herum und kenne schon ein brav Fleck davon; Bürger 1778 Das Lied vom braven Mann (S. Sehr, l 187) Hoch klingt das Lied vom braven Mann,/ . ./ Wer hohes Muts sich rühmen kann,/ Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang; Goethe 1782 Br. (WA IV 6,51) Isenflamm ist angekommen mit dem will ich brav politisiren; Nicolai 1788 Reisen I 105 brav gemahlt; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 130) Ein braver Mann zu seyn, und einer braven Familie zugehören war aber im damaligen Zeitalter fast Eins; Schiller 1804 W. T. (S. W. VI 12 f.) Ruodi . . Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?/ Das thäte Keiner, der bei Sinnen. Teil. Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt./ Vertrau" auf Gott und rette den Bedrängten!; Goethe 1804 Br. (WA IV 17,76) Recensionen von Hermann — soviel ich einsehe sehr brav, aber freylich lang; ders. 1807 Br. (WA IV 19,300) unsre braven Künstler .. die sich gewiß viel Mühe geben, wenn ihnen auch nicht immer ihre Zwecke gelingen sollten; ders. 1810 Gedichte (WA I 1,143) Nur die Lumpe sind bescheiden,/ Brave freuen sich der Tat; 1811 Almanack a. Köm II 165 Das Conserva-

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torium in Neapel, aus dem früher mehrere brave Theatercomponisten hervorgingen; Goethe 1820 Zahme Xenien (WA l 3,233) Mit dieser Welt ist's keiner Wege richtig;/ Vergebens bist du brav, vergebens tüchtig,/ Sie will uns zahm, sie will sogar uns nichtig!; Büchner 1835 Dantons Tod (S. W. / 13) meine Tochter war da hinunter gegangen um die Ecke, sie ist ein braves Mädchen und ernährt ihre Eltern; Vischer 1840 Br. Italien 104 Ich reise von Rom mit der Satisfaction ab, meine Zeit brav benutzt zu haben; Freytag 1847 Waldemar (I 290) zu einem braven Menschen zu machen; Hörn 1852 Schmiedjakob's Geschichten 25 Ein kreuzbraver Mann (SANDERS DWB); Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVI 115) Es ist Schad um die brave Arbeit, so der Mahler gemacht hat; ebd. XX 237 Ja, ja, mein gestrenger Herr von braver Abkunft, ich bin das richtigste Findelkind; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 37) Er . . war nicht derjenige, welcher die Lebensgewohnheiten aller dieser braven, wohlhabenden und behaglichen Kaufmannsfamilien umstürzen würde; Werner 1908 Heirats-Annonce 66 einen braven und würdigen Mann gesucht; Hammerstein 1916 Februar 164 Einzelne und kleine Gruppen, die wunderliche Kopfbedekkungen trugen, und wie sie ausschritten, blickte unter ihren bravbürgerlichen Überkleidern frohverstohlen der bunte Narrentand hervor; Müller 1918 Könige 51 ich war dem Volk ein braver Herr/ Geworden; Hesse 1927 Steppenwolf (IV 405) so hatte er doch ein braves Messer in der Tasche (WOG); Asch 1929 Firma 121 Dabei waren sie brave Kerle. Jeder von ihnen war gutmütig und sentimental; Th. Mann 1939 Lotte (W. U 457) Er, der Brave, wollte mich unbedingt wegen meiner Prächtigkeit, und ich wollte ihn auch von ganzem Herzen, weil er mich so gerne wollte; ders. 1947 Faustus (W. VI 373) Leute wie Palestrina, die beiden Gabrieli und unser braver Orlando di Lasso . . hätten bereits schimpflich daran teilgehabt; Remarque 1956 Obelisk 150 Otto solle heiraten, ein braves Mädchen, das gut kocht, mit einer schönen Aussteuer (DUDEN 1993); Zeit 22. 3. 1985 Es gibt brave deutsche Wörter, die der Rechner zu Ausländern macht: die Beat-mung zielt ins Englische; ebd. 23. 8. 1985 Mehrheiten einigen sich erfahrungsgemäß auf die brave — oder öfter noch unbrave — Durchschnittsbegabung . . Nur ein einzelner kann sich rücksichtslos für das Außerordentliche einsetzen; ebd. 2. 1. 1987 es bleibt abzuwarten, ob der brave Bürger noch Lust hat, sich von atomarem Abfall das Gruseln lehren zu lassen; Rhein. Merkur 23. 2. 1990 ein braves Stück Kino, nicht mehr, nicht weniger; Zeit 21.9. 1990 Das Abenteuer, die ewig zerstrittene und allzeit streitlustige WestLinke jenseits der SPD mit den bislang so bravbiederen Ost-Sozialisten auf einer gemeinsamen

Linken Liste/PDS antreten zu lassen; MM 15. 2. 1996 der . . eher brav und bieder inszenierenden Regisseurin. Bravheit: Goethe 1786 Tagebücher (WA III 1,259) Gestern war ich in der Kommödie . ., die mir viel Freude gemacht hat. Ein extemporirtes Stück in Masken, mit Viel Nature!, Energie, und Bravheit ausgeführt; Knebel vor 1834 Lit. Nachlaß III 107 Die Bravheit und den Muth ihrer Nation (SANDERS DWB); Hornberger 1882 Essays 207 in jenem . . Frankreich . ., wo man dem Talente Alles, der talentlosen Mittelmäßigkeit nicht einmal ihre Bravheit und ihren Anstand verzieh; Th. Mann 1940 Nachtr. (W. Xlll 155) das Fertigmachen war eine Sache produktionsethischer Bravheit. brav b: Opitz 1617 Aristarchus 155 Der Monsieur als ein brave cavallier erzeige mir das plaisir; 1628 Lied auf d. Belagerung v. Stralsund (Soltau, Volkslieder l 474) Wiltu ein braffer Soldate sein, So such und schlag die Feinde dein (TRÜBNER); 1632 (Weller 1855 Lieder 233) Wir haben ein praven Helden,/Darzu frisch junge Leut,/Wir ziehen damit zu Felde; Bürster 1647 Schwed. Krieg 10 praver Soldat; Thomasius 1701 Kl. Sehr. 475 ein praver Kerl; Stranitzky 1711 Ollapatrida 22 Sonst würffe man allen Frauenzimmer allezeit vor/ daß sie forchtsame Creaturen wären/ aber sie haben bißhero gnugsam erwiesen/ daß sie in gewisen Begebenheiten so viel Courage haben/ als der braveste Kerl; 1743 Reglement Preuss. Cavall. 34 selbige auch alles thun werden, was braven und Ehr-liebenden Officiers zukommt; Lessing 1763 Minna (S. Sehr, l 561) So sehen Sie mir gar zu brav, gar zu Preußisch aus; Lenz 1776 Soldaten (NL LXXX 121) braver Soldat; Goethe 1815 Requiem frohsten Mann (WA l 16,385) Zwar die brave Faust gewinnet,/ Doch der Geist bewährt den Ruhm; Wickede 1854 Soldatenleben II 7 als wären die feindlichen Kugeln nur lose Schneeballen, so ruhig und sicher marschirten diese Braven, „den Bravsten der Braven" an ihrer Spitze, in das feindliche Feuer; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1077) Brave, herrliche junge Leute! Ihr sollt nicht umsonst gestorben . . sein; Schädlich 1977 Nähe 155 Auf meine braven Soldaten, die Euer Haus hüten, lassen wir nichts kommen. Bravheit: Schertel v. Burtenbach 1778 Beytr. 35 Die Herzhaftigkeit soll die Eigenschaft der Officiers, die Bravheit hingegen die von dem gemeinen Soldaten seyn, beyde aber mit einander vereinigt werden unter dem Namen der Tapferkeit begriffen; Seyffarth 1855 Paris 205 Soll aber ein Sohn durch Bravheit, eine Tochter durch Sittsamkeit und Tugend um den Segen der Aeltern werben.

bravo brav c: Stieler 1691 Stammbaum I 218 Ein brafes Pferd; Ayrenhoff 1771 Postzug 68 Brav, Lisette! Brav! trinkst Du gern Rosoli?; Goethe 1776 Br. (WA IV 3,34) Nicht eher als auf der Redoute seh ich dich wieder! Wenn ich meinem Herzen gefolgt hätte — Nein ich will brav seyn — Ich liege zu deinen Füssen und küsse deine Hände; ders. 1783 Br. (WA IV 6,201) Fritz war gar munter und brav. . . er , . hat nur kleine Anfälle von Laune und Unart; Auerbach 1856 Barfüssele 17 Aber das behalt' im Andenken, daß du allezeit, wenn du brav bist, um deiner Eltern willen eine Unterkunft bei mir finden sollst; Perfall 1887 Verhältnis 28 sie sei immerdar ein braves Mädchen gewesen; Grass 1962 Blechtrommel 50 Anfangs bezahlte Mama auch treu und brav die zumeist mit Katapultschleudern zertrümmerten Küchenfensterscheiben; Dönhoff 1963 Ära 77 wenn Chruschtschow schön brav sei und sich ganz gesittet benähme (DUDEN 1993); Heuss 1963 Erinn. 9 Ich ging also brav in die Bendlerstraße, um loyal meinen Auftrag zu erfüllen; Stuttgarter Ztg. 3. 10. 1964 daß Cornelie zu den stillsten, ordentlichsten, zu den „bravsten" Kin-

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dern der Klasse gehörte; 197.3 ADAC-Motorwelt VI 52 auf guten Straßen verhält sich der Wagen brav, auf schlechten Pisten läßt die Bodenhaftung . . zu wünschen übrig; Zeit 24. 5. 1985 Seit Punks, Skins, Mods und Popper die braven Pennäler mit den sauber geschnittenen Fingernägeln abgelöst haben; MM 13. 4. 1987 Bei Mädchen werden braves Verhalten und Sauberkeit gelobt, bei Jungen Draufgängertum und Temperament; FAZ 4. 9. 1989 jedem von uns, der so treu und brav und gläubig . . die Stalinzeit durchlebt hat; Weyäen 1990 Träume 27 „Brav, Wolf, guter Hund", lobte sie und ging langsam auf das Tier zu; Strauß 1991 Schlußchor 44 Wie früher in der Schule, wenn man zu spät kam und rannte durch die stillen, dunklen Gänge, vorbei an hundert brav behängten Kleiderhaken, wenn man zu spät kam und alle schon in ihren Klassenzimmern saßen. Bravheit: Schnitzler 1896 Liebelei 87 Und was hat denn so ein armes Geschöpf schließlich von ihrer ganzen Bravheit; Zeit 20. 9. 1985 Frauen, die ihre Bravheit und Parteidisziplin aufgeben. HK

bravo Interjektion, im frühen 18. Jh. im Zusammenhang mit der Aufnahme der ital. Oper und Komödie entlehnt aus gleichbed. ital. bravo (zu bravo 'tapfer, tüchtig'; —»· brav, —»· Bravour). In der Bed. 'trefflich!, schön!, gut!' als Beifallsruf verwendet, bes. im Theater bzw. in Bezug auf (künstlerische) Darbietungen (s. Belege 1768, 1789, 1790, 1857, 1988), daneben auch allgemeiner als Ausdruck von Anerkennung, Freude, Zufriedenheit (s. Belege 1715, 1771, 1776, 1849, 1929, 1957); dazu seit der 2. Hälfte des 18. Jhs. der Superlativ bravissimo 'hervorragend!, ausgezeichnet!, sehr gut!', zumeist in der festen Verbindung bravo! bravissimo!, sowie die Subst. Bravo N. (-s; -s) 'Beifallsruf, häufig als Bestimmungswort in der Zs. Bravoruf(e), und gleichbed. selten belegtes Bravissimo. bravo: Caüenbach 1715 Wurmland 125 Bravo, das ist ein gut Wurm-Nest; Hafner 1762 Ges. W. I 60 nu pravo, pravo! stehst du noch da . .?; Sonnenfels 1768 Br. 68 die von unten hinauf den Gauklern Bravo zurufen; Ayrenhoff 1771 Postzug 43 Die Speisen sind auf der Tafel. — Bravo, so gehen wir zu Tische; Schummel 1773 Würzkrämer 31 Rehfeld. Bravo! Bravo! (er umarmt Fritzen . .); Bürger 1775 Gedichte (S. W. l 130) Ein Kaiserwort/ Soll man nicht drehn noch deuteln./ Ha bravo! . . bravo so!/ Meint' unsre Frau es auch nur so; Wagner 1776 Kindermörderin 35 Bravo! Herr Magister, das ist brav; 1776 Bibl. f. Schauspieler 11 O Bravo! Bravo!; Lenz 1776 Waldbruder (NL LXXX 183) bravo, bravissimo; Schiller 1781 Räuber (H. l 417) Bravo, bravo! das war wohlgesprochen; Hermes 1789 Für Eltern V 434 als wenn man am Ciavier

Bravo! mir rief; Nicolai 1790 Anekdoten H. VI153 Er hatte vorzüglich das Recht bey der Kammermusik, wenn der König spielte, Bravo! zu sagen; Kotzebue 1815 Kriegsgefangene 69 bravo!; Wolff 1823 Cäsario (I 296) Bravo, bravo, Kinder! Lasst Euch nicht stören; es freut mich, Euch so einig zu sehen; Borne 1833 Br. a. Paris (Ges. Sehr. Ill 75) Eine dicke deutsche Dame, die . . ich . . daran als Landsmännin erkannte, daß sie bravo statt brava schrie; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris l 174 Schon jetzt wird Bravo gerufen, wenn Einer auf das Wort verzichtet; ein Gleiches geschah heute, weil Jemand sagte: ich nehme meinen Antrag zurück! Als er aber hinzufügte: „ich stelle jedoch einen neuen"; hörte man tiefe Seufzer; 1857 Hausblätter I 484 die .. jungen Elegants des Parterres . . schrien nicht Bravo! oder Brava . ., sondern sie begnügen sich

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bravo

mit der ersten Silbe des Bravo — Bra — a — a — a!; Mommsen 1865 Reden u. Aufs. 387 der Pöbel aller Sorten . . würde . . freilich Bravo rufen, aber von den Besseren .. wäre die Antwort: Pfui!; Polko 1895 Hell u. Dunkel 219 rief: „Brava, bravissima!"; Hesse 1904 Camenzind 133 Das junge Mädchen war wieder da. Sie hörte mir aufmerksam zu und sagte dann ganz herzlich: „Bravo!" Ich war aber zu verstimmt, um darauf zu achten; Colerus 1929 Kaufherr 159 „Bravo, liebe Magda, großartig!" Er war nicht zu erschüttern in seiner Anhänglichkeit; Tb. Mann 1947 Faustus (W. VI 109) erklärte es auf Befragen seinem Onkel, der die Brauen hochzog und „Bravo!" sagte; Frisch 1957 Homo faber 210 Als ich den Motor endlich beisammen hatte, so daß er lief, grinste er und sagte Bravo, nichts weiter; MM 15. 1. 1988 dann kommt Stimmung auf im Saal, wird begeistert geklatscht und Bravo geschrien, als ahnten oder wüßten die Zuhörer, daß der Gast mit solch virtuosen Kabinettstückchen seine wahre Identität preisgibt. Bravo: 1761 Karschin-Gleim-Uz-Briefw. 643 Bravo; C. Ph. E. Bach 1762 Ciavier zu spielen II 243 Der Solospieler oder der Sänger behält indessen alles Bravo gemeiniglich für sich und giebet seinem Begleiter nichts davon ab; Goethe um 1783-85 Theatral. Sendung (WA l 52,27) Es entstand ein lautes Gelächter . . Das Pochen, Pfeifen, Zischen, Klatschen und Bravorufen ward allgemein; Becker 1784-86 Reise 19 Der Markgraf encouragirt [im Konzert] oft durch ein Bravo und Bravissimo; Schubart 1785 Tonkunst 365 Cadenz oder Schlußfall. Gleichsam die letzte Erhebung des Virtuosen in einem Stücke, wo er durch Anstrengung aller seiner Kraft sich das Bravo und Händeklatschen der Zuhörer zu erringen sucht; Goethe 1786 Tagebücher (WA III 1,270) Es verliert diese Poße viel wenn man nicht das bravo! bravi! das die Italiäner immer im Munde haben, so in den Ohren hat wie ich; Matthisson 1790 Frankreich (II 246) Bravojauchzen; Hermes 1791 Märtyrer l 371 als wären Sonne und Wolken Virtuosen, welchen sie ein Bravo über das andre zuschreien müste; Matthisson 1795 Italien (V 88) Nachschläge, die dem Ohre des guten Mannes sich ganz natürlich in . . Bravorufe verwandelten; Gotter 1802 Nachlass 152 nie ein Bravo . . zugerufen; Brun 1818 Sittenstudien 250 ließen sich ganz deutlich einige Bravo's und halbunterdrückte Applaudissements vernehmen; Kurtz 1837 Genzianen 256 Kaum hatte der Chor ausgesungen, so erhob sich ein allgemeines Klatschen und ein Bravo! Dacapo Rufen; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris I 87 Nachdem ihm diese dumme Rederei das beabsichtigte erste Bravo der Galerie verschafft hatte; Spielhagen 1861 ff. Problemat. Naturen VIII 12 Bravo-Rufer (SANDERS

1871); Holtet 1863 Letzte Komödiant II 332 Bravo-Gebrüll; Spitzer 1880 Wagn. 126 Herr von Malzau rief zum Schlüsse dem verlässlichen Bierfreunde so lärmende Bravo's zu, als wenn er ihm die Lorbeern des besten Wotansängers hätte streitig machen wollen; Zander 1904 Neue Welt 157 sie sang . . die fröhlichsten Lieder .. und versetzte den Olymp in die ja immer beifallslustige Stimmung. Und das Bravo!, Bis!, Dacapo!, Frau Doktor, wollte schier kein Ende nehmen; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 757) ein Bravo für Strauß, Rosner und von der Vring!; 1929 Uhu (Febr.) 15 Gelächter, Zustimmung . ., manchmal auch ein kräftiges „Bravo" oder Ablehnung, wenn nicht gar entrüsteter Widerspruch mit Zischen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 281) Als ich mit einem vollen und energischen Bogenstrich über alle Saiten geendigt hatte, erfüllte das Geprassel des Beifalls, untermischt mit hohen und tiefen Bravorufen, die Kuranlage; Welt 24. 1. 1966 Es gab Beifall auf offener Szene, orkanartigen Applaus zum Schluß und Bravo-Rufe für das Ensemble; MM 5. 5. 1988 Fürs „Stürmen und Drängen" mit straffem Klang und für die lockere Art, „empfindsam" zu sein, ein ehrliches Bravo!. bravissimo: Schummel 1779 Spitzbart 353 Bravissimo, das war vortreflich geantwortet; 1781 (Schlözer 1828 Schlözers Privatleben 287) Bravo, bravissimo! 's geht immer beser in Augsburg; Schiller 1784 Kabale u. Liebe (S. W. Ill 2) Bravo, Marschall! Bravissimo!; Gotter 1787 Gedichte l 201 Bravo! bravissimo!; i 791 Wiener Musenalmanach 151 Bravissimo! schrie Wechsler Stumpf; Varnhagen v. Ense 1794 Buch d. Andenkens l 97 Also ist die Unzelmann wirklich aufgetreten, bravo, bravissimo!; Kerner 1811 Reiseschatten 62 da brüllten auf einmal die vierzig Studenten unisono: bravo! und wieder bravo! und bravissimo!; Holtet 1825 Berliner (Jahrb. dtsch. Bühnenspiele V 167) Bravo! Bravissimo! Des ist Jesang!; Raimund 1828 Alpenkönig 64 Astragalus. Nur ich kann über die Heirat meiner Tochter entscheiden, denn ich bin Vater. Rappelkopf. Bravissimo!; Holtet 1860 Eselsfresser I 169 o wundervoll! bravissimo!; Rilke 1896 Christus-Visionen (S. W. III152) Und ihre Finger fügen jetzt geschickt/ zu krausem Kranze Rose an um Rose,/ . ./ Sie legt ihn auf das Haupt . . / . . / dann klatscht sie in die Hände . ./ „Bravissimo, die echte Königspose!"; Senden 1900 Tänzerin 15 „Bravo, bravissimo"; Süddtsch. Ztg. 31. 8. 1948 Die Herstellung von Bogen und Pfeilen und ihr Gebrauch durch Deutsche ist durch keine Vorschrift untersagt . . (Bravissimo!); Grass 1962 Blechtrommel 92 Drei Glühbirnen der Zirkusplatzbeleuchtung mußten dran glauben, und Herr Bebra rief bravo, bra-

Bravo u r vissimo und wollte Oskar sofort engagieren; Zeit 19. 7. 1985 „Kohl war bravissimo", lobt Andreotti. Bravissimo: Becker 1784-86 Reise 19 Der Markgraf encouragirt [im Konzert] oft durch ein Bravo und Bravissimo; Schubart 1791 Leben I 155 ein

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wieherndes bravo! bravissimo! .. soll das Wimmern ihres erwachenden Genius betäuben; 1844 Urania 44 erntete [für ihre klugen und verständigen Worte] ein Bravo, Bravissimo; 1856 Weimar. Jahrb. V 2 nur Schade, dass eure Trompete jedem, der etwas spielt, stets ein Bravissimo bläst. HK

Bravour F. (-; -en), im späten 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bravoure (< gleichbed. ital. bravura, zu bravo 'tapfer, tüchtig, ausgezeichnet'; —» brav, —» bravo), zunächst auch in der frz. Form Bravoure bzw. in der eingedeutschten Variante Bravur. Zunächst im Sinn von 'Tapferkeit, Mut, Beherztheit' (—* Courage), anfangs bes. auf Soldaten bezogen, dann auch allgemeiner (s. Belege 1678, 1704, 1778, 1813, 1945). Seit späterem 18. Jh. mit erweiterter Bed., zunächst auf die Opernbühne bezogen in der (eventuell aus der ital. Wendung aria di bravura übernommenen) Zs. Bravourarie im Sinn von 'schwierige, die Virtuosität des Sängers bzw. der Sängerin erfordernde, auf Wirkung abzielende Arie' (s. Belege 1774, 1783), vgl. außerdem die Zss. Bravourlied, -gesang, -Sängerin; von daher in der heutigen Bed. 'hohes technisches Können, glanzvolle Darbietung, Glanzleistung, -stück, vollendete Meisterschaft' (s. Belege 1790, 1825, 1929, 1963, 1989), meist in dem Syntagma etwas mit Bravour tun, vgl. dazu die Zss. Bravourstück, -leistung, zum Teil noch mit Bezug auf die anfängliche Bed., z. B. in der Wendung sich mit Bravour schlagen. Dazu seit Anfang 20. Jh. die französierende adj. Ableitung bravourös, zunächst im Sinn von 'tapfer, mutig' (s. Belege 1918, 1927, 1945), bes. im Sport, z. B. sich bravourös schlagen (s. Belege 1929, 1959), dann auch im Bereich der Kunst für 'virtuos, technisch meisterhaft' (s. Belege 1920, 1950, 1964, 1987), in Wendungen wie bravourös spielen, gemalt, bravouröse Diva, Aufführung, daran anschließend allgemeiner im Sinn von 'glänzend, hervorragend, ausgezeichnet' (s. Belege 1968, 1971, 1985). Bravour: Mahrenholtz 1678 Unterredungen Evr auch sich offt mehr aus Desperation als bravoure übern Hauffen schiessen läßt (BRUNT); Ettner 1700 Apotecker 1054 Gleichfalls hat unser . . Ambassadeur in Engelland . . uns .. zu wissen gemacht/ wie ihr daselbst zu Pferd euch in guter Bravoure sehen lassen; 1704 Theatrum Europaeum XVII 95 that den Angriff mit aller . . Bravour und Tapfferkeit; Menantes 1706 Satir. Roman I 182 Also musten diejenige .. der Bravoure der ändern weichen; 1716 Neuaufgest. Fama 48 die Teutsche Bravour und Standhaftigkeit, sich um so vielmehr signalisiret; Landsberg 1724 Attaquen 146 Tapfferkeit oder bravour; Fleming 1726 Soldat 124 damit sie ein Zeichen ihrer Hertzhafftigkeit und Bravour erweisen; Schnabel 1731 Felsenburg 15 hat er .. sich durch seine bravoure zu dem Posten eines Capitains geschwungen; Ortmann 1758 Patriot. Br. l 138 Aber die Tyrannen, die Wollüstlinge, die Weichlinge, wenn sie gleich eine gewisse Art von Bravour besassen, sind in meinen Augen nichts besser, als Mörder, welche, wenn sie erst in ganzen

Haufen morden, gewis viel persönliche Herzhaftigkeit bewiesen haben; Schubart 1774 Chronik 101 Bravourarie; Wieland 1775 Ges. Sehr. I 14,97 wobey Sänger und Zuhörer Athem schöpfen, jener seine Kräfte zu einer großen Bravurarie sammeln, diese nach Herzenslust plaudern .. können; Scherte! v. Burtenbach 1778 Beytr. 35 daß ihnen der Unterschied zwischen Courage und Bravour unbekannt ist. Die Herzhaftigkeit soll die Eigenschaft der Officiere, die Bravheit hingegen die von dem gemeinen Soldaten seyn, beyde aber miteinander vereinigt werden unter dem Namen der Tapferkeit begriffen; Nicolai 1783 Reise l 129 Darauf sang Madame Frakassini, die Gemahlinn des Kapellmeisters, kniend, eine tüchtige Bravurarie; 1788 Journal d. Moden III 450 ein Bravourstück seiner Kunstfertigkeit; Schröder 1790 Ring (III 11) der sich mit Bravour von unten auf zum Major schwingt; Goethe 1794 Vereitelte Ränke (WA I 12,285) Sich selbst zu erstechen/ Ist keine Bravour; Laukhard 1796 Leben u. Schicksale 111 390 Bravourlieder oder Bravourgesänge; Garve 1797 Ges.

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Bravour

/ 402 f. die Kühnheit, sich einer augenscheinlichen Gefahr auszusetzen . . ist das, was die Franzosen Bravoure nennen; Kotzebue 1810 Esels Schatten (XXIV 198) [der Zopf] war mein Stolz, meine Zierde, meine Bravour; Blücher 1813 Br. 166 Er zeichnete sich durch Bravour und Umsicht aus, besonders in ein Gefecht in Weimar, wobei mein Sohn blessiert wurde; Goethe 1816 Italien. Reise (WA I 30,118) ich sah ein extemporirtes Stück in Masken, mit viel Naturell, Energie und Bravour aufgeführt; 1823 Eos 348 Bravoursängerin; Hauff 1825 S. W. V 23 Wie jener großer Sieger, der nur . . die Worte sprach: „Heute ist der Tag von Friedland!" . . so bedurfte es von seinem Mund auch nur einiger ermahnender, tröstlicher Hindeutungen auf frühere Bravouren und gelungene Affairen; Schleiermacher 1832 Ästhetik 159 Bravourtanz; Burckhardt 1842 Kunstwerke (I 155) Bravourbild; Schlözer 1848 Jugendbr. 126 Bravour der Linientruppen; 1855 Hausblätter U 199 Bravourarie der christlichen Sanftmuth; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen l 161 er sang es mit Bravour, das ist wahr; Kürnberger 1877 Herzenssachen 77 vervehmt ist aber schon längst die Aristokratie der Faust und über physischen Adel, körperliche Bravour, ritterliche Uebung etc. etc. herrscht ein Ton, welcher nur zwischen Geringschätzung und Mitleid variirt; Rose 1884 Revanche 198 Einige Bilder, die wegen der Bravour ihrer Ausführung prämiirt worden sind; 1890—91 Velhagen u. Klasings Monatsh. I 336 eine Bravourleistung unserer städtischen Verwaltung; 1911 Beitr. z. Gesch. d. Technik III 146 technischen Bravourleistungen; Schüler 1915 Du ahnst 113 Ein Rennen war im Gange von einer Bravour und Leidenschaft, wie es auf deutschen Bahnen noch nicht geritten worden war; Hertling 1919 Jahr 155 Zeki Pascha, dem man es nicht ansah, mit welcher Bravour er im Balkankriege gegen die Bulgaren gekämpft; Benjamin 1929 Br. II 502 Ostjüdisches von Mehring, von dem unglückselig beratenen Piscator mit viel Bravour inszeniert; Karlinger 1937 Raum 197 viel von dem, was man die „Bravour" der Barockmeister nennt; Münch. N. N. 13. 8. 1940 Er war es gewohnt, Frauen sozusagen mit Bravour zu belügen; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1033) Rotterdam, wo in zwanzig Minuten dreißigtausend Menschen den Tod fanden dank einer Bravour, die von moralischem Irresein zu unterscheiden nicht leicht fällt; Süddtsch. Ztg. 9. 6. 1950 virtuose Bravourleistungen, wie etwa die Schluß-Stretta des Scherzos; ebd. 4. 2. 1963 doch an den Verästelungen des Komplotts, wo es um die äußerste schauspielerische Bravour geht, blieb einiges unausgespielt; Becker 1969 Jakob 127 alle Examina wurden mit Bravour absolviert, die meisten sogar mit Auszeichnung; Stuttgarter Ztg. 9. 7. 1970 Die Norma ist deshalb

eine besonders teuflische Partie, weil ihr Bravourstück, die berühmte Kavatine „Casta Diva", gleich beim ersten Auftritt zu bewältigen ist; MM 20, 11. 1987 Alexander Skrjabins zweite Klaviersonate wirkt, selbst nach einer vermittelnden Pause, nur wie ein hohles Bravourstück; Telegraph 18. 10. 1989 Die Mahnwache versuchte gegenüber einer gesellschaftlichen Krise zu reagieren, die in dieser Art einmalig in der DDR-Geschichte ist und sie hat sich mit Bravour geschlagen; Spiegel 9. 5. 1994 Es geht, sogar mit Bravour . . Tagespolitik und Tonkunst vertragen sich; ebd. 16. l. 1995 Mit diesem professionellen Auftakt ist .. der Bravour-Anspruch gesetzt. bravourös: Kisch 1914 Ges. W. / 90 Jean .. weiß die Eskamotage von Sektmengen so bravourös zu betreiben, daß ihm Anerkennung und Gratifikationen des Wortes . . nicht versagt werden; Sternheim 1918 Chronik II 169 Zeitungen bestätigten die märchenhafte Niedertracht der Gegner, bravouröse Tapferkeit der eigenen Truppen; Guthmann 1920 Sievogt 51 die zwar bravourös gemalten, aber in ihrem krassen Naturalismus abscheulichen Formen eines wüsten Modells; Moszkowski 1921 Gottheiten 102 die bravouröse Diva; 1927 Sittengesch. d. Hafens 184 die bravouröse Überquerung des Ozeans; Voss. Ztg. 15. 9. 1929 Ganz bravourös schlug sich Bartelt . . gegen Plaa; K. Mann 1936 Mephisto 30 Während er sich dem Ende seiner Ansprache mit bravourös gesteigertem Tempo näherte (DUDEN 1993); Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 175) weil ihr Soldatentum . . nicht Ausdruck einer kecken, brillanten und bravourösen Rauf- und Attackierlust sei; Süddtsch. Ztg. 16. 12. 1950 Gesamteindruck der bravourösen Aufführung; Offenburger Tagebl. 15.6.1959 Dafür fuhr Fügner . . ein bravouröses Rennen; Welt 14. 10. 1964 Den Littlechap . . spielte Bob Franco agil, bravourös, aber doch vielleicht eine Spur zu glatt; FAZ 31. 12. 1968 Wenn solche Situationen von der technischen Seite her bravourös gemeistert werden; Offenburger Tagebl. 5. 3. 1971 Die bravouröse Denkleistung; Schädlich 1977 Nähe 150 der rechte umfaßt am Kugelende den verzierten Stab, den er bravourös in die sommerlichen Lüfte zwirbelt; MM 6. 9. 1985 was bringen Supernoten und bravouröse Hochschulreife, wenn die Betroffenen hinterher auf der Straße stehen?; ebd. 11. 11. 1987 typisch . . für diesen weniger bravourös als feingHedng spielenden Virtuosen; Spiegel 15. 2. 1993 Jedenfalls beherrscht er das Crescendo seiner in sprudelndem Deutsch vorgetragenen Verlautbarungen bravourös; ebd. 23. 1. 1995 Bravouröse erste Runde für den „Boxer" Jurek Becker. HK

Bredouille

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Bredouille F. (-; -n), Ende 18. Jh. übernommen aus frz. bredouille, Ungewisser Herkunft (meist in Verbindung gebracht mit einem Begriff des Brettspiels (Trictrac) in der Bed. 'Markierung, die eine Spielsituation anzeigt, in welcher der eine Spieler einen solchen Punktegewinn und Spielvorteil hat, daß der Gegner in bezug auf Gewinnchancen völlig dahinter zurückbleibt und verliert, also in einer mißlichen Lage ist' (vgl. PFEIFER), möglicherweise auch zu (mittel-)frz. bredouiller 'schnell, undeutlich sprechen, murmeln; stammeln, stottern', das über gleichbed. ältere, gleichfalls onomatopoetische Verbformen wie bredeler, breiter, bretonner auf den Namen der Bretonen zurückgeht und sich mit 'undeutliche, verwirrte Rede; Verwirrtsein' assoziieren läßt). Auch in regionalen Varianten wie Bredul(l)je, Prädull. Zunächst in der Bed. 'Verwirrung, Bestürzung', dann meist im Sinne von 'Verlegenheit; schwierige Situation, Bedrängnis, mißliche Lage, Zwickmühle' (vgl. ugs. Patsche, Schlamassel, Klemme), vor allem (entsprechend frz. Vorbildern wie etre en bredouille 'im Spielvorteil sein', mettre qn. en bredouille 'jmdn. verlieren lassen') in ugs. Wendungen wie in der/einer Bredouille sein 'bestürzt, außer Fassung sein', in (die) Bredouille kommen/geraten, in der Bredouille stecken, aus der Bredouille (nicht) herauskommen, jmdm. aus der Bredouille (heraus-)helfen, jmdn. in die Bredouille bringen. Dazu im 20. Jh. vereinzelt (1911 bei Petri) gebucht die Personenbezeichnung Bredouilleur 'Stotterer, Stammler' sowie (1933 bei Genius) die subst. Ableitung Bredouillement 'das Stottern' und das Verb bredouillieren 'stottern, stammeln'. Moritz 1793 Grammat. Wb. I 172 Bredouille: Verwirrung, Bestürzung . . In der Bredouille seyn, anstatt, bestürzt oder außer Fassung seyn; Z. Werner 1808 Tagebücher 41 Packen des Koffers in großer Bredouille; König 1847 Klubisten l 7 Da stecken sie nun — wie er sich als guter Mainzer ausdrückte - in der „Bredulje" (KEHREIN); Alexis 1852 Ruhe III 312 Wofür ist des Königs Rock! 1st nun in der Bredouille; Wurzbach 1863 Histor. Wörter 292 In die Prädull kommen; Cornelius 1868 Ausgew. Br. I 674 Seine Verhältnisse sind in einer unglaublichen Bredouille; Rabe 1882-83 S.W./// 2,71 Fräulein Julie, drei verlorne Menschenkinder haben Sie jedenfalls mit feurigem Arme aus die Bredullje . . wenn Sie mir in diese Kleinkinderschwulität nicht .. sitzen lassen; Fontäne 1898 Zwanzig 203 und mein Vater, um seinen eigenen Lieblingsausdruck zu gebrauchen, kam aus der Bredouille nicht heraus; Karwath 1917 Schles. Fräulein 47 gab sich der Regierungsrat . . als künftiger und nobeldenkender Schwager zu erkennen, der sich . . von der gegenwärtigen Bredouille im Hause Logisch in keiner Weise habe abschrecken lassen; Nietzsche 1926 Br. an Mutter u. Schwester 119 Ich bin mit der Botanik in der „Bredouille" [sächsisches Französisch]; Rother 1928 Schles. Spr. 194 is ei dr Bredullje; Berl. Morgenpost 20. 6. 1929 Trotzdem kommt das junge Mädchen durch ihre Leichtgläubigkeit noch tüchtig in die Bedullje [!]; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 43) wir haben

nur zu bitten .. um Rat und weise Weisung, daß Ihr aus der Lage und äußersten Bredouille, in der wir uns befinden, mit fester Hand die Folgerungen zieht, die unsere bange Jugend nicht zu ziehen weiß. Denn die Bredouille ist derart, daß unsere Ehre so gut wie verloren ist; ders. 1954 Krull (W. VII 506) daß ich in einer Bredouille bin, einer schweren, einer Herzensbredouille, müssen Sie schon manchem Wort entnommen haben, das mir heute abend entschlüpfte; FAZ 12.4.1967 Jetzt geriet der Agent in die Bredouille. Time is money; Bestseller dürfen gar nicht erst anstauben; ebd. 28. 10. 1970 Das niedliche Flittchen Puss .. verspürt . . menschliches Rühren, und dann kann sie „nicht so sein". Dafür kommt [sie] gerade in solchen Fällen in die Bredouille (eines jener Wörter, die sie nicht buchstabieren kann), wird in die hohe Wirtschaftsdiplomatie verwickelt; Zeit 17. 5. 1985 Prinz Philip hat die Königin durch schlimmere Indiskretionen in die Bredouille gebracht als der Hausherr von Downing Street die Hausherrin; ebd. 9. 8. 1985 immer wenn die CDU an Rhein und Ruhr in der Bredouille war . . erwachte das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit; ebd. 16. 5. 1986 Manche Gesellschaften werden aber in eine arge Bredouille kommen. Besonders im Automobilbereich gebe es viele kleinere Unternehmen, die als Zulieferer von einem einzigen Großkunden abhängig seien; ebd. 17.10. 1986 Wir stecken ganz schön in der Bredouille wegen des öffentlichen Interesses

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Bresche

. . auch politisch steckt der Sozialdemokrat Antwerpes in der Zwickmühle; MM 17. 11. 1986 wo noch vor wenigen Wochen französische Soldaten dem Präsidenten Eyadema aus der Bredouille gegen seine politischen Gegner geholfen hatten; ebd. 25. 4. 1987 man darf wohl annehmen, daß Luther, der die Exponate aus seinem Privatbesitz zur Verfügung stellte, damit dem Lehmbruck-Museum großzügig aus der Bredouille half; ebd. 24. 3. 1988 während die Arbeitgeber für sich überlegten, wie sie ohne größeren Gesichtsverlust aus der Bre-

douille kommen könnten. Es war wohl vor allem die niedersächsische Finanzministerin Birgit Breuel . . die ihre Partner in die Zwickmühle gebracht hat; Spiegel 10.1.1994 Der Niedergang des Wohlfahrtsstaates Deutschland bringt die Kirchen in anhaltende Bredouillen; ebd. 6.3.1995 Schon bald . . werde er mit Hilfe von Geldgebern aus seiner finanziellen Bredouille herauskommen; ebd. 24. 4. 1995 Weil das verbündete Italien in die Bredouille kam, okkupierte es 1941 Jugoslawien. IN

Bresche F. (-; -n), Ende 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. brechet'ital. breccia (< altfrz. breche 'Scharte, Bresche', wohl german. Ursprungs, vgl. altfränk. *breka 'Bruch', etymologisch verw. mit dtsch. brechen), anfangs in frz./ital. beeinflußten Schreibformen wie Brescha, Prescha und im 17.718. Jh. unter frz. Einfluß auch Breche, Bresch und (PL) Bre(s)ches, daneben bes. im 17. Jh. wohl unter Einwirkung von niederl. bres, bresse (< frz. breche) häufig in Formen mit -ss wie Bresse, Presse, Press(a), etwa seit Mitte 18. Jh. in der heutigen Form. la Zunächst in der militärischen Bed. 'in einer geschlossenen Befestigungsmauer, einem Wall durch Beschießung entstandene, herausgeschossene Lücke, die (erste) Durchgangsöffnung, durch welche die Angreifer in die Stadt eindringen können', älteres Lücke und Verdeutschungsversuche des 17.718. Jhs. wie Mauer-, Wallbruch, Sturmloch, -lücke ablösend, z. B. in Wendungen wie eine Bresche (in eine Mauer) schießen/legen, (eine Mauer) in Bresche legen, und Zss. wie (aus frz. batterie de breche übernommenes) Bresch(e)batterie, -feuer, -mine, -schießenAschuß; heute nur noch selten und im weiteren Sinne auf militärische Verhältnisse und Kontexte bezogen (s. Belege 1962, 1970, 1985). Dazu im 19. Jh. vereinzelt die verbale Gelegenheitsableitung (ein-)breschen, gleichbed. mit gleichzeitig nachgewiesenem breschieren 'eine Bresche in eine Befestigungsmauer schießen, einen Wall durchbrechen'. b Seit früherem 20. Jh. gelegentlich auch allgemeiner für ' (durch Naturgewalt, menschliche/natürliche Einwirkung) eingebrochene Lücke, Schneise, Ein-, Durchbruch (in Dämmen, Deichen, Feldern, Wäldern o. ä.)'. 2 Seit frühem 18. Jh. übertragen verwendet mit unterschiedlich enger Anlehnung an die militärische Ausdrucksweise für 'eine Lücke (in der Verteidigung), Blöße' (s. Beleg 1725), auch im Sinne von '(zu schließende, auszufüllende) große Lücke, leere Stelle' (s. Belege 1788, 1815, 1842, 1949; -* Vakuum), gelegentlich bildlich gebraucht für 'Einschnitt' (s. Belege 1787, 1847; —>· Zäsur), meist in festen Verbindungen wie (unter dem Aspekt des Angriffs) eine Bresche (in etwas) schlagen/schießen 'eine Lücke (in der Verteidigung), eine Blöße aufzeigen und ausnutzen; Sturm laufen, angreifen' (s. Belege 1779, 1783, 1871, 1917, 1986), (unter dem Aspekt der Verteidigung) sich (für jmdn./etwas) in die Bresche werfen/schlagen 'sich ins Mittel legen, sich (entschieden, vehement) einsetzen, einbringen, einmischen für oder gegen etwas; in einer Angelegenheit (helfend) eingreifen, den Weg ebnen, freimachen; für etwas/ jmdn. einstehen, -treten, sich vor etwas/jmdn. stellen, etwas/jmdn. verteidigen' (s. Belege 1918, 1986, 1987), (für jmdn./etwas) in die Bresche springen/treten '(freiwillig, bereitwillig) jmds. Stelle einnehmen' (s. 2 Belege 1987), bes. auch 'für jmdn.

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einspringen, jmdn. zu Hilfe kommen' (s. Beleg 1993), eine Bresche für etwas (z. B. die Freiheit, den Fortschritt) schlagen. Bresche la: Gebhard 1597 Fürstl. Tischreden 205 sondern nach dem die Statt an etlichen Orten dermassen beschossen, daß die Bresches groß waren; 1597 Rorschacher Monatsztg. (August) 9 bressa; Brantzius 1603 Artifices 110 brescha; ebd. 166 durch breschen (beide JONES); Bar le Due 1604 Fortif. (Übers.) 24 wann ein zimliche Bresche nit gleich vornen her bewehret/ wirdt alles/ . . dem Sturm vnterwürfflich; ebd. 41 in Beschützung dess Riss oder Bresche [einer Festung]; Lorch 1605 Relation 50 nachdem er 140. Schuß darauff gethan vnd eine ziemliche Bresse eröffnet; Dilich 1608 Kriegsbuch 69 ein prescha an zu lauffen; Wallhausen 1616 Kriegsmanual 76 hinder der bresche verschantzet; ebd. (Gl.) Bresche. Ein Ort so man hernider geschossen oder geöffnet vmb hindurch zukommen; ders. 1617 Aechiley 29 gegen Bresch oder andere Demontierung zu schiessen (JONES); ders. 1617 Corpus militare 215 Wann aber ein solches Kunststück deß Feindes Generain von seinem vorhaben vnd anschlag nicht wil abwendig machen/ vnd daß die Bresche füglich/ raisonabel ist/ so ists dienlich/ daß man bey funffzehen oder zwantzig Schritt binden vnd gegen über der Bresche mache einen Graben von der Bresche lenge; Mallinger 1618-60 (Mone, QuSamml. U 554) ein ziemliche Pressen geschossen; Arthus 1623 Festungbawung 67 wenn aber der Sturm über ein Pressa oder mawrbruch geschieht; ebd. 96 zum Abfallen der Pressen oder Wallbrüche; Marobius 1627 Fortifikation (Übers.) 105 die geschossene oder gesprengte Pressa . . die Pressa (oder Bresche); Aldenburgk 1627 Reise (61) schössen mit jren Stücken fort vnd fort brechee [!] (JONES); Ens 1630 Postreiter 13 durch die Bresche in die Stadtt gezogen; Freitag 1631 Architectura 180 in die Breche marchiren (JONES); Opitz 1634 Br. (Rei ff erscheid 1889 Qu. Z. Gesch. d. geist. Lebens 674) nach dem zuvor an 2 orten Presse geschossen worden (TRÜBNER); Schwenter 1636 Delitiae physico-math. 429 eine Breche schiessen; Cellarius 1645 Arch. mil. 5 Bresse . . Ist ein Bruch in deem Wall oder Bolwerck/ welcher entweder durch das continuirliche schiessen mit dem Geschütz/ oder durch die Sprengung der Minen gemacht wird/ dadurch der Wall offen ligt/ vnd der Feind in die Stadt kan kommen; Bürster 1647 Schwed. Krieg 40 aine lange pressa gegen Creuzlingen in die mauer geschoßen; ebd. 46 den ändern oder drüdten tag den pulver thurn, spennhauß und Heltthor gefeit, preß geschossen; ebd. 74 Weilen auch ab gestrigem schließen zue vermerken gewest, daß der feind beim Roßenobel und Kolthurn bresica [Bresche] zue machen und dieser orten die nechste gefahr sein möchte; Hars-

dörffer 1643 Gesprechspiele 111 378 Ich bin in keine Statt kommen/ als durch die bresches, und habe mein Leben so wenig geachtet/ als wann es nie mein gewesen; Lavater 1659 Kriegsbuchlein Ib Breche (oder Bresche) Ruina valli, bruch des Wals, ein loch zum Sturm; ebd. 17 Was ein Bresche seye. Sie ist das Ort, welches durch ein Minen oder Geschütz eröffnet, erlöcheret vnd versprengt wird . . Heisst auff Teutsch: Durchbruch des Wals; Schreiber 1666 Büchsen-Meisterey 52a Presse-Schiessen; Scheither 1672 Festungs-Baw-Schuel 5 zum Sturm Brecha gemacht; 1684 Getrost. Europa D 2a Also dass wann solche Walle mit Stücken durchbohrt werden, gar leicht Bresche geschossen wird, und die Wälle über einen Hauffen fallen; 1695 TeutschRedender Vauban U 52 Über das kan der Streich so auff diese Art gemacht/ weder den Graben defendiren, noch die Breche bestreichen; Goulon 1709 Belagerung (Übers.) 35 Dazu nun zu gelangen/ und eine genügsame Sturmlucke (Breche) ohne Hülfe des Minirers zu legen/ noch zu Passirung des Grabens genöthiget; Wagner 1724 Soldatenbibl. 247 den Sturm-Bock sicher in den graben zubringen/ um damit wider die Mauer zu stossen/ oder die Mineurs zu bedecken/ so die Mauer untergruben/ denn durch diese beyde Arten machten sie Breche, und lieffen danach Sturm; Landsberg 1737 Grund-Risse 12 Breche in Bastion gemacht; Pfau 1757 Angriff 161 Wall-Lücke (Breche); Comenius 1769 Orbi U 271 Breche schiessen .. eine Breche, Sturm-Lücke; Pirscher 1777 Belagerungs-Kunst 68 daß die Breschbatterien völlig zu Stande gebracht worden; Kuniaczo 1780 Beytrag 55 Breschfeuer; Schiller vor 1803 S. W. X 317 Vom heißen Kampf, der auf der Bresche glüht; ebd. XIII 160 An dem Thore ist eine so starke Breche geschossen (beide KEHREIN); Rouvroy 1809 Batteriebau 123 Da die Breschbatterien meist mit starken Mauern und Erdwällen zu kämpfen haben, so bewaffne man sie mit Kanonen von starkem Kaliber; Aster 1812 Angriff I 281 die Futtermauern einzustürzen und Bresche zu legen, welche Art Minen auch Bresch-Minen genannt werden; Hoyer 1815 Kriegsbaukunst l 175 Bresche (la breche) oder Sturmlücke, wird in den Wall der Festungen geschossen, um sie durch diese Öffnung stürmen zu können; Aster 1819 Festungskr. 327 Während dem Brescheschießen fertigen die Sappirer die Abfahrt.. in den Graben; Eikkemeyer 1821 Kriegsbaukunst 32 Sturmlücke, Bresche (Breche); Immermann 1839 W. U 169 der Schloßherr erstaunte .. über die Bresche, welche in den Umschließungen der Burg entstanden war (TRÜBNER); 1861 Allg. Mil.-Enc. II 11 Das Brescheschießen aus der Ferne hat selten guten Erfolg;

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es . . giebt Breschen, die nicht gangbar sind, weil die Mauer zu hoch gefaßt werden muß, mithin keine gleichmäßig aufsteigende Stange von der Grabensohle auf den Wall entsteht; Wagner 1870 Fortifikation 21 Verteidigung des Breschedefilees durch den offensiven Gegenstoß mobiler Reserven; Moltke 1887 Ges. Sehr. Ill 133 1000 Granatwürfe legten sie [die Mauer] in Bresche; Flex 1916 Ges. W. I 114 Im Nu hatten die hart zupackenden Fäuste unsrer Leute eine Bresche gelegt (beide TRÜBNER); Grass 1962 Blechtrommel 180 Die Polnische Post, ein massiver Ziegelbau, durfte getrost eine Anzahl dieser Einschläge hinnehmen, ohne befürchten zu müssen, daß es den Leuten der Heimwehr gelänge, kurzes Spiel zu machen, schnell eine Bresche zu schlagen, breit genug für einen frontalen, oft exerzierten Sturmangriff; Kienlechner 1970 Panoramen o. S. In den fünfundzwanzig Jahren, seitdem die italienischen Bersaglieri durch die Mauerbresche an der Porta Pia in Rom eingedrungen waren, hat die Stadt viele Veränderungen und viele Enttäuschungen erlebt; Zeit 13. 9. 1985 Selbst wenn keine der erwähnten Gegenwehraktionen für sich allein ausreichte, würden sie in Kombination doch bewirken, daß genügend Raketen und Sprengköpfe die Abwehrgürtel durchdringen und so den Nutzen eines Verteidigungsschirms in Frage stellen. Die Sowjetunion kann also Breschen in die Verteidigung schlagen und mit Angriffsraketen nachstoßen. (ein-)breschen: Hartmann 1885 Erlebtes 99 Während die Belagerungs-Artillerie die Bastione 11 und 12 .. mit dem indirekten Schusse einbreschte. breschieren: Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 476 Die direkten Breschbatterien kommen ebenfalls in die Glaciskrönung zu liegen, wenn es nämlich möglich ist, die zu breschirende Mauer so tief zu fassen, als es zur Erlangung einer brauchbaren Bresche nothwendig ist; Wagner 1870 Fortifikation 17 gegen direktes Breschiren aus dem Couronnement; ebd. 153 Der Angriff auf sturmfreie retirirte Befestigungsanlagen hinter den breschirten Werken; Bscherer 1886 Tabellarische Zusammenstellung der Leistungen unserer Geschütze beim Breschiren und Demoliren (Titel). Bresche Ib: Tb. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 504) das halb abgeerntete Land, das da und dort, wo die Sichel stopplige Breschen in sein sonnengelbes Ährengedränge geschlagen, mit aneinandergelehnten Garben besetzt und ringsum von niedrigen Schottermauern eingesäumt war; Schugt 1971 Seeland o. S. Hierbei wurde die Landverbindung zwischen England und dem Festland unterbrochen, womit sich das Gezeitensystem der südlichen

Nordsee änderte. In die natürlichen Deiche des Küstensaums würden erhebliche Breschen geschlagen; MM 1.11.1985 Vielleicht aber genügt der nächste Herbststurm, um eine neue Bresche in die einst legendär dichten Wälder des Erzgebirges zu schlagen. Bresche!: Fassmann 1719 Kriegs- u. Soldatenstand 14 gute Gelegenheit an die Hand gegeben, eine Breche in die grosse Alliantz zu machen; Logau 1725 Poet. Zeitvertreib 262 Der Überwinder doch itzt das Vergnügen findet, Daß er den Liebessturm auf holde Brechen stellt (TRÜBNER); Schummel 1779 Spitzbart 101 Die Recensenten standen schon alle auf ihren Posten, ein Theil Victoria zu schiessen und ein Theil Bresche; Riesbeck 1783 Br. I 514 Sie sind für die Liebe ä la Grenadiere, achten weder Thränen noch Seufzer . . noch irgend etwas von der feinen Befestigungskunst, sondern lieben das Sturmlaufen und das Brescheschiessen; Bürger 1786 Münchhausen 54 Gelang es mir auch einmal, bei meinem Vater eine kleine Bresche zu machen, so taten Mama und Tante desto heftigem Widerstand, und in wenigen Augenblicken war alles, was ich durch die überlegtesten Angriffe gewonnen hatte, wieder verloren; Bretzner 1787 Leben II 200 Noch war er dabey einschmeichelnd und .. besaß jene unwiderstehliche Dreistigkeit, die . . bey den Attaquen der Liebe selten ihren Zweck verfehlte und gemeiniglich Bresche macht; Goethe 1787 Br. (WA IV 8,152) Sobald ich nur eine rechte Bresche in die Römische Geschichte gearbeitet habe; ders. um 1815 )ub.-Ausg. IV 17 Eine Bresche ist jeder Tag/ Die viele Menschen erstürmen (TRÜBNER); Marx/Engels 1842 MEW / 253 Sie taugen nur dazu, die Bresche mit Gedankenleichen zu füllen; Bardua 1847 (Werner 321) Und doch überschleicht mich oft die Sehnsucht nach Berlin; ich fürchte auch, es gibt sonst am Ende gar zu große Breschen in unsere dortigen Beziehungen; Bauer 1871 Bühnenleben 177 Ich werde Freund Heun benachrichtigen, daß Ihr hundefreundliches Herz bereits eine praktikable Bresche geschossen habe (beide TRÜBNER); Polenz 1899 Wald 141 daß er den feigen Versuch gemacht hatte, eine Frau für sich in die Bresche springen zu lassen; Edel 1917 Glashaus 62 Jetzt wollte er einmal versuchen, eine Bresche in die chinesische Mauer der schon bestehenden Filmkitschtradition zu schlagen; Briesen 1918 Meerfahrt 274 Kemmerich, kameradschaftlich wie immer, warf sich in die Bresche; Kastan 1924 Lust. Panoptikum 66 Der wackere Vater wollte vor allem den guten Ruf seines Namens erhalten und trat in die Bresche; Dörrer 1938 Dtsch. Lit.-Ztg. 1167 Er schlug in die einseitige Sammeltätigkeit eine Bresche (alle vier TRÜBNER); Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 167) weil solche Auf-

Brevier klärung eine kleine Bresche in die sphärische Geschlossenheit meiner Romanwelt schlägt; ND 18. 3. 1949 Dank der Hilfe der Sowjetarmee wurde nach dem zweiten Weltkrieg mit der Bildung der Volksdemokratien eine weitere Bresche in das kapitalistische System geschlagen; Haffner 1965 Todsünden 115 in die Bresche zu springen; Zeit 1. 2. 1985 Eine wahre „Flutwelle von Personalcomputern rast über das Erziehungswesen hinweg". Die erste Bresche in eine Schulmauer schlug Atari beim Stevens Institute of Technology; ebd. 4. 10. 1985 Wie sonst könnte man sich erklären, daß Präsident Botha plötzlich Zusagen hinsichtlich Bürgerrechten und Paßgesetzen macht, was beides er bisher strikt abgelehnt hat und was eine empfindliche Bresche in das System der Apartheid schlägt?; MM 18. 9. 1986 Natürlich hat sich dagegen [Warnung vor Atomenergie] sofort der starke Mann Strauß in die Bresche geworfen . . mit dem Argument, daß diese Frage nicht in die Kompetenz

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eines Seelenhirten gehöre; Zeit 5. 12. 1986 Der Kanzler aber . . könnte Strauß gar nicht mehr in die Parade fahren: er hat ja mit seinen vielen historisierenden Torheiten die Bresche in den Damm geschlagen, durch die nun das Brackwasser von rechts in den Hauptstrom unseres politischen Denkens strudelt; MM 9. 2. 1987 Der Tenor Thomas Dewald mußte kurzfristig absagen; sein einstiger Hochschullehrer sprang in die Bresche; Zeit 20. 2. 1987 Merkwürdig ist schon, daß sich der Bundespräsident für die Volkszählung in die Bresche schlägt; ebd. 15. 5. 1987 Kohl . . hat keinen Versuch unternommen, sich wirklich für den umstrittenen, auch ratlosen Biedenkopf in die Bresche zu werfen; MM 13. 8. 1987 Solange sich kein sogenannter Bildschirmträger . . bereit erklärt, in die Bresche zu springen, laufen die Kurse der AGB unter Regie des Konkursverwalters weiter; 1990 Der Aufbruch II 2 Für diesen Mann sind sofort scheinbar wildfremde Menschen bereit, in die Bresche zu springen und sich vor ihn zu stellen. IN

Brevier N. (-s; -e), im frühen 15. Jh. entlehnt aus gleichbed. kirchenlat. breviarium (< lat. breviarium 'kurzes Verzeichnis, kurzer Auszug aus größeren Werken', Subst. zu breviarius 'kurz gefaßt', zu brevis 'kurz'; vgl. Brief, —* Abbreviatur; vgl. zum gleichen Etymon gehöriges Breve 'kurz und einfach gefaßter päpstlicher Erlaß', Brevet 'Gnadenbrief des französischen Königs; Schutz-, Ernennungsurkunde'). In der Bed. 'aus verschiedenen Kirchenbüchern zusammengestellte Auszüge von Gebeten, Sammlung der Stundengebete, Gebet-, Andachtsbuch' im Bereich der katholischen Kirche verwendet (s. Belege 1437-38, 1522, 1816, 1927, 1963), daneben auch im Sinn von '(Stunden-)Gebet' (s. Belege 1752, 1772, 1881); seit spätem 18. Jh. wie —»· Bibel auch übertragen gebraucht für 'Grundschrift, Standardwerk' (s. Belege 1785, 1786, 1845 ff., 1855). Seit Mitte 19. Jh. zunehmend in der heute dominierenden Bed. 'Sammlung wichtiger Stellen aus dichterischen Werken', z. B. Goethebrevier, auch 'Druckschrift mit nach Themen oder Sachbereichen zusammengestellten, kurzgefaßten praktischen Informationen, Leitfaden, Ratgeber' (s. Belege 1841, 1901, 1949, 1957, 1970, 1987), bes. als Buchtitel und als Grundwort in Zss. wie Jagd-, Blumenbrevier und häufig in der festen Verbindung kleines Brevier; daneben das Mitte 16. Jh. aus gleichbed. lat. breviarium (s. o.) übernommene veraltete Subst. Breviarium N. (-s; Breviarien), auch in der lat. (flekt.) Form, in der Bed. 'Sammlung der Stundengebete, Gebet-, Andachtsbuch' (gleichbed. mit Brevier, s. o.; s. Belege 1563, 1766, 1868, 1884), auch allgemeiner 'kurze Übersicht, Auszug aus einem größeren Werk, Verzeichnis', bes. statistischer oder juristischer Sammlungen, vgl. das lat. Syntagma Breviarium Augusti (s. Belege 1741, 1784-88, 1812). Brevier: 1429 Vocab. 4a viaticus breuier; 1437—38 Zinsb. dtsch. Kitterorden 66 205 Item von kirchengerethe. .. item 4 czinnen luchter, item 2 antipendia und l schelle, item keyn brefir; 3486 Franziskan. Schrifttum l 118 Dy gelerten sullen das gotlich ampt volbringen nach Ordnung der heiligen romischen kirchen, ausgenamen den psalter, seind

das sy mugen haben brefier; Pauli 1522 Schimpf 178 der barfüsser Spacierweg und der Prediger Brevier; Fischart 1575 Garg. 397 Ich muß mich zu meim beitzluder fügen. . . Mein brevierbüchlin; Abr. a S. Clara 1686 Judas I 409 f. (Wunderkur 43) Er hat mehrmahlen wahrgenommen/ daß der Bischoff/ .. / pflegte sein Officium/ oder Brevir zu

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betten .. er wüste gar wol/ daß alle Priester/ so offt sie das Brevir zu betten anfangen/ allezeit das heilige Creutz machen; Edelmann 1752 Selbstbiogr. 75 so pflegte er gemeiniglich sein Brevier (das ist, seine von dem Papst ihm vorgeschriebene, und bey Strafe einer Tod-Sünde nicht zu verabsäumende Gebeths-Formel) auf meinem Zimmer zu bethen; Muratori 1772 Von d. guten Geschmacke (Übers.) 90 die priesterlichen Tagzeiten oder Brevier; Kollonetz 1785 Verf. 30 Fluchen und Schimpfen ist wie den Fuhrmännern, also auch den Soldaten ihr . . Brevier; 1786 Journal d. Moden I 249 Ich finde . . dass unsere Weiber ein gewisses natürliches Etwas,.. von ihren Nachbarinnen angenommen und dem Brevier ihrer Toilette einverleibt haben; Goethe 1816 Italien. Reise (WA I 30,150) ich lese es [Vitruvs Buch] wie ein Brevier, mehr aus Andacht als zur Belehrung; Laube 1841 Jagd-Brevier (Titel); 1845 ff. Monatsbl. U 589 Den Kommentar Macchiavell's zu Livius' Dekaden nannte er das Brevier aller Staatsmänner (SANDERS 1871); Kossak 1855 Stereoskopen 264 [Paris ist mit seinem Glanz und Elend] das Brevier der modernen Welt; Schefer 1856 Laien-Brevier (Titel); Hornberger 1881 Essays 369 Morgen- und Abendbrevier; 1901 Stimmen d. Zeit LXI407 Eine solche Reform der Chorbücher im Anschlüsse an das römische Missiale und Brevier wird durchschnittlich strenge gefordert; Rilke 1896 Gedichte (S. W. Ill 526) Selbst das Brevier schmückt reicher Randzierat,/ Herwegen schuf ihn mit dem Meisterpinsel; Schwitz 1901 Brevier für Weltleute über Gesellschaft, Mode, Frauen, Reisen, Lebenskunst, Kunst und Philosophie (Titel); Hammerstein 1916 Februar 21 „Und ich muß auch ans Brevier", entgegnete Pater Eckert; Mehring 1927 Paris 137 ein Mönch, der abwechselnd im Brevier las und schnapste; Welt 21. 12. 1949 Das jetzt erschienene Kaufmanns Brevier . . gibt eine andere Antwort; FAZ 2. 6. 1951 Wieweit diese Technik entwickelt ist, kann man in dem gleichzeitig mit den Erinnerungen erschienen „Brevier für Könige" lesen; Süddtsch. Ztg. 27. 7. 1957 Brevier für Herrenwäsche; ebd. 17.8.1957 Kleines Brevier über Wechselkurse; Böll 1963 Clown 284 Ein Künstler hat den Tod immer bei sich, wie ein guter Priester sein Brevier; Pervers 1970 Besser Leben — mehr erreichen! Ein Erfolgsbrevier (Titel); Zeit 1. 2. 1985 Breviers sind gefunden worden, in denen Repräsentanten

der Republik als potentielle Opfer einer „Hinrichtung" geführt werden; ebd. 2.5.1986 Elisabeth Mankes Blumenbrevier ist ein praktisches solides Nachschlagwerk, in dem Pflanzenfreunde eine Vielzahl nützlicher Tips finden; ebd. 9. 5. 1986 die stoische Abgeklärtheit eines sich beim Brevierlesen nicht stören lassenden Pater Guardian; ebd. 10. 4. 1987 Andre Breton wird, als er Leonora Carringtons Erzählung in sein „Brevier des Schwarzen Humors" aufnimmt, ihre bis zum Äußersten gespannte Neugier preisen. Breviarium: Sleidan 1544 Reden 117 das er frömer, auch der reformation begirig sei, wirdt man etlicher mass vermercken aus seinem newen Breviario; Primus Trüber 1563 Br. 376 erliche pfaffen können kaum ihr breviarium lesen; Fischart 1575 Garg. 397 diß klein Breuiarium; Rost 1681 Tagebuch 52 Hat anfenglich eine halbe Stunt lang in Breviario gepeth; Lindenborn 1741 Diogenes 502 Bald leimet er das Breviarium und den Wucher-Register mit Chryfocolla; Estor 1762 Neue kl. Sehr. VI 727 Die gebethe waren für die mit geschäften beladene geistlichen in Rom zu lange. Man brachte sie ins kurze. Daher das breviarium, brevier rühret; Winkkelmann 1766 Br. Ill 168 Der Abt ist nichts als ein unbedeutender Titel welcher zu keinem Breviario verpflichtet; Nicolai 1773 Nothanker l 113 Sie finden in ihren Verzeichnissen schöne Folianten über das Jus canonicum,. . Gebetbücher und Breviarien in Menge; Beckmann 1784—88 Erfindungen 450 er habe solches im Jahre 606 hinter einem Breviarium von der Ungarischen Königinn . . eigenhändig geschrieben gefunden; Niebuhr 1812 Rom. Gesch. // 544 Der Titel des theodosianischen Codex . . findet sich in den Ausgaben vollständig, obwohl das Breviarium nur die 1.2. enthält; Gutzkow 1851 Ritter Vlll 282 allein wer konnte hindern, dass er ein altes Breviarium fand mit schönen Miniaturen; Villers 1868 Br. e. unbekannten l 42 Mich reut, daß ich in Wien war; der eine Tag hat mir mit seinen Eindrücken die schöne Stille und Gemütsruhe gestört . . Es ist, als wenn man einen Breviarien malenden Mönch auf einen Jahrmarkt bringen würde; C. F. Meyer 1884 S. W. Ill 220 im Angesichte Gottes wandeln, und seine Mutter nicht brünstiger anzubeten als das Breviarium vorschreibt; Newald 1926 Probleme 82 Das Breviarium . . zeigt Miniaturen und Initialen. HK

Brigade F. (-; -n), Anfang 17. Jh. über gleichbed. frz. brigade entlehnt aus ital. brigata 'Schar, (Söldner-)Truppe' (zu briga 'Streit, Mühsal, Erregung', vgl. auch engl. brigade), anfangs selten in der Form Brigate. a Zunächst als Terminus der Militärsprache in der Bed. 'größere militärische Einheit, selbständige größere Truppenabteilung aus Verbänden verschiedener Waffen-

Brigade

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gattungen', häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Artillerie-, Flak-, Infanterie-, Panzerbrigade und Brigadeadjutant, -kommandant, -arzt 'Sanitätsoffizier beim Brigadestab', -general 'unterster Dienstgrad in der Rangordnung der Generale, Soldat im Rang eines Brigadegenerals', gelegentlich in Wendungen wie eine Brigade formieren, einsetzen. b Seit frühem 20. Jh. selten, nach 1945 verstärkt aus russ. brigada (< frz. brigade, s. o.) vor allem in Ostdeutschland übernommen in der Bed. 'aus mehreren Arbeitern eines Betriebes bestehende kleinste Arbeitsgruppe', auch übertragen auf andere Gruppen (s. Beleg 1989; —* Kollektiv), häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Ernte-, Produktions-, Verkaufs-, Jugend-, Schülerbrigade; Brigadeleiter, -Versorgungspunkt 'Raum, in dem die Versorgungsgüter für die Brigade bereitgestellt sind', -plan, -Stützpunkt, -abend 'gesellige Abendveranstaltung einer Brigade', -feier, -tagebuch 'das von einem Arbeitskollektiv chronikartig geführte Buch über das gemeinsame Arbeitsleben', häufig in Syntagmen wie eine sozialistische Brigade, Brigade der besten Qualität, der sozialistischen Arbeit. Dazu seit spätem 17. Jh. die (aus gleichbed. frz. brigadier mit frz. Aussprache übernommene) Personenbezeichnung Brigadier M. (-s; -s) in der Bed. 'Befehlshaber, Führer einer Brigade, kommandierender General' (zu a), seit Mitte 20. Jh. auch mit Pl. -e, selten auch -s und mit russ. oder frz. Aussprache, auch moviert Brigadierin F. (-; -nen), vor allem in der DDR in der Bed. 'Leiter/in einer (Arbeits-)Brigade', häufig als Grundwort in Zss. wie Feld(bau)brigadier, Jugend-, Stallbrigadier (zu b). In neuerer Zeit gelegentlich die Personenbezeichnung Brigadist M. (-en; -en) 'Angehöriger, Mitglied einer Brigade' (zu a und b). Brigade a: 1613 Billon's Kriegskunst 250 Brigaden oder Heüffen dieser Compagney (JONES); Wallhausen 1616 Kriegsmanual 166 Acht Capitänen/ deren jeder zwo Compagnien vnder sich hatte/ welche sie eine Brigaden hiessen; 1633 (Frauenholz 1935 Heerwesen III 1,31) newe Art der Schlachtordnungen, Glieder, Brigaten und Compagnyen; Brehme 1637 Gedichte p4r Brichaden; 1638 Wittenweyer 3r alle . . Brigaden; Rist 1640 Spiegel o4r ob zwar das Wort Brigade vor weinig Jhhren [!] bey vns Teutschen schier in keinem Gebrauch gewesen/ so ist es doch bey den jtzigen Krieges-Wesen/ vnd sonderlich nach jhrer Königl: Mayestät auß Schweden Ankunfft in Teusch-Land bey den Krieges-Leuten sehr gemein worden; Zeiller 1651 Episteln VI 73 Brigade, eine Gesellschafft/ oder Hauff Volcks/ so da bestehet von etlichen Regimentern/ ist mehr Jtalianisch als Frantzösisch (alle vier JONES); Grimmeishausen 1670 Courasche 64 daß er sich von einem Weibsbild vor der Brigaden hinweg fangen lassen/ und dardurch den Trouppen eine Unordnung und gäntzliche Zertrennung verursacht; Cranach 1672 Deliciae 5 eine leichtere Arth Regiment- oder Brigat Canon; Tilemann 1691 Werbung 18 Ein Brigadier commandiret zwey Regimenter/ so eine Brigade machen; Stieler 1695 Zeitungs Lust 183 Brigade, ist mehr als ein Regiment Fußvölker 2 zu 2 bis 3000 Mann deren Haubt

ein Brigadier genennet wird; 1704 Auserles, Anm. l 411 er [commandirte] eine Brigade von ungefehr 6000. Mann; Wagner 1724 Soldatenbibl. 289 Die Brigaden der Infanterie bestehen aus 4/ 5/ biß 6. Bataillonen/ die Brigaden der Cavallerie und Dragoner aus 5. 6. ja wohl biß auf 8. oder 10. Escadrons; Fleming 1726 Soldat 114 Eine Brigade wird bey der Militz genennt, wenn 2.3. oder mehr Regimenter unter eines Commando allein zusammen gethan werden, da denn derjenige, der solche commandiret, Brigadier geheissen wird. Man kann dergleichen Brigaden zu Pferde und zu Fuß machen; 1743 Reglement Preuss. Cavall. 84 Die GeneralLieutenants und General-Majors marchiren vor ihren Brigaden; Schönaich 1754 Ästhetik 75 Und ich ging, ohne zu säumen, mit meiner Brigade vor Zipor; Goethe 1790 Br. (WA IV 9,218) Die Brigade des Herzogs liegt auf Dörfern ohnweit Breslau; Seume 1793-1811 Kl. Sehr. (W. II 180) Madalinsky machte den Anfang zum Aufbruch, indem er sich mit seiner Brigade aus der Gegend von Ostrolenko weg zog; Blücher 1809 Br. 98 daß während meiner Abwesenheit das hiesige Gouvernement durch den Generalmajor und Brigadegeneral v. Bülow gehörig wahrgenommen würde; Aster 1819 Festungskr. 24 zwei, für diesen Zweck ernannte Brigade-Majore . . besorgen demnach sämmtliche Verfügungen, Bestellungen, den Brief-

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Brigade

Wechsel, die Weisungen, Verpflegungs-Anstalten; La Roche 1840 Taktik II 101 die Aufstellung großer Infanterie-Massen in der sogenannten BrigadeAufstellung; 1861 Allg. Mil.-Enc. Ill 50 Brigade ist die Bezeichnung von 2, auch 3 zu gemeinschaftlichen Operationen mit einander verbundenen Regimentern; Hartmann 1866 Erlebnisse 57 in Begleitung eines Brigadeadjutanten unserer Infanterie; Braun 1881 Bilder II 39 Um den Bundestag gruppirt sich die „Bundesarmee". In derselben fehlen . .: Oesterreich (mit Ausnahme einer Brigade); Jähns 1885 Heeresverf. 236 nach Art der Brigatas italienischer Condottieri; Horix 1895 Erl. 11 Der Adjutant .. meldete sich . . zur Entgegennahme etwaiger Befehle, zu welchem Behuf er an den „Brigadeadjutanten" gewiesen wurde; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 256) es kam mir doch gleich so vor, als ob Sie ein besserer Patient sein würden, mit mehr Talent zum Kranksein als der Brigadegeneral da; Offenburger Tagebl. 16. 2. 1967 Ziel der linksgerichteten Bewegung ist es, nach dem Beispiel des spanischen Bürgerkrieges „Internationale Brigaden" zu bilden; Zeit 28. 6. 1985 die 6. libanesische Brigade, eine schiitische Einheit, die mal Teil der Armee, mal Teil der Miliz ist; ebd. 19. 9. 1986 zwar ist es sehr unwahrscheinlich, daß der Verteidigungsminister den Koblenzer Brigadegeneral fallen läßt; Stern 20. 8. 1987 die geplanten gemeinsamen Brigaden könnten eines Tages mit Neutronenbomben gerüstet werden. Brigadier: 1684 (1923 Mod. Lang. Notes XXXVIII 402) imgleichen den berühmten Brigadier, la Vallet, und Marquis de Mayrod; Happel 1690 Academ. Roman 30 Wo ist der Brigadier [der Diebesbande]?; Tilemann 1691 Werbung 18 Ein Brigadier commandiret zwey Regimenter/ so eine Brigade machen; Stieler 1695 Zeitungs Lust 183 Brigade, ist mehr als ein Regiment Fußvölker 2 zu 2 bis 3000 Mann deren Haubt ein Brigadier genennet wird, welches Amt das mitlere zwischen einen Obristen und General ist; 1697 (Frauenholz 1935 Heerwesen IV 44) Eine Brigade wird genennet, wann 2,3,4,5 bis 6 Regimenter, wann die Regimenter klein und die Brigaden starck seyn sollen, unter eines Commando zusammen gestoßen werden, und wird derjenige, welcher solche commandiret, Brigadier genennet; Elis. Chart. 1715 Br. II 678 Ich mögte gern wißen, ob es war ist . . daß der brigadierer Kenemur den general Carpenter geschlagen; Wagner 1724 Soldatenbibl. 289 darnach ist das Wort einen Trup oder Hauffen Soldaten beygelegt/ so unter einen Chef stehen/ der daher Brigadier genennet wird; Fleming 1726 Soldat 114 Eine Brigade wird bey der Militz genennt, wenn 2.3. oder mehr Regimenter unter eines Commando allein zusammen gethan werden, da denn derjenige, der

solche commandiret, Brigadier geheissen wird; Humbert 1745 Vaubans Angriff II 42 Alle diese Trouppen sind in Brigaden eingetheilet, deren jede einen zum Befehlshaber hat, so man Brigadier nennet; Schönaich 1754 Ästhetik 87 Setze an Statt .. Feldherrn, Brigadier; Seume 1793-1811 Kl. Sehr. (W. II190) Der General schickte verschiedene Offiziere als Kuriere zu dem damaligen Brigadier Mokronowsky, der an der Spitze der Revolutionäre stand; Berenhorst 1798 Kriegskunst 150 Anm. der Kommandör des Regiments, bey keinem Batallione eingetheilt, machte den Unterbrigadier; Normann um 1850 Erinn. 13 In der Nähe von Pirna angekommen, sah ich vor einem Dorfe den Brigadier Wilharm stehen; 1861 Allg. Mil.-Enc. Ill 50 Brigadier, Commandeur einer Brigade; Fontäne 1871 Kriegsgef. 133 ein direktes Angewiesensein auf einen Begleiter, der nach Sprache, Haltung, Benehmen eher ein „Brigadier" in unserem, als in französischem Sinne war; Zeit 15. 2.1985 er hätte sein mit Händen zu greifendes Recht bekommen, zu Lasten eines Brigadiers, der vermutlich schon von seinem vorletzten Dienstgrad überfordert war; MM 5. 5. 1989 Da schickt Jan Willem van de Wetering seinen Brigadier de Gier auf Verbrecherjagd. Brigadist: Stuttgarter Ztg. 30. 5.1960 Chruschtschow sprach vor einer Versammlung kommunistischer Stoßbrigaden, von denen er als „hervorragendster Stoßbrigadist der kommunistischen Arbeit" begrüßt worden war. Brigade b: Sternheim 1918 Chronik I 12 [der] die Bedienung und die Küchenbrigade durch anfeuernde Reden zur höchsten Leistung für ihn angespornt hatte; Berl. Illustr. Nachtausg. 22.2. 1933 Sie [die Qualität] ist im Begriff, in der Union zu einem ähnlichen Schlagwort zu werden wie „Stoßbrigade" oder „Dneprostroj"; Münch. Abendztg. 5. 12. 1936 Schnell soll das alles auch noch gehen und deshalb muß die „Brigade" — so heißt die sieben Mann starke Besatzung des Speisewagens — buchstäblich Hand in Hand arbeiten; ND 1. 12. 1949 die Besichtigungs- und Prüfungsergebnisse wurden in allen Arbeitsbrigaden besprochen; Süddtsch. Ztg. 29. 3. 1949 Ein „Brigade-Lokomotivführer" (die „Brigade" ist eine deutsche Eisenbahnformation in der Ostzone, die russische Güter bis zum Spurwechsel in Brest Litowsk transportiert) berichtet mir; N. Z. Z. 10.9.1951 daß auch die Außenhandelsgesellschaften an Angestellten eingebüßt hätten, weil diese für langfristige oder dauernde „Brigadearbeit" abgeordnet wurden; Süddtsch. Ztg. 6. 3. 1959 Ein Beispiel dafür, wie Frauen und Kinder von Arbeiterbrigaden in der DDR in die Kollektiverziehung einbezogen werden; ND 24.11. 1959 die sozialistischen Arbeite-

Brigant Brigaden und Arbeitsgemeinschaften sind jene sozialistischen Kollektive, in denen sich die Werktätigen bei der gemeinsamen Arbeit und beim gemeinsamen Überwinden von Schwierigkeiten gegenseitig beeinflussen und erziehen; Wolf 1963 Himmel 80 Gespannt sah sie in die .. Gesichter ihrer Brigade (DUDEN 1993); Süddtsch. Ztg. 6. 9. 1965 Elf Mann gehören der „Brigade" der deutschen Schlafwagengesellschaft an; Offenburger Tagebl. 27. 6. 1967 Jugend-Brigaden für Nahost (Überschr.); N D 11.9.1974 sozialistische Brigaden bekunden die enge Verbundenheit mit ihren kämpfenden Klassengenossen in Chile; Zeit 21.3.1986 fast ausnahmslos Abschreckungsbilder — von der Hungersnot im Gefolge der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft über die stalinistischen Schauprozesse Mitte der dreißiger Jahre bis hin zu den Arbeitsbrigaden, die zu nationalen Großprojekten getrieben werden; Rhein. Merkur 20. 10. 1989 mit dem Wohlwollen Walter Ulbrichts im Rücken scharte Honecker eine Brigade um sich, die er als seine Schildknappen später in Schlüsselpositionen in Partei- und Staatsapparat der DDR plazierte; Wochenpost 2. 2. 1990 in jeder Baracke schlief eine Arbeitsbrigade, das waren etwa 60 Menschen; Spiegel 12. 6. 1995 Eingeteilt in Brigaden, standen sie unter dem Kommando des LPG-Vorsitzenden. Brigadier/in: Noll 1953 Perlon 60 Die einzige Möglichkeit zur Zeit war, Brigadierin zu werden, aber es konnte nun eben nur jede fünfzigste der vielen hundert Frauen Brigadierin sein; ND 26. 3. 1954

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„daß ich den Weg zut Partei der Arbeiterklasse gefunden habe, verdanke ich dem Genossen Scheuner, unserem Brigadier", erklärte Gustav Ötjens; ebd. 9. 1. 1959 die Arbeitsgruppen Schmieröle und Mitteldrucksynthese sind bereits dazu übergegangen, den Bau neuer Versuchsanlagen mit Meistern, Brigadiers und Bestarbeitern eingehend zu beraten; ebd. 10. 12. 1959 er qualifizierte sich zum Hauer, dank seiner guten Leistungen ernannte man ihn zum Brigadier; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 18 die Kameraden beklopfen, befühlen und behorchen den verunglückten Brigadier; Wolf 1963 Himmel 26 Brigadiere sind meine natürlichen Feinde (DUDEN 1993); Strittmatter 1969 Dienstag 119 Sie ist nicht nur Witwe, auch Brigadierin bei den Waldfrauen, sogar Aktivistin; MM 25. 11. 1989 In dem Film „Spur der Steine" spielte er [Manfred Krug] den Brigadier; Wochenpost 8. 12. 1989 dieser fabelhaft ungestüme Zimmermannsbrigadier und Westernheld Balla; Spiegel 7. 2. 1994 Übte er etwa Nachsicht mit einem LPG-Brigadier, der betrunken Auto fuhr, ließ er sie sich mit einem Sack Weizen für die Hühner entgelten. Brigadist: Zeit 16. 5. 1986 in den Reihen der inhaftierten Brigadisten fängt die Front der Betonharten zu bröckeln an; Spiegel 5. 9. 1994 Den Brigadisten [der Sowjetarmee] fällt der Abschied schwer; Zeit 8. 12. 1995 Wortlos und schnell verteilen sich die Brigadisten und zeigen, was sie gelernt haben. Mit ihrem Mannschaftswagen blockieren sie eine enge Kurve. OV

Brigant M. (-en; -en), Anfang 15. Jh. entlehnt aus ital. brigante 'unruhiger, gefährlicher Mensch, Gauner, Schurke, Räuber' (zu brigare 'kämpfen', zu briga 'Unruhe, Unlust, Machenschaft, Streit'; —» Brigade), anfangs auch in den Formen Pregant, Brigand. Zunächst meist plur. in der Bed. 'Fußsoldat, Söldner', dann seit Ende 18. Jh. als Bezeichnung für Aufständische, Unruhestifter und bes. Straßenräuber (—» Bandit). Dazu im 18./19. Jh. vereinzelt Brigandage F. (< gleichbed. frz. brigandage), seit späterem 19. Jh. Brigantaggio N. und M. (< gleichbed. ital. brigantaggio) und vor allem die gleichbed. subst. Ableitung Brigantentum N. (-s; ohne Pl.) 'Räuberhandwerk, Räuberunwesen, Straßenräuberei; Lebensweise der Briganten'. Seit späterem 15. Jh. aus ital. brigantino 'Kampf-, Raubschiff' (zu brigante, s. o.) entlehntes Brigantine F. (-; -n) sowie seit Ende 18. Jh. gleichbed. Brigg F. (-; -s) (aus engl. brig, Verkürzung von brigantine < ital. brigantino; vgl. auch niederl. brik, dän., norweg. brig, schwed. brigg, frz. brick, ital. brick), in der Bed. 'Segelschiff mit zwei Masten'. Brigant: Wittenweiler um 1400 Ring 215 Der ändern warent ane zal/ Zu päyden taylen körnen dar/ Von sakman und preganten schar,/ Von schürzen und schiltknehten; Windecke um 1440 Denkwür-

digkeiten 382 do slugen die preganten und die fuszknecht alles das, das do platten hette; Zink 1468 Augsb. Chronik 272 kamen 40 preganten von Fridberg; Matthisson 1792 Frankreich ( 328) der

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Brigant

Sohn, welcher Jourdans blutigen Fahnen, raubend, sengend und mordend als Lieutenant nachzog, wüthender Brigand; Hussell 1813 Leipzig 16 Um sich für die vielen Drangsale, die ihnen diese unaufhörlich [Kosaken] anthaten, zu rächen, wurden sie mit dem schimpflichen Namen Brigands belegt; Waiblinger um 1830 Umgebung (VIII 193) die italiänischen Brigand's; Gaudy vor 1836 S. W. XIX 122 ich verwünschte nur leise Don Miguel et Compagnie, die einen ehrlichen Berliner Autor der Gefahr exponiren, daß der erste beste Brigant ihm die Kehle abschneide; La Röche 1840 Taktik II 8 Außer diesem Fußvolke existirte in Frankreich unter dem Namen der Brigands und in der Folge der Avantüriers eine Art Freiparthie, die von Einzelnen ohne Ermächtigung des Königs gehalten wurde und sich durch Raub ernährte; Stolz 1848 Wanderbüchlein (VI 633) zudem sei es ungewiß, ob man nur gehen könne, weil die „Briganten" beim letzten Aufstand Brücken abgebrochen hätten; 1861 Allg. Mil.-Enc. III 50 Brigands . . Die gefährlichen Truppen, die, wie noch jetzt in der Türkei, hauptsächlich in Frankreich gebräuchlich waren, verloren sich im 16. Jahrhunderte; 1866 Grenzboten II 261 man litt beim Bau der Eisenbahnen und andrer öffentlicher Werke keinen Mangel an fleißigen Händen. Wo die Masse aber Beschäftigung fand, da ließ auch das Brigantenwesen nach; Bruges 1873 Reiseskizzen 157 die Art der südeuropäischen Briganten, die Menschen selbst zu rauben; Hillebrand 1876 England 254 Kaum vermochte er [der Engländer] sich den Franzosen anders als in verschabtem oder grell buntem Kleide vorzustellen .. während der Italiener in seinen Augen ausschließlich den Beruf eines Tenors, Ballettänzers, Briganten . . haben konnte; Nürnberger 1877 Herzenssachen 173 Solche Zustände, wie sie noch heute das sicilianische Briganten-, neugriechische Klepten- und ungarische Betyärenwesen möglich machen; Hillebrand 1885 Culturgesch. 305 Der Brigant, der auf dem Punkt steht, einen Mord zu begehen, ruft die Jungfrau an, und das junge Mädchen oder die ungetreue Gattin . . giebt ihrem Liebhaber ein Rendezvous; Hammerstein 1916 Februar 240 all diese Tugendschlösser vor jedem Türlein müssen einen ja zum Briganten machen, wenn man nur ein warmes Herz hat; Friedeil 1928 Kulturgesch. II 502 die stilisierte italienische Campagna, belebt durch „malerische" Opernbriganten und einen in der Mitte grasenden Esel; Winnig 1930 Proletariat 54 in Frankreich die in der Revolution historisch gewordene Erscheinung der Brigants; Hobsbawm 1962 Sozialrebellen 42 In Kalabrien und Sardinien begann die große Zeit der Briganten im letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts, als auch hier die moderne Wirtschaft mit Agrardepression und Auswanderung in ihrem Gefolge vorstieß; Offenburger

Tagebl. 3. 1. 1964 „Briganten" neckt man die Karlsruher gewissermaßen offiziell, und dieser Spitznamen steht in Beziehung zu den Umständen der Stadtgründung; Kant 1986 Bronzezeit 72 Manchmal summe ich das Lied vom roten Adler, und ich füge ihm schwarze Löwen und lüsterne Brigantinnen hinzu; MM 25. 3. 1988 bald sah man eine Schar beutegieriger Briganten heranschleichen, die den „Helden" des Stücks hinterrücks meucheln wollen; Spiegel 21.6. 1993 Selten, daß mal eine Bande hochgeht wie Anfang April die Gruppe von Highway-Briganten, die im September vorigen Jahres 30 Kilometer hinter der polnischen Grenze bei einem Überfall 7 hochkarätige Mercedes-Limousinen, 107 japanische Computer .. erbeutet hatten. Brigandage: 1753 (Br. dtsch. Gelehrter I 196) Ich habe öffentlich gegen das Jugement (contre ce brigandage, wie er sich ausdrückt) protestirt. Man hat mich in Verdacht gehabt, als hätte ich mit Voltaire tausam communem in der Sache gemacht; Schlözer 1864 Rom. Br. 68 die Brigandage in Neapel; Jähns 1885 Heeresverf. 227 Vorwand zur Brigandage. Brigantaggio: 1866 Grenzboten U 261 Der eigentliche Grund des Brigantaccio liegt .. in der durch eine lange Mißregierung hervorgerufenen Armuth und Verwilderung der niedern Classen im ehemaligen Königreich Neapel; 1866 Gartenlaube 139 eine Regierung . ., die Italien noch immer nicht von dem alten Schandfleck des Brigantaggio zu reinigen gewusst hat; 1877 Preuss. Jahrb. XL 65 kannte man vor 1860 das Räuberwesen (brigantaggio) nicht; ebd. 97 Anm. das Brigantaggio in Sizilien ausgerottet; ebd. 99 das furchtbare neapolitanische Brigantaggio; 1882 Brockhaus 111 538 Ihr Treiben im allgemeinen, das politisch-gefärbte Bandenund Raubwesen, nennt man Brigantaggio; Gottschall 1885 Totenkl. 275 die mit Hülfe des Brigantaggio inscenirten Wahlen; Kaiser 1911 Lebenserinn. 204 Gaunerei und Brigantaggio; Berolzheimer 1914 Moral 380 dem süditalienischen Brigantaggio; Friedell 1931 Kulturgesch. III 349 die beiden alten Hauptübel.· der Brigantaggio und der Analphabetismus waren im Verschwinden begriffen; 1931 Schweizer i. Ausland 196 das Opfer dieses brigantaggio. Brigantentum: Arbeiterztg. 3. 12. 1865 daß die Jesuiten wie in früheren Jahren, so auch heute im innigsten Bündnisse mit dem Brigantenthum stehen; 1876 Gegenwart IX 90a Es hat sich unter der Abnahme wachsamer Kenneraugen ein Brigantenthum des Classicismus gebildet, das auf seine Weise einen Rachekrieg gegen die fremden Ein-

Brikett dringlinge führt; Rosen 1878 Balkan-Haiduken l das Brigantenthum im Balkan; Schmid 1909 Mönch 89 Brigantentum, in allen seinen Formen; 1912 Walhalla Vll 69 Italien. Für viele ist es noch das klassische Land des Brigantenthums und des „dolce far niente"; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1032) die Völker wollen frei sein, frei unter einer höheren Gleichheit, befreit von der Furcht vor internationalem Brigantentum und teilhaftig alle gleichmäßig des Genusses der Güter dieser Erde; Zeit 21. 2. 1986 es ist zu bedauern . . daß die fachwissenschaftliche Öffentlichkeit derlei historisches Brigantentum unwidersprochen hinnimmt; Süddtsch. Ztg. 18./19.9. 1993 Unterentwicklung, Rückständigkeit, Aberglaube, Analphabetismus . . waren der Nährboden, auf dem das Faustrecht, die Vendetta, das Räuber- und Brigantentum an der Tagesordnung waren. Brigantine: Arigo um 1460 Boccaccios Decameron (Übers.) 345 ein brigantin wapen (WIS); 1521 (Otto Heinrich, Pfalzgraf b. Rhein, Dtsch. Pilgerreisen 390) doch jaget die galeen unndt ein Bregantin ab den Türckischen armatis; Kessler 1524—39 Sabbata 429 fusti und bregantini, in summa by 500 seglen; 1528 (Weller 1872 Zeitungen 83) darzu vngefarlich bey zwaintzig Bergatinen zu Ischia auffgebrochen; Scheurl 1533 Briefbuch II 141 Die ändern 19 galeen, Nemlich ailff Spanisch, Zwo Neapolitanisch .., vier Sicilisch . . S a m b t . . fusti oder halben galeen vnd pergentinen; Schmidel 1567 Reise 55 Bergentinschiflein (WEIGAND); Kiechel um 1600 Reisen 157 vül schif, nauen, gallion, item pergatin, fusti gallea und galeazen; ebd. 456 Hüeromben sich sommerszeütt vül cursari hallten, so mütt fusti, galiotten, frigatia, unnd pergatin aus Barbaria herüber kommen; Stieler 1695 Zeitungs Lust 183 Brigantin, ist ein Spähschiff und Raubschiff/ so geschwind durch die Wellen streichen kan; Stranitzky 1711 Ollapatrida 107 Wollet ihr in der See-Fahrt euch unterrichten lassen/ so kan ich euch sagen/ was . . eine Brigantine . . seye; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) l 325 Dieses Fahrzeug

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[Felucke] ist eine Art von leichten und schmalen Brigantinen, so sich nicht weit vom Ufer entfernet; Fourmont 1782 Beschr. v. Heliopolis (Übers.) 20 Brigantinen und Barken; 1785 Holland. Staats-Anzeigen IV 40 die Brigantine de Verwagring ist mit Unrecht angehalten worden; Forster 1791 Ansichten (IX 281) das hundertfältige Leben der Schiffe, der Brigantinen, der Schnauen; Peschel 1858 Gesch. 429 Ricuesa dagegen bewaffnete vier große Schiffe und zwei Bergantinen, mit denen er bei der Ueberfahrt einen einträglichen Menschenraub auf der Caribeninsel Santa Cruz vollführte; 1861 Allg. Mil.-Enc. Ill 50 Brigg, auch Brigantine genannt, kleines Kriegsschiff von 12—20 Kanonen, hauptsächlich zum Kreuzen, hat ein Verdeck ohne Hütte, 2 Masten mit Brigg- und Raasegel . ., Bugspriet und breitem plattem Hintertheil; Friedenthal 1929 Eroberer 406 Die Brigantinen wurden zu beiden Seiten des Kanals von neuem auf Stapel gelegt. Brigg: Röding 1794 Allg. Wb. d. Marine l o. S. brigg; Kotzebue 1821 Reise in d. Südsee I 116 dieser Adams . . hatte vorher auf der nämlichen Brigg . . als zweiter Officier gedient; ebd. 311 Wie es Tag wurde und die Brigg uns nun recht besehen konnte, stach sie ein Riff aus ihren Marssegeln (alle KLUGE, Seemannssprache); Nettelbeck 1823 Lebensbeschr. Ill 117 Am 19. Mai geleitete jene englische Brigg . . drei Schiffe ihrer Nation in unseren Hafen (GANZ); Escheis 1835 Lebensbeschr. 103 das Schiff war eine Brigg, hieß de Amsterdamse Post; Smidt 1848 Ruiter I 111 der DecksOfficier [meldete] dem Admiral, daß eine Brigg unter holländischer Flagge im Ansegeln begriffen sei; 1864 Preuss. Expedition I 240 dort sass eine gestrandete Brig, die kurz zuvor aufgelaufen sein musste, denn Masten und Takelung schienen noch in gutem Zustande; Heims 1897 Wasserkante 97 Am Nachmittage sah ich von meinem Ausguck aus eine englische Kriegsbrigg langsam unter kleinen Segeln nahe der Küste hin fahren (alle vier KLUGE, Seemannssprache); Fallada 1965 Herr 35 Schließlich lag die schwedische Brigg direkt vor dem Speicher (DUDEN 1993). OV

Brikett N. (-s; -s, selten -e), Mitte 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. briquette, Verkleinerungsform von brique 'Ziegel, Backstein (dem das Brikett in der Form ähnelt)' (< altfrz. briche 'Ziegelstein' < mittelniederl. bricke, eigentlich 'abgebrochenes Stück'; vgl. dtsch. brechen), bis Anfang 20. Jh. auch in der frz. Pl.-Form Briquettes. In der Bed. 'aus kleinstückigem oder staubförmigem Gut (z. B. Erze, Futtermittel) durch Pressen hergestelltes festes Formstück in Quader- oder Eiform', bes. 'ziegelsteinförmig gepreßte Braun- oder Steinkohle, Kohlenziegel, Preßkohle'; in Wendungen wie Briketts für den Winter bestellen, eine Fuhre Briketts, Briketts stapeln, auf-

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schichten, auf das Feuer legen, häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Braunkohlen-, Haushalts-, Industrie-, Steinkohlen-, Torf-, Rund-, Würfelbrikett; Briketteimer, -fabrik, -kästen, -presse, -produktion, -träger 'Blechkasten von bestimmter Form für Briketts'. Dazu seit Anfang 20. Jh. die Ableitung brikettieren V. trans, 'zu Briketts formen, pressen', gleichzeitig das Verbalsubst. Brikettierung F. (-; ohne PL). Brikett: Knapp 1847 Chem. Technologie l 63 welche man trocknet und als geringeres Brennmaterial unter dem Namen Briquettes oder Brennzigel verkauft; Wallner 1874 Land 74 Briquettesfabrik, wo aus Pech und Kohlenstaub jährlich für Maschinenzwecke gegen 500.000 Centner Kohlenziegel erzeugt werden; 1884 (1925 Beitr. z. Gesch. Technik XV 147) „Im Mai des Jahres 1883 wurde unsere Fabrik I ein Raub der Flammen, unsere Braunkohlen-Briquettes-Produktion blieb auf unsere Fabrik II beschränkt . ."; 1895 Naturwiss. Wochenschr. X 220 Kopmannsche Briquetts; Poschinger 1901 Bundesrat V 160 die Aenderung der Bestimmungen des Eisenbahn-Betriebsreglements in Bezug auf den Transport von Holzbriquetts usw.; Waldthausen 1902 Steinkohlenbergwerk 88 namentlich sind auch schon 1839 auf den Frohnsdorfer Werken . . aus Feinkohlen, Lehm und Sägemehl . . Kohlenziegel oder Briketts hergestellt worden; A. Zweig 1928 Streit 455 weil sich . . die Wachmannschaft in den Besitz einer Anzahl großer Briketts der Lokomotiven gebracht hatte; Fallada 1934 Blechnapf 421 er bestellte Briketts für sie und stand morgens um acht auf, als sie abgeliefert wurden; Lokal-Anz. 13.4.1934 Brikettherstellung; Münch. N. N. 29.10. 1938 Als Brennstoff komme heute fast ausschließlich das Braunkohlebrikett in Frage; Kluth 1939 Wunder 40 Eisenbriketts, die . . beim Einstampfen alter Kraftwagen entstehen; Münch. N. N. 18. l. 1941 In Norwegen ist es . . jetzt gelungen, den als Nahrungsmittel so wertvollen Klippfisch in Brikettform zu konservieren; ND 22. 7. 1954 die Belegschaft der Brikettfabrik will 4000 Tonnen Brikett Planverlust in 20 Tagen wieder aufholen; Böll 1963 Clown 65 der kleine Herd, in dem Marie die Briketts bei Glut gehalten hatte; Offenburger Tagebl. 25. 8. 1964 Die Heizölfeuerung hat weder der Steinkohle noch den Braunkohlenbriketts den Garaus machen können; MM

4. 10.1985 die in dem sogenannten Carbosed-Verfahren gewonnenen Briketts aus Klärschlamm und Kohlenstaub; Spiegel 22. 2.1993 Hunderttausende von unbrauchbar gewordenen irischen Geldnoten werden, zerkleinert und zu Briketts gepreßt .. an notleidende Familien verteilt [zum Heizen]; ebd. 13. 9. 1993 Schließung der örtlichen Brikettfabrik. brikettieren: Walther 1910 Geologie v. Dtschld. 103 [Einschlüsse in der Braunkohle, die] meist aber als fast unverändertes Holz von der umhüllenden Braunkohle gesondert werden müssen, bevor man diese verladet oder brikettiert; 1933 Demag-Nachr. (Mai) Brikettfabrik zum Brikettieren von Torf (Bildunterschr.); Heuss 1946 Bosch 567 Torfverwertung . . in der Zentrifuge wird das Wasser ausgeschieden; der mehlige Rest kann dann brikettiert werden; 1965 Wochenpost XVII 17b Dieses wird heiß brikettiert und ergibt den rauchlosen Haushaltsbrennstoff; 1966 Urania X I 1 1 eine neue Technologie zur Herstellung von brikettiertem Koks; Welz 1978 Stunde 37 Proben dieser Humuskohle wurden in ein Berliner Labor geschickt, dort analysiert, veredelt, und brikettiert, bis ein brauchbares Ergebnis vorlag; Krauss 1984 Vergnügen 32 Zum Brikettieren wird ihr [Rohbraunkohle] Feuchtigkeitsgehalt auf achtzehn Prozent herabgesetzt. Brikettierung: Offenburger Tagebl. 25. 8. 1914 Nur der hessische Braunkohlenbergbau hat seine Brikettierung eingestellt; 1933 Demag-Nachr. (Mai) Brikettierung von Torf; Münch. N. N. 17.3. 1938 Lignit, das bei der Brikettierung von Braunkohlen abfällt; N. Z. Z. 22. 12. 1943 Brikettierung der Kohle; 1965 Wochenpost XXXVII 22a Maschinisten für Brikettierung; 1988 Wochenpost III 5c Die Technologie der Brikettierung stammt zwar im wesentlichen aus Urgroßvaters Zeiten. OV

brillant Adj., Anfang 18. Jh. entlehnt aus frz. brillant 'glänzend, leuchtend' (Part. Präs, von briller 'glänzen, strahlen' < gleichbed. ital. brillare; —» brillieren). Zunächst in der Bed. 'glänzend, schimmernd, gleißend', gelegentlich auf Konkreta bezogen (s. Belege 1712, 1774, 1816, 1863), schon im 18. Jh. übertragen verwendet und bes. seit der 1. Hälfte des 19. Jhs. als Modewort (s. Beleg 1823) in der Bed. 'ausgezeichnet, glänzend, hervorragend, Wohlgestalt, von bestechender, faszinieren-

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der Kunstfertigkeit, glänzender Form, von gekonnter Beherrschung der Mittel zeugend' (vgl. bravourös, —> Bravour), oft in Wendungen wie ein brillanter Tänzer, Redner, Schluß, eine brillante Aufführung, Leistung, Formulierung, brillant formulieren, aussehen, spielen, jmdm. geht es brillant. Dazu seit Anfang 19. Jh. die französisierende subst. Ableitung Brillanz F. (-; ohne PL), zunächst in der Bed. 'Glanz, Schimmer, Helligkeit' (s. Belege 1859, 1876), dann auch 'ausgezeichnete, meisterhafte, glänzende Technik, Feinheit', z. B. bei einer (künstlerischen, rhetorischen) Darbietung (—» Bravour, —> Virtuosität; s. Belege 1812, 1972); speziell als Bezeichnung für die unverfälschte akustische Wiedergabe, z. B. hoher Töne, eines Konzertes (auf Abspielgeräten), im Sinne von 'Tonschärfe' (s. Beleg 1971), auch als Terminus der Fotografie für 'gestochene Schärfe einer Aufnahme, Kontrastreichtum', häufig in Wendungen wie mit Brillanz singen, spielen, rhetorische, technische Brillanz, die Brillanz einer Formulierung, eines musikalischen Vortrages, eines Fotos, eine Leistung von kaum überbietbarer Brillanz. Bereits seit spätem 17. Jh. aus gleichbed. frz. brillant entlehntes Brillant M. (-en; -en) in der Bed. 'geschliffener Edelstein, bes. Diamant, mit starker Lichtbrechung, funkelndem Glanz und Farbenspiel', häufig in Wendungen wie ein funkelnder, kostbarer, echter Brillant, ein mit Brillanten besetztes Schmuckstück, einen Brillanten in Gold fassen und als Bestimmungswort in Zss. wie Brillantbrosche 'Brosche mit Brillanten', -knöpf, -nadel, -kollier, -kreuz, -schmuck, -schliff 'bes. Schlifform für Edelsteine', -satz 'Feuerwerkssatz, der außer gepulverten Stoffen auch größere Metallteile (Späne) enthält, die glühend ausgestoßen werden und ein sprühendes Funkenfeuer ergeben', -feuer(-werk) 'großes Feuerwerk mit Brillantsätzen', meist übertragen für 'großartige Leistung' (s. Beleg 1959). Seit späterem 18. Jh. die dazugehörige adj. Ableitung brillanten 'aus Brillanten bestehend, damit besetzt; wie Brillanten (glänzend, funkelnd)', z. B. ein brillantenes Armband, ein brillantener Glanz. Dazu seit frühem 18. Jh. die Ableitung brillantieren V. trans., fachspr. in der Bed. 'glänzende Oberflächen herstellen (z. B. bei Messingplatten durch Beizen); einen Edelstein zu einem Brillanten schleifen, indem mit geometrischer Genauigkeit z. B. Facetten angelegt werden', vereinzelt übertragen verwendet (s. Beleg 1863); selten auch intrans. verwendet für 'in funkelndem Glanz strahlen' (s. Beleg nach 1830) und 'mit Brillanten geschmückt' (s. Beleg 1803); Ende 18. Jh. vereinzelt das Subst. Brillantierung F. 'Brillantfassung'. Seit Ende 19. Jh. aus frz. brillantine 'die (dem Haar) Glanz Verleihende' (zu briller, s. o.) entlehntes Brillantine F. (-; -n), österr. auch Brillantin, als Bezeichnung für Haarpomade, parfümiertes Haarfett. brillant: Thomasius 1701 KL Sehr. 11 Zu der ersten Art erfordert er/ daß ein Gelehrter/ so sich dieses Titels würdig machen will/ einen Verstand haben müsse/ qui soit solide, brillant, penetrant, . .; Marperger 1712 Naturlex. 248 Brillant, was gläntzend ist, und in die Augen spielet, sonderlich heissen die geschliffene Rosen-Diamanten Brillanten; Zinzendorf 1748 Wundenlitanei 21 um ihrer brillanten Qualitäten willen; Quantz 1752 Flöte 31 Wie man denn überhaupt die Nerven ein wenig anspannen muß, um die Triller egal und brillant zu schlagen; Lavater 1774 an Goethe (ZFDW 111 169)

brillante Menge Grafen und Gräfinnen; Möser 1778 Phantasien Hl 8 sich nicht in die Oekonomie des brillanten, galanten und magnifiquen Lebens mischen; Müller 1781 Genoveva 23 das brillanteste Glück zu den Füßen eines Weibes verträumen; Wall 1787 Bagatellen U 24 ich hatte bey der ersten Vorstellung meine Rolle so brillant executirt, daß einige Gräfinnen mich mit den Eventails schlugen und mir sagten: ich wäre der größte Räuber unter der Sonne; 1787 Journal d. Moden U 263 Die Hauben .. waren ausserordemlich brillant, und alle mit Juwelen . . dekoriert; Goethe 1787 Br. (WA /V

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8,122) Montag . . wird das Trauerspiel des Abbate Monti aufgeführt, es ist ihm sehr bang und er hat Ursache, es ist ein unbändiges Publikum, das von Moment zu Moment amüsirt seyn will, und sein Stück hat nichts brillantes; 1801 Ztg. f. d. elegante Welt 281 daß der möglichst brillante Effekt der wesentliche Zweck des Dekorationsmalers bei Ausführung einer Dekoration sei; 1810 Almanack a. Rom I 147 Freundlich lächelt uns das Portrait der Madame le Brun entgegen, und brillant tritt es aus seinem Rahmen hervor; E. T. A. Hoffmann 1814 Berganza (S. W. l 123) nur ist es noch schwieriger, sie [Schauspielerinnen] zu irgend einer exotischen Rolle zu bewegen, da sie einen nach ihrem Geschmack vorteilhaften Anzug, und wenigstens einen . . brillanten Abgang als unerläßliche Bedingung voraussetzen; Goethe 1816 Tagebücher (WA III 5,239) Abends brillante Illumination der Stadt; 1818 Eos 151 Sie hätten die Gesellschaft beym Souper sehen können; das coup d'oil war brilliant ä l'extreme; Borne 1823 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. H 12) So haben sie das unausstehliche Wort: 'brillant', das sie so häufig anwenden, daß einem die Augen überlaufen. Alles, was sie loben, ist brillant; Wtt v. Dörring 1827 Fragmente 11 166 ohne einen eigentlich brillanten Verstand zu besitzen; Pückler-Muskau 1831 Br. l 229 Nachdem dieses herrliche Pferd die ersten zwei Sprünge auf das brillanteste zurückgelegt hatte; Heine 1835 Romant. Schule 14 wo die großfühlende Frau sich unmittelbar ausspricht mit ihrem ganzen strahlenden Herzen, mit dem ganzen Feuerwerk ihrer Geistesraketen und brillanten Tollheiten; Lewald 1836 Aquarelle 254 die Farbengebung ist brillant, der Ausdruck der meisten Köpfe imposant; Nürnberger 1839 Stilleben 88 von allem Glänze einer brillanten äußern Lage; Freytag 1848 Aufs. I 30 trotz seiner brillanten Technik, mehr Virtuose als Künstler; W. Heine 1856 Reise um d. Erde II 196 sicherlich brillante Geschäfte machen; Landsteiner 1860 Leben 23 Ein Menschenstrom wälzt sich durch brillant erleuchtete Räume; Boretius 1863 Br. 210 Brillant ist die grosse, mit einer Glaskuppel erleuchtete Rotunde, welche den Lesesaal im Britischen Museum bildet; Scherr 1865 Blücher 179 Nach einem der brillantesten Potsdamer Manöver; Hahn-Hahn 1875 Nirwana I 80 eine so brillante Erscheinung; Nordau 1881 Paris I 293 alle die brillanten Witz-Turniere, welche die geistreichsten Menschen . . einander ununterbrochen lieferten; Fliess 1893 Miasmen 153 Die Herrn Offiziere erzählten allerhand kleine heitre Episoden aus dem Manöver; der hatte brillante, jener spottschlechte Quartiere gehabt; Fontäne 1897 Stechlin 21 Er ist ja brillant angeschrieben; Heinroth 1906 Enttäuschungen H 101 dass er eigentlich ein brillantes Examen gemacht hatte; Böhmer 1914 Sklavinnen 313

Sie war eine tadellose, brillante Hausfrau; Th. Mann 1914 Nachtr. (W. Xlll 540) die Franzosen waren einst ein kriegerisches Volk, — in einem anderen Sinne als das deutsche, auf eine brillante, galante, gloriose, bravouröse und etwas spiegelfechterische Art; ders. 1924 Zauberberg (W. III 26) es ist brillant, daß du gekommen bist!; Werfet 1928 Abituriententag 55 Herr Professor sehen erstaunlich jung aus. Brillant geradezu!; Voss. Ztg. 10. 1. 1931 die brillante Verbindung mit allen Teilen Groß-Berlins durch die Stadtbahn; Simpson 1941 Barrings 26 sah er höchst brillant und vornehm aus; Th. Mann 1955 Reden u. Aufs. (W. IX 931) Tochter des Verlegers, achtzehnjährig, von brillanter Erscheinung, elegant, auch gebildet; ders. 1947 Faustus (W. VI 266) sein Spiel war sauber und kultiviert, nicht großen Tons, aber von süßem Wohllaut und technisch nicht wenig brillant; Welt 7.9.1959 die Spurtkraft dieses brillanten Außenstürmers; Heuss 1963 Erinn. 343 Wolff, der Chef und brillante Sonntagsartikler des „Berliner Tageblatts"; ND 24. 12. 1969 die außerordentlichen Anforderungen an Sänger, Musiker, Technik wurden brillant gemeistert; Hocke 1976 Tagebücher 86 Stendhals Tagebücher gehören zur brillantesten Prosa; Zeit 21. 11. 1986 in brillant ausgearbeiteten Thesen bezweifelte der Frankfurter Professor Winfried Hassemer Wirksamkeit und Gerechtigkeit der Kronzeugenregelung; MM 12. 6. 1987 der Protestsänger setzt seine Agitationsmittel (zu denen eine brillante Wortakrobatik zählt) weitaus subtiler ein als so manche seiner Kollegen aus der Liederzunft; Spiegel 27. 6. 1994 Derweil machte Huxley in der literarischen Welt der zwanziger Jahre seine brillante Karriere als der „große Mahatma aller Misanthropen"; Süddtsch. Ztg. 21. 12. 1994 Böll war in seinen phantastischen Szenarien ein brillanter Rechercheur. Brillant: 1678 Friedrich Wilhelm (VAS IX 678) das mir zugeschickte königl. Contrefaict mit schönen Brillanten reich besetzt (BRUNT); Marperger 1712 Naturlex. 248 Brillant, was gläntzend ist, und in die Augen spielet, sonderlich heissen die geschliffene Rosen-Diamanten Brillanten; Elis. Charl. 1713 Br. U 300 daß die violet-blaue brillants waß rares in Teütschlandt sein; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. U 588 [er] hatte diesen Stein, der ein vortrefflicher Brillante war, und an Grosse einen kleinen Ey gleich, in dem Lande des grossen Mogul mit List erhascht/ solchen hierauf brillandiren zu lassen; Schönaich 1754 Aesthetik 95 Ein Gedank' muß eben so viel Flächen und Ecken, als ein Brillant haben; Halle 1761 Werkstäte d. Künste I 130 Brilliant (Blizdemant) wird ein Demant geheissen, sobald man ihn vieleckig schleift, und ihm auf der Oberfläche eine flache Tafel von runder, oder vier-

brillant eckigen Figur gibt; Engel 1775 Edelknabe 10 [eine Uhr] voll von Brillanten; Bürger 1786 Münchhausen 69 an jeglichem seiner Finger steckte ein kostbarer Ring mit Brillanten; Mutius 1806-19 Br. 363 Feuerwerk über alle Begriffe. Ein Bukett von 60000 Raketen, Rollfeuer, Kaskaden von Brillanten; Iffland vor 1814 Theatral. W. VIII 171 Meine Tochter ist in elenden Goldohrringen zur Tafel gekommen — hat auf Anfrage ihre Brillantohrringe nicht gehabt; 1825 Dinglers Polytechn. Journal XVII 3 Bemerkungen über die Zusammensezung und die Eigenschaften des Chinesischen- und des sogenannten Brilliant-Feuers; Goethe 1832 Tagebücher (WA 13,221) der Großherzog in festlicher Pracht mit allen Ordenszeichen von Brillanten, an denen mich das Licht- und Farbenspiel ergötzte; Diesterweg 1836 Lebensfrage III 66 Ewige Anerkennung, Ruhm und Dank einem Manne, wie Schleiermacher, der täglich drei Stunden hinter einander in Brillantfeuer strahlte; Gutzkow 1846 Pariser Eindrücke 403 Brillantfeuerwerk der geistreichsten Thesen und Antithesen; Guseck 1851 Salvator II 293 Die Brillantnadel war dann von ihr verkauft worden; 1863 Bilder a. Paris II 65 Hoch über der Ehrenpforte schweben gigantische Adler und Sonnen, die alle im Brillantfeuer strahlen werden; Spitzer 1880 Wagn. 13 sechs Wochen später war sie im Besitz eines prachtvollen Brillantenhalsbandes; Eckstein 1897 Roland 9 Im nußbraunen Haar trug Nadeschda von Myrpach einen kostbaren, aber nicht aufdringlichen Brillantschmuck; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 11) ihr kurzes Mieder . . ließ einen Hals von vollendeter Schönheit frei, geschmückt mit einem Atlasband, an dem eine Komposition von großen Brillanten flimmerte; 1908 Zukunft LXH 194 wird er sich mit dem Brillantfeuerwerk einer riesigen Selbstgründung .. zurückziehen; Th. Mann 1909 Hoheit (W. U 182) durch irgendeinen Spaßvogel war das Gerücht verbreitet und auch gewissermaßen geglaubt worden, Spoelmann habe lauter goldene Vorderzähne, und in jedem dieser goldenen Vorderzähne sei in der Mitte ein Brillant eingelassen; Duncker 1918 Liebe 59 [sie] liess . . ihre gesellschaftliche Begabung, ihre geselligen Talente wie ein Brillant-Feuerwerk vor ihm spielen; Hesse 1919 (1980 Magie 14) ihr denkt oft ganze Tage lang an eure Bügelfalten und Brillantknöpfe gerade so wenig wie ich an mein geflicktes Knie; Bert. Morgenpost 11.1. 1931 Nach dem Schliff heißen übrigens die Diamanten Brillanten; Lokal-Anz. 21.9. 1934 Ein berüchtigter Einbrecher, der den Spitznamen „Brillanten-Paul" führt; K. Mann 1936 Mephisto 16 als das wertvollste Stück wurde ein Hakenkreuz mit Brillanten genannt; Münch. N. N. 17. 2. 1944 nußgroße Perlen, funkelnde Riesenbrillanten, Rubine und Smaragden umglänzten sie; Süddtsch. Ztg. 21. 5. 1957 die

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Darsteller . . brannten ein komödiantisches Brillantfeuerwerk ab; Welt 7. 9. 1959 unter dem Jubel der Zuschauer inszenierten Stuck/Kuhnke ein Brillantfeuerwerk an herrlichen Grundschlägen, Lobs und Flugbällen; ebd. 30. 11. 1959 daß in der ganzen Welt die hochwertigen Edelsteine, Brillant, Smaragd und Saphir immer in Weißgold oder Platin gefaßt sind (Anzeige); Offenburger Tagebl. 10. 10. 1960 Zu Tausenden standen trotz der Kühle die Menschen auf dem Kinzigdamm . . um das grandiose Brillantfeuerwerk mitzuerleben; Schädlich 1977 Nähe 127 die Kaiserinnen trugen Seidenroben von außergewöhnlicher Schönheit und waren geschmückt mit Diademen und Brillantenkolliers; MM 2. 1. 1986 was er bei Vorbereitung und Durchführung dieser Expedition erlebt, gerät dem polnischen Autor zu einem galaktischen Brillantfeuerwerk aus phantastischen Episoden, philosophischer Spekulation und geistreichem Witz; Zimmer 1986 Redens Arten 115 Der Stil ist also derjenige, der sich durch die häufige Verwendung sprachlicher Brillanten . . auszeichnet; MM 9. 9. 1986 Brillant mit einer Einfassung in Grün. brillanten: Möser 1761 Harlequin (IX 123) ein Paar brillantene Ohrringe; Schubart 1774 Chronik 443 mit einer brillantenen Dose; Westenrieder 1782 Traum 163 brillantenen Ring; 1782 Leipz. Intelligenzhl. 159a Bey Anton Melly . . sind jederzeit .. außer goldnen und silbernen Uhren, goldene Dosen, und allerhand feine Galanteriewaaren, auch brillantene Ringe, um billige Preiße zu haben; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA l 21,324) Er sah unverwandt auf das Armschloß, das . . die Anfangsbuchstaben seiner Namen in brillantenen Zügen sehen ließ; Görres 1807 Ges. Sehr. Ill 163 die Füchse beschäftigten sich aus Langeweile, die brillantenen Eier, die die weißen Hasen bei der Zirbeldrüse legten, auszusaufen; Goethe 1811 Br. (WA IV 22,52) eine schöne goldne Dose, mit einem brillantenen Kranz und dem darin nach allen Buchstaben ausgedruckten Namen; Blücher 1814 Br. 231 Ich wünsche Hochdenselben Glück zu dem brillanten Resultat dieses Tages; ebd. 291 Der Kaiser von Rußland hat mich einen sehr reichen brillantnen Andreasorden mit einem überaus artigen Brief geschickt; Bauernfeld 1851 Kategor. Imperativ (VII 15) Für derlei Leute braucht's brillantene Ringe, Uhren, Dosen und dergleichen; Hillebrand 1878 Profile 215 was es denn eigentlich ist, was Einen bei solch' einem brillanten und üppigen Stylkünstler so ermüdet; Heyse 1896 Ges. W. Ill 3,647 Als ob eine unabhängige Gesinnung nicht ein stolzerer Schmuck wäre, als eine brillantene Krawattennadel; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 343) die

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brillantnen Geschmeide, auf Sammet gebettet, hart glitzernd in allen Farben des Regenbogens. brillantieren: Rohr 1729 Zeretnoniellwiss. H 588 [er] hatte diesen Stein, der ein vortrefflicher Brillante war, und an Grosse einen kleinen Ey gleich, in dem Lande des grossen Mogul mit List erhascht/ solchen hierauf brillandiren zu lassen; Küchelbekker 1730 Hof 712 Hingegen sind hieselbst verschiedene künstliche Steinschneider anzutreffen, welche Edelgesteine von allerhand Sorten vollkommen schön zu schneiden, und sonderlich die Diamante wohl zu brilliandiren wissen; Köhler 1737 Reichshistorie 15 [er] beschämt . . alle andere Scribenten . . als wie ein rein brillantirter Diamant ein geschliffenes Crystall; Schönaich 1754 Aesthetik 95 Ein Gedank' muß eben so viel Flächen und Ecken, als ein Brillant haben; und nicht halb, sondern ganz brillantirt seyn; Lessing 1768 Br. antiqu. Inh. (S. Sehr. X 328) seine Meinung, daß die Kunst die Diamante zu schleifen und zu brillantiren dem Alterthume gänzlich unbekannt gewesen sey; 1790 Journal d. Moden V 337 brillantirter Stahl; Beckmann 1790-92 Erfindungen III 542 daß die Alten bereits den Versuch gemacht haben, diesen Edelstein mit seinem eigenen Staube oder dem Diamantbord zu schleifen; ich meine, ihn zu facettiren oder zu brillantiren; ders. 1795 — 99 Erfindungen IV 61 Der Indier findet die Edelsteine, welche der Europäer brillantiret; Jean Paul 1803 S.W. l 10,155 sagte die brillantierte Mutter; Goethe 1823 Tagebücher (WA III 9,94) Brillantirtes Glas. Königliche Gabe des Grafen St. Leu; Wit v. Dörring 1830 Fragmente l 101 eine brillantirte Tabatiere; Prechtl nach 1830 Techn. Encyclopädie IV 521 Der Stein brillantiert (SANDERS 1871); Holtet 1863 Letzte Komödiant III 209 Da wurde er ganz Spuckschulz und brillantirte mich förmlich mit dem Sprühregen seines Eifers und — Geifers; 1934 (Kimmel 1936 Osten. Staatsbürgerbuch 238) Bruststern: Auf einem aus acht brillantierten, gleich langen Strahlen gebildeten vergoldeten Stern . . liegt ein mattschwarz emailliertes . . Krückenkreuz. Brillantierung: Jean Paul 1797 S.W.I 7,29 [ihr] war ein linsengroßer Diamant aus der Brillantierung ihres Halsgehenkes ausgefallen. Brillantine: Bahr 1890 (in: Freie Bühne l 433) die stolze Lanze seines geschmeidigen Spitzbartes ausziehend, lange, sehr lange, mit vielem Brillantin; Fabian 1894 Kaufmann. Fachwb. 23b Brillantine . . eine flüssige Bartpomade; Kessler 1899 Barchwitz 20 einen Geruch von frischer Luft, Brillantine und Pferdestall mit sich hereinwehend; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 614) die tadellose und diskrete Eleganz seines Anzuges,.. der Geruch der

Brillantine in seinem Schnurrbart; Seidler 1927 (in: Weltbühne XXlll 266) Vereinzelt standen ein paar Leute da, geschniegelt, voll Brillantine; Becher 1945 Abschied 189 Ich strich ihm über die Haare, dem alten Freund, daß meine Hände nach Brillantine rochen; Voelkner 1965 Schande 146 Seine Brillantinefrisur geriet in Unordnung; Zeit 22. 2. 1985 mit bleistiftdünnem Menjoubärtchen und aalig mit Brillantine nach hinten geklatschten Haaren spielt er einen scheuen Musiker; ebd. 9. 5. 1986 Jünglinge mit modischem Brillantine-Haarstyling. Brillanz: Meyerbeer 1812 Briefw. u. Tagebücher l 162 Er spielte mir ein „Capriccio" von Hummel recht schön vor . . Besonders glänzt er in Passagen, welche die seltene Vereinigung von Originalität, Fluss und Brillance darbieten; Schumann 1836 Ges. Sehr, l 194 Mit dem Beisatz „de concert" wollte ich die Etüden einmal von den erwähnten früher erschienenen unterscheiden; dann aber schicken sie sich ihrer Brillanz wegen allerdings auch zum öffentlichen Vortrag; Grimm 1859 Essays 73 Nicht der Gegenstand gibt einem Kunstwerke seine Wirkung, nicht die Brillanz der Farbe, oder die Weichheit und Tadellosigkeit zierlich gedachter Details; Pecht 1876 Glaspalast 33 trotz aller Brillanz dieses Bildes; Nordau 1881 Paris 74 ist sie doch verschmitzt genug, den eifersüchtigsten Liebhaber mit vaudevillehafter Brillanz hinters Licht zu führen; Lokal-Anz. 14. 10. 1934 Die besondere Stärke des Balletts der Staatsoper ist die technische Brillanz; Th. Mann 1952 Reden u. Aufs. (W. X 395) er kann ebensowohl rechts stehen — und zwar in größter Brillanz; Süddtsch. Ztg. 17. 10. 1961 Die erste Sitzung gibt indes nicht viel Gelegenheit zu rhetorischer Brillanz; 1971 Funkschau XIX 1938 auf Chromdioxid . . erreicht man schon mit herkömmlichen Abspielgeräten bessere Brillanz (DUDEN 1993); Bad. Ztg. 14. 2. 1972 eine große Portion instrumentaler Brillanz; Zeit 27. 6. 1986 der Stellen- (meinetwegen auch der Gebrauchswert) von akademischer Bildung, von Wissen, von intellektueller Brillanz hat sich verändert; MM 12. 10. 1987 nichts war da zu spüren von der archaischen Urwüchsigkeit oder virtuosen Brillanz, welche die besseren Vertreter des Revival-Jazz normalerweise in ihren Auftritten vermitteln; ebd. 6. 9. 1993 Die Brillanz der Wiedergabe machte Appetit auf ein Wiederhören; Spiegel 15.1. 1996 Auch die Apostrophierungen von Josef Mengele als „Todesengel von Auschwitz" oder von Sadam Hussein als „Kurdenschlächter" waren nicht sonderlich originell und bar jeder sprachlichen Brillanz. OV

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brillieren V. intrans., Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. briller (< gleichbed. ital. brillare, wahrscheinlich mit der Ausgangsbed. 'glänzen wie ein Beryll' zu lat. beryllus 'Beryll, bläulich gefärbtes Material' gehörend; vgl. Brille). In der Bed. 'sich (durch besondere Leistung, Fähigkeit, Begabung) hervortun, glänzen', vorwiegend auf Personen bezogen, häufig in Wendungen wie mit seinem Können, Wissen, seinen Leistungen brillieren. Elis. Charl. 1704 Br. l 358 Ich will madame de Vantadour sagen, daß ihr vetter .. so zu Franckfort brillirt; dies. 1706 Br. l 489 Wir haben ein Schwester undt niece hir vom graff Frieß; die niepce [!] ist ein schön mensch undt die mutter hatt verstand!, brilliren sehr hir; Netneitz 1718 Sejour 87 Wie bey den Jesuiten alles brilliren muß; 1720 Recueil XV 18 die aus Paris kuertzlich gekommene Deutsche, die par force in ihren Erzehlen . . brilliren . . wollen (beide BRUNT); Messerschmidt 1724 Sibirien 111 149 und passierte gegen 6 Uhr abends eine flache Steppe, auf welcher sich schöne Silkes semidiaphani, weiß, bläulicht, auch grüne .. befanden, wiewohl ihre Tinktur nur superfiziell im äußern cartice bestünde und also mehr brillierten, als sie wohl wert waren; Mattheson 1739 Kapellmeister 457 Wers recht aufführet, dem wirds eine gute Wirkung thun. Brilliren muß es. Ich kann das auf Teutsch mit gläntzen und funckeln nicht sagen, wenn ich auch ein Vorsitzer aller teutschen Gesellschafften wäre; Sulzer 1748 Erziehung d. Kinder (Pädagog. Sehr. 80) umgekehrt könnte ein Kind brillieren und doch keine wahren Fortschritte gemacht haben; 1759 Modeztg. 11 62 Personen von Stand . . die in der galanten Welt brilliren wollen; 1769 Dtsch. Bihl. (Klotz) III 519 Die Rolle des Grafen Tuffiere ist für einen Schauspieler wie Herr Brückner, der nur gar zu gern brillirt, wie gemacht; Hase 1779 Aldermann l 35 Nach meinem Geschmack brillirt sie [Dame] weder am Geiste noch am Körper; Moritz 1782 Reisen 43 Hinter mir im Parterre saß ein junger Geck, der um seine prächtigen Steinschnallen brilliren zu lassen, immer seinen Fuß auf meine Bank . . setzte; 1788 Journal d. Moden 111 55 [Kopfschmuck] . . die die neueste Mode sind, und vornehmlich auf einem Balle beym vollen Lichterglanz ungemein brilliren; Laukhard 1792 Leben l 175 eitle, eingebildete, abergläubische . . Dinger, die gern wollen brilliren, die sich blos am Schein belustigen; Goethe 1797 Über d. Gegenstände d. bild. Kunst (WA l 47,95) Kunstwerke, die durch Verstand, Witz, Galanterie brilliren, wohin wir auch alle allegorischen rechnen; Meisl 1820 Quodlibet (I 17) so viel ich merk, lassen sich, um zu brilliren,/ Die Mädeln nicht ungern mit unter entführen; Lami 1831 Mixpickel U Nr. 4 nachdem ihm manchmal schon/ Gelang in Schiida zu brilli-

ren,/ Als Theseus sich zu produciren; Szarvady 1852 Paris I 108 man .. geht nach einer halben Stunde wieder in einen anderen Salon, um daselbst wieder die weiße Cravate und die weißen Handschuhe brilliren zu lassen; Dincklage 1870 Gesch. II 157 In meinem Zimmer lag ein luftiger Ballanzug, die Baronin sagte, „sie wolle mit ihrem Töchterchen brilliren!"; Pecht 1876 Glaspalast 125 jenen ganzen auf das Brilliren bei Ausstellungen berechneten Klapper-Apparat; Nordau 1881 Paris U 316 ein Weib, das in der Gesellschaft als die ungarische Gräfin Zicka brillirt, in Wirklichkeit aber ein Kind der Londoner Straße ist; Schneider 1898 Paris U 82 in einer der besten Logen neben einer reizenden Courtisane zu brilliren; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. / 712J Streber, die in den Fächern brillierten, in denen es auswendig zu lernen galt; ders. 1911 Reden u. Aufs. (W. IX 46) das Ghasel etwa, in dem Rücken und Platen brillierten, kommt nicht vor in seinem Werk; Queri 1912 Kraftbayrisch 151 Als im Jahre 1840 der französische Ringkämpfer Jean Dupuis sieghaft in den grossen Städten Deutschlands brillierte; Werfet 1924 Verdi 266 Sie verließ sogar den Raum, in dem er um ihretwillen brillierte; Kircher 1927 Fair Play 18 versucht als Golfspieler zu brillieren; Bronnen 1928 Film 23 dass Arizona besonders durch Reitkünste brillierte; Welt 4. 5. 1959 die jungen deutschen Spieler haben oft brilliert, wenn nichts auf dem Spiel stand; Heuss 1963 Erinn. 163 er brillierte mit Liebenswürdigkeit; Offenburger Tagebl. 2. 4. 1971 nicht das Brillieren mit den Zahlen des Nationalbudgets sei von Bedeutung, sondern allein die Hilfe für die Bevölkerung . . in den Entwicklungsländern; Zeit 8.11. 1985 er brillierte nicht durch Skandale, exzentrisches Verhalten, Schulden oder Erbschaftsstreitereien; ebd. 19.12. 1986 er brilliert mit virtuosem Tanz in einem Kreis, der gerade so groß ist, daß er beide Füße darin unterbringen kann; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 71 in den Augen vieler Sprach-Zeitgenossen gilt es als ein nicht zu unterschätzender Vorzug, fremdwörtlich brillieren zu können; MM 28.11. 1995 Das sorgfältig aufbereitete Porträt . . brilliert mit Bildern, die man bisher noch nicht gesehen hat. OV

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Brimborium

Brimborium N. (-s; im 19. Jh. selten Brimboria, auch -s und vor allem Brimborien), im späten 18. Jh. mit lat. Endung entlehnt aus frz. brimborion 'Lappalie' (unter Einfluß von gleichbed. britnbe, bribe aus mittelfrz. breborion, briborion 'Zauberformel, Zaubergebet, Kleinigkeit ohne Wert', einer vermutlich entstellten Form von (kirchen-)lat. breviarium 'Sammlung von katholischen Stundengebeten; kurzes Verzeichnis, Auszug'; —»· Brevier), anfangs auch in der frz. Form, im 19. Jh. selten die Nebenform Brimbambor(i)um. Abwertend in der Bed. 'Umschweife, überflüssiges Drumherum, unverhältnismäßiger Aufwand, viel Aufhebens um eine Kleinigkeit, Geschwätz' (—» Bagatelle, —> Lappalie), häufig in Wendungen wie auf alles Brimborium verzichten, ohne viel/mit großem Brimborium, viel zu viel Brimborium (um eine Kleinigkeit) machen; im 19. Jh. gelegentlich von Konkreta für 'Krimskrams, Kleinkram' (s. Belege 1831, 1849, 1861). Dazu Mitte 20. Jh. die verbale Gelegenheitsableitung brimborisieren. Brimborium: Goethe um 1775 — 76 Urfaust 502 Was hilft's nur g'rade zu genießen?/ Die Freud' ist lange nicht so groß,/ Als wenn ihr erst herauf, herum,/ Durch allerlei Brimborium,/ Das Püppchen geknetet und zugerich't/ Wie's lehret manche wälsche Gschicht' (GWB); Pückler-Muskau 1831 Br. e. Verstorbenen III 83 Zugleich producirte sie, unter den vielen Brimborions, mit denen sie sich behangen hatte, ein Portrait der Königin; Regis 1832 Gargantua l 211 Des Cölestinerordens Brimboria; Scherr 1843 Nemesis 60 Machte mir ein langes Brimborium vor (SANDERS DWB); Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris II 67 Ich kann nicht finden, daß der außerordentlich schöne Platz, durch dies zum Theil kleinliche Brimborium gewinne; ebd. II 87 mit Weglassung alles unendlich langen und langweiligen Gesandtenbrimboriums; Holtet 1854 Obornigker Bote I 131 Ohne Brimborium von schönen Worten (SANDERS DWB); Raumer 1861 Lebenserinn. II 65 trug jeder eine gewaltige Alongenperüke auf dem Kopfe und allerhand anderes Brimborium am Leibe; Michelis 1872 Reiseschule 175 Gasthöfe . ., welche grundsätzlich Luxus und Brimborium ausschließen und berechtigte Wünsche der gebildeten Reisewelt berücksichtigen; Bahr 1893 Liebe 205 Die Bude hieß „Zum Mikado", mit chinesischem und japanischem Brimborium; Allg. Ztg. (Beil. 196) 1.9. 1897 Mancherley Brimborium, manches lose Angedeutete entspricht dem Wesen der short story, von Romanstoffen nur die Umrisse zu bieten; Brinkmann 1914 Doktor-Ehe 17 ohne viel Brimborium; Brachvogel 1915 Gauklerin 250 In ihn hast Du Dich gar nicht verliebt, sondern in das Brimborium, das um ihn her ist; Rose 1918 Mutterhof 212 allem Brimborium . . abhold; Gothein 1931 E. Gothein 191 Als Jude hat er wohl alles Brimborium aufgegeben; Lokal-Anz. 21.3.1933 Ein großes

Brimborium (Überschr.); Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 38) er hatte über Kunst und Künstlertum äußerst nüchterne, ja, reaktiverweise, schneidende Meinungen und war dem „romantischen Brimborium", das damit anzustelllen der Welt eine Zeitlang beliebt habe, .. abhold; ders. 1951 Reden u. Aufs. (W. IX 798) ein Buch .. das sich durch seine luzide Klugheit höchst vorteilhaft von dem tiefensüchtigen Brimborium der deutschen Wagner-Exegese unterscheidet; Hunke 1960 Erbe 133 Er war der nüchterne Wissenschaftler, der das mystische Brimborium der Alchemisten .. in den Tiegel warf; Welt 28. 8. 1969 wir gehören nicht zu denen, die an dieser Stelle mit . . irreführenden Überschriften oder pseudowissenschaftlichem Brimborium werben (Anzeige); ebd. 31. 10. 1974 eine geschickt fingierte Darstellung mit vergnüglich mythischem Brimborium; Zeit 14.6.1985 die Reduktion des Wildbestandes stößt jedoch nach wie vor auf den erbitterten Widerstand der Jägerschaft, die dem verklärten Brimborium um starke Jagdtrophäen meist mehr abgewinnen kann, als einen lebensnotwendigen Schutzwald; ebd. 20. 3. 1987 [die] Sensationslüsternen und Leistungsorientierten, die mit glühender Begeisterung Feuerläufe ausprobieren oder den Nervenkitzel magischen Brimboriums suchen; MM 21.1. 1988 die Nachricht kam gestern leise, nicht umrahmt von dem lauten Brimborium, mit dem Späth seine Landesbank-Pläne lange Zeit verfolgt hatte; Süddtsch. Ztg. 3.11.1993 all die Kapitel mit „Fakten und neuesten Zahlen" sind nur Brimborium, Beiwerk für das persönliche Schicksal, das im Mittelpunkt steht; ebd. 4. 2. 1994 Mit großem Brimborium erkor das ZDF die Hamburger Studentin . . für den Job. Brimbambor(i)um: Liliencron 1885 Br. 145 Diese Novelle (— nicht das eigentliche Brimbamborum

brisant selbst, sondern die 12 Redactionsbriefe —) könnte unter Umständen Aufsehn erregen; ders. 1899 S. W. XIII 92 Ich werde mit Brimbamborium und einigen schönen Redensarten in die Gruft gebracht werden.

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brimborisieren: Thielicke 1947 Glaube 110 Der Film pflegt das mit einem gekünstelten und überaus weit herbeigeholten großen Schluß zu brimborisieren und mit einer tönenden Schlußgloriole zu überdecken. OV

brisant Adj., im späten 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. brisant (Part. Präs, von briser 'zerbrechen, zerschlagen, sprengen' < altfrz. brisier, vulgärlat. *brisare 'zermalmen (von Trauben)', wohl kelt. Ursprungs). a Zunächst als Ausdruck der Spreng- und Waffentechnik für 'von großer Sprengkraft, hochexplosiv, sprengend; zermalmend', in Wendungen wie brisante Stoffe 'Sprengstoffe', brisante Chemikalie 'hochexplosive Chemikalie', diese Dynamitladung ist sehr brisant, diese Bombe hat eine äußerst brisante Wirkung; in neuerer Zeit vereinzelt bildlich gebraucht, z. B. brisante Seele (s. Beleg 1961). b Im früheren 20. Jh. vereinzelt, in neuerer Zeit häufiger eher bildungsspr. und oft modewortartig verwendet in der übertragenen Bed. 'großes (öffentliches) Interesse erregend; hochaktuell und dabei ziemlich heikel und konfliktgeladen; viel Zündstoff enthaltend (z. B. von einer politischen Rede)' (—» aktuell, —» akut, —» prekär), bes. in Wendungen wie ein brisantes Thema anschneiden/zur Sprache bringen, eine brisante Frage, Lage, Situation; ein brisantes Problem, brisante Wörter 'starkes öffentliches Interesse erregende, hochaktuelle, umstrittene Themen aufrufende Wörter, Begriffe'; anfangs und bis heute oft noch in engerer Anlehnung an fachspr. Kontexte (vgl. a; s. Belege 1934, 1965, 1989, 1990), speziell in der Zs. hochbrisant, z. B. diese Akten enthalten hochbrisanten Zünd-, Sprengstoff. Dazu seit Anfang 20. Jh. das französisierende Subst. Brisanz F. (-; selten -en), zunächst für 'hohe Explosivität, Sprengkraft', z. B. die Brisanz einer Bombe, Granate; Sprengkörper mit unterschiedlichen Brisanzen und als Bestimmungswort in Zss. wie Brisanzgeschoß, -granate, -bombe (zu a); seit Mitte 20. Jh., ohne PL, übertragen gebraucht für 'brennende, erregende Aktualität, Zündstoff (für Konflikte und Diskussionen); zündende, durchschlagende Wirkung, Wirksamkeit', z. B. in den Wendungen die politische, soziale, emotionale Brisanz eines Themas, dieses Problem hat seine Brisanz eingebüßt/verloren, hat an Brisanz gewonnen (zu b). brisant a: 1882 Brockhaus III 549 Brisant . ., Kunstausdruck der Sprengtechnik, gleichbedeutend mit zermalmend. Die brisante Wirkung eines Sprengmittels beruht darauf, daß dasselbe in einem minimalen Zeiträume eine große Menge von Gasen entwickelt, die, am Entweichen behindert, das umgebende Gestein zermalmt . . Brisante Sprengmittel sind Knallquecksilber, Nitroglycerin; Planck 1914 Rundblicke 85 Wie kommt ein . . Uran-Atom dazu, . . seinem Namen Schande zu machen und mit einer Gewalt zu explodieren, gegen welche unsere brisantesten Sprengstoffe sich wie Kinderpistolen ausnehmen; 1915 Duden-Rechtschreibung 66 brisant (zermalmend, sprengend); -e Stoffe (Sprengstoffe); Bechhold 1919 Handlex. 199 brisant, Eigenschaft d. Explosivstoffe, sich unter Entwicklung großer Gasmengen spontan zu zersetzen;

Werfet 1920 Mörder 133 Wurfbombe mit höchst brisanter Ladung; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. XII 642) Kulturbegriff . ., welchen mit den brisanten Erzeugnissen seiner Rüstungsindustrie verteidigen zu müssen er [der Deutsche] als hehre Not und heilige Heimsuchtung empfand. Der Krieg ging verloren; Mimra 1930 Batterie 255 Gegen Mittag faßt uns eine englische schwere Batterie. Scheußliche Brisanzgranaten . . Heult es heran, so werfen wir uns auf den Bauch, oder springen in den nächsten Trichter; Berl. Illustr. Nachtausg. 15. 1. 1932 Dieser Kalium Verbindung sind . . hochbrisante Sprengstoffe beigemischt, die den Schluß zulassen, daß dieses Material zur Füllung von Gasgranaten verwendet werden sollte; Lokal-Anz. 3. 9. 1934 Polnol, das für Granaten Verwendung findet, ist ein hochbrisanter Sprengstoff; Koeppen

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brisant

1961 Rußland 10 solange der Funke nicht in die brisante Seele schlägt (DUDEN 1993); MM 24. l. l986 der Weg, auf dem die brisante Chemikalie in das Altöl gelangt ist, gilt bei Fachleuten als unumstritten; ebd. 30. 12. 1986 Lagerung von Flüssiggas birgt erhebliche Gefahren (Überschr.) .. schon geringe ausgeströmte Mengen seien äußerst brisant; ebd. 6. 12. 1986 der Mannheimer Oberbürgermeister .. forderte strengere Auflagen für Betriebe, die brisante Stoffe — ob flüssig oder fest — lagern; ebd. 23. 7. 1987 einige hochexplosive Stoffe und Gifte dürfen . . gar nicht auf der Straße transportiert werden, bei anderen brisanten Gütern wird eine genaue genehmigungspflichtige Route festgelegt; Stern 12. 11. 1987 am Bauzaun der atomaren Wiederaufbereitungsanlage im bayrischen Wackersdorf traten die Autonomen . . mit militärischer Präzision und brisantem Material auf: Wurfbeutel voll ätzender Säuren, Molotowcocktails mit Napalm-Wirkung; MM 15.9.1994 Alarm gestern mittag . . auf einem Baugelände in der Sportwörthstraße. Arbeiter waren auf eine Panzergranate gestoßen. Sie legten den brisanten Bodenschatz .. frei; ebd. 20.10.1994 immer wieder fördern auch in Mannheim Baggerschaufeln solche brisanten „Blindgänger" ans Tageslicht. Erst im Februar dieses Jahres finden Bauarbeiter .. eine 250-Kilo-Bombe; ebd. 12. 12. 1995 Als Matus Cernak .., der Vorsitzende des Slowakischen Exil-Nationalrates, im Münchner Postamt 13 ein an ihn adressiertes Päckchen öffnet, geht die brisante Sendung hoch. Mit Cernak sterben . . zwei Postkunden. Brisanz: 1915 Duden-Rechtschreibung 66 Brisanz (Sprengkraft); Sternheim 1918 Chronik II 207 der bei der Erzählung von Jakobs Kriegsanekdoten lärmend vaterländisch begeistert war. Sie stützte seine einfache, seelische Mechanik, ölte die Maschine, drehte die Kurbeln und stellte sie auf Jahrestage beliebter Schlachten, auf Kaisergeburtstag oder sonst ein Jubiläum, um ihn, rasender Brisanz mit Lampions und Feuerwerk, auf die Zeitgenossen loszulassen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 993) er hat sich platt hingeworfen, da ein Höllenhund anheult, ein großes Brisanzgeschoß; Wilke 1929 Prisonnier Halm 235 Brisanzgranaten; Mimra 1930 Batterie 241 Brisanzgranaten; LokalArn. 13. 1. 1933 Bei einem Luftangriff finden folgende Bombenarten Verwendung: a) die „Brisanzbomben" dienen zur Zerstörung von Bauten; ebd. 26. 2. 1933 die jetzige Brandbombe .. kommt .. der früheren, bedeutend schwereren Brisanzbombe im Endeffekt gleich; Lehmann 1935 Infanterie 189 eine von den gefürchteten Brisanzgranaten; Breitenacher 1938 Späher 37 die schmetternden, grellen

Töne der Brisanzgranaten; Ernst 1940 Sendung 25 eine Brisanz, die jedes vorstellbare Heldentum zersplittert; Stern 29. 10. 1987 die Eigenmixtur, die beim Beckurts-Mord verwandt worden war, ist, so die Experten des BKA, von einer solchen Brisanz gewesen, wie man sie bei „gewerblichen Sprengstoffen kaum findet"; MM 1. 7. 1995 Wegen der Brisanz des brennenden Schrotts war auch Oberbürgermeister . . Widder .. in den Hafen gekommen. brisant b: 1934 Volk u. Reich 17 der Gedankenwelt der Aufklärung, die von den Angelsachsen zuerst politisch-praktisch geformt war, doch aber erst auf dem europäischen Festlande zum brisanten Sprengmittel hatte werden sollen, durch die französische Revolution; Welt 28. 1. 1964 hier ist . . ein hochbrisantes Duell zwischen der schützenden Schar der kaiserlichen Leibwächter und dem neugierigen Pulk jener Hofberichterstatter zu erwarten, denen dieses Sportereignis mehr wert ist als olympischer Wettkampf; Haffner 1965 Todsünden 72 Ein ganz ehrliches Spiel spielte Deutschland dabei . . nicht, und oft wußte es wohl auch gar nicht so recht, mit wie hochbrisanten Stoffen [den revolutionären neuen Kräften des 20. Jhs.] es da eigentlich hantierte; Welt 25. 2. 1969 zumal es in Sichtweite des 6. Deutschen Schriftstellerkongresses brisante Fragen gibt, die keine Zeitzündung in der Diskussion vertragen; Süddtsch. Ztg. 12. 4. 1969 Brisante Themen werden zur Sprache kommen; Offenburger Tagebl. 21. 7. 1969 Hauptpunkte der auf dem Kirchentag beschlossenen Revolution mit zum Teil brisanten politischen Forderungen; FAZ 11. 12. 1970 Die zweite Phase des Prozesses gegen Calley wird . . aufschlußreicher und brisanter sein; Offenburger Tagebl. 18. 9. 1971 Die informierten Kreise machten klar, daß die brisanten Dokumente des Document Centers in Berlin keinesfalls für den allgemeinen Gebrauch bestimmt seien; Amery 1971 Widersprüche 9 war . . Herbert Marcuse daran, seine brisanten Bücher zu veröffentlichen; Welt 18. 1. 1974 Das . . Dokument ist von Eppler offensichtlich als so brisant empfunden worden, daß es sofort mit dem Stempel „Verschlußsache" versehen wurde; ND «.11. 1974 Es wurde eine Reihe brisanter Probleme gelöst, die seit dem zweiten Weltkrieg die Atmosphäre in der Welt vergifteten; Zeit 8.2.1985 daß Bundeskanzler .. Kohl brisante Themen gern auf die lange Bank schiebt, ist bekannt; MM 4.11. 1985 der Rhein-Neckar-Kreis sei . . derjenige mit dem brisantesten Notstand auf dem Müllsektor; Zeit 10.1.1986 aber das zugrunde liegende Politikum einer brisanten Technologie harrt noch der Aufbereitung; MM 23. 10. 1986 die Klassik-Interpretation aus Dresden war

brisant der aktuellste, brisanteste Beitrag; Zeit 12. 12. 1986 der Ausdruck „Antimodernismus" als brisante Vokabel kommt aus der jüngsten Kirchengeschichte; MM 23. 1. 1987 daß das brisante Thema [Armut] im Bundestagswahlkampf die längste Zeit nur kleinlaut zur Sprache kam; ebd. 25. 4. 1987 eine Serie von gewaltsamen Aktivitäten . . von Sympathisanten der Hafenstraßenszene hat brisanten Zündstoff in den . . Wahlkampf in Hamburg gebracht; Strauß/Haß/Harras 1989 Brisante Wörter. Von Agitation bis Zeitgeist (Titel); Rhein. Merkur 18. 5. 1990 der SED-Staat hatte eine geradezu hysterische Angst vor Spionage, vor dem Bekanntwerden von . . brisanten Forschungsprojekten; MM 5. 6. 1990 was kurz vor der Wende noch brisanter Diskussionsstoff gewesen sein mag, ist heute längst überholt; Berl. Ztg. 27. 8. 1990 Stasi-Akten — ein hochbrisanter Zündstoff; Spiegel 6. 9. 1993 sein geschicktes Taktieren in der brisanten Menschenrechtsfrage; MM 5.11. 1994 [Der] Leiter der Redaktion Zeitgeschichte im ZDF . . und seine . . Mitarbeiter schwören auf „dokumentarisches Ereignisfernsehen": Geschichte wird an ihren brisanten Wendepunkten festgemacht; ebd. 9. 11. 1994 Brisante Zahlen hat die Gesellschaft für Ursachenforschung bei Verkehrsunfällen . . veröffentlicht; ebd. 23.11. 1994 blieb das Werk bis nach der Bundestagswahl in der Schublade, nachdem Monate vorher immer wieder korrigiert und manch brisante Stelle ausradiert worden war; ebd. 31.5.1995 Oliver Reck wird Werder Bremen in der brisanten Meisterschaftsphase nicht zur Verfügung stehen; ebd. 17. 9. 1995 Außer diesem seifigen Kalauer-Thema werden aber auch brisante Zeitereignisse behandelt, die Kurdenprobleme, die Abschiebepraxis oder die Auslandseinsätze der Bundeswehr; ebd. 20. 10. 1995 Rußland kurz vor Ende des Kalten Krieges. Der sowjetische Physiker Dante schmuggelt brisante Aufzeichnungen nach Großbritannien. Brisanz: Süddtsch. Ztg. 2. 6. 1951 Die Brisanz, die jedem personalpolitischem Thema innewohnt, hat sich ausgetobt; Diesel 1963 Menschheit 315 Können wir uns herausarbeiten aus dem Wust, den die Entwicklung der Jahrtausende aufgehäuft hat und der sich vor unseren Augen in einen Explosivstoff von höchster Brisanz verwandelt?; Welt 25. 1. 1966 Zwei Redner machten . . die Brisanz spürbar, die hinter diesen Fragen steckt (DUDEN 1993); ebd. 5. 6. 1969 teils waren die von den Porst-Anwälten gelegten Minen vom Bundesverfassungsgericht entschärft worden, teils schienen ihre Ladungen von allzu geringer Brisanz und die Zünder zudem mit Verzögerung eingestellt zu sein; ebd. 9.3.1970

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Nur das deutsch-polnische Gespräch ist . . noch ohne kritische Brisanz; 1970 Schauspiele o. S. (FAZ Nr. 293) „komödiantische Brillanz und politische Brisanz" wollte der Regisseur gleichermaßen zum Ausdruck bringen; Zeit 20. 9. 1985 sterbende Wälder, Energieverschwendung, . . Stadtzerstörung, niemand mag da noch richtig hinhören, Brisanz, die unter dem Berg geschriebener und gesprochener Beteuerungen untergegangen ist; MM 2. 10. 1985 die ganze Geschichte ist von unheimlicher Brisanz und so heikel, daß die SPD-Fraktion nur mit Skrupeln an die Sache herangeht; Zeit 2. 5. 1986 Die Staatsbombe (Überschr.) . . acht Jahre nach ihrer staatlichen Zündung gewinnt die Celler Bombe eine politische Brisanz, die ihre konventionelle Sprengkraft weit übersteigt; ebd. 5. 9. 1986 beim Atommüll ist die Brisanz längst erkannt und gesetzlich festgeschrieben; ebd. 3. 10. 1986 die Kontroversen über Westintegration, Wiederbewaffnung . . haben . . an Brisanz verloren; ebd. 5. 6. 1987 die Kombination von Gen- und Hirnforschung birgt erhebliche Brisanz; MM 13. 6. 1987 eine bedeutendere Funktion haben einige Bilder, denen man ihre Brisanz ohne Erläuterung nicht anmerkt; ebd. 11.6. 1988 im Umfeld der Manesse-Lieder sind die dunklen Seiten des Lebens ausgeklammert, und das deutet wohl darauf hin, daß zu Beginn des 14. Jahrhunderts . . die Zeit ihrer Aktualität und Brisanz schon vorbei war; Junge Welt 5. 12. 29S9 hier ruht politischer Sprengstoff, dessen Brisanz wir vielleicht nur ahnen können; Leipz. Volksztg. 5. 1. 1990 Freizeit der Schüler, ein Problem, das mit der 5-Tage-Woche an Brisanz gewonnen hat; MM 25. 5. 1990 auf dem Programm stehen Werke, die vor dem 9. November entstanden und wegen ihrer Brisanz ungespielt blieben; aber auch ganz aktuelle Stoffe, deren Uraufführung gerade ein paar Wochen zurückliegt; Berl. Ztg. 17.9.1990 daß sich Volkskammerabgeordnete um die Aufbesserung ihrer finanziellen Absicherung nach dem Ende der DDR sorgen und deshalb die ihnen eigenen Druckmittel in Anschlag bringen, ist an sich von höchster Brisanz; Altner 1991 Naturvergessenheit 7 Es ist von besonderer Brisanz, daß es nun im Kontext dieser Entwicklungen .. mit der militaristischen Ethik eine Einstellung gibt, die nur das selbstbewußte . . Leben als menschliches Leben im Vollsinn des Wortes anerkennt; MM 7.6.1994 Seine Worte haben auch fünf Jahrzehnte danach nichts an Aktualität verloren, eher noch an Brisanz zugenommen; ebd. 10. 10. 1995 Das Gespräch hat durch die Spekulationen um einen „Rachefeldzug" von „Lady Di" gegen das Königshaus bereits im Vorfeld an Brisanz gewonnen. GS

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Brokat

Brokat M. (-s; ohne PL, fachspr. als Stoffbezeichnung auch -e), Ende 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. broccato (subst. Part. Perf. von broccare 'mit Gold- und Silberfäden durchweben', zu brocco 'kleiner Nagel, Spieß' < lat. broccus 'Sproß, Zweig, Dorn', subst. M. von brocc(h)us; —» Brosche, —> Broschüre), zunächst auch in den Formen Brocado, Proc(c)at, im 18. Jh. auch in der Form Brocard (< gleichbed. frz. brocart gleichen Ursprungs). In der Bed. 'schwerer, mit Gold- und Silberfäden (in Form von Blumenmustern) durchwirkter, broschierter Seidenstoff (—» Broschüre), in Verbindungen und Zss. wie schwerer, kostbarer Brokat, Brokatstoff, Goldbrokat, bes. auf Kleidungsstücke bezogen, vgl. Brokatkleid, daneben auch auf Tapeten, vgl. Brokattapeten, bzw. Vorhänge; dazu seit späterem 18. Jh. die adj. Ableitung brokaten (ohne Steigerung) 'aus Brokat'. Brokat: 1598 Orientalisch Indien H 61 Sie tragen Kleider biss auff die Schuh von Seyden, Sattyn, vnd auch wol von Brocado, das ist von güldenen vnd silbern Stücken, schön gemacht vnd gestickt; Amman 1630 Reise in's Hl. Land 41 ein kostlichen Rock von Brocado, das ist von Gold, Silber und Seiden gar künstlich gestickt; Francisci 1681 Trauersaal IV 1054 etliche Stücke Sinesischen gemodelten Satins (Brocats); Abr. a S. Clara 1688 Judas I 265 der Rock muß von geblümten Procat seyn; Gansler 1700 Lugenschmid III 157 Procat; Amaranthes 1710 Frohen d. Poesie 361 Brocard; Stranitzky 1711 Ollapatrida 276 einen Rock oder Mantell oder für das Frauenzimmer von Attlaß/ von blümten Brocat, oder Carmesinrothen Damast; Uffenbach 1728 Tagebuch 17 Brocatentapeten; Bodmer 1746 Mahler I 157 dort gehet Androphila/ des Advocaten Tochter! sie trägt eine Kappe mit Gold durchnähet, .. der Rock ist von Brokad, mit goldgelben Bluhmen durchwirckt; Halle 1762 Werkstäte d. Künste II 48 Brokat ist ein jeder Stoff, dessen Blumen Gold oder Silber bei sich füren; Lichtenberg 1768 Aphorismen l 98 Wenn diese Annäherung [der männlichen Natur zu der weiblichen] so sehr als möglich sinnlich gemacht wird, so entsteht der Stutzer, es mag nun dieses in einem zu sorgfältigen Beschmieren mit Kuhmist oder mit Schminke, in einer allzu geflissentlichen Anordnung in der Weste von Seehundsfellen oder von Brokat, in der Uniform oder dem Chorrock bestehen; Stetten 1779 Kunstgesch. I 213 Brocatmacher; Nicolai 1783 Reise I 259 Manufakturen von Haute- und Basslisse-Tapeten, von reichen Brokaten, von feinen Zizzen, sind Dinge, welche viel Redens machen; Goethe 1816 Kunst u. Alterthum (WA I 34.1,178) der Mahler wird gewahr, daß er Brocat und Damast, und was sonst farbenwechselnd, glänzend und scheinend ist, durch seinen Pinsel hervorbringen könne und mechanischer Hülfsmittel nicht weiter bedürfe; Freiligrath 1844 Glaubensbek. (111 59) Du thätest besser, in der That,/

Frei das Panier ihm zu entfalten,/ Als am verwitterten Brokat/ Von meiner Bahre dich zu halten!; Gregorovius 1852 Wanderjahre l 13 Bühnengoldbrokat; Dincklage 1870 Gesch. I 31 Die Frauen pressen sich in starre Brokatkleider, streuen Puder in ihr Haar und flechten Rosen und Juwelen ein; Faucher 1877 Culturbilder 192 Aber in Lyon ward diese Hoffnung bald getäuscht, denn bald machte man dort auch wieder Brokate; Tb. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 485) seine kleine Rechte . . zerrte krampfhaft an dem Brokatstoff der Portiere; Rilke 1904 S. W. III 468 ich will dir eine Siziliane/ langsam lesen, Worte von Brokat; Werfel 1924 Verdi 361 Wie Schönheiten des Ostens wickelt Gasparo die Geigen aus hundert Floren, Seidentüchern und Brokaten; Friedeil 1927 Kulturgesch. I 194 eine fadenscheinige, aufgebauschte Goldbrokatkultur; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. XI 626) Nur keinen archäologischen Brokat! Nur nichts Gelehrt-Aristokratisches und keinen gewollt gegenbürgerlichen Kult krasser Exotik; Lokal-Anz. 29. 11. 1934 Sie trug ein einfaches Brokatkleid mit einer vier Meter langen silbernen Hofschleppe; Frankf. Ztg. 8.1.1939 von den Brokatsstoffen umrauscht; Tb. Mann 1951 Erwählte (W. VII 132) Grigorß hatte heute sein Wappenkleid angelegt, das schöne, aus den Stoffen seiner Mitgift, Pfeffel war es aus Morgenland, dunkel-bunt, von Goldfäden durchwoben, und der Brokat hielt ihre Augen an; Zeit 18. 10. 1985 Morbide Stoffe in Seide und Brokat, golden und altrosa - brüchig durchbrochen verdecken sie den eben geschauten Morast; ebd. 22. 5. 1987 Gelungen ist auch das Bild des Trompeters . ., der auf Stelzen, in kostbaren Brokat gewandet, das Königliche, aber auch das Herrische . . seines Instruments darstellt; Stern 1. 10. 1987 Schiller, Raabe, Rosegger, bürgerliche Brokatliteratur, zerfledderte englische Krimis; Weyden 1990 Träume 30 Marmorhalle, Marmortreppe, alte kostbare Gemälde, schwere Brokate, hohe Türen, mit Gold eingelegt.

Brosche brokaten: Weisse 1765 Beytrag (I 300) eine brocadene Weste; Hase 1779 Aldermann U 22 wie sich der ausnahm in seiner brokadenen Weste und dem schwarzen Sammtrocke; Goethe vor 1832 Rom. Elegien. Nachtr. (WA I 53,3) Ekel bleibt mir Gezier und Putz und hebt am Ende/ Sich ein brocatener

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Rock nicht wie ein wollener auf?; Schlözer 1926 Menschen 109 Die vielen bunten Uniformen, die Mohren in ihren brokatenen Gewändern — alles machte sich bezaubernd; M.-A. Abendztg. 3. 6. 1944 Prinzessinnen in brokatenen Gewändern. HK

Brosche F. (-; -n), im früheren 19. Jh. (gebucht 1838 bei Heyse) entlehnt aus frz. brache 'Schmucknadel; (Brat-)Spieß' (über galloroman. brocca zurückgehend auf lat. brocc(h)us 'vorstehend' (von Tierzähnen); —» Broschüre, —» Brokat), zunächst auch in den Formen Broche, Brosch. In der Bed. 'Schmuck-, Anstecknadel' als Utensil der Damengarderobe zum Zusammenhalten eines Kleidungsstücks, vor allem aber zur schmückenden Zierde verwendet. Landsteiner 1860 Leben 127 „Sie kleiner Schmeichler!" Und sie spielte mit ihrer Broche und schlug die Augen nieder; Wachenhusen 1861 Freisch. 12 Auch das Dienstmädchen . . repräsentirte die Firma ihres Hauses sehr würdig, indem sie das Bild des Dictators als Broche auf der Brust trug; ders. 1864 Rouge l 128 Diamant-Broche; Schücking 1865 Frauen u. Rätsel I 279 Mosaikbrosche; Hartmann 1869 Philosophie 160 über die Armbänder, Brechen und sonstigen Putz besuchender Damen war sie öfters ganz entzückt; 1895 Dtsch. Dichtung XVIII 134 Gräfin Julia erscheint/ Blitzend von Brillanten./ Eine Broche von Azur/ Schmückt die schöne Büste; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 85) nie war an ihrem kümmerlichen schwarzen Kleidchen etwas wie Putz gesehen worden ausgenommen die große, ovale Brosche, auf der in Porzellanmalerei das Bild ihrer Mutter prangte; Hesse

1919 (1980 Magie 14) kein Genuß ist so flüchtig, ist so lächerlich vergänglich wie der des Essens. Und so ist es im Grunde auch mit den schönen Kleidern, den Ringen und Broschen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 399) Im übrigen könnte selbst ich aus dem Kamm und der Brosche kein Rittergut herausschlagen. Auch aus der Busennadel nicht, trotz dem Saphir; Grass 1962 Blechtrommel 126 Am sauber gestärkten Weiß ihrer Schwesterntracht, am schwerelosen Gebilde, das sie als Haube trug, an einer schlichten, mit rotem Kreuz verzierten Brosche ruhten sich mein Blick und mein . . Trommlerherz aus; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 196 Die Granatennarbe in seinem Gesicht hielt das überlegene Lächeln zusammen wie eine Brosche; MM 30. 7. 1986 Schmuck ist bei Dior als „trompe d'oeil" aufgearbeitet, prächtige Kolliers, Broschen, Armbänder gehören untrennbar zu vielen Modellen. HK

Broschüre F. (-; -n), im früheren 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. brochure (zu bracher 'mit Stichen heften'; —» Brosche, —* Brokat), zunächst auch in frz. Schreibweise, bis Mitte 19. Jh. auch in der Form Brochure. In der Bed. 'eine mit einem Papp- oder Papierumschlag versehene, geheftete (nicht gebundene) Druckschrift geringeren Umfangs (mit aktuellem, informativem, propagandistischem, ein komplexes Thema populär darstellendem Inhalt), Heft, Flugschrift' (Ggs. Buch), in Wendungen wie eine Broschüre drucken, verteilen, anfordern, verschicken, veröffentlichen, herausgeben, die Broschüre gibt Hinweise, Ratschläge, klärt auf, mit kennzeichnenden Adj. wie eine kleine, kostenlose Broschüre, in Aufzählungen häufig zusammen mit Bezeichnungen für ähnlichen Zwecken dienende Druckerzeugnisse wie Broschüren und Prospekte, Broschüren, Flugblätter und Plakate, gelegentlich auch abwertend verwendet (s. Belege 1792, 1839), bes. in Zss. wie Schandbroschüre, Broschürenmacher, -wesen. Dazu schon seit frühem 18. Jh. das aus gleichbed. frz. bracher (s. o.) übernommene V. trans, broschieren, selten auch brochieren, als Fachwort des Buchwesens in der

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Broschüre

Bed. 'Bücher heften' verwendet (Ggs. binden), zumeist im Part. Perf. broschiert 'nicht gebunden' adj. verwendet, vgl. dazu in neuerer Zeit die gebuchte subst. Ableitung Broschur 'das Broschieren; geheftete Druckschrift'; daneben bis ins 19. Jh. auch im Textilwesen in der Bed. 'einen Stoff so weben, daß ein erhabenes Muster entsteht' (s. Beleg 1837). Broschüre: 1737 Neue Europ. Fama X1X/XX1V 1044 dass man auch Bedencken getragen, die blossen Titul solcher ärgerlichen Brochuren nur anzuzeigen; Mendelssohn 1759 Br. d. neueste Litt, betreffend l 130 einige kleine Brochuren; 1772 Frankf. gel. Anz. 13 Der Dichter . . legt. . ein Blatt nieder, das in dem leichten Kleide der Brochure wichtige Wahrheiten predigt; Lavater 1781 Verm. Sehr. 11 257 Es ist gewiß viel Wahres auch in dieser Broschüre; Ob ich gleich wenig Spuren des Geistes der Wahrheit und Liebe darin bemerke; Friedel 1783 Br. a. Wien l 430 Broschürenschreiber; Schiller 1784 Br. l 214 Broschüre; Servati 1785 Briefw. l 61 Schandbrochüre; Meusel 1790 Mag. II 6 ein Vielschreiber und Broschürenmacher; Laukhard 1792 Leben II 50 die Brochure: Karoline und Wander . ., die wirklich sehr elend war; 1796 Journal d. Moden XI 281 Broschürenkrämer; Westenrieder 1800 Beitr. VI 297 Tagesbrochüren; Goethe 1830 Tagebücher (WA III 12,309) Ich las die Broschüre, die Reise des flüchtigen Königs von St. Cloud nach Cherbourg beschreibend; 1834 Magazin d. Ausld. V 38 des Brochüren-Wesens; 1839 D V/S / 26 die Broschüren, dieses Supplement des Journalismus; Wagner-Liszt 1850 Briefw. I 96 Solltest Du selbst der Ansicht sein, sie in der Gestalt einer kleinen Broschüre für sich . . drucken zu lassen, würde ich nichts dawider haben; Spielhagen 1866 In Reih und Glied 418 Herr Rehbein, der mit Leo's neuer Broschüre: „Die Steinbrecher und die Baumeister" in der Hand . . dem .. Fremden entgegenhüpfte; Conradi 1884 (Liebesbr. 29) In Berlin werde ich mit Freunden und Gesinnungsgenossen einen Broschüren-Cyklus edieren; Katscher 1886 Nebelland 3 umfangreiche Broschüren- und Buchliteratur; Meerheimb 1888 Psychodramen I 56 eine Broschüre .., welche, anonym herausgegeben, in einer Weise die Armee in ihren Führern und Institutionen .. dermaßen persifliert und lächerlich macht, daß man diesem verletzenden Machwerk samt Machers die Achtung versagen muß; 1896 Kirchenpolit. Br. Nr. 150, l Nicht sehr verschieden ist der Standpunkt, welchen Francesco Edlmann in einer bemerkenswerthen, bereits 1892 geschriebenen, aber erst . . 1895 ausgegebenen Broschüre einnimmt; 1910—11 Pan I 549 Broschürenbegeisterung; Dombrowski 1919 System l 347 Kriegsbroschüre; 1923 Paris z. Biedermeierzeit 192 Der Broschürenpolitiker; 1941 Börsenbl. 281 wenn der Deutsche . . die Broschüre überall da ablehnt, wo

Geistesgut nicht nur für die flüchtige Stunde oder für einen vorübergehenden Zweck durch Schrift und Druck vermittelt werden soll; Münch. N. N. 18. 3. 1944 damit wir entscheiden, ob es sich lohne, die Broschüre später durch den Buchbinder in ein dauerndes Gewand zu kleiden; ND 18. 6. 1949 Es darf nicht so sein, daß diese zentralen Kulturfunktionäre . . die Frage der Literatur nur vom Standpunkt der politischen Broschüre aus betrachten; Kesten 1952 Casanova 191 Eine Broschüre, die er in der Kirche verloren und die sie aufgehoben habe, ließe sie glauben, er spreche französisch; Heuss 1963 Erinn. 172 Er brachte mir eine mit einem knallig farbigen Umschlag versehene Broschüre „Der gelbe Sumpf"; Welt 6. 10. 1964 Bitte fordern Sie diese Broschüre kostenlos bei uns an; ND 12. 12. 1974 In Aussprache, Feierstunden und Foren, durch Artikel, Bücher und Broschüren haben sie dazu beigetragen, insbesondere der Jugend die revolutionären Traditionen der Arbeiterklasse nahezubringen; MM 29.6. 1985 Die Informationsbroschüre ist bei allen weiterführenden Schulen .. erhältlich; ebd. 14.10.1985 Fünf Millionen druckfrische Flugblätter sowie 400000 Broschüren liegen zur Veteilung bereit; ebd. 28. 12. 1985 ein Plakat und eine Begleitbroschüre; Zeit 3.10.1986 stereotypes Propagandagut rechtsradikaler Broschürenliteratur; MM 22. 9. 19S7 Im Bus informieren Plakate und Broschüren über die Drogenproblematik; ebd. 21.5.1988 Diese Broschüre gibt Aufschluß über die Rechtsprechung zu so brisanten Themen wie Hundegebell, Klavierspielen, Partylärm und ähnliches; Rhein. Merkur 24. 8. 1990 daß allein im DDR-Landwirtschaftsministerium mehr als 50000 Broschüren mit detaillierten Hilfsanweisungen für den Fall von Absatzschwierigkeiten . . wochenlang herumlagen. broschieren: Elis. Chart. 1718 Br. III 446 Ihr hettet die durchleü[ch]tigste weit nur, waß man hir prochiren heist, schicken sollen, so hette ich es hir einbinden laßen; Goethe 1816 Br. (WA IV 26,216) werde ich . . ein zweytes Heft ankündigen. Da es broschirt ausgegeben wird, so lasse jetzt eine hübsche Decke in Kupfer stechen; ders. 1824 Über Kunst u. Alterthum (WA I 42.2,93) erschien ein Buch . . als ein Heiliges, wie wir aus dem damaligen Einbände sehen . . wir aber broschiren jetzt alles und haben nicht leicht vor dem Einbände

brünett noch seinem Inhalte Respect; Poppe 1837 Technolog. Universalhandb. l 213 Broschiren oder Einweben von Blumen mit natürlichen Farben in wollene und seidene Zeuge; 1882 Brockhaus Hl 579 In der Buchbinderei heißt Broschieren die gefalzten Bogen durch Heften oder Einsägen und durch Kleben an der Rückseite zu einem interimistischen Zusammenhalt verbinden; Zeit 23. 8. 1985 daß Kluge seine Bücher eher versteckt .. als suhrkamp taschenbücher broschiert erscheinen läßt. broschiert: Hamann 1763 Briefw. 218 Dies sind die brochirten Schriften; von den ungebundenen werde nächstens reden; Hippel 1781 Lebensläufe III 1,319 und fragt ihn, was für Bände in seiner Bibliothek hervorstächen. „Lieblingswerke brochürt ohne Glass und Rahmen am wenigsten goldnen"; 1782 Leipz. Intelligenz-Bl. 114a Bey Krieger . . ist während der Messe . . zu haben: . . Klipsteins mineral. Briefwechesel . . brochirt, ä 10 gr.; Beckmann 1796 Technologie 87 brochirte Zeuge; Moser 1853 Pauperismus 29 brochirte und einfache baumwollene Mousseline; Th. Mann 1924 Zauber-

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herg (W. /// 12) Neben ihm auf der Bank lag ein broschiertes Buch namens „Ocean steamships", worin er zu Anfang der Reise bisweilen studiert hatte; Scherchen 1928 Br. 130 Es ist dies ein broschürtes Buch im grauen Umschlag; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 113) Ende 1900 .. kamen Buddenbrooks heraus, in zwei gelbbroschierten Bänden zum Preise von zusammen zwölf Mark; Dtsch. AZ. 13. 9. 1935 Die brochierten Tafte . . zeigen das Webmuster; Th. Mann 1954 Reden u. Aufs. (W. X 935) Aber ich sollte nicht vergessen, daß meine Frühzeit dem broschierten Buch gehörte; daß ich meine frischesten, fruchtbarst nachwirkenden literarischen Eindrücke . . der ReclamBibliothek verdanke; Süddtsch. Ztg. 6.5.1955 Broschürtes Klagelied. „Probleme und Notstände der bayerischen Landeshauptstadt" lautet der Titel einer Broschüre; MM 17. 4. 1986 Dieses Gespräch, dessen Protokoll mit dem schmalen, broschierten Katalog der Ausstellung zusammen angeboten wird; MM 18. 7. 1987 Die Westausgabe ist eine textidentische Edition der zwei broschierten Bände, die im Aufbau-Verlag erschienen. HK

brünett Adj., Mitte 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. brunet(te), Deminutivform von brun 'braun' (über vulgärlat. *brunus zurückgehend auf das German., vgl. dtsch. braun), anfangs in der Schreibung brunet, vereinzelt auch brined, und in der ital. beeinflußten Form brunel. Bezogen auf die Haarfarbe und andere phänotypische Erscheingsmerkmale wie Haut- und Augenfarbe eines Menschen in der Bed. 'von bräunlicher bis rötlichbrauner Farbe; braun, dunkelhaarig (und dunkelhäutig)' (im Unterschied zu —» blond), oft konnotiert mit „herb, apart; temperamentvoll, südländisch, rassig, heißblütig", in festen Verbindungen wie brünetter Typ, Teint, brünette Augen/Hautfarbe/Rasse. Dazu gleichzeitig das aus gleichbed. frz. brünette entlehntes Subst. Brünette F. (-n; -n), vereinzelt M. (-n; -n), anfangs auch in der frz. beeinflußten Schreibung Brünette, in der Bed. 'Frau mit braunem bis rötlichbraunem Haar, meist braunen Augen und dunklem Teint', oft im selben Kontext—» Blondine gegenübergestellt (s. Belege 1711, 1720, 1806, 1810, 1836, 1860, 1926, 1967), häufig in Verbindungen wie eine kleine, hübsche, attraktive, stattliche, üppige Brünette, mit der im 17./18. Jh. nachgewiesenen Deminutivform Brünettchen, auch Brünettgen; im späteren 18. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Brünettheit. brünett: Duez 1652 Nomencl. 54 Brun, brunet, braun/brunetchen; Wächtler 1709 Manual 52 f. Brunel, braunlicht/ z. E. er hat brunel Haar. Sie ist eine . . bräunlichte Weibs-Person; Messerschmidt 1723 Sibirien H 88 Sonst sind sie mehrenteils brünett, und findet man selten oder gar nicht Blonde unter ihnen; Stranitzky 1724 Haupt- u. Staatsaktionen 195 Erzürne dich nicht, es möcht sonst der Schnee deiner Haar brined werden; Sperander

1727 A la mod Sprach 78 Brunet, bräunlicht, schwarz-braun; Blumauer 1782 — 87 Gedichte (III 141) Dein ganz brünetter Teint, so sehr verschieden Vom Teint der blonden Laus, Erkor gleich anfangs dein Geschlecht hienieden Zu großen Thaten aus; Rasch 1863 Berlin 14 brünette Mädchen; Hartmann 1869 Philosophie 183 Grosse Männer lieben kleine Frauen und umgekehrt, magere dicke, stumpfnasige langnäsige, blonde brünette, geistrei-

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brünett

ehe einfach-naive, wohlverstanden immer nur in geschlechtlicher Beziehung; Perfall 1887 Verhältnis 63 Die zarte, schlanke Frau mit dem länglich geschnittenen brünetten Gesicht; Tb. Mann 1896 Erz. (W. VIH 43) zeigten seine Schläfen und Wangen noch deutlicher als gewöhnlich das blaßblaue Geäder, das man gerade bei zarten brünetten Menschen häufig bemerken kann; 1900 Dtsch. Revue XXV 3,19 tiefbrünette Molly; Th. Mann 1903 Erz. (W. Vlll 272) unter Tonio's runder Pelzmütze blickten aus einem brünetten und ganz südlich scharfgeschnittenen Gesicht dunkle und zart umschattete Augen mit zu schweren Lidern träumerisch und ein wenig zaghaft hervor; Weltmann 1903 Anthropologie 64 Bei brünetten Personen ist das Pigment über die gesamte Körperoberfläche verbreitet, auch bei Blonden sind nur wenige Stellen davon frei; Mamroth 1907 Leben 145 [einer] brünetten Juno, die, voll aufgeblüht und ihres Zaubers bewußt; Brachvogel 1919 Glück 11 Auf ihrem brünetten, kühn geschnittenen Gesicht, lag ein Schimmer heller Freude; Janitschek 1919 Mimikry 102 einen brünetten, hübschen Jungen von höchstens 17 Jahren; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 517) sein Genösse, obgleich blonden Haares . . zeigte gleichfalls die mattweiße Gesichtshaut brünetter Rassen; Schmitz 1926 Dämon 42 in ihrer brünetten Herbheit; Voss. Ztg. 15. 2. 1928 ein Experimentalpsychologe .. hat an vier brünetten und vier blonden New Yorker Chorgirls festgestellt, daß die Brünetten zu bevorzugen seien; Münch. N. N. 7. 4.1944 ein brünetter Typ mit reichem, dunklem Haar, ausgeprägten ernsten Zügen und braunen Augen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 32) Aus der Gegend von Apolda gebürtig, war sie so brünetten Typus, wie es in deutschen Landen zuweilen vorkommt, ohne daß die erfaßbare Genealogie eine Handhabe zur Annahme römischen Bluteinschlages böte. Der Dunkelheit ihres Teints, der Schwärze ihres Scheitels und ihrer still und freundlich blickenden Augen nach hätte man sie für eine Welsche halten können, wenn nicht doch eine gewisse germanische Derbheit der Gesichtsbildung dem widersprochen hätte; ebd. VI 34 Der brünette Teint, der Augenschnitt, die Mundund Kinnbildung, alles kam von Mutters Seite; FAZ 16. 3. 1963 Anpassungsfähige brünette Dame . . schlank, apart, künstlerisch interessiert; ebd. 11. 5. 1963 brünetter, froher Typ aus gutem Hause (Anzeige); Bild 23. 2. 1967 Morgen stellt Bild noch einmal die zwölf Soldatenbräute vor. Jeder kann sich sein blondes, braunes oder brünettes Traummädchen aussuchen; MM 6. 7.1985 Ich bin ein brünetter Typ und bräune an und für sich sehr leicht. Brünette: Moscherosch 1646 Gesichte 206 und dieser Brünette zu Ehren ein Walsches Liedlein herzu-

singen; Menantes 1703 Galant zu schreiben 524 so offt ihr in dem Spiegel eine annehmliche Brünette sehet (beide BRUNT); Wächtler 1709 Manual 52 f. Sie ist eine schöne Brünette, bräunlichte Weibs-Person; Stranitzky 1711 Ollapatrida 55 So wollet ihr/ daß ich euch rathen soll/ ob ihr eine Brünette oder eine Blondine heurathen sollet?; Corvinus 1720 Reifere Früchte 313 Den Weiß-Fisch kann ein jederman An solchen Kindern lesen Die man Blondinen nennen kan, Und der Aalraupen Wesen Stellt sich bey den Brünetten ein; Sperander 1727 A la mod Sprach 78 Brünette, ein braunes Mägdlein; Jasander 1730 Historien-Schreiber 168 Der Printz sähe nun . . diese wohlgestalte Brünette mit gantz ändern Augen an (BRUNT); Lindenborn 1741 Diogenes II 70 Denn woferne das uralte Geschlecht des geräucherten Frauen-Zimmers/ welches man Höflichkeit halber Brünetten nennet, solches gewahr werden solte; Goethe 1774 Werther (HA VI 32) die Jungfer Pfarrerin . . gefiel mir nicht übel; eine rasche, wohlgewachsene Brünette, die einen die kurze Zeit über auf dem Lande wohl unterhalten hätte; Tekete 1780 Beytrag 29 noch weniger der reizendtsten unter alle möglichen Blondinen oder Brünetten . . nachsetzen sollten; Lang um 1805 Haushaltung II 108 einer Brünette aus Spanien; Ehrmann 1806 Frankr. 109 Ein großer Theil des weiblichen Geschlechts [unter den Franzosen] verdient wirklich mit vollem Rechte den Beinamen des schönen; doch giebt es im Durchschnitte genommen mehr Brünetten als Blondinen; Rehfues 1809 Br. a. Italien l 14 Brünetten mit saphirblauen Augen, welche wohl die Vollendung weiblicher Schönheit sein dürften; Goethe 1810 Farbenlehre (HA XIII 507) Die Blondine hat zu Violett und Hellgelb, die Brünette zu Blau und Gelbrot Neigung, und sämtlich mit Recht; Müller 1816 München l 306 viele Brünetten mit blühenden Wangen, feiner Haut und blauen Augen; Goethe 1821 Wanderjahre (HA VIII 76) Wie er sich der blonden Schönheit so genau erinnern und sie mit der Tochter des liederlichen Pachters, einer wilden Hummel von Brünette, verwechseln kann .. bleibt mir völlig unbegreiflich; Glassbrenner 1836 Bilder II 87 Coquettire du mit jener Brünette dort unter dem Baume, ich werde die Blondine hier gegenüber nehmen; König 1857 Clubisten 1127 eine niedliche Brünette; Holtet 1860 Eselsfresser II 97 Graf Edgar zog hinter einer freiwillig recht munter eintretenden Blondine eine sich sträubende Brünette fast gewaltsam nach; Leitner 1880 Novellen 183 eine niedliche, heitere Brünette mit rothen Lippen und einer Reihe blendend weißer Zähne; Franke-Schievelbein 1894 Rotdorn 8 Eine Brünette mit voller biegsamer Gestalt und südlichen Glutaugen; Th. Mann 1903 Erz. (W. VIII 223) sein Äußeres war

brüsk wunderlich. Man vergegenwärtige sich einen Brünetten am Anfang der Dreißiger und von stattlicher Statur; Weber 1926 Max Weber 423 Nachweis . . ob die Blondinen oder die Brünetten hübscher sind; Heyck 1928 Aussenseiter 56 ruckartig springen die Chansonetten auf . . Eine üppige Brünette hat ihr Bierglas umgestoßen; Voss. Ztg. 15. 2. 1928 ein Experimentalpsychologe . . hat an vier brünetten und vier blonden New Yorker Chorgirls festgestellt, daß die Brünetten zu bevorzugen seien; Loos 1929 Brünette - heiraten! (Übers.) (Titel); Berl. IIlustr. Nachtausg. 20. 1.1933 Die Technische Hochschule . . veranstaltete kürzlich einen Ball, bei dem die Eintrittpreise für Damen nach einem Schlüssel berechnet wurden . . Darüber hinaus wurden von jeder Brünetten 10 Cents, von jeder Blonden 15 Cents und jeder Rotblonden 20 Cents Zuschlag erhoben; ebd. 4. 8. 1934 daß sie [die Geruchsschärfe] bei Brünetten viel stärker entwickelt ist als bei Blonden . . Die Albinos . . haben einen äußerst schwach entwickelten Geruchssinn; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 151) einem Langen, Brünetten, dessen Blick meist sanft von den Lidern bedeckt und dessen Mund wie zum Pfeifen zusammengezogen war; ders. 1954 Krull (W. VII 419) Sonst gab es nichts . . an der Komplexion dieser Brünetten von vierzig Jahren, was mir die zarten Beziehungen hätte verleiden können, in denen ich zu ihr stand. Ein kleines dunkles Flaumbärtchen auf der Oberlippe kleidete sie nicht übel; Münch. Abendztg. 17.5.1958 Charmante, sympathische Brünette (Anzeige); Bild 23. 5. 1967 Grundsätzlich sollten schwarzhaarige Frauen schwere Düfte tragen, Rothaarige pikante, Blondinen leichte, blu-

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mige und Brünette herbe Parfüms verwenden; Schädlich 1977 Nähe 166 eine kleine Brünette, die . . ihre weißen Zähnchen zeigt; Zeit 18. 7. 1986 Ein Enzym für die Sonnenbräune (Überschr.) Rothaarige leiden mit Sicherheit unter einem Defizit des natürlichen „Sonnenschutzmittels" ThioredoxinReduktase, Blonden und Brünetten hingegen können Dermatologen nicht ohne weiteres ansehen, wie gut sie mit diesem Enzym versorgt sind; ebd. 6. 3. 1987 warum sollte dann nicht auch die fade Blonde einen Vorzug gegenüber der Brünetten haben, die der Mulattin ähnelt?; de Groot 1990 Vater 3 Die hübsche, grünäugige Brünette sah in ihrem figurbetonten Satinkleid hinreißend aus. Brünettchen: Finkeltaus 1645 Lieder B7v Das Brünettgen (JONES); Duez 1652 Nomencl. 54 Brun, brunet, braun/brunetchen; Henrici 1725 Satyr. Gedichte II 141 Bald fällt der Sehnsucht was von bleuen Augen ein,/ Bald heist es: Meine Braut soll ein Brunettgen seyn; ders. 1737 Satyr. Gedichte III 469 Bald hat er Blondingen lieber/ Und wenn der erste Trieb vorüber,/ So geht er zu Brunettgen hin; Bretzner 1788 Leben III 109 Denn der verblendete Wollüstling fand das Brünetchen so sehr nach seinem Geschmacke, daß er sie ganz zur auserkohrnen Herzdame erkiesete; ebd. Ill 310 als ein niedliches Brünetchen schlank wie ein Rohr und hübsch wie eine Grazie . . ins Zimmer trat; Wolf 1793 Dulder I 109 Judith, ein schlankes Brünettchen. Brünettheit: Schummel 1771 Reisen II 180 Der Schirm über der Nachtlampe verwandelte ihre Blondinheit in Brunetheit. IN

brüsk Adj., im frühen 18. Jh. vereinzelt, erst seit späterem 18. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus gleichbed. frz. brusque (< ital. brusco 'herb, rauh; barsch, unfreundlich', wohl zu (m)lat. bruscus 'Mäusedorn' (wegen der rauhen Oberfläche dieses Strauchs)), bis ins 19. Jh. auch in frz. Schreibweise brusque. In der Bed. 'in unerwarteter Weise grob, schroff, barsch, unhöflich', zunächst auch allgemeiner verwendet, z. B. bezogen auf den optischen Eindruck oder als Charakterbezeichnung (s. Belege 1773, 1775), dann meist in Bezug auf den sprachlichen, kommunikativen Umgang in Verbindungen wie in brüskem Ton, jmdn. brüsk unterbrechen, etwas brüsk zurückweisen, auf Körperbewegung bezogen im Sinn von 'unerwartet rasch', z. B. eine brüske Bewegung; dazu seit Mitte 18. Jh. das aus gleichbed. frz. brusquer übernommene V. trans, brüskieren 'jmdn. abweisend, beleidigend behandeln, schroff zurückweisen, vor den Kopf stoßen', auch adj. im Part. Perf. brüskiert, bes. in der Verbindung sich brüskiert fühlen 'beleidigt sein, sich veletzt fühlen', und im Part. Präs, brüskierend; seit spätem 19. Jh. das Verbalsubst. Brüskierung F. (-; -en) 'Beleidigung, schroffe Zurückweisung; jmdn. brüskierende Handlung'.

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brüsk

brüsk: Sperander 1727 A la mod Sprach 78 Brusque, grob, ungeschlieffen, jähzornig; Möser 1773 S. W. V 95 [der Hauptfigur] Gewand ist von brüsken Farben; Schmid 1775 Chronologie d. Dtsch. Theaters 283 seine Rollen sind brusque Officiers; Michaelis 1776 Räsonnement IV 203 von so brüsquer Redlichkeit; ebd. IV 450 der Schritt ist brusque; Bahrdt 1789 Religionsedikt 3 Sein Air ist brüsk; Cramer 1794 Geniestreiche I 30 der brüske Herr Leutnant; Immermann 1838 Oberhof 182 brüsk; Holtet 1860 Eselsfresser II 188 Lassen wir also die brusque, verletzende Art und Weise; Rose 1884 Revanche 221 in brüskem Auffahren; Gottschall 1885 Totenkl. 278 brüsken; Walloth 1886 Seelenrätsel 224 Dieser in brüskem Ton vorgebrachte Antrag; Th. Mann 1894 Erz. (W. VIII 42) „Ach, hör auf mit deinen abgestandenen Redensarten!" unterbrach ihn der Doktor brüsk; Telemann 1895 Hagar 41 Er machte eine brüske Armbewegung, als ob er ihr's verweisen wollte, sich in seine Angelegenheiten zu mischen; Croissant-Rust 1896 Feierabend 133 in etwas brüsker Art; Wassermann 1910 Masken 138 Marianne schüttelte kurz und brüsk den Kopf und schritt hastig voran; Sternheim 1915 Scharmante 22 Brüsk . ., um nicht brutal zu sagen. Verlangt einfach sein Recht, ohne zu bitten; ders. 1918 Chronik II129 Richtete . . wirklich jemand Rede an sie, unterbrach Martha brüsk und sofort; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 30) Du hättest die ärztliche Behandlung nicht so brüsk zurückweisen sollen; Colerus 1929 Kaufherr 233 Ich fürchte . . eine Kontrollkommission nicht.. Ich bin nur ein so brüskes Vorgehen nicht gewohnt; brüsk; Brecht 1943 Galilei (Ges. W. 111 1319) Ich kenne Macht von Ohnmacht auseinander. Er geht brüsk weg; Münch. N. N. 7. 7. 1944 wurde von Eisenhower . . brüsk beiseite geschoben; NZ. (Basel) 19. 4. 1950 Der ob der brüsken Entlassung empörte Ehrat; Süddtsch. Ztg. 18.1.1951 Dann konnte er es sich . . allerdings leisten, brüsk abzulehnen; ND 30. 10. 1954 daß Adenauer über die sieben Punkte ihrer gemeinsamen Vereinbarungen über die Saar brüsk hinweggegangen ist; ebd. 8. 4. 1969 israelische Politiker haben . . brüsk die Beratungen . . abgelehnt; Zeit 28. 12. 1984 Pommerenke . . wurde . . brüsk abgewiesen; ebd. 14. 6. 1985 zumal . . Craxi . . auf brüske Art per Dekret die „Rolltreppe" abbremste; ebd. 2. 5. 1986 einen ähnlichen Vorschlag . . wischten die Sowjets damals brüsk beiseite; MM 18. 8. 1987 Rennertz sägt sie mit bewußt brüsken scharfen Ecken und harten Kanten heraus; Frankf. Rundsch. 23.3. 1990 Brüsk . . beschied . . Schröder die Frage der Journalisten.

scher, zu brusquiren oder abzuweisen; ders. 1744 Dtsch. Memoires Il.l, 290 und auf keine Weise sich brusquiren noch brutalisiren lassen; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 267) Ich will nicht untersuchen, wie weit es mit der weiblichen Bescheidenheit bestehen könne, gewisse Dinge .. so zu brusquiren; 1788 Reisen d. Dtschld. 380 Er setzt den Hut auf ein Ohr und brüskirt Nachbarn, Gevattern und Schwäger; Iffland 1792 Walberg (Theatral. W. X 78) Mich hat er nicht brüskirt; Schmidt 1795 Reise II 97 Man muß sie brusquiren; Goethe um 1802 Edda Studien (WA I 42.2,435) Bey einem Gastmahl Aegers brusquirt Lokum alle Götter; Freytag 1846 Valentine (I 209) Marschall und Wöning, welche Georg brüskieren; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris l 302 aber übereilen, brüskiren Sie nichts, haben Sie Geduld; Fontäne 1882 L'Adultera 143 Er liebt es mitunter, die Welt und ihr Gerede zu brüskiren; Wasservogel 1888 Klinghart 265 Kaum hatte die Welt seine Ernennung erfahren, als sie von der Nachricht von seiner Verlobung mit der Baronin Therese von Florescu überrascht, um nicht zu sagen brüskiert wurde; 1911 Grenzboten IV 533 von deutschen Politikern . ., die die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen ebenso brüskieren wollten; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 92) Friedrich verachtete und brüskierte sie alle drei bis zur vollkommenen politischen Unklugheit; Bülow 1916 Dtsch. Politik 120 Politik des Brüskierens; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 551) Goethe .., der sie nicht ansah, sie in finsterer Ostentation brüskierte und schnitt; Süddtsch. Ztg. 11.10. 1962 daß sich die Kriegsopfer „zutiefst verletzt und brüskiert" fühlten; Offenburger Tagebl. 17.1.1966 Bundesrichter Weber fühlt sich brüskiert; Zeit 23. 8. 1985 Dieser Immobilismus brüskierte und erschütterte . . ungeduldige Westler; Frankf. Rundsch. 3.9.1990 Die ÖTV fühlt sich durch Vorhaben und Stil der IG Bergbau brüskiert; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 121 Wer sich gut verkaufen will, der brüskiert seine potentiellen Leser nicht.

brüskieren: Justi 1741 Dtsch. Memoires I 545 niemanden, er sey ein Fremder oder ein Einheimi-

Brüskierung: 1890 Freie Bühne l 429 seine Feder schildert das Abstoßendste — aber mit unnach-

brüskierend: Welt 28. 7. 1960 das „brüskierende Vorgehen der Bundesregierung"; Zeit 4. 1. 1985 um eine alle Angestellten brüskierende Personalentscheidung rasch über die Bühne zu bringen; MM 22. 10. 1987 wenn es . . so „romantisch" . ., dabei aber auch so beherzt virtuos zelebriert wird, . . verliert des Komponisten Spätstil . . jede brüskierende Schärfe. brüskiert: MM 11.2. 1988 Der brüskierte Bürger protestiert, fragt nach Namen und droht mit Beschwerde.

brutal ahmlicher Eleganz, mit einem aristokratischen Feingefühle vermeidet er jede Brüskierung; zur Megede 1911 Quitt 485 eine fortwährende Brüskierung der Gesellschaft; Thiess 1923 Gesicht 53 Brüskierungspolitik; Werfet 1924 Verdi 187 Dieser Besuch war von dem deutschen Meister in Gleichgültigkeit oder aus bewußter Brüskierung nicht erwidert worden; Kronberg 1929 Jugend 260 Er war . . kein Freund von Brüskierungen und lautem Hallo; Lokal-Anz. 16.2. 1933 Oberst Roosen nahm auf die Brüskierung . . hin seinen Abschied; Dtsch. AZ. 22. 6. 1940 Er hat. . die deutschen Unterhändler .. mit beleidigender Brüskierung behandelt; Süddtsch. Ztg. 12. 4. 1951 in einer als notwendig erkannten Sache der Gegenpartei bis zur Brüskierung der eigenen Gefolgschaft entgegenzu-

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kommen; Stuttgarter Ztg. 4. 3. 1959 Diese Geste sollte die Brüskierungen vergessen machen; FAZ 21. 1. i 966 Der Streikbeschluß ist . . die erste offene Brüskierung der staatlichen Preis- und Einkommenspolitik durch eine führende Gewerkschaft; Welt 7. 10. 1974 Die sensibel-groben Schwaben haben denn auch die hochdeutsche Brüskierung mit dem abschließenden „so" rundlich zu einem „sodele" zurechtgebogen; Zeit 15. 11. 1985 Der neue Entwurf des Fünfjahrplans, den der Parteichef . . zur Brüskierung von Ministerpräsident Tichonow . . zurückgewiesen hatte; TAZ 31. 3. 1990 Die Brüskierung Modrows . . war beredter Ausdruck dafür; Spiegel 20. 3. 1995 Der Beschluß der Kammer ist eine schwere Brüskierung Weitzdörfers. HK

brutal Adj., im späten 16. Jh. entlehnt aus mlat. brutalis 'unvernünftig, tierisch' (zu lat. brutus 'schwerfällig, unvernünftig, gefühllos', vgl. gleichbed. frz. brutal; verw. mit—» brutto), zunächst und bis ins frühe 18. Jh. in der eingedeutschten Form brutalisch. Zunächst und bis ins frühe 20. Jh. selten von Personen in der Bed. 'unvernünftig, sinnlich, ungesittet, viehisch' (s. Belege 1679, 1718, 1811, 1901), auch auf Verhaltensweisen bezogen (—» bestialisch la; s. Beleg 1900), vgl. die Wendung (mit) brutale(r) Leidenschaft; vereinzelt seit spätem 17. Jh., seit spätem 18. Jh. geläufig in der Bed. 'rücksichtslos, grob' (s. Belege 1687, 1869, 1891, 1910, 1985, 1986), auf sprachliche Äußerungen bezogen im Sinn von 'schonungslos offen, direkt' (s. Belege 1860, 1876, 1881, 1923, 1954), in Wendungen wie brutale Worte, mit brutaler Offenheit, etwas brutal sagen; etwa seit Ende 18. Jh. in der heute dominanten Bed. 'roh, grausam, gewalttätig' (—» aggressiv, —* barbarisch 3a; s. Belege 1793 — 1811, 1870, 1897, 1927, 1985, 1986, 1987, 1990), auch zur Charakterisierung von Zuständen, vgl. brutale Wirklichkeit, und von Handlungen, in Verbindungen wie (mit) brutale(r) Gewalt, brutale Kindesmißhandlung, Schlägerei, brutaler Raubüberfall, jmdn. brutal zusammenschlagen, häufig in der Pressesprache; gelegentlich auch auf Gesichtszüge und Körperbau bezogen (s. Belege 1912, 1952) sowie auf die Darstellung von Gewalt, z. B. ein brutaler Film. Dazu die Anfang 17. Jh. vereinzelt, seit 1700 kontinuierlich belegte, aus (flekt. Form von) mlat. brutalitas entlehnte subst. Ableitung Brutalität F. (-; selten -en), zunächst ohne Pl. in der Bed. 'Wildheit, Roheit, Unerzogenheit' (s. Belege 1603, 1706, 1788, 1879, 1906, 1943); seit spätem 18. Jh. in der heute dominierenden Bed. 'Aggressivität, Unmenschlichkeit, Gewalttätigkeit' (vgl. Bestialität, —* bestialisch; s. Belege 1783, 1848, 1950, 1971, 1995), häufig in Wendungen wie mit großer, äußerster, unvorstellbarer Brutalität, gelegentlich auch im Pl. für 'brutale Handlung, Äußerung' (s. Beleg 1985); daneben auch im Sinn von 'Schonungslosigkeit, Rücksichtslosigkeit' (s. Beleg 1937); seit frühem 18. Jh. die aus frz. brutaliser übernommene verbale Ableitung brutalisieren V. (in)trans., zunächst in der Bed. 'Gewalt anwenden, ausüben, jmdn. roh, gewalttätig behandeln' (s. Belege 1719, 1792, 1930), dann auch im Sinn von 'roh, gewalttätig werden' (s. Beleg 1918), seit frühem 20. Jh. in der heute vorherrschenden Bed. 'roh, gewalttätig machen' (—»· barbarisieren; s. Be-

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brutal

lege 1925, 1936, 1964, 1987); dazu seit späterem 19. Jh. das Verbalsubst. Brutalisierung F. (-; -en) 'das Verrohen, Gewalttätigsein, -werden, -machen'; in neuester Zeit die ugs. abwertende Personenbezeichnung Brutalo M. (-s; -s) 'gewalttätiger Mensch' (s. Beleg 1986), auch für 'Film, in dem viele Brutalitäten gezeigt werden' (s. Belege 1984, 1987); gleichzeitig die (gebuchte) subst. Ableitung Brutalismus M. (-; ohne PL), (vgl. engl. brutalism), in der Architektur als Bezeichnung für eine den Baustoff in seiner Ursprünglichkeit und Roheit betonende Bauweise. brutal(isch): Fischart 1581 Dämonomania HO Brutalischen . . zeychen; 1626 Theatrum amoris 198 Man saher die wild- vnd brutalische Gravitet seines Gesichts nicht einmal mit dem geringsten lacher sich erholen; Gockel 1667 Betrachtungen d, Zorns 10 brutalisch; Kiemer 1679 Polit. Maul-Affe 166 Unser neuer Bruder war der Maulaffe eines brutalen Edelmannes/ der den Unterschied zwischen sich und einen Bürger nur bloß in Söffe zufinden vermeinet; Thomasius 1687 Nachahmung d. Franzosen i 7 da er sonst . . durch eine brutale Ausführung seiner Sache sich überall in übeln Credit setzen würde; Elis. Charl. 1699 Br. I 146 Wen ihr bruder . . nicht so brutal were, so were er ein feiner mensch; Florinus 1702 Hausvater I 49b So wäre es eine recht unvernünfftige brutale Sache; Callenbach 1715 Quasi vero 73 warumb tractirst du deine liebe Hauß-Postill die Frau so brutal; 1718 Abentheuerl. Welt IV 20 Wer läutet denn schon [am frühen Morgen]? welch ein brutales Wesen! Als ob wir nur allhier vor langer Weile sässen; 1719 Sempiternus polyhistor 239 Da er nun nacher Hause käme, und die brutalische Frau Gemahlin ihren lieben Herrn Gemahl sähe her taumlen, fienge sie ihm anzufahren; Marperger um 1720 Reisen 42 Die Cameel-Treiber . . sind rohe böse Leute, die unterwegs allerhand Muthwillen treiben, grob und sehr brutal seyn; Bodmer 1746 Mahler i 17 Also bemühet sich der brutale Mensch vergeblich, das Wesen und die wolstehenden Gebehrden eines dapfern nachzuahmen; fC. G. Lessing 1780 Mätresse 64 Was für ein brutaler Mann! Ganz ohne alle Erziehung!; 1783 (Witzleben, Parolebücher 49) Da Klage gekommen ist, dass einige Herrn Offizieres Knechte und andere Leute brutaliter behandelt haben; Laukhard 1792 Leben H 458 Hierbei nahm er sich aber so brutal, dass ich ihn nicht nur einen Flegel . . schalt; Seume 1793 — 1811 Kl. Sehr. (W. U 353) mit brutaler Gewalt wird jede Sache behandelt, Alles wird zu Grunde gerichtet; Körner 1811 W. IV 11 Es ist ein Fischgeschlecht, in Menschenhaut gebannt,/ Liebhaber zu brutal, und Helden zu galant; Lang 1833 Reise XI 25 während die kleinen [Diebe] so frech sind, . . auf ihre Verurtheilung in ein Zucht- oder Arbeitshaus auf unsere Kosten so brutaler Weise . . zu pochen; Radowitz 1851 Neue Gespr. II 60 weil in einem Rechtsstreite eine brutale Execution dem unpar-

theyischen Urtheile nicht vorhergehen darf; Szarvady 1852 Paris I 328 Lamartine erkannte nichtsdestoweniger, daß das Regime der Vernunft über der brutalen Souveränetät der Zahl stehe, denn in seinen Augen ist die Vernunft der Widerstrahl Gottes auf das menschliche Geschlecht; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 245 als sich der andere Feuerwerkslieutenant . . nicht entblödete, einen Korb voller brutaler Grobheiten auf mich auszugießen; Prey 1869 Versprechen 57 brutale Rücksichtslosigkeit; Freytag 1870 Vogesen 20 Das Ungerechte und Brutale dieses Krieges; Schmidt 1871 Bilder II 487 brutale Gewalt; Eckstein 1876 Säur. Zeitbilder 96 brutalen Worte; Hillebrand 1881 Jahrh. d. Revol. 284 Für Bonaparte . . war der Staat nie etwas anderes, als er selber. Sagt er es doch brutal genug seinem Bruder Joseph; Walloth 1886 Seelenrätsel 301 indes im Saale eine lärmende Galloppade ihre brutalen Rhythmen herüberwehte; Roberts 1891 Mitleid 321 Denn Männer sind brutal, Künstler erst recht, über ein paar Falten stolpert ihre Liebe; Croissant-Rust 1896 Feierabend 34 Wie sie kaut mit der vollen Gesundheit ihrer 20 Jahre, ihren gesunden Zähnen und ihrer brutalen Sorglosigkeit; Treitschke 1897 Politik I 21 brutale Gewalt; Senden 1900 Ehen 50 ihr gestriges brutales Betragen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 738) Ich nehme nicht daran teil, Sie zu quälen und auszubeuten . ., weil ich das brutal, häßlich und gewöhnlich finde; Halbe 1906 Insel 14 brutaler Tatsachenmensch; Ebertin um 1910 Alles verstehen 138 Trotz seiner Liebe . . konnte er auch manchmal brutal und rücksichtslos sein; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 465) Es war ein Mann von ungefälliger, ja brutaler Physiognomie; 1918 Deutschland 240 brutaleren Staatszwang; Benjamin 1923 Br. I 313 diese Schrift, vor welcher die brutale Gedankenlosigkeit öffentlicher Argumentation sich bloßstellt; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. X 221) Aber möge auch leider die Politik oft brutal geistlos, rein real, rein geschäftlich sein; Lokesch 1927 Fortf. v. Scherr, Kulturgesch. 712 Diese Neigung der Frau, sich vom geliebten Manne sklavisch, ja brutal bis zur körperlichen Züchtigung behandeln zu lassen, liegt . . in deren anlehnungsbedürftigen Charakter; Berl. Illustr. Nachtausg. 16.3.1933 daß Schulz . . wegen brutaler Kindesmißhandlung verhaftet wurde; Th. Mann 1933-43 Joseph

brutal (W. /V/V 991) so daß er aufschrie unter dem brutalen Zugriff des Todes, welcher .. gröblich Hand an ihn legte; 1934 „Duden"-Sammlung o. S. Es ist nicht immer das Kraftvolle, welches sich mit seinesgleichen mißt . . Es ist oft das Brutale; Dürrenmatt 1952 Richter 73 zwei brutale riesenhafte Kerle . . schwer betrunken; Welt 15. 5. 1954 um es mit brutaler Offenheit zu sagen; ND 6. 10. 1954 wenden die .. Henkersknechte die grausamsten und brutalsten Foltermethoden an; Jaspers 1958 Atombombe 391 die brutale Unbedenklichkeit im blinden Durchhauen des Knotens; Süddtsch. Ztg. 24. 6. i960 Ein brutaler Raubüberfall . . konnte jetzt .. geklärt werden; Johnson 1961 Buch 35 sie macht sich bedrohlich, sie redet streng auf ihn ein, sie steigert ihren Zorn mit verkniffenen Augen und brutal vorgeschobenen Lippen; Partner 1964 Erben 86 Er war . . ein echter Merowinger: pragmatisch, brutal und ohne Gewissen; Hocke 1976 Tagebücher 107 die Bedenken über die Verführung des „amoralischen" Satanismus; die Süße der Todessehnsucht und einen brutalen Lebenswillen; Zeit 15. 2. 1985 Brutalen Filmen droht .. das Strafgesetz; ebd. 3. 5. 1985 Die Waffen-SS . . ist. . immer wieder durch eine brutale Kriegsführung aufgefallen; ebd. 14. 6. 1985 Später wird das Bild mehrmals gestohlen, brutal aus dem Rahmen geschnitten; ebd. 26. 9. 1986 Mit brutalem Pinselstrich werden rote Schriftzeichen auf Zeitungspapier geworfen, die wir nicht lesen können; ebd. 27. 3. 1987 Rambo ist dumm und brutal; MM 7. 10. 1987 So betrachtet ist aber Kubricks Film auch nicht brutaler als . . andere Versuche, das Vietnam-Trauma zu bewältigen; ebd. 3.5. 1988 die Hilflosigkeit der Regierung und das brutale Vorgehen der Polizei; ebd. 9. 1.1990 daß . . 25 Skinheads .. in die Ostberliner Zions-Kirche stürmten, „Juden raus!" riefen und eine brutale Schlägerei begannen; Spiegel 15. 2. 1993 Vorschullehrerinnen erleben den Wandel besonders brutal. brutalisieren: Fleming 1719 Jäger 275a deswegen ein verständiger Mensch darbey gehöhret, so die Leute nicht brutalisire, oder anschnautze, sondern einen Jeden seine Strasse, doch in aller Stille, reysen lasse; Elis. Charl. 1719 Br. I 163 solche leütte mögte ich von herzten übers maul zu fahren undt sie zu brutallisiren [das recht haben]; Schnabel 1731 Felsenburg 113 Allein ich bitte euch sehr, höret auf zu brutalisiren; Klemm 1767 Grüne Hut 49 Ach, er wird brutalisiren; Laukhard 1792 Leben II 435 wenn er [der Feind] brutalisirt, und sich gegen die Unterthanen dessen, gegen den er streitet, alle Bubereien erlaubt, so mag ihn ewige Schande brandmarken; Herder 1793-95 Br. (S.W. XVII 154) sollte man brutalisirende Künste und Wissenschaften nennen; Heinzmann 1800 Frühst. 28 Was

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kann abscheuungswerther seyn, als ein Geschöpf, das sich den Liebhaber um ein Trinkgeld, um ein armseliges Geschenk sucht; das brutalisirt, sobald man nicht genug bezahlt; Schlözer 1852 Jugendbr. 176 das . . Volk innerlich brutalisierend, während die äusseren Formen sich vielleicht noch erhalten; Michelis 1872 Reiseschule 186 Manche werden durch unerwartete Ausgaben schäbig karg, quälen die Kellner, brutalisiren das Gesinde; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 63) sieht er in der Entente etwas . ., das durch das barbarische Deutschland brutalisiert zu werden . . große Gefahr läuft; Valentin 1920 Völkerbundged. 156 brutalisiert; Bahr 1925 Liebe I 9 das Publikum . . will von sich selbst befreit, es will überwältigt, will brutalisiert sein; Voss Ztg. 19. 2. 1930 wie ein betrunkener Arbeiter seine Frau brutalisiert; Drascher 1936 Vorherrschaft 238 Die sinnlose Weise, in der man [China] brutalisierte; Dtsch. AZ. 8.8.1943 wenig . . gewillt .., völkerrechtlich anerkannte Prinzipien zu achten, wenn sie diese brutalisieren können; Th. Mann 1953 Reden u. Aufs. (W. X 524) daß er in der Welt voller Haßgeschrei, feindlicher Absperrung und brutalisierender Angst . . nicht fortleben konnte und wollte; Fränkel 1964 Deutschland 35 die Romantik zu brutalisieren und den Zynismus zu romantisieren; Zeit 12. 6. 1987 Politische Programme . . brutalisieren das Denken, da sie Menschen lediglich unter dem Gesichtspunkt ihres statistischen Gewichts in Betracht ziehen. Brutalisierung: Scherr 1865 Blücher II 280 Brutalisirung Spaniens; Heyse 1893 Ges. W. Ill 4,97 Seine Tat aber war der Anfang einer ganzen Reihe ähnlicher Brutalisierungen; Liebknecht 1911 Ges. Reden IV 468 unsere Protestaktion . . gegen die Brutalisierung Finnlands; Fernau 1917 Durch! 219 daß die preußische Dynastie die deutschnationale Einheitsidee zur späteren Brutalisierung des Nationalitätenprinzips benützen würde; Wätzold 1924 Kunsthistoriker II 265 Brutalisierung des Menschen mit sensiblen Organen; Th. Mann 1940 Reden u. Aufs. (W. XII 865) ihre feige Lust an der Brutalisierung der Schwachen; Münch. N. N. 5. 10. 1943 Die Brutalisierung der Zivilbevölkerung . . entspringt einem unsoldatischen Geist; Kuczynski 1955 Gesch. Arbeiter in Dtschld. II 2,8 Brutalisierung und moralische Degradation; de Boor 1963 Tagebuchblätter 199 Militarisierung, Brutalisierung und Vermassung; Görlitz 1967 Gesch. Generalstab 22 Brutalisierung des Krieges; Offenburger Tagebl. 10. 5. 1971 Im Zuge der Entbrutalisierung des Fernsehprogramms brachte die ARD . . den ersten Italo-Western auf den Bildschirm; FAZ 11.8.1971 Brutalisierung der Öffentlichkeit durch die Massenmedien; MM 3. 4. 1985

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brutto

kein Hinweis auf zunehmende Brutalisierung; Zeit 27. 6. 1986 Die Brutalisierung und Barbarisierung staatlicher Realpolitik. Brutalität: Albertinus 1603 Sendtschreiben II 5b von . . brutalitet vnd bestialischem Leben; 1700 Monatl. Auszug Apr. 117 da sie vorhin gemeinet/ es wäre eine Brutalität grüne Krauter zu essen; Elis. Charl. 1706 Br. l 448 Brutalitet steht jederman übel, aber großen herrn noch mehr; 1763 Satyr. Bibliothek IV 830 Brutalität; 1783 Berlin. Monatsschr. II 547 Officiere, die sich der grössten Brutalität gegen ihre arme Soldaten schuldig machen; Lucian 1788 (Übers.) I 91 mürrisches Wesen, Grobheit, Brutalität und Unmenschlichkeit; Keil 1817 Kl. Sehr. 191 in dem Abgrunde des selbstsüchtigen Hanges, der Immoralität, Rohheit, Mordsucht und Brutalität der Masse; 1843 Didaskalia l 25 Verbrechen .. das an Roheit, Brutalität . . ohne Beispiel ist; Perthes 1848 Br. (Bundestag 96) auch die rohesten Haufen . . von Brutalitäten zurückgehalten; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 75 Ich zitterte, nicht vor der Brutalität meines Vorgesetzten, sondern vor innerlicher Kälte; Meysenburg 1879 Stimmungsbilder 13 Nach der Seite der Brutalität hin bleibt der Mensch dem Thiere gleich, ja übertrifft es zuweilen; 1898 Cosmopolis X 839 mit einer im internationalen Verkehr sonst nicht gebräuchlichen Brutalität; Tb. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 469) Aber er hatte zum ersten Male in vollem Umfange und am eigenen Leibe die grausame Brutalität des Geschäftslebens verspüren müssen; Wedekind 1906 Totentanz 27 vielleicht hat mich nur Ihre viehische Brutalität dazu gezwungen, Ihre Auseinandersetzungen ernst zu nehmen; Hauptmann 1909 Griselda 77 Brutalitäten des Lebens; Werfet 1924 Verdi 72 Spiegel, die ein festlich geniales Volk errichtet hatte, damit seine eigene Welteinverstandenheit, seine Schönheit, Frechheit, Brutalität und Lieblichkeit ihm widerstrahle; Th. Mann 1930 Erz. (W. VIII 705) Von Brutalität des Ausdrucks konnte keine Rede sein;

dem hätte schon die ungewöhnliche Schmalheit und Feinheit seiner Hände widersprochen; Voss. Ztg. 30. 8. 1931 Sie weiß sich nicht mehr zu helfen vor den Brutalitäten ihres Mannes; Lokal-Anz. 8. 9. 1934 Bei seinen Heiratsschwindeleien ging Z. mit einer geradezu unvorstellbaren Brutalität vor; Edschmid 1937 Liebesengel 182 Nun trat ihm diese Frage mit ganzer Brutalität entgegen (DUDEN 1993); Muckermann 1943 Mensch 144 Von der Humanität zur Brutalität zur Bestialität; Weizsäkker 1950 Erinn. 208 Das Renommieren mit Brutalität gehörte zum Stil [der NSDAP]; Heimpel 1956 Kapitulation 87 Bildung als Geltendmachen und Anerkennen von Gründen statt von Brutalitäten, von Gefühlen statt von Ressentiments; Stuttgarter Ztg. 13. 2. 1968 zunehmende Brutalität der Justiz und Polizei; FAZ 27. 3. 1971 Brutalität im Fernsehen; Zeit 11.10.1985 Da offenbaren die Kriegshorden in ihren Formationen und Bewegungen eiskalte Brutalität, einen mörderischen und mordenden Mechanismus, der alles niederwalzt; ebd. 6. 12. 1985 So lassen sich Wolkers' gelegentliche Vulgaritäten und Brutalitäten auch als Protest .. und als Verweis . . lesen; ebd. 23. 5. 1986 ihr Mann ist eine Ausgeburt an Brutalität und Selbstherrlichkeit; MM 7. 4. 1988 die von Akerman aufgezeigten Symptome der Willkür und Brutalität eines Unrechtsstaats; Spiegel 19. 6. 1995 das rostige Stahlgerippe . . häßliches Sinnbild der Brutalität, mit der sich ein Industrieunternehmen seiner Ruinen aus Stahl und Dreck entledigt. Brutalo: Solothurner Ztg. 31. 7. 1984 daß sie einzig Pornos und Blasphemie aus den Kinos verbannen möchten, sondern auch Brutales; 1986 Spiegel Nr. 26 als er mit zwei Landsleuten an einer Wirtschaft vorüberging, in der sich jungdeutsche Brutalos zu versammeln pflegen (beide DUDEN 1993); MM 7.3. 1987 Darüber flimmern parallel zur Handlung Brutalo-Kintopp, Schnulzenserien, Comics, Tagesschau und Werbespots — die totale Reizüberflutung. HK

brutto Adv., Mitte 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. brutto, eigentlich 'unrein, schmutzig' (< lat. brutus 'schwer(fällig), dumm, unvernünftig', —* brutal). Zunächst und heute selten kaufmannsspr. in der Bed. 'mit Verpackung (gewogen)' verwendet (s. Belege 1558, 1695, 1765, 1960), dafür früher gelegentlich, vor allem süddtsch./österr., ebenfalls aus dem Ital. übernommenes gleichbed. sporco (Ggs. —» netto), in der Wendung brutto für netto bezogen auf den Preis, bei dem die Verpakkung mitberechnet wurde, und in den Zss. Bruttogewicht, -registertonne, veraltet für 'Rauminhalt eines Schiffes', abgekürzt BRT; dann auch als Wort des Finanzund Wirtschaftswesens auf Geldbeträge bezogen in der heute dominierenden Bed. Ohne Abzüge (von Steuern, Abgaben, Unkosten u. ä.)' (s. Belege 1807, 1822, 1925,

Budget

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1985, 1990), vgl. die Zss. Bruttoeinnahme, -ertrag, -verlust, -Sozialprodukt 'Wert aller Dienstleistungen und Produkte einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum', -gewinn, -wertschöpfung 'Wert der gesamten Produktion eines Unternehmens in einem bestimmten Zeitraum', -umsatz, -preis; häufig auf Einkommen aus der beruflichen Tätigkeit bezogen im Sinn von 'einschließlich steuerlicher Abgaben und Sozialabgaben', in Wendungen wie 6.000 DM brutto verdienen, ein Einkommen von brutto 4.000 DM haben, brutto für netto Ohne steuerliche Abgaben' und als Bestimmungswort in Zss. wie Bruttoeinkünfte, -einkommen, -lohn, -verdienst. Meder 1558 Handelbuch 29a ein Sack Besuet wigt Brutto 183 Pf., Tara 21/2 Pf., rest netto 1781/2 Pf.; Schurtz 1695 Kaufmannschaft Aa 3. Sack Pfeffer/ wiegen Brutto Ib. 235; 1765 Mauth-Ordnung 10 Vermauthung aller Güter nach dem Sporcooder Brutto-Gewicht; Lessing 1778 Axiomata (S. Sehr. XI11 110) Man wird mir doch nimmermehr in Hamburg den ganzen Unterschied zwischen Brutto und Netto wollen streitig machen?; Nicolai 1799 Bildung 12 ich konnte wirklich Fakturen von Waren Netto und Brutto berechnen; Jean Paul 1800 S. W. Ill 3,338 Wir wurden leichter einig als unsere Bücher weissagten; daran ist die jezige und seine Brutto-Rechnung schuld; 1807 Reformministerium Stein l 17 Diese wurden von der . . Buchhalterei eingetragen, hieraus nach den verschiedenen Branchen der Finanzverwaltung die Brutto- und Nettoeinnahme konstituiert; 1814 D. neue Dtschld. 316 Daß die Brutto-Einkünfte als Norm angenommen werden . . ist . . merkwürdig; Leuchs 1821 Contorwiss. U 374 Brutto; Lotz 1822 Staatswirthschaftslehre HI 347 Bruttoertrag; Raabe 1864 Hungerpastor 253 Von Kohlenau schickte der Buchhalter den Koffer mit einem Briefe, in welchem er mitteilte, daß der neue Hauslehrer eingerückt sei, daß aber er — der Buchhalter — kein Agio auf ihn gäbe und daß er brutto wie netto ein Artikel sei, der keinem Menschen gefallen könne außer der Schwägerin; Bahr 1925 Liebe l 89 Bruttoeinnahme; Kronberg 1929 Jugend 30 Brutto; Gottl-Ottilienfeld 1934 Wirtschaftslehre I 12 Brutto; Dtsch. AZ. 28. 7. 1935 124 Dampfschiffe mit 32.537 Bruttoregistertonnen, acht Motorschiffe mit 1654 BRT; ebd. 24. 8. 1935 Der Bruttoertrag erhöhte sich; Münch. N. N. 11. 12. 1940 Wieder Bruttoverlust bei Eschweiler Berg; Arbeitgeber 5. 6. 1956 Soll der Geldwert erhalten bleiben, muß das nationale Gesamteinkommen dem

Gesamtwert der nationalen Produktion und Leistungen, dem Bruttosozialprodukt, entsprechen; Münch. Stadtanz. 15.6. 1960 das Mitwiegen der Tüte bei lose verkauftem Kaffee — „brutto für netto" heißt diese Methode in der Kaufmannssprache; FAZ 27. 10. 1962 Die Berechnung des „Bruttogewinns" . . ist irreführend; Welt 29. 12. 1964 Ladungsfähigkeit: Brutto 395 t, Netto 193 t; Süddtsch. Ztg. 29.11. 1967 so soll der Gesetzentwurf als angenommen gelten, der die meisten gültigen Ja-Stimmen bekommen hat (Bruttoprinzip); ebd. 19.1. 1971 „Bruttoumsätze" . . Umsatz, der sich ergibt, wenn den eigenen Lieferungen — fiktiv — die Abgabepreise des Einzelhandels an den Käufer zugrunde gelegt werden; Zeit 8. 2. 1985 Veränderung der Lohnquote (. . Anteil des Bruttoeinkommens aus unselbständiger Arbeit am gesamten Volkseinkommen); ebd. 14. 6. 1985 Brutto wertschöpfung (Umsatz minus Vorleistungen oder Rohertrag); ebd. 26. 7. 1985 Diese Papiere bieten eine Vergleichsrendite vor Steuern von brutto zehn Prozent; ebd. 7.3.1986 Mehrwertsteuer, die in den Bruttopreisen für eingekaufte Betriebsmittel und Dienstleistungen enthalten ist; MM 27.8. 1986 Anfang Juli 1986 waren sämtliche Renten bereits um brutto 2,9 Prozent heraufgesetzt worden; ebd. 28. 3. 1987 So kommt es vor, daß für Arbeitnehmer anders gerechnet wird als für Rentner und Arbeitslose, da das Einkommen der einen „brutto", der ändern aber „netto" berechnet wird; ebd. 14. 5. 1988 Die Hausfrau oder der Rentner, die nebenbei einer Beschäftigung nachgehen, wollen das im Regelfall „brutto für netto" tun; Frankf. Rundsch. 4. 4. 1990 Ausgleichszahlungen in Höhe von 25 Prozent des DDR-Einkommens, das brutto auf durchschnittlich 1250 Mark veranschlagt wird; ebd. 8. 9. 1990 wenn . . diese Berlinförderung . . abgebaut werden soll, muß die Stadt ihr Bruttosozialprodukt . . in etwa verdreifachen. HK

Budget N. (-s; -s), Ende 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. budget (< altfrz. bougette, Diminutiv zu bouge 'Beutel, Sack' < lat. bulga 'Ledersack'; verw. mit Balg), seit Anfang 19. Jh. unter Einfluß von ebenfalls aus dem Engl. entlehntem frz. budget in frz. Aussprache und vereinzelt in phonetischer Schreibung.

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Zunächst durch die Zeitungsberichte über die Kämpfe Pitts (erster Lord der Schatzkammer 1783 — 1801) mit den Whigs bekannt gewordenes Fachwort der Wirtschaftsund Parlamentssprache in der Bed. 'Haushaltsplan, Finanzmittel einer Stadt, eines Landes; Berechnung der (monatlichen, jährlichen) Einnahmen und Ausgaben einer städtischen oder staatlichen Verwaltung; einer städtischen oder staatlichen Verwaltung zur Verfügung stehende Geldmittel, Staatshaushalt, Etat', nach engl. to open the budget zunächst in Darstellungen des englischen Parlaments in Wendungen wie ein/das Budget (er-)öffnen, die Eröffnung des Budgets (s. Belege 1798, 1807, 1938), seit Mitte 19. Jh. in festen Wendungen wie das Budget erweitern, verabschieden, beraten, kürzen, aufstocken, verbessern, überziehen, einen Betrag im Budget vorsehen, hohes, niedriges, großes, kleines Budget, jährliches, monatliches Budget und als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Staats-, Kriegs-, Ausgaben-/Einnahme-, Rüstungs-, Bildungs-, Verteidigungs-, Spar-, Jahres-, Regierungs-, Gesamtbudget; Budgetberatung, -recht, -kommission, -debatte, -kürzung, -defizit, -entwurf, -mittel; auch speziell im Sinn von 'die für einen bestimmten Anlaß oder Zweck zur Verfügung stehenden Geldmittel', vgl. z. B. Wahlbudget, und auf Wirtschaftsunternehmen bezogen in der Bed. 'die zur Erhaltung (und Erweiterung) eines Betriebes zur Verfügung stehenden Mittel', vgl. Investitions-, Werbebudget; seit frühem 20. Jh. auch auf private Haushalte und Privatpersonen bezogen im Sinn von 'die einer Person/ Familie monatlich/jährlich zur Verfügung stehenden Geldmittel, privater Ausgabe-/ Einnahmeplan' (s. Belege 1904, 1921, 1927), vgl. die Zss. Wochen-, Jahres-, Haushalts-, Familienbudget, auch speziell 'die zu einem bestimmten Zweck reservierten Geldmittel', z. B. Reisebudget; gelegentlich auch übertragen verwendet in einer Zs. wie Zeitbudget. Seit Mitte 19. Jh. die adj. Ableitungen budgetmäßig 'auf das Budget bezogen, hinsichtlich des Budgets' und budgetlos Ohne Haushaltsplan'. Seit späterem 19. Jh. das V. trans, budgetieren 'ein Budget, einen Haushaltsplan aufstellen', auch 'im Haushaltsplan vorsehen', so bes. adj. verwendet im Part. Perf. budgetiert; dazu etwa gleichzeitig das Verbalsubst. Budgeti(si)erung F. (-; -en) 'Aufstellung eines Haushaltsplans', auch 'Aufnahme in den Haushaltsplan'; seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung budgetär (ohne Steigerung) (vgl. frz. budgetaire] 'auf das Budget bezogen, den Haushaltsplan betreffend'. Budget: 1798 Berlin. Archiv l 495 [Pitt hat] ein fürchterliches Budget eröffnet, und fordert 28490391 Pfund für die Ausgaben der nächsten Jahre; Hardenberg 1807 (Ranke, Denkwürdigkeiten IV 65) Bei . . der Eröffnung des Budgets legt der englische Minister dem Parlamente einen solchen Ueberschlag der Staatseinnahmen vor; Kotzebue 1812 Pachter Feldkümmel (XXVII 160) Ei! zu geheimen Ausgaben, die werden im Budget nicht namhaft gemacht; Görres 1819 Teutschland 64 Finanzbüdget; Buchholz 1821 Taschenb. 237 Hierüber entstanden zwei Oppositionen, von welchen die eine sich über Unregelmäßigkeiten und Vermehrung der Ausgaben im Budget beklagte; Goethe 1830 Zur Morphologie (WA U 7,205) daß . . die haushälterische Natur sich einen Etat, ein Budget vorgeschrieben, in dessen einzelnen Capiteln

sie sich die vollkommenste Willkür vorbehält, in der Hauptsumme jedoch sich völlig treu bleibt, indem, wenn an der einen Seite zu viel ausgegeben worden, sie es der ändern abzieht und auf die entschiedenste Weise sich in's Gleiche stellt; Hansemann 1834 Preussen u. Frankreich 17 Das Budget, oder der Einnahme- und Ausgabe-Etat; Freytag 1848 Aufs. I 14 Wo im Budget ein Fond für geheime Ausgaben durchzusetzen ist, wird diese Summe viel nützlicher in Havannas als in Spionen angelegt; Radowitz 1851 Neue Gespr. I 111 Staatsbudget; 1852 Prutz' Museum I 469 Budgetberatung; ebd. H 232 die grossen Oekonomen . . haben bei uns in den letzten Jahren .. ganz ausserordentlich gewonnen und demgemäss auch ihr häusliches Budget ganz ausserordentlich erweitert; Szarvady 1852 Paris I 239 Budgetcommission; 1855 Prutz'

Budget Museum 1 298 Kriegsbudget; Stahl 1856 Staatslehre 173 Am entschiedensten aber zeigt sich der Geist des neueren Ständewesens im Bereiche des Staatshaushaltes an der Institution des Budgets; Boretius 1860 Br. 138 Ich .. komme auf mein Budget, das sich durch Deine letzte Sendung .. ziemlich befriedigend befindet; Landsteiner 1860 Leben 183 Ausgabe Budget; 1863 Bilder a. Paris II 273 der Hauptgrund, der den pariser Stadtrath bewogen hat, bei den schweren Lasten seines Budgets auch noch diesen Riesenbau auszuführen, der im Ganzen über elf Millionen gekostet hat; Stahl 1863 Parteien 126 die jährliche Steuer- und Budgetverweigerung; Mommsen 1865 Reden u. Aufs. 384 Marinebudgets; 1871 Preuss. Jahrb. XXVII 509 Budgetrecht; Stein 1872 Heerwesen 231 Friedensbudget; Nürnberger 1877 Herzenssachen 336 [Die Kommunal-Vertretung] übernimmt die Kosten auf ihr Budget, oder — da moderne Budgets empfindliche Dinge sind — sie legt sie auf freiwillige Beisteuern um; Eckstein 1889 Camilla 183 der Gedanke ist kühn, und seine Ausführung überschreitet wohl eigentlich unser Budget; 1889 Unsere Zeit 1466 der ersten Budgetdebatte, die nach der Februarverfassung stattfand; Schneegans um 1890 Memoiren 252 Budgetberatungen; 2894 D. neue Kurs III 321 Harems, deren weibliche Insassen .. unter männlichen Namen als „Angestellte" im Budget der Kompagnie figurierten; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 11 daß ein Volk nicht durch doktrinäres Markten mit dem Budget, sondern nur durch selbstlose Opfer groß wird; Peters 1904 England 118 Wochenbudget des „kleinen Mannes"; Bierbaum 1910 Reife Früchte 19 weil er . . sich . . dem Laster des Versemachens und Fabulierens hingegeben hat. Was hat er davon? —: Ein immer zweifelhaftes Budget; Bücher 1921 Volkswirtschaft II 355 „Arbeiterbudgets"; ebd. // 357 Er strebte nach Durchschnittszahlen, und für solche Aufstellungen rechtfertigt sich am Ende auch der Name Budget; Hurst 1927 Mannequin 23 Haushaltungsbudget; Heilborn 1929 Revolutionen I 20 Budgetkürzungen; Werfet 1931 Geschwister 274 Kann man jedoch bei einem Engländer die weitesten Fahrten . . Ausschweifungen nennen, selbst wenn sie sein Budget überschreiten?; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Die Opposition spricht von einem „Wahlbudget"; Münch. N. N. 27. 4. 1938 Der Schatzkanzler legt dem Volke seinen Haushaltplan vor, er „öffnet das Budget", wie es in der englischen Sprache heißt; ND 25. 5. 1949 die für das kommende Budgetjahr vorgesehene Summe der Kosten für die Besatzungstruppen um 150 Millionen Dollar gekürzt; Gail 1958 Weltraumfahrt 89 Solange die Weltraumfahrt .. materiell fast ausschließlich von den Rüstungsbudgets der Weltmächte getragen wird; Welt 8. 4. 1959 Rein soziale Projekte . . können

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sinnvollerweise nur dann aus dem Entwicklungstopf der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft finanziert werden, wenn die laufenden Unterhaltskosten im lokalen Budget gesichert sind; ebd. 29. 12. 1964 mit Sofortmaßnahmen des Einfuhrzolls und des Herbstbudgets; FAZ 13. 12. 1965 Falls der EWG-Haushalt von Frankreich nicht akzeptiert würde, stünde der Rat vor der Entscheidung, das Budget mit Mehrheit zu verabschieden . . oder . . die Abstimmung . . zu verzögern; Welt 13. 3. 1969 das übermäßige Budget-Defizit; Hamm-Brücher 1970 Verwirklichung o. S. Berechnung und Sicherung der Bildungsfinanzierung, das Bildungsbudget; Welt 9. 3. 1974 Im Hinblick auf die bevorstehende Budgetvorlage plädiert das Institut für ein „neutrales" Budget, rät also von deflationierenden Maßnahmen ab; Zeit 15. 2. 1985 Abbau des Budgetdefizits; MM 9. 3. 1985 daß sich das Zeitbudget für den Fernsehkonsum insgesamt durch das zusätzliche Angebot des privaten Fernsehens nicht erhöht habe; ebd. 26.4. 1985 Stellenstreichungen und Budgetkürzungen; Zeit 3.5. 1985 Testabstimmung über seinen Budget-Entwurf; ebd. 23. 5. 1986 So sind . . nur noch drei Passagen mit der Autofähre ins Reisebudget einzukalkulieren; ebd. 20.2.1987 Das deutsche „soziale Netz" ist eins der besten in der Welt, was die Ausmaße des Sozialbudgets deutlich unterstreichen; MM 27. 6. 19X7 eine Teilzeitbeschäftigung .., um den Einkommensverlust im Familienbudget auszugleichen; Stern 17. 9. 1987 Einem jungen Familienvater mit schmalem Budget könnte eine solche Versicherung freilich zu teuer sein; MM 7. 10. 1987 schmerzliche Abstriche am Haushaltsbudget; Frankf. Rundsch. 6. 7. 1990 daß der Erfolg einer Veranstaltung nicht notwendig etwas mit der astronomischen Höhe ihres Budgets zu tun haben muß; Spiegel 15. 2. 1993 Allein die Pilot-Frachtfabrik . . wurde 17 Millionen Mark teurer als im Budget vorgesehen; ebd. 25. 4. 1994 Jedes Budget ist ein Sparprogramm — die Frage ist nur, wo und bei wem diese Einschränkungen greifen; ebd. 29. 5. 1995 Ursache der gesamten Budgetdiskussion sind die fehlenden Informationen der Krankenkassen. budgetär: 1916 Deutschland I 257 budgetäre Feststellung; Bibl 1925 Herzog v. Reichstadt 326 aus budgetären Gründen; 1929 Preuss. Jahrb. CCXVII1 413 des budgetären Gleichgewichts; Musil 1930 Mann 304 Diotimas Räume glichen einem geistigen Heerlager, das .. in solchen Maßen verpflegt wurde, wie sie nur durch besondere budgetäre Zugeständnisse möglich wurden; D. Westen (Berlin) 23. 8. 1931 die budgetären Ausgaben . . für Flotte, Heer und Luftstreitmacht; 1932 ZfPolitik 866 budgetäre Abrüstung; N. Z. Z. 21. 6.1944

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Büfett

außerbudgetäre Ausgaben; Arbeitgeber 20. 2. 1958 budgetäre Kontrollen; Zeit 4. 7. 1986 Der Anlaß ist sehr erfreulich, die budgetären Folgen machen uns Schwierigkeiten. budgetieren: Billroth 1890 Br. 405 Es war Alles aufs Genaueste budgetirt und hing an der äußersten Schneide; 1934 Osteuropa 199 budgetiert; Süddtsch. Ztg. 20. 5. 1954 Zum schöpferischen Geist und zur gesteigerten Phantasie der Gestalter bedarf es der ernsten Verantwortlichkeit der Budgetierenden und Planenden; N. Z. Z. 27. 10. 1960 Für das Milchjahr 1960/61 . . sind 150 Mill. Franken Verluste budgetiert; Zeit 13. 3. 1987 Pro Bezirk haben wir max. DM 4000,— budgetiert.

tung der Werbung dieselben Methoden und Rezepte wie früher anzuwenden; ebd. 9. 3. 1968 wer macht sich schon die Mühe, die wirtschaftlichen Begriffe zu erklären. Etwas mehr über . . antizyklische Budgetierung oder Offenmarktpolitik zu wissen, wäre so unnütz nicht; ebd. 12.113.12.1992 mehr Ärzte und Ärztinnen müssen bei einer Budgetierung in vielen Bereichen nicht automatisch zu mehr Kosten führen; Spiegel 14. 3. 1994 Die Antwort auf die Frage nach der Schule von morgen ist leider etwas vielschichtiger als die Budgetierung von Klassenzimmer-PCs.

budgetiert: Arbeitgeber 20. 5. 1957 statt der budgetierten Anleihe.

budgetlos: Bismarck 1864 Polit. Reden II 304 der Wiederkehr eines budgetlosen Zustandes; Lindau 1877 Br. 288 das Ungemach der budgetlosen Verwaltung; Gene 1891 Bismarckiade 34 budgetloses Regiment.

Budgeti(si)erung: Mayr 1877 Gesetzmässigkeit 349 Budgetisirung der Verbrechen; Schaffte 1883 Ges. Aufs. 245 sowohl für die Aufgaben der Budgetirung als auch für jene des Rechnungswesens; Bauer 1931 Kapitalismus I 156 Ein Hilfsmittel der Planung ist die Budgetierung; Süddtsch. Ztg. 20.5. 1954 in Budgetierung, Planung und Gestal-

budgetmäßig: Stahl 1845 Princip 14 so daß etwa budgetmäßig mit den Ständen vereinbart werde, welches Gebäude aus dem Landbauetat bestritten . . werden soll; Bismarck 1871 Polit. Reden V 172 die budgetmäßig vorherzusehenden Ausgaben; Dombrowski 1920 System III 52 budgetmäßig. HK

Büfett N. (-s; -s), bereits Mitte 16. Jh. in der Schweiz. Form Puffet entlehnt aus gleichbed. ital. buffetto, Anfang 18. Jh. neuentlehnt aus gleichbed. frz. buffet, ungeklärter Herkunft; häufig auch in den Schreibvarianten Büffet (bes. Schweiz, und regional), Büffet (bes. österr.). a Zunächst in der Bed. 'Schrank für Tischgerät, Geschirr, Tafelsilber u. ä. mit einer breiteren Holzplatte, auf der Speisen vorgelegt und bereitgestellt werden, Anrichte' (s. Belege 1556, 1616, 1716, 1873, 1933, 1986), vgl. Wendungen wie ein schweres, dunkles, hölzernes Büfett und die Zss. Eichen-, Küchenbüfett. b Seit spätem 18. Jh. in der Bed. 'Tafel mit darauf angerichteten Speisen und Getränken, auf einem Tisch zum Kaufen oder zur Selbstbedienung angebotene Speisen und Getränke' (s. Belege 1787, 1788, 1831, 1889, 1924, 1969, 1987), häufig bei festlichen Veranstaltungen, Bällen u. ä., in Verbindungen wie üppiges, warmes und bes. kaltes Büfett 'Tafel mit kalten Gerichten wie Salaten, Fisch, belegten Broten u. ä.', ugs. in den Wendungen der Sturm, Kampf, die Schlacht ums kalte Büfett, das Büfett stürmen; vereinzelt auch 'Raum, in dem sich ein Büfett befindet' (s. Beleg 1806), dafür häufiger die Zss. Büfettzimmer, -räum; heute häufig als Bezeichnung für Angebote zur Selbstbedienung in Restaurants oder Cafes in Zss. wie Salat-, Kuchen-, Frühstücksbüfett. c Seit Mitte 19. Jh. und heute bes. Schweiz, für 'Bahnhofsrestaurant', auch speziell im Sinn von 'Tresen, Theke' (s. Belege 1843, 1889, 1959, 1977, 1985), vgl. die heute veralteten Zss. Bahnhofsbüfett, Büfettmädchen, -kellner, -saal, -dame. Dazu seit Anfang 20. Jh. die aus gleichbed. frz. buffetier, buffetiere entlehnte, selten belegte Berufsbezeichnung Büfettier M. (-s; -s), Büfettiere F. (-; -n), 'Person, die am Büfett Speisen und Getränke ausgibt'.

Büfett Büfett a: Frisius 1556 Diet. 182b puffet Anrieht mit silbernen und goldenen Geschirren (WEIGAND); Maaler 1561 Teutsch spraach 85 Credentztisch/ anrichte oder puffet; Golius 1579 Onomasticon 315 credentztisch/ büffet . . ein anrieht tisch; Platter d. }. 1605 Englandfahrt 130 Auf dem Büffet stände ein lange mitt seyden vnndt goldt geneyte tafel; Henisch 1616 Teutsche Sprach 552 Büffet/ ein Credentztisch/anrichte/ rechentisch/ . . Der rand an dem buffet; Schotte! 1663 Haubt Sprache II 1294 Büffet, Credentztisch; Marperger 1716 Küchendict. 236b Credentz-Tisch . . Fr. Bufet. . derjenige Schrancke/ oder das Stuffenweise aufgeführte Repositorium . . auf welchen . . Gefaesse/ . . zur Parade, und auch zum Gebrauch aufgesetzet . . werden; 1722 Discourse III 78 die Geschirre, die auf das Büffet der Wochen-Stube gestellet worden; Rohr 1728 Zeremoniellwiss. I 537 In den TafelZimmern werden ausgeschnitzte Büffets aufgesetzt; Ludewig 1744 Gel. Anzeigen II 627 Was vor Unrath findet sich auf buffeten und toiletten; Hase 1779 Aldermann II 64 er setzt ihn auf einem Stuhl beym Büvet; Villamaria 1873 Manon 3 Schnell schlüpfte ich in einen Winkel neben dem großen, geschnitzten Büffet, dessen Schatten mich gänzlich verbarg; Scherr 1874 Gekreuzigte 16 das „Büffert" [!] (Büffet), ein Geschirrschrank mit dem . . unvermeidlichen Apparat zum Händewaschen; Boy-Ed 1892 M. 253 Wenn Dora auf das Eichenbüffet verzichtete, wahrhaftig, es ginge vorerst auch ohne ein solches; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 22) Über dem massigen Büffet, dem Landschaftszimmer gegenüber, hing ein umfangreiches Gemälde; Berl. Illustr. Ztg. 1930 Jetzt wird sie an die Büfettlade gehen und das alte Tischtuch mit den Fransen herausnehmen; Langetviesche 1933 Abenteuer 62 die übliche Einrichtung . . mit jenem kleinen, leichten und mageren amerikanischen Mobiliar. Ein kleiner Tisch, ein paar Stühle, der unvermeidliche Schaukelstuhl, ein Büffet; Grass 1962 Blechtrommel 93 Mama . . bestand darauf, daß der Beethoven, wenn nicht über die Chaiselongue, dann übers Büfett käme; Zeit 22. 11. 1985 mit Musiktruhe, Fernseher, Küchenbuffet, Kühlschrank und kleiner Kochplatte; ebd. 28. 3. 1986 Wolf Münzner hat die Bühne mit einem Büffet, Tisch und Stühlen aus der Gründerzeit eingerichtet; Spiegel 11.9.1995 Ein Gelsenkirchener Barock-Büffet von Oma selig erhöht den postmodernen Freudenrausch. Büfett b: Weinlig 1787 Br. III 61 Büffets der Hünermäster und Obstverkäufer; 1788 Journal d. Moden III 55 Büffets, wo man unentgeldlich Kaffee, Thee, Punsch, Chokolade, Limonade, Mandelmilch, Gefrorenes . . erhalten konnte; Seume 1806 Sommer (W. l 570) Im Garten wird der große Pavillon in der Mitte, der ehemals das Büffet für die feine Ge-

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sellschaft war . . niedergerissen; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 26,327) Das pfälzische Buffett stand links . . und mit einigen Schritten befand ich mich auf der Erhöhung desselben hinter den Schranken; ders. 1817 Br. (WA IV 28,133) wie ihm denn ein Basrelief bey Erneuerung des Büffetzimmers aufgetragen worden; Pückler-Muskau 1831 Br. e. Verstorbenen IV 273 und das Soupe nur aus einem magern Büffet bestehend; Hebbel 1844 S. W. /// 3, 41 das Büffet für diese 7000 [Ballteilnehmer] hätte in Hamburg nicht für 70 gereicht; Bauernfeld 1851 Kategor. Imperativ (Ges. Aufs. VII 56) Dort ist das Büffet. Langen Sie zu!; Ranke 1865 Briefwerk 461 In einem besonderen Saal war ein langgebahntes, nicht überladenes Büffet mit einer stattlichen Dienerschaft; König um 1875 Hunt. I 123 Er hatte verschiedene Tänze mit ihr getanzt und trat jetzt an's Büffet, um nach dieser Anstrengung sich zu erfrischen; Gisbert 1879 Zeit-Arabesken 136 Buffetkellner; Diringer 1889 Tanzkunst 140 Das Büffet eines Balles muß fein, aber nicht übertrieben mit Schaugerichten überladen sein; Liliencron 1896 Poggfred (XII 55) Und blieb erst wieder am Büfette stehn; Th. Mann 1909 Hoheit (W. I I 1 0 1 ) Der große Tanzsaal und der Büfettraum wurden nun ganz von der tanzlustigen Jugend in Besitz gehalten; Wassermann 1910 Masken 178 Um das ernüchternde Beisammensitzen an einer großen Tafel zu vermeiden, war im Speisesaal freies Büffet errichtet; Werfel 1924 Verdi 13 Jetzt war das feierlich-lichte Foyer ganz leer, das Büfett im Hintergrund unbewacht, trotzdem man darauf eine ziemliche Reihe von Champagnergläsern und kaum zum Verkauf bestimmte Speisen bemerken konnte; Kronberg 1929 Jugend 169 Aber jetzt werden wir essen. Ich habe ein kaltes Büfett aufstellen lassen, darf ich bitten, meine Herren?; Brandt 1936 Inn 235 ein üppiges Büffet; Münch. N. N. 22. 9. 1942 ein täglich der Gesellschaft offenstehendes Büfett-Abendessen; Neue Ztg. 9. 9. 1950 Der Zug führt keinen Speisewagen, dafür aber einen sogenannten „Buffetwagen"; Frisch 1957 Homo faber 110 Nach Mitternacht gab es ein kaltes Buffett, wie üblich; FAZ 17. 7. 1969 Der erste taktische Fehler ist, nicht gleich aufzuspringen, wenn der Vorhang fällt . . aus dem Saal und zum Büffet zu eilen; Welt 26. 8. 1974 Denn bei der Schlacht am kalten Büfett von Empfängen und Partys in der Bundeshauptstadt bleibt kaum noch ein Diplomatenhäppchen übrig; MM 23. 10. 1987 Honore Daumier, der immerhin das Stürmen des Büffets bei einem kurzen Aufenthalt in dramatischer Bewegung zeigt; Stern 14.5.1987 und das Frühstücksbuffet in der Mensa ist in Nobelhotels auch nicht besser. Büfett c: 1843 Bayern I 479 In geschmackvoll ausgestatteten mit Buffet's versehenen Sälen erwartete

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Buffo

man [im Bahnhof Augsburg] das Zeichen zur Abfahrt; Nürnberger 1874 Siegelringe 231 Büffetmädchen; Proskowetz 1889 Newastrand 10 in den für die erste und zweite Classe gemeinsamen Restaurationen, Büffets genannt, werden . . die Speisen warm gehalten; Eckstein 1892 Dombrowsky l 166 Büffetsaal; 1895 Dtsch. Dichtung XVII 206 [der] der stark verblühten Büffetdame den Hof machte; Münch. N. N. 6. W. 1944 müßte bei Selbstbedienung . . das Personal hinter dem Büfett zahlenmäßig vermehrt werden; Guggenheim 1959 Sandkorn 51 Bahnhofsbüffet zweiter Klasse; Grass 1962 Blechtrommel 40 Der Serviererin am Büfett und dem fuchsigen Mädchen mit dem Zigarettenbauchladen hat Oskar nie ein Foto geschenkt; 1971 Zeitmagazin o. S. Büffet-Hilfen, Tellerwäscher und Küchenhelfer; Schädlich 1977 Nähe 89 Dobruske bleibt am Buffett stehen und sagt zu dem Mann neben sich, „trinkst du 'n Bier mit?"; Zeit 1. 2. 1985 In dem Film . . erklärt die Bedienung eines Bahnhofsbuffets in der Provinz ihrem Liebhaber, einem Fahrkartenkontrolleur, daß sie ihn nicht

mehr liebe; ebd. 5. 6. 1987 Ihre Mutter sei erst 18 und unverheiratet gewesen, als sie zur Welt kam, habe am Kuchenbuffet gearbeitet und sie ins Waisenhaus geben müssen. Büfettier(e): Duimchen 1902 Mittel 29 Die Buffetiere; Kisch 1930 Ges. W. / 373 dann saßen wir . . an runden Marmortischchen, . . rechts thronte zwischen Messingaufsätzen eine Buffetiere; Berl. Ztg. 18. 12. 1966 Büffetiere . . sucht neuen Wirkungskreis; Strittmatter 1969 Dienstgang 193 Der große Zeiger der golddublierten Uhr über dem schwarzhaarigen Handgelenk des Büfettiers macht zwei Runden; Hirsch 1974 Tragikomödien 25 Es spricht für unsere Gesellschaft, unsere Arbeit mit entlassenen Strafgefangenen, daß er sofort in einem großen Interhotel als Büffetier anfangen konnte; Pech 1981 Mützentransaktion 73 Der schnurrbärtige Büfettier befördert das gewünschte Eisbein auf einen großen Teller; Schubert 1990 Judasfrauen 159 Ihr Vorgesetzter und sein Kollege, . . nach dem Krieg Büfettier und Arbeiter. HK

Buffo M. (-s; -s, auch Buffi), im späten 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. buffo (zu buffone 'Spaßvogel, Hofnarr', eigentlich 'wer zur Erheiterung der Zuschauer die Backen aufbläst', zu buffare 'mit vollen Backen blasen, Spaße machen' und buffa 'Posse, Scherz'), selten auch in den frz./ital. beeinflußten Formen B(o)uffon(e). In der Bed. 'Sänger lustiger Rollen in der Oper, Sänger in der komischen Oper, der Opera buffa' (-* Oper; s. Belege 1784, 1789, 1808, 1815, 1912, 1988), als Grundund Bestimmungswort in den Zss. Baß-, Tenor-, Bariton-, Operettenbuffo; Buffotheater, -spiel, -oper, -partie, -ton, -paar; dazu seit Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung buffonesk (ohne Steigerung), in der Bühnensprache für 'in der Art eines Buffos, auf die komische Oper bezogen'. Vgl. daneben das im frühen 16. Jh. aus ital. buffone (s. o.) übernommene Subst. Buffon(e) M. (-(e)s; -(e)s, auch Buffoni), bis ins frühere 20. Jh. für 'Spaßmacher, Possenreißer', und die seit spätem 17. Jh. belegte, heute selten gebrauchte subst. Ableitung Buffonerie F. (-; -n), zunächst allgemeiner im Sinn von 'Scherz, Posse, Spaßmacherei', seit Mitte 19. Jh. auf die Komödie der Opern- und Theaterbühne bezogen (s. Belege 1850, 1867-69). Buffo: Schmid 1775 Chronologie d. Dtsch. Theaters 299 auf dem Buffotheater; Obermayr 1784 Bildergalerie 32 Der primo buffo, der im Karneval den Markese villano spielte; Goethe 1786 Tagebücher (WA 111 1,256) Der eine Advocate der sprach, war alles was ein Buffo caricato nur seyn sollte. Figur: dick kurz doch beweglich. Ein ungeheuer vorspringendes Profil; 17*9 Chronic v. Berlin l 276 Beide hatten hier den Beifall des Publici. Sie als Tänzerinn und er als Bouffon in der Oper; Goethe 1808 Er. (WA IV 20,256) Man erinnere sich der Zeit, in welcher ein Ackermann lange auf dem

Weimarischen Theater für den ersten Buffo . . gelten mußte; Werner 1808 Tagebücher 19 ein guter Bouffon, eine . . prima Donna und einige niedliche Ballatrice; Rehfues 1809 Br. a. Italien II 232 und ist mit einer reizenden ersten Frau (Prima donna), einem ersten hübschen Liebhaber (primo amoroso) und einem tüchtigen Buffo höchlich zufrieden; £. T. A. Hoffmann 1819 S. W. X 142 Während die Prinzessin . . im wehmütigen Adagio beharrt. ., sei er als ein vorzüglicher Buffo und erzkomischer Chanteur mit einer ganzen Legion kurzer Noten parlando dazwischen gefahren; Steffens 1841 Was

Buffo ich erlebte III 57 Spässe des Buffo; l842 Brockhaus III 13 unterscheidet die neuere franz. Oper den Tenorbuffo und den Baßbuffo; 1882 Brockhaus III 697 Buffo oder Buffone . . heißt der komische Sänger in der italienischen Oper; Riehl 1885 Vortr. H 356 die echten Soubretten und graziösen Buffos sterben aus; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 506) der andere der Männer . . im Charakter eine Art Bariton-Buffo, fast ohne Stimme dabei, aber mimisch begabt und von bemerkenswerter komischer Energie; 1923 Almanach d. Musikbücherei 158 ausgelassenes Buffospiel; Alfieri 1924 Leben (Übers.) 50 die besten Buffi Italiens; Lokal-Anz. 2. 2. 1933 das Große Funkpotpourri „Heitere Oper", in dem eine ununterbrochene Folge von Ausschnitten aus Buffo- und Spielopern gesendet wird; Münch. N. N. 14. 7. 1942 Rossinis Barbier von Sevilla, dem unsterblichen Muster der italienischen Buffooper; Welt 2. 6. 1949 der junge dänische Neutöner . . legt hier eine neue Buffooper vor; ebd. 13. 2. 1959 Dort liegen im hellen Durcheinander meine Liebhaber und Komiker und Helden, und sogar Operettenbuffos; MM 19.12.1986 vom spitzen Buffo-Ton . . bis zum exzentrischen Schmerzensschrei; ebd. 13.2. 1987 Musikalische Bereicherung kam vom Buffopaar; ebd. 16.5.1988 Carlos Feller, altgedienter Kölner Buffo, gibt einen Bartolo, wie man ihn kennt: etwas tüddelig, aber alles in allem doch liebenswert. Buffon(e): 1523 Commentum (Flugschr. Reformation I 310 Anm. 65) bufones; 1592 (Schmidt, Erziehgs.wiss. 77) Buffones; 1594 (Westenrieder 1790 Beytr. Ill 111) Item einem Buffon oder narreten Kurzweiler vmb seiner narrateytreibung 15 fl.; Hainhofer 1610 Corr. 38 ain venedisch festivo mit allerlay trachten vnd buffoni; ders. 1613 Relation 187 f. vor der tafel hat der Zündelin Augspurger musicus vnd Zinckenblaser badt geschürret vnd den buffon gemacht; um 1638 Teutscher Michel 208 Bufoni; 1716 (D. Neueste von gestern) II 62 wenn er nur ein wenig über den Durst getruncken die conduite ihm fehlet und mit Vorbringung vieler Sottisen sich in seinem Discours selbst verwirret/ wird er sich als einen bouffon gebrauchen laßen; Sonnenfels 1768 Br. 62 Buffon; Foote 1797 Mäzen (Übers.) Ill 7 ein jämmerlicher Betrüger, der Buffon eines Schwarms gemeiner .. Geschöpfe; Herder vor 1803 S. W. VI 265 Die [gaya ciencia] dann in die Hände der Contadores, Truanes und Bufones, d. h. der Märchenerzähler, Possenreißer und Hofnarren gerieth (KEHREIN); Rehfues 1809 Br. a. Italien II 110 In jeder Gesellschaft .. finden Sie einen oder mehrere Lustigmacher (Buffoni), die mit einer reichen Gabe von Witz eine Gefälligfkeit verbinden, welche auch das freiste Wort nicht im Argen aufnimmt; £. T. A. Hoffmann 1815 S. W. //

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211 selbst bei uns würdet Ihr für einen guten Buffone gelten; Lady Morgan 1821 Reisen. Frankreich (Übers.) l 266 Anm. zwei berühmte Gilles oder Buffons, die sich jeden Abend auf den Boulevards zeigen; Schmidt 1909 Persönlichkeit (Rektor-Rede Berlin 19) ein Buffon der Gesellschaft; Redaelli u. Wolf 1924 Novellen 129 ein ausgezeichneter . . Astrolog, möge er auch tausendmal ein Buffone sein; Friedell 1928 Kulturgesch. II381 ihre Philosophen [waren] Tagediebe und Buffoni. Buffonerie: Butschky 1679 Wohl-bebaueter RosenThal 799 dass die meisten . . der Narrenteidigung und Bufonarie/ sich nicht können entschlagen; Elis. Charl. 1709 Br. II 88 welcheß dar darauß erscheindt, daß man bouffonerien macht; Schlegel 1747 W. III 268 Die Italiäner, welche nichts weniger als gleichgültig und gelassen sind, treiben die Buffonerie aufs höchste; Lessing 1755 S. Sehr. XIX 23 Voltaire [hält] die ganze Natur für eine Bouffonnerie; Riesbeck 1783 Br. I 514 Die Bigoterie des Publikums . . fällt bey dem Pöbel in die gröbste und abscheulichste Buffonerie; Rehfues 1809 Br. a. Italien l 48 Vor dem Lärm der Zuschauer ist kaum ein Instrument hörbar, und selbst die Buffonerien des geliebten Naldi — vielleicht des ersten Buffo Italiens, der im letzten Karneval in Livorno sang — sind kaum vermögend, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen; Grillparzer 1850 S.W.XVI11 110 in der ganzen Schauspielerwelt kaum ein Künstler .., der nicht .. ein Gegengewicht fände gegen die Bouffonerien des blutbespritzten Possenreißers; Raabe 1867-69 S. W. Ill 1,393 Ich glaubte, mich für eine Buffoneria engagieren zu lassen, und nun finde ich mich als Arlechino im 5. Akt einer Tragödie; Kürnberger 1876 Haustyrann 68 Hermosa tanzte wie ein Kobold. Sie überliess sich den muthwilligsten Buffonerien, ja, sie machte über die Achsel ihres Tänzers hinweg Gesichter voll witziger Ungezogenheit; 1890 Freie Bühne 515 und macht uns [der Schauspieler] am Ende durch seine übel angebrachte Bouffonerie nur wüthend; Süddtsch. Ztg. 20. 8. 1956 ein wahres Prachtstück an breitspuriger Pfiffigkeit und krautjunkerlicher Grandezza, ist seit langem als ein Meisterstück ebenso intelligenter wie komödiantischer Buffonerie bekannt. buffonesk: Hofmannsthal 1911 Briefw. R.StraußHofmannsthal 132 Auch bringt die Verflechtung mit dem ändern buffonesken Element ja einen starken Reiz, hebt die Monotonie auf; NZ. (Basel) 8. 5. 1950 während Hans Jonelli . . die gefühlsseligen Lieder auf den Timbre seines buffonesk gefärbten Tenors .. abstimmt; Neue Ztg. 6. 5. 1952 Im Mittelpunkt steht, bravourös sein mächtiges

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Bukett

Organ zu buffonesker Beweglichkeit zwingend, Kurt Böhmes Osmin; Stuttgarter Ztg. 25. 1. 1968 der sonst im buffonesken Fach am besten zu Hause ist; MM 6.3.1986 der teils hitzige, teils buffoneske Charakter der Allegro-Sätze von Mozart;

Zeit 9. 5. 1986 Columbo ist nicht mehr ein schüchterner und serviler Italiener, der seine buffoneske Schläue dem arroganten Dünkel der hochgewachsenen blonden Yankee-Kriminellen entgegensetzt. HK

Bukett N. (-s; -s und -e, früher selten auch -er), Mitte 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bouquet (< altfrz. boscet 'Baumgruppe', Diminutiv von böse, bois 'Wald, Baum', german. Herkunft, vgl. Busch und engl. bosket 'Gebüschpflanzung'; —»· Boskett), bis ins 20. Jh. auch in frz. Schreibweise Bouquet. a Zunächst in der Bed. 'Strauß aus natürlichen oder künstlichen Blumen' verwendet, bis ins 19. Jh. häufig zur Verzierung von Frisur und Garderobe, vgl. die Zs. Blumenbukett; gelegentlich auch übertragen nach der Vorstellung einer gewissen Menge in der Bed. 'Anzahl, Ensemble, Reihe', von Sachen und Personen, auch bildlich verwendet (s. Belege 1854, 1884, 1963, 1965). b Seit früherem 19. Jh. nach dem Duft eines Blumenstraußes übertragen verwendet in der Bed. 'Blume, Duft, Aroma des Weins' (s. Belege 1833, 1851, 1909, 1934, 1958), vgl. die Zss. Bukettraube, -Stoff, -wein; von daher selten auch im Sinn von 'Hauch, Flair, Spur' (s. Beleg 1907). Bukett a: Zesen 1645 Ibrahim 139 bouquet . . Blumenstrauß (KLUGE); Elis. Charl. 1699 Br. l 178 Daß bouquet muß schön sein von 60000 thaller sein, glaube nicht, daß man schönnere blumen in der Hesperiden garten gefunden halt; dies. 1706 Br. l 476 Ihr habt in Ewer verzehlung von den pressenten ein bouquet vergeßen mitt einem rubinenring, so ma tante mir schreibt, daß der könig in Preüssen ahn seines Herrn sohns braudt geben; Wächtler 1709 Manual 51 Bouquet (Bucket), Blumen-Strauß/ z.E. einem ein bouquet praesentiren; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 247 Bouquet, Ist ein von natürlichen oder von Seide und Schmeltz-Werck nachgemachten Blumen zusammen gebundener Strauß, den die Frauenzimmer entweder an die Brust, oder auch auf die eine Seite des Kopffs zu stecken pfleget; Hoffmannswaldau 1727 Gedichte VII 116 Als sie zur ader ließ, und er ihr ein blumen-bouquet schickte (Gedichttitel); Rohr 1729 Zeremoniellwiss. II 314 auf dem Haupt ein . . Casquet, worauf ein Bouquet mit mancherley buntfarbigen Blumen; Weisse 1768 Beytrag (III 305) ein Aufsatz von Brabanterspitzen, ein Bouquet und eine schöne diamantne Zitternadel; Lessing vor 1781 S. W. XII 528 Ein paar „Buketter" (SANDERS 1871); Merken 1785 Kunstbuch 7 Eine zierliche Kleidung, schöner Halsschmuck, und ein mit Federbüschen, Bouquets, kostbaren Steinen, Perlschnür u. dgl. ausgezierter Aufsatz; Goethe 1787 Tagebücher (WA III 1,337) das wilde Gebüsch . . wie unsinnig von Blüten . . der Weisdorn in schönsten Bouquets; Foote 1798 Nabob (Übers.) IV 250 Hat sie Bukets? . . Ob sie Sträusser hat,

Dummkopf?; Ad. Schopenhauer 1823—24 Tagebuch 90 Mich weckte ein schönes Bouquet aus Jena. Allwina sandte es; Niendorf 1854 Paris 110 Lampen-Bouquets; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 340 Blumenbouquets; Kürnberger 1877 Herzenssachen 8 Ich weiß nicht, ob meine Leserinnen, welche an andere Blumenbouquets gewöhnt sind, noch mehr von diesen Zeitungsblumen wünschen; Rose 1884 Revanche 58 ein ganzes Bouquet hervorragender Männer; Proelss 1891 Modelle 88 Carminella zerpflückte ein großes Bouquet, jedem von uns eine duftige Rose zuwerfend; Liliencron 1896 Poggfred (XI 230) Feldbukett; Massow 1913 Politik 224 was der griesgrämige Beamtenwitz ein „Steuerbukett" zu nennen pflegt; Hammerstein 1916 Februar 149 Veilchenbukett; Anet 1925 Ariane 50 Am nächsten Tag . . erschien er mit einem Bukett bei Varwara Petrowna, die ihm vergeblich auseinanderzusetzen versuchte, daß ihre Nichte noch nicht im heiratsfähigen Alter sei; Döblin 1929 Alexanderplatz 95 Kleine schwarze Türspalte, ihre Augen, er bückt sich zärtlich herunter, wedelt mit dem Bukett. Krach. Die Türe zu; Benjamin 1933 Br. II 566 lege ich . . für sie ein kleines Willkommenboukett obenauf; Süddtsch. Ztg. 14. 3. 1963 Allerdings scheint Bonn zur Beschwichtigung mit einem Bukett kleiner Maßnahmen zugunsten der Kohle zu winken; FAZ 3.12.1965 Er steckte sie in das Bukett der CDU/CSU, dessen schönste Blüte nach wie vor Erhard sei; Hocke 1976 Tagebücher 353 das beste europäische Bukett ..: „Die Komödie vom Italiener, die Tragödie vom Engländer"; MM 2.11.1987 Erika tauchte ganze

bukolisch Gräberfluchten in violettes Rot, Bukette verbreiteten erste Winterstimmung, aber es gab auch viele frische Blumen auf den Gräbern; Spiegel 29.5. 1995 alle der acht zierlichen Kupfergrazien . ., welche die Treppenaufgänge mit einem Bukett aus Glasballons erleuchten. Bukett b: Koch-Sternfeld 1833 Beytr. Hl 464 Neben den plausiblen Ansichten des Tages hat diese Sprache, wie alter Wein, ihr eignes Bouquet; Vaerst 1851 Gastrosophie U 28 Die Blume und das Bou-

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quet des Weins sind .. verschiedene Dinge; 1876 Annalen d. Oenologie V 478 Bouquettraube; Blüthgen 1907 Spiritisten 47 mit dem Nimbus des Weitgereisten und einem Bouquet von Sport; Babo u. Mach 1909 Weinbau I 1,240 hochfeine Weissweine und solche, die einen ausgesprochenen Traubengeschmack (Bukett) besitzen; 1934 Deutschlands Erneuerung XVIII 527 Bukettstoffe oder Blume; Schindler 1934 Getreidearten 8 Bukett des Weines; Simon 1958 Weine (Übers.) 13 Unterschiede des „Buketts" und des „Körpers" der Weine. HK

bukolisch Adj. (ohne Steigerung), im frühen 17. Jh. vereinzelt, seit Mitte 18. Jh. häufiger nachgewiesene gelehrte Entlehnung aus lat. bucolicus 'auf die Hirten bezogen, zu den Hirten, Schäfern gehörig' (< griech. 'zu den Hirten gehörig', zu 'Rinderhirte', zu 'Rind'). In der allgemeineren Bed. 'ländlich, einfach, idyllisch, beschaulich, abgeschieden' (s. Belege 1615, 1916, 1921, 1953, 1993), gelegentlich in Verbindungen wie bukolisches Behagen, bukolischer Friede; seit Mitte 18. Jh. in engerer Bed. auf die Gattung der Schäfer- und Hirtenpoesie bezogen (gleichbed. mit —» arkadisch; s. Belege 1757, 1759-65, 1801), vgl. bukolische Dichtung, bukolischer Dichter. Dazu etwa seit früherem 16. Jh. auf lat. bwco//ca/griech. zurückgehendes Bukolika PL, in der Literaturgeschichte für 'Schäfer- und Hirtengedichte'; seit Anfang 19. Jh. die selten belegte Personenbezeichnung Bukoliker M. (-s; -) 'Dichter von Hirtenliedern, Idyllen, Schäferspielen' und seit Ende 19. Jh. die subst. Ableitung Bukolik F. (-; ohne Pl.) 'Hirten-, Schäferdichtung', auch allgemeiner für 'bukolische, idyllische Art' (s. Belege 1892, 1952, 1985). bukolisch: Messerschmid 1615 Narrheit 41 Diese . . hören lieber von Becher/ Polnischen Sackpfeiffen .. Deckeln Tellern vnd ändern Bucolischen Sachen; Wieland 1757 Ges. Sehr, l 4, 411 Von den vornehmsten bucolischen, elegischen und epigrammatischen Dichtern; Mendelssohn 1759—65 Br. d. neuste Lit. betr. V 118 der bukolische Dichter; Sonnenfels 1768 Br. 301 Seine ländlichen Ideen sind nie von der bukolischen Gattung; Batteux 1770 Künste 21 weil er die Epopöe auf bukolische Art bearbeitet; F.Schlegel 1795-97 Üb. d. Studium d. griech. Poesie (Krit. Sehr. u. Fragmente I 64) So treu auch die bukolischen Dichter der Sizilianischen Schule die rohe Natur nachahmen, so ist doch die Rückkehr von verderbter Kunst zur verlernen Natur der erste Keim der sentimentalen Poesie; Herder 1801 Adrastea (S. W. XXIII 301) bukolische Gedichte; 1886 Briefw. G. FreytagHerzog Ernst v. Gotha 304 bukolischen Charakter; Mayr 1916 Wanderschaft 29 das bukolische Kühbach; Hauptmann 1918 Ketzer (Ausgew. W. V 554) ein ebenso unschuldiges, als freilich auch ungewöhnliches bukolisches Bild .. Ebenderselbe scheckige Ziegenbock .. führte .. einen kleinen

Bacchantenzug, wobei er .. die einzige Bacchantin des Trupps rittlings auf seinem Rücken trug; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 65) sein Hang zur Utopie, sein Haß auf die Zivilisation, seine Passion für die Ländlichkeit, den bukolischen Frieden der Seele; fönten 1926 Siebenquellen 195 um fern von eitlen Geschäften in ländlichen Freuden und bukolischem Behagen seinen Lebensabend zu verbringen; Colerus 1929 Kaufherr 240 einer jener ländlichen Tage, deren aufregungs- und wunschfreie Schönheit nur unsre großen deutschen Romantiker voll ausdrücken konnten, weil sie den Mut zu bukolischem Überschwang aufbrachten; Wickenburg 1938 Gloria 96 eine . . bukolische und doch urbane Anmut; Münch. N. N. 30. 4. 1942 Man sah die . . Bergwelt Siebenbürgens . . im Urgesang der Wildbäche und in der bukolischen Milde der Schafweiden; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 58) dies Heer der Schalmeien im weither entwikkelten Hochstande ihrer technischen Ausbildung, den Trieb des Virtuosen auffordernd in jeder ihrer Formen: als bukolische Oboe, als Englisches Hörn; Bonn 1953 Gesch. 112 Frauen, die sich gegen die bukolische Eintönigkeit des englischen Landlebens

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Bulle

auflehnten; Koeppen 1961 Frankreich 127 Der Weingott ist unter das Joch des Profits gebeugt, doch verleugnet er nicht sein bukolisches, sein volksfreundliches Wesen; Zeit 4. 1.1985 Führe ich wieder hin, um mich der Wirklichkeit zu vergewissern - nichts wäre mehr da unter den ungerührten Bäumen der Parks, in den Sälen der nun wieder in bukolischer Stille versunkenen Villen; ebd. 24. 1. 1986 Chruschtschow prahlte in bäuerlichbukolischem Russenkittel mit den Klassikern des Kommunismus; MM 2.10. 1987 Die Qualität der Choreographie besteht in ihrer bukolischen Einfachheit; ebd. 25. 4. 1988 Eine wunderbare Weise an die Nachtwinde mit wispernden Geigen und bukolischem Flötensolo; Süddtsch. Ztg. 30.4./ 2. 5. 1993 der nordsaarländische Luftkurort mit kleiner Fabrik, die ihre Giftausstöße hinter bukolischen Tannenwäldern besorgt; Zeit 2. 2. 1996 Nie kann man aus Jugoslawien ein bukolisches Land herstellen, aber doch erzählen, was das subjektiv für einen jungen Menschen war. Bukolik: Noe 1892 Bergfahrten 28 Eine übermäßige Anzahl von Fliegen, verderbte Luft . . würden den Genuß solcher Bukolik empfindlich stören; Tb. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. X 469) die herrnhutische Bukolik; Hausenstein 1935 Wanderungen 79 ein Stück klassischer Bukolik; Krauss 1949 Aufs. 68 Der doppelte Charakter der Bukolik

als einer klassischen und in der klassischen Poetik doch nicht aufweisbaren Gattung sichert ihren . . Rang für die ästhetische Besinnung aller humanistischen Jahrhunderte; Armbruster 1952 Lux 51 Die aus Bukolik und Abenteuer gemischte Situation; Mayröcker 1985 Herzzereißende 44 Ich trat als Leser meiner eigenen Schriften auf, orientalische Bukolik mit Minarett (DUDEN 1993); Zeit 2. 2. 1996 Wer bei der Beschreibung eines Essens in einem vom Krieg betroffenen Land Bukolik oder ein Idyll sieht, der ist ein Trottel. Bukolika: Dasypodius 1536 Diet, lat.-germ. U 20 Bucolica. Ein buoch oder gedieht darin hirten von vich reden/oder von anderen beurischen dingen; Kornmann 1614 Mons Veneris 166 er verstund die Hirten Liedlein/ so man Carmina Bucolica nennet; Raabe 1867 S. W. U 1,406 Bei den Bukoliken des Virgil, dieses ländliche Wohlleben und diese eigentümlich frische Luft; NZ. (Basel) 15. 5. 1950 In grossen Breitformaten erlangen einfache Themen, liebende und ruhende Paare oder „Bucolica" eine herbe Kraft, aus der gute Wandfresken entstehen könnten. Bukoliker: Seume 1803 Spaziergang (W. l 291) ET muss . . ein sehr sonderbarer Bukoliker und Idyllendichter seyn. HK

Bulle F. (-; -n), schon im Mhd. entlehnt aus mlat. bulla 'Blase, Buckel, runder Schmuck, Siegel', auch 'gesiegelte Urkunde' (< lat. bulla '(Wasser-) Blase, Buckel, Knopf, z. B. an Türen, Gürteln'; —» Billett, —> Bulletin), anfangs auch in lat. Form und selten verkürzt Bull. Zunächst als Bezeichnung für die Schutzkapsel einer mittels Schnur an einer Urkunde befestigten Siegels, bes. im Mittelalter in der Bed. 'beidseitig geprägtes Siegel (je nach Art des Schreibens und des Empfängers aus Wachs, Blei, Silber oder Gold), das kaiserlichen, königlichen und päpstlichen Briefen, Verordnungen, Erlässen angehängt wurde' (s. Beleg um 1275), dann als Bezeichnung für die Urkunde selbst (s. Belege 1437—38, 1523, 1601), vgl. den Terminus Goldene Bulle als Bezeichnung für die mit einem Goldsiegel versehenen Kaiser- und Königsurkunden, bes. die 1356 auf den Reichstagen zu Nürnberg und Metz angenommene Urkunde Kaiser Karls IV., die das wichtigste Grundgesetz des Deutschen Reiches bis 1806 darstellte. Seit Anfang 16. Jh. gebräuchlicher Terminus für einen in lat. Sprache abgefaßten, feierlichen päpstlichen Erlaß über kirchliche Angelegenheiten, der mit einem Bleisiegel versehen ist (s. Belege 1512, 1551, 1731, 1970), vgl. bes. Bannbulle als Bezeichnung für die Urkunde, durch die Papst Leo X. über Luther 1519 den Kirchenbann verhängte. Dazu im frühen 16. Jh. selten die Personenbezeichnung Bullist M. (-en; -en) 'päpstlicher Bullenschreiber'; seit Anfang 19. Jh. die nur gebuchte subst. Ableitung Bullarium N. 'Bullenbuch, Sammlung päpstlicher Verordnungen des Mittelalters und der Neuzeit'.

Bulletin Bulle: um 1275 Schwabenspiegel 140 des pabstes Siegel heizet bulla; 1401 Urkundenb. Grimma 387 die bebistliche bulle (beide MÖLLER); Richental 1414—18 Konstanzer Chronik 19 Also sant unßer haiiger vatter baupst Johannes uß diß bull allen erzbischoffen; Weinsberg 1437-38 Reg. 58 vnd sant sinen genaden ein bullen von dem Contzillio vnd brieff; vor 1466 Stretlinger Chronik 96 Und gab darumb dem vil gemeldeten herrn Burkarten von Stretlingen versiglet bullen und brief nach Römschen sitten und gewonheit; Volkslied 1476 (Liliencron II 88) Sie haben ouch funden siner ingesegil dri,/ große bullen und briefe ouch da bi; Öhem um 1500 Chronik 99 bull und confirmatz; Murner 1512 Narrenbeschw. 228 bäpstlich bullen; Luther 1521 W. VII 241 Es hilfft dich alles nichts, wenn du schon den Bapst gar mit allen seinen Bullen fressest und verschlundest; Kettenbach 1523 Vergleichung 138 ablass bullen; Sleidan 1544 Reden 189 Guide Bulla; ders. 1551 Briefw. 186 die bapstliche bulla; Fischart 1570 Nachtrab Z. 2691 Dann ich hab ein alte Bull,/ Die mal dem Bapst von Rom entful; ders. 1586 Bienenkorb 44b daher dieweil der papst thut was ihm geliebt, so hängt er an alle bullen zuletzt dise clausul oder beschlusz (DWB); Hock 1601 Blumenfeld 129 Carl der vierdt verordnet doch./ In seiner gulden Bull das auch/ Nach solchem brauch,/ Ein jeder Fürst soll künnen/ Die baide Sprach; Henisch 1616 Teutsche Sprach 555 Bulle/ ein offener oder versigelter brieff eines Fürsten; 1630 Tragt Comödia 232 visitirte also seine Hosen, darinnen ich eine gantze schöne Liberey Bulenbrieffgen fandt; Stieler 1695 Zeitungs Lust 183 Bulle/ ist ein Käyserlich/ Königlich/ oder Päbstisch/ Bekräftigungsschreiben/ und eigendlich das Siegel/ so daran hanget; Marperger 1711 Beschr. d. Messen l 245 daß ihnen nicht Verbot geschehen, sie suspendiret, oder excommuniciret werden könten, durch Apostolische Bullen; Seume 1731 Lex. 35 Pabste Bullen . . Sind Päbstliche Bekräfftigungs-Schreiben; und heisset eigentlich das Sigel, so daran hanget, eine Bulle; Adelung 1774 Grammat.-k.rit. Wb. I 1129 Bulle . . 1. Ein jedes erhabenes Siegel von Wachs oder Metall, so ehedem an öffentliche Urkunden gehänget wurde . . 2.

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Eine mit einem solchen Siegel versehene Urkunde; Seume 1803 Spaziergang (W. I 447) eine Knabenstatue mit der Bulle; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 184) die Vorschriften der freilich veralteten Goldnen Bulle; Marx/Engels 1842-43 Publizist. Arbeiten (MEGA I 1,360) eine religiöse Bannbulle gegen die fromme Kölnische Zeitung; Werthenau 1910 Interessante Wörter 29 Bulle, päpstliche Verordnung, stammt von dem lat. Bulla, das Wasserblase, später Türknopf, also jedenfalls etwas Kugelförmiges bezeichnet. Bei der Bulle ist es das Siegel, das Kugelform hat; 1923 Polit. Handwb. l 286 Am Eingang der Bulle steht der Name des Papstes . . darauf der Kontext, mit dessen Anfangsworten (arenga) die Bulle gewöhnlich zitiert wird; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 196) [sie] sangen Messen, fertigten Bullen und Dekrete aus; Partner 1964 Erben 82 den schmalen Leib gürtete ein Lederriemchen, an dem sie außer einem Täschchen eine Silberbulle und eine Bergkristallkugel trug; ebd. 85 auch die silberne Bulle — eine Amulettkapsel, in der man Andenken von heiligen Stätten zu bewahren pflegte — kam aus dem Mittelmeerraum; Kahsnitz 1970 Wachssiegel o. S. Conventssiegel wurden für Cistercienserklöster neben den bis dahin allein gestatteten Siegeln der Äbte durch die Bulle Benedikts XII. . . vorgeschrieben; Zeit 2. 8. 1985 die erste Bulle, die die Eunuchenehe verbot, unterschrieb der Papst 1586; MM 5. 7. 1986 neben Büchern auch Schriftstücke wie Bullen, Karten und eigenhändig geschriebene Blätter; ebd. 19. 7. 1989 1821, als das Bistum durch eine päpstliche Bulle erledigt wurde; Spiegel 14. 8. 1995 In der berühmten Bulle „Unam Sanctam" vom Jahre 1302 dekretierte Papst Bonifatius VIII., die alleinseligmachende Kirche sei unumschränkte Herrscherin auch über weltliche Regenten. Bullist: Luther 1520 W. VI 617-618 die lieben Bullisten, Den ichs acht, die Bulle sey auf einenn truncken abent odder in den hundts tagen gemacht; ders. 1521 W. VII 456 Das aber die Papisten und Bullisten mich dar ynn vordammen. OV

Bulletin N. (-s; -s), im späten 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bulletin (vgl. ital. bolletino) (< altfrz. bullete 'Siegelabdruck, Medaillon; Bescheinigung, amtlicher Bericht', dem Diminutiv zu bulle 'Kugel, Siegelkapsel, Urkunde' < (m)lat. bulla, —» Bulle), anfangs gelegentlich in der von der frz. Aussprache beeinflußten Form Bulletin; daneben bereits im 16./17. Jh., vermutlich unter Einfluß von ital. bollettino 'Urkunde, Bericht', auch die Formen Bolleton, Polletin (vgl. a), —» Billett, a Zunächst in der Bed. 'Tagesbericht, Tageszeitung, Nachrichtenblatt' (s. Beleg 1792), seit frühem 19. Jh. als Titel von (meist) periodisch erscheinenden Arbeits-

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Bulletin

und Sitzungsberichten, Journalen, Mitteilungsblättern, wissenschaftlichen Zeitschriften (s. Belege 1820, 1959, 1987; — Journal). b Erstmals auf den Tagesbefehl Napoleons I. vom 29. Mai 1800 an die Reservearmee angewandt, dann schlagwortartig als Bezeichnung für einen aufgebauschten und verlogenen Heeres- und Schlachtbericht (s. Belege 1812, 1815, 1861); dazu im späten 19. Jh. die seltene Personenbezeichnung Bulletinist M. 'Verfasser von Bulletins', c Seit frühem 19. Jh. in der Bed. Offizieller Krankenbericht, amtlicher Bericht über den Gesundheitszustand einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens' (s. Belege 1827, 1842, 1911, 1952), dann auch für Offizielle Erklärung, Bekanntmachung, amtlicher Bericht, für die Öffentlichkeit bestimmte Verlautbarung einer Regierung über ein bestimmtes Ereignis' (—>· Kommunique), im Falle einer wiederholten Erscheinungsweise offen zu a (s. Belege 1959, 1966, 1987), häufig in Wendungen wie ein Bulletin herausgeben, veröffentlichen. Bulletin a: Zimmermann 1790 Fragmente / 255 Friedrich war auch nicht der Mann der sich durch unbedeutende Nachrichten unterhalten ließ, durch schiefe oder falsche Beobachtungen, eitele Muthmassungen, und aus Alltagsgeschwätz zusammengestoppelte Bulletins; Lang 1792 Memoiren I 246 Mein Bruder . . sandte mir alle merkwürdige Bulletins, Zeitungen und Flugschriften; Behr 1810 Staatslehre II 88 für die Gesezgebung . . ein ganz eigenes, ihr ausschliesslich gewidmetes Bulletin zu etabliren; Goethe 1820 Urtheilsworte (WA l 41.1,145) Als vor vierzig Jahren Herr von Grimm sich in der damals ausgezeichneten geist- und talentvollen Pariser Gesellschaft einen ehrenvollen Zutritt gewonnen und für ein Mitglied eines so außerordentlichen Vereins wirklich anerkannt wurde, beschloß er ein Tagesblatt, ein Bulletin literarischen und weltgefälligen Inhaltes schriftlich zu versenden; ders. 1825 Tagebücher (WA 111 10,13) Ich betrachtete näher die Bulletins von Breslau; Szarvady 1852 Paris I 221 Die Organe der Presse führten die verschiedensten Bezeichnungen, es gab: Journale, Bulletins, Gazettes, Feuilles, Chroniques . .; Jh. Mann 1940 Nachtr. (W. XIII 149) sein fürstliches Sterben in Paris und Wien, das man in den täglichen Bulletins der Zeitungen schrittweise miterlebte; ND 12. 5. 1959 der ehemalige Direktor der Weltgesundheitsorganisation . . hat in einem Artikel des Bulletins der amerikanischen Atomwissenschaftler zugegeben, daß die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Kanada hochgefährliche Giftstoffe für einen Bakterienkrieg erzeugen; ebd. 3. 9. 1974 zur Unterstützung der ideologischen Kader erscheint ein Spezialbulletin, das Material zur Kritik des kapitalistischen Systems und der bürgerlichen Lebensweise enthält; Zeit 27. 3. 1987 der einst von Bongard veröffentlichte Informationsdienst 'art aktuell', ein exklusives Kunstbulletin in limitierter Auflage.

Bolleton/Polletin: 1526 (Franz/Fuchs 1942 Akten Bauernkrieg II 775) zu yeder zeit ein schrifftlich bolleton an alle belonung zustellen; v. Troilo 1676 Oriental. Reisebeschr. 466 Und also was ein reitender Bote in drey Tagen nicht verrichtet, thut dieser fliegende, die Taube, nicht vor voll in einer kleinen Stunde, ja offtmahls wohl gar in einer halben Stunde. Massen das datum so wohl des Tages, als die Stunde, ja die Minuten in das polletin hinein gesetzt wird (SCHÖPFE). Bulletin b: /. v. Voss 1811 Travestien 152 Nebenan sitzt der erhabene Bulletinschreiber, der lügt wie ein Buchhändler, der seine Verlagsartikel empfiehlt (LADENDORF); Mutius 1812 Er. 186 Der König von Neapel ist verwundet, das Bulletin ist hier noch nicht publiziert; Gentz 1813 Br. an Pilat I 82 Ich bin überzeugt, aus den franz. Bulletins wird uns diese Affaire als eine blutige Niederlage angerechnet; Goethe 1815 Tagebücher (WA III 5,168) Neustes Bulletin, vorgerückte Hauptquartiere; Landsberg 1815 Militair-Styl 28 Relationen oder Erzählungen von Feldzügen, Schlachten und Gefechten (Bulletins); Lang 1819 Conversationslex. 55 Die Bulletins oder die Klassischen Lügen; 1861 Aug. Mil.-Enc. III 76 Bulletin, eine offizielle . . Kriegsnachricht; Scherr 1865 Blücher II50 f. Dieses Kind erhielt den Namen „Bulletin", auf welchen es zu Ivrea, seiner Geburtsstätte, am 9. Prairial oder 29. Mai des Jahres 1800 getauft ward. In der unscheinbaren Gestalt eines simplen Tagesbefehls an die Reserve-Armee zur Welt gekommen, wuchs das Kleine, mit Glorie aufgepäppelt, binnem Kurzem zu einem ungeheuerlichen Ding heran, zu einem Riesenschlauch sozusagen, außen gleißend von den blendendsten Phrasenfarben, aber innen voll Lüge, Hochmut und Falschheit; Scherr 1870 Farrago 25 die nach Rom gesandten Siegesbulletins des Cäsar; Dahn 1882 Bausteine III 206 Ganz ausgerottet wurde die Bevölkerung zwar nicht — das geschah

Bumerang überhaupt viel schwerer und seltner, als man durch die Bulletin-Sprache der Römer anzunehmen sich verleiten läßt; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. XI 55) abends saß er in der Parterreloge, zur Bekräftigung des Bulletins: „die Große Armee ist vernichtet ..". Bulletinist: Scherr 1876 Größenwahn 153 jenes „Memorial von St.-Helena", in welchem der große Völkerwürger und Bülletinist der Welt vorlog, er sei der friedliebendste aller Menschen. Bulletin c: Goethe 1827 Br. (WA IV 42,280) Als ich neulich oben w a r . . fand ich die Frau Erbgroßherzogin besser als ich sie mir gedacht hatte; denn wer kann den Ärzten und ihren Bulletins trauen; 1842 Br. Droste u. Schücking 72 „Den Umständen nach", wie es in den ärztlichen Bulletins heisst; Bismarck 1847 Br. 46 gieb mir ein Bulletin Deiner Gesundheit; Nordau 1881 Paris 157 die Blätter brachten Bulletins über das Thun und Treiben aller Schriftsteller und Künstler; Benjamin 1911 Br. l 33 Die fortwährenden Bulletins über meinen Seelenzustand verdankst Du . . einzig meiner grauenhaften Vereinsamung; Th. Mann 1919 Reden u. Aufs. (W. XI 583) verfolgte ich in der Wiener Presse die in fürstlichem Stile gehaltenen Bulletins über seine

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letzten Stunden; Süddtsch. Ztg. 11.6.1952 Ein ärztliches Bulletin wurde noch nicht herausgegeben; ebd. 31. 8. 1955 Adenauers Besuch in Moskau werde die Aufgabe haben, wichtige Vorklärungen herbeizuführen, schreibt das Bulletin der Bundesregierung; Welt 2. 5. 1959 aus einem Bericht des Bulletins des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung über eine Debatte im Bundestag; FAZ 10. 2. 1966 die Lähmung hat sich dem ärztlichen Bulletin zufolge durch den neuen Schlaganfall weiter verschlimmert; ebd. 17. 2. 1966 als Ziel und Zweck der bevorstehenden Afrika-Reise von Bundespräsident Lübke hat das Bulletin der Bundesregierung .. die Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen und den wirtschaftlichen Aufbau Afrikas bezeichnet; N D 24. 5. 1974 die intensive Behandlung entspricht dem sehr ernsten Gesundheitszustand des Präsidenten, heißt es in dem Bulletin; Zeit 1. 2. 1985 über Telephon 120 können die Skifahrer das gültige Lawinenbulletin abhören; ebd. 19. 7. 1985 sie haben mit Sorge auf die ärztlichen Bulletins gewartet; Stern 25. 6. 1987 das Bulletin des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur „Lage des Waldes" klang hoffnungsfroh; MM 12. 7. 1995 Wie einst beim todkranken Leonid Breschnjew Anfang der achtziger Jahre gilt es zwischen den Zeilen der Bulletins zu lesen. OV

Bumerang M. (-s; -s), im späteren 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. boomerang (< austral, wo-murrang 'Wurfbrett'). In der Bed. 'in einem stumpfen Winkel gebogene australische Wurfwaffe mit gleichlangen, sich nach den Enden zu verjüngenden Armen, die zum Werfenden zurückfliegt, wenn sie nicht getroffen hat', zunächst in Berichten mit Bezug auf das Herkunftsland, bald auch allgemeiner; seit früherem 20. Jh. auch übertragen gebraucht im Sinn von 'überraschend und unbeabsichtigt auf jmdn. zurückwirkender, von diesem selbst ausgelöster negativer Effekt' (s. Belege 1929, 1936, 1944, 1950, 1960, 1990), in Wendungen wie etwas erweist sich als Bumerang, kehrt/kommt wie ein Bumerang zurück, vgl. dazu die gleichbed. Zss. Bumerangwirkung und bes. Bumerangeffekt. 1861 Allg. Mil.-Enc. Ill 79 Bumarang, Wurfdolch der Australier; Brehm 1866 Thierleben Hl 41 Der eine oder der andere kommt mit dem Bumerang in Berührung; 1866 Geograph. Jahrb. 481 die zurückkehrende Wurfwaffe . . den Bumerang der Australier; Cams 1871 Abstammung l 159 Der australische Bumerang ist ein gutes Beispiel einer solchen unabhängigen Entdeckung; Rümelin 1884 Reden III 126 selbst jede körperliche Fertigkeit, wenn sie auch nur im Laufen, Klettern . . und Bumerangwerfen besteht, hat . . ein sittliches Moment in sich; Gregorovius 1891 Verwendung histor. Stoffe 11 Wurfkeule — die uns als australischer Boome-

rang, wenn auch nur als Spielzeug bekannt ist; Jähns 1899 Trutzw. 202 Kehrwiederkeule, welche unter dem falschen Namen „Boumerang" allbekannt ist; Cunow 1926 Wirtschaftsgesch. I 33 den gekrümmten Bumerang, die Kehrwiederkeule; Voss. Ztg. 4. 12. 1929 Baldwins Bumerang .. im Unterhaus ein .. für englische Verhältnisse ganz ungewöhnlicher Vorgang; Busse 1934 Leute 253 Aber geworfene Steine haben die Eigenschaft, unvergessen zu bleiben, sie kehren wie unsichtbare Bumerangs wieder zum Schleuderer zurück; Schuster 1936 Nachbar im Westen 204 Boykott gegen Deutschland .. hat sich als Bumerang erwiesen;

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Bungalow

Münch. N. N. 4.4. 1940 die angedrohte Erpressung erweist sich jetzt schon als ein . . Bumerang, der bald schon auf das . . Haupt Chamberlains niedersausen wird; Dtsch. AZ. 22. 6. 1944 bis England zu der Einsicht kommt, daß die von ihm propagierte Luftterror-Kriegführung nur ein Bumerang ist, der Britannien in furchtbarer Weise selbst trifft; 3950 Saeculum 187 Der . . Siegeszug der abendländischen Kultur . . hat sich heute, . . gegen das Abendland wie ein Bumerang zurückgekehrt; NZ. (Basel) 13. 3. 1950 wie die theoretische Wirkung der Waffe durch die praktische massenpsychologische Auswirkung der Tatsache ihrer Existenz bereits einen moralischen Bumerang-Charakter entwickelt; Smith 1951 Ruf (Übers.) 118 Verzweiflung ist ein Bumerang; Süddtsch. Ztg. 26. 9. 1954 Die guten oder bösen Absichten verpuffen im Nichts oder kehren sich gegen sich selbst. Dieser „Bumerangeffekt" ist eine unberechenbare Tücke des Objekts; FAZ 5. 4. 1957 LohnBumerang; Süddtsch. Ztg. 10. 6. I960 Die Autar-

kie könnte sich . . leicht als Bumerang erweisen; Stuttgarter Ztg. 9. 6. 1969 Jetzt sei es . . möglich, daß sich die Lösung „als Bumerang" erweise; ebd. 9. 1. 1969 Alles redet heute noch von diesem Slogan, der auf recht augenfällige Weise die Bumerangwirkung demonstriert, die nun einmal in manchen durchaus erfolgreichen Werbesprüchen steckt; Welt 28. 12. 1974 Früher oder später richtet eine solche unverantwortliche Politik nach dem Gesetz des Bumerangs ihre tödliche Ladung gegen ihre Schöpfer; Schulz 1981 Fliegerin 101 Beschwerden waren nicht verboten beim Kommiß. Aber unüblich. Wegen der Bumerangwirkung; Zeit 21. 3.1986 Meine Erzählung entfernt sich von mir ..., um wie ein Bumerang zurückzukehren und mir vor die Füsse zu fallen; ebd. 30. 5. 1986 Verdrängt wird der Bumerang-Effekt protektionistischer Einigelung, der noch jeden Sünder wider den Geist des freien Handels getroffen hat; Rhein. Merkur 18. 5. 1990 Hier kommen die letzten vierzig Jahre fast wie ein Bumerang auf die Bonner Koalition zurück. HK

Bungalow M., auch N. (-s; -s), im früheren 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. bzw. angloind. bungalow (< hindust. bangla, eigentlich 'bengalisch(es Haus)'. Zunächst in Reisebeschreibungen mit Bezug auf Asien für 'eingeschossiges, leicht gebautes Wohnhaus für Europäer (in Bengalen)' (s. Belege 1831, 1854, 1869, 1881, 1895, 1939), seit früherem 20. Jh. auf engl. und amerikan. Wohnhäuser gleichen Stils bezogen (s. Belege 1930, 1932, 1941); seit den 40er Jahren des 20. Jhs. in der heute vorherrschenden Bed. 'eingeschossiges Wohnhaus mit Flachdach', als Daueroder Ferienwohnsitz, vgl. die Zss. Bungalowdorf, -Siedlung, -stil, Ferienbungalow. Hasper 1831 Tropenkrankheiten 652 Die Häuser in Ostindien, sie mögen für immer bewohnt sein oder in einfachen Bungalows bestehn, schützen gegen die Hitze der Luft besser, als die in Westindien erbauten Häuser; Görtz 1854 Reise III 157 in Allani pawa, einem anderen kleinen Ort mit Bungalow; Brehm 1869 Thierleben V 269 Ein Schlangenbeschwörer erschien im Jahre 1854 in meinem Bungalau [in Indien]; vor 1871 National-Ztg. XXI 441 Das Pungaloo des Gouverneurs, d. h. ein Haus nach indischer Bauart, bloß aus Holz und Rohrgeflecht (SANDERS 1871); Haeckel 1881 Briefw. 146 (Huschke, E. u. A. Haeckel, 1950) Wir denken Deiner stündlich, viel mehr als Du, . . in Deinem zauberhaft schönen Bungalow [in Ceylon]; 1895 ZDÖAlpenver. 274 wobei die Däk Bungalows (Unterkunftshäuser) von Ramgarh [Himalaya] . . bequeme Nachtquartiere abgaben; Hesse 1925 Strassenecken 199 Man findet hier das Tropenhotel besten Stils: Bungalows, d. h. kleine Häuser für l, 2 oder auch 4 Parteien in der Regel; Hauser 1928 Brackwasser 187 Veranda eines Bungalow;

Herzog 1930 Engl. Kulturkunde 36 ein typisches englisches Wochenendheim. Häuser dieses Baustils heißen „Bungalows" nach ihren indischen Vorbildern (Häuser in Bengal); 1932 Berl. Illustr. Nachtausg. Nr. 19 Die Avenue mit den Bungalows war leer und schwach beleuchtet. Irgendwo spielte eine Musikkapelle; 1933 Geopolitik X 257 Es ist eine typische, national farblose Tropenstadt: ein Holzkai, eine Anzahl Schuppen, eine lange Reihe von Bungalows; Münch. N. N. 11. 1. 1939 Er hatte seiner Frau geschrieben, daß er ihr ein luxuriöses Bungalow . . zur Verfügung stellen würde [in Penang]; Clemen 1941 Lob 7 den Typus des idealen Englandhauses und Bungalows; 1944 N. Z. Z. o. 5. Bungalow in Küsnacht; Süddtsch. Ztg. 27. 7. 1957 Ferien einmal anders! Eigene Bungalows; 195S Durch d. schöne Welt Febrh. o. S. Er kann . . am Golf von Korinth im Bungalowdorf Lambiri Sonne und Meer genießen; FAZ 3. 10. 1959 Wochenendhaus-Bungalow; Süddtsch. Ztg. 14.4.1960 Vorbilder der geplanten Bungalowsiedlung sind Waldkolonien; Offenburger

Bunker Tagebl. 28. 4. 1960 Die neue Buchhändlerschule .. soll im Bungalowstil erbaut werden; Stuttgarter Ztg. 27. 5. 1960 Der Siegeszug, den Ferienhäuser, Ferienwohnungen, Kleinappartements und Bungalowsiedlungen . . angetreten hätten; Tagesanz. f. Zürich 23. 7. 1960 Ferien-Bungalow; 1960 Durch d. schöne Welt Math. o. S. Flugreisen mit Aufenthalten in Bungalows und Ferienwohnungen; Quick 25. 8. 1963 Von außen sahen die aus Ziegelsteinen und Faserplatten zusammengebastelten und vom Besitzer stolz „Bungalows" genannten Notwoh-

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nungen ziemlich trostlos aus; Stuttgarter Ztg. 23. 12. 1966 Berichte . ., nach denen Bundeskanzler Kiesinger nicht in den von seinem Vorgänger .. erbauten „Kanzlerbungalow" ziehen wolle; FAZ 7. 12. 1970 im Amtsbungalow des Kanzlerehepaares; Offenburger Tagebl. 29. 10. 1971 keine Wolkenkratzerschluchten, dafür eine unübersehbare Bungalowwüste; MM 28. 3. 1985 andere leben . . als moderne Nomaden, in „Mobile Homes", Bungalows auf Rädern, immer unterwegs; Prankf. Rundsch. 6. 2. 1990 ins Innere des solide gebauten Bungalows. HK

Bunker M. (-s; -), Ende 19. Jh. entlehnt aus engl. bunker 'Holzkiste (als Sitzplatz und Schlafstelle); künstliche Sandgrube, Laderaum für Kohlen auf Dampfschiffen und an Land' (vgl. coal bunker), ungeklärter Herkunft (eventuell zu engl. bunk 'Holzkiste zum darauf Sitzen und Schlafen', verw. mit Bankert). 1 Zunächst in der Schiffahrt in der Bed. 'Kohlenraum auf Dampfschiffen', z. B. Kohlenbunker, dann auch 'großer Behälter für Treibstoff und Ladung', z. B. Öl, Getreide, seit Mitte 20. Jh. dafür —» Tank, z. B. Bunkerkohlen, -öl; gelegentlich allgemeiner für 'Aufbewahrungsort' (s. Beleg 1944); dazu seit Anfang 20. Jh. bunkern V. trans. 'Kohlen, Treibstoff laden', ugs. auch übertragen 'horten, in einem Versteck aufbewahren' (s. Belege 1985, 1995). 2 Seit frühem 20. Jh. zunächst militärisch im 1. Weltkrieg im Sinn von 'Schutzraum für Soldaten gegen Kanonen-, Bombenangriffe, Betonunterstand für Soldaten', seit dem 2. Weltkrieg daneben auch '(unterirdischer) Schutzraum für die Zivilbevölkerung bei Bombenangriffen', z. B. Beton-, Luftschutzbunker, im Sinn von 'Schutzraum der militärischen bzw. politischen Führer', bes. in den Zss. Befehls-, Führerbunker, als Alltagserscheinung des 2. Weltkriegs in Zss. wie Bunkermutter, -suppe; heute auch in der Bed. 'privater oder öffentlicher Schutzraum, bes. bei atomaren Angriffen oder Unfällen', z. B. Atombunker, Bunkermentalität 'Treffen von Schutzmaßnahmen aufgrund eines übertriebenen Sicherheitsbedürfnisses'; auch abwertend für 'großes (als unansehnlich empfundenes) Gebäude' (s. Belege 1974, 1988). Seit Mitte 20. Jh. im Militärjargon für 'Gefängnis' (s. Belege 1945, 1950, 1954, 1969). Bunker 1: 1895 Marine-Rundsch. 363 Kohlengasexplosionen in den Bunkern bezw. Laderäumen der Schiffe; Heims 1897 Wasserkante 10 Endlich werden die Lager für die Maschinen und Kessel hergerichtet, die Kohlenbunker und der Schraubentunnel abgetheilt (KLUGE, Seemannssprache); Dunkelberg 1910 Rhein. Lex. 12 Bunkerkohlen; Goedel 1916 Klar Deck 61 Dann von Kohlen für die Maschine, in welchem Fall solch eine Bank sich in der Form veränderte . ., also zu dem wurde, was man heutzutage Bunker nennt; Brecht 1926 ~ 33 Gedichte (Ges. W. VIII 345) Und der Heizer fing wieder mit Schüren an/ Da sprach eine Stimme zu dem Mann/ Der schweißbedeckt aus dem Bunker kroch; 1933 „Duden"-Sammlung o. S. Bunkerkohle; i937 Volkswirt 839 daß der Raumbedarf für Bunkerzwecke geringer ist; Manch. N. N.

26. 1.1944 Kartoffel- und Gemüsebunker; Dtsch. AZ. 25.10. 1944 durch ein Verbot der Abgabe von Bunkerkohle und Bunkeröl; Welt 21. 12. 1949 der . . Preis . ., der die deutschen Bunkerstationen . . konkurrenzfähiger machen wird; Süddtsch. Ztg. 8. 1. 1951 Dagegen hat die Rheinschiffahrt die Bundesbehörden um beschleunigte Lieferung von Bunkerkohle gebeten; Welt 9.11.1954 Heizen mit Bunker- und Rückstandsölen. bunkern: Hamb. Correspond. 13. 2. 1907 Der . . Schlepper . . legte . . an den hiesigen Pier, um zu bunkern (KLUGE, Seemannssprache); Goedel 1916 Klar Deck 62 bunkern hat sich schon so eingebürgert, daß man in Kiel schon bunkern sagt für „stauen" im Sinne von tüchtig bipacken, essen;

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Bunker

Kisch 1927 D. rasende Reporter 68 schwimmende Elevator-Transporteure bunkern die Steinkohle in die Seeschiffe; Kellermann 1929 D. Weg d. Götter 228 Kein Elefant arbeitet mehr als drei, vier Stunden. Die übrige Zeit braucht er, um sich den ungeheuren Bauch mit Grünfutter anzufüllen. Es ist wie das Bunkern eines Dampfers; Offenburger Tagebl. 9. 2. 1962 Die beiden Schulfregatten, die .. zum Bunkern .. Brest .. anlaufen wollen; Pelewizer 1965 Gletscherland 25 Die . . Behörden . . gaben die Zusicherung, daß unser Schiff dort bei Bedarf Dieselöl bunkern könnte; Loest 1980 Swallow 311 ankert ein deutscher Kreuzer und bunkert Kohle; Zeit 17. 5. 1985 Und es gibt ja Leute, die noch Geld draußen haben, die etwas . . gebunkert haben; Stern 12.11. 1987 Vieles war vorher in Erddepots gebunkert worden; Spiegel 23. 1. 1995 Er übergab ihm die Notizen mit der Bitte, das Original im Tresor seines Parteibüros zu bunkern. Bunker 2: Wallenborn 1929 Westfront 235 Betonbunkern; ebd. 237 Durch die Wucht der Explosionen der Geschosse „tanzte" der Bunker, wie wir das nannten; Beumelburg 1930 Gruppe Bosemüller 13 Sie liegen dort in elenden Bunkern, die in den Hang hineingebaut sind; Cibura 1933 M. G. 81 Unser kleiner Bunker wackelt wie ein StehaufMännchen; Münch. N. N. 29. 10. 1939 ein neues Losungswort: Mein Heim ist mein Bunker! .. bedeutet eine .. Absage an die läppischen Pflichten einer Hausfrau; ebd. 27. 12. 1939 Mit welch . . Ruhe können heute die Besatzungen der Bunker das Weihnachtsfest feiern; Klähn 1940 Nacht ü. Malmaison 18 In einer langen Winternacht/ in Bunkern und in Gräben,/ da haben wir es ausgedacht,/ . ./ Soldatenlied vom Leben; Münch. N. N. 8. 12. 1941 Zufrieden betrachtet die „Bunkergemeinschaft" ihr Werk . . Der Unterstand, den sie hier ihren Bunker nennen, ist endlich fertig geworden; ebd. 22. 5. 1942 Im Befehlsbunker des Führers . . Das Gefühl der Kraft, das von jenem kleinen Bunker des Führerhauptquartiers ausging; ebd. 28. 8. 1942 Bunkergemurmel . . Ein Stockwerk tiefer . . ist . . ein Luftschutzbunker entstanden; Dtsch. AZ. 24. 4. 1944 Beliebt ist auch die „Bunkersuppe", die durch Vermittlung der DAF in Betrieben, deren Gefolgschaft unter besonders schwierigen Bedingungen Aufräumungsarbeiten leisten muß, ausgeteilt wird; Münch. N. N. 21. 4. 1944 In Berlin sind . . besonders ruhige und besonnene Frauen beauftragt, in größeren Bunkern zur Ordnung beizutragen . . Man hat ihnen den Namen „Bunkermütter" gegeben; ebd. 20. 1.1945 Der sicherste Bunker. Deutschlands größte Höhle, die Kluterhöhle bei Milspe in Westfalen, wurde als einer der vollkommensten Luftschutzräume eingerichtet; Dtsch. AZ. 8. 2. 1945 ein tiefgegliedertes

Stellungssystem mit Kampfständen, Wohnbunkern, Schützenständen . . u. a. angelegt worden ist; Münch. N. N. 17. 3. 1945 „Bunkerhotels" .. Um die . . eintreffenden Reisenden vor dem nächtlichen Herumsitzen im Wartesaal zu bewahren . . wurden unterirdische Luftschutzräume zu Behelfsunterkünften eingerichtet; Brecht 1945 Furcht u. Elend (Ges. W. /// 1097) Bis mit Marx- und Kautskybänden/ In den zerschundenen Händen/ Der Nazibunker sie eint; Süddtsch. Ztg. 26. 2. 1946 Es bleibt nur der Bunker. Die Treppe ist feucht und schmutzig, fingerdick sind die Stufen von einem schlammigen Dreck bedeckt; ebd. 18. 2. 1949 Ein unterirdischer Bunker mit 370 Einzelzimmern wurde, . . nach einjähriger Bauzeit.. als Ausweichquartier .. im Falle einer „Aenderung der Verhältnisse" fertiggestellt; ebd. 10. 11. 1950 Burger habe einem zu „Bunker" verurteilten Kameraden heimlich Essen in die Zelle gebracht; ND 19.1. 1954 Da kam ich zweimal in den Bunker, in Einzelhaft also; Brecht 1955 Kriegsfibel (Ges. W. X 1041) Dies Glas ../ ../ Dem deutschen Volk in Waffen und in Bunkern; Offenburger Tagebl. 2.8. 1959 Die Schweden konnten sich nicht vorstellen, daß es .. in Westdeutschland tatsächlich noch „Bunkerkinder" gibt; Stuttgarter Ztg. 17. 2. I960 Als Bunkerbewohner werde ich im Betrieb und anderswo auf eine anstößige Art angesprochen; Johnson 1961 Buch 138 In der Ferne . . bohrten fünf Männer mit Preßluftmaschinen das zweite Stockwerk des verschütteten Luftschutzbunkers an; Grass 1962 Blechtrommel 278 Und einmal ist hier ja Schluß, so oder so — dann bleiben die Bunker stehen, weil Bunker immer stehen bleiben, auch wenn alles andere kaputtgeht; Partner 1964 Erben 80 Während der Frankenstürme wurde der Schatzbunker verständlicherweise zerstört; Offenburger Tagebl. 12. 9. 1964 Hochhaus für „Bunkermänner" . . Die Evangelische Gesellschaft hofft, mit diesem Bau einen entscheidenden Beitrag zur Beseitigung des Bunkerelends . . leisten zu können; Welt 28. 8. 1969 drei Wochen Bunker; FAZ 29.11. 1971 In friedlicher Auktion hat die französische Arsenal-Verwaltung die ersten Bunker der Maginot-Linie an private Käufer versteigern lassen; N. Z. Z. 3.1. 1972 Es handelt sich um die Liegenschaft, in dem das städtische Sozialamt nach der Schließung des Lindenhofbunkers . . eine Notschlafstelle für Jugendliche eingerichtet hatte; Welt 20.4. 1974 anstatt Beherbergungsbunker niedrige Appartementshäuser; Zeit 22. 2. 1985 Adolf Hitlers Selbstmord . . im Führerbunker bedeutete mehr als das Ende des Krieges; MM 22. 5. 1985 erinnert heute nur noch ein verfallener . . Betonbunker daran, daß hier amerikanische Raumfahrt-Geschichte geschrieben wurde; Zeit 13. 12. 1985 Bevor Kunze mit Hinze

Burleske in seinem privaten Atombunker verschwindet, um den Katastrophenfall zu üben; MM 22. 12. 1986 Erste Anlaufstation für die Überbleibsel der Wohlstandsgesellschaft ist der Müllbunker; Zeit 17. 4. 1987 daß Bunkermentalität. . grassiert, . . über der inneren Sicherheit die allgemeine Freiheit gering einzuschätzen; MM 27. 1. 1988 die fast leere schwarze Bühne, die einem Bunker gleicht; ebd.

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19. 2.1988 jetzt macht sich zwischen Zeug- und Rathaus auch noch so ein „komischer Bunker" breit (. . Anmerkung der Straßenbahn-Fahrgäste ..); TAZ 7.2.1990 Außerhalb Berlins entdeckte die Arbeitsgruppe Informatik .. einen zwei Meter tiefen Bunker mit elektronischen Anlagen; MM 28. 2. 1990 zwei kleine Munitionsbunker und ein Schießstand. HK

Burleske F. (-; -n), im späten 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. burlesque (< gleichbed. ital. burlesco, zu burla 'Posse, Spaß, Spott', wohl zu *bur(r)ula, Diminutivum zu spätlat. burra 'zottiges Gewand, Wolle', burrae PL 'Possen'; —> Büro, —» Arabeske), bis Mitte 18. Jh. in frz. Schreibweise. Zunächst in der Bed. 'Spaß, Posse', dann bes. auf das komische Theater bezogen in der seit Mitte 18. Jh. dominierenden Bed. 'komisches Bühnenstück, Schwank' (s. Belege 1741, 1768, 1803, 1932, 1949, 1994); daneben im 18. Jh. selten für 'Knittelvers' (s. Belege 1716, 1745, 1746); heute auch für ein heiteres Musikstück (—» Arabeske c; s. Beleg 1987). Dazu gleichzeitig die aus gleichbed. frz. burlesque übernommene adj. Ableitung burlesk (ohne Steigerung), in der Bed. 'spaßig, komisch, possenhaft', bes. bezogen auf Gedichte (s. Belege 1688, 1704, 1772) und vor allem auf Bühnenstücke (s. Belege 1724, 1767, 1812, 1836, 1964, 1988). Burleske: Morhofl682 Unterricht 229 Die Italiänische [Sprache] ist ihm nur bequem zu Burlesque und lächerliche Dinge; ebd. 673 Man hat gar eine Schreibart erdacht, die man Burlesque nennet; Mencke 1716 Charlatanerie 9 Anm. Burlesque . . in leichtfertigen französischen Knittelversen; Gottsched 1730 Dichtkunst 42 So lange man lauter italienische Burlesquen aufführen wird; Lindenborn 1741 Diogenes II619 das Trauer-Spiel des unglückseeligen Priamus mit der Burlesca einer BaurenHochzeit zu vermischen; Gottsched 1742 Versuch 735 Man ist auch dieser italienischen Art schon so gewohnt, daß man von dergleichen Burlesken nichts kluges mehr vermutet: und wenn man in dergleichen Comödien lachet; so geschieht es nicht sowohl über die Thorheiten der darinn aufgeführten Personen, als über die närrischen Einfalle des Verfassers solcher Spiele; Philippi 1743 Keimschmiedekunst 155 Zur natürlichen Poesie aber gehört die Burlesque auch nicht; Drollinger 1745 Gedichte 133 Anm. in sogen. Burlesques oder Knittelreimen; 1746 Briefw. Gleim-Uz 100 ich habe mich beflißen jede Strophe mit einer burlesque zu beschliessen; Gottsched 1751 Dichtkunst o. S. italienische Burlesken, oder deutsche Possenspiele (PAUL); Sonnenfels 1768 Er. 71 Satt von Possen und plattem Witze ist dem Haufen, selbst der Namen, dieser sonst ohne Aufhören beklatschte Namen Burleske, ein Abscheu; Schmid 1775 Chronologie d. Dtsch. Theaters 34 Veitheim führte ferner Burlesken auf, die er . . den Italienern abborgte;

Wolf 1793 Dulder l 179 Burleske; Christ um 1800 Schauspielerleben 248 vom alten Wiener Burleskentheater; Seume 1803 Spaziergang (W. l 263) Im Theater gab man die alte Posse, der lustige Schuster . .; und das italiänische Talent zur Burleske mit dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich hier sehr vorteilhaft; Brandes 1807 Lebensgesch. 29 auch wurde, weil man hier, bei Vorstellung der Burlesken, an einem Narren nicht genug hat, noch ein Hanswurst angenommen; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti III 210 Aber nicht für Alle ist Klein-Schilda . . nur eine Burleske geblieben; Gebauer 1932 Kulturgesch. 251 Seitdem blieb der Hanswurst und die Burleske überhaupt auf die niedere Bühne beschränkt; Welt 2. 6. 1949 diese janusköpfige Opernburleske; ebd. 17.5. 1954 manche merkwürdigen Figuren — Burlesken, Groteskes, Tragisches; Stuttgarter Ztg. 30.4. 1969 „Burlesken" inszeniert Thomas Land zur Zeit in den Hamburger Ateliers; Zeit 4. W. 1985 Angeführt wird die Story von einem schrillen Hampelmann, der allemal für eine Burleske, doch nimmermehr für ein Neun-Stunden-Trauerspiel taugt; MM 1. 12. 1987 dem brillanten Pianisten der Burlesken Opus 30; ebd. 6. 5. 1988 verpackt in eine antikisierende Burleske, für die sowohl Platons GastmahlDialoge als auch die Geschichte von Dikaios das Gerüst bildet; ebd. 3. 6. 1988 verspielte Burlesken für Tapeten-Fabrikanten; Spiegel 3. 10. 1994 Als erotische Vagabundin wirbelte sie durch Katja von Garniers Debüt-Burleske „Abgeschminkt".

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burlesk: Thotnasius 1688 Monats-Gespräche 458 Diese Erfindung .. würde keine Roman, sondern ein recht oevre Bvrlesqve werden; Wernicke 1704 Epigramme 231 Ich wüste nicht, wie man das, was die Frantzosen Poeme Burlesque nennen, durch ein besseres Wort hätte ausdrücken .. können; 1721-22 Chronik d. Ges. d. Makler 18 daß wir die burlesque Schreibart für kindisch und unvernünftig erklähren; Fabricius 1724 Philos. Oratorie 344 da der Orätorius niemahls das burlesque leidet, so kan man hier .. zum Schauspielen .. in gewissen Fällen, solches sehr wohl gebrauchen; Philippi 1743 Reimschmiedekunst 130 Man muß endlich bey den Reimen und Einfallen einen Unterschied unter der ernsthaften und scherzhaften oder burlesquen Poesie machen; Ramler 1754 an Gleim (U 156) In dieser burlesquen kleinen Fabel, die auch eine burlesque Melodie hat; l765 Allg. dtsch. Bibl. I 2,216 Ich weiß wohl, daß comische Erzählungen sich viele Ausdrücke erlauben, die in jedem ändern Vortrage verboten sind; aber doch wohl verstanden, nur in denen Stellen, wo das Burleske herrschend ist; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 213) Nach dem Lustspiele könnte er immer so burlesk seyn, als er wollte; Sulzer 1771 Theorie l Vorr. XI Burleske. Possirlich; 1772 Frankf. gel. Anz. 7 burlesker Verse; Schubart 1781 Lehrb. d. schönen Wiss. 13 das Burlesk und Groteskkomische richtet sich hauptsächlich nach dem Grad der Kultur der Nation; Lichtenberg 1789-93 Sudelbücher 355 Wer etwas Burleskes recht ausrichtet zur Satisfaktion der größten Kenner, der würde auch etwas Besseres recht machen können; Bahrdt 1790 Lebensbeschr. II 7 mit burlesken Verbeugungen; Wolf 1793 Dulder l 179 die gnädige Frau war einmal für das Burleske und Bunte; F. Schlegel 1801-02 Vorlesungen I 306 Ableitungssylben, theils burlesk und von komischer Energie; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA I 27, 114) Die Mitschuldigen sind das einzige fertig gewordene [Schauspiel], dessen heiteres und burleskes Wesen

auf dem düsteren Familiengrunde als von etwas Bänglichem begleitet erscheint; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti V 32 Ich fragte: ob eine Rudolstädtische oder Hechingische, Reußische oder Lippesche u.s.w. Constitution nicht an das Burleske streifen würde!; Bechstein 1836 Reisetage 164 Komische und bourleske Scenen und Tableaux aus dem Volksleben, mit Liedern verwebt; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 273) Er erzählte .. burlesk und harmlos wie ein englischer Humorist; Werfet 1924 Verdi 221 Ricordi hatte, ohne ihn mit dieser burlesken Lappalie zu behelligen, auf eigene Faust gehandelt; Th.Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. X 742) betäubt vom Drunter und Drüber leidenschaftlich-burlesker Abenteuer und krasser Travestien, erschöpft vor Lachen über ihre vornehme Unwahrscheinlichkeit und zu Tränen ergriffen von Geistesgüte; ders. 1936 Reden u. Aufs. (W. XI 457) Ihre Spannweite reicht vom LyrischLieblichen bis zum Burlesken und Wuchtig-Grotesken; ders. 1954 Krull (W. VII 623) ein Spaßvogel warst Du immer, aber solche parodistischen Talente und Gaben burlesker Travestie, daß Du eine ganze Gesellschaft in Lachen auflösen . . konntest, hätten wir Dir doch nicht zugetraut; Welt 14.10.1964 Glücklicherweise mangelt es dem Stück nicht an komischen und burlesken Zügen; MM 28. 8. 1986 Seit die bewegten Bilder reden lernten, ist ihnen eine bestimmte Dimension für sich selbst sprechender grotesk-burlesker Optik abhanden gekommen; Zeit 8. 5. 1987 Er wird auf eine . . Koranschule geschickt, die der Junge jedoch als bizarr und grotesk erlebt, hauptsächlich wegen der burlesken Streiche des Lehrers, . ., mehr Schelm als Gottesmann; MM 9. 21. 2987 jene Art der Komik .., bei der selbst Burleskes noch wirklich und möglich sein könnte; ebd. 19. 3. 1988 In seiner unnachahmlichen Manier arbeitete der Sprachvirtuose Jens die tragischen, komischen und burlesken Dimensionen seiner „Friedensfrau" heraus. HK

Büro N. (-s; -s), Ende 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. bureau (< mittelfrz. bure 'Decke; mit grobem Wollstoff bezogener Schreibtisch; Schreibstube' < altfrz. burel 'Decke' < vulgärlat. *bura 'grober Wollstoff < lat. burra 'zottiges Gewand; Wolle'), bis ins spätere 19. Jh. auch in der Schreibvariante Bureau, bis ins frühere 20. Jh. in der frz. Form Bureau, Pi. Bureaux. Zunächst bis ins frühere 20. Jh. gelegentlich in der Bed. '(mit grobem Wollstoff bezogener) Schreibtisch' (s. Belege 1695, 1778, 1815, 1898, 1924). Seit späterem 18. Jh. in der Bed. 'Arbeitsraum, -zimmer, Schreibzimmer (einer Verwaltung, Behörde, Firma)', in Syntagmen wie ins, aufs Büro gehen, im Büro arbeiten, ein eigenes Büro haben, jmdn. in seinem Büro sprechen und als Bestimmungswort in zahlreichen Zss., zur Bestimmung von Berufen (zum Teil veraltend), in

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Bezug auf räumliche/örtliche Gegebenheiten, Ausstattung u. ä., vgl. Bürovorsteher, -chef, -diener, -personal, -menschen, -gehilfe/-gehilfin, -angestellte(r), -mädel, -dame, -kraft, -kauffrau/-mann, -beruf; Bürogebäude, -zimmer, -haus, -räume, -etage; Büromaschinen, -Schreibtisch, -stuhl, -möbel, -bedarf(sartikel), -material, -klammer, vgl. außerdem Bürozeit, -stunde, -arbeit, -schluß, -betrieb, -dienst, -arbeit(en), -tätigkeit, -rationalisierung und neuere Zss. wie Bürotechnik, -Systeme, -kommunikation; gelegentlich als Personenkollektiv gebraucht in Wendungen wie das Büro machte einen Ausflug, teilte mit, fragte an (s. Belege 1933, 1959). Je nach Zweck mit speziellen Ausdeutungen, im Sinn von 'Sekretariat einer Behörde, eines Amtes oder eines Funktionsträgers, Verwaltungsstelle einer Behörde, Amtsstube' (-* Bürokratie; s. Belege 1789, 1832, 1837, 1843, 1845, 1863, 1949), in Wendungen mit Personennamen wie Büro Dr. Schumacher 'Zentralstelle der noch nicht zugelassenen SPD 1945', Büro Brandt und in Zss. wie Rathaus-, Ministerbüro, Bürobeamter, in den veralteten staatstheoretischen Termini Büroverfassung, -system 'Verwaltungsorganisation, bei der ein einzelner Bürovorsteher eigenverantwortliche Entscheidungen fällt' (Ggs. Kollegialsystem, —»· kollegial); daneben auch 'Arbeitsstelle für Schreibarbeiten, Schreibstelle z. B. eines Rechtsanwalts, eines Unternehmens, Geschäftes u. ä., Sekretariat eines Unternehmers, Geschäftsmannes' (s. Belege vor 1805, 1860, um 1875, 1881, 1885, um 1887, 1898, 1929, 1933, 1970, 1985), zur Kennzeichnung der Art der Tätigkeit gelegentlich in Gegenüberstellungen wie in Fabrik und Büro, verdeutlichend in Zss. wie Geschäfts-, Schreibbüro bzw. spezifizierend je nach Funktion in Zss. wie Gehalts-, Lohn-, Personalbüro; auch verallgemeinernd für 'Wirtschafts-, Geschäfts-, Berufswelt' (—» Business), in Wendungen wie die Welt der Büros; daneben auch 'Niederlassung, Zweigstelle eines Unternehmens, Betriebes' bzw. 'Laden, Verkaufsstelle', vgl. die Zs. Verkaufsbüro; dann auch '(vorübergehende) Einrichtung zur Organisation bestimmter Vorgänge, Verwaltungs-, Geschäftsstelle einer Institution, eines Verbandes o. ä.' (s. Belege 1788, 1852, 1855, 1947, 1985), vgl. Zss. wie Wahl(kampf)-, Werbe-, Presse-, Streik-, Bürgerbüro; seit späterem 19. Jh. im Sinn von 'für die Öffentlichkeit vorgesehene (behördliche oder kommerzielle) Dienstleistungseinrichtung, Annahmestelle, Agentur', in Zss. wie Reise-, Wett-, Post-, Telegrafen-, Heirats(vermittlungs)-, Nachrichten-, Informations-, Stellenvermittlungs-, Annoncen-, Auskunfts-, Übersetzungs-, Konstruktions-, Zeichen-, Architektur-, Fundbüro (s. Belege vor 1871, 1876, 1881, 1889, 1895, 1914, 1929, 1931, 1932, 1934). Im 19. und frühen 20. Jh. in dem frz. Syntagma bureau d'esprit 'Salon einer Gesellschaft, die sich mit literarischen Themen beschäftigt' (—» ästhetisch, -—>· Tee Ic, —* Salon Ib; s. Belege 1810, 1913, 1932). Vgl. daneben die aus gleichbed. russ. politbjuro übernommene Zs. Politbüro speziell im Sinn von Oberste Führungsinstitution einer kommunistischen Partei' (s. Belege 1949, 1985; —» Polit-), in Wendungen wie das Politbüro des Zentralkomitees der SED und in der mehrgliedrigen Zs. Politbüromitglied. 1695 Schetbner o. S. Bureau (KLUGE 1975); Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) l 401 Des vielen Silberzeuges, der kostbaren Uhren, Bureaux, Gemälde, Statuen, und dergleichen Dinge zu geschweigen; Schlözer 1778 Briefw. histor. Inh. I 63 Bureaus, standfest gearbeitete Tische von gutem

Holze; 1787 Journal d. Moden 11 20 innerhalb der Stadt . . alle kleine Lasten von einem Hause zum ändern, gegen eine gewisse Taxe zu transportiren, und hält dazu verschiedene Bureaux mit Officianten; ebd. II 252 Eins der bequemsten Stücke vom bürgerlichen Ameublement ist ohnstreitig das Bu-

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Büro

reau-Bett; Bretzner 1787 Leben l 212 ein Bureau mit herumgeworfenen Skripturen, häufig zerstreut herumliegende Journale; Garve 1788 Br. an Weiße (U 333) Weil ich . . weiß, daß ein Bureau der ökonomischen Gesellschaft in Leipzig ist; Zimmermann 1788 Fr. d. Große 178 zum Beweise daß alle Briefe . . noch vorhanden sind, machte Lucchesini seinen Bureau auf; 1789 (D. Neueste v. gestern IV 79) Man weiß, daß die Minister ehedem die Wohnungen der Gelehrten öfters visitiren, ihnen ihre Manuskripte und andere Papiere wegnehmen und solche in den Bureaux der Polizei aufbewahren ließen; Pauline zur Lippe 1795 Br. 220 so wäre dieser Brief noch in meinem bureau, hätte ich nicht . . Beweise Ihrer .. Freundschaft erhalten; 1799 (D. Neueste v. gestern V 416) Die Deputirten verließen die Bänke und ströhmten zum Bureau, redeten unter einander; Heinzmann 1800 Frühst. 15 Büreaux-Vorsteher; ebd. (Beil.) 114 Kriegs-Büreau; Schiller vor 1805 S. W. X 55 Er will mich bei dem Bureau anstellen . . Daß ich zu Ihnen aufs Bureau komme (KEHREIN); Matthisson 1808 Wallfahrt (VI 299) Der Schreibtisch ist so vollständig ausgestattet, wie das Bureau einer Staatsklanzley; Schaller 1808 Stuziade 111 211 Büreauchef; Mayr 1809 Gen.-Index Baiern 650 Staatistisch [!] topographisches Bureau; Jean Paul 1810 Grotesken u. Satiren 21 bureaux d'esprit in Paris; Blücher 1815 Br. 268 Bureau; Buchholz 1821 Taschenb. 287 Gleich nach der Eröffnung des Parliaments hatte das Ministerium eine große Sammlung von Actenstücken auf das Bureau legen lassen; Picard 1826 Minard II 8 Büreaudiener; Wit v. Dörring 1827 Lucubrationen 22 Bureau-Menschen; Thiersch 1830 Pädagog. Systeme 317 die Schreibstube (das Bureau); Marianus 1832 Köm. Scenen 160 Rathaus-Bureau; Glassbrenner 1836 Bilder I 211 in seinem kleinen Bureau; Kurtz 1837 Gentzianen 3 hatte einen kleinen Posten auf einem der vielen Bureaus der Residenz; 1843 Conversationslex. Ill 38 Im Bureau haben die Angestellten (vortragende Räthe, Assessoren u.s.w.) nur eine berathende Stimme, . ., die Entscheidung aber hängt von dem . . Bureauchef ab . . Das Bureausystem . . gestattet . . ein schnelleres, kräftigeres und . . consequenteres Handeln; Kohl 1845 Paris 56 Postbureaux; Baltisch 1846 Eigenthum 171 Zunächst wäre zu wünschen, daß man Tabellen erhielte, welche das durchschnittliche Lebensalter zeigten .. Dieses Moment dürfte allen statistischen Bureaux . . zu empfehlen sein; Riehl 1848 Eisele u. Bö 227 Ich hatte die Seele voll großer Pläne, als ich die Universität verließ, sie sind im Büreaustaub untergegangen; Schopenhauer 1851 Parerga (S. W. V 576) Kaufleute ihr Comptoir Bureau titulieren; Görtz 1852 Reise I 231 Wahlbureaux; 1854 Prutz' Museum l 57 Bureauzeit; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVI 99 f.) Ich bekam . .

den bösen Schulmann nicht zu Gesicht; er hielt sich in einem Verschlage auf, welcher eine Art Bureau vorstellte und ihm zur Einnahme kleiner Kollationen diente; Barnum 1855 Leben 207 Zeitungsbureaux; 1855 Prutz' Museum l 80 wo sich schon Freiwillige zu allen Werbebureaux drängten; 1859 Unteroffiziere in d. Preuss. Armee 40 Büreaudienst; Landsteiner 1860 Leben 163 Ich muß sitzen den ganzen langen Tag im Bureau und arbeiten, daß mir der Schweiß von der Stirne läuft; 1863 Konversationslex. IV 194 Bureaukratie .. die Einrichtung im Staatsverwaltungssystem, nach welcher . . Zweige der Administration von einem einzigen Staatsbeamten .. in seinem Bureau geleitet werden. Der Bureauchef wählt, besoldet und entläßt nach seiner Ueberzeugung das .. Dienstpersonal; ebd. Die Ministenalbureaux zerfallen in so viele Haupttheile (Divisionen) als die Ministerialgeschäfte, und die Division wieder in Unterabtheilungen, Bureaux im engeren Sinne; Hohenlohe-lngelfingen 1864-70 Leben III 87 Bureaustunde; Springer 1870 Berl. Prospecte 80 Büreaugebäude; Zoller vor 1871 Renn. 73 Diese Wett-Bureaux (SANDERS 1871); Fontäne 1871 Kriegsgef. 41 Büreauzimmer; Rosenkranz 1873 M.-K. 447 Das Stange'sehe Reisebüreau; König um 1875 Hum. II 37 Ohne Furcht und Zagen verfügte er sich in das Bureau der Commandantur, in welchem er bereits erwartet wurde; 1876 Br. v. u. an Lobeck u. Lehrs 983 ein wahres Heirathsbureau; Poschinger 1878 Bankwesen l 358 Die Bestellung des .. Bureau-Personals; Nordau 1881 Paris I 148 Geschäftsbüreau; ders. 1881 Paris 221 Auskunftsbureaux; Gottschall 1885 Totenkl. 270 Auch die Verwaltung hat gewiß eine sonderbare Erinnerung bewahrt an jenen phantastischen Beamten mit merovingischer Haarmähne, der immer zuletzt auf das Bureau kam, zuerst wieder fortging und niemals zum Herzog emporstieg, als wenn er ihn um Urlaub bitten wollte; Freyer um 1887 Reichstag 99 Bureau des Reichstags; Winter 1888 Unbeflügelte Worte 26 Bureaubeamten; Kaufmann 1888 Gesch. d. dtsch. Universitäten I 71 Bureaugehilfen; Burckhardt 1889 Br. an Alioth 271 Bureauarbeit; Eckstein 1889 Camilla 210 Heiratsvermittlungsbureau; Kacziany 1891 Monture (Übers.) 108 Bureauarbeiten; Baumbach 1895 Jugendzeit 388 Telegraphenbureau; Henneam Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 180 Tätigkeit der weiblichen Bureau-Angestellten; Fontäne 1898 Zwanzig 514 Chef der ministeriellen Pressabteilung, des sogenannten „litterarischen Bureaus"; Nürnberger 1898 Eis 52 Sie schließt ein Schubfach ihres Bureaus auf und läßt eine Menge zierlich gesiegelter Billette durch ihre Hand laufen; Woldeck um 1900 Selb. 7 Er war Feldwebel, dann BureauAssistent beim Gericht gewesen; Zobeltitz 1902 Papierene Macht I 141 Hans hörte lieber, sie

Büro sprach von seinem „Bureau", als von seinem „Geschäft"; Rilke 1910 Brigge (W. VI 866) Er stand früher auf, er wusch sich weniger ausführlich, er trank stehend seinen Tee, er lief ins Bureau und kam viel zu früh; Hauptmann 1911 Ratten (Ausgetv. W. V 439) dass der Raum zu Bürozwecken dienen muss; Poppenberg 1913 Rokoko 57 Sanssouci . ., dem deutschen Bureau d'esprit; Schmilz 1914 Land 199 Nachrichtenbureaus; Muthesius 1915 Zukunft 19 Bureauhaus; Benn 1916 Ges. W. /// 41 ein Büro, ein junger Registrator/ mit Ärmelschutz, mit Frühstücksbrötchen/ den Brief der Patentante lesend; Flake 1917 Horns Ring 170 Büromöbel; Böhn 1919 Rokoko 473 Rollbureau; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 185) ein Herr von dem höheren Ansehen eines Chefs oder Direktors [arbeitete] an einem frei stehenden Zylinderbureau; Klein 1925 Generaldirektor o. S. In dem kleinen Büromädel war auf einmal das Weib aufgesprungen; Lettenbaur 1927 Morgen 23 Bureaudeutsch; Heyck 1928 Aussenseiter 146 Übrigens raucht jedermann im Büro; der ganze Verschlag ist blau bis an die niedrige Decke; ebd. 293 Bürodamen; Kesser 1928 Musik 102 Bureaufräulein; Reibnitz 1928 Gestalten 104 „Reichsbürovorsteher"; Döblin 1929 Alexanderplatz 44 Man steht im Büro rum und fragt und fragt: Sind nun endlich die Offerten rausgegangen?; Kronberg 1929 Jugend 156 Büroschluss; 1929 Handwb. Staatswiss. Ergbd. 796 Bureaurationalisierung; ebd. 803 Bureaumaschinen; Baum 1929 Menschen 195 Gehaltsbüro; Colerus 1929 Kaufherr 160 Verkaufsbüro; Rundt 1929 Revue-Girl 10 Stellenvermittlungsbüros; Werfel 1931 Geschwister 320 ein Reisebüro zu gründen . . es [gab] damals auf der ganzen Piazza del Municipio . . kein Unternehmen . ., das dem Fremdendienst gewidmet war; Petersen 1932 Goethezeit 225 das bureau d'esprit, wie es Clemens , . geschildert hatte; Berl. Illustr. Nachtausg. 15. 1. 1932 Ethik ist sehr empfehlenswert, wenn man an einem Büroschreibtisch sitzt; Gebauer 1932 Kulturgesch. 428 Annoncenbureau; Lokal-Anz. 4. 1. 1933 mehr . . Büroklatsch . . als . . eine ernst gemeinte Drohung; ebd. 27. 3. 1933 Verkehrsbüro; Berl. Illustr. Nachtausg. 13. 6. 1933 Dienstwohnung . . zu Bürozwecken vermietet; Berl. Tagebl. 7. 7. 1933 Das Büro wird Montag zusammentreten, um die von den Unterkommissionen eingeforderten Berichte in Empfang zu nehmen; Lokal-Anz. 9. 7. 1933 Bürokraft mit 1200 findet sofort Stellung (Anzeige); Berl. Illustr. Nachtausg. 27. 7. 1933 Leistung des Schreibbüros; Lokal-Anz. 8. 8. 1933 kam man drei Geheimbüros auf die Spur; ebd. 23. 8. 1933 Bis zum Eintreffen des neuen Gesandten werden nur die Büroräume im ersten Stock benutzt werden; ebd. 28. 8. 1934 Wettbüros; 1934 „Duden"-Sammlung o. S. Verein-

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fachung des Bürobetriebs; Dtsch. AZ. 12. 1. 1935 Bürobedarfsartikel; ebd. 15.1.1935 Das Abstimmungsbüro tritt zusammen; ebd. 8.8.1935 des Präsidiums der Abrüstungskonferenz, des sogenannten Büros; Volksgemeinschaft 1.8. 1936 Bürotätigkeit; Münch. N. N. 10./11. 6. 1944 Um eine richtige Beziehung zu den Rationalisierungsmöglichkeiten herzustellen, darf nicht übersehen werden, daß der „Begriff Büro" an sich unbestimmt ist und erst der besondere Zweck des Büros ihm Form und Inhalt verleiht; ebd. 26.727. 9. 1942 Der Anlernberuf „Bürogehilfin"; ebd. 23. 3. 1945 Bürogemeinschaft; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 532) als ich dann mein Büro zur Organisation von Aufführungen zeitgenössischer Musik eröffnete; ND 3. 12. 1949 In das Ehrenpräsidium wurden weiter die Genossen Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, das Politbüro und Max Reimann gewählt; Welt 21. 12. 1949 Die Beitragsstaaten verpflichten sich, von jedem Zolltarif und Zollabkommen zwei Exemplare an das Brüsseler Büro zu senden; Süddtsch. Ztg. 4. 4. 1951 wandelt sich . . der Lebenskern der Städte zum Bürozentrum; Münch. Stadtanz. 30. 1. 1959 Verbesserungen durch die Bürotechnik; Welt 5. 2. 1959 eine Sitzung der Büros der sozialistischen Internationale; ebd. 11. 3. 1959 Dieses Büro bemüht sich seit langem um Nachrichten aus der Zone, prüft sie, wertet sie aus und stellt sie westlichen Zeitungen zur Verfügung; ebd. 22. 7. 1964 Um diesem Interesse entgegenzukommen, richtete die Reederei nun neben ihrem Büro in Frankfurt/Main eine zweite Niederlassung in Berlin ein; Offenburger Tagebl. 31. 7. 1964 Der See als „Fundbüro"; Stuttgarter Ztg. 9. 10. 1965 Mißbrauchte Büroklammern; Welt 12.11.1969 Dann spricht man vom Frühjahrsschlaf, vom Büroschlaf und nun sogar vom Schulschlaf; FAZ 13. 6. 1970 Unter dem Leitsatz „Oh, du liebes Büro, wie habe ich dich so gerne", wird auf einem farbenfrohen Prospekt dargestellt, daß sich das Leben nur hinter der Schreibmaschine so richtig lohnt; Welt 19. 6. 1974 umfassendes Angebot für Bürosysteme und Informationstechnik; MM 5. 1. 1985 Geschäftsstelle des Gemeinderats und Bürgerbüro; ebd. 9. 1.1985 Nach der Sitzung des Politbüros werden auch Äußerungen aus Moskau erwartet; Zeit 25. 1. 19#5 Wie entspannt er sein kann, hat Ronald Reagan oft genug bewiesen . . mit karg bemessenen und strikt eingehaltenen Bürozeiten; ebd. 2. 4. 1985 Techniker entwarfen gemeinsam mit Orthopäden Bürostühle; ebd. 3. 5. 1985 Vor elf Jahren hat Weyrich sein Büro, das „Committee for the Survival of a Free Congress" eröffnet; MM 3. 5. 1985 Nach wie vor auf Wachstumskurs befinde sich die Branche Büromaschinen und Datentechnik; Zeit 10. 5. 1985 Erkenntnisse aus Wahlkampfbüros und Werbeagenturen; ebd. 24. 5. 1985

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Die Abgeordenten verkriechen sich in ihren Büros; MM 2. 8. 1985 Sie zeigt die künftigen Möglichkeiten sprachgesteuerter Bürokommunikation am Beispiel eines Reisebüros; ebd. 20. 8. 1985 eine Ausbildung .. als Bürokauffrau, -mann, Elektroinstallateur oder Koch; Zeit 6. 9.1985 Sie betreibt ein Ingenieurs- und Planungsbüro für umweltfreundliche Transportsysteme; ebd. 18. 10. 1985 Mit dem Glauben an die motivierende Kraft der Großraumbüros schwindet auch die Notwendigkeit der Büroklimatisierung; MM 7. 7. 1986 egal, ob er nun in der Fabrik oder in einem Büro

arbeitet; Zeit 24. 10. 1986 ein Firmenchef . ., ein dünner, schlaksiger, als forscher Bürohengst karikierter Kerl; ebd. 31. 10. 1986 Symptome, die kommen und gehen mit dem Tief auf der Wetterkarte oder dem Ärger im Büro; MM 6. 1. 1990 Gegen das frühere SED-Politbüromitglied Hans Joachim Böhme ist gestern Haftbefehl erlassen worden; TAZ 29. 1. 1990 Junge Frauenzimmer ohne Erziehungspflichten könnten als Pflicht jahrmädchen ausgeborgt werden, um in den Büros Kaffee zu kochen und Blumen zu gießen. HK

Bürokratie F. (-; -n), Ende 18. Jh. entlehnt aus gleichbed., in Analogie zu aristocratic, democratic gebildetem frz. bureaucratic (aus bureau, —» Büro, und griech. 'herrschen'), bis ins frühere 20. Jh. in frz. Schreibweise Bureaucratie bzw. in der eindeutschenden Form Büreaukratie. In der Bed. 'staatliche Verwaltung, Gesamtheit der staatlichen Behörden und Ämter' (s. Belege 1850, 1863, 1962), staatstheoretisch gedeutet als Form von —»· Aristokratie bzw. —» Oligarchie (s. Belege 1834, 1860), in Wendungen wie Bürokratie und Verwaltung, eine leistungsfähige, straff organisierte Bürokratie; seit früherem 19. Jh. im Zuge einer umfassenden politisch-parteilichen Bürokratiekritik, die sich gegen die Beherrschung des öffentlichen und privaten Lebens durch den Staat und gegen die Beherrschung der Regierung durch die Verwaltung wendet, zumeist abwertend verwendet im Sinn von 'Willkürherrschaft der Beamten, Minister, Staatsdiener, eigenmächtige staatliche bzw. behördliche Verwaltung' (—»· Administration), häufig assoziiert mit den Merkmalen „Neuerungsfeindlichkeit, Schwerfälligkeit, Anmaßung, Engstirnigkeit" (s. Belege 1821, 1843, 1847, 1949, 1974, 1985, 1994), in Wendungen wie wuchernde, träge, unflexible, zähe Bürokratie; daneben auch selten positiv gedeutet (s. Belege 1872, 1915, 1963), daran anschließend seit früherem 20. Jh. erneute wissenschaftliche Versachlichung des Begriffs durch Max Weber mit der Bed. 'effektive, zur Aufrechterhaltung eines funktionierenden Staatswesens erforderliche Verwaltung' (s. Beleg 1911 — 12); gelegentlich auch als Personalkollektiv 'die im Verwaltungsapparat Beschäftigten', in Wendungen wie sich mit der Bürokratie anlegen, die Bürokratie entscheidet. Als Grundwort in verdeutlichenden bzw. spezifizierenden Zss. wie Beamten-, Staats-, Reichs-, Verwaltungs-, Ministerial-, Regierungs-, Kultus-/Kultur-, Landes-, Schul-, Sozial-, Zollbürokratie; auf nichtstaatliche Bereiche bezogen in der Bed. '(schwerfällige) übermäßig große Verwaltung', in Zss. wie Wirtschafts-, Gewerkschafts-, Partei-, Verbandsbürokratie. Dazu seit frühem 19. Jh. die aus gleichbed. frz. bureaucratique übernommene adj. Ableitung bürokratisch 'die Bürokratie betreffend, auf die (staatliche, behördliche) Verwaltung bezogen' (s. Belege 1834, 1844, 1846, 1985, 1988), vgl. Verbindungen wie bürokratisches System, bürokratische Regelung, Erfordernisse, Vorschriften, Verwaltung, Maßnahme, positiv gedeutet in einer Wendung wie bürokratische Disziplin; zumeist abwertend verwendet im Sinn von 'behördliche Vorschriften übertrieben, pedantisch beachtend, auf ihnen bestehend, volks-, wirklichkeitsfremd, willkürlich' (s. Belege 1851, 1856, 1866, 1881, 1949, 1969, 1974, 1985, 1986, 1992), vgl. Wendungen wie bürokratische Schwerfälligkeit, Gängelung, Zwänge, Schikanen,

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bürokratischer Aufwand, Schlendrian, Filz; als Grundwort in adj. Zss. wie ministerial-, staatlich-/staats-, parteibürokratisch; seit früherem 20. Jh. die Präfixbildung unbürokratisch ' (in einer Notsituation) nicht auf behördlichen Bestimmungen, Vorgehensweisen bestehend', meist in den Wendungen schnell und unbürokratisch, unbürokratische Hilfe. Ebenfalls seit frühem 19. Jh. die aus frz. bureaucrate übernommene Personenbezeichnung Bürokrat M. (-en; -en) 'Verwaltungsbeamter', meist abwertend 'sich strikt und pedantisch an (behördliche) Vorschriften haltender, auf ihnen bestehender Beamter, Mensch' (s. Belege 1840, 1850, 1904, 1928, 1964, 1990), als Grundwort in Zss. wie Kultur-/Kultus-, Ministerial-, Wissenschaftsbürokrat, als Bestimmungswort in den abwertenden Zss. Bürokratenzwang, -spräche, -deutsch. Seit früherem 19. Jh. die subst. Ableitung Bürokratismus M. (-; selten Bürokratismen) 'System der Beamtenherrschaft', meist abwertend 'auf übertriebenem Formalismus beruhendes, schwerfälliges (behördliches) Handeln' und das Verbalsubst. Bürokratisierung F. (-; -en), abwertend für 'auf strengen (behördlichen) Vorschriften beruhendes Verwalten, unangemessene, hemmende Formalisierung', seit frühem 20. Jh. die Präfixbildungen Entbürokratisierung F. (-; -en) 'Abschaffung, Milderung einer übertrieben formalistischen, schematischen Verwaltung, Organisation' und Verbürokratisierung F. (-; -en); seit spätem 19. Jh. die verbale Ableitung bürokratisieren V. trans, 'behördlich verwalten, mit einer schematischen, formalistischen Struktur, Ordnung versehen', auch adj. verwendet im Part. Präs, bürokratisierend und Part. Perf. bürokratisiert, seit früherem 20. Jh. die Präfixbildungen entbürokratisieren 'von formalistischen, bürokratischen Zwängen befreien' und verbürokratisieren. Seit Anfang 20. Jh. das nach dem Vorbild der Namen von Kirchenheiligen auf -ius gebildete, abwertend-ironische Abstraktum Bürokratius M. (-; ohne PL) 'Bürokratiewesen', in den Verbindungen heiliger Bürokratius, S(ank)t Bürokratius. Bürokratie: Schlözer 1790 Stats-Anzeigen XV 393 Hr. Maury fürchtet daher, die Bureaukratie der Versammlung werde an die Stelle der Bureaukratie der Minister kommen; Zschokke 1796 N. T. Merkur 166 Wir seufzen unter dem eisernen Joch der Bureaukratie; vom Stein 1809 (Denkiv. u. Br. 111) Bureaukratie; Blanc 1814 Br. 52 Bureaukratie; vom Stein 1821 Br. u. Sehr. VI 409 Unser ökonomischtechnologisch populierendes System, durch eine zentralisierende, regierungssüchtige Bürokratie angewandt, frißt sich selbst auf wie Saturn seine Kinder (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK VII 77); Johann v. Sachsen 1826 Lebenserinn. 87 Die trokkene Büraucratie [!], die damals in Preussen herrschte; Wit v. Dörring 1830 Fragmente l 169 Gegengewicht des Ministerialismus und der Bureaukratie; 1834 Jahrb. d. Gesch. H 93 In absoluten und constitutionellen Staaten findet.. die Geldaristokratie ein Gegengewicht, das ihre Ansprüche . . neutralisirt. Dies ist bei den ändern Aristokratien, namentlich bei der Bureaukratie, nicht der gleiche Fall; Steinmann 1843 Mefistofeles 99 Eigenmacht der Bureaukratie; 1843 Conversationslex. III 39 das Bureausystem gegen die Regierten leicht in Beamtendespotismus oder Bureaukratie ausartet; Mohl 1846 Über Bureaukratie (Zs. f. d. gesummte

Staatswiss. Ill 340) Die Bureaukratie, über welche jetzt so schwere Klagen geführt werden, ist nichts anderes als die Übertreibung der Staatsidee, vollzogen durch einen zahlreichen .. Organismus von gewerbmäßigen Beamten (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK VII 78); Dingelstedt 1847 Jusqu'ä la mer 172 Den modernen Krebs des öffentlichen Lebens im Staate, die Bureaukratie, findet man in Holland; Stein 1850 Königthum 30 Diese Herrschaft [des abhängigen Beamtentums], an deren Spitze der König steht, ist die Bureaukratie; Rodenberg 1856 Bilderbuch 365 deutsche Beamtenbüreaukratie; Brater 1857 Dtsch. Staatswb. U 294 f. Die durchdringendere Erfassung des öffentlichen Lebens im Gegensatz zur früheren Verwahrlosung und die dadurch hervorgerufene Ausbildung des heutigen Beamtentums stehen zur Bureaukratie in dem Verhältnisse des gesunden Zustandes zum kranken (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK VII 78 f.); Goltz 1860 Typen d. Gesellschaft II 128 Volks-Souverainität ist so sinnlos, als Oligarchie oder Bureaukratie; 1863 Neues Conversationslex. IV 194 Bureaukratie . . die Einrichtung im Staatsverwaltungssystem, nach welcher ein oder mehre Zweige der Administration von einem einzigen Staatsbeamten, lediglich unter seiner eigenen Ver-

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antwortlichkeit, in einem Bureau geleitet werden; Hartmann 1866 Erlebnisse 230 Über die Selbstzufriedenheit der Berliner pflegte man gern zu witzeln; Preußens verknöcherte Bureaukratie und die rücksichtslosen Forderungen seines Dienstes fürchtete man; Bennigsen 1868 Reden l 241 Staatsbüreaukratie; v. Mevissen 1872 (Hansen I 757) unserer Bürokratie, der ehrenwertesten der ganzen Welt (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK VII 79); Hillebrand 1874 Frankreich 347 daß das Regieren . . einem stets sich erneuernden und verjüngenden Stande (in England Aristokratie, in Deutschland Bureaukratie genannt) [zukommt]; 1888 Wien l 26 Wien „das grosse Maschinenhaus im Räderwerke der Bureaukratie"; Bismarck 1892 (Neue Tischgespr. 206) wir kommen unter die Herrschaft subalterner Bureaukratie; ders. 1893 (FA XIII 497) Umschlingungen der Boa constrictor der Bürokratie (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK VII 79); Weber 1911-12 Wirtsch. u. Ges. 569 f. Eine einmal voll durchgeführte Bürokratie gehört zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK VII 6); 1915 Dtsch. Reden l 34 zuverlässige und brave Bureaukratie; Plenge 1918 Revolutionierung Vorw. XI steht die kurzsichtige und eingerostete Langsamkeit der alten Bureaukratie besonders hart und starr neben der Notwendigkeit eines weitsichtigen, tatbereiten Volksbeamtentums; Kleinstück 1927 Beamtentum 19 Verbandsbureaukratie; Voss. Ztg. 22. 1.1928 Wirtschaftsbürokratie; ebd. 8. 6. 1929 Es sei . . leichter, einer „Bürokratie", die angeblich nichts kenne, als was in den Aktendeckel hineinpasse, Verständnislosigkiet und Ideenarmut vorzuwerfen, als die Dinge selbst zu bessern; Glum 1930 Deutschland 119 Reichsbürokratie; Schacht 1931 Rep. 193 Gewerkschaftsbürokratie; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. X 778) Kafka ist darin und dadurch religiöser Humorist, daß er die Inkommensurabilität, das Unverständliche und nach Menschenmacht nicht Beurteilbare der Überwelt. . als . . eine weitläufig-kleinliche, zähe, unzugängliche und unberechenbare Bürokratie und unabsehbare Akten- und Instanzenwirtschaft mit einer undeutlichen Beamtenhierarchie von unauffindbarer Verantwortlichkeit sieht und beschreibt; Süddtsch. Ztg. 27.128. 5. 1950 sollte man nicht . . die unpersönliche, gestaltlose Masse „Bürokratie" mit verantwortungsvollen Aufgaben betrauen; ebd. 4.8. 1951 Verwaltungsbürokratie; Jaspers 1958 Atombombe 430 Eine Wand liegt zwischen den kleinen Gruppen der Parteibürokratien und der Masse der Bevölkerung; Süddtsch. Ztg. 22. 3. 1962 Im Etat sind . . Planstellen für Beamte und Angestellte [vorgesehen]. Für eine Vermehrung der Bürokratie hat der Bund also Geld; Heuss 1963 Erinn. 406 Im wesentlichen regierte jetzt die zum Teil

sehr qualifizierte Ministerialbürokratie mit dem Artikel 48 der Verfassung; Welt 16.12.1969 Spannungen zwischen Funktionärsbürokratie und Betriebsleitungen reißen nicht ab; ebd. 31. 10. 1974 auch schöne Formulierungen, wie die vom „hektischen Stillstand", der in der Bürokratie dann eintritt, wenn trotz ständiger Neuerungen und Reformen im Gefüge doch alles beim alten bleibt; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 25 den privaten und öffentlichen Bürokratien kann man die Funktionszusammenhänge, deren Knotenpunkte sie bilden, nicht ansehen; Zeit 11.1.1985 Dirigismus und Bürokratie; ebd. 8. 3. 1985 Abbau von Bürokratie; ebd. 11.4.1986 Womit gesagt werden sollte, daß die europäischen Bremser nicht in Brüssel sondern vor allem in den nationalen Bürokratien der zwölf Mitgliedsländer sitzen; ebd. 15. 5. 1987 Im Mittelpunkt der Darstellung steht die Verwaltung im eigentlichen Sinne, also das, was landläufig Bürokratie genannt wird; TAZ 18.11.1989 Havemann und Bloch hatten sich vor allem mit der Bürokratie angelegt; Berl. Rundsch. 16.2.1990 eine ineffiziente Staats- und Wirtschaftsbürokratie; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 70 Die Schreibfreudigkeit der Ägypter kann als nahezu einmalig in der alten Welt gelten, und ihre Bürokratie braucht den Vergleich mit der heutigen nicht zu scheuen; Spiegel 29. 8. 1994 Wir haben über Jahrzehnte hinweg den Aufbau immer größerer Bürokratien gefördert, deren Hauptzweck es ist, Entwicklungen zu blockieren, statt sie voranzutreiben; ebd. 21. 11. 1994 Mithin wären neue Super-Bürokratien nötig. Bürokrat: Görres 1821 Europa 349 ob Bureaukraten ihre Centralisationsgelüste an ihm üben; Pückler-Muskau 1831 Br. e. Verstorbenen I 147 frei von unnützen Plackereien ihre Macht fühlen lassen wollende Bureaukraten; ders. 1840 Bildersaal II 338 Der Amtsdiener wird . . immer mehr zum Bureaukraten oder zum politischen Avantürier; Heinzen 1845 Mehr als 20 Bogen 52 Ein Büreaukrat ist unverbesserlich; Mohl 1846 Über Bureaukratie (Zs. f. d. gesammte Staatswiss. III 331) Der Standesherr, der Deutsch-Katholik, der Jesuitenanhänger, der Baumwollenspinner, der Mann des Widerspruches in einer ständischen Kammer, der landflüchtige Flugschriften-Verfasser sind wundersam einstimmig in ihrer Verwerfung, im verachtenden Hasse gegen die Bureaukraten (BRUNNER/ CONZE/KOSELLECK VII 78); 1848 Grenzboten I 238 Bureaukratenzwang; Gutzkow 1850 Ritter 400 Wie Wenige waren das von den trockenen Bureaukraten, den barschen Kriegern, den verschmitzten Rechtsgelehrten!; Schlözer 1850 Jugendbr. 159 die Zwangsjacke der Bureaukratensprache; Raabe 1864 Hungerpastor 265 Bureau-

Bürokratie kratendünkel; Reinhardt 1869 Dintenklexe U 113 bei den Kanzlisten, die man Bureaukraten nennt; Potenz 1904 Land 270 Bureaukraten- und Schulmeisternaturen; Stier-Somlo 1917 Grundfragen dtsch. Politik 112 Das Wort „Biireaukrat" .. ist heute fast gar zum Schimpfwort geworden; Brecht 1928 Dreigroschenoper (Ges. W. U 477) was heißt das, Nummer Sechzehn. Sind Sie doch kein Bürokrat. Ich bin die Frau, ich muß ihn sprechen; Döblin 1929 Alexanderplatz 9 Sie mußten mich ja entlassen, die Strafe war um, hat seine Ordnung, der Bürokrat tut seine Pflicht; ND 16. 5. 1964 Der Bürokrat verwechselt Freiheit leicht mit anarchistischer Willkür; Gremmels 1971 Vorurteil u. Utopie o. S. Der bis heute nicht ausgetragene Gegensatz zwischen „Priester" und „Prophet" . . zieht sich bis in gegenwärtige Auseinandersetzungen zwischen kirchlichen Bürokraten und revolutionären Theologen hinein; Süßkind 1981 Kontrabaß 72 Ich glaube, sie hat was gehabt mit unserm technischen Direktor. Dabei ist dieser Mann ein reiner Bürokrat; Zeit 4. 1. 1985 Drittmittelforschung war den Basisdemokraten an vielen Hochschulen genauso suspekt wie vielen Kultusbürokraten; ebd. 23.8. 1985 Es ist schwer, mit Ministerialbürokraten zu verhandeln, die in Richtlinien eingebunden sind; MM 3. 1. 1986 jene übersichtlichen Blätter, die einfach mit der Maschine auszufüllen sind und ihr Bürokratendeutsch auf ein Minimum reduziert haben; Zeit 5. 9. 1986 Die Provinzbürokraten und Apparatschiks der Partei sind durch die Reformen fachlich und intellektuell total überfordert; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 95 Ein ehrlicher und bedächtiger Bürokrat, vor allem bemüht, nichts falsch zu machen; Zeit 6. 3. 1987 die Feigheit der Wissenschaftsbürokraten; TAZ 31.1.1990 Honni und seine Kumpels waren unerträgliche autokratische Bürokraten; ebd. 6. 2. 1990 Als Günter Grass . . das deutsch-deutsche Kulturabkommen ablehnte, weil er darin die Verständigung der Kulturbürokraten auf beiden Seiten erkannte. bürokratisch: Görres 1819 Teutschland 161 daß die Ministerien bureaukratisch geordnet sind; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti U 40 obgleich im Allgemeinen nirgends mehr das acht büreaukratische Prinzip herrscht: wo möglich nie einen Beamten zu compromittiren; Steinmann 1844 Mefistofeles V 2 bureaukratische Demokratie; 1846 Staatslex. Ill 265 Eine Organisation der Verwaltung, bei welcher der Regel nach die Behörden aus Collegien bestehen, nennt man das Collegialsystem. Den Gegensatz hiervon bildet das bureaukratische System der Verwaltung; ebd. Ill 266 daß im Allgemeinen das repräsentativ-collegialische System dem Rechtsstaate, das autokratische und bureaukratische System dagegen der Despotie ent-

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spricht; Schurz 1848 Studentencongress 30 Sturz des büreaukratischen Systems; Unruh 1851 Erfahrungen 171 dass die Regierung weder eine staatsmännische im alten Sinne, noch eine volksthümliche, sondern eine bureaukratische, d. h. eine solche war, welche nach Unten mit Willkür herrscht und nach Oben ohne ernsten Widerstand; Sybel 1856 Kl. histor. Sehr. 1351 Die Regierungen .. gingen . . in bureaukratischer Abgeschlossenheit ihren Weg, nur darauf bedacht, die unreifen Ideen des Publicums von jeder Einwirkung auf die Staatsmaschine fern zu halten; Falke 1866 Gesch. d. mod. Geschmacks 271 schematische Ordnung eines büreaukratischen Absolutismus; Meysenburg 1876 Mem. l 253 die dicke, bureaukratische Luft hier ist erstickend; Bucher 1881 Parlamentarismus 129 mit büreaukratischem Hochmuth; Bismarck 1893 (FA 505) Das bürokratische Zimmerwerk ist so konstruiert, daß es ein Holzbau ist, kein Granitbau. Darauf können wir nicht sicher bauen (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK VII 79); Werfel 1924 Verdi 544 dieser magere bureaukratische Mann; Voss 1926 Ges. Reden 259 Wir Amerikaner werden reguliert, dirigiert, kontrolliert und eingeengt durch mehr legislative Verordnungen, bureaukratische Regeln und Regierungserlasse; Wrede 1935 Germaine 51 bürokratische Schikane; Mosca 1950 Klasse 330 eine bürokratische Autokratie; ND 11.1. 1949 der demokratischen Entwicklung unserer Zone so viel bürokratisch-schikanöse Schwierigkeiten zu machen, wie das „korrekt" formalbürokratisch nur irgend möglich ist; ebd. 31.7. 1949 um bürokratische Spitzfindigkeiten .. zu verhindern; Müller 1954 Mars 52 einer .. peinlich eingehaltenen büreaukratischen Ordnung; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 291 Er riß Lücken in verplante Bestände, ließ hier was verschwinden und dort was erscheinen, trieb bürokratische Zauberei; Welt 1.7.1969 er stoße sich an den bürokratischen Eintreibungsmethoden bei einer Schuld von sechs Pfennig; ebd. 30. 12. 1974 die Kritik an der Schwerfälligkeit des bürokratischen Beamtenapparats; Zeit 11.1. 1985 Sie liefern sich vielen zusätzlichen Vorschriften und bürokratischer Willkür aus; ebd. 10. 5. 1985 Und je mehr Fälle einer übernimmt, desto besser für die Behörde, da nach bürokratischem Gesetz die Verwaltungskosten pro Fall sinken, wenn deren Zahl steigt; ebd. 28. 2. 1986 Vieles bliebe vermutlich im Dickicht bürokratischer Vorschriften stecken; ebd. 4.4. 1986 nach Empfehlungen einer ministerial-bürokratisch durchsetzten Kommission; ebd. 16. 1. 1987 in deutscher bürokratischer Gründlichkeit alles bestrafen zu sollen, was irgend den Verdacht erweckt, zum Umfeld zu gehören; ebd. 23. 1. 1987 von staatlich-bürokratischen Interventionen; MM 4. 4. 1987 ein . . von der parteibürokratischen Kri-

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Bürokratie

tik . . zeitlebens in Grund und Boden verdonnerter Dramatiker; Zeit 16. 6. 1987 die in bürokratischen Strukturen erstarrte Post, ein Fossil des deutschen Obrigkeitsstaates, in dem der Bedienstete ganz unten nach den Anweisungen von ganz oben zu verfahren hat; MM 15. 3.1988 auf der Suche nach freiwilligen Helfern, die sich . . bereitfänden, Organisatorisches vor allem im bürokratischen Bereich zu übernehmen; TAZ 13. 3.1990 besondere Verfassungsbestimmungen zur Abwehr anonymer bürokratischer Mächte; Spiegel 7. 12. 1992 Das Engagement kapitalistischer Unternehmer im einstigen Nord-Ostpreußen ist bislang wegen Rechtsunsicherheiten und bürokratischer Hemmnisse gering. unbürokratisch: Lokal-Anz. 22. 7. 1933 der Unbekannte, der da im Namen des Polizeipräsidenten . . praktische und belangreiche Warnungen erteilt, macht das .. unbürokratisch; N. Z. Z. 25.11. 1943 er wolle ein unbürokratischeres Ministerium als bisher haben; ND 10. 6. 1954 durch unbürokratische und schnelle Entscheidungen in den Fragen der Preispolitik für die Massenverbrauchsgüter der Bevölkerung beweglich zu sein; Welt 2. 6.1964 Die Staatsbank ist als älteste der drei Banken von Haus aus konservativ, gilt aber in geschäftlichen Dingen als besonders agil und unbürokratisch; FAZ 29. 5.1971 Allen Betroffenen sagte der Minister unbürokratische Hilfe zu; MM 6. 9. 1985 Das Problem Aids sei so brisant, daß schnell und unbürokratisch Mittel bereit gestellt werden müßten; Zeit 13. 12. 1985 Auf die Nachrichten von der Dürrenot reagierte Bonn unbürokratisch und großherzig; Frankf. Rundsch. 28. 4.1990 Sie wollten sich eher unbürokratisch an der tatsächlichen Zahl der Bewerber . . orientieren. bürokratisieren: Braun 1881 Bilder II 103 bureaukratisiert; Vbss. Ztg. 24. 9. 1929 Die Partei .. sei überaltert und büreaukratisiert; Mosca 1950 Klasse 330 Ehe eine Autokratie einen Grosstaat bürokratisieren kann; Zeit 11.1. 1985 dann wird die Wissenschaft bürokratisiert und ihrer Inspiration und ihrer Freiheit beraubt. entbürokratisieren: 1929 Preuss. Jahrb. CCXVIU 359 daß die Organisation der öffentlichen Betriebe mit aller Energie zu entbürokratisieren ist; Zeit 2. 5.1986 Offenbar wäre es besser, Bürgermeister, Stadtdirektoren und Stadträte dächten selbst darüber nach, wie ihre Zuständigkeiten „entbürokratisiert" werden können. verbürokratisieren: Münch. Merkur 6. 10.1948 Die Sozialisierung als solche bleibt unklar, verbü-

rokratisiert; Münch. N. N. 6. 10. 1936 Die feinverästelte Ordnung darf nicht verbürokratisieren, sie muß geschmeidig bleiben; Zeit 15. 8. 1986 Churchill mußte einsehen, daß die Außenpolitik in West und Ost „hoffnungslos verbürokratisiert" worden ist. bürokratisierend: Brentano 1917 Elsässer Erinn. 115 [Althoffs] bureaukratisierendes Programm. bürokratisiert: 1916 Deutschland I 68 eines europäisch bureaukratisierten Asiatismus; 1934 HZ CL 435 Der bürokratisierte Monopolkapitalismus; Münch. Abendztg. 4. 3. 1949 Bürokratisierter Straßenverkehr; Süddtsch. Ztg. 1. 2. 1949 Es ist daher kein Zufall, daß neben der Sowjetunion Deutschland das bürokratisierteste Land der Erde ist; Zeit 11.1. 1985 eine idiotisch bürokratisierte Form der Genehmigung; ebd. 17.1. 1986 Im bürokratisierten Staat ist das nicht mehr die direkte Hilfe durch bestimmte Personen, die sich verantwortlich fühlen, sondern verlangt extensive Bedürfnisprüfungen; ebd. 6. 2. 1987 der starke, hoch bürokratisierte, zentralistische und unbewegliche Staat. entbürokratisiert: Süddtsch. Ztg. 14. 12.1948 Entbürokratisierte Planung. Bürokratisierung: Schaffte 1856 Ges. Aufs, l 80 Eine bureaukratische Restauration feudaler Herrschaftsrechte des Adels kann heutzutage nur in eine Bureaukratisirung des Standes ausschlagen; 1887 Grenzboten I 579 Bewegung nach einer Bureaukratisirung der Verwaltung; Weber 1911 — 12 Wirtsch. u. Ges. 569 f. Die Bürokratisierung ist das spezifische Mittel, „Gemeinschaftshandeln" in rational geordnetes „Gesellschaftshandeln" zu überführen (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK VII 6); Frankf. Ztg. 25. 8. 1914 Ueber die Bürokratisierung, die das Wirtschaftsleben durch die Kartelle und Konventionen erlitten, ist schon oft geklagt worden; Brentano 1917 Elsässer Erinn. 115 Bureaukratisierung der Universitäten; Kühl 1925 Osten. Advokatur 28 Die in diesen Maßregeln gelegene Bureaukratisierung brachte es mit sich, daß auch die Pflichten des Advokaten .. nunmehr als Amtspflichten aufgefaßt werden; Voss. Zig. 7. 4. 1929 die selbstverständliche Folge eines jeden Monopolbetriebes ist eine immer stärker um sich greifende Bürokratisierung des Unternehmens; Tempo 15.7. 1932 Der Rundfunk wird schlimmster Bürokratisierung und Politisierung zum Opfer gefallen sein; Winter 1943 Josefinismus 486 die fortschreitende Bürokratisierung in der römischkatholischen Kirche; Siemens 1947 Leben 216 Bürokratisierung des öffentlichen Lebens; Süddtsch.

Bürokratie Ztg. 2.12.1950 Die Lieblosigkeit des Krankenhausbetriebes — bedingt durch Massenabfertigung, Bürokratisierung und miserable Bezahlung; ebd. 19.5.1953 Die rapid zunehmende Versklavung, hervorgerufen durch eine stetig wachsende Bürokratisierung unseres öffentlichen und privaten Lebens, Übersteuerung, Einengung unserer persönlichen und wirtschaftlichen Freiheiten; Stuttgarter Ztg. 12. 4. 1969 Bürokratisierung und übertriebener Zentralismus seien in demokratischen Massenorganisationen . . vom Uebel; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 46 Und tatsächlich hat erst die Reformpraxis selbst die Gefahren der Verrechtlichung und der Bürokratisierung .. voll zu Bewußtsein gebracht; Zeit 2. 5. 1986 Mit einem überwiegend administrativen Ansatz ist unweigerlich ein hohes Maß an zusätzlicher Bürokratisierung verbunden; MM 26. 11. 1987 scharfe Kritik an einer zunehmenden Bürokratisierung des Literaturbetriebes; ebd. 11.5. 1988 Mit Leistungskürzungen, Dirigismus, Bürokratisierung und Überwachungsmechanismen sind die Probleme nicht zu lösen. Entbürokratisierung: Plenge 1918 Revolutionierung Vorw. IX Entbureaukratisierung der Bureaukratie; Guttmann 1932 Industriepolitik 53 Entbürokratisierung und Entpolitisierung; Süddtsch. Ztg. 11.12.1945 der Entbürokratisierung der Wirtschaft würde es nur dienen, wenn man sich dabei die Erfahrungen der Selbstverwaltung zunutze machen würde; Welt 17. 6. 1959 Eine kleine Entbürokratisierung ist allerdings erfolgt. Auf der diesjährigen Messe kann der Privatmann unmittelbar Bestellungen aufgeben; FAZ 3. 7. 1970 Mit der Neuordnung wurde eine rechtliche „Entrümpelung" und zugleich eine „Entbürokratisierung" vorgenommen; Zeit 8. 2. 1985 Vereinfachung des Steuersystems wäre . . zugleich ein wichtiger Beitrag zur Entbürokratisierung; MM 9. 1. 1988 Als Schwerpunkte nannte er neben dem Ausländerund Asylrecht die Entbürokratisierung, den Schutz der Privatsphäre und die öffentliche Sicherheit. Verbürokratisierung: Schmidt 1925 Deutschland 283 Mängel . ., die . . der Zusammenballungsprozeß der Wirtschaft mit sich bringen kann .. Sie heißen: Verbürokratisierung, Stagnation, Verlust der Selbständigkeit; Münch. N. N. 9.1. 1939 Andere wiederum mögen eine „Verbürokratisierung" des Wintersports fürchten; Süddtsch. Ztg. 13. 9. 1958 Er warnte vor einer Verbürokratisierung der demokratischen Ordnung; Becker 1962 Quantität 105 Verbürokratisierung der Forschung. Bürokratismus: Schübler 1843 Der Bureaukratismus und der Liberalismus (Titel); 1852 Prutz' Museum I 479 der liberale Bureaukratismus; Riehl

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1855 Familie 128 des Staates, der gerade in die Phase des modernen Bureaukratismus überzugehen begann; Eichhoff 1861 Berl. Polizei-Silhouetten III 10 den absolutistischen Bureaukratismus; Karting 1884 Anfänge d. Renaissanceliteratur in Italien l 23 ausgebildeter Bureaukratismus in der Staatsverwaltung; Horix 1895 Erl. 137 schon in der ersten Stunde meiner neuen Amtierung habe ich den im Bureaukratismus als bloßes Ideal geltenden Zustand verwirklicht; 1899 Grenzboten II 717 Schulbüreaukratismus; Münsterberg 1904 Amerikaner l 50 der Bureaukratismus des Staatseisenbahnbetriebs; Joel 1915 Weltkultur 45 von dieser deutschen Mystik und Spekulation geht der Weg . . zum .. deutschen „Autokratismus", „Bureaukratismus" und „Militarismus"; 1916 Deutschland I 162 daß der Bürokratismus in der deutschen Kolonialverwaltung eine Anteilnahme der Bevölkerung an der Verwaltung nicht aufkommen lasse; Moreck 1928 Liebe 184 Überall hat der Bureaukratismus eine endlose Reihe von Vorschriften erdacht; Pollock 1929 Versuche 104 Sowjetbürokratismus; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. daß nicht jede sorgfältige Beachtung von Dienstvorschriften durch Beamte schlechthin als „Bürokratismus" abzutun ist; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 364) Einschränkung der Freiheit, Steigerung des Bureaukratismus, ständige Kontrolliertheit, Gewalt der Majorität über die Minorität, der wahrscheinlich Dummen über die wahrscheinlich Klugen; Süddtsch. Ztg. 29. 12. 1950 In 90 von 100 Fällen, in denen heute der Vorwurf des Bürokratismus erhoben wird, geht es nur darum, daß die Behörde gezwungen ist, die Interessen des Gesamtwohls . . gegen die Ansprüche . . einzelner zu verteidigen; Guardini u. a. 1954 Verantwortung 34 Bürokratismus . . eine Art Totalitarismus auf kaltem Wege; N D 5. 2. 1964 eine der Ursachen des Bürokratismus, der Überzentralisation; MM 24. 12. 1986 Keiner jedoch kümmert sich darum, die deutsche Sprache von unverständlichen, mitunter gar häßlichen „Bürokratismen" zu entsorgen; ebd. 2. 3. 1987 mit Erneuerungsprogrammen und Kampfansagen gegen Schlendrian, Bürokratismus und Korruption; Spiegel 29. 8.1994 einem Wust von Eigensucht, Beharrungsvermögen und Bürokratismus. Bürokratius: 1904 Jugend 626b Aber alle Bemühungen der Zentralinstanz, das Schreibwerk der untergebenen Behörden zu beschränken, scheitern an der Allgewalt des heiligen Bureaukrazius; Flex 1915 Br. 155 Der Raum . . hat . . einen abenteuerlichen Riesenhaufen von Papieren, die dem militärischen St. Bureaukratius lieb und teuer sind; Dörfler 1932 Um d. kommende Geschlecht 140 Wir brauchen das Rad des St. Bürokratius — natürlich

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Bus

nimmt er nur Gratifikationen, Zuwendungen für Witwenkassen und dergleichen; Lokal-Anz. 10. 6.1934 St. Bürokratius bekämpft eine Wirtschaftskrise; Süddtsch. Ztg. 13.11.1949 Wenn einmal die Welt untergeht, wird noch als Letzter der heilige Bürokratius alle papierenen Vorschriften . . hoch in der Rechten schwingen; v. Bülow 1951 Jägerleben 41 O Du heiliger Bürokratius!!; Partner

1964 Erben 311 Nach Süden aber geht er nun in einen modernen Verwaltungsbau über, der neben anderen Zellen des heiligen Bürokratius das Aachener Standesamt enthält; Zeit 1.11. 1985 Ob Sankt Bürokratius in absehbarer Zeit im Zug der geplanten neuen Kennzeichnungsverordnung für Lebensmittel Jod auch in vorgefertigten Lebensmitteln erlauben wird, bleibt abzuwarten. HK

Bus M. (-ses; -se), Mitte 19. Jh. aus gleichbed. engl. bus übernommen (Kurzform von omnibus, —* Omnibus, vgl. Autobus, —» Auto), zunächst auch in engl. Schreibweise. In der Bed. 'großes Kraftfahrzeug zur Beförderung vieler Personen', zunächst auf England bezogen häufig in Anführungszeichen, speziell im Sinn von 'öffentliches Verkehrsmittel' (s. Belege 1857, 1866, 1905, 1926, 1990), häufig in Verbindung mit Namen anderer Verkehrsmittel, vgl. Bus und Straßenbahn, (auf) Bus und Bahn (umsteigen), Busse und Taxen, in festen Wendungen wie ein Bus der Linie 12, da hält, fährt kein Bus, der Bus kommt, fährt pünktlich ab sowie als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Bus(pendel)verkehr, -netz, -Verbindung, -haltestelle; Nacht-, Bahn-, Linien-, Sonder-, Stadt-, Überland-, Post-, Pendelbus; seit früherem 20. Jh. im Reiseverkehr auch 'Transportmittel zur Beförderung einer größeren Anzahl von Ausflüglern bzw. Reisenden' (s. Belege 1932,1961,1964, 1985, 1986), in Wendungen wie mit dem Bus nach Spanien, in Urlaub fahren und als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Busunternehmen, -Unternehmer; Reise-, Ausflugsbus, scherzhaft ugs. in der Zs. Busladung, bes. in der festen Verbindung ganze Busladungen und in einer Wendung wie ganze Busladungen stürmten in das Ausflugscafe; auch speziell in der Zs. Schulbus e (kleinerer oder größerer) Bus zur Beförderung von Schülern zur Schule und zurück' und auf kleinere Fahrzeuge bezogen in den Zss. Klein-, Camping-, VW-Bus; vgl. daneben die Kombinationen Airbus (—» Air- b) und Aerobus (—» Aero- 2) in der Bed. 'Großraumflugzeug'. Kohl 1844 Schottland I 47 Man denke sich nun das Ganze .. sich . . dem in den Straßen in einem kleinen „Bus" Umherirrenden in stets neuen und neuen rasch vorüberfliegenden Gruppen sich zeigend; Schlesinger 1853 London II 71 sich des „Buss" zu bedienen; Niendorf 1855 London 221 im „Bus"; Spielhagen 1857 Engl. Charakterzüge (Übers.) 38 jeder Fuhrmann auf bus oder Bierwagen; 1866 Gartenlaube 110 Bunt und in allen möglichen Farben, wie die „Bus" bemalt sind; ebd. Conducteur des „Bus" oder Omnibus (viel zu lang für die Engländer); Bamberger 1899 Erinn. 220 Wenn ich mir meinen menschenfreundlichen Engländer vorstelle, erscheint er mir noch heute immer unter dem Ziechen eines älteren Mannes, den ich im „Bus" treffe; 1905 Rad-Wanderer 86 Bus, die in London übliche Abkürzung für Omnibus; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 485) Ein automobiler Omnibus erwartete dort den Wiederkehrenden und führte ihn oberhalb des gekräuselten Meeres

auf geradem Wege zum Bäder-Hotel; Schmilz 1914 Frankreich 190 Die neueste, von den französischen Behörden verständigerweise genehmigte Bildung ist „autobus". Mir scheint dieses leider auch ins Deutsche übernommene Wort im Sinne des französischen Sprachgeistes vollkommen. Der gelehrte Einwand, dass „bus" kein Fahrzeug bezeichnet, .. hat für die Lebenden keine Bedeutung; Vo5s. Zig. 19.10. 1926 Der Autobus hält . . Der Verkehr stockt — aber die Fahrgäste in spe haben den Bus erreicht . . Der Zwölfer fährt weiter; Hake 1926 Wembley 41 Buslinien; Voss. Ztg. 24. 7.1929 in jenem Winkel dieses .. Vorortes unserer Stadt, der just vom Bus 32 noch aufgestört wird; Grüne Post 4. 1. 1931 Der kleine . . Fahrschein ist ein Bus-Umsteiger der Vier-Millionen-Stadt Tokio; Montagspost 30. 3. 1932 in den Bahnhof . . fährt der Bus, um viertel sieben morgens, .. ein; B. Z. am Mittag 15. 5. 1932 Man startete in großen Ausflugsbussen; Lokal-Anz. 10. 8. 1933 zur Verbesserung des Ober-

Busineß flächenverkehrs den „Drahtbus" .. einzuführen; Schuster 1936 Nachbar im Westen 4 ersparen wir uns das Geld für den Bus zur Heimfahrt; Münch. N. N. 8.1. 1939 Setzen wir uns in den Bus, der . . erst den Broadway und dann die Fifth Avenue hinauffährt; Süddtsch. Ztg. 21. 4.1941 Der GrossBus beginnt mit der 5-Tonner-Klasse; NZ. (Basel) 25. 11. 1949 Der Städter aber hat . . zum Bus, zum Tram, zur Untergrund zu eilen; N. Z. Z. 21. 2. 1952 Bus-Bahnhof; Süddtsch. Ztg. 21. 3. 1953 Umstrittene Eilbuslinien; ebd. 6. 9. 1955 An den Bus-Haltestellen stauen sich die Wartenden; ebd. 10. 9. 1955 zwei neue „Stadtbuslinien"; ebd. 14. 8. 1957 Buslinien der Deutsch-Österreichischen und Schweizerischen Bundespost; ebd. 12. 1.1959 Der Fahrgast soll frei wählen können, ob er mit der Bahn oder mit dem Bus fahren will; ebd. 13. 11. 1961 eine fünfzehntägige Bustour; Offenburger Tagebl. 4. 8. 1964 In der Schweiz werden sogar schon kombinierte Car/Velo-Reisen angeboten, bei denen man im Bus reist, die Räder im Spezialanhänger unterbringt; Bad. Ztg. 10. 12. 1970

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finanzielle Förderung besonderer „Bus-Spuren" im Straßenbau; MM 2. 2. 1985 Maßnahmenkatalog zum Schulbusverkehr; Zeit 22.3. 1985 Ihre Aufmerksamkeit gilt einem Campingbus vor dem Eingang, aus dem es nach Erbsensuppe und frisch gebrühtem Kaffee riecht; ebd. 26. 4.1985 In einer ganztägigen Busreise waren wir über die Cordilleren von Chile nach Argentienien gefahren; ebd. 3. 5. 1985 Ebenso glücklich steigen ältere Ehepaare aus Dessau und Güstrow in ihre Reisebusse, die Salami unter dem Arm; ebd. 6. 9.1985 dafür haben wir an den Wochenenden sehr häufig einen ganzen Linienbus für uns allein; MM 15. 10. 1985 daß aus dem Umland noch einige Busladungen angekarrt worden waren; ebd. 9. 8. 1986 Touristenscharen .. lassen sich per Bus von einer Sehenswürdigkeit zur anderen fahren; TAZ 2.1. 1990 Gegen Abend waren die U-Bahnen und Busse nur noch unter Einsatz von Brachialgewalt zu benutzen — alles, was Beine hatte, war auf dem Weg zum Brandenburger Tor; MM 10. 7. 1993 Eine im Viertelstundentakt verkehrende Pendelbuslinie. HK

Busineß N. (-; ohne PL), Mitte 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. business (zu busy 'beschäftigt'), auch in der engl. Form business. In der Bed. 'Geschäftemachen, Handel', zunächst auf engl. und amerikan. Verhältnisse bezogen (s. Belege 1844, 1852, 1854, 1855, 1881), dann auch allgemeiner im Sinn von 'Geschäftsleben, -weit, -betrieb' (s. Belege 1923-24, 1958, 1994), häufig abwertend zur Bezeichnung profitorientierten Denkens und Handelns (s. Belege 1868, 1900, 1922, 1991), selten auch auf Personenkollektive, Firmen u. ä. bezogen (s. Beleg 1979); bes. in der im frühen 20. Jh. von Churchill geprägten festen Wendung business as usual (eigentlich 'Geschäfte wie üblich') in der Bed. 'alles geht seinen gewohnten normalen Gang, Alltag', zunächst auf die Kriegssituation bezogen (s. Belege 1917, 1941), dann auch allgemeiner (s. Beleg 1987), auch in der Wendung Big Business N. im Sinn von 'hohen Gewinn versprechendes Geschäft; Welt des internationalen Handels' (s. Beleg 1963), als Grundwort in Zss. von der Art, Branche des Geschäfts bestimmt, vgl. z. B. Show-, Film-, Modebusineß, als Bestimmungswort in Zss. wie Busineßclass 'Gesellschaftsschicht der Geschäftsleute, Handeltreibenden' (s. Beleg 1951), häufiger 'Reiseklasse für Geschäftsleute im Flugverkehr' (s. Beleg 1985), bes. Busineßman M. (-; Busineßmen), auch Busineßmann M. (-s; Busineßmänner), '(kühler, profitorientiert denkender) Geschäftsmann, (international tätiger) Unternehmer, Manager' (s. Belege 1913, 1915, 1934, 1985). Dazu seit Mitte 19. Jh. das aus engl. businesslike übernommene, selten belegte Adv. busineßlike 'wie im Geschäftsleben, wie in der Welt des Handels üblich'. Busineß: Kohl 1844 Brit. Inseln 111 71 so befördert diese Arbeitstheilung die Anzahl jener schnell auftauchenden und schnell wieder untergehenden Tagesblätter und ist also im Ganzen der Lebendigkeit des „news-paper-business" (Zeitungsgeschäftes) förderlich; Wagner-Scherzer 1854 Reisen in

Nordamerika l 196 ein lustiger Gesell, der nicht gern an der Scholle klebt, sondern sich überall hinbewegt, wo business und money zu machen; Bucher 1855 Parlamentarismus 3 das Geschäft (business) Englands . . zu verhüten, dass . .; 1858 Kunst u. Handwerk U 243 Alles andere wird mit dem

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Begriff business entschuldigt . . die Rücksicht, die man für sie [die bedeutenden Künstler] hegt, ist . . meistens von den höheren Honoraren bedingt, die sie sich zahlen lassen; Scherr 1865 Blücher ill 56 Business-Britannia; Burckhardt 1868 Weltgesch. Betrachtungen 207 Welche Klassen und Schichten werden fortan die wesentlichen Träger der Bildung sein? . . Oder soll gar alles zum blossen business werden wie in Amerika?; ders. 1879 Br. an Alioth 90 Ja, wenn nicht business allem voranginge, wenn nur nicht schon das Gewinnen des täglichen Unterhaltes so heillose Efforts nötig machte; Bucher 1881 Parlamentarismus 3 wie Lord Palmerston erklärte, weil „es das Geschäft (business) Englands sei zu verhüten, dass . ."; 1899 Grenzboten II 235 im Gang der alltäglichen business-Routine; Kellner 1900 England 364 Die Söhne werden der Mutter schon in frühen Jahren durch das allverschlingende „business" . . geraubt; Lamprecht 1912 DGjV, I 274 aus einem angeborenen Gegensatze phantasievoller Empfindung gegen das, was die englische Zunge mit einem unübersetzbaren Worte business nennt; Sombart 1913 Bourgeois 192 Das alte business-Ideal; ebd. 211 Business-man; Goldmann 1915 Militär. 17 dass die Welt bald nur noch aus gleichförmigen businessmen bestehen werde; Kjellen 1917 Studien (Übers.) 55 hierum handelt es sich nicht, sondern um „business as usual"; Wohlmuth 1918 Schauspielerleben 106 eine geborene Engländerin brachte dieses kunstmaskierte business als Offenbarung nach Meiningen; Dessauer 1922 Auslandsrätsel 121 auf der glatten, gleitenden Businessleiter strampelt, klettert, keucht der Mensch; 1923-24 Schweizer. Monatsh. III 121 aus kaufmännischem und wirtschaftlichem „business"; Lettenbaur 1927 Morgen 167 Businessmens-Club; 1929 Handb. d. Englandkunde U 349 business women; Voss. Ztg. 10. 11. 1929 Briefe . . die man im weitesten Sinne Geschäftsbriefe (business, alte und neue Sachlichkeit) nennt; Wilke 1930 Erinn. 52 „Business is business!"; Th. Mann 1934 Reden u. Aufs. (W. IX 441) Hinzukommt ein gutmütiger kleiner Businessman aus Philadelphia, der gern Champagner trinkt und mich nach Habitus und Geistesform an Typen der heimatlichen Kaufmannszivilisation erinnert; Münch. N. N. 28. 7. 1937 Der business-man als Premierminister; ebd. 9. 10. 1938 Es gibt schon eine ganze Reihe von „Busineß-Männern" . ., die ihre Privathäuser weit

außerhalb der City haben; 1940 USA 9 Vom business Onkel Sam; Münch. N. N. 8. 6. 1941 Im vorigen Krieg war das große Schlagwort der Engländer: „Business as usual"; Seyppel 1951 Dekadenz 9 Henry Ford . . gilt als die Verkörperung des Business- und Pioniergeistes; de Man 1951 Vermassung 24 ebenso wie die mittelalterlichen Bürger als die soziologischen Ahnen der englischen middle class und neuerdings der amerikanischen business class gelten können; Silberschmidt 1958 Entwicklung 175 Seit Max Weber wissen wir, dass Business ein Produkt „innerweltlicher Askese" ist; Stuttgarter Ztg. 10. 10. 1960 Das Beispiel der USA - wo sich das „small business" seit 1900 immer mehr in den Vordergrund geschoben habe; Heuss 1963 Erinn. 297 eine Zeitlang war es ja auch in den europäischen Ländern ein billiges Selbstgefühl, drüben nur die Herrschaft des „big business" zu fürchten oder zu ironisieren; Welt 13. 9. 1969 Unter den Rennfahrern gibt es kaum noch Originale, denn dies Business ist nüchtern und strapaziös geworden; ebd. 15.10. 1974 Mit dem Showbusiness hatte Sullivan als Zeitungsreporter begonnen; Zeit 2. 2. 1979 die Prominenz der Hauptstadt aus Politik und Business in Smoking, Samt und Seide; ebd. 24. 5. 1985 Die Inszenierung entspricht den Klischees vom big business; ebd. 23. 8. 1985 die Billigflieger und Businessclass-Männer, die Urlaubspauschalisten und Konferenzstatisten; Stern 12. 9. 1985 während ein Businessman aus Ohio den Porsche nur für den Abend braucht (AWB); Zeit 9. 5. 1986 Säntimäntl beschließt, ins Filmbusineß einzusteigen; ebd. 27. 2. 1987 Der Rest hofft auf business as usual, darauf, daß alles im gewohnten Trott geht; MM 18. 9. 1991 Moral ist eine Sache, Business eine andere; Spiegel 25.4.1994 Das Business frißt sich selbst. busineßlike: 1855 Prutz' Museum I 592 Eine Menge Dinge . . würden mehr business-like . . betrieben werden; Dahn 1892 Moltke 113 businesslike Behandlung; Münch. N. N. 15. 11. 1943 die Amerikaner konnten sich nicht genug tun, wie „business like" .. die sowjetischen Verhandlungspartner waren; Stern 24. 9. 1987 Aber businesslike wirkt er auch wieder nicht bei seinen Auftritten, wo er fröhlich poltert wie ein alter Landadliger. HK

Büste F. (-; -n), im frühen 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. busto (wohl zurückgehend auf lat. bustum 'Leichenbrandstätte, Grabhügel', auch 'Grabmal; auf dem Grabmal aufgestelltes Brustbild des Toten', Part. Perf. von *burere, entstanden aus falsch getrennten Präfixbildungen wie am-burere statt amb-urere, zu urere '(ver-)brennen'), anfangs in den Formen Busto, Büste, selten (latinisiertem) Busta, seit der

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2. Hälfte des 18. Jhs. unter phonetischem Einfluß von gleichbed. frz. huste (< ital. busto) in der heutigen Form. a In der Bed. '(aus Stein, Erz, Bronze oder anderem Material gearbeitete) plastische Darstellung von Kopf und Schulter- oder Brustpartie, (oft auf einem Sockel oder einer Konsole stehendes) Brustbild eines Menschen, insbes. einer hervorragenden Persönlichkeit des politischen, künstlerischen u. ä. Lebens', z. B. die bronzene Büste des römischen Kaisers, eine Büste enthüllen, aufstellen, in Stein meißeln, eine Büste mit Lorbeer umhüllen; früher vereinzelt auch übertragen verwendet im Sinne von 'Schulter- oder Brustpartie' (vgl. b; s. Belege 1782, 1793, 1808); als Bestimmungswort in Zss. wie Büstenausstellung, -modell, -Sammlung, -zimmer und vor allem als Grundwort in Zss. mit Angabe des Materials wie Bronze-, Gips-, Marmor-, Wachsbüste oder der dargestellten Person wie Beethoven-, Juno-, Karl-Marx-, Jünglings-, Königsbüste, vgl. auch Porträt-, Ideal-, Gedenkbüste. Daneben in neuerer Zeit in der Schneiderei- und Modebranche auch für 'aus Kunststoff oder Papiermache gefertigte Nachbildung des Oberkörpers, Puppe zum Anprobieren; Schneiderpuppe', z. B. ein Kleidungsstück nach der Büste abstecken, b Seit späterem 19. Jh. wohl unter erneutem Einfluß von frz. huste auch für 'weibliche Brust', bes. in der Zs. Büstenhalter. Dazu in neuerer Zeit aus gleichbed. frz. bustier übernommenes Bustier N. (-s; -s) 'Teil der Unterkleidung für Frauen in Form eines miederartig anliegenden, nicht ganz bis zur Taille reichenden Oberteils ohne Ärmel'. Büste a: Hübner 1717 Handlungslex. 314 Büste oder Busto; Haller 1723-27 Tagebücher 55 die Busta von denen 12 Caesaren; Keyssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) U 732 In den Zimmern findet man vile schöne Statuen, busta, bas-reliefs und Gemälde .. Unter denen Alterthümern .. verdienen die Brustbilder eines alten Weltweisen .. in Augenschein genommen zu werden; Zedler 1733 Universallex. IV 2033 Büste siehe Brust-Bild; Florin 1749 Hausvater II 386a Gemähide, Statuen, Büsten oder Brust-Bilder; Gottsched 1760 Handlex. 288 Brustbild (Büste); ebd. 298 Büste; 1772 Frankf. gel. Anz. 78 Büsten des Alterthums; Biester 1775 an Bürger (I 248) kalt wie eine Büste; Wieland 1778 Hann (S. W. XII 85) dieser schöne warme Leib, Von Todesfrost in eine Büste verwandelt; Goethe 1782 Br. (Lewin 220) Die Kleidung um die Büste durchlauchter Herzoginn soll .. geändert werden (GWB); Riesbeck 1783 Br. l 352 Von Bildhauereyen waren nichts ausser 2 Büsten vom Kaiser und der Kaiserin aufgestellt; 1785 Journal v. u. f. Deutschland II 353 Antike Büsten; Ramdohr 1787 Malerei III 58 Man findet hier eine Menge Büsten, unter denen . . die meisten modern, einige aber auch antik sind. Unter diesen schien mir ein Hadrian auf halben Leib, der vorzüglichste; Köhler 1788 Anweisung 1490 Die Büsten oder Brustbilder, . . da nur der obere Theil des Menschen vom Kopf bis auf die Brust abgebildet ist; Goethe 1793 Br. (WA IV 18,56) mir den Kopf noch einmal beson-

ders gießen zu lassen, denn die Büste ist unbeschädigt und ich würde .. den neuen statt des gebrochnen .. aufsetzen; Moritz 1793 Grammat. Wb. 1174 Büste. Brustbild; das fremde Wort ist um so mehr beizubehalten, weil es wahrscheinlich deutschen Ursprungs ist; Goethe 1795-96 Lehrjahre (HA VII 166) er wolle darin die Eigenschaften dieses großen Helden . . personifizieret haben. Diese Tugenden sollten miteinander auftreten, sein Lob verkündigen und zuletzt seine Büste mit Blumen- und Lorbeerkränzen umwinden; ebd. VII 512 Marmorne Statuen und Büsten standen auf Piedestalen und in Nischen geordnet; Matthison 1796 Italien (V 26 f.) Einen wichtigen Artikel für die Geschichte der Kosmetik des Alterthums überliefert uns die Perücke auf einer weiblichen Büste. Nimmt man sie ab, so erscheint ein Schädel, nackt und haarlos, wie der „Schädel ohne Zopf und Schöpf" in Bürgers Lenore. Der gut gearbeitete Marmor gilt für das Porträt der Gemahlin des Kaisers Septimius Severus; Siebenkees 1800 Archäologie II 406 Büsten sind zerstümmelte Statuen. Abbildungen derselben . . Der Name Büste kommt von bustum her, und diese Kunstwerke wurde also genennet, weil sie oft auf monumenta spulcrabis angebracht wurden; Gurlitt 1800 Versuch über die Büstenkunde (Titel); Goethe 1808 Faust II 7547 Wie ein Atlas an Gebärde,/ Hebt er Boden, Rasen, Erde,/ . . Angestrengtest, nimmer müde,/ Colossale Karyatide;/ Trägt ein furchtbar Steingerüste,/ Noch im Boden

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bis zur Büste (GWB); ders. um 1808 Denkmale (WA l 48,141) Das beste Monument des Menschen aber ist der Mensch. Eine gute Büste in Marmor ist mehr werth als alles Architektonische; Böttiger 1811 Ideen Vorr. XI [Plan zu einer] Büstenkunde; Goethe 1820 Br. (WA IV 33,257) Der Trippelische Gyps von meiner römischen Büste ist . . auch schon nach Berlin; haben Sie die Surrogate meiner Gegenwart lieb; Immermann 1838 Oberhof 102 Büsten der Herrscher; Ampere 1840 Weg (Übers.) 85 Apenninen, welche die Toscaner wegen ihrer Gestalt, die Büste Italiens nennen; 1843 Brockhaus 111 69 Büste,. . nennt man einen durch die bildende Kunst dargestellten menschlichen Kopf mit einem Theile des Oberleibs; Eckstein 1889 Camilla 201 Am Schluß [einer Aufführung] erscheint meine Tochter als Genius der Sommerfrische und setzt der Büste — ich weiß nicht, welcher Büste — einen Kranz von Epheu und Rosen auf; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W, l 316) schwenkte seinen gelben Stock, .. dessen Knopf die in Ebenholz geschnitzte Büste einer Nonne darstellte; ders. 1902 Erz. (W. VIII 213) Verbrennen Sie . . diese Statuetten und Büsten, deren Anblick in Sünde stürzt; 1903 Recamier 117 Da fiel der Vorhang, und Mad. Recamier sah zwei sie selbst darstellende Porträtbüsten; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 124) Zwischen traurigen Dekorationen war die Büste Johann Albrechts in den Schaufenstern aufgestellt; ders. 1913 Reden u. Aufs. (W. XI 734) Seine Büsten sind bedeutsame Leistungen einer menschendeutenden Poträtkunst; ders. 1923 Nachtr. (W. XIII 281) ist er ein Dirigent ersten Ranges, .. aufgewachsen unter Mahler in Wien, dessen Büste von Rodin sein Arbeitszimmer schmückt; ders. 1946 Reden u. Aufs. (W. X 508) die guten Eltern . . führen ihn zur Prüfung zu dem Musikgewaltigen, welcher die Leutchen in seinem prächtigen Arbeitszimmer mit Beethoven-Büste und Bechstein-Flügel empfängt; ders. 1947 Faustus (W. VI 441) wo Ines' Büste, von einem . . Bildhauer in Alabaster gearbeitet, auf einer Säulenkonsole stand; Welt 7. 5. 1949 mein liebster Junge! Vor mir steht Deine Büste. Wenn ich aufseh', seh' ich in Dein liebes Gesicht; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 603) wir erstiegen die . . Freitreppe, empor zu der Flucht der Empfangsgemächer, welche, mit Büsten ehemaliger Könige . . geschmückt, . . dem königlichen Audienzzimmer vorgelagert sind; Heuss 1963 Erinn. 379 daß der Kunstausschuß des Reichstags den Erwerb einer Ebert-Büste .. abgelehnt habe; ND 9. 7. 1969 überreichte Erich Honecker den Schrittmachern des kommunistischen Aufbaus . . eine Büste von Karl Marx; Zazoff 1970 Antike Gemmen o. S. Büste mit ärmellosem Gewand bedeckt . . Motiv kommt in einer Reihe von Repliken seit dem 1. Jh. v. Chr. vor; Zeit 26. 4. 1985 im Park vor dem Mu-

seum wurde eine Büste [Humboldts] enthüllt; ebd. 17. 5. 1985 die konservative Times lichtete beide [engl. Premierministerin und einen ihrer Minister] im Büstenformat ab; ebd. 1.11 985 was ist Schulkultur? Natürlich, da steht Ciceros/ Heisenbergs gipserne Büste in der Aula des Gymnasiums; MM 7. 6. 1986 wurde die Büste Ludwigs II: von dessen Urgroßneffen . . enthüllt; Zeit 20. 3.1987 liegt.. der für die Walhalla entstandenen Büste des Komponisten Gluck eine Arbeit des barock-naturalistischen Plastikers Houdon zugrunde; MM 18. 2. 1988 zeigt [er] auf die aus weißem Marmor gefertigte Büste „die Muse", von Constantin Brancusi im Jahr 1912 geschaffen; ebd. 27. 2.1996 Der römische Kaiser Julius Cäsar, unser Bild zeigt seine Büste im Römisch-Germanischen Museum in Mainz, ist für die Kalenderreform verantwortlich (Bildunterschr.). Büste b: König 1861 Stilleben I 40 Josephine besaß für eine Luise Miller zu wenig schlanken Wuchs und zu viel — „Büste" — Man verzeihe beiläufig das Wort, das in jene Zeit nicht passt, womit aber unsere prüde Gesellschaft den warmen Gegenstand, den es bezeichnet, durch die Erinnerung an Marmor und Gips für die Phantasie abzukühlen liebt; Eckstein 1876 Satir. Zeitbilder 3 wir sagen „die schöne Büste", ohne uns klar zu sein, daß wir eigentlich nur das Mieder im Auge haben; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernfungen 135 [er] sah mit einem fast gequälten Blick über die zu knappe Taille hin, deren Ausschnitt die allzuüppige Büste .. umschloß; Th. Mann 1900 Erz. (W. VIII 175) eine Bluse aus heller und ganz leichter Seide umhüllte ihre Büste; 1909 (H. Mann 1960 Stadt 181) Die Primadonna setzte die Hände auf die Hüften und warf die Büste nach vorn (DUDEN 1993); Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 360) die matt schimmernde Weiße dieser zarten . . Büste, die sich in der bläulichen Schleierdraperie verlor, hatte viel Natur; Voss. Ztg. 16. 10. 1926 trug nur Bruchs unzerreißbare Strümpfe, markierte die Brust nur mit Büstenhalter „Dorian"; 1935 „Duden"-Sammlung o. S. Glauben Sie nicht auch, daß Sie gut beraten sind, wenn Sie einen „Benger-Ribana" mit dem vollendeten Büstenhalterschnitt wählen? (Anzeige); 193# Münch. N. N. Nov. in helle Empörung geriet er [Zuschauer im Kabarett] darüber, daß die Tänzerinnen .. keine Büstenhalter trugen; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 371) Frau Elmenreich, einen Pfeil in der Frisur, die hochgegürtete Büste wegen der Nähe der Haustür von einer Strickjacke umhüllt; Münch. Abendztg. 18. 11. 1949 im Pressehaus der Bundeshauptstadt bot heute .. eine Frau Textilien und „Büstenhalter in bester Ausführung" an; Sieburg 1950 ]ahre 259 die Attribute dieser Zivilisation, die ich im Geiste stets eine Zivilisation des

Butler Büstenhalters nannte; Münch. Abendztg. 20.9. 1951 Büstenhalter-Krieg vorerst beendet (Überschr.) Das Triumph-Büstenhalter-Modell . . steht jetzt der Damenwelt wieder zur Verfügung; Welt 3. 4. 1954 strömte man zu einer .. Komödie um Gina Lollobrigida, deren Büste bisher vielleicht etwas mehr hielt als ihre Kunst; 1958 Werbeprospekt d. Firma Triumph o. S. Alle Triumph-Büstenhalter tragen auf der Innenseite ein kleines Einnähfähnchen, das durch Farbe und Aufdruck den Formtyp (Büstengröße) des Modells kennzeichnet; Süddtsch. Ztg. 16. 4. 1962 Damen-Badeanzüge . . gut Büstenausarbeitung, angeschnittene Träger (Anzeige); Grass 1962 Blechtrommel 234 Marias Kleid und Unterrock hatten sich über den Büstenhalter bis vor die Achseln gerollt; ND 15. 8. 1964 Nurmi — der BH der eleganten Dame. Verleiht Schick und

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Formschönheit auch der optimalsten Büste; Ratgeber 6. 2.1969 Gemessen am ehrwürdigen Alter der Mode ist der Büstenhalter ein sehr junges Kleidungsstück . . In den 20er Jahren entstand die erste noch sehr umständliche Büstenhalter-Produktion für Kundinnen; 1971 Ja zum Leben V 3 die Büste ist mit ihren allzu weiblichen Rundungen der ständige Kummer der Molligen; Spiegel 8. 2. 1993 „.. der indische Sari wird sexier, . . wenn Frauen statt Blusen einen Büstenhalter tragen". Bustier: Zeit 10.4. 1987 Hits der Kollektion sind .. das Bustierkleid aus Tüll und Vinyl; Spiegel 8.2.1993 „Selbst der indische Sari wird sexier", preist Designer Suneet Varma sein goldfarbenes Bustier. GS

Butler M. (-s; -), Mitte 19. Jh. entlehnt aus engl. butler 'Kellermeister, Haushofmeister, oberster Diener' (< altfrz. bouteillier 'Kellermeister' < gleichbed. mlat. buticularius, zu but(t)icula 'Krug, Fäßchen'). In der Bed. 'Diener eines vornehmen Hauses; Kellermeister', zunächst auf engl. (Adels-)Häuser bezogen, dann auch allgemeiner. Kohl 1844 Brit. Inseln 111 221 Kellermeister (Buttler); Nürnberger 1855 Amerikamüde 372 Nein, nicht unverhofft trifft mich mein Buttler! Ich habe Miragen von ihm, ich weiß, daß er kommen wird; Grube 1858 Charakterbilder l 102 Der Haushofmeister, in England butler genannt (SANDERS 1871); T/7. Mann 1909 Hoheit (W. U 227) Sie saßen am Teetisch nieder, unter Beistand des Butlers, der die Lehnen der Stühle hielt, die Stühle unter sie schob; Schmilz 1914 Land 83 Für die, welche ihn persönlich bedienen, ist der Chef des Personals, der Butler, verantwortlich; Hurst 1927 Mannequin 38 Annie . . las von den schwarzen Tafeln: Gesucht: l Butler. 4 Chauffeure; Münch. N. N. 29. 10. 1939 Gelassenheit . ., mit der sie sonst über Golf, Bridge, ihren Butler (diesen Inbegriff englischer Wohlerzogenheit) . . zu klatschen verstehen; Benn

1948 Gedichte (Ges. W. Ill 242) und der Butler schnarcht in Porterträumen; Süddtsch. Ztg. 29. 4. 1953 Bevor noch der weißhaarige Butler die Tür öffnen kann; ebd. 20. 10. 1960 können sich zur Zeit immer noch 600 Familien in Großbritannien einen Butler leisten. Ein Butler ist nach wie vor das Symbol eines wirklich vornehmen und großen Hauses; FAZ 18. 3. 1970 Butler, examiniert, Auslandserfahrung, Engl. perf., Franz.-Kenntn., Führerscheine, etc., sucht Vertrauensstellung in gepflegtem Haus (Anzeige); Welt 31. 10. 1974 Sogar des Landes Erster Banker .. beschäftigt keinen Butler, keinen Gärtner und keinen Chauffeur; Stern 22. 12. 1987 kaum sind die . . Gäste in der Halle versammelt, von Dienstmädchen mit Champagner versorgt und von einem Butler.. in die Situation eingewiesen. HK

byzantinisch Adj. (ohne Steigerung), seit späterem 18. Jh. nachgewiesen (nach lat. Byzantinus 'byzantinisch; Byzantiner', zu Byzantium 'Byzanz, Hauptstadt des byzantinischen Reichs, der griechischen/oströmischen Kaiser vom 4. bis 15. Jh.'; vgl. gleichbed. älteres frz. Byzantin und etwa gleichzeitig aufgekommenes engl. Byzantine). a Zunächst in der Bed. 'auf Byzanz bezogen, die griechische/oströmische Kaiserzeit betreffend', bes. in der Kunstgeschichte in Verbindungen wie byzantinischer Stil, byzantinische Kunst, Architektur. b Seit Mitte 19. Jh. vom Zeremoniell am byzantinischen Hof übertragen und bildungsspr. in der heute veraltenden Bed. 'kriecherisch, devot, schmeichlerisch, unter-

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würfig', als Modewort in der politischen Publizistik des späteren 19. Jhs. bes. auf die höfischen Kreise Kaiser Wilhelms II. bezogen. Dazu seit spätem 18. Jh. die Personenbezeichnung Byzantiner M. (-s; -) (vgl. lat. Byzantinus), 'Dichter, Geschichtsschreiber zur Zeit des byzantinischen Reichs' bzw. allgemeiner 'Untertan des byzantinischen Reichs' (zu a); seit späterem 19. Jh. im heute veraltenden Sinn von 'Schmeichler, Kriecher' (zu b); dazu etwa gleichzeitig die heute veraltende subst. Ableitung Byzantinertum N. (-s; ohne PL) 'Schmeichlertum, Kriechertum' (zu b). Seit Mitte 19. Jh. die subst. Ableitung Byzantinismus M. (-; ohne PL) (vgl. gleichbed. frz. byzantinisme), 'Kunststil zur Zeit des byzantinischen Reichs' (zu a), seit späterem 19. Jh. im heute veraltenden Sinn 'Schmeichelei, Kriecherei', bes. auf die wilhelminische Kaiserzeit bezogen (zu b); seit früherem 19. Jh. die Wissenschaftsbezeichnung Byzantinistik F. (-; ohne PL) 'Wissenschaft von der Geschichte, Kunst und Kultur der griechischen/oströmischen Kaiserzeit' und seit Anfang 20. Jh. die Personenbezeichnung Byzantinist M. (-en; -en) 'Wissenschaftler, der die Geschichte, Kunst und Kultur der griechischen/oströmischen Kaiserzeit erforscht' (beide zu a). byzantinisch a: Baumgarten 1766 Religionspartheyen 421 f. Schriften . ., die . . in die spätem Zeiten und unter die so genannten byzantinischen Schriftsteller gehören; Goethe 1814 Br. (WA IV 25,73) in Betrachtung der Boissereeschen Sammlung, wo man die Stufen der niederländischen Kunstschule, durch das byzantinische und gräcisirende Bemühen, bis zu Johann van Eyck . . kennen lernt; ders. 1816 Kunst u. Alterthum (WA l 34.1,164) Die byzantinische Mahlerschule hatte in allen ihren Verzweigungen mehrere Jahre wie über den ganzen Westen auch am Rhein geherrscht; ebd. 34.1,180 Schon in den altern byzantinisch-niederrheinischen Bildern finden wir die eingedruckten Teppiche manchmal perspectivisch . . behandelt; 1821 Kunstblatt 314 lombardischen oder byzantinischen Styls; Hase 1829 (1896 Erinn. 9) gingen wir . . zum Portale des Schottenklosters, einem Denkmale byzantinischer Kunst; Schubert 1830 Gesch. d. Seele 880 byzantinische Bauart; Rumohr 1831 Forschungen III 221 die neu aufgekommene Benennung, byzantinische Architektur; Grillparzer 1836 S. W. XX 38 Die Dreifaltigkeitskirche byzantinisch wunderlich; Vischer 1839 Br. Italien 75 byzantinische Basiliken; Waagen 1839 Kunstwerke III 233 Anm. local-byzantinischen Einfluss; HahnHahn 1844 Oriental. Br. I 211 den byzantinischen Styl; Kohl 1844 Reisen in England u. Wales H 69 f. was die Engländer normannisch nennen .., nennen wir byzantinisch; Moltke 1846 Wanderbuch (Spanien) 135 die schweren Würfelknäufe der byzantinischen Architektur; Lotze 1847 Kl. Sehr. 258 Byzantinische Baukunst; Kugler 1849 Kl. Sehr. H 48 Kathedralen im sogen, byzantinischen Style; i 852 Prutz' Museum 1882 Byzantinisch jede Fuge,/ Bogen, Bögelchen und Kehlen; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVI 61) Steinerne Bildsäulen stan-

den vor ernsten byzantinischen Fronten; ebd. XVI 181 Ich konnte nicht zeichnen, daher fiel das Ganze etwas byzantinisch aus; Harden 1892 Apostata N. F. 202 Uferlose Projekte, wüste Ausschreitungen, byzantinische Phantasie, neronische Bauwuth; 1893 Byzantin. Zeitschr. U 356 Fortleben des Byzantinischen in Italien; Bierbaum 1910 Reife Früchte 67 bunte, edelsteinbeladene russische Heiligenbilder, byzantinische Madonnen neben tibetanischen Malereien auf Seide; 1911 Byzantin. Zeitschr. XX 353 „Die byzantinische Frage ist heute kaum noch umstritten. Unumstößliche Beweise sind dafür beigebracht, daß die byzantinische Kunst das ganze Mittelalter hindurch ihren Einfluß auf das Abendland ausgeübt h a t . ."; Wätzold 1921 Kunsthistoriker l 249 f. Jetzt schob Schlegel zwischen Antike und Gotik als vorgotisch den sog. byzantinischen Stil ein; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. X 649) wir sind im Begriffe, uns vom christlich-byzantinischen Morgen zur Mitte . . zurückzufinden; i 933 Festschr. a. Egger 18 Herausbildung des eigentlich „Byzantinischen", Neu-Hellenistischen; Höpker 1936 Rumänien 107 Es könnte in Rumänien . . das Byzantinische eine Wiedergeburt in der religiösen Sphäre erleben; 1950 Festschr. a. Stolbreither 210 des sogenannten byzantinischen Stiles; jaspers 1958 Atombombe 173 Sie sind durch das byzantinische Christentum geprägt; Partner 1964 Erben 63 zahlreiche Gräber mit byzantinischen Münzen; Welt 11. 4. 1964 Indes bleibt ungeklärt, inwieweit er . . byzantinischer Kunst verpflichtet ist; Kahsnitz 1970 Typare o. S. Die völlige Anpassung an den byzantinischen Typ . .: das Kind schmiegt sich in inniger Umarmung an das Gesicht der Mutter; Schuchert 1970 Kirche o. S. die römische Kirche war damals ganz italischbyzantinisch eingestellt; Zeit 30. 8. 1985 Chinas ..

byzantinisch Geheimnis .. wurde .. entschleiert — .. von spionierenden Mönchen des byzantinischen Kaisers Justinian; ebd. 6. 9. 1985 Ein Fest, .. großartig bis ins Byzantinische; MM 15.6.1987 der Einfluß byzantinischer Musik (als einer „Kraftquelle"); Spiegel 26. 6. 1995 ET besucht die Gottesdienste, die nach byzantinischem Ritus abgehalten werden. Byzantiner: Forster 1789 W. XI 166 Er scheint unserer Sprache und Litteratur kundig zu seyn, und hat in Rücksicht der alten Geographie die Stritterischen Auszüge aus den Byzantinern fleißig genutzt; Goethe 1816 Kunst u. Alterthum (WA I 34.1,189) Den Byzantinern standen die unschätzbaren Werke hellenischer Kunst vor Augen; Th. Mann 1939 Reden u. Aufs. (W. IX 593) die Schönheitsmerkmale des europäischen Frauenideals, wie Byzantiner, Troubadours, die mittelalterlichen Dichter sie gefeiert; Partner 1964 Erben 298 Otto III., der Sohn der Byzantinerin Theophano, ließ damals das Grab Karls in der Pfalzkapelle öffnen; Zöllner 1970 Gesch. d. franken o. S. um die Mitte des sechsten Jahrhunderts bei dem Byzantiner Johannes Lydus . . wird als Namengeber des Volkes ein Heerführer Francio . . genannt. Byzantinismus: 1854 Weimar. Jahrb. I 187 Die in Byzantinismus versunkene [Kultur] weicht nach und nach der an der Antike erfrischten Kunst; J854 Prutz' Museum l 94 wenn der Hellas-Perieget nicht auch noch Culturhistoriker und Adept des Byzantinismus ist; 1858 (Herrn 1892 Tagebuchbl. 40) So auch sind die Russen in der Philosophie Anhänger Feuerbachs, indess die Kirche in der Urgestalt des Byzantinismus vom Jahre 1000 verharrt; Bock 1859 Liturg. Gewänder I 253 wie .. die Fesseln eines stereotypen Byzantinismus .. auf allen Gebieten der Kunst . . gelöst wurden; Riehl 1861 Land u. Leute 33 und aus der verdorbenen Antike und dem Byzantinismus wächst rasch ein im innersten Wesen neuer romanischer und germanischer Kunststyl auf; Nordau 1881 Paris l 144 Realismus . ., der in der Schauspielkunst das ist, was in der Malerei das Cinquecento im Gegensatze zum Byzantinismus; Harden 1927 Versailles 484 Der Militarismus ist bekämpft, der Byzantinismus gezüchtet worden. In Ost und West lauert die Feindschaft. Germanen, Slawen, Islam; 1934 Geograph. Zeitschr. 441 Man ist heute . . zu einer wesentlich anderen Auffassung der byzantinischen Kultur und Geschichte gelangt, ja vielleicht schwingt in der heutigen Wertschätzung des Byzantinismus das Pendel .. zu sehr nach der anderen Seite. Byzantinist: Geizer 1909 Byzantin. Kulturgesch. l Forschungsarbeit . ., wie sie durch die führenden

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Männer unter den Byzantinisten vollzogen worden ist; 1934 Geograph. Zeitschr. 441 dank der intensiven Forscherarbeit der Byzantinisten; Süddtsch. Ztg. 24.10. 50 der stilistisch grösste deutsche Byzantinist, dessen „veraltete" Schriften heute noch faszinieren; 1956 Wiss. Annalen V 604 die Krisenerscheinungen . . werden von der Byzantinistin und Orientalistin N. W. Pigulewskaja . . bearbeitet; Zeit 13. 6. 1986 während international hoch angesehene Ägyptologen, Byzantinisten, Arabisten oder Mittellateiner . . Mindestgehälter beziehen. Byzantinistik: Burckhardt 1842 Kunstwerke (1123) Byzantinistik; 1892 Byzantin. Zeitschr. l 3 Aus den früheren . . Bestrebungen, die in irgend einer Weise auf die Erkenntnis des osteuropäischen Mittelalters gerichtet waren, beginnt die Byzantinistik als neue . . Wissenschaft sich herauszubilden; 1938 Aquädukt 67 das griechische Mittelalter zu erobern, und eine neue Disziplin, die „Byzantinistik", ins Leben rief; 1956 Altertum II 38 Man könnte vielleicht annehmen, daß .. das Studium der Byzantinistik . . nur von einer rein theoretischen Bedeutung . . sei. byzantinisch b: Häusser 1851 Denkw. 5 der ganz byzantinisch ausgedüftelten Wissenschaft der Verbote, Hemmungen, Schranken und Chicanen; 1866 Grenzboten IV 30 mit wahrhaft byzantinischen Phrasen den . . Kronprinzen von Hannover glorificiert; Braun 1881 Bilder l Vorr. IX byzantinischschweifwedelnd; Treitschke 1898 Politik II 8 byzantinische Schmeichler; 1908 Zukunft LXV 279 Die Ehrfurcht vor einem Fürsten zeigt sich nicht darin, dass man ihm byzantinisch zu Füssen liegt und ihm schmeichelt; Buhl 1920 Reden 226 byzantinisch dem neuen Herrn huldigend; Reibnitz 1928 Gestalten 165 Haben seine Ratgeber nicht genügend Einfluß auf ihn oder sind sie zu byzantinisch, um dem Kronprinzen zu sagen, daß sein Verhalten nicht den Traditionen des Hauses Hohenzollern entspricht; Sosnosky 1929 Franz Ferdinand Vorr. VII den byzantinischen Stil . . für derartige Jubiläumsschriften [für Herrscher]; Hiltebrandt 1930 Erinn. an Biilow 14 in byzantinischer Weise — „wir ersterben in Verehrung vor Eurer Kaiserlichen Majestät"; 1934 Hindenburg-Denkmal Ergbd. 87 byzantinischem Schweifgewedel; Zeit 3. 5. 1985 In seinen byzantinischen Sätzen tauchen auch vernünftige Argumente auf. Byzantiner: Busch 1870 (Tagebuchbl. l 571) Abeken als Byzantiner reinsten Wassers; Harden 1891 Apost. l 30 liberaler Byzantiner (LADENDORF); Fontäne 1898 Zwanzig 420 in gewissem Sinne bin

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ich der richtige Byzantiner. Ich leugne . . nicht, daß . . ich immer für die Kaiserin von Rußland [bin]; 1899 Grenzboten l 71 scharf und entschieden des Kaisers Sache zu führen und es auch zu ertragen, wenn man nach beliebter Mode Byzantiner gescholten wird; Reventlow 1906 Kaiser Wilhelm II. und die Byzantiner (Titel); 1908 Zukunft LXII 73 nicht nur Byzantiner dürfen behaupten, daß er „auch in engeren höfischen und militärischen Kreisen beliebt und geachtet ist"; Harden 1927 Versailles 56 diese Byzantinersitte war allgemeiner Brauch; K. A, v. Müller 1932 Der lll.Dtsch. Reichskanzler 25 [Hohenlohe-Schillingsfürst] war . . niemals Schmeichler oder Byzantiner. Byzantinertum: Kapp 1876 Amerika I 358 Es sollte die allmälige Entwicklung eines unter blasirter Scheinkultur .. herangewachsenen jungen Mannes schildern, welcher sich zuletzt aus dem Kampfe mit dem Byzanthinertum seiner Zeit siegreich emporarbeitete; Marees 1886 Br. 251 Freilich erscheint es mir wünschenswerth, wenn die Befreiung vom Byzantinerthum, in das nun Alle, ohne jegliche Ausnahme, verfallen sind, entscheiden durchgeführt wäre; 1888 Grenzboten II164 ekelerregenden Byzantinertum; Fernau 1917 Durch! 57 warum ihm [dem Reichstag] immer ein Geruch von Dienstbarkeit und Byzantinertum angehaftet hat; 1928 Am Webstuhl d. Zeit (Delbrück-Gabe 33) Delbrück ist der Ansicht, daß es sehr wohl ein Byzantinertum geben könne . . Die Lehre, von einem Beamten müsse verlangt werden, daß er der Republik nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern mit dem Herzen diene, ist für Delbrück ein Greuel; Brauer 1936 Im Dienste Bismarcks 350 kam jenes Byzantinertum auf, das sich durch Schimpfen auf den Altreichskanzler oben beliebt zu machen suchte. Byzantinismus: vor 1871 Magazin d. Ausld. XXXVI 356a Sittenverderbnis, die man in Deutschland . . mit dem Namen Byzantinismus gebrandmarkt hat (SANDERS 1871); Nürnberger 1877 Herzenssachen 314 wie ich über dasselbe Thema der Corruption, der Fäulniß, des Prätorianerthums der Mittelmäßigkeit und der Niedertracht, des Byzantinismus in allen Gestalten mit längst erschöpfter Geduld mein Herz zu erleichtern pflege; Lagarde 1878 Dtsch. Sehr. 1878 Vermittlungstheologie irgend eines hochamtlichen Byzantinismus (LADENDORF); Nordau 1881 Paris I 217 Es hat sich in Frankreich unter dem Einfluße des herrschenden Regierungssystems .. ein eigenthümlicher Byzantinismus herausgebildet, der Byzantinismus gegen den Staat; Bismarck 1881 Polit. Reden IX 171 Der Byzantinismus ist in unsern Zeiten nie so weit getrieben worden, als in der Anbetung der Majoritäten; Nordau 1883 Lügen 108

Dieser Byzantinismus ist und bleibt bewußte Lüge. Er hat keine Wurzel im Gemüte (LADENDORF); Bismarck 1885 Reden XI 144 die Meinungsäußerungen der gegnerischen Fraction dadurch herunterzusetzen, daß man sie als Byzantinismus, als Inspiration der Regierung darstellt; 1887 Grenzboten IV 500 die Akademie wegen der Huldigungen, die sie ihrem Erneuerer darbringt, „des Byzantinismus zeihen"; Ferri 1895 Socialismus (Übers.) 164 Das politische Leben unserer Zeit kann nur entarten und zum verkommensten Byzantinismus werden; Fontäne 1898 Zwanzig 462 daß die preußische Welt seit König Friedrich Wilhelm I. beständig wachsende Fortschritte, nicht im „Männerstolz vor Königsthronen", sondern umgekehrt im Byzantinismus gemacht hat; Geizer 1909 Byzantin. Kulturgesch. l „Byzantinismus" gilt bei uns als der technische Ausdruck für eine knechtische Schweifwedelei; Kemmerich 1910 Dinge 296 Wie wenig Byzantinismus und Schweifwedelei mit Patriotismus und Königstreue zu tun hat, lehrt die Geschichte von Byzanz schlagend; Oncken 1914 Aufs. 16 mit jenem Byzantinismus nach oben; Diederichs 1918 Br. 318 unsere Lage . . ist die Folge unserer Charakterlosigkeit und unseres Byzantinismus; Dombrowski 1920 System H 224 dabei habe ich den Kaiser gar nicht treffen wollen, sondern nur den ekelhaften Byzantinismus des Bürgertums; Friedell 1928 Kulturgesch. II 409 ob es ein raffinierter Byzantinismus ist; Niekisch 1929 Gedanken 29 Byzantinismus der wilhelminischen Zeit; Gebauer 1932 Kulturgesch. 464 phrasenreicher Byzantinismus; 1942 (Hofdamen-Br., Einl. 11) Der gemilderte Byzantinismus, den man bei [der Gräfin Sophie Scharnhorst] . . studieren kann, ist ihr . . zur zweiten Natur geworden und wirkt . . nicht unsympathisch; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 732) Wenn nur der kränkende und erbärmliche, zu jedem Eselsritt, jeder Verleugnung und Beschimpfung des Vergangenen immer überbereite Byzantinismus der anderen nicht wäre; Berrsche 1949 Trösterin 9 immer nur das zeitlos Wertvolle zu suchen und jede Art von Byzantinismus gegen Tote ebenso zu meiden wie gegen Lebende; Salomon-Delatour 1959 Soz. 145 daß Napoleon den Zaren Je grec du bas Empire" nannte, und daß Talleyrand Alexander als einen Heuchler ansah .. sie konnten weder den Byzantinismus noch die Prophezeiungen der Apokalypse . . verstehen; Partner 1964 Erben 291 wenn man annimmt, daß ein gewisser Byzantinismus im erlauchten Kreis der Aachener Geistesfürsten seine Blüten trieb; Zeit 7. 3. 1986 Die Baldachine des Byzantinismus, die sich seit Chruschtschows Tagen über alle sowjetischen Parteitage wölbten. HK

Cafe N. (-s; -s), Mitte 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. cafe M. (< gleichbed. ital. caffe < gleichbed. türk. kahve < arab. qahwah 'Kaffee', auch 'berauschendes Getränk, Wein'; —»· Kaffee), anfangs in Schreibformen wie Coffe(e), Caffe(e) und oft M., dann in Anlehnung an zurücktretendes dtsch. Kaffeehaus (s. u.) mit neutralem Genus. Zunächst häufig auf frz. (bes. Pariser) Verhältnisse bezogen, seit Ende 18./Anfang 19. Jh. vor allem mit dem Aufkommen frz. Syntagmen als Namen für dtsch. Kaffeehäuser, z. B. Cafe Royal, Cafe francaise (s. Belege 1786, 1827, 1833), bald allgemein verbreitet in der Bed. 'Gaststätte, in der (in entspannter, kultivierter Atmosphäre) vorwiegend Kaffee und Kuchen (oft mit musikalischer Unterhaltung) angeboten werden', gleichbed. mit älterem, heute nur noch österr. gebräuchlichem Kaffeehaus sowie bereits im 17. Jh. bezeugtem, aus engl. coffeehouse übernommenem Coffeehaus (—» Kaffee). Etwa seit Mitte 19. Jh. oft in den aus dem Frz. übernommenen Syntagmen Cafe chantant und Cafe-concert 'Cafe mit (kleiner Bühne für) Gesangsdarbietungen und Kabarett', dann auch in Wendungen wie ein kleines, gemütliches, vornehmes, modern eingerichtetes, überfülltes Cafe, in ein Cafe gehen, in einem Cafe sitzen, sich in einem Cafe verabreden sowie in Verbindung mit nachgestellten Orts- und Personennamen wie Cafe Wien/Paris; Cafe Schmidt/Schopenhauer/Minerva/Momus oder anderen Ausdrücken wie Cafe Papillon/Flair/Müßiggang, in Zss. wie Ausflugs-, Terrassen-, Nacht-, Straßen-, Boulevard-, Tanz-, Theatercafe; Cafegast, -bar (—»· Bar). Dazu die Ende 18. Jh. aus gleichbed. frz. cafetier entlehnte, heute veraltende Berufsbezeichnung Cafetier M. (-s; -s) 'Kaffeehauswirt, -besitzer', auch (nach frz. cafetiere) moviert Cafetiere F. (-; -n), daneben auch für 'Kaffeekanne'. Dazu das im frühen 20. Jh. aus gleichbed. amerikan.-engl. cafeteria (< span.-mexikan. cafeteria 'Geschäft, Laden, in dem Kaffee verkauft wird; Imbißstube') übernommene Subst. Cafeteria F. (-; -s und Cafeterien), österr. auch Cafeterie, 'kleines Restaurant oder Cafe mit Selbstbedienung; Imbißstube mit kalten und warmen Speisen und Getränken', z. B. in Wendungen wie die Cafeteria in der Uni, in der Pause ein Häppchen in der Cafeteria zu sich nehmen. Cafe: Parolebefehl 1750 (Witzleben, Parolebücher 37) [Befehl vom 12. November 1750:] Bei großer Ungnade Ihro Majestät des Königs soll sich kein Offizier unterstehen, auf denen Caffes [von Berlin] oder ändern Häusern Hasard-Spiele zu spielen; 1770 Aug. dtsch. Bibl. XIII 2,514 Das Caffee (soll heißen: Das Kaffeehaus); Sturz 1779 Sehr, l 38 in dem Caffe zu St. James [in London]; ebd. I 169 [Rousseau] ging hierauf nach Paris und lebte

äußerst eingezogen . . Er besuchte zuweilen den Caffe de la Regence und sprach freundlich und gerne mit Jedermann; Gessner 1784 Briefw. 14 Im Richterschen Caffee, wo in sechs bis sieben Zimmern hintereinander fünf bis sechshundert Personen aus allen Nationen sich beinahe zerdrücken, zogen mich besonders die Türken und Griechen an; 1786 Jornal d. Moden l 387 Unter den Cafes sind die Cafes du caveau .. und de Valois die an-

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sehnlichsten; 1795 Beitr. z. Gesch. d. frz. Revolution III 440 diese ausgedehnten, langweiligen Details über den Kaffe „Corazza"; Heinzmann 1795 Pest d. Lit. 213 Die Cafes literaires, die Bureaux de Gazettes, die Leseläden, die Gesellschaftszimmer halten sie — wie man den Courrier du BasRhin hält; Frau Rath Goethe 1799 Br. II 61 Das [ihr Besuch bei der Königin] war gleich in allen Coffe [!] und Weinhäussern, in grossen und kleinen Gesellschaften; Schalter 1804 Stuziade U 221 Und nun wohin? .. Au Cafe? Pah!; Heine 1827 Ideen (III 154) im Cafe Royal zu Berlin; Wit v. Dörring 1830 Fragmente I 395 [Ich] ging gewohntermaßen in das herrliche Kaffeehaus an der Ecke des Platzes St. Charles [Turin]. Meine Wohnung stieß hart an dieses Caffe; Borne 1833 Br. a. Paris (Ges. Sehr. VI 82) im Cafe Francaise unter den Linden; Gaudy 1836 Tagebuch (I 214) Ich schlenderte recht trotzig nach einem Kaffeehause .. Im Cafe kommandirte ich, um mir ein Air zu geben, die Französische Zeitung; Gutzkow 1837-44 Reiseeindrücke (XI 40) Wirtschaften waren Cafes geworden; Devrient 1839 Br. a. Paris (IV 9) Freilich ist man hier in den Cafe's wie zu Hause; Gutzkow 1846 Pariser Eindrücke (XII 428) was thun? Im Cafe sitzen und Domino spielen!; nach 1847 Nationalztg. XX 468 Ein sogenanntes Cafe chantant (SANDERS 1871); 1852 Prutz' Museum II 566 Was der Kamin für das Haus, ist das Cafe für den Ort, jedes große Dorf [in Frankreich] hat sein Cafe, das jedoch, wie bei uns, mit Conditorei verbunden ist. Der Kafe [!] aber ist ein Luxus wie der Ofen, der Franzose nimmt ihn stets mit Branntwein; 1853 ebd. II 523 das cafe-chantant, wo der Bürger quasi theatralische Schauspiele hat; Niendorf 1854 Paris 58 diess Cafe-Restaurant-Wesen; ebd. 139 Noch um Mitternacht rings blendende jardins dansants, cafes chantants — Bezeichnungen, bei welchen man sich in einer Mährchenwelt [!] wähnen könnte; Rodenberg 1856 Pariser Bilderbuch 168 Das Cafe Momus (SANDERS 1871); ders. 1863 Strassensängerin II 129 noch klingt Musik und Saitenspiel, noch schimmern die Gassterne des Cafe chantant; Fontäne 1870 Br. I 205 in guten Hotels und Cafes; Wallner 1872 Ufer 53 ein französisches Cafe-chantant, mit dem eine Spielhölle verbunden ist; Stieler 1876 Els.-Lothr. 32 Das echte Cafe chantant, wie es ja keine französische Stadt entbehren kann, ist im Cafe du Midi. Dort tritt die Chansonetten-Sängerin . . vor das Publikum; Lindenberg 1883 Berlin 112 die Wiener Cafe's, die sich so rasch ihr Terrain in Berlin erobert haben; Harnstein 1890 Mem. 85 einen Pariser Koupletsänger, der einem Cafe chantant entsprungen war; Seefeld 1895 Reisestudien 43 Besitzer von Vergnügungs-Etablissements, insbesondere von Cafes-Concerts; Thurau 1901 Refrain 186 Tanzchansons der Cafe [!] concerts; Th.

Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 263) er sprach von englischen Cafe-Konzertsängerinnen; Huret 1909 Berlin 77 hellerleuchtete Nachtcafes; Suess 1916 Erinn. 206 [in Kairo viele] Cafe chantant oder irgend eine noch schlechtere Unternehmung, und die Sittenlosigkeit der Bevölkerung war in ganz Unterägypten bekannt; Hauptmann 1922 Phantom 105 Zusammenkunftsort der schönsten und kostspieligsten Prostituierten . . Es nannte sich Cafe-Restaurant; Hatzfeld 1922 Frz. Aufklärung 137 Madame d'Epinay .. erlebt die Neuerung, den steifen Salon in das zwanglose Cafe umzuwandeln; Benjamin 1924 Br. I 328 Diesen Brief schreibe ich im Cafe Bauer, einem der ganz wenigen echten und altmodischen, welche Berlin noch hat; Graf 1925 Gesicht 73 Die Frau Sekretär .. kommt mit drei Kindern ins Cafekonzert; Bert. Tagebl. 13. 3. 1932 Er hatte sich, nun Besitzer eines gutgehenden Cafe chantant, nicht zu steigern vermocht; Lokal-Anz. 23. 10. 1934 der richtige Pariser . . wird zu keiner Jahreszeit seinem geliebten Stammcafe untreu; M.A. Abendztg. 19. 7. 1944 die kleinen Mädel vom Cafe Chantant; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 304) Das Cafe „Schopenhauer" als Mittelpunkt des Viehhandels in einem deutschen Marktstädtchen; Bonn 1953 Gesch. 166 Erst nach dem Aufkommen des Automobil-Massenverkehrs wurden die Vereinigten Staaten ein Land, in dem an jeder Straßenecke ein Cafe oder Wirtshaus stand; ND 9.11. 1954 wir haben bereits ein Cafe „Warschau" und ein Restaurant „Budapest", sollte man diesem neuen Cafe nicht einen Städtenamen aus dem Lande unserer besten Freunde geben? Es sollte Cafe „Moskau" heißen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 455) besuchte ich die Cabarets, die CafeTerrassen, zumal die des Cafe de Madrid; Süddtsch. Ztg. 23.5.1957 Adieu Cafe! (Überschr.) Fast sieht es so aus, als ob die Gattung „Cafe" allmählich ausstürbe . . Soeben ist in München mit der Schließung des Cafe Fahrig das letzte Exemplar der zweiten Art aus der Gattung Cafe verschieden: das Concertcafe; ebd. 28. 6. 1957 Richtig in Mode ist .. das Straßencafe erst gekommen, seit die Münchner . . nach dem sonnigen Süden pilgern; Welt 10.1. 1959 der Aussichts- und Fernmeldeturm .., der in rund 130 Meter Höhe ein rotierendes Cafe erhält; Stuttgarter Ztg. 24. 3. 1961 Requiem für ein Pariser Cafe (Überschr.) [Cafe] „Weber" schließt nach hundert bewegten Jahren seine Pforten; Grass 1962 Blechtrommel 138 Bebra bat mich zu einer Tasse Mokka ins Cafe „Vierjahreszeiten"; Bildztg. 20. 2. 1967 Berlin. Eine warme Augustnacht, die die Menschen auf die Straßen und in die Boulevard-Cafes lockt; Späth 1970 Unschlecht 116 Wir zogen von einem Straßencafe ins nächste; Welt 11.6. 1974 portugiesische Offiziere und Soldaten, die man in Cafes häufiger antrifft

Cafe als auf Patrouille; MM 28.1.1985 seine [Kestens] ebenso kenntnisreiche wie amüsante Kulturgeschichte „Dichter im Cafe". Er belegte mit hunderten von Namen die Bedeutung des Cafes als kulturelle Brutstätte; Zeit 1.11.1985 Zur Stadtbäckerei gehört ein kleines Cafe mit Kaffeehaus-Tischchen und hellblauen Stühlen; ebd. 3. 1. 1986 ToulouseLautrec .. hat er seine vertraute Umgebung verlassen, den Montmartre, die Moulin Rouge, das Milieu der Dirnen . ., des Zirkus, der Cafes-chantants?; ebd. 29. 8. 1986 an der Theke des Literaturhaus-Cafes saß der Grazer Dichter Wolfgang Bauer; MM 23. 9. 1987 Die Grenze zwischen diesem Brunnen und den Hamburger-Restaurants und Schickeria-Cafes ringsum wird von einem Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei . . ständig kontrolliert; Zeit 24.11.1989 eine Galerie für neue Kunst, dazu ein Cafe und eine Teestube; Bälden 1990 Mädchen 23 dem vereinbarten Treffpunkt, einem eleganten Cafe in der Altstadt. Cafeteria: Smithanders 1926 Land u. Leute 138 Cafeteria. Unter diesem Namen hat sich infolge des Alkoholverbotes ein neuer Typ von Gaststätten herausgebildet. Sie sind die Küche von New York . . All die alleinstehenden Hunderttausende fliehen morgens, mittags und abends aus Wohnung und Bureau und strömen in Gruppenkolonnen in die cafeterias, wo sie den Tisch gedeckt finden . . und wo sie eine Auswahl von kalten und warmen Speisen erwartet. Zehntausende dieser Gaststätten gibt es; 1931 Handb. d. Amerikakunde 174 So hat zum Beispiel -eria .., das in cafeteria (aus dem Spanischen) ganz geläufig ist, zu hybriden Ungeheuerlichkeiten geführt wie bobateria 'Friseurladen für Bubiköpfe'; K. Mann 1939 (in: Dtsch. Lit. im Exil 96) am nächsten Morgen, in New York, beim Frühstück, in einer Cafeteria, war er wieder sehr traurig, hatte im Zug auch keinen Augenblick geschlafen; NZ. (Basel) 27. 2. 1950 Wie in den Cafeterias der Vereinigten Staaten . . ging jeder Mann an einer Reihe von Gefässen vorbei, die mit Brei, Reis oder Makkaroni gefüllt waren; Süddtsch. Ztg. 4. 9. 1958 Im Kellergeschoß ihres Kaufhauses hat die Firma Hertie jetzt eine Cafeteria errichtet; Sternberger 1958 Gefühl 99 ein Restaurant oder eine Cafeteria (eines jener sinnreich angeordneten Restaurants mit Selbstbedienung . .); Welt 2. 1. 1959 Gerard Philippe begrüßten wir bei einem Cocktail in der Cafeteria des UNESCO-Gebäudes; Süddtsch. Ztg. 25. 5. 1961 Selbstbedienungsgaststätte, im Stil und Typ einer sogenannten Cafeteria; FAZ 27. 7. 1963 kein Hotel kommt darauf, einen Cent extra zu berechnen, wenn man . . am Portier vorbei in die nächste Cafeteria geht; Offenburger Tagebl. 6. 5. 1968 Cafeteria im Handelshof. Die erste cafeteria der Bundesrepublik eröffneten

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wir am 8. Mai 1958 (Anzeige); Mittelbayer. Ztg. 18. 7. 1969 Das Restaurant der Mensa sowie die Cafeteria im Sammelgebäude sind von 10 bis 15 Uhr geöffnet (AWB); Münch. Merkur 20. 2. 1970 In der Cafeteria dürfen sie sich selbst bedienen; Süddtsch. Ztg. 22. 6. 1974 schwarz gestrichene Sichtbetonwände . . zerteilen die Cafeteria in sinnlose Nischen; Zeit 25. 1. 1985 in den Cafeterias von Universitäten und Museen, in Banken, Bibliotheken, . . — überall ist Rauchen verboten; MM 4. 9. 1987 Die Cafeteria verzeichnete .. seit dem Start des Vollwertessens keinen Run auf das Kuchenbuffet; Bälden 1990 Mädchen 39 in den meisten Kliniken gibt es heute eine Cafeteria. Cafetier: Moritz 1793 Grammat. Wb. l 177 Cafetiere. Eben so geziert, wie Tabatiere anstatt Tobacksdose, klingt auch Cafetiere anstatt Kaffeekanne, und Cafetier anstatt Kaffeeschenk; Jean Paul 1805 S. W. / 10,363 Abends machte den Waffentanz der Caffetier Fraisse mit einem Großvatertanz aus; Ranke 1828 Briefwerk 172 Um 7 fängt der Tag wieder an und kommt die caffettiera [!]; Burckhardt 1875 Br. an Alioth 7 unsere jämmerlichen Basler Cafetiers mit ihrem Geschmier; Heyse 1893 Ges. W. U 2,355 Du musst mir viel erzählen, wie es bei den Kameraden steht, ob Nino noch in den Fesseln der Cafetierswitwe schmachtet; HesseWartegg 1894 Andalusien 390 Ein ambulanter Cafetier hat hier an einem der Pfeiler einen kleinen Kohlenheerd mit ein paar Kaffeetöpfen und Tassen; Heyse 1901 Ges. W. // 2,486 stahl sich das geängstigte arme Ding in einer Nacht aus dem Hause und lief zu dem nichtsnutzigen Menschen, dem Cafetier, der sie mit seinen Schelmenliedern betört hatte; Eyth 1904 Strom 132 italienische Cafetiers; Weinheber 1925 Waisenhaus 115 „Das ist zu wenig", sagte die Cafetierin, und hinter ihrer Stimme begann das Gewitter heraufzuziehen; Kraus 1926 Menschheit (W. V 97) Er geht hinein und kehrt augenblicklich mit dem Cafetier zurück; Süddtsch. Ztg. 2. 9. 1953 Gespräch mit Cafetiers und Gaststättenbesitzern; Kirst 1954 Null-Acht Fünfzehn 297 „Hm", brummte Freitag nachdenklich. „Ihr Vater ist Cafetier — sagt man nicht so? Er ist also Geschäftsmann"; 1955 Süddtsch. Ztg. Nr. 261 Ein Cafetier im Tal ertappte in seiner Speisekammer zwei junge Buschen, die sich gerade mit einer Torte und einer Flasche Wein aus dem Staub machen wollten; 1956 ebd. Nr. 210 Branchekundiger Gastronom, 55 Jahre, Cafetier und Konditormeister, sucht wegen Geschäftsveränderung sofort passend. Wirkungskreis als Heimleiter (Anzeige); ebd. 23. 5. 1957 Die erste Art des Cafehauses, die literarische, . . haben wir bereits vor Jahren zu Grabe getragen, als die Wiener Cafetiers einen Protestmarsch gegen die Expresso-Betriebe veranstalteten; Münch.

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Callgirl

Stadtanz. 28. 6. 1957 „Alisi, trag' an Garten auf d' Straß' naus! Die Sonn' kommt!" ruft der Cafetier Krummschnabl; Welt 20. 5. 1969 Die Hotels sind ausverkauft, die Preise beträchtlich — fünfzig Schritt vom Festspielkasino kostet eine „Assiette

Anglaise", ein Teller mit vier Scheiben Wurst, 14 Franc ohne Bedienung, ein Tee vier Franc. Wo die Abschlüsse zwischen Europa und Amerika getätigt werden, geniert sich kein Hotelier, kein Cafetier. GS

Callgirl N. (-s; -s), Mitte 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. callgirl (aus call 'telefonieren' und girl 'Mädchen'), gelegentlich auch in der Schreibung Call-girl. In der Bed. 'junge Frau, die auf telefonischen Anruf hin Besuche macht oder Besucher empfängt und gegen Bezahlung deren sexuelle Wünsche befriedigt', bes. seit den 60er Jahren verbreitete verhüllende Bezeichnung (im Unterschied zu Hure, Dirne, Freuden-, Straßenmädchen, —* Prostituierte), als Bestimmungswort in Zss. wie Callgirl-Chefin, -Prozeß, -Report, -Ring, -Service, -Skandal und in der Präfixbildung Ex-Callgirl. Vgl. das in neuerer Zeit in Analogie dazu gebildete Subst. Callboy M. (-s; -s), auch Call-boy 'junger Mann, der auf telefonischen Anruf hin Besuche macht oder Besucher (innen) empfängt und gegen Bezahlung deren sexuelle Wünsche erfüllt', als Bestimmungswort in Zss. wie Callboy-Ring (—>· Dressman, —» Gigolo, —*· Playboy). Callgirl: Welt 1.8.1956 Wer verkauft sich? Ein Dutzend höchst attraktiver Call-Girls (was man wohl nicht weiter zu erklären braucht!) (STAVE 1968); 1958 FAZ Nr. 71 Tel Aviv ist so modern, daß die Polizei sich sogar jetzt mit dem Problem der „Callgirls" beschäftigen muß (DUDEN 1993); Koeppen 1959 Amerikafahrt 34 während die Haartönung der jungen Damen, ihr geleckter Mund und die blau oder grün umschatteten Augen hoffen ließen, es mit gegenwärtigen Callgirls zu tun zu haben; FAZ 19. 10. 1961 Trotz des strikten Verbots, Bordelle und bordellähnliche Betriebe zu unterhalten, fahren immer mehr Gemeinden fort, nicht nur beide Augen gegenüber der Einrichtung immer neuer Unternehmen . . zuzudrücken . . sie nehmen ja nicht einmal die sogenannten „CallgirlBetriebe" unter die strafrechtliche Kuppelei-Lupe (CARSTENSEN/GALINSKY); Welt 29.6.1963 Staatsanwalt Griffith-Jones ging auf die Bezeichnung Call-girl näher ein, die sich die Angehörigen eines bestimmten Gewerbes in jüngster Zeit zugelegt hätten; ebd. 31. 8. 1963 Er hat es mit dem, was die Spatzen von den Dächern pfeifen, mit dem, was man, glaube ich, Callgirl-Ring nennt (FINK); Süddtsch. Ztg. 21.9.1963 über das Verhältnis Profumos mit dem Call-Girl Christine Keeler (AWB); Carstensen 1965 Engl. Einflüsse 257 Girl war seit 1909 im Deutschen bekannt, aber jetzt lernen wir immer neue Fremdwörter kennen, die Girl als Bestandteil aufweisen: Taxigirl, Pin-up-girl, Playgirl, Partygirl, .. und besonders Callgirl; Stave 1968 Wörter 81 Selbst in dieser Kontroverse ging es noch darum, das Callgirl von der gewöhnlichen Prostituierten abzugrenzen, ihm einen höheren so-

zialen Stand zu sichern, oblgleich doch de facto kein Unterschied besteht; Mittelbayer. Ztg. 29. 3. 1969 Eva macht dagegen zuerst als Nachtlokal-Stripperin Karriere, sackt dann aber als Callgirl immer tiefer (AWB); Pfitzner 1978 Anglizismus 177 Gegenüber Prostituierte, Dirne, Hure, Straßen- oder Freudenmädchen erhält der Anglizismus „Callgirl" die zusätzliche Information, daß es sich um ein Mädchen handelt, welches auf telefonischen Anruf jemanden empfängt oder zu jemandem geht. Allerdings stehen sich hier . . verhüllende und präzisierende Stiltendenzen gegenüber, da das Fremdwort euphemistisch mildernd wirkt; Bunte 11.4.1979 In Frankfurt wurde ein Callgirl namens Rosemarie Nitribitt ermordet, ein Verbrechen, das bis heute nicht aufgeklärt werden konnte; ebd. 31. 10. 1979 1963 hatte sie es im Verein mit Christine Keeler geschafft, den damaligen englischen Heeresminister John Profumo zum Rücktritt zu treiben, weil er als einziger von Dutzenden liebeshungrigen Prominenten beim Spiel mit dem Luxus-Callgirl ertappt wurde; Stern 15. 11. 1979 Den Film-Autoren geht es um die Frage: Wie und warum wird man Barfrau, Callgirl oder Nutte? (alle drei AWB); Spiegel 17.3.1986 Seit Callgirls, die sich in den Tageszeitungen zu Hunderten anpreisen, ihnen die Kundschaft abspenstig machen und neuerdings auch noch AidsÄngste grassieren, ist es schwer geworden für die Branche (AWB); MM 4.5. 1987 im „Turmhahn" bestellt sich der von langer Fahrt ermüdete, zugleich angeregte Autor telefonisch ein Callgirl aufs Hotelzimmer; 1988 Sonntag Nr. 34 George darf in London Porno-Videos ausfahren und das rätsei-

Camouflage hafte Callgirl Simone, eine Dirne der Luxusklasse (Cathy Tyson), zu ihren Treffs kutschieren (AWB); Danelle 1989 Hotel 387 Evelyn Schulz . . war nicht gerade eine Hafenhure gewesen, aber auch kein elegantes Callgirl (DUDEN 1993). Callboy: Spiegel 9. 3. 1964 Fast zwei Jahre später vertraute ein anderer Jüngling („Ich bin Angehöriger eines Call-Boy-Ringes") der Poizei bei einer einschlägigen Vernehmung an, Ulrich habe Conrad liquidiert (CARSTENSEN); Welt 7. 2.1969 Dieses Schicksal wäre ihr erspart geblieben, wenn die Kripo nicht dahintergekommen wäre, daß Madame neben dem Callgirlring ohne Wissen der Behörden auch noch einen Callboyring ins Leben gerufen hatte (PFITZNER); Pfitzner 1978 Anglizismus 220 Um die Prostituierte, die auf Telefonanruf zu ihrer Kundschaft eilt, nicht beim Namen nennen zu müssen, bietet sich im Deutschen neuerdings der Euphemismus „Callgirl" und in Analogie dazu der „Callboy" an; Welt 23. 6. 1979 Einer vom ältesten Gewerbe — Henry Jaeger erzählt die Geschichte eines Callboys — .. Dieser Beruf gilt als das älteste Gewerbe der Welt, jedenfalls wenn ihn

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Frauen ausüben. Für den Mann hingegen ist das Gewerbe noch so neu, daß es nicht einmal eine deutsche Bezeichnung dafür gibt. „Kavalier" ist vieldeutig. Das englische „Callboy" hilft aus; Spiegel 9. 1. 1984 Männer für gewisse Stunden — Wolfgang Ebert sprach mit jenen Callboys genannten modernen Gigolos, die zur Zeit in den USA, Japan und auch Deutschland Hochkonjunktur haben (beide AWB); FAZ 13. 1.1984 Der sensible Herr mit Sonnenbrille war allerdings kein Fernsehpfarrer, sondern ist „Gesellschafter" — ein „Callboy", ein Freudenmann, käuflicher Kavalier (AWB); MM 3. 4. 1987 zur Feier von Simons Geburtstag hat Tony sich nun Rikki, einen Call-Boy, gemietet; Neue Revue 10.6. 1988 Callboys an Deck! San Francisco. - Im Kampf um zahlungskräftige Passagiere haben sich die kalifornischen Kreuzfahrt-Reedereien „Royal Cruise" und „Royal Viking" einen besonderen Service ausgedacht: Sie halten für alleinreisende Damen blendend aussehende und wohlerzogene „Gesellschafter" bereit. Laut Vertrag sollen die Herren jedoch dazu verpflichtet sein, ihren Dienst vor der Kabinentür zu beenden (AWB). RS

Camouflage F. (-; -n), im früheren 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. camouflage (zu camoufler 'tarnen; verschleiern, verbergen' < ital. camuf(f)are '(sich) verkleiden, verstellen; täuschen', ungeklärter Herkunft). Selten im militärischen Bereich in der veralteten Bed. 'Tarnung (bes. von Befestigungsanlagen)' (s. Belege 1940, 1966), meist übertragen gebraucht für 'Irreführung, Tarnung, Verschleierung (der wahren Absichten)', bes. im politischen Bereich, z. B. eine Politik der Camouflage betreiben; dazu seit Mitte 20. Jh. das V. trans, camouflieren (< gleichbed. frz. camoufler, s. o.), selten im militärischen Sinne 'tarnen' (s. Beleg 1948), meist übertragen für '(Absichten, Gedanken u. ä.) verbergen, verschleiern, verdunkeln', z. B. seine wahren Interessen, Pläne camouflieren. Camouflage: Ortega y Gasset 1931 Aufstand 149 Unstreitig gehören beide [New York und Moskau gegenüber Europa] ganz und gar zu jener Klasse von Erscheinungen, die ich . . als Produkte der historischen „Camouflage" bezeichnet habe. Die Camouflage ist ihrem Wesen nach eine Wirklichkeit, die nicht ist, was sie scheint. Ihr Anblick kündigt nicht, er verbirgt ihr Wesen. Darum führt sie die meisten Menschen irre .. Es ist wie bei der Luftspiegelung . . Bei jeder historischen Camouflage kann man zwei Schichten unterscheiden, die sich überlagern: eine tiefe, tatsächliche, eigentliche; eine andere scheinhafte, zufällige, oberflächliche; A. Zweig 1934 Einsetzung 27 Camouflage und holde Verbrämung überlasse ich euch, den Halbgöttern; Mast 1940 Soldaten 9 Unsere ehrenwerten Waffenröcke hatten schon manchen Wolkenbruch

geschluckt und trieben nun in den fahlen Farben herbstlichen Mooses [zur Tarnung] eine erinnerungsreiche Camouflage, so daß mit ihnen eben so wenig Staat zu machen war wie mit unseren engen Storchenhosen von anno dazumal; Th. Mann 1942 Nachtr. (W. XIII 177) der Brief .. wurde rasch in fast sämtliche Sprachen . . übersetzt. . In Deutschland kursierte er in Maschinen-Abschriften und sonderbaren Camouflage-Drucken der Untergrund-Propaganda. Da es gefährlich war, den Text zu bewahren, so lernten junge Leute ihn auswendig; Zuckmayer 1956 Kaltes Licht 24 Nichts habe ich mehr zu verachten gelernt als jene metaphysische Camouflage, die sich um den Kampf mit dem Gemeinen drückt und dadurch den Sieg des Gemeinen verewigt; 1966 Spiegel Nr. 32 Der Vietcong . . ist Meister der Camouflage. Jeden Baum, jeden

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Strauch nutzt er zur Tarnung (DUDEN 1993); Berger 1966 Nettesheim 11 Der Teufel ist ein Meister der Camouflage und tarnt seine Residenz gut; 1976 Definitionen 76 auch Emil Ludwig, stets auf wissenschaftliche Camouflage bedacht; Müller-Thurau 1984 Köpfe 32 Nicht ohne Häme ist zu vermerken, daß die Fachleute bisweilen auf ihre eigene Camouflage hereinfallen; Zeit 25. 1. 1985 Irreführung (Überschr.) .. Mertes, offiziell Staatsminister im Auswärtigen Amt, aber oft Spezialist für die semantische Camouflage politischer Widersprüche; ebd. 19. 12. 1986 wo die [Mäuse in einem Trickfilm] versuchen, die Menschen zu kopieren, benutzt die Kanalratte die Camouflage einer etwas zu groß geratenen Maus, um die anderen hereinzulegen; ebd. 6. 3.1987 Die Zeitung hatte sich auf Camouflage, der „Politik durchs Feuilleton", dem sogenannten „Zwischen-den-Zeilen-Schreiben" zu beschränken; Schneider 1988 Seele 107 Ein stolpernder Flüchtling, umschlich ich jetzt den Ort, wo man mich mit allerlei christlicher Camouflage vor fünfunddreißig Jahren für geschlechtsreif erklärt hatte; Lukoschik 1990 In u. Out 76 f. laß die Camouflage sein und zeig dich, wie du bist; Spiegel 9.2.1993 im zweiten deutschen Staat, der jede noch so zarte Camouflage [der Opposition] in der DDR-Literatur für mutigen Widerspruch nahm; ebd. 5. 7. 1993 Kunst, diese Magie des schönen Scheins, entfaltet auch schon ohne kriminelle Arglist ein großes Repertoire an Lug und Trug, aus Mimikry und Camouflage [bei Originalkunstwerken und deren Kopien]; ebd. 13. 9. 1993 Die Amerikaner betrieben die Entspannungspolitik „zur Camouflage einer Konfrontation". camouflieren: Th. Mann 1948 Reden u. Aufs. (W. XI 676) Ich führte viele Papiere, Vortragsmanuskripte und Bücher mit mir, die in dem weit von der Stadt weg verlegten und camouflierten Londoner Flughafen der Gegenstand langwieriger Untersuchungen waren; Doderer 1948 Strudlhofstiege

219 Man braucht bloß ein klein wenig übertreiben und camouflieren, und schon entscheidet man nicht mehr mit Sicherheit, was ihn stärker anzog; Becher 1957 Spiele II 98 während fernes Getrappel hörbar wird, sich rasch nähert, ähnlich camoufliertem Knattern von Kastagnetten; 1958 Aufbau VI VI 610 Lukäcs versuchte, seinen Bruch mit dem Leninismus (auch vor sich selbst) zu camouflieren; 2963 Moderna sprak III 358 In camouflierten Dünndrucken drangen Werke der Emigranten sogar ins Dritte Reich ein; Marti u. a. 1963 Literatur 102 camoufliertes Widerstandsstück; Zuckmayer 1964 Lohn 11 Warum sind Sie [bei der Kälte] nicht früher [ins Hotel] hereingekommen? In dieser Todeszelle, die sich hier als Hotel camoufliert, hat man doch nur die Wahl, ob man in der oberen oder der unteren Bretterfalle die Leichenstarre erwartet [Wohnraum mit Zstöckigem Bett]; N. Z. Z. 19. 8. 1983 daß mit Argumenten des Umweltschutzes die Interessen der anliegenden Liegenschaftsbesitzer camoufliert werden; Zeit 4. 10. 1985 Wallfahrt zu Picasso .. Durch die Darbietung der Bilder und Skulpturen als allemal gleichrangige Preziosen und durch die artifiziell erhabene Stimmung wird allerdings auch geschickt camoufliert, daß die sich ablösenden Werkphasen meist vorbereitenden Charakter hatten; Süddtsch. Ztg. 3. 11. 1993 Die sich am Ende dramatisch zuspitzende Konstellation ihrer Geschichte verdankt sie dem psychologischen Nähkästchen, und verwunderlich ist daran allenfalls, daß die Autorin dies nicht im mindesten camoufliert. Sie hat offenbar . . keine Furcht vor dem Klischee; Spiegel 3. 1.1994 Die „BebeteShow" mit ihren als Tierpuppen camouflierten Politikern — Chirac als Vogel „Black Jack", Balladur als Pelikan; Zeit 24. 5. 1996 Unter umgekehrten Vorzeichen erlebt ein Quasirassismus, der jede Erkenntnisanstrengung von vornherein eisern blokkiert, seine pseudowissenschaftliche, mentalitätsgeschichtlich camouflierte Wiederauferstehung. GS

Camp N. (-s; -s), im früheren 19. Jh. entlehnt aus engl. camp 'Feld, Lager' (über gleichbed. nordaltfrz. camp zurückgehend auf lat. campus 'flaches Feld, Ebene'; —* Kampagne), im 20. Jh. selten in der Schreibung Kamp. la Zunächst eher im Sinne eines Exotismus in der Bed. 'für die vorübergehende Unterbringung einer größeren Anzahl von Menschen eingerichteter provisorischer Wohn- und Übernachtungsplatz, Lager', vgl. vor allem die aus dem Engl.-Amerikan. übernommene Zs. Campmeeting, auf amerikanische Verhältnisse bezogen für 'Versammlung im Freien zu religiösen, politischen und Vergnügungszwecken' (s. Belege 1852, 1889); im 19./20. Jh. auch für 'militärisches Feldlager' (s. Belege 1844, 1949), seit Anfang 20. Jh. als Grund- und Bestimmungswort in aus dem Engl. übernommenen Zss. wie Gold(gräber)camp; Campboß, -boy.

Camp

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Vgl. dazu bereits im 18. Jh. das seltene, aus gleichbed. frz. campement (zu camp s. o.) entlehnte Subst. Campement N. (-s; -s), mit frz. Aussprache, für 'militärisches Feldlager' (—>· Biwak), auch 'Truppenschau, Demonstrationsmanöver'. b Seit Anfang 20. Jh., bes. während des 1. und 2. Weltkrieges, in der heute veralteten bzw. nur noch historisierend verwendeten Bed. 'umzäuntes, bewachtes Kriegsgefangenenlager', in Zss. wie Gefangenen-, P(o)W-(= Prisoner of War-)Camp. c Seit früherem 20. Jh., kurz für Trainingscamp,, in der Bed. 'für Ausbildung oder Training bestimmter Personengruppen eingerichteter zeitweiliger Aufenthaltsort; Ausbildungs-, Trainingslager', gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Ausbildungs-, Computer-, Film-, Jugend-, Lehrer-, Olympia-, Schul-, Sicherheits-, Sport-, Work-, Wüstencamp; seltener als Bestimmungswort in Campleiter, -Verwalter, d Gleichzeitig in der Bed. 'für die vorübergehende Unterbringung einer größeren Anzahl von Flüchtlingen eingerichteter provisorischer Wohn- oder Übernachtungsplatz, Flüchtlingslager', bes. in der Zs. Flüchtlingscamp. e In jüngster Zeit für 'bei Veranstaltungen, Demonstrationen errichtetes Zelt- oder Hüttendorf', in Zss. wie Friedens-, Pfingstcamp. 2 Seit Anfang 20. Jh. unter Einwirkung von gleichbed. engl. (holiday) camp, zunächst auf englische Verhältnisse bezogen, seit Mitte 20. Jh. auch allgemeiner in der Bed. 'für die Unterbringung einer größeren Anzahl von Urlaubern eingerichteter Wohn- oder Übernachtungsplatz, auf dem Zelte oder Wohnwagen aufgestellt werden können oder der mit Hütten oder Ferienhäuschen ausgestattet ist und der oft mit festen touristischen Einrichtungen wie Waschanlagen, Schwimmbad, Spiel-/ Sportplatz, Läden, Restaurants, Grillplätzen u. ä. versehen ist; Ferienlager' (in dieser Bed. auch als Kurzwort Camp konkurrierend mit weit häufigerem Campingplatz, s. u.), z. B. seine Ferien in, auf einem Camp verbringen; als Bestimmungs- und Grundwort (konkurrierend mit Camping-/Zelt- bzw. -Campingplatz) in Zss. wie Campleben, in neuerer Zeit in Zss. wie Campferien, -platz, -zeit und bes. Campmobil ' (auf der Basis eines Kleintransporters entwickelter) Reisewohnwagen mit eingerichtetem Wohnteil, Kochnische, Betten usw.' (vgl. häufigeres Wohnmobil, Campingbus und Motorcaravan, —* Caravan); Auto-, Caravan-, Ferien-, Jugendcamp. Dazu bereits seit späterem 19. Jh. das aus engl. camping in seiner Bed. 'Zeltlager zur Freizeitgestaltung (am Wochenende)' entlehnte Verbalsubst. Camping N. (-s; ohne PL), zunächst auf englische Verhältnisse bezogen, seit frühem 20. Jh. allgemeiner und seit Mitte 20. Jh. sehr häufig gebraucht (s. Belege 1953, 1960) in der Bed. 'Wochenend- oder Ferienaufenthalt im Freien mit Übernachtung im Zelt, Wohnwagen oder in einem Ferienhäuschen; das Zelten, Leben auf Zeltplätzen' (vgl. Caravaning, —* Caravan), in Wendungen wie zum Camping fahren; sich beim Camping gut erholen, selten in der aus dem Engl. übernommenen Verbindung Campingout (s. Belege 1874, 1899), seit Mitte 20. Jh. als Bestimmungswort in der Bed. 'Camping betreffend, betreibend, für das Camping eingerichtet, ausgerüstet, geeignet' in Zss. wie Campinganhänger, -anläge, -anzug, -ausrüstung, -ausstellung, -bedarf, -beutel 'leichter, rucksackähnlicher Beutel mit festem Boden, der zumeist über einer Schulter getragen wird, Sportbeutel', -boot, -bus, -club, -einrichtung, -fahrt, -fahrzeug, -ferien, -freund(in), -führer 'von Automobil-Clubs, Touristikunternehmen herausgegebenes Verzeichnis von Campingplätzen mit den zum Campen notwendigen Informationen'; -geschirr, -hemd, -hocker, -hütte, -kleidung, -koffer, -reise, -schau,

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-sport, -stuhl, -tasche, -tisch, -tourist(ik), -Urlaub; -Wohnwagen, -zeit und bes. (konkurrierend mit Zelt-) in Campinglager, -platz 'mit sanitären Anlagen, Geschäften ausgestatteter (Rasen-)Platz, auf dem eine größere Anzahl von Urlaubern gegen eine Gebühr ihre Zelte oder ihren Wohnwagen aufstellen kann'; gleichzeitig als Bestimmungswort in adj. Bildungen wie campingfreudig, -gerecht; gleichzeitig mit Hinweis auf die verschiedenen Arten des Campings als Grundwort in Zss. wie Auto-, Dauer-, Europa-, Höhen-, Kur-, Motor-, Wintercamping. Dazu etwa seit Mitte 20. Jh. die unter Einfluß von engl. camp aufgekommene verbale Ableitung campen V. intrans. für 'über das Wochenende oder während seines Urlaubs in einem Zelt, Wohnwagen oder einem Ferienhäuschen übernachten, leben', z. B. an der Küste, am Strand, auf einer Wiese campen. Etwa gleichzeitig die Personenbezeichnung Camper M. (-s; -), auch Camperin E (-; -nen), in der Bed. 'jmd., der über das Wochenende oder während seines Urlaubs zeltet oder in einem Ferienhäuschen übernachtet, lebt' (vgl. Caravaner, —* Caravan), gleichzeitig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Dauer-, Ferien-, Rucksack-, Wintercamper; Camperfan, -philosophie, -ström; daneben Camper seltener auch in der Bed. '(auf der Basis eines VW-Transporters o. ä. entwickelter,) für Campingreisen ausgestatteter Reisewohnwagen, Caravan, Camp-, Wohnmobil' (s. Belege 1959, 1979). Daneben bereits seit früherem 17. Jh. das aus gleichbed. frz. camper entlehnte (zu frz. camp, champ 'militärisches Lager' gebildete, auf lat. campus 'flaches Feld' zurückgehende) intrans. Verb campieren, anfangs auch in der Schreibung cambieren, heute meist in der Form kampieren (—» kampieren), in der Bed. 'im Freien lagern, übernachten', zunächst von Truppen, seit spätem 18. Jh. allgemeiner verwendet für 'provisorisch im Freien übernachten, vagabundieren, behelfsmäßig untergebracht sein, wohnen', z. B. im Freien, vor einem Gebäude campieren (zu la); seit spätem 18. Jh., heute nur noch in Österreich und in der Schweiz, in der Bed. 'campen, zelten' (zu 2). Daneben Anfang 20. Jh. das aus gleichbed. engl.-amerikan. campus 'Feldstück' entlehnte, ebenfalls auf lat. campus (s. o.) zurückgehende Subst. Campus M. (-; -), selten auch in der Schreibung Kampus, in der Bed. 'Gesamtanlage einer Hochschule, das gesamte Universitätsgelände mit allen Instituten, Forschungseinrichtungen, Hörsälen, Sportanlagen, Wohnungen für Studenten und Lehrer', zunächst auf amerikanische Verhältnisse bezogen, nach 1945 auf deutsche Universitäten (s. Beleg 1964) übertragen, in Zss. wie Universitätscampus; Campussystem, -Universität, in neuerer Zeit auch allgemein für 'Universität, Hochschule' (s. Belege 1970, 1982, 1988), gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Campus-Rebell, -Revolte. Camp l a: Decker 1844 Algerien l 166 [in Algier] Zahl aller rein militärischen Etablissements . . Man gab ihnen den allgemeinen Namen „Läger" (Camps); Hahn-Hahn 1844 Oriental. Br. I 193 Manche Erschwerungen bei den amerikanischen Campmeetings; Görtz 1852 Reise I 280 Camp Meetings in Amerika; Wagner/Scherzer 1854 Reisen ;'. Nordamerika III 369 Die Wohnungen der Sklaven (camps) haben .. das gleiche Ansehen,

eine Reihe kleiner unansehnlicher, weissbekalkter Holzhütten; 1880 Z f Ethnologie, Verhandlungsber. XII 88 in der Nähe eines Camp von [australischen] Eingeborenen; 1886 Dtsch. Rundsch. XLVlll 80 Da [bei den kalifornischen Goldgräbern] war . . ein lebhaftes Camp aufgeschlagen mit Blechhäuschen und Zelten; Hallier 1889 Kttlturgesch. 394 amerikanische Camp meetings; Berl. lllustr. Nachtausg. 18. 5. 1933 nur dadurch, daß die

Camp kanadische Regierung sechs Bombenflugzeuge 10000 Kilogramm Materialien zum Goldcamp am Red Lake bringen ließ, ist diese Siedlung überhaupt erst entstanden; Süddtsch. Ztg. 26.3. 1949 Man sagt mir, daß die russischen Einheiten in entlegenen Lagern kaserniert und von der Öffentlichkeit abgesperrt seien. Ich konnte nirgends solche „camps" feststellen; ebd. 15. 7. 1955 ob es nicht . . für zweckmäßiger erachtet wird, die Regensburger Garnison in Camps unterzubringen; ebd. 24. 9. 1959 Ursprünglich war Camp David, das seinen jetzigen Namen erst von Eisenhower erhielt, der es nach seinem Enkel nannte, das Lager einer Behörde, die hier in den dreißiger Jahren junge Männer als Waldarbeiter anwarb. Campement: Wächtler 1709 Manual 55 campement,. . Feldlager/ z. E. ein campement abstechen; Fäscb 1726 Kriegslex. 41a f. Campement, Lager, Feld = Lager, ist ein Ort im freyen Felde, wo eine Armee sich gleichsam wohnhafft niederlasset; Sperander 1727 A la mod Sprach 85 Campement, das Lager, Feldlager; ein geraumes, Feld, wo ein Kriegs-Heer sich niederlasset, die Zelten aufschlägt, und zu seinem Auffenthalt Hütten bauet. Das Campement, oder Lager abstechen/ heisset so viel, als den Platz zum Lager auf dem Erdreich abzeichnen und eintheilen; Goethe 1787 Br. (WA IV 8,138) [Fürst von Waldeck] hat mir von einem ungeheuren Campement erzählt welches künftigen Sommer zwey Armeen die Böhmische und Mährische halten sollen. campieren: um 1638 Teutscher Michel 205 Was ist campieren, was chortesieren; Ens 1640 Postreiter 5 ein Lager formiren und campiren; Harsdörffer 1642 Frauenzimmer-Gesprechspiele 11 151 Zu Feld ligen (campiren) (JONES); Cellarius 1645 Arch, mil. 322 Das Läger ist ein Orth alda man sich mit einem gantzen Kriegsheer niederschlaget/ entweder alda eine Nacht oder mehr auß zu ruhen/ oder sich gegen einem Feind der in das Land gefallen ist/ zu campiren/ oder eine Vestung zu belageren; ebd. die Gelegenheit des Orths/ alda man sich des Nachts campiren solle; 1663 Türkengefahr M 3a [die] campirenden Türckischen Armeen; Böckler 1665 Schola militaris 533 Von den Feld-Lägern und dem Campieren; Troilo 1676 Oriental. ReiseBeschr. 617 und hat gemeiniglich über die 4000 wohl berittene Araber mit sich, welche sich umb ihn herumb campiren; Hörl 1677 Bacchusia 47 dass der Feind . . campiert, sein Läger geschlagen . . [habe]; 1702 Schauplatz 525 den ort, wo . . die feindliche armee campiret; Elis. Charl. 1706 Br. l 471 Mein söhn ist zimblich beliebt; . . Sein armee ist nun versamblet, er campirt zu St. Benedetto; Zschackwitz 1723 Karl VI. 150 Tags darauff zo-

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genn die Infanterie zusammen/ und kam bey Lipont zu campiren; Wagner 1724 Soldatenbibl. 315 Ihre Art zu campiren ist nicht regulair, sie bekümmern sich wenig um Fourage, weil sie nicht lange im Felde aushalten; Fleming 1726 Soldat 145 Die Function und Verrichtungen eines Mousquetirers bestehet darinnen, daß er bey allen vorfallenden Krieges-Operationen, bey denen Märschen, in Campiren, Belagerungen, Guarnisonen und mit einen Wort bey allen Commando suche seine Treue .. zubezeugen; Fäscb 1726 Kriegslex. 41af. Er recognosciret sodann, ob die Armee, nach Gelegenheit des Terrains, füglicher in zwo geraden, oder in gebrochenen Linien, die gemeiniglich 500. Schritt voneinander entfernet werden, campiren können; Montecuccoli 1736 Kriegs-Nachrichten 2 indem man marschiret, campiret und ficht; Sturm 1737 Wahre Vattban 155 Man campiret allezeit einen Canonen-Schuss weit von der Festung; Humbert 1745 Vaubans Angriff II 43 Wie man eine Armee soll campiren lassen; .. Man lasset eine Armee . . in 2. Linien . . und einem Corps de Reserve campiren; Michaelis 1776 Protestant. Universitäten IV 171 Was man Campiren und zu Dorfe steigen nennet, ist sonst jedem Bürger erlaubt; ebd. IV 220 er soll drey bis vier Wochen auf dem Dorfe in einem Wirtshause zubringen müssen, das wäre eine Art von Auslager, auf Universitäten hiesse es mit dem Kunstwort Campiren; Wit v. Dörring 1830 Fragmente I 89 ich mochte doch nicht gleich die erste Nacht . . gezwungen sein, au clair de la lune zu campiren; Hackländer 1847 W. VI 93 vor dem . . Gebäude, in welchem ich campirte; Frommel 1879 Ampelschein 51 mit dem [im Hotel] nebenan campirenden Herrn; Süddtsch. Ztg. 9. 8. 1993 Mary Middlehurst und May Robinson jedenfalls campierten mit anderen Fans schon am Tag vor der Eröffnung des Schlosses beim Ticketschalter; MM 15. 10. 1996 Dreihundert der heißesten Fans hatten seit 14 Uhr vor den Toren des Rosengartens campiert. Camp Ib: 1914-1918 (Wilke 1929 Prisonnier Halm 88) Camps . . 1914-18 für „Gefangenenlager"; Rafalski 1930 V. Niemandsland 369 „Camp" .. Gefangenenlager; 1930 Münch. lllustr. Presse Nr. 16 Wissen Sie, was es heißt, sieben Wochen länger oder kürzer in einem Gefangenenkamp in Neukaledonien zu sitzen; V.B. 25.1.1945 daß diese Soldaten nicht mutlos und gebrochen in die Heimat zurückkamen, . . daß sie unter den Sternen Nordafrikas und in den Camps der Vereinigten Staaten sich ihren Glauben . . an Deutschland .. bewahrten; Zuckmayer 1946 Teufels General 117 Lawrence: . . Ich liebe Deutschland. Harras: Glauben Sie, daß es noch wert ist, geliebt zu werden? Lawrence: Sonst würde ich wohl nicht wagen, der

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Bestie meinen Kopf in den Rachen zu stecken. Morgen werde ich vielleicht in einem Camp verrotten. Des deutschen Wahnsinns wegen; Spiegel 8. 3. 1947 Auch im Herzen Londons, das an sich keine Camps beherbergt, begegnet man hin und wieder einigen von ihnen, denen vielleicht auf der Durchreise ein gutmütiger Wachposten erlaubte, sich die zweitgrößte Stadt der Erde einmal schnell im Vorübergehen anzusehen (AWB); Süddtsch. Ztg. 6. 4. 1954 Die Belegschaft des Lazaretts ist in Nissenhütten untergebracht, die von den amerikanischen Truppen zur Verfügung gestellt worden sind . . Das Camp hat ein zentrales Wasch- und Badehaus, das auch Warmwasserbereitung ermöglicht; Neue lllustr. 10. 9. 1956 Millionen Soldaten lebten in Camps unter freiem Himmel, schutzlos dem Regen und der brennenden Sonne ausgeliefert; Stern 13. 4. 1957 Ein findiger Reporter führt seinen Lesern vor, wie der Stuttgarter Flieger sich vermutlich durch das Stacheldrahtgewirr des PoW-Camps Bowmanville durchgearbeitet hatte; Kieler Nachr. 25. 4. 1958 Das Gericht hatte von den Ereignissen in einem amerikanischen Camp in der auf den 12. März 1944 folgenden Nacht auszugehen (alle drei ZINDLER); Zindler 1959 Anglizismen 204 Camp ist . . die Bezeichnung für ein deutsches Kriegsgefangenenlager der westlichen Alliierten . . In dieser Bedeutung ist es nach dem 2. Weltkrieg mit den ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen aus den USA, aus Kanada und England nach Deutschland gekommen und wird zuweilen rückblickend als Bezeichnung jener Lager gebraucht; Quick 21.1. 1962 Mit einem Liberty-Schiff kam er nach den USA. In irgend so ein PW-Camp; Spiegel 23. 1. 1963 gelang dem SS-Offizier aus einem Camp in Italien die Flucht (beide AWB); Hilsenrath 1977 Nazi 356 nachdem Stoßtrupp A und Stoßtrupp B bereits im Inneren des Camps und der Kasernenhöfe waren (DUDEN 1993); Spiegel 1. 9. 1986 Die rotbraunen Holzbaracken .. haben schon vielen Zwecken gedient. Während des Zweiten Weltkriegs benutzten die deutschen Besatzer das Camp als Gefangenenlager für Widerstandskämpfer (AWB). Camp Ic: Berl. Ztg. am Mittag 21.11.1931 Wir hatten Gelegenheit, uns in den Trainings-Camps der Pianisten umzusehen (ZINDLER); Berl. lllustr. Nachtausg. 18. 6. 1932 Schmeling . ., dessen Camp täglich überfüllt ist, während man im Sharkeylager . . nur wenige Besucher zählt; 1956 Dtsch. Lehrerztg. XXX l In der Zeit vom 29. Juli bis 11. August 1956 findet in Dresden ein internationales Lehrercamp statt . . Am Camp werden Lehrer aus Algerien, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, . . teilnehmen; Stern 16. 11. 1978 Täglich kommen neue Waffen und Freiwillige in die Camps

der Rebellen, die Eden Pastoras, der legendäre „Commandante Zero", anführt (AWB); Frank. Tag 18. 2. 1984 Internationale Workcamps bieten eine echte Alternative zum üblichen Freizeitprogramm (VIERECK 1986); Spiegel 15. 10. 1984 Zusammen mit über 300 Jugendlichen aus zwölf Ländern startete die 19jährige Abiturientin aus dem rheinischen Simmertal an Bord einer Boeing 747 nach Los Angeles. Ziel: das Olympia-Camp der Deutschen Sportjugend in Claremont; Flensb. Tagebl. 14. 6. 1985 „Sicherheits-Camp" für junge Zweiradfahrer hatte Premiere — Ziel: Beherrschung des Motorrads in kritischen Situationen (beide AWB); MM 6.3.1987 preisgekrönte Schul-Software wird im Computer-Camp gezeigt, aber auch fertige Programme; Stern 22. 10. 1987 mit SelbstkontrollTechniken . . lernen die Kinder im Diät-Camp, ihre Freßanfälle zu bremsen. Camp Id: Süddtsch. Ztg. 7. 9. 1963 sie kamen aus den Flüchtlingscamps; Welt 3. 9. 1977 das trostlose Camp auf der Südspitze der Insel Singapur hat es gegeben; Bunte 9. 8. 1979 Die Welt macht es sich zu einfach mit den Flüchtlingen. Sie verköstigt sie, damit sie nicht sterben müssen, und sperrt sie jahrelang in Camps; Stern 29. 11. 1979 Der Arzt des Camp begann damit, einheimische Sanitäter auszubilden und sie mit einem Standardsatz Medikamente auszurüsten (alle AWB); MM 5. 9. 1985 für einen monatlichen „Durchlauf" von 150 Flüchtlingen gebaut, passieren inzwischen über 1000 Asylsuchende . . das Baracken-Camp. Camp le: Spiegel 13. 8. 1984 Vom 22. bis 29. September wollen sich westdeutsche Friedensdemonstranten deshalb unter jene Blauen und Roten mischen, die zwischen Spessart, Rhön und Knüllgebirge den Kriegsfall proben. Von fünf Camps aus operierend, wollen die Manöver-Störer mit „Störmanövern" in der Bevölkerung in Sachen Air Land Battle „ein ähnlich negatives Gefühl" erzeugen, wie es ihnen nach eigener Einschätzung „bei der Nachrüstung gelungen ist"; FAZ 25. 9. 1984 Pfadfinder-Erfahrung geht augenscheinlich auch jenen Mittzwanzigern ab, die jetzt das Rückgrat der „Friedensbewegung" und die Stammbesatzung der Friedenscamps bilden (beide AWB); Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 81 Nachrichten über die Protestszene werden wie geheimdienstliche Erkenntnisse über feindliche Truppenbewegungen gehandelt. Friedenscamps gewinnen das Aussehen von Partisanennestern; Spiegel 26. 5. 1986 Hinzu kam, daß viele Chaoten in dem „Pfingstcamp" der Kernkraftgegner am Brückelsee unweit des WAAAreals unterschlüpften und sich dort unter den Friedlichen quasi unauffindbar machten (AWB).

Camp Camp 2: Höllischer 1912 Amerika 64 Stundenweit, viele Meilen den Hudson hinauf, stehen diese Sommerzelte, „camps"; Dibelius 1929 England II 169 Das Camp ist die Form, in der in England junge Leute, die in Deutschland als Wandervögel in die Ferne ziehen würden, einen billigen Ferienaufenthalt geniessen. Das Camp ist entweder ein wirkliches Zeltlager, oder es ist an seine Stelle Unterkunft in einfachen Häusern getreten. Das Leben ist einfach und billig — wer von der Poesie des deutschen Wanderns gekostet hat, wird darin allerdings keinen Ersatz dafür sehen können; LokalAnz. 25. 9. 1934 Das sieht man am deutlichsten an dem sog. „Camp"-Leben. Rings um Dublin findet man überall verstreut die weißen Spitzzelte, in denen die Dubliner gern ihre Ferientage verbringen; E. L. Z. 21.11. 1935 daß das A und O des Jugendlebens in USA das Kamp ist . . Dabei ist das Kamp nicht etwa den Verbänden allein vorbehalten; auch Schulen, Kolleges und Privatleute unterhalten Kamps; Süddtsch. Ztg. 9.8. 1951 Die Munich Military Post hat . . unmittelbar an der Isar, ein großes Sommerlager errichtet, in dem gegenwärtig über 200 Mädchen im Alter von 8 bis 22 Jahren in Zelten leben. Das Camp, das abwechselnd Jungen und Mädchen aufnimmt; ebd. 8. 9. 1952 Der Allgemeine Deutsche Automobilclub hat in diesem Sommer an einigen schönen Plätzen Autocamps eingerichtet; Edler/Roediger 1962 Camping 114 Bevor Sie jedoch an das Einschlagen der Zeltheringe . . herangehen, haben Sie sich natürlich auf dem offiziellen Campingplatz oder dem freien Camp nach einem entsprechenden Plätzchen umgesehen; ebd. 137 Wer wochenlang täglich mehrere reichliche und gute Mahlzeiten im Camp zubereiten will; Mittelbayer. Ztg. 18. 9. 1969 Die ständig anwachsende Wohnwagenwelle, die größte in der deutschen Geschichte, ist wohl die Ursache, daß die Reihe neuer Camps nicht abreißt. Caravaner suchen nicht nur Ferienplätze, sondern auch Camps, auf denen sie ihre Anhänger stehen lassen können, um in ihnen jedes freie Wochenende zu verbringen; ebd. 23. 4. 1971 1971 bietet das kleine Dänemark nicht weniger als 500 Campingplätze . . Vergleicht man damit den Platzbestand in der Bundesrepublik mit noch nicht 1500 Camps, aber mehr Campern als das nördliche Königreich Einwohner zählt, dann schneidet Deutschland recht traurig ab; Welt am Sonntag 3. 10. 1971 Einen steigenden Trend gibt es bei den Campmobilen; FAZ 24. 7. 1986 Die Zahl der organisierten Campplätze hier unten ist gering und damit auch die herrliche Einrichtung der „Cabins", die auf jedem offiziellen Campplatz zu finden sind und nur wenige Dollar kosten — bei Regen eine willkommene Abwechslung zum Zelt; Spiegel 1.8. 1988 Aus Steuergeldern finanzieren sie die Straßen von den Ferien-

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camps zum Flughafen und erschließen großzügig Wasserreservoirs; 1988 Esquire XII 162 Die letzte große Safari: Eine Traumreise quer durch Afrika und ein neues Camp in den unberührten Weiten von Botswana (alle sechs AWB). campen: Süddtsch. Ztg. 7. 8. 1957 Heute ist das Campen eine Ausdrucksform für eine vielgestaltige Sehnsucht. . nach dem Lagerleben, dessen Provisorium durch allerlei Komfort freilich wieder abgemildert wird; Stuttgarter Ztg. 21.3.1959 Beim Campen fotografiert, Farb-Dia-Vortrag; 1959 Kanu-Sport X 192 Interesse am . . campenden Bundesbürger (DUDEN 1993); Offenburger Tagebl. 9.8.1961 Die Pariser aller Schichten und aller Altersklassen sind zum Campen übergegangen; Spiegel 25. 8. 1969 Im August campte er mit seiner Mutter am Strand bei Boltenhagen, um seinen Fluchtplan zu verwirklichen (AWB); 1974 Gute Fahrt III 43 Wem 's darum geht, daß etwas los ist, der campe lieber in Rimini (DUDEN 1993); Bild am Sonntag 15. 4. 1984 In diesem Jahr gibt es schon knapp 30 deutsche Orte, wo nach dem Modell Viechtach mit dem Wohnmobil gecampt werden darf (AWB); Stern 20. 8. 1987 in keinen Nationalpark drängen sich so viele Besucher pro Quadratmeter. Wer hier einen Platz zum Campen ergattern will, muß sich mindestens acht Wochen vorher anmelden; Spiegel 12. 9. 1988 Angesichts solcher Verwüstungen erscheint den Ökologen die Zusicherung der Epala, an den Seen könne ja auch gecampt und gepaddelt werden, „wie Hohn" (AWB); Frankf. Rundsch. 31. 3. 1990 rund 1,5 Millionen Familien aus der DDR werden in diesem Jahr erstmals zum Campen in den Westen kommen. Camper: Süddtsch. Ztg. 1. 5. 1953 Der internationale Zusammenhalt unter den Campern ist so eng und herzlich, daß man von einer europäischen Camper-Familie sprechen kann; ebd. 12. 6. 1954 Der Camper-Strom wird vom 34 Kilometer entfernten Venedig angezogen. Dort zelten die Camper auf einem brettelebenen, nüchternen Gelände; ebd. 19. 9. 1958 heute sind im Deutschen Camping-Club . . etwa 75000 Camper zusammengeschlossen; FAZ 25. 7. 1959 Wohnwagen (DetleffsCamper), Exportausführung, aufklappbar, erstklassige Straßenlage (Anzeige); Süddtsch. Ztg. 31. 5. 1961 Für die stetig steigende Zahl der Camper wird von Jahr zu Jahr der Campingführer des DCC wichtiger; Stuttgarter Ztg. 28. 3. 1963 Rund 250 Aussteller . . wollen zeigen, wie die rund 16 Millionen „Camper" in Europa einen „familienfreundlichen" Urlaub verbringen können; Offenburger Tagebl. 25. 10. 1965 Sechs Millionen „Camper" in der Bundesrepublik schlagen alljähr-

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lieh ihre Stoffvilla bei „Mutter Grün" auf; Stuttgarter Ztg. 6. 9. 1967 [der Präsident des Deutschen Camping-Clubs] forderte die Hersteller auf, mehr Stauraum für die Zeltcamper . . zu schaffen .. In diesem Zusammenhang machte der DCC-Präsident die Firmen darauf aufmerksam, daß sich bei den deutschen Campern ein Trend zu ausländischen Fabrikaten abzeichne, die den Forderungen der Camper mehr entgegenkämen; FAZ 16. 10. 1971 62 Prozent aller Camper fahren nach Erhebungen des Deutschen Camping-Clubs ins Ausland; 1975 ADAC-Motorwelt VI 79 freie Camper siedeln sich am besten in der Nähe einer der Zollstationen an (der Sicherheit wie auch der Wasserversorgung wegen); Frankf. Rundsch. 16.6.1979 Und wer rechnen muß und seinen Camper während des Restjahres als Zweitwagen fährt,.. wird .. ebenfalls die Vorteile der kleineren Camper-Version schätzen lernen (AWB); Stern 10. 9. 1987 der Kombi als neues Trend-Auto der Freizeitgesellschaft: für den Familienausflug, für Camper, Surfer, Golfer, Wintersportler; Frankf. Rundsch. 31. 3. 1990 im rund 90 Prozent der deutschen Camper . . rangieren die Begegnungen mit Land und Leuten vor dem Komfort; MM 13. 3. 1996 Vor allem Camper müssen im nächsten Jahr im Nachbarland [Österreich] mit einer Benutzungsgebühr für Autobahnen von umgerechnet 857 Mark rechnen. campieren: Schiller 1785 Br. l 242 Man pflegt hier in vielen Familien den Sommer über auf den benachbarten Dörfern zu kampieren, und das Land zu genießen; Süddtsch. Ztg. 13. 6. 1953 kamen schon die ersten Zeltler. Rund 300 haben bereits auf dem Feld kampiert, ehe der Platz fertig war; ebd. 27. 4. 1957 Von den 15 Millionen Franzosen . . gehen nur zwei Millionen in Hotels in Frankreich, während etwa 2,7 Millionen in Zelten kampieren; Offenburger Tagebl. 5.5.1961 Obwohl erst ab Mitte Juni von der eigentlichen Campingsaison gesprochen werden kann, haben in diesem Jahr schon über 250 Zeltler beim Ziegelhof campiert. Camping: Liebknecht 1874 Volksfremdwb. 63 camping-out . ., zu seiner Erholung während der Sommerzeit in einem Zelt im Freien wohnen; Mosso 1899 Mensch 216 Das „camping-out" ist eines der schönsten und reinsten Vergnügen der kräftigen englischen Jugend; Smithanders 1926 Nordamerika 142 f. Camping. Seit einigen Jahren haben die Amerikaner eine neue Art entdeckt, den Sommer zu verbringen. Die Mode des Camping hat mit rapider Schnelligkeit um sich gegriffen, und Hunderttausende von Amerikanern schwärmen davon und kennen im Sommer nichts Genuß-

volleres und Schöneres. Das camping besteht darin, irgendwo im Walde sich ein Zelt zu bauen und in diesem Zelt zu sommerfrischeln; Fischer 1928 Körperschönheit 96 Die praktischen Amerikaner, die das „camping" erfunden haben, denken nicht daran, sich totzuschleppen; Bauer 1931 Kapitalismus I 26 Der Freizeit geben Autofahrt und Camping neuen Inhalt; Süddtsch. Ztg. 30. 4. 1952 junge Skandinavier und Holländer, die in Scharen nach Süden reisen und das in Skandinavien übliche „Camping" einem Hotelbett vorziehen; ebd. 11.5. 1953 Das Camping sei . . keine Modekrankheit von heute; es sei vielmehr bereits nach dem ersten Weltkrieg gepflegt worden; Münch. AbendZtg. 6. 6. 1953 Camping — die große Mode . . Jung und alt. . alles verfällt heute dem Mode- und Zauberwort „Camping" .. Man kann nach vielerlei Wünschen und jedem Geldbeutel Zeltsport, „Camping" treiben; 1953 Neue Ztg. Nr. 279 Camping, die moderne internationale Form des Reisens, setzt sich auch in Deutschland immer mehr durch .. Der Einbruch geschah so plötzlich, daß sogar das Wort Camping — etwa hinsichtlich seines grammatischen Geschlechts - noch auf etwas tönernen Füßen durch die deutsche Sprache stelzt. Das Camping sagt man, aber man ersetzt es doch lieber durch eine Umschreibung: das Campingwesen oder die Campingbewegung . . Wie gesagt, das Camping ist eine neue Erscheinungsform des Lebens (AWB); Darmstädter Echo 20. 1.1955 Das Wort „Camping" haben wir nach dem zweiten Weltkrieg von den Engländern übernommen. Alle Völker der freien Welt gebrauchen es: es ist international. Eine deutsche Bezeichnung gibt es dafür nicht . . Unter „Camping" versteht man eine neue Art, seinen Urlaub, seine Ferien oder sein Wochenende zu verbringen, nämlich: unter freiem Himmel und im Zelt; 1958 Süddtsch. Ztg. Nr. 148 Machtvoll hat sich in den letzten Jahren die Campingbewegung ausgebreitet. . . Camping wächst von Jahr zu Jahr .. Im Ausland und bei uns . . Nach einer Schätzung . . rechnet man mit fast einer Million Campingfreunden im Bundesgebiet. Bei uns gibt es ungefähr 600 Campingplätze, in Italien rund 800, in Frankreich an die 2000 und in England über 450; ebd. 19. 9. 1958 Camping heißt: sich in der Natur frische Luft um die Nase wehen lassen, losgelöst vom Rummel des Großstadtbetriebs; Münch. Stadtanz. 15. 6. 1960 Das Camping von heute, das als Schlagwort über einem rapid wachsenden Modesport steht, unterscheidet sich nicht viel vom Zeltein von einst. Zwar hat sich mit der Bezeichnung auch der Luxus der Neuzeit angepaßt, doch die Ideale sind gleich geblieben; Süddtsch. Ztg. 31.5.1961 Camping ist einfach die „große sommerliche Art des heutigen Reisens", wie Ernest Hemingway es kürzlich ausgedrückt hat (AWB);

Cape 1971 Gesundheit VII 197 Das Benehmen vieler Zeltplatzgäste verdarb uns des öfteren die Freude und Erholung beim Camping; MM 17. 8.1985 zu einem Campingurlaub mit dem Wohnwagen starten; Rhein. Merkur 6. 4. 1990 wird ab dem 23. April ein .. Reiseführer „Camping bei Freunden" vorliegen. Campus: Marcks 1913 Eindrücke 34 an dem bewegten Bilde der Übungsplätze im Universitätsgelände (dem Campus); Langewiesche 1933 Abenteuer 33 Der „Campus", das Universitätsgelände; 1957 Brot u. Wein WO der Campus des [amerikanischen] College; Süddtsch. Ztg. 11.3. 1961 Viele Überraschungen erwarteten sie — Studentenehepaare mit Baby, Leben im Campus, viel Sport; ebd. 7. 9. 1963 Etwa ein Drittel der Studenten . . sollen auf dem Campus wohnen . . Der Rotheschen Idee, die Bremer Universität als Campus-Universität zu errichten, hat der Beratungsausschuß zugestimmt; Hamb. Abendbl. 8. 6. 1964 Ehrwürdige „Christina Albertina" wandelt sich zur modernen CampusUniversität (Überschr.) (beide AWB); Süddtsch. Ztg. 5. 8.1969 Der „heiße Sommer" ist also da. Aber nicht der Universitätscampus, wo schleppende Hochschulreform . . Anlaß zu Protesten gä-

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ben, wurde zum Feld der Auseinandersetzung; die APO-Rocker suchten vielmehr die Schlacht auf dem Kurfürstendamm (PFITZNER); FAZ 27.11. 1969 Widerstand gegen vormilitärische Ausbildung auf dem Campus/ Die Hintergründe der Studentenunruhen; Welt am Sonntag 8. 3. 1970 „Alma Mater - Nachrichten vom Campus" (AWB); FAZ 22. 6. 1972 Meinungsfreiheit auf dem Campus (Überschr.); Spiegel 17.1.1977 Werner Kaltefleiter, 39, Vizepräsident der Christian-Albrechts-Universität, fiel auf dem Kieler Campus demonstrierenden Studenten in die Hände; ebd. 1.10.1977 Auf dem Campus droht ein sozialer Numerus clausus (Überschr.); ebd. 30. 6. 1980 Ann Arbor hat 106200 Einwohner, fünf Krankenhäuser, einen botanischen Garten und die drei Campus der University of Michigan; ebd. 1. 11. 1982 Obwohl die politische Szene auf dem Campus häufig noch von linken und linksradikalen Gruppen beherrscht wird, ist resignative Anpassung unübersehbar, und in den Gremien geht es längst nicht mehr zu wie zu Dutschkes Zeiten; Westfalenpost 9. 2. 1988 Die neuen Pläne, die bisher immer wieder als Gerücht über den Siegener Campus schwirrten, wurden erst in der letzten Woche in der Düsseldorfer SPD-Fraktion ruchbar (alle fünf AWB). RS

Cape N. (-s; -s), im späteren 19. Jh. entlehnt aus engl. cape 'Umhang; Mantelkragen' (< gleichbed. frz. cape, chape < altfrz. c(h)ape < altprovenzal. capa 'ärmelloser Mantel; Kopfbedeckung' < mlat. cappa 'Obergewand, Mantel mit Kapuze'; vgl. Kappe). In der Bed. 'weiter, ärmelloser Umhang (mit Kapuze)' (vgl. Pelerine, Poncho), in Syntagmen wie ein weites, langes Cape; ein Cape aus Wollstoff, Pelz; ein Cape umnehmen, um die Schultern legen; etwa seit frühem 20. Jh. als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Capekleid, -mantel; Hermelin-, Pelz-, Plastik-, Samt-, Seidenund bes. (bzw. auch kurz für) Regencape '(mit Kapuze versehener) langer, ärmelloser Umhang aus leichterem, wasserundurchlässigem Material'. Liebknecht 1874 Volksfremdwb. 64 Cape, n., . . Kragenmantel ohne Ärmel; Fontäne 1897 Stechlin 171 Melusine . . warf das schottische Cape, das sie trug, in eine Sofaecke; Dunger 1899 Wider d. Englanderei (ZDSprachver. XII 243) Diese Bevorzugung des Englischen vor dem Französischen können wir . . wahrnehmen . . bei den Bezeichnungen für Stoffe und Kleidungsstücke . . Plaid, Smoking, Sweater, Tailor-made, Cape usw.; Modersohn-Bekker 1900 Br. 97 auch Nichtmaler tragen auf der Straße große schwarze oder dunkelblaue Capes, deren Capouchons sie bei Regenwetter über den Kopf ziehen; Schnitzler 1904 Ges. W. II 3,77 Es wird dir ein wenig kühl sein. Er macht ein paar Schritte ins Zimmer zurück, nimmt ein Cape, . .

legt es Johanna um die Schultern; Quincke 1908 Kostümkunde 241 Seit 1866 kamen die Jacken auf . . Die Sommer und Winter beliebten mantillenartigen Capes aus Tuch, Seide, Spitzen, Samt und Pelz sind durch weite, gerade herabfallende Paletots oder Jacken abgelöst; Kellermann 1913 Tunnel 169 [sie] hüllte sie in ein Cape und stülpte der vergnügten Kleinen die Kapuze über das blonde Haar; Viebig 1915 Handvoll Erde 104 Dann würde er auch Sophie eine Pelzjacke kaufen — vielleicht! — sie lag ihm immer schon in den Ohren, daß es sie friere in ihrem Cape; Döblin 1929 Alexanderplatz 182 Au weih, Polente, die Grünen . . Die Regencapes über, schieben sich zwei Grüne durch den Haufen; Berl. Illustr. Nachtausg. 11.2. 1933 Konnte er sie

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in Cape und Abendkleid mit freundlichem Gruß in das vormittägliche Berlin entlassen?; ebd. 17. 2. 1933 Manchmal nur mit einem an den Schultern angeschnittenen Capeteil, das sich gleich Flügeln über den oft längeren Kleider- oder Blusenärmel legt. Diese neue Jacke dankt ihr Dasein wohl der Vorliebe für das kleine, malerische Cape, das uns aus Samt und Pelz in den Ballsaal begleitete und das namentlich aus Pelz jetzt überall über Mänteln und Kleidern in beneidenswerter Schönheit auftaucht. Nun ist aus dem Cape ein loses Jäckchen geworden; Lokal-Anz. 21. 2. 1933 Der helle Frühjahrsmantel mit abnehmbarem Cape (Überschr.); ebd. 29. 3. 1933 Das Capekleid .. Im Rahmen unserer modischen Vorschläge spielt auch das Kleid mit dem ergänzenden Cape eine nicht unbeträchtliche Rolle; Süddtsch. Ztg. 1. 6. 1955 Wolldecken . ., die man als molliges Cape um sich ziehen kann; Tb. Mann 1957 Nachtr. (W. XIII 19) wobei ich gewahren mußte, daß Mrs. Twentyman, wenn ich ihr den Sessel unterschob oder wegzog . . ihr die Boa oder das Cape umlegte, einen Blick höhnischen Triumphes zu dem erbleichenden Kinde hinübersandte; Grass 1959 Blechtrommel 89 mit violetten Fingernägeln spielten die Damen und ließen uns den Mottenpulvergeruch ihrer Pelzcapes, die sie je-

weils für die Saison ausliehen, mit dem Seewind zukommen; 1961 Sibylle VI 76 Ein von den Frauen tunlichst vermiedenes Kleidungsstück ist das Cape .. Lanvin-Castillo brachte das hüftlange Cape mit Blousonröcken und großer angeschnittener Stola, die um den Hals drapiert wurde. Bei Dior überwogen lange Capes mit angeschnittenen Kapuzen zu leicht ausgestellten Bahnenröcken; Bildztg. 31.7. 1967 oft wird der Wintermantel durch ein glockig geschnittenes Cape aus dem gleichen Material wie das Kostüm oder Kleid ersetzt. Beim Cape ist der Mut der Modeschöpfer am größten; MM 30. 7. 1986 sah man bei Baimain kühle, fast strenge Eleganz. Unter weiten Capes mit „Wasserträger"-Schultern . . zeigen sich schmale, klassisch anmutende Kostüme, Jacken-Ensembles und Kleider; ebd. „Handschuh"-linie nennt Cardin sie und wickelt darüber große Capes und weite Mäntel; Zeit 10. 4. 1987 ein anderes Bild von Anais Nin .., nicht nur mehr das der privilegierten Literatendame in schwarzem Samtcape; MM 24. 6. 1987 das Premierenpublikum im Ettlinger Schloßhof harrte, in schützende Plastikcapes gehüllt, trotz Dauerregens bis zum Schluß aus; Zeit 16. 2. 1996 Die Ausflüge nach London führten . . auch in die Geschäfte: . . Fächer, . . Handschuhe, HermelinCapes. RS

Capriccio, auch Kapriccio N. (-s; -s, anfangs auch Capricci und Capricc(i)en), im frühen 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. Capriccio (eigentlich 'Laune, Grille, Einfall', weitere Herkunft unsicher; —·*· Kaprice), anfangs vereinzelt auch in den Schreibungen Cappriccio, Capricio, Capricco, Capritscho. a Zunächst im Fachgebiet der Musik in der Bed. 'phantasievolles, scherzhaftes, launiges, virtuoses Musikstück in freier Vortragsweise, musikalische Phantasie, Improvisation' (—» Phantasie, —> Impromptu), im 17. Jh. für Singstimme(n), dann meist für ein oder mehrere Streich-, Blas- oder Tasteninstrumente, seit Mitte 19. Jh. auch für Orchester, z. B. in den Wendungen Capricci und Madrigale, ein vierstimmiges Capriccio, ein Capriccio für Violine, Cembalo, als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Klavier-, Orchester-, Orgel-, Violin-, Walzercapriccio; Capricciokomposition, -musik, -repertoire, -stil; Anfang 19. Jh. auch für 'virtuoser Vortragsstil', auch für 'virtuos interpretierte Stelle in einem Musikstück' (s. Beleg 1814—15); seit früherem 18. Jh. die aus gleichbed. ital. capriccietto entlehnte Verkleinerungsform Capriccietto N. (-s; -s und Capriccietti) 'kurzes Phantasiestück'. b Vom frühen 17. bis Mitte 19. Jh. in der ursprünglichen, etymologischen, heute veralteten Bed. 'Einfall, Gedanke, Idee' (—» Kaprice), z. B. etwas nach seinem Capriccio tun 'etwas nach seiner Laune, seinem Einfall, Gutdünken tun', c Seit Ende 17. Jh. in der von dem französischen Kupferstecher Jacques Callot (1617) auf die bildende Kunst übertragenen Bed. 'kleine, skizzenhafte, humoristische Phantasiezeichnung, Radierung, graphische Serie bzw. humorvolles Gemälde mit freier Motivwahl'.

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d Etwa seit frühem 19, Jh. (E. T. A. Hoffmann) auch auf die Literatur übertragen für 'kleines, humoristisches literarisches Phantasiestück'. Daneben bereits im späteren 18. Jh. in der literarischen Auseinandersetzung der Literaturbriefe Lessings als personifizierte Fabelgestalt Capriccio M. (-s; -s) in der Bed. 'faunenartiges Fabelwesen als Genius des Witzes'. Dazu seit früherem 18. Jh. das aus gleichbed. ital. capriccioso entlehnte Adv. capriccioso, als musikalische Vortragsbezeichnung verwendet für 'eigenwillig, launenhaft, scherzhaft', in Verbindung mit Subst. auch als indekl., meist nachgestelltes Adj. gebraucht, z. B. Rondo capriccioso, Momente capriccioso (s. Belege 1732, 1824, 1988) (zu a), etwa seit spätem 19. Jh. auch in der bildenden Kunst für 'eigenwillig, geistreich, die von der Antike abgeleiteten Regeln durchbrechend' (s. Beleg 1888) (zu c). Capriccio a: Prätorius 1619 Syntagma mus. Ill 21 Capriccio seu Phantasia subitanea: Wenn einer nach seinem eignem plesier vnd gefallen eine Fugam zu tractiren vor sich nimpt, darinnen aber nicht lang immoriret, sondern bald in eine andere fugam, wie es jhme in Sinn kömpt, einfället: Denn weil ebener maßen, wie in den rechten Fugen kein Text darvnter gelegt werden darff, so ist man auch nicht an die Wörter gebunden, man mache viel oder wenig, man digredire, addire, detrahire, kehre vnnd wende es wie man wolle. Vnd kann einer in solchen Fantasien und Carpiccien seine Kunst vnd artificium ebenso wol sehen lassen; Vierdanck 1641 An den Music Liebhabenden Leser zum Ändern Theil Vorr. o. S. alhier .. findestu etliche Capriccien, Canzonen vnd Sonaten auff vnterschiedliche Art vnd Instrumenta gerichtet; Nicolai 1675 Ander Theil instrumentalischer Sachen (24 Capricci) (Titel); Briegel 1675 Verlorene Capriccen auf sonderbare lustige Manier (Titel); ders. 1679 Musikalische Erquickungsstunden lustiger Capriccen (Titel); Löwe 1688 Hortus Chelicus o. S. Capriccio über „Lustig wollen wir leben"; J. S. Bach 1700 Capriccio .. in Honorem Joh. Chr. Bachii (Ohrdrufensis) (Titel); Walther 1732 Musical. Lex. 141 Capriccio (ital.) Caprice (gall.) . . ist eben das, was die Fantaisie und Boutade, darinn einer seinem Sinn folget, und nach seiner caprice etwas hinsetzet oder herspielet; welches jedoch manchesmahl weit artiger zu hören ist, als was regulirtes und studirtes: wenn es aus einem freyen Geiste kommt; ebd. Mr. Brossards Beschreibung lautet folgender massen: „es sey Capricio ein solches Stück, worinn der Componist, ohne sich an eine gewisse Anzahl Täcte, Tact-Art, oder aber vorher überlegten Entwurff zu binden, der Hitze seines naturels den freyen Lauff lasse." Kurtz: ein Einfall, worauf vorher nicht meditirt worden. Daher werden auch die vors Ciavier gesetzte, aber nicht sonderlich ausgearbeitete Fugen also tituliret; Mattheson 1739 Ca-

pellmeister 87 eigentlich nicht sowol im Setzen oder Componieren mit der Feder, als in einem Singen und Spielen, das aus freiem Geiste, oder, wie man sagt, ex tempore geschiehet .. Wiewol die so genannten: Fantasie, Capriccie, Toccate, Riccercate . . hierher gehören; Mozart 1778 Br. U 409 Dies ist kein Praeludio um von einen Ton in den ändern zu gehen, sondern nur so ein Capriccio — um das Ciavier zu Probiren; Beethoven 1797 Rondo a Capriccio (Titel); £. T. A. Hoffmann 1814-15 Phantasiestücke (Poet. W. l 107) Schon dieser Ernst aller Beethovenschen Instrumentalund Flügel-Musik verbannt alle die halsbrechenden Passagen auf und ab mit beiden Händen, alle die seltsamen Sprünge, die possierlichen Capriccios, die hoch in die Luft gebauten Noten mit fünf- und sechsstrichigem Fundament; Brahms 1871 Capricci, op. 76 (Titel); 1897 SB München II 225 Capriccio als eine freie Composition; Wolf 1929 Das Capriccio bei Max Reger (Titel); R. Strauss 1942 Capriccio . . Konversationsstück für Musik in einem Aufzug, op. 85 (Titel); 1952 Musik i. Gesch. u. Gegenwart H 813 Das Capriccio wird zur virtuosen Etüde durch das Werk des Nicolo Paganini; 1959 Muttersprache IX 265 Bezeichnungen von Musikstücken sind — vielleicht nach dem Wort Stück — sächlich, . . wie das Impromptu, Potpourri, Allegro, Capriccio, Duo, Trio, Rondo; Johnson 1961 Buch 336 Karsch . . legte die Platte mit dem Capriccio über die Wiederkehr von langer Reise auf; MM 12. 11. 1985 wenn man anschließend das „Capriccio" für zwei Klaviere hört; ebd. daß sie es . . verstanden, Strawinskys Ironie von jeder auftrumpfenden Theatralik fernzuhalten, daß sie nicht dem bloß zündenden Effekt verfielen, sondern sehr wohl auch die musikalische Substanz des „Capriccio" erschlossen; ebd. 23.11.1985 zum Schluß ein Capriccio aus einem noch unvollendeten Werk; ebd. 24.7.1987 „Capriccio" von Richard Strauss.

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Capriccietto: Walther 1732 Musical. Lex. 141 Capriccetto (ital.) ein dergleichen gantz kurtzer Einfalt, eine kleine Fantasie. capriccioso: Walther 1732 Musical. Lex. 141 Capricioso (ital.) capricieux (gall.) auf zufällige Art, ohne vorläuffiges Drauf =Dencken; Weber 1808 Momenta capriccioso, op. 12 (Titel); Mendelssohn-Bartholdy 1824 Rondo capriccioso, op. 14 (Titel); MM 16. 5. 1988 ähnlich wie auch später im Rondo capriccioso E-Dur, opus 14 spürt er [Bolet] die linearen Bezüge auf, als sei Bach ganz nahe und die Romantik ein fernes, uneinholbares Bild. Capriccio b: Prätorius 1619 Syntagma mus. Hl 134 ob zwar solches ordentliche gewisse Regeln seyn, so müssen sie doch gleichwol nach eines jeden Componisten humor vnd Capriccio (Gehirn vnnd Einfallen) allerley exceptiones leiden; Wilhelm 1649 Architectura Vorr. 9 Vnd also nicht möglich, einem jeden nach seinem Capriccio vnd Humor zu pfeiffen; Gryphius 1663 Horr. 75 Ich weiß mich noch wohl zuerinnern, daß er, nach dem er einen niedergestossen, sich aus einem sondern capricio selber bey dem Richter für den Thäter angegeben habe; Schilling 1677 Predigten 257 so gehts, wann die Kinder den Eltern nit wollen folgen und nach ihrem Capricio und Eigensinnnigkeit heyrathen; Hohberg 1682 Feld-Leben i 334 Und folgt mancher . . seiner Einbildung und Cappriccio nach (BRUNT); Selhamer 1699 Tuba l 610 womit er, seiner Capritschen nach, bald diß, bald wieder ein anders Kleid selbst zuschneiden mag; 1787 Journal d. Moden II424 Allgemeine Mode kann dieser Einfall [auf Uhrenzifferblättern anstatt der Zahlen die Buchstaben des Namens zu vermerken] . . nie werden; und ist höchstens eine Spielerey und Capriccio der Liebhaber; Ramler 1755 Br. (Gleim-Ramler 1907 Briefw. II 190) Welch ein Capriccio! Ich freue mich über unseres Klopstocks Glück gantz ungemein; Bouterwek 1802 Gesch. II 487 ein übermächtiger Einfall, ein Capriccio, wie es der Italiener nennt; Hettner 1850 Schule 203 Eichendorff sagt von E. T. A. Hoffmann, „sein ganzes Leben war im Grunde nur ein geistreiches Capriccio ohne eigentlichen Inhalt". Capriccio c: Rugendas 1698 Capricci (Titel); Gottl 1760 Capricci (Titel); Schlabrendorf 1804 AntiNapoleon 207 Bonaparte selbst beschäftigt die Künstler nur mit seinem Porträt. David hat für ihn das sonderbahre Bild — ein achtes Capriccio — wie der Held auf seinem Schecken den St. Berhard hinansprengt, mehrmalen copiren müssen; E. T. A. Hoffmann 1821 Brambilla 26 um dich für die seltsamen Zaubereien des Callotschen Capriccios zu gewinnen; Hettner 1871 Kl. Sehr. 73 1839

erschien [das von Moritz von Schwind geschaffene Gemälde] Ritter Curt's Brautfahrt, jenes köstliche humoristische Capriccio auf Goethe's bekanntes Gedicht; Friedell 1928 Kulturgesch. II 502 Seine [Goyas] „Caprichos" konzipieren ganz im Barockgeist die Welt als Maskerade und Traum; Zeit 6. 3.1987 Das Capriccio war begleitet von einer Huldigung aus der Feder des seinerzeit berühmten Traktatenschreibers Gregorio Comanini, der dem Bild das Prädikat „secreto" mit auf den Weg gab. capriccioso: Wölfflin 1888 Renaissance u. Barock 9 einige Begriffe, die man früher nicht gekannt hatte: capriccioso, bizarro, stravagante; ebd. 9 Anm. Capriccioso, eigensinnig, eigenthümlich . . Häufig bei Vasari; 1951 Reallex. Kunstgesch. III 330 Die adjektivische Form capriccioso im Sinne von eigentümlich, geistreich, die (von der Antike abgeleiteten) Regeln durchbrechend, findet bereits bei Vasari als ein geläufiges lobendes Epitheton Verwendung. Capriccio d: E. T. A. Hoffmann 1821 Brambilla 66 Es darf dir, vielgeliebter Leser, nicht befremdlich erscheinen, wenn in einem Ding, das sich zwar Capriccio nennt, das aber einem Märchen so auf ein Haar gleicht, als sei es selbst eines, viel vorkommt von seltsamem Spuk, von träumerischem Wahn; 1882 Brockhaus III 930 Capriccio . . bezeichnet in der Litteratur ein kleines Phantasiestück; Korff 1927 Geist IV 635 die Prinzessin Brambilla, . . die der Dichter selbst nicht als Märchen, sondern als ein Capriccio bezeichnet hat; ebd. IV 638 so ist die Prinzessin Brambilla durch ihre Maßlosigkeit der eigentliche Ausbund seiner [E. T. A. Hoffmanns] romantischen Phantasie und Laune. Auch ein Capriccio hat sein inneres Maß — ja ein Capriccio gerade am allermeisten; Mayer 1958 (E. T. A. Hoffmann 1958 Poet. W. I Vorw. XLIHf.) Seine [E. T. A. Hoffmanns] Erzählung ist auch im Märchen oder Capriccio stets grundverschieden von Novalis, dem frühen Tieck oder Eichendorff; 1987 Brockhaus IV 320 Capriccio [in der] Literatur: ein kleines Phantasiestück, meist absonderlich in der Erfindung und oft skizzenhaft in der Ausführung. Capriccio (M.): Lessing 1760 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 269) Indem kam mit seltsamen Bockssprüngen eine Gestalt wie eines Faunus aus dem nahen Walde hervor . . und sagte: „ . . Ich bin von dem Gefolge der Musen, und diene den Poeten und Mahlern nicht selten bey ihrer Arbeit; sie nennen mich Capriccio, ich bin jener Geist; ebd. VIII 270 Hilf mir, muntrer Capriccio, zu Reimen oder Hexametern, zu Gemählden, zu Zeichnungen der Oerter, der Personen, der Stellungen, zu Gedanken, die vervorstechen, zu Anspielungen; ebd. VIII

Captatio benevolentiae 271 Capriccio ist der Gefährte der Fröhlichkeit; ebd. 272 Da war es mit den Schweitzern noch auszuhalten, als Capriccio ihr Freund war. Da durfte Lemene ungescheut vor ihnen singen . . Es war ein allerliebster Einfall: Denn der Einfall kam vom Capriccio . . allein Capriccio steht nicht mehr bey ihnen in Gnaden, und Leßing ist ein profaner Böse-

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wicht; Herder 1768 Ü. Thomas Abbts Sehr. (S. W. // 277) die Briefe über Merkwürdigkeiten der Litteratur, in denen hier Britischer Spleen und Humour zusammen herrscht, dort ein Capriccio hervorgukt, mit Französischen Modeausdrücken um sich wirft, und auf einmal wieder dasteht in den Deutschen Harnisch eingeschmiedet. RS

Captatio benevolentiae F. (-; PL ungebr.), Anfang 18. Jh. entlehnt aus dem (m)lat. Syntagma captatio benevolentiae 'Haschen, Verlangen nach Wohlwollen' (aus captatio 'das Trachten, Haschen', zu captare, Intensivbildung von capere 'nehmen' und benevolentia 'Wohlwollen', zu fielet. Form von benevolens 'wohlwollend'; bereits in der Rhetorik der Antike und des Mittelalters in bezug auf schriftliche und mündliche Kommunikation (Gerichtsreden und Briefe) gebräuchliche fachspr. Wendung, die seit dem Humanismus und der Renaissance, bedingt durch die Entstehung des Romans, auch Eingang in die literarische Prosa fand; vgl. etwa gleichzeitiges gleichbed. frz. captation de beni valence, engl. captation of benevolence), früher auch in der lat. (flekt.) Form. Bildungsspr. verwendet, bes. in der Fachsprache der Rhetorik und Stilistik in der Bed. 'rhetorische Formel, durch die die Gunst des Hörers oder Lesers gewonnen werden soll, Bescheidenheitsfloskel', heute veraltend. Prambhofer 1712 Traum-Gesichter 38 nicht vergreiffe in den Titlen; dann/ wer darinn fehlt/ der schlagt gleich das Kalb ins Äug/ und verliert Captationem benevolentiae, oder alle Gunst; Callenbach 1714 Puer 40 auf daß ich durch keinen Mißtritt den Stiffel der Gnaden krümmer trette. Ecce das ist captatio benevolentiae; Rohr 1728 Zeremoniellwiss. I 309 Macht ers aber schlecht, so wird er seine captatio benevolentiae wahrhafftig auch vergebens anbringen; Nicolai 1763 Literaturbr. IX 5 und was dergleichen captationes benevolentiae mehr sind; Hippel 1767 S. W. XIII 20 Ich bin heute ziemlich aufgeräumt — und schreibe. Eine vortreffliche Captatio benevolentiae!; Hamann 1768 S. W. IV 313 eine doppelte Captatio benevolentia; Goethe 1775 Br. (WA IV 2,296) Sein [Zimmermanns] Betragen gegen dich [Lavater] bleibt besser unentschuldigt, es ist besser dass einem so was unerklärlich bleibt. Ich hab ihn sehr drüber gepeinigt, ob er gleich mit einer sehr wizzigen Captatio benevolentiae die Geschichte anfing; ders. 1780 Tagebücher (WA /// 1,105) Auf die Kr[iegs] Comm[ission]. Gute Ordnung gefunden. Captatio benevolentiae. Wenn sie wüssten dass mich Staub und Moder erfreute sie schafften ihn auch; Schiller 1784 Br. l 213 Sehen Sie indessen diesen Vorbericht ja nicht für eine sogenannte Captatio benevolentiae an, weil ich jetzt zu einer Bitte übergehe; Cramer 1794 Geniestreiche l 38 in einer sehr nervösen Rede, welche sich mit der zierlichen captatio benevolentiae anfieng: „ihr Ochsen!"; Jean Paul 1797

S. W. / 7,121 Ich . . würde . . bewiesen haben . . daß die Prügel blos eine captatio benevolentiae gewesen; Blanc 1808 Br. 20 Denn Pferde zwischen hier [Halle] und Bernburg todtjagen, wie man sagt, . . ist eine neue Art captatio benevolentiae; Wit v. Dörring 1830 Fragmente l Vorw. XVII eine captatio benevolentiae für den Herrn von Schuckmann, von dem man weiß, daß er mir feind ist; Rumohr 1832 Denkwürdigkeiten II 118 eine captatio, wenn nicht benevolentiae, doch irgend einer auf diese gegründeten Empfindlichkeit; Normann 1833 D. österreichischen Länder I l V der ohne captatio benevolentiae und ohne Vorbehalt „höherer Einsicht" es sagt, wie er denkt und sieht; Glassbrenner 1836 Bilder a. Wien l 55 ich füge noch als captatio benevolentiae hinzu, daß man auch Wienerin sein kann, ohne gerade in Wien [geboren zu sein]; Bismarck 1848 Polit. Reden l 55 Ich kann daher jenem Akt unserer Gesetzgebung kaum einen anderen Grund unterlegen, als den einer captatio benevolentiae für den die größeren Städte beherrschenden Zeitgeist; Engels 1848 Nationalrat (MEW VI 98) nach einiger Ausschmückung dieser captatio benevolentiae ging er allmählich dazu über, auseinanderzusetzen, was seine Meinung sei; Meysenburg 1879 Stimmungsbilder 200 eine sonderbare captatio benevolentiae; N. Z. Z. 19. 11. 1943 unter dem Vorwand der captatio benevolentiae; Klemperer 1946 LTI 274 Nun aber, nach dieser demütigen Verbeugung und captatio benevolentiae, kann man doch nicht umhin, sich im Geschäfts- und medizi-

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nischen Interesse zur Wehr zu setzen. Unter dem Deckmantel des germanischen Traditionalismus der Naturnähe und des Antiintellektualismus, dazu mit dem immer wieder verfangenden Gerede von der „Gefährlichkeit chemischer Mittel" . . blüht das Kurpfuschertum, macht Geschäfte mit „kritiklos" zusammengebrauten deutschen Heiltees; Zeit 11.1. 1985 er wollte sich dem französischen Publikum wieder als Romancier präsentieren und bemüht deshalb in einer verschlagenen Captatio benevolentiae seinen Großvater, den Gymnasiallehrer aus Le Havre, als literarischen Kronzeugen: der habe ihn vorn Jenseits aus in seiner Abkehr von der regulären Syntax im Festhalten an den vielberufenen „drei Punkten" bestärkt; Reichmann 1989 Frühneuhochdeutsches Wörterbuch I 163 Vorw. Captatio benevolentiae [.] Nach der detaillierten

Beschreibung der einzelnen Artikelpositionen ist hier wohl der günstigste Ort, eine Bitte an diejenigen zu richten, die diese Einleitung unter wörterbuchkritischem Aspekt lesen. Es ist die Bitte um Nachsicht vor allem dafür, daß einige lexikographische Probleme nicht hinreichend ausdiskutiert wurden und daß sich in der Artikelgestaltung in Einzelpunkten Abweichungen von dem in der Einleitung formulierten Programm finden; Spiegel 18.1. 1993 Diese Captatio benevolentiae vorweg: Nie waren die Probleme, denen sich Gesellschaft und Regierungen gegenübersahen, so komplex und schlechthin unübersichtlich wie heute, und das gilt für alle Länder; 1994 Historisches Wb. d. Rhetorik II 121 Mit der rhetorischen Figur der Captatio benevolentiae will sich der Redner zu Beginn seines Vertrages bzw. der Autor zu Beginn seines Werkes der Gunst des Publikums versichern. RS

Caravan M. (-s; -s), seit früherem 19. Jh. selten, erst seit Mitte 20. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. engl. caravan (< ital. caravana 'Handelszug, reisende Schar von Kaufleuten, Pilgern', über gleichbed. mlat. caravanna zurückgehend auf pers. karwan 'Kamelzug, Reisegesellschaft von Kaufleuten, Pilgern'; —»· Karawane), in jüngster Zeit selten auch in der Schreibung Karavan. 1 Zunächst, auf engl. Verhältnisse bezogen, für 'großer Wohnwagen reisender Jahrmarktshändler oder -künstler' (s. Beleg 1844), erst seit Mitte 20. Jh. in der Bed. 'als Pkw-Anhänger konstruierter einachsiger Campingwohnwagen, der zu Urlaubs- bzw. Erholungszwecken, auch für Wochenendfahrten verwendet wird' (konkurrierend mit Wohnwagen, Wohnmobil), als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Fall-, Leih-, Luxus-, Miet-, Motor-, Reise-, Schwimm-, Urlaubscaravan; Caravanausstellung, -camp, -center, -club, -Industrie, -komfort, -messe, -möbel, -park, -platz, -tourist(ik), -Urlauber, -(wohn-)wagen. Dazu seit Mitte 20. Jh. die Personenbezeichnung Caravaner M. (-s; -) 'jmd., der einen Campingwohnwagen zu Urlaubs- und Erholungszwecken verwendet', gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Wintercaravaner. Etwa gleichzeitig das aus gleichbed. engl. carava(n)ning entlehnte Verbalsubst. Caravaning N. (-s; ohne PL), anfangs selten auch in der Schreibung Caravanning, für 'das Reisen oder Leben im Caravan, bes. in Urlaub und Freizeit' (vgl. Camping, —» Camp), als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Caravaningbewegung, -führer, -tourismus; Wintercaravaning. 2 In neuerer Zeit auch für 'Kombiwagen, kombinierter Personen- und Lieferwagen (mit ausgebautem Heckteil)', gleichzeitig für 'Verkaufswagen'. Caravan 1: Kohl 1844 Reisen E. u. W. II 316 die Fiaker, die Frachtwagen, die Vans, Caravans und Springvans [in Manchester]; Herzog/Edwards 1930 Engl. Kulturkunde 37 Eine eigentümliche Art, das Wochenende oder die Ferien zu verbringen, ist ein Ausflug im Wohnwagen (Caravan). Wie Bild 41 zeigt, ist der „Caravan" ein großer Wagen, wie ihn die reisenden Jahrmarktskünstler haben. Er enthält Betten, Ofen, Kochgelegenheit,

Tisch und Stühle und kann sehr gemütlich eingerichtet sein. Bei der großen Sicherheit des Landes kann man ganz ungestört ein paar Tage oder Wochen in völliger Einsamkeit, im Walde, in den Bergen oder wo man sich sonst wohlfühlt, verbringen. Der Wagen wird durch Pferde oder Motor gefahren. Die Liebe des Engländers zur Natur und seine Freude am Lagerleben, die in der englischen Jugendbewegung geweckt wird, kommen auch in

Caravan dieser Form der Wochenendbewegung zum Ausdruck; Stuttgarter Ztg. 19.11. 1959 Nach vorsichtigen Schätzungen beträgt der deutsche Wohnanhängerbedarf 1960 etwa 5000 Einheiten - vom kleinen Klappanhänger, dem Zelt auf fahrbarem Untersatz bis zum großen Sechs-Meter-Wagen auf zwei Achsen, den man nur mit einem Mehr-LiterMotor ziehen kann. Damit dürfte der bundesdeutsche Bestand an Caravans aus Holz, Aluminium, Stahl oder dem letzten Schrei Plastik wieder um 25 bis 30 Prozent zunehmen; ebd. 28.2.1961 Normale kleinere Caravans zwischen 2,90 und 4 Meter Aufbaulänge bieten fast immer die gleiche Möblierung; Süddtsch. Ztg. 16.10. 1962 Auf dem Internationalen Caravan-Salon in Essen zeigen die Aussteller Modelle für die kalte Jahreszeit; Stuttgarter Ztg. 1.10.1965 die 1965 von fast 70 Herstellern im Bundesgebiet gebauten und die dazu importierten über tausend Caravans; Spiegel 31. 7. 1967 Andere Käufer wollen sich mit dem Wohnwagen, im Fachjargon Caravan genannt, von teuren Urlaubsquartieren unabhängig machen (AWB); Süddtsch. Ztg. 25. 5. 1968 [die] für die Einrichtung der Caravans nötigen Möbel; ebd. 3. 1. 1970 „Caravan und Boot" (Titel); FAZ 30. 9. 1970 neben Caravans stellt das italienische Unternehmen auch in größerem Umfang Wohnwagen-Zubehör her; 1970 ADAC-Motorivelt Nr. 11 o. S. ein künftig ganzjährig geöffneter Caravanplatz für 500 Wohnwagen; FAZ 16. 10. 1971 62 Prozent aller Camper fahren nach Erhebungen des Deutschen Camping-Clubs ins Ausland; dabei heißt die Devise offenbar: „Fort vom Zelt, hin zum Caravan"; 1973 ADAC-Motorwelt VI 79 Wer mit Zelt oder Caravan unterwegs ist; Welt 21. 2. 1974 die Camping 1974 .. über 350 Aussteller aus 21 Ländern werden ihr Angebot an Caravans, Zelten, campinggerechten Booten und Wassersportartikeln sowie an Zubehör zeigen; ebd. 26. 1. 1978 Im Unterschied zum Wohnanhänger, dem Caravan, der von einem Auto gezogen wird, ist der Wohnwagen, der Motorcaravan, ein Selbstfahrer auf Nutzfahrzeug-Fahrgestell; Süddtsch. Ztg. 11.112. 2. 1978 Seit Jahren wünscht sie sich, daß wir uns einen Wohnwagen anschaffen, was sie als moderner Mensch Caravan nennt; FAZ 21. 6. 1983 Händler und Fabrikanten meinen, daß der Caravan das Dauercamping mit dem Zelt abgelöst hat und das Textildach nur noch in den Sonnenmonaten gebraucht wird; Bild am Sonntag 2.10.1983 Preise für Caravans von 5000 bis über 40000 Mark; Flensb. Tagebl. 10.11.1983 Weit über 620000 Karavans werden zur Zeit in der Bundesrepublik als rollender Ferienuntersatz genutzt; FAZ 3. 8. 1984 Daß während der letzten Jahre pro Saison zwischen 500 und 1500 Caravans weniger verkauft wurden, hat .. mehrere Ursachen (alle sechs AWB); 1987 Straßenverkehr V 20 Die neue

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Fertigungshalle für den Bereich der Wohnwagenproduktion . ., in der die Montagetakte des Caravan ablaufen, bietet angenehme Arbeitsbedingungen; MM 5. 7. 2995 Wer mit seinem Caravan reisen möchte, sollte sich davor hüten, sämtliche Utensilien wahllos in den Anhänger zu werfen; ebd. 26. 8. 1995 Die Ferien von Caravan-Urlaubern dauern . . im Durchschnitt länger als die anderer Ferienreisender; ebd. 28. 8. 1995 Neun Tage zeigen 486 Aussteller aus 15 Ländern die neuesten Reisemobile und Caravans. Caravaner: Stuttgarter Ztg. 19. 11. 1959 Deutsche Wohnanhänger-Enthusiasten, die sich selbst meist Caravaner nennen, verweisen stolz auf die Zunahme . . des Wochenend- und Ferienhauses auf Rädern; ebd. 28. 2. 1961 Unter den deutschen Caravanern überraschen zwei starke soziologische Gruppen, Ärzte und andere Akademiker sowie leitende Angestellte; ebd. Es ist also keinesfalls so, daß die Mehrheit der neuen Caravaner nun ehemalige Zeltler waren; Süddtsch. Ztg. 16.10. 1962 Zwischen den Campern und den Caravanern besteht zur Zeit eine Art Vernunftehe, die dadurch herbeigeführt wurde, daß es erst ganz wenige Spezialplätze gibt, die nur den rollenden Wagen und nicht auch den Zelten vorbehalten sind; ebd. Werdet Wintercaravaner; Stuttgarter Ztg. 18. 9. 1965 die Caravaner möchten sich von den Zeltlern trennen, mit denen sie bislang auf Deutschlands Campingplätzen in trauter Gemeinschaft den Urlaub verbrachten. Sie möchten ihre eigenen Plätze haben, „Trailerplätze"; ebd. Die Caravaner möchten . . ihre Wohnwagen an besonderen Plätzen, an denen sie ihren ganzen Urlaub verbringen wollen, zu Feriendörfern zusammenschieben, die sich zum Saisonende wieder auflösen; Mittelbayer. Ztg. 18. 9.1969 Um allen deutschen Caravanern, aber auch Zeltlern mit überladenen Fahrzeugen den Weg in den Süden leichter zu machen, testet ein Team der Fachzeitschrift Caravaning seit Wochen 101 Alpenpässe auf ihre Gespanntauglichkeit; Welt 6. 10.1977 Vom 8. bis 16. Oktober ist auf dem Essener Messegelände Gruga der 16. Internationale Caravan-Salon das Mekka der Caravaner und Camper; Neue Westf. 4. 12. 1982 immer mehr Caravaner schwören auf den Winterurlaub (alle drei AWB); MM 23.8.1989 Doch verspricht MesseGeschäftsführer Günther Ciaassen beim „TopTreff" der Caravaner Vielfalt vom Faltwohnwagen bis zum Luxusfahrzeug im Omnibusformat; ebd. Caravaner starten in neue Saison; ebd. 7. 9.1989 So bleibt abzuwarten, ob der neue „Trend" von Knaus .. wieder zum Publikumsmagneten der Caravaner wird. Caravaning: 195« Süddtsch. Ztg. Nr. 148 „FICC" . . In einem Lexikon der Abkürzungen steht zu le-

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Carpe diem

sen, daß dies „Federation Internationale de Camping et Caravaning" bedeutet . . Sie müssen wissen, daß „Caravaning" im regenreichen England sozusagen groß geschrieben wird; Munch. Stadtanz. 15. 6. I960 sämtliche Fragen des Camping, Caravanning, Reisens und Wanderns; Offenburger Tagebl. 6. 9. 1962 [Europa-Messe Straßburg 1962] Abteilung für Wassersport, Fluss-Touristik, Camping und Caravaning; Stuttgarter Ztg. 21. 3. 1963 Der Internationale Europa-Camping- und Caravaning-Führer bringt alle wesentlichen Angaben zu jedem einzelnen der ausgewählten 2200 Plätze; ebd. 18. 9. 1965 Der Separierungswünsch [der Caravaner von den Zeltlern] ist keineswegs schierem Hochmut entsprungen, weil etwa Caravaning die natürliche Steigerung von Camping ist. Vielmehr sind die Interessen und Bedürfnisse der Radhausbesitzer etwas anders gelagert als die der Leinwandnomaden; FAZ 25. 3. 1970 Die Freunde des Caravaning rüsten sich für die große Fahrt; ebd. 9. 5. 1970 Außerdem muß ihr [meiner zukünftigen Lebensgefährtin] Caravaning Freude machen (Anzeige); Kleine Ztg. 13.7.1974 Dabei wurde uns klar, daß Caravaning keineswegs mit Komfortverlust erkauft werden muß; Welt 29. 9. 1978 Camping und Caravaning — ist das die große Freiheit, von der Millionen offenbar träumen?; Bunte 5. 4. 1979 Mit immer mehr Luxus und originellen

Ideen versucht die Wohnwagen-Industrie das Caravaning schmackhaft zu machen; ebd. 26. 7. 1979 Wieviel das für Ihre Sicherheit bedeutet, brauchen wir Ihnen als Freund des Caravaning nicht zu erklären (Anzeige); Neue Westf. 4.12. 1982 Caravaning im Winter - ein Spaß nicht nur für „Eisbären"! Wintercamping ist mit modernen, vollisolierten Caravans schon lange keine frostige Angelegenheit mehr (alle fünf AWB); MM 7. 9.1989 Auf der Aktionsbühne wird täglich ein Non-Stop-Programm mit Gesprächen rund ums Thema Caravaning .. geboten; ebd. 28. 8. 1995 Neben den klassischen Wohnmobilen werden den Freizeit-Fans auf dem Caravan-Salon auch .. Informationen über den Caravaning-Tourismus geboten. Caravan 2: Welt 15. 8. 1964 Wanderkino m. Lkw (Caravan) fast neuwert., feste Spielstellen in Norddeutschland (Anzeige); Carstensen 1965 Engl. Einflüsse 108 Caravan . . ist auch geläufig als Bezeichnung eines Kombiwagen-Modells der Firma Opel; Stern 10. 9. 1987 der Opel Omega Caravan ist der größte und wird deshalb bei Handel, Handwerk und Gewerbe besonders geschätzt; ebd. Was Kombis alles können . . zusammen mit den bekannten Vorzügen des „Auto des Jahres" hat der Omega Caravan viel zu bieten. RS

Carpe diem!, seit Mitte 19. Jh. häufiger belegte Entlehnung aus gleichbed. lat. carpe diem, eigentlich 'pflücke den Tag!' (von Horaz, Oden I 11,8, geprägt aus carpe, Imperativ von carpere '(ab-)pflücken; genießen' und flekt. Form von dies 'Tag'). Bildungsspr. gebrauchter Phraseologismus in der Bed. 'Nutze die Zeit!', 'Mache das Beste aus Deiner Zeit/Deinem Leben!', auch für 'Genieße den Tag, den Augenblick!, koste den Tag voll aus!'. Leuthold 1848-76 Gedichte 165 Carpe diem! (Titel); Scherr 1862-63 Blücher U 282 Das weise Carpe diem prakticieren (SANDERS 1871); Matnroth 1907 Leben 9 Carpe diem!; Jh. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 339) in demselben Maße, wie der Boden sich dort verteuert, Raumverschwendung zur Unmöglichkeit wird, in demselben Maße bemerken Sie das, wird dort auch die Zeit immer kostbarer. Carpe diem!, das sang ein Großstädter; 1928 Handb. d. Frankreichkunde l 173 das antike „Carpe-diem!"-Thema; 1948 Beiträge z. Kultur- u. Rechtsphilosophie 20 Das berühmt gewordene carpe diem ist unzureichend übersetzt, wenn man nur sagt: nütze den Tag. Das wäre zu pragmatisch. Auch kann man es nicht gleichsetzen dem christlichen Wort: Kaufet die Zeit aus. Es muß dabei bleiben, daß carpere pflücken bedeutet. Dein Leben sei so, daß jeder Tag wie eine Frucht vom Baume des

Seins ist, die du in Dankbarkeit pflückst, um sie zu genießen; FAZ 21. 11. 1964 Carpe diem! Es ist schon später als du denkst. . Wenn Sie nicht länger allein sein wollen (Anzeige); ebd. 20. 3. 1971 carpe diem, so manche Blicke folgen mir (Anzeige); Freksa 1981 Sommer 151 Das Selbstvertrauen des Mädchens, das ihn zu beruhigen suchte und ermahnte, nach dem Horaz „Carpe diem" zu üben, hatte ihn innerlich gestrafft; Büchmann 1981 Geflügelte Worte 72 Carpe diem! Nutze (genieße) den Tag! rät er [Horaz] in der elften Ode des ersten Buches (I 11,8) und freue dich der Gegenwart!; Glasser 1982 Zeitbegriff 168 Das „Carpe diem" ist der sprechendste Ausdruck dieses [der Renaissance eigenen] Zeitgefühls, das die Dauer als Intensität des Erlebens erfassen will; ebd. 200 Horazens „Carpe diem" wird [im 18. Jh.] mit neuer Sehn-

Cartoon sucht ausgesprochen. Man strebt wieder nach einem erhöhten Genuß des Augenblicks,. . man sagt nur mit Einschränkung und Bedingtheit „Pflücke

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den Tag!" Das Ideal der Lebensführung ist eher eine Komplexität der Gefühle, die eine Dämpfung von Lust und Unlust bewirkt. RS

Cartoon M. oder N. (-(s); -s), Mitte 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl.-amerikan. cartoon (< frz. carton 'Zeichnung auf Karton' < gleichbed. ital. cartone, Vergrößerungsform von carta 'Papier, Karte', zurückgehend auf lat. charta 'Papyrusblatt, Papier, Schriftstück' < griech. 'Papyrusblatt, dünne Platte', wohl ägypt. Ursprungs; —» Charta, —* Karton, vgl. dtsch. Karte. Das engl. Wort Cartoon geht zurück auf das seit 1841 erscheinende satirische Wochenblatt „Punch", das die Entwürfe für die Deckenfresken im Westminster Palace (Houses of Parliament), die im Hinblick auf ihre Dimensionen eher lächerlich wirkten, in der Serie „Punch Cartoons" ironisch darstellte; etwa gleichzeitig wurde es auch von satirischen, politisch aggressiven Zeitschriften Frankreichs aufgegriffen und ist seit dem 2. Weltkrieg international verbreitet), anfangs in der engl. Kleinschreibung. Zunächst in der Bed. 'parodistische (oft symbolhafte) gezeichnete oder gemalte Reproduktionsgraphik, die mit den Mitteln der Karikatur vor allem bekannte Persönlichkeiten und aktuelle zeitgeschichtliche Ereignisse humorvoll oder satirisch darstellt' (—» Karikatur), z. B. politische Cartoons, in Zss. wie Cartoon-Band, -Fan, -Zeichner; Horror-Cartoon; in neuester Zeit auch für 'gezeichnete oder gemalte satirische Geschichte in Bildern, Comic strips, Comics' (—> Comic). Dazu in neuerer Zeit die aus gleichbed. engl. cartoonist entlehnte Personenbezeichnung Cartoonist M. (-en; -en), auch Cartoonistin F. (-; -nen), 'Künstler(in), der (die) Cartoons zeichnet'. Gleichzeitig die vereinzelt und nur im Part. Perf. nachgewiesene verbale Ableitung cartoonieren V. trans, 'etwas in einem Cartoon karikieren' und die adj. Ableitung cartoonistisch 'in der Art eines Cartoons', z. B. cartoonistische Zeichnungen. Cartoon: Neue Ztg. 26. 7. 1946 „Cartoons". In ihrer Nummer 57 vom 19. Juli hat die „Neue Zeitung" eine Karikatur — „cartoon" lautet der Fachausdruck in der angelsächsischen Presse — aus der amerikanischen Zeitschrift „The New Yorker" veröffentlicht, die den Atombombenversuch bei Bikini glossierte; ebd. Engländer [und] . . Amerikaner . . sind an eine freie Presse gewöhnt, in der besonders die Tradition des oppositionellen „political cartoon" eine wichtige Rolle spielt; ebd. daß der bekannteste englische Journalist der Zeichner David Low ist, dessen linksgerichtete „cartoons" übrigens in dem konservativen „Evening Standard" erscheinen; Süddtsch. Ztg. 13. 6. 1953 Der Manchester Guardian hat die Schockwirkung mit einem „cartoon", einer politisch-satirischen Zeichnung von David Low versucht und damit nur eine ernstliche Entzweiung mit einem Teil seiner Leser hervorgerufen; Welt 28. 9. 1963 184 Cartoons und 100 Titelbilder der satirischen Londoner Wochenzeitschrift in Hannover ausgestellt (FINK); Anders 1965 Antiquiertheit 43 die durch die „cartoons" klirrenden Roboter; Stuttgarter Ztg. 7.2.1967

Cartoon . . Der SDP hat eine neue Suite begonnen, die er „Cartoon" nennt und als Streifzug durch den gezeichneten Humor . . drei-, viermal im Jahr fortsetzen will; ebd. „Cartoon" heißt zu deutsch Karikatur, Herkunft und Heimat ist der „Punch", die Zeitschrift der englischen Witzbolde, Spötter und Scharfrichter; Süddtsch. Ztg. 21.7.1969 Die Rolle der seit Jahrzehnten geläufigen Astronauten-Cartoons ist so groß gewesen, daß die amerikanischen Stellen, die uns via Satelliten über das Schicksal von Apollo 11 unterrichteten, es für selbstverständlich halten, einige solcher Cartoons einzublenden; ebd. 31. 12.1969 Adlige sind überall . . Sie arbeiten in der Konfektion: Graf Thun-Hohenstein; zeichnen Cartoons: Loriot, alias Vico von Bülow (beide PFITZNER); Stern 21.2.1980 Sporadisch nur hätten die großen Zeitungen, die seine Cartoons drucken, die Reisebilder gedruckt — Pepschs politische Karikaturen waren gefragter; Sachs. Tagebl. 5. 3. 1980 Cartoons, Krimis und „Lichtjahr l" — Der Band „Satiren 80" vereint Karikaturen aus sozialistischen Ländern; Stern 18. 11. 1982 Mit Cartoons und guter Prosa macht

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Casanova

der Züricher Diogenes Verlag seit 30 Jahren ein erfolgreiches Programm (alle drei AWB); Zeit 4.1. 1985 in einem respektlosen, zuweilen witzigen Cartoon von Heinz Langer „Grimmige Märchen", in dem sich erstaunliche Vergegenwärtigungen . . finden; ebd. 3. 5. 1985 die Cartoons . . teils witzig, teils belehrend, teils sarkastisch angelegten großen Bilderbogen; ebd. 10. 1. 1986 das könnte fast aus einem bösen Cartoon von Tomi Ungerer stammen; MM 3. 6.1986 Beispiele aus Werbung, Comic und Cartoon; Stern 21.5.1987 „Körpersprache und 111 andere hübsche Cartoons" heißt - irreführend - der Debüt-Band des Berliner Zeichners Bernd Pohlenz . . Was der Newcomer unter hübschen Cartoons versteht, zeigt er gleich auf der ersten Seite; MM 5. 6.1987 als Zeichner hatte er angefangen, veröffentlichte Cartoons; Universitätsztg. (Leipzig) 14. 4. 1989 Die Stadt- und Bezirksbibliothek Leipzig zeigt in der 63. Ausstellung der Georg-Maurer-Bibliothek Cartoons und Illustrationen von Lothar Otto, der nicht nur national, sondern auch international auf sich aufmerksam machte, nahm er doch an allen wichtigen Cartoonausstellungen der Welt teil (AWB). Cartoonist/in: Spiegel 11.8. 1965 Federico Fellini, vormals selbst Cartoonist, erklärte .. (AWB); Stuttgarter Ztg. 7. 2. 1967 Der erste „Cartoonist" und Trickzeichner in dieser Reihe war der Herr von Bülow, der sich Loriot nennt; Spiegel 15. 4. 1974 Gäste in Dietmar Schönherrs TalkShow: der Hamburger Verleger Gerd Bucerius, Cartoonist Tomi Ungerer und ..; Welt 10. 12. 1976 Die Klage des amerikanischen Cartoonisten, der die „Peanuts" vor 26 Jahren schuf, wurde von einer Pariser Zivilkammer verhandelt; Spiegel 16.11.1981 Die Heidelberger Cartoonistin Franziska Becker, 32, hat sie erdacht und gezeichnet. Alice Schwarzers „Emma" macht sie seit vier Jahren populär; ebd. 4. 7. 1983 Mitleidlos irritierend

strichelte die Frankfurter Cartoonistin Doris Lerche („Du streichelst mich nie") für den Heyne-Verlag Horrorvisionen zu der Science-fiction-Anthologie „Die letzten 48 Stunden" (alle vier AWB); MM 6. 6. 1986 Tausende von Bildergeschichten zwischen Sex und Crime, doch die meisten der von fast ausschließlich männlichen Cartoonisten gezeichneten Frauen erstarren zwischen „femme fatale" und „Heldin der Erotik" zu simplen Stereotypen und Klischees; Zeit 19. 9. 1986 Gernhardt .. ist Maler, Cartoonist, Satiriker und Witzemacher; Spiegel 16. 2. 1987 Als es ihr um das Liebesleben, also ums trostlose Leben ohne Liebe der Normalbürger ging, da hat die Frankfurter Cartoonistin Doris Lerche ihre grobschlächtigen Figuren noch schwarzweiß gestrichelt (AWB); Stern 27. 5.1987 „Palast der Winde", den der lästerliche österreichische Cartoonist Manfred Deix mit saftig-säuischen Bildern zierte; Spiegel 29. 2. 1988 Englands boshaftester Satiriker, Cartoonist der Satire-Magazine „Punch" und „Private Eye" sowie Autor von bissig gezeichneten Bilderbüchern („Ich, Leonardo"), illustrierte 1967 mit frechem Strich das weltberühmte Kinderbuch von Lewis Carroll, das seit seinem Erscheinen im Jahre 1865 stets auch Erwachsene faszinierte (AWB); Frankf. Rundsch. 31.5. 1990 als der Cartoonist Manfred Boflinger mit einer vierzipfligen Bockwurst die undurchsichtige Preispolitik des SED-Regimes karikiert hatte, fühlte sich Erich Honecker persönlich auf den Zipfel getreten; der Chefredakteur wurde entlassen. cartooniert: Spiegel 28. 7. 1975 Mit Hilfe des drollig cartoonierten Terenz will Bartels . . auch die „Kommunikationsschwierigkeiten" seiner Wissenschaft [der Altphilologie] „unterlaufen". cartoonistisch: Spiegel 25. 7. 1983 Von Brösels cartoonistischem Können sind inzwischen schon seriöse satirische Instanzen überzeugt. RS

Casanova M. (-(s); -s), im frühen 19. Jh. aufgekommen, appellativisch verwendeter Name des Italien. Abenteurers G. Casanova (1725 — 98), der ein vielbewegtes, an Liebesverhältnissen reiches Leben geführt haben soll und vor allem durch seine 1822—28 ins Dtsch. übersetzten Memoiren bekannt wurde. In der Bed. 'Mann, der es versteht, auf verführerische, charmante Weise die Liebe, Gunst der Frauen zu gewinnen; Frauenheld, -liebling, Verführer' (—»· Don Juan), bes. in Wendungen und Zss. wie ein ausgesprochener Casanova (sein), sich als (kleiner) Casanova aufspielen; Hollywood-, Westentaschen-Casanova 'Casanova im Kleinformat'. Schumann 1829 Tagebücher l 47 das Palais des Herzogs von Nassau — der Casanova — der desparate Kaufmann (PAUL); Gutzkow 1858 Zauberer

Vll 77 Weil sie gerade auf den Naturtrieb hin, um diesen und nur diesen zu unterdrücken, das Tollste erfanden — wahre Casanovas der Frömmigkeit

Cäsarismus (SANDERS 1871); Nordau 1881 Paris I 253 Casanova; Brieger-WasseriOgel 1911 Gesellschaft 14 Es wimmelt in unserer Gesellschaft von solch abenteuerlichen Casanovanaturen, von .. dem Bankdirektor . . bis hinab zum ehemaligen Schankkellner, dessen falscher Adelstitel Herzen und Sparkassenbücher vertrauensseliger Dienstmädchen erobert; Friedell 1928 Kulturgesch. 11 163 Casanova, dessen Name zum Gattungsbegriff erhöht worden ist; Schmilz 1928 Essays 74 f. Der grosse Liebhaber (Casanova); Münch. N. N. 7.1. 1940 Erich Zauder ist ein flotter Casanova, der das fremde Blümelein stürmisch brechen will; ebd. 15. 9. 1944 konnten sich .. Gretl Schörg und der die ganze Komödie der Irrungen anstiftende Julius Katona als „Casanova" auszeichnen; 1949 Bergsteiger XVI 96 der „Casanova der Alpen"; Süddtsck. Zig. 4.2. 1959 Elfriede . . ist eine der zahlreichen Frauen, durch die sich der 62jährige „Casanova des östlichen Nachrichtendienstes" Informationen .. besorgt hat; Stuttgarter Zig. 18. 9. 1959 Ein diebischer Casanova (Überschr.) Ein .. Schöffengericht . . hat einen 24 Jahre alten Angeklagten . . verurteilt, weil er die Freundschaft einer Frau ausgenützt hatte, um sie zu bestehlen; ebd. 4. 7. 1964 Der Lehrling spielte sich trotz seiner Jugend als kleiner Casanova auf; Bildztg. 10. 6. 1967 „Dr. Casanova" ist tot. Gestern stürzte sich .. Misterrek (36),

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Deutschlands erfolgreichster Heiratsschwindler, vor Beginn seines Prozesses aus dem Fenster; FAZ 1. 7. 1967 Für einen . . Casanova oder Glücksritter (Überschr.); Heuer 1971 Genie u. Reichtum o. S. Mit zwölf begann der kleine [historische] Casanova schon „Casanova" zu spielen: er verliebte sich, lauerte einer achtjährtigen Tänzerin in ihrer Garderobe auf; Zeit 22. 8. 1986 die Lust, sich feminin zu schmücken mit Straß, Perlen und Spitzen, scheint bei ihm vorbei zu sein. Er geht jetzt gern in Richtung Vorstadt-Casanova. Wie rührend das wirkt; MM 28. 7. 1987 er ist die Milde und Güte in Person — vor der Kamera. Zu Hause Patriarch und abgewrackter Casanova zugleich, der die Menschen wie Marionetten benutzt; ebd. 2.11. 1987 Susi Berwanger, die sich in einer Bekanntschaftsanzeige als „defekte Frau" bezeichnet hat, sitzt ihrem Briefpartner gegenüber. Rasch entpuppt sich der Westentaschen-Casanova Carl Pfenniger als Schlawiner, dessen Taktlosigkeit aus Einfalt herrührt. Vor Susis Rollstuhl schleicht er sich davon; 1990 Petra XI 32 Und was war mit Warren Betty, dem Mann, den der Hauch eines altgedienten Hollywood-Casanovas umweht, der seine Manager brauchte, um seine Frauengeschichten zu koordinieren?; 1990 Elle X 90 Schnelle Beute. Westentaschen-Casanovas aus der BRD haben ein neues Revier entdeckt: die DDR. GS

Cäsarismus M. (-; ohne PL), wohl Anfang 19. Jh. (RITTER) unter Einwirkung von gleichbed. frz. cesarisme aufgekommen (gebildet mit dem Suffix -Ismus zu Cäsar, über mhd. cesar, ahd. keisur, got. kaisar (vgl. längst integriertes Kaiser, —* Zar) zurückgehend auf lat. Caesar, erblicher Bei- bzw. Familienname des römischen Feldherrn und Staatsmannes Gaius Julius Caesar, der schon in der Antike und in ahd. Zeit als Appellativ gebraucht wird für 'ehrender Beiname der römischen Herrscher (seit Augustus)' sowie 'Kaiser, diktatorischer Herrscher' und in diesen Verwendungen als Basis für weitere Ableitungen dient, s. u.; vgl. bereits seit dem frühen 16. Jh. auch Ableitungen zu Caesar als Eigenname wie cäsarianisch Adj. 'zu Gaius Julius Cäsar gehörend; kaiserlich', seit spätem 17. Jh. cäsarisch Adj. 'zu Gaius Julius Cäsar gehörend, in der Art Cäsars', seit früherem 18. Jh. Cäsarianer M. (-s; -) 'Gefolgsmann, Legionär, Nachfolger und Anhänger Cäsars; kaiserlicher Amtmann, der die Renten einnahm und berechnete, die kaiserlichen Güter verwaltete'; seit frühem 19. Jh. Cäsarianismus M. (-; ohne Pl.) 'Nachfolge und Anhängerschaft Cäsars'; seit frühem 18. Jh. wird Caesar (oft im Pl.) in positivem Sinne auch übertragen verwendet in der Bed. 'auf einem bestimmten Gebiet führende Persönlichkeit', z. B. die Cäsaren der Wirtschaft, seit frühem 20. Jh. als Grundwort in Zss. wie Mode-, Wirtschaftscäsaren). a Anfangs meist noch auf französische Verhältnisse, bes. Napoleon L, bezogene Bezeichnung für den autoritären Herrschaftsstil in Frankreich, dann etwa seit Mitte 19. Jh. zunehmend zur Kennzeichnung einer Militärdiktatur, deren Führer nach einer Revolution mittels eines Staatsstreiches die unbeschränkte Herrschaft im Staat

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Cäsarismus

übernimmt und die Ergebnisse der Revolution wieder rückgängig macht; gegen Ende des 19. Jhs. auch in den sozialwissenschaftlichen Bereich (M. Weber, O. Spengler, C. Schmitt) übernommen und bis etwa Mitte 20. Jh. als viel diskutierter, umstrittener Begriff verwendet im Sinne von 'unbeschränkte, meist despotische Staatsgewalt, Diktatur', der aber in der nationalistischen Publizistik und auch in den Diskussionen nach dem Zweiten Weltkrieg kaum noch eine Rolle spielt (—» Bonapartismus, —» Despot(ie), —» Diktatur, —* Napoleonismus); vgl. sinnverw. Zss. mit Cäsar in seiner Bed. 'diktatorischer Herrscher' wie Cäsarenherrschaft 'diktatorische Herrschaft', Cäsarkomplex 'krankhaft übersteigerter Trieb zur despotischen Alleinherrschaft' und bes. Cäsarenwahn 'krankhafte Übersteigerung des Machttriebs bei Diktatoren', auch übertragen für 'Größenwahn'. b Seit späterem 19. Jh. selten auch für '(römisches) Kaisertum', bes. in der Geschichtswissenschaft verwendet. Dazu seit Anfang 17. Jh. die nur gebuchte Personenbezeichnung Cäsarist M. (-en; -en), zunächst für 'Anhänger des Kaisers' (zu b), seit dem 18.719. Jh. auch in der Bed. 'despotischer Herrscher' und 'Anhänger des Cäsarismus', mit der dazugehörigen, seit späterem 19. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitung cäsaristisch 'dem Cäsarismus entsprechend, despotisch', in Wendungen wie cäsaristisches Kaisertum, System; cäsaristische Politik, Tendenzen (zu a). Daneben seit dem 18. Jh. die (möglicherweise unter Einfluß von ital. cesaropapismo, frz. cesaropapisme, engl. caesaropapistn aus der verkürzten Form von Cäsarismus, dem Fugenvokal -(e)o- und —* Papismus, zu lat. papa 'Kirchenoberhaupt, Papst, Vater' gebildete) neoklassische Kombination Cäsaropapismus, anfangs auch Cäsareopapismus M. (-; ohne PL), als Bezeichnung für das seit Ende der Antike im Byzantinischen Reich übliche spätrömische kirchenpolitische Herrschaftssystem, bei dem der weltliche Herrscher zugleich geistliches Oberhaupt ist, dann auch allgemein für 'Herrschaft des Staates über die Kirche, Staatskirchentum', gleichbed. mit der im 18. Jh. selten bezeugten Ableitung Cäsaropapie; dazu seit späterem 18. Jh. die Personenbezeichnung Cäsaropapist M. (-en; -en) für 'Anhänger des Cäsaropapismus' und Anfang 20. Jh. die adj. Ableitung cäsaropapistisch 'dem Cäsaropapismus entsprechend' (zu b). Seit Anfang 19. Jh. die subst. Ableitung Cäsar(en)tum N. (-s; ohne PL), weitgehend gleichbed. mit Cäsarismus (zu a und b); seit späterem 19. Jh. die adj. Ableitung cäsarisch 'selbstherrlich, despotisch' (zu a) und seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung cäsar(en)haft 'kaiserlich' (zu b) und 'despotisch' (zu a). Cäsarismus a: Romieu 1850 Der Cäsarismus oder die Notwendigkeit der Säbelherrschaft (Obers.) (Titel); ders. 1851 Rote Gespenst (Übers.) 334 Gänzlich ausgebaut wurde die Lehre unter ihrem Namen zu guter Letzt, als Napoleon III., den eigentlichen Cäsarenspiegel herausgab, in welchem er sich zugleich als das Werkzeug der Vorsehung und den Nachfolger im Geiste des großen Juliers verkündigt. Der Grundbegriff des Cäsarismus, wie er uns hier aus seinem allmählichen Werden klar wird, ist die Zuspitzung der Volksherrschaft in das persönliche Regiment des Genies, die Erfüllung der Revolution in dem Bund zwischen dem demokrati-

schen Feldherrn und dem hungernden Proletariat, die Beseitigung der Mittelklassen, welche bis dahin die Tradition von Recht, Freiheit und Sitte in ihrem School? gehegt hatten. Eine gewisse Frivolität — wie ein gewisser demagogischer Ursprung und sozialistischer Beigeschmack — war vom Urvater her stets dem Begriff des Cäsarismus leise beigemischt (LADENDORF); 1852 Kommunistenprozeß Köln 215 Ich wünsche natürlich, daß das ganze Volk meiner Ansicht beiträte, denn ich fürchte, daß anderenfalls der Cäsarismus nahet oder, was dasselbe bedeutet, das Ende unseres Volkstums; Kladderadatsch 11. 1. 1857 Verzweifeln wir deshalb noch

Cäsarismus nicht, wenn wir den natürlichen Sohn des Jahres 18 + + +, den Cäsarismus überall anklopfen hören und bei allen Thoren Europas seine Visitenkarte abgeben sehen (LADENDORF); Wagener 1860 Staats- u. Gesellschaftslex. IV 259 ff. Bonapartismus .. [als der] moderne Cäsarismus, als Fortsetzung und relative Vollendung des Absolutismus, der durch die blutige Logik der Revolution von allen Rücksichten und Traditionen der Vergangenheit befreite Despotismus (BRUNNER/CONZE/ KOSELLECK); Treitschke 1865 Histor. u. polit. Aufs, l 450 das Gespenst des Cäsarismus; Bamberger 1867 Partheien 41 Ein Jeglicher spricht jetzt vom Cäsarismus, und Gott weiss, was viele Tausende sich alles darunter denken mögen; ebd. 48 Der Cäsarismus ist die Rückbildung, die Umkehr, der Weg nach Abwärts, das Grab der Revolution, der Untergang; Schmidt-Weissenfels 1868 Frankreich l 103 „Was ist Cäsarismus?" - „Die Demokratie ohne Freiheit!"; 1869 Magazin d. Ausld. 141 Wird aber die Masse selbst zur Herrschaft berufen, so ist die Selbstregierung in Lebensgefahr, sie stürzt in die Schlingen der Bürokratie und sehr bald auch - des Cäsarismus!; Marx 186918te Brumaire Vom/. (MEW XVI 359) Schließlich hoffe ich, daß meine Schrift zur Beseitigung der jetzt namentlich in Deutschland landläufigen Schulphrase vom sogenannten Cäsarismus beitragen wird; Baumgarten 1870 Volk 8 von dem Ruf fanatischen und ohnmächtigen Parteihasses nach französischer Hilfe gegen den preußischen Cäsarismus; Lindau 1871 Rücksichtslosigkeiten 79 [der] Rückfall von der Republik in den napoleonischen Cäsarismus; Kürnberger 1874 Siegelringe 112 Robespierre, welcher .. den Cäsarismus begründete, an dem Frankreich heute noch krankt; Bauer 1877 Christus u. d. Cäsaren o. S. Der Cäsarismus ist das Produkt eines längeren ermüdenden Kampfes zwischen Aristokraten und Demokraten, Reichen und Armen; aus der Anarchie des Bürgerkrieges erhob sich „gesellschaftsrettend" und demokratisch zugleich, die altgriechische Tyrannis, das römische Imperatorentum, die moderne Cäsarie. Sie ist der eiserne Notreifen einer innerlich zersetzten Gesellschaft (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); Bismarck 1879 Reden VIII 53 ein Theil wandert aus, der Rest wird Socialdemokrat, und die sociale Revolution ist fertig, die mit dem Cäsarismus endet; Röscher 1888 Umrisse z. Naturlehre d. Cäsarismus 646 Viele bezeichnen jede kräftige Monarchie, die ihnen zu kräftig ist, . . mit dem von ihnen als Scheltwort gemeinten Namen Cäsarismus . . das Janushaupt . . mit einem extrem monarchischen, einem extrem demokratischen Angesicht; Gumplowicz 1892 Staatsidee 66 Im modernen Frankreich, wo . . Aristokratie, Demokratie und Cäsarismus einander ablösten; Spengler 1918—22 Untergang d.

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Abendlandes 502 [der] Eintritt in das Zeitalter der Riesenkämpfe . . [der] Übergang vom Napoleonismus zum Cäsarismus; ebd. 537ff. Cäsarismus nenne ich die Regierungsart, welche trotz aller staatsrechtlichen Formulierung in ihrem inneren Wesen wieder gänzlich formlos ist . . Biologische Zeiträume nehmen wieder den Platz historischer Epochen ein; Schmitt 1921 Diktatur XII f. Stets aber ist nach dem neueren Sprachgebrauch eine Aufhebung der Demokratie auf demokratischer Grundlage für die Diktatur charakteristisch, so daß zwischen Diktatur und Cäsarismus meistens kein Unterschied mehr besteht (alle drei BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); Tb. Mann 1922 Br. (W. XIII 268) der Napoleonismus aber geht in Cäsarismus über, die parlamentarische Demokratie in die Diktatur einzelner Macht- und Rassenmenschen . . Die Entwicklungsstufe des Cäsarismus ist in sämtlichen verfallenden Kulturen nachzuweisen und währt gut zwei Jahrhunderte; Voss. Ztg. 30. 1. 1930 Eine Zeitlang schien es, als ob die Diktaturströmung ganz Europa erfassen sollte, als Vorstufe eines neuen Cäsarismus; Curtius 1930 Frz. Kultur 193 Der Ausgang der [französischen] Februarrevolution, ihr Umschlag in den Cäsarismus Napoleons III., bedeutete für den utopischen Messianismus des Zeitgeistes eine tiefe Enttäuschung; Barth 1943 Fluten 111 die Revolution von 1848 und der allmähliche Übergang zum plebiszitären Caesarismus Louis Napoleons; Graff 1951 Goethe 52 Beweis seines [Goethes] Starrsinns, der niemals klar und eindeutig vom Bonapartismus und Cäsarismus abrücken wollte; Gollwitzer 1952 Der Cäsarismus Napoleons III. im Wiederhall der öffentlichen Meinung Deutschlands (Titel); Salomon-Delatour 1959 Soziologie 32 Der Bonapartismus oder Cäsarismus ist keine militärische Diktatur, sondern ein Staatsstreich mit Plebiszit; Curtius 1960 Büchertagebuch 35 Die Kombination von Staatskrise und Cäsarismus vor Hitler und Napoleon, . . [schon bei] Oktavian und Cäsar; Mühlmann 1966 Weber 43 Max Weber als der gescheiterte Prophet des charismatischen Cäsarismus herausgearbeitet; Stuttgarter Ztg. 4. 6. 1968 Der aufgeklärte Cäsarismus de Gaulles ist so wenig wie der liberale Parlamentsstaat oder die totalitäre Volksdemokratie in der Lage, die Industriegesellschaft dauerhaft zu organisieren; Ritter 1971 Hist. Wb. d. Philosophie l 971 Die nach dem Zweiten Weltkrieg beginnende Diskussion über totalitäre Herrschaftsformen hat den Begriff des Cäsarismus nicht mehr benutzt; er war bereits historisch geworden; Brunner/Conze/Koselleck 1972 Geschichtl. Grundbegr. I 732 Weitere Verbreitung sollte der Begriff [Imperialismus] erst finden, als er nach 1851 zusammen mit „Cäsarismus", „Napoleonismus" und „Bonapartismus" allgemein und in allen politischen Lagern benutzt wurde.

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Cäsarentum: Heine 1827 Engl. Fragmente III 492 f. Wie Cäsar der bloßen Herrschergewalt seinen Namen gab, so gibt Napoleon seinen Namen einem neuen Cäsarenthume, wozu nur derjenige berechtigt ist, der die höchste Fähigkeit und den besten Willen besitzt (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); 1852 Pmtz' Museum l 394 dass nämlich das französische Cäsarenthum mit dem römischen wetteifert in der Handhabung einer ins Grosse getriebenen Corruption; 1852 Anm. z. Lit. d. Reaction 69 persönliche Vortheile zu erhäschen, ist viel charakteristischer für das Cäsarenthum; 1864 Social-Democrat XII o. S. Aber wir wollen dieses kostbare Recht, eingedenk, daß nur die Bildung wirklich frei macht, nicht in den Händen bildungsloser Massen als Hebel zur Aufrichtung eines freiheitsfeindlichen Cäsarentums (BRUNNER/ CONZE/KOSELLECK); Gregorovius 1867 Wanderjahre IV 163 [das] napoleonische Cäsarentum; Schmidt-Weissenfels 1868 Frankreich I 13 die Disciplinierung [demokratischer Gedanken] .. im Dienste eines despotischen Cäsarenthums; Grosse 1896 Ursachen 175 eine fulminante, geniale Satire auf alles Cäsarentum; Lindner 1901 Geschichtsphilos. 174 Die individualistische Auflösung des Mittelalters beendete der Absolutismus, die französische Revolution das Cäsarentum Napoleons; Knoop 1909 Br. 97 Das Cäsarentum, dem die Souveränität, wie mir scheint, jetzt immer mehr entgegensteuert, mag ein Wolfsgemüt für erstrebenswert halten; Kathenau 1912 Kritik 125 Das Weltcäsarentum hat seine Berechtigung verloren; MüllerBrandenburg 1927 Grundlagen 42 [das] Gesicht des imperialistischen Cäsarentums. cäsarisch: Rieht 1861 Vortr. l 263 cäsarische Tyrannei; ebd. l 297 cäsarische Absolutie; Bismarck 1867 Polit. Reden III 247 daß „verbündete Regierungen" . . keineswegs ein tief angelegtes Complott gegen die Freiheit der Bourgeoisie in Verbindung mit den Massen zur Errichtung eines cäsarischen Regiments beabsichtigt haben können; 1873 Preuss. Gesch. X 32 französisch-cäsarischer Apparat; Polenz 1903 Land 130 Von Begründung der Konstitution an hat jene allen Republikanern eigne Sorge vor cäsarischen Gelüsten die Amerikaner beherrscht; Th. Mann 1923 Br. (W. XIII 281) wirklich ist er [Bruno Walter] ein Dirigent ersten Ranges . ., aufgewachsen unter Mahler in Wien, . . ist er wohl eine weichere, weniger steile und cäsarische Natur als sein Meister; Breysig 1925 Werden I 53 das Einsetzen eines cäsarischen Imperialismus; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. XI 876) kein Kenner des Deutschtums zweifelt, daß .. die Diktatur einer Klasse . . und die des demokratisch erzeugten cäsarischen Abenteurers, der Natur des deutschen Volkes noch viel blutsfremder sind; ders.

1933 Reden u. Aufs. (W. IX 415) diese Musik [Wagners] ., imperialistisch-weltunterwerfende, . . despotische, aufwiegelnd-demagogische Elemente sind enthalten in dieser Kunst des Theaters und der Massenerschütterung, die auf Ehrgeiz, ungeheuren cäsarischen Machtwillen als auf ihr eigentliches Agens schließen lassen könnten; 1935 Z f Geopol. XII139 cäsarische Demokratie; 1935 Literatur 545 Herzog Karl von Burgund, Sieger ruhmreicher Schlachten, von cäsarischen Welteroberungsträumen erfüllt. cäsaristisch: 1867 l. Internationale 191 Man hat es in Preußen verstanden, [mit der allgemeinen Wehrpflicht] ein rein demokratisches Prinzip und eine rein demokratische Institution zu cäsaristischen Zwecken sich dienstbar zu machen; 1874 Preuss. Jahrb. XXXIII 645 Gambetta . . hat ausgesprochen, es handle sich jetzt um den Entscheidungskampf zwischen der wahren und der cäsaristischen Demokratie; Paulsen 1889 System d. Ethik 813 die Tyrannis oder ein cäsaristisches Kaisertum; Weber 1922 Wirtschaft u. Gesellschaft II 869 f. [die] cäsaristische Wendung der Führerauslese; ebd. 562 [Weber sah im] reinen Typus des bürokratischen Beamten [der vom Chef ernannt wurde] . . ein cäsaristisches Merkmal (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK); Müller-Brandenburg 1927 Grundlagen 43 Denn eine Republik kann ebenso feudal-ritterlich oder absolutistisch oder cäsaristisch sein, wie eine Monarchie; ebd. und die heutige französische Republik zeigt durchaus cäsaristisch-imperialistische Züge; Curtius 1930 Frz. Kultur 68 Der cäsaristische Heroenkult, den viele Deutsche von jeher dem Kaiser [Napoleon L] entgegengebracht haben, ist dem französischen Gefühl fremd; Graff 1951 Goethe 68 [Napoleon L] Träger der bonapartistischen Gewaltherrschafft und des cäsaristischen Systems; Niekisch 1953 Reich d. Dämonen 49 Die parlamentarische Demokratie ist klassenburgfriedliche Demokratie; Hitler ersetzt sie durch die Führerdemokratie, die cäsaristische Demokratie, die kriegerischer Natur ist; FAZ 14. 9. 1964 ein Kanzler, . . der das Plebiszit nicht einsetzt, mit dem er sich cäsaristisch die Innenpolitik unterwerfen könnte. Cäsarismus b: Scherr 1870 Farrago 390 Chateaubriand hat im Jahre 1807 im „ Mercure de France" einen Artikel über den römischen Cäsarismus veröffentlicht; Mommsen 1871 Reden 321 als der Cäsarismus in Rom sich befestigte, . . da mochte der römische Dichter mit gutem Grund den Kelten und Britannern zurufen auf ihrer Hut zu sein; Schlosser 1908 Kunstkammern 6 Der demokratische Cäsarismus älterer Zeit ist denn doch auf einer ganz anderen Erde und unter ganz ändern Verhältnissen erwachsen als die hellenistische Monarchie, und er

catchen ist erst im 3. Jh. n. Chr. der Orientalisierung verfallen. Cäsarenhaft: Borchardt 1927-28 Reden 302 wo diese antike Form am frischesten und .. wo sie zu Hause ist, ihre Träger gekrönt mit Pallium, Stola und Dalmatika Cäsarenhaft einhertreten. Cäsar(en)tum: 1804 Neuer Teutscher Merkur III 29 ein erneuertes Cäsarthum; Oldenberg 1881 Buddha 67 Aber aus Stellen wie diesen, . . dürfen wir nicht schliessen, dass damals eine Luft wehte, wie etwa zu Rom in den schwülen Zeiten des beginnenden Cäsarenthums; 1956 Altertum II 20 Hier und nirgendwo anders sind die Quellen des Neronischen Verhaltens zu Rom, Reich und Cäsarentum zu suchen. Cäsaropapie: Campe 1813 Fremdwb. 163 Caesareopapia, der Eingriff des Regenten in die Rechte und Pflichten der Geistlichkeit, wie wenn die Regierung sich mit dem Bekehrungsgeschäfte befaßt, Religionsvorschriften ergehen läßt; Tholuck 1854 Vorgesch. d. Rationalismus I. 2,154 zwei Ursachen . ., welche ja auch in Schweden . . würken: einmal der eiserne Arm der Cäsareopapie; Klopp 1857 Studien 113 es entwickelte sich drückender und lastender von Jahr zu Jahr die protestantische Cäsareopapie; Schaffte 1885 Aussichtslosigkeit 107 Die protestantische Kirche würde ohne die katholische leicht in Subjectivismus und Unglauben, in nationaler Cäsaropapie verenden. Cäsaropapismus: 18. Jh. (J. H. Boehmer 1730 Jus Eccles. Protestantium I. Diss. Praeliminaris S 14) Cäsaropapismus . . Der Begriff, schon im 18. Jh. zur Bezeichnung des spätrömischen Kirchensystems aufgekommen (RGG); 1834 Jahrb. d. Gesch. II 501 Territorialsysteme oder vielmehr dem Cäsareopapismus; Brunner 1848 Prinzenschule II 99 Über die Schmeichelei des Cäsaropapismus wollen wir keine Worte verlieren; 1857 Träumereien 165 auch ist der Cäsaropapismus ein gutes Unterdrükkungsmittel, von welchem das freisinnigere Österreich nichts wissen will; Treitschke 1859 Gesellsckaftswiss. 45 Im russischen und byzantinischen Cäsaropapismus wirkt die Kirche zusätzlich als nationale Propaganda; Mommsen 1866 Rom. Gesch. III 478 der alte Landesglaube ward in seinen letzten Stadien das Werkzeug eines freiliich von Haus aus hohlen und schwächlichen Caesaropapismus; Jäger 1873 Socialismus 200 Die Religion, welche

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in Rußland ganz den politischen Zwecken zu dienen hat und als eine fast willenlose Magd der Staatsgewalt erscheint, ist aber nicht im Stande, auf das Volk und noch weniger auf die höheren Stände einen die socialen Gegensätze versöhnenden Einfluß zu üben. Dieß ist der Fluch des Cäsaropapismus, für den die Religion nur ein Mittel zur vollendeten Beherrschung der Völker, eine Abtheilung des Polzeidepartements ist; 1888 Grenzboten l 209 dass ihr sogenannter König . . sie missbraucht habe, um einen Cäsaropapismus bei uns [den gelandeten fremden Parlamentariern] vorzubereiten; Geizer 1909 Byzantin. Kulturgesch. 89 Justinian .. ist die eigentliche Verkörperung des Cäsaropapismus. Er verdient es wirklich, dass das Volk in seinen Zurufen, wie wir gesehen, ihn als Oberpriester und Basilius bezeichnete; Renner 1917 Marxismus 133 Am schlimmsten aber wäre ein System im Lande ertragen zu müssen, das noch nicht einmal Imperialismus, sondern Cäsaropapismus und religiös-verbrämte Barbarei. . wäre; Koeniger 1926 Kathol. Kirchenrecht 485 Doch hat es eine verschiedenartige Ausprägung gefunden, je nachdem mehr oder weniger die selbstherrliche Gewalt des Herrschers oder des Staates betont und in die Tat umgesetzt wurde (Byzantinismus; Cäsareopapismus; Landeskirchentum; Nationalkirchentum); N. Z. Z. 9. 9. 1943 Das russische Kirchensystem war der vollkommenste Ausdruck des „Caesaropapismus"; 1947 Wiener Z f Philosophie l 79 Die soziale Rettung der russischen Orthodoxie mit ihrer Schwäche gegenüber dem Caesaropapismus ist eine wesentliche Voraussetzung für den verweltlichten Messianismus der revolutionären russischen Intelligenz; 1953 Archiv f. Kulturgesch. XXXV 295 Das Verhältnis von Staat und Kirche in Rußland wird am byzantinischen Begriff der Symphonie, des harmonischen Zusammenwirkens von Staat und Kirche als zwei Instrumente der Theokratie, verdeutlicht, die schematische Kennzeichnung als Cäsaropapismus auf die Zeit nach Peter den Großen eingeschränkt; Macer 1963 Studien 502 das Erbe der Antike, das Kaisertum, das vom byzantinischen Cäsaropapismus herkam. Cäsaropapist: Estor 1761 Neue kl. Sehr, l 83 die Evangelischen caesaropapisten. cäsaropapistisch: Scheglmann 1903 Säkularisation l 49 cäsaropapistisches Novum in Gestalt einer flagranten Klausurverletzung; Jörg 1951 Würzburg u. Fulda 16 [die] cäsaropapistischen Tendenzen im Byzanz. RS

catchen V. intrans., Mitte 20. Jh. im Zusammenhang mit der sich Anfang des Jhs. in England und Amerika entwickelnden Freistilringkampfart entlehnt aus engl.-

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catchen

amerikan. catch in seiner Bed. 'freistilringen, eine Freistilvariante des Ringkampfes ausüben' (vgl. engl. catch 'fangen, fassen (beim Ballspiel)', über altfrz. cachier, chacier, mlat. capitare 'empfangen, bekommen, ergreifen' zurückgehend auf lat. captare 'greifen, schnappen; zu gewinnen suchen'), anfangs in der engl. Form. In der für das Dtsch. spezifischen Bed. 'im Stil des Catch-as-catch-can ringen, als Catcher kämpfen' (dafür engl.-amerikan. wrestle], in Wendungen wie brutal, unfair catchen; mit 20 begann er zu catchen, gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Catch-Aktion, -Kampf, -Veranstaltung; in neuester Zeit auch übertragen verwendet für 'mit allen (auch unerlaubten) Mitteln kämpfen, sich mit allen Mitteln für etwas einsetzen' (s. Beleg 1988). Dazu schon seit frühem 20. Jh. das aus gleichbed. engl.-amerikan. catch äs catch can, eigentlich 'greifen, wie man nur greifen kann' entlehnte Subst. Catch-as-catchcan N., selten M. (-s; ohne Pl.) 'von Berufsringern ausgeübtes, oft als Show gebotenes Freistilringen, bei dem fast alle Griffe erlaubt sind', gleichzeitig als Bestimmungswort in Zss. wie Catch-as-catch-can-Manier, -Methode, auch (verkürztes) Catch-as-catch-(can-)Spiel (s. Beleg 1926); in neuerer Zeit auch übertragen verwendet für '(plan- und systemloser) Kampf mit allen nur möglichen, auch unerlaubten Mitteln', z. B. ein politisches, wirtschaftliches Catch-as-catch-can (s. Belege 1954, 1962, 1965, 1967, 1978, 1980, 1984), gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie WahlCatch-as-catch-can. Dazu in neuerer Zeit das aus gleichbed. engl.-amerikan. catch-as-catch-can gebildete (im Engl. nicht nachweisbare) subst. Kurzwort Catch N., auch M. (-(s); -es) in der Bed. 'Freistilringkampf, bei dem fast alle Griffe erlaubt sind' (dafür gleichbed. engl.amerikan. wrestling), gleichzeitig als Grundwort in Zss. wie Damencatch; auch übertragen verwendet für 'Kampf mit allen möglichen Mitteln', auch in Zss. wie Ehe-, Familiencatch (s. Belege 1963, 1971). Seit Mitte 20. Jh. das aus gleichbed. engl.-amerikan. catcher entlehnte Subst. Catcher M. (-s; -) in der Bed. 'Freistilringer', als Bestimmungswort in Zss. wie Catcherchampion, -geschäft, -kämpf, -methode, -promoter 'Veranstalter eines Freistilringkampfes', Catcherring(en), -show, -Spektakel, -turnier, -Veranstaltung, -Vorstellung, -zeit, etwa gleichzeitig auch moviert Catcherin F. (-; -nen) (vgl. daneben aber Catcher 'Fänger im amerikanischen Baseball'). catchen: 1953 Neue Berl. Illustr. Nr. 47 Catchen. Brüllende, stampfende, ringende Fleischkolosse .. Jeden Abend wackelt die Leinwand im Catcherzelt am Zoo; Berl. Ztg. am Abend 30. 9.1957 Heute catchen; Moser (1959 Dtsch. Wortgesch. II 573 f.) Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist auch Westdeutschland im Zusammenhang mit der politischen und wirtschaftlichen Situation, namentlich der Verflechtung mit den USA, von einer westeuropäischen Welle angelsächsischer Entlehnungen stärker erfaßt . . Amerikanisch: Jazz, . . catchen; FAZ 30.11.1970 Nach dem Catchen ein Kampf geschmeidiger Boxtechnik; Bad. Ztg. 18. 5. 1971 die superstarken Männer, die in der Stadthalle am Freitag ihre Meisterschaften im Catchen um den „Großen Frühjahrspreis" austragen; Spiegel 24.2. 1986 Catchen, in den USA „wrestling", ist

nach Jahren des Vergessens zur Nummer drei unter den Publikumsveranstaltungen Amerikas geworden, hinter Rodeos und Pferderennen; Flensb. Tagebl. 4. 8. 1988 Zwei Reverends catchen für Jesus (AWB); Spiegel 22.11.1993 amerikanisches Profi-Catchen. Catch: Spiegel 31.10. 1962 die ehemalige Laufstegschönheit Irina Demich .. posiert mit der Maschinenpistole als Heroine der Resistance und erledigt deutsche Soldaten im Catch (CARSTENSEN); Offenburger Tagebl. 29. 4. 1963 Letzter Catch der Saison; Spiegel 23. 10. 1963 Die Degradierung des Sauter-Erben Heini ist die vorläufig letzte Runde in einem Familien-Catch, an dem Privatdetektive gute Honorare verdienen; ebd. 23.10. 1963 Albee . . hatte schon in seinem einaktigen „Amerikani-

catchen sehen Traum" die infamsten Taktiken im Catch der Geschlechter vorexerziert; ebd. 30. 10.1963 Die Szenerie gleicht einem Marc-Chagall-Gemälde, die Handlung bisweilen einem Catch nach Wildwest-Manier (alle drei CARSTENSEN); Offenburger Tagebl. 22. 4. 1964 Als letzte sensationelle Begegnung dieses Abends wird ein Catch zu viert gezeigt; Carstensen 1965 Engl. Einflüsse 109 Als Kurzform [von Catchas-catch-can] tritt häufiger Catch in derselben Bedeutung auf; Offenburger Tagebl. 22.1.1971 Friedrich Dürrenmatts EheCatch in zwölf Runden. Viel Beifall für packende und interessante Aufführung von „Play Strindberg" im Schauspielabonnement; ebd. 4.3.1971 Nächsten Sonntag, 6. März, 20.30 Uhr Wacken Strasbourg. Catch. Letzte Vorstellung der Saison; Zeit 29.3. 1985 Hellers erstes Buch „Catch 22" war ein bitterbös satirischer Antikriegsroman; ebd. 25. 4. 1986 dazu die allzeit bewährte Mischung der Mittel: Brutalität und Rührung, Kitsch und Catch. Catch-as-catch-can: 1926 D. Neueren Sprachen Beih. V 15 in diesem catch-as-catch-Spiel . .; Lokal-Anz. 1. 12. 1929 Nach „griechisch-römisch" endlich auch „freier" Ringstil. Catch-as-catch-can in Deutschland; ebd. Die Frage, ob das Freistilringen (catch-as-catch-can) in Deutschland eingeführt werden soll, dürfte schon demnächst in einer Sitzung des D. A. S. B. entschieden werden; 1930 Münch. lüustr. Presse Nr. 6 Der Ringkampf im freien Stil, sogenanntes catch-as-catch-can, ist in Nordamerika außerordentlich verbreitet und beliebt; Lokal-Anz. 11.4.1934 Ein Ringer wie Strangler Lewis wäre imstande, den stärksten und schwersten Boxer nur mit Hilfe der erlaubten Tricks und Hebelgriffe des „catch-as-catch-can" so schnell völlig hilflos auf die Matte zu legen, daß man schon einer Zeitlupenaufnahme bedürfte, um zu erkennen, wie es gemacht wurde; Münch. N. N. 15. 5. 1938 sämtliche Kunstgriffe .., die dieser in München seit Jahren vorbildlich gepflegte Kampfsport seinem Meister Reuter verdankt, der selbst aus japanischer Schule hervorgegangen ist (zum Unterschied von der von „Catch-as-catch-can" stark beeinflußten amerikanischen Schule); Königsb. Tagebl. 1. 5.1942 Jedermann hat . . von der amerikanischen Sportart gehört, die sich „Catch äs catch can" — Pack wo du packen kannst - nennt; Süddtsch. Ztg. 6.3.1954 Volkholz .. Mitglied des bayerischen Parlaments h a t . . obzwar selbst einer der imposantesten Vertreter des — in seinem Fall freilich politischen — Catch äs catch can (zu Deutsch: pack ihn, wie und wo du ihn pakken kannst!), . . sich an den Rechts- und Verfassungsausschuß gewandt; Welt 2. 6. 1954 eine Kammer des Münchener Verwaltungsgerichts hat in der vergangenen Nacht den Catch-as-catch-can im

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Zirkus Krone besucht; Offenburger Tagebl. 2. 2. 1959 [die] kraftstrotzenden Gestalten, die sich Ringrichter Edi Schulz zu einem Catch äs catch can stellten; Stuttgarter Ztg. 20.2.1959 das umstrittene Zitat [Niemöllers] „Jedes Mittel ist recht, Catch äs catch can, jedes Mittel, womit man seine Gegner kleinkriegen kann, kann angewendet werden, und darum ist . . die Ausbildung der Kommandos im zweiten Weltkrieg die hohe Schule der Berufsverbrecher"; Spiegel 14.2.1962 Sein [des „Spiegels"] Versuch, Strauß im Catch-as-catchcan-Verfahren zu erledigen, scheiterte an der Maßlosigkeit und Arroganz des Schreibers; ebd. 1. 8. 1962 Zu fragen bleibt freilich, wie lange unsere Demokratie seine [Strauß'] Methode des politischen catch äs catch can noch ertragen kann; ebd. 5. 12. 1962 Zwei bundesdeutsche Gerichte liefern sich derzeit ein Catch-as-catch-can, das in der deutschen Justizgeschichte ohne Beispiel ist (alle drei CARSTENSEN); Carstensen 1965 Engl. Einflüsse 109 Catch-as-catch-can ist ein alter Sportterminus im Dt. mit der Bedeutung „brutaler Freistilringkampf nordamerikan. Herkunft" (DF). Gegen das „brutal" in der Definition könnten Bedenken angemeldet werden. Die Phrase kommt heute im Dt. auch in übertragener Bedeutung, etwa 'Kampf mit allen, auch und besonders unerlaubten, Mitteln' vor; Offenburger Tagebl. 25. 6. 1965 Was den amerikanischen Wahlkampfstil betrifft, so haben wir seine Catch-as-catch-can-Manier noch sehr deutlich in Erinnerung; ebd. 4. 3. 1966 In diesem „Wahlcatch-as-catch-can"; Welt 13.11.1967 Geerts: Die Freiheit der Wirtschaft — ein Catchas-catch-can (AWB); Basler Ztg. 11. 10. 1969 und wirklich war ja auch, was die Akteure innerhalb dieses Rings aufzuführen hatten, eine Art Catchas-catch-can; Welt 17.2.1977 Peinlicheres ist kaum denkbar: Ein Premier, seine engste Mitarbeiterin und sein Pressechef im öffentlichen „Catchas-catch-can". Sie feuern rücksichtslos Breitseiten gegeneinander ab; Zeit 22. 12. 1978 Die jüngste Runde im Catch-as-catch-can zwischen den Schwesterparteien, zwischen Strauß und Kohl, um die künftige Kanzlerkandidatur geht nun schon in die zweite Woche; Spiegel 12. 5. 1980 der vorgeblich rein an wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Arbeitskampf geriet zum politischen Catch-ascatch-can; ebd. 10. 9. 1984 „Was heute auf dem Markt passiert, ist reines Catch-as-catch-can", verrät Produktionsmanager Mehdorn; ebd. 2. 2. 1987 Natürlich ist ihm bewußt, daß er jetzt nicht lauthals in Wehklagen ausbrechen darf. 140 Trainerentlassungen seit die Bundesliga besteht — das kennzeichnet die Situation, das berufliche Catchas-catch-can, in dem er sich zu behaupten hat (alle fünf AWB); Stern 1.10. 1987 wo Normen massenhaft verletzt werden, droht ein allgemeines Catchas-catch-can im Straßenverkehr.

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Causerie

Catcher: Süddtsch. Ztg. 16. 4. 1953 als ob man die Massen von den reichlich frei ringenden „Catchern" fernhielte, indem man sagt: die reißen sich unfair die Nasen, Ohren und Haare aus; ebd. 4. 8. 1953 Aber trotzdem sind sich alle . . darüber einig, daß es bei den Catchern eben wild hergeht; ebd. Runde eins hatte damit begonnen, daß Catcher J. K., Zurths wildestes Pferd im Stall, wieder einmal das Blut der Zuschauer in Wallung gebracht . . hatte; ebd. 18.12. 1953 Catcher auf der Straße; ebd. Nahezu einstimmig kamen unsere Landesväter überein, der Regierung nahezulegen, daß bei Catcher-Veranstaltungen durch entsprechende Auflagen Ausschreitungen vermieden und Frauenring- und -boxkämpfe „grundsätzlich nicht genehmigt werden"; 1954 Weltbübne XVI 508 Billy Virag . . ist . . Catcher, und wie alle Catcher, die auf sich halten, ist er mindestens siebenfacher Weltmeister, ein König der Catcher, . . gilt . . als nordamerikanischer Catcher-Champion; FAZ 20. 2. 1957 Zu Catcher-Veranstaltungen sollten Jugendliche unter achtzehn Jahren . . keinen Zutritt mehr erhalten (AWB); Moser (1959 Dtsch. Wortgesch. U 573 f.) Seit dem Ende des Zweiten Welt-

kriegs ist auch Westdeutschland im Zusammenhang mit der politischen und wirtschaftlichen Situation, namentlich der Verflechtung mit den USA, von einer westeuropäischen Welle angelsächsischer Entlehnungen stärker erfaßt . . Amerikanisch: Jazz, . . (Catcher, aber auch schon Ketscher); Waiser 1960 Halbzeit 206 eine Armhaltung, die man bei Catchern sieht und bei anderen Leuten, die frontal auf etwas zugehen, was sie gleich unter voller Anwendung ihrer Körperkraft aufheben, umstürzen, oder in die Luft werfen wollen; Offenburger Tagebl. 29. 4. 1963 Die besten Catcher des Jahres; Presse 13. 7. 1974 andernfalls können die Regeln gleich am Heumarkt bei den Catchern bezogen werden; Zeit 13.6. 1980 Eine halbe Stunde später kommt er, ein Catcher von Statur, mit sieben Kugelschreibern in der Brusttasche seines dunkelblauen Sporthemdes, aus seinem Arbeitszimmer (beide AWB); Spiegel 24.2.1986 Catcher, halb Clowns, halb Athleten, werden nach jahrelangem Rückgang der Publikumsgunst nun zu Amerikas neuen Volkshelden; ebd. Die Ringschlachten der Catcher sollen so brutal aussehen wie die Fights des K.-o.-Königs Rocky Marciano, doch so unblutig bleiben wie eine Transvestiten-Show. RS

Causerie F. (-; -n), Mitte 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. causerie (zu causer in seiner Bed. 'sich unterhalten, plaudern', über spätlat. causare, causari 'einen Grund vorbringen, vorschützen; etwas ablehnen, Klage führen' zurückgehend auf gleichbed. lat. causare (dem Etymon auch von ahd. koson, mhd. kosen 'sprechen, plaudern', woraus sich frühnhd. kosen 'liebhaben, streicheln', nhd. (lieb)kosen 'zärtlich sein, streicheln' entwickelt), zu causa 'Grund, Ursache'; vgl. zum gleichen Etymon gehöriges, heute veraltetes causieren V. trans. 'Klage führen' (16. bis späteres 18. Jh.), V. trans, 'etwas verursachen' (16. bis früheres 18. Jh.) und vom späteren 19. bis Mitte 20. Jh. V. intrans. 'plaudern'). Heute nur noch selten und bildungsspr. verwendet in der Bed. 'unterhaltsame Plauderei' (—» Konversation), selten auch 'Vortrag, Abhandlung im leichten Plauderton' (s. Belege 1950, 1952), z. B. in der Wendung eine geistreiche Causerie; dazu seit Mitte 19. Jh. die aus gleichbed. frz. causeur übernommene, nur bildungsspr. verwendete Personenbezeichnung Causeur M. (-s; -e) 'unterhaltsamer Plauderer' mit der seit Anfang 20. Jh. belegten Gelegenheitsbildung Causeurtum N. (-s; ohne Pl.) 'unterhaltsame Plauderhaftigkeit; Geschwätzigkeit'; das aus gleichbed. frz. causeuse entlehnte, heute veraltete Subst. Causeuse F. (-; -n) 'kleines zweisitziges Sofa'. Causerie: Szarvady 1852 Paris l 96 f. Die Causerie ist eine französische Erfindung . . Die Causerie ist ein Mittelding zwischen der Erzählung und der Abhandlung; ebd. l 97 weil die Causerie dadurch etwas Studirtes, Productionsartiges erhält, und die Franzosen lieben in der Gesellschaft wie in der Politik die Improvisation; Justi 1866 Winckelmann l 225 Voltaire hat bezeugt, wie schmeichelhaft es der Eigenliebe ist, sich selbst in Montaigne wiederzu-

finden. Es giebt keine Schwachheit, die nicht durch den Zauber seiner Persönlichkeit und seiner Causerie geadelt würde; Lindau 1871 Rücksichtslosigkeiten 67 in der beliebten Form der geistreichen Causerie; Bismarck 1877 Polit. Reden VII 37 wenn er [Bismarck] aber wieder ein Mal in der Lage sein sollte, ihm nicht zuzuhören, so möchte er [Richter] ihn ersuchen, ihm auch nicht in so allgemeinen Causerien [zu antworten]; Nordau 1881 Paris l 290

Causerie Salons und Causerie; ebd. l 294 Diese Plaudereien waren inhaltlich unbedeutend und seicht, zugegeben. Aber wie reizend war ihre Form! Die Causerie der Rococozeit war selbst ein Rococokunstwerk; ebd. 1300 Im heutigen Pariser Salon kann die Causerie nicht gepflegt werden, und sie verkümmert denn auch zusehends; Fontäne 1882 Ges. W. i 2,81 ob Ebenezer ein Name ist? Ich meine ein Name fürs Haus, fürs Geplauder, für die Causerie, die doch nun mal unser Bestes ist; ders. 1889 Petöfi 88 Sie [Franziska] übt die Kunst der Causerie wie keine zweite; ebd. 139 die bloße Causerie reicht nicht aus für unser Leben; Stickling 1890 (Freie Bühne f. modernes Leben I 794) Diese Rede [des Forschers] war kein Manifest mehr, es war eine echte Causerie zum Uebergang in die stille, arbeitsame dritte Epoche; Hansson 1890 (ebd. l 799) einer geistvollen Causerie . . über das interessanteste aller Zeitphänomene: das Weib, das die Kultur geschlechtlich gemacht; 1898 Lit. Echo l 313 [das Magazin] „Mile. New York" enthält Übersetzungen . . und geistvolle Causerien und Allegorien; Wilde 1908 De profundis (Übers.) 9 die Vorzüge einer französischen „causerie intime"; Th. Mann 1919 Reden u. Aufs. (W.X 581) „weil ich [Fontäne] vor allem ein Künstler bin, weiß ich genau, wo die geistreiche Causerie hingehört und wo nicht"; Brandes 1919 Miniaturen 309 Naturwissenschaftliche Causerien; 1930 Neuphilolog. Mitteil. XXXI 244 in den letzten Alterswerken [Fontanes] .. zu dem entzückenden Causerieton, der für ihn ganz besonders charakteristisch ist; Werfet 1934 Musa Dagh 295 Hapeth Schatakhian stellte sich ein, um .. Madame durch seine wohlbetonten Causerien in französischer Sprache zu erfreuen; Süddtsch. Ztg. 7.3.1950 Etwas von der feinen Kunst der Causerie; ebd. so wie Penzoldt die „Causerie" zu pflegen und zu retten weiß, ist sie gegenwärtig schlechthin das deutsche Musterbeispiel einer insgeheim so ernsthaften wie offenkundig liebenswürdigen schriftstellerischen Gattung; ebd. 23. 5. 1952 Das französische Theater unserer Zeit hatte er [Gabriel Marcel] sich zum Thema einer Causerie gewählt; Th. Mann 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 816) aus einer Plauderbekanntschaft, bei der der um fast ein Vierteljahrhundert Jüngere [Georg Friedländer] sich als nahezu ebenbürtiger Partner in der berühmten Fontane'schen Kunst der Causerie erweist, entwickelt sich eine Freundschaft; i960 Wirk. Wort IV 233 Die Art und Weise des Sprechens . . Dieser hervorstechende Zug ist es recht eigentlich, der den Gesprächen ihren Causeriecharakter verleiht; Erlanger Tagebl. 29. 6. 1964 Causerien mit Tiefgang; Zeit 25. 1. 1985 stilistisch, mit der Lust an immer wieder eingestreuten literarischen Causerien, ist jedenfalls der längst emeritierte Stanford-Professor . . Fontäne durchaus ver-

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pflichtet; ebd. 19. 4.1985 natürlich verraten diese Causerien ihre Herkunft aus dem Salon. Aber ist nicht auch die Französische Revolution im Salon vorbereitet worden?; ebd. und während man den Verzweigungen dieser von kleinen blitzenden Edelsteinen durchsetzten Causerie nachsann, hatte man auf einmal begriffen, woher der legendäre Ruhm Schapiros kommt; ebd. 1. 5. 1987 wer glaubt, Ludwig Uhland habe darunter gelitten, daß ihm die Causerie nicht von der Zunge ging, sondern eher ein hm, hm, ja, ja herauskam, . . sieht sich getäuscht; ebd. Grazie, Urbanität, Causerie — [ist] nicht seine [Ludwig Uhlands] Sache; am allerwenigsten Scharwenzelei und öffentliche Betriebsamkeit; ebd. 9. 8. 1996 Sie fing mit „Causerien" über Alltagsprobleme an. Causeur: Szavardi 1852 Paris l 96 f. Die eigentliche französische Conversation ist die Causerie. Ein angenehmer Causeur wird hier als Künstler geachtet und Alexander Dumas ist fast ebenso berühmt durch seine angenehme Plauderei, als durch seine Romane; 1858 Preuss. Jahrb. I 228 [Thiers] der berühmte Causeur; Schlözer 1871 Amerikan. Br. 91 ich sei in der Bismarckischen Tafelrunde als Causeur am Platz; Heyse 1872 Ges. W. l 1,504 da der junge Fürst auch kein brillanter Causeur ist, wird das ein tristes Vergnügen werden; 1877 Preuss. Jahrb. XL 536 [Thiers war] der geborene Causeur; Fontäne 1898 Zwanzig 294 Denn diese Räte waren nichts weniger als steifleinene Herren, vielmehr umgekehrt meist glänzende Causeurs; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 363) bei Diners, Bällen und Abendgesellschaften verstand er es doch, ein lebhaftes Interesse an den Tag zu legen, sich als liebenswürdiger Causeur zu zeigen; Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 137 ein geistreicher Causeur; 1913 Sprachkunde I 63 Bahr selbst ist zum Philosophieren wie geschaffen, war er einst stürmisch, so geht jetzt eine edle Ruhe von ihm aus. Und welch ein Causeur ist dieser Künstler und Philosoph!; Zobeltitz 1914 Frau 14 der glänzende Causeur; Th. Mann 1919 Reden u. Aufs. (W. X 581) „Ich bin", schrieb Fontäne, noch 1882, - „auch darin meine französische Abstammung verratend — im Sprechen wie im Schreiben ein Causeur"; Schwitz 1926 Dämon 321 [Eduard Keyserling] ein geistvoller Causeur; Zur Mühlen 1929 Ende 204 Ein reizender Mensch, der österreichische Botschafter [Graf Berchtold], ein guter Causeur; Voss. Ztg. 28. 9. 1930 stockte uns nicht bei den Zahlenbildern 1914 und 1918 noch immer das Herz, wir könnten mit mehr Vergnügen, weil mehr Behagen, dem nie langweiligen Causeur Fürst Bülow folgen, wie er an der Hand seines eigenen Lebenslaufs Menschen, Begebenheiten und Orte, von Bonmots und Anekdoten begleitet, an uns vorüberziehen läßt; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 40 ein witzreicher Causeur

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Cello

wie Mephisto; Voss. Ztg. 29. 3. 1932 Verlieren wir nicht allzu viele Worte über dieses mißratene Unternehmen eines sehr geistreichen Kauseurs (den sein Geist am Sonntag in den entscheidenden Augenblicken verließ); K. Mann 1936 Mephisto 56 Gleich bei seinem Eintritt waren sich alle darüber klar, daß er sich heute in der ungnädigen Stimmung befand — der strahlende Causeur vom vorigen Abend war nicht wiederzuerkennen; v. 'Wahlendorf 1936 Erinn. 207 Thoma muß als zweifellos kluger Kopf natürlich interessante Seiten gehabt haben, aber die ziemlich stumpfe Art seines Sichgebens war alles andere als die eines Causeurs oder auch nur guten Unterhalters; ebd. 249 Auch die Gestalt meines lieben Freundes Hans Olden, Schriftsteller und brillianter Causeur, der auch schon einige Jahre in den himmlischen Gefilden plaudert, entsteht wieder vor meinem geistigen Auge; Ehrler 1946 Charlotte 28 der Causeur und Operateur der Pointe; Curtius 1950 Welt 123 [Lujo] Brentano war ein höchst unterhaltsamer Causeur; Tb. Mann 1951 Reden u. Aufs. (W. XI 519) Zu der alten Garde des Hofschauspiels, die Possart umgab, gehörte der unvergleichliche Causeur noch nicht; 1960 Natur u. Heimat VI 272 Geistreich und sprühend witzig, ein Könner im gelockerten Wortspiel, ein gewandter Stilist im Briefwechsel, großartiger Causeur hoher Qualität; Zeit 10. 5. 1985 die Treuherzigkeit, mit der Cocteau selber von dieser „ganzen Bande" spricht, zu der er gehörte, hat etwas Betuliches, was zu seiner Rolle als Causeur und selbstzufriedener Artist paßt; ebd. 1. 5. 1987 Hebbel hat recht gehabt mit seiner Behauptung: als Persönlichkeit, ein Mynheer Peeperkorn unter artigen Schwätzern, Causeuren und Luftblasen-Künstlern, wirkte Uhland weit über die Zeit seines Poeten-Ruhms hinaus. Causeurtum: Tb. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. IX 24) sein Causeurtum, das nach „Effi Briest" in einer dichterisch wohl eigentlich bedenklichen Weise überhandnahm, besteht in einer Verflüchtigung des Stofflichen, die bis zu dem Grade geht, daß schließlich fast nichts als ein artistisches Spiel von Ton und Geist übrigbleibt. Causeuse: L. v. Gall 1842 (1928 Br. Schücking-Gall 95) Ich entfloh dem Schwärm und setzte mich mit

einer ganz jungen Frau in einer Ecke in eine Causeuse; Gutzkow 1850 Ritter II 375 In diesem Salon [sah] man Divans, Causeusen und die ganze übliche Ausstattung einer reichen und, wenigstens nach der Mode gerechnet, geschmackvollen Ausstattung; Niendorf 1855 Lenau 317 Im stattlichen Salon, Causeusen, Fauteuils; Wagner 1859 Tagebucbbl. u. Br. 240 ein kleines Kabinett mit Bücherschrank, Arbeitstisch und der wohlbekannten Causeuse; Spielhagen 1866 S. Romane VI 418 Alfred streckte sich in einiger Enfernung auf eine Causeuse; Waldmüller 1868 Baronisirt 11 Chaiselongues, Causeuses, . . wo immer nur ein Tagedieb die Glieder dehnen wollte; Frangois 1871 Reckenburgerin 150 Als der Abgesandte vor dem hohen Gaste erschien, lag derselbe gemächlich im Schlafrock auf der Causeuse ausgestreckt; Anzengruber 1872 Ges. W. IX 194 Elfriede (in eine Causeuse zurückgelehnt, den Kopf in die Rechte gestützt); Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 135 Er näherte sich der Causeuse, auf der sie lehnte und führte die juwelenblitzende Hand, die sie ihm entgegenstreckte, an seine Lippen; Nordau 1881 Paris l 40 Die Fauteuils, Causeusen und Stühle sind mit Aubusson-Tapeten überzogen; Raube 1884—86 S. W. Ill 3,10 Er fühlt sich . . recht überflüssig, nicht bloß in den Kissen seiner Causeuse; Fontäne 1897 Ges. W. I 5,45 wo eine altmodische Causeuse stand, mit einem Marmortischchen davor; 1904 Jugend 622 c Sie lag im Morgenkleid auf der Causeuse; Tb. Mann 1909 Hoheit (W. II 134) Ditlinde empfing ihren Bruder in einem großen Salon . . mit mehreren Gruppen geschweifter Causeusen in blaßgrüner Seide; Poppenberg 1913 Rokoko 23 Das Raffinement der Sofas, Causeusen, Duchessen; Schmitz 1914 Land 268 auf einem dieser unbequemen S-förmigen Möbel, die man bei uns Causeuse nennt, obwohl man auf ihnen wohl sehr schwierig eine Causerie führen kann; Moreck 1928 Liebe 186 Das Lokal hat etwa 40 Marmortischchen mit je einer Causeuse und vier Stühlen; Tb. Mann 1939 Lotte (W. II 488) nun aber will es mir fast aus dem Sinn kommen, wer es ist, neben der ich auf dieser Causeuse sitze; ders. 1953 Erz. (W. VIII 946) eine Art von Causeuse stand da, an der ein geschnitzter Amor mit verbundenen Augen in einer Hand ein Ding hielt wie eine Fackelleuchte; St. Heym 1974 Lassalle 282 Plötzlich änderte Maman ihr Verhalten; zog Heien mit sich zu der Causeuse in der Ecke. RS

Cello N. (-s; Celli, selten Cellos), Anfang 19. Jh. gebildete Kurzform von seit Anfang 18. Jh. nachgewiesenem Violoncello (< ital. violoncello 'kleine Baßgeige', mit dem Suffix -cello gebildetes Diminutiv zu violone 'große Baßgeige'), vom frühen 18., vereinzelt bis in neuere Zeit auch in der Nebenform Violoncell(e), anfangs selten in Schreibungen wie Chello, Schello.

Cello

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In der Bed. 'viersaitiges, eine Oktave tiefer als die Bratsche gestimmtes Tenor-BaßInstrument aus der Familie der Viola da braccio, das beim Spielen, auf einen Stachel gestützt, zwischen den Knien gehalten wird; kleine Baßgeige' (vgl. Viola, —»· Violine, —* Bratsche), seit Mitte 19. Jh. in Zss. wie Cellobogen, -hals, -kantilene, -konzert, -saite, -satz, -schule, -sonate, -spiel(er), -technik, -virtuose. Dazu gleichzeitig die aus seit Anfang 18. Jh. belegtem Violoncellist gekürzte Personenbezeichnung Cellist M. (-en; -en) für 'Musiker, der (berufsmäßig) Cello spielt', auch Cellistin F. (-; -nen); in neuerer Zeit die adj. Ableitung cellistisch (ohne Steigerung) 'die Technik, Kunst des Cellospielens betreffend', z. B. cellistische Kammermusik. Cello: Campe 1813 Fremdwb. 180 Cello .., eine Abkürzung für Violoncello; Heine 1834 Schnabelewopski (S. W. IV 130) wenn das Cello brummte und die Violine greinte, glaubte man ein zankendes Ehepaar zu hören; 1847 Brockhaus XIV 740 Violoncello oder kleine Baßgeige, auch Schello genannt; 1849 Demokrat I 144a Für das Musikkorps des Kegelvereins zu Buttstedt sucht einen Baß oder Chello zu kaufen der Vereins-Diener Karl Gerlach; Keller 1878-80 Ges. W. Ill 216 Der Gottesmacher [Kruzifix- und Marienbildschneider] handhabte das Cello und zwar in der Tracht eines Winzers [zum Fasching]; Th. Mann 1894 Erz. (W. VIII 40) unter rollenden Klavierpassagen klagte ein Cello so seltsam, und wie die tiefen, weichen Töne sich quellend und hebend um seine Seele legten, stiegen wie ein altes, stilles, längstvergessenes Leid ein paar lose, sanft-wehmütige Rhythmen in ihm auf; Wassermann 1910 Masken 251 diese Stimme! sie klingt wie ein Cello; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 890) es folgte die Serie der Kammermusiken, der Quartette und Trios, der Instrumental-Solonummern für Violine, Cello, Flöte; Werfet 1924 Verdi 11 In der offenen Tür der Nachbarschenke hatte ein Invalide in vergilbter vergessener Uniform Platz genommen und ein kleines Cello mit hohem Stachel zwischen die Knie gestemmt; Schmidt 1924 Beethoven 146 Ein Forte und Fortissimo des ganzen Orchesters, und das Cello nimmt wieder das Hauptthema auf; Dtsch. AZ. 10. 1. 1935 Ein neues Cellokonzert . . Die technischen Grenzen, welche dem Ausdrucksbereich des Cellos gesteckt sind, haben die Meisterspieler dieses Instrumentes in unserer Zeit. . um ein Beträchtliches erweitern helfen. Man weiß heute in den „Höhen" des Cellos zu singen; Th. Mann 1941 Reden u. Aufs. (W. IX 646) Goethe .. begleitete Maxe's Klavierspiel auf dem Cello; ders. 1947 Faustus (W. VI 57) das gesangreiche Cello, das seine vollendete Form dem Antonio Stradivari verdankt; ebd. VI 61 Quartette von Haydn und Mozart, wobei .. Herr Kretzschmar das Cello .. spielte; Jacob 1950 Joseph Haydn 135 wenn ein bestimmtes Gefühl von einem „falschen Instrument" ausgedrückt werde

(zum Beispiel eine Liebeserklärung durch das zu bejahrte Cello), das Gefühl als solches parodiert werde; ebd. 326 Geigen und Celli malen das Chaos; Frisch 1957 Homo faber 185 das Wiehern eines Esels in der Nacht: wie der erste Versuch auf einem Cello! findet Sabeth; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 258 Bienkopp fühlt sich wie die Saite auf einem Cello, gespannt; Welt 14. 7.1964 Interpretationskurse leiten diesmal Alfons und Aloys Kontarsky (Klavier), Siegfried Palm (Cello); Stuttgarter Ztg. 23. 9. 1969 Den ungeheuer schweren, mit allen Finessen avantgardistischer Cellotechnik vollgepackten Solopart kann wohl kein Violoncellist perfekter und eleganter spielen als Palm; Wehle 1982 Sprechen Sie ausländisch 100 man verkleinerte durch den Ansatz -cello zu Violoncello. Aber dieser Wortkörper war silbenmäßig zu unhandlich, daher kürzte man auf Cello; MM 11. 5. 1985 Franz Danzis Variationen über „reich mir die Hand, mein Leben" aus Mozarts „Don Giovanni" für Cello und Orchester; Zeit 30.8.1985 vor zwei Jahren hat er auch angefangen, Cello zu spielen; MM 20. 10. 1987 der agile Ernst Reijseger erweckt mit seinem elektrischen Cello, dem er hörenswerte perkussive Reize abgewinnt, mehr Aufmerksamkeit; ebd. 4. 1. 1988 als ein Paganini auf dem Cello erwies sich Heinrich Schiff bei „Ravanaise" von Saint-Saens. Cellist: Campe 1813 Fremdwb. 180 Cellist . . der Kleinbaßgeiger; Mendelssohn-Bartholdy 1840 Br. 58 wenn mein Sohn sich in demselben Concert als Solospieler produciren könnte (er ist Cellist); Brahms 1886 (Briefw. Billroth-Brahms 414) Mir fällt nachträglich ein, daß Gänsbacher unter anderem sehr ein Cellist ist; Th. Mann 1926 Reden u. Aufs. (W. X 878) diese Cellisten setzen den geharzten Bogen so an, wie man es tausendmal gesehen hat, mit dem Ergebnis baritonalen Saiten- und Holzgesanges; V. B. 3. 10. 1936 Der Cellist Folkmar Längin hatte auf seiner Suche nach älterer brauchbarer Celloliteratur auf einer ausländischen Bibliothek ein d-moll-Konzert, op. 31, von Joseph Wölfl.. entdeckt; Frankf. Ztg. 2. 4. 1937 Lucienne

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Chaise

Boyer .. [ist mit] ihrer Kapelle . . gekommen, . . einem Baßgeiger und einem Cellisten; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 202) es fügte sich, daß wir wiederholt Kammermusik bei uns im Hause hatten. Der holländische Cellist Vandenburg, die Geiger Temianka und Pollack kamen; Jacob 1950 Joseph Haydn 69 [die] Musik . . wurde von vier Menschen ausgeführt: dem Ortspfarrer, dem Verwalter des Hausherrn, dem Cellisten Albrechtsberger und dem jungen Haydn selbst; Berl. Ztg. 11.4. 1956 dann saßen auf der Bühne im Haus der Presse achtzehn Musiker: Geiger, Bratscher, Bassisten, Zimbalisten, ein Klarinettenspieler und ein Cellist; Johnson 1961 Buch 34 In der Kantine des Theaters stellte sie ihn [Achim] vor als erfolglosen Cellisten; Welt 12. 12.1974 ich war mit dreizehn Jahren eine große Künstlerin und hätte tatsächlich die größte Cellistin aller Zeiten werden können;

Wehte 1982 Sprechen Sie ausländisch 101 Ein Bratschist wäre demnach ein Armgeiger, ein Cellist ein Kniegeiger; Zeit 1. 2. 1985 die zwölf Cellisten der Berliner Philharmonie; MM 12. 3. 1985 mit besonders expressivem Klang brachte der Cellist jedes Intervall seiner unfigurierten Stimme zum Sprechen; ebd. 27. 3.1985 die Cellistin überzeugte mit feinsten dynamischen Unterschieden, Klangfarbennuancen; ebd. 11.5.1985 der RostropowitschSchüler David Geringas zählt ja inzwischen zu den Cellisten von internationaler Geltung; Stern 22. 2. 1990 der erste Cellist eines Symphonieorchesters. cellistisch: 3966 Musik i. Gesch. u. Gegenwart XIII 1784 sein [Schuberts] Streichquintett C mit 2 Violoncelli bildet bis heute einen Gipfel cellistischer Kammerkunst. RS

Chaise F. (-; -n), im späten 17. Jh. entlehnt aus frz. chaise 'Stuhl; Pferdekutsche' (mit Wandel von -r- zu -s- über chaire 'Sessel, Stuhl' zurückgehend auf lat. cathedra, griech. 3 'Stuhl'; —» Chaiselongue, —* Katheder), gelegentlich in den Schreibvarianten Schese, Schaise, Schäse und selten in der Diminutivform Chaischen. In der Bed. 'Halbkutsche, zwei- oder vierrädrige halboffene Kutsche' (—»· Kalesche) verwendet, häufig in den Zss. Jagd-, Post-, Halb-, Bei-, Reisechaise und Chaisewagen, früher auch in dem aus dem Frz. übernommenen Syntagma Chaise roulante 'Kutsche mit zwei Rädern' (s. Belege 1680, 1696, 1709, 1727, 1731, 1744), heute nur noch historisierend bzw. ugs. scherzhaft für 'altes, ausgedientes schäbiges Fahrzeug' (s. Beleg 1961). Friedrich Wilhelm 1677 (UAS XIX 170) beauftragte ihn, dem Kf. seinen Dank für die Chaise auszusprechen (BRUNT); Stampferin 1679 Hausbüchl 109 Chaise; 1680 Wöchentlicher Friedens- u. Kriegs-Currier XIX 7 eine von Kammer-Jungfern besetz der Koenigin Chaise roulante (BRUNT); 1683 Polit. Grillenfänger 161 kam unverhofft eine Chaise gefahren; Happel 1690 Academ. Roman 55 nahm er Abschied/ und setzete sich auf eine Italienische Chaise mit 2. Rädern/ die von einem starkken Hengst gezogen ward; Reuter 1696 Schelmuffsky 20 Chaise Rolarde [!]; ebd. 21 Wir hielten nur ein kleinwenig mit unserer Chaise da stille; Ziegler 1697 Staats-Phant. I 7 Chaisen-Fähren; Ertinger 1697 Reisebeschr. 87 allhier hielte mich vier Tag auff und setzte auff einer schesi meinen weeg weiters; Linde 1706 Gedichte 10 Kaufft Kutsch und Chaisen ein; Menantes 1709 Satir. Roman I 28 in einer Chaise roulante; Ettner 1719 Maulaffe 655 Nun aber ein Wagen eine Chaise, eine Hure eine Dame, und ein Schelm ein Politicus heisset, so ist die Redligkeit aus der Welt geflohen; Sperander 1727 A la mod Sprach 108 Chaise roulante, ein

leicht fort rollendes Wägelein, ein Carriol, eine Kalesche mit 2. Rädern; Fassmann 1729 Narr 76 da einer Magister worden war, bekam er eine Visite von einem seiner Verwandten, der in einer Chaise mit zweyen Pferden anlangte; Biantes 1731 Historicus 68 auf einer Chaise roulante; Seume 1733 Lex. 37 Kalesche; sonst wirds auch genennt eine Chaise; 1741 Begebenheiten 35 eine .. mit vier tüchtigen Postpferden bespannte Chaise; 1741 (Löper, Gesch. d. Verkehrs 62) Chaisen-Träger; Heydt 1744 Africa u. Ost-Indien 119 muss . . eine Chaise roulante, oder ein gutes Pferdt haben; /. A. Schlegel u. a. 1760 (Geliert 1774 S. Sehr. Vlll 163) ich war in der Gewalt Schmidts, der .. mich einmal über das andre anfuhr, daß ich mit einer solchen Chaise zu fahren mir kein Gewissen machte; Comenius 1769 Orbis II 214 Kutschen, Chaisen, und Senfften; Lessing 1770 Br. I 334 und so gut als ich mir die Wege dort habe beschreiben lassen, werden Sie es in der Chaise auch gerade eben so commode haben; Ayrenhoff 1771 Postzug 54 Jagdchaise; Smollet 1772 Klinkers Reisen (Übers.) III190 Postchaise; 1784 Journal v. u. f. Deutschland II 314

Chaiselongue unsere leichten Halb-Chaisen; Bretzner 1787 Leben 212 Jagdchaise; 1790 Origines Backel I 89 Anm. Chaisenträger; Goethe 1795 Unterhaltungen (WA l 18,97) Kammermädchen und Kammerdiener folgten in Halb-Chaisen; Matthisson 1795 Italien (IV 111) Man beschwor sie, .. nicht nur die Berline, sondern auch die Chaisen, so erleichert als möglich, überschiffen zu lassen; Kortum 1799 Jobsiade 240 Und nehmen dann in Hamburg oder Calais/ Nach England hin 'ne Chaise und neues Relais; Reichard 1801 Passagier 132 Reisefuhrwerke: . . die Schaisen oder sogenannten Wienerwagen; Goethe 1813 Br. (WA IV 23,327) ein schöner Postzug . ., eine treffliche Reisechaise; Feuerbach 1828 Merkw. Verbrechen l 150 Um 5 Uhr des Morgens sey eine Chaise in das Posthaus gekommen; Jäger 1835 F. Schnabel 83 Lustig sprang der Pudel . . neben der schwerbepackten, mit Koffern und Menschen überladenen Chaise her; Bechstein 1836 Reisetage 1194 Denn dort zu Lande ist von Beichaisen keine Rede; 1842 Ausland 538 Lohnchaise; Gotthelf 1852 Schuldenbauer 3 Kam gefahren . . ein Mann mit einem Chaischen (SANDERS DWB); Holtei 1860 Eselsfresser l 241 Beichaise; Marlitt 1868 Geheimnis 6 Fürs erste lag die kleine Chaise, in der die drei Herren heute morgen ihr Vaterstädtchen . . verlassen hatten, um zu jagen, umgestürzt neben der unglückseligen Anhöhe und zeigte dem Himmel ihre vier Räder; Storm vor 1888 Söhne 51 hielt der Chaisewagen des Senators wieder vor des-

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sen Haustür (DUDEN 1993); Spielhagen 1890 Finder l 17 eine „Vollchaise" (mit Seitenledern statt der Fenster) und eine „Halbchaise" (die sogar, wenn das Schutzleder heraufgezogen war, auch noch mit einem von der Decke heruntergelassenen Fenster verwahrt werden konnte); Liliencron 1896 Poggfred (XII 31) Und „artig" fährt die Chaise durchs Gelände; Polenz 1899 Wald 71 Er kannte die alte Chaise zur Genüge und wußte, daß auf schlechten Waldwegen darin zu kutschieren kein Vergnügen sei; Th. Mann 1909 Hoheit (W. U 128) Ein Kutscher und ein paar Knechte in roten Westen versahen Remise und Stall, deren Bestand sich auf eine Chaise, ein Coupe, einen Dogcart, zwei Reitund zwei Wagenpferde belief; Zobeltitz um 1920 Gross-Q. 105 Herr Matthai, daß mir der Kutscher die große Chaise gehörig säubert, Staat kann mit ihr auch nicht mehr machen; Nora 1932 Am Färbergraben 181 Wer irgendwie es sich leisten konnte, kam in festlich geputzter und lackierter „Chaise", von einem oder zwei Gäulen mit Sonntags-Silbergeschirr gezogen; Münch. N. N. 26. 7. 1937 An einem solch festlichen Tage des Pferdesports kann ein junges, hübsches Münchner Kindl nicht im „Chaiserl" fahren, sondern muß auch zu Pferde steigen; Offenburger Tagebl. 25. 7. 1959 Wenn sie auch heute nicht mehr mit ihrer Chaise zum Markt fahren kann, ist sie doch als Marktfrau noch allgemein in Erinnerung; FAZ 16. 6. 1961 Alte Chaisen mit neuen Motoren. HK

Chaiselongue F. (-; -n, auch -s), auch N. (-s; -s), früher vereinzelt auch M., Ende 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. chaise longue, eigentlich 'langer Stuhl' (—» Chaise), bis ins späte 19. Jh. auch in der frz. Getrenntschreibung mit Pi. chaises tongues. In der Bed. 'gepolsterte Liege, Sofa mit Kopflehne' gebraucht, in Wendungen wie eine weiche, bequeme Chaiselongue, auf einer Chaiselongue liegen, (aus-)ruhen. i 799 Journal d. Moden XIV 107 Sonst waren die sogenannten Chaises longues, die weyland der Luxus und Sybaritismus von Paris erfand, blos zum Schlafen und Faullenzen bestimmt; hier ist eine Chaise longue von anderer Art zum Lesen und Studiren eingerichtet; 3 #03 Eunomia II 373 Chaiselongue; 1823 Flora I 216 Ein pariser Blatt hält es für nothwendig, .. den Besuchern der Oper zu sagen, die Bänke wären keine chaises longues; PücklerMuskau 1831 Br. e. Verstorbenen IV 413 Wenn man sie .. auf ihrer chaise longue hingeworfen sieht; Lewald 1837 Aquarelle IV 141 Chaise longue; Nestroy 1840 S. W. X 336 Wollen Euer Exzellenz einstweilen diesen Chaiselongue versuchen?; Guseck 1851 Salvatorl 121 nachlässig und bequem ruhend auf der schwellenden Chaiselongue, in ei-

ner Atmosphäre von feinem und wohlthuendem Arom; Rodenberg 1863 Strassensängerin I 92 Kleine Tische mit Elfenbein ausgelegt standen hier und da, Chaiselongues mit der Lehne der Thür zu; Lindau 1877 Br. 202 Aus diesem rohen Bette entwickelte sich allmählich .. das Sopha, das Lotterbett, die Chaiselongue, der Fauteuil und der Stuhl; Roland 1888 L. 125 Lieutenant Hans hat auf seiner Chaise longue ein Rückenkissen liegen; Roberts 1891 Mitleid 201 Vierzehn Tage darauf . . trat der Geheimrat mit einem Zeitungsblatt in der Hand an seine Gattin heran, die auf einer Chaiselongue ruhte, lässig und müde in Journalen stöbernd; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 528) wenige Tage später, nachmittags im Wohnzimmer, als Papa mit der Zeitung auf der Chaiselongue lag; Grabein

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Chamäleon

1911 Hans 7 Gelling sah zu dem auf der Chaiselongue Liegenden hinüber, der, die Zigarette im Mund, in einem Buche gelesen hatte; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 932) Es war, mit. . seiner von der Schreibtischgruppe durch einen mehrteiligen Wandschirm getrennten schräg stehenden Wachstuch-Chaiselongue .. ein ärztliches Empfangszimmer wie andere mehr; Lokesch 1927 Fortf. v. Scherr, Kulturgesch. 705 Das Zimmerchen war klein und enthielt als wichtigstes Instrument des „Geschäftsbetriebs" eine Chaiselongue; 1930 Deutschlands Erneuerung XIV 22 Chaiselonguelektüre; Schlichter 1931 Zwischenwelt 71 in einem Anfall unbändigen Schmerzes war sie laut weinend auf eine Chaiselongue gefallen; Uexkiill 1936 Wel-

ten 103 Er fand ihn an einem warmen Herbsttage in Hemdsärmeln in der Veranda auf einer Chaiselongue ausgestreckt, neben sich einen großen Korb mit Pflaumen; Th. Mann 1953 Erz. (W. VIII 921) Rosalie lag auf der Chaiselongue ihres Schlafzimmers, mit einer leichten Kaschmirdecke zugedeckt; Grass 1962 Blechtrommel 177 Oskar hatte seinen mutmaßlichen Vater noch nie so schwitzen sehen, ausgenommen die zwei- oder dreimal, da er ihn mit seiner Mama auf der Chaiselongue beobachtet hatte; Zeit 30. 8. 1985 Hans Hollein entwarf eine beige-, weiß- und rosafarbene Chaiselongue; ebd. 14.11. 1986 im letzten Raum schließlich vier schwarzsamtene Chaiselonguen mit goldenen Füßen. HK

Chamäleon N., bis ins 19. Jh. auch M. (-s; -s, früher selten auch -e), im Mhd. wohl über gleichbed. altfrz. gamalion entlehnt aus gleichbed. lat. chamaeleon (< griech. , eigentlich 'Erdlöwe', aus 'auf der Erde' und 'Löwe'), früher auch in Schreibungen wie Gamalion, Chamelion. In der Bed. 'auf Bäumen lebende Eidechsenart, deren Hautfarbe je nach Lichtverhältnissen, Temperatur, bei Gefahr und Hunger wechselt' (s. Belege 1583, 1604), daher seit frühem 16. Jh. auf Menschen übertragen im abwertenden Sinn von 'unzuverlässiger, seine Überzeugung je nach den Umständen wechselnder, grundsatzloser Mensch' (s. Belege 1521, 1677, 1759, 1807, 1928, 1986), gelegentlich auch von Sachen, Tieren und Abstrakta (s. Belege 1807, 1810, 1843, 1858, 1950, 1955, 1992); dazu seit Ende 18. Jh. die selten belegten adj. Ableitungen chamäleontisch und chamäleon(s)artig, 'in der Art des Chamäleons, unzuverlässig, grundsatzlos, opportunistisch', dafür heute gelegentlich chamäleonhaft. Chamäleon: um 1230 Freidanks Bescheidenheit 109 Gamalion des luftes lebt; 1347-1493 Liederb, d. Hätzlerin II 249 So fräet in den lüften sich Gamolion gen meiner wunn; Konrad v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 222 ain stranz und haist in knechtischer sprach auch camelon; Luther 1521 W. VIII 307 Wilch Chameleon, wilch polypus!; Meyer 1522—23 Ermahnung 300 der sich also endert wie der Cameleon, frauwen gemuet vnd das wetter im abteilen; Ernstinger 1579-1610 Raisbuch 197 cameleon, ain klaines seilzam thierl; Thurneisser 1583 Onomasticon II 163 der Camaeleon, der hat wol nur ein gestalt, aber mancherley färben; Colerus 1604 Oeconomia III 162 Es hat aber Chamaelon den namen davon/ das es wie ein kleiner Lew sey; Schweigger 1608 Reyszbeschr. 27 ob nun das Kind vom Lufft/ wie ein Chameleon/ das Leben gehabt/ weisz ich nicht; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 243 der Mensch verkehret vnd verändert sich immerdar . . er verkehret sich in mehr Farben/ denn der Chameleon; 1617 Orientalisch Indien IV 3 Chameleon; Hardsdörffer 1647 Gesprechspiele VII 238 das Thier Camaleon, wel-

ches von dem Luft leben sol; Hilarius Lustig v. Freudenthal 2. Hälfte 17. Jh. Lieder-Büchlein 24 Jch wie ein Camaleon, viel Farben an mich nehme,/ um keine ich mich gräme,/ verdenckt man mir das schon,/ bald bin ich Eiß, bald Feuer,/ bald bin ich Wolf, bald Schaf,/ bald wolfeil unn bald theuer,/ bald rühm ich, was ich straff; Butschky 1677 Pathmos 60 das der/ welcher vieler Leute Freundschafft zuerhalten begehret; sich so oft als ein Chameleon verändern . . mus .. können; Hartmann 1678 Anatomia 308 Derohalben man ihn das Chamaeleon, oder Farbenwechselnde Thierlein nennete; Butschky 1679 Wohl-Bebauter RosenThal 750 Ein falscher Politicus/ . . ist/ der . .: der veränderlicher/ als ein Chamaeleon; Stranitzky 1724 Hl. Nepomuk 181 Ich bin kein Cameleon der alle stunden die Farben verändert; Henrici 1727 Gedichte 275 Das Thier Cameleon, soll, wie Gelehrte schreiben, Ein rechtes Gaukel-Spiel mit seinem Aendern treiben; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 8) Das englische Cameleon rühmt sich, es habe eines jeder Höflings Leidenschaft zu treffen gewußt . . Und das deutsche sagt: ich ver-

Chamäleon mied eines jeden Höflings Leidenschaft zu berühren. . . Verstehen etwa die deutschen Schmeichler ihr Handwerk weniger, als die Schmeichler einer anderen Nation?; Hamann 1761 S. W. U 96 Es wäre . . nicht unschicklich den Verfaßer der sokratischen Denkwürdigkeiten auch in seiner Nahrung mit dem Chamäleon zu vergleichen; Goethe 1764 Br. (WA IV 1,4) bitte ich .. mich zu prüfen . . Ich gleiche ziemlich einem Camaeleon; ders. 1773 Götz (WA l 8,65) Weisungen. Das Ansehen trügt. Adelheid. So seid ihr ein Chamäleon? Weisungen. Wenn ihr mein Herz sehen könntet!; Bürger 1778 Gedichte (I 72) Chamäleone; Musäus 1781 Physiognom. Reisen I 142 Laß sehen .., was du für eine Chamäleons Fratz habest, die sich in so vielerlei Gestalten formt; ebd. Ill 68 [kommt] unter irgend einer Chamäleonsgestalt zum Vorschein; Blumauer 1784-94 Virgils Aeneis (I 174) Hier kommt als Truthahn stolz ein Don/ Hidalgos angeschritten,/ ein Deutscher als Chamäleon/ Schnappt dort nach fremden Sitten; Jean Paul 1788 S. W. Ill 7,235 Die Juden haben 3 Vorzüge . . 3) und die Seelenstärke mitten unter dem Geschrei der ganzen Welt Selbstlauter zu sein, nicht Accidenzien an Substanz sondern selbst Substanz zu sein, nicht Echo und Chamäleons; Bürger vor 1794 S. W. 57 Fürstenschranzen wandelt sie in Füchse/ und Chamäleone, wie sie will (SANDERS DWB); Hölderlin 1797-99 Hyperion (S. W. II 15) ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist; Seume 1806-07 Apokryphen (W. II 41) Wer als politischer Schriftsteller sein Glück machen will.., muß seiner Natur nach ein Chamäleon . . sein; Klaproth 1807 Chem. Wb. I 587 Chamäleon, mineralisches; 1807 Anekdoten 3 Der Mensch ist das Geschöpf des wechselhaften Zufalles und der kreisenden Verhältnisse, ein Kamäleon; wie dort die Farbe der Umgebungen auf die Aussenseite wirken, so impulsirt hier die Lage, der Drang der Umstände . . auf das Innere; Goethe 1810 Farbenlehre (WA II 1,219) Das mineralische Chamäleon . . kann man in seinem .. trocknen Zustande als ein grünes Pulver ansehen. Streut man es in Wasser, so . . verwandelt [die grüne Farbe] sich . . in . . Purpurfarbe; Steinmann 1843 Mefistofeles III l Alljährlich häutet sich das alte Chamäleon, die Zeit, und schillert in neuer Färbung; Tschudi 1858 Thierleben 164 die Bachforelle . . ist ein Chamäleon unter den Fischen; 1887 Zs. f. Ethnologie XIX 344 Sie kennen jenes mehr sonderbare, als schöne Thierchen, das bei uns wegen seines Farbenwechsels sprüchwörtlich ist, das Chamaeleon; Kautz 1928 Schatten 89 Der Antipode dieses modernen Chamäleons ist der Kleinkaufmann, alias Kleinhändler; 1938 Geopolitik 757 Chamäleon-Charakter der amerikanischen Politik; Münch. N. N. 7. 2. 1941 der umfangreichen Gar-

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derobe seiner früheren Zeit, da ihn ein Parteifreund einmal das Chamäleon zwischen den Parteien genannt hatte; NZ. (Basel) 27. 3. 1950 So ward also mit dem Plan ein rechtes Chamäleon geboren, mit dem man allen Forderungen gerecht werden kann; Süddtsch. Ztg. 28. 3. 1955 dem teuren Chamäleon Mode .. folgen; Haas 1965 Geleitwort zu Przybyszewski, Erinn. 5 natürlich trug auch das Chamäleon der Literaturmode um 1890 .. eine Zeitlang die Farben der decadence; Süddtsch. Ztg. 28.3. 1970 den grundsatzlosen Zynismus eines politischen Chamäleons; Zeit 5. 4. 1985 kennen sich die Sudanesen .. mit diesem Chamäleon . . aus, dem inzwischen dienstältesten Staatsmann Afrikas; ebd. 7. 3. 1986 Er war keineswegs ein Chamäleon und setzte bei all den Verwandlungen nie seine Identität aufs Spiel; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 35 Nun gilt Stil, zumindest in der damit „befaßten" Sprachwissenschaft, als ein hochgradig komplex-kompliziertes Phänomen, das im Bilde des „Chamäleons Stil" sinnfällig Ausdruck gefunden hat. chamäleonhaft: Zeit 13. 12.1985 Die krankheitsverursachenden Viren .. scheinen noch chamäleonhafter zu sein als befürchtet; Spiegel 30. 5. 1994 Figuren wie Woody Aliens Zelig, die sich chamäleonhaft an die Umwelt anpassen, ein unendliches Rollenrepertoire abspulen können, an jedem Ort zu jeder Zeit. chamäleon(s)artig: Heinzmann 1795 Pest d. Lit. 148 chamäleonsartig; Wallner 1864 Rückblicke 55 Wanderleben! Chamäleonsartiger Begriff, in wie viel Abarten zerfällst Du!; Süddtsch. Ztg. 7. 6. 1955 das chamäleonartige Anpassungs-, Koalitions- und Kompromißwesen; Jünger 1958 Jahre 39 Einer von ihnen fiel mir dadurch auf, daß er sich der jeweiligen Tagesansicht so anzupassen wußte, daß er individuell quasi ausfiel, chamäleonartig mit dem Muster der Tapete verschmolz; MM 5. 6. 1987 Chamäleonartig können sie . . ihre Hülle verändern. chamäleontisch: Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland II 10 Und doch soll es so leicht seyn, die Wahrheit zu finden? In der chamäleontischen Lüge!; Jean Paul 1799 S.W./ 8,188 ich wollte schon längst in einen bessern Garten gehen, als die gewöhnlichen chamäleontischen sind; E. T. A. Hoffmann 1818 S. W. IV 12 mit dem Publikum, mit diesem tausendköpfigen, bizarren, chamäleontischen Ungeheur, würde man am Ende wohl noch fertig werden; Goethe 1822 Br. (WA IV 36,76) Gedenken Sie mein, aus dem chamäleontischen Glase mit Freund und Freundin ergötzlichen Trank

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Chambre garnie

schlürfend; Grillparzer 1831 Br. u. Tagebücher II 101 Gott wollte diesen Hormayr zum Geschichtsschreiber machen, er selbst aber hat sich lieber zu dem eigensüchtigen .. chamäleontischen Zwitterding gemacht, das er wirklich ist; Eylert 1845 Charakter-Züge Fr. W, ///. // 2,321 das chamäleontische Hofleben; Schwegler 1846 ff. Jahrb. d. Gegenwart LXVI1 555 Die chamäleontische Stadt [Paris] (Sanders 1871); 1852 Prutz' Museum I 727 dies ganz reizend chamäleontische .. Wesen; 1890 Freie

Bühne l 751 Eine vielseitige, chamäleontische Natur, die sich jedesmal anders häutet; Stürmer 1920 Harden 12 die chamaeleontische Wandlungsfähigkeit Hardens; Halbe 1935 Jahrhundertwende 97 eine chamäleontische . . Gestalt, Spiegel und Abbild eines chamäleontischen .. Zeitalters; Hocke 1976 Tagebücher 264 Wie kann man, da die „Verfälschung" offenbar dem chamäleontisch zwischen Vergänglichkeit und Absolutem schwebenden Ich entspricht, überhaupt aufrichtig sein? HK

Chambre garnie N. (- -; -s -s), bis ins 20. Jh. meist F., Mitte 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. chambre garnie (aus chambre 'Zimmer, Raum' < gleichbed. lat. camera, und garni 'möbliert', zu garnir 'ausstatten, versehen mit'), gelegentlich in den Schreibformen Chambregarnie, chambre garni. In der heute veralteten Bed. 'möbliertes Zimmer', gelegentlich abwertend verwendet (s. Belege 1866, 1898, 1911); auch adv. gebraucht in der festen Verbindung chambre garnie wohnen; dazu Mitte 19. Jh. die veraltete Personenbezeichnung Chambregarnist M. (-en; -en) 'Bewohner, Mieter eines möblierten Zimmers'. Vgl. Ende 19. Jh. aus frz. chambre separee (aus chambre (s. o.) und separe(e) 'gesondert, abgetrennt', Part. Perf. zu separer 'trennen, sondern' < gleichbed. lat. separare, —»· separieren) entlehntes Chambre separee N. (- -; -s -s) in der Bed. 'Nebenraum (eines Restaurants) für ein intimes Treffen', häufig in der Kurzform —» Separee. Chambre garnie: Duez 1652 Nomencl. 80 Vivre en chambre garnie, sich auff der kammer speisen lassen, privatiren, für sich leben; Nemeitz 1718 Sejour 43 Jst ein Frembder nun so gluecklich/ daß er in dieser Gassen eine chambre garnie bekommen kan/ so nehme er solche (BRUNT); 1790 Journal d. Moden V 282 einzelne Herren, die mit ihrer ganzen Equipage auf einmal aus einer Chambre garnie in die andere .. überziehen wollen; Caroline 1799 Br. l 246 so wolltet ihr eine Chambre garnie in der Nähe des Theaters nehmen; Jean Paul 1803 S. W. / 10,90 um sofort seine „chambre garnie" zu beziehen; Schlözer 1828 Schlözers Privatleben I 227 nahm Schlözer seine Wohnung . . in einer sogenannten chambre garnie; Laube 1837 Reisenovellen V 424 in eins der chambres garnies, wo noch heute bewegliche Garcons zu finden sind; Gutzkow 1838 Blasedow II 101 chambres garnis; Bismarck 1847 Br. 96 Chambregarnielager; 1849 Fontane-Lepel Briefw. l 222 so ist es aus guten Gründen mit der Chambregarni Herrlichkeit . . vorbei; 1855 Hausblätter II 401 ein zweiter Stock als chambre garnie gemiethet; Keller 1856 Leben, Br. u. Tagebücher II 392 Anm. Hoffentlich dürfen Sie in Ihrer Mutter Haus nicht so donnerwettern, wie hier in dem chambre garnie der Bauhofgasse; Holtet 1860 Eselsfresser II 77 Wir Uebrigen hausen .. in kleiner beengter chambre garnie; ebd. 11 79 die

Berliner Schamberjarnie-Vermiether; Spielhagen 1866 In Reih u. Glied I 515 würde ich jetzt sicher in einer elenden chambre garnie wohnen; Heyse 1873 Kinder d. Welt l 78 ich habe niemals Chambres garnies vermiethet; Braun 1881 Bilder II 169 Chambre-garni Gewerbe; Fontäne 1898 Zwanzig 51 von der herkömmlichen Ödheit einer Berliner Chambre garnie zeigte sich nichts; zur Megede 1911 Quitt 429 das Chambregarnie zweiter Klasse; Philippi 1916 Hagedorn 395 sich in einem Haus . ., in dem viele verirrte Schäflein wohnten, eine Chambregarnie mietete; Wege 1936 Baldachin 89 In . . einer kalten Chambre garnie des Westens [von Berlin]. chambre garnie (Adv.): Glassbrenner 1835 Berlin l 24 die wohnen jetzt drüben bei de Hemmerlücken Schamberjarnie; Sass 1846 Berlin 21 Ergeben sie [die Prostituierten] sich jedoch einmal in ihr Loos, dann quittiren sie bald die verführende Schlafstellen wirthschaft und wohnen chambre garnie; 1860 Briefw. Burckhardt-Heyse 105 Wer so lange Chambre garnie gewohnt hat wie ich; Karwath 1917 Schles. Fräulein 10 In Berlin hatten sie auch chambre garnie gewohnt. Chambregarnist: Sass 1846 Berlin 25 Namentlich wird diese Stadtgegend von jungen Medicinern, die

Champion eben ihr Examen machen, bevölkert, sie sind alle Chambregarnisten und jeder Mediciner ist hier eo ipso ein „Doktor"; Fontäne 1854 Sommer (Ges. W. // 4,195) Dich warme Zufluchtstätte erfrorener Chambregarnisten; Bucher 1861 Kl. Sehr. 9 [Der Campesche Robinson] bringt für sich und sein Vaterland nichts mit, als eine Kindergeschichte; lebt, wie es scheint, in Hamburg als Chambregarnist und geht jeden Abend in die Kneipe; Springer 1868 Berlin 55 Die Stiefelputzer und Rockausklopfer, die dem Schneider so nützlich sind, wie der Arzt dem Apotheker, steigen zu den Chambregarnisten; Goltz 1869 Weltklugheit l 256 Chambregarnist; Rosenkranz 1873 M.-K. 431 die . . als Chambregarnisten bei Madame Golde . ., wohnten; Schmidt 1896 Wb. d. Straßb. Mundart Vorw. XIX das neuhochdeutsche offizielle Wort Chambregarnist für Bewohner einer chambre garnie [ist dem Elsässer „komisch"]; Hölzke 1902 Hässliche 24 beide lebend von der Schande ihrer Tochter Käthe, die sich in den Betten der Chambregarnisten breit macht, die schon mit 14 Jahren ihrem Dirnenberuf nachgeht; Berolzheimer 1914 Moral 329 der Arbeiterchambregarnist.. im traurigsten Norden [Berlins]; 1929 Handwb. Staaatswiss. Erg'bd. 1108 die Zahl der Aftermieter (Chambregarnisten), d. h. jener Personen, welche „von dem Wohnungsinhaber einen bestimmten . . Teil der Wohnung in Aftermiete genommen haben" . . ist .. groß geworden. Chambre separee: Gregorovius 1894 Nasen 46 sorgte für ein chambre separee unter den Linden; Liliencron 1896 Poggfred (XI 205) Nachher natür-

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lich chambre separee; Duimchen 1902 Mittel 250 nicht nur in seinen weiten Erdgeschoßräumen, sondern auch in sämtlichen chambres separees des ersten Stockes verschwenderisch erleuchtet; 1904 Jugend 122b Zieht er's nicht vor, im chambre separee mit einer vorurtheils- und fessellosen Genossin erst ein Stündchen noch zu kosen; 1914 Stimmen d. Zeit LXXXVII 184 Chambre-separee-Abenteuer; Lokesch 1927 Fort/", v. Scherr, Kulturgesch. 708 Eine Gattung von Vergnügungsstätten, die „Chambre separees" haben in unserer Zeit, da jeder Jüngling eine „sturmfreie" Bude hat, allen Wert und Reiz verloren . . Damals [um 1900] hieß es auch in der Operette „Der Opernball" von Richard Heuberger „Geh'n wir ins Chambre separee/ Ach, zu dem süßen tete ä tete"; Berl. Illustr. Nachtausg. 2. 3. 1933 Hier ist nie Handel mit Rauschgiften vorgekommen, kein Glücksspiel und keine Chambres separees; Süddtsch. Ztg. 6. 2. 1961 Luxushotel, Chambre saparee, Sektgläser, Frackschleifen. Was dann folgt, ist eisern vorgeschrieben: Launige Sprache, Frivolität, die auf Moral hinausläuft; Roth 1966 Prophet 63 Am Abend im Frühling, im Hotel und im Chambre separee hören Sie ganz andere Dinge; Zeit 26. 4. 1985 Wer, wie ich, als nicht resozialisierbarer Raucher über die roten Plüschteppiche steigt, vorbei an den Aktenkoffern aus Kroko, den Platinuhren und goldenen Feuerzeugen und ins Chambre separee Einlaß erhält, dem wird es wohl zumute; ebd. 23. 1. 1987 die Zuschauer sollen .. selber erraten, ob die Szene nun ein Friedhof, ein Restaurant, ein Chambre separee in einer Villa vor der Stadt ist. HK

Champion M. (-s; -s), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. champion (über altfrz. champion 'ritterlicher Kämpfer' zurückgehend auf mlat. campio 'Kämpfer', zu lat. campus '(Schlacht-)Feld'; —»· Camp, verw. mit dtsch. Kampf, Kämpfer). Zunächst und bis Ende 18. Jh. in der Bed. 'Kämpfer, Streiter, Held' (s. Belege 1729, 1780), auch für '(gedungener) (Turnier-)Kämpfer', zumeist abwertend (s. Belege 1775, 1791, 1796), danach und gelegentlich bis Mitte 20. Jh. in der übertragenen Bed. 'Verfechter einer Idee, Vorkämpfer' (s. Belege 1767, 1834, 1835, 1865, 1875, 1959, 1961); daneben auch bis Mitte 19. Jh. im Sinn von 'Günstling einer vornehmen Dame' (s. Belege 1782, 1809, 1840, 1845). Im späten 19. Jh. neuentlehnt aus gleichbed. engl. champion (< altfrz. champion, s.o.) in der Bed. '(der gegenwärtige offizielle) Meister, die beste Mannschaft (in) einer Sportart', auch 'der als bester angesehene Sportler einer Disziplin, Spitzensportler', vor allem im Boxen, Reiten und Tennis (s. Belege 1879, 1888, 1929, 1931, 1934, 1967, 1992), bes. in den Zss. Box-, Tennischampion; seit frühem 20. Jh. auch auf Tiere, bes. Pferde bezogen (s. Belege 1928, 1929, 1935, 1958); auch allgemeiner für 'der Erfolgreichste auf einem Gebiet, Meister' (s. Belege 1924, 1933, 1976, 1982), auch auf Sachen, bes. Markenartikel bezogen (s. Belege 1955, 1989); in jüngster Zeit die Kurzform Champ M. (s-; -s). Dazu die im frühen 20. Jh. aus gleichbed. frz.

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Champion

championnat entlehnte subst. Ableitung Championat N. (-s; -s, auch -e) '(Wettkampf zur Erringung der) Meisterschaft in einer Sportart', bes. auf Pferdesportarten bezogen, und das Mitte 19. Jh. vereinzelt, seit frühem 20. Jh. häufiger belegte, aus gleichbed. engl. championship übernommene Championship N. (-s; -s), gleichbed. mit Championat. Champion: Nehring 1710 Hist.-polit.-jurist. Lex. o. S. Champion (WEIGAND); Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 606 ein Champion, das ist, ein Verfechter oder Kämpfer des Königs; Bodmer 1747 (Br. ätsch. Gelehrter l 46) Champion; Wieland 1758 Ges. Sehr. I 4,448 Dieser neue Orden von Champions für das Ansehen des römischen Stuhls kam dem sinkenden Pabstthum . . zu Hilfe; ders. 1767 Ges. Sehr. I 6,92 so würden wir den Dion unter die wenigen Helden und Champions der Tugend zählen müssen; Berisch 1775 Leben 'Wittekinds 63 Entstand ein Streit über das Eigenthum eines Guts . ., so mußten die beyden streitenden Partheyen ein Gefecht mit einander halten, oder zween Männer die man Champions nannte, für sich miteinander fechten lassen. Diese für Geld gedungenen Champions wurden für unehrlich gehalten; Joseph U. 1780 Br. 55 Wie er König wurde, setzte er seine Gelehrten-Beschäftigung fort; gleich versammelten sich eine Menge .. Champions, und besangen seine Siege; Sturz 1782 Sehr. H 369 ein Champion der beleidigten Dame schrieb ihm . . empfindliche Briefe; Bretzner 1787 Leben H 233 Der Champion, der wie alle seines gleichen in Abwesenheit des Herrn den Wichtigen machte; Jean Paul 1791 S. W. /// 1,328 auf dem Turnierplatz . . will die Intelligenz-Gallerie nur das Gebalge sehen, nicht aber ob jemand zur Ehre der Ritterschaft oder als gedungner Champion aufreite; 1796 Journal d. Moden XI177 Anm. Hierauf wurde Beyden, wie zwey Schampions, freyes Feld gegeben, in Gegenwart des Königs und seines ganzen Hofes; Schiller 1796 Br. V 108 von einem Champion des Herrn Manso; Bouterwek 1809 Gesch. V 83 Der Champion der Damen; Pückler-Muskau 1834 Tutti-Frutti I 296 Mit ihrem tiefen Organ, ihrer colossalen Gestalt, ihrem ungeheuren Busen . . erschien sie zugleich wie der Champion, und auch wie die Amme von Altengland; 1834 Jahrb. d. Gesch. U 508 der grosse Champion des Katholicismus, Görres; Heine 1835 Romant. Schule 105 der selige Nicolai . ., der eigensinnigste Champion der Aufklärung und Humanität; Immermann 1840 Mem. l 52 Die Wirkung der . . Königin auf die Männerwelt war .. so, dass man jeden für einen Champion der schönen Majestät hätte halten dürfen; 1845 Anemonen 184 Verwundung ihres [einer der ersten Damen Wiens] Champions, eines Gesandten; Noe 1865 Voralpen 57 Auch in München haben sich die Champions des Altars und der

unbefleckten Lilie, dem Maitre Guillotin entronnen; 1875 Dtseh. Rundsch. IV 105 Er, der grosse Champion freier Concurrenz gegen Monopole; Hillebrand 1876 England 53 Auf jeder Seite elf Kämpfer, die erwählten Eleven. Die zwei Champions der einen Partei sind auf dem Plan; Nordau 1879 Seifenblasen 12 wennn er damals [im Crikket] nicht siegte, so war dies nur deshalb, weil er das Unglück hatte, gegen sich den Champion des Vereinigten Königreichs zu haben; 1888 Geograph. Jahrb. 113 Whymper, der berühmte Champion der Bergsteiger; 1900 Archwal-Zschr. 178 Bernhard Sepp als Champion der Florianslegende; Brandt 1901 Ost-Asien I 57 Major Roger . ., der Champion-Elefantenjäger der Welt; Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 173 Champion-Chauffeur; Hasperg 1907 Polo 57 Champion; Steinitzer 1910 Sport u. Kultur 43 Die Aufstellung eines neuen Rekords, der Sieg über einen fremden Champion macht unendlich populärer als das beste Bild, das tiefste Drama, die erfolgreichste Oper; 1912-13 Pan III 422 Champion des Elsässertums; Schmitz 1914 Land 98 „champions" dieses Sports; Classen 1914 Geschlecht 43 Der sportliche Wettkampf mit Faustkampf- und Fussballweltchampions; Kjellen 1921 Grossmächte W. 160 [Japaner] die Champions der gelben Rasse; Werfel 1924 Verdi 138 Gritti wurde mit jenen animiert-erfreuten Lauten begrüßt, wie sie jeder Champion einer Kunst oder eines Sports kennt, der in einer Gesellschaft erscheint; ebd. 415 Ungeheure Kräfte zeigte dieser Champion des Altseins. Er jagte die Bande vor sich her, kam dabei nicht außer Atem, seine Muskeln wurden nicht schlaff; 1928 Münch. lllustr. Presse o. S. Der Champion: Ein besonders schöner rauhhaariger Foxterrier auf einer englischen Hundeschau; ß. Z. am Mittag 7. 6. 1929 Der . . Hengst ist. . ein Dreijähriger bester Klasse . . Es bedeutet . . unbeschreibliches Pech für den Champion sowohl wie für seine Besitzer, . . um den . . Triumph gebracht zu werden; Voss. Ztg. 28. 6. 1929 Paolino war . . ein gefurchterer Champion . . dieser Schmelingssieg [ist] für uns mehr wert . . als bloß der Sportoder Gelderfolg eines Faustkämpfers; ebd. 19. 7. 1929 Bei Tildens Aufschlag merkt man sofort, der „Alte vom Berge" ist wieder einmal in Championform; ebd. 10. 1. 1931 Die beiden „deutschen (Tennis-JMeister" — Boussus als offizieller Champion und Prenn als Ranglisten-Erster; ebd. 26. 6. 1931 der erste Derbysieg des Championrei-

Champion ters Otto Schmidt; Mühlen-Schutte 1932 Erich Kniesels Werdegang vom Championläufer zum Championverkäufer (Titel); Lokal-Anz. 12.3. 1933 Amerika muß natürlich auf allen Gebieten seine Champions, seine Meister, haben; ebd. 18. 8. 1934 Otto Suermondt, in den Jahren 1887 bis 1903 neunmal Champion der deutschen Herrenreiter, vollendet am 20. August das siebzigste Lebensjahr; Dtsch. AZ. 28.7. 1935 Als er die Champions erwartete, kam eine Taube seines „Stalles", die Backsvogel zum Verwechseln ähnlich sah; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 132 der damalige englische Championjockey; Münch. N. N. 5.1. 1940 der Eisstock-Champion des Schloßkanals; Welt 28. 9. 1949 Hans Frömming, der Ofache deutsche Traberchampion . ., h a t . . eine Einladung erhalten . . Vor seiner Reise wird der Champion . . ein Gastspiel in Paris geben; Marcuse 1951 Heine 137 [Metternich] . . ein „perfekter Kavalier" . . Dann war er der Champion der politischen Salons Europas; Süddtsch. Ztg. 23. 6. 1955 Maico baut Champion-Kleinwagen; ebd. 22. 11. 1958 die „Klasse I Champion International", der besten Klasse, in die Katzen eingestuft werden können; ebd. 25. 2. 1959 Adenauer wird . . als der „eifrigste Champion einer uneinsichtigen, die internationale Entspannung verhindernden Politik" bezeichnet; Offenburger Tagebl. 25. 4. 1961 Ihre persönlichen Leistungen bei der Wiedergeburt Frankreichs als großer Champion der Freiheit; Stuttgarter Ztg. 15. 7. 1967 Tom Simpson war einer der farbigsten und außergewöhnlichsten Champions, die der Radsport hervorgebracht hat; Süddtsch. Ztg. 9. 3. 1968 Boxchampions; Stuttgarter Ztg. 9.7.1970 Zum Champion wurde Jacqueline Kennedy Onassis erhoben, die laut „Time Magazine" eine geradezu kolossal langweilende Aura ausstrahlt; Spiegel 20. 12. 1976 Noch ist der Kanzler Champion der Bonner Szene; ebd. 10. 5. 1982 Manfred Lahnstein, so scheint es, ist Champion in Makellosigkeit (beide AWB); Zeit 5. 4. 1985 Wenn es auf der Welt einen vorläufig unerreichten, bisher ungeschlagenen Champion in der Kunst des Rösselsprungs gibt, dann ist es dieser unberechenbare Sudanese; ebd. 6. 3. 1987 als hätte jemand eine Künstlergarderobe, eine wissenschaftliche Kontrollstation und das Camp eines Box-Champions in einem einzigen Appartement vereinigt; Spiegel 14. 8. 1989 Sie sind es nicht gewohnt, daß ihre Mark, lange Zeit unumstrittener Champion auf den Devisenmärkten, nun in Spanien nur noch 86 Pfennig wert sein soll; ebd. 7. 12. 1992 Boris hat in jeder Beziehung den härteren Schlag drauf. Er ist länger dabei und hat das Herz eines Champions. Champ: Spiegel 30. 8. 1976 Der Champ der Sozialdemokraten .. mag sich nicht länger zügeln lassen;

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1979 Stern Nr. 3 Schließlich haben wir von Sony unserem Champ eine durchweg ausgereifte und zukunftssichere Technik mit auf den Weg gegeben; Spiegel 30.3. 1981 Deutschlands Faxen-Champ Otto Waalkes; ebd. 4. 2. 1985 Und weil der Champ [der Theaterregisseure Zadek] mit standesgemäßem Hofstaat in Hamburg einfallen wird, würden noch mal rund 700000 Mark lockergemacht; ebd. 26. 9. 1988 Grünbeck, daran gibt es keinen Zweifel, ist Bonner Sommerloch-Champ (alle AWB). Championat: Edschmid 1928 Gagaly 178 Trotzdem hatte bereits die Lenglen . . bei dem letzten Championat um die französische Meisterschaft .. ein Publikum, wie es Graf Serenyi als Botschafter nie gehabt hat; Voss. Ztg. 4.2. 1929 Im großen und ganzen kamen die Championate zur Entscheidung, das heißt, die Sieger der einzelnen Kategorien von Jagd-, Reit- und Eignungs-Prüfungen stießen hier mit den Plazierten aufeinander und unter ihnen wurde nochmals gesiebt; Musil 1930 Mann 914 sie träumen von Schrankkoffern und Bobmeisterschaft, von Tennischampionat und vom Luxushotel an der Autokarawanenstraße; Feuchtwanger 1930 Erfolg l 226 Fancy De Lucca . . Sie hatte das italienische Championat seit zwei Jahren; Berl. Tagebl. 13. 3. 1932 Der kleine Möhl hatte am Tag der Championate seine beste Form seit Beginn der Meisterschaften. Er führte eine Linke in den Kampf, die das Publikum wieder begeisterte; Münch. N. N. 10. 8. 1938 Der so jäh aus dem Leben Geschiedene gehörte zu unseren erfolgreichsten Amateurreitern, deren Championat er in den Jahren 1933 bis 1935 errang; Welt 5. 12. 1949 Heitmanns schärfster Konkurrent im Kampf um das Championat; Süddtsch. Ztg. 8. 8. 1955 kamen Hunde aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz nach München, um die Anwartschaft für das internationale Schönheits-Championat zu erringen; Welt 28. 1.1959 die Wichtigkeit eines Championats-Wettbewerbs für den Reitsport; FAZ 25. 7. 1959 Nach einem Gebet und dem Absingen einer Hymne begannen die Entscheidungen um das Championat im Bibel-Quiz; Süddtsch. Ztg. 1.3. 1969 Er legt zur Zeit los, als wollte er sich das diesjährige Championat schon im ersten Vierteljahr sichern; Welt 4.8. 1969 Ergebnis des Junioren-Championats; Frankf. Rundsch. 13. 8. 1990 als im Prestige-Tournier bei Olympia mit den Topteams der Welt nur um Medaillen und nicht um weitere Qualifikationen für internationale Championate zu kämpfen; Spiegel 19.2. 1996 Wenn schon der Pianist Friedrich Gulda mit „Fun and Games" herumklimpert, so scheint es fast natür-

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Chance

lieh, daß ein Siegerhengst im Daglfinger SteherChampionat auf den Namen „Fun Finder" hören muß. Championship: Kohl 1844 Brit. Inseln III 318 bei welchem Preisgefechte er früher die Lorbeeren des Heldenthums (the laurels of championship) davongetragen habe; Kircher 1926 Engländer 260 Das immer mehr überhand nehmende Gladiatorentum der Berufsspieler und die Uebersteigerung der sportlichen Leistung durch den Ehrgeiz der Championships; ders. 1927 Fair Play 112 Inhaber von

Championships; Voss. Ztg. 26. 6.1929 Wer wird die „Championchips" Jahrgang 53 gewinnen; Berl. lllustr. Nachtausg. 17. 3. 1931 wird auf der gleichen Strecke . . die englische Strommeisterschaft, die „Head-of-the-River-Championship", ausgetragen; N. Z. Z. 22. 2. 1966 So hat der philippinische Schachverband die Gelegenheit benutzt, das „Meralco National Open Chess Championship" . . durchzuführen; FAZ 1.1.1971 Das meiste Geld streicht . . die Organisation der Profis „World" Championship Tennis ein; Zeit 19. 7. 1985 der in seinen besten Jahren viermal die Open Championships gewann. HK

Chance F. (-; -n), Anfang 19. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. chance (< altfrz. cheance 'Glücksfall, Aussicht, Möglichkeit; Fall der Würfel' < mlat. cadentia, zu lat. cadens 'fallend', Part. Präs, von cadere 'fallen', —» Kadenz), bereits mhd. in der Form schanze (< altfrz. cheance), zunächst 'Fallen der Würfel beim Spiel', vom 15. bis ins 18. Jh. übertragen im Sinn von 'Glückswurf, -fall, günstige Gelegenheit, glücklicher Zufall', bis heute gebräuchlich in der seit Mitte 16. Jh. belegten Redensart (sein Leben) in die Schanze schlagen 'riskieren, wagen, (alles) aufs Spiel setzen', in dem Verb zuschanzen 'jmdm. etwas zukommen lassen, verschaffen, zu etwas verhelfen' (vgl. spätmhd. schanzen 'Glücksspiel treiben') sowie in der Zs. Mummenschanz. In der Bed. '(günstige) Gelegenheit, Aussicht, etwas Erfreuliches, Gewünschtes zu erreichen, Möglichkeit des Gelingens' (s. Belege 1807, 1809, 1852, 1870-71, 1933, 1991), daneben auch allgemeiner im Sinn von 'Möglichkeit' (s. Belege 1825, 1830, 1848, 1918, 1993), vor allem in der 2. Hälfte des 19. Jhs. in zum Teil eventuell von engl. Ausdrücken des Rennsports (s. Belege 1854, 1865, 1887) beeinflußten Wendungen und Redensarten wie das ist die Chance meines Lebens, das ist meine/ die große Chance, die Chance ist gleich Null, eine Chance ergreifen/nutzen/erkennen/verpassen/vertun, sich eine Chance (nicht) entgehen lassen, jmdm. bietet sich eine Chance, etwas/jmd. hat (nur eine geringe/einzige, eine faire) Chance, es besteht die Chance, daß ..., jmdm. (noch einmal) eine (neue/letzte) Chance geben/bieten, die Chance haben zu etwas/etwas zu tun, jeder hat die gleiche Chance, wohl unter Einfluß von engl. (there is) no chance keine Chance (haben), eine verpaßte Chance; nur im Pl. bes. für 'Aussichten auf Erfolg' verwendet in Verbindungen wie etwas/ jmd. hat gute/schlechte/beste Chancen, die meisten/wenigsten Chancen, gleiche Chancen, jmds. Chancen wachsen/steigen/fallen/sinken, die Chancen stehen hundert zu eins/(nicht) schlecht/gut, ugs. er hat bei ihr keine Chancen, in Zss. wie Glücks-, Erfolgs-, Sieges-, Gewinn-, Zukunfts-, Überlebens-, Bildungschance (n), chancenreich, -los, -gleich, und bes. Chancengleichheit (etwa Mitte 20. Jh.), allgemein für 'gleiche Möglichkeiten für jeden, Recht auf gleiche Ausgangsbedingungen ohne soziale Privilegien', in der öffentlichen politischen Diskussion seit Anfang der sechziger Jahre schlagwortartig verwendet, bes. im Bildungswesen in der Bed. 'gleiche Zugangsmöglichkeit zu Bildungseinrichtungen ohne soziale Unterschiede, Abschaffung von privilegierten Eliten', auf das Verhältnis von Frau und Mann bezogen

Chance

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auch im Sinn von 'Gleichberechtigung, Gleichstellung, gleiche (berufliche) Möglichkeiten für Frauen', in Wendungen wie Chancengleichheit herstellen/fordern, unbedingte Chancengleichheit. Varnhagen v. Ense 1807 Buch d. Andenkens l 311 der Kindersinn, der nichts anders ist, als das reine Auffassen, gesondert von der ewigen Arbeit, und dem immerwährenden und neuen Absondern; dies ist Glück. Das andere ist Fortune, Chance, ein gutes Mittagsmahl, gute Toilette, kurz Dinge, die einem nicht entgehen müssen; 1809 ebd. l 436 Ein solches Glück, das mich persönlich erheben sollte, kann in meinem Lebenskreise sich nicht mehr intensiv, als große Chance .. ereignen; Koch-Sternfeld 1825 Beytr. l 371 Die Chancen, der Gegensatz der stillen naturgemässen Thätigkeit, und des hieraus erwachsenden Vertrauens, haben mit dem Beben der Erde gemein, dass beyden, früher oder später, Stösse und Orkane folgen; Goethe 1830 Br. (WA IV 46,270) schwieriger und gefährlicher Transport [einer Büste] und was sonst für Chancen dazwischen traten und treten können; PücklerMuskau 1831 Br. e. Verstorbenen IV 312 wir müssen die Chancen, welche die Verbindung der Begebenheiten uns darbietet, nach der Probabilität, nicht nach der Möglichkeit behandeln; Gutzkow 1835 Charaktere V11I 58 Die Wahrscheinlichkeitsrechnung schließt keine Chance aus; 1848 Grenzboten I 2, 32 Bartels und Jottrand sind jedenfalls bessere Diplomaten, kennen die Lage und Stimmung ihres Vaterlandes und berechnen sorgfältig jede Chance, die sich ihnen bietet; Gutzkow 1852 Ritter V 368 Ich gedenke von dem Heidekrüger Justus, der dreimal gewählt worden, 2 Chancen für dich (SANDERS DWB); 1853 ff. Gartenlaube XVi 143 Paris ist die chancenreichste Stadt (SANDERS 1871); Holtet 1854 Schneider l 254 Zufällig vorüberreisende Engländer konnten unter völlig gleichen Chancen die bedeutendste Wette eingehen; Meißner 1855 Sans. // 139 Die Glücks-Chancen (SANDERS 1871); Fontäne 1857 Br. II 1,193 hat auch der beste Rat freilich nur eine geringe Chance; Zoller 1865 Rennen in England 69 Er berechnet alle chancen; 1866 Grenzboten III 23 Bei Berechnung der Chancen eines Krieges; Kretschman 1870—71 Kriegsbr. 107 allerdings würden so meine Chancen wachsen, bei der Garde oder in einer guten Garnison ein Bataillon zu bekommen und später mal Chef des Generalstabes bei einem Armeekorps zu werden; Kürnberger 1877 Herzenssachen 318 Wer anders sollte sich diesen edlen Vogel herabschießen, als das hochmögende Patronat, welches auf eine so leckere aber seltene Ruhmeschance hin all das übrige unedle Gevögel jahraus jahrein sich mästet und füttert?; Nordau 1885 Paradoxe 26 es haben sich zwölf Millionen Menschen

in einem einzigen Lande gefunden, die für die vierzehnmillionstel Gewinnchance einen Franken bezahlten und ernste Hoffungen auf sie bauten, obwohl sie dazu 437- oder 2500mal weniger berechtigt waren als jeder von uns, die wir für unsere Erbschaftschance mindestens nichts bezahlen; Lindau 1887 Arme Mädchen 30 Die Herren unterhielten sich lebhaft über die Pferde, die beim nächsten Frühjahrsrennen am meisten Chancen haben würden; Bleibtreu 1889 Nap. l 60 Da Napoleon mit „Chancen" zu hantieren liebte; Meysenburg 1892 Br. Pfl. 238 Der arme Rolland hat wirklich - wie alle Idealisten — keine chance; Lubliner 1896 Riviera 29 nicht nur Philosophen . . und die größten Mathematiker haben sich mit dem Ergründen der Chancen des Glücksspiels beschäftigt; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. / 289) Sie hat bislang ihren Entschluß, niemals zu heiraten, mit Festigkeit aufrechterhalten. Haben Sie denn Chancen?; Heinroth 1906 Enttäuschungen U 4 Wenn Du Chance hast, kannst Du vielleicht in . . 10 Jahren eine Professur erreichen; 1911 Grenzboten IV 91 Unfallchancen; Janitschek 1912 Ehen 166 da hab ich am ehesten Chancen; Bülow 1916 Dtsch. Politik 298 Gewinnchancen; 1918 Deutschland 479 Zukunftschancen; Perutz 1918 Zwischen 31 das Fräulein entschloss sich, ihm eine letzte Chance zu geben; Bebel 1922 Frau 154 Die Chancen der Ehe; Hoffmann 1925 Aufzeichnungen 11 69 Die erste Chance verpasst; Voss. Zig. 21. 7. 1929 Dem Kellner werden die Gläser vom Tablett gerissen, Toiletten-Beschauen, Chancen-Besprechen — das alles ist im Augenblick vergessen; Stratz 1929 Lill 62 Heiratschancen; 1929 Dtsch. Rundsch. LV 97 Erfolgschancen; 1929 Süddtsch. Monatsh. XXVII 167 chancenlosen; 1930 Westermanns Monatsh. August 589 Es ist gute amerikanische Sitte, jedem seine „Chance" zu geben; ß. Z. am Mittag 24. 2. 1931 Carracciola . . kam .. um seine Siegeschancen; Voss. Ztg. 29. 8.1931 daß die Briten bei Einzelkämpfen weit bessere Chancen gegen uns hätten; Bert. Illustr. Nachtausg. 18.5.1933 Doch trotz allem sind die Chancen offen; Lokal-Anz. 26. 5. 1933 doch holten die Eidgenossen nicht viel weniger Torchancen heraus; Berl. Illustr. Nachtausg. 8. 6. 1933 die ersehnte „Chance seines Lebens"; B. Z. am Mittag 24. 6. 1933 daß man in ihm einen chancenvollen Außenseiter zu erblicken hat; Lokal-Anz. 21.4.1934 daß er praktisch kaum noch eine Gewinnchance hat; Dtsch. AZ. 28. 10. 1935 Die Hauptsache ist, daß jeder die gleiche Chance hat, und weiß, daß er sich mit dieser

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changieren

Chance die Anwartschaft auf Führung durch Leistung erwerben kann; Munch. N. N. 27. 3. 1937 Da bietet ihm Trix . . eine letzte „Chance"; Tb, Mann 1942 Nachtr. (W. XUI 184) Als die Preise sich verfünffacht hatten, begannen wir von „Inflation" zu sprechen und die Chance des uns verbliebenen Fünftels unseres Besitzes als sehr ungünstig zu beurteilen; Süddtsch. Ztg. 9. 4. 1946 Es heißt, Hamburg habe jetzt die Chance, eines der kulturell bedeutsamsten Zentren Deutschlands zu werden, eine geistige Stadt, aber es nehme diese Chance nicht recht wahr; ebd. 6. 10. 1950 Lebenschance bedeutet . . Oeffnung der Kinderseele und Fortbildung des Geistes während der .. Heilbehandlung; Dürrenmatt 1952 Richter 105 Und jetzt, .. da ich einmal eine Chance habe, soll alles wieder für nichts sein, soll meine einmalige Gelegenheit hinaufzukommen in einem blödsinnigen diplomatischen Spiel zugrunde gehen!; Frisch 1957 Homo faber 78 ich zahlte und ging zu Fuß, um die Chance, Ivy nicht mehr zu treffen, nochmals um eine halbe Stunde zu vergrößern; Jaspers 1958 Atombombe 301 Vernunft kann ein solcher [politischer Faktor] werden, wenn sie den planenden Verstand dahin lenkt, sein Tun auf das real Mögliche zu begrenzen und damit ihn zu verpflichten, in allem Geplanten die Chancen offen zu lassen, damit die Vernünftigen sich treffen und wirken und zur Entfaltung kommen; Münch. Stadtanz. 2. 5. 1958 Da für Kinder verheirateter Frauen die Überlebenschance besser ist; ebd. 25. 9. 1959 Ich habe die Aufgabe, Sie rechtlich zu beraten und Ihnen zu sagen, welche Erfolgschancen nach der bestehenden Rechtslage die jeweilige Maßnahme hat; Middendorf 1959 Soziologie 237 Bildungschancen; Offenburger Tagebl. 1.6.1960 Nachdem nach der Stalinnote im Jahre 1952 eine Chance für die Wiedervereinigung verpaßt worden sei; ebd. 15. 11.

1960 Chancengleichheit; Grass 1962 Blechtrommel 174 Es kann aber auch längeres Warten den Wartenden dazu verführen, die zu erwartende Begrüßungsszene so ins Detail gehend auszumalen, daß dem Erwarteten jede Chance einer geglückten Überraschung genommen wird; Süddtsch. Ztg. 26. W. 1963 ein chancengleicher, fairer Meinungsmarkt; Böll 1963 Clown 231 Es gibt für jeden Menschen eine Chance. Die Christen nennen es Gnade; Becker 1969 Jakob 29 jede Chance ist ein Risiko; FAZ 5. 9. 1970 Nicht allgemeine Chancengleichheit also, sondern „Jedem das Seine" wäre die gesellschaftliche Konsequenz dieser Erkenntnis; Offenburger Tagebl. 25. 5. 1971 Eindringlich appellierte der CDU-Abgeordnete .., für eine unbedingte Chancengleichheit . . einzutreten; Celan 1971 Schneepart (Ges. W. II 370) Deinem, auch Deinem/ fehldurchläuteten Schatten/ gab ich die Chance; Bechert/Heermann 1972 Chancengleichheit durch Förderung (Titel); Weber 1973 Privilegien durch Bildung. Über die Ungleichheit der Bildungschancen in der Bundesrepublik Deutschland (Titel); Dahrendorf 1979 Lebenschancen (Titel); Zeit 24. 5. 1985 Bildung für alle und Chancengleichheit waren sinnvolle — und gemessen an der Flexibilität der deutschen Schulgeschichte — stürmische Forderungen; Frankf. Rundsch. 26. 1. 1990 Vorbedingung dieser ökonomischen Freiheiten ist wiederum die Herstellung von Chancengleichheit von Angebot und Nachfrage auf den Märkten, ohne die es keine echten Knappheitspreise geben kann; Strauß 1991 Schlußchor 39 Niemals etwas Rundes! . . Tun Sie's weg! Die Chance ist gleich Null; Spiegel 15. 2. 1993 ihnen die Chance zu bieten, sich als politisch Verfolgte zu legitimieren; ebd. 6. 9. 1993 daß der zweite Arbeitsmarkt kein Auffanglager für Chancenlose und Faulenzer sein darf. HK

changieren V. (in)trans., im früheren 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. changer (< altfrz. changier < lat. cambiare 'wechseln, tauschen', vgl. engl. to change). Zunächst allgemein in der Bed. 'verändern, wechseln' (s. Belege 1615, 1691, 1798, 1854-55, 1928, 1939, 1993), bis ins frühere 19. Jh. auch im speziellen Sinn 'in eine andere Konfession übertreten' (s. Belege 1679, 1710, vor 1826); fachspr. im Jagdwesen 'die Fährte wechseln' (s. Belege 1904, 1930); seit dem 18. Jh. in der heute vorherrschenden Bed. 'in verschiedenen Farbtönen schimmern, farblich schillern' (s. Belege 1871, 1986), auch übertragen verwendet, z. B. auf Klänge bezogen (s. Beleg 1988); als Part. Präs, changierend häufig adj. verwendet im Sinn von 'schillernd, schimmernd', z. B. in der festen Wendung changierende Seide, auch allgemeiner für 'wechselnd'. Dazu seit Mitte 17. Jh. das aus gleichbed. frz. changement übernommene, selten belegte Subst. Changement N. (-s; -s) in der heute veralteten Bed. 'Wechsel, Veränderung, Änderung, Vertauschung'; seit frühem 18. Jh. das aus gleichbed. frz. changeant (Part. Präs, von changer, s. o.) entlehnte Adj. changeant

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(ohne Steigerung), zunächst in der Bed. 'veränderlich, wechselnd', dann meist auf Farben bezogen für 'schillernd' (s. Belege 1781, 1852, 1994); in der subst. Form Changeant M. (-s; -s), fachspr. gebraucht als Bezeichnung für einen farblich veränderlichen, schillernden (Kleider-)Stoff, Kurzform für Changeant-Taffet, KammgarnChangeant, auch allgemeiner im Sinn von 'schillernde Farbe' (s. Beleg 1835). changieren: Messerschmid 1615 Narrheit 59 Auch sieht Mann zwar daß sie Monatlichen solcher Kragen Formen verändern vnd changieren; Friederich 1633 Clytie I 183 Changirten vn verwechselte also jhren discurs; Rist 1642 Rettung B2r wenn man im parliren . . zum oeftern die Sprachen changiret (beide JONES); Schorer 1644 Sprachverderber l 4b Changiren, veraenderen; Leibniz 1670 Dtsch. Sehr. I 174 Worumb nun Frankreich solche Consilia changiren solle, ist kein Apparenz noch Ursach, was das Interesse betrift; 1679 Corylo 209 so erst neulich seine Religion schanchiret; Pickelhäring 1685 Kleideraffe 223 die . . nichts mehr nützen/ als daß sie in liederlichen Kleider-Trachten täglich changiren/ und ein rechtes Fegefeuer des Geld-Beutels abgeben; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 500 wenn er nicht von Stunden seine KleiderTracht werde changiren/ werde seine einige geliebte Tochter gleichfals an den Todten-Reyhen müssen; Leibniz 1691 S. Sehr. u. Br. I 6,44 daß der H. Hoffrath den Hannoverschen Hoff changiren vndt davor den Wolffenbüttelschen annehmen werde; 1692 Novellen 232 changiren; Ettner 1700 Apotecker 842 im Studio Juris haben wir miteinander Collegia gehalten/ ehe ich noch changiren müssen; 1705 Auserlesene Anm. U 187 So wird das beste Consilium seyn/ daß unsere Prediger auch andere Lehrer die alte Methode changiren; 1710 Antwort Schreiben 187 hat er auch seine beyden Vettern . . zum Abfall [von ihrer Konfession] bewogen. Dessen Frau changirte erst nach Besoldi Tod; Marperger 1712 Naturlex. 291 Caracol, ist eine ungerade Überzwerg-Schreitung mit einem Pferde, da man allezeit halbe Ronden macht, und von einer Hand zu der ändern changiret, ohn ein gewisses Erdreich zu beobachten; ebd. 1288 Troquiren, heist bey denen Kaufleuten so viel als changiren, Waaren gegen Waaren vertauschen; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 97 Er changirte peu ä peu seine kostbahre Bewirthung/ schmausete künfftig hin in Dorfteufel/ und kurtzen Pfeiffen/ und was dergleichen Aenderungen mehr waren; Belemnon 1728 Bauernlex. 46 Changiren. Verändern, wechseln, abwechseln; 1746 Briefw. Gleim-Uz 100 Es ist schon zu späte meinen Absichten nach eine Aenderung zu machen, aber hie und da werde ich doch etwas changiren; Boltz 1752 Amts-Actuarius 63 weilen er . . die N. Religion changiret, und zu unserer übergetreten; Goethe 1792 Tagebücher (WA 1U 2,28) Abends changirte die Armee die Stellung;

ders. 1798 Br. (WA IV 13,270) Wir wollen . . von Zeit zu Zeit mit unserer Decke [eines Bucheinbands] changiren; Hebel vor 1826 S. W. [Er] „schangirte" seinen Glauben (SANDERS DWB); Kurz 1843 Schillers Heimat jähre 111 640 Das hält' ich auch von Herzen gern getan, wenn ich nur nicht auch die Religion hätte changieren sollen; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVI 117) daß der Herr seinen Plan nunmehr an ein Ende zu führen scheine mit seiner Creatur und daß Menschenhände hieran Nichts changiren möchten und dürften; Fontäne 1871 Kriegsgef. 179 das Meer selber aber, in noch rascherem Changiren, lief alle Töne der Farbenskala durch; Sanden 1900 Reitsport 98 Beim Wechseln (Changieren) durch die ganze und die halbe Bahn; 1904 Dtsch. Jägerztg. 667 Wenn der Schweißhund von einer Fährte auf die andere übergeht, so changiert er (ZFDW IX 51); Friedeil 1928 Kulturgesch. U 177 ein geistloses und willkürliches Changieren von Ländern und Länderfetzen; Voss. Ztg. 11.3.1930 Jeder Teilnehmer . . muß im Verlauf der Jagd darauf achten, daß die Hunde nicht changiren (auf der Fährte eines anderen Stückes jagen); Th. Mann 1939 Lotte (W. U 763) Spiel der Verwandlungen, wechselnd Gesicht, wo sich der Greis zum Jüngling, zum Jüngling der Knabe wandelt, Menschenantlitz schlechthin, in dem die Züge der Lebensalter changieren, Jugend aus Alter, Alter aus Jugend magisch hervortritt; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 7 An den mittelalterlichen Kostümen . . entdeckt der Anwalt immer neue Nuancen und überraschende Kombinationen von Himmel- und Taubenblau, Purpur, Gold, Zart- und Tiefgrün, Gelb, Schwarz und Weiß, die bald im Sonnenlicht, bald im Schatten unaufhörlich changieren; MM 30. 8. 1986 die Figur des Kaisers und des Königs changieren ständig ineinander; Zeit 21. 11. 1986 wie Sergio Sermidis in einem abstrakt transparenten Bild, dessen Formen mit dem Wechsel des Lichteinfalls changieren, sich jeder Erkennbarkeit verweigert; MM 18. 6. 1988 Sorgsam formulieren Layer und das überaus animiert spielende Orchester die Kleingliedrigkeit der Motive aus, in den Ostinato-Grundierungen changieren spannungsvoll die Farben; Süddtsch. Ztg. 22. 10. 1993 Es ist eine der Eigenheiten Italiens, daß seine Gazetten . . zwischen den Genres changieren. changierend: Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 9) in einem Kleidchen aus ganz leichter changieren-

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der Seide; Marti u. a. 1963 Literatur 43 Gewebe aus changierender Seide; Welt 31.7. 1974 Bei den Bildern gleitet Matta mit hochschießenden Farbfontänen, quecksilbrig blubbernden Zauberblumen und changierenden Spiralnebeln geradewegs ins gefällig Ornamentale; Zeit 25. 10. 1985 Sie machen ein statisches Universum in Miniaturform erfahrbar, in das nur Eingang gefunden hat, was sich von kruder Lebensmaterie in changierende Metaphorik umwandeln ließ; ebd. 16. l. 1987 Der sonst so milde, melodisch fließende, harmonisch sanft changierende, von neuartigen Dreiklangskombinationen durchsetzte Stil dieses Komponisten; Rhein. Merkur 1.12. 1989 Trotz des durchgängig autobiographischen Gestus sollte man das lyrische Ich dieser zwischen Kunstprosa und Lyrik changierenden Texte nicht allzu vorschnell in eins setzen; Süddtscb. Ztg. 30./31. 1. 1993 Eine ausgedehnt amöne Landschaft tut sich vor ihnen auf, so recht nach dem Herzen jenes genußfreudigen, zwischen Feudalität und liberal angeborener Bourgeoisie changierenden Menschenschlags; ebd. 3.3.1993 Sie können beglückt auch die changierende Farbgebung, skizzenhafte Leichtigkeit und assoziative Wirkung preisen. changeant: Sperander 1727 A la mod Sprach 109 Changeant, veränderlich, unbeständig; Möser 1768 S. W. I 208 die jetzigen Schönheiten sind ohnehin so Fein, . . so changeant; Müller 1781 Siegfried v. Lindenberg l 217 und der Ludimagister fand an dem Herrn Peter Fix einen langen Mann in einem Kleide, dessen Zeug er nicht zu nennen wußte, aber die Farbe war changeant, und goldgesponnene Knöpfe saßen drauf; Goethe 1794 Br. (WA IV 10,160) findet sich kein Papier blau ins röthliche scheinend . . Nothnagel sagt man könne so eine Art changeant im Papier nicht darstellen; Iffland 1795 Dienstpflicht (Theatral. W. III 182) Die Welt und ich sind von einerlei Farbe, changeant! — . . Nun, spielt Ihr heute ins Dunkle oder ins Helle?; Meyer 1799 Kl. Sehr. z. Kunst 186 Bunte changeante Gewänder, welche im vorigen Bilde ganz weggelassen sind, bemerkt man wieder in diesem, daher auch jenes bessere Wirkung thut, satter und ruhiger erscheint; Kohl 1845 Paris I 119 dazu haben sie [die Teppiche] den Vorzug, daß sie „changeant" sind; 1852 Prutz' Museum II 455 in einer changeant seidenen Robe mit Falbeln und Schleppe; Poppenberg 1913 Rokoko 7 Briefe der grossen Liebesmeisterin an einen Novizen, voll der glänzendsten Changeant-Psychologie; Groschopf 1939 Über d. Schillerfarben 11 Was sind Changeant-Farben? Der alte deutsche Ausdruck dafür heisst „Schillerfarben", der für changierende Stoffe „Schilcher", „Schiller", „Schillertaft", „Schillerseide"; Hellpach 1952 Psychologie 57 en changeant

(wie liebte Goethe dieses „Changeant"!); Spiegel 28. 2. 1994 Unter den Ablagerungen verbarg sich eine Palette kräftiger Bunttöne und raffinierter Changeant-Effekte. Ans Licht kam ein scheinbar neuer, in Wahrheit der originale Michelangelo. Changeant: 1737 Jüd. Baldober 492 ChangeantTaffet; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 309) Aus der beständigen Durchkreutzung solcher Fäden von ganz verschiednen Farben, entstehet denn eine Contextur, die in der Kunst eben das ist, was die Weberey Changeant nennet: ein Stoff, von dem man nicht sagen kann, ob er blau oder roth, grün oder gelb ist; der beydes ist, der von dieser Seite so, von der ändern anders erscheinet; Jäger 1835 F. Schnabel 202 dessen Kleidung, als Beweis der gesunkenen Kunstliebe des Volks, einen sonderbaren Changeant angenommen hatte; Stilgebauer 1907 Börsenkönig 121 in dem Changeant aus hellem Samt hast du trotz allem manche viel später erblühte Rose in den Schatten gestellt; Groschopf 1939 Über d. Schillerfarben 11 bei dem Edelstein, der geradezu „Changeant" heisst, . ., kommt das Schillern durch die verschiedene Brechung des Lichts; Süddtsch. Ztg. 7. 5. 1955 KammgarnChangeant; MM 5. 3. 1986 Zum körpernahen Kostüm trägt man Reversblusen, Pullunder in mattem Glanzgestrick, darüber unterm Hüllenmantel aus Changeant vielleicht noch die gerade, lange Jacke. Changement: Mandelslo 1645 Schreiben 22 Diß changement [des Wetters] (JONES); Vischer 1709 Informator 12 Denn als sein Bericht — Vater, bey dem Changement eines hohen Herrn, seinem Vermuthen nach, eine . . Freude . . zu erwecken .. gedachte; Marperger 1712 Naturlex. 907 wiewohl die erste nichts anders als die Ionische, und kein anderes Changement darunter ist, als daß es an statt der Seulen man Figuren gewisser Weibs-Personen gemacht, welche das oben aufgelegte gleichsam unterstützen müssen; Winkelmann 1755 Br. I 169 Ich wünschte mir, dass man von meinem Changement [Übertritt zum Katholizismus] nicht Nachricht hätte; 1787 Journal v. u. f. Deutschland II294 Changement; Nestroy 1832 S. W. I 497 Mittlerweile ist das Changement der falschen Personen mit dem wirklichen Kipfl und Pechberger geschehen; ders. 1837 S. W. X 104 Walburga. Das is ja aber ganz gegen unsern Zweck! Schlankel. Ruhig, ruhig! Es wird da ein eigenes Changement vorgenommen werden; Alexis 1852 Ruhe l 241 Und wer sagt Ihnen, daß sie nicht springen werden, — wenn ein Changement eintritt; Wagner 1884 Erlebtes II 47 das damalige Changement von Demokratie in Nationalliberalismus. HK

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Chanson N. (-s; -s), früher vereinzelt M. und F., im früheren 17. Jh. entlehnt aus frz. chanson 'Lied der altfrz. Dichtung; Volks-, Gesellschaftslied' (< lat. cantio, Gen. cantionis, 'Gesang', zu canere 'singen'; —> Kantate). Zuächst auf die frühe frz. Dichtung bezogen in der Bed. 'im Sprechgesang vorgetragenes episches Gedicht oder (Liebes-, Trink-)Lied' (s. Belege 1689, 1708, 1770, 1845, 1881, 1924); gelegentlich bereits seit frühem 19. Jh., dann bes. seit der Jahrhundertwende im Zusammenhang mit der Entstehung des Kabaretts zumeist im Sinn von 'Lied mit (zeit-, sozial-)kritischem, politischem Inhalt' (s. Belege 1823, 1852, vor 1935, 1942, 1957, 1985, 1988), seit etwa Mitte der 60er Jahre auch allgemeiner für 'rezitativ vorgetragenes Liebeslied' (s. Belege 1965, 1987, 1993); vgl. daneben die fachspr., aus dem Frz. übernommene Wendung Chanson de geste 'frz. Heldenepos des Mittelalters' (s. Belege 1883, 1945). Dazu die im frühen 17. Jh. vereinzelt, seit früherem 18. Jh. häufiger belegte, aus gleichbed. frz. chansonnette entlehnte Ableitung Chanson(n)ette F. (-; -n), zunächst in der bis ins frühe 20. Jh. belegten Bed. 'kleines Lied (mit witzig-frivolem Inhalt)'. Seit spätem 19. Jh. vor allem in der Bed. 'Chansonsängerin', dafür die bis heute gebuchte Nebenform Chansonniere (vgl. frz. chansonniere ); seit dem früheren 18. Jh. die aus gleichbed. frz. chansonnier entlehnte subst. Ableitung Chansonnier M. (-s; -s), zunächst in der Bed. 'Verfasser von frz. (Liebes-, Trink-)Liedern' (s. Beleg 1733); wohl seit Mitte 19. Jh. in der heute dominierenden Bed. 'Sänger bzw. Dichter von Liedern kritischen politischen Inhalts, Sänger rezitativ vorgetragener Liebeslieder, Chansonsänger' (s. Belege 1855, 1862, 1936, 1954, 1985); auch fachspr. für 'Sammlung (mittelalterlicher) frz. Troubadourlieder' (s. Beleg 1987). Chanson: Rist 1642 Rettung E7r eine .. chanson (JONES); Sacer 1673 Reime dich 78 Wenn Mirabolen eine solche harmonieuse Chaison [!] intonirt (BRUNT); Lauremberg 1689 Scherzgedichte (LV LVIll 150) man hört en alle ogenblick chansons und arjen singen; Walther 1708 Praecepta 42 Canzone (ital:) Chanson (gall:) Cantilena (lat:) Diese Wörter bedeuten ein musicalisches Lied und solches auf zweyerley Art, als 1) mit Texte, welcher mehrentheils weltlich ist. 2} ohne Text mit kurtzen Fugen und artigen Fantasien durch geführet; Nemeitz 1718 Sejour 90 Der chanson, der den Caffe so sehr recommendiret/ ist bekandt (BRUNT); Meier 1745 Kunstrichter 163 Ein Franzose kann, über ein Chanson, das einen mittelmäßigen Gedancken ausdrückt, vor Freuden hüpfen; 1752 Gleim-Ramler I 339 der eine gantze Bibliothec von französischen Chansons gesehen hat; Gottsched 1754 Auszug a. Batteux Schöne Künste 160 die anakreontischen, und die meisten französischen Trink- und Liebeslieder (Chansons); Nicolai 1755 Zustand d. schönen Wiss. 41 Die Hrn. Verfasser haben um den Geschmakk der Franzosen an chansons zu vergnügen, nach Art anderer französischer Journale, in iedes Stükk eines eingerükket; Wieland 1757 Ges. Sehr, l 4,357 sie waren zugleich Sänger und Musici und zogen mit ihren Chansons an den Höfen der Grafen und Barons herum, wo

sie in größten Ehren gehalten wurden; Herder 1767 S. W. l 266 so würde man .. Stücke bekommen, die .. den oft so vortrefflichen Ballads der Britten, den Chansons der Troubadoren, den Romanzen der Spanier oder gar den feierlichen Sagoliuds der alten Skalden beikämen; 7770 Allg. dtsch. Bibl. XI 2 Die Chansons der Franzosen sind von einer ganz ändern Art als bey uns Lieder; Nicolai 1773 Nothanker l 168 Auch sind in dem Mercure Nachrichten von den neuesten Opera comiques, und von den neuesten Almanacs, Modes und Chansons: dadurch lernen sie, was itzt in Paris du bon ton ist, zu loben; 1790 Journal d. Moden V 330 während die Freunde der vorigen Zeiten und Sitten ihren Grimm und böse Laune in Vaudevillen und Chansons, Epigrammen und giftigen Calembourgs ergießen; 1807 Br. v. d. Univ. 361 [die Franzosen, die] sich über die Mozart'sche Instrumental-Musik beklagten, dass sie darin auch keinen einzigen Chanson antreffen könnten; Müller 1823 Br. (Lohre, W. Müller 186) politische Chansons; 1845 Neue Europa H 364 Einer von den alten heitern Dichtern Frankreichs, der Wein und Liebe besang und allerliebste Chansons gedichtet hat. . ist dieser Tage in hohem Alter gestorben; Szarvady 1852 Paris 1116 Was dem Arbeiter die politische Chanson, das ist der Arbeiterin das Liebeslied, die Romanze, das Chanson pur sang, Beranger; Riehl 1857-61

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Vortr. I 204 dem volksthümlich ächten, damals zum Frommen der französischen Kunstmusik schon so glücklich ausgebeuteten "Chanson"; Rodenberg 1863 Strassensängerin I 11 Eine Pariserin war es, die .. das Couplet aus einem französischen Chanson vor sich hinträllerte; Honegger 1865 Literatur 135 Was Courier für das Pamphlet, thut Beranger für das Chanson; man könnte seine leichten Lieder die poetische Illustration zu den Gedanken des pamphletaire nennen; Hillebrand 1874 Frankreich 184 Das Frondieren der Pariser gegen jede Regierung .. befriedigt . . das Bedürfnis . ., sich durch chansons, Zeitungsartikel oder akademische Reden an dem Herrn zu rächen; Lindau 1877 Er. 300 von allen dilettirenden Chansonsängerinnen; Stern 1881 Gitter 179 Die Chanson ist das Volkslied der Franzosen, ihr Gebiet reicht vom Gassenhauer bis zur künstlerischen Strophe, von der ausgelassensten Zote, der brutalen Eindringlichkeit, bis zum sinnigen Ausdrucke zartester Gefühle; Nordau 1881 Paris I 72 eine wandelnde Encyklopädie aller Polissonnerien, die das Chansonrepertoir und die langue verte in ihren verstecktesten Raritätenwinkeln enthalten; 1883 Brockhaus IV 182 So waren in der altern nordfranzösischen Poesie die Chansons de geste aus Volksliedern erwachsene größere epische Dichtungen; Gottschall 1885 Totenkl. 290 eine kleine Chansonssängerin macht ihm ihre Aufwartung; Liliencron 1903 Bunte Beute (X 163) Die kleine Marquise. Chanson (Gedichttitel); Hammerstein 1916 Februar 61 Moreaus reizende Kupfer zu den Chansons des Jean Benjamin De Laborde; Kisch 1920 D. rasende Reporter 163 ein altfranzösisches Chanson erzählt . . davon (WOG); Werfet 1924 Verdi 379f. Aus dem heiligen Text entsprang der nordische Choral, aus poetischer Liebeständelei die Chanson der Franzosen, vom Tanzboden her die Suite der Deutschen; Brod 1928 Zauberreich 316 Mit dieser Kabaretnummer habe er immer den größten Erfolg. Ein Chanson von Danny Gürtler, ob Christof es nicht kenne; Rust 1929 Chansons-Samml. zu Greifsivald 15 das Wesen der Pariser Chansons; Tucholsky vor 1935 Panter 361 wenn du ein Gedicht von mir in einem Cabaret hörst, ein Chanson oder sonst etwas (WOG); Gedat 1935 Leben 189 singe ich kleine Chansons in irgend einer kleinen Bar; 1940 Münchnerin 163 zu dem damals in Mode kommenden Sprachgedicht und Chanson; Gurt 1942 Rosen 70 Yvonne, die einmal mit weicher, dunkler Stimme ein Chanson sang, einmal in einem Sketch Proben ihrer geistvollen Persönlichkeit gab; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 164) Vergessen Sie nie, daß wir das Volk sind, das die gotische Baukunst schuf, das Volk der Chansons de geste und der Artusromane; Süddtsch. Ztg. 20. 7. 1957 So erlebte man also Uta als freche Chansonsänge-

rin; ebd. 19. 3. 1965 Die Themen ihrer Chansons schlug schon Villon an: Liebe, Frühling, Natur, Schicksal, Freiheit; Ruttkowski 1966 Das literarische Chanson in Deutschland (Titel); Offenburger Tagebl. 15. 12. 1971 als sie sich als Chanson-Texterin und -Interpretin betätigte; Rosier 1980 Das Chanson im deutschen Kabarett 1901-1933 (Titel); MM 20. 2.1985 "Wenn man Zeit hat, fehlt das Geld — wenn man Geld hat, fehlt die Zeit", so beginnt ein altes französisches Chanson; Zeit 24. 10. 1986 Sie möchte eine berühmte ChansonSängerin werden; ebd. 6. 2. 1987 die musikalische Unverbundenheit des Ganzen tendiert zur kleinen Form, zum Kabarett, zum Variete, zum Chanson; MM 6. 2. 1988 Uli Preiß am Klavier hat inzwischen endgültig die Nase voll vom traditionellen Kabarett-Chanson und liebäugelt mit der Weill'schen Musik; ebd. 11.5.1988 ein bißchen Chansonabend, ein wenig Jazz und viel Revue; Süddtsch. Ztg. 21. 10. 1993 einer präzise arrangierten Mischung aus Midnight-Blues, TraditionsChansons und kehligen Jazz-Noten. Chanson(n)ette: Opitz 1624 Poemata 61 Chansonnette (Gedichttitel); Klaj-Birken 1645 Fortsetzung 92 Hoert an mein chanzonet (JONES); Zedler 1733 Vniversallex. V 1993 Chansonette, heist ein Liedgen, kurtzer Gesang; Knüppeln 1784 Charakteristik v. Berlin I 237 Es giebt viele Bürgermädchen, die ihr französisch radebrechen, Chansonetten singen; l $52 Prutz' Museum II 905 ein . . Vaudeville wird aufgeführt, dazu eine Chansonette von ihrem Verfasser selbst gesungen; Spielhagen 1872 Allzeit voran II 152 Er hielt es nun für passend, das furchtsame Mädchen durch zärtlichere Töne zu beruhigen und herbeizulocken, und begann die ersten Verse einer Chansonette zu singen; Lindau 1877 Br. 305 ein elsässischer Chansonettensänger; Kretzer 1880 Genossen 61 Chansonettesängerin; Proskowetz 1889 Newastrand 120 was jedenfalls volkstümlicher ist, als wenn ganz unverständliche Chansonetten heruntergeleiert werden; Seefeld 1895 Reisestudien 143 den höchst fragwürdigen Vorträgen einer Pariser Chansonettensängerin; Liliencron 1896 Poggfred (XI 42) Der Musikant, gleichmäßig gutgelaunt,/ Setzt sich und trällert eine Chansonette; Wohlmuth 1918 Schauspielerleben 74 des schneidigen Chansonettensängers Hans [von Wolzogen). Chansonette: Kretzer 1880 Genossen 45 Chansonetten der eleganten Tingeltangels grosser Städte; 1887 Salon I 575 Wo einst fesche Chansonetten mit wenig Stimme und viel Behagen die Ohren der Besucher . . maltraitirten; 1891 Frz. Soldatengesch. (Übers.) 46 Chansonette im Eldorado; Janitschek 1896 Weib 20 Man behauptete, in ihrer Jugend . .

Chaos wäre sie auf irgend einem Tingeltangel Chansonette gewesen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 597) plötzlich brach er ein Männer- und Clubgespräch vom Zaun, fing mit hochgeschwollenen Kopfadern an, von einer sogenannten "Chansonette", einer Bänkelsängerin zu reden, einem ganz tollen Weibsstück, das zurzeit in Sankt Pauli ihr Wesen treibe; Schnitzler 1925 Eise 85 Der wird sich in Schulden stürzen für eine holländische Chansonette; Bahn 1925 Tanz 129 Er ist eine Varietanummer neben Parterreakrobaten, Chansonetten, Tierdressuren usw.; Heyck 1928 Aussenseiter 56 In der Musikkapelle explodierte der Beginn eines Schlagers: ruckartig springen die Chansonetten auf . . Die Mädchen singen schrill zum Erbarmen; sie wiegen die Leiber rhythmisch und machen Tanzschritte auf der Stelle; Münch. N. N. 18. 2. 1941 Irmgard Borchart als witzigem Urbild der "pikanten Chansonette"; Süddtsch. Ztg. 19. 10. 1960 Edith Piaf, die berühmte Chansonette . ., will . . wieder in Paris auftreten; Stuttgarter Ztg. 4. 12. 1967 Die verstorbene Chansonette Trude Hesterberg, die Stifterin der Auszeichnung; MM 30. 9. 1987 Da sang die Chansonette, die mitunter auffällig in die Diktion von Edith Piaf verfällt, von Schmerz und Liebesleid. Chansonnier: Zedler 1733 Unwersallex. V 1993 Chansonnier, einer der die Chansons oder Lieder vor die Componisten machet; oder einer, der so wohl den Text als die Melodie darzu verfertiget; Hagedorn 1754 Poet. W. /// Vorr. VII Die neuern Franzosen . . sind ihren Vorfahren so wenig unähnlich, daß sie noch itzo unter den Chansonniers die erste Stelle zu behaupten suchen; Nürnberger 1855 Amerikamüde 409 Der unverwüstliche Chansonier

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fuhr fort; Holtei 1862 Erz. XXXI 96 Von SchalPs Gesang hab' ich noch einige Strophen im Gedächtniß und will die letzte beifügen, ein Pröbchen, in welcher Art Schall als Chansonier auftrat, wenn er sich gehen ließ; Faucher 1877 Culturbilder 155 Es giebt aber schon seit Jahrhunderten einen eigenen Wiener komischen Volksgesang, welcher bis heute dort die Hauptrolle spielt und dem nur in London etwas Aehnliches zur Seite steht und früher auch in den Pariser Chansonniers; Stern 1881 Gitter 178 Noch einmal übte die Popularität des Chansonniers ihren ganzen Schrecken und ihren vollen Zauber; Tucholsky 1922 Ges. W. l 925 Und wenn der Chansonnier dazu singt; Voss. Ztg. 26. 2. 1928 Walter Mehring, interessante Verbindung von Chansonnier und Bücherwurm; A. Zweig 1936 Schriftsteller 118 Und somit, Tucholsky, lieber tapferer Kamerad, bezaubernder Schriftsteller, bester Chansonnier der Republik, gehe ich von Ihnen und an meine Arbeit; Süddtsch. Ztg. 15.4.1953 der alten Pariser Chansoniertradition, die ihre Anregungen aus der genauen und realistischen Beobachtung des Lebens nimmt; ND 21. 2. 1954 Der französische Chansonnier und Schauspieler Maurice Chevalier; Münch. Stadtanz. 25. 10. 1957 Den Aristide Briand des Montmartre, den "Vater der Chansonniers" und Onkel der Chansonetten; Zeit 19. 7. 1985 in Gestalt eines Chansonniers, der grimmig bewaffnet ist mit Mikrophon und riesigen Megawatt-Lautsprechern; 1987 Brockhaus IV 416 Zum Chansonnier-Repertoire zählen die Sammlungen mit Liedern der Troubadours . . und der Trouveres . . Die Bezeichnung wird auch für die seit etwa 1430 entstandenen Sammlungen geistlicher oder weltlicher mehrstimmiger Chansons verwendet; ferner seit dem 18. Jh. für im Druck erschienene Sammlungen von Vaudevilles. HK

Chaos N. (-; ohne PL), um 1300 vereinzelt, seit spätem 15. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus lat. chaos/griech. 'unendlicher, leerer klaffender Raum, Luftraum, Kluft; gestaltlose Urmasse' (zu 'gähnen, klaffen'; vgl. Gas). Zunächst im Anschluß an die Vorstellung der griech. Kosmogonie (Platon, Ovid) in der speziellen Bed. 'ungeordneter Urzustand, ungeordnete Urmasse der Welt' (s. Belege 1534, 1583, 1655, 1745), anfangs gelegentlich auch in der der Hesiodschen Vorstellung folgenden Bed. 'klaffende Leere des Weltraums' (s. Beleg 1481), auch im Sinne von 'Kluft' gebraucht (s. Beleg 1523); seit Mitte 16. Jh. bildlich verwendet, bes. zur Zeit der dtsch. Klassik und Frühromantik mit noch direktem Bezug zur konkreten Bed. (s. Belege 1559, 1567, 1605, 1754, 1789, 1797-99, 1798-99, 1808, 1814, 1854-55, 1934). Seit Ende 16. Jh. in der allgemeineren Bed. 'ungeordnete Vielheit, Durcheinander, Unordnung, Wirrwarrr', anfangs zumeist absolut, später in zahlreichen festeren Verbindungen mit Verben gebraucht, vgl. (das) Chaos bricht aus/über jmdn. herein, (ein) Chaos anrichten/hinterlassen/schaffen, ins Chaos stürzen, im Chaos versinken/untergehen, bei jmdm. herrscht Chaos, am Rande des

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Chaos, vgl. außerdem Redensarten wie das totale Chaos, Kampf mit dem Chaos, Ordnung im Chaos schaffen, das Chaos ist vollkommen, das Chaos funktioniert/ regiert, das Chaos verwalten. In Verbindung mit unterschiedlichen Bezugsobjekten zumeist geistiger (s. Belege 1591, 1741, 1827, 1926, 1961), aber auch konkreter Art (s. Belege 1605, 1685, 1881, 1986), im Sinn von 'Verwirrung' häufig auf Stimmungen und Gemütslagen bezogen, in Wendungen wie Chaos der Gefühle, Empfindungen; etwa seit Anfang 19. Jh. in Bezug auf unruhige Zeiten und politische Wirren in der Bed. 'Desorganisation, Anarchie, Umsturz' (s. Belege 1814, 1849, 1856, 1870), in Fügungen wie politisches, wirtschaftliches Chaos; im Hinblick auf die Nachkriegszeit (s. Belege 1946, 1986), vgl. die Wendungen das Chaos überleben, ein Chaos bleibt zurück; heute häufig auf verworrene Verkehrsverhältnisse bezogen, bes. in der Zs. Verkehrschaos. In den Zss. Chaostheorie, -forschung als Fachwort der Physik verwendet in der Bed. 'Theorie zur Beschreibung von Systemen (wie z. B. dem des Wetters), deren Ordnung von Zufallsverhalten determiniert ist und bei denen kleine Veränderungen große Auswirkungen zur Folge haben' (s. Beleg 1985). Dazu seit spätem 17. Jh. die (eventuell nach gelehrtenlat. chaoticus gebildete) adj. Ableitung chaotisch, auch subst. verwendet, selten in bezug auf die griech. Kosmogonie (s. Belege 1676, 1702), zumeist in der allgemeinen Bed. 'durcheinander, ungeordnet, verworren' verwendet, vgl. die Verbindungen chaotisches Durcheinander, chaotischer Zustand, chaotische Verhältnisse, es ging chaotisch zu; bes. auf Stimmungen und Gemütslagen bezogen in Wendungen wie chaotisches Herz, chaotische Seele, im Hinblick auf (mündliche, vor allem politische) Auseinandersetzungen im Sinn von 'undiszipliniert', vgl. chaotische Debatte, häufig auch bezogen auf den Straßenverkehr in der Verbindung chaotische Verkehrs Verhältnisse; wohl unter Einfluß von Chaot (s. u.) heute auch zur Kennzeichnung politischer Haltungen, Demonstrationen u. ä. bes. linker bzw. ökologisch ausgerichteter politischer Gruppierungen (s. Belege 1986, 1987); als Fachwort der Physik bes. in dem Syntagma chaotisches System. Seit frühem 20. Jh. die selten belegte subst. Ableitung Chaotik F. (-; ohne Pl.) 'das Chaotischsein' und in neuerer Zeit die Personenbezeichnung Chaot M. (-en; -en), auch Chaotin F. (-; -nen), zumeist in der politischen Auseinandersetzung im Sinn von 'politischer Randalierer, aggressiver, nach Zerstörung trachtender Teilnehmer politischer Demonstrationen (der häufig der sog. autonomen Szene und keiner bestimmten Gruppe bzw. politischen Richtung zugehörig ist)'; selten auch allgemeiner für 'Mensch mit einem unbeherrschten, keine Ordnung halten könnenden, undisziplinierten Charakter'. Chaos: um 1300 Lucidarius (Dtsch. Texte d. Mittelalters XXVIII 3) do was nuwen ein visterin, die hiez kaoz, wan do waren die vier elemente sament; Melker 1481 Voc. o. S. Chaos magnum ein groß mechtige wyte, ein groß gruselich vnderscheit, dz da vol aller schentlicheit, ist ein ding do kein ordenung in ist; Geiler v. Keisersberg vor 1510 Penitentz 34vb dasselb creütz hat dem reichen mann also ain scharpf gesicht gmacht das er den armen Lazarum durch das groß geschiit oder chaos ersähe; Eberlin v. Günzburg 1523 Glockenturm (S. Sehr. III113) O Petre, wol dir, das du zwischen disen obgeschribnen vnd angezeygten balaamiti-

schen priestern vnnd dein, ein groß chaos hast; Paracelsus 1525-26 S. W. / 13,10 wiewol die ersten natur ungleich sind, also das aus der erden sol ein birn wachsen, aus dem sant ein halm, aus dem wasser der cachymia, aus dem himmel der chaos, aus dem feur der sehne; Franck 1534 Weltbuch 181 a Dichteten ein wild Chaos, darauß alle Ding kämen (TRÜBNER}; Rwius 1548 Vitruv. 60a dann von anfang wer Himel vnd Erdtrich ein Vermischung in einer gestalt gewesen/ in vermischter natur vn wesen von Mose Chaos genant; Wirsung 1559 (Höpfner, Reformbestr. 28) Du ligst ye vergraben wol Im Chaos, da kein end noch grund Der

Chaos jrthumb, gstank, kot, vngesund; Paracelsus 1567 S. W. / 13,251 das selbe ist also nichts, dan ein lauter luft, einer dicken, sichtlichen Substanz, als ein treffliches chaos, durch welches nicht zu sehen ist, das die unerfarnen den himel heißen; Thurneisser 1583 Onomasticon 168 das Chaos, aus dem alles erschaffen; Spangenberg 1591 Adels-Spiegel l 2b eine gemeine deutsche Chronica zu verfertigen, die zum ersten mit etwas besserem vnd verstendlicheren deutsch, darnach auch ordentlicher und richtiger, dann des Francken confusrem Chaos möchte geschrieben sein; Lorch 1605 Relation 13 weyl in der gantzen Statt kein einziges Hauß zufinden, vnnd alles mehr einem Sumpff oder verwüsteten Chaos, dann einem Ort, da Menschen gewohnet, gleich sähe; Kornmann 1614 Mons Veneris 104 Darumb seyndt die Ding jhnen all nur chaos, das ist nichts/ daß ist so viel/ als wenig vns der Lufft hindert zugehen; Böhme 1623 Theosophia 306 Des dritten Principii Farbe ist gruen und blau, blau vom Chaos, und gruen vom Wasser oder Salpeter; Glauber 1655 Op. Min. H i l f . Vor Erschaffung der Welt, da die Elementen noch nicht geschieden, sondern alles ein verwirrter Chaos war, vnd Gott. . ein Scheidung derselbigen hatte vorgenommen; Praetorius 1668 Blockes-berg 357 Ihre Stadt und Wohnung ist in ihrem Chaos, das ist in Bergen/ Höhlen/ und Klüfften gewesen; Milton 1682 Verl. Paradies (Übers.) 2 wie der Himmel und die Erde im Anfange aus dem Chaos entsprungen sey; Werdmüller 1685 Ingenieur 9 Und habe je länger je mehr gefunden, dass die Fortification und derselbigen Defension .. jederweilen in grosser Unordnung gewesen, und vielmehr ein Chaos allerhand Ungewisser Muthmassungen, falscher Einbildungen; Musig 1718 Licht d. Weisheit U 18 also sind die Kräffte und Würckungen der Seele . . nach dem Sünden-Fall, eben so verworren und verderbet, daß sie wohl ein confuses chaos heissen mögen; Gottsched 1732 Sterbender Cato Vorr. 24 So geschah es, daß die Dreßdenischen Hofcomödianten einen ändern Principal bekamen; der nebst seiner geschickten Ehegattin . . mehr Lust und Vermögen hatte, das bisherige Chaos abzuschaffen, und die Deutsche Comödie auf den Fuß der Französischen zu setzen; Brucker 1737 Zusätze 108 Hesiodi Wort . .: Am Anfang seye das Chaos gemacht worden, daher sie glauben, Hesiodus habe die Schöpfung aus Nichts geglaubet; Gottsched 1741 Bayles Wb. i 123 sein ganzes Werk ist ein Chaos; Sulzer 1745 Moral. Betrachtungen 45 Anm. dass die Cometen annoch vermischte Klumpen seyn, dergleichen das erste Chaos unsere Erde war, und die nach und nach in Ordnung gebracht [wurde]; Meier 1754 Anfangsgründe I 235 Die Mythologie der alten heydnischen Dichter ist also gleichsam das Chaos der poetischen Welt, ein wahrhaftes

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Schlaraffenland; Rabener 1759 Satiren U 5 Von Blumen aller Art ein gantzes Chaos; Lambert 1764 Organon l 557 so erhellet auch daraus zugleich, daß in dem ganzen Cahos [!] von Irrthümern unzähligemal mehr Widersprüche und Dissonanzen als Harmonien sind, weil jeder wahre Satz, der folglich einen irrigen umstößt, auf unzählig vielerley Arten aus zwey irrigen Sätzen kann hergeleitet werden; Meter 1768 Untersuchung l 179 dieses Chaos von wahren und falschen Gedanken; Schiller 1781 Räuber (H. l 468) Franz? Franz? O ewiges Chaos!; 1782 Anthologie 140 Chaosriegel; Saussure 1787 Reisen durch d. Alpen (Übers.) 111 82 schien es mir, als wenn ich mitten unter diesem Chaos von Steinen etwas Regelmäßiges sähe; Herder 1789 ürspr. d. Sprache (S. W. V 84) Sie [die erste Grammatik] zerarbeitet sich also mit lauter Verbis, und arbeitet in einem Chaos, was für die Dichtkunst unerschöpflich, mehr geordnet, sehr reich für die Bestimmung der Geschichte; Schiller 1789 Antrittsrede (S. W. IX 91) wenn das verworrene Chaos sich sondern und die streitenden Mächte des Staats in dem gesegneten Gleichgewicht ruhen sollten; Laukhard 1792 Leben I 208 Meine philologischen Kenntnisse haben daher immer einem Chaos ähnlich gesehen, wo alles wie Kraut und Rüben durcheinander liegt; Seume 1793-1811 Kl. Sehr. (W. U 146) Huart's Buch . . enthält unter dem Chaos physischer und metaphysischer Hypothesen manche gute richtige Bemerkung; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland II 10 Aber nur eine Gährung im Chaos der Irrthümer wird Wahrheit hervorbringen; Hölderlin 1797—99 Hyperion (S. W. Ill 26) Wir begegneten einander, wie zwei Bäche, die vom Berge rollen, und die Last von Erde und Stein und faulem Holz und das ganze träge Chaos, das sie aufhält, von sich schleudern; Novalis 1798-99 Allg. Brouillon (Sehr. Ill 280) Die Welt des Märchens ist die durchausentgegengesezte Welt der Welt der Wahrheit (Geschichte) und eben darum ihr so durchaus ähnlich — wie das Chaos der vollendeten Schöpfung; Kotzebue 1801 Jahr II 95 Chaos unserer Empfindungen; Novalis 1801 Ofterdingen (Sehr, l 286) Ich möchte fast sagen, das Chaos muß in jeder Dichtung durch den regelmäßigen Flor der Ordnung schimmern; Seume 1803 Spaziergang (W. l 216) und da ergab sich denn für mich, den stillen Zuhörer, daß alles noch ein großes, grobes, verworrenes Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrückung und alter Sklaverei; Schaller 1808 Stuziade III 304 aus todten Chaosöden; Goethe 1808 Faust I (WA I 14,68 f.) So setzest du der ewig regen,/ Der heilsam schaffenden Gewalt/ Die kalte Teufelsfaust entgegen,/ Die sich vergebens tückisch ballt!/ Was Anders suche zu beginnen/ Des Chaos wunderlicher Sohn!; Beck 1812 Mittelalter 13 das Lehnswesen, war es,

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Chaos

wodurch die erste Ordnung in das Chaos neuer Staaten gebracht, und erhalten [wurde]; Goethe 1814 Epimenides (WA l 16,370) Nicht Spur von Kunst, von Ordnung keine Spur!/ Es ist der Schöpfung wildes Chaos hier,/ Das letzte Grauen endlicher Zerstörung; Tieck 1827 Krit. Sehr. IV 158 Soll nun in dieser Haltlosigkeit, oder in dem Chaos aller möglichen dunkeln und unkünstlichen Bestrebungen etwa die deutsche Freiheit und Universalität [des deutschen Theaters] bestehen?; Glassbrenner 1836 Bilder I 89 in einem Chaos von Hypothesen; Büchner 1842 Lenz (S. W. u. Br. l 91) Ahnungen von seinem alten Zustande durchzuckten ihn, und warfen Streiflichter in das wüste Chaos seines Geistes; Kohl 1844 Brit. Inseln III 99 in dem Chaos von London; 1847 ff. Nationalztg. XX 139 Flossen Beifallsstürme in ein Jubel-Chaos zusammen (SANDERS DWB); Gerstäcker 1848 Flußpiraten l 31 Einzelne heftige Flüche und Drohungen überschallten zuerst für Augenblicke das übrige Wortchaos; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris l 89 aus völligem Zerstören alles Bestehenden, aus dem anarchischen Chaos, gehe das Eldorado einer beglükkenden Freiheit hervor; Keller 1854—55 Heinrich (S. W. XVI 175) Die Materien sonderten sich nach ihrer Schwere auseinander und stellten nun in dem geschlossenen Räume die vier Elemente vor . . Ich schüttelte sie tUchtig durcheinander, daraus entstand das Chaos, welches sich wieder aufs schönste abklärte; Stahl 1856 Staatslehre 229 Auch hier wogten zwar zuerst in dem Chaos des Sommers 1848 die Parteien der Revolution durcheinander; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 29 Aber jetzt, nachdem das gestrenge Inspectoral und Oberkommando sich entfernt hatte! Ein wüstes Chaos stellte sich unsern Blicken dar; Rümelin 1870 Reden l 60 das Chaos, den Abgrund der Anarchie; Kürnberger 1877 Herzenssachen 71 Chaos der Völkerwanderung; Nordau 1881 Paris 1131 Chaos von Hausrat; Nietzsche 1886 Fröhl. Wissenschaft (W. II115) Der Gesamtcharakter der Welt ist . . in alle Ewigkeit Chaos, nicht im Sinne der fehlenden Notwendigkeit, sondern der fehlenden Ordnung, Gliederung, Form, Schönheit, Weisheit, und wie alle unsere ästhetischen Menschlichkeiten heißen; Polko 1895 Hell u. Dunkel 240 und in dem jungen Kopfe und ehrgeizigen Herzen wirbelte bald ein Chaos von Plänen und kühnen Gedanken und Wünschen auf; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 361 Frage, ob der Organismus ein Mikrokosmos oder Mikrochaos sei; Janitschek 1898 Ins Leben verirrt 29 Es ist schon längst mein Wunsch, Ordnung in diesem Chaos zu schaffen; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 515) Was war ihm das zarte Glück, von dem er vorhin einen Augenblick geträumt, verglichen mit diesen Erwartungen? Was galt ihm noch Kunst und Tugend gegenüber den Vorteilen des Chaos?;

1916-17 Polit.-anthropol. Monatsschr. XV 467 Völkerchaos; Benn 1917 Gedichte (Ges. W. III 39) Und plötzlich bricht das Chaos durch die Straßen;/ Enthemmungen der Löcher und der Lüste,/ Entsinkungen: die Formen tauen/ sich tot dem Strome nach; Duncker 1918 Liebe 30 es trieb ihn nichts als das zwingende Gefühl, mit dem Chaos seiner Gedanken allein zu bleiben; Fönten 1926 Siebenquellen 38 das Bedürfnis, die Gäste zu halten und zu unterhalten,. . hatte jeden Karakter in ihm verwischt und seine Seele zu einem moralischen Chaos gemacht, über dessen Schlamm nur der Gedanke schwebte: verdienen; Vorwärts 29. 5. 1929 Chaos von Menschen, von Männern, Frauen und Kindern in der verwahrlosten Heidekate .. Chaos der Unsittlichkeit? — Nein, Chaos des sozialen Elends, Chaos mecklenburgischen Landproletariats; Brecht 1932 Johanna (Ges. W. II 675) Als ob Gewalt jemals etwas anderes ausgerichtet hätte als Zerstörung . . ich sage euch: so macht man kein Paradies, so macht man das Chaos; Lokal-Anz. 27. 7. 1933 oder ob wir tatenlos warten wollen, bis uns die soziale Krisis in das Chaos stürzt; ]ung 1934 Archetypen (1935 Eranos-Jahrb. II 213) So ist die Anima und damit das Leben eigentlich bedeutungslos, hat aber ein deutbares Wesen, denn in allem Chaos ist Kosmos und in aller Unordnung geheime Ordnung, in aller Willkür stetiges Gesetz; Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. IX 484) Er [Freud] schildert es [das Es] als ein Chaos, einen Kessel brodelnder Erregungen; Jünger 1944 Titanen 11 ff. Der erste Abschnitt der Mythe ist kosmogonisch; er umfaßt die Zustände des kosmogonischen Werdens. Wollen wir ihn genauer umgrenzen, dann dürfen wir sagen, daß er von Chaos an bis zum Sturze des Prometheus reicht; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 696) sich einer Gaunerclique sogenannter Führer zu entledigen, die im Begriffe ist, zusammen mit diesem Volke selbst die ganze Mitwelt in ein Chaos von Blut und Tränen zu stürzen; Süddtsch. Ztg. 17.3.1949 Wenn es nicht im wirtschaftlichen Chaos versunken ist, so hat es das ausschließlich der amerikanischen Hilfe zu danken; NZ. (Basel) 18.3.1950 Verkehrschaos in Melbourne; Jaspers 1958 Atombombe 142 Wie behaupten wir uns in der steigenden Flut des Chaos? In ihm hat bisher eine einzige totalitäre Macht einen gewaltigen Kriegsapparat aufgebaut; Niebelschütz 1961 Spiel 135 aus dem gegenwärtigen Chaos der Meinungen und dem Vakuum der Anschauungen etwas Neues, Tragendes zu entwikkeln; Grass 1962 Blechtrommel 266 Wenn Apollo die Harmonie, Dionysos Rausch und Chaos anstrebte, war Oskar ein kleiner, das Chaos harmonisierender, die Vernunft in Rauschzustände versetzender Halbgott; FAZ 9. 8. 1971 Das für das Wochenende befürchtete „Chaos" auf den Fernstraßen

Chaos der Bundesrepublik ist ausgeblieben; Zeit 11.1. 1985 Ziel der Chaosforschung ist es . ., mathematisch-theoretische Gründe für die Sensibilität chaotischer Systeme zu finden und zu klären, wie der Übergang von der Ordnung zum Chaos abläuft; ebd. Auch die Chaos-Theorie besteht, wie andere physikalische Theorien, im Detail aus unanschaulicher, komplizierter Mathematik; ebd. die ChaosDetektive müssen erst einmal erkennen, von welchen Parametern ein System abhängt. Und dann müssen sie einen Blick für die Erscheinungsform der Schwingungen entwickeln, die das Chaos ankündigen; ebd. 22. 2. 1985 erstaunlicherweise werden diese Freiheiten genutzt, ohne daß das eintritt, was hierzulande gern als düstere Folge von Schulfreiheit an die Wand gemalt wird: Chaos und Verwahrlosung des Lernens; ebd. 21. 2. 1986 der positive Held, der seine chaotische Ordnung ins geordnete Chaos bringt; ebd. 14. 11. 1986 nach dem Chaos, das der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatte; Strauß 1991 Schlußchor 73 Die stehen drüben vor dem Chaos. Sie machen heute die Grenze auf und morgen wieder zu; Spiegel 15. 2. 1993 Er starrt wie gebannt auf einen Osten, den es nicht mehr gibt, und auf das Chaos, das er auch dort kommen sieht, wo es noch nicht ausgebrochen ist. Chaot/in: Spiegel 10. 9. 1973 Sie agitieren bei wilden Streiks, besetzen Wohnungen, stürmen Rathäuser . . Sie nennen sich Maoisten, Trotzkisten oder Kommunisten. Man nennt sie Chaoten. Sie sind Anarchisten; 1974 Spiegel Nr. 38 Maiveranstaltung in Hamburg 1969, auf der Chaoten weithin die Szene beherrschten (DUDEN 1993); MM 29. 6. 1985 Es soll sich dabei um mobile Chaoten handeln, die immer dort auftauchen, wo es Gelegenheit zur Randale gibt; Zeit 27. 9. 1985 Jede gewöhnliche Party erlebt eine solche Anhäufung künstlicher Intelligenz, gegen die ein liebevoll programmierter Computer wie ein unberechenbarer Chaot wirkt; ebd. 4. 4. 1986 „. . wenn das Chaoten sind, dann bin ich auch ein Chaot . .". Ein oberpfälzischer Chaot: Besitzer einer blitzsauberen Wirtschaft, in der Kruzifix, Marienrelief und das Ölbild einer tief dekolletierten Zigeunerin hängen; MM 11.6.1986 äußerste Gewaltbereitschaft der Politchaoten; ebd. 22. 2. 1988 ein Frustrierter, der sich und seinesgleichen die philosophische Absolution erteilte, ein Chaot; Zeit 27. 7. 1990 Ich galt vorher als Chaot. Dann haben Tausende gejubelt, als ich nur öffentlich aussprach, was ich schon immer gesagt hatte; 1990 Miss Vogue Nov. 20 Alle glauben inzwischen, ich sei unzuverlässig, faul oder zumindest eine Chaotin; Spiegel 7. 12. 1992 Es beeindruckte ihn, wie Bubis sich bei der Berliner Demonstration den Chaoten entgegenstellte; ebd. 23. 1. 1995 Als Hausherr Chaot, als Haushälter

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Protz, schaltet und wütet der Havanna qualmende Zampano stets auf großem Fuß. Chaotik: Worringer 1918 Formprobleme 116 Es ist dasselbe Sichberauschen an logischem Formalismus .. dieselbe kunstvolle Chaotik; Friedell 1927 Kulturgesch. l 202 Mit dem Cinquecento weicht das Wunder, das Geheimnis, die Chaotik, Unergründlichkeit und Widersinnigkeit des Lebens aus der Kunst; ders. 1931 Kulturgesch. Ill 51 Auch Werners umfangreicheres Drama .. ist in all seiner Sentimentalität und Chaotik, Süßlichkeit und Perversität voll narkotischen Kulissenzaubers; Bad. Ztg. 14. 2. 1972 Es ist schamlos offen, es ist so schartig, daß die Scharten zum Formprinzip werden. Wäre dies nicht der Fall, so wäre sein Inhalt lügenhaft: Chaotik und Blutrunst haben keine Formen; Zeit 22. 3. 1985 Bisher mochten sich die Grünen darauf hinausreden, daß ihre Wähler gerade die Offenheit, die Spontaneität, ja die Chaotik ihres politischen Handelns zu schätzen wüßten. chaotisch: Francisci 1676 Lust-Haus 51 Denn es ist nicht vermutlich/ daß Gott der Herr/ aus einerley Chaotischen Massa/ will sagen aus dem ersten verworrenen Klumpen/ eine Materi des Himmels herfürgezogen; Leibniz 1702 Sehr. 338 Von den Chaotischen und elementarischen Wassern; Bodmer 1741 Crit. Betrachtungen 16 in welchen keine Symmetrie, Übereinstimmung, Ordnung noch Verknüpfung, statt hat, sondern alles wie in dem ersten Chaotischen Stoffe der Schöpfung ausstehet; Gottsched 1753 Neuestes a. d. anm. Gelehrsamk. Ill 783 eine recht chaotische Mundart heterogenischer Redensarten; Möser 1776 Phantasien III 257 die chaotische Masse der dunkeln Begriffe; Schubart 1780 Originalien 185 Ein chaotisches Gewimmel von Menschen, laufen .. geschäftig unter einander; Schiller 1786 Philos. Br. (H. Hl 63) das chaotische Land der Träume; Schrank 1789 Baier. Flora 11 554 chaotische Thierchen, etwa von der Gattung Vibrio; Bürger nach 1791 Veränderungen i. d. Nachtfeier d. Venus (111 88) chaotisches Wesen; Görres 1798 Frieden (l 21) das chaotische Ansehen; ders. 1800 Polit. Sehr, l 84 nach einem chaotischen Durcheinanderwirbeln; Goethe 1815 Br. (WA IV 26,132) Er gehört . . zu den Personen, die . . ohne Ordnungsliebe geboren sind, . . Der chaotische Zustand ist nicht denkbar, in welchem die kostbarsten Gegenstände der Natur, Kunst und des Alterthums über einander stehen, liegen, hängen und sich durcheinander umhertreiben; Steffens 1819 Caricaturen l 371 einer furchtbaren Gährung, die alle Elemente des Staats chaotisch unter einander wirft; Tieck 1827 Krit. Sehr. IV 159 Unsere

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Bühne ist also undeutsch, chaotisch, völlig anarchisch geworden; Goethe vor 1832 Bildung d. Erde (WA II 9,276) Orpheus, später Hesiodus. Frühere Vorstellung eines chaotischen Zustandes, der aus streitenden Elementen zur Ruhe übergeht; Gaudy 1839 Schweizer-Soldat (VI 111) in dem chaotischen Gewirr der Gefühle; Steffens 1840 Was ich erlebte U 134 So viel aber ist entschieden, es verbirgt sich, wenn auch noch so chaotisch, eine intelligente Tendenz in dieser Richtung des Tages [die Wissenschaft zu popularisieren]; Auerbach 1846 Sträflinge 362 Und als er zu den freien Menschen zurückkehrte, war ihm die Welt wie aufgelöst, wie chaotisch in einander zerflossen; Rodenberg I860 Insel d. Heiligen II 139 hier war Alles durcheinandergewürfelt, nackte Felsklötze, die morastige Haide, die Steinblöcke darauf, die Seen, die Inseln, die Wasserfälle — Alles lag unter- und übereinander, die Welt schien sich hier in's Chaotische zu verlieren; Hillebrand 1875 Wälsches 227 wir wohnen hier der Filiation der Ideen und Zeitströmungen bei, dort ordnet sich organisch das scheinbar Chaotische; ders. 1878 Profile 325 eine Zeit der Gährung . . sie hatte .. den chaotischen Charakter einer Sturm- und Drangperiode; Polko 1895 Hell u. Dunkel 181 Ein vielstimmiger, entsetzter Schrei, eine chaotische Bewegung drüben im grossen Kahn — dann war er umgeschlagen; Hegeler 1908 Ärgernis 175 Zeugnis ablegen von dem, was in ihrer eigenen Brust chaotisch wogte; Valentin 1920 Völkerbundged. 156 das Zurückfallen Europas in einen chaotischen Naturzustand würde das Ende der geschichtlichen Periode bedeuten, die mit der Völkerwanderung begonnen hat; Wätzold 1924 Kunsthistoriker 269 es ist der Haß des „gebildeten" Menschen, der durch und durch geformten Persönlichkeit gegen das noch nicht Gebildete, das Chaotisch-Ungestaltete, das formlos Zerflatternde; Gründet 1929 Menschheit 55 Auf Adel folgt Bürgertum; nach seinem Aussterben tritt das (noch ordnungsliebende) Proletariat eine kurze Herrschaft an, aber nicht lange, denn ihm auf den Fersen folgt der (chaotische!) Pöbel; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 324) In diesem eigentümlichen Verächtlichmachen der Form durch das Wort „pedantisch" liegt die Bejahung des Chaoti-

schen; Jünger 1944 Titanen 103 Chaotische Trauer, das ist ein Begriff, den wir der titanischen Welt zuordnen müssen. Eine Art von Trauer, wie wir sie an der „Nacht" von Michelangelo wahrnehmen können; Süddtsch. Ztg. 29. 1. 1951 Es gehört zweifellos zu den traurigsten Kapiteln der chaotischen Nachkriegszeit, daß manche dieser bisher organisierten Zwangsverkäufe .. zu Schleuderpreisen stattgefunden haben; ebd. 17. 8. 1959 In Berchtesgaden . . herrschten chaotische Verkehrsverhältnisse; ND 21.2. 1964 Sie leben in ärgster Not, unter chaotischen Familien Verhältnissen; Zeit 11.1. 1985 ein verblüffend einfaches Experiment, das es erlaubte, den Übergang von einer geordneten (sprich: laminaren) in eine chaotische (sprich: turbulente) Strömung genau zu beobachten; ebd. 24.5. 1985 Angesichts dieser Zahlen über das Waldsterben sind diese Bemühungen der Politiker eher hilflos, wenn nicht chaotisch; ebd. 18. 7. 1986 die Grünen und andere chaotische Gruppen; ebd. 17. 10. 1986 Virilio schreibt nicht chronologisch, . . sondern chaotisch; ebd. 8. 5. 1987 Die späteren, zum Teil chaotisch-gewalttätigen Demonstrationen in Gorleben, Brockdorf, Wackersdorf stießen dann in Frankreich auf wachsende Besorgnis; Junge Welt 9. 12. 1989 Wir haben noch nicht einmal ein Wahlgesetz. Das heißt: bei uns wird es noch viel länger dauern müssen, wenn es nicht so chaotisch zugehen soll wie bei der Öffnung der Grenzen; Hawking 1991 Gesch. d. Zeit (Übers.) 156f. Der Anfangszustand des Universums bleibt dem reinen Zufall überlassen. Das würde heißen, daß das frühe Universum wahrscheinlich sehr chaotisch und unregelmäßig gewesen wäre, weil für das Universum viel mehr chaotische und ungeordnete Zustände denkbar sind als gleichmäßige und geordnete; Spiegel 7. 12. 1992 Im vorliegenden Fall könne angenommen werden, daß Kohl angesichts der chaotischen Verhältnisse beim Koalitionspartner die „politische Lage" so einschätze; Süddtsch. Ztg. 27.128. 3. 1993 Solcherart Begreifen der Welt spiegelten die auf der Oberfläche ihrer Erscheinung so wüst zusammengerafften, bizarr-chaotischen Sammlungen der frühen Neuzeit wider, die als „Kunst- und Wunderkammern" ins kunsthistorische Begriffssystem eingingen. HK

Charakter M. (-s; -e, früher auch -es), Anfang 13. Jh. entlehnt aus lat. character 'Werkzeug zum Einbrennen; das eingebrannte, eingestochene Zeichen; Zauberschrift; eigentümliches Gepräge einer Darstellung; eigentümlicher Stil'/griech. 'Werkzeug zum Graben, Gravieren, eingeritzter Buchstabe, körperliche und sprachliche Eigenart, Merkmal' (zu 'spitzen, ritzen, eingraben, prägen'), zunächst auch in den Schreibvarianten Karakter, Caracter, Karacter, Krakter und in lat. (flekt.) Form.

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1 Zunächst, häufig im PL, in der Bed. 'Schriftzeichen, Malzeichen, Buchstabe, Zauberschrift', vereinzelt, bes. fachspr. im Druckwesen, bis ins 19./20. Jh., in Wendungen wie Charakter und Zeichen, Charaktere(s) und Buchstaben, alchmistische, chinesische Charaktere. 2 Vom Anfang 16. bis Ende 19. Jh. in der Bed. 'Titel, Rang, Stand einer (zumeist hochgestellten) Person', häufiger auf geistliche Würdenträger bezogen, in Wendungen wie Personen von hohem Charakter, den Charakter eines Assessors erhalten, Charakter als Major, auch personifiziert öffentlicher Charakter 'Person von Rang und Bedeutung im öffentlichen Leben'. 3 Seit späterem 17. Jh. zunächst mit erweitertem Anwendungsbereich im Sinn von 'Art, Eigentümlichkeit, Stil, das Besondere, Kennzeichen' (s. Belege 1667, 1684, 1710, 1766, 1777, 1792, 1798, 1802, 1817, 1817-24, 1969, 1987, 1990), vor allem bezogen auf Sachen aus der Natur oder Kunst, auf Sachverhalte u. ä., bes. in Wendungen und Zss. wie Charakter einer Nation, einer Sprache, eines Gebäudes, einer Klasse, eines Jahrhunderts, einer Landschaft, Gegend, einer Handschrift, der ernste Charakter einer Sinfonie, der bösartige Charakter einer Geschwulst, der unverwechselbare Charakter einer Stadt, der polemische Charakter einer Schrift, ein Gespräch mit vertraulichem Charakter, etwas gewinnt einen eigenständigen Charakter, etwas gibt etwas seinen/ihren Charakter, etwas verändert/verliert/prägt/formt den Charakter (von etwas); National-, Volks-, Zeit-, Doppelcharakter, gelegentlich in der Wendung im Charakter von etwas (s. Belege 1834, 1854—55), ohne Zusatz positiv gedeutet in Wendungen wie etwas hat Charakter, z. B. ein Bauwerk mit Charakter; bes. in der Kunstheorie der Romantik (F. Schlegel, Novalis) als literaturgeschichtliche und ästhetische Kategorie abwertend gebraucht und dem objektiv Schönen entgegengesetzt (vgl. charakteristisch, —* charakterisieren; s. Beleg 1795 — 97). Seit etwa Mitte 19. Jh. in abgeschwächter Bedeutung in heute häufig belegten Wendungen wie etwas hat/erhält den Charakter von etwas, nimmt den Charakter von etwas an, etwas den Charakter von etwas verleihen/geben/nehmen, etwas hat (bloß) vorläufigen/vorbereitenden/empfehlenden Charakter, etwas haftet der Charakter von etwas an (s. Belege 1864, 1901, 1918, 1962, 1986), als Grundwort in Zss. wie Rechts-, Symbol-, Übergangs-, Versuchs-, Kunstcharakter sowie in Wendungen wie Abfälle mit hausmüllähnlichem Charakter. Etwa gleichzeitig wohl unter Einfluß von frz. caractere, insbes. durch Vermittlung von La Bruyeres „Les caracteres de Theophraste" (1688), zunehmend eingeengt und bes. auf Menschen bezogen in der Bed. 'Gesamtheit der Wesenszüge, Summe wesentlicher geistig-seelischer Eigenschaften, das Individuelle kennzeichnende Merkmale, Art der persönlichen Ausbildung, Eigenart, eigentümliche Natur (die einen Menschen von anderen unterscheidet)', zunächst häufiger mit Bezug zu l noch als Merkmal des Gemüts, als Prägung der Seele verstanden im Sinn von 'dem Menschen eingeprägte seelische und geistige Eigenschaften' (s. Belege 1688, 1743, 1751), vgl. die Zss. Gemüts-, Seelencharakter; als philosophischer Gegenstand seit der Aufklärung, bes. mit der Vorstellung Kants von der vernunftgemäßen und freien Selbstbestimmung des Menschen (s. Beleg 1798) und seiner Unterscheidung zwischen intelligiblem und empirischem Charakter (s. Beleg 1787), von Schopenhauer dann im metaphysischen Sinn umgedeutet (s. Beleg 1818), von Nietzsche als Kennzeichen von Unfreiheit beschrieben (s. Beleg 1886).

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Allgemein zumeist ethisch-moralisch gedeutet (s. Belege 1701, 1724, 1774, 1798, 1799-1800, 1820, 1881, 1910, 1921, 1985, 1993), in Wendungen wie etwas (Politik, Geld) verdirbt den Charakter, jmd. hat einen eigenen Charakter, den/einen eigenen Charakter ausbilden, ein starker/schwacher/zweifelhafter/verdorbener Charakter, der wahre Charakter von jmdm., etwas verrät jmds. Charakter, Ausbildung des Charakters, etwas entspricht jmds. Charakter und, selten als Grund-, häufig als Bestimmungswort, in Zss. wie Grund-, Durchschnittscharakter; Charakterbildung, -eigenschaft, -Schönheit, -zug, -große, -prägung, -stärke, -reife, -merkmal, -fehler, Charakterstudie(n), charakterfest, -schwach 'haltlos, labil'; ohne Zusatz in positiver Bed. 'Festigkeit des Willens, sittlich gefestigte Haltung, Gesinnungsfestigkeit1 bzw. negiert abwertend gebraucht (s. Belege 1795, 1831, 1847, 1854-55, 1939, 1993), vgl. die Zs. Charakterkopf, auch als Personenbezeichnung in der Wendung er/sie ist ein Charakterkopf, und Wendungen wie sie hat/zeigt Charakter, jmd. hat keinen Charakter, ein Mann/eine Frau von Charakter sowie die Redensarten das ist eine Charakterfrage, das ist Charaktersache, eine Frage des Charakters, dazu gehört Charakter; seit späterem 18. Jh. häufig personifiziert im Sinn von 'Typ mit ausgeprägter Wesensart, Mensch im Hinblick auf seine geistig-seelischen Eigenschaften', häufig im PL verwendet (s. Belege 1764, 1765, 1775-76, 1782, 1785, 1789, 1826, 1876, 1936, 1958, 1986), in Zss. und Wendungen wie Originalcharakter, menschliche, unterschiedliche Charaktere, er ist ein widersprüchlicher/schwieriger/problematischer/anständiger Charakter, ebenfalls ohne Zusatz mit positiver (bzw. negativer) Deutung er/sie ist (k)ein Charakter 'in sich gefestigte, ausgeprägte, (willens)starke, aufrichtige Persönlichkeit' (s. Belege 1886, 1985); seit Mitte 18. Jh. auf die künstlerische Darstellung menschlicher Typen (vor allem in Drama und Roman) bezogen (s. Belege 1746, 1759, 1760, 1767, 1786, 1798-99, 1800, 1850), vgl. dazu die Wendungen und Zss. erhabener/idealer Charakter, einen Charakter zeichnen/ treffen/verfehlen, Charakterstück, -komödie, -tragödie, -rolle, -maske, -duett, -darsteller, -typen, -fach; Bühnencharaktere. Seit dem frühen 20. Jh. in der Psychoanalyse und mit der Enstehung der wissenschaftlichen Charakterologie (—» charakterisieren) auch im Sinn eines therapeutischen Gegenstands gedeutet bzw. geschlechtsspezifisch differenziert (s. Belege 1905, 1917), vgl. die Zss. Charakterforschung, -künde, -analyse, -test sowie in der Sozialpsychologie im Sinn von 'Summe der Eigenschaften einer Großgruppe' (s. o. die älteren Zss. Volks-, Nationalcharakter; s. Beleg 1964). Seit Mitte 18. Jh. die selten belegte adj. Ableitung charaktermäßig, zunächst 'dem Rang, Stand einer Person gemäß' (zu 2), seit frühem 20. Jh. in der Bed. 'dem Charakter, Wesen eines Menschen entsprechend, auf ihn bezogen' (zu 3); seit Ende 18. Jh. die adj. Ableitung charakterlos 'keinen eigenen Charakter habend' bzw. 'einen schlechten Charakter zeigend' und die subst. Ableitung Charakterlosigkeit F. (-; -en) 'charakterloses Wesen, Wesen ohne besondere Eigenart', auch 'Äußerung, Handlung eines negativen, fehlerhaften Charakters' (zu 3); seit Anfang 19. Jh. die adj. Ableitung charaktervoll 'eigentümlich, eine ausgeprägte Eigenart habend', auch 'einen guten, festen Charakter habend' (zu 3); seit frühem 20. Jh. die adj. Ableitung charakterlich, zur Zeit des Nationalsozialismus ideologisierend umgedeutet 'im nationalsozialistischen Sinn mutig, stark, entschlossen, einsatz-, opferbereit' (s. Belege 1934, 1935), zuvor wie heute jedoch vor allem im Sinn von 'den Charakter betref-

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fend, auf ihn bezogen, im Wesen eines Menschen begründet', z. B. charakterliche Qualitäten, ein charakterlich fragwürdiger Mensch (zu 3). Charakter 1: 'Wolfram v. Eschenbach um 1210 Parzival 453 der karakter a b c/ muoser han gelernet e (DWB); Reinbot v. Durne 1231-53 Hl. Georg 1828 ir habt karakter schrift und beswert den tuvel; 1275 Urkundenb. Zürich o. S. mit unsers insigel caractor (MÖLLER); Konrad v. Würzburg vor 1287 Trojan. Krieg 10558 ir caracteres geschreip; Konrad v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 377 die götter und die gaist, die man anruoft mit pildengeschrift, die karakteres haizent; Richental 1414-18 Konstanzer Chronik 80 und wuschen im sein karakteres ab; Hermann v. Sachsenheim 1453 Mörin 5950 und sprach darzuo vil karactras mit Worten; Folz um 1460 Meisterlieder 297 So mon die coracter recht nent/ Da mit der priester consacrirt,/ Praücht er sich stachelherter wort,/ Die Cristus dar zw ordinirt; Steinhöwel 1474-82 Aesop 62 Der den schacz da her gelegt hat, . . der hat in mit süben caractern bezaichnet, die ob geschriben stand; Brant 1494 Narrenschiff 40b segen jn den dott Mitt kracter vnd mit narren wurtz; Eck 1520—27 Vier Sehr. 51 so . . erschrecket das gemüet nit änderst, dann wie der Zauberer character unbd zeichen die unverstendigen; Kessler 1524—39 Sabbata 42 caracter oder malzaichen; Luther 1527 Vber das erste buch Mose Ggja das nyemand keuffen noch verkeuffen solte, er hett denn ein maizeichen, siege! vnd caracter der styrne vnd henden (DIETZ); Paracelsus 1531 -32 S. W. l 9,334 nun laß es gleich sein als wer es ein sabat und du hülfest deim nechsten mit charactern, die endlich nicht aus der erden körnen mit iren kreften; Fuchsberger 1534 Dialectica 83b durch etlich verborgen character vnnd buchstaben gemalt; Rwius 1548 Vitruv, 312a das . . der text Vitruuii/ durch vnuerstand der zeichen der messung die er setzet mit sonderlichen Charactern . . corrumpirt vn verfelschet ist; S. v. Buchau 1568 Satyra (Wolkan, Böhmen II 135) Damit ich die Characteres/ Abzirckel vnd die leng abmeß; Paracelsus 1572 S. W. l 13,378 dan die characteres haben auch iren Ursprung aus der magica und sind auch nicht ungleich den bildern. das dardurch kan man auch ein ding anzeigen, und vil dardurch zuwegen bringen, als durch ein kreftigs wort oder namen, und sind doch weder wort noch namen; Ernstinger 1579—1610 Raisbuch 94 caracteribus vnd buechstaben; Fischart 1581 Dämonomania 214 Characteres vnd Wörter; ebd. 238 Characteres, vnd Kratzwerck; Thurneisser 1583 Onomasticon U 147 auff Teufflische Character deuten; Rollenhagen 1595 Froschmeuseler 11 262 Beschrieben mit wunderseltsamen/ Charakteren, zeichen und namen; Spangenberg 1607 Ganss König 61 Character vnd Zeichen; Opitz 1624 Poeterey 33 Cha-

racter oder Merkzeichen der Worte; Servius um 1640 Waffensalbe 42 Zeichen und characteres; Schmatz 1684 Format-Buch 81 Alchimistische Characteren (KLENZ); 1705 Auserlesene Anm. U 91 Eine Schrifft so leicht zu lesen/ muß aus gantz einfältigen Characteren/ so wenig gekünstelt sind/ bestehen/ Item sie muß nicht viele Buchstaben haben; Doebelius 1707 Collegium mnemon. 26 ZahlCharacteren; 1717 Fama LX 978 sie heileten durch heilige Characteres, Worte und andere geheiligte Dinge; 1725 Faustbuch christl. Meyn. 6 einen Reiffen mit vielen seltsamen Characteribus nebst zween ändern Circkeln verfertigte; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 8 Der Erfinder der Dinte und der Federn aus Gansspuhlen hat sich .. nicht wenig um das menschliche Geschlecht verdient gemacht. Die Chineser bedienen sich eines feinen Papiers, worauf sie ihre Characteres mit dem Pinsel malen; Beckmann 1790-92 Erfindungen III 370 Alle übrigen Metalle erhielten, nachdem sie mehr oder weniger dem Golde oder Silber ähnlich zu seyn schienen, Zeichen, die aus den Charakteren der ädlen Metalle zusammen gesetzt waren; Wieland 1797 Stein (S. W. XXX 289) eine dicke Rolle von ägyptischem Papier,. . mit Hieroglyphen und Karakteren beschrieben; Goethe 1829 Er. (WA IV 46,157) destomehr Cophtas .. denn freylich wäre es leichter durch einige gezogene Charaktere und unsinniges Gemurmel reich zu werden; Waldow 1884 Illustr. Enc. o. S. Charaktere, Gesamtbezeichnung für Buchstaben und Schriftzeichen (KLENZ); Bergengruen 1942 Heiraten 142 Ich verschaffte mir Kenntnis von chinesischen . . Charakteren, denen mir die verschlungenen Silberlinien manchmal zu gleichen schienen (WDG). Charakter 2: Gessler 1511 Formulare 7a Nym war ouch/ das allen gebornen herren vnd prelaten jm obersten geystlichen grad sol zu ende ir tyttel allweg gesetzt werden der caracter; Luther 1520 W. VI 408 Drumb solt ein priester stand nit anders sein in der Christenheit, dan als ein amptman: . . Also warhafftig ist ein priester nymmer priester, wo er abgesetzt wirt. Aber nu haben sie ertichtet Caracteres indelibiles, und schwetzen, das ein abgesetzter priester dennocht etwas anders sey, dan ein schlechter leye; Luther-Emser 1521 Str. l 33 caracteres oder geystliche tzeichen; Dietenberger 1526 Wider Luther C3a vnd gar nichts achten den erdichten caracter, den geschnürten vnd geölten finger, den beschorn kopff vnnd die kleyden der eilenden pfaffen; Fischart 1570 Nacht Rab (l 54) Auch wird des Pfaffen geölte platt/ Im Fegfewr

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vnuersert vnd glatt;/ Dann dieses ist jn für gewiß/ Character indelibilis; Seckendorff 1685 ChristenStaat l 403 So ist ja der Obrigkeitliche Charakter, Hoher und Mittler, kein solcher Stand, der die Personen von der Schuldigkeit der Christen befreyete; Marperger 1716 Küchendict. 882 frembde Personen von hohem Character; Biantes 1731 Historicus 3 Die Titul sind Characteres und Kennzeichen der Würde, so ein Mensch trägt; Edelmann 1752 Leben 137 Ich stellte demnach meiner Gräfin geziemend vor, daß ich mit einem so schlechten Gehalt mich unmöglich meinem Character gemäß würde aufführen können; Weisse 1769 Beytrag (IV 259) Man muss schon einen gewissen ansehnlichen Charakter im Staate einnehmen; Möser 1776 Phantasien II 341 Charakter eines Assessores; Laukhard 1797 Leben IV 2,80 Aber die braven Leute, Korporale und Kanoniere, versicherten, dass sie der Republik dienen würden, in welchem Karakter es auch seyn mögte: und wurden sämtlich gemeine Kanoniere; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA l 26,113) verschaffte er sich den Charakter eines kaiserlichen Raths; Görres 1819 Teutschland 118 So hat man öffentliche Charaktere, denen die Nation ihre Achtung zugewendet; Riehl 1864 Vortr. I 430 Er wäre eben ein Meister der volksthümlichen Persönlichkeit und aus solchen Meistern entwickeln sich unter Umständen „öffentliche Charaktere"; Treitschke 1898 Politik II 22 Dadurch daß die geheimnißvolle Priesterweihe dem Priester einen character indelebilis beilegt, wird der Zweck, eine möglichst breite Kluft zwischen Geistlichen und Weltlichen zu schaffen, in hohem Maße gefördert. charaktermäßig: 1758 Diarium Belagerung Breslau A4a denen Kriegesgefangenen Officiers ihre Caractermässige Gage und Fourage . . verabreichen; Kuniaczo 1780 Beytrag 155 [dass] die [verabschiedeten] Officiers ihre charaktermässige Pensionen . . geniessen. Charakter 3: Dannhauer 1667 Scheid-Brieff 55 Da dann zuvor dieses zubeobachten/ daß ein vnfehlbarer character vnd Kennzeichen müsse dem affect proprissime et reciproce eigentlich vnd einig/ vnd keinem ändern affect ausser ihm zustehn; 1684 Der Hof 12 Demnach müst ihr mir Beyfall geben, dass es nicht in dess Königs Macht steht, ein gewisses Charakter, welches in allen Höfen herrschet, zu ändern; Thomasius 1688 Monats-Gespräche I 795 zumalen, da er seinen caracter selbsten so exprimiret hätte, daß er kein Gemüthe habe, welches jemand zu Schaden trachte; Winckler 1696 Edelmann 163 und damit den übern Kopf geworffenen Capozaum/ den es doch unmöglich mit gütigen Augen/ als einen unausleschlichen Character ihren ehemaligen schändlichen Untreu ansehen kan/

wieder abstreiffte; Leibniz 1700 Sehr. U 4305 Der Character einer jeden Person ist sehr wol hieinnen ausgedruckt; 1701 Monat/. Auszug Apr. 84 Characteres der Menschen; Mencke 1710 Unterredungen 185 wer den echten Character von einer guten Satyre wissen will; Callenbach 1715 Quasi Vero 51 dieser Character bleibt beständig; 1721—22 Discourse d. Mahlern 26 Ich nenne Caracteren diese subtilen und ordentliche Beschreibungen aller derjenigen Qualiteten, durch welche sich eine gantze Nation oder eine Person underscheidet; Wagner 1724 Soldatenbibl. 161 Nur hätte er uns die Briefschafften der Minister und Generalen müssen mittheilen/ weil man aus denselben der Leute Character am besten lernet; Bodmer 1741 Poet. Gemälde 364 so trage ich kein Bedencken, sie [die Handlungen der Menschen] nach dem Beyspiel der Alten, zwar mit einem ausländischen Nahmen, Character der Sitten zu heissen bis das deutsche Wort Merckmahle besser in Gebrauch kommen, oder ein anderes, so das griechische vollkommen ausdrücket, wird erfunden werden; Philippi 1743 Reimschmiede-Kunst 79 Gemüths-Character; Geliert 1745 Betschwester (S. Sehr. III 148) Machen Sie mir doch einen kleinen Charakter von ihr; Bodmer/Breitinger 1746 Crit. Br. 10 Erhabenen Charaktern muß man nichts destoweniger dieses einräumen, daß sie, wiewohl sie nicht zum Wesen des Trauerspieles gehören, dennoch den Eindruck der traurigen Vorstellung verstärken helfen; Geliert 1747 Zärtl. Schwestern (S. Sehr. Ill 87) Sein Charakter ist edel; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,158) Einzele entfallene Worte aufrücken, wäre lieblos: aber es kommt auf den Seelen-Character an. Aus der Fülle des Herzens redet der Mund; Gottsched 1751 Crit. Dichtkunst 96 so sieht ein jeder, daß niemand den rechten Character von einem Poeten wird geben können, als ein Philosoph; 1758 Modeztg. I 181 Da gucken sie die Schönen mit Fern-Gläsern an; sie betrachten ihren Putz, und schliesen davon auf ihren Character; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 53) Unter ändern ist der Character des Verräthers durch die fromme Strenge des Dichters noch einmal so unbestimmt geworden, als er vorher war; Gottsched 1760 Handlex. 370 f. Charakter. Wird in der Schreibart, von den verschiedenen Gattungen gebraucht .. In der Dichtkunst heißt Charakter, die sittliche Gemüthsart der Personen eines Heldengedichts, oder Schauspieles; die sich durch Gedanken, Gesinnungen, Urtheile, Worte und Thaten heraus läßt. Es ist eine große Kunst die Charaktere der Personen recht zu bilden, und hernach richtig dabey zu bleiben; Basedow 1764 Philalethie II 17 Verstandes-Charactere; Lambert 1764 Organon II 308 Bey solchen Charaktern ist mehr Muth, Unverdrossenheit und Hurtigkeit;

Charakter Herder 1765 S. W. l 110 die Charaktere der Männer, die auf der Bühne der Begebenheiten eine Hauptfigur machen; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 13) Die bildenden Künste insbesondere, ausser dem unfehlbaren Einflüsse, den sie auf den Charakter der Nation haben, sind einer Wirkung fähig, welche die nähere Aufsicht des Gesetzes heischet; ders. 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 280) Weßwegen wählt der tragische Dichter wahre Namen? Nimmt er seine Charaktere aus diesen Namen; oder nimmt er diese Namen, weil die Charaktere, welche ihnen die Geschichte beylegt, mit den Charakteren, die er in Handlung zu zeigen sich vorgenommen, mehr oder weniger Gleichheit haben?; Sonnenfels 1768 Er. 541 die historischen Karakterstücke; Goethe 1774 Plundersweilern (WA I 16,10) Man sagt: es könne den Charakter verderben,/ Wenn man Verstellung als Handwerk treibt; Lichtenberg 1775 — 76 Sudelbücher 186 In England findet man mehr Original-Charaktere in Gesellschaften und unter dem gemeinen Volk als man aus ihren Schriften kennt; Meister 1777 Beitr. II 53 den Karakter der Sprache; Dressler 1777 TheaterSchule 116 Charakter-Rollen; Schlettwein 1780 Archiv I 63 Aber vor allen Dingen ist nöthig, die untrüglichen Charakters der Liebe gegen Gott unsern Mitmenschen abzubilden; 1781 Dtsch. Museum II 570 Karakterbildung; Musäus 1781 Physiognom. Reisen II 212 Was sagen mir Gesichtscharaktere, dadurch ich eine Lais, Julia, Cleopatra . . unterscheiden kann; Richter 1781 Reise Wien-Paris 83 Der Grundcharakter des gebohrnen Parisers; Moritz 1782 Reisen 36 Wer aber Menschen beobachten, und die abstechendsten Charaktere in ihren stärksten Äußerungen betrachten will, der gehe ins Unterhaus; Reichardt 1782 Musikal. Kunstmagazin 95 Es ist vieleicht kein Tanz so sehr Bild und Ausdruck des Nazionalcharakters, als der polnische; Wegelin 1783 Werth d. Gesch. 13 Volkscharakter; Engel 1785 Mimik l 110 Charakterzüge; Moritz 1785 Reiser 6 Auch wird man in einem Buche, welches vorzüglich die innere Geschichte des Menschen schildern soll, keine große Mannigfaltigkeit der Charaktere erwarten: denn es soll die vorstellende Kraft nicht verteilen, sondern sie zusammendrängen, und den Blick der Seele in sich selber schärfen; Matthisson 1786 Rheinfahrt (U 40) Künstler-Charakter; Goethe 1786 Italien. Reise (WA I 30,215) ob der Gegenstand hätte günstiger aufgenommen werden sollen, ob der Charakter getroffen ist und was solche allgemeine Fordernisse sind; 1787 Journal d. Moden II 52 CharackterMasken; Bretzner 1787 Leben II 267 sittlichen Karakter; Kant 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Werkausg. IV 493) Es muß aber eine jede wirkende Ursache einen Charakter haben, d.i. ein Gesetz ihrer Kausalität, ohne welches sie gar nicht Ursache

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sein würde. Und da würden wir an einem Subjekte der Sinnenwelt erstlich einen empirischen Charakter haben, wodurch seine Handlungen, als Erscheinungen, durch und durch mit anderen Erscheinungen nach beständigen Naturgesetzen im Zusammenhange ständen, und von ihnen, als ihren Bedingungen, abgeleitet werden könnten, und also, mit diesen in Verbindung, Glieder einer einzigen Reihe der Naturordnung ausmachten. Zweitens würde man ihm noch einen intelligibelen Charakter einräumen müssen, dadurch es zwar die Ursache jener Handlungen als Erscheinungen ist, der aber selbst unter keinen Bedingungen der Sinnlichkeit steht, und selbst nicht Erscheinung ist. Man könnte auch den erstem den Charakter eines solchen Dinges in der Erscheinung, den zweiten den Charakter des Dinges an sich selbst nennen; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 30) Nach richtigem Begriffen ist die Vernunftmäßigkeit des Menschen, der Charakter seiner Gattung, etwas anders, nehmlich, die gänzliche Bestimmung seiner denkenden Kraft im Verhältniß seiner Sinnlichkeit und Triebe; ebd. V 44 Charaktereigenschaft; Reichardt 1791 Musikal. Kunstmagazin 37 ein Duett, daß ein wahres Muster für Charakterduetten ist. Zwey ganz verschiedene Empfindungen werden da mit voller Wahrheit zugleich ausgedrückt; Stieglitz 1792 Baukunst l 64 wenn man das ganze Haus auf diese Art bauen wollte, so würde es ein zu rohes Ansehn und nicht das Gefällige bekommen, was dem [!] Charakter eines Wohngebäudes ausmachen soll; Lavater 1793 (Nachgelass. Sehr. II 54) Charakterreife; Schiller 1793 Anmut (H. IX 229) dem schlaffen Zeitcharakter; ders. um 1793 das Erhabene (H. Xll 270) Ein Mensch . . soll alle die Tugenden besitzen, deren Vereinigung den schönen Charakter ausmacht; Charakterschönheit; Seume 1793-1811 Kl. Sehr. (W. II 425) Seine Rapporte sind die gedrängtesten und immer voll Kraft und Charakter; Schiller um 1793 Erhabene (S. W. XII 270) schönen Charakter; 2794 Neues Hannover. Magazin 45 Edler Charakterzug; W. v. Humboldt 1795 Ges. Sehr. VII 2,569 Sonst wird der Ausdruck (wie in der Phrase „Der Mensch hat keinen Charakter") schon uneigentlich gebraucht; F.Schlegel 1795-97 Über d. Studium d. griech. Poesie (Krit. Sehr. u. Fragmente I 70) Charakterlosigkeit scheint der einzige Charakter der modernen Poesie, Verwirrung das Gemeinsame ihrer Masse; Hölderlin 1797-99 Hyperion (S. W. Ill 244) Sezt ich ihm entgegen, daß er sich in mir irre, daß er für Karakter nehme, was doch nur ein Überrest zufälliger Verirrung wäre, so lacht' er herzlich; Kant 1798 Anthropologie (Ges. Sehr. VII 321) Es bleibt uns also, um den Menschen im System der lebenden Natur seine Classe anzuweisen und so ihn zu charakterisiren, nichts übrig als: daß er einen Charakter hat, den er sich selbst

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schafft, indem er vermögend ist, sich nach seinen von ihm selbst genommenen Zwecken zu perfectioniren; Goethe 1798 Sammler (WA l 47,159) Der Charakter verhält sich zum Schönen wie das Skelet zum lebendigen Menschen; Novalis 1798 Logologische Fragmente (Sehr. II 527) Die vollendete Form der Wissenschaften muß poetisch seyn. Jeder Satz muß einen selbständigen Karacter haben — ein selbstverständliches Individuum, Hülle eines witzigen Einfalls seyn; ders. 1798-99 Allg. Brouillon (Sehr. Ill 398) Jede Künstliche Gestalt - jeder erfundene Karacter hat mehr oder weniger Leben — und Ansprüche und Hoffnungen des Lebens; ders. 1799-1800 Fragmente u. Studien (Sehr. Ill 556) Ein Character ist ein vollkommen gebildeter Wille; ebd. III 668 Wenn der vorwaltende Stickstoff der Caracter der animalischen Masse ist, was muß der Caracterstoff des Menschen wohl für ein Stoff seyn?; Jenisch 1800 Geist u. Charakter II Vorr. VII Geist und Charakter des Jahrhunderts; ebd. II 7 Charakter-Darsteller; Herder 1802 Adrastea III (S. W. XXIII 479) Sprachcharakter; Seume 1803 Spaziergang (W. I 259) Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Haß verdienen; Fernow 1806 Studien U 26 Karakter einer Gegend; 1810 Almanack a. Rom I Vorerinn. Jan. Der Charakter der Baukunst während dieser Epoche ist edle Einfalt und colossale Form; . . In diesem Charakter wurde sie allein zum Tempelbau angewendet; Goethe 1817 Italien. Reise (WA l 31,262) Ich weiß wohl . . daß die Charakterzüge jeder Classe nur erst nach einer genauem Bekanntschaft und Beobachtung rein gezogen werden können; ders. 1817-24 Zur Morphologie (WA II 6,300) Mit Ordnung zu wissen, erfordert genaue Kenntniß der einzelnen Gegenstände. Aufmerksamkeit auf ihre Charaktere, also Unterschiede und Übereinstimmungen . . Einsicht in das Bezeichnende und Urtheil hierüber; Schopenhauer 1818 Welt (S. W. l 219) insofern ist also nicht nur der empirische Charakter jedes Menschen, sondern auch der jeder Thierspecies, ja jeder Pflanzenspecies und sogar jeder ursprünglichen Kraft der unorganischen Natur, als Erscheinung eines intelligiblen Charakters, d. h. eines außerzeitlichen untheilbaren Willensaktes anzusehen; Goethe 1819 Noten u. Abh. z. Divan (WA I 7,39) Diese .. behaupteten durch ihre Welt-Klugheit und Charakter-Größe einen hohen Rang in der politischen Sphäre; ders. 1820 Br. (WA IV 32,224) Daß die Handschrift des Menschen Bezug auf dessen Sinnesweise und Charakter habe; Ranke 1826 Briefwerk 105 Galerie von Charakteren; 1831 Jahrb. d. Gesch. I 437 Menschen, deren Charakter ist, keinen Charakter zu haben; Goethe vor 1832 Zur Farbenlehre (WA 4,99) so kann man sagen, jedes Einzelne habe Charakter bis zum Wurm hin-

unter, der sich krümmt wenn er getreten wird. In diesem Sinne dürfen wir dem Schwachen, ja dem Feigen selbst Charakter zuschreiben: denn er gibt a u f . . was . . nicht zu seiner Natur gehört; PücklerMuskau 1834 Tutti-Frutti II 275 Ich ziehe jedoch der Idylle die Ballade, den Roman, die Romanze vor, und liebe daher mehr die Orte, wo die Natur in erhabenerem, geheimnißvollerem Character gearbeitet hat; Hegel 1835 Ästhetik (X 1,302) Wir haben .. den Charakter nach drei Seiten hin zu betrachten: .. als totale Individualität, .. als Besonderheit, .. als in sich fester Charakter; Herbart 1841 Vorlesungen 115 Die regelnde Zucht beginnt, wenn der subjektive Teil des Charakters .. anfängt sich zu zeigen, gewöhnlich im spätem Knabenalter; Kohl 1844 Brit. Inseln II 64 wenn man .. erwägt, daß . . die Tendenz jedes Individuums in England dahin zu gehen scheint, das eigene Selbst, den eigenen Charakter in seiner Eigenthümlichkeit auszubilden und zu offenbaren; Freytag 1847 Waldemar (I 280) Mann von Charakter; Hettner 1850 Schule 97 Die Charaktertypen der alten Tragödie; Guseck 1851 Salvator l 124 ein reicher Anlass zu Charakterstudien; Eichendorff 1854 Drama 36 Doppelcharakter aller Kunst; ebd. 143 Bühnencharaktere; ebd. 167 Es ist daher für den Dichter, der wirksam sein will, der Charakter wenigstens ebenso viel werth als das Talent; Niendorf 1854 Paris 206 Charakterkopf; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVlll 126) Er malte am liebsten schöne Weiber nach der Natur oder solche männliche Köpfe, deren Inhaber Geist, Charakter und etwas Erlebnis besaßen; ebd. XX 202 f. eine ganze Kolonie kleiner Kindergräber, dann wieder eine größere oder kleinere Familie großer Gräber und so fort, welche alle in verschiedenem Charakter bepflanzt und mit Blumen besetzt waren; Gervinus 1860 Leben 2 Seine drei Söhne waren Naturen von einer Stärke der Charakterprägung, und zugleich von einer Gegensätzlichkeit, die nicht größer und schroffer erdacht werden könnten; Holtet 1860 Eselsfresser II 187 Ein Zeitraum . . hatte Clara zur vollkommenen, von jedem leisesten Vorwurf, vom Schatten eines Argwohns freien, charakterfesten, selbständigen Dame . . gemacht; ders. 1863 Letzte Komödiant II 105 Charakterfach; 2864 Staatswb. VIII 205 Indem ferner im Verkehr die Werthschätzung von Vielen gesellschaftlich und gleichartig geschieht, erhält sie einen öffentlichen Charakter, die Gewähr der Uebereinstimmung Vieler, einer wirthschaftlichen communis opinio; Gregorovius 1867 Wanderjahre IV 158 Weltcharaktere; Holtzendorff 1869 Principien 160 Rechtscharakter des Staates; Hillebrand 1874 Frankreich 53 charakterfest vor allem und willensstark leitet sie den Mann, wie den Bruder oder den Sohn; Eckstein 1876 Satir. Zeitbilder 53 In der Tiefe seines Herzens betrachtet der

Charakter deutsche Professor diese Leute als untergeordnete Charaktere; Kürnberger 1877 Herzenssachen 254 Kunstcharakter; Hillebrand 1881 Jahrh. d. Revol 246 die Frauen halten sich nicht gerne beim Analysiren auf, d. h. beim Auflösen und Tödten des Lebendigen, und sie sehen meist auch viel richtiger als wir in Charakteren und Verhältnissen; Gottschall 1885 Totenkl. 270 der . . sich einen unabhängigen Charakter und reine Hände bewahrte; Nietzsche 1886 Morgenröte (W. l 1134) Man sagt mit großer Auszeichnung: „das ist ein Charakter!" — ja! wenn er grobe Konsequenz zeigt, wenn die Konsequenz auch dem stumpfen Auge einleuchtet! Aber sobald ein feinerer und tieferer Geist waltet und auf seine höhere Weise folgerichtig ist, leugnen die Zuschauer das Vorhandensein des Charakters; Walloth 1887 Praxis 9 suchte ihre . . Gemütserschütterung mit der ganzen Kraft ihres starken Charakters niederzuhalten; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 251) sie trug Sorge, dieser Zusammenkunft den Charakter einer Sitzung, eines Familienrates zu verleihen; Mohl 1902 Lebens-Erinn. 332 Seine Empörung hierüber war grenzenlos, und seine Gespräche nahmen jetzt einen so bitteren Charakter an, daß es unangenehm wurde, sie anzuhören; Freud 1905 Drei Abhandlungen (Studienausg. V 73) Der hysterische Charakter läßt ein Stück Sexualverdrängung erkennen, welches über das normale Maß hinausgeht; Rilke 1910 Brigge (W. VI 775) Ich bin diesen Versuchungen erlegen, und das hat gewisse Veränderungen zur Folge gehabt, wenn nicht in meinem Charakter, so doch in meiner Weltanschauung, jedenfalls in meinem Leben; Sternheim 1915 Scharmante 82 Obwohl ich die höchste Bewunderung für den Komplex seelischer Vorgänge hege, aus dem besteht, was die Menschen „Charakter" nennen; Freud 1917 Vorlesungen (Studienausg. l 583) das Anwendungsgebiet der analytischen Therapie sind die Übertragungsneurosen, Phobien, Hysterien, Zwangsneurosen, außerdem noch Abnormitäten des Charakters, die an Stelle solcher Erkrankungen entwickelt worden sind; Hauptmann 1918 Ketzer (V 484) Die Art der ersten Begegnung war merkwürdig. Ein besonderer Umstand gab ihr den Charakter einer Zufälligkeit; Kretschmer 1921 Körperbau 184 Unter Charakter verstehen wir die Gesamtheit aller affektiv-willensmässigen Reaktionsmöglichkeiten eines Menschen, wie sie im Verlauf seiner Lebensentwicklung entstanden sind; Freud 1923 Das Ich u. das Es (Studienausg. Ill 300) Durch den Untergang des Ödipuskomplexes hätte so die Männlichkeit im Charakter des Knaben eine Festigung erfahren. In ganz analoger Weise kann die Ödipuseinstellung des kleinen Mädchens in eine Verstärkung ihrer Mutteridentifizierung .. auslaufen, die den weiblichen Charakter des Kindes festlegt; Tillich 1926

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Religiöse Lage 36 daß große geistige Gestalten in der geschichtlichen Schau zu mythischen Charakteren werden; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 42 Die an diesem Seienden herausstellbaren Charaktere sind . . nicht vorhandene „Eigenschaften" eines . . Seienden, sondern je ihm mögliche Weisen zu sein; 1927-28 ZfMenschenkunde 151 Ebenso sind die in bezug auf ihren Symbolcharakter mehrdeutigen Ausdruckserscheinungen nur im Zusammenhalt mit allen beobachteten Neigungen zu deuten; Voss. Ztg. 10. 5. 1929 Das Gesamtthema .. hieß „Charakterforschung"; Heilborn 1929 Revolutionen U 102 Charakterfrage; 1929 Berl. lllustr. Ztg. Nr. 19 Wir wissen heute, daß das Schlagwort „Handschrift und Charakter" irreführend ist, daß Handschrift und Charakter keineswegs zwei sich unter allen Umständen gegenseitig bedingende Begriffe sind, sondern daß der „Charakter" nur einer jener Faktoren ist, die unsere Handschrift beeinflussen; Döblin 1929 Alexanderplatz 408 Zehn Jahre Zuchthaus für Reinhold, Totschlag im Affekt, Alkohol, triebhafter Charakter, verwahrloste Jugend; Th. Mann 1930 Erz. (W. Vlll 696) Jedenfalls hatte der Gaukler praktisch aus dem wahren Charakter seiner Wirkungen von Anfang an wenig Hehl gemacht; 1930 Berl. lllustr. Ztg. Nr. 9 Auf manchen dieser Drucksachen findet sich das Wort „Charakterdarlehen". Deshalb nämlich, weil beim Geschäft der Charakter des Darlehnsbewerbers eine nicht unwichtige Rolle spielt; Roracher 1934 Charakterkunde 12 Die .. Charakterkunde, welche die Beziehung zwischen Körperbau und Charakter besonders hervorhebt; 1934 Volk u. Reich 650 Übergangscharakter der Abrüstungsbestimmungen; Uexküll 1936 Welten 50 Alle Persönlichkeiten der Weltgeschichte wurden zu scharfumrissenen Charakteren, deren Handlungen wir vor uns sich abspielen sahen wie in einem Shakespearischen Drama; Th. Mann 1939 Lotte (W. 11 671) Es gehört Charakter dazu, in solcher allgemeinen Erweichung fest zu bleiben; Freud 1939 Der Mann Moses (Studienausg. IX 570) selbst der große Goethe, der in seiner Geniezeit den steifen und pedantischen Vater gewiß geringgeschätzt hat, entwickelte im Alter Züge, die dem Charakterbild des Vaters angehörten; Schneider 1941 Person und Charakter. Charakterformen und Charakterformer (Titel); Brecht 1941 Mutter Courage (Ges. W. IV 1405) Schauen Sie die Pfeif an, wenn Sie mir nicht glauben. Sie müssen zugeben, daß sie allerhand von seinem Charakter verrät; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI539) Wir Juden haben alles zu fürchten vom deutschen Charakter; Klemperer 1947 LTI 9 Die Ausbildung des Charakters nimmt für Hitler ausdrücklich nur die zweite Stelle ein; Eich 1950 Prüfung (Ges. W. II 302) Kollege Wolburg war einer unserer besten Lehrer und allgemein beliebt .. Ein

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Charakter

untadliger Charakter!; Benn 1951 Probleme d. Lyrik (Ges. W. l 528) Die monologische Kunst, die sich abhebt von der geradezu ontologischen Leere, die über allen Unterhaltungen liegt und die die Frage nahelegt, ob die Sprache überhaupt noch einen dialogischen Charakter in einem metaphysischen Sinne hat; ND 26. 3. 1954 Das entspricht dem Charakter unserer Partei und den Traditionen der revolutionären Arbeiterbewegung; Heisenberg 1955 Naturbild 13 Eine entscheidende Veränderung im Charakter der Technik aber hat sich wohl erst mit der Entwicklung der Elektrotechnik . . vollzogen; Arbeitgeber 5. 6. 1957 Vereinbarung, deren „Versuchscharakter" erst bei der letzten Erneuerung im Jahr 1954 fallen gelassen wurde; Bense 1958 Ästhetik 33 Zeichencharakter; Jaspers 1958 Atombombe 62 die .. Erfahrungen von der Mannigfaltigkeit menschlicher Charaktere; ND 22. 6. 1959 Gier und Hunger nach Reichtum und Macht prägten den Charakter der herrschenden Klasse; Grass 1962 Blechtrommel 416 das Gespräch, das er mit Schwester Beate führte, habe rein dienstlichen Charakter gehabt; Bollnow 1962 Mass 176 Bezeichnet man, in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch der modernen Charakterkunde, das inhaltlich angebbare seelische Wesen des Menschen, das ihn als ein jeweils besonderes von anderen unterscheidet, als seinen Charakter, nimmt man diesen Begriff also zur Beschreibung seiner seelischen Eigenart (nicht im engeren sittlichen Sinn, der sich im Gegensatz von Charakterstärke und Charakterlosigkeit ausdrückt), so kann man sagen, daß der Charakter wesensmäßig an das von außen, d. h. von einem ändern Menschen her gesehene Bild des Menschen gebunden ist. Das Bild des Charakters bildet sich nur für einen von außen kommenden Blick; Heuss 1963 Erinn. 144 geblieben ist mir der seelische Duft, da ein Haus mit seinen persönlichen Intimitäten im Begriff war, für den Besucher einen musealen Charakter anzunehmen; Fränkel 1964 Deutschland 190 Das von G. Freytag vor etwa 100 Jahren geprägte Wort, die Politik verderbe den Charakter; Stave 1964 Leute 279 „Charakter" ist für ihn . . eine gleichbleibende gesellschaftliche Verhaltensweise, die für einen breiten Querschnitt der Bevölkerung bestimmend ist; FAZ 30. 12. 1965 Nur dürften diese Gespräche keinen offiziellen Charakter haben; ND 20. 5. 1969 ein neuer Baustil . ., der vor allem dem Stadtbild Ostberlins einen typischen Charakter verleiht; Andersch 1971 Kirschen 22 Die meisten Genossen trugen schlechte Kleider, aber sie hatten gute Köpfe, und jeder von ihnen war ein Charakter für sich; Hildesheimer 1977 Mozart 202 Sie [die Briefe] tragen den Charakter einer Ausflucht; Zeit 15. 3. 1985 Louis Brandeis . ., der ein gleich bedeutender Kopf und Charakter war; MM 22. 6. 1985

Nicht nur die Noten entscheiden .., ob jemand ins Gymnasium wechselt, sondern auch ein ordentlicher Charakter; ebd. 28. 12. 1985 Mit Hilfe einer Charakteranalyse . . versuchen Firmen zu prüfen, ob ein Bewerber für eine bestimmte Position geeignet ist; Zeit 21.3. 1986 Was tatsächlich in dem Bunker geschieht, sind . . Ausbrüche der Testpersonen, die die drei völlig unterschiedlichen Charaktere in kaum mehr erträgliche Situationen bringen; ebd. 18. 4. 1986 Cossiga . . ist . . ein Mann von Charakter; ebd. 2. 5. 1986 Sechs Personen nehmen die extreme Situation zum Anlaß, mit der Motivation zum skandalösen Affront gleichzeitig den Schlüssel zu Peters Charakter zu finden; MM 16. 9. 1986 Einteiligkeit und Mehrteiligkeit, Biegung, Gabelung, Windung und Versetzung geben den Arbeiten ihren Charakter; Zeit 20. 3. 1987 Es gibt keinen Prosatext dieses Autors, der nicht zugleich von den Bedingungen des Schreibens und der Literatur handelt. Hier . . steht gleich nach der ersten kleinen Geschichte . . eine Notiz mit Werkstatt-Charakter: „Wer weiß, weshalb einer seine Stimme erhebt"; MM 1.10.1987 Eine Anzahl nicht kontrollierbarer Unwillkürlichkeiten fließt unbewußt in den Schreibvorgang ein. Dadurch erhält jede Handschrift ihren unverwechselbaren Charakter; Rhein. Merkur 6. 10. 1989 Die militärische Sicherung des Friedens ist . . in Zukunft unverzichtbar. Allerdings ändert sich der Charakter der Bedrohung; Frankf. Rundsch. 22.2.1990 Es wurden Lieder mit kämpferischem Charakter gesungen; Spiegel 18.1. 1993 Nach bewährtem Muster suchten sie mit indiskreten Fragen den Charakter der Beschwerdeführerin in Frage zu stellen; ebd. 6. 9. 1993 Wieviel Charakter muß ein Genie haben? .. Gelten moralische Prinzipien überhaupt als universale Konstanten?; ebd. 6. 6. 1994 Da ist es dann eine Charakterfrage, was er davon seiner Uni angibt; ebd. 11.7.1994 hat Moretti .. die Hauptrolle gespielt, das erste Charakterschwein in seiner Laufbahn, einen sozialistischen Politiker, dessen Haupttätigkeiten Schmiergeldbeschaffung und Stimmenkauf sind. charakterlich: 1929 Nord u. Süd Lll 219 Abgesehen von diesem Vorbehalt gibt es keine andere Einschränkung, die sich auf irgendeine Rasse oder Nationalität bezieht und die Einwanderung des Einzelnen aus gesundheitlichen, charakterlichen oder aus Gründen der bisherigen Lebensführung verbietet; 1929 Dtsch. Rundsch. LVI 181 charakterliche Defekte; Lokal-Anz. 30. 5. 1934 charakterlich auf die Militärzeit vorbereitet; NS-Erzieher 16. 9.1935 Die höhere Schule des neuen Deutschlands muß die Schüler und Schülerinnen charakterlich, körperlich und wissenschaftlich bilden; 1935 Dtsch. höhere Schule 367 körperlicher Zucht und charak-

Charakter terlicher Sauberkeit; Münch. N. N. 17.1.1938 charakterlichen Eigenschaften; ebd. 24. 3. 1941 Es ist klar, daß der Meister alle klanglichen und sozusagen individuellen (charakterlichen) Möglichkeiten der Instrumente in geistreichster Weise ausgenutzt hat; Klemperer 1947 LT1 20 Wie viele Male . . habe ich seit dem Mai 1945 in Funkreden, in leidenschaftlich antifaschistischen Kundgebungen . . von „charakterlichen" Eigenschaften . . sprechen hören! Das sind Ausdrücke aus dem Zentrum . . der LTI; Sternberger/Storz/Süskind 1957 Wb. d. Unmenschen 43 Und selbst wenn das zur Eigenschaft erhobene „Charakterlich" sich ausnahmsweise einmal dem Subjekt nähert, das allein Charakter sein oder haben kann, wenn man nämlich vom „charakterlichen Verhalten" oder von der „charakterlichen Haltung" redet, so hört man alsbald schon wieder die Knute sausen, denn das „Verhalten" unterliegt der Zensur, die „Haltung" . . dem Kommando; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 26 Weiß symbolisiert die charakterlich reinen Menschen; Spiegel 17. 5. 1993 Charakterliche Defizite hat jeder — ich auch. charakterlos: Schopenhauer 1818 Welt (S. W. I 393) Neben dem intelligiblen und dem empirischen Charkter ist noch ein drittes, von beiden Verschiedenes zu erwähnen, der erworbene Charakter, den man erst im Leben, durch den Weltgebrauch, erhält, und von dem die Rede ist, wenn man gelobt wird als ein Mensch, der Charakter hat, oder getadelt als charakterlos; Herbart 1841 Vorlesungen 114 alsdann soll der Erzieher dem Einprägen nachhelfen, weil ohne feste Besinnung hieran der Mensch charakterlos bleibt; Eichendorff 1854 Drama 161 Dies war so entschieden Grund, Ziel und Wesen der Romantik, daß sie verloren war, und völlig charakterlos werden mußte; Keller 1854-55 Heinrich (S. W. XVlll 120 f.) Erikson . ., der .. gern deutsch gesinnt war, wenn er um diesen Preis den großen Stock der Deutschen . . als charakterlos und aus der Art geschlagen tadeln durfte; Werther 1861 Kl. Deutschland U 196 die Völker sind wie die einzelnen Menschen, sie huldigen nur dem Glücke und springen charakterlos, wie dieses, von Einem zu dem Ändern über; Marlitt 1863 Geheimnis 151 Ich wäre bereits gebunden, und zwar an einen verhaßten, charakterlosen Menschen; Suttner 1896 High-life 109 ich bin sogar bereit, . ., mich .. in das charakterlose Gedränge des Hotels Marcy zu mischen; Bierbaum 1910 Reife Früchte 22 Dieses Interesse für einen Mann, der als charakterloser Sybarit bei allen deutschen Männern von Überzeugungstreue und Tugend hinlänglich verrufen . . ist; Keyserling 1926 Welt 33 charakterlose Produkte; Ponten 1926 Siebenquellen 38 Deeres . . sprach aus weitem großem Munde mit den schlaf-

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fen karakterlosen Rändern; Sternberger/Storz/Süskind 1957 Wb. d. Unmenschen 38 „Charakterlos" heißt ein Unwesen, welches verschwimmt, verfließt, überall entwischt und sich verwandelt, wo man es fassen will, welches von jeder Kante weicht und in jedes Loch hineinrinnt; das Charakterlose ist das schlechthin Flüssige. Charakterlosigkeit: F.Schlegel 1795-97 Über d. Studium d. griech. Poesie (Krit. Sehr. u. Fragmente l 71) Es ist einleuchtend, daß es in strengster und buchstäblicher Bedeutung keine Charakterlosigkeit geben kann. Was man so zu nennen pflegt, wird entweder ein sehr verwischter, gleichsam unleserlich gewordner, oder ein äußerst zusammengesetzter, verwickelter und rätselhafter Charakter sein; 1795 Neues Hannover. Magazin 750 Charakterlosigkeit; Klinger 1803 Betr. (XII113) Man sage und schreibe, was man will, über die moralische Schwäche oder die Charakterlosigkeit überhaupt. Ohne sie gäbe es wahrscheinlich weder Güte, Nachsicht, noch Liebe genug in der Welt; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre W 56 geistige Charakterlosigkeit; Stahl 1848 Revolution 82 Entweder der Volkswille ist das oberste Gesetz der sittlichen Welt. Oder aber es ist eine höhere sittliche Macht über dem Menschen, die Ordnungen für ihn gesetzt und geheiligt hat .. Dazwischen gibt es kein Drittes; es wäre denn die Charakterlosigkeit; Eichendorff 1854 Drama 151 ihr Charakter ist eben nur die Charakterlosigkeit einer nach allen Seiten weichlich zerfahrenen und prosaischen Zeit; Riehl 1864 Vortr. l 361 daß ihm eine Umkehr in der Politik, die jedem Parteimann als Abfall und Charakterlosigkeit angerechnet würde, als solche nicht vorgeworfen werden darf; Treitschke 1874 Jahre 510 politische Charakterlosigkeit; Walloth 1886 Seelenrätsel 217 Dann wendete sich die Gräfin zu dem stumm dastehenden jungen Mann, der im Gefühl seiner Charakterlosigkeit die Augen zu Boden schlug; Stürmer 1920 Harden 6 Man hörte schon vor und während des Krieges viele Vorwürfe . . und nach dem Kriege solche, die seinem „Vaterlandsverrat", seiner „Charakterlosigkeit" gemacht wurden; Gerstenhauer 1927 Führer 136 Bismarck hat gegen die Charakterlosigkeit, die Schwäche und Lauheit des Nationalgefühls der Deutschen oft sehr herbe Worte gebraucht; Werfel 1928 Abituriententag 39 Doch nicht nur Charakter, auch Charakterlosigkeit war ein Geschenk an die Glücklichen. Man mußte schon in Gottes besonderer Gunst stehen, um im Trommelfeuer der Erniedrigung freundlich grinsen zu können und sich alltäglich selber ins Gesicht zu spucken; Gebauer 1932 Kulturgesch. 574 im Gefolge des praktischen Lebensgefühls zeigt sich, wie einst um das Jahr 1700, Charakterlosigkeit und Strebertum als

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grundsätzliche Haltung; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 136) und wenn Liberalismus nichts Gutes ist, unterderhand zu einem anderen Namen für Charakterlosigkeit wurde, so beweist das nichts anderes, als daß die Politik eben alles verdirbt; Herzfeld 1954 Aufs. 56 Charakterlosigkeit in öffentlichen Dingen; Jaspers 1958 Atombombe 139 Neutralismus (der wegen seiner Blindheit und Charakterlosigkeit so verächtlich ist wie Verrat); MM 16.1. 1985 Nachdem sich Vargas aber zum Demokraten gemausert hatte, trug Neves keine Bedenken, dem früheren Gegner als Justizminister zu dienen — und niemandem kam es in den Sinn, ihn deshalb der Charakterlosigkeit zu bezichtigen. charaktermäßig: Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 449) zu gut weiß ich, wieviel es gerade für mich hier zu bewundern gibt: Menschlich-Charaktermäßiges mehr noch als bloß Talentmäßiges; Sternberger/Storz/Süskind 1957 Wb. d. Unmenschen 41 „Charakterlich" ist ein Bei- und Winkelwort ohne Wesen, eine überflüssige Ortsangabe. Das gleiche gilt von der Abart „charaktermäßig",

die einer neuerdings ins Kraut schießenden Wortbildungsmanie folgt. charaktervoll: 1810 Almanack a. Rom I 133 Bestimmtes Auffassen der Individualität jeder von ihm vorgestellten Person, so dass die ihr eigenthümliche Seele charaktervoll und lebendig hervorgeht; 1842 Naturgesch. d. dtsch. Studenten 63 charaktervolle Originalität; Keller 1854—55 Heinrich (S. W. XX 233) Andere [Bilder], wenn auch von dunkleren örtlichen Pinselieren gemalt, machten sich durch ihren charaktervollen Gegenstand und dessen Schicksal geltend, das ihnen auf der Stirne stand; Vischer 1860 Krit. Gänge N. F. 1161 ihr Bild mit dem eigenthümlichen, charaktervollen historischen Gepräge; Rieht 1871 Vortr. l 65 charactervollster Einzelschönheit; Bern 1875 Auf schwankem Grunde 75 wenn ich selbst als charaktervoller Mensch, um die Schuld eines Augenblicks zu sühnen, Natalie heiraten würde; Baum 1929 Menschen 184 Es ist kein Zweifel, daß dieser Generaldirektor Preysing ein grundanständiger Mensch ist, charaktervoll, ein guter Gatte und Vater. HK

charakterisieren V. trans., Mitte 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. caracteriser (über mlat. characterizare 'kennzeichnen' zurückgehend auf griech. 'mit Merkmalen versehen', zu , —> Charakter). 1 Zunächst vereinzelt in der Bed. 'mit einem Zeichen versehen, prägen', auch adj. im Part. Perf. (—»· Charakter 1). 2 Von Anfang 18. bis ins 19. Jh. in der Bed. 'einen Rang, Titel verleihen' (—» Charakter 2); häufig adj. im Part. Perf. charakterisiert, in Wendungen wie eine charakterisierte Person, ein charakterisierter Minister 'jmd., dem das Amt eines Ministers verliehen ist'. 3 Seit Anfang 18. Jh. in der heutigen Bed. 'jmdn./etwas kennzeichnen, auszeichnen, mit einem typischen Merkmal versehen, in seiner Eigenart darstellen' (—> Charakter 3), in Wendungen wie gut, treffend, schlecht charakterisieren, näher charakterisieren, gelegentlich auch reflex, (s. Belege 1767, 1789), auch im Sinn von 'für jmdn./ etwas kennzeichnend, ein typisches Merkmal sein' (s. Belege vor 1822, 1965), z. B. zahlreiche Seen charakterisieren das Land, die Werbesprache ist durch kurze Sätze charakterisiert; häufig auch adj. im Part. Präs, charakterisierend und im Part. Perf. charakterisiert gebraucht; dazu seit früherem 20. Jh. die selten belegten Suffixbildungen charakterisierbar Adj. 'kennzeichenbar, in seiner Eigenart darstellbar' und Charakterisierbarkeit F. (-; ohne Pl.) 'Möglichkeit der Kennzeichnung, der typisierenden Darstellung'; seit Mitte 18. häufig das Verbalsubst. Charakterisierung F. (-; -en) 'Kennzeichnung, Schilderung der wesentlichen Eigenschaften, Merkmale einer Person oder Sache, Darstellung typischer Wesenszüge', in Wendungen wie treffende, falsche, nähere Charakterisierung, zur Charakterisierung einer Person/Sache (als etwas), eine Charakterisierung trifft (auf jmdn./etwas) (nicht) zu. Seit Mitte 18. Jh. die zunächst gelegentlich in der Nebenform charakterisch belegte adj. Ableitung charakteristisch 'etwas/jmdn. wesenhaft auszeichnend, typisch, kenn-

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zeichnend, merkmalhaft', in Wendungen wie charakteristischer Unterschied, charakteristische Eigentümlichkeit, Merkmale, adv. gebraucht in den Wendungen etwas ist jmdm. charakteristisch (eigen), etwas ist für etwas/jmdn. charakteristisch; von Anfang an häufig subst. gebraucht. In der Kunsttheorie des späten 18. Jhs. zur Bezeichnung künstlerischer Produktionen in positiver Ausdeutung (s. Beleg 1800), in der Romantik als Kennzeichen der modernen Poesie zusammen mit den Merkmalen 'das Interessante, das Individuelle' abwertend beschrieben und dem objektiv und ohne Interesse gefallenden Schönen der antiken Posie entgegengesetzt (s. Belege 1795—97, um 1798), danach z. B. von Schopenhauer (s. Beleg 1819) und Solger (s. Beleg 1829) in der Reflexion über das Schöne wiederaufgenommen. Im frühen 17. und 18. Jh. vereinzelt, seit Mitte 18. Jh. kontinuierlich belegt die aus frz. caracteristique (subst. Adj.) übernommene subst. Ableitung Charakteristik F. (-; -en), zunächst in der fachspr. (Mathematik) Bed. 'Mal, Kennzeichen' (zu 1); seit Mitte 18. Jh. in der heutigen Bed. 'treffende Schilderung der Wesenszüge einer Person oder Sache, kennzeichnende Darstellung' (s. o. Charakterisierung), in einer Wendung wie eine (treffende) Charakteristik (geben), vgl. den Titel „Charakteristiken und Kritiken" der Brüder Schlegel (1801), wohl nach Shaftesbury's „Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times" von 1711 (1768 ins Dtsch. übersetzt unter dem Titel „Characteristicks, oder Schilderungen von Menschen, Sitten, Meynungen und Zeiten"); daneben auch im Sinn von 'Eigenart, Wesen, Gesamtheit typischer Kennzeichen' (-» Charakter 3; s. Belege 1760, 1852, 1994) (zu 3); dazu seit Ende 18. Jh. die selten belegte Personenbezeichnung Charakteristiker M. (-s; -) 'jmd, der eine Person oder Sache in ihren wesentlichen Merkmalen schildert, darstellt'. Seit Mitte 18. Jh. die zunächst in der gräzisierenden Form Charakteristikon belegte latinisierte Gelehrtenbildung Charakteristikum N. (-s; Charakteristika) 'wesenhaftes Kennzeichen, typisches Merkmal'. Seit späterem 19. Jh. die neoklassische Kombination Charakterologie F. (-; -n ungebr.) 'Wissenschaft von Wesen und Entwicklung des Charakters, Charakterkunde' (—» Charakter 3), die Berufsbezeichnung Charakterologe M. (-n; -n) 'Forscher auf dem Gebiet der Charakterologie, Wissenschaftler der Charakterkunde' und die adj. Ableitung charakterologisch (ohne Steigerung) 'die Charakterologie betreffend, auf ihr beruhend', bisweilen auch gleichbed. mit charakterlich (—» Charakter 3) (alle zu 3). charakterisieren 1: Schottel 1641 Sprachkunst 43 daß in Teutscher Sprache dieselbigen Zeitwörter/ wodurch man einem dinge nachahmet/ . . müssen auff iren formiret werden/ . . Carracterisiren; ders. 1663 Haubt Sprache 568 Characterisiren und rund bezeignen. charakterisiert: Lebenwaldt 1680 Teufels List I 52 mit einem Characterisirten kupffern Plechl. Charakteristik: Briggs 1617 (Müller, Math. Vok. 225) Charakteristik; Wolff1710 Anfangs-Gründe l 245 Denn die erste Zahl des Logarithm! wird die characteristica genennet, weil man daraus siehet, zwieschen welche Haupt-Zahlen der Logarithmus fällt (beide SCHIRMER, Mathematik); Meiners

1775 Religionsgesch. 318 die Epistolische oder gewöhnliche alphabetische Schrift, und endlich die Hierogrammatische, oder geheime Charakteristik der egyptischen Priester. charakterisieren 2: Callenbach 1714 Wurmland 41 Die Doctor müssen characterisirt seyn; Marperger um 1720 Reisen 17 da die meisten solcher Leute gemeiniglich in sehr armseeliger Figur zu uns kommen, selbige etliche Jahr hernach sehr bereichert, und caracterisiret wieder von uns weggehen; 1839 DV/S l 21 das sogenannte Charakterisiren der Nobilitäten des Tages. charakterisiert: Callenbach 1714 Wurmland 45 Eine characterisirte Person muß nicht so bas trac-

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tirt werden; Rohr 1729 Herren 254 bißweilen wird denen ordentlichen Gerichts-Beamten . . nach Gelegenheit noch ein höherer characterisirter Minister adjungirt; Niedermayr 1836 Belohnungen 32 charakterisierter Oberleutnant; 1859 Staatswb. IV 242 Eminentere Privilegien als den übrigen diplomatischen Personen kommen nach Völkerrecht den charakterisirten Gesandten oder öffentlichen Ministern der vier Klassen zu; Rabenstein 1891 Dtsch. Soldatengesch. 10 characterisirter Major. charakterisieren 3: Callenbach 1715 Genealogie 9 Man wird ihn zweiffels ohne besser characterisirt haben; Fassmann 1729 Narr Vorr. 32 Indessen will ich doch probiren, ob ich sie characterisiren, oder denenselben solche Merckmahle beylegen kan, daran man sie gar leichtlich erkennen mag; Gottsched 1742 Versuch 29 Anm. finden sich Leute, die keine Person zu characterisiren wissen, und z.E. dem Apollo, anstatt der Leyer das Bild der Klugheit in die Hand geben; Lambert 1764 Organen l 298 um diesen Fall . . näher zu characterisiren; Herder 1767 Dtsch. Litteratur (S. W. / 144) Beobachtungen über Fehler und Tugenden . . characterisiren den hohen kritischen Geist; ebd. l 431 wie sie in der Anlage des Plans, in der Fortführung der Ideen u.s.w. sich charakterisirten; Bürger 1776 Br. l 288 Seine meisten Arbeiten characterisirt ein heller philosophischer Geist; Riesbeck 1783 Br. I 295 Gestern sah ich einen Auftritt, der die hiesigen Einwohner und die Polizey stark charakterisirt; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 78) überall . . charakterisirt sich der erfindende Menschliche Geist; Novalis 1798 Verm. Bemerkungen u. Blüthenstaub (Sehr. II 428) Was Schlegel so scharf als Ironie karacterisirt; Berenhorst 1798 Kriegskunst II 322 Man siehet daneben mit Unlust, wie weit der brave Feldherr durch das Prinzip der überreifen Ueberlegung, durch die Prätension, die Sachen wohlbedächtig bey allen Enden anzugreifen, welche von alten Zeiten her die Kriegsoperazionen des Wiener Kabinets karakterisierten; Beckmann 1800-1805 Erfindungen V 256 Dieses Salz hat wenig oder nichts, wodurch jene Schriftsteller es hätten characterisiren können; Seume 1803 Spaziergang ("W. 7 456) Das langgestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf dem Sattel, .., das Glas, der Finger, der Krummstab, der große antike Weinkrug . ., alles charakterisiert bitter, auch ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; 1811 Almanack a. Rom II Vorerinn. X Charakterisiren Ernst und Würde vorzüglich den Stil aller Sculptur, so sind Anmuth, Leichtigkeit und Lieblichkeit des Vertrags vorzügliche Eigenschaften der Malerei; Goethe 1814 Br. (WA IV 25,60) Einen Julius Roman, der ihn ganz carackterisirt; E. T.A.Hoffmann vor 1822 Poet. W. 1513 [Mißtrauen] das ihn ehrt, da es den echten

Künstler charakterisiert (WOG); 1852 Prutz' Museum l 456 ungetrübte Natur und jungfräulicher Adel charakterisiren ihr Spiel; Eckstein 1876 Satir. Zeitbilder 65 Es charakterisirt . . der Eine der beiden Disputanten ganz beiläufig das Verfahren der neapolitanischen Regierung nach dem Sturze Napoloen's I. als eine bübische Gemeinheit; Ranke 1877 Erhebung Preussens 209 es war etwas in ihm, das den großen Mann charakterisiert; Falke 1897 Sie war reizend 7 Diese kleine Episode darf nicht unerzählt bleiben. Sie charakterisiert meine Frau oder vielmehr alle Frauen; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 38 Ontologie und Phänomenologie sind nicht zwei verschiedene Disziplinen neben anderen zur Philosophie gehörigen. Die beiden Titel charakterisieren die Philosophie selbst nach Gegenstand und Behandlungsart; Lokal-Anz. 1.1.1933 Das Jahr 1932 bleibt charakterisiert als eines der schwersten Krisenjahre; Süddtsch. Ztg. 22.12. 1950 Darnach müsse eine neue Bundesregierung gebildet werden, wobei die einzelnen ost- und westdeutschen Länder die politische Form, die sie heute „charakterisiere", behalten könnten; Lorenz 1965 Verhalten l 160 In manchen Fällen . . ist der Elternkumpan durch seinen Lock- oder Führungston für den Jungvogel charakterisiert (DUDEN 1993); FAZ 3. 3. 1971 Das ändere jedoch nichts am Kern der Nachricht, die von der Athener Regierung als „frei erfunden" charakterisiert worden war; Zeit 29.3. 1985 Deshalb hat man solche methaphorische Endungen beim Charakterisieren von Personen auch nicht mit gängigen Feuilletonismen zu verwechseln. charakterisierend: 1743 Samml. crit. Sehr. X 20 In dem Vortrage des Gedichtes ist darum ein characterisierender Lobspruch unnützlich und unnöthig; Matthisson 1792 Frankreich (U 327) Der Aufzeichnung einer den Zeitgeist scharf charakterisirenden, in der Familie des Gastwirths gemachten, Entdekkung; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland l 203 die Sachsen charakterisirenden Lehmhäuser; Hufeland 1797 Kunst 14 sein . . ihn karakterisirender Nähme; Büchner 1898 Sterbelager 364 Anzeichen der das Ende des Jahrhunderts charakterisierenden Decadence; Heilborn 1929 Revolutionen II 120 Wenig essen und trinken war ein betont charakterisierender Zug des nunmehr überwundenen Frauenideals gewesen; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 49 die eigentümliche, künstlerisch-gehobene, den Autor gleich einem Fingerabdruck charakterisierende Schreibart. charakterisiert: Lambert 1764 Organen l 290 so wird man im letztern einen völlig characterisirten Anlaß zur Anwendung der Regel des erstem finden; Lessing 1767—68 Dramaturgie (S. Sehr. X

charakterisieren 137) Man hat den Ausdruck überladen . ., bis aus charakterisirten Personen, personifirte [!] Charaktere . . geworden sind; 17X2 Leipz. IntelligenzEi. 404b in einem, mit fruchtbarer Feuchtigkeit und warmen Sonnenschein, sonderlich im August und September, charakterisirten Jahre; Matthisson 1786 Rheinfahrt (U 23) der Verfasser habe dadurch ihn der Mühe vollkommen überhoben, von den darin charakterisirten Dichtern und Nationen ein eigenes ästhetisches Glaubenskbekenntniß niederzulegen; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 411 Wenngleich sich das Besorgen der Zeit in der charakterisierten Weise der Datierung aus umweltlichen Begebenheiten vollziehen kann. charakterisierbar: Jaspers 1932 Philosophie 213 sind sie in den durchgehenden und unkomplizierten Linien charakterisierbar als faktisch verendlichte Pole; Kelsen 1934 Rechtslehre 96 Es gibt .. keine — als positiv-rechtlich charakterisierbare — Methode, nach der von mehreren sprachlichen Bedeutungen einer Norm nur die eine als „richtig" ausgezeichnet werden könnte. Charakterisierbarkeit: Jaspers 1958 Atombombe 346 Was Thukydides in allem Realismus vor Augen hat, zeigt sich in der Rede des Perikles und in dessen Gestalt, die ohne alle Psychologie, ohne Charakterisierbarkeit wie die Vernunft selber als Norm dasteht. Charakterisierung: Götz 1742 Br. 9 Wie glückseelig war ich wenn ich die izt gemeldete Schöne noch vorher erblicken könnte, um die Stärke des Dichters in der poetischen Mahlerey . . nach der Characterisirung derselben beurtheilen zu können; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien 10,60) was sollen wir uns lange bey der Gottheit nach eigenen Determinationen der Aemter umsehen? was sollen wir uns nach einer anderen Characterisirung der Göttlichen Personen umsehen, als die uns nach Anleitung der heiligen Schrift der Grund-Punct des menschlichen Familien-Wesens gibt?; Lambert 1764 Organon U 66 indem man .. die Buchstaben jeder Sylbe zur nähern Charakterisirung des Theiles oder der Eigenschaft, die sie vorstellt, dienen macht; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 63) Die Götter und geistigen Wesen, wie sie der Künstler vorstellet, sind nicht völlig ebendieselben, welche der Dichter braucht. Bey dem Künstler sind sie personifirte [!] Abstracta, die beständig die nehmliche Charakterisirung behalten müßen, wenn sie erkenntlich seyn sollen; Reichardt 1782 Musikal. Kunstmagazin 85 die Anwendung derselben [schnellen Tonwechselungen] zum Ausdruck, zur Charakterisirung des Himmels- und des Erdenchors, die ist groß; Nicolai

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1790 Anekdoten l 37 Ein einziges Beyspiel von den sonderbaren Ausbrüchen der provenzalischen Lebhaftigkeit des Markis, will ich hier zu seiner Charakterisirung erzählen; 1810 Alamanch a. Rom I 121 Man wird leicht begreifen, warum zur Charakterisirung Raphaels als dichtenden und zugleich auch ausführenden Künstlers, nur die eben angezeigten Gemälde genannt worden sind; Böhmen um 1850 Br. zweier Handwerker 143 Der Deutsche will lieber gar nichts, wenn er nicht gleich das Beste erhalten kann .. — und es liegt in der That eine recht bittere Wahrheit in jener Charakterisirung deutscher Auswanderer, worin deren Unfähigkeit zur Colonisirung . . dargelegt wird; Daumer 1862 Mansarde VI138 Schiller's Charakterisirung in der „Gartenlaube"; 1874 Grenzboten IV 399 Der schwarze Erdtheil . . und seine Erforscher erfreuen sich einer durchaus sachverständigen, auch Erwachsene sehr befriedigenden Charakterisirung und Würdigung durch Reinhard Zöllner; 1896 Naturwiss. Wochenschr. 571 Wir haben zwei grosse Gruppen seelischer Thatsachen: Wahrnehmungen (Elemente) und Gefühlsbetonungen (Charakterisirungen); 1903 Preuss. Jahrb. CXI 23 Charakterisierung jener veralteten Methoden; Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. XI 719) Charakterisierungsmittel, die man einem Dämon an Bosheit und Sprachkunst mit widerwilligem Entzücken verzeiht; 1914 Festg. a. Blümner 234 und hatte doch meist nur römische Kopien griechischer Werke vor Augen und bloß ein paar Originale aus spätgriechischer Epoche und aus der römischen Kaiserzeit, Zeiträumen, auf die just seine Charakterisierung am wenigsten paßte; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 718) Reiche Charakterisierungskunst bewährt sich bei den Porträts von Lehrern, Kindheitsgenossen, Verwandten und Freunden; Arnolds Wochenber. 31. 12. 1930 Zur Charakterisierung der Gesamtentwicklung genügt . ., darauf hinzuweisen, daß die Verzinsung von Rentenwerten am Ende des Jahres 1930 wieder voll die Sätze des Vorjahres erreicht; Lokal-Anz. 19. 2. 1933 so träfe eine solche Charakterisierung auf Justizrat Hallensieben nicht zu; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 287) Es kann ja keinem Zweifel unterliegen, daß die sonderbar insistente und dabei unnötige, dramatisch wenig gerechtfertigte Charakterisierung der Rosaline als eines verbuhlten, treulosen, gefährlichen Weibsstückes . . einem zwanghaften . . Drange des Dichters entspringt, persönliche Erfahrungen unterzubringen; NZ. (Basel) 16. 2. 1950 Der Dichter versteht lebendig vorzutragen. Die Schilderung der Landschaft ist nicht minder spannend als die prägnante Charakterisierung der Menschen und ihres Wahns; Süddtsch. Ztg. 13. 10. 1953 hier lag offensichtlich eine Verwechslung zwischen Charakterisierung und Karikierung vor; Of-

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fenburger Tagebl. 4. 6. 1968 Glanzleistungen der subtilen Charakterisierungskunst einer psychopathischen Ueberspanntheit; Zeit 22. 2. 1985 Das Wort „Pillenknick" für das drastische Abfallen der Geburtenkurve seit der Mitte der sechziger Jahre ist zwar eine eingängige, aber falsche Charakterisierung; MM 26. 11. 1987 Dem Text gemäß, der nicht Individuen, sondern anonyme Personen zur Sprache bringt, fand instrumental nicht Charakterisierung, sondern Akzentuierung statt; Spiegel 5. 7. 1993 Wenn Sie mir unterstellen, ich würde die Interessen meiner Klientel rücksichtslos vertreten, kann ich damit leben, aber ich akzeptiere diese Charakterisierung nicht für mein sonstiges Verhalten; ebd. 3. 10. 1994 Heute bin ich sehr skeptisch gegenüber einer Charakterisierung sämtlicher Kriege, die Hitler geführt hat, als „Überfall". Charakteristik: Meier 1744 Gemüthsbewegungen 9 Der dritte Hauptabschnitt der Aesthetischen Lehre von den Gemüthsbewegungen kann die Characteristik der Leidenschaften genennt werden. Sie ist eine Wissenschaft der Zeichen unserer Leidenschaften; Lessing 1753 S. Sehr. V 159 Seine Schreibart ist lebhaft, aber ein wenig unrein, und schweifend. Er scheint in der Charakteristik ein Anfänger, welcher die Schätzbarkeit der Zeit selbst nicht erwogen hat; Meier 1755—59 Metaphysik 444 Diese Wissenschaft der Zeichen wird die Characteristik genennt; Young 1760 Originalwerke (Übers.) 29 dies ist die Charakteristik des Genies; Lambert 1764 Organon II 108 Denn wäre der Unterschied der Geschlechter etwas notwendiges für die Sprache, so forderte die Charakteristik, daß man es den Hauptwörtern selbst ansehen müßte; Lichtenberg 1764 Aphorismen l 6 Am Ende der Sammlung von Leibnitzischen Schrifften . . steht eine Abhandlung . . von der Characteristica universali; ders. 1765-70 Sudelbücher 11 Die Gesichter der Menschen sind oft bis zum Ekelhaften häßlich. Warum dieses? Vermutlich konnte die nötige Verschiedenheit der Gemüts-Arten nicht erhalten werden ohne eine solche Einrichtung; man kann dieses als eine Seelen-Charakteristick ansehen, welche zu lesen wir uns vielleicht mehr befleißigen sollten; Dusch 1770 Br. IV Vorher. V die Absicht, eine Dichtercharakteristik zu schreiben; 1772 Frankf. gel. Anz. 78 Wir vermissen gerade dagegen dasjenige, was in einem nach alphabetischer Ordnung abgetheilten Werke vorzüglich stattfinden kann, d.i. Critik, Litteratur, Charaktistik einzelner Künstler (GANZ); Goeze 1778 Streitschr. 80 daß der Pallast nach Grundsätzen gebauet sey, deren Worte und Charakteristick so gut als verloren wären; Wegelin 1783 Werth d. Geschichte 13 wenn ich der historischen Charakteristik einige Betrachtungen über das Colorit der Geschichte beyfüge;

Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 68) wenn der Mensch zu der feinsten Charakteristik sichtlicher Phänomene kommt; F. Schlegel 1795 — 97 Über d. Studium d. griech. Poesie (Krit. Sehr. u. Fragmente i 81) Nur durch eine idealische Stellung wird die Charakteristik eines Individuums zum philosophischen Kunstwerk; Goethe 1796 Br. (WA IV 11,23) alle pragmatische biographische Charakteristik muß sich vor dem naiven Detail eines bedeutenden Lebens verkriechen; Hess 1798 Durchflüge d. Deutschland VI 164 die Reisebeschreiber und Charakteristikensammler; Novalis um 1798 Anekdoten (Sehr. II 568) eine Gallerie mannichfaltiger menschlicher Handlungen, eine Karakteristik der Menschheit; Jenisch 1800 Geist u. Charakter II 9 Völker-Charakteristik; A. W. u. F. Schlegel 1801 Charakteristiken und Kritiken (Titel); Seume 1803 Spaziergang Vorr. (W. I 163) Freilich möchte ich gern ein Buch gemacht haben, das auch ästhetischen Wert zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit würde durch ängstliche Glättung zu sehr leiden; ebd. I 291 Den Herrn Fürsten Chigi kannte ich aus Charakteristiken von Rom, und hätte wohl Lust gehabt seine Besitzungen näher zu besehen; 1810 Almanach a. Rom I 238 Nun sang er sein Leiden, das ihm dieser Streit verursache, . . nebst einer trefflichen Charakteristik der neapolitanischen Justiz; Goethe 1824 Br. (WA IV 38,250) Die Holzschnitte der gedruckten Antithesis . . sind . . schwerlich von Cranach, sondern von einem Meister welchem weit mehr Charakteristik, guter Humor und Ironie zu Dienste standen; Hegel 1835 Ästhetik (X l, Vorr. X) Wenn es der Raum erlaubt, hoffe ich dem zunächst erscheinenden zweiten Bande der Aesthetik eine gedrängte Charakteristik und Uebersicht über die verschiedenen Jahrgänge der Vorlesungen . . anfügen zu können; Wackernagel 1836 Poetik 344 Von einer Art didaktisch erzählender Prosa, die eigentlich als organisches Glied in Werke der Geschichtsschreibung gehört, die aber auch öfters eine selbständige Geltung für sich in Anspruch nimmt, sprechen wir noch zuletzt besonders. Es ist dies die sogenannte Charakteristik; Burckhardt 1847 Br. III 71 Gesammtcharakteristik; Szarvady 1852 Paris l 369 Sollten wir die Charakteristik dieses Mannes . ., kurz zusammenfassen, so würden wir sagen, daß er ein Mensch ist, der nie zur rechten Zeit zu einem Entschlüsse gelangt; Rieht 1861 Vortr. I 292 Doppel-Charakteristik; Gutzkow 1878 Schwulst 71 nichtsnutzigsten Charakteristiken; Kleinpaul 1892 Sprache 172 wir kommen hier bereits ins blaue Ländchen der Übertragungen, in die stille, geheimnisvolle Sprache, die den Tageslärm ergänzt, ihn nicht selten an Bedeutung, an Charakteristik übertrifft; Th. Mann 1904 Nachtr. (W. Xlll 395) Außer dem Künstlerischen und dem Weiblichen kommt für die Charakteristik

charakterisieren der Reuter noch ein drittes Moment in Betracht; Freud 1917 Vorlesungen (Studienausg. I 295) Diese Verschiedenheit der Arbeitsweisen wurde uns zur Charakteristik der beiden Systeme; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 27 Mit der vorläufigen Charakteristik des thematischen Gegenstandes der Untersuchung . . scheint auch schon ihre Methode vorgezeichnet zu sein; Harden 1927 Versailles 252 Die nächsten Tage brachten noch zwei Reden des Kanzlers; Charakteristiken des Kaisers; in einer Ausführlichkeit, die nicht nach jedermanns Geschmack sein wird; Golems 1929 Kaufherr 141 Ich bin . . in der Lage, der großen Unbekannten auf Grund zuverlässiger Daten eine festabgegrenzte Charakteristik voranzuschicken; ND 3.9.1959 Das Lehrbuch würdigt die Verdienste der KPdSU bei der Schaffung der Kommunistischen Internationale und gibt eine kurze Charakteristik der Hauptetappen ihrer Tätigkeit; Bollnow 1962 Mass 177 Es gibt natürlich auch andre Beispiele . ., in denen die Hauptgestalt des Romans in anschaulicher Charakteristik hervortritt; MM 31. 12. 1985 Der Australier Richard Goodwin schuf ein imposantes Graphit-Tryptichon von Munchscher Charakteristik; ebd. 14. S. 1986 Jeder Buchstabe hat seine eigene Charakteristik, seine eigenen Merkmale; Rhein. Merkur 16. 3. 1990 Keiner der von ihnen für die Hochrechnung ausgewählten DDR-Stimmbezirke .. ist jemals zuvor nach seiner sozialen und politischen Charakteristik untersucht worden; Spiegel 17. 10. 1994 Magda und Eva und Emmy „flogen auf ihre Unholde und hielten eisern an ihnen fest". Die wiederum, Goebbels und Hitler und Goring, waren „Spezialausgaben der psychischen Charakteristik eines Muttersohns". Charakteristiker: 1799 Propyläen II 2,97 den ich künftig den Charakteristiker nennen werde; Goethe 1800 Sammler (WA i 47,199) Er glaubte man könne sie auch in einem gewissen Sinne Rigoristen nennen. Ihre Abstraction, ihre Reduction auf Begriffe begründe immer etwas, führe zu etwas, und gegen die Leerheit anderer Künstler und Kunstfreunde gehalten, sei der Charakteristiker besonders schätzbar; Wolff 1841 Gesch. d. Romans 444 Charakteristiker und Kritiker; 1899 ZfdA XLII1 94 Characteristiker; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 383) Wagner kann alles. Er ist ein Charakteristiker ohnegleichen; Jolles 1957 Kunstanschauung 17 Die Charakteristiker . . sind dem Weichlichen entgegengesetzt. Sie bevorzugen einseitig das Strenge, Harte und Steife früher Meister und ihrer Holzschnitte. Charakteristikum: Wieland 1757 Ges. Sehr, l 4,406 die Begeisterung, die ein Characteristicon der Ode ist; Schücking 1860 Marketenderin 9 Charakteri-

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stiken; Nordau 1881 Paris l 71 Verthierung .. ein trauriges Charakteristikum; Möller-Bruck 1899 Neutöner 31 Man wird sagen, dass das ja das Hauptcharakteristikum grosser, ganz grosser Kunst ist; 1903 Stimmen d. Zeit LXIV 481 ein Charakteristikum unserer Zeit; Kemmerich 1910 Dinge 95 Es ist ein Charakteristikum des Fortschritts, dass er in Gegensatz tritt mit dem Bestehenden; Thiess 1927 Gesicht 211 Wenn Beethoven .. in der Neunten die erlösende Macht der Freude gegen die Finsternis des Daseins stellte (dies sind, bei Gott, nicht erschöpfende Charakteristika jener erschütternden „Inhalte"); 8-Uhr Abendbl. 27. 5. 1932 Das Charakteristikum der bisherigen Beweisaufnahme ist die Nichtvereidigung sämtlicher Zeugen; Tucholsky vor 1935 W. II272 Das Soldatengespräch, dessen Charakteristikum war, daß immer einer sprach und drei nicht zuhörten (DUDEN 1993); Schwab. Landesztg. 12. 7. 1946 Es gibt kein Bürgertum mehr, dessen Charakteristika Tradition, Eigentum, Sicherheit sind, wie früher; Süddtsch. Ztg. 22. 7. 1957 Leichtigkeit und Schnelligkeit sind die Charakteristika des modernen Schulbaus; Stuttgarter Ztg. 25. 3. 1963 Denn die Geigerin beschränkte sich auf vordergründig-sentimentale Ausdruckswerte, die in dem Werk zwar vorhanden, nicht jedoch dessen einzige Charakteristika sind; Zeit 19. 4. 1985 „Langsame Viren" können ihre genetischen Charakteristika verändern; ebd. 15. 5. 1987 Charakteristika der Modellschule sind kleine Klassen .., Projektunterricht und regelmäßige Klassenfahrten; MM 29. 4. 1988 Das Naßin-Naß-Verfahren . . ist eine vergleichsweise junge Aquarelltechnik, und ein anderes, für uns heute selbstverständliches Charakteristikum auch, nämlich das Aussparen des Weiß; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 27 So werden an dieser Stelle nur einige wesentliche Charakteristika zur Sprache kommen; Süddtsch. Ztg. 6. 12. 1993 Man erkennt natürlich die Tänzer, aber ihren Rollen fehlen die Charakteristika; Spiegel 7.11. 1994 Damit sind wir wieder beim Charakteristikum dieses Jahrzehnts: Tabuzüchtung im Dienst der Aufklärung. Machtausübung, die sich als Aufklärung versteht. charakteristisch: Hamann 1762 S. W. II 160 einen characterischen [!] Unterschied; ebd. II 199 Reden ist übersetzen — .., das heist, Gedanken in Worte, — . .; die . . philosophisch und charakteristisch seyn können; Lambert 1764 Organon I 186 Die Abzählung .. solcher Umwege . . hat uns in Stand gesetzt, sie in allgemeinen Formeln vorzustellen, und sie durch eigne und bedeutende Namen gewisser Maßen characteristisch zu machen; ebd. II 25 Die Wörter, wodurch die Definition ausgedrückt wird, geben diese Namen nicht an. Sie sollten es aber thun, wenn unsere Sprachen weniger will-

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kührlich und mehr charakteristisch wären; ebd. 103 charakteristische Merkmale; Herder 1765 S. W. l 106 die sich mit einem charakterischen Zuge unterscheiden; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 9) Mich wundert, daß sie an einer ändern Stelle eine ähnliche charakteristische Entgegensetzung nicht bemerket haben; Herder 1767 Dtsch. Litteratur (S. W. / 442; wie weiß er jede merkwürdige Begebenheit dieser Stadt . . zu nuzzen: er zeichnet das Charakteristische derselben; Gatterer 1771 Einl. in d. Universalhistorie l 1,107 characteristische Wörter; Meiners 1776 Sehr. U 136 Die Denkkraft, oder Vernunft .. bezeichneten sie mit einem ganz charakteristischen Namen; Reichardt 1782 Musikal. Kunstmagazin 95 Für die Violine laß ich die Polonoise hier abdrucken, um die sehr charakteristischen Bogenstriche beizufügen, die die Polen allgemein anbringen; Engel 1785 Mimik 1233 Wenn Sie die Eifersucht des Ehrgeitzes betrachten; so gehört ihr Ausdruck bald der Scham, bald dem zornartigen Verdruß, bald der Wehmurh, ohne daß sich in allen diesen Aeusserungen das Eigne, das Charakteristische angeben ließe, welches nur der Eifersucht zukäme; Zimmermann 1785 Einsamkeit 111 482 charakteristischen Pinselzug; Wieland 1785 Rechte (S. W. XXX 145) Zur Erlangung einer richtigen Kenntniss von Nationen und Zeitaltern ist hauptsächlich vonnöthen, dass man das Unterscheidende oder Karakteristische eines jeden Volkes . . kennenlerne; Abel 1786 Seelenlehre 48 Aber wie alle Nerven, so sind auch alle Eindrücke aus allen Sinnen so wohl in dem Bild als in der Empfindung, im Allgemeinen und im Charakteristischen ähnlich; Ramdohr 1787 Malerei III 179 ein . . charakteristisches Unterscheidungszeichen; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 34) Diese Besonnenheit ist ihm Charakteristisch eigen, und seiner Gattung wesentlich; ebd. V 40 Wenn keine Vernunft dem Menschen ohne Sprache möglich war: wohl! so ist die Erfindung dieser dem Menschen so natürlich, so alt, so ursprünglich, so Charakteristisch, als der Gebrauch jener; Meiners 1793 Sitten d. Mittelalters l 244 diese charakterischen Züge; F.Schlegel 1795 — 97 Über d. Studium d. griech. Poesie (Krit. Sehr. u. Fragmente l 73) das totale Übergewicht des Charakteristischen, Individuellen und Interessanten in der ganzen Masse der modernen Poesie; Maas 1797 Einbildungskraft 60 Hierdurch unterscheidet sich der Verstand sehr charakteristisch von der Sinnlichkeit; Novalis um 1798 Anekdoten (Sehr. II 569) Karakteristische Anekdoten beziehn sich auf einen interessanten Gegenstand, sie haben nur ein fremdes Interesse, — die rein poetische Anekdote bezieht sich auf sich selbst, sie interessirt um ihrer selbst willen; Goethe 1800 Sammler (WA I 47,198) wenn meine lieben Imaginanten mit Charakterzü-

gen spielen sollen, so muss erst etwas Charakteristisches da sein; ders. 1807 Farbenlehre. Didakt. Theil (WA II 1,276) Wenn das Licht mit einer allgemeinen Gleichgültigkeit sich und die Gegenstände darstellt .. so zeigt sich die Farbe jederzeit specifisch, charakteristisch, bedeutend; Bouterwek 1807 Gesch. VI 26 eine . . Würde und Rechtlichkeit, die .. charakteristisch zum Geschmacke des Jahrhunderts gehört, das sich nach Ludwig XIV. nennt; Goethe 1814 Dichtung u. Wahrh. (WA I 28,255) In seinen Productionen . . zeigt sich . . eine glückliche Beobachtung der menschlichen Mannichfaltigkeit, und eine charakteristische Nachbildung der generischen Unterschiede; Müller 1817 Sehr. I 388 Der Aequator sind die unendlichen, charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Personen, Handlungen und Werke; Schopenhauer 1819 Welt (S. W. I 298) es ist offenbar, daß der Genius, wie er die Werke der bildenden Kunst nur durch eine ahndende Anticipation des Schönen hervorbringt, so die Werke der Dichtkunst nur durch eine eben solche Anticipation des Charakteristischen; Hahnemann 1824 Organon 123 Anm. die übrigen, die stärkern, vorzüglich ausgezeichneten (charakteristischen) . . Symptome der Krankheit; Solger 1829 Ästhetik 173 Das Schöne selbst muß durchaus charakteristisch aufgefaßt werden, und was man gewöhnlich Ideal nennt, kann hier nur in der Beziehung des besonderen Charakters auf die Idee der ganzen Wirklichkeit, des Menschen überhaupt bestehen; Hegel 1835 Ästhetik (X 1,24) dass die Basis zu einer richtigen Beurtheilung des Kunstschönen und Bildung des Geschmacks der Begriff des Charakteristischen sey; Schlesinger 1852 London I 31 Und so hätten wir denn gleich ein Stück leibhaftiger, charakteristischer englischer Industrie vor uns!; Keller 1854-55 Heinrich (S. W, XIX 63) Deswegen ist auch der Jesuitenspruch: der Zweck heiligt die Mittel! ein charakteristischer Hauptunsinn; Nietzsche 1871 Geburt d. Tragödie (W. I 97) Die Bewegung auf die Linie des Charakteristischen geht schnell weiter: während noch Sophokles ganze Charaktere malt . ., malt Euripides bereits nur noch große einzelne Charakterzüge; Hillebrand 1876 England 336 einen Aussichtspunkt, von dem aus das Charakteristischste am deutlichsten und schönsten hervortritt; Treitschke 1897 Politik I 61 Dafür ist besonders charakteristisch, wann der Begriff es Hochverraths aufkommt; Brandt 1901 Ost-Asien l 277 In für siamesische Verhältnisse recht charakteristischer Weise fuhr der . . Reisemarschall den Chinesen . . furchtbar an; Th. Mann 1920 Reden u. Aufs. (W. X 587) Lust am Charakteristischen . . ist der Ursprung aller Bejahung des Nationalen; Heidegger 1927

charakterisieren Sem u. Zeit 410 An das Besorgte vielgeschäftig sich verlierend, verliert der Unentschlossene an es seine Zeit. Daher denn die für ihn charakteristische Rede: „ich habe keine Zeit"; Greinz 1930 Golgatha d. Ehe 198 auf dem schmalen, charakteristisch geformten Kopf; Lokal-Anz. 7.4.1934 eine gesinnungsmäßige und volkscharakteristische Schulung; Klemperer 1947 LTI 20 Aber die Sprache des Dritten Reichs scheint in manchen charakteristischen Ausdrücken überleben zu sollen; ND 1.1. 1959 Was war nun das Charakteristische und Neue des vergangenen Jahres?; ebd. 16. 12. 1969 so besteht das politisch Charakteristische . . darin, daß . . die führende Rolle der Arbeiterklasse . . gestärkt wurde; Zeit 17. 5. 1985 es war ihm . . klar, daß man das eigentlich Charakteristische an der Photographie . . gegen sie ausspielen konnte; Spiegel 15. 2. 1993 Seine Verwandlung in einen von nationalem Verfolgungswahn besessenen Ideologen ist charakteristisch für einen großen Teil der serbischen Intellektuellen; ebd. 28.11. 1994 Charakteristische Veränderungen .. weisen . . auf krebsverdächtige Entwicklungen . . hin. Charakterologe: Scheller 1916 Formalismus 503 Verstehen wir weiterhin unter „Charakter" .. den gesamten Problemkreis, mit dem sich Charakterologen und differenzielle Psychologie beschäftigen; 1925 Zs. f. Menschenkunde l 92 Die Psychoanalyse, die Hemmungen und Verdrängungen aufzuklären versucht und sich mit der Charakterologie enger verbinden wird, ist für den Charakterologen . . unentbehrlich geworden; Kainz 1941 Psychologie IV 265 Bestimmte Personen sind auf die eine oder die andere Form des Lesevorgangs besonders eingestellt, was die Folge eines Mangels wie eines Vorzugs sein kann, womit das von mehreren Charakterologen mehrfach hervorgehobene Moment der Ambivalenz bestimmter Äußerungsmomente . . deutlich wird. Charakterologie: Bahnsen 1867 Beiträge zur Charakterologie (Titel); Rutenberg 1877 Zinne 159 ein tiefes Geheimniß der Charakterologie; Reuschel 1903 Volkskdl. Streif Züge 9 Charakterologie der Völker; Klages 1910 Prinzipien der Charakterologie (Titel); Kretschmer 1921 Körperbau Vorw. Ill Bausteine für eine in Theorie und Praxis einheitliche Charakterologie; Müller-Freienfels 1922 Psych. 49 Volkscharakterologie; Heidegger 1927 Sein u. Zeit 178 Diese Entfremdung . . kann . . nicht besagen, das Dasein werde ihm selbst faktisch entrissen; im Gegenteil, sie treibt das Dasein in eine Seinsart, der an der übertriebensten „Selbstzergliederung" liegt, die sich in allen Deutungsmöglichkeiten versucht, so daß die von ihr gezeigten „Charakterologien" und „Typologien" selbst schon un-

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übersehbar werden; 1927—28 Zs. f. Menschenkunde III 332 einer astrologischen Charakterologie, die die kosmischen Bedingungen etwa der verschiedenen künstlerischen oder philosophischen Veranlagungen und Fähigkeiten und ihre schöpferische Umsetzung im Werk erforschte; Lokal-Anz. 14.1. 1933 in einem Vortrag vor der Berliner Gesellschaft für Psychologie und Charakterologie; Rohracher 1934 Charakterkunde 5 Charakterologie ist also jenes Teilgebiet der Psychologie, welches die seelische Eigenart des Einzelmenschen zu untersuchen hat; Schering 1937 Zuschauer 70 Die Aktionspsychologie hat vom Organischen auszugehen und sich der Physiognomik zu bedienen. Sie ist bestimmt, das, was augenblicklich als Charakterologie bezeichnet wird, zu ersetzen; Gesemann 1943 Lebensform 32 Charakterologie des Lebensstils. charakterologisch: Hartmann 1879 Phänomenologie 187 Endlich kann sich diese aus Veränderung des Erregungsverhältnisses der charakterologischen Triebe entspringende Reue, die man kurz als „natürliche charakterologische Reue" bezeichnen könnte, sehr wohl mit der aus Veränderung der intellectuellen Kenntniss und Beurtheilung hervorgehenden vereinigen; Gaudig 1909 Didakt. Präludien 122 die ursächliche Erklärung und die charakterologische Deutung des Geschehenen .. sind wichtige Gesichtspunkte für solche Vergleichung; Müller-Freienfels 1922 Psychologie des deutschen Menschen und seiner Kultur. Ein lOlkscharakterologischer Versuch (Titel); 1927-28 Zs. f. Menschenkunde III 332 eine geisteswissenschaftliche, kombinatorisch-intuitive Sinn-Deutung seiner wesenhaften charakterologischen PersönlichkeitsStruktur; Berl. lllustr. Nachtausg. 12.3. 1934 Die „charakterologische Psychologie" müht sich, aus Deutung dieser kleinen Auswirkungen von Temperament und Charakter eine Wissenschaft zu machen; Eckle 1938 Erbcharakterologische Zwillingsuntersuchungen (Titel); Münch. N. N. 11. 6. 1942 Man sagt, das „Charakterologische" habe für Shakespeare nicht als „primär" gegolten, sondern die Spannung, die Szene, kurz und schlechthin das Theater; Westermayr 1950 Verstehen 21 man hat sich nicht die Mühe gegeben, tiefere Einsicht zu gewinnen in die charakterologischen Verhältnisse und Zusammenhänge, in die typischen Unterschiede und deren Verursachung; Hocke 1976 Tagebücher 274 Und auch sie [die Diaristen] suchten, dem schöpferischen europäischen Geistergespräch zwischen Lebenden und Toten folgend, Stützpunkte in den Leit- und Wortbildern ihrer ältesten charakterologischen „Kirchenväter". HK

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Charge

Charge F. (-; -n), Anfang 17. Jh. entlehnt aus frz. charge 'Amtsbürde; Amtswürde', eigentlich 'Last, Bürde; Auflage' (zu charger < altfrz. chargier < spätlat. carricare '(auf den Wagen) laden, beladen, belasten', zu lat. carrus 'Wagen, Karren'; —»· chargieren, vgl. dtsch. Karre(n)), früher auch in phonetischen Schreibungen wie Scharge, Scharsche, auch Scharse. 1 Zunächst in der im 17.718. Jh. belegten, bis ins 20. Jh. gebuchten militärischen Bed. 'das Laden, Beschicken (eines Gewehrs, Geschützes); Gewehr-, Geschützladung' und von daher '(Trommel-, Trompetensignal als Zeichen zum) Abfeuern der Gewehre, (Zeichen zum) Angriff, Aufeinandertreffen der Truppen' (vgl. Attacke, —·* attackieren), auch 'Truppeneinteilung, Gefechtsordnung' (s. Beleg 1733). 2 Seit frühem 17. Jh. in der allgemeinen Bed. 'Mühe, Last, Bürde; Aufgabe, der sich jmd. unterzieht, die jmdm. aufgetragen wird', von daher vor allem auf militärische oder höfische Hierarchien bezogen für 'Rang, Würde, Dienstgrad, Ehrenstelle; (mit Verantwortung verbundenes, höheres) Amt, Dienststelle' (vgl. Offizium 'Amtsbürde, Dienstpflicht', —» Funktion), daneben seltener im Sinne von '(Berufs-)Stand, Aufgabenfach, -bereich' (s. Belege 1847, 1924, 1949, 1973), speziell in der Studentensprache bezogen auf ein Amt bzw. einen Amtsträger in einer schlagenden Verbindung, gleichbed. mit Chargierter (—* chargieren 2); auch auf andere Bereiche ausgedehnt und zunehmend, bes. in Politik und Parteihierarchie, in Bezug auf Personen mit einem Dienstgrad, die Amtsinhaber verwendet (s. Belege 1927, 1954, 1960, 1985, 1987, 1989, 1990, 1993), wobei möglicherweise (vor allem in der Wendung untere/niedere Charge) der Bezug auf den Bereich des Theaters (vgl. 4) mitassoziiert wird; häufig in Wendungen wie (bezogen auf das Amt, die Aufgabe) eine Charge annehmen, bedienen, auf sich nehmen, verwalten, besetzen, seine Charge niederlegen, in eine höhere Charge aufrücken, aufsteigen, avancieren, und (bezogen auf Personen) untere/mindere/niedere bzw. obere/höhere/leitende Chargen 'rangniedere bzw. ranghöhere, leitende Militärangehörige, Dienstgrade, Beamte', auch 'Untergebene bzw. Vorgesetzte', mit einer höheren/niederen Charge besetzen, als Bestimmungswort in Zss. wie Chargenkasse, -pferd 'Dienstpferd (zum Gebrauch der Offiziere)', Chargenträger 'Chargierter (bei einer studentischen Verbindung)', und als Grundwort in (auf Personen oder Ämter bezogenen) Zss. wie Hofcharge 'Bediensteter/Amt bei Hof, Kriegs-, Feldherrn-, Offiziers-Charge, in jüngster Zeit eher okkasionell in SED-, Stasi-Charge. 3a Daneben gleichzeitig in der an die ursprüngliche Bed. (vgl. auch 1) angelehnten, bis ins 19. Jh. gebuchten kaufmannsspr. Bed. '(Schiffs-, Wagen-)Ladung, Last, Fracht', im 19. Jh. vereinzelt auch im Sinne von 'auf Industriegütern liegende steuerliche Belastung' (s. Beleg 1843—45), z. B. in Wendungen wie eine Charge legen auf etwas; mit dem dazugehörigen, im 19. Jh. (1863 bei Kaltschmidt) gebuchten, aus gleichbed. frz. chargement entlehnten Subst. Chargement '(Schiffs-)Ladung, Fracht; Ladungs-, Frachtbrief. b Eventuell von daher seit früherem 20. Jh. in der Technik (Hüttenwesen) in der Bed. 'vom Fassungsvermögen einer Produktionseinrichtung abhängige Material-, Beschickungsmenge; erforderliche Ladungsmenge, aus der die Füllung (z. B. von metallurgischen Öfen, Betonmischern, Brennöfen u. ä.) besteht'; in der Chemie auch im Sinne von 'für eine chemische Umsetzung zusammengestellte Substanz, die in einem Arbeitsgang verarbeitet wird', speziell im Pharmabereich für 'Serie, Menge in einem Arbeitsgang, mit gleichen Rohstoffen und in gleicher Zusammensetzung

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hergestellter und verpackter Arzneimittel, die mit einer Chargennummer gekennzeichnet wird', und allgemeiner 'Zusammenstellung gleichartiger, industriell gleichzeitig gefertigter und mit gleicher Seriennummer versehener Waren', vor allem in Zss. wie Chargenbezeichnung, -nummer 'Nummer zur Kennzeichnung gleichzeitig hergestellter und verpackter Waren, bes. von Arzneimitteln, die Auskunft über Art und Datum der Herstellung gibt'. 4 Seit früherem 19. Jh. im Bereich des Theaters bezogen auf ein spezielles Rollenoder Bühnenfach in der Bed. '(Darsteller einer) Nebenrolle, stark ausgeprägte(n), kleinere(n) Charakterrolle mit meist einseitiger, effektbewußter Überzeichnung' (—> Figur, —» Charakter, —» Typ), auch im Sinne von 'Überladung, Übertreibung, Überfrachtung in künstlerischen Darstellungen' (—> Karikatur), sowie übertragen und allgemeiner verwendet für 'Nebensache, Zweitrangigkeit, geringere Bedeutung' (s. Belege 1964, 1985), auch in Zss. wie Chargenrolle, -spieler(ei); Charaktercharge. Charge 1: Dilich 1607 Kriegsbuch 74 doch daß die Carabiner/ wan sie auff Kürisser treffen/ wohl im paß jhre charge von weitem thun und darnach im trab abreiten können; Chemnitz 1648 Krieg I 91 fünff compagnien Crabaten: Die der charge gantz nicht abwarten weiten (beide JONES); Fleming 1726 Soldat 218 Soll man eine Bataillon stellen, so muß man . . die Eintheilung darnach einrichten, und dieses nach dem Unterscheid derer bereits angeführten Bewegungen, nemlich zur Parade, zum Exercices, zum Marsch und zur Charge . . Zur Charge stehen die Ober-Officiers in dem ersten Gliede, auf den Flügeln der Pelotons .. In der Charge werden sie [die Unter-Offiziere] theils auf denen Flügeln in fordersten und hintersten Gliede, theils hinter das Bataillon gestellt; Zedler 1733 Universallex. V 2010 f. Charge, bedeutet beym Kriegs-Wesen . . die Ladung eines ieglichen SchießGewehrs . . Das Maaß zur Ladung oder das LadeMaaß, darinnen die Musquetirer das Pulver tragen . . Das Treffen oder den Angriff . . das Zeichen oder die Losung zum Treffen, wodurch entweder durch die Trommel, oder Trompete denen Soldaten zu verstehen gegeben wird, daß man mit dem Feinde schlagen wolle . . Chargirung, Charge . . heisset bey denen Exercitiis der Milice die Anordnung eines Corps, nach welcher dasselbe den Feind mit Feuer angreifft . . der sich damit gegen ihn defendiret . . Bey Abtheilung eines Bataillons zur Charge. Charge 2: Aristoteles 1628 Satyra A 3b Charge; Nicolai 1632 (Sonden 47) eine ansehnliche charge auftragen lassen (beide JONES); Transehe 1632 Br. an Gustav Adolf (Irmer I 168) Arnimbs charge (JONES); Gaedeke 1633 Gallensteins Verhandlungen 189 Es wehre sehr gut, das sich der Herr [der Kurfürst v. Sachsen] in Person abmüßigte und zur Armee begebe, weil es sonderlich deßselben Charge erfordern thut; Rist 1634 Perseus (W. /

137) ich wil dir eine braue [brave] charge . . geben (JONES); Mengering 1638 Soldatenteufel 208 jhrem Amt vnd hohen Charge; Rist 1642 Rettung A 6v mein itzige charge zu resigniren (JONES); Schottet 1648 Friedens Sieg 48 Ich bin mit meiner charge content, trachte nach reputation, heisse aber nicht Rittersmann, noch Befehligshaber; 1656 Brandenb. Kriegs-Recht D la Ohne Unsers Generals Vorwissen/ sol kein Obrister/ Rittmeister oder Capitäin [!]/ aus dem Lager und Vestungen/ umb [D Ib] etwa seinen Sold-Rest zu sollicitiren, reisen/ bey Verlust der Praetension und Charge; Schupp 1659 Streitschr. I 79 und wollen mich überreden, ich sol eine bessere Charge annemen, und mit jhnen wieder zu Feld ziehen; Fr. W. /. 3667 Polit. Test. 63 [höhere Offiziere] in Kriegeszeiten, solche zu vornehmen Scharschen nützlichen gebrauchen; Abr. a S. Clara 1674 Neue Predigten 51 Eich, die Ir prauirt wegen eires hohen Adels, Eich die Ir eich spanet wegen eir hohen scharse vndt officium; Riemer 1684 Polit. Passagier o. S. die jenigen, welche ihre Ehre und Kriegs-Chargen . . vor dem Feinde erwerben müssen; 1689 Polit. Fliegenwedel l 47 Ehr-durstige Ambienten/ umb die fürnehmsten Chargen in dem Ministerio; 1691 Pfalz 2b die oberste Hof-Charge und die nächste Stelle nach der Königlichen Würde bey Hofe; Elis. Charl. 1701 Br. l 357 Sie ist nun sambt ihrer mutter kinderhoff meisterin des enfants de France; daß ist gar eine große charge bey hoff; Wachtler 1709 Manual 62 charge, (scharsche) Ammt/ Dienst/ z. E. was bedienet er vor eine charge?; Marperger 1711 Beschr. d. Messen U 179 hohe Dignitäten Ehren-Chargen; ebd. II 194 diejenigen/ welche als Marckt-Magistrats-Personen erwehlet werden/ . . solche Charge auch auf sich nehmen; Prambhofer 1712 TraumGes. 319 O was Fleiß und Unkosten wird allerseits angewendet/ um eine Ehr/ ein Ampt/ ein Charge, ein Dignitet zu erlangen; 1716 V. denen Juden 14 sind die Menschen jederzeit ihren Chargen, Ämb-

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Charge

tern, Stand und Geschlecht nach zu unterscheiden; 1721-22 Chronik d. Ges. d. Mahler 54 Wir wissen nicht, ob wir Euch wegen der . . Euch aufgetragenen charge eine Condolenz- oder GratulationsSchrifft zuschicken sollen; Fleming 1726 Soldat 6 sich in den [!] Kriege so wohl gehalten, daß sie nach und nach zu höhern Chargen avanciret; ebd. 204 Diejenigen Officier, die die Recrouten-Gelder nicht anwenden . . verlieren, nebst restitution solcher empfangnen und innenbehaltenen Gelder, ihre Charge und Ehre; Beust 1743 Consiliarius 217 Wo ist eine Ehre, Würde, Charge und vornehme Bedienung, daran nicht auch eine Bürde, Beschwernis und Last hange; Wekhrlin 1777 Denkwürdigkeiten 53 die größten Chargen am kaiserlichen Hofe sind der Obristhofmeister, der Obristkämmerer, der Obristhofmarschall; Cogniaczo 1791 Gestaendn. IV 301 wider [!] in Gang gebrachten militärischen Chargenhandel; Fülleborn 1802 Rhetorik 35 Charge, Ehrenstelle; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 113) Der Graf .. verließ . . bald darauf die Stadt und erhielt stufenweise noch verschiedene Chargen; Goltz 1847 Buch d. Kindheit 467 Ein Herr Rath und Präsident ist gegenüber seinen Unterbeamten und im Geschäfte selbst mit seines Gleichen ein Nichts, als was seine Charge und das Geschäft mit sich bringt; Hohenlohe-Ingelfingen 1864—70 Leben 111 93 hat er eine wohlgelungene Anrede an die im offenen Viereck aufgestellten Truppen gehalten und dann diese an den Dekorierten aller Chargen vorbeimarschieren lassen; Meissner 1866 Schwarzgelb 154 daß unser Freund Werner seine Charge niederlegen muß; Kluge 1895 Studentenspr. 86 Chargen . . studentische Würden; Chargenträger bei den Ordensbrüdern 1795; 1896 Cosmopolis II 519 Neben dem Chargenpferd hat er doch schon zwei . . So'n großer Stall — das ist doch bloss 'ne Plage für ihn; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 107) da die obersten Chargen einzig und allein durch den Oberhofjägermeister von Stieglitz und .. einen fußleidenden General, vertreten seien; 1916 Franzosen 103 Die Kapitalsansammlung in einer solchen „charge" . . ist übrigens so enorm, daß an derselben, obwohl die Amtsbefugnisse nur von einer Einzelperson innegehabt werden können, mehrere beteiligt zu sein pflegen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 390) hier fand er sich aufs merkwürdigste an seinen eigentlichen . . Beruf, die wissenschaftliche Charge erinnert; Lettenbaur 1927 Morgen 105 Doch der Mann des Besonderen, der er war . . wurde bald . . von einer frisch nach Afrika importierten höheren Charge abgelöst; Wahlendorf 1936 Erinn. 113 weil der Kaiser befohlen hatte, daß Erbprinzen nur nach ihrer militärischen Charge rangierten; Uexküll 1936 Welten 211 Bis zum Ausbruch des Weltkrieges haben immer Mitglieder der baltischen Ritterschaften auf hohen

Ministerposten gesessen oder hohe Hofchargen als Generaladjutanten des Kaisers bekleidet; NZ. (Basel) 30.5. 1949 Der neue Kongreßpräsident übernahm seine Charge mit dem Dank für das bekundete Vertrauen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 651) Die Namen der verschiedenen Chargen der [Stier-]Kampfspieler vernahm ich von ihm; Apitz 1960 Nackt unter Wölfen 113 Infolge des Alarms waren hohe Chargen im Dienstzimmer des Kommandanten versammelt (WDG); Kieler Nachr. 5. 9. 1973 Seine Königin heißt Edeltraut Smarsch. Auch die 1. und 2. Hofdame, begehrte Chargen in diesem Verein, wurden von der gleichen Familie errungen; Zeit 5. 4. 1985 Beim ersten Versuch war das Telephon .. besetzt. Beim zweiten Mal geriet Weinberger an eine untere Charge und erfuhr, der Vorgesetzte sei gerade nicht am Platze; ebd. 31. 5. 1985 Mindere Chargen der CSU hantieren sogar schon mit Vokabeln wie „Rückzug der Minister" und „Koalitionsfrage"; ebd. 28. 6. 1985 Doch der Parteispendenskandal a la Rheinland-Pfalz wirkt zu sehr als Miniaturausgabe des großen Flick-Skandals. Die Chargen — Graf Lambsdorff, Hans Friderichs . . sind hier wie dort dieselben; MM 6. 3. 1987 insbesondere kommen mehr Entscheidungsträger als im letzten Jahr und nicht nur die „niederen Chargen" der Kunden; Zeit 20.10. 1989 Schließlich könnten sich die ZK-Genossen unverstanden oder übergangen fühlen. Beides fürchten die höheren Chargen der Zeitungsmacher — die niederen weniger; Spiegel 15. 1. 1990 Die Kinder höherer SED-Chargen . . seien mit moderneren medizinischen Geräten versorgt worden als andere Patienten; Frankf. Rundsch. 29. 3. 1990 Seine Behörde habe „zarte Indizien", wonach „einstige Stasi-Chargen in konspirativen Zirkeln zusammenhocken" oder sich zu „Kameradschaftsabenden" einfinden; Spiegel 8. 11. 1993 Leitende Chargen der ostdeutschen Kirchen . . sind in die Affäre verwickelt. Charge 3a: Zedler 1733 Universallex. V 2010 Charge, eine Last .. Bey den Kauffleuten heißt es eine Ladung, die eingeschifft und aufgeladen wird; Sanders 1871 Fremdwb. l 199 Charge . . 1) Last: Einem ä charge [zur Last] sein .. in Marseille auch als Getreidemaß; Marx/Engels 1843-45 MEG A IV 2,376 Vorteilhaft im Allgemeinen eine charge auf die fremde Industrie zu legen, um die Nationalindustrie zu encouragiren, wenn das Produkt der letztern selbst mit einer Steuer im Innern belastet ist. Charge 3b: 1933-34 Vera, techn. Frw. o. S. Charge .. Einsatz, Füllung, Beschickung, Ladung, Schmelze; ND 2. 1. 1964 daß im Edelstahlwerk . . an den sechs Elektroofen die Stahlproduktion des

chargieren neuen Jahres begonnen hat. Bereits mit den ersten Chargen wurden die für 1964 vorgesehenen Kennziffern der Tonnenstundenleistung erreicht und teilweise überboten; Welt 4. 7. 1964 Wir richten Ihnen bei einem Anfangskapital von 10—15000 DM mit modernsten deutschen und italienischen vollautom. Maschinen bei einer Chargenzeit von 20—30 Minuten Ihren Betrieb komplett ein; MM 31. 7. 1985 Den Ursachen spüren die Ingenieure nach. Sie meinen, es könnte an der Fahrweise des Kessels oder aber an der Charge im Filter . . liegen; Zeit 18. 10. 1985 seit einigen Monaten kann Wein nur noch verkaufen, wer die Glykolfreiheit seines Produkts einwandfrei belegen kann. Deshalb gilt es bereits als Routine, jede Charge auf Glykol prüfen zu lassen; ebd. 25. 4. 1986 die erkrankten Patienten erhielten ihren Wuchsstoff aus unterschiedlichen Präparatchargen; MM 7.8.1986 Magermilchpulver mit Salmonellen verseucht (Überschr.) Alle Säcke der belasteten Menge seien mit dem Aufdruck 42022 {Abfüllbetrieb) und 121 (Chargennummer) versehen; ebd. 31. 12. 1986 Zusätzlich nehmen die Prüfer pro Woche eine ganze Produktmenge (Charge) aus dem Verkehr; ebd. 18. 7. 1987 Da die Belgier anscheinend nicht in der Lage gewesen seien, die geforderten Unterlagen beizubringen, habe die nordhessische Firma die letzte Charge Plasma und Albumin im Mai an den Absender zurückgeschickt; ebd. 6. 8. 1987 In etlichen Chargen Trockenmilch .. waren Krankheitserreger entdeckt worden; ebd. 9.2.1988 Jakob vermutet, „daß sich die BASF auf Chargen und Begleitpapiere verläßt"; TAZ 14. 12. 1989 Speziell in Schönberg bei Lübeck verlief die Akquisition von Müllchargen prächtig. Auf der 1980 eröffneten Deponie versammelt sich heute der Haus- und Giftmüll aus halb Europa; Spiegel 11.10. 1993 Wäre es, um den Schutz der Bluter zu verbessern, nicht sinnvoll, bei Blutprodukten die Herstellung der Chargen staatlich zu überwachen? Charge 4: Nestroy 1832 Zauberer l 9 So! Jetzt bin ich ganz Melancholicus .. Das ist eine schöne Charge (WOG); Szarvady 1852 Paris I 222 Es gab auch Leute, die in diesen tragischen Ereignissen bloß ihren Anlaß für Couplets, Lieder und Chargen sahen; Hatnann 1907 Impressionismus 96 dem impressionistischen Stil der Reinhardtschen Regie überein, einer Chargenspielerei, bei der alle Figuren für sich interessante Typen herausarbeiten, keine Rollen eines Stückes; Th. Mann 1910 Reden

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u. Aufs. (W. XI 723) weil ich . . weiß, daß er die idiotische Charge nicht ist, die ein niedriges Ressentiment aus ihm machen möchte; ders. 1912 Reden u. Aufs. (W. X 556) Das ist ein echt naturalistisches Unternehmen. Und zudem ist der weitgespannte Rahmen mit einer Menge von Nebenfiguren, Chargen, Silhouetten gefüllt, von denen einige vortrefflich sind; ders. 1922 Reden u. Aufs. (W. X 622) Im Gewimmel der Kleinstadttypen . . unterscheidet man die Figur eines Rechtsanwalts . . eine unsympathische Charge, Redner, Mann des Wortes, Politiker; Der Montag 12. 1. 1931 Dabei ist Szöke Szakall kein Hauptdarsteller in diesem Film, genau so wenig wie Ralph Arthur Roberts, der nur eine größere Charge spielt; Welt 3.4. 1954 Aber der ganze Abend zeigte, daß Chargen keine Chargen zu sein brauchen . . daß schauspielerische Phantasie noch aus der Andeutung einer Rolle ein Menschenbild formen kann; Witdenhain 1958 Schauspieler 22 Ich erinnere mich eines alten Chargenspielers, der im letzten Akt von Schillers 'Räubern' die Figur des Pastor Moser unzählige Male verkörpert hatte (WDG); Böll 1963 Clown 216 wenn Sie versuchen würden, mir ein Engagement zu besorgen, am Theater hier — Nebenrollen natürlich, Chargen kann ich gut spielen; Partner 1964 Erben 185 Der Dom von Freising trat seinen Rang an die Münchner Frauenkirche ab und mußte sich fortan mit der Charge der zweiten Bischofskathedrale bescheiden; MM 12. 1. 1985 Die . . sich vom Schwärmerischen ins Exaltierte und zuletzt ins Ekstatische steigernde Karikatur eines Dichters . . Und schließlich: die Charge des sittenstrengen „wissenschaftlich tätigen" Fremden, die Jochen Ballin mit einprägsamer Eiseskälte ausstattete; Zeit 17.5.1985 spielen mittlerweile auch die Programme, in denen man hin und wieder auch noch einen Soziologen zu Wort kommen ließ, in den Milliardentöpfen des Ministeriums noch nicht einmal eine Chargenrolle; ebd. 25. 7. 1986 Fast alle diese Figuren sind Chargen. Ihr Auftritt ist oft nur kurz; ebd. 9. 12. 1986 Wenn aber ein alter . . herabgedrückter Arbeiter sich verwandelt in einen Wachmann, der die Magnum-Pistole auch im heimischen Wohnzimmer im Achselgurt trägt, dann wird aus einer Menschenfigur rasch eine Drohcharge; ebd. 8. 5. 1987 die Figur schrumpft ins Skurille, erstarrt zur virtuosen Charge; MM 10. 3. 1988 In den kleineren Partien haben Hans Rössling den Hausherrn Benoit und Thomas Lehrberger den alternden Gecken Alcindoro — Chargenspiel als Tüpfelchen auf dem i. IN

chargieren V. (in)trans., Anfang 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. charger (—» Charge); anfangs in phonetischen Schreibungen wie charchieren, (s)charschieren, scharsiren, unter Einfluß der älteren frz. Nebenform cherger auch chergieren.

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chargieren

1 Zunächst (entsprechend —+ Charge 1) bis Anfang 20. Jh. in der militärspr. Bed. 'einen Angriff mit blanker Waffe unternehmen, (reihenweise, geordnet) stürmen, auf den Feind treffen; einen Gegner angreifen, schlagen, ihm zusetzen' (—» attackieren), im 17. Jh. vereinzelt auch übertragen verwendet (s. Beleg 1645), in veralteten Zss. wie Chargierschritt 'Sturmschritt mit angelegtem Gewehr', Anfang 19. Jh. gebucht für '(Gewehr) laden, feuern' (vgl. veraltete Zss. wie Chargiergriff 'Grundgriff beim Gewehrladen', Chargierlager 'Vorrichtung, in welcher die Geschützrohre während des Schießens ruhen'); dazu das seit dem frühen 18. Jh. nachgewiesene Verbalsubst. Chargierung F. (-; -en) 'Gesamtheit aller zum Laden und Feuern gehörenden Verrichtungen; (pro Mann und Geschütz) mitgeführte Munition; militärische Ordnung, Formierung, nach der ein Corps oder Bataillon angreifen oder verteidigen soll'. 2 Seit spätem 17. Jh. (entsprechend —»· Charge 2) für 'jmdn. mit einer (militärischen, dienstlichen o. ä.) Aufgabe betrauen, beauftragen; jmdm. etwas (dienstlich) auftragen', auch 'etwas (dienstlich) in Auftrag geben', z. B. in der veralteten Wendung chargierter Brief, gelegentlich auch leicht abwertend für 'jmdn. (mit Aufträgen) belasten, belästigen, ihm zur Last fallen, beschwerlich sein' (s. Belege 1727, 1752), früher vereinzelt auch reflex, sich chargieren 'etwas (z. B. eine Aufgabe, einen Auftrag) übernehmen, auf sich nehmen, laden, sich etwas aufhalsen' (s. Beleg 1684); seit dem späteren 19. Jh. (gebucht 1871 bei Sanders) speziell studentenspr. bezogen auf schlagende Verbindungen für 'bei Feierlichkeiten als Chargierter die Studentenverbindung vertreten, in der studentischen Festtracht, in Wichs erscheinen' (s. Beleg 1935). Dazu seit Ende 18. Jh. das subst. Part. Perf. Chargierter M. (Chargierten; Chargierten) 'Beauftragter; Abgeordneter', z. B. in der Zs. Kriegschargierter, und speziell 'studentischer Würdenträger, einer der drei Vorsitzenden einer Studentenverbindung', älteres Chargenträger (—»· Charge 2) ersetzend; daneben oft in dem vor allem regional (schweiz.) verwendeten frz. Syntagma Charge d'affaires, im diplomatischen Bereich 'Geschäftsträger, -führer, -beauftragter (an einem auswärtigen Hof)'. 3 Seit früherem 18. Jh. in der auf künstlerische Darstellung bezogenen (im Frz. nicht vorgegebenen) pejorativen Bed. 'überladen, übertreiben, überzeichnen', etwa seit Mitte 19. Jh. vor allem im Theaterwesen für '(als Schauspieler) die Besonderheiten einer Charakterrolle/Bühnenfigur übersteigern, effektvoll und überscharf darstellen; eine Charge spielen' (—» karikieren, —» typisieren; s. Beleg 1859), bes. in der festen Wendung chargierte Rolle 'kleinere Charakterrolle, die darauf angelegt ist, durch Übertreibung bei der Darstellung zu wirken, eine größere Wirkung zu erzielen, als vom Dichter beabsichtigt; stark ausgeprägte, aber übersteigert dargestellte Nebenrolle' (gleichbed. mit —»· Charge 4); in neuester Zeit auch allgemeiner (s. Beleg 1986). 4 Seit früherem 20. Jh. selten fachspr. (Metallurgie) nachgewiesen für '(Brennöfen o. ä.) mit einer bestimmten Materialmenge, Ladung beschicken', auch 'etwas (zum Transport) beladen, belasten' (—» Charge 3b), z. B. in der Zs. Chargierkran 'Lastkran'. chargieren 1:1600 (Frauenholz 1935 Heerwesen III 2,314) den 4. [Sonntag] soll man dan mit scharmuchiren und anderm Chargirn die Soldaten exerciren; Dilich 1607 Kriegsbuch 106 Chargieren sindt treffen so im gehen geschehen glieder oder Reyenweise (JONES); Wallhausen 1615 Kriegskunst 112 mit frischem Chergieren vnd treffen (JONES); Al-

denburgk 1627 Reise 27 wir .. scharsirten (JONES); 1632 (Frauenholz 1935 Heerwesen III 1,88) dann bald [ist] auf allen arten auf Ihn [Tilly] vom feind chargiret worden; Troupitz 1633 Kriegskunst 18 mit dem Feind treffen vnd chargiren (JONES); um 1638 Teutscher Michel 205 charschieren; Wassenberg 1643 Florus 450 sind sie doch durchge-

chargieren drungen/ zum fünfften mal mit deß Feindes Reutterey chargiert/ vnd glücklich mit Kriegs-Munition/ vnd ändern Militärischen vorrath in die Statt einkommen; Finkeltaus 1645 Lieder A7v Mit Eyfer vnd Mißgunst ist stets zu chargiren (JONES); Voigtländer 1647 (Cysarz U 39) Vnd da lustig zu scharschieren (JONES); Grimmeishausen 1669 Simpl. 180 aber ich fuhr doch in meiner Tyranney so unbarmhertzig fort/ daß ich auch nicht gewahr wurde/ wie die Käiserl. meinen Obrist Leutenant chargirten/ biß sie endlich auch an mich kamen/ . . und mich selbst gefangen namen; ders. 1670 Springinsfeld (111 236) Ich hingegen schargirte mit halben und gantzen zigein auf sie [Wölfe] herunter; Riemer 1684 Polit. Passagier 235 Tribellius wolle sich auff seinen eigen [!] Kammer nicht so schimpflich tractiren lassen, kriegte einen Prügel und chargirte ziemlich Wasser umb den Tisch . . dass die Gläser in der Stuben rumb flogen; 1696 Insel Formosa 63a f. als sie einander nah genug waren/ begunten sie zu chargiren, und mit drey Gliedern zugleich Feuer auff die Feinde zu geben . . [Der] Capitain . . welcher/ als er merkte/ daß er sich zu unvorsichtig und allzu tieff mit dieser grossen Menge der Feinde engagirt und eingelassen hatte/ gerne in guter Ordnung dicht und geschlossen chargirend zurücke weichen wolte; Wächtler 1709 Manual 62 chargiren/ (scharschiren) schlagen/ treffen/ z. E. sie haben trefflich mit einander chargiret; Zedler 1733 Universallex. V 2010 ff. das Chargiren, heisset bey denen Exercitiis der Milice die Anordnung eines Corps, nach welcher dasselbe den Feind mit Feuer angreifft. . der sich damit gegen ihn defendiret . . Bey Abtheilung eines Bataillons zur Charge; Kuniaczo 1780 Beytrag 37 Eine summarische Uebersicht der vornehmsten Chargiermethoden, welche den ersten Theil des Exercierregiments ausmachen; ebd. 42 eines mit langsamen Chargirschritten einher schleichenden Heeres; 1786 Exerzir-Reglement (Sachsen) 179 Habt acht! man wird mit halben Eskadrons auf der Stelle chargiren. Sodann wird commandirt: Chargirt!; Bräker 1789 Lebensgesch. 107 Da gieng's nun alle Tag vor die Thore zum Manövriren; links und rechts avanziren, attaquiren, retiriren, ploutons und divisionsweise schargieren; Berenhorst 1798 Kriegskunst H 360 Man lehrt nicht weniger den schrägen Schritt, den Schargierschritt — der nur von einem Fuße ist [Anm.] . . den kurzen Schritt während des Schargierens im Avanzieren oder Retirieren; 1861 Allg. Mil.-Enc. Ill 152 Chargirlager . . Chargirschutt; Freytag 1887 Erinn. 142 ich gewann reichlich Gelegenheit, das Kleinleben der Kaserne kennen zu lernen . . ich chargirte und sprang im Bajonettfechten jedem Feinde verderblich umher, und merkte, daß diese Turnübung für mich von dauerndem Nutzen sein könne; Klabund 1915 Soldatenlied 215 Aufge-

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fahren, abgesessen,/ Abgeprotzt und schnell chargiert. Dort auf jenes Ungeheuer/ Richten wir das schnelle Feuer. Chargierung: Sperander 1727 A la mod Sprach 109 f. Chargirung, heisset die Ordnung, womit ein gantzes oder getheiltes Corps den Feind angreiffen, oder sich dargegen defendiren soll. Es ist dieselbe unterschiedlich, und geschiehet theils im Stillstehen, theils im Marchiren, und wiederum entweder im avanciren, oder retiriren; Zedler 1733 Oniversallex. V 2010 ff. Chargirung . . heisset bey denen Exercitiis der Milice die Anordnung eines Corps, nach welcher dasselbe den Feind mit Feuer angreifft; 1743 Reglement Vor die Königl. Preußische Cavallerie-Regimenter. Worinn enthalten Die Evolutions zu Pferde und zu Fuß, das Manual und die Chargirung (Titel); Tekete 1780 Beytrag 21 Chargirung [gemäß] unserer Methode . . das Ansetzen der Patronen auch beym Blindladen wegzulassen; 1786 Exerzir-Reglement (Sachsen) 179 Chargirung mit halben Eskadrons auf der Stelle; 1812 ExerzirReglement 109 Für eine Schützenlinie giebt es keine methodische Chargierungs-Art; Decker 1816 Art. 30 Eine Chargirung besteht aus 60 Schuß, 2 Chargirungen führt eine Batterie im Felde mit sich; Droysen 1851 York v. Wartenburg I 97 Als einmal bei der Revue vor dem Generalinspecteur ein altgedienter Füsilier bei der gewöhnlichen Chargirung den Ladestock fallen ließ; 1852 ebd. Ill 137 man hoffte, daß er glücklich in Aken angelangt sei, man bedurfte seiner sehr, da namentlich das Yorksche Corps nur noch eine Chargirung hatte; 1861 Allg. Mil.-Enc. Ill 152 Chargirung; 1890 Im Felde 31 während die Waffen und die Munition — die „Kriegschargirung" — durch die Artilleriedepots aufbewahrt. . werden; Monts 1891 (in: Holstein, Papiere III 341) Jetzt aber hat die Artillerie noch kein rauchfreies Pulver . . wird erst in 3 Jahren die Kriegschargierung der Infanterie fertiggestellt sein. chargieren 2: Schilling 1677 Predigten 291 aber wir hoffen ihn totalmente zu ruiniren, wir chargiren ihm nach alia gagliarda ihn völlig caput zumachen; Bis. Chart. 1684 Br. VI 504 hab mich dessen [der Bitte eines Adligen um Empfehlung] chargirt; 1713 Bert, geschr. Zig«. 2 Der Herr von Creuz und Grumckau haben nicht mit geloset, weil sie schon mit anderen Affaires sattsam chargiret seyn; Sperander 1727 A la mod Sprach 109 f. Chargiren, belästigen, beladen, beschwerlich seyn; Winkelmann 1752 Br. (Jahrb. Samml. Kippenberg I 44) Ich weiß wohl, daß Deine Geschäfte Dir im geringsten nicht erlauben, Dich damit zu chargiren; Welti 1895 Br. II 41 Ihren chargierten Brief mit 100 Mark erhalten; Dtsch. AZ. 9.11.1935 Kein Chargieren mehr in Wichs (Überschr.) Im Zeitpunkt der Überfüh-

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Charisma

rung großer studentischer Verbände in die Reihen der Bewegung sowie der Auflösung zahlreicher Korporationen muß das Chargieren der noch bestehenden Korporationen bei feierlichen Anlässen als unerwünscht bezeichnet werden. Chargierter: Augustin 1795 Idiotikon a. Burschenspr. 102 Senior heißt das erwählte Oberhaupt einer Verbindung . . sonst ist 'Chargierter' gebräuchlich; Jäger 1835 F. Schnabel 54 Von den übrigen Corps erschienen die Chargirten ebenfalls in Uniform, die nach dieser Festlichkeit . . einer großen Reparatur und neuen Färbens bedurften; ebd. 141 Der Stiftungstag. Das Duell auf Pariser und auf Säbel. Chargirtenwahl; Th. Mann 1909 Hoheit (W. II 358) Man sah die Chargierten der Studentenkorps in aller Pracht und mit ihren Fahnen in offenen Landauern umherfahren; 1917 Hochschule l 39 Ein anderer Vereinsbruder in seinem Gefolge mit dem schwarz-weißen Bande im Knopfloch, der einen englischen Gasangriff noch nicht überwunden hat, stellt sich als Kriegschargierter vor; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 1305) Der unterm Tore einem stocktragenden Unter-Chargierten (er hatte wohl den Befehl zum Einlaß gegeben) Rede stand und von ihm an einen über den Hof kommenden Höheren, der eine Keule trug, verwiesen wurde; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 69 ein guter alter Onkel . . der in den 40er Jahren erster Chargierter des Bonner Corps Rhenania gewesen war; Heuss 1963 Erinn. 302 das Auftreten der „Chargierten" in Couleur und mit Schlägern hinterließ bei mir einen unauslöschlichen, leider nur komischen Eindruck; Zeit 26. 7. 1985 Ich sprach natürlich aus meiner Erfahrung als einer, der die Arbeitslosigkeit zwar nicht am eigenen Leib erfahren hat, aber während des Krieges sechs Jahre lang als Nicht-Chargierter mit Arbeitern zusammengelebt hat. chargieren 3: Zedler 1733 Universallex. V 2020 Chargiret, heissen die Mahler, wenn man ein Gesicht mit merklichen und excessiven Zügen vorstellet, und zwar auf solche Weise, daß man mit 3 oder 4 von den Grab-Eisen, Grab-Stichel oder sonst gemachten Zügen eine Person kennt, ob es gleich kein wahrhafftes Portrait ist, sondern nur marquirte Defecten. Man saget also, wenn eine Figur starck bezeichnet ist, daß es chargiret sey; Hey-

natz 1774 Br. V 95 chargirt, überladen; Riehl 1859 Culturstudien 127 Keine Zeit ist so reich an genrehaften humoristischen Originalen .. wie das 17. und 18. Jahrhundert. Wir begegnen dort überall Sonderlingen von Profession, die mit bewußter Absicht eine, wie die Schauspieler sagen, „chargirte" Charakterrolle spielten; Heyse vor 1914 Ges. W. // 2,39 So ein trockener Schleicher . . wie wenn er von einem Komiker in einem Lustspiel gespielt, aber stark chargiert würde (WOG); Welt 7. 10. 1974 das andere Edelpaar, Sebastian und Antonio, chargiert in haarsträubender Weise als schwules Pärchen; ebd. 28. 12. 1974 Daß die Schauspieler .. ihre chargierenden und karikierenden Rollen mit Leichtigkeit ablieferten, forderte eigentlich nicht den überschwenglichen Applaus, den das unerfahrene Publikum spendete. Mehr als ein Faschingsulk ist aus der Sache nicht geworden; Zeit 19. 4. 1985 Der Schauspieler (ein ganzer Kerl, fast noch ein Jüngling) verstellt sich nicht chargierend in einen fistelnden alten Mann .. Er schauspielert nicht, er macht seine Arbeit auf der Bühne; ebd. 21. 2. 1986 Man bewundert viele Einfalle .. und erschrickt über andere, weil sie so wahnsinnig schreiend komisch sein sollen: so possenhaft. Und so zieht das beflissene Chargieren, die szenische Alberei, das „ganze Theater" so viel Aufmerksamkeit auf sich, daß man die Musik leicht aus den Ohren verliert; ebd. 7.11.1986 Mit größter Hingabe werfen sich seine Musiker in so unsterbliche Nummern wie „Blueberry Hill", shaken die hohen Trompetentöne mit vorgeblich tränenblinder Sentimentalität und chargieren nach Herzenslust; MM 28. 6. 1988 Roland Bertschis Regie forciert die Groteske und läßt die Schauspieler fröhlich chargieren, vor allem Joachim Hall als Bürger, der sich in den ersten Szenen als überzogene Karikatur gebärden darf; Süddtsch. Ztg. 21. 10. 1993 Jan Niklas spielt einen . . Adeligen, der chargiert im Leben, der in tragischer Art die Welt als Operette begreift. chargieren 4: 1936 Vera, techn. Frw. 7 chargieren . . einsetzen, beschicken; Wagner-Räder 1939 Wehrrecht XVI o. S. Schwerstarbeiter: Gießer und Schmelzer . . Chargierkranführer; Süddtsch. Ztg. 22. 7. 1952 Lieferungsgenehmigungen für die Schrottausfuhr erhalten nur Schrotthändler, die chargierfähigen Schrott . . an inländische Verbraucher für eigene Rechnung geliefert haben. IN

Charisma N. (-s; Charismen, Charismata), seit früherem 18. Jh. selten, erst seit Mitte 19. Jh. häufiger nachgewiesen, über lat. charisma 'Geschenk' zurückgehend auf griech. , Gen. '(Gottes-)Gabe, Gnade, Geschenk; Gunstbezeugung, Gefälligkeit' (zu 'Gunst, Geneigtheit; Handlung des Wohlwollens, Gefälligkeit, Wohltat'), im 19. Jh. vereinzelt M.

Charisma

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a Zunächst, oft im PL, als heute nur noch historisierend verwendete Bezeichnung des theologischen Bereichs für eine von Gott einzelnen, herausragenden Menschen (Zauberern, Propheten, Kriegshelden o. ä.) verliehene außergewöhnliche Begabung, Gnadengabe oder ein Talent (z. B. Zungenreden, Prophetic, Krankenheilung), das sie aus dem Kreise ihrer Jünger, Anhänger, Gefolgsleute heraushob (vgl. z. B. Rom. 1,11), von daher auf soziologische, sozialpolitische Herrschafts- und Führungsstrukturen ausgedehnt (s. Belege 1934, 1950, 1954), speziell auch in bezug auf die sozialcaritativen Aufgaben katholischer Orden in Krankenpflege, Unterricht o. ä., z. B. in Wendungen wie religiöses, soziales Charisma, vereinzelt auch allgemeiner für 'Hilfeleistung, Fürsorge; Gefälligkeit, Wohltat' (vgl. griech. , lat. caritas; s. Belege 1884, 1938, 1954). Dazu in den 30er Jahren des 20. Jhs. vereinzelt die subst. Ableitung Charismatik F. (-; ohne PL), weitgehend gleichbed. mit in den 60er Jahren, eventuell unter Einwirkung von gleichbed. frz. charismatisme, aufgekommenem Charismatismus M. (-; Pl. ungebr.) 'charismatische Herrschaft'. b Von daher, nur im Sing., seit dem frühen 20. Jh. zunehmend vom religiösen und caritativen Kontext abgelöst und allgemeiner verwendet, meist bezogen auf herausragende politische, kirchliche, künstlerische Persönlichkeiten, insbes. Staatsmänner, Schauspieler o. ä., seltener auf entsprechende Ämter und Positionen mit Führungsund Herrschaftsanspruch, in der Bed. '(angeborene) außergewöhnliche, starke persönliche Ausstrahlung, besondere Anziehungs-, Suggestionskraft eines Menschen; Fähigkeit, Menschen(-massen) zu beeindrucken, zu begeistern, zu führen, mit sich zu reißen/ziehen' (vgl. Attraktivität, —» Attraktion; —» Aura, —> Charakter, —» Faszination, —» Prestige, —> Autorität), in Verbindungen wie politisches, magisches Charisma, durch sein Charisma wirken, das Charisma des Dichters, Wissenschaftlers, der Freundschaft, und in abgeschwächter Bed., z. B. in Wendungen wie mit dem Charisma eines Wunderkindes, einer Jeanne d'Arc 'mit der Ausstrahlung, Wirkung eines/einer ...' (s. Belege 1962, 1985, 1987, 1988, 1993). Dazu seit Ende 19. Jh. die auf flekt. Form von griech. zurückgehende (vgl. gleichbed. frz. charismatique, engl. charismatic) adj. Ableitung charismatisch, im religiösen Bereich in der Bed. 'gottgegeben, von Gottes Gnaden; durch innere, göttliche Erfahrung bewirkt', oft in den speziellen Wendungen charismatische Gemeinschaft für eine Gemeinschaft, die durch innere Erfahrung statt durch Vermittlung kirchlicher Amtsträger zur Wahrheit findet, und charismatische Bewegung, Bezeichnung für die in den 60er Jahren von Kalifornien ausgehende protestantische Bewegung, die urchristliche Gnadengaben wieder in den Mittelpunkt stellt, und vor allem dem in den 20er Jahren von Max Weber eingeführten soziologischen Begriff charismatische Herrschaft als Bezeichnung für den (im Unterschied zum traditionellen, auf Brauch und Herkommen, oder rationalen bzw. legalen, auf Sachlichkeit und Recht gestützen) durch besondere (von Gott verliehene, vgl. Gottesgnadentum) geistige Gaben und persönliche Ausstrahlung (vgl. b) begründeten Herrschaftstypus (zu a); seit frühem 20. Jh. auch allgemeiner für 'mit großer Ausstrahlungs- und Anziehungskraft (ausgestattet), beeindruckend, mitreißend' (vgl. attraktiv, —* Attraktion; —* charmant, —* suggestiv), in festen Verbindungen wie charismatische Persönlichkeit, Ausstrahlung, Figur, Führung; charismatischer Künstler, Politiker und bes. (in der Sprache des Nationalsozialismus mit Hitler in Verbindung gebracht) charismatischer Führer (zu b); seit den 30er Jahren die Personenbezeichnung Charismatiker M. (-s; -), im religiösen Zusammenhang für 'Herrschender mit besonderer

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(göttlicher) Ausstrahlung, Gottbegnadeter' (zu a), heute überwiegend in der allgemeineren Bed. 'jmd. mit charismatischer Ausstrahlung, charismatische (Führungs-)Persönlichkeit' (zu b). Charisma a: Weber 1734 Enc. l 237 Charisma . . eine Gnaden-Gabe, Geschenck, Gutthat; Herder vor 1803 S. W. XL/V 147 Charisma . . Charismata, Liebesgeschenke (KEHREIN); Wachsmuth 1851 Culturgesch. H 102 Dort waren es die Wunderkräfte, die der Himmel auserkorenen Rüstzeugen, den Heiligen und ihren Reliquien, selbst den geistlichen, überhaupt kirchlich geweihten Gegenständen, Charisma ertheilt haben sollte; 1858 Preuss. Jahrb. l 34 Bei der glänzendsten Darstellungsgabe, bei dem entschiedensten Talent. . wer wollte leugnen, daß alles dieses . . in Ferdinand Walter förmlich Charismen sind; Tholuck 1861 Vorgesch. II 1,105 Schon die katholische Kirche hatte nicht umhingekonnt, die Laiencharismen in ihren Dienst zu nehmen; Justi 1872 Winckelmann 11.1,276 weil es [das Schöne] das ist, was keine Arbeit erringt und was keine Anweisung lehrt, das was dem Genius vorbehalten ist, dem feinen Gefühl, auch dem moralischen, jenen Kräften also, die Charismen der Natur sind; Ratzinger 1884 Armenpflege (Reg.) Charisma . . der Hilfeleistung; Achelis 1890 Theologie I 479 Die diagnost. Gabe ist ein Charisma divinatorischer Art; ebd. I 542 jetzt, in der letzten Zeit, habe Gott apostolische Charismen und Ämter und die apostolische Gestalt der Kirche in ihrer Gemeinschaft durch Zeichen und Wunder wieder hergestellt; Tönnies 1931 Soziologie 39 an der Spitze jeder Gemeinde stand ein Kollegium von Aeltesten oder Presbytern . . Nur das Charisma, also eine vermeintliche besondere Gabe, die auf übernatürliche Art auch jüngeren zuteil werden konnte, trat früh in Wettbewerb mit der natürlichen Ueberlegenheit des Alters; 1934 Handb. d. Philosophie IV E 46 Im Kirchlichen beruht die Spannung auf dem Unterschiede zwischen dem Amtscharisma und dem Pneuma, es kommt zu Wandlungen der Kirchenverfassung oder der Frömmigkeit; Gmelin 1937 Auctoritas 63 Charisma, die Begnadung des Einen durch die Götter; Schöffler 1938 Leiden 15 Das Charisma, das er [Werther] den Kindern gegenüber immer erweise, lasse an einen anderen denken, der die Kinder zu sich kommen ließ; Westermayr 1950 Verstehen 22 Charisma des seelischen Verstehens; ebd. 53 das Sicheinfühlen in die Art des Mitmenschen ist eine Gabe, die dem einen reichlicher, dem anderen karger zugeteilt ist und als natürliches Charisma vor allem der Frau, namentlich der Mutter eignet; Tritsch 1954 Erben 236 Abbau der Überlieferungen, Aufkommen von . . neuerungssüchtigen Pionieren zerstört mit dem sozialen Charisma auch

jede soziale Distanz; Süddtsch. Ztg. 4. 9. 1954 Die Menschen, welche die Mädchen in diesen neuen Heimen betreuen, werden von dem Charisma getragen sein, aus dem heraus sie sagen: „Es könnten meine eigenen Töchter sein . ."; Jaspers 1958 Atombombe 428 Demokratie . . hält fest, daß alle Forderungen aus der Natur der Sache an Menschen ergehen, und verwirft jede andere Legitimierung, sowohl das Amt als unmittelbar göttlichen Auftrag wie das Charisma eines Menschen als von Gott eingesetzte Führung. Aber sie kennt den Ernst der Verantwortung des Amtes und die Gabe großer Menschen; Adorno 1960 Reden 52 Im höchst speziellen Zusammenhang der bildungssoziologischen Anmerkungen . . spricht er davon, daß der Besitz von Bildungspatenten die Begabung — das „Charisma" — zunehmend zurückdränge; Hengel 1968 Nachfolge und Charisma. Exegetisch-religionsgeschichtlicbe Studie (Titel); MM 15. 8. 1989 Früher ging Prestige in der streng hierarchisch gegliederten Gesellschaft von familiärer Abstammung, von religiösem Charisma, von adligem Rang aus; Zeit 27. 10. 1989 Maria Berberich, der ein besonderes Charisma im Umgang mit alten und alleinstehenden Menschen gegeben ist. Charismatik: Buber 1932 Königtum 67 Für die soziologische Betrachtung ist es die nächstliegende Möglichkeit einer Erhaltung der Charismatik, die „allen ursprünglich charismatischen Organisationen sehr adäquate Form der Wahrung der Herrschaftskontinuität". Charismatiker: Buber 1932 Zwiesprache 84 des echten Charismatikers in seiner steten Verantwortung zum Herrn des Charis; Zeit 8. 3. 1996 Die guten Anglikaner! Sie wollen es immer jedem recht machen. Den Konservativen und den Liberalen, den Katholiken und den Protestanten, den Charismatikern und den Evangelikaien . . Charismatiker, die allen Menschen die ewige Seligkeit zusprechen, graben den etablierten Glaubensdogmen zusehends das Wasser ab. charismatisch: Achelis 1890 Theologie 149 also die werden damniert, welche nicht von Gott durch charismatische Begabung zu diesem Dienst erwählt sind; Jerusalem 1925 Soziologie I 386 was Max Weber „charismatische Herrschaft" nennt; Koeniger 1926 Kathol. Kirchenrecht 19 Für Organisation und Recht spielen dieselben insofern eine Rolle, als charismatisch Begabte eine führende

Charisma Stellung beanspruchten und ausübten; Buber 1932 Königtum 67 Für die soziologische Betrachtung ist es die nächstliegende Möglichkeit einer Erhaltung der Charismatik, die „allen ursprünglich charismatischen Organisationen sehr adäquate Form der Wahrung der Herrschaftskontinuität"; 1934 Handb. d, Philosophie IV E 52 Max Weber hat den Begriff der charismatischen Führung in vielen soziologischen Zusammenhängen aufgezeigt; Tritsch 1954 Erben 228 [in Frankreich] charismatische königliche Befehlsgewalt; Mühlmann 1966 Weber 43 Max Weber als der gescheiterte Prophet des charismatischen Cäsarimus; 1971 junge Wirtschaft XI o. S. Solche charismatischen Führer wollen die jungen Unternehmer nicht sein . . Sie schelten die alten Charismatiker; Müller 1971 Gottesdienst o. S. Weil aber charismatische Gaben sich nicht als fixierbar und pneumatische Wirkungen sich nicht einfach als wiederholbar erwiesen, so wiederholte man z. B. den Akt der Mahlsgemeinschaft und erwartete darin stets Neues für sich selber oder für die ganze Menschheit; Hocke 1976 Tagebücher 95 Mysterium und Sakrament bedeuten auch Symbol. Hier zeigt sich der Weg zur Konzeption des Symbols, das magisch und charismatisch wirksam ist; Dülmen 1977 Reformation 270 Unter der charismatischen Herrschaft des Propheten Jan Matthys vollzog sich die eigentliche Radikalisierung der reformatorisch-täuferischen Bewegung in Münster; Zeit 17.5. 1985 der Liberale Max Weber [hatte] eine Gesellschaft gepriesen, die eher eine Gemeinschaft gewesen wäre, eine Demokratie, der ein charismatisches Oberhaupt sein Gleichgewicht und seine Einheit verleihen sollte; das Prinzip des Führers war da; ebd. 27. 12. 1985 rütteln charismatische Erweckungs- und Erneuerungsbewegungen an den Türen und verfestigen die Strukturen der Großkirchen. Charismatismus: Mühlmann 1966 Weber 19 Anm. Charismatismus; ebd. 20 Charismatismus. Charisma b: Redlich 1920 Österr. Staatsproblem l 176 Die Politik Palackys und seiner Freunde . . setzte zum erstenmal für alle österreichischen Völker die äußere Politik, die bis dahin . . das unberührte Heiligtum diplomatischer Tätigkeit und fürstlichen Ratschlusses bildete, die sozusagen das „Charisma" der Höfe und ihrer Minister bildete, in das helle Licht volkstümlicher politischer Bestrebungen; 1929 Nord u. Süd Lll 648 Charisma-Führung; Packard 1931 Verführer (Übers.) 210 Genauso wie bei der Verpackung und Werbung die 'Aufmachung' an die Stelle des Wettbewerbs der Preise tritt, genauso ersetzt in der Politik die 'Aufmachung' — entweder als Charisma des Führers oder als sprunghafte Behandlung von Ereignissen

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mit den Mitteln der Massenbeeinflussung jenes Selbstinteresse, das den von innen her bestimmten Menschen beherrschte; Leibbrand 1946 Homines 36 Kein einfacher Mann des ärztlichen Handwerks, kein Landarzt, der sich marktschreierisch ankündigt, vielmehr eine Gestalt, die in ihrem Charisma besondere Suggestionskraft erweist; Mühlmann 1962 Homo 49 Charisma sei ursprünglich gebunden an die Persönlichkeit. Von dieser strahlt es aus auf eine Gefolgschaft von Kriegern, eine Gemeinschaft von Jüngern, einen Orden, eine Sekte, oder ein verehrendes Publikum; ebd. 235 Die Zusammenhänge zwischen Waffentechnik und sozialer und politischer Organisation . . Das Charisma der Waffe; ebd. 390 eine nicht selten freiwillige Unterordnung unter das führende Ethnos oder die soziale Schicht, welche als Träger eines „Gruppen-Charisma", einer Welt überlegener Werte erscheint; Stern l, 4. 1971 wenn der Kanzlerkandidat der CDU/CSU zunächst einen Wahlkampf gegen Bundeskanzler Brandt bestehen muß, ist dann Rainer Barzel, dem doch jedes politische Charisma fehlt, der richtige Mann?; Welt 4. 6. 1974 er allein hat in Frankreich heute die Erfahrung, das Prestige, das Charisma und das internationale Vertrauen dazu; Zeit 11.1. 1985 Der Außenminister mit dem „Charisma einer Schlafmütze"; ebd. 5. 4. 1985 Hätte Herzl in den dazwischenliegenden sechs Jahren wirklich seiner Liebe für Monarchenglanz, Macht, für Führercharisma abgeschworen?; ebd. 7.6. 1985 Die Arbeiter der Autofabrik SIL sind vom neuen Führungsstil begeistert. Doch Begeisterung und Charisma waren den Eliten des Landes schon immer suspekt, sie flößen ihnen Angst ein. Begeisterung kann zu enttäuschten Hoffnungen führen, Charisma kann die Massen mitreißen; MM 6. 11. 1987 Miles Davis scheint eine persönliche Ausstrahlung zu besitzen, die unabhängig von seiner körperlichen Präsenz weiterwirkt. Noch stärker ist sein Charisma freilich spürbar, wenn der Jazz-Star . . mitten unter seinen Musikern steht; ebd. 15. l. 1988 Seine phänomenale Technik, seine noble Anschlagskultur, die Kraft, die Ausdauer und Treffsicherheit haben ihm [einem Pianisten] längst das Charisma eines Wunderkindes gesichert; Spiegel 30.8.1993 Bei hoher Kompetenz und aller Verläßlichkeit rechnet er sich selbst . . das Charisma eines Buchhalters als Manko an. Charismatiker: Mühlmann 1962 Homo 49 Charisma sei ursprünglich gebunden an die Persönlichkeit. Von dieser strahlt es aus auf eine Gefolgschaft von Kriegern . . oder eine Klientel von politischen Parteigängern .. Der Charismatiker wirkt als Wertebringer; 1971 Junge Wirtschaft XI o. S. Solche charismatischen Führer wollen die jungen Unter-

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charmant

nehmer nicht sein . . Sie schelten die alten Charismatiker; Zeit 19. 9. 1986 wovor Maier Angst hat, sind undefinierbare Charismatiker, mitreißende Demagogen und politische Modebewegungen; ebd. 3. 10. 1986 Es ist Franz Schönhuber, der die Partei der Republikaner fast allein verkörpert . . brechend volle Säle und enthusiastische Zustimmung in Bierzelten — der „einzige Charismatiker neben Strauß" (Schönhuber über Schönhuber) ist die Sensation der Wahlschlacht; MM 16. 10. 1989 Ein großer Musiker, wirklich, sicher auch einer der letzten Charismatiker am Pult; TAZ 6. l. 1990 In das machtpolitische Vakuum der entschiedenen Kanzlerkandidatur rückt immer mehr Willy Brandt vor. Mit dem sicheren Instinkt des Charismatikers mißt sich sein Wahlkampf im Gezeitenrhythmus; Spiegel 13. 9. 1993 Alle Charismatiker haben eines gemeinsam: Sie haben eine innere Schutzhaut, die sie unverletzlich und auf unerklärliche Weise unabhängig macht. . ein Gefühl des Besonderen . . das die Uneingeweihten als Egomanie deuten .. Dieses Unzerstörbare ist einfach da und Grundbedingung der rätselhaften Anziehungskraft, die von solchen Menschen ausgeht. Ist diese Schutzhaut weg, ist der Kern des Charismas zerstört . . Willy Brandt, der andere Charismatiker und Hedonist in der SPD, kannte dieses Gefühl; Zeit 22. 10. 1993 Der Charismatiker predigte eine utopische Heilsbotschaft: Errettung der Welt durch psychologische Menschenkenntnis. charismatisch: Keyserling 1926 Welt 69 Das künftige „Fachmanntum" wird also wieder charismatisch sein; das heißt, man wird in jedem Falle wieder die Frage des „wer" der nach dem „was" vor-

anstellen; Werfet 1928 Abituriententag 60 Eine geistige, eine charismatische Schönheit war über ihn ausgegossen, während er las; Lützeler 1934 Grundstile 247 der charismatische Mensch; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XU 949) die Bloßstellung der Intellektuellen . . die die schmutzigste Travestie des Deutschtums mit diesem selbst verwechselten und in einem eklen Popanz, einem hysterischen Schwindler, den „Retter", den „charismatischen Führer" sahen; Mühlmann 1962 Homo 49 Die charismatische Persönlichkeit; MM 3. 9. 1986 eine Persönlichkeit, in der sich Fähigkeiten zur charismatischen Ausnahmeerscheinung bündeln; Zeit 5. 12. 1986 war es der pseudoreligiöse Anspruch auf Ewigkeit und Erlösung? war es die charismatische Ausstrahlung, die von Hitler ausging? Oder war es die Kombination von beidem?; ebd. 10.4. 1987 der Typ des charismatischen Führers und Superstars, der „nur den rechten Arm zu heben [braucht], um einen wilden Sturm der Begeisterung zu entfesseln, der jeden einzelnen Zuhörer mitreißt und die Gesichter in Zuckungen versetzt"; MM 10. 8. 1989 die charismatische Ausstrahlungskraft einer nationalen Führungsfigur; Frankf. Rundsch. 2.1. 1990 Die strikte Gewaltlosigkeit des Massenprotests in der DDR, seine überwältigende symbolische Kreativität und die Nichtexistenz charismatischer „Führer" sind also Merkmale der politischen Praxis einer gesellschaftlichen Emanzipationsbewegung; Spiegel 24. 5.1993 Steinkühler, schwärmt er, sei der Mann für die Zukunft, die Identifikationsfigur, die alle Gruppen binde: intelligent, visionär, charismatisch; ebd. 21.6.1993 Vor allem auf Frauen wirkt der verheiratete Guru charismatisch. Hypnotische Fähigkeiten werden dem Menschenfischer nachgesagt. IN

charmant Adj., im späten 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. charmant (Part. Präs, von charmer 'bezaubern' < mlat. carminare 'besprechen, besingen (und so verzaubern)', zu lat. carmen; —» Charme), anfangs daneben und bis Mitte 20. Jh. gelegentlich auch in der eindeutschenden Schreibung scharmant. Meist in bezug auf Auftreten und äußere Erscheinung, Ausstrahlung, Wesensart und Wirkung von Personen, vor allem von Frauen, in der Bed. 'bezaubernd, liebenswert, lieblich, reizend/reizvoll; anziehend, einnehmend, gewinnend' (—» galant, —* kokett), und 'lebhaft, geistvoll, anregend, unterhaltsam' (—> amüsant; s. Belege 1986, 1988, 1990), seltener auf Benehmen und Verhaltensweise bezogen für 'liebenswürdig, zuvorkommend, höflich, nett; entgegenkommend, freundlich' (—+ sympathisch; s. Belege 1901, 1915, 1969), auch allgemeiner auf Vorgänge, literarische, künstlerische u. a. Gegenstände übertragen im Sinne von 'gefällig, angenehm, annehmlich, entzükkend; fesselnd, aufregend' (—* interessant, —» faszinierend; s. Belege 1718, 1747, 1788, 1930, 1936, 1950, 1986), und im abgeschwächten Sinne als allgemeiner Ausdruck des Gefallens, Wohlwollens gegenüber jmdm. oder etwas gebraucht (s. Belege 1814, 1844, 1959), häufiger ironisch verwendet (s. Belege 1844, 1889, 1916, 1969,

charmant

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1986, 1987, 1993); in festen Verbindungen wie charmante Miene, Geste, Stimme, charmantes Lächeln, vor allem mit Personenbezeichnungen wie in charmante Dame, Person, Begleiterin, Sekretärin, Reisebekanntschaft, charmanter Herr, Franzose, Kavalier, Plauderer, vereinzelt auch adv. verwendet in Wendungen wie charmant unterhalten, plaudern, parlieren 'auf charmante Weise unterhalten, plaudern', oft im Kontext mit ähnlichen Ausdrücken wie charmant und elegant, charmant und amüsant, charmant und witzig. Dazu etwa gleichzeitig das (aus frz. charmante, subst. Part. Präs, von charmer, s. o., entlehnte), bis Ende 18., vereinzelt Anfang 20. Jh. nachgewiesene Subst. Charmante F., auch in der eingedeutschten Schreibung Scharmante, in der Bed. 'charmante Frau', bes. auch studentenspr. für 'zeitweilige Geliebte eines Studenten (in Jena), Studentenliebchen', daneben die Form Charmanter M. 'Geliebter'. charmant: Thomasius 1688 Monats-Gespräche I 575 sie mochte in der letzten conversation etwas scharmantes an den Aristoteles gespühret haben, das sie sonsten nicht gewußt; ebd. l 648 etliche charmante Blicke (BRUNT); Reuter 1700 Ehrenfried XXXV 198 So hatte sie ihm nicht einmal eine charmante Mine gemacht; Ettner 1700 Apotecker 778 Eckarth um die Frauens charmanter zu machen/ sprach ..; Menantes 1709 Satir. Roman I 18 denn sie wissen, was ich vor eine grosse Liebhaberinn bin, von so charmanten und liebsten Kindern Tittuln; Corvinus 1710 Proben l 15 Dein gantzes Wesen ist charmant (BRUNT); Stranitzky 1711 Ollapatrida 161 So viel ich von der Wirthin vernahm/ so hätte sie ihm nicht einmal eine charmante Mine gemacht; 1718 Abentheuerl. Welt II 23 Sind nicht des Printzen Brieff entzuckend und charmant?; 1720 Recueil XVI 7 bey dieser oder jener charmanten Dame (BRUNT); Geliert 1747 Krauter Frau (S. Sehr. Ill 414 f.) Er hatte die muntersten, die charmantesten Einfalle; 1750 Vergnügte Abendstunden III 411 meine artige Leser und charmante Leserinnen; Ayrenhoff 1771 Postzug 9 Er ist wohl der charmanteste Cavalier von der Welt; Goethe 1777 Br. (WA IV 3,178) Sie versichern mir alle dass sie mich lieb haben, und ich versichere sie sie seyen Charmant; 1788 Journal d. Moden III 439 die glühendsten und scharmantesten Verse und Gedichtgen von der Welt; Wezel 1790 H. u. U. Ill 351 Ach, Sie sind ein scharmanter Mann! ein gar allerliebster Mann! man möchte sich bucklicht über Sie lachen; Foote 1797 Mäzen (Übers.) (III 17) ein scharmantes Mädchen ist sie; süss wie ein Zuckerrohr, schlank wie ein Bambus, und ihre Zähne wie Mohrenzähne; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (WA I 26,144) Er war ein allerliebster kleiner Aufschneider, schwatzte charmant und unaufhörlich; ders. 1814 Br. (WA IV 25,1) Zuförderst also muß ich die charmante Person Loben, welche mich das Fahrhäuschen zu betreten bewog, bey der großen Hitze, dem Staub und dergleichen wäre ich fast vergan-

gen; Wolf 1823 Cäsario (I 323) charmantes Kammerkätzchen; 1836 Album d. Boudoirs 10 FoulardHalstücher . . Pantolleten von schwarzem Sammt, dazu Häubchen von gesticktem Battist mit gekreuzten Enden, welche in der Mitte eine Rosette bilden, dies zusammen bildet das charmanteste Accoutrement des Morgens, das sich denken läßt; Hahn-Hahn 1844 Oriental. Br. I 117 Hergekommen bin ich elend. Das ganze Schiff voll Türken, Juden und Wanzen, eine charmante Reisegesellschaft, nicht wahr?; Kohl 1844 Reisen in England u. Wales III 220 charmante Begleiterin [Reisebekanntschaft im Zug]; Peterssen 1870 Genrebilder 45 das Pinscherhündchen der Bankiersfrau ist charmant; Brandes 1872 — 81 Essays U 202 Es war in Renans Art zu sprechen ein gewisser Schwung, etwas Lebendiges und Überströmendes, welches man bei demjenigen findet, den die Franzosen im Umgang und Gespräch als „charmant" zu bezeichnen pflegen; Burckhardt 1889 Br. an Alioth 270 mit charmantem Hohn dargestellt; Brandt 1901 Ost-Asien 1163 mein Wirt.. war ein liebenswürdiger Mann und ein charmanter Causeur, der den sprudelnden Esprit seiner Nation im höchsten Maße besaß; Brachvogel 1915 Gauklerin 5 die scharmante Liebenswürdigkeit des Gesichtsausdruckes zu wahren; Hammerstein 1916 Februar 62 es ist charmant von dir, mir diesen tückischen Plan zu verraten; Dame am Volant 1930 Jan. o. S. eine gewisse, ganz reizvolle und charmante Parallele . . zwischen . . der Mode der Damen . . und . . der Mode der Autos; Wege 1936 Baldachin 82 Sie hatte Sommersprossen und den kleinen charmanten Zungenfehler aller echten Berliner; Sotier 1940 Birnalm 33 Dieses reizende Geschöpf vor mir trug weite, gutgeschnittene Skihosen. Und wie sie es trug! Scharmant, mit einem Wort scharmant; Welt 9. 8. 1949 Der Mann, der diese Mission übernommen hatte, war elegant, weltgewandt, charmant und entgegenkommend; Hitler 1950 Köpfe 211 wenn man ihn [Andre Gide] nur wegen der

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Charme

charmant-depressionistischen, charmant-sensualistischen, charmant-ironischen Erzählkunst . . liebt; Süddtsch. Ztg. 11.6. 1955 Scharmante 48erin aus gutem Hause sucht zwecks baldiger Ehe einen ebensolchen Partner (Anzeige); ebd. 17. 9. 1959 Eine charmante Geste war dieser Kuß des französischen Botschafters Seydoux für die Gattin des neuen Bundespräsidenten; FAZ 26. 5. 1962 Charmante Wiener Künstlerin, junge, bestaussehende, gepfl. eleg. Dame, lebensfroh, gesellschaftsfähig und kapriziös, ersehnt Begegnung zu spätem Eheglück mit reifem, disting. Herrn. Courtoisie entscheidend (Anzeige); Süddtsch. Ztg. 11.4.1964 Charmante Sekretärin . . gebildet, gut aussehend . . sucht entspr. charaktervollen Lebenskameraden (Anzeige); Welt 29. 3. 1969 Johann Kronsteiner gehörte zu jenen liebenswürdigen gut aussehenden und charmanten Dummköpfen; ND 28. 5. 1969 Eine sympathische, charmante und zugleich bescheidene junge Frau plaudert mit uns; Zeit 14.3. 1986 sein charmant-galantes Lächeln gefriert; ebd. 16. 5. 1986 vor den Vorhang zu treten als Kommentator, als philosophierender Ratgeber, als Conferencier. Weil er diese Rolle charmant und amüsant, unterhaltsam und lehrreich auszufüllen versteht; ebd. 12. 12. 1986 Die Interpretationsansätze könnten die Juristen auf ihre charmante Weise zum „Versuch am untauglichen Objekt" erklären; ebd. 27. 2, 1987 Als .. seine charmanten Betrügereien auffliegen; MM 1. 3. 1988 Bei „I Musici" ist Vivaldi stets gefällig, leicht und immerzu heiter. Doch gleichzeitig auch so charmant und unterhaltend, daß man sich immer wieder gerne verführen läßt; Stern 9. 8. 1990 Er kann witzig und charmant sein, ist eloquent und mit einem scharfen Intellekt ausgestattet. Dem unkonventionellen Denker Gregor Gysi ist jedes Publikum recht; Spie-

gel 15.2. 1993 Charmante Vorstellung: Die Grünen hängen ihre feinen Anzüge zum schon länger abgelegten Muffel-Strickpulli weg und ziehen sich jetzt die grobe militärische Tarnuniform über; MM 10. 7. 1993 Jeder Spaziergang f ü h r t . . durch schattige Alleen zu charmanten Entdeckungen. Charmante: Reuter 1696 Schelmuffsky 33 Euer ergebenste und sehr affectionirte Dame . . la Charmante; ebd. 44 der machte der Madame Charmante ein Compliment; Corvinus 1710 Proben I 45 Charmante! liß/ was ich von deiner Augen Paar (alle BRUNT); I741 Begebenheiten 193 Man tranck einander die Charmanten ab, oder einer muste sein Mägden ansagen, und wenn er nicht so viel und ohne Absetzen als der andere trincken konte, ward er gezwungen, sie dem ändern zu überlassen; 1752 (Schlözer 1828 Schlözers Privatleben l 19) bei dem Wohlseyn der Charmanten „ex pleno" trinken; Leon 1786 Br. (Wiener Freunde 62) bey einer damals noch sehr eingeschränkten und erzbigotten Zensur, die unsere poetischen Charmanten uns nicht einmal im Geist zu küssen erlaubte; Laukhard 1792 Leben l 265 In Jena hat der Bursch seine sogenannte Scharmante: das ist ein gemeines Mädchen, mit welcher er so lange umgeht, als er da ist, und das er dann, wenn er abzieht, einem ändern überlässt; ebd. 258 denn gleich wie „die Jenischen Studenten" fast alle ihre Scharmanten haben, so haben unsre Leute, die Ledigen, auch fast alle ihre Liebchen; Bierbaum 1907 Musenkrieg 35 Zuerst sei allen Scharmanten/ Ein brausendes Vivat gebracht; ebd. 55 Es leben die Scharmanten, die Grazien verwandten, die kühn auf unserer Seite stehn; ebd. 114 Es wandern die Scharmanten mit den Studenten aus. IN

Charme M. (-s; ohne Pl.), Mitte 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. charme, eigentlich 'magischer Zauberspruch, Beschwörung, Verzauberung' (zurückgehend auf lat. carmen 'Gesang, Lied; Gedicht; magische, religiöse Formel, Zauberspruch, -lied', vermutlich zu canere 'singen'), früher vereinzelt (noch bei CAMPE) auch als F., anfangs häufiger mit den Pl.-Formen Charmen, Scharmen und (unter frz. Einfluß) Charmes, bis heute daneben in der eingedeutschten Schreibung Scharm(e), auch Charm. Zunächst, oft im PL, in der Bed. 'Zauber, Ver-, Bezauberung', bes. im Sinne von 'kokettes Verhalten von Frauen, das Männer anreizen, anlocken, verführen soll' (—» Koketterie), im 19. Jh. dann zunehmend (ohne Bezug zu Magie und Zauberkunst) auf Eigenschaften, Verhaltensweisen und vor allem Wesensart von Personen, insbes. Frauen bezogen in der dominanten Bed. 'Liebreiz, Anmut; (von einem Menschen ausgehende) Anziehungskraft; gewinnende, einnehmende, angenehme (Eigen-)Art, Liebenswürdigkeit' (vgl. Attraktivität, —»· Attraktion; —» Grazie, —+ Faszination), gelegentlich auch im Sinne von 'Lebhaftigkeit, Leichtfertigkeit, Spritzigkeit' (s. Be-

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lege 1872, 1963, 1964, 1987; —" Esprit, —»· Chic, —» Temperament), von daher auch auf künstlerische Darstellungen, Reisebeschreibungen u. ä. bezogen (s. Belege 1985, 1986, 1987), zum Teil auch personifizierend auf Städte, Landschaften, Flüsse u. ä. übertragen (s. Belege 1884, 1964, 1965, 1985), gelegentlich ironisch gebraucht (s. Belege 1985, 1986, 1987, 1990) und eher abgeflacht im Sinne von '(typische) Wirkung, Eindruck, den man hat', in Wendungen wie mit dem Charme des Naiven/ Unverbrauchten/eines Vorstadtfriseurs (s. Belege 1898, 1953, 1986, 1987, 1993, 1994), oft in festen Verbindungen wie (seinen) Charme verlieren, versprühen, mit seinem Charme blenden, jmds. Charme erliegen, seinen ganzen Charme aufbieten, spielen lassen, (mit Ethnika) Wiener, französischer, rheinischer, ungarischer Charme, und gewisser, natürlicher, jugendlicher, ungekünstelter, liebenswerter, liebenswürdiger, persönlicher, verführerischer, unwiderstehlicher, weiblicher, zwingender Charme, oft auch in Doppelformeln mit ähnlichen Ausdrücken wie (mit) Charme und Chic, Charme und Herz, Charme und Esprit/Geist, Charme und Humor, Charme und Witz. Dazu die ebenfalls seit Mitte 17. Jh. nachgewiesene, aus gleichbed. frz. charmer (eigentlich 'beschwören, verzaubern, ver-, behexen') entlehnte und heute seltene Ableitung charmieren, als V. trans, in der Bed. 'jmdn. reizen, (durch seinen Charme) bezaubern, entzücken, hinreißen; jmdn. verliebt machen; jmdn. einnehmen, gewinnen', auch als V. intrans. (mit Dativobjekt und der Präp. mit) für '(mit jmdm.) liebäugeln, (jmdm.) schön tun' (vgl. flirten, —* Flirt, —> kokettieren), daneben im 19. Jh. vereinzelt die verballhornende Form (ver-)schamerieren; seit spätem 19. Jh. aus gleichbed. frz. charmeur entlehntes Charmeur M. (-s; -e und -s) für 'Mann, der Frauen gegenüber seinen Charme einsetzt, sie durch seinen Charme gewinnt, für sich einnimmt, Frauenheld; jmd., der betont liebenswürdig ist; galanter Plauderer, Unterhalter'. Vgl. daneben aus gleichbed. frz. charmeuse übernommenes Charmeuse F. (-; ohne Pl.) als Bezeichnung für einen gewebten trikotartigen Satin- oder Kunstseidenstoff, der mit zwei Legeschienen gearbeitet ist und eine glänzende Ober- und matte Unterseite aufweist, ursprünglich für Damenwäsche, heute nur noch als Futterstoff und zur Beschichtung verwendet (vgl. hierzu die in den 50er Jahren nachgewiesene Warennamenbildung Cbarmor). Charme: Hille 1647 Palmenbaum 133 die selbiges mit einer sonderbaren Charme acceptiret; Hüppert 1648 Wurm 69 charmen (beide JONES); Thomasius 1688 Monats-Gespräche l 632 ein mit einer Perle geziertes Ohrläppchen hat mehr charmen, als wenn das Indianische Frauenzimmer in die schönsten Nasenlöcher güldene Ringe steckt; Menantes 1709 Satir. Roman U 30 dass die Tugend, wenn sie ihre rechte Charmes oder Annehmlichkeiten brauche; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 1159 Liebäugeln, Heisset, wenn das Frauenzimer einer Manns-Person, so sie zu ihren Amanten erkieset, allerhand verliebte Blickgen und Charmes mercken last; Sperander 1727 A la mod Sprach 110 Charme, Bezauberung, Anreitzung, Anlockung, Annehmlichkeit; Stoppe 1728 Gedichte l 21 Führe die verirrten Minen vor dem Spiegel in das Gleiß, Exco-

lire deine Charmen durch den wiederholten Fleiss; 1779 Zuschauer in Bayern I 521 manche ehrwürdige Matrone, welche sich den Abend zuvor zergliedert, und ihre Kleider, Zähne und Haare abgelegt hatte, ihre Charmes wieder zusammen suchet; Schlözer 1872 Amerikan. Br. 118 eine ganz reizende Amerikanerin, mit herrlichen dunklen Augen, voller Charme und Geist; Burckhardt 1884 Br. an Alioth 229 Daß Paris seinen alten Charme für Sie nicht mehr hat, ist ganz in Ordnung; denken Sie nur, was für ein alter Pariser Sie schon sind; 1885 ebd. 247 Frankreich hat allen Charme für die übrigen Völker verloren; Fontäne 1898 Zwanzig 518 in Erscheinung und Wesen eine Dame von seltenem Charm; ebd. 533 seine mit dem Charme des Naiven ausgerüstete Persönlichkeit; Voss 1917 Welt 107 Ich finde, daß sie außerordent-

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lieh viel Charme hat, und Charme ist für eine Frau mehr als Schönheit; Lokesch 1927 Fortf. v. Scherr, Kulturgesch. 689 Nur daß der Franzose (und wie erst die Französin) diese Dinge mit mehr Grazie sagt und mit größerem Charme tut; Voss. Ztg. 7. 7. 1928 Charme-Schulen (Überschr.) Es gibt [in Amerika] neuerdings Institute, in denen Charme gelehrt wird. Auch brieflich. Man hat mehrere Charme-Arten zu Verfügung. Die gefragtetste Art soll der slawische Charme sein; Kesten 1932 Scharlatan 12 Er gefiel Frauen. Er hatte körperlichen Charme; Süddtsch. Ztg. 26. 10. 1950 Der Unterschied zwischen einer Frau mit Charme und einer charmanten Frau ist beträchtlich; die eine speist ihre Gabe aus dem Quell der Güte, die andere aus dem einer gewissen Berechnung . . Charme ist nicht auf Weiblichkeit begrenzt. Es gibt Blumen, Tiere, Kinder, Landstriche, Städte, ja Völker mit Charme, wie etwa die Italiener und die Ungarn; ebd. 29. 5. 1953 Lebhaften Gesprächsstoff liefern den Damen sein „Wiener Charme" und seine weltmännische Art; ebd. 12. 10. 1953 Der . . Friseur . . immer lächelnd, von einer Art „Dauercharme" umgeben; 8-Uhr-Blatt 1. 10. 1955 charme & chic Damenmoden-Spezialhaus; Bad. Ztg. 3. 9. 1958 Charme hat allen Zauber des Vergänglichen, das heißt, den des Lebens selbst. Ein Augenblick, eine Gebärde, Flügelschlag des Eros, Hauch von Fichtennadelduft, doch diesmal nicht Airfresh, sondern feinste Essenz der Menschenseele; Böll 1963 Clown 173 Mein Vater war früher eher schüchtern gewesen, fast schweigsam. Er hat beim Fernsehen zu diskutieren und argumentieren gelernt, mit einem „zwingenden Charme". Ich war müde, mich diesem Charme zu entziehen; FAZ 23. 3. 1963 Eine Frau mit Herz, Charme, Esprit . . und noch ein bißchen mehr (Anzeige); Welt 26. 9. 1964 die Koketterie Solveig Östergaards, die Personifizierung des quicken, blitzblanken Charmes, funkelnd, trällernd, girrend; Süddtsch. Ztg. 2.2.1965 daß „München mit seinem Charme" ihn so verstrickt habe; Offenburger Tagebl. 27.8.1970 „Mit Schirm, Charme und Melone" (Titel); Haber 1971 Leben o. S. Ihre großen wissenschaftlichen Fähigkeiten paarten sich mit einem besonderen weiblichen Charme; Welt 7. 10. 1974 Von Schönheit und Charme steht offiziell . . nichts drin. Doch natürlich muß eine deutsche Weinkönigin attraktiv und nett sein; Zeit 19. 4. 1985 Wer das Original gelesen hatte, konnte sich kaum vorstellen, daß es in eine andere Sprache übersetzt werden könnte, ohne dabei seinen Charme zu verlieren; ebd. 3. 5. 1985 während sie sonst für ein Höchstmaß an Differenzierung .. plädieren, wird diese Kritik mit dem diskreten Charme eines anrollenden Panzers verfochten; MM 23. 7.1985 ist der Charme dieses Flusses (Isar) hier mehr von pausbäckiger, in München da-

gegen von mondäner Art; Zeit 18. 4. 1986 Das Lehrerzimmer des 1968 fertiggebauten Gymnasiums hat den Charme eines Gepäckschließfachraumes im Bahnhof; ebd. 2. 5. 1986 Ein Bilderbuch voller Wärme, Charme und Zauber; ebd. 7.11.1986 Unterrichtstrakte .. nützlich, aber nichtssagend-häßlich . . mit dem Charme eines Kühlschranks; MM 13.3.1987 ein windiger Lebenskünstler, der sich mit Charme und Phantasie durch seine Biographie, die Betten vieler Frauen und allerlei nicht ganz koschere geschäftliche Transaktionen mogelt; Zeit 29. 5. 1987 Ricky versprüht den Charme eines Vorstadtfriseurs; MM 8.10. 1987 diesem sympathischen Typ [Sänger], der seine Fröhlichkeit und seinen Charme schon seit bald 30 Jahren kübelweise versprüht; ebd. 10.11. 1987 Über dem Ganzen liegt der Charme eines feinen Kammerspiels mit dezenten Späßchen und feinen ironischen Winken; ebd. 16. 3. 1988 Eigentlich soll dieser Bursche, auf den „alle Weiber fliegen", durch Charme blenden, seine Gemeinheit muß überraschend sichtbar werden; Frankf. Rundsch. 11.8. 1990 mit Angeboten wie . . einer Woche „Charme alter Städte" wie Dresden, Leipzig, Meißen, Weimar, Potsdam; Spiegel 18. 10. 1993 Zunächst galt die Frau mit dem Charme des Unverbrauchten auch in der FDP-Fraktion als eine Zierde der Liberalen; MM 3. 12. 1994 Die Filosofie der Rechtschreibreform hat wenig Scharme für Analfabeten. Das neue Regelwerk zeigt zwar ein Kredo zur Vereinfachung, doch etliche Tücken bleiben oder kommen hinzu. charmieren: Hille 1647 Palmenbaum 134 dergleichen charmirende Dinge; 1657 (in: Schreiben d. Kurf. Karl Ludwig 30) bleib nicht über einen tag dort, uffs lengst zwey, es sey dan, daß mich daß alte däntzericht fräwlein zu sehr charmirt; Thomasius 1688 Monats-Gespräche l 591f. Ich habe die Ehre gehabt/ den renominirten Staat-Minister aufzuwarten/ dessen unvergleichliche discourse mich dergestalt charmiret/ daß ich wahrhaftig dein darüber vergessen; ebd. l 642 Ihre indifferente Freymüthigkeit charmirte ihn mehr als aller anderen Frauenzimmer anreizendes Liebkosen; Elis. Charl. 1699 Br. I 134 Lenor ist charmirt von seinem verstandt undt woll reden; ebd. l 178 Man sagt, die Königmarckin solle sehr divertissant sein, allerhandt lust undt allezeit waß neues erdencken können; damitt hatt sie gwiß ihren könig charmirt; Reuter 1700 Ehrenfried XIV 358 f. dich so lange zu lieben, zu ehren, zu caressiren, zu honoriren, zu charmiren, und zu Contentiren; Menantes 1709 Satir. Roman II 105 ein artiges Kind hatte das Glück, gegenwärtigen Herrn zu charmiren . . Sie

Charme war aus einer sehr gläntzbaren Familie; Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 343 Charmiren, Ist eine heimliche Entdeckung der Liebe, wenn ein Frauenzimmer einer Mann-Person durch allerhand liebreiche Blicke und verliebte Minen zu verstehen giebet, daß sie ihm nicht ungeneiget sey; 1718 Ahentheuerl. Welt l 32 wie sie ihm lernt, wie sie Welt charmirt, Und wie sie jedermann mit viel Douceur tractirt; 1719 ebd. V 36 Ein liebreich Schwartzes Äug hat Kraft so zu charmiren, Dass du die Freyheit wirst, eh du es spürst, verliehren; Stoppe 1728 Gedichte H 117 Der gebrochne Thon von meiner Laute/ Bricht das Eys der Unempfindlichkeit. Höltzern wäre der, dem davor graute, Die Music charmiret weit und breit; Rohr 1736 VorHarz 97 Es sollen die . . Herzoge zu Braunschweig und Lüneburg . . von dieser Gegend so charmirt gewesen seyn; 1749 Vergnügte Abendstunden II 334 Das Scharmiren aus dem Fenster; um 1750 (Blümml 1908 Liederhss. 69) Deine Augen sind geschickt zum charmieren. Ja, sie können sich gewiss, Wie des Mondes Finsternis Präsentiren; Edelmann 1752 Selbstbiographie 17 charmirte Er mit der Köchin; Stäudlin 1788 Gedichte l 341 weil das Pärchen so herzlich In einander charmirt; Körner 1811 Nachtw. (IV 43) Ich merk' schon, Du Schalk! Du kannst dich verstellen, Du bist in mich ganz abscheulich charmirt; Hörn 1854 Rhein. Dorfgeschichten II 29 Die zwei sind ineinander vernarrt und verschameriert (SANDERS DWB); Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 96) eine Vornehmheit, eine glänzende Eleganz, Frau Konsulin, die mich persönlich nun einmal charmiert!; ebd. l 269 dann charmierte er umher und ließ seine Künste spielen und machte ein unglaubliches Geld; Brachvogel 1919 Glück 149 Sie bestellten zu essen und zu trinken, scharmierten mit der Kellnerin, scherzten mit der dicken Wirtin; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 793) Er zeigte sich verliebt in all und jede erreichbare Weiblichkeit .. erbat sich von der Kleefeld einen Kuß auf seinen großen, zerrissenen Mund und scharmierte selbst mit der trostlosen Frau Magnus; ders. 1947 Faustus (W. VI 433) was sie früher so angestellt ham, das lassen s' recht pikant und recht zum Vermuten durchblicken durch ihre derzeitige Würde, — die Männer charmiert das oft mehr, als man denken sollt; ders. 1954 Reden u. Aufs. (W. X 535) „Ah, ca c'est tres bien!" rief er aus, nun wieder charmiert von dieser Wendung; Frisch 1955 Stiller 63 [Er] ist von dieser Person . . sehr charmiert (WDG); Spiegel 19. 9. 1994 geistig wendig, sarkastisch charmierend wie eh und je .. der Mann der hundert Masken, der er immer war. Charmeur: Conrad 1885 (In: Gesellschaft l 747) Er [Daudet] ist ein Zauberer, ein „Charmeur", der jede Feindseligkeit durch die unwiderstehliche Lie-

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benswürdigkeit seines sieghaften Vorganges entwaffnet; 1908 Zukunft LX1I1 327 Charmeurkunst; Bahr 1912 Essays 15 ein Charmeur [Leonardo da Vinci], der durch seine Anmut alle Menschen an sich zog; Bamberger 1932 Tagebücher 112 ein Collectionneur und Charmeur; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 125 Er war kein schöner Mann, aber enorm klar, klug und ungeziert, und er war ein Charmeur, der sich ins Herz mancher schönen Frau hineinzureden wußte; Münch. N. N. 14. 12. 1938 Zum ersten Male in seinem Leben hat der große Charmeur . . Galoschen übergestülpt, ganz gewöhnliche, schlapprige Galoschen; Heuss, Vorbetn. zu Gessler 1958 Reich swehrpolitik 7 Gessler war seiner Natur nach kein Mann der Feder: er konnte, ein Charmeur, wunderbar erzählen; Offenburger Tagebl. 23.9.1959 Ja, Nikita ist ein Charmeur! Geradezu geflügelt sind bereits Chruschtschows bunte Vergleiche und Bonmots; FAZ 7. 11. 1964 Weder ein Akademiker, noch ein Charmeur sondern aus gutem Milieu ein Er sucht eine Sie für die Ehe von Dauer (Anzeige); Stuttgarter Ztg. 27. 3. 1968 Der schon etwas angealterte Charmeur des Bildschirms; Zeit 7. 3. 1986 Er stöhnt, aber seine Augen leuchten. Noch am Boden spielt der Alte schon den Charmeur; Stern 10. 6. 1987 Als sie den Knirps mit den braunen Kulleraugen entdeckt . . schmilzt sie dahin: Sie schenkt dem kleinen Charmeur ein Markstück, damit er sich ein Eis kaufen kann; Stern 22. 10. 1987 In einem Fernseh-Interview hatte der Alt-Charmeur [Marcello Mastroianni] angekündigt, er sei auf dem Wege nach Quiberon; MM 30. 5. 1988 Die neue Übersetzung des Intendanten und Regisseurs Peter Brenner läßt den Charmeur Giovanni weit in den Hintergrund treten; de Groot 1990 Vater 31 Das war Frank noch nie passiert. Er war ein Charmeur und bildete sich viel ein auf seinen Erfolg bei Frauen; Stern 9. 8. 1990 einen Gysi, der vertrauensselig, beinahe unbedarft ist, ein Charmeur mit offenem Visier — und zugleich ist dieser Mann immer auf der Hut. Charmeuse: 1934 „Duden"-Sammlung o. S. MattCharmeuse (Bildunterschr.); FAZ 15. 1. 1966 Charmeuse ist. . keine Art Kunstseide, sondern die Art, wie sie verarbeitet wurde. Charmeuse-Unterwäsche konnte man aus jeder Art Kunstseide herstellen; Stuttgarter Ztg. 22. 7. 1966 CharmeuseGütegemeinschaft (Überschr.) Die Gütezeichengemeinschaft Charmeuse e.V. . . will, wie ihr Vorsitzender . . anläßlich der Preisverteilung auf dem 11. Charmeuse-Schaufensterwettbewerb mitteilte, weiterhin aktiv bleiben .. (Charmeuse ist die Bezeichnung für eine bestimmte Kettstuhl-Gewirkeart). IN

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Charta F. (-; -s und selten Charten), seit früherem 16. Jh. selten, seit früherem 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus spätlat. cbarta 'Urkunde', lat. charta '(Blatt der) Papyrusstaude; daraus hergestelltes (dünnes) Blatt Papier, Schreibmaterial und das darauf Geschriebene, Schriftstück, Brief (< griech. 'Papyrusschilf, -blatt; dünne Platte', vermutlich ägypt. Herkunft; —» Karte, —* Karton), früher auch in den frz. beeinflußten Formen Charte, Chartre mit PL Chartres, und engl. beeinflußtem Charter M. und F. (—* Charter). In der Bed. 'grundlegendes, verfassungsrechtliches Schriftstück, Urkunde, die die Staatsgrundgesetze aufzeichnet, Vertrag (im Staats- und Völkerrecht); gesetzgebende Festlegung, Vereinbarung (von Grundrechten), Grundgesetz' (—>· Bulle, —» Kontrakt, —» Statut), seit spätem 18. Jh. auch, bes. in den frz./engl. beeinflußten Formen, für 'Gnaden-, Freiheitsbrief; Frei-, Schirmbrief' (—» Privileg; s. Belege 1776, 1778); vor allem im (latinisierenden) Syntagma Magna Charta (libertatum) als historische Bezeichnung für die vom König Englands 1215 angenommene Freiheitsurkunde der englischen Verfassung, auch übertragen verwendet (s. Beleg 1954), in frz. Syntagmen (in dtsch. Kontext) wie Charte constitutionelle als historische Bezeichnung für die französische Staatsverfassung von 1814 und 1830, und in Syntagmen, die mit Eigennamen verknüpft sind wie Humesche Charta und Charte Waldeck als historische Bezeichnung für den preußischen Verfassungsentwurf (nach dem demokratischen Führer und Abgeordneten Waldeck, der 1848 zum Präsidenten des Verfassungsausschusses gewählt wurde), oft auch in Verbindung mit historischen Daten, geographischen oder politischen Namen, wie Charta von 1848, von München/Athen und Charta der Vereinten Nationen als Bezeichnung für das 1945 in San Francisco vereinbarte völkerrechtliche Abkommen zur Regelung der Zusammenarbeit und Beziehungen zwischen den Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung und Selbst: bestimmung, Charta der UNO; Nürnberger, böhmische Charta. Von daher (bes. im Syntagma Magna Charta] übertragen auf unterschiedliche Arten von (vertraglichen) Vereinbarungen und Übereinkünften zwischen Parteien/Gruppierungen/Partnern vor allem des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, und allgemein verwendet im Sinne von 'Vereinigung, Zusammenschluß, Zusammenarbeit; (feierliche, offizielle, umfassende) Vereinbarung, Abmachung, Bündnis' (s. Belege 1937, 1955, 1959, 1961, 1964), oft in namenartigen Wendungen mit Bezeichnungen für bestimmte Interessengruppen und -verbände wie (Magna) Charta der Europäischen Zusammenarbeit, der französischen Unabhängigkeit, der sozialistischen Wiedervereinigung, des Einzelhandels, der Atomwaffengegner, der (Heimat-)Vertriebenen, des Deutschen Sportbundes, auch allgemeiner Charta des Datenschutzes, der Demonstrations-/Arbeitnehmerrechte, der Hoffnung, vor allem (Magna) Charta der/für Menschenrechte (1950 im Europarat in Straßburg gebilligt), und in Verbindungen wie eine Charta annehmen, beschließen, herausgeben, unterzeichnen, in Kraft setzen, formulieren, verabschieden, in Übereinstimmung mit (Grundsätzen/Prinzipien/Zielen) der Charta, der Charta entsprechen, gegen die Charta verstoßen; auch als Grundwort in Zss. wie historisch verwendetem Volkscharte (als Übersetzung von engl. people's charter, s. Beleg 1845), (mit geographischen Namen) Pazifik-, Atlantik-, Havanna-, Europa-, (mit Namen für Organisationen u. ä.) Eureka-, PEN-, UNO-, UN-Charta, und in eher okkasionellen Zss. wie Arbeits-, Wohnungsbau-Charta, Anti-Doping-Charta.

Charta

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Dazu seit Mitte 19. Jh. die veraltete subst. Ableitung Chartist, meist plur. verwendete, (bei Marx und Engels im Zusammenhang mit sozialradikalem Gedankengut nachgewiesene) historische Bezeichnung für eine Reform- und Volkspartei in England (1817), welche die Änderung der englischen Verfassung anstrebte und eine neue volkstümliche bzw. demokratisch orientierte Charta etablieren wollte, mit dazugehörigem, gleichzeitig nachgewiesenem Chartismus 'Grundsätze und Bestrebungen der Chartisten', und chartistisch 'auf den Chartismus, die Chartisten bezogen'. Charta: v. Watt um 1530 (Dtsch. hist. Sehr. II 437) Dise chart ist im achtenden jar geben des keisertümbs Carols des großen; Weber 1734 Enc. I 237 Charta . . 2) ein Buch, Schrifft . . 3) ein geschriebenes Instrument, Contract, Vergleich; Mauvillon 1776 Samml. l 170 Chartres (Freybriefe) der Kolonien; Schlözer 1778 Briefw. histor. Inhalts I 35 daß der Mutterstat diese Gewalt gegen die Kolonien, in Ansehung ihrer Freibriefe (Charters), ausgeübt habe; Meiners 1793 Sitten d. Mittelalters l 475 Das tyrannische Verfahren des schwachen Königs . . veranlaßte im J. 1215 die magna charta, oder den grossen Freyheitsbrief der Britischen Nation; Smith 1794 Nationalreichthum (Übers.) I 232 Privilegium, oder einen sogenannten Charter zu erhalten [zur Errichtung einer Innung]; Jean Paul 1803 S. W. 110,4 Sie drangen bei dem magistrate auf die vom seel. Kabel insinuierte Charte und die Oeffnung des Testaments ordentlich und geziemend; Goethe 1810 Farbenlehre (HA XIV 59) die Magna Charta war bereits unterzeichnet (1215), als er [Roger Bacon] zur Welt kam, jener große Freiheitsbrief, der durch die Zusätze nachfolgender Zeiten das wahre Fundament neuer englischer Nationalfreiheit geworden; 1828 Jahrb. d. Gesch. l 326 Würden die Jesuiten in Frankreich, ohne Charte, nicht ganz anders aufgetreten seyn, als wie sie es bisher thaten?; 1831 ebd. l 309 ff. churhessische Magna Charta vom 5. 1. 1831; Kohl 1843 Engl. l 33 So hat diese Schule noch ganz dieselbe alte Verfassung (charter) (SANDERS 1871); Marx 1843-45 MEGA IV 2,183 zwischen der Charte der Liberalen und der Charte der Royalisten .. ein ungemeiner Unterschied .. eine Verfassung [ist] immer ein Compromiß der das Leben theilenden Gewalten; ebd. 2,197 Die Reformationspunkte . . betreffen die Rechte der Kirche, öffentliche Sicherheit, Bezahlung der königlichen Schulden, Verpachtung der Zölle, Beobachtung der Magna Charta; Engels 1845 Lage d. arb. Klasse (MEW IV 216) Dies vorgeschlagene Gesetz des Proletariats ist die Volkscharte (people's charter), die . . eine demokratische Basis für das Unterhaus verlangt; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW II 58) Die in Frankreich nach der bürgerlichen Revolution von 1830 angenommene konstitutionelle Verfassung (Charte constitutionnelle) bildete das Grundgesetz der Julimonarchie; 1847 ff. National-Ztg.

Berl. XXI 240 Die Verleihung eines Charters [Bestätigungs-, Anerkennungsurkunde] an die katholische Universität in Dublin; Eberty um 1850 Waldeck 21 Das Werk, welches er [der Abgeordnete und Präsident des Verfassungsausschusses Franz Leo Waldeck im Juni 1848] mit der Kommissaion zu Stande brachte, wird von den Gegnern zum Hohn, seinen Freunden zur Genugtuung, von beiden aber mit Recht die Charte Waldeck genannt (LADENDORF); Bucher 1855 Parlamentarismus 64 die Charter, d.i. Verfassung; ebd. 141 Humesche Charte; 1861 Staatswb. VI 718 die plutokratische Beschränkung der Charte von 1814 war durch die reformirte Charte von 1830 einigermaßen gemildert worden; Bucher 1886 Sehr, polit. Inhalts 285 The People's Charter, die Volkscharte; Fischer 1897 Soziale Problem 686 das Erscheinen der Volkscharte, die das allgemeine Stimmrecht . . fordert; Redlich 1920 österr. Staatsproblem I 110 böhmische Charte von 1848; Heuss 1927 Politik Wb. 35 Charte ist eine aus den mittelalterlichen Überlieferungen übernommene Bezeichnung für d. Urkunde, d. d. Staatsgrundgesetze aufzeichnet. Maßgebend ist dabei die Erinnerung an die Magna charta libertatum von 1215, in d. d. englischen Barone von dem König Johann d. Wahrung ihrer Privilegien zugestanden erhielten. In den deutschen Verfassungskämpfen spielt d. „Ch. Waldeck" eine Rolle, d. h. d. Verfassungsentwurf des demokratischen Führers in Preußen 1848; Borchardt 1928 Handlungen 159 die Charten unserer Freiheit; Th. Mann 1930 Reden u.Aufs. (W. XI 874) Der Versailler Vertrag war ein Instrument, dessen Absichten dahin gingen, die Lebenskraft eines europäischen Hauptvolkes auf die Dauer der Geschichte niederzuhalten, und dieses Instrument als die Magna Charta Europas zu betrachten; Lokal-Anz. 24. 3. 1933 tatsächlich bedeutet das Ermächtigungsgesetz die Magna Charta, das Grundgesetz des neuen Deutschland; Münch. N. N. 14. 10. 1937 von dem bestehenden Einzelhandelsschutzgesetz . . das . . zur „Magna Charta" des Einzelhandels geworden sei; Th. Mann 1944 Reden u. Aufs. (W. XII 937) keine Zusammenarbeit der Völker für das gemeinsame Wohl und den menschlichen Fortschritt wird möglich sein ohne ein solches . . für alle gültiges, von allen anerkanntes Grundgesetz, eine Magna Charta des Menschenrechts; ders. 1945 Reden u.

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Aufs. (W. XI1037) die Atlantik-Charta . . ein revolutionäres Dokument, das die Prinzipien des Friedens festlegt und eine neue Ordnung verkündet; Neue Ztg. 1. 7.1946 Grundlage dieser ebenso erfolgreichen wie energischen Außenpolitik jedoch ist die Charta der Vereinten Nationen; ebd. 16. 12. 1946 Die Nürnberger Charta kann als Grundlage für ein zukünftiges internationales Gesetz dienen; NZ. (Basel) 16. 5. 1949 [dem] wichtigsten Grundgesetz des Regimes, der „ArbeitsCharta" von 1938 . . In der Präambel zu dieser Charta bekennt sich das Regime . . zur katholischen Tradition sozialer Gerechtigkeit; Näf 1950 Wesen 157 das freie Gesetz von 1834 .. ist .. zu einer Magna Charta libertatum geworden; Bergsträsser 1952 Gesch. 73 Die Verfassungsurkunde revolutionären Ursprungs, in diesen Kreisen bewußt nach ihrem demokratischen Schöpfer Charte Waldeck genannt, hoffte man noch Anfang 1850 dadurch aus der Welt zu schaffen, daß der König sie nicht beschwöre; Süddtsch. Ztg. 7. 10. 1954 das neue Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Bayern .. die „Magna Charta des kleinen Mannes auf der Straße" gegenüber der Polizei; ebd. 1. 9. 1955 Das jüngste Ergebnis dieser Bemühungen ist eine Charta für Strafgefangene; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 85 Im fränkischdeutschen Bereich erscheinen .. zunächst sowohl Charta wie Notitia .. Die alte Auffassung, daß Recht nur durch rechtssymbolische Handlungen geschaffen werden kann, nicht durch „Schrift", setzt sich, der spätgermanischen Kultursituation entsprechend, wieder durch. Der Charta sowohl wie der Notitia wird daher ein rechtssymbolischer Wert unterstellt: Nicht mehr die Schrift, sondern die traditio cartae, die rechtssymbolische Handlung der Übergabe des Pergaments, erscheint als maßgebender Akt; Süddtsch. Ztg. 24. 1.1959 Die große Charta der Atomwaffengegner (Überschr.) Die . . am 17. Januar 1959 . . vorgelesene . . „Charta der Hoffnung" ist aus der Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern, Ärzten und Schriftstellern entstanden; ND 20. 9. 1959 daß diese unsere Haltung vollauf den Prinzipien der UNO-Charta entspricht; 3961 Natur-Ordnung 165 Das Geheimnis der Hl. Dreifaltigkeit sei „in Wahrheit die Magna Charta jeder menschlichen Gesellschaft; Partner 1964 Erben 219 das benediktinische Regelwerk . . für mehr als sechshundert Jahre die „Magna Charta" des europäischen Klosterwesens; FAZ 1.8.1970 Stuttgarter Zwanzigjahrfeier für die „Charta der Vertriebenen"; Welt 30. 12. 1974 KSZE-Verhandlungsrunde in Genf . . soll „schnellstmöglich" jenes Dokument zur Unterschriftsreife bringen, das als Europa-Charta Normen für das künftige Verhältnis der europäischen Staaten und Völker enthalten wird; Zeit 5. 4. 1985

Der Sultan .. unterschreibt den Charter zur Siedlungsberechtigung der Juden in Palästina; MM 24. 7. 1985 Mit seiner Brokdorf-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht eine Art Magna Charta des Demonstrationsrechts geschaffen; ebd. 20. 9. 1985 Doch diese Forderung ist nicht neu. Schon 1966 wurde sie in der „Charta des Deutschen Sportbundes" erhoben und seitdem immer wieder bekräftigt; ebd. 28.11. 1985 [der Lyriker Jaroslav Seifert] unterzeichnete auch die Menschenrechts-Charta 77; Stern 16. 7. 1987 wer sich strikt an die Anti-Doping-Charta des deutschen Sports hält, dürfte nicht einmal Vitaminpillen schlucken und Mineraldrinks trinken; FAZ 1. 8. 1990 Konsens herrscht auch darüber, daß es im PEN der DDR Mitglieder gibt, deren Unterzeichnung der PEN-Charta einem Meineid gleichkommt .. die PEN-Charta verpflichtet nicht allein auf Literarisches, sondern vor allem auf Humanität, Moral und Charakterstärke; Spiegel 6. 9. 1993 kollektive Systeme der Zusammenarbeit und kollektive Sicherheitssysteme . . Das ist das Ziel der UNO, die erstmals das tut, was in der Charta steht. Chartismus: Engels 1845 Lage d. arb. Klasse (MEW IV 216) Der Chartismus ist die kompakte Form der Opposition gegen die Bourgeoisie; ebd. IV 217 Der Chartismus ist hervorgegangen aus der demokratischen Partei, die sich in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, zugleich mit und in dem Proletariat entwickelte; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW II 13 f.) gerade zu dieser Zeit schlugen die fortgeschrittensten Arbeiter Englands den Weg zu einer selbständigen, politisch ausgeprägten Arbeiterbewegung (Chartismus) ein . . Die Kritik . . dekretiert, daß die Fabrikarbeiter nicht aus bösem Willen und Chartismus, wie die dummen Fabrikanten meinen, sondern bloß aus Armut nicht zum Fonds der Anti-Corn-Law League beigetragen haben; ebd. II 15 Schön ist es auch, wenn die Kritik auffindet, daß „die Arbeiter sich noch immer von den umfassenden Versprechungen des Chartismus locken lassen"; Fischer 1897 Soziale Problem 685 das erste Auftreten des Arbeiterthums als selbstbewusste Volksklasse in England: die Bewegung des Chartismus. Chartist: Kohl 1844 Brit. Inseln II 172 Die Chartisten endlich sind diejenigen Radicalen, welche ihre Anforderungen am weitesten ausdehnen, und die ihre Wünsche in . . sechs berühmten Grundsätzen zusammengefaßt haben; Engels 1845 Lage d. arb. Klasse (MEW IV 222) Die radikale Bourgeoisie schloß sich in allen [223] Kollisionen den Liberalen gegen die Chartisten an, und macht überhaupt die Korngesetzfrage, die für den Engländer die Frage

Charter der freien Konkurrenz ist, zu ihrer Hauptaufgabe; Marx/Engels 1845 Heil. Familie (MEW U 13 f.) Die Kritik . . dekretiert endlich, daß die Zentralisation des Besitzes und ihre Folgen für die arbeitenden Klassen weder der besitzlosen noch der besitzenden Klasse in England bekannt seien, wenn auch die dummen Chartisten sie sehr gut zu kennen glauben und die Sozialisten diese Folgen längst im Detail dargestellt zu haben meinen . . daß die Zehnstundenbill des Lord Ashley . . eine schlappe juste-milieu-Maßregel und Lord Ashley selbst ein „treues Abbild des konstitutionellen Wirkens" sei,

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während die Fabrikanten, die Chartisten, die Grundbesitzer, kurz die ganze Massenhaftigkeit Englands bisher diese Maßregel für den . . Ausdruck eines durchaus radikalen Prinzips angesehen haben; 1874 Preuss. Jahrb. XXXHl 431 ff. Die englische Chartistenbewegung. chartistisch: Engels 1845 Lage d. arb. Klasse (MEW IV 223) Die chartistischen Arbeiter dagegen nahmen sich mit doppeltem Eifer aller Kämpfe des Proletariats gegen die Bourgeoisie an. IN

Charter M., früher selten F. (-s; -s), Mitte 19. Jh. übernommen aus engl. charter in seiner Bed. 'Mietvertrag (für Schiffe)' (< (alt-)frz. chartre 'Brief; Schriftstück', wohl zurückgehend auf lat. chartula 'kleine Schrift, Briefchen', Diminutiv von charta; —>· Charta). Zunächst meist auf den Schiffsverkehr und Seehandel bezogen in der Bed. 'Miet-, Pachtvertrag über ein Schiff oder Teile der Ladekapazität eines Schiffes' (als Kurzform von Chartepartie, Charterparty, —* chartern); von daher seit Mitte 20. Jh. auf andere Verkehrsmittel zur Beförderung von Personen oder Fracht ausgedehnt und vor allem im Flugverkehr verwendet in der Bed. 'Ankauf und Weitervermietung der Passagierplätze von Flugzeugen für Bedarfs- oder Gelegenheitsflüge vor allem im Reiseverkehr; Anmietung des Frachtraumes für Versorgungstransporte' (s. Belege 1949, 1950, 1955, 1957), gelegentlich in Wendungen wie per/mit Charter, in Charter nehmen, Charter fliegen und häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Chartermaschine, -flug, -flugzeug, -vertrag, -angebot, -unternehmen, -schiff, -geschäft, -gebühr, -bus, -(flug-)gesellschaft, -verkehr, -preis, -ziele; seltener als Grundwort in Zss. wie Monats-, Direkt-, Zeit-, Reisecharter. Schiebe 1845 Corr. 155 Charter (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1847ff. National-Ztg. Berl. XVIII 407 Wurde endlich am 21ten in London die Charter definitiv abgeschlossen . . Die erste Monats-Charter zuvor bar ausgezahlt (SANDERS 1871); 1907 HAPAG 17 Dampfer zur Aushülfe zu chartern .. Chartergeschäfte; Stratz 1929 Lill 174 Dann chartert er ein Taxi; Lokal-Anz. 26. 9. 1934 Die Verträge sehen Kauf- und Charterverträge vor, wonach die Hamburg-Süd die in der Südamerikafahrt beschäftigten Hapag- und Lloyd-Schiffe gegen Übernahme von Verpflichtungen der Union übernimmt; Welt 6. 7. 1949 Die SAS .. bietet seit kurzem im Rahmen ihres erweiterten Deutschlanddienstes Transportmaschinen zur Charter an . . Zur Verfügung stehen für den Charterdienst Maschinen, die 2000 Kilo, 3000 Kilo oder 7000 Kilo Fracht aufnehmen können. Die SAS veröffentlicht jetzt laufend Charterangebote für deutsche Exporteure; Suddtsch. Ztg. 9. 12.1950 [Sie] flogen kürzlich im Charterflugzeug einer katholischen Missionsgeseüschaft nach Südafrika; Welt 19.1.1954 Die europäischen Charterunternehmen, die über

Kurz- oder Mittelstreckenmaschinen verfügen, betrachten die zukünftige Entwicklung mit großer Sorge; ebd. 4. 2. 1955 Die indonesische . . Ocean Line will mit Charterschiffen der OrionSchiffahrtsgesellschaft . . einen eigenen Liniendienst . . aufnehmen; ebd. 13. 7. 1957 Fast wie im Generalstabsplan werden die Charter-Flüge auf ein halbes Jahr voraus, nahezu auf die Minute geplant . . eines Münchner Reisebüros, das sich auf Charter-Flugferien spezialisiert hat; ebd. 9. 5.1958 Den geradezu sensationellen Aufschwung, den die „Urlaubsreise per Charterflugzeug" innerhalb eines Jahres in der Bundesrepublik [genommen hat); Suddtsch. Ztg. 22. 9. 1960 Charterflüge und Pauschalreisen; Spiegel 4. 7. 1962 Am 8. November stürzte eine Constellation in Charter der US-Streitkräfte bei Richmond . . ab (AWB); Welt 19. 12. 1964 eine Ausnahme bildete das rege Zeitchartergeschäft. Linienreeder charterten Frachter für Einzel- und Rundreisen. Peking nahm einen 10000Tonner für ein Jahr in Charter; FAZ 31. 1. 1966 Die Pferde wurden . . mit Chartermaschinen nach Berlin zum Reit- und Springturnier gebracht; ebd.

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10.2.1966 Das Schiff wird .. deutscher Flagge fahren . . Charter, Umbau, Unterhalt und Personalkosten werden nach Angaben des Regierungssprechers elf Millionen Mark im Jahr ausmachen. Die Chartergebühr beträgt 3,6 Millionen Mark im Jahr; FAZ 2, 1.1967 Studenten-Charterflüge (Überschr.); Bild 5. 4. 1967 am Flughafen der rheinischen Hauptstadt wartet das DFB-Empfangskomitee: mit einem Charterbus; Zeit 27. 9. 1968 Der Gesetzgeber unterscheidet drei Charterformen: Affinity- oder Bona-fide-Charter, die Mitgliedern von Vereinen, Verbänden, Unternehmen und Korporationen ermöglicht, zu einem Preis weit unter den Linientarifen in die USA zu fliegen (AWB); FAZ 28. 2. 1969 das Ziel, den Fluglinienverkehr gegenüber dem Charterverkehr wieder wettbewerbsfähig zu machen; ebd. 14. l. 1971 Charterpreise sinken weiter (Überschr.) Trotz mancherlei Versuche, die abgleitende Tendenz der Ferienflugcharterpreise umzukehren; In einem Punkt unterscheiden sich Linien- und Charterflug . . Das Linienflugzeug ist im Durchschnitt wesentlich pünktlicher . . Da unter dem Druck schnell wachsender Charterflotten die Preise kontinuierlich zurückgingen; Süd-

dtsch. Ztg. 27. 7. 1974 Crew .. sucht Mot.-Kaj.Boot. Charter (Anzeige); Zeit 22. 2. 1980 Geflogen wird per Charter und Linie und am Urlaubsort selbstverständlich wieder „gesportelt" (AWB); ebd. 27, 6. 1986 beim Fliegen könnte man sich mit Touristenklasse begnügen, oder sogar mit Charter; MM 1. 10. 1986 Strauß und Tandler sind in einem popfarbenen Charter-Hubschrauber eingeflogen; 1987 ADAC-Motorwelt VI 110 Unser Rückflug mit Charter wurde um einen Tag verschoben; Spiegel 26. 1. 1987 Schon im vergangenen Jahr haben die Liniengesellschaften immer mehr Passagiere, die sonst Charter geflogen wären, mit günstigen Tickets gelockt (beide AWB); Frankf. Kundsch. 15. 12. 1990 zugunsten der ausführlicheren Darstellung der . . angebotenen Charterziele (Kanaren, Spanien, Tunesien, Griechenland, Türkei) entfielen hochpreisige Fernreiseangebote; Spiegel 25. 1. 1993 [von der Kollision] war .. ein Tanker auf Charterfahrt betroffen; ebd. 26. 12. 1994 haben . . Charterreisen eine weltweit reichende Mobilität geschaffen. Und die Medien verwirklichen den Gedanken einer globalen Kommunikationsgesellschaft mit erdumspannender Technik. IN

chartern V. trans., im früheren 19. Jh. entlehnt aus engl. charter 'ein Vorrecht einräumen, erteilen; ein Schiff vermieten, befrachten' (zu charter in seiner Bed. 'Mietvertrag (für Schiffe)'; —* Charter). a Zunächst vor allem in der Seemannssprache für 'ein Schiff zur Befrachtung (ver-)mieten' (s. Belege 1844, 1845, 1847 ff., 1907), von daher auf andere Verkehrsmittel des Güter- und Personentransports bezogen und allgemeiner verwendet für 'Eisenbahnzüge, Busse und bes. Flugzeuge für Bedarfs-, Gelegenheits-, Sonderfahrten oder -transporte, seltener Urlaubsreisen o. ä. anmieten' (s. Belege 1931, 1934, 1949, 1962, 1982, 1985), im Unterschied zum zugrundeliegenden Subst. —* Charter in bezug auf den Flugverkehr seltener verwendet, vereinzelt auch von Personen 'jmdn. mit einem Charterflugzeug befördern' (s. Beleg 1968); dazu seit Ende 19. Jh. das Verbalsubst. Charterung F. (-; -en) '(Ver-)Mietung (von Schiffen oder Flugzeugen)'; seit späterem 19. Jh. die Präfixbildung verchartern V. trans. '(Flugzeuge, Schiffe) vermieten', auch übertragen und leicht abwertend gebraucht im Sinne von 'verkaufen; verhökern' (s. Belege 1980, 1985), mit dem seit früherem 20. Jh. nachgewiesenen Subst. Vercharterung; Ende 19. Jh. die vereinzelt kaufmannsspr. nachgewiesene, erst seit den 60er Jahren kontinuierlich belegte, aus gleichbed. engl. charterer übernommene Personenbezeichnung Charterer M. (-s; -) 'jmd., der ein Schiff oder Flugzeug mietet', heute meist bezogen auf Reiseveranstalter, die Flugzeuge anmieten, um die Plätze an Fluggäste weiterzuverkaufen. Daneben die ältere, von Mitte 15. bis Anfang 20. Jh. nachgewiesene Zs. Chartepartie (nach gleichbed. frz. charte-partie, eigentlich 'geteilte Urkunde, Doppelurkunde, von der jeder der Vertragspartner als Kontrolle die Hälfte erhält'), auch Zertepartie (nach niederl. certe-partie] und im 19. Jh. zunehmend in der engl. Form Charterparty, in der Bed. 'Schiffsmietvertrag, Frachtvertrag für die Gesamtladung von Schiffen'.

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b Seit etwa früherem 20. Jh. (im Unterschied zum Engl.) seltener bildlich und übertragen verwendet im Sinne von 'sich etwas (leihweise) verschaffen; etwas mit Beschlag belegen; jmdn. für einen bestimmten Zweck anheuern' (—» engagieren). chartern a: 1844 Schleier 106 chartern, Certepartie mit einem Schiffer schließen; Schiebe 1845 Corr. 94 Schiffe . . die alle zu sehr billigen Frachten zu chartern sein würden (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1847 ff. National-Ztg. Berl. XVII 140 Der engl. Schraubendampfer, v. Newcastle mit Kohlen auf hier bestimmt u. ab hier zurückgechartert (SANDERS 1871); Güssefeld 1863 Briefw. 13 Dies Geschäft erfordert weitaussehende Aufmerksamkeit, denn um dem Bedarf [an Baker-Guano] in 1864 begegnen zu können, müssen schon jetzt die Schiffe gechartert werden; Brinckmann vor 1870 W. IV 125 Klasen un Abensetter har'n den Agamemnon for "ne Ladung Weiten nah London schartert un dei Scharterpartie all ünnerteikent (KLUGE, Seemannssprache); 1889 Buch d. Erfindungen 87 Die Kleinhändler und Ladenbesitzer machten jedoch während der Anwesenheit der bei Suez in der Wüste kampierenden britischen Truppen recht gute Geschäfte, ebenso durch die gecharterten britischen Transportschiffe; Liliencron 1896 Poggfred (XI 130) Er chartert sich den ersten besten Dampfer,/ Frech durch den Ozean furcht der Wogenstampfer; 1907 HAPAG 17 Dampfer zur Aushülfe zu chartern; Dunkelberg 1910 Rhein'lex. 12 chartern, ein Schiff zwecks Befrachtung vom Schiffer mieten; Voss. Ztg. 8. 3. 1929 Da stellte es sich heraus, daß die Mutter am Abend vorher mit einem eigens für diesen Zweck gecharterten Flugzeug mit dem Kinde ins Ausland entflohen ist; Preczang 1931 Ursula 195 Komm, ich hab meines Hauswirts Boot gechartert. Wir fahren aufs Meer hinaus; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. IVIV 729) Ihr Reiseplan aber war, von dort an nicht länger zu Lande zu reisen, sondern ein Schiff zu chartern und auf dem Wasserwege No-Amun, Pharao's Stadt, zu gewinnen; Lokal-Anz. 24. 4. 1934 Stunden warten, bis ein Zug nach dem bosnischen Unglücksgebiet geht. Was tun? Ein Auto chartern; ebd. 27. 9. 1934 Die Untersuchungsbehörden forschen nach einem Mann, der sich . . dadurch verdächtig gemacht hat, daß er einen Hafendampfer charterte, um dem Dampfer „Columbus" nachzufahren, den er bei der Abfahrt nach Europa verpaßt hatte; ebd. 29. 9. 1934 mit Hilfe eines gecharterten Schleppers; ND 10.3.1949 Verschiedene britische Handels- und Industriegesellschaften . . haben Flugzeuge gechartert, um ihren britischen Angestelltenstab außer Landes zu bringen (AWB); Th. Mann 1953 Erz. (W. VU1 938) Unter Rosaliens energischem Antrieb war die Abmachung schnell und fest getroffen. Es war Keaton, der mit dem

Chartern des Motorbootes beauftragt wurde; Welt 9.8.1954 Hier auf dem holländischen Flugplatz haben sie die Gelegenheit, ihren Luftfahrtschein zu erneuern und stundenweise eine Maschine zu chartern; Süddtsch. Ztg. 27. 7. 1957 Auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes wird Ollenhauer voraussichtlich auch einen belgischen Hubschrauber tageweise chartern, um unmittelbar vor der Wahl einige kleinere Städte ohne Zeitverlust anfliegen und dort sprechen zu können; Spiegel 4. 4. 1962 Eine Boeing 707, die das amerikanische Militärtransportkommando von der PAA gechartert hatte (AWB); Welt 19. 12. 1964 eine Ausnahme bildete das rege Zeitchartergeschäft. Linienreeder charterten Frachter für Einzel- und Rundreisen. Peking nahm einen 10000-Tonner für ein Jahr in Charter; FAZ W. 2. 1966 das Bundeskabinett hat am Mittwoch seine Einwilligung gegeben, das Hamburger Seebäderschiff „Helgoland" zugunsten des Deutschen Roten Kreuzes als Hospitalschiff für Vietnam zu chartern; Mittelbayer. Ztg. 17. 8. 1968 Immer mehr Urlauber werden „gechartert" (AWB); Stern 6. 8.1980 Stein hat gesagt, er wolle Tanker chartern und mit Öl handeln (AWB); FAZ 14.12. 1982 solche Kuriere chartern auch schon mal einen Hubschrauber oder fahren mit dem Geländewagen in die Wüste; MM 25. 7. 1985 Gechartert wurde der Zug bereits von einem Medienkonzern und von einer Reisebürokette, die ihre Gäste damit schnell und bequem zum Luxusliner „Europa" nach Bremerhaven bringen will (AWB); Bild 24. 8. 1989 Wir charterten für sie einen Bus, um sie in die Budapester Badeanstalten zu fahren; Spiegel 20. 9. 1993 Die Bonner Regierung charterte .. einen russischen Antonov-Transporter; ebd. 11.4. 1994 Früher charterte der Karlsruher Sportclub den Mannschaftsbus bei örtlichen Reiseveranstaltern; heute besitzt er einen eigenen. Charterer: 1894 Eitzen 26 Charterer (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Zeit 27. 9. 1968 Own-UseCharter, in der Bundesrepublik noch selten, bedeutet: Der Charterer bezahlt das Flugzeug selbst, ohne seine Fluggäste finanziell zu beteiligen; Welt 7. 6. 1971 Im Gegensatz zum Ferienverkehr in Europa verkaufen die Nordatlantik-Charterer reine Transportleistungen an Passagiere (beide AWB); ebd. 4. 4. 1974 Die Verteuerung des Öls hat die Aufnahmeneigung der großen Ölfirmen sichtlich gedämpft. Einige Charterer nutzen die Lage aus . . die Ende März . . mindestens 4, nach einigen Berichten sogar 7 Mammuttanker . . aufnahmen;

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chartern

Spiegel 18. 6. 1984 Um konkurrenzfähig zu bleiben, gingen die Charterer ihrerseits mit den Preisen runter (AWB); Stern 15.10.1987 Sie mischen sich mit den Morgenmaschinen des innereuropäischen Geschäftsverkehrs, die wie Heuschrecken aus allen Himmelsrichtungen einfallen. Gleichzeitig warten die Charterer mit ihren Pauschalurlaubern auf Startfreigabe; Spiegel 8. 3. 1993 Die Piloten dieser Sub-Charterer möchte der Lufthansa-Vorstand künftig in Seminaren mit den Verfahrensweisen und Sicherheitsauflagen der Lufthansa-Crews vertraut machen. Charterung: 1894 Eitzen 26 Charterung (SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1907 H AP AG 17 Dampfer zur Aushülfe zu chartern . . Charterung von Dampfern; Süddtsch. Ztg. 20.7.1950 Die Fischdampferflotte wurde nach 1945 zunächst fast ausschließlich durch sogenannte Rückbauten aus von der Kriegsmarine übernommenen und umgebauten ehemaligen Fischereifahrzeugen vergrößert, zu denen einige Charterungen von den USA und Belgien kamen. verchartern: vor 1871 Magazin d. Ausld. XXXVIII 884b Der Eigner eines Fahrzeuges verchartert dasselbe an 10 od. 12 Mann (SANDERS 1871); Welt 4. 4. 1974 Ein 22224 Tonner wurde für 23 bis 24 Monate zu 8,30 Dollar pro t und Monat verchartert; Bunte 22. 2. 1979 Denn sein Kompagnon habe das Schiff meistens verchartert; Stern 6. 3. 1980 Sie will sich nicht mehr verchartern lassen (Anzeige); FAZ 27. 5. 1982 Viele Anbieter verlangen, daß mindestens ein Crewmitglied den -Schein hat, und verchartern die Boote nur ganz an Familien oder Cliquen; Zeit 15. 2. 1985 Warum schreiben diese Walkman-Brüder mit ungelenker Schrift die Broschüre „Save our School", warum wollen sie, daß ihre Seelen gerettet, Haus und Gelände nicht verchartert werden? (alle AWB); MM 9. 4. 1988 ein Geschäftsmann . . kam auf die Idee, ein Sportboot anzuschaffen und dieses im Rahmen eines angemeldeten Gewerbebetriebes zu verchartern. Vercharterung: Münch. N. N. 12.5.1938 Flugzeug-Zubringerdienst, Bedarfs-, Sonder- und Reklameflug, Durchführung von Luftveranstaltungen, Vercharterung von Flugzeugen; Süddtsch. Ztg. 20.10. 1960 Gleichzeitig hat die amerikanische Schifffahrtsbehörde den Verkauf, die Übertragung oder die Vercharterung amerikanischer Schiffe an cubanische Interessenten ohne die Zustimmung der Regierung untersagt; Welt 13. 9. 1969 Steuerersparnis durch Kapitalbeteiligung in der Seeschifffahrt . . hohe, gleichbleibende Rendite durch langfristige Vercharterung; MM 9. 4. 1988 Mit der Ver-

charterung erzielte er jedoch keine Überschüsse und nach einigen Jahren gab er den Betrieb auf. Chartepartie/Charterparty: 1452 Hans. U-B VIII 136 (Lübeck) [die Schiffer] hadden myt sik .. ere tzerterpartye unde breve; 1683 Schück H 158 SeeBriefe, Cognoscementer, Certeparteyen (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); 1732 Wohlinstr. Schiffer 5 der zwischen dem Verhäurer und Befrachter geschlossene Contract muß allezeit schriftlich abgefasset werden; dieses Document nennen die Teutschen Zerteparthey, die Italiäner Charta partita, und die Frantzosen Charte partie, es wird in duplo ausgefertiget und bekömmt ein jeder der Contrahenten davon ein Exemplar; ebd. 8 Wann also, wie im vorhergehenden erinnert, die Fracht ordentlich bedungen, und eine Zerteparthey darüber schrifftlich auffgerichtet worden, muß der Schiffer seine erste Sorge seyn lassen, das Schiff, wenn es nöthig seyn solte, wohl zu calfatern (KLUGE, Seemannssprache); Bolte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 257 Wer ein ganzes Schiff befrachtet, errichtet mit dem Schiffer einen Kontrakt (Charte Partie), worin alles genau und umständlich verzeichnet wird; Nettelbeck 1821 Lebensbeschr. I 149 die certeparthie darüber ward geschlossen und sowohl von einem russischen General, mit dem ich es zu thun hatte, als auch von mir unterzeichnet (KLUGE, Seemannssprache); Escheis 1835 Lebensbeschr. 222 kommt ein Schiff nach dem in der Chartepartie oder Frachtcontract bestimmten Tage an, und die Frachten stehen niedrig; ebd. 279 weil ich nach Charleston befrachtet war und in meiner Chartepartie bestimmt war, daß ich im Februar 1796 dort seyn sollte (KLUGE, Seemannssprache); 1852 ff. Natur XVI 165a Nordamerikan. Schiffe, welche v. Auswanderungsexpedienten gechartert werden (SANDERS 1871); Brinckmann vor 1870 W. IV 125 Klasen un Abensetter har'n den Agamemnon for 'ne Ladung Weiten nah London schartert un dei Scharterpartie all ünnerteikent (KLUGE, Seemannssprache); 1892 Reuleattx 246 Chartepartie = schriftlicher Kontrakt, der zwischen dem Schiffer und dem Schiffsbefrachter vor einem Notar und Zeugen errichtet und in duplo oder auch wohl in triplo ausgefertigt wir (beide KLUGE Seemannssprache); Dunkelberg 1910 Rhein'lex. 12 Chartepartie .. Charter, Frachtvertrag zwischen Schiffer und Befrachter. chartern b: Tucholsky vor 1935 Deutschland 162 Grenz chartert zwei Mann; Mühsam 1949 Namen 185 Im Ratskeller wurde jeden Montag ein Tisch gechartert (beide WOG); Westfäl. Volksbl. 1. 7. 1982 Mit einer gecharterten Gulaschkanone hatten die TV-Mitglieder .. alle Hände voll zu tun, um über 100 Mannschaften in den 15 Sporthallen . .

Chassis mit . . Erbsensuppe zu versorgen (AWB}; Spiegel 25.5. 1987 „Leihen leicht gemacht" ist der Titel eines 68-seitigen Katalogs, in dem alle Dinge und

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Dienstleistungen aufgeführt sind, die sich leihen, chartern, engagieren oder mieten lassen (AWB). IN

Chassis N. (-; -), im frühen 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. chassis, altfrz. chassiz 'Einfassung, Rahmen' (zu chässe 'Kästchen; Gestell', altfrz. chasse 'Schrein, Behälter; Einfassung', zurückgehend auf spätlat. capsum 'eingeschlossener Ort', lat. capsa 'Behältnis'; etymologisch verw. mit —» Kasse), anfangs gelegentlich mit frz. Schreibung, vereinzelt M. (vgl. b). a Zunächst im kunsthandwerklichen Bereich für 'Rahmen, Einfassung (eines Gemäldes); Gestell, Unterlage (bei der Stoff- oder Papierbearbeitung)', auch 'Blendrahmen eines Fensters', und in jüngster Zeit speziell in der Textiltechnik gebucht für 'Behälter für die Färbe- oder Appreturlösungen bei Stoffveredelungsmaschinen' (s. Beleg 1987). b Seit Anfang 20. Jh. in der technischen Fachbed. 'tragendes Gestell, Grundgestell, Unterlage (einer Konstruktion)', speziell in der Kraftfahrzeugtechnik für 'Untergestell, das bei Kraftfahrzeugen den Aufbau trägt; Fahrgestell, an dem die Achskonstruktion mit den Rädern und die Antriebselemente mit dem Motor befestigt sind' (im Unterschied zu —* Karosserie), vereinzelt als Bezeichnung für das Fahrzeug selbst, speziell einen Rennwagen (s. Beleg 1928), als Grundwort in Zss. wie Auto-, Fahrzeug-, Omnibuschassis; seit früherem 20. Jh. in der Phonotechnik für 'Montagerahmen, auf dem die Aufbauteile phonotechnischer Geräte, bes. Radioapparate, befestigt sind' (s. Belege 1933, 1933-34, 1961, 1963, 1970, 1987, 1989), als Grundwort in Zss. wie Empfänger-, Geräte-, Lautsprecher-, Radiochassis. Chassis a: Uffenbach 1728 Tagebuch 10 Alle Fenster haben Chassis von Neßeltuch, worauf ins Gelbe allerley Figuren gemahlt sind, welche von der Sonne erleuchtet ein artig Ansehen geben; Zedler 1733 Vniversallex. V 2038 Chassis, ein Rahm eines Gemähides, es sind die Stücken Holz, welche das Viereck oder eine andere Art von der Figur, woran das Tuch fest gemacht ist, formieren; Schrader 1832 Wollen- oder Schönfärberei 8 Um damit zu arbeiten, werden die gefärbten Zeuche über den Drucktisch ausgebreitet und die vorgedachte Beize, nachdem sie auf einem Chassis ausgestrichen, mit einer beliebigen Druckform von Holz davon abgenommen und auf das Zeuch aufgedruckt; 1987 Brockhaus IV 433 Chassis Textiltechnik: ein Behälter für Farbstofflösungen, Druckfarben, Schlichteund Appreturflotten bei Veredelungsmaschinen. Chassis b: Küster 1907 Automobil 62 Untergestell („Chassis"); 1908 Zukunft LXV 110 der Chassis des Automobils; Kes 1914 Kraftwagenlinien 8 Chassis (Untergestell mit Motor); Edschmid 1928 Gagaly 8 Das Chassis war mit einer Wucht gegen den Boden gepreßt, daß die Federung es wie ein Raubtier über die Chaussee springen ließ; ebd. 324 Der Motor lag so stark auf dem leichten Wagen,

daß dieses Chassis deutlich im Zickzack fuhr; ebd. 336 Gleich nach dem Passieren des Zielbands hatte er das Chassis auf die Seite von der Straße weg gefahren, um frei zu lassen; Voss. Ztg. 23. 12. 1930 Auch die [Kraftfahrzeug-JChassis wurden auf Schienengeleise gestellt, die etwas erhöht über den Boden liefen; Berl. lllustr. Nachtausg. 17.8. 1933 ein modernes Empfänger-Chassis . . Die deutsche Industrie kann stolz darauf sein, die betriebssichersten Radioapparate der Welt zu fabrizieren; 1933—34 Verd. techn. Frw. o. S. Chassis eines Kraftfahrzeugs . . Fahrgestell .. Chassis eines Rundfunkgeräts . . Untergestell, Rahmen; Welt 26. 3. 1949 Suche Omnibuschassis Opel Blitz, 3,6 Lit., komplett, ohne Motor (Anzeige); NZ. (Basel) 2. 5. 1950 Etwas Besonderes ist der in der nächsten Abteilung untergebrachte Apparat zum Chassisrichten. Er lässt es zu, die Lage und gegenseitige Stellung von Fixpunkten am Chassis genau zu kontrollieren, indem sie auf Papier aufgezeichnet werden; Johnson 1961 Buch 83 Aus dem offenen Chassis des Radios leuchtet eine dicke Röhre, auf die ohne Hals ein winziger Kopf aufgesetzt ist, der glüht; Pinkwart 1963 Mord 35 das Gerät daneben .. das andere Chassis . . ist für die künftige Übertragung eines Zweiten Programms gedacht, um

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den Gästen eine Möglichkeit zur Auswahl zu geben; Bild 14. 2. 1967 er hat auch das Chassis des neuen Formel-§II-Rennwagens von BMW gebaut, mit dem die Münchner am 24. März in England ihr Renn-Debüt geben werden; Hergenröder 1970 Männer o. S. Elektro-Firmen wie etwa AEG, BBC und Siemens . . benötigen große Mengen an Makroion für die Wickelkörper von Spulen, für Gehäuse von Haartrocknern und Elektroquirls, als Chassis und durchsichtige Abdeckkappen von Stromzählern und elektrischen Schaltgeräten, als Bauelement-Halterungen in Radio- und Fernsehgeräten; Stern 27. 7. 1987 Gegenüber den leichtgewichtigen „Plastikbombern" haben diese Geräte sehr stabile Chassis; MM 14. 2. 1989 Ein Detektor,

der den Fahrer warnt, wenn das Fahrerhaus nicht ordentlich auf dem Chassis verankert ist. . Die ersten von 70 Midibussen auf Mercedes-Benz 811 DChassis; ebd. 30. 3. 1989 Im Lichtbogen-Verfahren wird auf das Radio-Chassis eine Nummer eingeschweißt, die gleichzeitig in den Autoradio-Paß eingetragen wird; ebd. 29. 8. 1989 „Integriert" ist ein Reisemobil, wenn außer Chassis und Motor der Aufbau vom Motorcaravaner stammt; ebd. 12. 4. 1991 Punktschweißarbeiten an einem Autochassis in höchster Präzision; Spiegel 21. 2. 1994 Die demontierten Panzerrümpfe stapeln sich wie in einem Sarglager. Drei Schichten hoch und endlos lang ist die Phalanx der aufgeschweißten Chassis. IN

Chauffeur M. (-s; -e), Ende 19. Jh. entlehnt aus frz. chauffeur (d'automobile) 'Kraftfahrer' (ursprünglich 'Heizer', vgl. chauffeur de locomotive '(Kessel-)Heizer beim Lokomotivbetrieb als Assistent des Lokführers', zu chauffer, altfrz. chaufer, 'heizen, warm, heiß machen', zurückgehend auf vulgärlat. *cal(e)fare, lat. cal(e)facere 'erwärmen, erhitzen; heizen'; vgl. Kalfakter, Kalfaktor), anfangs vereinzelt mit frz. Pl. -s, in den 30er Jahren vereinzelt in der eingedeutschten Schreibung Schofför. Zunächst noch in bezug auf den Mechaniker, der den Wagenführer bei untergeordneten Arbeiten unterstützt (s. Beleg 1907), im Zuge der Entwicklung des Berufes zum professionellen Fahrer (mit Reparatur- und Wartungskenntnissen) vor allem für 'jmd., der bei reichen, einflußreichen oder prominenten Leuten in Dienst steht, um diese mit ihrem Fahrzeug überallhin zu fahren; Herrenfahrer', in den 20er Jahren als zeitgeschichtlicher Prototyp des modernen Proletariers und einseitig technischen, materialistischen Menschentypus (s. Belege 1926, 1926-27, 1928, 1932) thematisiert, bes. in der Zs. Chauffeurtypus, und bis heute konnotiert mit „in der (Personal-, Dienstleistungs-)Hierarchie auf niederer, unterster Stufe stehend; ungeschlacht, ohne Manieren" (s. Belege 1909, 1920, 1930); dann bis heute auch allgemeiner und wertungsneutral für '(berufsmäßiger) Fahrer eines Kraftwagens, Fahrzeuglenker, Kraftfahrer', insbes. 'Fahrer eines Autos zur (berufsmäßigen) Personenbeförderung', heute dafür meist Fahrer, als Grundwort in Zss. wie Privat-, Herrschafts-, Mercedes-, Droschken-, (Reise-)Bus-, Bahn-, Traktor-, Mietwagenchauffeur, häufig auch kurz für Taxi-, Lkw-Chauffeur (s. Belege 1986, 1989, 1990, 1994) verwendet, seltener als Bestimmungswort in Zss. wie Chauffeuruniform; chauffeurgepflegt, von Wagen mit bes. (wie ständig von einem berufsmäßigen Chauffeur) gepflegtem Aussehen (s. Beleg 1964). Seit Mitte 20. Jh. selten auch in movierten Formen wie aus gleichbed. frz. chauffeuse übernommenes, veraltendes Chauffeuse F. (-; -n) und in jüngster Zeit Chauffeurin F. (-; -nen). Dazu seit frühem 20. Jh. aus gleichbed. frz. chauffer (s. o.) entlehntes chauffieren V. (in)trans., früher vereinzelt in der eingedeutschen Schreibung schoffieren; zunächst und gelegentlich noch heute (s. Belege 1969, 1990, 1994) für '(ein Kraftfahrzeug) lenken, steuern, führen', in Wendungen wie ein Auto/Fahrzeug/eine Limousine/einen Pkw/Mercedes/Omnibus chauffieren, chauffieren lernen, selbst, eigenhändig chauffieren, auch übertragen im Sinne von 'etwas/jmdn. lenken, führen, zu etwas

Chauffeur

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verleiten; manipulieren', z. B. in der Wendung ein Volk ins Verderben chauffieren (s. Beleg 1925); dann seit Mitte 20. Jh. in der dominanten Bed. '(als Fahrer) jmdn. irgendwohin fahren, für jmdn. den Chauffeur spielen; Personen befördern' und (seltener) 'Sachen transportieren' (vgl. kutschieren; s. Belege 1952, 1953, 1985, 1989, 1991), speziell auch für 'als berufsmäßiger Fahrer bei einer prominenten Persönlichkeit fest angestellt sein, um diese überallhin zu fahren' (vgl. Butler, Gärtner; s. Belege 1989, 1993, 1994), in Wendungen wie jmdn. mit/in einem Auto/Pkw/Taxi/Flugzeug u. ä. chauffieren, sich chauffieren lassen, chauffiert werden. Chauffeur: 1896 Dtsch. hippolog. Presse Xll 512 einer der eifrigsten Chauffeurs, wie die Mitglieder des Automobil-Klubs [in Paris] heißen; Küster 1907 Chauffeur-Schule. Theoretische Einführung in die Praxis des berufsmäßigen Wagenführers (Titel); ebd. 11 Das Wort Chauffeur . . ist aus dem Lokomotivbetrieb übernommen, wo dem Führer der Lokomotive immer ein Mann zur Unterstützung beim Kesselheizen, ein Heizer, beigegeben wird. Da, wie oben schon ausgeführt, früher der Chauffeur den Lenker des Wagens ebenfalls nur bei untergeordneten Arbeiten zu unterstützen hatte, so lag es nahe, die erwähnte Bezeichnung auch auf ihn zu übertragen, obwohl das Wort „Heizer" eigentlich recht schlecht auf ihn paßt, ganz besonders, seit der Chauffeur durch die . . Entwicklung des Berufes zum selbständigen Wagenlenker geworden ist. Es ist daher recht erfreulich, wenn sich neuerdings Bestrebungen geltend machen, die Führer von Kraftfahrzeugen mit einem passenden deutschen Namen zu benennen. So haben z. B. die Chauffeure des deutschen Kaisers den Titel „Wagenführer"; Th. Mann 1909 Hoheit (W. 271) um ihn nicht entlassen zu müssen, habe Herr Spoelmann ihn zum Leibchauffeur seiner Tochter ernannt; ebd. U 272 sie sprachen dann noch mehreres von dem schweren und angespannten Dasein eines Chauffeurs; Berend 1909 Marionetten 18 dieser Herr mit dem Chauffeurgesicht . . Aber Chauffeur paßt doch gar nicht auf ihn. Chauffeure sind doch brutale Kraftmenschen, die uns in einer Staubwolke auf geebneten Wegen vorwärtsjagen; Müller-Guttenbrunn 1915 Völkerkrieg 50 Auch in Wien sind schon einige Überklebungen von Mordes- und Robs-Schilden vorgekommen. Unsere Chauffeure heißen plötzlich Autolenker; Dombrowski 1920 System 91 Nach kommunistischem Rezept nahmen alle, vom Herrn Botschafter bis zum Herrn Chauffeur herab, gemeinsam das Mittagsmahl ein. Da aber begab es sich, daß der Herr Chauffeur Gefallen fand an seinem Gegenüber, der Marquise von Pompadour. Herr Joffe bemerkte es . . Am nächsten Tag speiste er mit der Marquise . . in einem anderen Zimmer; Keyserling 1926 Welt 72 f. Die heutige Jugend ist über alle Begriffe primitiviert, der Chauffeur kein hohes

Ideal, und weder die Bolschewisten- noch die Fascistenführer sind Kulturvorbilder; ebd. 95 Der Fortschrittsgedanke ist zum Evangelium der Massen geworden, deren Idealbild demgemäß der Chauffeur, der technisierte Wilde ist; Voss. Ztg. 26. 10. 1926 1000 Worte Englisch mit dem Droschkenchauffeur (Überschr.); 1926-27 ZfMenschenkunde 11 2,64 Es braucht nicht ausdrücklich erwähnt zu werden, daß nur die „Eliten", nicht die „Chauffeure" als Leser in Betracht kommen; 1928 Histor. Belletristik 6 im Zeitalter des Chauffeurs; Stratz 1929 Lill 124 Draußen, vor dem Eingang, stand ein Haufen Herrschaftschauffeure andächtig um seinen riesigen, grauen Rennwagen; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 290) Der Mechanismus erstickt die Seele, Geist und Kunst gehen zugrunde, Grammophon, Film, Radio, der sportliche Rekord sind an der barbarischen Tagesordnung, und „dem Chauffeurtypus", das heißt einem entadelten und würdelosen Menschentum, strebt die Epoche zu; Geissler 1930 Weiss 79 Was ist überhaupt ein Vergnügen, wenn man die Welt aus der Chauffeurperspektive betrachten muß?; Berl. Morgenpost 10. 4. 1931 Dieser Schofför ist vollkommen verrückt . . Es geht ihn doch gar nichts an, was wir sagten; Gebauer 1932 Kulturgesch. 573 der geistlose technische „Chauffeurtypus" des Gegenwartsmenschen; Lokal-Anz. 8. 8. 1934 dem Erdgeschoß, in dem außer dem Hausmädchen auch der Chauffeur wohnt; 1939 Dtsch. Volkswirtschaft 392 gewandten, zuverlässigen und vielseitig verwendbaren Personals (Chauffeure, Kutscher, Wagenpfleger, Beifahrer); Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 527) der Chauffeur, auch mit Andeutungen von Herrschaftlichkeit in seiner Tracht, stand rauchend neben seinem Wagen und lüftete, als wir vorübergingen, seine Schirmmütze mit breitem Lächeln; ND 10. 6. 1949 zwischen amerikanischen Soldaten und dem Fahrer einer Taxe kam es in der Nacht zum Donnerstag zu Auseinandersetzungen, bei denen der Taxichauffeur schwer verletzt wurde; Welt 11. 12. 1954 suche Anstellung als Privatchauffeur . . Omnibus- u. Taxi-Führerschein, Führerschein für alle Klassen . . guter Wagenpfleger mit Reparaturkenntniss., anpassungsfähig, mit guten Umgangsformen (Anzeige); Miinch. Stadtanz.

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Chauffeur

16.3. 1962 Vorwiegend handelt es sich in dieser Gruppe [mit kurzen Arbeitswegen] natürlich um Fußgänger oder „Eigenchauffeure" von Autos, Mopeds oder Fahrrädern; Welt 11.4. 1964 Mercedes 220 Sb mit Stahlschiebedach, Radio u. w. Zubeh., Bauj. 62, 45000 km, hellbeige, chauffeurgepflegt, in allerb. Zustand, zu verkaufen; N. Z. Z. 28. 3. 1971 Die Ueberlandchauffeure, die vor zwei Tagen die Autobahn gesperrt hatten, verlangten . . die Abschaffung der Geschwindigkeitsbegrenzung für Lastzüge; Welt 31. 10. 1974 sogar des Landes Erster Banker .. beschäftigt keinen Butler, keinen Gärtner und keinen Chauffeur in seiner eleganten, aber keineswegs prachtvollen Villa am Zürichsee; Zeit 27. 9. 1985 die Prosperity geht weiter . . nun hat ein jeder nicht mehr zwei, sondern drei Autos in der Garage, und dies nicht reiche Leute, sondern z. B. eine Negerfamilie, in der der Mann Chauffeur und die Frau Haushaltshilfe bei einer Familie auf dem Lande sind; ebd. 3. 10. 1986 der Chauffeur verzieht keinen Muskel, als er die . . merkwürdigen Firmenmitglieder zu Gesicht bekommt. (Weil Chauffeure hoher Chefs nämlich durch nichts mehr zu erschüttern sind); ebd. 1. 5. 1987 ohne Illusion diagnostiziert er den deutschen Ellenbogenmenschen der heutigen Zukunft, das nie entspannte, glattrasierte, energiestrotzende Chauffeursgesicht; MM 28. 8. 1989 Dort geriet der Anhänger eines Lastzuges aus Osnabrück während der Fahrt so sehr ins Schlingern, daß der LkwChauffeur ein Umkippen nicht verhindern konnte; Rhein. Merkur 9. 3. 1990 als individualverkehrverwöhnter Autofahrer fühlt man sich dem Chauffeur irgendwie ausgeliefert; MM 9.11. 1994 Intelligente Ampelsteuerung gibt dem ÖPNV freie Fahrt . . Schimpfende Autofahrer auf der roten, glückliche Bus- und Bahnchauffeure auf der grünen Seite. Chauffeurin: Spiegel 18. 4. 1994 die Hamburger Taxichauffeurin. Chauffeuse: ß. N. 27. 4. 1943 Angehörige des amerikanischen Frauenhilfsdienstes . . im alliierten Hauptquartier Nordafrika . . Sekretärinnen, Stenotypistinnen, Telephonistinnen, Fernschreiberoperateure und Chauffeusen; Mostar 1950 Im Namen d. Gesetzes 39 Wie ne Inhaberin sämtlicher Führerscheine Chauffeuse bei der Reichsarmee wurde; 1965 Wochenpost XU 7 Ottilie Behn, 43, Chauffeuse des Bundeswirtschaftsministers Schmücker, ging . . mit dem Minister-Mercedes . . auf Raubzüge aus. chauffieren: Tb. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. X 193) durch die Verselbständigung und Befreiung der radfahrenden, chauffierenden, studierenden,

starkgeistig gewordenen, in gewissem Sinn vermännlichten Frau: durch die Frauenemanzipation; Tucholsky 1925 Ges. W. U 231 Der Staatsmann, der ein Volk ins Verderben chauffiert, schreibt Memoiren; Colerus 1929 Kaufherr 51 Sie lenken bis Lindau, da Doktor Roger schon vierzehn Tage am Volant sitzt und Ruhe braucht. Ich selbst kann leider nicht chauffieren; Voss. Ztg. 8. 2. 1930 Selbst zu schoffieren, würde nie mein Wunsch oder Ziel sein. Selbst wenn ich es lernte, möchte ich Ihnen nicht raten, sich mir anzuvertrauen; 1930 Die Dame 2. Augusth. 46 Als man hört, daß er sogar schon schoffieren [kann]; Feuchtwanger 1930 Erfolg l 36 Denn die Stunden voll heimlicher, verbotener Gaudi, wenn ihm der Vater . . das Chauffieren beibrachte; Neue freie Presse 26.5.1936 Chauffierverbot für Schauspielerinnen (Überschr.); NZ. (Basel) 29. 3. 1950 er hatte ein Auto, und das erste, was die „Kleine" tat, war chauffieren lernen; Th. Mann 1952 Reden u. Aufs. (W. X 528) in einem Rekordtempo chauffierte er sich allein nach St. Moritz, reiste im Dienst seiner international ausgebreitesten Interessen und Verpflichtungen nach Paris, nach Deutschland, nach Venedig; Süddtsch. Ztg. 4. 7. 1953 daß er [Bundestagsabgeordneter] dafür in zwei Jahren Hunderttausende von Kilometern auf der Achse gelegen ist, und daß ihn seine Frau zu Versammlungen chauffieren muß, damit sie wenigstens im Auto einmal ein ruhiges Gespräch mit ihrem Mann führen kann; Münch. Abendztg. 9. 7. 1955 Junge, charmante, alleinstehende Dame chauffiert eigenen Wagen, sucht . . Reisepartner (Anzeige); Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 86 Franz fuhr vor allem den alten Herrn Baron. Der junge Baron chauffierte sich und seine Gemahlin eigenhändig im Auto. Er hatte keine Lebensart mehr, und der alte Baron war unglücklich über die plebejischen Charakterzüge seines Sohnes; Welt 13. 9. 1969 daß Stewart mit dem französischen Matra den derzeit besten Wagen der Formel l chauffiert, ist . . unbestritten; MM 31. 1. 1985 Behinderte gegen Kürzungen (Überschr.) 69 Menschen wurden bis zu viermal chauffiert; Zeit 27. 9. 1985 da Zayed die Kost im Klinikum verschmähte, habe ein Taxifahrer alle halbe Stunde frische Speisen vom Quellenhof zum Krankenbett chauffiert; MM 5. 6. 1989 ihr Mann . . freut sich sicherlich darüber, in Zukunft von seiner Frau „chauffiert" zu werden; ebd. 11.10.1989 sein Fahrer, der heute eine Kieler Ministerin chauffiert; ebd. 16.10. 1989 Die beiden Chauffeure kutschieren seit Jahrzehnten klerikale Prominenz . . drei Speyerer Oberhirten, die er als Bischofsfahrer .. unfallfrei und sicher „chauffierte"; ebd. 25.11.1989 Hilde von Geldern bestand dieser Tage die Pilotenprüfung auf einer einmotorigen „Cessna" und kann so ihren Mann zu den eiligen

Chaussee Terminen im niedersächsischen Wahlkreis selbst durch die Wolken chauffieren; Spiegel 1.1.1990 darf . . Ibrahim Böhme von der SDP demnächst eine der 14 Karossen chauffieren, die sich das Ehepaar Honecker hielt; MM 22. 1. 1991 Wer vielleicht ein Gläschen zuviel getrunken hat, dem schadet es nicht, da gegen 18 Uhr ein Bus die fröhliche Gesellschaft wieder gen Viernheim chauffiert; ebd. 3. 2. 1991 Von Enkel Roland läßt er sich im Roll-

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stuhl chauffieren; Spiegel 16. 8. 1993 Die Reichen fliegen oder lassen sich chauffieren, die Mittelschicht lenkt selbst, die große Mehrheit des Volkes aber fährt Omnibus oder geht zu Fuß; ebd. 24. 1. 1994 Stets nennen sie sich Experten, oft Doktor oder Professor. Sie residieren in teuren Hotels und chauffieren Luxuswagen; ebd. 25. 7. 1994 Ihre Möbel chauffieren sie in mehreren Fuhren im gemieteten Kleinlaster selbst nach Osten. IN

Chaussee F. (-; -n), im Zusammenhang mit der französischen Kultur des Straßenbaus, bes. des Chausseebaus, etwa Mitte 18. Jh. übernommen aus gleichbed. frz. chaussee < altfrz. chauciee (wohl zurückgehend auf galloroman./vulgärlat. *calciata (via) 'Straße mit festgestampftem steinigem Untergrund', Part. Perf. von *calciare 'mit den Füßen (fest-)treten', zu calceus 'Schuh', calx 'Ferse'; gegen eine Rückführung auf calx 'Kalk(-stein)', also eigentlich 'aus Kalkstein gebaute, mit Kalksteinen gepflasterte Straße', zu mlat. calciare 'mit Kalk aufmauern', spricht, daß dieses Gestein beim Straßenbau vermutlich erst in nachmittelalterlicher Zeit verwendet wurde), bis in die 2. Hälfte des 19. Jhs. daneben in frz. Schreibung und bis heute vereinzelt mit frz. Pl.-s, im 18.719. Jh. gelegentlich (dialektal) in eindeutschenden phonetischen Schreibungen wie Schosseh, Schossee. Bezeichnung für eine (zum ersten Mal 1753 zwischen Nördlingen und Öttingen) künstlich angelegte, nach beiden Seiten leicht abfallend gewölbte und dammartig erhöhte, gerade verlaufende Überland-Fahrstraße, Landstraße von gut befestigter, steingepflasterter oder kiesgeschotterter Qualität; zunächst als Heeres- oder Prachtstraße zu militärischen, wirtschaftlichen oder Prestigezwecken gebaut (bes. zur Zeit Napoleon III.), auf denen zum Teil Wegezölle erhoben wurden (s. Belege 1806 — 07, 1810,1836,1873), von daher (vor allem im Norden Deutschlands) für 'mit Asphalt-, Betondecke oder Steinpflaster befestigte, (baumgesäumte) alte Landstraße' (—> Allee), vereinzelt bildlich (s. Beleg 1793); im 18.719. Jh. oft in Verdeutschungsversuchen wie Kunst-, Dammstraße, Damm-, Stein-, Hochweg (s. Belege 1769, 1780, 1783, 1786, 1828, 1865), heute eher veraltend und in historisierenden oder poetischen Kontexten (s. Belege 1901, 1991) gebraucht; in Wendungen wie (veraltetem) Chaussee haben/sein 'die Qualität, Einstufung einer Chaussee besitzen' (s. Belege 1794, 1803 — 04), eine Chaussee einschlagen, kreuzen, verfolgen; breite, schnurgerade, asphaltierte, geteerte, große Chaussee, (mit Ortsnamen) Chaussee nach/über (z. B. Karlsruhe, Zoppot, die Appeninnen), und als Bestimmungswort in Zss. wie Chausseegeld, -haus 'Haus mit Schranke, das zur Einnahme der Straßenbenutzungsgebühr dient', Chausseebau, -bäum, -graben, -Ordnung, -rand, -weg, -stein 'Markierungsstein am Straßenrand'; als Grundwort in Pracht-, Überland-, Asphalt-, Beton-, Teerchaussee, gelegentlich in bildlich verwendeten Zss. wie Chaussee-Scheitel als scherzhafte Bezeichnung für den gerade nach hinten gezogenen Scheitel, der bei der Couleurstudentenschaft des 19. Jhs. Mode war, sowie in Zss., die bestimmte Verkehrsmittel mit Tieren assoziieren, z. B. Chausseefloh, -wanze oder -elefant als scherzhafte Bezeichnungen für Fahrräder, Motorräder/Kleinwagen oder Lastwagen/ Omnibusse; heute vor allem noch üblich in Verbindung mit geographischen Namen in Syntagmen und als erster oder zweiter Bestandteil in Zss. zur Bezeichnung oft

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Chaussee

vornehmer, renommierter Stadt(-ausfall-)Straßen (bes. in Großstädten) oder alter Verbindungsstraßen, z. B. Potsdamer, Falkenseer, Frankfurter Chaussee; Elb-, Havel-, Rothenbaumchaussee; Chausseestraße. Dazu vom Ende 18. bis ins 20. Jh. die verbale Ableitung chaussieren 'einen Weg zur Chaussee machen', überwiegend in der Part. Perf.-Form chaussiert 'gebahnt, gepflastert; befestigt' (vgl. gekandelt, tnakadamisiert), die Präfixbildung unchaussiert und das Verbalsubst. Chaussierung F. (-; -en). Chaussee: Moser 1767 Reliquien 165 Es gibt einen schönen Marmor, der aber durchaus keine Politur annimmt, zu Säulen und Tafeln ist er schlechterdings unbrauchbar, desto besser aber zu einer Chaussee; Schiller 1769 Ökonom. Beytr. I 178 auf beiden Seiten eines Stein-Weges (Chaussee); 1772 Frankf. gel. Anz. LV1I1 462 Man vergleiche mit dieser Bauart unsere heutigen, auch besten Chausseen; Schlözer 1777 Reise-Kollegium 9 ChausseeVerordnungen; Sulzer 1780 Tagebuch 25 eine schöne, in gerader Linie fortlaufende Chaussee nach Carlsruh; ebd. 28 Die ehemals schönen Dammwege (Chaussees) von Freyburg aus; Richter 1781 Reise Wien-Paris 30 Wir brachten die Nacht auf dem chausseehaus . . zu; Schlözer 1782 StatsAnzeigen 251 Chaussee über die Apenninen; Landerer 1783 Anl. 14 Chausseen oder aufgeworfene Wege; Nicolai 1783 Reise l 4 wegen der vortreflichen Chausseen [Anm.] Wir haben hierfür noch kein eigentliches deutsches Wort. Das Wort Damm, ist eben das, was das Wort Chaussee ist. Aber Damm bedeutet schon eine Erhöhung, um das Wasser einzudämmen. Verschiedene Schriftsteller brauchen das Wort Hochweg, diese Benennung aber ist noch nicht ganz allgemein gebräuchlich. Hr. Rössig . . will das Wort Straßendamm brauchen; ebd. I 177 Anm. Das Chausseegeld ist auf l Kr. für die Stunde oder 2 Kr. für die Meile bestimmt; 1784 Journal v. u. f. Deutschland U 311 auf den vortrefflichen französischen Chausseen, welche diesen Namen allein verdienen; 1786 Straßenbau l diese künstliche Strasen haben sich in Deutschland Dammweg, Hochweg, Dammstrase oder Fahrdamm genannt. In der Gegend, wo der Autor lebt [Saargebiet] macht man keine Hochwege oder Fahrdämme, sondern Chaussees: denn wenn man ihnen einen deutschen Namen geben wolle, so würden sie von dem grösten Haufen nicht für das gehalten werden, was sie wirklich sind; Fischer 1790 Brandenburg-Anspach l 225 an der Frankfurter Chaussee; Laukhard 1792 Leben I 378 Am Schosseehause, eine Stunde von Mainz; Tieck 1793 Sehr. VI 4 wo unsre Laune mit sechs muntern Pferden über die ebne Chaussee des Leichtsinns . . dahinrollte; Laukhard 1794 Feldzug l 92 Der Weg ist zwar Chaussee, allein die vielen Berge und Defileen, die man paßiren muß, machen ihn sehr beschwerlich, besonders für Pferde, Wa-

gen und Geschütz; Schopenhauer 1803—04 Reisetagebücher 272 daß die Straßen [in Wiener Vorstädten] nicht gepflastert [sind] sondern Chaussee haben wie die Landstraßen; 1803 Neues Hannover. Magazin 1633 Vom Brechen, Anfahren und Klopfen der Chausseesteine (Überschr.); Seume 1806-07 Apokryphen (W. U 79) Die Gerechtigkeit hat mehr zu tun . . die Polizei muß ihren Torgroschen gehörig einnehmen und das Chausseegeld heben; 1810 (Cassinone 1925 Entwicklung d. Straßenwesens in Baden 1810—19201) Chausseekasse . . Chausse-Barrieregelder; Goethe 1822 Campagne (HA X 229) bald . . erblickten wir eine Pappelallee, die, sehr schön gewachsen und wohlunterhalten, unsere Richtung quer durchschnitt. Es war die Chaussee von Chalons auf Sainte-Menehould, der Weg von Paris nach Deutschland; Rau 1828 Lehrbuch polit. Ökonomie 293 ff. Kunstraßen oder Chausseen; Chambray 1830 Veränderungen (Übers.) 40 Anm. routes royales (Stein-Chausseen, wie sie in Frankreich bestehen); Strombeck 1836 Darstellungen HI 199 Der Weg nach Riva, eine Chaussee, (die Scheußlichkeit der Vicinal-Wege Norddeutschlands kennt man weder in Bayern noch Ostreich); 1847 Beschr. O A. Hall 97 [Vicinalstraßen sind] chausseemäßig ausgebaut; Holtet 1860 Eselsfresser 1189 Einen Weg außer die Schosseh [Berl. Dialekt]; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigung 180 Bei den Wegen unterscheidet man im allgemeinen die Hauptwege, welches entweder gewöhnliche Straßen oder Kunststraßen (Chausseen) sind, von den Nebenwegen, zu welchen die Feldwege, Dorfwege u.s.w. gerechnet werden; Schartenmeyer 1873 Krieg 8 Jetzo aber zu den Fahnen/ Auf Chaussee und Eisenbahnen/ Ruckt die Mannschaft muthig ein,/ Keiner will der Letzte sein; Hoffmann 1894 Stolpenburg 107 Chausseen von Pappeln wie von aufmarschierten Gendarmen begleitet; Tb. Mann 1894 Erz. (W. VIII 26) Jenseits die Chaussee, schnurgerade, zwischen zwei Reihen Pappeln . . was die Chaussee betraf, die von Bäumen, knorrigen Buchen gesetzten Alters, flankiert wurde, so war sie zur Hälfte gepflastert; ders. 1901 Buddenbrooks (W. I 346) Frau Grünlich ließ zweioder dreimal den Wagen halten, um am Chausseerande Mohn- und Kornblumen zu pflücken; zur Megede 1911 Quitt 332 Chausseewalze [zum Glätten der Straße]; Voss. Ztg. 16. 12. 1924 den Namen

Chaussee Chausseewanze mußte sich ein kleines HanomagAuto gefallen lassen (TRÜBNER); Brod 1928 Zauberreich 201 Das Auto surrt auf langer boskettgeschmückter Prachtchaussee nach Alexandria zurück; Lokal-Am. 25. 5. 1934 Er findet nämlich nirgendwo einen Fußgängerweg. Während auf dem Chausseestreifen regster Autoverkehr herrscht, werden die seitlichen Kieswege in beiden Richtungen von Radfahrern benutzt. Nur ein kleiner Saumpfad neben dem „Chausseegraben" bietet einigermaßen Sicherheit; ebd. 28.11. 1934 Plötzlich tauchen wieder vier gelbe Lichter auf: das kann ein Ombibus oder ein Lastwagen sein, jedenfalls irgendein Chaussee-Elefant, vor dem man so weit wie möglich nach rechts ausweicht; Meinecke 1941 Erlebtes 110 [Berliner Couleurstudententum 1880 ff.] Gut angezogen, womöglich mit dem nach hinten durchgezogenen Pomadescheitel . . Läusechaussee genannt — geschmückt; Johnson 1961 Buch 22 die Geschichte dieser weitläufigen Siedlung, wie sie erschien in den Hauptstraßen, die ehemals als Chausseen die Dörfer an den kräftig gegliederten kleinen Kern herangezogen hatten; Kapeller 1964 Schimpfbuch o. S. Chausseefloh (Radfahrer) . . Chasseewanze (Motorradfahrer); Welt 25. 5. 1964 Die Angerburger Allee und die Havelchaussee wurden gestern durch den Bruch einer Frischwasserleitung erheblich in Mitleidenschaft gezogen; Hitzer 1971 Straße o. S. die durch den staatlich geförderten Merkantilismus und durch die Industrialisierung steigende Güterproduktion [machte] einen Umbau des Wegenetzes nötig . . Es ging dabei nicht so sehr um die Anlage neuer Strecken, sondern mehr um den Ausbau der vorhandenen Erdwege zu festen Straßen, „Chausseen", die zu jeder Jahreszeit und bei jeder Witterung gut befahrbar waren; Zeit 20. 3. 1987 gegen die Eaumfeindlichkeit einer Epoche . . die Millionen von Chausseebäumen ihrer lebensbedrohlichen Hartlebigkeit wegen fällte . . „die große Landzerstörung" durch Chausseebegradigung und Flußkanalisierungen; Rhein. Merkur 5. 10. 1990 Wer sich in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober über die Berliner Chausseen und Boulevards treiben ließ, erblickte tatsächlich eine Nation, die sehr geschäftig mit sich und ihren kleinen Genüssen beschäftigt ist; MM 5. 4. 1991 Karl Theodor ließ sie 1740 durch den französischen Wegebaumeister Regimont anlegen, um bequem von seinem Schloß in Mannheim zu seiner Schwetzinger Residenz zu gelangen. Eine lange Allee von Pappeln säumte die Chaussee, noch um die Jahrhundertwende gab es hier Obstbäume und große Vorgärten; ebd. 9.11. 1991 Dieses Relikt mittelalterlicher Feldbefestigung der einst bedeutenden Reichsstadt . . dieses einstige Chausseehaus; Spiegel 8. 2. 1993 Achteinhalb Kilometer Eleganz „Die schönste Straße der

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Welt" nannte der Dichter Detlev von Liliencron einst die Hamburger Eibchaussee, und bis heute brüsten sich die Hanseaten ganz unhanseatisch mit dieser lokalpatriotischen Übertreibung. chaussieren/chaussiert: Stieglitz 1792 Baukunst I 494 Chaussirt, nennt man jeden mit kleingemachten Steinen bepflasterten oder bestreuten, in der Mitte etwas erhobenen, und an beyden Seiten unmerklich abschüssigen Weg; 1795 Taschenb. f. Würzburg 190 wenn die alte Landstraße nach Künzelsau chaussirt würde; Herzog Carl August v. Sachsen-Weimar 1796—98 (Bojanowski 9) zwey Straßen . . nach Eisenach (chaussirt) und nach Mühlhausen (nicht chaussirt); ebd. 11 weil alle Wege . . in sehr gut fahrbaren Standte, und häufig chaussirt sind; Pütter 1798 Selbstbiogr. 742 Wege chaussirt; Spaur 1815 Spaziergänge in Salzburg II 16 die gut chaussirte Straße; 1S52 Beschr. O A. Besigheim 41 [sind] auch die Nebenstraßen chaussirt und gekandelt; 1854 Beschr. O A. Aalen 115 die Hauptstraßen zu chaussiren; Görtz 1854 Reise 111 152 an breiten schattigen und wohl chaussirten Straßen; 1855 Prutz' Museum II 115 Ausführung eines durchweg chaussirten Weges; 1859 Beschr. OA. Ludwigsburg 37 Die Orte .. sind .. meist ansehnlich und mit gut erhaltenen kustmäßig chaussirten (macadamisierten), gekandelten Hauptstraßen versehen; in größeren Orten findet man auch die Nebenstraßen chaussirt und gekandelt; Fontäne 1860 Jenseits (Ges. W. II 4,237) Villen und Parks, chaussierte Wege und Brücken; Rasch 1865 Häuser 9 eine große und breite Straße, ganz chaussirt [in Paris, moderne Straßenanlage unter Napoleon III.]; Prittwitz u. Gaffron 1865 Befestigungen 300 Von den am Fuße des Wallgangs anzulegenden Wallstraßen ist schon oben die Rede gewesen. Sie müssen chaussirt sein; 1867 Beschr. OA. Tübingen 395 Die breiten, reinlichen Straßen sind chaussirt und gekandelt; 1871 Beschr. OA. Backnang 98 chaussirten Nachbarschaftswegen; 1880 Beschr. OA. Baiingen 327 Die Ostraßen sind gekandelt und chaussirt; 1890 Im Felde 326 eine chaussirte Straße; 1928-29 ZfMenschenkunde IV 4 glatt und hart chaussiert; Dtsch. AZ. 6. 8. 1935 Der Boden weicht tiefgründig auf; die Karawanenstraßen — chaussierte Wege gibt es in Abessinien nicht — gleichen Gießbächen. unchaussiert: 1851 Beschr. O A. Stuttg. 123 unchaussirte Straßen. Chaussierung: Lengerke 1839 Reise 42 Wir meinen [mit dieser Anlage] die Chaussirung des Baumthales; 1844 Beschr. O A. Heidenheim 98 Anm. Chaussirung der Straße von Göppingen nach Heiden-

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heim; Mommsen 1856 Rom. Gesch. l 774 Es geschah mit diesen Summen [Baugeldern] wohl Manches für die Pflasterung der Wege . . für die Chaussierung der italischen Hauptstraße; Röscher 1899 Handel (System Hl 455) einen widerstandsfähigen

Unterbau, die Chaussirung; 1926 Gemeinde III 244 Die ideale Lösung für diese Straßen fand man in der durch Wasser gebundenen Schotterstraße, der Chaussierungsbahn; Geißler 1934 Straßenbau 56 Chaussierung (Packlage mit Schotter). IN

Chauvinismus M. (-; selten Chauvinismen), in den 60er Jahren des 19. Jhs. entlehnt aus gleichbed. frz. chauvinisme (zunächst eigentlich 'Napoleonbegeisterung', zu chauvin 'fanatischer Patriot; Kriegstreiber', nach dem Namen des auf einer Lithographie von Charlet dargestellten, Napoleon I. in fanatischer Begeisterung dienenden jungen Soldaten, bekannter noch durch den blind gehorsamen Rekruten und glühenden Patrioten Nicholas Chauvin, dem Helden einer 1831 (während der Eroberung Algiers durch die frz. Truppen) in Paris aufgeführten Militärposse der Brüder Cogniard („La Cocarde tricolore"), der zum Inbegriff für den übereifrigen, fanatischen Soldaten und stur-überhebliche Mentalität schlechthin wurde). a Politisch-ideologisches Schimpf- und Feindwort für, bes. nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 aufkommende, extreme nationale Strömungen, anfangs noch oft auf restaurative Bestrebungen in Frankreich bezogen, in der Bed. 'nationales Überlegenheitsgefühl, Überheblichkeit, übersteigerter Nationalstolz infolge maßloser Überschätzung der angeblichen (moralischen, geschichtlichen, rassischen u. ä.) Vorzüge der eigenen Nation unter Geringschätzung, Verachtung und Feindseligkeit gegenüber anderen Nationalitäten; aggressiv-militaristische Verfolgung der Ziele und Einsatz für die Belange der eigenen Nation unter Mißachtung der Rechte anderer Völker; scheinpatriotischer Fanatismus, Vaterlandskult', dabei häufig im Sinne übersteigerter Ausprägungen des —* Nationalismus und —-»· Patriotismus gedeutet; auch bezogen auf die kultur- und wissenschaftspolitische Konkurrenz zwischen nationalen Interessengruppen speziell für 'einseitige Überbewertung der kulturellen Leistungen der eigenen Nation (unter Mißachtung der entsprechenden Leistungen anderer Nationen)' (s. Belege 1876, 1878, 1884, 1893, 1916, 1961); oft, z. B. im Nationalsozialismus, als „schlechter" Nationalismus anderen Nationen (bes. Frankreich und England) zugeschrieben und dem „gesunden" nationalen Selbstbewußtsein (der eigenen Nation) gegenübergestellt (s. Belege 1886, 1891, 1894, 1914, 1932, 1934, 1950) oder innerhalb kontrahenter politischer Systeme dem jeweiligen Gegner angelastet, z. B. der ehemaligen BRD durch die ehemalige DDR (s. Belege 1958, 1964, 1990), so z. B. im kommunistischen Sprachgebrauch als Ausdruck zur Kennzeichnung reaktionärer Haltung und Repressionspolitik vor allem gegen kapitalistische Länder gerichtet (—»Imperialismus, —> Militarismus, —> Revanchismus, —»· Rassismus, —»· Faschismus); seit frühem 20. Jh., bes. im PL, auch 'aus Chauvinismus bzw. einer chauvinistischen Einstellung resultierende Äußerung, Handlung; Erscheinungsform, Ausprägung des Chauvinismus' (s. Belege 1922 — 23, 1954, 1985), häufig in Syntagmen wie extremer, blinder, verkrampfter, wissenschaftlicher, künstlerischer, politischer, nationaler, imperialistischer Chauvinismus, (mit Ethnika) deutscher, französischer, polnischer, tschechischer, russischer Chauvinismus, und gelegentlich in Zss. wie Rache-, Rassen-, Kultur-, Sprach-, Großmachtchauvinismus. Daneben die etwa gleichzeitig aus dem Frz. übernommene und bis in die 50er Jahre vereinzelt nachgewiesene, vom Namen Chauvin abgeleitete Gattungsbezeichnung

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Chauvin M. (-s; -s), gleichbed. mit Chauvinist (s. u.), meist auf frz. Verhältnisse bezogen. b In neuester Zeit speziell als gesellschaftspolitisches Kampfwort im Zusammenhang mit der amerikan. Frauenbewegung der 60er/70er Jahre aufgekommen, zunächst wohl kurz für männlicher Chauvinismus (lehnübersetzt aus gleichbed. engl.-amerikan. male chauvinism; vgl. Männerchauvinismus), polemisch abwertend für 'Einstellung, Verhaltensweise von Männern gegenüber Frauen, die aus dem übersteigerten männlichen Selbstwertgefühl, dem grundsätzlichen Überlegenheitsanspruch des Mannes gegenüber der Frau resultiert, durch Überbewertung der eigenen männlichen bei gleichzeitiger Abwertung der weiblichen Geschlechterrolle geprägt ist und die gesellschaftliche Benachteiligung oder Unterdrückung der Frau zur Folge hat; Männlichkeitskult, -wähn' (—> Machismus, —·· Sexismus; Ggs. —» Feminismus). Dazu die gleichzeitig nachgewiesene (aus gleichbed. frz. chauviniste entlehnte) Personenbezeichnung Chauvinist M. (-en; -en) 'Anhänger, Verfechter, Vertreter des Chauvinismus, jmd. mit extrem nationalistischer Gesinnung, der sich fanatisch für die Belange der eigenen Nation einsetzt; Kriegstreiber' (dabei oft im Sinne extremer, aggressiver Ausprägungen von Patnot und Nationalist), in Wendungen wie ein fanatischer, aggressiver, militanter, radikaler, extremer, unverbesserlicher, Pariser Chauvinist und Zss. wie Großmacht-, National-, Sprachchauvinist, speziell auch 'von der kulturellen Überlegenheit der eigenen Nation Überzeugter' (s. Beleg 1911) (zu a); in jüngster Zeit vor allem in der Bed. 'männliche Person, die das eigene dem weiblichen Geschlecht gegenüber grundsätzlich für überlegen hält (unter Berufung auf überholte Privilegien einer patriarchalischen Ordnung, deren Fortbestehen sie durch ihr Verhalten gegenüber der Frau zu ihrem eigenen Vorteil festigen will); Vertreter der Männergesellschaft, Gegner der Frauenemanzipation und Gleichberechtigung; Frauenhasser', auch in der Kurzform Chauvi M. (-s; -s), vereinzelt auch in der Schreibung Chauvie (vgl. Macho), mit der in jüngster Zeit vereinzelt nachgewiesenen Gelegenheitsableitung Chauvitum N. (-s; ohne PL) 'männlicher Überlegenheitsdünkel, Frauenhaß' (vgl. Machotum; zu b). Gleichzeitig die (aus gleichbed. frz. chauviniste entlehnte) adj. Ableitung chauvinistisch 'die eigene Nation über alle anderen Nationen stellend, in fanatischer Weise national gesinnt und daher ausländerfeindlich' (vgl. nationalistisch, patriotisch, imperialistisch, revanchistisch, rassistisch, reaktionär), in Wendungen wie chauvinistische Gelüste, Neigungen, chauvinistische Ideologie, Stimmung, Presse, chauvinistisches Geschrei, Vorgehen, chauvinistischer Geist und vereinzelten Zss. wie sprach-, kultur-, wohlstandschauvinistisch (zu a); in jüngster Zeit in der Bed 'frauenfeindlich' (vgl. sexistisch; Ggs. feministisch) (zu b). Chauvinismus a: Marx/Engels 1866 ME W XXXI 222 Die Proudhonligue unter den Studenten in Paris . . predigt Frieden, erklärt Krieg für veraltet, Nationalitäten für Unsinn, attackiert Bismarck und Garibaldi usw. Als Polemik gegen den Chauvinismus ist ihr Treiben nützlich und erklärlich; Eichhoff 1868 Arbeiterassociation 57 Sie [die frz. Regierung] sah endlich mit dem größten Mißvergnügen wenige Wochen nach der oben geschilderten Unterredung die Agitation der Gesellschaft gegen den imperialistischen Chauvinismus; Du Bois-

Reymond 1870 Reden l 77 Bei [den Franzosen] schreibt sich vom ersten Kaiserreich her eine unglückselige Wandlung ihrer Empfindungsweise gegen andere Völker, besonders gegen uns. Erreicht diese neue Empfindungsweise eine gewisse Höhe, so wird sie Chauvinismus genannt; Schmidt 1871 Bilder H 472 Nicht Napoleon III. hat den Chauvinismus hervorgebracht, sondern der Chauvinismus Frankreichs hat das napoleonische Reich hervorgebracht; Treitschke 1874 Jahre 508 daß Engels von ihr [Sozialdemokratie] rühmen konnte, kein ande-

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rer Arbeiterstand sei so unzugänglich für die Lokkungen des Chauvinismus . . will sagen: für das Gefühl der Vaterlandsliebe; Paoly 1876 Aufs. 131 Der deutsche Chauvinismus neuesten Datums will in der Aufmerksamkeit, womit der gebildete Deutsche die literarischen Erscheinungen des Auslands verfolgt . . einen Fehler erblicken; Gutzkow 1877 Serapionsbrüder U 161 Reichschauvinismus (LADENDORF); Du Bois-Reymond 1878 Reden l 329 der wissenschaftliche Chauvinismus, von welchem die deutschen Gelehrten bisher sich frei hielten, ist gehässiger als der politische in dem Maße, wie man von wissenschaftlichen Männern mehr als von politisch erregten Massen sittliche Haltung verlangt; Rose 1884 Revanche 174 künstlerischen Chauvinismus [der Franzosen]; Fabricius 1886 (Schliemann, Er. 239) Wenn die Franzosen sich die falschen Angaben Böttichers zu Nutz gemacht haben [zu Schliemanns Entdeckungen] so zeigt das nur, wie Mißgunst und Chauvinismus die wirtschaftliche Urtheilsfähigkeit zu trüben vermögen; Lübke 1891 Altes 90 den Ursprung dieser neuen Bewegung nicht so auffassen . . als ob dieselbe erst nach dem Tage von Sedan wieder in Schwung gekommen wäre, da man um jeden Preis das Deutschthum verherrlichen wollte .. In der That hat der „deutsche Chauvinismus" jener Tage nichts mit dem Rückgreifen zu unserer heimischen Renaissance zu schaffen; 1893 Dtsch. Dichtung XUI 250 wenn wir so immer vor uns'rer eigenen Größe und Vortrefflichkeit auf dem Bauch liegen, dann können wir nicht vorwärtsgehen. Sie aber sind ein Chauvinist und speculieren auf den Chauvinismus . . Mir gefallen die Dichter nicht, welche den Fürsten schmeicheln, aber jene, die den Völkern schmeicheln, schier noch weniger; 1894 ebd. XVI 249 in unseren Tagen, wo breite Schichten des deutschen Volkes von einem überhitzten Chauvinismus ergriffen erscheinen, der sich vom berechtigten Nationalgefühl so scharf unterscheidet, wie die Krankheit von der Gesundheit; Rüttenauer 1895 Zeitiges 154 Die meisten deutschen Schriftsteller jüdischer Rasse hassen nichts mehr als den „Chauvinismus", den deutschen „Chauvinismus"; Kraus 1895-99 Br. Beil. CC XLV1I (2. 11. 1997) 5 die Revanchegelüste und den Chauvinismus Frankreichs lebendig zu erhalten; Willmann 1897 Gesch. 111 945 Wer nicht zu den Lebenswurzeln des Deutschtums im Mittelalter vordringt und sich zur christlich-germanischen Idee zu erheben weiß, bleibt besser ganz in den Niederungen des aufgeklärten Kosmopolitismus, der immer noch besser ist als der Chauvinismus, wie ihn die Gegenwart zu Tage gefördert hat. Die von ihm eingegebene Nationalitätsschwärmerei kann den Blick für die Wirklichkeit bedenklich umnebeln; Brandes 1903 Gestalten 503 Und wie in der Schweiz das eine

Sprachgebiet dem ändern gegenüber keinen Chauvinismus an den Tag legt, so zeigt sich auch die Freiheitsliebe der Schweizer chemisch rein von Vaterländerei; 1934 Technik u. Wirtsch. VII 212 Halten wir uns fern in gleicher Weise von einem kosmopolitischen Humanismus und einem nationalen Chauvinismus, verbrämen wir unsere Berufsarbeit mit einem gesunden nationalen Selbstbewußtsein und Egoismus; Harnack 1916 Friedensarbeit 370 daß die Aufhebung der deutschen Universität Dorpat eine böse Konzession an den russischen Chauvinismus gewesen ist; 3922 Bartels-Festg. 155 Das etwas Gutes und Vornehmes bezeichnende Wort „nationalistisch" ist in Verruf gebracht, das Schlagwort „Chauvinismus" (nationale Zappelei, Einbildung) paßt gar nicht auf unsere deutschen Verhältnisse, und von „Imperialismus" haben wir, auch die Alldeutschen . . nie geträumt; 1922-23 Schweizer. Monatsh. H 91 Unübertrefflich ist an diesem Jüngling . . wie er . . überindividuellen Bindungen entgegenstrebt, in Staat, Kirche und Volk — aber nicht abgestorbenen . . dogmatischen Klerikalismen und Bürokratismen und Chauvinismen; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W.X 189) das deutsche Element in Schopenhauers europäischer Essayistik, besonders seinen Sprach-Chauvinismus; Voss. Ztg. 24.1.1929 Konjunktur für Hetzer (Überschr.) . . denjenigen deutschen Pazifisten, für die Chauvinismus und Militarismus nur in Deutschland existieren und jedes französische Maschinengewehr und Bombenflugzeug ein Unterpfand des ewigen Friedens ist; ebd. 17. 9. 1929 Hat er [Briand] ganze Nationen gemeint, bei denen der nationale Geist, diese Grundlage alles positiven Schaffens zu der Fratze des Chauvinismus verzerrt wird?; 1932 Volk u. Reich 536 blinder Chauvinismus; Lokal-Anz. 14. 8. 1934 man . . hofft, daß Einsicht und Klugheit der Staatsführung jene kleinlichen Stimmen des Neides und des Chauvinismus übertönen werden; Neue Ztg. 9. 5. 1950 daß die deutsche Wirklichkeit, aber auch alle Ideale des deutschen Geisteslebens nur Erfüllung finden können in einer europäischen Gemeinschaft, in der die Menschen aller Nationen ungehindert durch Krieg, Haß, Chauvinismus und Gruppenegoismus ihrer friedlichen Arbeit nachgehen; Welt 2. 9. 1954 Teilnahme an den Bemühungen, die europäischen nationalen Chauvinismen zu überwinden; Süddtsch. Ztg. 20.6.1958 Das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" hat . . das Benehmen von westdeutschen Fußballanhängern bei den Weltmeisterschaften in Schweden kritisiert [als] eine Welle des Chauvinismus großdeutscher Prägung . . ein Versuch, die Menschen in der Bundesrepublik auf den nächsten Krieg vorzubereiten; Niebelschütz 1961 Spiel 153 Unser Feilschen um nationale Anteile [an großen Künstlern] ist ein trauriges Erbe des Chau-

Chauvinismus vinismus, den das 19. Jh. großzog und in Jahrhunderte hineintrug, denen dergleichen (selbst als Gedanke) fremd war; Glaser 1964 Spießer 67 was . . eineinhalb Jahrhunderte lang das Herz des deutschen Bildungsphilisters erfreute: . . der hohle Vaterlandskult und Chauvinismus seiner Kommersbücher; FAZ I.W. 1971 In Hongkong meint man, daß mit dem Hinweis auf „Großmacht-Chauvinismus" und „Formalismus" die Absage der großen Parade in Peking am 1. Oktober begründet werden soll; ebd. 17. 12. 1971 [Hintergründe der Krise in Jugoslawien] schuld sei der „kroatische Nationalismus". (Die Parole ist ebenso falsch wie die andere, großserbischer Chauvinismus sei die Wurzel allen Übels); Zeit 12. 4. 1985 Doch als Sinkels kleines Expeditionskorps . . in Amerika anlandete . . da glommen die Chauvinismen erst richtig auf im Widerstreit der Mentalitäten; ebd. 8.11.1985 wenn ein Wort eine ausschließlich negative Geschichte hat, dann ist es das Wort „Neger" - Kulturchauvinismus pur, auch dann, wenn's nett klingt; TAZ 1. 2. 1990 Im Westen tauchen hinter dem gesamtdeutschen Wahlkampffieber schon die Akzente von bundesdeutschem Wohlstandschauvinismus gegenüber den ungebetenen Brüdern und Schwestern aus dem Osten auf; Zeit 22. 10. 1993 Dem Chauvinismus wird der Patriotismus entgegengesetzt. Patriotismus, so heißt es, sei die Liebe zum eigenen Volk, der Chauvinismus hingegen sei Verachtung und Feindschaft gegenüber anderen Völkern. Aber Patriotismus ist nicht allein die Liebe zum eigenen Volk, sondern auch die Überzeugung, daß Patriotismus die unbedingte Eigenschaft eines jeden Bürgers, Liebe zum eigenen Volk eine gute Eigenschaft sei. Chauvin: 1874 Dtsch. Rundsch. l 171 Die dritte der Nationen lateinischer Race, wenn man sich dieses ebenso kühnen als nichtssagenden Schlagwortes französischer Chauvins bedienen darf, Italien; Gregorovius 1894 Nasen 21 er machte in Patriotismus und rief: „Vive Boulanger" . . die Wälschen glaubten der Stumpfnase den Chauvin nicht so recht; Lamprecht 1913 DGjV. U 497 die Entrüstung der [frz.] Chauvins; 1926 Elsass-Lothringen. Heimatstimmen IV 29 in der seit Waffenstillstand eingegangenen unnatürlichen Buhlgemeinschaft zwischen den Chauvins und einem Teil der klerikalen Blätter; 1927 ebd. V 158 dem Chauvinsgeschrei nachgeben; Tucholsky vor 1935 Ges. W. /// 67 Na, wir brauchen uns wohl nicht zu erzählen, daß wir keine Chauvins sind; um 1938 (Fensterer 1941 Tschech. Nationalprogramm 21) Die Prager Chauvins; Miller 1950 Köpfe 380 Selbst die schärfsten Chauvins in Frankreich. Chauvinist: 1867 (Brauer 1936 Im Dienste Bismarcks 13) Auch viele Chauvinisten waren unter

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ihnen [Elsässern], aber ohne jeden Deutschen- oder Preußenhaß; 1870 Humor im Felde U 6l Jahrelang hat er [Napoleon III.] genährt In der Brust der Chauvinisten, Nach dem Rhein den Blick gekehrt, Ein verzweifeltes Gelüsten; Treitschke 1870 Jahre 342 der Wunsch, die neutralen Nachbarstaaten zu berauben . . wird nur von vereinzelten deutschen Chauvinisten gehegt; 1871 Vier Monate vor Paris 25 Thiers, der alte Erzchauvinist; Billroth 1873 Br. 128 Ich bin ein sehr fanatischer Germane, vielleicht sogar etwas germanischer Chauvinist; Schaffte 1885 Aussichtslosigkeit 13 Der Socialdemokrat setzt . . die fremde Nation hinter die eigene und das Individuum hinter die Gemeinschaft . . zurück . . Die Socialdemokratie ist also selbst als Gegenfüßlerin der Chauvinisten und Nationalitätsfanatiker extremer Individualismus; Treitschke 1894 Gesch. V 73 Thiers [1870] stand im Rufe eines radikalen Chauvinisten; 1911 GRM 111 364 Die Chauvinisten der klassischen Kultur, die mit Bourget in der Sorbonne ein nationales Heiligtum erblicken; Jenaische Ztg. 5. 8. 1913 Da schelten sie uns Chauvinisten, wenn wir an ihrer Ausländerei Anstoß nehmen, da spotten sie über Deutschtümelei, wenn ein kräftiges Wörtlein zum Lobe deutscher Art ihre empfindlichen Ohren trifft; Ponten 1926 Siebenquellen 294 [Wir] kennen das deutsche Wesen besser als die Stockdeutschen im Land. Und ich glaube, wir schätzen es auch mehr als die im Reiche. Freilich werden wir niemals Chauvinisten, „Über-alles"-Patrioten werden; Thiess 1927 Gesicht 73 Man tat übernational und benahm sich so blamabel, daß ich, der ich gewiß kein Chauvinist bin, mich noch heute dieser schamlosen Gesten mit Bitterkeit erinnere; Lokal-Anz. 7.1.1933 fehlt es in der Pariser Chauvinistenpresse nicht an Ausfällen gegen die deutschen Seeleute, und Action Francaise nennt schon den Dank des Ministerpräsidenten . . an den deutschen Botschafter voreilig; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XII 134) es ist kaum zuviel gesagt, wenn man Schopenhauer einen Sprachchauvinisten nennt, und diese Erscheinungsform des Nationalismus ist sicher die geistigste; ND 6. 10. 1949 Die Gelüste der Bonner Chauvinisten sind nicht geringer als die ihrer Nazivorgänger; ebd. 25. 5. 1954 daß hier Soldatenbünde .. von faschistischen Hitlergenerälen für chauvinistische und militaristische Zwecke mißbraucht werden könnten; ebd. 5.6.1969 Die Alleinvertretungsanmaßung soll nach dem Willen der regierenden Großmachtchauvinisten in Bonn weiter praktiziert werden; FAZ 11.11.1989 Wir werben für die deutsche Einheit, aber wir bestimmen sie nicht .. Wer sein Vaterland liebt, ist kein Chauvinist; Berl. Ztg. 19. 12. 1989 die deutsche Geschichte hat nicht nur einmal gezeigt, daß eine Demokratie, wenn ein breitester Konsens aller Demokraten zur nationa-

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len Frage fehlt, von Nationalisten und Chauvinisten zerstört werden kann . . Wer es von vornherein als „revanchistisch" ausgrenzt, läuft Gefahr, Millionen in die Arme der tatsächlichen Nationalisten, Revanchisten und Chauvinisten zu treiben; MM 7. 8. 1990 weil der im Erzgebirge geborene Abenteuer-Schriftsteller in der DDR über Jahrzehnte als „Nationalchauvinist" und „unrealistischer Schreiberling" verfemt war; Spiegel 15. 2. 1993 Während Stojanovi eine aufgeklärte Form des intellektuellen Nationalismus repräsentiert, ist sein Kollege .. zum geifernden Chauvinisten geworden. chauvinistisch: 1868 (Schmidt 1871 Bilder U 444) die Fäden . . nach welchen die chauvinistischen Gliedermänner tanzen; 1871 Preuss. Jahrb. XXVII 186 Deutschland und Nordamerika sind heute . . die beiden modernsten Staaten . . Die Erkenntnis dieser Wahrheit . . wird . . nicht chauvinistischen Uebermuth erzeugen, noch teutonische Gleichgültigkeit gegen die ältere Cultur anderer Völker, wohl aber die Sicherheit nationalen Stolzes kräftigen; Schmidt 1871 Brüder N. F. 444 chauvinistischen Gliedermänner; Hillebrand 1874 Frankreich 328 Deutschland ist „ausschließlich patriotisch" geworden; es ist so „chauvinistisch", als das Frankreich Berangers nur sein konnte; 1875 Dtsch. Rundsch. Ill 480 in chauvinistischen Kreisen von Paris; Villers 1875 Er. II 162 Patriotismus, der stark chauvinistisch gefärbt ist; 1876 Gegenwart X 445b Es sei nicht eben ein Beweis guten Geschmacks, in einem Lehrbuch für die Jugend den Mund mit chauvinistischen Phrasen vollzunehmen; 1883 Conservative Monatsschr. I 613 chauvinistische Neigungen; Rose 1884 Revanche 236 während ein Sänger . . sich zu chauvinistischen Liedern begeistert; 1887 ebd. LI 436 chauvinistische Triumphgeschrei; 1896 Cosmopolis U 297 Eine solche kriegerische Verbrüderung [in den russ.-frz. Beziehungen] mit ihren möglichen chauvinistischen Exaltationen konnte Deutschland überhaupt nicht ganz gleichgültig erscheinen; Willmann 1897 Gesch. III 946 Die chauvinistische Phantasie greift aber auch in die Vergangenheit zurück, der Historiker wird zum Mythographen . . Diese Art von Nationalismus ist über alle Prinzipien hinaus; Polenz 1904 Land 83 chauvinistischen Geschrei der gelben Presse; 1916 Franzosen 151 Schlachtenbilder der Neuzeit werden noch hier und da gemalt - aber da ist das Ziel kein .. bildendes, sondern ein ausgespochen und unverkennbar chauvinistisches; Gerstenhauer 1927 Führer 74 chauvinistischen und imperialistischen Gelüste Deutschlands; Tb. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W.X 696) die große Konversation zwischen den Ministern, in welche die streitbar sprach-chauvinistische Plauderei ihrer jüdischen Sekretäre über ihre Mundarten,

die deutsche und die französische, witzig eingeschaltet ist; 1933 Elsass-Lothringen Mitt. 12 chauvinistischen Studentenzirkel; Lokal-Anz. 2. 2. 1933 Frau Novotna ist immerhin wieder an einem deutschen Theater und wird mit deutschem Geld bezahlt . . sie zeigt ihr freundliches, ganz und gar unchauvinistisches Lächeln einem deutschen Publikum; ebd. 31.8.1934 daß die chauvinistischen Kreise Frankreichs diesen . . Luftangriff . . zum Anlaß nehmen werden, um erneut und verstärkt das Jammern über die angebliche Schutzlosigkeit Frankreichs anzustimmen; Munch. N. N. 19.1. 1938 Der Vorsitzende dieser chauvinistischsten aller tschechischen Parteien; ND 6. 7. 1954 Das am Sonntagabend nicht zu überhörende „Deutschland, Deutschland über alles"-Gegröle wird bei einigen hellhörigen Nachbarvölkern ähnliche Reaktionen hervorrufen, wie Adenauers Rede in Paris. Das muß unweigerlich dahin führen, daß die sportliche Leistung der westdeutschen Elf gegenüber den chauvinistischen Tönen in den Hintergrund gedrängt wird. Die chauvinistischen Pläne aber führen zu einem neuen Krieg; ebd. 14. 10. 1959 Erscheinungen .. die heute noch an den Universitäten Westdeutschlands Geltung besitzen wie Standesdünkel und Abgeschlossenheit vom Volke . . auch Züchtung antihumanistischer und chauvinistischer Ideen und Gepflogenheiten; Münch. Stadtanz. 3. 2. 1961 die Politik, die in München getrieben wurde, stand eigentlich immer unter europäischen Gesichtspunkten. Sie war eigentlich nie übertrieben nationalistisch oder gar chauvinistisch; Glaser 1964 Spießer 64 Die Konzeption der Zeitschrift jedoch . . war dem Wesen nach kleinbürgerlich-reaktionär. So war es nur eine Frage der Zeit, bis auch der nationalistisch-chauvinistische Inhalt dazukam; Fetscher 1967 Marx 219 Die faschistische Staatsmacht sei die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären und chauvinistischen imperialistischen Elemente des Finanzkapitals (STRAUSS/HASS/HARRAS); Matull 1970 Ostpreußens Arbeiterbewegung (Ostdtsch. Beitr. XL1X o. S.) eine schärfere Stellungnahme „gegen Hurrapatriotismus, chauvinistische Treibereien und extreme Annexionsgelüste"; Offenburger Tagebl. 22. 3. 1971 In einem dpa-Gespräch am Sonntag bezeichnete Kübel die „Worte der Jugend" als eine einzige „chauvinistische Hetztirade"; Sloterdijk 1983 Kritik 610 Unvorstellbar bleibt, was in den Jahren 1914—1918 „theoretisch" zu Papier kam, wieviel kulturchauvinistische Nationalisierung der „reinen Wahrheiten" plötzlich möglich wurde; Zeit 26. 12. 1986 daß Heinrich Heine, den die Reaktion aus Deutschland vertrieben hatte, sich enttäuscht und verbittert von dem Unterneh-

Chauvinismus men lossagte, das mehr und mehr in ein preußisch chauvinistisches Fahrwasser geraten war; Berl. Ztg. 12. 9. 1989 Dies alles geht mit einer offensichtlichen Aktivierung jener chauvinistisch gesinnten Kreise in der BRD einher, die auch früher die in Europa bestehenden politischen und territorialen Realitäten nicht akzeptierten und die absurde Idee einer „Einverleibung" der DDR bis jetzt nicht aufgegeben haben; ebd. 18.10. 1990 Grund zur Sorglosigkeit gibt es solange nicht, wie sich Parteien mit chauvinistischen oder ausländerfeindlichen Parolen schmücken; Süddtsch. Ztg. 12./ 13. 12. 1992 Auch wenn dies allenthalben die Zeit kulturchauvinistischer Wirrköpfe und potentiell verbrecherischer Rassisten zu sein scheint; Spiegel 15. 2. 1993 Natürlich darf man die Gesinnungslage der indischen Nation nicht an . . Thackerays chauvinistischen Maulhubereien und an den Untaten seiner 40 000 Volkssturmmänner messen. Chauvinismus b: Zeit 25. 1. 1985 daß das hinreißend . . gespielte Punkmädchen Lola in Wahrheit eine sofort für jeden bieder-proletigen Männerchauvinismus empfängliche Person ist; Spiegel 8. 12. 1986 Und führen nicht immer wieder Politikerinnen, nicht nur vom Kaliber einer Margaret Thatcher, vor, daß Frauen keineswegs die besseren Menschen sind? . . Gern hätte ich mehr erfahren über den alltäglichen Chauvinismus in einer Männerpartei . . War es nicht Anke Martiny, die bei einem Kongreß der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen empört aufs Podium stürzte, als der damalige Kanzler Helmut Schmidt seinen um Gleichberechtigung kämpfenden Genossinnen „mehr Mütterlichkeit" empfahl? . . Der „Macho mit Handkuß", den die Liberale Hildegard HammBrücher in ihren Reihen ausmacht, ist auch nur ein Macho; MM 23. 2. 1993 Bei ihnen paart sich Rassismus mit dümmlichem Chauvinismus, der es ihnen erlaubt, in Soliman nur ein wildes, rechtloses Tier und in seiner Frau eine hübsche Trophäe zu sehen. Chauvinist: Pusch 1983 Feminismus 26 Wenn jemand behauptet, daß Männer stärker, klüger .. seien als Frauen, dann impliziert er gewöhnlich, daß er über universelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern spricht; aber selbst dem eingefleischtesten männlichen Chauvinisten würde es schwerfallen, unter Druck daran festzuhalten, daß alle Männer auch nur in irgendeiner . . Hinsicht mehr seien oder mehr hätten als Frauen; Zeit 15. 2. 1985 War Renoir, der Matisse gegenüber die jungen Mädchen Gottes beste Arbeit genannt haben soll und dessen Lieblingsbild Bouchers „Diana im Bade" war, was man heute einen male chauvinist nennen würde?; ebd. 19.4.1985 Kaum daß

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sich die Frauen von ihren ehelichen „Herrn und Meistern" befreit haben, die natürlich Spießer, Chauvinisten, Trottel, Kleingeister gewesen waren; FAZ 3. 1. 1990 meldeten sich zum ersten Mal etwa fünfzehn Frauen in betonter Weiblichkeit zu Wort, um ihre Art des Herangehens an Computertechnik als gleichberechtigt einzuklagen . . den Wunsch nach verständlicheren Handbüchern wird auch jeder männliche Chauvinist bedenkenlos unterschreiben; Spiegel 14. 11. 1994 Gabriele Pauli ist keine verirrte Grüne, sondern eine der neuen Hoffnungen der CSU. Die Chauvinistenpartei gibt sich plötzlich als feministischer Förderverein des Voralpenlandes und tut die Bemühungen der Schwesterpartei CDU um die Frauenquote mit nachsichtigem Lächeln ab. Chauvi: Zeit 27. 2. 1981 Im Oktober 1979 veröffentlichte ich in „konkret" eine Geschichte („ich bin ein Chauvi"), in der ich meine Vorliebe für vollbusige Frauen erklärte . . eine ironische Provokation gegenüber den immer mehr sich ausbreitenden „Softis", die den ganzen Tag damit beschäftigt sind, ihr Rollenverhalten zu hinterfragen und die ihre Solidarität mit der Frauenbewegung dadurch demonstrieren, daß sie sich zum Pinkeln hinhokken; ebd. Daß die jüdische Erziehung, in der er die Ursache für mein Chauvi-Sein sieht, mitnichten „sprichwörtlich patriarchalisch", sondern vielmehr von der Mutter bestimmt ist; ebd. 4. 10. 1985 Nur man selbst habe den einzigen Schurken von Mann geehelicht, der nun durch Krankheit und/oder Abwesenheit glänzt und mit Chauvi-Sprüchen auf der zarten Wöchnerinnenseele herumtrampelt; ebd. 28. 11. 1986 Nun aber wollen militante Frauen die vollständige Abschaffung der Koedukation, um der männlichen Chauviwirtschaft zu entrinnen; MM 4. 6. 1987 einen gelungen Angriff auf die Chauvieund Mache-Gesellschaft; ebd. 29. 2. 1988 Die aufreizend tanzende Dame im schwarzen Netz-Bodystocking . . hätte man weglassen sollen — derlei Fleischbeschau beweist nur, daß der ach so progressive Lindenberg in Wahrheit auch nur ein alter Chauvie ist; ebd. 9. 3. 1988 Wolfram Engels, Herausgeber der Düsseldorfer Wirtschaftswoche, hat den wenig schmeichelhaften Titel „Chauvi des Jahres" erhalten. In einem Leitartikel hatte er sich über die „angebliche Diskriminierung der Frau" ausgelassen. chauvinistisch: Zeit 10. 5. 1985 neben unbekannteren, viele bekannte Namen, anerkannte Künstlerinnen: Ihre Werke zählen nicht nur in der feministischen Kunstszene. Eine schlicht weiblich-chauvini-

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stische Ausstellung also? Ein Frauenballett, wie es Männerballett gibt?; MM 8. 2. 1986 Der chauvinistischen Schadenfreude im Bonner Plenum begegneten sie [Heide Simonis und Ingrid Roitzsch] mit Gelassenheit.

Chauvitum: Spiegel 17. 4. 1995 Genießerisch evoziert er das Chauvitum des Leutnants Buchheim und seiner Kameraden, für die Frauen . . „geile Expressnummern" . . „hochbusige Tücken" . . „Hühner" [sind]. IN

Check M. (-s; -s), Mitte 19. Jh. übernommen aus engl. check in seiner Bed. 'Kontrolle, Überprüfung'. Anfangs oft auf engl. Verhältnisse bezogen in der Bed. 'Überprüfung von Personen, Informationen, Fakten (auf Genauigkeit, Richtigkeit und Übereinstimmung)' (s. Belege 1844, 1935), speziell im politischen Bereich für 'Kontrolle (durch staatliche Lenkung)', z. B. im engl. Syntagma Checks and balances in bezug auf Regierungssystem und Verfassung der USA für 'Prinzip der Verteilung politischer, wirtschaftlicher Entscheidungsgewalt auf sich gegenseitig kontrollierende und einschränkende Institutionen; Ausgleich, Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Freiheit der Bürger in einem Staats- und Wirtschaftswesen' (vgl. auch Checksystem, -gesetz); seit den 50er Jahren vor allem im Flugwesen für 'Sicherheitsüberprüfung von Personen und Gegenständen, der technischen Funktionstüchtigkeit von Fahrzeugen und Geräten u. ä. (nach einem bestimmten Verfahren oder mittels eines Fragenkatalogs)', auch in der Kraftfahrzeug-, Umwelttechnik, medizinischen Überwachung und Vorsorge; meist nachgewiesen als erster Bestandteil aus dem Engl. übernommener Zss. wie Checkliste, auch in der engl. Form Checklist F. (-; -s) (< gleichbed. engl. check-list) 'Prüf- oder Kontrolliste, auf der nach einem bestimmten System durch Abhaken die Vollständigkeit z. B. von Ausrüstungsgegenständen, Warenbeständen, oder das Funktionieren, z. B. von technischen Geräten, überprüft wird', auch 'Liste der abgefertigten Flugpassagiere', Checkout N. (-(s); -s), auch in den Schreibungen CheckOut, Check out, (nach engl. check out 'überprüfen'), in der (Raumfahrt-)Technik für 'stufenweise Durchführung automatischer Kontrollmaßnahmen und Funktionsprüfung von Einzelkomponenten (bei der Herstellung technischer Geräte)', im Hotelwesen (eventuell in Analogie zu Check-in) auch Offizielle Erledigung aller Formalitäten, die bei der Abreise von Hotelgästen anfallen (Registration, Bezahlung der Rechnung)', Check-in N. (-(s); -s) 'Abfertigung von Flug- oder Hotelgästen bei der Ankunft am Flugschalter oder an der Rezeption', auch, gleichbed. mit Check-up N./M. (-(s); -s) (nach engl. check up 'untersuchen') für 'gründliche, umfangreiche technische Prüfung' und 'medizinische (Vorsorge-)Untersuchung; Gesamtdiagnose', Checkpoint M. (-s; -s) (nach gleichbed. engl. check-point) 'Kontrollpunkt an Grenzübergängen' (vgl. Checkpoint Charlie als Bezeichnung für den früheren Grenzübergang für Ausländer zwischen dem amerikan. und dem Sowjet. Sektor in Berlin), in jüngster Zeit auch gebucht für 'Fixpunkt in einem Computerprogramm', seltener in eher okkasionellen Zss. wie Checkflug (vgl. engl. checkflight), Check-Ergebnis, und als Grundwort in (zum Teil auch kurz dafür, s. Belege 1986, 1993) Body-, Bio-, Gesundheits-, Gen-, Gesinnungs-, Sicherheits-, Sound-, Trend-, Urlaubs-, Wintercheck. Dazu in neuerer Zeit aus gleichbed. engl. check übernommenes checken V. trans., zunächst vor allem im kaufmännischen Bereich in der Bed. 'etwas auf das vorschrifts- und ordnungsgemäße Funktionieren, auf Korrektheit, Vollständigkeit u. ä. überprüfen, testen (oft anhand von Kontrollisten, auf denen dies durch Abhaken

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überprüft wird)', seltener auf Personen bezogen c jmdn. einer Kontrolle unterziehen', gelegentlich abweichend vom Engl. ugs. scherzhaft verwendet im Sinne von 'etwas merken, begreifen, verstehen' (vgl. kapieren), z. B. in Wendungen wie etwas nicht checken, nichts checken (s. Belege 1979, 1981, 1983, 1986, 1987, 1989); oft in Präfixbildungen wie einchecken (nach engl. check in 'eintragen') 'vor Flugbeginn die Flugpapiere entgegennehmen und das Fluggepäck abgeben', auschecken (nach gleichbed. engl. check out] 'in einem Hotel die mit der Abreise verbundenen Formalitäten erledigen', zum Teil auch intensivierend in ab-, vor-, durchchecken 'gründlich untersuchen, überprüfen', auch 'Fluggepäck bis zum Zielort abfertigen lassen'; in jüngster Zeit die (aus gleichbed. engl. checker entlehnte) subst. Gelegenheitsableitung Checker M. (-s; -), im technischen Bereich für '(Über-, Vor-)Prüfer, Kontrolleur', vereinzelt als Name für ein Wesen aus dem Weltall, das über Eigen-Überprüfungsmechanismen verfügt. Check: Kohl 1844 Brit. Inseln III 229 daß in England viele Club-Menschen mit . . ihrem Eifer für Check-Systeme .. weiter gehen als es die geringe Wichtigkeit der Sache zu erfordern scheint; Harden 1892 Apostata N. F. 122 Wer weiß, ob wir mit . . der Schul- und Börsenreform, mit dem Verrath militärischer Geheimnisse, dem Checkgesetz und anderen schönen Dingen uns jetzt herumärgern müßten; Gerhard 1929 Polit. System Hamiltons Reg. checks and balances; 1935 Zs. f. Bücherfreunde Bibl. 166 Eine Horaz-Bibliographie in knapper Form — eine „checklist" — wird von Mills College in Kalifornien als Veröffentlichung . . vorbereitet; Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 223) In diesen Maitagen . . beginnen Vermerke im Tagebuch unterzulaufen über Besuche in RöntgenLaboratorien, ärztliche check-ups, Blutuntersuchungen, Einzelprüfungen meiner Organe — mit übrigens beruhigend negativem Ergebnis; Süddtsch. Ztg. 10.10.1953 Selbst dem 47jährigen Lufthansa-Piloten . . der seit 1929 Verkehrsflieger ist, bieten diese „Checkflights" manche Überraschungen; Stuttgarter Ztg. 4. 9. 1962 über den Ausländerübergang Friedrichstraße „Checkpoint Charlie" nach Westberlin; Welt 30. 8. 1969 Check in und Check out, die Ankunft und die Abreise des Gastes — sie sind die neuralgischen Punkte im Superhotel-Betrieb (AWB); FAZ 20.3.1970 Ein komplettes und teures „Check-in", also die Ausnutzung aller komplizierten Apparate durch einen Patienten, werde in den allerwenigsten Fällen notwendig sein; Basler Nachr. 16. 4. 1970 Die Flugdirektoren der Raumfahrtkontrollstelle Houston kamen nach einer gründlichen Prüfung des Kommandoteils von Apollo 13 .. zu dem Schluß, daß die Kapsel für die Rückkehr zur Erde klar zu sein scheine. Siebeneinhalb Minuten dauerte der Check-up der Kapsel von der Erde aus; MM 24. 5. 1986 Rund 50000 Privatpatienten aus der Golf-Region . . reisten 1985 zur Behandlung oder

zum Check nach . . Bonn oder Bremen; Zeit 13. 6. 1986 Die Wissenschaftsförderung ist in den USA dezentralisiert und auf eine Vielzahl von Stiftungen verteilt, deren neutrale Aufsichtsgremien ein System von checks and balances garantieren und damit das Aufkommen von Gutachterkartellen erschweren; MM 9. 9. 1986 Als nächstes folgt . . ein gründlicher Bodycheck durch den Polizeiarzt und eine sportliche Hürde; ebd. 14.1. 1989 umgehende Sicherheits-Checks bei allen Maschinen mit CFM56-Triebwerken empfohlen; ebd. 20. 4. 1989 im Fernsehstudio auf dem Ausstellungsgelände . . werden Filme geschnitten, Sound-Checks abgewikkelt und Dekorationen aufgebaut; ebd. 30. 11. 1989 Ihm soll in Form einer Checkliste ein Leitfaden an die Hand gegeben werden, der, wenn er ihn Punkt für Punkt befolgt, eine optimale DiabetikerBetreuung sicherstellt; ebd. 20.6. 1991 bietet der ADAC Nordbaden . . einen umfassenden UrlaubsCheck an . . Der Check umfaßt eine Funktionsund Sichtprüfung der Bremsanlage sowie Bremsflüssigkeitstest, Kontrolle der Bremsanlage; Spiegel 18. 1. 1993 ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der frühzeitige, billige und gefahrlose Gen-Check möglich sein wird. Dann werden genetische Tests so selbstverständlich zu jeder Schwangerschaft gehören wie heute die Ultraschalldiagnose; ebd. 30. 8. 1993 Der Check des Ehepartners oder Lebensgefährten . . Die sogenannte Personen-Anfrage bei diversen Behörden, eine Art kleiner SicherheitsCheck, vor ihrer Eheschließung vorgenommen, ergab „Fehlanzeige"; ebd. 4. W. 1993 Mit dem „BioCheck F" läßt sich an der Verfärbung der Testfläche . . erkennen, ob die Formaldehyd-Konzentration in einem Raum unterhalb des empfohlenen Richtwerts .. liegt. checken: Spiegel 7. 5. 1979 Seine Interpretationen hat er in einer anderen Schrifttype drucken lassen. Wenn man das erst einmal gecheckt hat, kann man

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sie übergehen; 1981 Stern Nr. 9 Wer nicht checkt, daß wir bald alle am Arsch sind, ist bescheuert; Frankf. Rundsch. 18. 3. 1983 das mit der Sprache hat der Lindenberg ja schwer gecheckt, da ist der ja unheimlich stark drauf (beide AWB); Zeit 17. 5. 1985 vorgeburtliche Diagnostik . . eine Art „TÜV-Mentalität" in bestimmten Gesellschaftsschichten führte inzwischen zu einem enormen psychosozialen Druck auf schwangere Frauen, auch ohne erhöhtes genetisches Risiko ihr ungeborenes Kind „checken" zu lassen; ebd. 28. 2. 1986 um künftig „Ausreißer" in den Prüfungsergebnissen zu verhindern, checken Überprüfungskommissionen die Aufgaben - nachträglich; MM 24. 5. 1986 Auch Libyens Revolutionsführer Muammar el Gaddafi hat sich schon in dieser Klinik checken lassen, die für ihre Spezial- und Grunduntersuchungen sowie für ihre Behandlung besonders komplizierter Krankheiten weltweiten Ruf genießt; Zeit 26. 12. 1986 Die SAGA und die Bullen haben die Besetzung schon gecheckt, aber die wollten keinen Ärger während des Wahlkampfs; 1987 Schule III 24 Also, letzte Mathe-Arbeit war mal wieder ziemlich herb, richtig Panne — ich hab' nichts gecheckt (AWB); MM 19. 10. 1989 Kostenlos checken die TÜV-Prüfer . . Bremsen und Lenkung (Sicht- und Funktionsprüfung), Beleuchtung und Reifen am Auto; ebd. 30. 10. 1989 Wir müssen die Luftbelastung sichtbar machen . . Wenn der Betroffene jederzeit „checken" könne, ob die Gefahrenschwelle überschritten ist oder ob die Verhältnisse normal sind, werde er weniger irritiert sein; Zeit 30. 3. 1990 Computerkids fachsimpeln über Chips, Hardware, Software und checken das Manual des neuesten Laptop; Spiegel 1,3.1993 Blättern des „sogenannten seriösen Journalismus" wirft Steinkamp vor, daß sie jede Information „checken und doppelt checken" — aus „Faktenwahn" und „Entenparanoia"; ebd. 25. 4. 1994 checkt . . erst mal am Bildschirm in seinem Arbeitsraum, ob alle Kontrollinstrumente ordentlich arbeiten. Er testet Hebel und Knöpfe auf ihre Funktionstüchtigkeit, prüft Armaturen und Signallämpchen und setzt sein Meßgerät zur Überwachung der Strahlenbelastung in Gang. abchecken: MM 22.3. 1988 Der eingebaute Notenprüfer checkt die Geldscheine an 1200 Punkten ab, damit ihm keine Blüten untergejubelt wer-

den; ebd. 31.7.1989 „Abprüfen" muß man sich unbedingt merken, etwa als seriöse Variante des eher saloppen „Abcheckens". Das entbehrt in seiner englischen Form „to check" noch der Vorsilbe, ist aber in seiner deutschen Version dank des „ab" sinngemäß zu einem Abkontrollieren, Abüberprüfen beziehungsweise Abnachprüfen geworden. Wer „abcheckt", dem entgeht nichts, das steht fest. durchchecken: Spiegel 22. 1.1979 Schnelleres Abfertigen, schnelleres Durchchecken ihres Gepäcks (AWB); MM 20. 3. 1986 Der alte Startplatz . . bestand nur aus einem Starttisch. Auf ihm wurde die Rakete aufgestellt, durchgecheckt und die Nutzlast auf die Spitze gesetzt; Berl. Ztg. 12. 10. 1990 Jene vom Institut für deutsche Wirtschaft haben durchgecheckt, daß eine Selbstfinanzierung der deutschen Einheit durch Wachstum möglich ist; Spiegel 21.6.1993 Checks für Minister (Überschr.) Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) will seine Ministerien von Unternehmensberatern durchchecken lassen. ein-/auschecken: MM 10. 10. 1989 kommen .. die First-Class-Passagiere . . in den Genuß eines schnelleren Eincheckens an Express Check-inSchaltern auf den deutschen Flughäfen; Stern 15. 11. 1979 Wie oft kommt es vor, daß ich morgens um 5 Uhr aus dem Hotel auschecken muß, um die erste Maschine zu kriegen; Westfäl. Volksbl. 30. 12. 1983 Eingecheckt und ausgecheckt — Japans erstes „unbemanntes" Hotel (beide AWB). vorchecken: Zeit 4. 7. 1986 Dies sei eine Pilotstudie, die erst einmal „vorchecken" wolle, ob sich die Mangelerscheinungen aus den Vereinigten Staaten auch bei deutschen Kleinkindern bestätigen. Checker: Zeit 7. 6. 1985 ein monsterhaftes Wesen, halb Mensch, halb Tier . . Das Wesen nennt sich „Checker". Zwanghaft untersucht es ständig den eigenen Körper, den Grad seiner Vergiftung; MM 3.11. 1986 Was er in die Hände bekommt, wird sogleich auf seine Verstrahlung hin geprüft. Checker ist immer beim Checken; Spiegel 5. 9. 1994 Günter ist ein sogenannter Checker, er macht die Vorarbeit für den Drogendealer. IN

Chef M. (-s; -s), im frühen 17. Jh. entlehnt aus frz. chef 'der Erste, Wichtigste; (Ober-)Haupt, Führer' (über gleichbed. altfrz. chief zurückgehend auf vulgärlat. *capus, lat. caput 'Kopf; Oberhaupt, Anführer', wohl german. Herkunft; verw. mit —* Kapitän, —»· Kapital), bis heute in frz. Syntagmen wie General en chef, Chef d'Escadre, Chef de rang/de cuisine, im 17.718. Jh. vereinzelt in der Schreibung Cheff.

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a Zunächst im militärischen Bereich für 'Vorgesetzter, Anführer eines Regiments oder Heeres; oberster Befehlshaber, Feldherr' (—> Kommandant), früher oft im frz. Syntagma en chef, z. B. (General/Kommando) en chef ' (General/Kommando) als oberster Feldherr bei einer Armee', en chef kommandieren, bis in die 30er Jahre des 20. Jhs. und heute vereinzelt historisierend nachgewiesen in Wendungen wie Chef des (General-)Stabes, der Kompanie, des Regiments, und Zss. wie Armee-, Bataillon^)-, (General-)Stabs-, Kompaniechef. b Seit Anfang 18. Jh. vor allem im juristischen, kaufmännischen, privatwirtschaftlichen/öffentlichen Geschäfts- und Dienstbereich weiterentwickelt zu 'Vorsteher, Vorgesetzter einer Dienststelle, Amtsleiter; Vorsitzender eines Gremiums, Kollegiums', speziell 'Geschäftsführer, Leiter, Vorstand einer Firma, einer Gesellschaft', auch 'Firmeninhaber, Unternehmer' (—» Präsident, —» Direktor, —» Patron, vgl. auch Prinzipal M. 'Geschäftsinhaber'; s. Belege 1713, 1766, 1796, 1833, 1837), auch Oberhaupt einer Regierung, politischer (An-)Führer (einer Partei)' (s. Belege 1748, 1809, 1852, 1939), bildlich für 'Kopf einer geistigen, politischen o. ä. Bewegung' (s. Belege 1741, 1748, 1835); gelegentlich in Wendungen wie Chef des Protokolls 'Dienststellenleiter am Auswärtigen Amt' und alternierend mit dtsch. Entsprechungen wie -letter, -führer, -Vorsteher als Grundwort in zahlreichen Zss. (bzw. gelegentlich auch kurz dafür, s. Belege 1935, 1939) wie Ressortchef 'Abteilungsleiter', Firmen-, Büro-, Küchenchef (nach frz. chef de cuisine 'Küchenmeister, Oberkoch'), Senior-, Empfangs-, Banden-, Protokoll-, Presse-, Personal-, Junior-, Team-, ARD-, ÖTV-, Regierungs-, Staats-, Partei-, Fraktionschef, sowie als Bestimmungswort in der Bed. 'dem Chef zugeordnet, zugehörig' in Zss. wie Chefsekretärin, -gespräche, -Büro, -visite, -etage, -zimmer und Chefzahlen 'Daten, die die Unternehmungsleitung darüber informieren, ob die Realität der Erträge zu einem bestimmten Zeitpunkt der Planung entspricht', meist jedoch eher im übertragenen Sinne von 'mit der Leitung betraut; leitend, maßgeblich, tonangebend; Haupt-', auch 'erster ...' z.B. in Chefpräsident 'Vorsitzender (vor allem bei Gericht)', Chefarzt, -Ingenieur, -dramaturg, -korrespondent, -direkter, -manager, -redakteur (nach frz. redacteur en chef), -Stewardeß, -ideologe, -delegierter, -denker, -dirigent und Chefsache 'Angelegenheit von größter Wichtigkeit', daneben seit den 50er Jahren des 20. Jhs. gelegentlich gebuchtes, aus dem Engl. übernommenes gleichbed. Chief(-), meist in Anzeigen als erster Bestandteil engl. Berufsbezeichnungen und vereinzelt als Bestimmungswort in Zss. wie Chief-Instrument. Im frühen 18. Jh. vereinzelt Chefin F. (-; -nen) im militärischen Bereich für 'Ehefrau des (militärischen) Vorgesetzten' (zu a), seit Anfang 20. Jh. kontinuierlich nachgewiesen für 'Leiterin' (zu b); daneben die in der ersten Hälfte des 20. Jhs. gelegentlich nachgewiesene scherzhafte französisierende Bildung Chefeuse (vgl. Friseuse, Chauffeuse, Kommandeuse], bezogen auf die Ehefrau eines Militärangehörigen (zu a), und, gleichbed. mit vereinzelt nachgewiesenem Chefesse, für 'Ehegattin des Chefs' (zu b); in den 30er Jahren die adj. Gelegenheitsableitung cheflich (zu b). Chef a: Wallhausen 1616 Kriegsmanual (Gl.) Cheff. Das Haupt (BRUNT); Nicolai 1633 Relation (Irmer II 112) beide chefs (JONES); Mahrenholtz 1678 Unterredungen Evr oder Danck bey seinem Chef zu verdienen; ebd. Exr und en chef was bewerkstelligen sollen; 1690 Post-Zeitungen

(Buchner I 245) diejenige/ denen sie Ihre Armeen en chef zu commandiren anvertrauet (beide BRUNT); 1717 Ausführt. Relation v. Belgrad 4 alle en chef die Linien . . commandirenden Generals; Wagner 1724 Soldatenbibl. 82 die Memoires des Hertzogs von Rohan . . welche die damahligen

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Kriege der Hugenotten in Franckreich / deren Chef er war/ in sich begreiffen; Fleming 1726 Soldat 126 Chefs der Regimenter; ebd. 218 In Ansehung der Versammlung ist zu observiren, daß sich die Compagnien vor ihres Chefs Quartier . . versammlen müssen . . zu Folge dess introducirten Regiments; Barth 1734 Tagebuch 195 [Korps] welche .. zum Kommando en Chef erwartet werden; 1743 Reglement Preuss. Cavall. 34 Es stehet auch einem jeden Chef frey, seinem Regiment mehrere nützliche Manoeuvres zu zeigen; Humbert 1745 Vaubans Angriff U 70 Obschon eine Generals Person dem General en Chef, von dem was auf der Seite geschiehet, so offte muß Nachricht geben als er kan; Lessing 1759 S. Sehr. XIX 137 So habe [ich] den Grenadier so gleich dahin vermocht, die dahin gehörige Stelle so zu ändern, daß man sie auf Niemand als auf den Chef der feindlichen Artillerie auslegen kan; Seume 1793-1811 Kl. Sehr. (W. H 430) Die erste Beschuldigung, wegen der Unordnung fällt durchaus mehr auf den kleinen Kommandeur als auf den Chef, und der Feldmarschall kann oft nicht dafür stehen, wenn die Grenadiere Unheil anrichten; 1861 Allg. Mil.-Enc. Ill 158 Chef einer Compagnie, Schwadron, Regiments; ebd. IV 33 Freiherr von Leiberich . . war bei Ausbruch des Kriegs gegen die französische Republik schon General, wurde Generalstabschef; 1888 Grenzboten l 265 Die russischen Ingenieure haben ihre längst schon beabsichtigte und seit einiger Zeit in Angriff genommene Brücke . . vollendet, und ihr Chef, der General Annenkoff, ist . . in einem Eisenbahnwagen von Ufer zu Ufer gefahren; Meyer 1911 Aufs. I l Chef des Generalstabs; Wilhelm 11. 1927 Leben 283 Die „Chefs" der österreichisch-ungarischen Regimenter waren, anders als in der deutschen und russischen Armee, „Oberst-Inhaber" des betreffenden Regiments; Berl. lllustr. Nachtausg. 15.8. 1933 Es genügt dem Stabschef Rohm durchaus, der Chef des Stabes der SA. und SS. zu sein; Münch. N. N. 1.11.1938 den Chef des Generalstabes des Heeres; Welt 28. 5. 1959 der Bataillonschef berichtete, daß er vor lauter Papierkrieg seine Truppe oft wochenlang nicht zu sehen bekomme; Heuss 1963 Erinn. 267 seine Nachfolge fiel jetzt an die psychologisch schwer durchschaubare Figur des Generals von Seeckt, der sich als Generalstabschef in strategischen Planungen der letzten Ostfeldzüge Ruhm erworben hatte; Welt 1. 2. 1966 ein hochdekorierter Offizier und zuletzt Kommandeur des Militärdistrikts von Groß-London, war zu Beginn dieses Jahres von Königin Elizabeth . . geadelt worden. Er war zwischen 1959 und 1961 Chef der Vierten „Guards Brigade Group" der britischen Rheinarmee; Görlitz 1967 Gesch. Generalstab 272 „Stabschef" der SA .. Rohm.

Chefin: Rohr 1729 Zeremoniellwiss. U 829 Die Cavaliers versammlen sich bey ihren Chefs, die Dames aber bey ihrer Cheffin. Chefeuse: 1913 ZDSprachver. o. S. ist es wirklich bei unseren deutschen Offizieren Brauch, von der „Chefeuse" zu sprechen? Chef b: Jablonski 1700 Br. an Leibniz (Gukrauer II 166) Weil aber das Magdeburgische Werk fünf Chefs gehabt (BRUNT); 1713 Berl. geschr. Zig«. 57 Dieses Collegium ist wohl 10 Jahre ohne Chef gewesen, und würde gemelter Herr Justiz Rath [!) von Riens die Präsidenten Charge gar bald obtiniret haben, wenn er sich mit der Gräfin von Wartenberg nicht brouilliret hätte; Edelmann 1741 Christus u. Belial 19 Chef einer neuen abgeschmackten Secte; Zinzendorf 1748 Londoner Reden 114 des Chefs einer Parthey; Moser 1766 Reliquien 163 Wenn man .. von dem spielenden und frivolen Geist unsers Jahrhunderts überhaupt auf die künftige Ministers und Chefs der Collegien schließen müßte; Schlözer 1783 Stats-Anzeigen o. S. Ich habe den Chefs Vertrauen geschenkt, und Gewalt eingeräumt, damit sie sowol mit ihrem Beispiel, als mit ihrem Ansehen, auf die Gesinnungen ihrer Untergebenen in der Tat, wirken können; Carl August 1792 Br. 109 eine Bestellung, die ich Ihnen vortragen werde und welche in der Erfüllung meiner Pflicht als wohlbestallten Briefbestellers Ihres Chef de cuisine besteht; 1796 Berghaus I 175 Chef eines Handlungshauses, s. Patron (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Massenbach 1809 Friedrichs d. Gr. Unterredungen 50 Dies ist die Ansicht, mit welcher der neue Staatschef den Thron besteigen mußte; Müller 1817 München H 386 ihres gegenwärtigen Chefs, des königl. Hofastronomen, Legationsraths, Direktors im geheimen Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten; 1833 Schiebe 22 Chef, der Eigenthümer, Vorsteher oder Prinzipal einer Handlung (SCHIRMER, Kaufmannssprache); Heine 1835 Romant. Schule 97 er, der Chef der Romantiker, heiratete die Tochter des Kirchenrat Paulus zu Heidelberg, des Chefs der deutschen Rationalisten; Varnhagen v. Ense 1837 Tagebücher 149 Der Präsident Adolph von Kleist soll nun Chef-Präsident des Kammergerichts werden; Kohl 1844 Brit. Inseln 111 68 An der Spitze steht der Redacteur en chef (the Editor), der die Seele und der Dirigent des Ganzen ist; Szarvady 1852 Paris I 390 Später wußte er sich den Legitimisten, Orleanisten und der clerical«! Partei zum Chef aufzudringen, und Montalembert gab sich bereitwillig zu seinem Flügeladjutanten her; Freytag 1854 Journalisten 128 wennn es auch kaum noch vorkommt, daß ein bedeutender Wissenschaftler zugleich Chefredakteur einer politischen Zeitung ist; Holtet 1860 Eselsfresser 111 923

Chef Im Munde des Polizeichefs gewann sie [die Betonung des Wortes „Baron"] Bedeutung; Mahler 1864 Über die Eider 76 ich . . begab mich sofort zum Chef-Arzt dieses leichten Feldlazareths, Oberstabsarzt Dr. Taubner; Michelis 1872 Reiseschule 181 Diesem würdigen Chef [Koch] . . verdanke ich manche Belehrungen über gastrosophische Angelegenheiten; Dingelstedt 1879 Bilderbogen 4 der treffliche, verdienstvolle, mächtige Redacteur der „Allgemeinen Zeitung".— Chefredakteure gab es damals [1850] in der deutschen Journalistik noch nicht; Richter 1884 Creditsystem 49 „Chefs" [von Finanzfirmen]; Noe um 1885 Alpenbuch II 1,3 und der Chef de reception bringt auf marmorner Schwell seine Bücklinge an; Kretzer 1887 Timpe 37 Das Geschäft würde blühen und gedeihen, er würde sich emporschwingen .. man würde ihn Chef nennen, eine reiche, schöne Frau würde sich finden . . und eine Villa; Gilly 1896 Fesseln l 59 Er nahm demzufolge eine etwas würdevollere, gewissermaßen eine Chefstellung an; ebd. I 114 Mit der Tochter seines Chefs . . Er war doch — seinen Reden nach — immer so sehr gegen diese Geldheiraten!; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 235) in dem sie den zukünftigen Firmenchef, das einstmalige Familienoberhaupt erblickte; Schüler 1915 Du ahnst 83 Allein unser Küchenchef hatte Glück. Man hatte ihn nicht an die Front geschickt; Csokor 1924 Schuß 81 durch das Vorzimmer in das sogenannte Chefzimmer, in dem die Schreibtische der Gesellschafter . . standen; Colerus 1929 Kaufherr 66 Der Seniorchef hat Usancen, die nicht in die Gegenwart passen; Vo55. Zig. 6. 9. 1931 Er spricht mit dem Empfangschef; Lokal-Anz. 22. 2. 1933 Der „Bandenchef" der Automarder (Überschr.) Der Kriminalpolizei [ist es] gelungen, den Anführer dieser Banden zu ermitteln und festzunehmen; Berl. lllustr. Nachtausg. 6. 8. 1933 der Autor des Kriegsdramas „Reims" wurde als Chefdramaturg an die städtischen Bühnen in Frankfurt am Main berufen; Lokal-Anz. 4. 7. 1934 der Führer der siamesischen Studentenschaft . . und der Chefkorrespondent der siamesischen Staatszeitungen; ebd. 25. 9. 1934 Der Grund soll in dem seelischen Zusammenbruch des alten Chefdirektors der Grube liegen; Dtsch. AZ. 6. 1.1935 Fabrik in Mitteldeutschland sucht erste Kraft als Chef-Sekretärin (Anzeige); ebd. 7.1.1935 vom Chef des Protokolls . . als dem Vertreter des Staatspräsidenten sowie dem Kabinettschef des Außenministers feierlich begrüßt; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 231 mein Tischgenosse Kapp hätte . . Schnitzler zu seinem Pressechef gemacht; Malade 1939 Universität 43 Wie dort die Herren Assistenten bescheiden an der Tür warteten, bis der Chef sie fragte (TRÜBNER); Manch. N. N. 9. 11.1942 Wie oft sind damals Parteigenossen zu mir gekommen und sagten: Führer

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— sie sagten damals zu mir „Chef" oder sagten auch „Adolf Hitler"; NZ. (Basel) 18.4. 1950 „Chef" oder „Patron" [Kapitän eines Rhonedampfers]; Süddtsch. Ztg. 24. 5.1954 Als „Chefs des cuisine", die ganze Brigaden von Küchengeistern beherrschen, sind sie gewohnt, höchstpersönlich den Finger in dampfende Saucen zu tunken; Der Mittag (Düsseldorf) 17.4.1958 Für erstrangiges Jahreshotel „Kaiserhof" . . gesucht: Küchenchef — Chef de rang - Halbchef (Anzeige); Grass 1962 Blechtrommel 461 er bat mich, am Nachmittag desselben Tages in die Agentur zu kommen, er wolle mich dem Chef vorstellen .. meldete mich beim Chef an; FAZ 10. 2. 1966 das Agreement für den bisherigen Protokollchef des Auswärtigen Amtes, Botschafter von Holleben, erteilt; Bild 31.1. 1967 Der Satz „heute habe ich es aber dem Chef gehörig gegeben" dient sozusagen als Blitzableiter; ebd. 2. 3. 1967 wenn der Bundeskanzler CDU-Chef werden will, werde ich nicht für dieses Amt kandidieren; Offenburger Tagebl. 8. 1. 1969 eine nicht genehmigte studentische Demonstration mit dem Berliner SDS-Chefideologen, Rudi Dutschke; Mauritz 1970 Dreistufigkeit o. S. weil neue Stellen für die Chefpräsidenten, Vizepräsidenten und Präsidialrichter erforderlich sind; Süddtsch. Ztg. 5. 4. 1971 unseren Büro-Computer . . so in Ihrem Betrieb einzusetzen, daß er . . Sie in die Lage setzt, mit „Chefzahlen" Ihre Erfolge zu planen; FAZ 6. 8. 1971 der nordvietnamesische Chefdelegierte bei den Pariser Friedensgesprächen; ebd. 30.8. 1971 Die Runde der „Chefgespräche" über den Haushalt und die Finanzplanung; Schädlich 1977 Nähe 188 Chefs sprechen mit Chefs, Chefvertreter sprechen mit Chefvertretern, Abteilungsleiter sprechen mit Abteilungsleitern . . Abteilungsleiter sprechen mit Leuten; MM 16. 1. 1985 das SPD-Präsidium und SPD-Fraktionschef HansJochen Vogel kündigten gestern an, die Sozialdemokraten würden nunmehr verstärkt die Bürger mobilisieren; ebd. 24. 1. 1985 bei der Bielefelder Tageszeitung „Freie Presse", wo er wenige Jahre später zum Ressortchef für Wirtschafts- und Sozialpolitik avancierte; ebd. 15.5.1985 machte er [Joachim Vogel] sich über den „Chefdemagogen Geißler" her; Zeit 27. 9. 1985 der wirtschaftspolitische Chefdenker der Union [Biedenkopf]; ebd. 10. 1. 1986 wenn die vollbusige Sekretärin ins Chefbüro gerufen wird, dann wissen die Kolleginnen: Nicht mehr Briefe, Brüste stehen jetzt auf der Tagesordnung; ebd. 25.4.1986 am Donnerstag war Chefvisite mit Klinikchef Professor Hans Joachim Bochnik; MM ebd. 4. 6. 1988 soweit der Patient die „Chefarztbehandlung" wähle, habe er im Grundsatz auch Anspruch auf persönliche Behandlung durch den Chefarzt; FAZ 9. 10. 1989 DDRPartei- und Staatschef Honecker [machte] deutlich

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.. daß er nicht gewillt ist, grundlegende Reformen in der DDR zuzulassen; Spiegel 3. 12. 1990 Reinicke, der dem Regierungschef de Maiziere unterstand; Rhein. Merkur 23. 3.1990 seit sechs Jahren Chef des Berliner Sinfonie-Orchesters . . neben Simon Rattle ist er der jüngste Chefdirigent Europas; FAZ 5. 10. 1990 in zu vielen Betrieben der fünf neuen Bundesländer geht die Herrschaft der alten Führungsriege so gut wie ungebrochen weiter . . ständig stößt man auf Menschen, die darauf hinweisen, wer von den verhaßten Betriebsleitern wo noch immer in der Chefetage sitzt und sich von dort nicht vertreiben läßt; Frankf. Rundscb. 20. 11. 1990 Rundfunk ist heutzutage kaum mehr Länder-, sondern vielmehr Chef-Sache. Chefesse: 1889 (Schlözer 1926 Menschen 259) Die Gräfin Bray ist die liebenswürdigste Chefesse; 1913 ZDSprachver. o. S. Wie aber sagt man zur Frau des Chefs? (Überschr.) Die armen Franzosen! Sie haben nur ein feminin zu ihrem chef: chefesse! Aber wir Deutschen sind doch bessere Menschen, haben ihrer drei! . . drittens jenes französische Chefesse. Chefeuse: Loeb 1905 Majestät 43 beim Elften [Kunden] ist gerade die Rayonchefeuse krank; Böhme 1911 Wagmus 168 sich als zukünftige Chefeuse aufspielen (beide TRÜBNER); Reibnitz 1928 Gestalten 52 Frau Rose Hilferding . . die jetzt Chefeuse der Reichsfinanzen ist. Chefin: Liegnitzer Tagebl. 19. 8. 1913 Da müssen Sie sich an die Küchenchefin halten; 1926 Siitengesch. v. Paris 199 Chefin [eines Modesalons]; Tempo 27. 2. 1930 In der französischen Hafenstadt sollten Sie sich mit ihrer Chefin treffen und von ihr das Reisegeld bis Berlin bekommen . . Es dauerte gar nicht lange, da drangen die Erzählungen von der netten Besoffenheit Joe Duddles auch an das Ohr der hohen Chefin. Obzwar sie sonst dem erprobten Grundsatz huldigte, Untergebene nie zu sich einzuladen, machte sie in diesem Falle eine Ausnahme; 1931 Berl. lllustr. Ztg. Nr. 17 Den ganzen Tag über zwitschert Kniehahn in Gedanken

mit der Chefin (TRÜBNER); Fallada 1947 Jeder stirbt 230 „Komme gleich, Frau Chefin, soll auch nicht wieder passieren."; Bild 3. 3.1955 Ihre Auffassung vom Geschäft und von den Aufgaben einer „Chefin" .. Der größte Fehler, den man als Chefin begehen kann, ist Ungerechtigkeit; Süddtsch. Ztg. 30. 8. 1950 er arbeitete zur vollen Zufriedenheit der Kunden und seiner Chefin; ebd. 27. 2. 1959 Chefin eines Freudenhauses; FAZ 10.10. 1959 Textilkausmann .. sucht .. Dame aus gutem Hause bis 32 Jahre, evtl. mit Branchenkenntnissen und Geschäftsbegab., die als Chefin und Hausfrau repräsentieren kann; Erpenbeck 1965 Bilanz 47 im Auftrag der Chefin . . Ich bin nicht bei der Chefin und noch weniger bei Ihnen angestellt; Bild 10. 3. 1967 „Ich habe meinen Aufstieg von der Putzfrau bis zur Chefin ohne Ellbogen geschafft — nur mit Wissen. Und vor allem ohne Komplexe, daß höhere Positionen nur für Männer da sind"; Welt 28.11. 1969 offensichtlich kommt sie gleich nach der Chefin der Schneiderabteilung und wird jedenfalls im Geschäft sehr geschätzt; MM 8.2.1985 Referatsleiterin wirft das Handtuch (Überschr.) . . in der Umgebung von Frau Schäfer hieß es gestern, „die Chefin" habe . . bereits konkrete Vorstellungen über eine Nachfolgerin; Zeit 9.8.1985 schließlich die Rückkehr ins Kabinett Börner, nun aber als Chefin im eigenen Haus, im neugegründeten Ministerium für Wissenschaft und Kunst; Stern 17. 9. 1987 weder wurden die 12 bis 14 Stunden Arbeit am Tag erträglicher, noch ließen die Schikanen der Chefin nach; ebd. Detlev hat sich arrangiert .. hat Chef und Chefin, mit denen er gut auskommt; Rhein. Merkur 30. 11. 1990 für den Westen hat ÖTV-Chefin Monika Wulf-Mathies bereits ihre Karten auf den Tisch gelegt. cheflich: Tempo 27. 2. 1930 Nun regnete es nur so die Einladungen aus cheflichen Kreisen. Chief(-): Sachs. Tagebl. 4./S. 4. 1987 Fips war und ist an vielen Instrumenten zu Hause — der Geige, dem Piano, der Oboe, am Marimbaphon, Vibraphon und Sopran-Saxophon und natürlich dem Schlagzeug, seinem Chief-Instrument (AWB). IN

Chemie F. (-; ohne PL), seit früherem 17. Jh. nachgewiesen, über mlat. (al-)chimia zurückgehend auf griech. , 'Kunst der Metallveredelung, -Verwandlung, -Vermischung; Alchimie', weitere Herkunft ungesichert (entweder zu 'das Ausgeflossene, Fluß, Strom; Guß, Metallmischung', zu 'Saft, Flüssigkeit', also im Sinne von 'Kunst der Metallmischung', oder mit der griech. Wiedergabe des ägypt. Namens für Ägypten 'Schwarzland', zu $ 'schwarz' in Verbindung gebracht, also im Sinne von '(ägyptische) Kunst des Schwärzens'; eventuell auch als

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Rückbildung aus älterem (spätmhd.), über span./frz. Vermittlung aus gleichbed. arab. al-kimija entlehntem und seinerseits auf das Griech. zurückgehendem —»· Alchimie aufzufassen), etwa seit 1800 frühe Formen wie Chytnia, Chymie und Chimie verdrängend. Mit der Ablösung des im Magisch-Mystischen, Universalistischen verhafteten Denkens durch die empirisch-rationale Betrachtungsweise der Aufklärung, anfänglich noch oft neben bzw. anstelle von —» Alchimie, —> Metaphysik, aufkommende, im Laufe des 17./l8. Jhs. Verdeutschungen wie Schmelzkunst und Scheidekunst (Zesen 1670) verdrängende Bezeichnung für die als Frühform der modernen empirisch-exakten Naturwissenschaft aufzufassende Kunst, Lehre und Praxis, die sich mit dem Aufbau und der Umwandlung (—» Reaktion) von Stoffen befaßt, bes. mit Verfahren (z. B. Erhitzen, Lösungsmitteleinsatz u. ä.; —> Destillation, —* Filtration) zur Analyse, Trennung, Auflösung oder Mischung der Bestandteile/Elemente von zusammengesetzten Körpern und Substanzen (bei der Arzneimittelherstellung, Metallveredelung u. a.; vgl. benachbarte Disziplinen wie —» Physik, —» Geologie, —» Biologie, —»· Medizin, —» Pharmazeutik usw.); seit Anfang 20. Jh. auch für '(chemische) Zusammensetzung, Beschaffenheit von (fester oder flüssiger) Materie' (s. Belege 1913, 1934, 1993, 1994), in jüngster Zeit auch 'Gesamtheit aller chemiewirtschaftlichen Unternehmungen; Chemiebranche, -Wirtschaft als Ganzes' (s. Beleg 1994); häufig in festen Verbindungen, die verschiedene Fachrichtungen der Chemie bezeichnen, wie allgemeine Chemie 'Grundlagenchemie', (an-)organische Chemie 'Chemie, Synthese und Strukturaufklärung von (nicht-)organischen Stoffen', analytische Chemie 'Nachweis und quantitative Bestimmung von chemischen Elementen und Verbindungen', synthetische Chemie 'künstliche Herstellung synthetischer Stoffe', und als Grundwort in (nach dem Forschungsgegenstand unterschiedenen) Zss. wie Bio-, Geo-, Pflanzen-, Tier-, Anthropochemie, auch (nach dem engeren Anwendungsbezug bzw. der angewandten Methodik unterschieden) in Kohle-, Haushalts-, Boden-, Nahrungsmittel-, Elektro-, Mikrochemie; häufiger als Bestimmungswort in der Bed. 'die Chemie betreffend; auf chemischem Wege hergestellt; chemische Verfahren anwendend, im chemischen Bereich ausgebildet, tätig' (gleichbed. mit —» Chemo-), in Zss. wie Chemiefaser 'Kunst-, synthetische Faser', Chemietechnik, -Industrie, -produkt, -transport, Berufsbezeichnungen wie Chemielaborant, -Ingenieur, -(fach-)arbeiter, -werker, und synonymen Bezeichnungen für chemische Firmen und Einrichtungen wie Chemieunternehmen, -konzern, -betrieb, -werk, -firma, -Standort, -riese, -gigant. Schon im 19. Jh. negativ konnotiert mit „Künstlichkeit" o. ä. (im Unterschied zu „Natur-, Lebenskraft" u. ä.) und bes. in jüngster Zeit dann innerhalb der Kontroverse zwischen Fortschrittsglauben und -Skeptizismus im Zusammenhang mit der Umweltzerstörung häufig abwertend verwendet, vor allem in Zss. wie Chemieabfall, -abgase, -muH, -gifte, -katastrophe, -störfall, -unglück (s. Belege 1985, 1987, 1990, 1993, 1994). Vereinzelt bereits seit späterem 18. Jh. (s. Belege 1773, 1925, 1927) und in jüngster Zeit zunehmend übertragen gebraucht, dabei häufig bezogen auf die (harmonische) Beschaffenheit menschlicher und politischer Beziehungen (in ihrem Zusammenspiel), vor allem in den metaphorischen Wendungen Die Chemie zwischen ... stimmt (nicht), muß stimmen (s. Belege 1993, 1994). Dazu seit späterem 16. Jh. die eventuell unter Einwirkung von frz. chimique (zurückgehend auf griech. 'die Säfte betreffend'; vgl. mlat. alchimicus) aufgekommene adj. Ableitung chemisch, früher auch in den Schreibungen chimisch, chy-

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misch (um 1600), in der latinisierenden Form chymicus (1734 bei Weber) und in (lat. flekt.) Syntagmen wie Analysis chemica, Praeparatio chymica, medicamentum chymicum, erst seit Mitte 18. Jh. in der heutigen Schreibung; in der Bed. 'die Beschaffenheit, Zusammensetzung von Stoffen, Materie (bei Zerlegung in ihre Bestandteile) betreffend; nach den Gesetzen der Chemie ablaufend; auf chemischem Wege, künstlich hergestellt; auf Verfahren, Produkte, Forschungs- und Fertigungseinrichtungen der Chemie bezogen' (—» pharmazeutisch), auch, gelegentlich bildlich auf den Menschen als soziales Wesen und Eigenschaften der wechselseitigen Anziehung und Abstoßung bezogen (s. Belege 1755, 1835, 1876, 1903), häufig leicht abwertend verwendet im Sinne von 'künstlich geschaffen, nachgeahmt; unnatürlich' (im Unterschied zu natürlich, lebenskräftig; —» synthetisch) und mit negativen Konnotationen wie „giftig, umweltzerstörerisch, gefährlich" (s. Belege 1835, 1928-29, 1959, 1986, 1995); in festen Verbindungen wie chemisches Element, Labor(atorium), chemischer Versuch, Prozeß 'Vorgang, der bei der Bildung und Zersetzung chemischer Verbindungen stattfindet', chemische Reaktion 'Vorgang, bei dem Atome infolge chemischer Bindungen zu Atomverbänden zusammentreten, chemische Stoffumwandlung', chemische Industrie, Analyse, Verbindung, Untersuchung, Nomenklatur, Formel 'abgekürzte Bezeichnung für die Zusammensetzung der chemischen Verbindungen', chemische Reinigung, chemische Waffen/Kampfstoffe 'Stoffe mit starker Gift- oder Reizwirkung auf Menschen oder Pflanzen', chemische Keule '(rücksichtsloser) Einsatz chemischer Mittel (z. B. beim Pflanzenschutz, bei der Krebstherapie)', chemisch untersuchen, analysieren, chemisch rein (von Textilien, Substanzen), auch bildlich im Sinne von '(moralisch) sauber, einwandfrei' (s. Beleg 1903); in Zss. wie elektro-, biochemisch; chemisch-technisch, -physikalisch, -biologisch, -pharmazeutisch. Dazu Ende 18./Anfang 19. Jh. das vereinzelt nachgewiesene latinisierende Subst. Chemika N. PL, in der Bed. 'chemische Dinge, Gesprächsgegenstände, Chemisches'; die seit früherem 18. Jh. nachgewiesene, auf gelehrtenlat. chemicalis zurückgehende (vgl. engl. chemical), mit chemisch weitgehend gleichbed. adj. Ableitung chemikalisch, gelegentlich übertragen auf körperliche Vorgänge (—» physiologisch; s. Belege 1977, 1978), mit dem seit Mitte 19. Jh. bezeugten, vermutlich auf das gelehrtenlat. Syntagma chymicalia (medicamenta) zurückgehenden Subst. Chemikalie F. (-; -n), zunächst und bis heute meist im PL verwendet für 'industriell hergestellte (giftige) chemische Stoffe, Erzeugnisse, Präparate (mit denen in bestimmten technischen Bereichen gearbeitet wird)', früher auch in Zss. wie Fein-, Schwerchemikalien; Chemikaliendämpfe, -transport, -gesetz; seit Ende 18. Jh. die subst. Ableitung Chemismus M. (-; ohne PL), in der Bed. 'naturphilosophische Theorie zur Erklärung der Naturerscheinungen durch chemische Prozesse; Gesamtheit der chemischen Verhältnisse und Erscheinungen, Zusammenspiel chemischer Prozesse'; in neuester Zeit vereinzelt nachgewiesen chemisieren V. trans., im Sprachgebrauch der DDR für 'chemische Methoden, Verfahren anwenden, dazu übergehen', mit dem bereits seit den 40er Jahren nachgewiesenen Verbalsubst. Chemisierung F. (-; ohne PL) Orientierung, Ausrichtung an den Grundsätzen der Chemie', z. B. in der Wendung Chemisierung der Landwirtschaft, der Umwelt, in jüngster Zeit auch pejorativ für '(zunehmende) Belastung (der Umwelt, des Menschen) mit Chemie, chemischen Erzeugnissen' (s. Beleg 1986). Chemie: Harsdörffer 1644 Gesprechspiele IV 416 von der Chimia .. welche der metallen und Mineralien Eigenschaft auf das subtilste untersuchet

und erforschet; Colerus 1645 Oeconomia rur. II 39 Handgrieffe vn regierung des Fewers muß man wissen/ sonsten ists nichts/ man rühme sich gleich

Chemie der Chymia so hoch man wil oder kan; Czepko vor 1660 Weltl. Dichtungen 275 Dass die treffliche Chymei/ Wol bestellt im magen sey,/ Sucht ich ihm [Erdkies] recht anzuglüen; Butschky 1679 RosenThal 1063 Dieses/ die Heilkraft der Krauter zu nutzen lehret die Chymia/ und thut/ in den unheilsamen Krankheiten/ Natürliche Wunderwerke; Leibniz 1679 Ermahnung 293 daß unsre kunstler in der edlen Chymie und bergwerkssachen der ganzen weit lehrmeister worden; Happel 1690 Academ. Roman 12 Etliches Weniges ist bewusst/ von der Königl. [ägypt.] Stifftung/ in welcher die Söhne dess . . Potentaten .. in . . Heroischen Historien/ . . in der reinen Magia und Chymia . . unterrichtet worden; Leibniz 1696 Unvorgreifl. Gedanken 342 Feuer-Kunst (oder Chymi); Ettner 1700 Apotecker 128 obgleich in allen Seculis .. Leute gewesen/ die in Chymia erfahren waren; Schmidt 1707 Rockenphilosophia II 310 Wolte aber einer hinwieder einwenden/ es sey der Kern nicht blosse Erde/ sondern könne noch in andere Elemente vertheilet werden/ wie in der Chymia leichte zu erweisen wäre; Wolff 1719 Vernünftige Gedanken 153 In der Astronomie haben die Planeten . . ihre Zeichen/ . . Dergleichen . . trifft man auch in der Chymie an/ und die Alchymisten haben durch Sinnbilder ihre Processe vorgestellt; Offenbach 1728 Tagebuch 18 mit ohnzehlichen Statuen, Ertzstuffen, pretiosen Steinen . . verwahret, so eine emblematische Erfindung der ganzen Chymie, und was davon dependiret, vorstellen solte; Sulzer 1745 Kurzer Begriff aller W/55. 29 Die Wissenschaft, welche die Eigenschaften des Mineralreichs physisch untersucht, ihre Zusammensetzung, besondere Eigenschaften und Bestandtheile erforschet, wird die Chymie genannt; Muratori 1772 Von d. guten Geschmacke (Übers.) 175 Chymie oder Schmelzkunst; Wieland 1773 Agathon (S.W. Ill 14) eine Art von politischer Chemie; Heynatz 1775 Handb. 234a Chemie. So schreibt man besser, als Chymie od. Chimie; Beckmann 1784—88 Erfindungen II 109 Auch diese Kunst haben die Europäer von orientalischen Völkern gelernt, welche sogar noch jetzt, nach dem wir schon die Chemie zur Verbesserung der Färberey angefangen haben, ansehnliche Vorzüge besitzen, wie das Roth von Adrianopel, die Seidenzeuge und die Saffiane beweisen; Vulpius 1788 Glossar 18 Chimie, eine Toilettenwissenschaft, welche gemeinnütziger ist, als man gemeiniglich glaubt. Muß nicht mit der Alchimie . . vermischt oder verwechselt werden; Goethe 1791 Farbenlehre (HA XIII 475) daß die mit Bearbeitung der Chemie unter immer fortschreitenden neuen Ansichten beschäftigten Männer . . das, was wir beinahe nur mit rohen Zügen angedeutet, in das Feinere verfolgen; Adelung 1808 Grammat.krit. Wb. I 1335 Die Chymie . . Ein Lehrbuch;

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worin diese Wissenschaft vorgetragen wird, mit dem Plurale; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 361) Beim Eintritt des zweiten Semesters besuchte ich daher Chemie bei Spielmann, Anatomie bei Lobstein; Puchelt 1826 System d. Med. I l 51 Die Anthropochemie ist noch nicht gehörig ausgebildet; Schubler 1830 Agricultur-Chemie l Die Chemie beschäftigt sich nur mit denjenigen Erscheinungen, welche auf ihren wechselseitigen Anziehungen beruhen und Veränderungen der Grundmischung zur Folge haben; ebd. 2 Die reine Chemie begreift als eine für sich bestehende Wissenschaft die Kenntnisse aller einzelnen Elemente mit den Verbindungen; Hufeland 1836 Ench. med. 829 die Chemie, diese Alleszerlegerin; Latz 1869 Alchemic 474 erst in der neueren Zeit ist . . dem Ausdruck Chemia der Sinn untergeschoben worden, den wir heutzutage mit Chemie verbinden. Im Sinne der Alten i s t . . Chemia das, was wir „Alchemie" nennen; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 132 Die Nahrung wird durch die Fortschritte der Chemie stets verbessert werden; Krämer 1900 XIX. ]h. III 276 daß das Wort „Chemie" heutzutage eigentlich ein Sammelname ist, der eine Anzahl von Spezialwissenschaften umfaßt; Molisch 1913 Mikrochemie 9 Würden wir die Chemie der Cruciferen nach ihrer gesamten Zusammensetzung bis in die feinsten Details überschauen, so würde sich sicherlich auch hier die Verwandtschaft der Gattungen und Arten in ihrem Chemismus spiegeln; 1915-16 Polit.-anthropol. Monatsschr. XIV 525 Dasselbe gilt von der ganzen Physik in ihrer Beziehung zur Chemie, die sich heute gar nicht mehr von jener trennen läßt; 1920—21 Süddtsch. Monatsh. XVIII l,163 ff. Lebensmittelchemie; 1925 Z/'Menschenkunde I 68 versucht, die ganze Vielfältigkeit des Seelenlebens auf einige einfachste „Elemente" zurückzuführen, auf einfache Sinnesempfindungen und einfache Gefühle, die nach zwei .. Gesetzen der „Assoziation" alle höheren seelischen Gebilde zusammensetzen sollten . . Eine „Seelenchemie" also; Binding 1927 Ges. W. IV 3 Ist auch im letzten der Mensch der Schöpfer seiner Zeit. . so durchdringt sie ihn doch wie eine Essenz die in ihn übergeht und von der ihn keine Chemie erlöst (TRÜBNER); Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 212 Die einfachste Wissenschaft ist die Mathematik . . dann folgen die Astronomie, die Physik, die Chemie; Lokal-Anz. 6. 6. 1934 Sonnenflecken und Sonnenchemie; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 68 daß die organische Chemie schon manche Bestandteile des menschlichen Körpers auf künstlichem Wege geschaffen habe; Münch. N. N. 20. 5. 1939 Die Erkenntnis der großen Entwicklungsmöglichkeiten in der Kohle-Chemie; Kohle 1943 ABC d. Chemielaborwerkers Vorr. IV Chemielaborwerker . . Chemiebetriebswerker . . Chemie-Handwerker; Gro55

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1943 Wirtschaftspakt. Tendenzen 31 Chemietechnik (Kautschuk, Plastiken, Kunstharze); Süddtsch. Ztg. 24. 8. 1957 Ein , . von .. der chemischen Industrie herausgegebener internationaler Katalog nennt allein an die hundert verschiedener Chemiefasern; 1959 Münch. Stadtanz. Sept. Die Bezeichnung „Chemische Reinigung" stammt aus einer Zeit, in der man die erstaunlichen Leistungen der Chemie bewunderte, später hegte man dann im Gegenteil ein gewisses Mißtrauen gegen alles „Chemische"; ND 19. 12. 1964 steht ein reichhaltiges Angebot an .. Erzeugnissen der Haushaltschemie zur Verfügung; Thenius 1971 Paläontologie 0. S. Der Nachweis solcher [organischer] Stoffe ist Aufgabe der Geochemie bzw. der Paläobiochemie; Offenburger Tagebl. 5. 2. 1972 Weiterhin Chemiemüll-Einfuhr (Überschr.) der Abfalltransport schweizerischer Chemieunternehmen über die Grenze; Zeit 3.5. 1985 Schwerpunkt liegt in der Bodenmineralogie und Bodenchemie; ebd. 10. 5. 1985 Die Chemie steht seit 1976 auf dem Prüfstand, Unbehagen und Mißtrauen werden durch tägliche Schlagzeilen gestärkt; MM 29. 6. 1985 Haushalts- und Ernährungswissenschaften, Lebensmittelchemie, Pharmazie; Zeit 8. 11. 1985 Staatliche Anerkennung zum Chemielaboranten für Lebensmittel; ebd. 16. 1. 1987 Krieg, Chemiekatastrophen und Umweltzerstörung; MM 26. 2. 1987 Das Bundesnaturschutzgesetz soll verbessert und der chemiefreie Pflanzenschutz soll verstärkt gefördert werden; Rhein. Merkur 12. 1.1990 Das Gebiet lag wie unter einer Käseglocke im Dunst der Chemie-Abgase; Spiegel 15. 2. 1993 Dabei wissen die Chemie-Produzenten, daß sie in den alten Bundesländern . . gar keinen neuen Chemiestandort mehr finden würden; ebd. 1. 3. 1993 Doch immer wieder hat gerade Hoechst mit Chemie-Störfällen das Image der Branche belastet; ebd. 12. 4. 1993 Alles spreche dafür, daß bei einem Gipfeltreffen zwischen Gorbatschow und Bush „die Chemie stimmt"; ebd. 2. 8. 1993 Viele Fachleute, wie etwa der Chemie-Nobelpreisträger Donald Cram, gehen davon aus, daß aus den fußballförmigen Molekülen eine „völlig neue Chemie entstehen" könnte; ebd. 6. 6. 1994 Die deutsche Chemie erwartet nach mehrjähriger Flaute 1994 wieder steigende Gewinne; ebd. 20. 6. 1994 daß die Chemie der Erde kurz nach ihrer Entstehung der allgemeinen Chemie der Galaxien gleicht; ebd. 18. 7. 1994 [Helmut Kohl und Bill Clinton] sind physisch große Männer. Sie lieben das Essen und haben einen ähnlichen Sinn für Humor . . Die Chemie zwischen den beiden spielt sich nicht im Reagenzglas ab; ebd. 22.8. 1994 Das hängt mit der Chemie des äußerst reaktionsfreudigen (und deshalb sehr instabilen) Gases zusammen.

Chemica: Zedler 1773 Universallex. V 2309 f. Chymische Artzneyen, Chymica, oder Chymicalia Medicamenta; Goethe 1817 Tagebücher (WA 111 6,24) Gespräch über die neuesten Chemica. Angewandte Chemie, entopische Farben. Chemikalie: W. Heine 1856 Reise um d. Erde U 98 Er beschäftigte sich mit Photographic. Es fehlte ihm an einigen Chemikalien (SANDERS 1871); Heyse 1877 Ges. W. II 1,559 der Dunst der Chemikalien machte mir den Kopf noch wirbliger; Nietzsche 1884-88 W. IX 515 bei schädigenden Einflüssen, welche der älteren Menschheit unbekannt geblieben sind, z. B. von Seiten neu combinirter giftiger Chemikalien, fehlt auch die Aussage des Schmerzes; Th. Mann 1909 Hoheit (W. U 213) Gläser, Retorten, Trichter und Chemikalien standen auf den Borden, und es standen Präparate in Spiritus darauf; Berl. Illustr. Nachtausg. 5. 2. 932 Interesse an Schwerchemikalien . . Feinchemikalien herzustellen; ebd. 29. 8. 1933 die Linien mit geeigneten Chemikalien sichtbar machen; Dtsch. AZ. 9. 8.1935 Das Geschäft in Schwerchemikalien . . Preise für Aetznatron . . Salzsäure; ND 10. 9. 1949 Fotoapparate für Film und Platten, Fotozubehör, Papier, Filme und Chemikalien laufend zu kaufen gesucht; Welt 3. 12. 1954 drang ein junger Mann nachts in die Reinigungsanstalt des Chefs ein und machte Kleidungsstücke im Werte von 10000 DM durch ätzende Chemikalien unbrauchbar; ebd. 27. 10. 1959 die Herstellung, die Verarbeitung und der Vertrieb von Drogen, Chemikalien, Spezialitäten der pharmazeutischen, kosmetischen und chemisch-technischen Branche; ND 2. 3. 1964 garantiert . . eine mindestens fünffach längere Lebensdauer gegenüber den bisher verwendeten Stahlblechbehältern, die den aggressiven Chemikalien kaum länger als ein Jahr standhielten; Zeit 15. 2. 1985 Kampf der Feuerwehrleute in ihren Schutzanzügen gegen giftige Chemikaliendämpfe; MM 18. 9. 1985 50000 „Alt-Chemikalien" sind im Handel, die vom Chemikaliengesetz noch nicht erfaßt worden sind; Spiegel 8. 3. 1993 Wenn freilich .. hochgiftige Chlorchemikalien aus deutscher Produktion auf wilden Müllkippen in Osteuropa auftauchen, stellen sich die Industriebosse dumm. chemikalisch: Zedler 1733 Universallex. V 2309 f. Chymische Artzneyen, Chymica, oder Chymicalia Medicamenta; 1824 Archiv d. gesammten Naturlehre l EM. V bei den Gegenständen der angewandten Physik und Chemie, wird . . das Physikalische zuerst zur Sprache gebracht, diesem folgt das Chemikalische und den Beschluß macht das Physiologische; Kant 1977 Aufenthalt 185 wie sie [die Tochter des Rektors] sich physikalisch nicht bewegte, so hätte ich doch geschworen, daß sie ehe-

Chemie mikalisch sehr in Bewegung war, und ich war auf beide Arten in Bewegung; Königsdorf 1978 Träume 104 die chemikalischen Veränderungen des Körpers . . den Absprung in den Schlaf; Zeit 11.7. 1986 Sowohl Mücken als auch Plasmodien entwickelten eine Resistenz gegen chemikalische Insektenvertilger wie DDT und gegen VorbeugeArzneien; MM 29.6. 1989 Iran sollte durch Vermittlung der Düsseldorfer Firma Rheineisen Export GmbH mit chemikalischen Grundstoffen aus Indien versorgt werden, die unter anderem bei der Produktion von Giftgas eingesetzt werden können. chemisch: Wedel 1570-1606 Hausbuch 522 [Herzog Bogislav habe] zu der architectur und mechanischen künsten groß anmuthen getragen . . auch zu chimischen Sachen und der medicin anmuthung gehabt; Sebiz 1579 Feldbau 431 allerley Chimische Oele; Lange 1600 V. d. Irrwegen d. Alchimisten 158 In der Chymischen Kunst aber befindet sich ganz und gar das Widerspiel; Colerus 1645 Oeconomia rur. II 39 Ich will hier den filiis artis nur etliche Praeparationes medicamentorum Chymicorum anzeigen; Lilienberg 1654 Gerichtshandel 296 ein Ertzfeindt dieses edlen Chymischen Rauchwercks; Wurffbain vor 1661 Reise I 99 Etliche Nüsse werden .. entweder in Zucker eingemacht, oder das Oel durch Chymische destillation davon herausgezogen; Francisci 1676 Lust-Haus 911 allerley mineralisches Erdreich .. so man sie/ nach Chymischer Kunst/ in ihre Uhrstücke (Principia) resolvirte/ einen solchen Staub übrig lassen/ welcher der blossen Substanz nach/ mit unserem irdischem fast einerley wäre; Leibniz 1679 Ermahnung 310 verständige leute wißen damit umbzugehen wie kluge Medici mit Chymischen arzneyen; Hohberg 1687 Georgica l 336 Apothecker-Gewicht/ und Chymische Zeichen; Wernicke 1704 Epigramme 231 Man sagt, er habe einst ein gantz Quentin vor ein halbes eines gewissen Chymischen Pulvers in ein Rezept .. gesetzet; Wolff 1729 Gedanken 154 die Chymischen [Zeichen], die keinen weiteren Nutzen haben, als dass man die Sachen in Recepten und Processen kurtz schreiben kan; Key ssler 1730 Reisen (Ausg. 1776) I 369 Chymisches Laboratorium; Winckelmann 1755 Gedanken 12 alle Bemerkungen .. würden bei ihm [Raffael] durch eine Art einer chemischen Verwandlung dasjenige geworden sein, was sein Wesen, seine Seele ausmacht; Sulzer 1779 Schönheit d. Natur 103 chymische Versuche; Saussure 1781 Reisen durch d. Alpen (Übers.) 1140 chymische Prüfungen [von Granit]; Mendelssohn 1785 Morgenstunden l 21 in chymischen Untersuchungen; Abel 1786 Seelenlehre 32 oft auch ihre Theile einander näher gebracht oder getrennt, oder ihre Ordnung gestört, und ihre chemischer Mischung verändert; Köhler

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1788 Anweisung II 918 Man nennt das Geheimniß, Gold zu machen, das Magisterium, das chemische Gold selbst Lapis Philosophorum; Klapproth 1807 Chem. Wb. 1106 Analysis chemica .. Diese Operation . . bestehet in der Trennung der ungleichen Bestandteile, aus welchen die Körper zusammengesetzt sind; Goethe 1811 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 341) hatte der Arzt seinen Patienten, wo er nur einige Empfänglichkeit fand, gewisse mystische chemisch-alchemische Bücher empfohlen; Lang 1817 Reise I 18 das chemische Laboratorium in München; Puchelt 1826 System d. Med. I 51 Auch am menschlichen Organismus äußerst sich das Leben auf mechanische, chemische und dynamische Weise in und an den Organen, thierischen Flüssigkeiten und Functionen; 1833 Bayer. Annalen (L.) 345 die meisten dichten Mineralien . . in ihren . . physischen Eigenschaften und in der chemischen Constitution; Heine 1835 Romant. Schule 142 Es liegt in diesen Volksliedern ein sonderbarer Zauber. Die Kunstpoeten wollen diese Naturerzeugnisse nachahmen, in derselben Weise, wie man künstliche Mineralwässer verfertigt. Aber wenn sie auch, durch chemischen Prozeß, die Bestandteile ermittelt, so entgeht ihnen doch die Hauptsache, die unersetzbare sympathetische Naturkraft; Liebig 1851 Chem. Br. 12 [Das Material] antwortet ihm, daß es Schwefel, Eisen, Chrom, Kieselerde, Thonerde, oder irgend eins der Worte der chemischen Sprache der Erscheinungen, in gewisser Weise geordnet enthält. Dies ist die chemische Analyse; Hillebrand 1876 England 257 wie ein edler Wein die Natur seines Aromas auch der sorgfältigsten chemischen Analyse zu verrathen weigert; Nordau 1886 Paradoxe 81 aus welchen letzten, einfachsten Bestandtheilen sie zusammengesetzt sind, wie die chemischen und die Lebens-Kräfte wirken, davon verräth uns das Mikroskop auch nicht eine Silbe; 1901 Stimmen d. Zeit LXI 165 die Entwicklung der chemisch-physikalischen und der auf ihnen beruhenden technischen Wissenschaften; Brandes 1903 Gestalten 503 Und wie in der Schweiz das eine Sprachgebiet dem ändern gegenüber keinen Chauvinismus an den Tag legt, so zeigt sich auch die Freiheitsliebe der Schweizer chemisch rein von Vaterländerei; Haeckel 1913 Lebenswunder 227 Alle übrigen „Lebenserscheinungen" .. erklären sich ebenfalls einfach durch physikalische, bezüglich chemische [!] Ursachen, auf mechanischem Wege; Friedeil 1927 Kulturgesch. l 396 Kenntnis der mathematischen, mechanischen, optischen und chemischen Wissenschaften; 1928-29 ZfMenschenkunde IV 413 er nimmt . . förmliche Vergewaltigungen der Pflanzen vor, indem er etwa durch chemische Einwirkungen, gekünstelte Kreuzungen usw. ganz wesentliche Ausdrucksqualitäten derselben (z. B. Farbe und Form

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ihrer Blüte) gewaltsam ändert; Münichsdorfer 1932 Bayerns Boden l 149 dem tertiären Flinz, der . . viel festere, dichtere und härtere Beschaffenheit aufweist, abgesehen von chemischen und geologischen Unterschieden; Bert. Hlustr. Nachtausg. 4. 3. 1933 Den Motten und tausend ändern lästigen Mitbewohnern dieser Erde gilt der chemische Krieg; Th. Mann 1942 Reden u. Aufs. (W. XI 471) Auf chemischem und physikalischem Gebiet war sie eigentlich so unwissend wie ein Kind; Sala 1944 Chemie 5 Im Zeichen des chemischen Zeitalters; Münch. Stadtanz. 18. 10. 1957 die sich mit der chemischen Reinigung und meist auch mit dem Färben, Imprägnieren, Kunststopfen, Ausbessern und anderen einschlägigen Arbeiten befassenden Unternehmen . . Die Chemisch-Reiniger bemühen sich, es ihren Kunden so bequem wie möglich zu machen; 1959 ebd. Sept. Die Bezeichnung „Chemische Reinigung" stammt aus einer Zeit, in der man die erstaunlichen Leistungen der Chemie bewunderte, später hegte man dann im Gegenteil ein gewisses Mißtrauen gegen alles „Chemische"; 1967 Bild d. Wiss. l 25 auch die aktuellste Anwendungsmöglichkeit . . nämlich das elektrochemisch angetriebene Auto; Welt 29. 3. 1969 chemisch-pharmazeut. Fabrik Raum Braunschweig sucht Generalvertreter für chem.-pharmaz. Produkte, kosmetische Erzeugnisse sowie Badepräparate (Anzeige); FAZ 1. 12. 1971 in den letzten sechzig Jahren sind chemische Waffen in großen Mengen in Kriegen verwendet worden; Welt 26. 1. 1974 staatl. anerk. Berufsfachschule für Chemisch-technische Assistenten/innen mit Zusatzkurs zur Fachhochschulreife (Anzeige); MM 29. 4. 1985 Diese „Zusatzbehandlung" könne und wolle keineswegs mit den herkömmlichen Möglichkeiten im Kampf gegen Krebs wie Operationen, Bestrahlung und chemische Keule konkurrieren oder diese gar verdrängen; ebd. 8. 8. 1986 die moderne Landwirtschaft mit ihren ökologischen Schäden durch den starken Einsatz von Düngemitteln und chemischem Pflanzenschutz; ebd. 8. 9. 1995 Die Grünen fordern ein Anwendungsverbot „chemischer Keulen" bei der Pilzbekämpfung von Trauben, um Rückstände in Most und Wein zu vermeiden. chemisieren: Zeit 6.2.1987 Ein großer Teil der vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen ist ohne Zweifel sinnvoll: die Förderung einer nicht chemisierten Landwirtschaft; eine Wohnungs- und Städtepolitik, die den Primat von Abriß und Neubau aufgibt. Chemisierung: Dtsch. AZ. 15. 4. 1944 Die Chemisierung (Überschr.) Die Welt wird chemischer mit jedem Tag; 1965 Wochenpost Nr. 40 Elektrifizierung und Chemisierung der Produktion — das ist die Aufgabe, die sich heute jede Wirtschaft stellt;

ebd. Nr. 49 Übergang zu industriemäßigen Methoden bringt Vollmechanisierung, Teilautomatisierung, Chemisierung des Feldbaus; 1977 Agrochemiker (Ausbildungsunterlage) 29 Dem Facharbeiter Agrochemiker fällt in den agrochemischen Zentren durch die Chemisierung der Pflanzenproduktion eine wichtige Aufgabe bei der weiteren Intensivierung der Landwirtschaft zu; 1982 Abschr. z. Bereich Umwelt o. S. Die zunehmende „Chemisierung" unserer Umwelt schlägt sich auch bei den kosmetischen Produkten nieder, die meisten enthalten synthetisch hergestellte Stoffe, und jeder zehnte Bundesbürger reagiert heute schon auf einen oder mehrere Stoffe aus der Umwelt allergisch; Zeit 7. 2. 1986 Gegen die Chemisierung der Landwirtschaft zieht er zu Felde, gegen überschwer gezüchtetes Vieh, das die Almen zerstampft. Chemismus: Goethe 1791 Farbenlehre (HA Xlll 489) wobei wir uns zu Entwickelung der Phänomene verschiedener Formeln bedienten, wie sie uns in der Lehre des Magnetismus, der Elektrizität, des Chemismus überliefert werden; Görres 1804 Ges. Sehr. 111 35 Endlich . . wird die Pflanze als organischer Begriff im Chemismus des Lebendigen . . erscheinen; Oken 1805 Biologie 19 Ich setze das Feuer in dieselbe Bedeutung, in der Magnetismus, Electricismus, Chymismus etc. stehen; Görres 1808 Ges. Sehr. Hl 374 für sinnliche Zwecke hat das Ganze nur im Chemismus der Materie sich verbunden, und es herrschen daher auch alle Gesetze der chemischen Wahlverwandtschaft in ihm vor; 1824 Archiv d. gesummten Naturlehre l 34 Der Zustand des Leitungsdraths ist gleich dem einer geschlossenen Säule; in dieser liegen nämlich die entgegengesetzten Elektricitäten mit gleicher Intensität an einander, sich . . in jedem Momente in der Wärme und im Chemismus neutralisierend; Cotta 1842 Geognosie 359 f. der bei allen Zersetzungen und Verbindungen wirksame Elektrochemismus; Liebig 1844 Chem. Br. 24 Nie wird der Chemismus (chemische Kraft im Gegensatz zur Lebenskraft) im Stande sein, ein Auge, ein Haar, ein Blatt zu erzeugen; Ratzeburg 1859 Standortsgewächse 230 lauter Folgen der üppigsten Vegetation . . durch den kräftigsten Chemismus der jungen Zellen zu erklären; Westhoff 1865 Stoff 36 insofern sie (die dynamischen Prozeße) doch auch als Beschäftigungen im räumlichen Stoffbereich erscheinen, wie die plastischen Prozeße der Cohaesion, des Chemismus und der Krystallisation; Springer 1870 Berl. Prospecte 122 Sie [die Künstler] sind alle Realisten, der Realismus herrscht jetzt in der Kunst, wie der Materialismus und Chemismus in den Naturwissenschaften; Molisch 1913 Mikrochemie 9 Würden wir die

Chemiker Chemie der Cruciferen nach ihrer gesamten Zusammensetzung bis in die feinsten Details überschauen, so würde sich sicherlich auch hier die Verwandschaft der Gattungen und Arten in ihrem Chemismus spiegeln; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. /// 351J Mochte sonst seine Eingewöhnung hier oben nur in der Gewöhnung daran bestehen, daß er sich nicht gewöhnte, — was den Chemismus seines Magens, die Nerven seiner trockenen und zu Blutungen neigenden Schleimhäute betraf; Heuss

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1947 Gestalten 390 Chemismus der Pflanzennahrung; Poschmann 1970 Massenrestaurierung (Veröffentl. d. niedersächs. Archivver.) XXX o. S. Über diese Wirkstoffe muß ich hier außer ihrer vorzüglichen bakteriziden und desinfizierenden Wirkung — durch detaillierteres Eingehen auf ihren Chemismus - folgendes berichten; MM 21. 8. 1986 Strahlenschäden lassen sich messen (Überschr.) Die Wirkungsweise ist in ihrem Chemismus noch nicht völlig erklärbar. IN

Chemiker M. (-s; -), auch Chemikerin F. (-; -nen), seit Anfang 17. Jh. nachgewiesen, über gelehrtenlat. chimicus, chymicus zurückgehend auf griech. 'die Säfte betreffend' (vgl. mlat. alchimicus); anfangs meist und bis ins 20. Jh. seltener in der latinisierenden (auch lat. flekt.) Form Chemicus/Chemikus, mit Schreibvarianten wie Chimicus, Chymicus, daneben gleichbed., von Mitte 16. bis ins 19. Jh. nachgewiesenes, auf gelehrtenlat. chimista zurückgehendes Chemist M. (-en; -en), auch Chymist und latinisierend Chymista (vgl. älteres mlat. alchimista und frz. chimiste). Als Berufsbezeichnung zunächst in der Bed. 'Scheidekünstler; Goldmacher' (vgl. Alchimist, —» Alchimie, Metaphysiker, —* Metaphysik), im Laufe des 19. Jhs. zunehmend auf den empirisch exakt arbeitenden Naturwissenschaftler/-forscher bezogen und als Sammelbezeichnung für Fachleute (Ausübende und Lehrende) auf dem Gebiet der —* Chemie verwendet, als Grundwort in Zss. wie Bio-, Geo-, Labor-, Lebensmittel-, Diplomchemiker. Chemiker/Chemikus: 1611 Triumph Wagen 5 ein jeder Chymicus vnd wahrer Alchimist; Perez 1627 Landstörzerin 23 Dessen Verstandt auch der Teutsche vnnd neuwe Philosopho-Chymicus nicht konte begreifen; Leibniz 1668 — 76 Briefw. l 11 denn ich von Chymicis, Mechanicis und Mathematicis nichts zu gedencken begehre; ders. 1671 Dtsch. Sehr, l 268 aller Streit zwischen Wasser und Feuer, Schwefel und Salpeter, und, wie es die Chymici nennen, Acido und Alcali; Ettner 1700 Apotecker 227 darbey war er [Apotheker] ein guter Chymicus; Stranitzky 1711 Ollapatrida 32 Der Mundschuster übertrifft den Pastetenkoch/ und ein Apothecken-Schüßling schmitzet alle Chimicos über das Dach hinaus; Marperger 1711 Beschr. d. Messen l 175 insonderheit aber war bey denen Chymicis zu bekomen der Lapis Philosophorum, die Medicina universalis; Prambhofer 1712 TraumGes. 255 Solche Schelmen seynd wie die Goldmacher oder Chymici; die wollen aus Bley und Kupffer Gold machen; 1719 Abentheuerl. Welt V 9 Machts wie die chymici, die ewig zu belachen, Die wollen Gold-Essentz aus Bley und Kupffer machen; Sulzer 1745 Kurzer Begriff aller Wiss. 30 Die Chymici bemühen sich insgemein nur diejenigen Sachen zu untersuchen die officinal sind; Herder 1766 Br. an Hamann (S. W. II 371) weil ich den

großen Leibniz nachahmen will da er in eine Gesellschaft Chymiker eintrat; Lavater 1781 Vertn. Sehr. II 146 dem feinsten Metaphysiker, Chymiker, und Theologen; 1782 Anthologie 120 Wie Wein von einem Chemikus durch die Retort getrieben; Wieland 1783 Aeropetomanie (S. W. XXX 5) Naturforscher und Chymiker [Montgolfieri]; 1784 Journal d. Moden VIII 283 wenn unsere geschickten Teutschen Eisen-Arbeiter, mit Hülfe eines guten Chemickers, Versuche darüber anstellten?; Beckmann 1795-99 Erfindungen IV 343 Solche [Edelmetall-] Stücke wären wohl der Untersuchung eines Chemikers wert; Goethe 1805 Tag- u. Jahresh. (HA X 512) Nach der Schlacht von Leipzig in Weimar gesehen: Wilhelm von Humboldt, Graf Metternich . . Professor John, Chemikus; Soden 1805 Nationalökonomie I 143 die Arbeiten der Gelehrten, es sey nun, daß sie unsern physischen (wie die Agronomen, Chemiker u.s.w.) oder unsern geistigen Genuß (die Redner, Dichter u.s.w.) erhöhen; Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA I 20,52) Es war ein bezeichnender Ehrentitel der Chemiker, daß man sie Scheidekünstler nannte; Puchelt 1826 System d. Med. / / 51 Die Anthropochemie ist noch nicht gehörig ausgebildet .. die Angaben der Chemiker . . noch sehr voneinander abweichend; Hufeland 1836 Ench. med. 16 die Art,

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Chemo-

wie der Chemiker seine Reagentien benutzt; Liebig 1851 Chem. Br. 12 Der Chemiker bringt ein Mineral durch seine Fragen zum Sprechen; Menzel 1871 Unrecht 201 Geldmacher [sollten] den Fürsten Geldmittel und andere Chymiker das Lebenselixir oder den Stein der Weisen fabriciren; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 370 seine [Louis Pasteurs] Arbeiten als Chemiker, Physiker, Geolog, Biolog und Therapeut; Geerdts 1956 Hoffnung 80 Wirst doch kein Theologe sein oder gar ein Chemikus, dessen Kleider nach verbranntem Schwefel stinken; 1958 Dies Univ. VI 100 Hat man je den Vorwurf gehört, ein Chemiker mache zu viele Analysen oder zu wenige Synthesen?; Grass 1962 Blechtrommel 440 skeptisch wie Mediziner und Chemikerinnen nun einmal sind; Bad. Ztg. 13. 10. 1971 Lebensmittelchemiker (Überschr.) Künftig geschützte Bezeichnung; 1977 Agrochemiker (Ausbildungsunterlage) 5 Zu den Aufgaben des Agrochemikers gehört es auch, bei der Leitung und Planung der Chemisierung der Pflanzenproduktion mitzuarbeiten; ebd. 29 Dem Facharbeiter Agrochemiker fällt in den agrochemischen Zentren durch die Chemisierung der Pflanzenproduktion eine wichtige Aufgabe bei der weiteren Intensivierung der Landwirtschaft zu; MM 18. 9. 1985 Wie bei der Jahreshauptversammlung weiter mitgeteilt wurde, hat sich die Gesellschaft Deutscher Chemiker auch der sogenannten Altstoffe angenommen. Damit reagierte der Chemiker-Verband auf Forderungen von Parteien und Umweltverbänden, die . . Altstoffe auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit und Umweltverträglichkeit zu untersuchen; ebd. forderte der Lebensmittelchemiker die Einführung des Faches „Lebensmittel-Warenkunde" in den Schulen, „damit die Leute wissen was sie eigentlich essen". Außerdem müßten die Chemischen Untersuchungsämter sowohl personell als auch apparativ besser ausgestattet werden; ebd. 20. 9. 1985 Chemiker-Tagung in Heidelberg beendet (Überschr.); Zeit 18. 10. 1985 150 führende Geophysiker, Geologen, Mineralogen, Geochemiker und Bohrtechniker; MM 13. 8. 1986 Allerdings verhehlen die Experten nicht, daß durch zurückgenommene chemische Bekämpfung, sich möglicherweise Schädlingsarten rapide ausbreiten, mit denen derzeit noch niemand rechnet. Dann sind die BioChemiker erneut gefordert; Wochenpost 15. 12. 1989 Ein Studium an der Jenaer Universität .. beendete er 1964 als Diplomchemiker.

Chemist: Ryff 1548 Confectbuch elv Avrum, Goldt/ das ist von den Alten philosophis/ vnnd rechten Chymisten vast nützlich inn der artzney gebraucht worden; Bech 1557 Zwölf Bücher v. Bergkwerck 184 derhalben diser probier ofen/ den die bergleut von wegen des gebrauchs vom probieren also heissendt/ hatt bey den Chymisten vom windt ein nahmen überkommen; Petri 1605 D. Teutschen Weiszheit Ddd6v Wer acht auff Trewme gibt/ Vnd Zeichen deuter liebt. Vnd merckt auff Vogelgeschrey/ Vnd auff Chiromantzey. Vnd falsch Chymisten glaubt/ Der ist der Sinn beraubt; Hild 1624 Anatomy 55 von einem solchen vermeinten Chymisten oder vielmehr, Leuthbetrieger; Harsdörffer 1643 Gesprechspiele HI 70 einem Chymisten oder . . Goldmacher; Colerus 1645 Oeconomia rur. II 39 Ich will hier den filiis artis nur etliche Praeparationes medicamentorum Chymicorum anzeigen . . daß sie dieselbige bey den rechten Chymisten suchen/ inen auffschreiben/ vnd dieselbige machen lernen; Butschky 1679 Rosen-Thal 953 Die Chymisten halten/ dass alle Krankheiten/ von dem innerlichen Salze/ Schwefel und Quecksilber herkommen; Ettner 1700 Apotecker 500 Höre Chymiste! Wenn ich ein weisses wohl rectificirtes Menstruum welches . . in Digestione sich nicht färbet .. gebrauche; Herder 1765 S. W. l 86 Ihr [der Türken] vornehmster Sternkundiger kann nicht einen Sonnenzeiger abzirkeln: ihr gröster Chymist macht Rosenwasser; Sonnenfels 1769 Polizey II104 Die Chymisten, Mechaniker und Botaniker geben die Verbesserung der Ackerbaugeräthe . . an die Hand; Schubart 1780 Originalien 63 Ein Chymist, der den Wohlgeuch studiret hat; Nicolai 1787 Beschr. VIII 91 schicke ich zwey Päckchen dieser Erde an einen erfahrenen Chemisten, mit Bitte, solche chemisch zu untersuchen; Klapproth 1807 Chem. Wb. I 106 Diese Eigenschaften . . berechtigen den Chemisten sie als eine eigene Säure aufzuführen; ebd. Analysis chemica . . Diese Operation, welche als die vorzüglichste des Chemisten angesehen werden muß, bestehet in der Trennung der ungleichen Bestandteile, aus welchen die Körper zusammengesetzt sind; Niemeyer 1822 Beob. I 110 Chymisten (wie man [in London] die Apotheker nennt); Sachsse 1874 Pietismus 203 der Gräfin .. welche . . Meth als ihren Chymisten anstellte. IN

Chemo-, chemo-, auch chemi- und vor Vokalen chem-, seit früherem 18. Jh. selten, seit spätem 19. Jh. kontinuierlich nachgewiesen, zu —» Chemie (in Analogie zu chrono-, elektro- usw.) gebildeter erster Bestandteil von neoklassischen Kombinationen (vgl. frz. chtmio- und engl. chem(i)o-).

Chemo-

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In der Bed. c die Chemie betreffend; mit chemischen Mitteln vorgehend; auf chemischem Wege (hergestellt)', z. B. in seit früherem 18. Jh. nachgewiesenem Chemiater M. (-s; -), aus chem- und -iater (zurückgehend auf griech. $ 'Arzt') und Chemiatrie F. (-; ohne PL), latinisiert auch Chymiatria, 'Arzt/Heilkunst nach chemischen Grundsätzen'; seit späterem 19. Jh. Chemigraphie, zunächst für 'Zeichnung, die auf chemischem Wege (durch gasartige Niederschläge, Rauch o. ä.) auf Papier oder Stein entsteht' (nach Penzkofer), in jüngster Zeit auch gebucht als Bezeichnung für ein Verfahren zur Herstellung von Buchdruckplatten, mit der verbalen Ableitung chemigraphieren V. intrans. 'auf chemischem Wege Zeichnungen hervorbringen'; seit Ende 19. Jh. Chemotropismus M. (-; -ismen), aus chemo- und Tropismus 'durch Außenfaktoren ausgelöste Bewegung der Organe festgewachsener Pflanzen' (zurückgehend auf griech. 'Wendung, Kehre', zu 'wenden'; —> tropisch), Bezeichnung für das Phänomen, daß Pflanzenteile, bes. Wurzeln, bestimmte Krümmungen ausführen, um zu den für sie notwendigen Stoffen in der Erde zu gelangen bzw. diese zu vermeiden, mit dem dazugehörigen Adj. chemotropisch; seit früherem 20. Jh. Chemotaxis F. (-; ohne PL), aus chemo- und -taxis (zurückgehend auf griech. Ordnung', zu 'aufstellen'), Bezeichnung für die Fähigkeit beweglicher Organismen, ihren Ort je nach der Verteilung bestimmter gelöster Stoffe zu verändern, mit dazugehörigem Adj. chemotaktisch, z. B. im Syntagma chemotaktische Bewegung 'Bewegung von Organismen in einer Lösung nach der Stelle, die die größte Menge der für sie günstigen Stoffe enthält' (z. B. zur Wasseroberfläche, wenn dort am meisten Sauerstoff gelöst ist); seit Mitte 20. Jh. und in jüngster Zeit zunehmend im Dtsch. produktiv in zahlreichen neueren Bildungen mit selbständiger zweiter Komponente wie die seit Mitte 20. Jh. nachgewiesene Berufsbezeichnung Chemotechniker M. (-s; -), Chemotechnikerin F. (-; -nen), gleichbed. mit —> Chemiker(in), mit dazugehörigem Adj. chemotechnisch 'chemisch-technisch', Chemotherapie F. (-; -n) 'Behandlung von Infektionskrankheiten mittels chemischer Stoffe', Chemotherapeutikum N. (-; Chemotherapeutika), meist plur. verwendet für 'auf chemischem Wege gewonnene Arzneimittel zur Bekämpfung von Bakterien oder zur Hemmung des Zellwachstums' (vgl. Zytostatika), mit der dazugehörenden Berufsbezeichnung Chemotherapeut M. (-en; -en) und dem Adj. chemotherapeutisch, Chemofossil N. (-s; -e, auch -ien) 'mit physikalisch-chemischen Methoden nachweisbare Substanz organischer Herkunft', Chemorezeptor 'molekulare Strukturen, Sinneszellen, die chemische Reize aufnehmen', Chemo-Analyse 'chemische Analyse', sowie Warenbzw. Firmennamen wie Chemo-Plast. Daneben in jüngster Zeit vereinzelt die auf (flekt. oder abgeleitete Formen von) griech. zurückgehende Nebenform chemik(o)- (vgl. engl. chemico-), z. B. als erster Bestandteil der 1987 (als Ersatz für Chemiefacharbeiter) eingeführten, analog zu Pharmakant, Laborant, Praktikant gebildeten subst. Ableitung Chemikant M. (-en; -en), weitgehend gleichbed. mit —* Chemiker. Chemo-/chemo-: Weber 1734 Enc. I 244 Chymiater .. der . . Chymischer Artzneyen sich bedient . . Chymiatria . . Heilung durch Chymische Mittel; Reil 1811 Ges. kl. Sehr, l 233 eine alte chemiatrische Secte [erklärte menses mit einer Gährung des Blutes]; Puchelt 1826 System d. Med. l 34 f. chemiatrische System; ebd. l 41 Chemiatriker; ebd. l

51 Bei all dieser Unvollkommenheit ist es doch mit Lob anzuerkennen, daß an die Stelle der frühern chemiatrischen Voraussetzungen und humoralpathologischen Träumereien das Experiment getreten ist; 1882 ZDÖAlpenver. 326 Chemigraphie [Photo-Lithographie]; Steudel 1887 Nihilismus 18 die Blutreinigung der Chemiatriker; Haeckel 1899

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Welträthsel 160 Die Ursache dieser cellularen Attraktion ist eine chemische, dem Gerüche oder Geschmacke verwandte Sinnes-Thätigkeit des Plasma, die wir als „erotischen Chemotropismus" bezeichnen; Bölsche 1909 Stunden im All 270 Forscher, die dieses schwierige „seelische" Gebiet . . vermeiden wollten . . haben lieber ein ganz indifferentes Wort dafür schaffen wollen, und so haben sie es Chemotropismus oder, was grammatisch besser ist, Chemotaxis genannt; Welt 17. 6. 1954 Größeres Werk der chemischen Industrie Nordrhein-Westfalen sucht für seine Laboratorien und Betriebe jüngere Chemie-Laboranten und Chemotechniker mit guter Berufsausbildung für interessante Tätigkeit in angenehmem Betriebsklima; 1966 Studium Generale XII 742 Traditionelle Mythologeme der verschiedensten Kulturen folgen damit einem Wesenszug alles Lebendigen, ja sogar auch des chemophysikalischen Mineralreiches, nämlich dem Phänomen der Hinterlassenschaftsbildung; Thenius 1970 Paläontologie o. S. Der Nachweis solcher Stoffe ist Aufgabe der Geochemie bzw. der Paläobiochemie . . Solche organischen Substanzen werden auch als „Chemofossilien" bezeichnet; Bäumler 1971 Zauberkugel o. S. Ein besonders großer Wurf glückte den Chemotherapeuten mit dem Isonicotinsäure-Hydrazid (INH); ebd. auch ohne chirurgische Eingriffe kann heute dank Steptomycin und der Chemotherapeutika in 85 Prozent aller Tuberkulosefälle mit Heilungserfolgen gerechnet werden; Zeit 1. 3. 1985

Leiter der Abteilung „Chemoanalysen" b e i . . Hollands Technisch-Physikalischen Versuchsanstalten in Delft; ebd. wird der Zersetzungsprozeß viermal in der Stunde chemotechnisch kontrolliert; MM 8.3. 1985 die Zusammenhänge von Zellbiologie, Immunologie und Chemotherapie sowie die Einflüsse von Viren auf die Tumorentstehung; Stuttgarter Ztg. 11.5. 1986 Chemotechnikerin (Überschr.) Eine gründliche Einarbeitung in die erforderlichen chemischen und physikalischen Untersuchungsverfahren wird gewährleistet (Anzeige); Zeit 7.11. 1986 schon die niedrigsten Wesen verfolgen nach der Methode von Versuch und Irrtum ein bestimmtes Ziel. Dieses Bild ruft mir Howard Bergs aufregenden Film über chemotaktische Bakterien in Erinnerung. Er zeigt, wie ein Bazillus mit seinem Geißelmotor regellos hin- und herfährt; ebd. Popper setzt also Anpassungsfähigkeit mit Wissen gleich . . vergleichbar der Chemotaxis von Mikroorganismen; MM 2. 4. 1987 des in der Aidsforschung tätigen Frankfurter Chemotherapeutischen Forschungsinstituts der renommierten PaulEhrlich-Gesellschaft; Spiegel 29.10. 1990 Über die Chemo-Plast beispielsweise wurden noch 1989 für mehr als zehn Millionen Mark Schmieröle in den Westen exportiert. Chemikant: MM 30. 1.1987 Es handelt sich um den Lehrberuf Chemikant {Chemiefacharbeiter), für den die chemischen Unternehmen . . einen Ausbildungsverbund gründeten. IN

Cherub M. (-s; -im, selten -e und -inen), seit dem Mhd. nachgewiesene Entlehnung aus kirchenlat. (Sing, und Pl.) Cherubin, Cherubim (über griech. (Sing.), /- (Pl.) zurückgehend auf hebr. k'räb (Sing.), k'rübtn, k'rübim (PL), 'himmlisches Wesen', zu k'rüb 'stark sein', weitere Herleitung ungesichert; eventuell verw. mit Greif), unter Einfluß des Lat. und anderer roman. Vermittlersprachen (vgl. ital. cherubino, span, cherubin, frz. cherubin) bis heute daneben und zeitweise verdrängt von der sing, (ursprünglich plur.) verwendeten Nebenform Cherubin M. (-s; -e und -en), (unter ital. Einfluß) auch Cherubino, und vereinzelt in der ebenfalls sing, gebrauchten Form Cherubim. Namenartige Bezeichnung der hebräischen Symbolik für ein Wundertier bzw. Fabelwesen mit ausgebreiteten Flügeln und aus Mensch, Löwe, Stier und Adler zusammengesetzter, Macht und Stärke symbolisierender Gestalt als Träger des Wagenthrons Jehovas, bei den meisten jüdischen und christlichen Gelehrten und Kirchenvätern dann vor allem '(biblischer) Engel (mit Flügeln und Tierfüßen), höheres, himmlisches Wesen (der obersten Rangstufe) als Ebenbild Gottes und Geschöpf höchster Vollkommenheit; himmlischer Wächter (z. B. des Paradieses) mit flammendem Schwert; Feuer-, Flammenbote' (oft im gleichen Kontext mit Seraph(-im/-in)), im Pl. auch 'Engelchor', und in der bildenden Kunst 'Repräsentation eines Engels, Engelsdarstellung, -figur (meist mit Kinderkopf und zwei Flügeln)' (s. Belege 1727,

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1832, 1933 — 43, 1993), als Name (neben der Form Cherubino) z. B. für eine Figur in Mozarts Oper „Figaros Hochzeit" (s. Belege 1949, 1987, 1988), sowie gelegentlich übertragen verwendet (s. Belege 1754, 1759, 1933, 1985, 1994), selten in (auch bildlich gebrauchten) Zss. wie Cherubsschwert, -gestalt, -köpf; mit dazugehörigen adj. Ableitungen wie seit dem 16. Jh. bezeugtem cherubinisch und im 18. Jh. seltenem cherubisch (vgl. engl. cherubic) in der Bed. 'zu einem Cherub gehörend; in der Art und Weise eines Cherubs' (vgl. seraphisch), auch übertragen verwendet im Sinne von 'engelgleich, engelhaft' (s. Beleg 1994), vgl. cherubinischer Wandersmann (1665), Titel einer Sammlung von Sinnsprüchen des dtsch. Liederdichters und Epigrammatikers Angelus Silesius; in jüngster Zeit gebuchtes Cherubinismus M. (-; Cherubinismen), medizinspr. Bezeichnung für eine Mißbildung mit fehlendem Unterkiefer, wodurch der Eindruck eines pausbäckigen Engelgesichts entsteht. Cherub/-in/-im: ll./12.]h. (Diemer 1849 Dtsch. Gedichte o. S.) Cherubim, ein chor der engel; Wolfram v. Eschenbach um 1215 Willehalm 235a der engel Cherubin (beide LEXER); Hartmann v. Aue vor 1195 Arme Heinrich 89,4 cherubin et seraphin/ di lobet dich alle under in; Oerhein um 1220 Marienlob LV 2670 he enervülde .. menschen also,/ darümb bis du üver Cherubin ho; Tilo v. Kulm 1331 Gedicht V. 845 (DTM 9) Mit der engelischen schar/ Cherubin und Seraphin; 15. Jh. Fastnachtspiele 13,6 Do steigt er hoch auf Cherubin/ Den thron und überlaufet in; Bruder Hans nach 1391 Marienlieder 3294 mit ganzer vliis recht liepliich uph uch waren/ Cerubin und ceraphin gar dienstliich mit al der engel scharen; Hartlieb um 1460 Dialogus Miraculorum 137 Wann newn sind orden der engel: engel, erczengel, kreffte, mächte, fürstentumbe, herschungen, throne, cherubin und seraphin; Folz um 1460 Meisterlieder 376 Salomon hat auch gemacht in seinem petthäuß zwin cherubin von olivenholcz, und ym tempel Eczehiel waren gössen zwin cherübin, die do zweyerley ongesicht hetten . . nach dem wir auch figuriren unser engel; 1507 Franziskan. Schrifttum I 214 Als ouch sechs fliigel der cherub/ mit denen das gemüt des waren beschawers vn cotemplierers/ mit völliger erlüchtung der obern wißheit/ mag vffgefürt werden; um 1520 Gilgengart f l a herr der du sitzt auff Cherubin vnnd siehst an die tieff; Luther 1521 W. VU 547 Du sitzest über den Cherubin und sihest ynn die tieffe oder abgrund; Paracelsus 1530 S. W. II 4,94 Aber wie vormals bit Asaph den herrn, der do sitzt uf cherubin, das ist der do sitzt über alle herrn. dann durch den cherubin verstanden allen gewalt; dann cherubin ist der gewalt, der aus got auf die erden get; Luther vor 1546 W. VIII 33 ubir yhrem Cherubim (MALHERBE); Boltz 1551 Weltspiegel Z. 2396 Der engel Cherubin, ist ein gfürsteter engel, kumpt mitt eim fürigen schwärt; vor 1566 Theatrum diabolorum 81v Von eins Cherubins Hüffen oder Fußstapffen; Fischart

1581 Dämonomania 17 des Tabernackels Zehen Decken oder zehen Tapeten/ auß weiß Leinen gezwirnet/ von blauwer Seiden/ . . vnd mit Cherubinen verblümt; ebd. 779 Cherubin; 1587 Faust (Bobertag 1887 Volksbücher 40) Mein Herr Lucifer/ der Jetzunder also genennt wirt/ . . der zuvor auch ein Engel Gottes vnnd Cherubin war; Nicolai 1599 Freudenspiegel 36 alle Gewaltigen/ Cherubin vnd Seraphin; Henisch 1616 Teutsche Sprach Reg. Cherub/ bilder mit flügel; Opitz 1625 Opera III 195 Der Auffgang aus der Höh'/ und der den Cherubinen Gegeben ihren Schein/ dem so viel Engel dienen; Fleming 1642 W. (NL XXVIII 13,5) Zehntausent Engel stehn,/ . . bis daß du ein wirst gehn/ in dein gestirntes Reich. Die lauten Cherubinen/ und der gelehrte Chor der hellen Serafinen/ erhöhen ihren Ton und schreien dich so an:/ Triumph, Triumph, Triumph, dir, dir, dir, starker Mann; Silesius 1657 Seelenlust 30 Königin der Seraphinen, Oberste der Cherubinen; ebd. 46 Vielleicht gleichstu dich dem Blitz der Seraphinen?/ Dem ThronenKönige?/ dem schönsten Engelein?/ Dem Cherubiner Fürst?; Gichtel 1710 Send-Schr. I 50 Mir ist ein Geheimnüß auffgegangen/ und zwarn erst im Streit mit dem Cherub, welchen GOtt mit einem schneidenden Schwert für den Garten Eden geleget; Sperander 1727 A la mod Sprach 111 Cherubim, Engels-Bilder; Seume 1731 Lex. 113 Cherub ein Engel ist, wie uns die Bibel lehret .. einen solchen Engel/ welcher in Gestalt eines blühenden . . Jünglings sich präsentiret hat; Bodmer 1752 Noah 79 Wenn die Gespenster mit wütendem Zorn einander begegnen . . die Cherubsgestalten, die nächtlich/ Um den Wall des Berges mit feurigen Waffen erscheinen; Schönaich 1754 Ästhetik 7 Ich biete Himmel und Hölle, Sehraffen und Cherubim zu Legionen auf; wenn ich auch nur den Tag meines Mäcenaten besinge; ebd. 84 Cherubsgestalt ist ein Cherub; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. Vlll 167) der Mann, der sich so lange unter lauter Cherubim und Seraphim aufgehalten, hat den gutherzi-

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gen Fehler, auch unter uns schwachen Sterblichen eine Menge Cherubim und Seraphim, besonders weiblichen Geschlechts, zu finden; Göttler 1760 Augustin 9 Cherub wird aus dem Hebreischen verdolmetschet; Goethe 1773 Götz (WA I 8,115) wir wollten uns mit unsern Brüdern, wie Cherubim mit flammenden Schwertern, vor die Gränzen des Reichs gegen die Wölfe die Türken, gegen die Füchse die Franzosen lagern; Heynatz 1775 Br. VI 90 ob man sich gleich Apostel.. die Cherubim und Seraphim, Crethi und Plethi . . Halleluja, Mammon, Sabbath . . und einige andere gefallen läßt; Zimmermann 1785 Einsamkeit 132 du hast Engel und Erzengel, Cherubim und Seraphim, alle himmlische Mächte; Schiller 1790-92 Gesch. Dreißig). Krieg (H. VIII 211) Über den Leichnam des Tilly, der sich wie ein bewachender Cherub vor den Eingang . . stellt; Beckmann 1795 — 99 Erfindungen IV 560 Die 10 Ellen hohen hölzernen Cherubimfiguren; Wieland vor 1813 S. W. XI 258 In seinen Cherubins-Locken (SANDERS 1871); ders. vor 1813 S. W. / 65 Wie im Cherubin dein ewges Feuer glüht . . Den Cherubin, so herrlich als er glänzet (KEHREIN); Rumohr 1832 Reisen 326 Cherubskopf aus feinkörnigem . . Marmor; Tieck 1855 Cymbeline II 4 Des Zimmers Deck ist ausgelegt mit goldnen Cherubim (SANDERS DWB); C. F. Meyer vor 1898 S. W. III 366 [Kaiser] Karl aber stand wie ein Cherub (WDG); Liliencron 1903 Bunte Beute (X 148) Postieren links sich wie zwei Cherubim; Heilborn 1929 Revolutionen U 180 Sehr wohl vermochte er hilfreicher Freund, hingebungsvoller Tröster zu sein, immer aber stand wie flammendem Cherubsschwert zwischen ihm und den ändern: „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich"; Lokal-Anz. 12. 3. 1933 Gleich Cherubinen ragen oben auf den Hängen die Tannen, als ständen hinter ihnen in Reih und Glied . . die Millionen, die empor marschiert sind, während wir in das Dunkel des Nachkrieges zurückkehrten; Th. Mann 1933-43 Joseph (W. /V/V 141) Gefiederte Menschentiere, Cheruben, gekrönte Kühe mit den Gesichtern von Jungfrauen und mit anliegenden Fittichen standen unbeweglich geradeaus blickend zu beiden Seiten; Welt 5. 12. 1949 mußte er im letzten [Trab-]Rennen des Tages seine ganze Fahrkunst aufbieten, um mit dem Zehnjährigen „Cherub" einen Kopfsieg herauszufahren; Th. Mann 1951 Erwählte (W. VII 155) Sancta Maria, gratia plena, der himmlische Hof singt all dein Lob, lobt dich der Cherubin, preist dich der Seraphin, alle die Heere der heiligen Engele, die vor Gottes Antlitz stehen von Anbeginn; Zeit 20. 12. 1985 wenn nicht immer wieder gnostische Sekten mit ihrem Archonten-, Dämonen- und Engelskult die Kirche gezwungen hätten, ihre eigene Gottesvorstellung zu läutern, all die Cherubim und Sera-

phim und Luzifers mit ihren Fürstentümern, Thronen, Hierarchien; MM 2. 6. 1987 Seine Ausdruckspalette reicht von der entflammten Begeisterung eines Cherubinos bis zur brachialen Frechheit eines Don Giovanni; ebd. 21. 8. 1987 da ist Cherubin, das pubertäre Sensibelchen, das allem nachläuft, was einen Rock trägt; ebd. 2. 3. 1988 Der Engel ist immer dabei (Überschr.) Ein Cherub, ein blonder deutscher Jüngling mit roten Hosenträgern und großen weißen Flügeln, tritt barfuß auf, erscheint als himmlischer Bote; ebd. 16. 6. 1988 Ein Gewebe aus Tollheit und Traum, durch das die Fittiche der Cherubim wehen und die Harnische eines verwegen montierten Mittelalters rasseln; Spiegel 15.3.1993 Kleinode wie Dürers „Aufblickender Cherubskopf" oder ein „Gekreuzigter böser Schacher" von Tizian; ebd. 10. 5. 1993 Haben alle Engel Flügel? Und worin unterscheidet sich ein Seraph von einem Cherub?; ebd. 9.5. 1994 Der schlanke Schönling errang den ersten Ruhm der frühen RTL-Jahre. „Tutti Frutti", feminine Entblößung . . Balder lenkte das nackte Chaos als charmanter Cherubino. cherubinisch: Fischart 1571 Lästerungen (b) 85 Wie die Franciskaner den heiligen Franciscus „Seraphisch" nannten, so die Dominikaner den heiligen Dominicus „Cherubinisch"; Abr. a S. Clara vor 1709 Kramer-Laden HI 169 Cherubinische Scienz und Wissenschaft [des Johannes]; ebd. Ill 265 (etwas ins Herz eingraben) mit Cherubinischer Beitze anzuätzen; Wieland 1752 Ges. Sehr, l 1,379 Er kam in Cherubinischer Gestalt/ Statt nächtlichschwarzer Todesschrecken, glänzt/ Des Himmels Heiterkeit um ihn; Zimmermann 1785 Einsamkeit III 91 Würde der Himmel Ihnen, mein hochtheuerster Patron, eines solche Cherubinische Polaris, oder eine seraphische Theantis . . zeigen .. so möchte es mehr würdige Geistes-Amazonen für Himmel und Erde geben; Keller 1878-80 Ges. W. IV 203 Für heute hatte er [der Kaplan] des Angelus Silesius cherubinischen Wandersmann [zum Vorlesen] aufgegriffen; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 182) Mit diesem Zitat aus dem „Cherubinischen Wandersmann" schloß der Brief; Grass 1962 Blechtrommel 69 Die Voraussetzungen für ein gründliches Studium schienen gegeben . . Abenteuerbücher, Liederbücher, der Cherubinische Wandersmann; Zeit 19. 12. 1986 Er [Franz Marc], der wie der wiederauferstandene Cherubinische Wandersmann, sanft räsonierend, seine Malerseele von all den wirtschaftlichen, kolonialen und politischen Widersprüchen freigehalten hat; Spiegel 7. 2. 1994 wenn Staatsanwalt Antonio Di Pietro . . in seiner Rolle als Racheengel cherubinischen Charme entfaltet, der alle zum Lachen bringt; ebd. 18. 7. 1994 Nicht die Spur von Minenspiel, das Ge-

Chic sieht ist ernst und blaß. Ein cherubinisches Antlitz .. ein seraphischer Knabe. Jedenfalls müßte der junge Mann mehr an die frische Luft. cherubisch: Wieland 1753 Ges. Sehr, l 2,114 Ich sah ihn erhaben/ Auf dem cherubischen Thron; ebd. 3,335 Sipha folgte der Stimme, und der cherubische Wächter des Paradieses machte sich unsicht-

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bar, ihm den Durchzug zu erlauben; Zachariae 1756 Tageszeiten 105 Damals sangen seraphische Chöre die himmlische Hymnen . . Von Cherubischen Feuern flammte die glorreiche Gegend; Schlegel 1799 Athenäum II 223 die Santa Chiesa, zu ihrer Rechten der klösterliche Weltüberwinder San Francesco von Assisi, zur Linken der cherubisch erleuchtete Domenico! IN

Chic M., früher auch N. (-(s); ohne PL), auch Schick, im früheren 19. Jh. rückentlehnt aus frz. chic 'berufliche Fähigkeit, Geschick, ohne Modell zu malen, etwas geschmackvoll zu tun; anspruchsvolle, besondere, verwegene Eleganz', älter (1. Hälfte 19. Jh.) auch 'Anstelligkeit, Geschick(lichkeit); Talent' (< (früh-)nhd. Schick 'gutes Aussehen, gute Haltung, (Lebens-)Art, richtiges Verhalten, Anstand; Geschicklichkeit, Talent' < mittelniederdtsch. schick 'geschliffene Lebensart, gute Erscheinung, Figur', rückgebildet aus Geschick, zu (sich) schicken (mhd.) Ordnen, (sich) fügen, einrichten'), auch in der eingedeutschten Schreibweise wird Schick, Chik trotz seiner dtsch. Herkunft meist als frz. Wort empfunden. Zunächst meist bezogen auf frz. Verhältnisse vor allem in den Bereichen Malerei und Literatur in der Bed. '(Sinn für) Schliff (in der künstlerischen Ausführung); feine, höhere (Lebens-)Art, Vornehmheit; angemessene, richtige Art und Weise, guter Ton, Anstand, Takt' (—* Kultur, —* Raffinement; s. Belege 1866, 1871); in der Folge noch immer häufig auf Pariser Verhältnisse bezogenes Modewort, bes. auf äußere Erscheinung, Ambiente, Kleidung, Mode (von Frauen) und gesellschaftliche Umgangsformen in der Bed. 'geschmack- und anspruchsvolle, modisch ansprechende Eleganz, Feinheit, leicht verwegene, raffinierte Wirkung, Originalität, Pfiff; nobler, guter Geschmack, Kultur', auch 'Fähigkeit, sich geschmackvoll und elegant zu kleiden und entsprechend zu wirken' (s. Belege 1854, 1866, 1870, 1873, 1876, 1884, 1890; —» Charme, —» Raffinesse, —> Extravaganz, —» Flair; Ggs. —» Konvention, —> Konfektion), seltener auf Bauten, Örtlichkeiten u. ä. übertragen und allgemeiner verwendet, im Unterschied zu oft im gleichen Kontext verwendetem —» Eleganz mit Konnotationen wie „spielerisch, kokett, unbeschwert, lässig; auffallend" und (zum Teil leicht abwertend) mit „pikant, unverschämt, verwegen" (s. Belege 1866, 1870, 1873, 1935, 1954); in Wendungen wie der gute Schick/Chic, (keinen/seinen) Schick/ Chic haben, das gebietet der Schick/Chic, besonderer/höchster/neuester/letzter/gewisser Schick/Chic, bei Schick/Chic sein, (viel) Schick/Chic haben, Pariser/Berliner Schick/Chic, in Doppelformeln wie Sinn und Schick/Chic, Schick/Chic und Sitz/ Eleganz/Tournure/Schwung/Charme/Raffinesse, und in eher okkasionellen Zss. wie Dandy-, Edel-, Schlendrian-, Designerchic. Dazu seit späterem 19. Jh. das aus gleichbed. frz. chic übernommene, zunehmend häufiger als das Subst. nachgewiesene mode- und werbespr. Adj. chic, eingedeutscht auch schick, chik, bezogen auf Malerei (s. Beleg 1885) und vor allem in der Modebranche in bezug auf Erscheinung und Kleidung von Personen in der Bed. 'der (herrschenden) Mode entsprechend, modisch, geschmackvoll, ansprechend (ausgeführt, gekleidet); schwungvoll, flott, kess, keck' (—»· elegant —»· charmant, —»· raffiniert, —* extravagant, —* mondän, vgl. leger, Ggs. —*· konventionell, —> konservativ), bes. bezogen auf gesellschaftliche Umgangsformen, Lebensart auch für 'fein, kulti-

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viert, vornehm, edel' (s. Beleg 1888), von daher auch mit Bezug auf Reisen, Autos, Häuser, Wohnungseinrichtungen, Bildende Kunst, Zeiterscheinungen/Trends u. ä. und allgemeiner verwendet im Sinne von 'auf der Höhe (der Zeit), zeitgemäß, aktuell' (s. Belege 1898, 1914, 1915, 1930, 1931, 1962, 1989, 1993, 1994; -» modern, vgl. auch up to date, in, en vogue), gelegentlich pejorativ konnotiert mit „allzu modisch, übertrieben auffällig", z. B. in bezug auf sprachliche Phänomene (s. Beleg 1992); in Wendungen wie chice Frau, Dame, chicer Hut, chices Kleid/Kostüm, schön/elegant/charmant und chic, chic und modern, auch adv. gebraucht, z. B. in chic aussehen, (sich) chic anziehen, schick in Schale, chic gekleidet, gestylt, frisiert, verpackt, herausgeputzt, zurechtgemacht, als chic gelten und chic sein/werden "m Mode, modern, up to date, in sein/werden', sowie in den intensivierenden ugs. Zss. bzw. Ableitungen tod-, hoch-, super-, topchic/schick, und (eher okkasionell) leger-, sportlich-chic; dazu im 19. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Chicheit R (-; ohne PL). Daneben seit den 70er Jahren das auf ital. sciccheria 'Schick, Eleganz' (zu scicche 'modisch, elegant', frz. Herkunft) zurückgehende Subst. Schickeria F. (-; ohne Pl.) als zunächst auf (linke) politische Kreise bezogene, dann allgemeiner und leicht abfällig gebrauchte Bezeichnung für die in Mode und Gesellschaftsleben tonangebende Schicht, z. B. in Münchner/Hamburger, linke Schickeria; in jüngster Zeit die scherzhaft bis abwertend konnotierte subst. Bildung Schicki-Micki M. (-s; -s), auch kurz Schicki, meist plur. verwendet für eine bes. chic gestylte, in Kleidung, Eß- und Freizeitgewohnheiten nur das Teuerste bevorzugende Gesellschaftsschicht (—» Snob). Chic/Schick: Carus 1831 Landschaftsmalerei 138 jeder Stümper, dem Gott keinen Blick und Schick verliehen hat; Auerbach 1852 Diethelm 2483 der gute Schick; Niendorf 1854 Paris 112 man kann sich kaum vorstellen, welchen Schick jedes Mädchen hier hat; Ptetsch 1866 A. Welt u. Kunst I 159 Mit leichtem Pinsel ist alles dekorativ hingeschrieben, ein Meisterstück des „chic"; Wachenhusen 1866 Eva in Paris 51 [Kokotten] sind nicht einmal mehr schön, aber sie haben ein „chic", das auf den Pariser Viveur einen unwiderstehlichen Zauber ausübt; Schmid 1869 Habermeister (Ndr.) 22 und ein Sinn und Schick ist in allem, da man wohl sagen kann, es ist eine wirkliche Musterwirtschaft; Kretschman 1870—71 Kriegsbr. 123 man hat den Ort mit Karbolsäure desinfiziert, er bekommt jetzt einen gewissen Schick; Peterssen 1870 Genrebilder 246 [Pariser Kleidertrödler] mit jenem unnachahmlichen Schlendrianchic; 1871 Dtsch. Warte i 133 [Der Franzosen] naturalistische Richtung und ihre technische Virtuosität, ihren „chic"; Heyse 1873 Kinder d. Welt II 153 das hat wenigstens Tournure, Chic, Unverschämtheit; 1876 Pariser Leben II 35 die Gebote des „Chic"; Schmidt 1881 Leonhardsritt 140 Alle, denen sie den rechten Schick für das Schlierseer Leben beigebracht; Rose 1884 Revanche Einl. XIX selbst das reizende Kleid, dessen Pariser „Chic" Sie rühmen, ist .. nichts Anderes als Berliner Confection!; ebd. 172 jeder Sportsman

(und als solcher zu gelten, gebietet der „Chic"); Trinius 1884 Mark. Streifzüge l 75 den modernen Schick [einer jungen Berlinerin]; Conrad 1885 (in: Gesellschaft l 671) ganz auf der Höhe der aristokratischen Tradition aus der . . Kreuzfahrerzeit verbunden mit dem Chic raffiniertester Überkultur; 1887 Salon II 466 jene geistsprühende Frau .. der Inbegriff von allem dem .. was wir unter dem schwer zu analisirenden Worte „Chic" verstehen; Pfleiderer 1890 Erinn. 62 Mangel an höherer Lebensart und feinerem Chic bei den teutonischen Barbaren; Wachenhusen 1890 Leben 1256 Mit dem vornehmen Schick einer Dame von Welt; Bahr 1893 Liebe 137 eine dumme Vorstadtmondäne mit falschem Chik und ohne Würde; Hopfen 1893 Elend 11 60 Strahlend, in tadellosem Chic, nahm er [ein alter adliger Rittmeister] von seinen Damen Abschied; 1896 Cosmopolis II 840 mit den geringsten Mitteln wundervoll charakterisiert bis auf den Sitz und Chic der allermodernsten Kleidung; Polenz 1898 Grabenhäger l 72 Alles was den beiden Schwestern an Chick abging, schien in dem Raffinement vereinigt, mit dem Mira angezogen war; 1904 Jugend 59a o Mädchen ohne Gleichen,/ Die Hälfte geb' ich Dir von meinen Reichen/ Für Deinen Chic und Deine Eleganz; Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 6 Maryett — sie schrieb ihren Namen so, weil's englischer Chic war; Huret 1909 Berlin (Übers.) 113 Der Kaiser ist, sobald er keine Uni-

Chic form trägt, sehr schlecht angezogen, einzig der Kronprinz hat Schik; Zur Megede 1911 Quitt 145 In ihrer kleinen Fingerspitze hat sie mehr Schick als die Anna in ihrem ganzen Körper; Werfel 1920 Mörder 136 einen Offizier von Chic und Schneid; Bücher 1921 Volkswirtschaft II 154 der vielgerühmte Chic des französischen Arbeiters; Waldeyer 1926 Sportmädel 105 Ein merkwürdiger Mensch . . Aber er hat Chik. Ob er gut tanzen kann?; 1928 Elite 472 Mein Mann kaufte bei Ihnen Ihre neueste Augenglaskollektion . . Sie wissen — letzter Schick; Voss. Ztg. 15. 6. 1928 Ein Kinderkleid, marineblau mit weißem Kragen, trägt die Aufschrift: „Letzter Pariser Chic"; Dwinger 1929 Armee 57 Donnerwetter . . Die [ein dunkelhaariges Mädchen] ist gut bei Schick!; Hausenstein 1935 Wanderungen 295 dem verwegen angewehten, wie ein Stückchen weißen Puttenflügels angeflogenen Adlerflaum an dem grünen Samthütchen, das keck mit dem natürlichen Schwung und Chic auf dem einen Ohr sitzt; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 222 Liebling aller vornehmen und anderen Berliner Damen von Chic; Th. Mann 1939 Lotte (W. H 538) Es war guter Ton . . daß die patriotische Pflicht die gesellschaftliche Form unerläßlichen Chics annahm . . auf private Gesinnung kam es nicht an, sondern auf den Chic, den Ehrenpunkt; Süddtsch. Ztg. 2. 12. 1949 gibt ihren Hüten einen vornehmen Schick, sie fallen erst auf den zweiten Blick auf, so selbstverständlich lassen sie sich tragen . . haben Charme. Sind lustig, eine Spur keck; Frankf. Nachtausg. 25. 4. 1951 Lady, ein apartes Spezialgeschäft. . führt modischen Zubehör — direkt aus Paris! Die kleinen Dinge machen den Schick der Pariserin; die geschickt geschlungene Perlenkette, Strass, Clips und künstliche Blumen, Chiffontücher und zarte Spitzen; Ackermann 1954 Mode 164 der leichtfertigen Schwester der Eleganz, dem „Chic"; Offenburger Tagebl. 18. 9. 1958 Bescheidenheit war in Österreich schon immer der höchste Schick; Süddtsch. Ztg. 30.3. 1962 eine repräsentative Gemeinschaftsschau unter dem Titel „Berliner Chic"; Stuttgarter Ztg. 10.3. 1969 diese für die Jugend gemachte und von der Jugend stark frequentierte Sendereihe hat. . beinahe internationalen Chic und Charme; Welt 17.10. 1969 es sind metallisch blitzende, perpendikelähnliche Schwebeplastiken, deren Designerschick nicht jedermanns Geschmack ist; Frankf. Rundsch. 8.8. 1971 Als Substantiv „der Schick" ist das Wort in der Bed. „was sich schickt, gutes Aussehen, gute Lebensart" zuerst von Wieland angewandt worden .. Bekannt ist es aus Schillers „Wallensteins Lager", wo der Wachtmeister davon spricht, was den Soldaten ausmacht: „Das Tempo macht ihn, der Sinn und Schick,/ Der Begriff, die Bedeutung, der feine Blick."; MM 15. 3. 1985 gehören Rollex-Uhren, schnelle, prot-

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zige Autos und topmodische Kleidung mit dem neuesten Chic ebenso zur Ausstattung wie die passende Wohnung; ebd. 20.3.1989 Edelchic von Claude Montana und Gianni Versace sowie Lässiges mit Glanz und Knitter für die Herren; Spiegel 26.4. 1993 Westlicher Chic, Elend in Moskau (Überschr.). chic/schick: Wachenhusen 1866 Eva 36 eine Cocotte gewöhnlichen Schlages zu ihrer Freundin . . als sie an einer elganteren Collegin vorübergingen: „Die spricht nicht mit uns! Das ist eine femme chic!"; Dohm 1880 Verkäuferin (Dunger, Fremdwörterunwesen 57) mich, die ich chik bin vom Scheitel bis zur Sohle; Reichenbach 1880 Roman e. Bauernjungen 175 darüber Meinungen auszutauschen, ob die Vertreterinnen italienischer und österreichischer Aristokratie . . oder einige englische und amerikanische Misses . . die chicsten Toiletten gehabt hätten; Nordau 1881 Paris 260 Ein Boulevardtheater, das für besonders „chic" gilt, wechselte seinen Eigenthümer; Walther 1885 (in: Gesellschaft l 915) [Münchner Maler- und Kunstfreunde] es doch stillschweigend überhaupt nicht für „chic" ansahen, daß man in seinen Bildern einen Sinn dafür beweist, daß Menschen in einer Landschaft nicht farbige Schatten sind; Lang 1887 Erinn. 110 Zigarren-Pfeifchen aus Meerschaum . . (bei den Franzosen ist es nicht chic); Jowiris 1888 Studententeuffel 82 fein, noble, chic; Fontäne 1891 Jenny Treibet 93 eine Sommerjacke, daran alles chic und wieder chic ist; Senden 1900 Tänzerin 123 setzte einen großen Federhut mit Rosen auf, der ihr ganz reizend stand und ebenso auffallend als chic war; Potenz 1898 Grabenhäger l 12 Die Tapeten verschossen und in Fetzen .. kalt und modrig die ganze Geschichte . . Und jetzt alles so chik und komfortabel; 1904 Jugend 292b Das „Album" ist das beste einzig dastehende Journal für die Lebewelt in chik-pikantem Pariser Genre; Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 21 ich sehe, daß wir Fußvolk nicht „chick" genug sind, um all* diese Dinge kennen zu lernen; 1910—11 Pan 53 Ist das nicht totschick von Herrn Schmidhans?; Sternheim 1914 Snob 58 weil es schick wird [die aus einfachen Verhältnissen stammenden Eltern zu lieben]; Thoma 1914 Postsekretär 103 Ganz moderne, merkwürdig schicke Frühlingshüte; Th. Mann 1915 Reden u. Aufs. (W. X 106) Man fand sie keck, fand sie amüsant und endigte damit, sich zu fragen, ob sie nicht mehr sein könne als ein Witz. Allmählich wurde sie zum dernier cri, zur politischen Mode, zum schicksten Gesprächsstoff der Boudoirs und Kaffeehäuser; Münch. N. N. 8. 9. 1918 Die Zigarette hält sie .. sehr schick und legt sie nur weg, wenn sie mit zierlich gespreiztem kleinen Finger ein Stück Hartwurst vom Teller nimmt; Voss. Ztg.

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12. 3. 1930 Auf Berlin schimpfen ist in vielen Kreisen einfach „schick"; Friedell 1931 Kulturgesch. o. S. im Zeitalter des Cancans und der „Schönen Helena" wurde es chic, Halbwelt zu kopieren; Busse 1934 Leute 251 Ihre schicken Kleider kamen aus der Mode, sie machte sich nicht viel daraus; Bertololy 1934 Dora 46 und ich wunderte mich, wie verändert sie in ihrem Hut und Mantel aussah, so schick und damenhaft; Lokal-Anz. 4. 4. 1934 Eigentümer einer schicken Villa am Wannsee; Purzelbaum 1939 Humor 78 eine todschicke Berlinerin; Münch. N. N. 12.11.1942 Ordentlich geflickte Kleider sind keine Schande . . Es kommt jetzt weniger darauf an, „chic" angezogen zu sein, als die . . Textilindustrie nicht unnötig zu beanspruchen; ß. N. 27. 4. 1943 In Paris hat man anläßlich des 150. Todestages eines jungen Malers namens Andre Chique eine Gedenktafel enthüllt. Niemand erinnert sich heute dieses Künstlers, den weder eine Kunstgeschichte noch ein Lexikon nennt. . dennoch ist sein Name zu einem unsterblichen Begriff geworden . . „Chique" wurde zu „Chic" und im Deutschen zu „Schick", ein Wort, das man ursprünglich nur für die Malerei anwendete. Denn der junge Maler Chique . . zeichnete sich . . durch seinen ästhetischen Sinn und sein Gefühl für Farben derartig aus, daß seine Schulkollegen ein Porträt, dessen Farbenkomposition mißfiel, als „nicht Chique" bezeichneten. Später wurde dieses Wort zum Symbol des guten Geschmacks. Wer „schick" war, war elegant und entsprach sowohl in der Farbenzusammenstellung seines Anzuges als auch in seinen geschliffenen gesellschaftlichen Formen der herrschenden Mode; Süddtsch. Ztg. 10./ 11. 12. 1949 eine raffinierte Einfachheit im Schnitt, das Verzichten auf Extravaganzen, kurz und gut, „wie soll ich gleich sagen in deutsch? Ich kenne nur ein Wort dafür: chic!"; ebd. 24. 9. 1950 Modellhaus Stephanie hatte den begabtesten Schnitt, schlichte, chice Kleider, feine Farben; Neue Ztg. 8. 11. 1952 Die Französinnen auch der ärmsten Einkommensschichten legen noch mehr Wert als früher darauf, adrett und selbst „chic" auszusehen; Süddtsch. Ztg. 22. 9. 1954 was gestern noch belächelt wurde, ist heute allenthalben Chic, wenn die Mode es befiehlt; ebd. 17.1.1959 „Chic ausgehen — zu Ambros gehen" inseriert der Besitzer; 1962 Durch d. schöne Welt o. S. So wie heute das Tessin als „chic" für Villen und Landhäuser gilt; Süddtsch. Ztg. 30. 3. 1965 „Chic" nennt der Salon Binder-Werle diesen zitronengelben extravanganten Strandanzug . . eines der typischen Modelle mit Pariser Pfiff; Frankf. Rundsch. 8. 8. 1971 auch die gelehrtesten französischen Philologen werden die Tatsache nicht weginterpretieren können, daß das echt französisch geschminkte Wörtchen „chic" dem Deutschen entlehnt ist .. Als Adjektiv ist es

erst in neuerer Zeit, vermutlich in unbewußter Anlehnung an das Französische, aus dem Substantiv entwickelt worden; Zeit 11. 10. 1985 Seine von der Pariser Modewelt als „charmant und elegant, aber nicht chic" eingestufte Frau Raissa; MM 4. 4. 1986 ein schick gestyltes Appartementhaus mit Fahrstuhl und Wendeltreppe; Zeit 3. 10. 1986 einerseits sind es die „Yuppies", die Young Urban Professionals, die beruflich erfolgreich sind und jenen schick-dynamischen Lebensstil pflegen, der einen Hauch von Freiheit und Luxus verbreitet; ebd. 19. 12. 1986 die beflissene und virtuose Art, mit der Neuenfels seine früher gemachten Entdeckungen und Obsessionen zu Collagen zusammensetzt . . schick, geistreich, kraftlos; Stern 10. 9. 1987 alle drei [Automarken] sind schick in Schale; MM 5. 1. 1989 Für die Fashionfreaks rund um den Sport gibt es bei Sport & Freizeit. . leger-chice Eleganz; ebd. 18. 2. 1989 „was Neues", schick, „irgendwie" Aufmerksamkeit erheischend, modern auf modische Weise. Kurz: witzige Äußerlichkeiten; ebd. 8. 4. 1989 die Stereoanlage, die neue Wohnungseinrichtung und das todschick-renovierte Bad kann einem niemand mehr nehmen; ebd. 18. 4. 1989 Emile liebt das Auffällige, das Extravagante: selbst für sein schickes Schoßhündchen hat er ein modisches Halsband; ebd. S. 4. 1991 die immer sportlich-chic gekleidete Politikerin; ebd. 26. 6. 1991 ein top-schickes weißrotes Fahrrad; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 46 die Verlokkung zu modischer Wortmacherei ist groß. Sie liegt in dem Reiz, sich sprachlich auf der Höhe, up to date oder noch aktueller „in" zu zeigen. Das gilt weithin als schick, womit gleich ein weiteres, vielbehandeltes Modewort genannt wäre. Die Werbung . . zieht freilich, da modische Eleganz und Paris nun einmal zusammengehören, französisch geschriebenes chic als „schicker" vor: ein wirklich chices Wort; Spiegel 29.3.1993 Freizeitlook im US-Stil, gilt als superschick; ebd. 3. 10. 1994 Derzeit ist die Linke in der Defensive, gilt rechts wieder als chic. Chicheit: Peterssen 1870 Genrebilder 240 Eine Karosserie — ein wahrer Ausbund von Chicheit. Schickeria: Welt 18.1.1974 Ehe sich einer .. in diesen ihren Reihen findet, der weder . . der linken Schickeria ins Messer läuft, noch vor ihren Meinungsmachern kuscht; ebd. 31. 10.1974 Den Mut, Namen und Zahlen unüberhörbar laut zu nennen und ohne modische Rückversicherung bei der linken Schickeria munter drauflos zu erzählen, brachte der Ringier-Wirtschaftsredakteur jedenfalls als erster auf; Zeit 15. 2. 1985 von neureicher Schickeria und gewinnträchtiger Luxussanierung ist die gediegene Wohngegend bislang verschont

Chiffre geblieben; ebd. 6. 9. 1985 Im Kom(m)ödchen traf sich die politische Prominenz Bonns und die gesellschaftliche Schickeria Düsseldorfs; MM 18.1. 1989 Glitter und Glamour, Schickeria und teurer Fummel, nicht endende Disconächte voller champagner- und freudetrunkener Menschen; ebd. 25. 7. 1989 die Hummer verzehrende und Champagner schlürfende Schickeria in München; ebd. 26. 7. 1989 Bei dem vor etwa zwei Jahren in Schikkeria-Kreisen beliebten Spiel ging es darum, ein imaginäres Flugzeug zu besetzen; ebd. 3. 8. 1989 zeigt den Weg des Koka-Blattes von den Anden über die USA bis hin zur Frankfurter SchickeriaSzene; FAZ 10. 7. 1990 Selbst die Schickeria schminkt sich schwarz-rot-gold. Deutschland einig Fußball-Land. Schicki-Micki: Zeit 4. 1.1985 wie McDonald's und Schicki-Micki-Boutiquen die Altstadt [von Heidelberg] zerstörten; MM 30.9.1987 wird von Möchte-Gern-Yuppies und Schicki-Mickis mit Drogen der Alltag aufgehellt; ebd. 4.1.1989 Charly hatte einst das Schicki-Micki-Leben in Syd-

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ney satt und zog sich samt Ehefrau Sarah plus drei Töchtern . . zurück; ebd. 15.3. 1989 Und die „Schickis und Mickis, die Yuppies und Puppies", die finden wir ja alle zum Kotzen; solange wenistens, wie wir uns die besonders edlen Turnschuhe — Sie wissen schon welche! — noch nicht leisten können; ebd. 6. 10. 1989 Ein „Boom" sei festzustellen bei „Schicki-Micki "-Ständen mit Champagner und Austern in den Innenstädten der Metropolen, ferner sei der „Party-Service" außer Haus immer stärker im Kommen; Stern 9. 8. 1990 Nur eine Volkskammersitzung verhinderte, daß der Sozialist [Gysi] zum Schickimicki-Empfang einer Vermögensberatungsfirma in ein Bonner Luxushotel einflog; Spiegel 5. 4. 1993 ist heute an Orten wie der Münchner Cocktail-Bar „Schumann's" oder dem Hamburger Schicki-Lokal „Brücke" die trendgemäße Positiv-Antwort auf die Frage nach der inneren Befindlichkeit . . In Hamburg haben die Schickis schon vor Jahren ein ganzes Stadtviertel wiederentdeckt: St. Pauli mit seinen finsteren Kneipen und der gammeligen Rotlichtatmosphäre. IN

Chiffre F. (-; -n), seit frühem 17. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus frz. chiffre 'Geheimschrift' (< altfrz. cifre, ital. cif(e)ra, eigentlich 'Zahlzeichen (ohne absoluten Wert)', über (m)lat. cifra, cifrum 'Null; Zahlzeichen' zurückgehend auf arab. sifr 'leer; Null'; —» Ziffer), noch im 19. Jh. gelegentlich als M., meist aber vom Frz. abweichend mit an Ziffer angelehntem fern. Genus, vereinzelt auch mit frz. Pl. Chiffres, häufig in der Form Chif(f)er, die neben Chiffre als Schreibvariante für Ziffer vorkommt, weshalb Chiffre und Ziffer bes. in frühen Textzeugen oft schwer zu unterscheiden sind; vereinzelt in Schreibungen wie Zipher, Pl. Ziphren. a Älteres —>· Ziffer verdrängend in der Bed. 'Zahl, die als Geheimschrift verwendet wird, verabredetes, verschlüsseltes (Schrift-)Zeichen einer Geheimschrift; Geheimzeichen' (-> Charakter 1), im 18. Jh. vereinzelt auch (SPERANDER) für 'Ziffer, (Rechen-)Zahl', vereinzelt in Wendungen wie in Chiffren (nach frz. en chiffre(s)) 'in Geheim-, Zeichenschrift', und in Zss. wie Chiffrebrief, -tafel, -telegramm, -schlüssel, -schrift, -spräche; von daher häufig bildlich und übertragen verwendet, als Metapher auf die (Sprache der) Natur bezogen, in Kunst, Philosophie (s. Belege 1801 — 02, 1923, 1943, 1947, 1967, 1985, 1986) und speziell in der Literaturwissenschaft zur Bezeichnung einer poetischen Stilfigur (s. Belege 1958, 1963, 1986), sowie allgemeiner gebraucht im Sinne von '(verborgenes, geheimnisvolles) Zeichen, Anzeichen, Sinnbild (für etwas)' (s. Belege 1959, 1985, 1993, 1994; -+ Symbol, -» Metapher, —» Schema, —» Etikette) und 'Reiz-, Schlagwort' (s. Belege 1985, 1987), z. B. in Wendungen wie Chiffre für etwas (sein) 'sinnbildlich für etwas stehen', Chiffre des Friedens und den übertragen verwendeten Zss. Chiffresprache, -schrift (der Natur/ Welt/Geschichte) im Sinne von 'schwer durchschaubares (Zeichen-)System, Zeichen-, Symbolsprache (der Natur/Welt/Geschichte)'. Dazu die seit frühem 18. Jh. selten, seit Anfang 19. Jh. häufiger nachgewiesene, aus gleichbed. frz. chiffrer entlehnte verbale Ableitung chiffrieren V. trans., anfangs in der Bed. 'beziffern, nume-

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rieten', dann 'Buchstaben durch Zahlzeichen ersetzen', bes. in der Telegraphic und Nachrichtentechnik für '(einen Text) mittels eines Zahlen- oder Zifferncodes verschlüsseln, in Geheimschrift abfassen' (vgl. codieren, —> Code), in Wendungen wie eine Nachricht, ein Telegramm, eine Botschaft, einen Text u. ä. chiffrieren, in Zss. wie Chiffrier Schlüssel, -code, -dienst, mit dem dazugehörigen Verbalsubst. Chiffrierung F. (-; -en), der Ende 18. bis ins 20. Jh. nachgewiesenen, aus gleichbed. frz. chiffreur entlehnten Personenbezeichnung Chiffreur M. (-s; -e), gleichbed. mit seit Anfang 19. Jh. selten bezeugtem Chiffrierer M. (-s; -), 'jmd., der Chiffren (de-)codiert'; daneben schon seit späterem 17. Jh. die aus gleichbed. frz. dechiffrer entlehnte antonyme verbale Präfixbildung dechiffrieren V. (in)trans. 'entziffern' (vgl. decodieren, —» Code a), früher in Schreibungen wie deciphriren, dechifferiren, auch bildlich z. B. in Kunst, Literatur und Psychoanalyse sowie allgemeiner im Sinne von '(Zeichen, Bilder, Symbole), entschlüsseln, enträtseln, deuten; etwas herauslesen' mit den dazugehörigen subst. Ableitungen Dechiffrierung F. (-; -en), Dechiffrierer M. (-s; -) und der adj. Ableitung dechiffrierbar. b Vom frühen 18. bis ins 19. Jh. in der Bed. 'Anfangsbuchstabe eines Namens, persönliches Namenszeichen, -zug, -kürzel' (—» Initiale, —»· Sigle, —» Monogramm), z. B. im ital. Syntagma in cifra 'in zusammengezogenen Buchstaben', c Seit den 40er/50er Jahren des 20. Jhs. im Zeitungswesen in der Bed. 'verschlüsselte Kennnummer, Kennziffer einer Zeitungsannonce', in Wendungen wie eine Anzeige unter Chiffre (...) aufgeben, veröffentlichen, eine Chiffre angeben, vereinbaren und Zss. wie Chiffre-Anzeige '(Kontakt-)Anzeige in einer Zeitung, die statt des Namens des Inserenten eine Zahl als Unterschrift trägt'. Chiffre a: Wallenstein 1625 Br. an Harrach (Tadra 302) Die so oft begehrte Cifer; Nicolai 1631 Br. an Sattler (Irmer l 87) mitt vollen Worten und ohne chiffren; ders. 1633 Br. an Hempel (Sonden 417) dem Friedland noch ein baar schieffer geben und ihme den compass ziemblich verrücken (alle JONES); Martin 1637 New Pari. 331 [frz.] chiffres: Ziffern oder vnbekante Buchstaben; Opitz 1639 Br. an Oxenstiern (Qu. geist. Lebens I 580) hab . . mit dem ich Schreiben wechsele . . in cifra bisher genungsam zue verstehen gegeben, und er wird sich darnach richten; Friedrich Wilhelm 1655 (UAS IV 143) Sonst senden wir Euch hiebei ein Chiffer, die Ihr Euch in secreten Dingen gebrauchen könnt (BRUNT); Garzoni 1659 Schauplatz 282b Zipffern vnd verborgene Buchstaben; Krämer 1681 Leben d. Seehelden 456 Mit Hinterlassung der Zeit und des Orts, allwo sie einander vor der Abreise wiederum sehen, und zu ihrer vorhabenden Correspondentz die Zyfer (geheime Schreib-Art) abreden konten; 1706 Bauernaufstand (Kiezler III 174) Auf welcher Art schrieb er? In Platt oder in Chiffern? . . Von wem erhielt er den Schlüssel zu den Chiffern? (BRUNT); Dewerdeck 1711 Silesia 131 Die dritte Chifre auf dem Nummo ist nicht zu erkennen/ ob wir deren gleich drey gesehen; Messerschmidt 1724 Sibirien II 235 schrieb mir die tangutischen Zahlen . . zu Papiere und berichtete mir dabei, daß sie

keine Chiffres oder Caracteres der Zahlen hätten, sondern selbige allezeit mit Worten ausdrücken müßten; Philippi 1743 Reimschmiedekunst 254 wie auch, wenn solche Chifer-Schriften gefunden oder aufgefangen werden, wie man hinter ihren Inhalt kommen könne; Goethe 1768 Br. (WA IV 7,220) Algebra ist angefangen worden, sie macht mir noch ein grimmig Gesicht, doch dencke ich es soll mir noch ein Geist aus diesen Chiffern sprechen; ders. 1775 Br. (WA IV 2,288) Die Chiffern kann ich am Ende deines Briefs nicht lesen. Schick mir schnell den Schlüssel; Leisewitz 1780 Tagebücher II 68 einen Brief in Chiffren bekommen; Schiller 1786 Philos. Br. (III 62) bedient sich die Größenlehre der Chifern, die nirgends als auf dem Papiere vorhanden sind [(Zahl-)Zeichen]; 1788 Journal d. Moden III 124 Anm. Chifre-Sprache; 1795 Revolutions-Almanack 283 Eine neue Art von Chiffre-Sprache; Matthisson 1801 Lausanne (V 309) Sein pünktlich geführtes Tagebuch der merkwürdigen Reise schrieb er in Chiffern und Abbreviaturen, die jede Kopie von fremder Hand unmöglich machen; Schlegel 1801-02 Vorlesungen I 91 Kant spricht einmal von der Chifferschrift, wodurch die Natur in ihren schönen Formen figürlich zu uns spricht; Matthisson 1803 Paris (VI 56) Die Grammatik dieser merkwürdigen Chiffersprache bleibt mit Recht noch unter dem Siegel des Ge-

Chiffre heimnisses; Humboldt 1804 Br. (XVI 34) en chiffres [verschlüsselt]; Klüber 1809 Kryptographik 57 Zifferschrift (Chiffre); Wit v. Dörring 1827 Fragmente II 97 Chiffre-Tafel [Verschlüsselung und Entschlüsselung]; Meissner 1849 Die Correspondenz in Chiffern (Titel); Prokesch v. Osten 1849 Br, 106 Da müssen sie wenigstens eine beiden Teilen verständliche Chiffre brauchen; ders. 1854 Br. 408 Eben als wir das Ausschußzimmer verließen, empfing er eine telegraphische Depesche en chiffre; Knies 1857 Telegraph 213 Chiffre-Schrift [im Telegraphenwesen]; Hildebrand 1869 Br. 72 telegraphische Chiffreschrift; Wilhem II. 1922 Ereignisse 98 Chiffretelegramme mit meinen Berichten; Cassirer 1923 Philosophie I 17 schon bei Galilei findet sich der Vergleich, daß das „Buch der Natur" in mathematischer Sprache verfaßt und nur in mathematischer Chiffreschrift lesbar sei; Lettenbaur 1927 Morgen 95 In diesem Fall würde sicheres Geleit und der Gebrauch eines Chiffreschlüssels für die Delegierten erbeten; Th. Mann 1933—43 Joseph (W. /V/V 1125) ganz ohne tieferes Verständnis für die Idee der Sünde, von der sogar die Wortchiffre ihrem Vokabulare fehlte; Lokal-Am. 23.9.1934 Der Gefängnisinspektor gab bekannt, daß er diesen Chiffre-Brief damals der Polizei übergeben hätte; Rosenfeld 1935 Bildged. l A.W.Schlegel spricht 1799 im Hinblick auf seine eigenen Bildgedichte von einem Dolmetschen der reizenden Chiffresprache der Linien und Formen durch die Dichtung; Curtius 1943 Schrift- u. Buchmetaphorik (Worringer Festschr. 94 f.) Der islamisch-spanischen Kultur verdanken wir noch eine Schriftmetapher . . die Chiffre . . Nun weiß man aus der deutschen Geistesgeschichte, daß . . die Metapher von der „Chiffreschrift" der Natur, der Welt, der Geschichte, der Menschgestalt usw. sehr gerne gebraucht wird; gleichbed. damit „Hieroglyphenschrift" . . Mit orientalischen „Chiffern" hat auch Goethe im „Divan" sinn- und kunstreich gespielt; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 27) wenn ich aber sage, sie „entziehen sich", so ist das eben nur das Gegenteil von „sich erschließen", und daß die Natur diese Chiffren, zu denen uns der Schlüssel fehlt, der bloßen Zier wegen auf die Schale ihres Geschöpfes gemalt haben sollte, redet mir niemand ein; ebd. VI 172 in den Entwurf . . sehr gedrängt und chiffrenmäßig geschrieben, voll winziger Interpolationen und Korrekturen . . gewährte er mir Einblick; Jaspers 1958 Atombombe 298 solches spekulative Denken [hat] in Begriffen, begrifflichen Bewegungen, in Bildern und Gleichnissen, in der Kraft der Chiffern (oder Symbole) . . in Jahrtausenden eine Sprache geschaffen; v. üranat 1958 Werkzeug d. Historikers 80 Geheimschriften im eigentlichen Sinne, d. h. Schriften mit verabredeten Geheimzeichen (Chiffern), kennt bereits die

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Antike. Am bekanntesten sind die Geheimschriften, die durch Umsetzen der Buchstaben des Alphabets erreicht werden . . Bei den komplizierten neueren diplomatischen Geheimschriften wird der Historiker . . Fachleute hinzuziehen müssen, wenn ihm die Chiffer-Schlüssel nicht in den Akten zugänglich sind; 1958 RF LXX 69 metaphysische Symbol- oder noch besser Chiffrelandschaften [bei Camus]; Jens 1959 Götter 12 Venedig, Gleichnis und Bild, eine Chiffre im luftleeren Raum; Offenburger Tagebl. 24. 2. 1959 ohne daß das Volk darüber eine andere Auskunft als eine diplomatisch bis zur Unlesbarkeit verschlüsselte Chiffre erhält; Marti u.a. 1963 Literatur 231 Chiffren-Sprache [Klees]; Bernhard 1967 Verstörung 81 ein Verbrechen begehen, indem du ihn in deine Gedanken hineinstößt, in dein momentanes Zahlen- und Ziffern-, Chiffren- und unendliches Naturlabyrinth; 1970 Buchbespr. Willi Heinrich (Berteismann Lesering IV 3) was Allen Dulles einleitend über Technologie der Spionage, Codes und Chiffres .. verrät, ist selten in solcher Offenheit und aus so intimer Sachkenntnis ausgesprochen worden; MM 29. 1. 1985 Chiffren, in denen eine Welt von Mitteilung steckt; Zeit 22. 2. 1985 da-da-da stimmten Name, Image und der effektvoll-sparsame Einsatz von Wortkürzeln und Elektronik-Chiffren; ebd. 29.3. 1985 Rodins „das ewige Idol", „der ewige Frühling", „der Kuß": erotische Chiffren; ebd. 26. 4. 1985 was es für die Emanzipation einer ganzen Generation bedeutet hat, als die Chiffren „Vietcong" und „Ho Tschi Minh" Zehntausende junger Menschen auf die Straßen gehen ließen; ebd. 10. 5. 1985 was ihn bedrängt, ist unmittelbar umgesetzt in Chiffren seiner Existenz. Chiffren, also verschlüsselte Zeichen, deshalb, weil sie sich nicht auf einen Betrachter beziehen und nur der Künstler selbst den Schlüssel zu ihrem Verständnis kennt; ebd. 10.10. 1986 zu einer Zeit, als das deutschsprachige Gedicht noch in Chiffren- und Metaphernseligkeit schwelgte, suchte dieser poetische Einzelgänger die riskante Nähe zur Prosa; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 153 endlich in Sicherheit vor allen . . Beklemmungen, allen Chiffren, Schemata und Geheimnissen; Zeit 23. 1. 1987 das neue Kompositum „Bildungsbürgertum" . . seit den Anfängen der Weimarer Republik vorwiegend zu einer Negativchiffre und bloßen Redefigur wurde; Spiegel 15. 2. 1993 An die Stelle der kulturpolitischen Argumentation . . trat . . eine theatralische Verzweiflungs-Chiffre, ein grelles und sinistres Panik-Solo; ebd. 20.5. 1994 eine Olive, die auf den Klippen vor der Friedhofsmauer gegen Wind und Wetter kämpft . . eine Chiffre des Friedens. chiffrieren: Elis. Charl. 1715 Br. 11 533 Drumb will ich hinfüro alle meine brieff chiffriren; ebd. 11 566

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Ich schäme mich .. so doll zu schiffriren; Sperander 1727 A la mod Sprach 112 chiffriren .. mit Ziffern oder Caracteren schreiben .. auf die Blätter eines Buchs Ziffern setzen; Florin 1749 Hausvater II 31 b einen Brieff des Frantzösischen Abgesandten in Fohlen, so mit Zahlen geschrieben war und den er chiffriret mit anführet; Humboldt 1802 Br. an Brinkmann 136 Aber nachdem ich dies einmal en clair geschrieben habe, sehe ich nicht, was ich noch je chiffriren sollte; Freiherr v. Stein 1808 Brieftv. Denkschr. II 575 wenn ich den richtigen Empfang Ihres letzteren verehrlichen chiffrirten Schreibens, das abermals ohne Datum, ohen Unterschrift und mit einem fremden Siegel gesiegelt war, nicht en chiffre anzeige und seinen Inhalt selbst nicht chiffriert beantworte; Klüber 1809 Kryptographik 7 Chiffrirkunst (Bezifferungskunst); ebd. 86 Chiffrir-Tabelle . . Dechiffrir-Tabelle; Goethe 1810 Farbenlehre (HA XIV 67) wir werden in der Folge Gelegenheit nehmen, die mancherlei Arten dieses Versteckens näher zu betrachten. Symbolik, Allegorie, Rätsel, Attrappe, Chiffrieren wurden in Übung gesetzt; Müller 1817 Sehr. I 313 in den Augen der Kinder dieser Zeit war es [die Sprache] eben eine Kunst des Chiffrierens, eine Fernschreibung vermittelst verabredeter Signale; Knies 1857 Telegraph 213 Anm. der „chiffrirten" Depesche; Blume 1899 Wehrkraft 750 Den Telegraphenbeamten aber kann die Kenntnißnahme der durch sie zu übermittelnden Geheimnisse oft nicht vorenthalten werden, da nicht jede wichtige Nachricht chiffrirt werden kann; Joel u. Fränkel 1924 Cocainismus 19 Die Cocainhändler wiederum haben ihre chiffrierte Handelssprache, in welcher das Cocain unter den harmlosesten Bezeichnungen . . auftritt; Voss. Ztg. 6. 9. 1931 Zu den Schreibmaschinen gehören . . Chiffrier- und Dechiffriermaschinen, mit denen man Brief oder Telegramme in einer Gehmeischrift schreiben oder Geheimschriften entziffern kann; Lokal-Anz. 18. 1. 1933 Am Abend . . traf vom Hauptquartier ein chiffriertes Telegramm ein; Voss. Ztg. 20. 12. 1933 Wie wenig die erfolgte Änderung des Chiffrierschlüssels genützt habe; Hülsen 1947 ZwillingsSeele 11 98 um abends durch Funkspruch die Fangergebnisse aller angetroffenen Logger, chiffriert natürlich, nach Bremen zu melden; Niebelschütz 1949 Bürgerin 232 Es war nämlich bei letztem Licht eine letzte Taube eingeflogen, den Fuß von chiffriertem Zettel umringt; Welt 24. 10. 1949 das Chiffriergeheimnis der ausländischen Firmen ist teilweise von den chinesischen Behörden gebrochen worden; Johnson 1961 Buch 61 sie nannte Daten und Zeiten und verschob sie nach Achims unhörbaren Antworten um kleine Bruchstücke, das Gespräch wirkte chiffriert; Zeit 21.3. 1986 man hält sich an die Regeln des Spiels, tauscht

chiffrierte Botschaften aus, scherzt, während auf Papierschnitzeln sensationelle Sätze entstehen; ebd. 18. 4. 1986 schreiben sie Geschichten und Theaterstücke und begründen Mythen und chiffrieren darin unsere bösen Triebe, den Haß, die Eifersucht, den Neid; Leipz. Volksztg. 25. 1.1990 Sicherstellende Bereiche wie Versorgungs- und Chiffrierdienste; Wochenpost 24. 10. 1990 Manchmal kommt mir der Gedanke, daß sich hinter solchen chiffrierten Anzeigen Bereiche meines Betriebes verstecken, die sich selbständig machen wollen; Spiegel 23.1. 1995 Er hatte Schwierigkeiten mit dem Chiffriercode, und die Kombination für den Panzerschrank mit den geheimen Unterlagen vergaß er sogar. Chiffreur: Jean Paul 1799 S. W. I 8,282 Die Zuhörer waren außer mir und meiner Frau . . ein Rastädter Chiffrör - und die Kinder; 1870 (Bamberger 1932 Tagebücher 166) Noch geheim. Während offiziell alles sehr gut geht, sagen die Chiffreure mir, Bismarck sei mit Steinmetz unzufrieden; Bismarck 1871 Br. 585 Ich werde . . l Chiffreur und l Kanzleidiener mitbringen; ders. 1884 Papiere III 112 Da wäre auch ein Chiffreur, der schöner schreibt, als ich, nützlicher; Busch 1899 Tagebuchbl. III 84 nach etwa einer halben Stunde, während deren der Chef einem der Stenographie kundigen Chiffreur diktierte; 1929 Tempo Okt. daß der Chiffreur der Sowjetbotschaft bereits seit einiger Zeit alle durch die russischen Agenten abgefangenen Dokumente entziffere. Chiffrierer: Novalis vor 1801 W. l 261 Der eigentliche Chiffrierer wird vielleicht dahin kommen, mehrere Naturkräfte zugleich zur Hervorbringung herrlicher und nützlicher Erscheinungen in Bewegung zu setzen; Kant 1987 Summe 84 Da haben sie nun . . Maschinen ertüftelt zu dem einzigen Zweck, Schrift unlesbar zu machen — Verschlüsselungsapparate, Codierer, Chiffrierer, Scrambler oder Zerhacker . . und ein leichtes ist es ihnen, via . . Satellit . . einen Mikrowellenbogen zu spannen, auf dem sich jedes abgefangene Wort an andere Örtlichkeit verschicken läßt. Chiffrierung: Philipp! 1743 Reimschmiedekunst 254 Nach den mathematischen Wissenschaften ist die Cryptographic, oder Chifrirungs- und Dechifrirungs-Kunst auch heut zu Tage eine bey hohen Standespersonen sonderlich im Schwange gehende Wissenschaft, und lehret auf verdeckte Art zu schreiben, durch Verwandlung einer Schrift in abgeredte Zahlen, oder versetzte Buchstaben, oder verworfene Lese-Arten, daß man sie ohne Schlüssel nicht füglich lesen kann, wie auch, wenn solche Chifer-Schriften gefunden oder aufgefangen wer-

Chiffre den, wie man hinter ihren Inhalt kommen könne; 1929 D. drohende Krieg U 79 Die Sicherung durch Anwendung von Chiffrierungen war jedesmal nur eine Zeitlang brauchbar; Hocke 1976 Tagebücher 168 Wir begegnen nun der doppelten Tendenz des Verbergens . . Benjamin Constant verwandte in seinen Tagebüchern mancherlei Chiffrierungen . . Zeitweise benutzte er einen für seine Zwecke entworfenen Ziffernkodex; Andersch 1967 Efraim 375 Ich muß hier einmal von meinem Prinzip der Chiffrierung .. abgehen, und die Namen der beiden Männer, um die es sich handelt, nennen. dechiffrieren: Karl Ludwig 1673 Br. (BLVS 167, 231) alß ich eben ein groß paquet von Sailer bekommen, so in ziphren und bey nacht nicht deciphriren können (BRUNT); Rohr 1718 StaatsKlugheit 1470 so muß der Landes-Herr eine gewisse geheime Art zu schreiben, die entweder gar nicht, oder doch sehr schwerlich zu dechiffriren ist, mit ihm [dem Gesandten] verabreden; Zschackwitz 1723 Karl VI. 76 Er schickte Courriers aus, einerley Schreiben, die gar leicht zu dechifferiren stunden, zu überbringen; Friedr. d. Große 1747 Br. an Fredersdorf 132 auf die arth, so wie der Jordan [es] abgeschrieben [hat], ist es Nicht [möglich] gewesen, Nach des Menschen sein Chiffre es zu de-Chiffriren (entziffern); Placius 1749 Brief-Buch l Vorr. 3a daß man auch die geheimsten Chiffres zu dechiffriren und an den Tag zu bringen geplanet; 1752 (Buchner, D. Neueste HI 36) wenn die Schönen durch dieselben [Puderfiguren] ihre Gedanken . . als durch Emblemata, ausdrückten, und den jungen Herren die angenehme Sorge überließen, dieselben zu dechiffriren; Schubart 1775 Chronik 74 Wer kann, der dechifrir mir diese Schrift; Kleuker 1777 Gedanken 366 Eine Sprache im Verhältnis gegen eine andere ist eine geheime Schrift, wo Worte gegen Worte, nicht Buchstaben gegen Buchstaben umgetauscht sind. Daher ist eine unbekannte Sprache zu dechifriren; Leisewitz 1780 Tagebücher II 68 diesen Brief zum Dechiffriren zu geben; Varnhagen v. Ense 1795 Buch d. Andenkens I 150 daß ich Ihnen heute . . die Scharteke abschicke. Wenn Sie sie erst werden dechiffrirt haben — und können Sie nicht, so thu' ich's mündlich — so wird es Sie doch amüsiren; Kotzebue 1811 Grille 5 So zum Beyspiel erwähnte sein Vater eines Tages zufällig der Kunst, Briefe in Ziffern zu schreiben und alsobald quälte ihn Woldemar so lange, bis er den Knaben das Dechiffriren lehrte; Gutzkow 1838 Blasedow 214 eine Intrigue, die stark an jenen künstlichen Dechiffrirfehler erinnert, durch welchen die preußische Königswürde vom kaiserlichen Hof in Wien anerkannt wurde; Heuss 1927 Politik Wb. 36 Für den Depeschenverkehr bedienen sich die diplomatischen Dienststel-

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len eines künstlichen Wort-, Zeichen und Ziffernsystems, dessen Sinn nur zu verstehen ist, wenn d, Meldung „dechiffriert" ist. D. Enträtselungsverfahren, d. „Code", nach dem das System ausgelegt wird, ist natürlich Amtsgeheimnis; Fleischer 1978 Geschichtsprozeß 171 das Bestehen solcher verselbständigtet „Verhältnisse" handlungstheoretisch zu dechiffrieren; Zeit 19. 4. 1985 Zudem gilt es, im Text verstreute, sprachliche wie bildliche Verschlüsselungen zu dechiffrieren und Wahrheiten in versponnenen Parabeln zu entdecken; ebd. 3. 5. 1985 wer konnte die ein bis zwei Millimeter großen Buchstäbchen in Sütterlinschrift überhaupt dechiffrieren? In vierjähriger Arbeit haben zwei Wissenschaftler alle 526 Blätter entziffert; MM 3. 7. 1985 Seine groß wiedergegebenen Buchstaben, die er fast wie figürliche, körperhafte Zeichen behandelt, haben jedoch keine inhaltliche Bedeutung, die zu dechiffrieren wäre; ebd. 27. 3. 1987 seine Werke sind schließlich voll von literarischen Echos und Anspielungen, die sich dechiffrieren lassen; ebd. 10. 5. 1988 seine Gefüge aus Strichmännchen, Zeichen und Chiffren, die die Bedrohung des Menschen durch Fehlentwicklungen in Wissenschaft, Technik und Politik zu artikulieren versuchen, wollen nicht im Ästhetischen konsumiert, sondern „gelesen" und dechiffriert werden; Süddtsch. Ztg. 2.2.1994 Sigmund Freud führte die Vorstellung vom mehrdimensionalen .. Individuum ein, durch das die Ströme des Unterbewußten . . fließen, nunmehr dank der Psychoanalyse dechiffriert und kontrollierbar; Spiegel 19. 2. 1996 Obwohl Sigmund Freud den Witz längst als durchaus befreiende „Ersatzbildung", als Rhetorik des Unbewußten dechiffriert hatte, triumphierte am Ende wieder der geplante Terror des tödlichen Ernstes. Dechiffrierung: Philippi 1743 Reimschmiedekunst 254 die Cryptographic, oder Chifrirungs- und Dechifrirungs-Kunst; Bergengruen 1950 Tempelchen 8 als läge hier eine Art Schlüssel zur Dechiffrierung des Lebens und der menschlichen Schicksale bereit; Zeit 13. 12. 1985 und immer wieder mischen sich in Lust und Neugier, dem Geheimnis seiner hermetischen Bildwelt auf die Schliche zu kommen, eine eigentümliche Scheu und Berührungsangst, als zerstöre den Zauber, wer ihm zu nahe tritt. Es sind nicht „Mikrogramme", wie sie sein Landsmann Robert Waiser zur philologischen Dechiffrierung hinterlassen hat, eher Kryptogramme, die wie Findlinge in die aufgeräumte Kunstlandschaft dieses Jahrhunderts gesetzt scheinen; MM 17. 10. 1986 von einer kompletten Dechiffrierung des menschlichen Erbguts, immerhin 50000 Gene mit vier Milliarden Nucleotid-Paaren, sind die Gen-Archivare noch weit entfernt; ebd. 10. 5.1988 in ihnen kommentieren Totenkreuze, Hakenkreuze,

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Dollarzeichen und archaisch gemeinte Bildchiffren einander gegenseitig und darüber hinaus den Zustand einer desolaten Welt. Einkomponierte Buchstaben, Wörter und Begriffskombinationen sollen dem Betrachter gelegentlich die Dechiffrierung erleichtern. dechiffrierbar: Goltz 1860 Typen d. Gesellschaft l 39 Er hatte keine dechiffrierbare Physiognomie; Zeit 13. 3. 1987 bleiben Twomblys offene Bildräume im alle Begriffskonturen lösenden Licht der Anspielung. Die Bilder mögen ein ganzes Stück weit dechiffrierbar sein. Dechiffrierer: Zeit 31.1.1986 Wirklichkeit existiert von vornherein als Literatur, die Natur erscheint im Spiegel der Kultur. Nicht zufällig wohl wird der ethnologische Dechiffrierer der Zeichensprache des Übergangs (von Natur zur Kultur), Claude Levi-Strauss, mit dem Wunsch erwähnt, mit einem Kirschbaum reden zu können; Spiegel 22.8.1994 Das Vorbild ist Japan, wo in TVGame-Shows die schnellsten Dechiffrierer der Zauberbilder gekürt werden. Chiffre b: 1702 Remarques XII 94 Das OrdensCreutz ist blau/ umgeben mit schwartzen Adlern/ und in der Mitten des Königs Chifre oder verzogener Nähme (BRUNT); Marperger 1712 Naturlex. 323 Chiffre, heist eigentlich eine Ziffer, vornehmlich aber ein gezogener Nähme; Lünig 1719 Theatrum ceretn. l 783a des jetzigen Groß-Suhans seines Vaters und Groß-Vaters Nahmen in einem Chifre zusammen gezogen (BRUNT); Schlegel 1745 W. V 134 Doch welche Decke fällt vor meinen Augen nieder! Statt Namen seh ich nun nur dunkle Chiffern wieder; Lavater 1778 Physiognom. Fragmente IV 56 eine Chifer ins große Alphabeth der Physiognomik; 1779 Rhein. Beitr. II 393 Sie gruben sich also eine Chiffre oder ein Zeichen in die Haut; 1790 Journal d. Moden V 519 Der Kasten war inwendig mit grünem Sammt ausgeschlagen, und im Fond der Namens-Chiffre der Kaiserin in Gold gestickt; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA I 24,325) es ist die Chiffer [Namensabkürzung an einem Medaillon] einer Freundin; Schiller 1797 Er. V 209 Auch bitte ich um den

Nahmen Ihres Freundes oder um deßen Chiffre, wenn er unbekannt zu bleiben wünscht; Goethe 1812 Wette (WA I 10,165) eine Brieftasche mit Eduards Chiffer [Monogramm, Namenszeichen]; ders. vor 1830 Divan (WA I 7,177) An des lust'gen Brunnens Rand/ . . Wußt" ich nicht, was fest mich hielt;/ Doch da war von deiner Hand/ Meine Chiffer leis gezogen; ebd. 3,34 Augen sagt mir sagt was sagt ihr?/ .. Und indem ich diese Chiffern/ Mich versenke zu studiren,/ Laßt euch ebenfalls verführen/ Meine Blicke zu entziffern (GWB); Grabbe 1836 Theater (IV 83) ich bin leider zu stolz, meinen Namen unter fremder Chiffre zu verstecken; Springer 1868 Berlin 186 Chiffre [des Korrespondenten einer Zeitung]. Chiffre c: Welt 26. 3. 1949 um Irrtümer und unangenehme Verwechslungen bei der Zusendung von Offerten zu vermeiden, bitten wir alle Interessenten, die Chiffre-Nummer genau auf die Offertenbriefe zu übertragen; Offenburger Tagebl. 27. 8. 1960 „Braut auf Chiffre". Die Geschichte des verwitweten Eisenbahners, der sich über eine Zeitungsanzeige um eine neue Ehefrau bemüht; FAZ 30. 10. 1965 Bei Zuschriften auf Chiffreanzeigen (Überschr.) muß die Chiffrenummer immer außen auf dem Umschlag deutlich vermerkt sein. Sie besteht aus zwei Buchstaben und einer mehrstelligen Zahl; Welt 15. 7. 1974 bei Antworten auf Chiffreanzeigen immer die Chiffre-Nummer auf dem Umschlag vermerken!; Zeit 12. 4. 1985 für bestimmte Produkte, etwa Badezimmer-Utensilien wie Shampooflaschen, immer das gleiche Material zu verwenden oder zumindest mit einer Material-Chiffre zu bezeichnen; MM 12. 7. 1985 Beamte . . können möglicherweise noch böse Überraschungen erleben, wenn sie auf die Chiffreanzeigen des „Teams" in bundesdeutschen Tageszeitungen hereingefallen sind; Spiegel 9. 8. 1993 Luke aus Stahl, S. 91 Eine „Daytona, Stahl, ungetragen" zum „FP 10000 DM" etwa bietet ein Anonymus („Sorry, aus Sicherheitsgründen") im Fachblatt Uhren-Magazin unter Chiffre an; ebd. 25. 10. 1993 Da kann es schon mal vorkommen, daß sich „kichernde Sekretärinnen" (Schwarze) einen Jux machen und die unter Chiffre eingegangenen Offenbarungen im Kreis ihrer prustenden Freundinnen zum besten geben. IN

Chiliasmus M. (-; vereinzelt Chiliasmen), Ende 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. griech. (gebildet aus $ 'eine Anzahl von Tausend' und dem Suffix '(religiöse, kirchliche, politische o. ä.) Lehre, Richtung, Auffassung'; vgl. gleichbed. älteres engl. chiliasm), anfangs auch in der latinisierten (flekt.) Form. Im Bereich der christlichen Religion in der Bed. '(Lehre von der) Erwartung des Tausendjährigen Reiches nach der Wiederkunft Christi, (Glaube an ein) Tausendjäh-

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riges Reich des Friedens, das Christus mit den Gerechten vor dem Ende der Welt errichten werde (vgl. Offenbarung Johannes' 20,4 f.)' (—·· Apokalypse), auch synonym verwendet mit Millenarismus (vgl. lat. millenium 'Jahrtausend'); daneben bes. bei Kant moralisch gedeutet als Bezeichnung für den Glauben an das Fortschreiten der Menschheit zu sittlicher Vollkommenheit. Dazu etwa gleichzeitig die (über lat. chiliastae Pl. auf griech. Pl. zurückgehende) Personenbezeichnung Chiliast M. (-en; -en) 'Anhänger des Chiliasmus' und die adj. Ableitung chiliastisch 'den Chiliasmus betreffend, darauf beruhend, zu ihm gehörend; millenarisch'; Mitte 18. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Chiliasterei. Chiliasmus: 1696 (Sachsse 1884 Pietismus 354) weil in unsrer evangelischen Kirche eine Zeit her in der Nachbarschaft unter dem sogenannten pietismo sich der Chiliasmus, Enthusiasmus und dergleichen Schwärmerei hervorgethan; 1700 Monatl. Auszug Jan. 36 daß im Dialogo Lehren zu finden/ die denen/ so in den Apologien enthalten/ gantz zu wider/ ja auch mit des Dialogi Sätzen selbst nicht übereinstimmen/ wo sonderlich weitläufftig der Locus von Chiliasmo ventiliret und bewiesen wird; 1716 Fama LV 476 es habe sich der Chiliasmus des heil. Johannis zu denen Zeiten des Käysers Constantini M. oder mit dem vierdten Seculo angefangen; Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien II 10,272) alle unpartheyische Gemüther, sie mögen es mit dem reinen Chiliasmo halten, oder das Ende der Welt näher setzen; Hamann 1781 Briefw. IV 316 Unter den Neuigkeiten so ich gelesen, steht die Apologie der Apokalypse, die kritische Geschichte des Chiliasmus, deren Verf. ich gern wißen möchte; Kant 1793 Religion (Ges. Sehr. VI136) der Chiliasmus, die Ankündigung der Naheit des Weltendes; Reit 1817 Kl. Sehr. 191 der philosophische und theologische Chiliasmus, nämlich die Hoffnung des ewigen Friedens und der vollendeten moralischen Besserung, sind Chimären, mit welchen sich die unerfahrene Gutmüthigkeit täuscht; Steffens 1841 Was ich erlebte IV 394 Ich möchte diese Verirrung den Chiliasmus begeisterter Künstler nennen; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre 111 60 In der einen Weissagung war es Christus, in der ändern einer der alten Kaiser, der am Ende der Tage die Reinen unter seinen Heerschild versammeln sollte. Er erkannte in diesem Chiliasmus eine wunderbare Ahnung von dem göttlichen Inhalt der Geschichte; /. Grimm 1846 (Verhandlungen d. Germanisten zu Frankf. am M. 105) unserm germanist steht darum germanismus, . . dem chiliast chiliasmus, dem enthusiast enthusiasmus zur seite; Schieiden 1855 Studien 247 der Geschichte des Chiliasmus (des Dogma's von der Zukunft des tausendjährigen Reiches); 1867 Gartenlaube 329 in den Erwartungen des tausendjährigen Reiches, welche man unter dem Namen „Chiliasmus" begreifft; Köpke 1872 Kl. Sehr. 43 der

Pietismus sei ein Fanaticismus, in dem Enthusiasmus, Perfectismus, Libertinismus, Chiliasmus und Skepticismus verborgen seien; Sachsse 1884 Pietismus 369 ein E d i k t . . wider die Pietisten und Fanatiker, welche das Predigtamt, Gottesdienst, Beichte, Abendmahl und Kindertaufe verachten, Chiliasmus, unmittelbare Erleuchtung und Offenbarungen lehren oder sich von der Kirche separieren; Wernle 1901 Anfänge 289 Auch der ganze Chiliasmus der alten Christen setzt Feindschaft gegen den Staat voraus; Patjuet 1915 In Palästina 128 die exegetischen Schriften Johann Albrecht Bengels, eines . . wegen seiner merkwürdigen Weissagungen berühmten Kirchenmannes, der zum Vater einer geschichtlichen Periode des christlichen Chiliasmus geworden ist; 1929 ]ahrb. Dichtung 148 saintsimonistischer Chiliasmus der nachromantischen Generation; Wieser 1932 Poiret 17 Zwar war er vernünftig und illusionsfrei genug, sich nicht dem Chiliasmus und dem schrankenlosen Enthusiasmus hinzugeben; Jaspers 1958 Atombombe 383 sektiererische, schnell erlöschende Chiliasmen; 1961 Häresien 280 Der religiöse Chiliasmus unserer Zeit; Hobsbawm 1962 Sozialrebellen 93 Die Anarchisten sind besonders dadurch interessant, daß ihr Chiliasmus sich völlig von traditionellen religiösen Formen getrennt hat und in militant atheistischer, antichristlicher Gestalt erscheint; Dülmen 1977 Reformation 9 Allein in Müntzers radikaler Reformation und im Chiliasmus des Münsteraner Täufertums kam es zur Dekkung von sozialer Hoffnung und religiösem Änderungswillen. Chiliast: Ettner 1700 Apotecker 324 Wer ihme eine tausentjährige Wollust-Zeit mit denen Phantastischen Chiliasten einbildet; 1715 Fama XL/V 630 daß die heutigen Juden . . ein noch künfftiges Reich des Meßiä mit denen Chiliasten hoffeten; Gichtel 1722 Theosophia Practica 71 Dazumal ist er . . der Lübeckischen Priesterschaft bekandt worden, weil er einen ernsthaften Brief dorthin an sie geschrieben, dafür sie diesen Rüstzeug Gottes einen Schwermer und Chiliasten geheissen; Biantes 1731 Historicus 8 Zu seinem grösten Unstern kam er über allerhand mystische und solcher Leute

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Chimäre

Schrifften, denen man den Nahmen der Chiliasten beyleget, in welchen er sich dermassen vertieffte, daß er erstlich auch ein Chiliast, am Ende aber gar ein Phantast wurde; Lessing 1754 S. Sehr. V 390 Man wird es nunmehr bald merken, daß dieser neue Prometheus ein ehrlicher Chiliaste ist; Hamatin 1784 Briefw. V 290 Wozu verfährt der Chiliast mit diesem Knaben Absalom so säuberlich?; Hehn 1839-40 Reisebilder 98 bei dem Glauben der Chiliasten an die Wiederkehr Christi ums Jahr 1000; Kurz 1843 Schillers Heimatfahre III 62 Freilich werden Sie neben meinen ändern Liebhabereien den Pietisten und Chiliasten schwerlich in mir vermutet haben; Schopenhauer 1859 S. W. /// 75 Daher die Kreuzzüge, die Ausschweifungen fanatischer Sekten, daher Chiliasten und Flagellanten; Menzel 1871 Unrecht 209 Die das glaubten, hießen Chiliasten oder Millenarier; Frommel 1889 Einwärts 194 Die Chiliasten nehmen an, daß noch in diesem Weltlauf auf der unerneuerten Erde eine Zeit kommen werde, wo der Satan die Gläubigen nicht mehr versuchen und anfechten könne; Wernle 1901 Anfänge 304 Selbst ein so gebildeter Christ wie Justin ist Chiliast mit ganzer Seele; Hauptmann 1910 Quint 490 Der Parakletus, Kirchenväter, Namen vieler christlicher Sekten wurden durcheinander genannt und . . mit den Tagen der frühesten Christengemeinden angefangen, . . Nazarener .. Donatisten . . und Chiliasten durchgenommen; Heilborn 1929 Revolutionen 1177 Das Sektenwesen gedieh. Man hört vom Treiben der Chiliasten und Neutäufer. Chiliasterei: Bengel 1751 Brüdergemeine (Zinzendorf, Materialien U 10,244) Diesen Satz will ich so ausführen, daß niemand soll ohne Verleumdung sagen können, ich habe die Chiliasterey bey der Widerlegung des neumährischen Kirchen-Periodi zu Hülfe gezogen. chiliastisch: Ettner 1700 Apotecker 1148 Wo denn die Phantastischen Propheten ihren Platz hätten/ die vom Jüngsten Tag/ von Chiliastischen tausent Jahren/ von vielen ändern Wunderwercken denen Leuten vorschwatzten; Zinzendorf 1739 Gespr. I 139 so adoptirten die rigiden Lutherischen Theologen diesen Namen [Pietist], und wolten damit anzeigen: 1. . ., 3. Einen Menschen, der allerhand

lehre, das weder Pelagianisch, noch Semipelagianisch, . . Chiliastisch, u.s.f. ist; Kant 1798 Ges. Sehr. VII 68 Aber ihm [das Buch, die Bibel] die Ewigkeit zu verbürgen, oder auch es chiliastisch in ein neues Reich Gottes auf Erden übergehen zu lassen, das übersteigt unser ganzes Vermögen der Wahrsagung; Görres 1819 Ges. Sehr. XIII 137 Man mag solche Ansicht chiliastische Thorheit schelten; Sachsse 1884 Pietismus 204 Die chiliastischen Erwartungen der ältesten Kirche, beruhend auf buchstäblichem Verständnis alter Weissagungen und gestützt durch das 20. Capitel der Offenbarung; Wernle 1901 Anfänge 265 Die chiliastischen Phantasien beherrschen nicht nur kritiklose Bischöfe wie Papias; Wiegler 1916 Figuren 48 Sie verwechselt die Heiden mit den Hussiten, die sie verabscheut, obwohl sie des nämlichen chiliastischen Geistes voll sind; Diehl 1920 Diktatur 46 die chiliastischen Hoffnungen [der Bolschewisten] auf ein kommendes neues Weltreich, das allen Menschen in der Zukunft neues Heil bringen soll; Baumgarten 1929 Lebensgesch. 349 Sprung ins Eschatologische, Apokalyptische, Chiliastische; Solger 1930 Gott u. Staat 87 chiliastische Utopien; Hausenstein 1935 Wanderungen 73 Frömmigkeit, der die Ahnung von Weltgewittern chiliastisch innewohnt; Jaspers 1958 Atombombe 380 da gilt keine Norm, sondern das Neue (solches Denken geht auf das Ende, das Anfang ist; es heißt eschatologisch und chiliastisch . .); Welt 20. 5. 1959 die vernünftige Einordnung der Sozialgeschichte, der Tatsache, daß Karl Marx eine historische Größe ist, in die Gesamtgeschichte, ohne daß darum die Person Marx und die von ihm gepredigte chiliastische „Endlösung" als Götzendienst betrieben wird; Hobsbawm 1962 Sozialrebellen 26 Niemand wird die revolutionäre Potenz chiliastischer Bewegungen leugnen; Dülmen 1977 Reformation 58 Der totale Änderungswille mußte innerhalb einer religiös legitimierten Gesellschaftsordnung umschlagen in chiliastischen Protest; Spiegel 26.4.1993 So alt wie das Christentum selber sind der Glaube an die unmittelbar bevorstehende Wiederkehr des Religionsstifters und die Hoffnung auf das verheißene Tausendjährige Friedensreich. Doch während diese Überzeugungen chiliastischer Sekten in Europa, durch die katholische und protestantische Orthodoxie unterdrückt, nur wenige Anhänger gewinnen konnten, ist der Endzeitglauben in den USA zu einer „Theologie des Volkes" geworden. OV

Chimäre F., auch Schimäre (-; -n), anfangs selten auch N., im früheren 16. Jh. über lat. chimaera entlehnt aus gleichbed. griech. , eigentlich 'Ziege', dann Name eines feuerspeienden Ungeheuers der griech. Mythologie, das in seiner Körpermitte einer Ziege ähnelt; anfangs gelegentlich lat. flektiert und in den Schreibungen Chymera, Chimaera, im 17./18. Jh. unter Einfluß von frz. chimere auch Chimere.

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Zunächst und selten bis ins 20. Jh. als Bezeichnung für ein phantastisches Ungeheuer mit Löwenkopf, Ziegenleib und Drachenschwanz, vereinzelt auch für 'Monstrum'; seit früherem 16. Jh. meist übertragen und heute vor allem bildungsspr. verwendet in der Bed. 'Hirngespinst, Phantasiegebilde, Trugbild, Wahnvorstellung; Gespenst' (s. Belege 1534, 1592, 1670, 1696, 1737; -+ Phantom); gelegentlich in der Wendung einer Chimäre nachjagen. Daneben in neuester Zeit als Terminus der Botanik und Zoologie zur Bezeichnung eines Organismus oder eines einzelnen Triebs, der aus genetisch verschiedenen Zellen aufgebaut ist (s. Belege 1985, 1986, 1987, 1994), z. B. in Zss. wie Chimärenwesen, -bildung, -kreuzung. Dazu seit späterem 17. Jh. die adj. Ableitung chimärisch (< gleichbed. frz. chimerique), anfangs auch chimensch und in der frz. Form, seit dem 18. Jh. gelegentlich auch in der Schreibung schimärisch, für 'phantastisch, trügerisch, eingebildet, grillenhaft, auf Einbildung beruhend', und in jüngster Zeit die gleichbed. adj. Ableitung chimärenhaft. Chimäre: Luther 1531 Tischreden (W. I 54) Darum sind die Canonisten, des Papsts Heuchler und andere Ketzer ein recht Chimära und gräulich Wunderthier, welches am Angesicht ist wie eine schöne Jungfrau und der Leib ist wie ein Löwe, aber der Schwanz ist wie eine Schlange, das ist, ihre Lehre gleißet schön, scheinet hübsch, und was sie lehren, das gefällt der Vernunft wol und es hat ein Ansehen; Franck 1534 Lob d. Torheit 114 eben auf dise weisz fertigen sie [die Theologen] ab ir Chimeram (das ist ir seltzam wunderpredig), dergleichen Horatius auch nit hat mögen ihe abfertigen und mit seiner kunst erreichen; Forster 1539—56 Frische Teutsche Liedlein 4 Auch hab ich allein mit vieren, vnd nicht mer stimmen, vnd allein Teutsche Liedlin, vnd nicht dergleichen Chimeras, wie bißher zum teil geschehen, on allen fleiß zusamen geklaubt; Perneder 1544 Summa Rolandina 4b Chimera; Gutmar 1592 Kennzeichen kathol. Rel. 98 Wist jhr nicht daß die vnsichtbare, vnerkandtlich Kirchen, kein Kirchen, vnd inn Summa nichts anders ist, dann ein Chimera . . blawe Dunst vnd Nebelkappen?; Rollenhagen 1595 Froschmeuseler I 178 Wie solch tier Hercules bezwang,/ Vorn leu, mitten geis, hinden schlang,/ Das die alten chimaeram hießen; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 49 fantastische chymeras; Messerschmid 1618 Garzonis Narrenspital l häßlicher dann die Chimaera; 1649 Wurm 5 sondern dieses Wurms [unvernünftige Gedanken] Eygenschafften vnnd Natur klärlich ersehen, will ich erstlich so kurtz als jmmer müglich, diesen Wurm beschreiben, damit er vns nicht wie eine Chimera oder Hyppocentaurus vorkomme, sondern desto besser in einem jeden Herren gewürmten erkennet werden möge; Becher 1670 Bericht Flb dass einige und lose Spottvögel, wanns auch Doctoren wären, diese Indischen Landen, eine Chimaeram, ein Schlaraffen Land, Königreich im Mond nennen, ist nicht nöthig zu be-

antworten; Hörl 1677 Bacchusia 184 dass in der Werckstatt dess Hirn solche Chimerae nicht geschmidt werden; Lebenwaldt 1680 Teufels List IV 15 es ist kein Chymera, oder Ensrationis zu erdenkken/ welcher mehr fantastischer seyn kan/ als ihre imaginationes; Seckendorff 1685 Christenstaat II 84 sie hätten eine Ideam . . eines solchen Wesens/ sondern würden es für eine Chimaeram und thörichte Phantasey halten und verlachen; Winckler 1696 Edelmann 379 daß nemlich kein solch warhafftiges Wesen in der That vorhanden . . und dasselbe nur eine politische Chimära sey; Trier 1708 Gemüths-Bewegungen 383 Er bildet sich auch zuweilen wunderliche Chimeren und Ebentheuer in seinem Gehirn ein (BRUNT); 1711 Fama LX 981 die ungereimtesten Chimeren; Marperger 1717 Beschr. d. Banken 315 Allein der gütige LandesVater welcher mit dergleichen Chimaeren das Commercium seiner getreuen Unterthanen niehmals zu turbiren im Sinn gehabt; Rohr 1718 Staatsklugheit 706 die nicht in chimären bestünden, sondern practicable wären; Schröder 1737 SchatzKammer 26 chimaeren, und Ungewisse dinge; Bodmer 1752 Noah 79 Plötzlich sieht das Auge vor ihm in solchen Gestalten Gorgonen und Chimären, mit Zangen, Stileten und Rüsseln; Milton 1754 Verl. Paradies (Übers.) I 81 Anm. Chimären, Hydren, und scheussliche Gorgonen; Wieland 1755 Betrachtungen (Ges. Sehr., Supplbd. IV 91) dass [Menschen] von einer Schimäre, einem leeren Getön getäuscht, Zerstörer der Welt werden können; Basedow 1764 Philalethie l 7 meinen Sohn nicht in die philosophischen Collegia schicken, ich würde vermuthen, dass er sich . . mit vielen Chimären beschäfftigen müsste; 1766 — 67 Merkwürdigkeiten 435 daß der Name Scandinavia für die gesammten drey Nordischen Reiche nur eine Chimäre der neuern Geographen sey; 1783 Berlin. Monatsschr. l 124 Wenn nur unsere Kameralisten von der Chi-

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märe abgehen wollten, Kolonien durchaus mit Fremden besetzen zu wollen!; 1793 Journal d. Moden VW 167 Wenn keine allgemeine Güther-Theilung Statt haben soll, sagen sie, was hilft uns Gleichheit der Stände, die dann nur eine Chimäre ist; Lern 1797 Waldbruder 73 wenn er sähe, dass seine Leidenschaft für die Gräfin eine blosse Schimäre sey; Siebenkees 1799 Archäologie l 16 Die Wahrheit wird verletzt, wenn der Künstler bey seinen Darstellungen alleine nach subjectiven Vorstellungen handelt, ohne objective Gründe für seine Darstellungsart zu haben. Darstellungen dieser Art heissen Künstlerchimären, manierirt; 1802 Almanach d. Fortschritte 282 Beweis, dass das System der natürlichen Grenzen eine Chimäre sey; Reil 1817 Kl. Sehr. 191 der philosophische und theologische Chiliasmus, nämlich die Hoffnung des ewigen Friedens und der vollendeten moralischen Besserung, sind Chimären, mit welchen sich die unerfahrene Gutmüthigkeit täuscht; Dalberg 1830 Betrachtungen 67 ein Hirngespinst (eine Chimaire); 1854 Prutz' Museum 11 303 Bevor nicht das Räthsel unserer politischen Einheit . . seine Lösung findet, muss auch jede andere Einheit eine Chimäre bleiben; Holtet 1863 Letzte Komödiant l 96 Abweichungen vom Naheliegenden und Leichterreichbaren, um nach Schimären zu haschen; Springer 1868 Berlin 2 „Geld ist nur Chimäre!" das soll heissen: Das Geld sei ein eingebildetes Äquivalent für die wirklichen Lebensgüter; Fontäne 1898 Zwanzig 275 Gold, ach Gold ist nur Chimäre; Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 41 Ewiger Frieden und soziale Gleichheit sind beides Chimären; Werfet 1924 Verdi 31 da hatte sich seine Unruhe als Chimäre entpuppt; Lokal-Anz. 19. 9. 1934 Homer schildert ein unter dem Namen „Chimära" bekanntes Erdfeuer als ein feuerspeiendes Ungeheuer, das vorn Löwe, in der Mitte Ziege, hinten aber Schlange war und das Land verwüstete. Auf Münzen von Korinth und anderen Städten erscheint das Erdfeuer als dämonisches und flammenspeiendes Wesen dargestellt; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 528) Schönheit, die nicht die Wahrheit für sich hätte, sich nicht auf sie berufen dürfte, nicht aus ihr und durch sie lebte, wäre leere Chimäre; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XU 493) Reibt euch doch endlich die Rousseau'schen Chimären aus den Augen und seht euch die Dinge an, wie sie sind; Näf 1954 Bilder 162 dass die Neuen Realitäten nicht schon ihrer Definition nach eine Schimäre zu sein brauchen; Glaser 1964 Spießer 191 Von der Chimäre des Gewissens wolle er das deutsche Bürgertum befreien, hatte einst Stammtischpolitiker Hitler zu Hermann Rausching gesagt; Keller 1970 Licht o. S. als Todessymbole bevölkern auch wilde, reißende Tiere und Ungeheuer die Welt der Toten . .: Chimären und Sphinxen, Löwen,

Panther und Greifen; Zeit 6. 9. 1985 dabei entstehen Antikörper-Schimären, also Abwehrmoleküle, die teils vom Menschen, teils von der Maus stammen; MM 3. 9. 1986 das Klonen und das Erzeugen von Hybriden oder Chimären aus Mensch und Tier [will er] ebenso strafrechtlich verbieten wie die eugenische Zuchtwahl; Zeit 23. 1. 1987 ein strafrechtliches Verbot . . für . . die Chimärenbildung aus menschlichen und tierischen Embryonen; MM 7. 12. 1989 Wer sie [Platte] nur oberflächlich abspielt, dem entsteht indes nur der Eindruck einer seltsamen Chimäre aus Country- und WesternKlängen und Folkrock; Süddtsch. Ztg. 21.10. 1993 Das imposanteste Stück ist ein weißer Meißen"Untierkrug" in Form einer Chimäre; Spiegel 15. 8. 1994 Ausgeschlossen von öffentlicher Förderung werden dagegen die Aufzucht von Chimären (Mischwesen wie etwa Zwitter aus Schaf und Ziege) sowie die künstliche Befruchtung zwischen verschiedenen Arten. chimärenhaft: Zeit 12.4. 1985 gegen solche Zugeständnisse müßte der amerikanische Präsident von seinen schimärenhaften Wehraumplänen ablassen. chimärisch: Sohle 1669 Kichote 170 Ihre Schönheit ist vbermenschlich/ weil in und an ihr alle die Unmüglichkeiten un Chimerische Zueignungen und Beschreibungen der Schönheit . . vollkömblich erfüllet werden; 1690 Opium Gallicum 2 Die Jugendliche Thorheit, die Chimerische Einbildung einer grossen Fortun; 1711 Neue Bibliothek XV 396 Er vermeinte genügsame Ursache zu haben/ die angerühmte Gemüths-Ruhe der Philosophen vor chimerisch zu halten; Mencke 1716 Charlatanerie 125 ein chimerisches Echo; Durangel 1722 Wegweiser 147 Chimeriques Concepten; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 48 Der Tobac stincket nicht/ als nur einigen allzu delicaten Frauenzimmer Nasen/ die zum Theil eine Zärtlichkeit affectiren/ die/ wenn man solches nicht wüste/ man für chimerique halten sollte; Bodmer 1746 Mahler l 174 ich wollte daß sie ihre erdichteten Plagen mit erdichteten Freuden ersetzten, weil doch gewiß ist, daß die chimerischen Freuden eben so gut ergetzen als die wahrhaften; 1752 Leipz. Samml. VIII Vorr. LI aus Chimeriquen Vorstellungen erdichteter Städte; Schlettwein 1763 Abb. 13 diese Idee nicht für chimärisch halten; Sonnenfels 1768 Er. 470 ein schimärischer Entwurf, das Theater auf einen besseren .. FUSS zu setzten; Iselin 1770 Sehr. I 229 Sie haben Ursach, dass Sie diesem Jüngling die Hoffnung besserer Zeiten als eine chimärische Grille abschildern; Wieland 1773 Agathon (S. W. II 235) Es mag immer viel Verblendung, viel Überspanntes und Schimärisches in der Liebe seyn; Kant 1787 Kritik d. reinen Vernunft (Ges. Sehr. III 247) Daß niemals

Chip ein Mensch demjenigen adäquat handeln werde, was die reine Idee der Tugend enthält, beweiset gar nicht etwas Chimärisches in diesem Gedanken; Wezel 1790 H. u. V. 111 59 Er hat das Schimärische der Liebe eingesehn; l#04 Überblick Einl. V ein verderblicher, jeder Regierung höchst nachtheiliger Auswuchs der schimärischen geistlichen Universalherrschaft; Jacobs 1813—14 Reden 64 schimärische Hoffnung gottvergessener Demagogen; W/ v. Dörring 1827 Lubrucationen 146 das ganze chimärische Gebäude; Reichensperger 1840 Verm. Sehr. 3 erklärten den Gedanken der Vollendung des [Kölner] Domes für einen chimärischen; Stein 1842 Soz. 4 als später die Ruhe zurückkehrte und ernste Fragen an die Stelle chimärischer Pläne traten, erschien der Fourierismus; Haym 1849 Nationalvers. II 134 das Chimärische ihrer Forderungen; Frantz 1862 Kritik aller Parteien 215 die Ursache, welche alle Projecte eines allgemeinen Völkertribunals chi-

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märisch macht; Geyer 1890 Er!. 166 Illusionen und chimärischen Hoffnungen; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. 111 672) er hielt auf das chimärische, oft ganz im Wetterdunkel verschwindende Etwas zu; Curtius 1930 Frz. Kultur 192 Der chimärische Wahn, alles von heute auf morgen neu und besser zu machen; Th. Mann 1950 Reden u. Aufs. (W. IX 788) für ihn [Michelangelo] ist, recht platonisch, der Gott im Liebenden, nicht im Geliebten, der nur das Mittel göttlicher Begeisterung ist, und wie sehr er den himmlisch-chimärischen Tag ersehnt, den Tag der Verheißung; Adorno 1958 Noten l 103 die schimärische Sehnsucht der Sprache nach dem Unmöglichen; Zeit 5. 12. 1986 es sind lauter mehr oder weniger abstrakte Kompositionen, die vielleicht um so chimärischer sind, je mehr sie beanspruchen, die Realität zu erfassen; ebd. 9. 3. 1990 die Politik kommt auch am Ende des 20. Jahrhunderts nicht ohne ein Schattenreich chimärischer Symbole aus. OV

Chip M. (-s; -s), seit späterem 19. Jh. selten, erst seit Mitte 20. Jh. häufiger belegte Entlehnung aus gleichbed. engl. chip, eigentlich 'Schnipsel, Splitter' (zu mittelengl. chippen 'schneiden'). a Zunächst nur (z. B. 1871 bei Sanders) gebucht in der Bed. 'abgesplittertes Stück, bes. vom Feuerstein'. b Seit Mitte 20. Jh., meist plur. gebraucht, in der Bed. 'in heißem Fett gebackene, gewürzte knusprige Kartoffelscheiben' (vgl. Pommes frites), bes. in der Zs. Kartoffelchips. c Etwa gleichzeitig in der Bed. 'Spielmarke aus Plastik bei Glücksspielen (z. B. Roulett); Wertmarke, Gutschein zur Bedienung von Automaten und automatischen Fahrzeugen (bes. auf Jahrmärkten)' (—> Jeton), früher gelegentlich abwertend gebraucht in der Zs. Alu-Chips 'Hartgeld der DDR'. d In neuerer Zeit als Terminus der Mikroelektronik in der Bed. 'sehr dünnes, kleines, rechteckiges Plättchen aus Halbleitermaterial, auf dem elektronische Bauelemente angeordnet sind', häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Halbleiter-, Speicher-, Pentiumchip; Chipkondensator, -Industrie, -herstellung, -fabrik, -fertigung, -karte 'einen programmierbaren Mikroprozessorchip enthaltende Kunststoffkarte, Kreditkarte'; in neuester Zeit auch übertragen gebraucht (s. Beleg 1993). Chip a: vor 1871 Globus IX 20b Chip (SANDERS 1871); Barnes 1933 Lebensmittellex. 32 Chips, Zimtabfälle, Zimtbruch. Chip b: Münch. Abendztg. 5. 1. 1951 Fisch und die unvermeidlichen chips — in längliche Stücke zerschnittene, gebackene Kartoffeln . . fish and chips also sind sozusagen das tägliche Brot des kleinen Mannes in England; Offenburger Tagebl. 7. 10. 1959 Kartoffel-Chips und Tiefkühlwaren aus Kartoffeln standen dabei im Mittelpunkt des Interes-

ses; FAZ 15. 9. 1964 [Bahlsen] wird vom nächsten Monat an als größter deutscher Lieferant von Kartoffel-Chips auftreten; ebd. 18. 3. 1970 Kartoffelchips für 130000 Mark werden die Olympiateilnehmer von 1972 in München gratis zu essen bekommen; Zeit 20. 9. 1985 Hier stellte sich heraus, daß die Chips, die der Patient mit viel Ketchup verspeist hatte, keine Kartoffelprodukte waren, sondern aus Schaumstoff bestanden. Verpackungsmaterial waren sie; MM 12. 6.1987 und abends Chips beim Krimi; Spiegel 28.11. 1994 Das Zeug

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[Aromastoffe] wird dem Kakaopulver beigemengt und verschiedenen Instant-Kaffees, in Chips und Crackern verbacken. Chip c: Wege 1936 Baldachin 55 kaufte einen Chip, setzte auf Ungnade und verlor; Offenburger Tagebl. 10. 3. 1967 so lange, bis der Fahrgast bestimmte Fahr-Chips in einen Münzschlucker wirft und dadurch den Start freigibt; Mittelbayer. Ztg. 17. 12. 1969 Ihre Gesichter strahlen noch genauso wie die ihrer Großmütter und Großväter, wenn sie für ein Fünferl ein paar Minuten lang fahren durften. Heute kauft Mama für 40 Pfennig einen Chip (AWB); Stern 8. 10. 1987 Aral verteilt an Ölkunden einen neuen „Umwelt-Öl-Chip", der zur Rückgabe verbrauchten Schmiermittels berechtigt; Rhein. Merkur 29. 6. 1990 sieben Tonnen EinMark-Chips und Zwei-Mark-Chips im Wert von 3,2 Millionen DDR-Mark ruhen in den beiden gepanzerten Lastwagen.

Chip d: 1975 Lex. mod. Konv. 40 Integrierte Schaltkreise, die auf einem Wafer angebracht werden. Sie sind die kleinste zusammenhängende Einheit eines Computersystems und haben die Größe von 4 mal 4 mm. Jeder Chip nimmt bis zu 20000 Transistorfunktionen auf; Bunte 11.4. 1979 Diese Massenproduktion der Chips machte zunächst die Taschenrechner spottbillig, dann quarzgesteuerte Uhren preiswert (beide AWB); MM 19.4.1986 Chips bestehen aus Silizium, das durch fotografische Vorbehandlung, durch Ätzen und Aufdampfen zum Träger extrem dicht gelagerter elektronischer Halbleiterelemente umgewandelt wird; Zeit 8. 12. 1989 beim Wettrennen um die jeweils nächste Chip-Generation zählen nicht Jahre, sondern Monate; Spiegel 15. 2. 1993 Fußball funktioniert beim AC Mailand wie ein Computer, defekte Chips werden umgehend ausgewechselt; ebd. 26.2. 1996 Alle 2,5 Millionen EC-Karten in der Alpenrepublik haben jetzt den Speicherchip. OV

Chir(o)-, chir(o)-, seit Anfang 15. Jh. nachgewiesener, auf griech. 'Hand' zurückgehender, erster Bestandteil von Entlehnungen aus dem Lat./Griech. wie —» Chirurg, —> Chirurgie, Chiromantie, Chirograph, Ch(e)ironomie (s. u.), oder neoklassischen Bildungen wie Ch(e)irologie, Chirognomie, Chiroplast(ik), Chiropraktik, Chirotherapie, Chirogymnastik (s. u.). In der Bed. 'mit der Hand vorgenommen, ausgeübt; Hand-': z. B. zuerst nachgewiesenes Chiromantie F. (-; ohne PL), über gleichbed. lat. chiromantia entlehnt aus griech. (aus ( )- und '(Gabe der) Prophezeiung, Weissagung'), früher in lat. (flekt.) und roman. beeinflußten Formen wie Chiromantia, Chiromanda, und in (Schreib-)Formen wie Chiromanc(e)i, Choromantei, im 20. Jh. auf historische Verhältnisse beschränkt in der Bed. '(Kunst der) Wahrsagung, Schicksalsdeutung aus den Handlinien', mit der seit früherem 18. Jh. (1734 bei Weber) nachgewiesenen (auf lat. chirotnantes Pl. zurückgehenden) Personenbezeichnung Chiromant M. (-en; -en), anfangs in der lat. Form, für 'Handleser, Wahrsager; Zigeuner', daneben schon im 16. Jh. Chiromanticus, im 18. Jh. Chiromantist und im 19. Jh. Chiromantiker, und der seit Ende 17. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitung chiromantisch, z. B. in Syntagmen wie chiromantische Fakultät, Wissenschaft, Wahrsagung; vgl. teilsynonyme Bezeichnungen für Formen der Deutung von Handlinien und -bewegungen wie seit Anfang 19. Jh. (1813 bei Campe) nachgewiesenes Cheirologie, auch Chirologie F., aus chir(o)- und -(o)logie 'Lehre, wissenschaftliche Disziplin, (Fach-)Wissenschaft' (zurückgehend auf griech. 'Wort, Rede; Inhalt; Vernunft, Überlegung, Nachdenken', zu 'sammeln; sagen, vortragen'), in der Bed. 'Charakter- und Konstitutionsdiagnostik aus der Beschaffenheit, Form und Linien der Hände', auch für 'Kunst, sich durch Handbewegungen, Finger-, Zeichensprache verständlich zu machen (bei Taubstummen); Lehre von den Bewegungen der Hände (beim Reden)' (vgl. Gestikulation, Daktylologie), mit dazugehörigem, seit dem 19. Jh. (1838 bei Heyse) nachgewiesenem Chirologe M. (-en; -en), Chirologin F. (-; -nen) 'in der Hand- oder Fingersprache Kundige(r)', und (1863 bei Kalt-

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Schmidt) dem Adj. chirologisch; seit fr herem 18. Jh. (1734 bei Weber) Ch(e)ironomie F. (-; ohne PL) < gleichbed. lat. chironomia/griech. χειρονομία (aus χειρ(ο)und νόμος 'Gesetz; Sitte, Brauch; Wissensgebiet', zu νέμειν 'ab-, zu-, verteilen'), in der Bed. 'kunstgerechte, malerische Bewegung der H nde beim Tanz, um dadurch etwas auszudr cken' (—»· Pantomimik), mit (auf griech. χειρονόμος 'jmd., der die H nde beim Tanzen bewegt; gestikuliert' zur ckgehendem) Chironom M. (-en; -en) 'Geb rdenk nstler', auch 'Taschenspieler, Gaukler' und dem Adj. ch(e)ironomisch, vom sp ten 19. Jh. (Brockhaus 1883) bis heute vereinzelt gebuchtem Chirognomie F. (-; ohne PL), aus chir(o)- und -gnomie (zur ckgehend auf griech. γνώμη 'Wissen, Beurteilung'; vgl. engl. chirognomy; Ggs. —* Physiognomie). Seit fr hem 16. Jh. nachgewiesenes, aus gleichbed. lat. chiragra/griech. χειράγρα entlehntes Chiragra N. (-s; ohne PL) 'Gicht in den Hand- und Fingergelenken; Handgicht' (im Unterschied zu Podagra 'Fu gicht'), mit der gleichzeitig nachgewiesenen adj. Ableitung chiragrisch. Seit sp terem 16. Jh. Chirograph N. (-s; -en), ber gleichbed. lat. chirographum entlehnt aus griech. χειρόγραφον (subst. N. zu χειρόγραφος 'mit der Hand geschrieben', aus χειρ(ο)- 'Hand-' und -γράφος, zu γράφειν 'einritzen, zeichnen, schreiben'), anfangs in der lat. Form Chirographum, juristischer Fachausdruck f r 'eigenh ndige Unterschrift, Unterzeichnung, Handschrift zur Beurkundung von etwas (oft in Form eines Kreuzes)', speziell im kaufm nnischen Bereich f r 'einfache, handgeschriebene Schuldverschreibung' (im Unterschied zum Pfandbrief, Wechsel), mit seit fr hem 17. Jh. nachgewiesenem (aus lat. chirographarius entlehntem) Chirographar M. (-s; -e) 'Gl ubiger auf handschriftliche Schuldverschreibung; Buchgl ubiger' und dem Adj. chirograph(ar)isch 'handschriftlich', z. B. im (aus sp tlat. creditor chirographarius lehn bersetzten) Syntagma chirograph(ar)ischer Gl ubiger. Seit fr herem 19. Jh. (gebucht 1838 bei Heyse) Chiroplast M., zur ckgehend auf gleichbed. griech. χειρόττλαστος (aus χειρ(ο)- und -πλαστός 'gebildet, geformt (von Ton, Wachs)', zu ττλάσσειν 'bilden, formen, gestalten'), veraltete Bezeichnung f r eine (von dem Londoner Musiklehrer Logier erfundene) Vorrichtung zur richtigen Handhaltung beim Klavierspielen; gleichzeitig gebuchtes Chiroplastik F., aus chir(o)- und -plastik (zur ckgehend auf griech. ττλάσσειν 'bilden, formen, gestalten'; —> Plastik), f r 'Handbildnerei, Kunst, aus weicher, knetbarer Masse oder Materialien (Wachs, Ton) Bildwerke zu formen'. Seit fr herem 18. Jh. (1734 bei Weber) gebuchtes, veraltetes Chirotheke F., aus chir(o)- und -theke (zur ckgehend auf griech. θήκη 'Beh lter'), f r 'wund rztlicher Handschuh aus die ganze Hand einh llenden Binden; Handverband' (vgl. Chirothecae, in Antike und Mittelalter Bezeichnung der zum Ornat der Bisch fe und Kaiserkr nung geh renden Handschuhe). Seit den 30er Jahren des 20. Jhs. vereinzelt die Berufsbezeichnung Chiropraktiker M. (-s; -), Chiropraktikerin F. (-; -nen), 'Arzt/ rztin, der/die durch Massage des R ckgrats Muskel verspannungen l st', mit der dazugeh rigen adj. Ableitung chiropraktisch und in neuerer Zeit nachgewiesenem Chiropraktik F. (-; ohne PL) als Bezeichnung f r eine von dem amerikanischen Therapeuten D. Palmer entwickelte Heilbehandlung, die in der manuell vorgenommenen Einrenkung von Wirbeln, Bandscheiben und Gelenken besteht, und in j ngster Zeit unter der Bezeichnung Chirotherapie F. (-; ohne PL) auch von der Schulmedizin anerkannt wird; vgl. daneben in j ngster Zeit nachgewiesenes Chirogymnastik F. (-; ohne PL), aus chir(o)-

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und —> Gymnastik, als Bezeichnung für eine mit manueller Unterstützung durch den Therapeuten vorgenommene Form der Krankengymnastik, mit der dazugehörigen adj. Ableitung chirogymnastisch. um 1400 Ackermann XXXIII 29 Ydromancia, in wassers gewurke der zukunftigkeit entwerferin . . Chiromancia, nach der hende vnd nach des teners kreisen hübsche warsagerin; Volkslied 1418 (Liliencron l 238) maister in chiromacie; Fries 1519 Spiegel d. Arznei 154a wan er [der Schmerz] in den henden ist, heißt er Chiragra; Paracelsus 1530 S. W. l 8,77 der puls wird im firmament begriffen, die physiognomei in dem gstirn, die chiromancei in mineralibus; ebd. 8,123 die natur legt in die hand (chiromantiam) die ädern und geng, darbei der mensch erkent wird, wie er sei; ebd. 8,293 Zum fünften sind vil künst an tag komen durch chiromantiam, also das die/ chiromantia der henden und chiromancei der kreutern oder holzs den chiromanticum haben kunstreich gemacht; ders. 1531 S. W. l 9,166 der tartarus ein liquor ist . . als dan er so get in die chiragrischen krankheiten; Luther 1531 Tischreden (W. l 9) Man sehe es einem an den Händen an, wenn einer milde .. und gutthätig wäre .. daß mans aus der Chiromantia urtheilen könnte . . an der Hand kann mans sehen, wenn einer milde ist, denn man muß mit der Hand ausgeben; mit den Füßen gibt man nicht; Golius 1579 Onomasticon 118 Chirographum . . handgeschrifft; ebd. 156 Chiromanticus, der auß den händen warsaget; Hennenberger 1595 Preuss. Landtaffel 182 Dieser Andras Osiander war ein Chiromanticus; Petri 1605 D. Teutschen Weiszheit Ddd6v Wer acht auff Trewme gibt/ Vnd Zeichen deuter liebt. Vnd merckt auff Vogelgeschrey/ Vnd auff Chiromantzey. Vnd falsch Chymisten glaubt/ Der ist der Sinn beraubt; 1619 Acta publica (schles.) II 250 Es ist auch mit der Justitz so vngleich zugegangen, das als etliche Evangelische Hypothecas gehabt, ihnen dennoch ein Catholischer Chirographarius vorgezogen . . worden; Lassenius 1661 Tischreden 362 Chiromantiam oder Physiognomiam; 1662 Beschr. d. Zigeuner B Ib da. die Nubier [ = Zigeuner] unter dem Vorwand der Chiromantie (das ist die Wahrsagerey-Kunst aus denen Händen) unter der Wissenschaft, das Künfftige und Vergangene zu errahten, das Volk betriegen; Widmann/ Pfitzer 1674 Fausts Leben 238 Die Physiognomie], Chiromantia, deren einer sonderlich D. Faustus gewesen seyn soll, schauen die Linien und Zeichen an, die sich an deß Menschen Leibe und dessen Gliedmassen, Stirn, Augen, sonderlich an den Händen befinden; Abr. a S. Clara 1689 Judas II 5 Zigeunerisch Lumpengesind trifft man aller Orthen an/ welche mit einem Prophetischen Geist wol auffziehen/ vnd . . die Hand eines vnd deß ändern

durchgsuchen/ durchgaffen/ durchgriblen/ vnd folgsamb Krafft einer verlogner Chiromanci künftige Begebenheiten außsagen; Lehmann 1699 Schauplatz 745 daß ein Academischer M. S. an unterschiedlichen Fürstlichen Höfen Anno 1666. herum terminirte/ und nach seiner Einbildung manche Geburts-Stellungen und chiromantische prognostica münd- und schrifttlich stellete; Ettner 1700 Apotecker 1141 f. die Herren Medici, Physiognomici, Chiromantici und Meteorici; Abr. a S. Clara 1704 Gemisch Gemach 340 Chiromantisten sind seltsame Narren; Marperger 1712 Naturlex. 324 Chiromantie, ist eine Kunst, aus denen Linien der Hände eines Menschen Leibes- und Gemüths-Beschaffenheit zu erkennen; Boltz 1752 Amts-Actuarius 325 denen ändern consentirten Chirographariis conform sich zu zeigen schuldig; ebd. 326 an meine hohe Obrigkeit zur gütlichen Handlung verweisen, und nebst denen mehrentheils consentirten Chirographarischen Gläubigern conform sich erzeigen mögen; Griesbach 1756 Abhdlg. v. d. Fingern 20 diese schöne Kunst (chirotechnia, chironomia) . . der Mensch hätte an seinem vortrefflichen Leibe auch redende Hände; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 51 der medicinischen, worin ein unvernünftiger Jargon von Chimären und Quacksalbereien nebst der Astrologie, Chiromantie, Necromantic u. dgl. gelehrt wurden; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 197) der Chironomie der Alten . . dem Inbegriff der Regeln, welche die Alten den Bewegungen der Hände vorgeschrieben hatten; Christ vor 1769 S. Sehr. III 402 einen Chiromantisten, einen Nativitätssteller; Geliert 1769 S. Sehr. III 400 Es gehören gelehrte, geschickte und ganz besondere Köpfe zu den chiromantischen Wissenschaften; Potter 1778 Archäologie III 642 Mit der Zeit wurde die Chironomie ein wesentlich Stück der kriegerischen, theatralischen und andrer Saltationen . . weil das, was . . vorgestellt wurde, nicht ohne Bewegung der Hände und ohne Gestikulation vorgestellt werden konnte; Beckmann 1780 Erfindungen I 331 diejenigen, welche von Chiragra, Podagra und krampfichten Zufällen leiden, Linderung empfunden, wenn sie den Magnet in der Hand hielten; Jean Paul 1797 S. W. I 5,450 Ohne das chirographische Instrument des rothen Interpunkzions- und Ausrufungszeichen; ebd. 5,483 ich ersuchte sie um ihre Hand zu einer kleinen chiromantischen Visitazion und Uebersicht; ebd. Ill 2,298 Sie sind meine chirographische Schuldnerin, ich bitte darum auf kein Moratorium zu rechnen; Kortum 1799 Jobsiade 32 Chiroman-

Chirurg ten Gebrauch; Berg 1799 Handb. Policeyrecht VI 2,64 keineswegs . . chirographarische Schuldverschreibungen, nach der Verfallzeit, für sich länger gestunden; Jean Paul 1802 S. W. I 9,325 ich .. nichts mehr in Händen habe als chiromantische Wahrsagungen; 1804 Leuchs 461 chirographarischer Gläubiger; 1833 Schiebe 22 Chirographarius, ein Buchschuldner, Buchgläubiger . . Chirographar-Gläubiger (beide SCHIRMER, Kaufmannssprache); Buchner 1844 Advokat 390 die Kreditoren im Konkurs . . das Bataillon der Chirographarier; 1848 (1849 Samml. Verordn. Bremen 75) daß eine solche hypothekarische Forderung bei einer accords- oder präferenzmäßigen Befriedigung der Gläubiger nur als chirographarische Forderung Geltung erhalte; Heyse 1878 Ges. W. I 3,627 Ein Chiromantiker hätte neuen Stoff zu tiefsinnigen Betrachtungen über die charakteristische Bedeutsamkeit dieses Gliedes finden können, wenn er die hageren, gelblichweißen Hände der Frau Virginia mit den festen wohlgebildeten Künstlerfingern ihres Nachbarn verglichen hätte; Gombert 1897 Progr, 19 In dem Handschauer nämlich erkennt man leicht den Vorläufer des .. für Chiromant vorgeschlagenen Handguckers .. die bezeichnendere . . Verdeutschung Handwahrsager; Th. Mann 1909 Hoheit (W. U 343) Weissagerei, Chiromantie und dergleichen Hexenwesen .. seien . . schlechterdings in das dunkle Gebiet des Aberglaubens zu verweisen; 1925 ZfMenschenkunde l 1,79 einst das fahrende Volk der Chiromanten und Wahrsager; Kellermann 1929 Götter 29 Der alte Lama war Gelehrter und Arzt. Er war noch mehr, er war Astrologe, er war Wahrsager und Chiromant; Voss. Ztg. 7. 3. 1929 Frau Dr. Alma Arnold nannte sich Aerztin und Chiropraktikerin. Diese letzte Bezeichnung darf nicht dahin gedeutet werden, als ob Frau Arnold ihren Patienten die Krankheiten aus den Linien der Hand abgelesen hat, sondern es bezeichnet die Behandlungsweise. Sie heilt angeblich die Kranken durch Massage des Rückgrates; B. Z. am Mittag 25. 6. 1930 Ich bin . . Chiromant, ich habe ein dreibändiges Buch über Frauenhände geschrie-

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ben; Berl. lllustr. Nachtausg. 2. 1. 1933 Die Linien in der Hand (Überschr.) Leiterin eines Instituts für Graphologie, Chirologie und Astrologie; ebd. Während die Chirologin meine Handteller mit einem Vergrößerungsglas betrachtet; Lokal-Anz. 15. 11. 1934 als die Zigeunerin Urgalinde ihnen mit Hilfe Lavaterscher Chiromantei weissagt; Süddtsch. Ztg. 4. 6. 1952 Erol Flynn setzt sich . . eine künstliche Nase auf. Ein bedeutender Chiroplastiker habe sie hergestellt und sie wirke täuschend echt; ebd. 16. 10. 1958 Über „Möglichkeiten der Chirologie" . . ausgezeichnete Kurzeinführung in die geheimnisvollen Handlinien und ihre Deutung; Bad. Ztg. 24.6. 1966 Der Handliniendeuter „Urano" . . der sich . . als „international bekannter Chirologe" zu bezeichnen pflegt; Cotta 1970 Orthopädie o. S. das oft verblüffende Ansprechen dieses Beschwerdebildes auf chiropraktische Maßnahmen. Gelingt es, die intraarticuläre Verklemmung zu lösen, so fällt der Schmerzreiz weg und die Bewegung wird frei; MM 24. 5. 1986 Der Katalog reicht von der Umstellung auf Vollwertkost bis zur Chirogymnastik; ebd. 30. 9. 1987 Chirotherapie meint die Kunst, Verschiebungen an den Gelenken der Wirbelsäule mit der bloßen Hand wieder zurechtzurücken .. Werden diese Handgriffe von Heilpraktikern oder anderen Nicht-Ärzten ausgeführt, wird diese Methode „Chiropraktik" oder auch „Chiropraxis" genannt . . sind diese Beschwerden durch gequetschte Nerven verursacht, dann kann der Chirotherapeut mit dem sprichwörtlich gewordenen „heilenden Ruck" helfen; ebd. 27. 1. 1991 Handanalyse (Überschr.) Nicht um die Zukunft eines Menschen, sondern um die Analyse seiner Persönlichkeit geht es bei der Chirologie, einer Wissenschaft, die bereits in der Antike ihre Anhänger hatte; ebd. Die Akademie bietet dazu „Bewegungstraining für die Wirbelsäule". Es handelt sich um gezielte chirogymnastische Übungen; ebd. 3. 6. 1991 Wir haben hier Geräte zur Bestrahlung, Inhalation, für Ozontherapie und chiropraktische Behandlung — Strecktische, einen Hängegalgen. IN

Chirurg M. (-en; -en), seit Ende 15. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. lat. c/7/rwrgMS/griech. (Subst. zu 'mit der Hand arbeitend', aus ( )- 'Hand-', —+ Chir(o)-, chir(o)-, und 'wer etwas schafft, tut', zu 'Werk, Tat', 'tun, handeln, machen', eigentlich 'jmd., der mit der Hand arbeitet; Handarbeiter, -werker'), zunächst und bis ins 18.719. Jh. auch in den lat. (flekt.) Formen Chirurgus und der anfangs häufigeren Nebenform C(h)irurgicus (Subst. zu lat. chirurgicus, vgl. chirurgisch, —* Chirurgie). Zunächst in der Bed. 'jmd., der mit den Händen arbeitet, ein Handwerk, eine Kunst ausübt; der mit der Hand arbeitende (Wund-)Arzt', bis ins 19. Jh. bezogen auf die Wundversorgung im Feldlazarett, im Laufe des 18. Jhs. älteres (seit dem 14.715. Jh.

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Chirurg

bezeugtes) dtsch. Wundarzt und Feldscher als Bezeichnungen für ungelehrte Vertreter der Wundarznei ersetzend (s. Belege 1792, 1796, 1797, 1800-05), bis ins 19. Jh. noch teilweise mit den Berufen des Baders, Barbiers (—* Barbier) identifiziert und leicht abwertend verwendet (s. Belege 1744, 1779, 1801, 1854, 1884), in Zss. wie Stabs-, Land-, Stadt-, Dorfchirurg; Chirurgen-Major, -gehilfe; im Zuge der Weiterentwicklung medizinischer Methodik und Lehre etwa seit Mitte 19. Jh. anerkannte Berufsbezeichnung für den Arzt, der (im Unterschied zur medikamentösen oder diätetischen Therapie) mit dem Skalpell oder anderen chirurgischen Methoden (Laser u. ä.) operative Eingriffe am oder im menschlichen Körper vornimmt, für 'Facharzt für operative Heilbehandlung; Operateur', gelegentlich übertragen verwendet (s. Belege vor 1837, 1993, 1994), als Grund-, seltener Bestimmungswort in Zss. wie Ober-, Chef-, Fach-, Unfall-, Herz-, Kiefer-, Starchirurg; Chirurgenkongreß; dazu in neuerer Zeit die movierte Form Chirurgin F. (-; -nen), und die im 20. Jh. vereinzelt nachgewiesenen subst. Ableitungen Chirurgentum N. (-s; ohne Pl.) und Chirurgenschaft F. (-; ohne Pl.) 'Berufsstand, Gesamtheit der Chirurgen'. Chirurg: Braunschweig 1497 Chirurgia 67 dar vm das sie [Verwundung durch Bisse von giftigen Tieren] selten geschehen/ vnd me dem phisicus zu geeygnet ist dann dem cirurgicus. Aber die wil der cirurgicus ist ein hant wirckung . . die vsserliche curierunge gebürt dem cirurgicus mit der hant zu volbringen; ebd. 169 so vil sie [eine Wunde am Knie] deiner ist so vil me gebirt dir die sorg zu haben wan vß solichen deinen wunden eym gutten cirugicus ie me schand und laster dar von vff erstet; Paracelsus um 1520 S. W. l 1,166 ein iegliche krankheit die von weilte in centrum gehet die ist zugeschlossen dem chirurgico; ebd. 1,341 wo ist ein leibarznei, die nicht durch ein chirurgicum muß und sol geheilt werden?; ebd. 1,380 do seind zu mir körnen empirici, chirurgici, balbirer, alchimisten; ders. 1525-26 S. W. l 13,83 dan daraus fleußt der physicus und der chirurgus und ein ieglicher naturalis, der da wil den leib verstan in seinen nöten; ders. 1526-27 S. W. I 3,298 das selbige zu tun oder zu lassen, befeien wir dem chirurgo; ders. 1530 S. W. l 8,377 Theophrastus sei ein chirurgicus und kein physicus; Begardt 1539 Index Sanitatis 4b Chirurgici, das sind Artzet, so alleyn mit der handwirckung artznei brauchen, vnnd heyssend Wundärtzet oder Schneidärtzet; Rivius 1548 Vitruv. 250e die drüsen/ so sich am Halß/ . . vnd vnden bein Gemechten erheben/ von den Griechen Cheirades genant/ vnd von den gemeinen Ärzten vnnd Chirurgen Strophulen; 1582 Wormser Medizinalordn. (Peters 1900 Arzt 78) die Chyrurgi oder Wundärtzet, die in Chyrurgia auffeiner Universität doctorirt haben; Fioravanti 1618 Physica 233 Wie sich die Chirurgy oder Wundärzte nach der Weise Anicennae in jhren Curen zu verhalten pflegen; Lehmann 1699 Schauplatz 735 durch den mitgebrachten Chirurgum in der lincken Seite eine Oeffnung an dem Unterleibe machen Hesse; Abr. a

S. Clara 1701 Ur-Merkur 23 wovon ihr das Angesicht erschröcklich aufgeschwollen und durch Unerfahrenheit des Chirurgi also schlecht curirt worden; 1704 Auserlesene Anm. l 368 was Hippocrates . . von unverständigen Chirurgis saget; ebd. l 369 Schiffs Chirurgi; Schnabel 1731 Felsenburg I 22 ein gar geschickter Chirurgus; Estor 1744 Kl. Sehr. I 916 ff. Ob die Bader Chirurgi zu nennen; und wie beyde Künste von einander zu unterscheiden seyen?; Hase 1779 Aldermann II 23 die Zeiten, da er mit dem Barbierbeutel lief . . ist er Chirurgus gewesen? — Ja, Bartkratzer!; Laukhard 1792 Leben l 243 Stadtchirurgen; ebd. 11 293 Anm. Ich weis wohl, dass es geschickte Leute unter den Feldscheerern, oder wie sie jetzt heissen, Chirurgen, giebt; Goethe 1795-96 Lehrjahre (HA Vlll 38) Ich quälte mich einmal gar lange mit einer Wunde, die nicht heilen wollte, und als ich endlich genas, war es mir höchst unangenehm, als der Chirurg ausblieb, sie nicht mehr verband; Laukhard 1796 Leben u. Schicksale 111 184 Feld-Chirurgen; ebd. Ill 251 Die Feldscheere [sie], oder wie man sie seit einigen Jahren nennen soll, die Chirurge; 1797 ebd. IV 1,432 Seit einigen Jahren werden die Feldscheere in der preussischen Armee Chirurgi genannt. Dieses fremde Wort sagt noch lange nicht, was Feldscheer sagt, und hätte billig einem deutschen recht guten Wort nicht vorgezogen werden sollen. Unwissende Leute sagen Kriurgus, Kiurgus, Gregorius u.s.w.; Beckmann 1800—05 Erfindungen V 443 in diesem Jahre wurden nur die CompagnieFeldscherer abgeschaft, und dagen ward bey jedem Regimente ein Regiments-Chirurgus mit sechs Gesellen angenommen; Kotzebue 1801 Jahr II 47 Sollte ich mich einem unwissenden Chirurgus anvertrauen? denn ein Arzt war da nicht; Balte 1804 Geschäftsgang i. Preussen 61 Die Oberchirurgen sind gleichsam die Gouverneurs der Zöglinge, be-

Chirurg gleiten sie in die Kollegia, wiederholen mit ihnen den medizinisch-chirurgischen Unterrricht . . Die Stabschirurgen wirken mit zur wissenschaftlichen Ausbildung; ebd. 357 Die Chirurgen sollen wenigstens sieben Jahre servirt und unter den Truppen gedient haben, vom Physikus tentirt, vom Kollegium medicum examinirt . . approbirt und kursirt haben, wenn sie sich im Lande ansässig machen sollen; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (HA IX 81) der gute Chirurgus erschrak und goß dem Vater das Seifenbecken in die Brust; ebd. IX 340 da ich mit der Gschwulst am Halse sehr geplagt war, indem Arzt und Chirurgus diese Exkreszenz erst vertreiben, hernach, wie sie sagten, zeitigen wollten, und sie zuletzt aufzuschneiden für gut befanden; Schreiber 1818 Handb. f. Reisende 105 Baden . . ist der Sitz einer Domänenverwaltung, eines Physikats (mit einem Assistenzarzt und Landchirurgen); Roos 1832 Leben 70—71 Er war nicht Chirurgus und kannte nur Fälle als späte Nachfolgen von Verletzungen, die im siebenjährigen Kriege vorfielen; Richthofen 1836 Medicinal-Einrichtungen l 168 das bei den Truppen angestellte ärztlichchirurgische Personale in den Garnison-Lazaretten [kann] Verrichtungen des niederen ChirurgenDienstes übernehmen, und den Chirurgen .. Hilfe leisten; Borne vor 1837 (U 165) Die Politiker der früheren Jahrtausende waren Staats-Chirurgen, aber keine Staatsärzte (SANDERS DWB); Wickede 1854 Soldatenleben II 15 Eine sehr gefährliche Operation, die ein sehr geschickter Chirurgen-Major vornahm; Bechstein 1854 Hexen 14 Doctor Praxedes Appollinaris . . erster Arzt und zugleich Apotheker .. Chirurg und zugleich Bader; Valentin 1855 Physiologie 387 Man findet in der Regel die missgestalteten Narben, wenn der Chirurg zu viel oder zu wenig Weichtheile im Verhältnis zum Knochen zurückgelassen hat; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 251 der Oberstabsarzt, gefolgt von einer Suite von Aerzten, Chirurgengehülfen und Lazarethwärtern; Holtet I860 Eselsfresser U 13 einem jungen Mann . . der trotz seiner Jugend schon einen hohen Rang unter unseren Aerzten und Chirurgen einnahm; Franzos 1884 Liebes-Novellen (1873) 169 Der pflegte, so oft er den Kranken besuchte, so recht ingrimmig zu sagen: „Ich bin, mit Respekt zu melden, nur ein Chirurgus und kein hochgelahrter Herr Doctor"; Heer 1902 Joggeli 47 der alte Dorfchirurg; Th. Mann 1909 Hoheit (W. U 121) Es handelte sich im wesentlichen um eine Zersetzung des Blutes . . und eine tiefgreifende Operation, die von dem Direktor der Universitätsklinik, einem namhaften Chirurgen, vorgenommen wurde, konnte den fressenden Gang der Vernichtung nicht einmal verlangsamen; Lorenz 1937 Helfen 112 Von rücksichtsloser Härte als Chirurg, ließ er [Billroth] bei vielen Zweifeln an seiner Herzens-

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güte aufkommen (TRÜBNER); Th. Mann 1949 Reden u. Aufs. (W. XI 255) einer der ersten Chirurgen Amerikas . . als Pneumotom von besonderem Ansehen; 1952 ZGOberrhein C 270 1787 wurde die Josephinische Akademie der Chirurgie . . gestiftet . . Durch diese Hebung der Chirurgen zu „Akademikern" war . . wenigstens einem Teil von ihnen der Weg aus dem Handwerkerstande heraus geöffnet worden; Welt 26. 3. 1954 In der Münchner Chirurgischen Universitätsklinik liegt ein älterer Mann. Er gehört zu jenen bedauernswerten Patienten, denen . . das Messer des Chirurgen keine Rettung und Heilung mehr bringen kann; Süddtsch. Ztg. 11.6. 1955 Zu einem dreitägigen Erfahrungsaustausch kamen 350 Unfallchirurgen und Krankengymnasten aus dem ganzen Bundesgebiet . . zusammen; Welt 12. 11. 1969 die Unternehmerin, die Chirurgin, die Diplomingenieurin, die Frau Oberbürgermeister . . sie alle haben es schwer, hatten Verzicht zu leisten, müssen mehr leisten als ihre männlichen Kollegen; FAZ 25.3.1970 „Ernste Krise" der Chirurgie (Überschr.) Nach Auffassung des Verbandes mangelt es vielen jungen Ärzten an der Bereitschaft, Chirurg zu werden . . Aufgrund der geringen Zukunftsaussichten sei der Chirurgen-Beruf heute nicht mehr attraktiv .. Chirurgenmangel; MM 25. 11. 1985 Zu passiver und aktiver Sterbehilfe hat sich der südafrikanische Herzchirurg Professor Christiaan Barnard am Wochenende in Frankfurt bekannt; Zeit 27. 2. 1987 Dabei gleichen die Menschen in den scheinbar reinen Räumen mit ihren weißen Kitteln, Kopfbedeckungen und Handschuhen eher Chirurgen im Operationssaal; Spiegel 1.3.1993 Weniger als die Hälfte aller Schönheitschirurgen sind Mitglied in der angesehenen Gesellschaft für Plastische Chirurgie; ebd. 26. 7. 1993 Das las Simon schon früh bei Freud, und der berühmte Seelenchirurg überzeugte ihn; ebd. 23.8.1993 Anschließend wird die gestreckte Haut mit dem Skalpell herausgetrennt, und der Chirurg zieht die Wundränder zusammen; ebd. 13. 9. 1993 der dynamische Chefchirurg eines Krankenhauses [verdient] an jedem Tag soviel wie der Operierte in einem Monat; ebd. 3. 1. 1994 Die Bundesärztekammer behauptet hingegen, erst Seehofer habe „als Textchirurg" das umstrittene AiW-Modell in den Abschlußbericht der Expertenkommission hineinoperiert. Chirurgenschaft: Spiegel 31.10. 1994 weshalb die Schweizerische Medizinische Wochenschrift ihre Leser in der Chirurgenschaft warnte. Chirurgen turn: Reinhard 1917 Gesch. d. Heeressanitätswesens 55 Das alte Kompagniechirurgentum wurde endlich gänzlich abgeschafft und aus-

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Chirurgie

schlie lich die Wund rzte zweiter Klasse der Chirurgenschule oder auf Universit ten approbierte

rzte mit dem rztlichen Dienst auch bei den Kompagnien betraut. IN

Chirurgie F. (-; ohne PL), seit Ende 15. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus lat. chirurgia/griech. χειρουργία 'mit den H nden wirkende Arzneikunde; Wundarznei (-kunst)', eigentlich 'Arbeit mit der Hand, Aus bung eines Handwerks' (aus χειρ(ο)'Hand-', —>· Chir(o)-/chir(o)-, und -ουργία '-arbeit', zu ipyov 'T tigkeit, Werk; Tat', εργειν 'tun, machen, handeln; arbeiten'), anfangs in Schreibungen wie Cirurgi(e), Chirurgy, Chirurgei und bis ins 18. Jh. auch in der lat. (flekt.) Form C(h)irurgia. Zun chst in der Bed. ' (mit den H nden vorgenommene) Behandlung u erer Verletzungen am menschlichen K rper; Wundheilkunde, Operationskunst' (vgl. etwa gleichzeitiges gleichbed. Wundarznei(-kunst)); im Laufe des 19. Jhs. spezieller und im 20. Jh. zunehmend verfestigt als Bezeichnung f r das Teilgebiet der Medizin, das sich mit der Heilung und Behandlung u erer und innerer Erkrankungen, Unfallfolgen, Sch nheitsfehler (im Unterschied zur Therapie mit Arzneimitteln oder Di t) durch manuelle oder mechanisch (mittels eines Instruments) vorgenommene Eingriffe am oder im K rper befa t, f r Operative Medizin; Operationslehre', in Wendungen wie plastische, kosmetische Chirurgie und Zss. wie Gef -, Kinder-, Neuro-, Mund-, Kiefer-, Gesichts-, Unfall-, Sch nheits-, Herz-, Mikro-, Laser-, Gelenkchirurgie; gelegentlich auch auf die Einrichtung der Forschungsdisziplin als solche, die entsprechende Abteilung in einem Krankenhaus oder deren R umlichkeiten bezogen (s. Belege 1758, 1952, 1973, 1985) und selten bertragen verwendet (s. Beleg 1971). Dazu das im 16. Jh. vereinzelt nachgewiesene gleichbed. Subst. Chirurgik; das seit fr hem 16. Jh. aus gleichbed. lat. chirurgicus/griech. χειρουργικός 'mit der Hand arbeitend' entlehnte Adj. chirurgisch, im 16. Jh. (Paracelsus) daneben (auch lat. flekt.) chirurgikalisch (< mlat. chirurgicalis, vgl. engl. chirurgical/frz. chirurgicale), in der Bed. 'wund rztlich; zur Aus bung der Chirurgie geh rend, mit den Mitteln der Chirurgie vorgehend, vorgenommen; die Chirurgie als wissenschaftliche Disziplin betreffend, dazu geh rend' (—» operativ; —»· physisch), gelegentlich bildlich gebraucht (s. Belege 1861, 1939); h ufig in Syntagmen wie chirurgisches Instrument, Besteck, Werkzeug, chirurgische Klinik, Abteilung, chirurgischer Eingriff und selten in adj. Zss. wie medizinisch-chirurgisch, herzchirurgisch. Chirurgie: Braunschweig 1497 Chirurgia 186 nun wil ich dich leren die curierung vnnd bindung in einner gemein nach dem aller gemeinsten vnnd gebruchlisten weg so ich ie erkant hab die durch die alten doctores vnnd lerer disser kunst in cirurgia; ebd. 247 Dar vm ist gast n tz das ich hie setz die gradus vnd tugent d'artzeny der cirurgia; Murner 1512 Narrenbeschw. V 30 Ertzt vnd meister der Cirurgy, die tretten billich ouch harby; Paracelsus 1527 S. W. l 3,199 So lassen wir uns hie nicht wundern, das wir in der ganzen chirurgia so wenig und so kurze remedia anzeigen; ders. 1528 S. W. / 6,53 wie wollen sie verantworten die groben descriptiones in der chirurgei, die noch vil gr ber seind?;

ders. 1531 S. W. l 9,93 also heilt sie sich selbst und ebnet und ordnet sich selbst, als dan die Chirurgie ausweist und lernet der erfarnen arzeten; Gersdorff 1542 Feldtbuch d. Wundartzney 17b Nach ordenlicher vorbeschreybung der Anatomy des jnnern vnd e ssern menschens/ seiner glyder abthaylungen/ erfordert geschickte Ordnung in dye Chirurgy zu greiffen/ zuf llige schaden der menschen zu curieren vnd hailen; Fioravanti 1604 Auszug d. Secreten 55 Die Wund Artzney aber ist ein Kunst, so mit der Hand verrichtet, daher sie dann in der Griechischen Sprach den Namen bekommen, dz sie Chirurgia genennet wird; ebd. 89 Von der Chirurgy oder Wund-Artzney; Beer 1683 Sommer-

Chirurgie Tägel52 Herr Wilhelm verstände sich auf die Chirurgie; Crusius 1722 Portrait aller Wiss. 42 [Älteste Heilkunde] bestund .. aus zwey Theilen, deren das eine Diaeta den innerlichen, das andere Chirurgia den äusserlichen Gebrechen zu rathen [bestimmt war]; 1739 Hamb. Berichte 465 äusserliche Heilungskunst oder Chirurgie; Justi 1758 Staatswirthschaft H 175 Aus eben diesen Gründen muß sich ein weiser Monarch auch die Aufnahme der Chirurgie und Hebammenkunst angelegen seyn lassen; Schiller 1781 an Dalberg (Br. I 48) einen eigentlichen angeborenen Fehler, den die Hand der feinsten Chirurgie ewig nicht ausmerzen kann (TRÜBNER); Laukbard 1792 Leben U 293 Anm. der meiste Haufen [der Chirurgen] besteht . . aus armen Sündern, welche nicht einmal das A. B. C. der Chirurgie, geschweige denn der Medizin, verstehen; 1801 Reg'bl. (Bayern) 26 Da die Wundarzneykunde (Chirurgie) kein Handwerk, kein Metier, sondern eine Wissenschaft ist, welche sehr viele Kenntnisse und reife Beurtheilungskraft erfordert: so taugen dazu durchaus keine unstudirten Leute; Goethe 1805 Tag- u. Jahresh. (HA X 478) Godofredus Christophorus Beireis, Primarius Professor Medicinae, Chemiae, Chirurgiae, Pharmaceutices, Physices, Botanices et reliquae Historiae naturalis; Puchelt 1826 System d. Med. I l l f . Die specielle Heilungslehre trennt man jetzt gewöhnlich in vier Branchen, nämlich in die Chirurgie oder Wundarzneikunst, in die Geburtshülfelehre, die psychische Medicin und die . . specielle Therapie . . Die Chirurgie handelt von der Kunst, mechanische Hülfsmittel zur Beförderung der Heilung in Gebrauch zu ziehen; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch, III 371 In der Chirurgie stützte sich darauf die schon erwähnte Antiseptik Listers und die Desinfektion als sicherstes Mittel gegen die Ausdehnung der ansteckenden Krankheiten; Lorenz 1937 Helfen 113 während die genialen Operationen Billroths in segensreicher Übung bleiben werden, solange es eine Chirurgie gibt; Malade 1939 Universität 49 Große Chirurgie, die nur dem Fachmann hätte Nutzen bringen können, wurde in diesen Unterrichtsstunden kaum getrieben (beide TRÜBNER); Ritter 1940 Notfallchirurgie. Die Ausführung der dringlichen blutigen Eingriffe (Titel); 1952 ZGOberrhein C 268 auf den Universitäten nach regulärem Studium den Titel eines Doctors der Chirurgie erwerben; ebd. C 270 1787 wurde die Josephinische Akademie der Chirurgie . . gestiftet; ebd. Anm. Der Rat der Stadt Zürich bestimmte 1677, zwar dürften jene ambulanten Heilkünstler auf den Jahrmärkten ihre Chirurgie verrichten, aber nur nach Ablegung einer Prüfung; 967 Bild d. Wiss. l 58 die Fortschritte bei den Narkoseverfahren, die in der Chirurgie entwickelt wurden; Gutschick 1971 Forstbetriebsdienst o. S. Sehr wertvolle Ex-

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emplare können mit Hilfe der modernen, allerdings teueren „Baumchirurgie" oft noch viele Jahrzehnte gehalten werden; Offenburger Tagebl. 19.5.1971 Neues Lebensgefühl durch ein neues Gesicht (Überschr.) Die Schönheitschirurgie hat große Fortschritte gemacht; Zollern-Alb-Kurier 5, 9. 1973 Pfleger im Krankenhaus sind in einzelnen Abteilungen — man denkt hier vor allem an die Chirurgie — bevorzugt einzusetzen; Schipperges 1985 Garten 145 die Chirurgie, der Eingriff mit der bewaffneten Hand; MM 22. 3. 1985 Neben den üblichen Klinikabteilungen sollen besonders die Kieferchirurgie, die Orthopädie und Radiologie auch Patienten aus ferneren Städten in das technisch perfekt ausgestattete Krankenhaus locken. Zu den Besonderheiten gehören darüber hinaus eine Verbrennungs- und Rekonstruktionschirurgie . . Einen Schwerpunkt der Arbeit des Aachener Klinikums sieht die Verwaltung in der Herzchirurgie; ebd. 13.4. 1985 Völlig neue Möglichkeiten eröffnete dabei die Mikrochirurgie, die Anschlüsse herstellen kann sowohl für kleinste Gefäße wie für Nervenbahnen; Zeit 27. 9. 1985 Zu dem Zweck können zum Beispiel durch Gen-Chirurgie die Erbanlagen von Mikroben gezielt verändert werden; ebd. 20. 12. 1985 Scharenweise mußten BernbeckPatienten zum Beispiel in der renommierten Endoklinik für Knochen und Gelenkchirurgie nachbehandelt werden; Stern 14. 5. 1987 In der Chirurgie liegt in einem Viererzimmer der 45jährige Eisenbahner Marian M.; MM 3. 6. 1987 Die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie hat sich aus der allgemeinen Chirurgie und der Zahnheilkunde entwickelt; ebd. 19. 4. 1988 auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie in Bad Nauheim; Spiegel 15. 1. 1990 In der Unfallchirurgie liegen frisch operierte Patienten mit Knochenbrüchen noch enger beieinander. Chirurgik: Paracelsus 1530 S. W. / S.152 Und alle die recepten, so sie haben in aller irer physik und chirurgik, seind auf die schnellwag gelegt. chirurgikalisch: Paracelsus 1528 S. W. I 6,375 so ist die sperma inficirt worden von den phisicalischen und chirurgicalischen morbis; ebd. 6,428 was in den chirurgicalibus . . die komen alle tag wol; ders. 1530 S. W. / 8,376 der die wuntsucht nimpt von wunden, der handelt chirurgisch, nun ist sie zweifach, chirurgicalis und physicalis; ders. 1537 S. W. I 10,472 nun weiter ein andere erkantnus, das alle chirurgicalischen krankheiten, die . . nicht . . geheilt werden; ders. 1562 Spitalbuch G2a die Chyrurgicalischen Kranckheiten. chirurgisch: Paracelsus um 1520 S. W. I 1,166 was zu den emunctorien begeret .. das ist alles phy-

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sisch, was aber die unnatürlichen emunctoria sucht das ist chirurgisch; ders. 1528 S. W. / 6,115 darin nichts anders zu tractiren als allein von den chirurgischen scheden; ebd. 6,384 das sie mit chirurgischen krankheiten beladen werden; ebd. 6,444 wil auch hie in der Chirurgie außerthalb der physic ein chirurgischen proceß füren; ders. 1530 S. W. I 8,376 der die wuntsucht nimpt von wunden, der handelt chirurgisch; Fischart 1581 Dämonomania 141 [Doctores] inn Medicamentischer und Chyrurgischer Artzney; Rist 1647 Friedewünschende Deutschland 76 ihr schwatzet mir so etwas daher von euren chirurgischen Künsten; 1704 Auserlesene Anm. l 368 noch schwerer sey es alle die Chirurgische operationes/ . . genug zufaßen/ welches doch alles eigendl. zu seiner Chirurgie gehöre; Marperger 1711 Beschr. d. Messen U 209 ich rede aber hier von den Landstreichern/ nicht von ehrlichen Chymicis, Destillatoribus, Operatoribus, Ophthalmicis und der Chirurgischen Handgriff wohlerfahrnen; ders. 1712 Naturlex. 190 ein Chirurgisch Instrument, so gebraucht wird, Pfeile, Kugeln, Stücke von Degen, und dergleichen Sachen mehr aus denen Wunden damit zu ziehen; 1732 (1952 ZGOberrhein C 272) Chyrurgische Facultäts Articul für gesambte Barbierer, und Baadere [Donaueschingen]; Pf äff 1756 V. d. Zähnen Vorr. a 7b von . . den chirurgischen Operationen; Reinhard 1761 Sehr. Ill 396 die . . chyrurgische Wissenschaften; Bretzner 1788 Leben 111 93 chirurgischen Gemetzel; Beckmann 1790-92 Erfindungen 111 124 ein chirurgisches Verband; ders. 1800—05 Erfindungen V 443 wurden auf kayserliche Kosten auch chirurgische Instrumente angeschaft; ebd. V 490 Zeichnungen chirurgischer Werkzeuge; Goethe 1816-17 Italien. Reise (HA XI 163) Bei unserer medizinisch-chirurgischen Anatomie kommt es bloß darauf an, den Teil zu kennen, und hierzu dient auch wohl ein kümmerlicher Muskel; Borne 1822 Schilderungen a. Paris 122 Ein anderes Modell zu einem Amphitheater für chirurgische Operationen; 1824 Baier. Int'Bl. (Isar) 298 [landwirtschaftlicher Hof] kann von einem fähigen landärztlichen oder chyrurgischen Subjecte entweder erkaufet, oder mittels Ehelichung der vom verstorbenen Chyrurg zurückgelassenen Tochter an sich gebracht werden; Richthofen 1836 Medicinal-Ein-

richtungen I 168 das bei den Truppen angestellte ärztlich-chirurgische Personale in den GarnisonLazaretten; Riehl 1861 Land 293 Den rauhen Gebirgen entging die chirurgisch heilende Kraft der großen Kriege, welche die Bevölkerung der Ebenen gar mächtig centralisirte; Moll 1902 Ärztl. Ethik 618 Chirurgische Kliniken sind jetzt vielfach so gebaut, dass die Kranken bereits narkotisiert in den Operationssaal kommen; Fendrich 1911 Schauinsland 139 ein kleines chirurgisches Besteck; Voss. Ztg. 22. 4. 1930 Die Feldzüge gaben ihm auch Gelegenheit zur Sammlung zahlreicher kriegschirurgischer Erfahrungen; Jh. Mann 1939 Lotte (W. U 449) Professur an der medicinisch-chirurgischen Lehranstalt; ebd. II 636 daß das Verbot des Blattes, der chirurgische Schnitt, das einzig Raisonable und Heilsame; Malade 1939 Universität 12 Der rechtekkige Steinbaukasten, der gemeinsam chirurgische und medizinische Klinik barg (TRÜBNER); Münch. N. N. 10. 1. 1939 Alle . . fürchten, daß auch in Rom der Versuch gemacht werden könnte, mit dem chirurgischen Messer gewisse Gefahren für den Frieden zu beseitigen; MM 23. 2. 1985 ein kleiner chirurgischer Eingriff in der hinteren Schädelgrube, bei dem die Nervenwurzel von einengenden Gefäßknoten befreit werde; ebd. 13. 4. 1985 In der Chirurgie Schritt für Schritt voran (Überschr.) Völlig neue Möglichkeiten eröffnete dabei die Mikrochirurgie, die Anschlüsse herstellen kann sowohl für kleinste Gefäße wie für Nervenbahnen. An der Chirurgischen Universitätsklinik Würzburg wurden unter Leitung von Professor Ulrich Lanz seit 1980 acht freie Muskulaturtransplantationen .. vorgenommen; Zeit 12. 12.1986 Die Operation . . ist heute ein Routineeingriff und stellt an die chirurgische Kunstfertigkeit keine sehr hohen Ansprüche; Rhein. Merkur 9. 2. 1990 eine Chirurgische Abteilung mit jeweils einem Chef und 105 Betten, verteilt auf vier Stationen (mit nur je einem Facharzt und sehr wenigen Assistenten); Spiegel 30. 8. 1993 Institut für Chirurgische Forschung der Universität München; ebd. 13.9. 1993 Wenn Hans-Jochen Vogel und Oskar Lafontaine aufeinandertreffen, dann legen sie sich regelmäßig mit dem feinsten chirurgischen Silberbesteck gegenseitig die Nerven bloß; ebd. 8. 8. 1994 bar chirurgischer Narben oder schwerer innerer Verletzungen. IN

cholerisch Adj., Ende 15. Jh. über (m)lat. cholericus entlehnt aus griech. 'an Cholera erkrankt' (zu lat. cholera < griech. 'Magenkrankheit mit Erbrechen und Durchfair, zu 'Galle; Haß, Zorn'; vgl. ahd. koloro, mhd. colera; nhd. Cholera wird — entsprechend dem Griech. — bis ins 19. Jh. verwendet für 'Gallenbrechruhr, Durchfall', in der 1. Hälfte des 19. Jhs. (ca. 1830) wird der Krankheitsname wegen der Ähnlichkeit der Symptome auf die von Asien nach EU-

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ropa übergreifende Pestruhr übertragen, eine mit Erbrechen und Durchfall verbundene epidemische Infektionskrankheit, anfangs in der medizinischen Fachsprache meist im lat. Syntagma cholera morbus). Zunächst in Anlehnung an das Griech. (im Sinne einer Ableitung von Cholera) in der Bed. 'an Cholera erkrankt'; etwa gleichzeitig in der mittelalterlichen Medizin unter Rückgriff auf die Typenlehre des griech. Arztes Hippokrates, derzufolge die vier Temperamente des Menschen auf einer ungleichen Mischung der vier körperlichen Grundsäfte beruhen, neuentlehnt aus mlat. cholericus zur Bezeichnung des Wesens oder Temperaments (—» Temperament), bes. des aufbrausenden Menschentyps, für den ein Überschuß an Galle (vgl. griech. , s. o.) angenommen wird (s. Belege 1548, 1718); seit dem 16. Jh. (s. Belege 1575,1741, 1758) auch allgemeiner für 'jähzornig, leicht reiz-, erregbar' (im Unterschied zu melancholisch, phlegmatisch, sanguinisch), häufig in Syntagmen wie ein cholerischer Mensch, eine cholerische Gemütsart, ein cholerisches Wesen, Temperament, auf etwas cholerisch und gereizt reagieren. Schon seit Mitte 14. Jh. das ebenfalls aus mlat. cholericus übernommene Subst. Choleriker M. (-s; -), früher nur in der lat. (flekt.) Form Cholericus, seit dem 19. Jh. in der eingedeutschten Form in der Bed. 'zu starken Gefühlsausbrüchen neigender, leicht aufbrausender, reizbarer, jähzorniger Mensch' (als eine der vier Persönlichkeitstypen der hippokratischen Temperamentenlehre, zu unterscheiden von Melancholiker, Phlegmatiker, Sanguiniker); seit Mitte 20. Jh. selten die subst. Ableitung Cholerik F. (-; ohne Pl.) 'cholerisches Wesen'. cholerisch: Braunschweig 1497 Chirurgia 220 [Kieferverrenkungen] werden dan bald wider bracht/ so würt das hart vnd bringet Febres vnnd schmertzen/ vnnd ein colerischenn fluß; Fries 1519 Spiegel d. Arznei 85b manche magren colerischen leit seind leichter oben uß zu purgiren, dy feißten unden uß; Paracelsus 1528 S. W. / 6,116 jezt ists gewesen ein melancholisch loch, aus der färben genomen, jezt ein cholerisch loch aus dem brennen genomen; Ryff 1548 Confectbucb 80i> darumb solche Latwerg alleyn in grosser hitz vnnd entzündung oder von hitzigen Cholerischen menschen gebraucht werden solle; Renner 1557 Handtbüchlein h2b von einem hitzigen Colerischen geblüt; Fayser 1573 Bericht ü. d. Pferdt 3 Wiewol nun dise vier feuchtigkaiten zugleich miteinander . . durch die Blutadern in den gantzen leib außgefuert: wirdt doch einer der selbigen als der Regierende/ der fuerzug zugemessen. Daher werden die Pferdt Cholerici oder Cholerisch/ Phlegmatici oder Phlegmatisch .. genant; Fischart 1575 Geschichtklitterung 426 vnnd ward jhm sein Pferd vnterwegen räch, da ergrimmet er so Cholerisch Bittergrollisch vnnd Koderkolderisch drüber, daß ers selbs vor bittergalligem zorn erstach; Sebiz 1579 Feldbau 192 denen so Cholerischer vnd Blutreicher Natur seind; Thurneisser 1583 Onomasticon II 148 Cholerisches Geschwür; Schweinichen 1597 Denkwürdigkeiten 475 Darauf sagte der Hauptmann, (weil

er wußte, daß ich zur Ader lassen wollte) ich sollte 'runter gehen und das cholerische Geblüte weglassen, so wollte er ferner mit mir reden; Florentinus 1617 Rosa Florescens A4a Jetzt da die Fratres nit flink sich eröffnen/ komstu mit solchem fundament und grundlosen calumniis, gantz cholerisch auffgezogen; Zeiller 1653 Dialogi 398 Die zartere aber/ vnd Cholerische Naturen/ sollen deren müssig gehen; Pomey 1671 Indiculus universales 214 Die Gall oder Cholerische Feuchtigkeit; Böckler 1683 Haus- u. Feldschule 875 Ist hingegen schädlich den hitzigen und Cholerischen Leuten; Marperger 1712 Naturlex. 466 der Compositus macht harnen, und nutzet vor die Verstopffung der Ingeweyde, und erhitzeten Magen, Leber, Lunge, Miltz und Nieren, cholerische und hitzige Fieber; Musig 1718 Licht d. Weisheit II 61 [daß] cholerische Personen mehr zum Zorn [neigen]; ebd. U 86 Personen von cholerischem Naturell; Fleming 1726 Soldat 38 Sie zehlen derselben [Temperamente] vier, als das cholerische, das melancholische . .; Bodmer 1741 Crit. Betrachtungen 21 cholorische [!] und hitzige Köpfe; Eisenberg 1748 Reitschule Anh. 10 Die Eigenschaft und Natur der Pferde wird aus der Farbe erkannt, als gelb, cholerisch, von dem Feuer; roth, sanguinisch, von der Luft; schwarz, melancholisch, von der erde; weiß, phlegmatisch, von dem Wasser; ebd. Anh. 16 Erbmängel.. der Pferde sind vielerley, als dickkoepficht, Cholerisch, blind,

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langoehricht; Basedow 1758 Prakt. Philosophie 952 diejenigen, deren Neigungen und Affekte vorzüglich stark sind, heißen cholerisch; Goethe 1764 Br. (WA IV 1,2) Einer meiner haupt Mängel ist, daß ich etwas heftig bin. Sie kennen ja die colerische Temperamente; Hermes 1778 Sopbiens Reise II 129 Nein, das wäre sehr cholerisch, sehr heis, sehr unbesonnen; Zimmermann 1784 Einsamkeit U 217 Ausser seiner noch immer brennenden noch immer cholerischen Ruhmbegier, die bey ihm niemals keine Melankolie um den zehntausendsten Theil eines Fliegenhauchs schwaechte; Pttchelt 1826 System d. Med. 1270 Ueberwiegende Irritabilität ist die eigenthümliche Beschaffenheit des cholerischen Temperaments; Bauer 1836 Ueberschw. II 54 Herr Zwack, eine minder cholerische Natur, begnügte sich, während der ersten Nacht dem Arzte bang zu machen; Hufeland 1836 Ench. med. 13 cholerisches Temperament; Harden 1892 Apostata N. F. 7 [als wäre] nun ein abgeklärtes Ewigkeitbewußtsein eingekehrt, das dem cholerischen Temperament lächelnd Schweigen zu gebieten sich gewöhnt hat; Kaiser 1911 Lebenserinn. 28 besonders tröstete sie mit weisen Trägheitssprüchen unsere cholerische und sorgenvolle Mutter; Werfet 1928 Abituriententag 37 Der cholerische Mann hatte ihnen Furcht eingeflößt; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 528) verbindet sich mit der Herkunft aus der erkenntniskritischen Schule ein cholerisch-polemisches Temperament, so geschieht es wohl, daß gegen solchen Dünkel, gegen ein Philosophentum des „absoluten Wissens" der grimmig-verächtliche Vorwurf der „Windbeutelei" erhoben wird; ders. 1945 Reden u. Aufs. (W. XI 1132) das spezifisch Lutherische, das CholerischGrobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, das fürchterlich Robuste, verbunden mit zarter Gemütstiefe; Welt 2. 6. 1949 die sanfte und häusliche Marie und die etwas cholerische Cecile; Pinkwart 1963 Mord 103 außerdem ist er etwas cholerisch veranlagt; Zeit 8. 11. 1985 Jelena dagegen ist temperamentvoll, cholerisch, manchmal aufbrausend; MM 6. 10. 1987 der Bey Mustafa, ein selbstgefälliger, cholerischer Muselmann, ist eine Bombenrolle für den imponierenden Hans-Joachim Porcher. Cholerik: Brecht 1951 Sehr. z. Heater VI 277 Zwischen den beiden . . entwickelt sich . . ein ideologischer Streit, vom Pastor mit Cholerik . . geführt; Spiegel 6. 3. 1995 Otto . . nach eigenem Bekunden oft „aufbrausend und mit Hang zur Cholerik". Choleriker: Konrad v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 392 aber man schol in den läuten niht geben, die haiz und trucken sint und die ze latein colerici haizent, wan die macht er unlustig und

pringt in wüllen; Volkslied 1414—18 (Liliencron I 238) complexion phisonomie/ erkennen underschaidenlich:/ sagwinei frolich waidenlich, colerici haiß drucken gestalt,/ flegmatici faist feucht und kalt,/ melancolici die truren:/ also kennens die naturen; 15. Jh. Pilgerf. träum. Mönch 8895b Ich [frau zorn] dienen mit essig und versaisz/ Und auch mit grünem krude nasz;/ Ich geben des den coleriken/ Lieber dan den fleckmatiken; Braunschweig 1497 Chirurgia 74 Dar vmb soltu mercken dz in teütscher nacion/ . . alle menschen/ vß genomen die do colerici sint/ hant ein vber flüssig grob schlimig geplüt; de Crescentiis 1518 Nutz d. Ding 64 ra Die cholerici in jrer complexion; Paracelsus um 1520 S. W. I 1,212 ubertrift die bitteri in im das er sei ein cholericus; Sachs 1528 W. IV 239 Zum ändern hat auß einfluß-stewer/ Colericus die art vom fewer; Renner 1557 Handtbüchlein Blb wirt ein Cholericus genandt; Fischart 1578 Ehezuchtbüchlein (W. Ill 229) Dan eyn Cholericus, der hitzig vor der stirn ist, verträgt sich wenig mit eym koderigen Flegmatico; 1585 Problemata Aristotelis 5i> die Cholerici oder Gallichten; Albertinus 1603 Sendtschreiben l Sa Von Naturen waren sie mehr Phlegmatici als Cholerici, harter Natur/ kaltsinnig vnd listig; ders. 1615 Landstörtzer 153 Herr/ wir Colerici haben dise eigenschafft/ daß wir alle vnsere Sachen geschwindt verrichten; 1. Hälfte 17. Jh. (Fliegende Blätter 16.117. Jh. 138) Für's ander ein Cholericus/ Vom Feuer hat seinen Einfluß; Harsdörffer 1644 Gesprechspiele 1155 Massen die enge Verbündnis und Vereinbarung des Leibes und der Seelen (welche sonderlich bei den Trunkenen) verursachet, dass die Blutreichen von Frölichen (sanguinei) die Schwermüthige (melancholici) von Traurigen, die von Gal entbrante (Cholerici) von Zornrührigen, die mit faulen Feuchtigkeiten Beladene (Phlegmatici) von wankelbaren Thun und Wesen träumen; Lassenius 1661 Tischreden 207 die Complexion des Menschen, ob er Melancholicus, Sangineus, Cholericus oder dergleichen sey; Butschky 1679 Rosenthal 332 Dahero seyn die Cholerici, viel fertiger/ zu allen Sachen [als die Melancholiker]; Thomasius 1692 Einl. z. Sittenlehre a5a Ein Cholericus ist schon weiter von dem Phlegma entfernet/ und bey demselben raget die Ehrgierde über die ändern Affecten empor; ders. 1696 Ausübung d. Sittenlehre 162 Die vollblütigen Sanguinei haben starcke Versuchungen von der Wohllust/ die hitzigen Cholerici vom Zorn des Ehrgeizes; Fleming 1726 Soldat 38 Diejenigen, so von hagrer Constitution sind, nennen sie Cholericos; Moser 1759 Herr 176 Ein Cholericus, der zum Referenten und Deducenten in Streitigkeiten mit Benachbarten bestellt ist, wird lauter hitzige und übertriebene Dinge machen; Lenz 1774 Hofmeister (NL LXXX 18) Sie schütten, - verzeihen Sie mir,

Chor ich bin auch ein Cholerikus, und rede gern von der Lunge ab — Sie schütten das Kind mit dem Bade aus; Merck 1780 Br. 55 Nun ist er statt des Cholericus ein Sanguinicus und verliebt sich sterblich in alle Damen, die er mahlt; Regis 1832 Gargantua l 151 Also zog der arme Cholerikus . . fürbaß auf Port Huaulr, setzt' da über Wasser, und erzählt' den Leuten sein Unglück; Keller 1855 Leben, Br. u. Tagebücher 372 wenn der Choleriker nicht weiß, was ihm selber nützt, so mag er's haben; Grosse 1896 Ursachen 77 ein Choleriker fulminanter Art, ein Mensch aus lauter Dynamit; 1899 Fliegende Blätter CX 127 Der Sanguiniker hüpft,/ Der Phlegmatiker tappt,/ Der Melancholiker wankt,/ Der Choleriker stolpert — durch's Leben; Rad-

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bruch 1922 Kulturlehre 18 Rembrandts „Mann mit dem Goldhelm", in diesem fahlen leidenschaftszerrissenen Antlitz eines edlen Cholerikers, auf dem ein ganzes in Werken hingestürmtes Leben . . zu lesen steht; Nelissen-Haken 1958 Häuser 305 Halten Sie mich für einen Hitzkopf, einen Choleriker . .?; Partner 1964 Erben 280 der Choleriker in ihm war jederzeit der Selbstbeherrschung fähig; Zeit 15.5.1987 aufregender ist, wenn Einbrodt im Choleriker und kommenden Potentaten das trotzige und ichsuchtige . . Kind im Manne zu entdekken sucht; Spiegel 19. 7. 1993 Staatsschützer beobachteten die Frauenbewegung, AKW-Gegner, die randalierende Jugend, ja selbst einen Choleriker, der einmal aus Wut 30 Bäume ausriß. OV

Chor M., auch N. (-(e)s; Chöre, anfangs auch Chore(n)), bis heute bildungs- und fachspr. auch Chorus M. (-; selten Chorusse), schon im 9. Jh. entlehnt aus lat. chorus 'Reigen, Rundtanz; Sängerschar' (vgl. mlat. chorus 'Chorlied, -gesang; Chorraum, -haus') (< griech. '(eingefaßter) Tanzplatz; Reigentanz; Tänzerschar'), anfangs in der ahd./mhd. Form kor. la Auch in der Form Chorus, zunächst (als M. oder N.) zur Bezeichnung einer Gruppe von Sängern, anfangs bes. für die in der Kirche singenden Geistlichen, dann auch (schon im Mhd.) auf den weltlichen Bereich ausgedehnt für 'Sängerschar, Gruppe von Sängern, die ein Gesangsstück ohne oder mit Instrumentalbegleitung vortragen, wobei jede Stimme mehrfach besetzt ist (im Ggs. zum Quartett, Quintett, Terzett, bei denen jede Stimme einfach besetzt ist); sich regelmäßig zu gemeinsamem Gesang zusammenfindende Gemeinschaft', häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss., z. B. in Verbindung mit bestimmten Institutionen Rundfunk-, Kirchen-, Schulchor, mit Personenkreisen Frauen-, Knaben-, Männerchor, Faunen-, Geister-, Engelschor, mit kirchlichen Gebäuden Kirchen-, Domchor, außerdem Laien-, Kammer-, Volkschor, Chorknabe 'Junge, der einem kirchlichen Knabenchor angehört'; Chorschüler, Chorkonzert 'Aufführung von Chormusik', (geistliche, weltliche, klassische, volkstümliche) Chormusik, Chorstimme 'Part der Chorsänger gleicher Stimmlage', Chorschüler 'Mitglied eines Schulchores, der für den Gesang in der protestantischen Kirche zuständig war'; häufig in Wendungen wie ein großer, berühmter, mehrstimmiger, gemischter ('aus Frauen- und Männerstimmen bestehender') Chor, jmd. gehört einem Chor an/singt in einem Chor mit, einen Chor leiten, dirigieren, der Chor singt mit Orchesterbegleitung/führt ein Oratorium auf/singt a capella Ohne Instrumentalbegleitung'; daneben auch die Zs. Sprechchor als Bezeichnung für eine im religiösen Kult, in der christlichen Liturgie und im Drama (der Antike, des mittelalterlichen Mysterienspiels) entwickelte, häufig mit einem Bewegungschor verbundene Gruppe von Personen, die gemeinsam einen Text sehr laut spricht (s. Beleg 1945); schon früh gelegentlich auch übertragen verwendet, z. B. Chor der Musen, Grazien, Götter, Chor der Vögel, auch auf Abstrakta bezogen, z. B. Chor der Wissenschaften (s. Belege 1660, 1732, 1806; vgl. auch Id). b Seit spätem 16. Jh. auch als Bezeichnung für eine zusammengehörige Gruppe gleichartiger Musikinstrumente, auch metonymisch für deren Spieler, öfters als Grundwort in Zss. wie Posaunen-, Lauten-, Instrumentalchor und in Syntagmen wie

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Chor

ein Chor von vier Blechbläsern, der Chor der Streicher; daneben gelegentlich auch als Terminus der Instrumentenkunde in der Bed. 'Gesamtheit der zu einer Taste gehörenden Orgelpfeifen bei gemischten Stimmen' und 'zusammengehörige Gruppe gleichgestimmter Saiten, z. B. beim Klavier'. c Seit Mitte 18. Jh., auch in der Form Chorus, vor allem bezogen auf die griech. Tragödie in der Bed. 'Gruppe von Schauspielern, die das Bühnengeschehen singend, sprechend kommentiert, in die Handlung eingreift, Bühnenchor', bes. in der deutschen Klassik nach antikem Vorbild wieder eingeführt, z. B. von Schiller („Braut von Messina"), Goethe („Faust II", „Pandora") und in expressionistischen Dramen (M. Frisch, P. Weiss), gelegentlich in Zss. wie Geister-, Bewegungs-, Sprechchor (vgl. la und 3) und bes. Chorführer 'Anführer des Chores im (antiken) Drama; Vorsänger eines Sing- oder Sprechchores in einer Kantate, einem Festspiel, einer Tragödie', selten auch als Bezeichnung für den Wortführer einer Menge, Gruppe (s. Beleg 1825). d Etwa gleichzeitig, wohl unter Einfluß von frz. corps (—> Korps), als M. oder N. in der veralteten Bed. 'Gruppe, Kreis von Menschen, Schar, Gemeinschaft', früher oft in der Form Chorus, z. B. ein Chorus Studenten (s. Belege 1734, 1852), gelegentlich abwertend für 'Pack, Gesindel' (s. Beleg 1887), selten auch übertragen auf Erscheinungen in Natur, Kunst oder im menschlichen Innern (s. Belege 1798, um 1808, 1810). 2 Ebenfalls schon seit mhd. Zeit als Terminus der sakralen Baukunst (selten auch N.) als Bezeichnung für den Ort in der Kirche, an dem sich die singenden Geistlichen bzw. Chorknaben (vgl. l a) versammelten: Speziell im Bereich der katholischen Kirche in der Bed. '(ursprünglich für das gemeinsame Chorgebet der Kleriker bestimmter) meist nach Osten ausgerichteter, im Innern abgesetzter Teil der Kirche mit (Haupt-)Altar und Chorgestühl, durch Chorschranken, Lettner oder schmiedeeisernes Gitter vom Kirchenschiff getrennt; (meist um einige Stufen erhöhter) Chorraum, unter dem sich in älteren Kirchen oft eine Krypta befindet' (s. Belege 1521, 1782), häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Chorfenster 'Fenster im Altarraum', Chorkapelle 'dem Chorumgang angebaute Kapelle', Chorknabe 'Meßdiener, Ministrant', Choresel, scherzhaft für 'Geistlicher, Kaplan', Chorschranken 'mit Malereien, Bildteppichen und Reliefplastik geschmückte Brüstungen aus Stein, Stuck oder Holz, die in romanischen und gotischen Kirchen den Chor gegen die den Laien zugänglichen Teile abgrenzen', Chorgestühl 'für die Geistlichen bestimmtes, an den beiden Längsseiten des Chors in meist je zwei Reihen aufgestelltes, häufig mit reichen Schnitzereien geschmücktes Gestühl aus Klappsitzen und Armlehnen', Chormantel 'weiter, bis zu den Füßen reichender Mantel in der liturgischen Tagesfarbe mit einem reichverzierten Tuch', Chortürme 'Türme beiderseits des Chors an mittelalterlichen Kirchen', Chorumgang 'um den Altarraum herum geführter Gang, Verlängerung der Seitenschiffe', Chorherr 'Mitglied eines Domkapitels, das den Chordienst versieht; Mitglied einer Ordensgemeinschaft, deren Angehörige nicht nach einer Ordensregel, sondern nach anderen Richtlinien leben' (vgl. Kanonikus), mit der vereinzelten adj. Ableitung chorherrisch, vgl. auch die Zs. Chorgericht 'in einigen protestantischen Gegenden (z. B. Schweiz) übliches geistliches Gericht, Kirchenrat' (—·· Konsistorium); in Syntagmen wie ein gotischer Chor, die Kirche hat zwei Chöre sowie in den veralteten (mhd.) Wendungen wie zu Chore gehen, stehen 'ein Hochamt halten'; jmdn. zu Chore treiben 'jmdn.

Chor

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gehorsam machen, zur Erfüllung seiner Pflicht anhalten' (weil der Chor in Klosterkirchen der Ort war, wo Mönche und Nonnen den Gottesdienst abwarteten). Selten auch zur Bezeichnung der vor allem in protestantischen Kirchen für die Orgel und die Sänger bestimmten Empore (s. Belege 1599, 1660, 1962). Daneben seit dem 19. Jh. die Diminutivform Chörlein N. (-s; -), als Terminus der Kunstgeschichte in der Bed. 'halbrunder oder vieleckiger kleiner Erker an mittelalterlichen Wohnhäusern, Burgen und Rathäusern' (vgl. schon mhd. koerlin als Bezeichnung für den Altar einer Kapelle, der nicht unter Wohnräumen stehen durfte). 3 Seit früherem 18. Jh., oft auch in der Form Chorus N., wohl ebenfalls von la her in der Bed. 'gemeinsamer (mehrstimmiger) Gesang einer Sängergruppe', dann auch für das gemeinsame Sprechen, Deklamieren einer Gruppe, meist in der Zs. Sprechchor 'nach Rhythmus und Sprechmelodie künstlerisch gestaltetes gemeinsames Sprechen von Texten, gleichzeitiges Sprechen oder Rufen der gleichen Worte durch mehrere Personen (z. B. von Parolen, Losungen, Forderungen, Aufrufen bei einer Demonstration)', in Syntagmen wie mit Sprechchören protestieren und bes. im Chor 'gemeinsam (sprechend), alle zusammen', seit dem 18.719. Jh. auch übertragen verwendet in Wendungen wie in den Chor derer einstimmen, die . . ., in den Chor mit einfallen und Chor(us) machen mit jmdm./etwas 'jmds. Ansicht teilen, eine übereinstimmende Meinung besitzen oder äußern', auch Chor(us) machen gegen jmdn./etwas (s. Belege 1741, 1786, 1815). 4a Seit Ende 18. Jh., auch in der Form Chorus, in der Bed. 'Komposition für einoder mehrstimmigen Gruppengesang', veraltend auch 'Refrain eines (Studenten-)Liedes' (s. Beleg um 1808; vgl. 4b), auch bezogen auf Texte, die gemeinsam gesprochen, vorgetragen werden, bes. in der Zs. Sprechchor 'von einer Gruppe im Chor gesprochener Text', als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Anfangs-, Eingangs*, Freuden-, Schlußchor; Chorfuge 'fugenartige Komposition für einen mehrstimmigen Chor', Chorsatz 'Komposition für mehrstimmigen Chorgesang', Chorwerk 'umfangreiche Komposition für Chor (und Orchester)', Chorzyklus 'Zyklus von Chorsätzen', und in Syntagmen wie einen (mehrstimmigen) Chor komponieren, einen Chor einstudieren, vortragen. b Seit Mitte 20. Jh., unter Einfluß von gleichbed. engl. chorus, nur in der Form Chorus M., fachspr. im Bereich von Jazz und Musical verwendet in der Bed. 'mehrfach wiederholtes („refrainhaftes") und improvisiertes, aber in der Harmonie festliegendes Thema; Hauptteil oder Refrain eines Stückes aus der Tanz- oder Unterhaltungsmusik'. Dazu seit frühem 16. Jh. aus mlat. (cantus) choralis 'zum Chor gehörig(er Gesang)' entlehntes Choral1 M. (-s; Chorale) (zu lat. chorus, s. o.), seit dem Spätmittelalter in der katholischen Kirche gebraucht in der festen lat. Fügung musica choralis 'einstimmiger, einfacher liturgischer Gesang auf lat. Texte ohne Orgelbegleitung', auch (nach Papst Gregor I.) Gregorianischer Choral/Gesang genannt, im Ggs. zu musica figuralis oder einem kunstvollen Tonsatz für mehrere Stimmen (s. Beleg 1619), seit der Reformationszeit in der protestantischen Kirche in der Bed. 'von der Gemeinde in der Muttersprache gesungenes, meist strophisches, melodisches und rhythmisch einfaches, oft instrumental (mit Orgel) begleitetes Kirchenlied', das unter Luthers Einfluß besondere Ausbildung und liedartige Gestalt erhielt und auch in Bachs Oratorien (—» Oratorium) und Kantaten (—> Kantate) häufig verwendet wurde (s. Belege 1520, 1861, 1994); häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Oster-,

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Chor

Weihnächte-, Gemeinde-, Orgel-, Schlußchoral; Choralbuch 'Sammlung von Choralsätzen (nach denen der Organist den Gemeindegesang begleitet)', Choralfantasie, -kantate 'Kantate, der ein evangelisches Kirchenlied in mehreren Sätzen zugrunde liegt', Choralbearbeitung, -musik, -melodic, -satz, -verspiel 'Orgelvorspiel, das eine Choralmelodie zum Thema hat' (zu 4a). Dazu seit Ende 16. Jh. die veraltete Personenbezeichnung Choralist M. (-en; -en) 'mittelalterlicher Chorsänger; Vorsteher des Kirchengesangs, der den Choral in den Kirchen zu besorgen hat' (zu la); im 17. Jh. die verbale Gelegenheitsableitung choralieren (zu la). Seit Anfang 18. Jh. das Adv. choraliter, gleichbed. mit den seit Anfang 19. Jh. gelegentlich nachgewiesenen adj. Ableitungen choralhaft und choralmäßig 'in Art und Weise eines Chorals' (zu 4a). Vgl. daneben bereits vom 14. bis ins 18. Jh. die (ebenfalls auf mlat. choralis 'zum Chor gehörig' beruhende) Personenbezeichnung Choral2 M., auch in der lat. (flekt.) Form, im klerikalen Sprachgebrauch in der Bed. 'Chorschüler, Sängerknabe im Domchor' (zu la). Seit späterem 16. Jh. die (aus mlat. chorista, zu lat. chorus, s. o., entlehnte) Personenbezeichnung Chorist M. (-en; -en), auch moviert Choristin F. (-; -nen), anfangs noch in der mlat. Form Chorista, seit dem 18. Jh. in heutiger Form, in der Bed. 'Mitglied eines (Opern-)Chores, Chorsänger', auch 'Chorschüler' (zu la; vgl. auch 2). Dazu seit Mitte 18. Jh. die nur als Grundwort verwendete adj. Ableitung -chörig, auch mit Nebenformen wie -chöri(s)ch, in der Bed. 'den Chor in der Kirche betreffend', bes. in den Zss. doppel-, zwei-, dreichörig, z. B. bei der Beschreibung von Kirchen, die einen zweiten Chor im Westen haben (zu 2), dann auch in der Bed. 'von zwei bzw. drei Sängerchören (gesungen)' (zu la), und als Terminus der Instrumentenkunde zur näheren Bestimmung von Saiten (zu Ib). Seit späterem 19. Jh. die adj. Ableitung chorisch (< lat. choricus < gleichbed. griech. ) in der Bed. 'durch einen Chor ausgeführt, für einen Chor bestimmt, ihn betreffend', häufig in Wendungen wie eine gute chorische Leistung, chorischer Gesang, chorisches Tanzen, Spielen, Sprechen, ein Lied chorisch bearbeiten (zu la und Ic), daneben die seltenen gleichbed. adj. Ableitungen chormäßig und chorweise (zu la). Chor/Chorus la: 12. Jh. Gebete v. Muri 29 daz ich wirdecliche irteilt werde der gnoscheste/ der himilschen chore uon ewon unz ewon; um 1230—50 Lilie 2 inde vuret it in die star, die Got sinen hat verborgen; den engelischen choren is si heimelich; 1343 Beheims Evangelienb. 156 Abir sin elder sun was Qf dem ackere, und do her quam und dem hüse nehite, do hörte er süze gedöne und den chor; 1343 Hausordn. Nürnberg M. 17 Item do hebt sich der korschuler regel an; ebd. wer nicht priester werden wil, den sol man zu korschuler niht nemen; Dresd. Urk. 1386 Cod. dipl. Saxonia reg. II 2,225 Den chorschulern vyer grosschin y czu der czit czu presenczien (beide NYSTRÖM); Oswald v. Wolkenstein 1432 Lieder VIII l Neun kör der engel, die loben got an underlast; Bad. Scbulordn. 1453 M. G. P. XXIV 434 Item Dechan vnd Cappittel

sollent auch ein gedencken haben nach dryen oder viern Corschülern versickel alleluja vnd anders zu singen (NYSTRÖM); Folz um 1460 Meisterlieder 344 Die Got er leucht,/ Die hie ir zeit ver dreiben,/ Hymnus, sequentz sie schreiben,/ Die man nit scheucht,/ Vil kor gesang gemachte/ Der nie keins worden ist veracht; Stainhöwel 1473 Ber. Frauen 158 der jungen closterfrowen chorgesang und ir andacht und abendgebet; Wolfenb. Urk. 1491 M. G. P. VIII/XXIX dorch de prestere und korschölere de tide van unser leven fruwen to holdende; Wismarer Urk. 1500 M. G. P. XXXVIII 63 Item desse prestere unde korscholre (beide NYSTRÖM); 1583 (1892 M/ff. G Erz'gesch. H 112) Diese sollens in der Schul vleissig zuuor vbersingen, auf den, der den Chor regiret, acht haben, wie ers inen anstimmet; 1590 (1900 Mitt. G Erz' gesch.

Chor 160) Ins Chor muss Niemand ohne Vorwissen und Prüfung des H. Cantoris; ebd. Das Chor-Geld ist jedesmahl getreulich dem Rectori . . einzuliefern; Prätorius 1619 Syntagma mus. Ill 71 diese Stimmen, welche bey eim jeden Chor die tieffsten seyn, nemblich die Bässe; ebd. [die Stimmen] die da erstlich den Baß vnd das Fundament bey jhrem Choro halten; Fleming 1642 W. (NL XXV1I1 13) Die lauten Cherubinen/ und der gelehrte Chor der hellen Serafinen; Comenius 1644 Sprachen-thür Nr. 631 Wann man zusammen kommen ist/ singen die chorsinger (die cantorey) am pult psalmen vnd geistliche lieder; Treuer 1660 Dädalus o. S. Das Tauben- und Vögelhauß/ mit schönen Gaben außgeputzt/ do die VögelChöre stimmen lassen klingen; 1673 (1892 Mitt. G Erz'gesch. 1117) bey straff der execution aus dem Choro; Braunschw.-Lüneb. Scbulordn. 1737 Vormb. Ill 405 Sonderlich ist auch davor zu sorgen, dasz die Gurrend- und noch vielmehr die Chor-Schüler, nicht unrein und unfläthig (NYSTRÖM); Scheibe 1745 Musikus 181 daß man die Motetten mit einem Chore von vier, fünf, oder sechs Singestimmen, und auch mit zween Chören, und also von acht und mehr Singestimmen, und endlich wohl gar mit drey Chören zu setzen pflegt; Lichtwer vor 1783 Sehr. 134 Es wechseln in den Vögelchören/ Verwundrung, Lust und Achtsamkeit (SANDERS DWB); Bürger 1796 Gedichte (S. Sehr. II 105) Sey gegrüsst im FreudenChor; 1798 Neues Hannöv. Magazin 321 die Frage . ., ob die Singechöre an unsern Schulen nicht eine für die guten Sitten, die Disciplin und überhaupt für die wissenschaftliche Bildung nachtheilige Anstalt wären; Schleiermacher 1806 'Weihnachtsfeier 22 Vom Chor der Engel ward Jesus empfangen; 1811 Almanach a. Rom 11168 f. In höchst seltenen Fällen nimmt man einige Mädchen zu Sopran und Alt, man bewirkt aber dadurch sehr wenig, da diese Chorsängerinnen höchst unsicher in Intonation und Tact sind; Seume 1813 Leben (W. l 53) Außer etwas Chorgesang in öffentlichen Stunden, hatte man mich weiter keine Musik treiben lassen; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre I 171 Köpfe kamen zum Vorschein, nickten einander zu, und fünfzig junge Stimmen lachten einen lustigen Chorus; Kriegk 1871 Bürgertum U 101 diejenigen Stiftsschüler, die sich zum Chorgesang verpflichteten; Proskowetz 1889 Newastrand 83 Gar mancher Concurs, viele Duelle sind die Folge der schwärmerischen Entzückung junger Herren für eine der originellen Chorsängerinnen; Liliencron 1896 Poggfred (XI 229) Hinauf, hinauf in immer höherm Flug,/ Bis Du empfangen wirst von Sternenchören; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 67) wenn der Chorus angestimmt hatte; Bierbaum 1910 Reife Früchte 133 Nur Degenerierte und Dichter (was auf eins hinausläuft) sind imstande, an diesem

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Chorus der Freude nicht mit teilzunehmen; Suess 1916 Erinn. 69 Hierauf stimmte der Chor das Gaudeamus an; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. 111 889) ein internationaler Chor gefeierter Sänger und Sängerinnen setzte . . die hochgeschulte Gottesgabe seiner Stimmen ein zur Ausführung von Arien; Werfet 1924 Verdi 398 Die Idee, den hohen antiken Wagen von einem Chor fackeltragender Mänaden, Erinnyen, Tiermasken ziehen und begleiten zu lassen; Bahr 1925 Liebe I 71 während aus der Gefängniskirche Orgelspiel in den hellen Chor der Vögel klingt; Nora 1932 Am Färbergraben 112 „Chorregent" war der Titel des Hauptlehrers, da er auch den Kirchenchor zu regieren hatte; Berl. Illustr. Nachtausg. 26.1.1933 Die lieblichen kleinen, aber so stark geschminkten Chorusgirls stehen inmitten der neuesten Modelle; Münch. N. N. 27.11. 1938 In einer „Chorfeierstunde" gelangte eine Reihe von Werken a cappella wie auch für gemischten Chor mit Solo und Orchester .. zur Aufführung; ebd. 24. 2. 1945 Man scheut sich auch nicht, im Unterhaus einen „Sprechchor" zu inszenieren; Ehrmann 1950 Erbe 67 Man denke auch an den sprichwörtlichen Gegensatz des Chor- und des Orchesterdirigenten; 1953 Festschr. a. Kutscher 206 Natürlich wurde der sangesfrohe Jüngling Mitglied des Schülerchors; Heimpel 1956 Kapitulation 81 die reiche Skala der gemischten Finanzierungen, der Chor der Ansprüche an den Staat; Süddtsch. Ztg. 26. 6. 1962 Zur Zeit können wieder Buben .., die Freude am Singen haben, bei den Münchner Chorbuben aufgenommen werden; Sie u. Er 25. 4. 1963 Der Chef persönlich hält „Inspektion", wobei er jedoch in der Hauptsache nicht das Können der sogenannten Chorus-Girls überprüft; MM 15. 6. 1985 Daß der Chor die so vorgegebenen Stilwechsel mühelos mitvollziehen konnte, . . verwies einmal mehr auf seine gute Schulung; ebd. 11.6. 1988 Aus der Flut mannigfaltiger Chor- und Kirchenkonzerte hob sich das Gastspiel des Chores aus Bielsko-Biala (Polen) durch eine eigenwillige Programmgestaltung . . wohltuend ab; Spiegel 9. 5. 1994 Meier mobilisierte ein Orchester von spätromantischem Kaliber, einen großen Chor und das ganze . . Arsenal zeitgenössischer Opernmache. Choral2: 1J57 (Urkundenb. Jena. Gesch.qu. Ill 1,279) zwene korales; 1395 (Urkundenb. NdRhein 1111011) vort den choralen (beide MÖLLER); Vertrag zwischen Stift u. Rat zu Emmerich 1453 M. 292 Item so sal dat capittel irstz dages choralen setten - ind die sullen toe choer gaen helich dages ind werkeldaiges to metten, toe primen, toe zielmissen, to vesperen ind dess somers to nonen des zomers sullen die choralen allene to nonen gaen (NYSTRÖM); Ende 15. Jh. (Hesse 1854 K. Stolles

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Thüring. Erfurt. Chronik. Bibl. XXXII 135) eyn coralis (MÖLLER); 1510-30 (Grunau 1876 Preuss, Chronik I 318) Disser Johannes starb zcu Marienborgk und wart zcum Marienwerder begraben, und woren 4 chorales und 2 cappelan ag im gantzen thumb; ebd. II 19 damit man da machte ein gar ehrlich gestifft mit vielen priestern und coralen, unnd sungen zweerley taggezeiten,.. das annder teil auff den tag unnser lieben frauen gezeiten mit der messe; Luther-Emser 1521 Str. 130 Vnd haben die Thumhern doselbest yr metten vnd ander getzeyten selber gesungen, nith auff chorales gesteh wie Luther hie clagt; 1535 (Württ. Gescb.qu. XXII 53) In der truchen mit F zaichnet ligen: . . 8 schwarz beizin chorkeplen, haben die chorales getragen; Breslauer Urk. 1540 (Bauch, Aktenst. 44) nemlich dem schulmeyster 6 gr., dem cantori 6 gr., den coralibus odder astanten 6 gr. (NYSTRÖM); 1542 (Polit. Korrespondenz d. Herzogs Moritz v. Sachsen I 442) Keine corales soellen zu Meissen gehalten werden, dann die man zu den kirchengesengen gebraucht; Milichius 1566 Scbrapteufel K3r Muench/ Conuentsbrueder/ Choralen/ Kuester; Ro< 1571 Diet. 295 Choralis, Ein bestelter singer, so den gemeinen gsang in der Kirchen hilfft singen, Ein Chorschüler; Mathesius 1586 Syrach III 12a So singen sie doch allein mit dem Munde/ vnnd ehren Gott mit jhren Lippen/ Aber jhr Hertz ist ferne dauon/ Wie die Exempel der Phariseer vnnd der Chorschueler vnd Choralen lehren; Grosser 1714 Lausitz. Merkwürdigkeiten IV 156 f. Die Chorales sind diejenigen armen Scholaren, so das Chor in den Kirchen mit Figural-Musik versehen; Schulges. f. d. Gymn. zu Soest 1730 Vogeler IV 45 Wo die Kirchenmusik gewesen ist in der Gemeine, haben auch chorales die Freiheit vor den Thüren zu singen (beide NYSTRÖM); Abel 1732 Satir. Gedichte II 2 Die Mette war vor sie [Herren in Paris] des Morgens viel zu früh, Sie hielten sich Chorais, die sangen sie vor sie. choralieren: Beer 1683 Sommer-Tage 208 psalliren/ choraliren/ figuraliren. Choralist: 1590 (1900 Mitt. G Erz'gesch. X 160) Der Praefectus ist gehalten Singe-Stunde mit seinen Choralisten . . publice in der Schulen zu halten; 1599 (Font. rer. Austr. U 58,633) sunst die ändern bedürftigen kirchenpersonen als schulmaister, cantor, Organisten, choralisten und messner nicht woll bekhomben . . khünne; Mayr 1604 Epitome 333 Vnter ändern seinen Stiftungen/ hat er [Erzbischof v. Salzburg] den Caplänen vnd Choralisten zu Saltzburg jhre Järliche besoldung vermehrt; 1650 (Huhn, Hl. Geist-Spital München 146) Fünf Choralisten bei der Sepultur und beim dreißigsten ä 15 kr.; Weingarten 1673 Fürsten-Spiegel 1200 auch [in

der neuen Kirche] vor 24. Choralisten Fundation gemachet/ welche Tag und Nacht psalliren sollen; 16&2 (Rail, Kurbayern 500) Schulmeister, Kantoren, „Choralisten", Mesner und Bediente des Domkapitels waren von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit nicht ausgenommen; Beer 1700 Staat 241 Choralisten und Vesper-Sänger (CARMESIN); 1726 (Evangel. Schulordn. Ill 297) Wenn bei öffentlichen Trauungen in der Kirchen Musico begehret wird, muß selbige der Cantor mit seinen Choralisten abwarten (NYSTRÖM); Stoppe 1729 Gedichte II 114 Was ist ein Choralist? Ein jauchzender Soldat, Der vor den Thüren wetzt und frey zu fechten hat; Gomolcke 1736 Zion 145 vor dem Hause, aus welchem die Leiche getragen, wird der Lob-Gesang Simeonis, mit Fried und Freud ich fahr dahin, angestimmet, die Leichen werden entweder von denen Choralisten, oder da es ein Zunfft-Genosse . . von denen jüngsten Meistern getragen; L. Mozart 1777 Br. I 231 Der Choralist Egger ist gestorben; Heynatz 1796 Antibarbarus I 275 Choralist wird unrichtig von einem Schüler gebraucht, der ein Mitglied des Singechors ist. Dieser muß Chorist heißen; Holtet 1858 Erz. XXIX 45 Noch unbegreiflicher erschien es mir, daß die Choralisten untereinander scherzten und lachten. -chörig: Scheibe 1745 Musikus 181 Die zweychörichten Motetten sind die besten, weil sie dem Ohre am meisten Genüge thun. chorisch: vor 1871 Bert. Montagsztg. VI 6 Die chorische Virtuosität des Stern'schen [Gesang-]Vereins; Rosenkranz vor 1871 Poes. Gesch. 191 Die chorische Tragödie [worin ein Chor auftritt] (beide SANDERS 1871); Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 298) expressive Sonderübungen der Kunst, chorisch-tänzerische, geschehen der Szene zu Dank und werden von ihr aufgenommen; Volk u. Heimat 5. 1. 1930 Die Wirkung der verschiedenen sprechchorischen Bemühungen ist sehr unterschiedlich; 1932 Stecowa 99 Gesangverein, der die Feldmessen chorisch verschönte; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 651) er wünsche, einer günstigen Freundesversammlung von seinem neuen, eben vollendeten chorisch-symphonischen Werk ein Bild zu geben; Welt 9. 8. 1949 künstlerische Persönlichkeiten . ., deren verschiedene Auffassungen in mannigfaltigen Stilen zum Ausdruck kommen werden: die chorische Begabung so gut wie das klassische Ballett; Kuby 1961 Sieg 79 die chorische Antwort der Kompanie . .: „Guten Morgen, Herr Hauptfeld" (DUDEN 1993); MM 26. 9.1985 Solistisch, chorisch und instrumental wurde der „Messias" . . zum Höhepunkt; Zeit 20.2. 1987 Buddhistischer Gesang ist in dieser Zeremonie stets instrumental begleiteter Sologesang oder chorisch angestimmter

Chor Gesang der Mönchsgruppe; Frankf. Rundsch. 25.5. 1990 die Schauspieler haben Möglichkeiten zur solistischen Improvisation und sind beim chorischen Sprechen zugleich zu strenger Disziplin verpflichtet. Chorist: Fischart 1575 Geschichtklitterung 238 Da antwortet jm der Chorista sie weren da vonwegen der glocken; Moscherosch 1642 Visionen 344 Denen sie endlich/ bey Beschliessung selber Ceremonien vnnd Gesangs/ das Haar abschoren/ als den Nonnen so Profess thun wollen: Dannenhero diese/ Schönsten/ Agirer/ Penalisirer heissen; Hess. Schulordn. 1721 M. G. P. XXV11 243 Alle und jede Choristen (NYSTRÖM); L. Mozart 1771 Br. l 110 Das letzte Allegro der Symphonie ist ein Chor von 32 Choristen; Heynatz 1796 Antibarbarus l 275 Choralist wird unrichtig von einem Schüler gebraucht, der ein Mitglied des Singechors ist. Dieser muß Chorist heißen; 1799 Journal d. Moden XiV 214 die Musikanten, die Choristen, die Figuranten sind auch Künstler; Jean Paul 1800—03 Titan 111 80 ihr bruder, der chorist ihres kurzen freudengesangs (DWB); Thümmel 1803 Reise VIII 338 Ausgang des heutigen Festes, dem sie selbst den eifrigsten Wunsch äußerte als Choristin beyzuwohnen; 1811 Almanack a. Rom U 168 Der Maestro al Cembalo hat .. das Geschäft, mit den Choristen die Chöre einzustudieren; Goethe 1816 Br. (WA IV 27,260) Sie ist nicht ohne Stimme schreibst du, heißt das, daß sie etwas singen kann, daß sie allenfalls zur Choristin nöthig wäre?; Jäger 1835 F. Schnabel 160 Keine Heldinnen, aber Heldinnen entdeckten sie unter dem lustigen, freien Theatervölkchen, besonders schienen ihnen einige Choristinnen und Statistinnen; Wagner 1840—41 Ges. Sehr. u. Dicht. 1129 Mir träumte von Göttern und Kontrabassisten, .. von Choristinnen und Fünffrankenstücken; Bäuerle 1858 Memoiren I 121 verlor'n war er mit sammt allen Schauspielern, Sängern, Tänzern, Chorist'n; Holtet 1863 Letzte Komödiant 11 42 Sie verließ zwar den ihr vom Regisseur angewiesenen Platz keineswegs; dennoch trennte sie sich von den übrigen Choristinnen ab; Welten 1885 (Die Ges. l 619) In einem fernen Provinztheater huldigt er jetzt den Choristinnen, welche keine Ehemänner im Hintergrunde haben; Eckstein 1889 Camilla 9 [er hatte] die frivolsten Beziehungen zu einer Choristin der Großen Oper ungenirt fortgesetzt; 190« Zukunft LXU 66 daß ein Theaterdirektor, statt sich eine aus der Schaar munterer Choristinnen zu wählen, die sechzigjährige Souffleuse fürs Lager warb; Th. Mann 1921 Nachtr. (W. XIII 467) weil es mich aufs äußerste verlangte, nach Art der Choristen des Stadttheaters mit einer Flinte dazustehen, die Hand bei gestrecktem Arme am oberen Lauf auf den Kolben am Bo-

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den; Musil 1930 Mann l 105 wenn er sich auch hie und da des diplomatischen Rufes halber in Gesellschaft seiner Freunde mit kleinen Theaterchoristinnen gezeigt hatte; Wilke 1930 Erinn. 200 Die Choristinnen des Walhalla-Operettentheaters schlugen eine Einladung zum „Souper" . . selten aus; Berl. Illustr. Nachtausg. 14. 2. 1933 Choristinnen sollen bekanntlich nicht von ihrer Gage leben, sondern für ein umfangreiches Herrenpublikum im Parkett sorgen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 338) eine rothaarige Choristin in schmutzigem Schlafrock; Welt 13.2. 1959 Als ich mich dann abschminkte, fand ich in den Blicken der Komparsen und der Choristen nur Mitleid; Spiegel 21.11. 1994 Nach und nach kommt auch die Schar der Choristen auf die Bühne, alle in schwarzem Konzertdreß. chormäßig: Fischart 1579 Bienenkorb 8a Chormäßig schreien (SANDERS DWB); Goethe 1820 Br. (WA IV 32,242) Zu beyliegender Hymne wünsche eine wahrhaft Zelterische Composition, damit solche jeden Sonntags vor meinem Hause chormäßig möge gesungen werden; ders. 1821 Wanderfahre (WA l 25.1,147) indessen . . ein paar Musikfreunde . . die Gesellschaft zu Gesängen, einzelnen und chormäßigen, auzumuntern und anzuführen wußten. chorweise: Goethe 1818 Br. (WA IV 29,219) Es sind unter den jungen Leuten hier recht hübsche Stimmen und Chorweise machen sie ihre Sachen auch gut; ders. 1829 Br. (WA IV 45,291) viel weißgekleidete, kranztragende, geschmückte Jungfrauen, die unsre, nach Preußen, von den besten Wünschen begleitete Prinzeß Auguste abschiedlich chorweise zu begrüßen ausgezogen waren. Chor Ib: Fischart 1578 Ehezuchtbüchlein (W. Ill 238) Dan was ist anders, das man einen Chor nennet, als eine versamlung der Sänger oder Seytenspiler, die alle auf ein ende sehen, naemlich auf eyn gut gethoen; Prätorius 1619 Syntagma mus. III139 Da inmittelst der Lauten-Chor, oder die Orgel mit einem sanfften Register mus gebraucht werden; Walther 1732 Musical. Lex. 159 Chor .. also heissen die Saiten auf Lauten, Tuorben. u. d. g. Instrumenten; Günther 1739 Gedichte 160 Lautenchor; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 58) der schimmernde Chor der Blechinstrumente, von der schmucken Trompete . . über den Liebling der Romantik, das verwickelte Ventilhorn; ebd. VI 178 der Bläserchor [setzt] ein zu einer Choral-Hymne. -chörig: Walther 1732 Musical. Lex. 159 also heissen die Saiten auf Lauten, Tuorben. u. d. g. Instrumenten. Daher sagt man: ein Zwey- und Dreychö-

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richtes Clavichordium oder Clavicymbel, wenn nehmlich jeder Clavis an so viel Saiten schlägt. Chor/Chorus lc: Bodmer 1746 Crit. Br. 19 Darum verdienen die alten Poeten alles Lob, welche zu dem Amt des Chores vornemlich das gemacht haben, daß er mit den Nothleidenden Mitleid haben sollte; Goethe 1825 Br. (WA IV 40,41) In dem großen Gewühl theilnehmender Verehrer unsres Fürsten vermißte ich jedoch einen würdigen trefflichen Chorführer voran, mit den eifrigst Wünschenden gleichgesinnt und gleichgestimmt; Eckstein 1876 Säur. Zeitbilder 52 dem Tragiker verzeiht er es nicht, wenn seine Dichtwerke keinen sophokleischen Chor aufweisen; Liliencron 1896 Poggfred (XII19) Der Beifall klatschend tobt in Dankeschören; Th. Mann 1908 Reden u. Aufs. (W. X 50) Als der tragische Chor im Tanz um den Altar der Thymele schritt; Meyer 1911 Aufs. I 26 Wie sich's zu jenem Hühnervolk verhalten mag,/ Von dem am Schluß des Trauerspiels/ Der Chor noch redet; Dtsch. AZ. 17.1.1935 Seine vielen Freunde . . haben es freudig begrüßt, ihn . . in der schlichten . . Rolle des Chorführers wiederzusehen; ebd. 11. 11. 1935 von den unter Leitung von Lola Rogge stehenden Hamburger Bewegungschören [wurde] ein chorisches Tanzschauspiel . . gegeben; Staiger 1966 Grundbegriffe 163 Im neueren Drama fällt der Chor weg, der bei den Griechen vom Anfang bis zum Schluß auf der Bühne verharrt; Böschenstein 1967 Idylle 25 Eine zentrale Stelle des Spiels, das die Bekehrung der Amazone zur Liebe darstellt . . ist jenes Chorlied, das dem Goldenen Zeitalter als einer Epoche erotischer Freiheit nachtrauert; MM 27. 5. 1986 sein Bedürfnis, den antiken Chor als monotonen Sprach- und Stimmblock aufzufassen, anstatt ihn zu entflechten in Einzelstimmen; ebd. 13.8. 1996 Daß er selbst dann in seiner Verzweiflung Hilfe braucht und sie im Chor der griechischen Tragödie sucht, der seine banalen Erlebnisse kommentiert, ist . . ein genialer Effekt. chorisch: Volk u. Heimat 20. 3. 1930 In München wurde ein Verein „Die Chorische Bühne" gegründet; Dtsch. AZ. 11.11.1935 dieses chorisch getanzte Drama war im allgemeinen auf einfache Bewegungen und räumliche Vorgänge abgestellt; ebd. 13. 11. 1935 Man wird der Leitung der Tanzfestspiele dankbar sein müssen, daß sie . . Proben des bewegungschorischen Strebens zeigen ließ. Chor/Chorus Id: Weber 1734 Enc. I 241 f. Chorus . . Menge Leute; Burmann 1773 Fabeln 147 Neidisch sah das Chor der Hirten auf Thyrsis' Glück (SANDERS DWB); 1772 Frankf. gel. Anz. 408 Das jungfräuliche Chor der Musen (TRÜBNER); Schiller 1797 Taucher o. S. Und ein Edelknecht, sanft

und keck, tritt aus der Knappen zagendem Chor; Goethe 1798 Metamorphose d. Pflanzen (HA XIII 107) Alle Gestalten [der Pflanzen] sind ähnlich, und keine gleichet der ändern;/ Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz; ders. um 1808 Faust I (WA 114,11) Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,/ Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,/ . . nicht ohne Narrheit hören; ebd. 14,125 Mich dünkt, ich hör' ein ganzes Chor von hunderttausend Narren sprechen; ders. 1810 Maskenzug (WA l 16,228) Kreisend ziehen wir zusammen,/ Wie das Chor von Sternenflammen/ Sich um Eine dreht; Beer 1823 Bräute v. Arragonien 7 Der Nonnen heil'ges Chor (SANDERS DWB); 1831 (Kluge, Studentenspr. 103) Chorbursch 1831 = Corpsbursche 1846; Rücken 1838 Röstern Suhrab 21a So drang er aus dem Chor der Seinigen hervor (SANDERS DWB); 1852 Prutz' Museum I 135 in einem öffentlichen Bad, dessen zwei Abtheilungen für Herren und Damen man vor sich sieht, [geht] ein Herr im Badehemd ins Damenbad und eine ebenso kostümirte Dame ins Herrenbad .. Beide werden natürlich herausgejagt — hinter der Dame erscheint ein Chorus entrüsteter Herren, hinter dem Herrn ein Chorus entrüsteter Damen; Schumann 1887 Bliemchen 38 Chor wohnt da drinne! (TRÜBNER); Noth 1931 Mietskaserne 314 Der Chorus gröhlt laut, der Lehrer verneigt sich gerührt und leert sein Glas; Th. Mann 1933—43 Joseph (W. /V/V 122iJ die frauenfestliche Aufregung, in die diese Enthüllung den Chor der Freundinnen versetzte; Grass 1962 Blechtrommel 50 Sahen mich die Kinder der Nachbarschaft, . . plärrte auch schon ein ganzer ungewaschener Chor; ebd. 402 Primaner, Studenten, einen alten Priester und einen Chor Museumswärter machte die [Niobe] still mit ihrer Stille. Chor 2: Otte um 1210 Eraclius 4836 Und iz hat gehört min ore/ In mynes herzens core,/ Und ein icliches dor under/ Vernumen han ich besunder; Ebernand v. Erfurt Anfang 13. Jh. Heinrich u. Kunegunde V. 3664 sie was die leste in dem kor; Konrad v. Würzburg um 1275 — 77 Schmiede 222 du hast in sinen koeren/ enpfangen werde gnade; Konrad v. Megenberg 1350 Buch d. Natur 196 da von sprach maister Jordan predigaer ordens . . in ainer pfaffenpredig, dö er rett zuo den körherren und zuo ändern pfaffen; Richental 1414-1418 Konstanzer Chronik 26 do was ain priester uff aim roß, angelait wie ain ewangelier, und hatt ein chorkappen an und hatt ain güldin crütz an ainer stang in siner hand; Volkslied 1414—18 (Liliencron I 234) Corherren haißend reguläres; 1453 (Bayer. Kechtsqu. II 422) Und sol über der unser keinem vom korgericht brief herab tragen noch durch iemands schaffen zu geschehen, es sei dann über

Chor elich oder gaistlich sach; vor 1466 Stretlinger Chronik 60 Der kilchherr oder lüpriester der kilchen des Paradis von bäpstliches gewalts wegen an dem selben end mag zuo ewigen ziten tragen ein kutzhuot, zuo glicher wis als ein corherr uf der stift zuo Losan, das man ouch nempt zuo einer ändern tütsch einen vechen chorhuot; Niclas v. Wyle 1478 Transl. 157 senger zuo Zürich chorherre zuo zofingen; Oheim um 1500 Chronik 98 Harüber wellen und setzen wir, das alle unser korherren uff die vier hochzittlichen tag . . in unser kor geladen und in unsern refectorie; Gessler 1511 Formulare Ib Mittelgrad der geistlichen . . Chorherr; Eck 1520—27 Vier Sehr. 34 Othmarus Luszinius, Korrherr zuo S. Moritz zuo Augspurg; 1521 Pfründt marckt bb 2b Etlich sind von der armen rot, priester uff den stifften, die nennet man Caplön, zu tütsch Chor esel, die lügenn ouch wie sy mer dann ein pfründ mögen überkommen; Luther 1521 W. VII 795 kirchen . . die wir auch in drey stuck teylen, als den kirchhoff, die kyrch und den chor, das der chor das allerheiligst ist; Volkslied 1521 (Liliencron 111 369) die in empfangen hatten,/ waren cleriken und hatten platten./ Wo sie stunden in dem chor,/ hieß man sie hinauß vor die tor; Eberlin v. Günzburg 1524 Ausgew. Sehr. III 81 Wie die chorschwestern und layschwestern die .vij. tag zeytt sprechen sollen; Luther 1539 Konziliis (W. L 531) Und flugs aus solchen Chorschülern eitel Bepste, Cardinel und Bisschove gemacht; Rivius 1548 Vitruv. 108b wie dann hierzu in grossen herlichen Tempel Kirchen gebewen/ da vil volcks mer vmb geschwetz/ dann zu andacht versamlet wirt/ vnterhalb des Chors auff vil treppen hinab/ sonderliche gewelb erbawen worden; Lindener 1558 Rastbüchlein 35 Für das Chor- oder geistlich gericht kamen ein Jüngling mit ainer guoten diernen, die ine umb die ehr anklaget oder ansprach; Mathesius 1571 Sarepta 8b weil aber Lamech schon zu seiner zeit eine türkische oder chorherrische ehe hielt; ebd. 82b denn wenn gott die kleinen und bösen junkherrn will zu der chor treiben, so lesset er ein mechtigs reich aufkommen (beide DWB); Fischart 1572-1588 Kl. Dichtungen (W. I 428) Dieweil je keiner nicht vermeint,/ Daß man hie die Chor Esel meint,/ Welche das Predigampt hand gmacht/ Zu eim Geheul bey Tag vnd Nacht; ders. 1575 Gargantua 22a schlappart nit auf chorherrisch die wort in euch, wie der hund die sup, sondern kauet und widerkauet sie wie die küh, destilliert sie durch neun balken (DWB); Helber 1593 Syllabierbüchlein 7 Chorherr; 1599 Braunschw. Schulordn. l 161 in der kirchen . . aufm chor; Hock 1601 Blumenfeld 47 Thaimb vnd Corherrn zweyerley,/ Ein Geistlicher vnd auch ein Ley/ Der ein steht zwar, vor dem Altar,/ Singt, Beth, vnd fast; Theobald 1609 Hussitenkrieg 58 [er] leget seine Keyserliche

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zier ab/ zog einen Chorrock an/ vnd sang das Euangelium; 1621 (Fliegende Blätter 16./17.Jh. 133) Etlich Chorherr und Priester zwar/ Haben sie ermordet gar; Garzoni 1641 Schauplatz 55a zu Chor und unter das Joch getrieben (SANDERS DWB); Braunschw. Schulordn. 1660 M. G. P. 1187 Das die symphoniaci, welche alsdan auf den gaszen singen — sich mit auf dem chor anfinden (NYSTRÖM); Grimmeishausen 1669 Simpl. II127 niemals konnte ich ihn besser zu chor treiben, als wenn ich eine gleichsam unsinnige liebe gegen ihn bezeugte (DWB); 1688 (Hoffmann v. Fallersleben 1860 Findlinge l 166) denn die da singen können, die gehen zu Chor (wie man es nennt) und die haben ihr . . Geld davor; 1699 Staatsspiegel I 6 dem Grafen von Reckeim Canonico und Chor-Bischoffen; Seume 1731 Lex. 113 Die Chöre findt man da, wo man die Sänger höret; Kreittmayr 1769 Grundriss I 2 (Reg.) Alte Capell, Chorstift in Regenspurg; Moritz 1782 Reisen 55 das eigentliche Chor oder Kirche, wo der Gottesdienst gehalten wird, ist nur wie angebaut, und durch ein Gitter von dem großen runden Hauptgebäude abgesondert; Cramer 1792 Adolph 1136 du weißt wie gut Freund ich mit dem Probst' und allen Chorherren bin; Matthisson 1808 Wallfahrt (VI 272) Die Chorherren, welche dieser wohlthätigen Anstalt [Hospitium] vorstehen, sind . . von der Regel Augustins; Goethe 1813 Br. (WA IV 23,324) nur das einzige Mittelfenster des Chors hat sich bunt erhalten; Maurer 1866 Dorfverfassung II 139 Von diesen Zehent- und Kanzelgerichten waren die geistlichen Chorgerichte zu Freising, die Kirchgerichte in Baiern; Achelis 1891 Theologie II 93 der nach Ländern und Städten sehr verschiedene und doch in der Grundform identische deutsche Chorrock; Ernst 1946 Essais I 194 Chorrichter, auch Chorherren genannt, stellten das Ehegericht . . dar; Grass 1962 Blechtrommel 116 Vom Chor herunter hörte ich Stimmen; Partner 1964 Erben 181 das erste bekannte lateinische Weihnachtsspiel, das wahrscheinlich im Chor der Domkirche aufgeführt wurde; Zeit 22. 11. 1985 Chor und Altarraum scheinen die mächtige Pracht des Dekagons zu fliehen. -chörig: 1987 Brockhaus IV 537 In roman. Zeit wurden größere Kirchen in Dtl. meist mit einem zweiten C. im W gebaut (> doppelchörige Anlagen . Scherr, Kulturgesch. 723 Daß die Männer der hohen und höchsten Kreise das Halten von Nebenfrauen als ihr verbrieftes Vorrecht ansehen, ist durch die Chronique scandaleuse der Höfe aller Zeiten nachgewiesen; Süddtsch. Ztg. 13. 1. 1951 Vor Jahrhunderten hat ein Fehlgriff nur die „chronique scandaleuse", die in Prinzessinnen-Briefen geführt wurde, bereichert; T/?. Mann 1954 Reden u. Aufs. (W. IX 817) mit Recht urteilt der Herausgeber, daß die chronique scandaleuse von Schmiedeberg und Umgegend erst durch die Einordnung ihrer Charakter und Schicksale in die großen Zusammenhänge . . höheren Reiz gewinnt; Bad. Ztg. 27.6.1957 [Martial] ist zudem eine unerschöpfliche Fundgrube für den an römischem Leben im allgemeinen und an der römischen chronique scandaleuse im besonderen Interessierten; Münch. Stadtanz. 22. 1. 1960 Wo in der

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menschlichen Chronique scandaleuse Formate wie der Don Juan auftreten; MM 30. 3. 1991 Versagt haben nicht die demokratischen Mechanismen, sondern stets jene Politiker, die mit ihren Pfründen wuchern. Die „chronique scandaleuse" von Abgeordneten und Ministern ist lang; Spiegel 14. 11. 1994 die seit zwölf Jahren andauernde Chronique scandaleuse der Virusseuche Aids. Chronist/in: um 1450 Chronik Augsburg IV 290 also schreibent all cronisten (MÖLLER); Ebran v. Wildenberg um 1470 Chronik 10 Aber furbas setzt der vorgenant kronatist de Strasburg; ebd. 28 als der österreichisch cronatist die jarzal gesetzt hat zuo anfang dem land Ostereich; Albertinus 1630-31 Lust-Garten 35 Chronist (WEIGAND); Gatterer 1771 EM. in d. Universalhistorie II 629 Drittes Zeitalter, oder mittlere Zeit: das Zeitalter der Chronisten und Urkundenschreiber; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre l 119 es ist nicht die einzige Sottise, die Sein Chronist begangen hat; /. Grimm 1846 Kl. Sehr. VII 569 Dieser ausgang ista war aber längst unter uns so eingebürgert, dasz er grammatisch unangreifbar scheint und in fünfzig ändern anwendungen sich volles recht erwarb, gleich legist, canonist . . chronist; 1855 Prutz' Museum II 669 als getreuer Tageschronist; Liliencron 1896 Poggfred (XII 128) Auch schreibt uns der Chronist, wie zum Gebet,/ Und seine Schilderung ist nicht erdichtet; Busch 1899 Tagebuchbl. Ill 83 das Gefühl der Chronistenpflicht erwachte . . wieder; Th. Mann 1909 Hoheit (W. 11 337) Welch Glück, fühlt der Chronist sich auszurufen versucht, welch Glück, daß an der Spitze der Geschäfte ein Mann sich befand, welcher der Zeit fest .. ins Auge blickte; Gothein 1914 Gartenkunst l 211 als der Chronist Villani .. beschloß, die Geschichte seiner Stadt zu schreiben; Hammerstein 1916 Februar 165 der Mitwisser seiner Geheimnisse, der mündliche Chronist seiner Geschichte; Heilborn 1929 Revolutionen II141 so wie Wilhelm Hensel bei den Mendelssohns .. das Amt des zeichnerischen Chronisten ausgeübt [hatte]; Dtsch. AZ. 1.1.1935 Wieder mal sieht der Chronist,/ Daß ein Jahr zu Ende ist,/ Und besinnt sich seiner Pflichten,/ Seinen Ablauf zu bedichten; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 62 So bevorzugt der mittelalterliche Chronist die breite Darstellung geistlich-religiöser Vorgänge, während er an wirtschaftsgeschichtlichen und sozialgeschichtlichen Tatsachen oft uninteressiert vorübergeht; Partner 1964 Erben 37 Der eigentliche Chronist der Merowinger aber ist der schon mehrfach genannte Gregor von Tours; Offenburger Tagebl. 28. 1. 1970 daß es in der Bundesrepublik auch einen Schäferorden am Bande gibt, davon war dem Chronisten bis dato nichts bekannt; MM 27. 12. 1985 Das Bieder-

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chronisch

meier zwischen Unvermögen und Resignation: Carl Spitzweg war sein aufmerksamer Chronist; Zeit 14.11. 1986 intelligent feinnerviger, aber ebenso liebenswürdig eleganter Chronist seiner Epoche, dessen [Toulouse-Lautrecs] ewig junge Sittenbilder noch hundert Jahre später in jede Boutique ein Quentchen milder Verruchtheit bringen sollen; Wochenpost 5.1. 1990 Es geschieht sehr viel in jenen Wochen, die der Chronist — aus Platzgründen — an dieser Stelle zum Vorspiel dieser „sanften Revolution" . . zu komprimieren hat; Badener Tagbl. 9.3.1991 im Zeitalter der Fotos nimmt Rösli Burkart die Stelle einer Chronistin der Zeitgefühle ein (DUDEN 1993); Spiegel 15.2. 1993 Der Chronist jüdischen Widerstands . . wird .. eine Dokumentation jiddischer, hebräischer und polnischer Untergrundschriften veröffentlichen; ebd. 1. 5. 1995 Motorchronist Erik Eckermann no-

tierte in seiner PS-Rückschau „Vom Dampfwagen zum Auto". Chronistik: Borst 1957 Turmbau 276 die islamische Weltchronistik; Zeit 8.11.1985 es steht lakonische Chronistik gegen pompöse Allegorik. chronistisch: Hocke 1976 Tagebücher 49 Gerade im Renaissance-Rom entstehen im Zuge des so mannigfaltigen Neuerfassens der Antike die ersten chronistischen Tagebücher Europas; Zeit 2. 1. 1987 Sein Buch ist freilich weder phantastisch noch chronistisch, sondern das hanebüchene Szenario eines Kernkraft-GAUs mit seinen Folgen. Ch(o)ronizist: 1478-81 Bayer. Chronik (1930 Neuphilolog. Mi«. XXXI 236) coronisist; 1488 Chronik Nürnberg III 167 die poeten und cronicisten (MÖLLER). OV

chronisch Adj., auch Adv. (mit verstärkender Funktion), vereinzelt im frühen 16. Jh. (Paracelsus), erst seit spätem 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus mlat. chronicus Mang andauernd' (von Krankheiten), spätlat. (morbus) chronicus, medizinischer Terminus für 'langsam verlaufend(e Krankheit)' (zu lat. chronicus 'zur Zeit gehörend' < griech. 'zeitlich (lang)', zu 'Zeit, Zeitdauer, -verlauf; —»· Chronik, —»· Chronologie), anfangs vereinzelt in der Nebenform chronikisch. a Zunächst als Terminus der Medizin in Bezug auf Krankheiten in der Bed. 'langsam entstehend und verlaufend, langwierig' (häufig im Ggs. zu —»· akut), in Syntagmen wie eine chronische Krankheit, chronisches Asthma, chronische Bronchitis, chronische Schmerzen, chronischer Husten, etwas droht chronisch zu werden, chronisch krank sein. Dazu die im 19. Jh. (1863 bei Kaltschmidt) gebuchte subst. Ableitung Chronizität F. 'chronischer Verlauf einer Krankheit, deren Langwierigkeit'. b Von daher seit frühem 19. Jh. auch allgemeiner in der Bed. 'dauernd, ständig, anhaltend', auch 'gewohnheitsmäßig', ugs. häufig scherzhaft gebraucht, z. B. an chronischer Faulheit leiden, chronisch verschuldet sein, chronisch in Geldnöten stekken, ein chronischer Säufer. chronisch a: Paracelsus um 1520 S. W. / l ,50 iezt ein fluß, darnach ein Verstopfung, iezt ausgon und verloren werden, gleich wider mit häufen angefült, schnei, etwan langsam, etwan acutisch, etwan chronicisch; ebd. 1,63 nach dem und die krankheit groß ist und vil, nach dem so teilt sie sich aus mit gewalt und in die acutisch oder chronisch art; ders. 1528 S. W. I 6,92 Hierauf folget nun, dieselbigen zufell abzuwenden, nicht allein die, die jetzund gegenwertig erscheinen, sonder auch die nachfolgend daraus entspringen, als Verstopfung des stulgangs, des harns, in ein chronische krankheit; ders. 1530 S. W. / 8,376 chronische hiz; 1783 Onomatologia

med.-prakt. I 1081 chronisch; Hufeland 1795 Pathogenie 251 Sie heissen chronische oder langwierige Krankheiten, und können jahrelang dauren; Goethe 1795-96 Lehrjahre (WA l 22,188) Wir wünschen auch, daß ein braver nützlicher Mann, der an einer chronischen Krankheit stirbt, noch länger leben möge; Richter 1814 Epidemie 30 Der chronische ruhrartige Durchfall; Puchelt 1826 System d. Med. l 77 heisst die Krankheit chronisch (morbus chronicus); ebd. I 272 Die Anlage zu acuten und fieberhaften Krankheiten ist [beim melancholischen Temperament] gering, die zu chronischen aber desto grosser; Hufeland 1836 Ench.

Chronologie med. 14 im Physischen Neigung zu allen chronischen Krankheiten; 1870 Beschr. O A. Maulbronn 68 Von chronischen, d.i. langwierigen, schleichenden Krankheiten; Ranke 1875 Briefwerk 530 chronische Unp sslichkeiten; Breuer/Freud 1909 Hysterie 66 eine Psychose, mit welcher eine chronische Hysterie abschlie t; Lewin 1924 Phantastica 153 die Frage nach der Beurteilung des chronischen Alkoholismus; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 455) er glaubte das Leiden meines Freundes nun mit Sicherheit als einen chronischen Magenkatarrh .. ansprechen zu sollen; Bamm 1956 Ex ovo 43 Die Notiz ber den Vater besagt, da er ein . . Harts ufer war und an einer chronischen Entartung beider Nieren zugrunde gegangen ist; Welt 7. 11. 1964 Die Sorgen gelten vor allem dem Neubau sowie der Modernisierung alter Krankenh user, besonders f r chronisch und f r geistig-seelisch Kranke; ebd. 16. 8. 1974 Chronisches Fieber, Durchfall und Gewichtsabnahme lassen zun chst nicht auf eine HIV-Infektion schlie en; MM 18. 3. 1985 Heilwirkungen werden haupts chlich bei chronisch entz ndlichen oder degenerativen Krankheiten . . erwartet; ebd. 17. 9. 1987 eine chronisch-fortschreitende Ver nderung der Lunge; Spiegel 21. 11. 1994 „Bis zu 25 Prozent aller Boxer", so Holzgraefe, „entwickeln chronische Hirnsch den." chronisch b: Goethe 1817 Br. (WA IV 28,37) Beschreibung einer chronischen Rechtskrankheit; Hahnemann 1824 Organon 74 ein altes cronisches [!] bel; Kaufmann 1851 Oestreich 160 Der Despotismus des F rsten bt so lang er auf dem Thron

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sitzt, einen chronischen, der Despotismus des Volkes bt in der kurzen Stunde seiner Erhebung einen acuten Terrorismus; Kossak 1855 Stereoskopen 220 dieses chronische Leiden der Gesellschaft in unserem Vaterlande; Harden 1892 Apostata N. F. 117 wegen der chronischen Beschlussunf higkeit; Blume 1899 Wehrkraft 107 an chronischer Geldnoth leidende Staaten; 190« Zukunft LXII 41 als die amtlichen Kreise sterreichs und Italiens an chronischer Verstimmung litten; Berl. Morgenpost 15. 12. 1929 diese schleichende chronische Kassennot der ffentlichen Stellen; Hirsch 1931 Wirtschaftskrise 51 zur „chronischen Arbeitskrise" in Deutschland; Hellpach 1939 Geopsyche 135 Jeder chronische Reiz kann . . seine Wirkung je l nger desto gr ndlicher ver ndern, verglichen mit der akuten Wirkung desselben Reizes; Th. Mann 1950 Reden u. Aufs. (W. XI 320) der gegenw rtige chronische Konfliktzustand; S ddtsch. Ztg. 6. 8. 1955 Ohne Einschr nkung werden Arbeitskr fte f r die „chronischen" Mangelberufe Landwirtschaft, Gastgewerbe und Haushalt und auch Krankenschwestern hereingelassen; Lange-Eichbaum 1956 Genie 93 Allgemeine Stimmungsfarbe: . . leicht traurig reagierend (aber nicht chronisch traurig); Andersch 1971 Kirschen 95 nach der ersten Spannung fielen wir alle unterwegs in unsere chronische Schlaftrunkenheit zur ck; Zeit 1. 11. 1985 da die sogenannten f nf Weisen mit ihren Prognosen geradezu chronisch falsch liegen; MM 19. 2. 1990 die chronisch kranke Devisenkasse der DDR; Spiegel 15. 11. 1993 ein neues Spa -Ideal: Autoerotik. Chronisch nestelt der Pops nger Michael Jackson an seinem Hosenschlitz. OV

Chronologie F. (-; -n), im sp teren 16. Jh. in der latinisierten Form Chronologia aufgekommene Entlehnung aus griech. χρονολογία 'Zeitrechnung' (zu χρονικός 'die Zeit berechnend', aus χρόνος 'Zeit, Dauer, Weile, Alter' und λόγος 'Wort, Rede; Kunde; (Be-)Rechnung; Vernunft', zu λέγειν in seiner Bed. 'berechnen'), anfangs vereinzelt in der Nebenform Chronologica (subst. latinisiertes N. zu griech. χρονολογικός 'zur Zeitrechnung geh rend', s. Beleg 1653) und bis ins 18. Jh. auch in der Form Chronologia. Zun chst, ohne PL, in der Bed. 'Lehre, Wissenschaft von der Zeitmessung und -rechnung, der Datierung und zeitlichen Abfolge fr herer Ereignisse, der Altersbestimmung von Objekten und vom Kalenderwesen; Zeitbestimmung, -rechnung' (s. Belege 1632, 1671), h ufig in Syntagmen wie anthropologische, astronomische, biologische, geologische, historische Chronologie, die Chronologie Babyloniens, der Urgeschichte, der Antike; etwa seit sp terem 18. Jh. zunehmend allgemeiner gebraucht f r 'zeitliche (Ab-)Folge, Ablauf, z. B. in einem Bericht die Chronologie der Ereignisse wahren, die Chronologie nicht ber cksichtigen, einhalten, eine Darstellung widerspricht der Chronologie. Dazu etwa gleichzeitig die adj. Ableitung chronologisch (vgl. mlat. chronicus 'chronologisch', griech. χρονικός, χρονολόγος und χρονολογικός, s. o.) 'zeitlich geordnet,

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Chronologie

nach dem zeitlichen Ablauf, in zeitlicher Reihenfolge', häufig in Wendungen wie chronologische Ordnung, Reihe, Tabelle 'Zeittafel', chronologisches System, chronologischer Fehler, bei der Darstellung der Fakten chronologisch vorgehen, die Ereignisse in chronologischer Folge erzählen, eine Geschichte chronologisch berichten, darstellen. Seit spätem 17. Jh. selten die veraltete Personenbezeichnung Chronologist M. (< gleichbed. mlat. chronologista, vgl. frz. chronologiste), gleichbed. mit seit spätem 18. Jh. bezeugtem Chronologe M. (-n; -n), bis ins frühere 20. Jh. auch gebucht in der verkürzten Form Chronolog, auch moviert Chronologin F. (-; -nen), 'Wissenschaftler(in) auf dem Gebiet der Chronologie'; daneben selten in der Bed. 'Zeittafel', z. B. im Titel „Chronologen. Ein periodisches Werk." (hrsg. von Wekhrlin 1779— 81); im 20. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Chronologisierung F. Vgl. Chrono-, chrono- 'Zeit-, die Zeit betreffend' als produktives Wortbildungselement in meist fachspr. Kombinationen wie —* Chronometer, Chronographie F. (vgl. mlat. chronographia 'Geschichtswerk, Chronik; Buch über Zeitrechnung') 'Geschichtsschreibung nach zeitlicher Abfolge', Chronograph M. (vgl. mlat. chronographus 'Geschichtsschreiber'), gleichbed. mit Chronist (—» Chronik), in neuerer Zeit auch 'Gerät zur Übertragung der Zeitangabe einer Uhr auf einen Papierstreifen', Chronogramm N. '(lat.) Satz oder Inschrift, in der hervorgehobene Großbuchstaben als Zahlzeichen die Jahreszahl eines geschichtlichen Ereignisses ergeben, auf das sich der Satz bezieht; Aufzeichnung eines Chronographen', Chronobiologie F. 'Teilgebiet der Biologie, das sich mit der Erforschung von zeitlichen Gesetzmäßigkeiten im Ablauf von Lebensvorgängen befaßt', Chronophysiologie F. 'Lehre vom zeitlichen Ablauf der normalen Lebensvorgänge bei Mensch und Tier (z. B. Schlaf-wachRhythmus)', Chronoskop N. 'genaugehende Uhr mit dem Mechanismus einer Stoppuhr, mit dem (kleine) Zeitabschnitte gemessen werden können, ohne daß der normale Gang der Uhr dadurch beeinflußt wird'. Chronologie: Zorn 1570 Wormser Chronik 85 daß durch diesen brand die Stadt Worms an gebäu, getraid, wein und anderem wohl in die hundert und zwanzig tausend mark schaden erlitten hab. der zeit aber hat ein mark Silbers gölten (davon dann die mark in dieser chronologia zu verstehen ist) zwei pfund und sieben schilling heller; Quad 1609 Teutscher Nation Herligkeit 347 von deren [Rotterdam] schreibt Johan Funck in seiner Chronologej sie seie von Rathero in der Ordnung dem 23. König in Franckreich erbawet; Zeiller 1632 Reyssburg. Vorr. a6a in der Chronologia und Zeitbeschreibung; ders. 1653 Dialogi 217 [man hat] auß Vnachtsamkeit/ die Puncten außgelassen/ vnd die Buchstaben/ als ob es nur ein Wort were/ in das Wort AEra, zusammen gezogen. Wird sonsten auch Epocha genant/ vnd ist zweyerley Astrologica, die man zu Betrachtungen deß Himmels gebraucht; vnd Chronologica, oder Historica; so wieder zweyerley/ Ecclesiastica, vnd Politica, deren die erste in den Kirchen-Historien/ wann man zehlt die Jahre vom Anfang der Welt; Pomey 1671 Indiculus Universalis 644 Chronologia . . Eine

Zeitbeschreibung . . Scientia Temporum est Chronologia . . Die Zeitbeschreibung ist eine Wissenschaft der Zeiten; Thomasius 1688 Monats-Gespräche I 276 daß der Herr Varillas nur oben hin etliche geringe Historien gelesen hätte/ ohne sich die Mühe zu nehmen/ . . eine genaue Ordnung in der Chronologie zu beobachten; Hartnack 1690 Bibliothecarius A5 in folgenden Zeiten aber nach hundert Jahren zu benennen wisse/ wen solche Häupter der Welt regieret haben; dabey man denn entweder durch gedachte Vers oder andre Merckmahl sonderlich aber durch viel Examiniren den ersten Grund der Chronologiae legen mus; Thomasius 1696 Ausübung d. Sittenlehre 288 Er ist geschickt/ seine lectiones dem Wort-Verstande nach herzusagen/ . . in Chronologia und Genealogia Jahrzahlen/ und Nahmen/ . . mit Verwunderung zu wissen; 1704 Auserlesene Anm. l 7 nachdem ich dasselbe mit gebührenden [!] Fleiß durchlesen/ und mit dem Abdruck des Londorpii collationiret/ so habe ich befunden/ daß demselben nicht allein in der Chronologie/ sondern auch in dem contexte selbst zuweilen gar große Gewalt geschehen sey;

Chronologie 3731 Fama V 364 Die Rangirung der Medaillen soll ohne iemands praejudiz nach der Chronologia sich richten; Lucae 1711 Helicon 694 die Chronologie, oder das Zeit-Register, nützet gleichfalls einem jungen Cavalier; Sturm 1717 Mathesis 2a Die Welt-Beschreibung/ welche die Astronomie und Geographie unter sich begreiffet, unter welche noch ferner gehören die Chronologie, und Gnomonick, (Zeit-Rechnung und Sonnen-Uhr-Kunst); Crusius 1722 Portrait aller Wiss. 74 Die Chronologie oder Zeit-Rechnung; Musig 1726 Licht d. Weisheit I 16 Zeit-Rechnung (Chronologia); Sulzer 1745 Kurtzer Begriff aller Wissenschaften 94 Zu der Historic gehöret auch, als ein nothwendiges Hülfsmittel, die Chronologie, oder die Wissenschaft alles dessen, was zur Zeitrechnung gehöret; Schreger 1753 Zeit-Vertreiber 297 Chronologia, die Zeit-Rechnung; Lessing 1759 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 11) Wenn Bolingbroke sagt: die Chronologie ist eine von den Wissenschaften, welche blos a limine salutandae sind; Gatterer 1765 Handb. l 9 Die Chronologie oder Zeitrechnung; Baumgarten 1766 Religionspartheyen 20 Bey beiden Bestimmungsgründen muß die Zeitfolge aufs möglichste beobachtet werden. Obgleich die Chronologie nicht allein gebraucht werden kan; Lessing 1767-68 Dramaturgie (S. Sehr. X 211) daß es dem Aristoteles vornehmlich um die Berichtigung der Chronologie bey seinen Didaskalien zu thun gewesen; Michaelis 1768 Räsonnement l 240 Ich will nicht verlangen, daß sie [junge Leute] alle Hülfswissenschaften mitnehmen sollen: Chronologie, und Genealogie, ..; 1776 Göttinger Taschen-Calender 82 Chronologie verschiedener in den letzten Jahrhunderten gemachten Erfindungen; Erdt 1786 Anl. f. Bibliothekare 73 Man sieht dort die Polyglotten, Bibeln in allen Sprachen, Concordanzen, . . Chronologien, heilige Geschichten; Eschenburg 1792 Lehrb. 77 Chronologie oder Zeitkunde; Hufeland 1797 Kunst 552 Sie [die 24stündige Periode] ist gleichsam die Einheit unsrer natürlichen Chronologie; Goethe 1817 Tagebücher (WA III 6,122) Nach Tische Kunstgeschichte und Chronologie derselben besprochen; Vico 1822 Grundzüge (Übers.) 245 die rationale Chronologie der poetischen Geschichte; Strauss 1838 Br. 51 mit der Chronologie der geistigen Entwicklung ,. ist es eine schwierige Sache; Herbart 1841 Vorlesungen 166 bei der Geschichte, wo sich Chronologie mit Erzählung vertragen soll; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre HI 58 das Zusammentreffen der Weissagungen mit den Tatsachen, der Zahlen mit der Chronologie war schlagend; Brockmann 1883 System der Chronologie (Titel); 1901 Euphorien VIII 29 Man nimmt die Chronologie zur Grundlage, sucht von Fall zu Fall die merkbarsten Veränderungen auf und resümiert am Schluß jeder Periode die

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wichtigsten Ergebnisse; Benjamin 1911 Br. l 37 Dem schwelgenden Naturfreund liegt nichts ferner, als pedantische Chronologie; Th. Mann 1933—43 Joseph (W. IV/V 152) zwei wichtige Jahre älter, als die rechnerische Nachprüfung der überlieferten Chronologie ergeben würde; ders. 1942 Reden u. Aufs. (W. XI 657) so steht, der dichterischen Chronologie nach, der Donnerschlag des Kriegsausbruchs von 1914 am Ende des Zauberberg-Romans; Kesten 1952 Casanova 193 f. Es ist .. nicht statthaft, Casanova nur wegen einer fehlerhaften Chronologie zu mißtrauen, bei Ereignissen, die er vierzig Jahre später . . beschrieben hat; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 30 Da aber der Tag mit seinem Rhythmus das ganze menschliche Leben bestimmt und da der Mondlauf entscheidend auf den christlichen Festkalender, eine wesentliche Grundlage der abendländischen Chronologie, einwirkt; Partner 1964 Erben 43 das feinste Instrument der merowingischen Chronologie ist jedoch die hochentwickelte Schmuckkunst dieser Epoche; FAZ 6. 1. 1971 [der Bericht] enthält eine Chronologie aller bisherigen Vermittlungsversuche Jarrings; Welt 3. 9. 1974 dieses Buch ist eine Chronologie der Industriespionage; Zeit 12. 4. 1985 wer sich einigermaßen in der unübersehbaren Kriegsliteratur auskennt, wird feststellen, daß hier und da die Ereignisse etwas außerhalb der Chronologie, ein wenig windschief, nicht erschöpfend dargestellt werden; ebd. 6. 12. 1985 eine detaillierte Chronologie zu Ossip Mandelstams Leben und Werk; MM 5. 7. 1986 mit diesem Verständnis ist es möglich, das Alter mit Methoden der Kosmo-Chronologie zu bestimmen; Hodel-Hoenes 1992 Leben u. Tod 132 Die dargestellten Gefäße sind übrigens ein willkommenes Hilfsmittel zur Festlegung historischer Daten im syrisch-palästinensischen Raum, wo ja solche Schalen und Kannen gefunden wurden, aber die absolute Chronologie nicht immer so exakt festgelegt werden kann; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 34 Steigerung der hier vorgeführten Stillehr-Chronologie. Chronologe: Müller 1787 Emmerich 48 Es müßte aber schlechterdings die Seele eines Chronologen seyn, der allenfalls etwas daran liegen könnte, es zu wissen; Seume 1793-1811 Kl. Sehr. (W. II 231) [die] Großen, die nur die Chronologen und Genealogen durch ihre Auftrittsperiode und ihren Sterbetag beschäftigen; Wieland vor 1813 S. W. XII 222 Wofern er sich nicht überzählt hat, welches größern Chronologen als er begegnet ist (KEHREIN). chronologisch: Rätel 1587 Schles. Chronica 352 dessen Theologische vnnd Chronologische Buecher menniglich liebet vnd rhuemet; Hainhofer 1610 Br. 16 wie dan erst newlich 2 traktatlen, ihr thon und

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Chronologie

lassen betreffent im trukhe alhero khommen, so E. F. Gnd. bey vor wort gndgst. zu empfahen neben ainer dissertation . ., und noch 2 theologischer und chronologischer quaestionen; Abr. v. Frankenberg 1684 Gemma magica 13a Hieher sein die Chronologische Schrifften Herren Calvicii und Helvici zu ziehen; Hartnack 1690 Bibliothecarius a20 aus denen Chronologischen Taffein/ in welchen nichts all? Jahr-Zahl und Nahmen zufinden; 1711 Neue Bibliothek XV 396 daß alle solche brieffe und schrifften Socratis von den neuern Sophisten erdichtet worden: welches auch Pearson durch Chronologische beweisgründe . . zu behaupten getrachtet; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 29 Er hat unendlich viel geschrieben, worunter auch viele philosophische, physicalische, astronomische, chronologische und andre zur Philologie gehörende Abhandlungen sind; Lessing 1760 Sophokles (S. Sehr. VIII 308) es erhelle aus chronologischen Berechnungen wirklich, daß Sophokles siebzehen Jahr jünger als Aeschylus . . gewesen sey; Bertram 1764 Entwurf I 403 chronologische Tabellen; Lessing 1766 Laokoon (S. Sehr. IX 159) Nachdem . . hierauf die übrigen [Meister der Bildhauerkunst] . . ohne alle chronologische Ordnung nahmhaft gemacht; Geliert 1769 S. Sehr. V 128 Ohne die historischen, geographischen und chronologischen Kenntnisse werden wir die Schriften der Alten nur im Dunkeln lesen; Gatterer 1777 Abriss d. Chronologie 17 Nimt man mehr als Eine solche wiederkehrende Reihe von Jahren . . zusammen, und betrachtet und gebraucht sie als Ein chronologisches Ganzes; Beckmann 1783—86 Erfindungen I 306 Um die Geschichte der Glockenmacherkunst in chronologischer Ordnung abzuhandeln; ders. 1795-99 Erfindungen IV 270 Diese volständig zu samlen und chronologisch zu ordnen und zu erklären, das will ich ändern überlassen; Pütter 1798 Selbstbiographie Vorr. o. S. jene chronologische Biographie; 1800 Journal f. Baiern 13 Die Kronologische Übersicht der itzigen Staatsverwaltung in Bayern; Niemeyer 1801 Paedagogik 6 Die chronologische Methode; 1810 Almanack a. Rom I 125 indem einer ausführlichem Würdigung der Werke Raphaels allein die vollständige chronologische Aufzählung derselben überlassen werden muß; Müller 1817 München II 395 Von allen Originalurkunden bis 1300 wird ein genauer Inhalts-Extrakt verfertigt; diese Extrakte werden chronologisch nach den neun Kreißen in neun Spalten gestellt; Goethe 1819 Noten u. Abh. (WA l 7,233) wünschenswerth . . daß man die chronologische Ordnung immerfort beibehalte und nicht etwa einen Versuch mache einer systematischen Aufstellung, nach den verschiedenen Dichtarten; Herbart 1841 Vorlesungen 62 solche [Erzählungen] schaffen Stützpunkte für den Gedanken einer längst ver-

schwundenen Vorzeit; aber es fehlt noch an der Schätzung chronologischer Distanzen bis zu unserer Zeit; Hillebrand 1885 Culturgesch. 159 obgleich der große Satiriker nicht nur chronologisch, sondern auch geistig, durch seine Reaction gegen den Bombast des 16. Jahrhunderts, schon dem „grand siecle" angehört; 1888 Grenzboten I 263 Ein chronologisches Verzeichnis der Schriften Wilhelm Grimms; Romocki 1895 Gesch. d. Explosivstoffe 11 Was uns heute, von den Byzantinern überliefert, als Kriegsbuch der „Kesten" vorliegt, kann schon aus chronologischen Gründen nur zum Teil von lulius Africanus herrühren; Ratzel 1907 Raum 103 Vor den obersten Schichten . . würde nun die Reihe der paläontologisch genau festgestellten Zeitfolge abschließen, und hier würde eine andere chronologische Methode einzusetzen haben; 1914 Stimmen d. Zeit 87180 einzelne Szenen, rein chronologisch aneinandergereiht; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. XI 628) die ganze Vorund Vätergeschichte ist aufzunehmen, wenn nicht chronologisch, so doch erinnerungsweise; Colerus 1929 Kaufherr 364 die chronologische Folge der Ereignisse; Lokal-Anz. 16. 1. 1933 Das wesentlichste an der Wahl in Lippe ist vielleicht die einfältige chronologische Tatsache, daß sie vorüber ist; v. Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 22 Geschichte spielt sich im Raum, d. h. im geographischen Nebeneinander auf dieser Welt, und in der Zeit, d. h. im chronologischen Nacheinander der Ereignisse und Zustände ab; Auerbach 1959 Mimesis 41 Die moralistische und zudem meist streng chronologische Art der Geschichtsschreibung; Partner 1964 Erben 347 nach dem Zeugnis der chronologisch wichtigen Kleinfunde; 1966 Studium Generale XII 749 Leider lassen sich diese Jahreszählungen nur mit einer gewissen Vorsicht zu chronologischen Zwecken gebrauchen; Welt 28.1. 1966 der Herausgeber sieht drei gleichzeitig erscheinende chronologisch geordnete Serien vor; Schindewolf 1970 Stratigraphie o. S. mit . . einer stratigraphischen und chronologischen Gliederung; MM 28. 3. 1985 der spannend geschriebene Text folgt chronologisch dem Lebensweg Feuchtwangers; Zeit 17.4. 1987 Hollein stellt sich auch nicht chronologisch aus. Es gibt keine Reihung der Werke in zeitlicher Abfolge; Süddtsch. Ztg. 26.1 27. 2. 1994 daß die Literaturgeschichte von einem genau beschreibbaren Fortschritt geprägt sei, der die diversen Epochen nicht nur chronologisch aufeinander folgen, sondern auch mit historischer Konsequenz aufeinander aufbauen läßt. Chronologisierung: 1960 Histor. Jahrb. LXXIX 224 Chronologisierung des Lebensablaufs Christi. Chronologist: Beer 1678 Printz Adintantus 89 Kalmicus der alte Chronologist aus Spanien; Stranitzky 1724 Hl. Nepomuk 146 ob er gleich nach

Chronometer Vieller chronologisten Meinung auf den Römischen Reichs-Stuhl gesessen; Muratori 1772 Von d. guten Geschmaeke (Übers.) 597 daß des Streitens und Kämpfens unter den Chronologisten so bald

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kein Ende nicht zu hoffen; Meiners 1775 Rel'gesch. 115 Geschichtsschreiber und Chronologisten; Herder vor 1803 S. W. XXXVII 130 Chronologist (KEHREIN). OV

Chronometer N. (-s; -), im früheren 18. Jh. in der gelehrtenlat. Form Chronometrum bzw. gräzisierenden Form Chronometron aufgekommen, gebildet aus Chrono(< griech. $ 'Zeit') und -meter (< griech. 'Maß; Messer'), also 'Zeitmesser' (vgl. gleichbed. älteres frz. chronometre, engl. chronometer). In der Bed. 'transportable, gegen äußere Einflüsse unempfindliche (Feder-)Uhr mit (amtlich geprüfter) höchster Ganggenauigkeit, die bes. in der Astronomie, Geodäsie und Schiffahrt eingesetzt wird' (s. Belege 1798, 1814), etwa gleichzeitig als Terminus der Musik in der Bed. 'Zeitmaß, Takt', dann auch '(von Renaudin 1786 erfundener) Taktmesser, Instrument zur genauen Bestimmung des Tempos' (s. Belege 1804, 1852) (—»· Metronom), im 19./20. Jh. auch als ugs. Bezeichnung für alle (bestimmte Präzisionsbedingungen erfüllende) Taschen- und Armbanduhren, z. B. Quarzuhren (s. Belege 1873,1941,1950, 1959), auch übertragen verwendet (s. Belege 1837, 1855, 1953, 1994); gelegentlich als Grundwort in Zss. wie Boxchronometer 'größerer, in einer Kapsel aufzubewahrender Chronometer', Taschenchronometer 'kleinerer Chronometer, der wie eine Taschenuhr getragen werden kann', Marine-, Schiff schronometer 'Instrument zur Ortsbestimmung auf offener See'. Dazu seit Anfang 19. Jh. die seltene adj. Ableitung chronometrisch 'auf genauer Zeitmessung beruhend, durch Chronometer bestimmt'; Mitte 19. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Chronometrik F., gleichbed. mit der seit späterem 19. Jh. (1863 bei Kaltschmidt) selten nachgewiesenen subst. Ableitung Chronometrie F. (-; -n) als Bezeichnung für die Zeitmessung (von den kürzesten Zeiten im atomaren bis zu den längsten im astronomischen Bereich). Chronometer: Walther 1732 Musical. Lex. 163 Chronometron, das Zeit-Maaß, i. e. der Tact, weil durch selbigen die Zeit abgemessen wird; Zedler 1733 Universailex. V 2275 Chronometrum, wird ein jedwedes Instrument, Machine, oder Automatum genennet, mit denen man die Zeit abmißt. Als da sind, die Wasser-Uhren, Sonnen-Uhren, SackUhren, Uhren mit Räder-Werck . . Chronometrum, das Zeit-Maaß, d. i. der Tact, weil durch selbigen die Zeit abgemessen wird; 17X4 Göttinger Taschen-Calender 76 Chronometer .. Zeitmesser. Diesen Namen könnte man jeder Uhr geben; man pflegt aber nur solche Uhren so zu nennen, die nur eine kurze Zeit gehen aber dafür auch Brüche von Secunden angeben; 1798 Allg. geograph. Ephemeriden // 89 Ausser dem Chronometer haben sie noch einen kleinen Quadranten zum Höhernmesser bey sich; 1798 Gallerte d. Welt 49 Taschenchronometer oder tragbare Zeithalter; 1804 Neues Hannover. Magazin 655 Chronometer oder musikalische Taktmesser; ebd. der von Wenck in Gotha erfundene Chronometer; Goethe 1814 Zur Naturwiss. (WA // 12,161) Der bereits vorhandene In-

strumentenapparat der Sternwarte besteht . . aus folgenden Stücken: 1. einem Emeryschen Chronometer Nro. 1161; 1819 Handb. d. Schiffahrtskunde 358 Die zu dieser Absicht verfertigten Maschinen heißen Chronometer (Zeitmesser, time-keeper, . .) im Deutschen meistens See-Uhren und sind sehr kostbar; 1825 Dinglers Polytechn. Journal XVI 267 Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit guter und genauer Chronometer auf der See, wo eine Unregelmäßigkeit im Gange derselben, die nur ein paar Secunden beträgt, Irrungen von einigen Meilen, und dadurch an gefährlichen Küsten den Untergang von Schiff und Leuten veranlassen kann; Gaudy 1837 Jubiläum (VI 212) Ein Hinblick auf die Uhr, mehr aber noch die Unruhe des innerlichen gastrischen Chronometers; Poppe 1837 Technol. Universalhandb. I 242 Chronometer, Zeithalter nennt man sehr genau gehende Uhren; A. v. Humboldt 1845-50 Kosmos 11 333 Gebrauch der Chronometer (KEHREIN); Bobrik 1848 Handb. d. Seefahrtskunde .1,1442 Man unterscheidet zwei Hauptarten: Taschen-Chronometer und DosenChronometer, welche letzteren die genauer söge-

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Cicerone

nannten Seeuhren sind; Szarvady 1852 Paris I 126 Die alten Telegraphen geben das beste Bild von den Gliederverrenkungen, welche diese Quadrille erfordert, doch muß man sich ein Tempo hinzudenken, wie man es auf MalzPs Chronometer vergebens suchen dürfte; 1855 Prutz' Museum U 699 [Die Banken sind nur] Chronometer des wachsenden Übels; W. Heine 1856 Reise um d. Erde l 262 Beides waren Chronometer und ich hatte den meinen . . für 100 Dollars für diese Expedition gekauft; vor 1871 D V/S XLVlll 304 Daß die Torfablagrungen nicht zu einem Chronometer benutzt werden könnten, um das Alter des jetzigen Zustandes der Erdoberfläche zu bestimmen (SANDERS 1871); Spielhagen 1873 Ultimo 139 als Doctor Wild .. seinen Chronometer nebst Kette zum Verkauf anbot; Kompert 1882 Spieler (Ges. Sehr. VII 283) Da kehrte mein Hausherr mit der Regelmäßigkeit eines Chronometers aus der großen Kaiserstadt . . wieder heim; Baumbach 1895 Jugendzeit 247 als ihm für seine Verdienste der silberne Chronometer in Aussicht gestellt wurde; Marcuse 1905 Geogr. Ortsbest. 112 Ferner verlangt ein gutes Chronometer nach mehrjährigem Gebrauche eine Reinigung und frische Ölung des gesamten Mechanismus; 1908 Grenzboten III 634 diese schössen die vortrefflichen nordamerikanischen Fregatten, Barken, Klipper und Schoner in den Grund oder verbrannten sie auf offner See; nur die Chronometer pflegten sie an sich zu nehmen; Dominik 1928 Uraniden 118 William Harrod ließ das Chronometer in die Westentasche gleiten; Berl. lllustr. Nachtausg. 26. 8. 1933 die Uhr also des Oberleutnants Weigert, der sie mit gleicher Treue stets bei sich trug und sie gegen den schönsten Chronometer nicht preisgegeben hätte; Münch. N. N. 8. 8. 1941 andere, die ihren genauen Chronometer tragen; NZ. (Basel) 25. 2. 1950 In einem Auto mit schweizerischer Nummer fanden die Zollbeamten in der Nacht zum Donnerstag 4000 Goldchronometer schweizerischen Fabrikats; Siiddtsch. Ztg. 5.9. 1953 was unter den wissenschaftlichen „Zeitberechnern" (so müßte man die menschlichen Chronometer nennen) vor sich geht; Welt 9. 10. 1959 Wettbewerb für Armband-Chronometer am offiziellen schweizerischen Observatorium Neuenberg; ebd. 12. 11. 1969 Eterna gehört zu den größten

Chronometer-Produzenten der Schweiz; Zeit 17. 10. 1986 jetzt bastelt eine Arbeitsgruppe . . an einem Chronometer, der in dreißig Millionen Jahren höchstens eine Abweichung von einer Sekunde haben würde; Spiegel 13. 6. 1994 Seit sie [Forscher] entdeckt haben, daß auch der menschliche Organismus im Takt der Sonnenuhr pulsiert, versuchen sie, den lichtgesteuerten Bio-Chronometer zu manipulieren. Chronometrie: Süddtsch. Ztg. 5. 9.1953 die Zahlen .., mit denen neulich auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie jongliert wurde; Welt 23. 6.1959 Internationaler Kongreß für Chronometrie in München; Schindewolf 1970 Stratigraphie o. S. eine gesonderte Begriffshierarchie der Chronologie ist kaum erforderlich. Die Chronometrie . . ist keine Stratigraphie im eigentlichen Sinne; sie liefert einen leeren physikalischen Zeitstab mit gleichen Intervallen, der von außen her an die Erd- und Lebensgeschichte angelegt wird; Zeit 22.11. 1985 Wir akzeptieren diese Vorstellung [daß die Erde rund ist], weil die gesamte Schiffahrt, Luftfahrt, Geodäsie, Geometrie, Kartographie und Chronometrie auf ihr beruhen. Chronometrik: A. v. Humboldt 1845 — 50 Kosmos I 284 Die Anwendung der botanischen und zoologischen Kennzeichen auf die Bestimmung des Alters der Felsmassen, die Chronometrik der Erdmassen (SANDERS 1871). chronometrisch: Goethe 1809 Wahlverwandtschaften (WA l 20,80) daß der Hauptmann vergessen hatte seine chronometrische Secunden-Uhr aufzuziehen; Welt 23. 6. 1959 der Direktor der 'Chronometrischen Gesellschaft von Frankreich' [und andere] treffen sich mit vielen Fachkollegen alle fünf Jahre zu einer gemeinsamen Tagung für Zeitmessung; 1966 Studium Generale XII 752 Zerfall radioaktiver Elemente in den Mineralien der Erdrinde. Der Zerfall und seine chronometrische Auswertung sind der Sanduhr vergleichbar; Spiegel 9. 8. 1993 Spekulanten und Uhrenliebhaber haben ein bevorzugtes Objekt chronometrischer Begierde: die Rolex „Daytona". OV

Cicerone M. (-; -s, auch -n und Ciceroni (s)), im frühen 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. cicerone (nach dem für seine Redseligkeit und Eloquenz berühmten römischen Staatsmann und Redner Cicero). In der Bed. '(redseliger) Fremden-, Reiseführer', häufig auf Italien bezogen (s. Belege 1727, 1790, 1801, 1875, 1959), auch als Titel bzw. Untertitel verwendet, bes. seit Jakob Burckhardts 1855 erschienenem Buch „Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens", daher auch 'Buch mit Informationen für Touri-

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sten, Reise-, Stadtführer' (s. Belege 1886, 1906, 1911, 1969, 1993); gelegentlich auch für 'jmd., der aufgrund von Ortskenntnissen (bes. Freunden und Bekannten) Sehenswürdigkeiten zeigt' (s. Belege 1786, 1790, 1852, 1947), vor allem in der Wendung den Cicerone machen und in der Zs. Ciceronendienste. Mitunter auch in der übertragenen Bed. 'Wegweiser, Führer' verwendet (s. Belege 1810, 1830, 1840, 1924). König 1727 Einl. zu Canitz' Gedichten 102 Anm. Cicerone, wird zu verschiedenen Orten in 'Welschland derjenige genannt, der die Fremden überall herumführet, ihnen die Alterthümer und andere Seltenheiten zeiget und erkläret; Sturz 1768 Br. / 85 f. Ich weis nicht, woher sich die Fabel herschreibt, dass sich die Franzosen an die Fremden drängen unbd zuvorkomend und gastfrei und höflich sind. Es mag von den Spielern und Glücksrittern, von den Kupplern und Ciceronen wahr sein; die bessere Gesellschaft ist spröde genug; Smollet 1772 Klinkers Reisen (Übers.) Ill 134 Ciceronis; Weinlig 1782 Rom l 105 wie ungehalten die niedere Klasse der Ciceronen auf den armen Winkelmann ist; 1786 (Schmidt 1906 Kursächs. Streifzüge III 49) Er war . . zu Roß von Dresden gekommen, um uns einzuholen, und machte in Meißen den artigsten Cicerone; 1786 Journal v. u. f. Deutschland l 179 meine gewöhnlichen Excursionen, bey welchen mich der jüngste Sohn des Gastgebers als Cicerone begleitete; Knigge 1788 Umgang l 59 Ein Fremder .. kann ohne Nachtheil mit diesen mehrentheils sehr geschwätzigen und von lustigen und ärgerlichen Mährchen aller Art vollgepfropfter Ciceroni's nach Gefallen herumrennen, und kein vernünftiger Mann wird ihm das verdenken; Bürger 1790 Br. IV 32 Schreibt mir doch auch viel hübsches von Rom. Ich höre, Ihr macht den Cicerone; Jenisch 1801 Obelisk 38 Anm. Ciceroni nennen sich diejenigen in Italien, welche die Fremden herumführen, und sich ihnen durch antiquarische Gelehrsamkeits-Krämerey und Unwissenheit zugleich sehr oft lächerlich machen; Ritter 1810 Fragmente 1109 Die Physik ist eine Eductio e medio, wo Gott der Cicerone ist; Goethe 1817 Italien. Reise (WA I 31,151) da unser Vetturin vortrefflich ist - Stallknecht, Cicerone, Garde, Einkäufer, Koch und Alles; 1823 Eidora 398 den Cicerone . ., der ihn kunstmässig herumführt; Heine 1830 Italien (III 264) Mein Herz ist der beste Cicerone; Ampere 1840 Weg (Übers.) 5 Dante ist ein bewundernswürdiger Cicerone durch Italien und Italien ist ein schöner Commentar für Dante; Szarvady 1852 Paris 1133 Ich machte einmal hier den Cicerone eines jungen Doktors aus Deutschland; Fontäne 1864 Ges. W. II 4,247 Besten Dank . . für die liebenswürdigen Ciceronendienste, die Du unserm Freunde Heyse erwiesen hast; Burckhardt 1875 Br. an Alioth 8 im Vatikan eine Partie Deutscher . ., welche einen alten ausrangierten Österreicher zum Ci-

cerone hatten; Sie hätten hören sollen, was der ihnen erzählte!; Waldmüller 1884 Dar ja l 201 Alle hatten, durch einen Cicerone darauf aufmerksam gemacht, sich zu der volkstümlichen Komödie eingefunden; Ebers 1886 Cicerone durch das Alte und Neue Ägypten (Titel); Heinroth 1906 Enttäuschungen II 104 den „Cicerone" Jacob Burckhardts; Wulffen 1911 Der Genussmensch. Cicerone im rücksichtslosen Lebensgenuss (Titel); Wätzold 1921 Kunsthistoriker 181 Meyer . . [ist] beauftragt, als ein neuer Pausanias und ein Vorläufer des „Cicerone" das kunstgeschichtliche Material herbeizuschaffen; Tb. Mann 1924 Zauberberg (W. III 286) Sogar gegen Joachim . . beobachtete Hans Castorp eine gewisse Ehrerbietung und Rücksicht, — nicht sowohl, weil dieser der länger Eingesessene war und sein Anleiter und Cicerone in dieser Welt; 1926 Sittengesch. v. Paris 42 Guillot, der poetische Cicerone der Strassen von Paris; Grisebach 1943 Burckhardt 336 Soweit Burckhardt selbst durch seine besondere Kulturwissenschaft, als Cicerone, als Deuter zur Verkennung unserer wirklichen Kultur verführt hat, so weit bedeutet er für uns einen letzten Versuch, Europa .. zu retten; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 60) um in seiner angenehmen Art den Cicerone zu machen; Suddtsch. Ztg. 15. 5. 1950 Jeder Besucher, der am Hintertürchen klingelt, erhält als Ehrengast seinen eigenen Cicerone; ebd. 28. 11. 1952 Seitdem habe ich Hunderte von Ciceroni solchen und ähnlichen Unsinn erzählen hören, aber auch viel Anregendes, Schönes, manche treffliche, wenn auch nicht immer verbürgte Anekdote, habe leidenschaftliche oder auch sehr ernste Fremdenführer gekannt; Jens 1959 Götter 13 [der Fremde in Venedig] fällt finsteren Ciceronen zum Opfer; Stuttgarter Ztg. 16. 10. 1964 Mit Stolz erzählt der Cicerone, Pressburg habe jetzt bereits 200000 Einwohner; ebd. 12. 6. 1969 Bei diesem nach dem Prinzip „Das ganze Oesterreich von A bis Z" geordneten Cicerone liegt die Gefahr nahe, daß Wichtiges überblättert wird; Zeit 27. 9. 1985 Als ich das erstemal Schillers Sterbehaus in Weimar aufsuchte, .. zog mich beim Verlassen des Arbeitszimmers der Cicerone vertraulich beiseite und zeigte mir ein Stück grüner Tapete; Fest 1988 Gegenlicht 145 der Taxifahrer, der in den vergangenen Tagen mein Cicerone gewesen war (DUDEN 1993); Spiegel 27. 9. 1993 Der mit sarkastischer Sympathie verfertigte Cicerone beharkt natürlich auch den Ordnungs-Fimmel der Deutschen. HK

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Cineast

Cineast M. (-en; -en), auch Cineastin F. (-; -nen), in neuerer Zeit entlehnt aus gleichbed. frz. cineaste (aus eine- bzw. cine(ma) 'Kino' < gleichbed. ital. cine(tna), und dem Personalsuffix -aste, eventuell gekürzt aus (enthousi)aste; vgl. eine- als erster Bestandteil in neoklassischen Kombinationen wie Cinethek, Cinetarium, Cinephiler, Cinerama, Cine-TV, Cinecentrum, vgl. auch gleichbed. cinema-, z. B. in Cinemathek und den veralteten Bezeichnungen für filmtechnische Verfahren wie Cinemascope und Cinemiracle bzw. cinemato- in Cinematograph), anfangs noch häufig in frz. Schreibung. In der Bed. 'Filmschaffender', auch 'Filmkritiker, -experte, -kenner' und 'begeisterter Filmbesucher, Filmenthusiast, Kinogänger', oft mit Konnotationen wie „exklusiv, anspruchsvoll, verwöhnt" (s. Belege 1971, 1985, 1986, 1987, 1989), als Grundwort selten in Zss. wie Cineasten-Film, -Special, Cineastenkreise, -streit (s. Beleg 1969). Dazu seit den 70er Jahren die adj. Ableitung cineastisch 'die Filmkunst betreffend; filmisch', auch 'im filmkünstlerischen Anspruch nicht dem Massengeschmack folgend, intellektuell, ästhetisch verfeinert' (vgl. avantgardistisch, —» Avantgarde; s. Belege 1974, 1985, 1986, 1989, 1994), gelegentlich auch leicht negativ konnotiert mit „hochgestochen, überfeinert; überdreht", in Wendungen wie cineastisches Erlebnis, Vergnügen, Meisterwerk, cineastische Kostbarkeit, Minderheit, cineastischer Maßstab, Leckerbissen, Reiz; cineastisch hochgestochen, anspruchsvoll, cineastisch und avantgardistisch, in Zss. wie cineastisch-frivol, -musikalisch; philosophisch-cineastisch; in neuester Zeit die gebuchte subst. Ableitung Cineastik F. (-; ohne Pl.) 'Filmkunst' und die Gelegenheitsableitung Cineastentum N. (-; ohne Pl.) 'Wesen eines Cineasten; Gesamtheit der Cineasten'. Cineast: Stuttgarter Ztg. 26. 1. 1968 Treffpunkt Schweizer Cineasten (Überschr.) Die III. Solothurner Filmtage .. Jetzt haben auch die Schweizer Cineasten ihr Oberhausen. . . den jungen Filmaspiranten (Kameramännern, Autoren, Drehbuchschreibern, Regisseuren, Schauspielern und Kritikern usw.) die Möglichkeit zu bieten, sich selbst darzustellen; FAZ 1. 3. 1969 Der Wiener Cineastenstreit (Überschr.) Kaum fünf Jahre besteht das österreichische Filmmuseum, und schon äußert eine Gruppe von Jungfilmern den dringenden Wunsch, es von Grund auf umzufunktionieren . . Die Frankfurter „Filmkritik" schrieb, ein Wiener Cinephiler könnte eher auf alle Kinos der Stadt verzichten als auf die Programme des Filmmuseums .. Es versteht sich, daß vor allem die Kunstform Film rekapituliert werden mußte, daß auch jetzt die wichtigste Aufgabe dieser Cinemathek in einer Dokumentation und Information über den globalen Stand der filmischen Avantgarde, nicht in der Propagierung lokaler Versuche liegt; Stuttgarter Ztg. 15. 7. 1969 französischen Historikern und Cineasten; FAZ 19.10. 1970 Cineasten [Hersteller von Kinostücken, Filmen]; Frankf. Rundsch. 20. 12.1970 Cineasten kommen am Montag auf ihre Kosten. Als vorweihnachtliches Präsent bieten die TV-Konkurrenten . . je eine deutsche Erstaufführung; 1971 Handelsbl.

XXVI 35 Information und Gourmandise für den Cineasten verbindet sich hier auf eindringliche Weise mit dem Dienst an der Gesellschaft; Zeit 29. 3. 1985 Literaten, Cineasten, Theaterleute . . Die Feuilleton-Ayatollahs wissen es genau: Fernsehen macht dumm; ebd. 24. 5. 1986 dieser Film von Paul Schrader, einem Hollywoodaußenseiter und Cineastengeheimtip, erzählt .. die Lebensgeschichte des berühmten japanischen Schriftstellers Yukio Mishima . . Damals ging es unter anderem um die Begeisterung, die amerikanische ästhetische Intellektuelle und Cineasten für Leni Riefenstahl an den Tag legten; ebd. 3. 4. 1987 Wie kommt es, daß ihm [Jerry Lewis] hierzulande nicht mehr zuteil wurde als . . die Entdeckung durch wenige Cineasten in den Sechzigern, schmale Fangemeinden in den Siebzigern; Wochenpost 8. 12. 1989 Im Kino Szenenbeifall, Lachen in allen Nuancen. Kein Kunstwerk für bleiche Cineasten, eines, das den Leuten aufs Maul und ins Herz geschaut hat; Lukoschik 1991 In u. Out 122 In jedem vernünftigen Gegenwartler steckt ein Cineast, der ihn vor die breite Wand treibt, um aus dem heimeligen Dunkel heraus die bewegendsten Frauen, Männer und Bilder in Aktion zu erleben; MM 26.10. 1994 Eine Komödie zum heutigen Auftakt der 28. Internationalen Hofer Filmtage . . läutet den fünftägigen Cineasten-Marathon in Oberfranken ein; ebd. 16. 6.

Citoyen 1995 Filmfest (Überschr.) In München Kino total von der Trailer-Show bis zum Cineasten-Special. Cineastentum: Lukoschik 1991 In u. Out 124 Im Zuge seines Cineastentums liebt der Trender alte Edelhotels. cineastisch: Welt 30. 4. 1974 Philippe de Broca . . hat seine ganz und gar nicht cineastisch hochgestochene Lustbarkeit bei Komödien („Liebesspiele", „Herzkönig") und bei pfiffigen Abenteuerfilmen („Cartouche, der Bandit", „Abenteuer in Rio") gescheit vorgezeigt . . der intelligent gehandhabte Kommerzfilm; Zeit 15. 2. 1985 Für mich waren es typische, cineastisch geschönte Oberflächenbilder, fast unsichtbar geworden durch all das Vorausgewußte, all den ästhetischen Konsens; ebd. S. 4. 1985 Die Amüsiernation (Überschr.) entpuppt sich im cineastischen Genre Wim Wenders' „Paris, Texas" .. solche Filme werden bald häufiger in den früher streng cineastischen und avantgardistischen Programmen dieser Kinos auftauchen . . daß das Alternativpublikum und die kritischen Cineasten nun ebenfalls lieber vor dem Fernseh-„Boot" sitzen; ebd. 24. 5. 1985 Dadurch wird „Detective" trotz seiner cineastisch-frivolen Verspieltheit zu einem ungeheuer traurigen Film; ebd. 9. 5. 1986 Was sich nicht dem Krypto-Jargon cineastischer Kult-

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filme fügt, das langweilt ihn; ebd. 8. 8. 1986 bleibt uns nichts übrig, als „Teufel im Leib" an cineastischen Maßstäben zu messen; ebd. 3. 10. 1986 „Hannah und ihre Schwestern" ist ein cineastisches Meisterwerk; ebd. 31. 10.1986 Exklusiv für 14 Zuschauer . . Sehen soll den Film (vorläufig) nur eine cineastische Minderheit, wie sie sich einst im Namen der Filmkunst gegen das Ruth Leuwerik- und heute gegen das Spielberg-Kino verschworen hat; MM 5. 7. 1989 Mit einem cineastisch-musikalischen Leckerbissen wartet die 38. Internationale Mannheimer Filmwoche auf; ebd. 29. 11. 1989 internationale Filmerfolge und „cineastische Kostbarkeiten"; 1992 Wiener V 127 Das alles kommt schön bunt und schön laut daher, als eine zuckersüße Action-Bonbonmischung vom cineastischen Wert eines Karamel-Lollis; Süddtsch. Ztg. 25. 5. 1993 Der Spieler steht im Mittelpunkt von Adrian Lynes Film, als magische künstliche Person, auch als cineastische Figur; Spiegel 31. 1. 1994 Man erinnert sich: Immer, wenn [Woody] Allen beim Filmen die Puste ausging, wurde er cineastisch; MM 24. 10. 1994 Hier konnte sich niemand im bequemen Kinosessel zurücklehnen und kulinarisch Philosophisch-Cineastisches goutieren; ebd. 1. 12. 1994 Ein werktägliches Kulturmagazin in der Hauptsendezeit .. ein cineastisch anspruchsvolles Filmangebot. IN

Citoyen M. (-s; -s), im späten 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. citoyen (< altfrz. citeein, zu cite 'Stadt' < lat. civitas 'Bürgerschaft, Staat', also ursprünglich der stimm- oder wahlberechtigte Stadtbürger; —*· City; in Frankreich wurden Citoyen und Citoyenne 'Bürgerin' 1791 als einzig erlaubte Titel und als demokratische Anrede anstelle von Monsieur und Madame eingeführt, mit dem Sieg des Kaisertums 1804 jedoch wieder abgeschafft; die Wiederaufnahme als Anrede nach der Februarrevolution 1848 bes. im amtlichen, öffentlich-politischen Bereich war nur von kurzer Dauer), früher gelegentlich auch in der movierten (frz.) Form Citoyenne. Selten als Anrede vor allem für Personen frz. Nationalität gebraucht (s. Belege 1784-94, 1792, 1797, 1800, 1861), etwa gleichzeitig in der häufig auf frz. Verhältnisse bezogenen Bed. 'der politisch bewußte, aktive (Staats-)Bürger' (im Unterschied zu Bourgeois 'Stadtbürger; Mitglied der besitzenden Klasse', —» Bourgeoisie), öfter auch staatsphilosophisch und -rechtlich gedeutet sowie historisierend verwendet (s. Belege 1792, 1793, 1824-25, 1844, 1850, 1901, 1932, 1946, 1972), gelegentlich (im Unterschied zu Bourgeois) positiv konnotiert mit „politisch engagiert, gesellschaftskritisch, antispießerhaft (eingestellt)" (s. Belege 1919, 1932, 1982, 1983, 1986, 1993). Blumauer 1784-94 Virgils Aeneis (I 272) Oranzes, ein heimlich Clubbist,/ Kam plötzlich in Ekstase,/ Weils schon bei diesen Mode ist,/ Daß man pathetisch rase —/ „Pro more, sprach er also fort:/ Mon citoyen, ich bitt ums Wort!" — Aeneas heißt ihn reden: „Mon citoyen, ich sag es dir/ In dieser Bür-

ger Namen,/ Zu deiner Kappe schwören wir:/ Tod oder Freiheit — Amen!"; Matthison 1792 Frankreich (II 329) Am folgenden Morgen fragte ich die alte Demokratin: „Citoyenne, wie viel beträgt meine Rechnung?" und erhielt zur Antwort: „Treize livres."; Garve 1792 Versuche l 302 f. Das

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Citoyen

Wort Bürger hat im Deutschen mehr Würde als das französische bourgeois . . Es heißt einmal ein jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, das ist das französische citoyen; — es bedeutet zum ändern den unadligen Stadteinwohner, der von einem gewissen Gewerbe lebt, - und das ist bourgeois (BRUNNER/CONZE/KOSELLECK I 701); 1793 Journal d. Moden VIII 59 Im Reiche der Moden habe ich . . keine Neuigkeit auffinden können, die merkwürdig wäre. Unsere Damen, oder Citoyennes, wie sie nun heißen, tragen nichts als Negligees; ebd. VIII 597 Hierbey .. sehen Sie auch 6 Töchter des Landes von neuester und verschiedener Form und Schnitte (Taf. 31 u. 32), keine Citoyennes revolutionaires [!] in rothen Freyheitskappen; Kant 1793 Gemeinspruch (Ges. Sehr. VIII 295 f.) Derjenige, welcher das Stimmrecht in dieser Gesetzgebung hat, heißt ein Bürger (citoyen, d.i. Staatsbürger . .); Massenbach 1797 Feldzüge am Rhein U 51 Das Wort eines Generals hat mehr Gewalt, seitdem das vertrauliche „Citoyen" aus der Conversation mit diesem verschwunden ist; 1797 Journal d. Moden XII 384 Einige neuere französische . . Worte, die . . das Heer moderner . . Romanfabrikanten . . in Umlauf brachten, hatten . . das Schicksal zu Modeausdrücken in gewissen Zirkeln gestempelt zu werden. Ich muß oft lächeln, über das . . ewige Einstopfen der Worte „orientiren, approfondiren" . ., über das Gespiele mit den Worten „citoyen" und „civisme", in unsern aus deutschen und emigrirten Franzosen gemischten Zirkeln; Görres 1798-99 Rübezahl (l 315) Staatsbürger (Citoyen); 1799 Journal d. Moden XIV 259 Eine Lieblingsschauspielerin auf dem witzigsten der Pariser Theater,. . die Citoyenne Henry [Anm. dazu:] Wir stimmen .. überein, daß dieß Wort in unsere treuherzige Sprache unübersetzbar sey . . und wünschen von Herzen, daß es auch nie vom linken Rheinufer her übersetzt werde. Wiewohl man sich selbst in Frankreich nach der jetzigen allgemeinen Stimmung eben nicht die Ciosets und Herzen der schönen Republikanerinnen öffnen würde, wenn man mit der Begrüßung Citoyenne dort anklopfte; Rousseau 1800 Staatl. Vertrag (Übers.) 29 Anm. Cite und Citoyen; 1800 Journal d. Moden XV 202 die lächerliche Affectation der Benennung Citoyenne; 1805 Paris l 4 Die Citoyens sind wahrlich .. durch das Kriegführen nicht fetter als John Bull geworden; Campe 1813 Fremdwb. 192 da, wo es darauf ankömmt, den Citoyen vom Bourgeois zu unterscheiden, können wir jenen Staatsbürger, diesen Stadtbürger nennen; Hegel 1824—25 Philosophie d. Rechts (Nachschr. v. Griesheim, Tl. 2, 81) Die Franzosen machen einen Unterschied zwischen bourgeois und citoyen; das erste ist das Verhältnis des Individuums in einer Gemeinde, in Rücksicht der Befriedigung seiner Bedürfnisse, hat so keine

politische Beziehung, diese hat erst der citoyen; Heine 1835 Romant. Schule 90 Der Name „Bürger" ist im Deutschen gleichbed. mit dem Worte citoyen; Marx 1842—43 Publizist. Arbeiten (MEGA I 1,157) wir müssen . . nach dem Fürstenstand und dem Ritterstand auch den Stand der Städte sich expectoriren lassen gegen die Preßfreiheit. Wir haben die Opposition des Bourgeois, nicht des Citoyen, vor uns; ders. 1844 Judenfrage (MEW l 355) Der Widerspruch, in dem sich der religiöse Mensch mit dem politischen Menschen befindet, ist derselbe Widerspruch, in welchem sich der bourgeois mit dem citoyen, in welchem sich das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft mit seiner politischen Löwenhaut befindet; Stein 1848 Socialismus 63 der Classe der Vermögenden, der Citoyens actifs; Stahl 1850 Gesellschaft 133 Der Art. 4 macht jeden volljährigen Franzosen zum Citoyen .. der Begriff des Citoyen actif ist verschwunden; Riehl 1861 Ges. 363 Selbst eifrig social-demokratische Franzosen lächelten bereits im ersten Jahre der neuen Republik wieder, wenn sie sich noch je zuweilen mit „citoyen" anredeten; Busch 1870-71 Bilderbogen (II 145) Statt der Preußen stürzen sich zwei hungrige Citoyens auf die geladenen Karbonaden; Nordau 1881 Kreml II 242 Er [der frz. Arbeiter] demütigt sich nicht einmal in Kleinigkeiten vor den ändern Schichten der Gesellschaft, die man in den übrigen Ländern höhere nennen würde. Er giebt niemand einen ändern Titel als den nivellierenden „Monsieur", den auch er fordert und erhält, wenn er es nicht vorzieht „Citoyen" genannt zu werden, und aus der Srimmurne, in der sein Votum ganz so viel gilt wie das des Marschalls, Herzogs oder Millionärs, schöpft er das stolze Bewußtsein, daß er ein so guter Mann sei wie irgend ein anderer französischer Bürger; Thurau 1901 Refrain 424 Das „Volk", für das Beranger in erster Linie gesungen hat, war das Volk von Paris, das grosse städtische Bürgertum, ein neues Litteraturpublikum, das sich aus den „Citoyens" entwickelt hatte und, nachdem der Name dieses Typus mit der Gründung des Kaiserreiches abgekommen, die Prägung, die er in der grossen Revolution erhalten, verwischt war, sich allmählich in die Gesellschaft der „Bourgeois" umwandelte; T/7. Mann 1914 Nachtr. (W. XIII 541) der katholische Offizier, der die Beschießung befehlen mußte, hatte sicher in seinem Blute mehr Ehrfurcht für das Heiligtum als die Citoyens, denen es im Interesse der Politik nicht zerstört genug sein konnte; 1919 Zf Politik 434 Die Idee des „Citoyen" ist das Leitmotiv dieser neuen [von der frz. Revolution eingeleiteten] Epoche; 1919 (Bahn 1923 Rokoko 195) Die Encyclopedic stellt daher dem „bourgeois", dem bloßen Stadtbewohner, dem außerdem das Stigma eines unberechtigten Reichtums anhaftet,

City den „citoyen" gegenüber, das Mitglied der Gesellschaft, vollberechtigt, ein Gleicher unter Gleichen. Die Revolution und die Republik haben dem Titel, mit dem man schon seit den 60er Jahren [des 18. Jhs.] kokettiert hatte, dann offizielle Geltung verliehen; Curtius 1925 Geist 266 Der politische Idealtypus Frankreichs war seit 1789 der „citoyen"; Stegemann 1932 Herren 28 warum er zwischen „mademoiselle" und „citoyenne" unterscheide. Ob er etwa glaube, daß man an den Ufern des Rheins nicht nur die Damen und Mätressen der Refugianten, sondern auch Bürgerinnen fände, die vom Sturm auf die Bastille oder aus dem Klub der Cordeliers kämen; ebd. 113 Er konnte nicht anders, als .. sich selbst als „Citoyen" in den Kampf der Meinungen zu mischen; 1932 Deutschlands Erneuerung XVI 19 Wer war diese bürgerliche Gesellschaft? . . Der „tiers-etat" war das Volk gegenüber Adel und Kirche gewesen, denen durch die revolutionäre Entwicklung ihre alte politische Bedeutung genommen worden war . . Der „citoyen" herrschte, der Bürger. Doch was für ein Bürger? Keineswegs der „civis" Alt-Roms, der Akkerbauer, Soldat und Staatsmann war, der sich als „Staatsbürger" fühlte . . Der „Bürger", den die Massenbewegungen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts an die Ufer des geschichtlichen Meeres spieen, schnellte in konvulsiver Geschäftigkeit in den kleinen Tümpeln der Strandlinien einer Küste, deren Bestand ihm ebenso überraschend war, wie er ihm ewig schien. Dieses ganze Bürgertum war ohne jede politische Tradition; 1946 Anzeiger Österr. Akad, d. Wiss. 4 Die französische Aufklärung formulierte ihre Bildungsideale als die des Weltbürgers (cosmopolite) oder des Staatsbürgers (citoyen). Beiden setzte J. J. Rousseau . . die Forderung einer Erziehung zum Menschen schlechtweg (l'homme) schroff entgegen. Aber das eigentliche Erziehungsprogramm der französischen Aufklärung wurde und blieb das des Staats- oder Nationalbürgers . . Es ist der Plan einer einheitlich aufgebauten staatlichen Erziehung mit nationalbürgerlichem Erziehungsziel; Süddtsch. Ztg. 2. 12. 1950 Rußlands Stunde hatte geschlagen . .; es fand zu seiner Form . . Wie die deutsche Reformation den Untertan, die englische Revolution den gentleman, die französische Revolution den Citoyen geprägt hat . ., so hat die russische Revolution den Planmenschen geboren; 1962

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Urania H 84 Hier äußert sich die Auffassung des humanistischen Citoyen: für Herder besteht das eigentliche menschliche „Kapital" im . . Kapital der sittlichen Kräfte, aber er ist nicht so weltfremd, und er vernachlässigt nicht die Beachtung gewisser ökonomischer Gesetzmäßigkeiten; Brunner/ Conzef Koselleck 1972 Geschichtl. Grundbegriffe I 684 Am weitesten ging Rousseau mit seinem Vorschlag, Wörter wie „Bürger" (citoyen) oder „Vaterland" (patrie) ganz aus dem modernen Sprachgebrauch zu streichen. Im „Emile" .. erschien unter dem Begriff „bourgeois" der Mensch unserer Tage, der weder ganz „homme" noch ganz „citoyen" war. Die Städte des gegenwärtigen Frankreich, sagte Diderot zum gleichen Thema, seien voll von „Bürgern" (bourgeois), doch gäbe es unter diesen nur wenige, die man „citoyen" nennen könne. Im weniger radikalen Denken der deutschen Aufklärung, wo man die sprachlich leichtere Differenzierungsmöglichkeit zwischen „bourgeois" und „citoyen" nicht kannte, mußte man sich mit Hilfsdefinitionen begnügen; ebd. l 690 „citoyen" — ein Wort, das den deutschen Bürgerbegriff in Zukunft [seit dem Ende des 18. Jhs.] entscheidend bestimmen sollte; ebd. l 692 f. gewann das von alters her [mit „bourgeois"] gleichbedeutende, aber weniger verbreitete „citoyen" durch Rousseau und die Enzyklopädisten in Anlehnung an lat. civis jene neue Bedeutung, die man im Deutschen mit „Staatsbürger" wiedergeben mußte; 1982 Spiegel Nr. 8 Eine Bedeutung des Wortes schimmert durch, die sich in Deutschland gegenüber dem Spießer und dem Bourgeois nie durchsetzen konnte — der Citoyen (DUDEN 1993); Sloterdijk 1983 Kritik 139 die Erneuerung des innerbürgerlichen Konflikts zwischen dem idealistischen Citoyen und dem garstigen Bourgeois; MM 3. 6. 1986 Der „ungemütliche Citoyen", wie Grass sich gerne sieht, wollte wieder Anstöße geben, auch institutionell; Süddtsch. Ztg. 9. 2. 1993 Unterstellt man nach wie vor, es habe in der ehemaligen DDR die gleiche Chance wie im Westen gegeben, sich gleichsam als schriftstellernder Citoyen zu bewegen. Hier die Literatur in ihrer — wenn auch prekären — Autonomie, dort der Markt, die Öffentlichkeit, das Lesepublikum der Staatsbürger. Solche Moralstruktur, der öffentlichen Person des Autors zugemessen, hat es in der alten Bundesrepublik, nicht aber in Ost-Deutschland gegeben. GS

City F. (-; -s und Cities), Mitte 18. Jh. entlehnt aus engl. city in seiner Bed. 'Altstadt, zentrale Stadt, hauptstädtisches Zentrum (einer Region)' bzw. engl. city of London 'Geschäfts-/Verwaltungs-/Regierungsviertel von London' (über gleichbed. altfrz. cite zurückgehend auf lat. cwitas in seiner Bed. 'Stadt; Hauptstadt' (bezogen auf Rom) als Terminus der römischen Verwaltungssprache, ursprünglich 'Bürger-

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City

schaft, Gemeinde; Staat', zu civis 'Bürger'; vgl. ital. citta, span, ciudad; —* Citoyen). a Zunächst und bis Ende 19. Jh. überwiegend auf engl. Verhältnisse bezogen in der Bed. 'Altstadt, Innenstadt von London (als Sitz der großen Handelsgeschäfte, der Stadtverwaltung und der Staatsregierung)', noch bis heute häufig in bezug auf die Wirtschaftsmetropole London, speziell auf deren politische Rolle während des Zweiten Weltkrieges auch im Sinne eines pars pro toto für den Kriegsgegner England verwendet (s. Belege 1930, 1942), von Anfang an gelegentlich konnotiert mit „eng, gedrängt, stickig; menschen- und verkehrsreich" (s. Belege 1784, 1851, 1853, 1904), meist in Wendungen wie (bzw. kurz für) Londoner City, City von London, seit dem 19. Jh. oft in auf engl. Verhältnisse bezogenen Zss. wie City-Mann, -Herr, -Literatur, -Polizei, -club, -Einfluß, -Kreise und City-Hall 'Stadt-, Rathaus (in London oder anderen Großstädten Englands und Amerikas)'. b Seit Mitte des 19. Jhs. gelegentlich, seit Anfang des 20. Jhs. zunehmend auch auf die Altstadt, den Stadtkern anderer Großstädte Europas und Amerikas (bes. Berlin, München, Hamburg, Paris und New York) ausgedehnt, in Deutschland vor allem im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Städte nach dem zweiten Weltkrieg und dem Bauboom der 50er/60er Jahre zunehmend in der heute dominanten, oft schlagwortartig verwendeten Bed. '(moderne) Innenstadt, (Stadt-)Zentrum als geschäftlicher Mittelpunkt einer Stadt; Hauptgeschäfts-, -einkaufs-, Vergnügungsviertel (von Großstädten)' (vgl. Downtown, —*· Zentrum; Ggs. Vor Stadt l-ort, 'Wohngebiet/-Siedlung, —* Region), bezogen auf den zentralen Bereich einer größeren Stadt, der durch eine Konzentration von Hochhäusern, Büro-, Bank- und Geschäftsgebäuden, Verwaltungs- und Kultureinrichtungen und regen (in jüngster Zeit zugunsten verkehrsberuhigter Fußgängerzonen zurückgegangenen) Fahrverkehr gekennzeichnet ist. Häufig (sozialkritisch) negativ konnotiert mit „laut, geschäftig, schmutzig, verkehrsreich; überfüllt, (zu) schnell wachsend" (s. Belege 1929, 1930, 1962, 1970, 1993) und „anonym, öde, entvölkert; unsicher, gefährlich" (s. Belege 1954, 1969, 1993, 1994) sowie gelegentlich sprachkritisch glossierend (s. Belege 1929, 1950), daneben (werbespr.) vor allem in bezug auf Architektur und Mode eher positiv assoziiert mit „modern, großzügig, weltläufig, mondän" (s. Belege 1953, 1960, 1963, 1969, 1986, 1989); in Wendungen wie moderne, neue, geschäftige City, Berliner, New Yorker, Münchner City, am Rand der City, häufig als Bestimmungswort (konkurrierend mit dtsch. (Haupt-/Groß-/lnnen-)Stadt-) in Zss. wie Citybildung 'Massierung von Geschäftshäusern (bei gleichzeitiger Abwanderung der Wohnbevölkerung in die Randbezirke)', Citybüro, -nähe, -läge, -gewühl, -Look, -Stil, -mode, -Bus, -Ticket, -Ring, -Meile, -Kino, -Treff(-punkt), -Center, und in der Form Citi- in Citibank, dem Namen einer in den 80er Jahren auch in Deutschland (Frankfurt) niedergelassenen amerikan. Bank-Gruppe; als erster oder zweiter Bestandteil in attributiven Fügungen wie City-Nord, -Süd (bei Vorhandensein mehrerer Zentren) bzw. (in Verbindung mit Ortsnamen) Mainz-/Hamburg-City, oft in Immobilienanzeigen. In jüngster Zeit als Grundwort in der eher abgeflachten Bed. '-Stadt' in Zss. wie Geschäfts-, 100 000-Einwohner-, Boom-, Crime-City und vor allem seit den 60er Jahren nachgewiesenem Inter-City M. (-; selten -s), auch Intercity, Abkürzung 1C (nach engl.-amerikan. intercity 'zwischen (Groß-)Städten verkehrend'; vgl. dagegen frz. inter cites], gekürzt aus Intercity-Zug 'mit besonderem Komfort ausgestatteter Zug, der nur in großen Städten an Eisenbahnknotenpunkten hält, günstige An-

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Schluß Verbindungen und kurze Fahrzeiten ermöglicht', auch kurz für Intercity-Verkehr, in den 90er Jahren analog dazu Eurocity. City a: Alberti 1752 Br. II 237 Es gehöret dieses Siechenhaus allein der Bürgerschafft der Stadt (City) London zu (GANZ); 1776 Dtsch. Museum II 639 Der Mittelpunkt alter Städte (der in Frankreich Cite, in England City und in Deutschland Altstadt heist) pflegt ein verwirrter Klumpen unordentlicher Gassen und Häuser zu seyn; Büschel 1784 Reisen I 33 In der City [von London] hingegen, wo Handel und Gewerbe ihren Sitz aufgeschlagen haben . . [Im] Gewimmel . . von der City und einigen der größten Straßen von Westminster; Bürger 1786 Münchhausen II 199 Sobald wir zurückkamen, schickte ich einige Schinken im Namen des Kapitäns an . . den Lordmayor und den Stadtrat von London . . Die City aber erwiderte mein Geschenk auf sehr nachdrückliche Art, nämlich durch eine Einladung; 1787 Götting. Histor. Magazin I 154 des Towers, der in der City oder Altstadt liegt; Schopenhauer 1803-04 Reisetagebücher 36 Wir durchgiengen heute einige der lebhaftesten Straßen der City [London]; Raumer 1835 England l 309 ich komme auf einen dritten Punkt, auf Peel . . und seine Rede in der City (GANZ); Waagen 1837 Kunstwerke I 13 in der City, dem alten Mittelpunkte des Handels und Gewerbes von London; Lewald 1851 Dünengesch. II 53 damit die alten Leute doch wenigstens in ihren späten Tagen den blauen Himmel sehen und in anderer Luft athmen können, als hier im Nebelqualm der City; 1853 Prutz' Museum II 901 Sie kennen London. Die enge und dumpfe Häusermasse um den Tower herum, das Convolut von ewig nebligen Gassen an der Themse heißt die City; Fontäne 1854 Sommer (Ges. W. // 4,161) die gefüllte Börse eines Westend-Lords oder eines City-Kaufmanns aus dem Ostindien-Viertel; Rasch 1863 London I 83 die Metropolitain-Polizei und . . die City-Polizei; 1868 Magazin d. Ausld. 231 Die City von London hat ihr altes, historisch berühmtes Rath- oder Stadthaus, die Guildhall. . restauriren lassen; 1872 (1. Internationale (1964) 651) M[arx] ist in die City, das Zitat aus der „Concordia" nachzusehn; Meysenburg 1876 Mem. I 261 daß dies die City sei, der Mittelpunkt des Handels- und Arbeitslebens von London; Kürnberger 1877 Herzenssachen 273 literarischen City-Herren; ebd. 275 im Feuilleton des welterleuchtenden City-Blattes das Volksleben der Vorstädte . . skizzirt; ders. 1898 Eis 69 So viele Gänge und Gäßchen er aus und einrennt. Die labyrinthische City [London] nimmt kein Ende; Simson 1900 Simson 83 daß ich . . dir aus dem City-club schreibe; ebd. 85 Die Geld-Krisis in der City ist immense . . mit 1797 [zu] vergleichen . . wogegen 1826 ein Scherz war; Zander

1904 Neue Welt 242 das dem Newyorker ja nicht ganz ungleiche Leben und Treiben . . das Downtown Londons, die City mit dem unvergleichlichen Menschengewühl der Welthandelsmetropole; Eulenburg 1916 Weltherrschaft. Möglichkeiten 91 Wenn auch Newyork keineswegs die volle Erbschaft der City anzutreten vermag, so wird allerdings eine Beteiligung die Folge sein — London wird zugunsten von Manhattan geschwächt werden; Thoma 1923 Münchnerinnen (VII 344) Er knüpfte [Geschäfts-]Verbindungen mit der Londoner City an und wollte den feinsten Tee für München erhalten; 1927 Sittengesch. d. Lasters 224 Der energische, moderne Cityman, der nur für Putz und Wohlleben seiner Herzenskönigin arbeitet; Voss. Ztg. 27. 2. 1930 Der City-Sturm gegen Abrüstung (Überschr.) Es war . . durchgesickert, daß Churchill den Feldzug führe . . Der Auftakt ist . . gestern in einer Versammlung der führenden Citypersönlichkeiten erfolgt; Arnholds Wochenber. 30. 5. 1931 Gerüchte aus der Londoner City .. die von der Auflegung einer neuen internationalen Anleihe für Deutschland . . sprachen; Voss. Ztg. 29. 8. 1931 Die Summen, um die es sich bei England handelt, waren bescheiden . . Die City brauchte nur auf Abzüge im Werte von etwa 3 Millionen RM gefaßt zu sein; Wahlendorf 1936 Erinn. 162 so blieb ich auf Rat eine Freundes dort [in England], um mich in der City zu betätigen, wo ich 1905 . . eine eminent große Brokerfirma fand; Münch. N. N. 30./31. 5. 1942 Schwindender CityEinfluß (Überschr.) Die kriegsbedingte Einschränkung der englischen Ausfuhren . . führt zu starken Verschiebungen in der britischen Zahlungsbilanz; NZ. (Basel) 9. 5. 1949 Cityhilfe für englischen Exportfeldzug (Überschr.) Unter Mitwirkung der Zentralbank haben führende Banken der Londoner City einen Ausschuß gebildet; Hartmann 1954 Begegnung 177 das wirtschaftliche „Herz der Welt", die Londoner City; Münch. Merkur 12. 5. 1956 Bei einem Bummel durch die Londoner City fallen dem Besucher vom Kontinent . . die schwarzen, engtaillierten City-Anzüge der Herren [auf] Der City-Anzug ist mehr als ein Kleidungsstück, er ist eine Weltanschauung; Süddtsch. Ztg. 17.5.1961 Spekulationen der City (Überschr.) In der Londoner City wurde die lebhafte Diskussion . . ob Großbritannien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EG) beitreten wird . . gelassen genommen; Stuttgarter Ztg. 14. 1. 1963 Die sogenannten „City-Herren" tragen nach wie vor ihren steifen Hut . . ihren Regenschirm; Welt 29. 12. 1964 Der höhere Diskont und höhere Steuern haben eine Bremswirkung ausgelöst, deren Umfang nach Mei-

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nung von City-Kreisen groß genug sein werde, um im nächsten Jahr statt des höheren Wachstums eine Rezession zu bringen; FAZ 30. 12. 1971 Londoner City als finanzielle Drehscheibe; MM 12. 10. 1989 Londoner Zeitungen, City-Experten, Partei-Aktive treten für eine neue Finanzpolitik [ein]. City b: Fontäne 1860 Jenseits (Ges. W. // 4,268) Links vor uns an der Nordostecke der Kirche erhob sich das Wahrzeichen der Stadt, das „CityKreuz" [in Eilenburg]; Hebbel 1862 S. W. l 10,273 Die Leopoldstadt ist fast ganz überschwemmt, und die Rossau zum Theil, auch in der City, wie wir unsere innere Stadt ja wohl nennen dürfen, sind hie und da bereits Nothpassagen auf Holzböcken errichtet worden; Röscher 1899 Handel (System III 9) Zu den gewöhnlichsten Erscheinungen unserer Großstädte gehört die Citybildung, indem aus den mittleren Theilen die Wohnungen immer mehr verschwinden, um den Bedürfnissen des Verkehrs .. Platz zu machen; 1903 Stimmen d. Zeit 64 die Umbildung der zentral gelegenen Wohnviertel in Geschäftsviertel (Citybildung); Voss. Ztg. 15. 10. 1926 City-Projekte, aber kein Geld (Überschr.) Dies alles natürlich zu ungunsten der Berliner City . . die ihren Charakter als . . elegantes Vergnügungsviertel immer mehr verliert; Dtsch. Tagebl. 29.3. 1929 Muß es City sein? (Überschr.) ob die Ersetzung des Fremdwortes „City" durch „Innenstadt, Altstadt, Geschäftsgegend" u. a. möglich ist . . Der internationale Charakter des Geschäftslebens in Berlin hat das Wort „City" bereits so volkstümlich gemacht, daß es kaum noch als Fremdwort empfunden .. wird; Berl. lllustr. Nachtausg. 1. 7. 1929 Mitten hinein in die sausende, vor Geschäftigkeit dampfende City mit einer altmodischen, hochgebauten Kraftdroschke; Voss. Ztg. 10. 7. 1929 Die Verkehrsstockungen in der NewYorker City würden immer grauenhafter; ebd. 21. 7. 1929 Wenn in der City und im Westen immer größere und prunkvollere Gast- und Vergnügungsstätten wie Pilze aus der Erde schießen, um dem brausenden Tonschwall der Weltstadt wieder eine neue und stärkere Note zu geben; ebd. 12. 3. 1930 Man denke nur, in welchem Tempo neue „Citys" in Steglitz und am Hermannsplatz entstehen; Berl. Morgenpost 29.5.1930 ob auf dem blasierten Kurfürstendamm oder in der überbeschäftigten City; Siemens 1947 Leben 50 Die Citybildung der Großtädte legte es nahe, an Warenhäuser, Büround Verwaltungsgebäude von einem Umfang zu denken, wie sie bis dahin . . noch nicht existierten; Süddtsch. Ztg. 29. 11. 1950 In einer Stadtratsitzung ist schon manches harte Wort gefallen, aber „City" haut doch . . gar zu sehr über die Grenze der „Tausend Worte Bayrisch" hinaus . . „City" ist

etwas, das nach Bankkrächen riecht, nach .. glatten Weltmännern und turmhohem Eisenbeton; 1953 Jahrb. frank. Landesforschung 257 Erlangen hat auch schon erfolgreich begonnen, in seiner Innenstadt eine moderne „City" zu bilden . . Mindestanforderungen, die man an ein neuzeitliches „cityartiges" Stadtviertel stellt; Süddtsch. Ztg. 26. 4. 1954 der Münchner Innenstadt drohe das Schicksal der Cities amerikanischer Städte, die mangels Parkplätzen kilometerweit verödet seien; Stuttgarter Ztg. 4. 4. 1960 der Bau einer modernen City mit durchweg zweigeschossigen Häusern . . In dieser City müßten das Geschäftsviertel und die Verwaltungsstellen untergebracht werden; Süddtsch. Ztg. 26. 10. 1962 ein brauchbarer Vorschlag für die zukünftige Stadtplanung Münchens . . zur Entlastung der City und . . wie man den Bevölkerungs- und Verkehrszuwachs zukünftig steuern muß; Offenburger Tagebl. 9. 3. 1963 Die Hut-Modeschöpfer kreierten .. den „City-Look" und entwickelten Formen, die dem heutigen Lebensrhythmus angepaßt modern, sachlich und praktisch sind; FAZ 10.1.1969 Von London fahren alle 2 Stunden die schnellen und modernen Inter-CityZüge . . nach allen bedeutenden Geschäfts- und Industriestädten Großbritanniens (FRIMAN); Mittelbayer. Ztg. 3. 5. 1969 Europäischen Citys droht der Tod - Wohngebiete liegen in der Agonie (Überschr.) (AWB); Welt 6. 12. 1969 Baugrundstücke . . in landschaftl. schöner Gegend, 45 Min. von Hamburg-City entfernt; N. Z. Z. 1.11.1970 Ersticken unsere Cities im Verkehr? Eine Studientagung über das Parkieren (AWB); Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 24 nach einem Jahrhundert der Kritik an der Großstadt . . immer wieder enttäuschter Versuche, die Städte im Gleichgewicht zu halten, Citys zu retten, den städtischen Raum in Wohnquartiere und Geschäftsviertel, Industrieanlagen und Grünviertel . . zu gliedern . . drängt sich die Frage auf, ob nicht der Begriff der Stadt selber überholt ist; MM 5. 3. 1986 New Yorks berühmte Einkaufsstraße „Fifth Avenue" gibt das Stichwort für die neue Citymode, strikt und ein wenig kühl, aber großzügig und komfortabel; ebd. 3. 7. 1986 Die Citibank AG hat in Mannheim nur ein kurzes Gastspiel gegeben; ebd. 20. 1. 1989 Da werden auf großen Plakaten City-Shirts offeriert. Fragt man aber die Verkäuferin, wie sie diese Dinger nennt, antwortet sie ohne zu zögern Oberhemden; ebd. 30. 1. 1989 In den Räumen der Tanzschule „Die Zwei" in der City-Nord proben 34 Damen und Herren . . jeden Samstag den richtigen Schritt; ebd. 31.5.1989 Einkaufszentrum .. City-Galerie und Fußgängerzonen (Anzeige); ebd. 31. 10. 1989 CityEleganz mit kurzen Jacken (Überschr.) präsentiert sich auch bei den Schuhen von countrylike bis cityfein in den typischen Herbstfarben . . Für den mo-

Clan dernen City-Stil nach englischem Vorbild bedeutet das . . Jacken aus rustikal anmutenden . . Stoffen; TAZ 1. 2. 1990 An den internationalen Fahrplänen von EuroCity wird sich der deutsch-deutsche Sonderzug nach Leipzig nicht zu richten haben; MM 2. 4. 1991 Die „Stadthotels" bieten für Geschäftsreisende und City-Touristen komfortablen Service bei akzeptablen Preisen; ebd. 5. 4. 1991 Genug zu tun gäbe es in der verfallenen Nordstadt der 100000-Einwohner-City in Sachsen-Anhalt; Spiegel 29. 3. 1993 Zwischen St. Pauli und der Alster strampelt der Fahrradkurier jeden Monat mehr als 1000 Kilometer durch den Citysmog; ebd.

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5. 7. 1993 Daß es ausgerechnet die Boom-City Frankfurt früher und härter trifft als andere Großstädte, hätten die Lokalpolitiker voraussehen können; ebd. 12. 7. 1993 Besonders viel Grund zur Angst haben die Frankfurter. In „Crime-City" (Die Tageszeitung) kommen derzeit jährlich auf 100000 Einwohner 13 Opfer von Mord und Totschlag; ebd. 6. 12. 1993 Die Stadt Kopenhagen, die sich von „Bycyklen" einen Beitrag gegen den City-Infarkt und ökologischen Imagegewinn verspricht. ebd. 26. 12. 1994 Nahezu drei von fünf Ostkunden haben dem darbenden City-Einzelhandel den Rükken zugekehrt; die Wiederbelebung der ramponierten Innenstädte bleibt ein frommer Wunsch. IN

Clan M. (-(s); -s), im späteren 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. clan (< altir./ gäl. dann, dand, eigentlich 'Kinder (gemeinsamer Abstammung), Abkömmlinge, Nachkommenschaft', zurückgehend auf lat. planta 'Setzling, Schößling; Sproß', zu plantare 'umsetzen; (be-)pflanzen', mit Ersatz des im Altir. fehlenden Konsonanten p durch c\ vgl. Pflanze, —» Plantage), früher auch gebucht in der (kelt.) Form Clann, Pl. selten auch Clane, von Anfang an und heute zunehmend daneben auch in der Schreibung Klan. a Zunächst als historische Bezeichnung auf die keltische Herrschafts- und Siedlungsform der Stammesbildung und Sippenordnung (unter einem gemeinsamen Ahnherrn) bezogen für '(oberster) Familien-, Stammesverband, (vornehmste) Sippe, Geschlecht (in Schottland und Irland)', speziell auch für 'freiwilliger (auf Blutsverwandschaft beruhender) Lehensverband zwischen Gutsbesitzer und Untertanen im schottischen Hochland', z. B. in Zss. wie Clansmann (< gleichbed. engl. clansman) 'Stammesgenosse, -mitglied', Clanswesen, -system, -verband, -haus, b Seit spätem 18. Jh. als sozialwissenschaftlicher Terminus auf vergleichbare patriarchalische Strukturen anderer Länder bzw. ethnischer Gruppierungen ausgedehnt, auch auf weniger feste Formen und Ausprägungen von Familienverbänden bezogen in der Bed. 'auf Blutsverwandtschaft beruhende (mächtige, herrschende) Großfamilie, Sippe (die durch starken Zusammenhalt, Abschottung nach außen, Verfolgung gemeinsamer materieller Vorteile und Streben nach Macht und Einfluß gekennzeichnet ist); Herrschaftshaus' (—» Dynastie, —» Kaste), gelegentlich eher abgeflacht und leicht scherzhaft/ironisch verwendet im Sinne von 'Kind und Kegel; Sippschaft' (s. Belege 1935, 1953); in vereinzelten Wendungen wie verfeindete, rivalisierende Clans, häufiger als Grundwort (konkurrierend mit -stamm/-familie) in Zss. wie Familien-, Sippen-, Wikingerclan, (mit Familiennamen als erstem Bestandteil) Kennedy-, Krupp-, Zwick-Clan, und als Bestimmungswort (konkurrierend mit Stammes-/Famiüen-) in Zss. wie Clankollektiv, -mitglied, -denken/-bewußtsein/-geist, -Solidarität, -organisation, -politik. Von daher auf nicht blutsverwandte, aber vergleichbar effektiv organisierte Gruppierungen übertragen, in der vereinzelt bereits im späteren 19. Jh. (s. Beleg 1869) nachgewiesenen, in neuerer Zeit verstärkt pejorativ verwendeten Bed. 'marodierende, räuberische Bande; kriminell organisierte, terroristische Vereinigung, Untergrundbewegung; verschwörerischer Geheimbund' (s. Belege 1969, 1985, 1986, 1993, 1994), speziell, auf Italien, bzw. italo-amerikan. Verhältnisse bezogen, auch für 'nach dem

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Vorbild der italienischen Mafia strukturierte, durchhierarchisierte Gruppierung (von männlichen Mitgliedern einer Familie), die die Anhängerschaft ihrer Leute, die Zahlungswilligkeit ihrer Opfer und die Kooperationsbereitschaft von Gesetzeshütern durch Terrorakte, Gewalt und Bestechung erzwingt' (—» Syndikat, —> Mafia; s. Belege 1970, 1984, 1987), als Bestimmungs- und Grundwort (konkurrierend mit Banden- bzw. -bände) in Zss. wie Clanbildung, -fehde, -krieg, -soldat; Räuber-, Kriminellen-, Terroristen-, Drogen-, und bes. (amerikan.) Ku-Klux-Clan, als Bezeichnung für die terrorisierenden, die Sklavenbefreiung bekämpfenden Banden während der Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten der USA; daneben, vereinzelt bereits im späten 19. Jh. (s. Belege 1881, 1896), in neuerer Zeit zunehmend schlagwortartig und ebenfalls pejorativ verwendet in Politik, Wirtschaft und Kultur im Sinne von '(exklusive) Gruppe, (verschworene) Gemeinschaft, Gemeinde, Kreis; durch gemeinsame Ziele und Interessen verbundene, in einem Geflecht von Abhängigkeiten und Solidarität stehende, aufeinander eingeschworene Interessengruppe, Klüngel, Stab (z. B. um einen prominenten Politiker, Wirtschaftsmagnaten, Künstler, Sportler)' (—» Clique, —> Club, —* Lobby, —» Konsortium), in zahlreichen Zss. wie Berater-, Wirtschafts-, Künstler-, Polit-, Hotel-, Getreide-Clan; Clan-Struktur, -führer, und (mit Personen-, Firmen- oder Ortsnamen als erstem Bestandteil) Becker-, Breschnjew-, Stalin-, Castro-, Weizsäcker-, Honecker-, Ruhr-, Siemens-Clan. Clan a: Smollet 1772 Klinkers Reisen 111 24 Nachdem der Clan über diesen Antrag mit einander zu Rathe gegangen war (GANZ); Maser 1777 S. W. X 237 ein alter Than, der jährlich die Vasallen seines Clans einmal zur Tafel hatte; Vogt 1787 Europ. Rep. l 11 Alfred der Grose . . theilte sein Reich [Angelsachsen] in Shiren (Grafschaften) . . ab. Jeder Hausvater mußt für die Aufführung seiner Klane (Wehre, Familie,) seiner Sklaven . . stehen, wenn sie sich über drei Tage in seinem Hause aufhielten; ebd. l 13 in Streitigkeiten . . wurde die Sache den Hundreden (Hunderten) vorgetragen, welche aus zehen Tythings oder hundert Klanen (Familien) von freien Männern bestunden; Adelung 1806 Gesch. d. Deutschen 165 Clans [der Bergschotten]; Hailbronner 1837 Cartons l 312 Der Zwiespalt, in dem die wilden Clans ewig unter sich gelebt . , Bergmassen . . auf deren Felsriffen die so selten bezwungenen Schlösser der schottischen Clans auf das wilde Land herabhängen; Laing 1843 Reisen U 143 Im schottischen Hochlande war der, an einem Ende angebrannte, am anderen mit Blut bestrichene Stock ein . . Mittel, einen Klan zu den Waffen zu rufen; Kohl 1844 Schottland l 13 das . . System der Stammesunterschiede (der Clans); ebd. l 135 Aufhebung der Clans in den Hochlanden; ebd. 1173 Dieser kriegerische Racenund Clans-Geist, diese primitiveste, roheste Form der menschlichen Gesellschaft, die bloß erweiterte Familie .. in Schottland; Hartmann 1853 Languedoc II 43 die hosenlosen Clans Hochschottlands; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen l 320 Clan-Verband . . „Clann", „clainne" oder „cloinne" in der

irischen oder gälischen Sprache heißt: Kinder, Abkömmlinge und dann im weiteren Sinne: ein Stamm. Schon diese Etymologie deutet das Patriarchalische des Verhältnisses an; Baumann 1883 Gesch. d. Allgäus l 20 Wie alle Kelten gliederten sich auch die Vindelicier in „Clans" d. i. in Gauverbände, an deren Spitze ein mächtiger Adel und Fürsten stehen; 1889 Landes- u. Volksforschung 502 Clanverfassung; Ratzel 1898 Deutschland 250 das alte keltische Clanhaus; Schlözer 1911 Hirten 98 die allmächtige Sippe, der Clan, unter dem Stammesoberhaupt; Wilhelm II. 1922 Ereignisse 135 Clanswesen der Schotten; Bebe! 1922 Frau 31 Clan- und Stammesorganisation; Brentano 1924 Grundbedingungen 167 Annt. Walter Scotts . . Aufsatz über das schottische Clansystem; Herzog 1930 Engt. Kulturkunde 44 Die äußeren Zeichen des alten schottischen Keltentums: Siedlungsform, Clan-Einteilung (d. h. Bildung von Familienverbänden); Tönnies 1931 Soziologie 35 jener bei allen . . Völkern angetroffene Verband, der bei den Griechen Genos . ., bei den Römern Gens, bei den Schotten Klan . . genannte, dessen Wesen dadurch bezeichnet ist, daß die Mitglieder sich als Nachkommen eines gemeinsamen Vorfahren denken und empfinden. Clan b: Musäus 1782 Grandison II 57 Selbst der bedenkliche Hermes würde bey dieser Heirath . . nichts einzuwenden gehabt . . haben, weil das Fräulein ihren Clan nicht verließ (GANZ); ders. 1787-88 Volksmärchen l 55 Alle christlichen Könige und Fürsten gehören, wie bekannt, zu einer

Clan Familie; folglich, da sie von jeher nicht außer ihrem Clan heirathen durften, mußten sie sich mit ihren Muhmen und Basen vermählen; Kohl 1844 Reisen in England u. Wales III 95 Die Zigeuner haben ihre Clans unter sich; Fontäne 1863 Petöfy (Ges. W. l 4,120) Der alte Zigeunerkönig Hanka, der von hier aus seinen . . ziemlich zahlreichen Clan regierte (GANZ); 1869 Gartenlaube 641 Das Haupt des Clans, der General [einer Diebesbande in Paris]; Nordau 1881 Paris 317 Clan der Romantiker; Vogi 1896 Leben 114 Innerhalb der philosophischen Fakultät fanden sich zwei mehr abgesonderte Clans, die Chemiker.. und die Studierenden der Forstwissenschaft; Treitschke 1898 Politik II 100 Die großen Magnatengeschlechter bilden sich sogenannte Brüderschaften, große Clane von Anhängern aus dem niederen Adel .. Sie werden durch das gemeinsame Wappen des Herrengeschlechts verbunden; Brandt 1901 Ost-Asien U 221 Die . . Person des Mikados in den Vordergrund zu stellen und damit allen Eifersüchteleien der Fürsten und Clans untereinander von vornherein die Spitze abzubrechen; Kaiser 1911 Lebenserinn. 81 ein starker Familien- und Clangeist; Lettenbaur 1927 Morgen 193 Blutrache, die vielfach noch auf Klanfeindschaften aus den Kriegen der weißen und roten Rose zurückgeht; 1929 Nord u. Süd Lll 430 Man konnte nicht sagen, daß man eine Generation vor sich hatte, sondern vielmehr eine gewisse Anzahl von Gruppen oder Klans; Tönnies 1931 Einf. 164 Der Clan, den wir auch mit dem römischen Worte gens benennen können, wird . . bei Australiern, Indiandern .. vorgefunden; Th. Mann 1933 — 43 Joseph (W. IV/V 563) Es war die Furcht Jaakobs und grimmig verschämte Liebe zu dem Verhaßten, die ihn dies heimlich betreiben — und auf Verrat sinnen ließen an dem Brüderclan; Halbe 1935 Jahrhundertwende 53 der ganze riesige Klan von Himmelsstürmern und Weltverbesserern; ebd. 192 daß wir während der nächsten . . Jahre . . solche Sommerreisen von den Alpen an die Ostsee mit dem ganzen Clan in Szene setzten; Dtsch. AZ. 3. 12. 1935 Der französische Student . . kehrt . . in den Ferien zurück, dann wird die Erholungszeit gemeinsam verbracht, am Meere oder im Gebirge — und wieder bleibt der Clan der Familie zusammen; Mühlmann 1840 Krieg 16 Als die kleinste politische Gemeinde ist der Klan zu betrachten . . Heute versteht man unter Klan eine Anhäufung von Familien, die sich aufgrund des Glaubens an einem gemeinsamen Ahnen zusammenghörig fühlen und auf ein bestimmtes Siedlungsgebiet Anspruch erheben . . Mehrere Klans zusammen bilden einen Stamm; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 506) das Vorurteil seines bürgerlichen Clans gegen die Schauspielerin, die Vagabundin .. zu überwinden; Neue Ztg. 1. 3. 1950 Der Kern der Partei ist ein

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Clan. Er ist das einzige stabile Element in der griechischen Politik. Denn zum Clan gehört die Erblichkeit . . Die Politik machen also einige Dynastien, deren jeder in den Augen des Volkes so etwas wie Legitimität zu kommt; Bonn 1953 Gesch. 18 Großvater . . war eine Art Clan-Häuptling, um den sich die näheren und weiteren Mitglieder der Familie scharten; Wachsmuth 1953 Werdegang 172 Eine spezifische Art der Zuordnung zum Umweltgeschehen ist der sogenannte „Totemistnus" der Primitiven. Hierdurch werden meist die Völker und Stämme in Clane eingeteilt. . Die Angehörigen der Clane betrachten sich als miteinander verwandt; Bonn 1953 Gesch. 21 Der Clan war überall zum Klüngel geworden; Homans 1960 Theorie 225 Es besteht. . die Neigung, daß der Sohn eines Mannes in der Nähe seines Vaters lebt . . und was für die Familie zutrifft, muß erst recht auf den Clan zutreffen. Die Clanmitglieder leben in allen Teilen der Insel . . der Häuptling organisiert das Unternehmen, die Clansleute aber versorgen ihn mit . . der Arbeitskraft; Offenburger Tagebl. 10. 11. 1960 Jetzt konnte er mit der Verbissenheit, die dem Kennedy-Clan zu eigen ist, seine Nominierung für die Präsidentschaft 1960 vorbereiten; Hobsbawm 1962 Sozialrebellen 16 Die Bande der Blutsverwandtschaft oder der Clansolidarität; Spiegel 25. 11. 1968 Erst im Herbst 1966 fusionierte der Siemens-Clan seinen zersplitterten Besitz zu Siemens AG., die er einer umständlichen Hierarchie anvertraute (AWB); Welt 20.11.1969 Rückblenden in die Zeit des Wilden Westens zwingen sich auf, an die Clans von Bonanzaland bis Big Valley; Offenburger Tagebl. 12. 10. 1970 Verbrecher rükken zusammen (Überschr.) Bandenbildung rationalisiert das „Geschäft" und schützt gegen ausländische Clans; Spiegel 6. 6. 1977 Geräuschlos und schnell hatte der Quelle-Clan . . noch weit wichtigere Beschlüsse gefaßt: Genau wie es der . . Firmengründer und Konzern-Patriarch Gustav Schikkedanz gewünscht hatte, teilte die Familie die Manager-Posten unter sich auf (AWB); Spiegel 8. 10. 1984 Buscetta („Don Masino") war mürbe geworden durch einen blutigen Krieg mit den Rivalen vom sizilianischen Clan Liggio-Greco („Corleonesi"), der ihm in wenigen Monaten 14 Verwandte erschossen hatte (AWB); Zeit 28. 12. 1984 Andropows KGB unterminierte durch Aufdeckung von Skandalen den korrupten Breschnjew-Clan; ebd. 7. 6. 1985 Ähnlich lehrreich ist die Betrachtung amerikanischer Heimatfilme wie Dallas oder Denver-Clan; ebd. 28. 6. 1985 Im Gegensatz etwa zum Drusenchef Walid Dschumblatt, ist Berri auch kein geborener Clanführer [der Schiiten], dem das politische Charisma eines großen Vaters sozusagen als Erbstück in den Schoß fiel; ebd. 21. 2. 1986 Ein parteipolitischer Clan mit seinem System persönli-

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Claque

eher Abhängigkeit und Treue einerseits und unzulässiger Duldung und Korruption andererseits; MM 10.5.1986 Mit dem Tod des 48jährigen Arndt von Bohlen und Halbach .. erlosch eine Dynastie, die . . zu einem der bestimmenden Faktoren der deutschen Industrie geworden war . . der letzte des Krupp-Clans; ebd. 31.10.1986 Frankreichs Premierminister Jacques Chirac [soll] mit dem libanesischen Terroristen-Clan der Abdallahs einen Waffenstillstand ausgehandelt haben; Spiegel 1.6.1987 Mafiaähnlich verklammerte Clans aus Fleischhändlern und Beamten des öffentlichen Dienstes; MM 2. 8. 1989 die guten oder bösen Geister, die, in weiße, mal in schwarze Tücher gehüllt, mit spitzen Hüten und Masken wie Ku-Klux-KlanAnhänger verkleidet; Althoff 1990 Verwandte IX In Gesellschaften ohne Staat. . übernahmen Gruppen, mögen sie Horde, Sippe, Clan, Stamm oder anders heißen, vielfältige Funktionen; Sachsenspiegel 20. 4. 1990 Schalck-Golodkowski, der Jahrzehnte dem Honecker-Clan treue Finanzdienste geleistet hat; Spiegel 4.1.1993 In diesem Viertel hat sich der Klan der Murosade eingenistet . . Das Gebiet ist zudem eine Hochburg der islamischen Fundamentalisten .. „Die Menschen halten zusammen, wenn sie vom gleichen Klan sind, das ist unser soziales Netz."; ebd. 25. 1. 1993 Noch bis zum

vorigen Jahr hatten in Tadschikistan . . die AltKommunisten mit ihren Klans und den Genossen vom KGB regiert; ebd. 17.5.1993 sollten die Jungs . . nur in befriedeten Gebieten auftreten. Und gegen Klan-Milizen oder marodierende Banden sollten sie schon gar nicht kämpfen; ebd. 24. 5. 1993 Als baskische Tugenden nämlich gelten Unabhängigkeit, Loyalität, Clan-Bewußtsein und Lokalpatriotismus; ebd. 27. 9. 1993 In der Autonomieregion hat nach dem Abzug der israelischen Armee eine Runde blutiger Vergeltung zwischen verfeindeten Familien, konkurrierenden Klans und rivalisierenden Parteien begonnen; ebd. 22. 11. 1993 Mord, Korruption, Gesichtsoperationen, ClanKriege — der Junge aus dem sizilianischen Örtchen, schon früh ein enger Vertrauter des örtlichen Familienoberhauptes, wurde zu einem der gefürchtetsten Mafiabosse Italiens; ebd. 28. 3.1994 Mitgliedschaft in dem Kapuzenverein war damals eine Art Bürgertugend, ein Ausweis, vollblütiger Amerikaner zu sein. Der Klan machte Front gegen alles Fremde, gegen „Nigger" ebenso wie gegen Juden und Katholiken; ebd. 5. 12. 1994 Wenige Jahre später war aus dem trüben Weihnachtsscherz ein rassistischer Geheimbund geworden. Doch die jungen, prügelwütigen Skinheads, die zum Klan-Aufmarsch nach Pulaski gekommen sind, zeigen wenig Respekt vor den alten Herren. IN

Claque F. (-; -n), im früheren 19. Jh. entlehnt aus frz. claque 'Schlag (mit der flachen Hand); bezahlte Beifallklatscher' (zu lautmalendem ciaquer 'schlagen; klatschen, applaudieren'; —>· Clique). Zunächst und bis ins frühere 20. Jh. in der Bed. 'Gruppe bezahlter Applaudierer bei Theateraufführungen, gedungene, bestellte Beifallklatscher', häufig abwertend verwendet, anfangs vor allem auf die Pariser Theaterwelt bezogen; seit späterem 19. Jh. in der heute dominierenden übertragenen Bed. 'Gruppe von Personen (z. B. im Bereich der Politik), die öffentlich (kritiklos) ihre Zustimmung ausdrücken, Befürworter einer (politischen) Entscheidung' (s. Belege 1883, 1885, 1932, 1970), daher in Syntagmen häufig in Verbindung mit verw. —» Clique, vor allem als Bestimmungswort in Zss. wie Cliquen- und Claquenwesen, Cliquen- und Ciaquengeschichten und als Grundwort in einer Zs. wie Cliquenclaque; dazu gleichzeitig die aus gleichbed. frz. claqueur entlehnte Personenbezeichnung Claqueur M. (-s; -e, auch -s) 'bezahlter Applaudierer bei Theateraufführungen, bestellter Beifallklatscher', sehr häufig im Pl. gleichbed. mit Claque (s. o.); schon seit früherem 19. Jh. auch in der heute vorwiegenden übertragenen Bed. 'Person, die Politikern, Parteien u. ä. öffentlich (kritiklos) zustimmt' (s. Belege 1831, 1846, 1958, 1959, 1971, 1985, 1990, 1993), gelegentlich in einer Wendung wie bloße Claqueure (sein). Claque: 1837 Berl. Conversationsbl. 20 [das Wort Clique], welches für ein deutsches Ohr ebenso unangenehm klingt, wie das Wort Claque und Claqueurs, die erst in der letzten Zeit leider angefangen haben, auch bei uns eine Wahrheit zu werden;

Devrient 1839 Br. a. Paris (IV 101) die bestellte claque war freilich auch thätig; 1841 Europa I 345 hat sich hier ein Institut ausgebildet, das sich in solcher Weise nur in Paris vorfindet, nämlich eine hinlänglich organisierte Claque . . die Frankfurter

Claque Claque [ist] nicht eine Stütze der Direktion, sondern ein Werkzeug der Leidenschaften jedes Einzelnen; Gutzkow 1842 Br. a. Paris II 70 Die Claque in Deutschland ist nie für den Autor, sondern nur für die Schauspieler da; Weitling 1843 Gerechtigkeit 366 Claque: eine Bande, welcher die Theaterdirektoren unentgeltlich Billets liefern; 1852 Prutz' Museum II 249 f. Den Dichtern aber kann eine Claque, mag sie auch aus wohlmeinenden Freunden bestehen, nur schaden, wenn sie vorlaut losbricht, bevor die dramatischen Fäden in einander verschlungen und entwirrt sind; 1854 ebd. 11 778 gedruckte Claque; Cornelius 1854 Ausgew. Br. I 186 Ich hoffe mich noch beizeit aus dem Cliquenund Claquenwesen zu retten; Kiirnberger 1855 Amerikamüde 350 die giftigen Kannegießer und Medisance-Pächter, die . . in diesem Claquen- und Cliquenlande nicht fehlen; Seyffarth 1855 Paris 178 Es ist so viel gegen das Bestehen einer Claque gesagt worden und braucht so wenig gesagt zu werden das Übel des Instituts zu erweisen, dass man aufgehört hat dawider zu eifern und es ruhig gewähren lässt; Moltke 1856 'Wanderbuch (Paris) 181 Dies [das Applaudieren] ist Sache von etwa 100 Personen in der Mitte des Parquets, die wol die claque bilden; Rodenberg 1856 Bilderbuch 44 Der Claquengeneral von der großen Oper; ebd. Das ärgerliche Claquenqwesen; Wachenhusen 1865 Ballet l 169 Und dann diese fürchterliche claque, die ihre Courmacher bezahlen; 1867 Gartenlaube 782 die Claque in den Pariser Theatern; Lindau 1877 Blätter 11 232 dem .. einflussreichen Bekannten, .. dem „Chef de Claque"; Fontäne 1879 Br. I 270 Als die claque sie zum vierten oder fünften Mal an die Lampen haben wollte, zischte das Parket; Anzengruber 1883 Ges. W. Ergbd. II 155 Sie wissen, daß ich mich in Cliquen- und Ciaquengeschichten nicht einlasse; 1885 Gesellschaft l 933b Die Welt toleriert mit rührender Blindheit jede Reklame und Cliquenclaque; Dahn 1895 Erinn. IV 2,554 Gymnasiasten, die bei der Vorlesung und Aufführung meiner Dramen meine — freiwillige — Claque bildeten; 1898 Neue Jahrhundert I 897 die Claque will nur loben, nur Musik machen für ihren Helden, die Clique aber denkt vor allem an sich; Uhl 1908 Leben 226 Die Claque wütete; Kluge 1909 Brunnen 12 München ist ein elendes . . Cliquen- und Claquennest; Schücking 1923 Soziologie 89 Im englischen Theater des 18. Jhs. war die Claque z. B. schon eine ganz geläufige Erscheinung; Voss. Ztg. 29. 22. 1927 Die Wiener Solisten der Staatsoper haben den Beschluß gefaßt, den Hervorrufen vor den Vorhang nicht mehr Folge zu leisten, um damit dem Unwesen der Claque ein Ende zu bereiten; Schickele 1932 Grenze 22 in einer Grossmacht wie Frankreich eine glanzvolle, immer bereite Claque; Beurmann 1942 Leuten 18

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Und dann diese widerliche claque, die immer in die schönsten Szenen hineinpöbelt und einem die Stimmung verdirbt; Hellpach 1951 Sozialpsych. 167 Die „Claque" . . spekuliert . . auf die Kollektivemotionalität; Auberbach 1959 Mimesis 40 den gewesenen Theaterclaquenchef; Süddtsch. Ztg. 14. 1. 1963 Eifriges Händeklatschen einzelner kann ihn [den Beifall im Theater] auslösen — dafür gab es früher ein probates Mittel, nämlich die „Claque", gemietete Söldlinge des Beifalls, deren Hand-Werk offiziell jedoch stets geleugnet wurde; FAZ 12. 5. 1970 in den Beratungsorganen würden .. nur Personen zweiter Klasse ohne persönliches Prestige Aufnahme finden und damit im Grunde genommen nur eine Art „Claque" für die Regierung bilden; Muschg 1982 Sommer 263 die Führung fällt demjenigen zu, dem sie am offensichtlichsten gleichgültig ist — was freilich für Parties, Kulturkongresse, Cliquen und Claquen .. nicht zutrifft (DUDEN 1993); Spiegel 29. 3. 1993 Claque, als Fußvolk im Gefolge der Blechtrommel. Claqueur: Borne 1831 W. VI 209 Seine Anhänger und Claqueurs haben vorausgejubelt, er werde die Revolution mit Haut und Haar verschlingen; 1832 ff. Magazin d. Ausld. XXXIV 287b Die Lobposaune der professionsmäßigen Claqueurs (SANDERS 1871); Burckhardt 1843 Aufs. 63 Auch das beste fällt, wenn die Journale nicht bestochen und die Claqueurs nicht bezahlt werden; Frey 1844 Bilder 168 stückweise bezahlte Claqueurs; Gutzkow 1846 Pariser Eindrücke 475 Die Claqueure der [Pariser] Polizei; Glassbrenner 1847 Nebelbilder 5 Mit Jeld sind se Publikum, mit Freibiljet sind se Klakkörs; 1853 ff. Gartenlaube XV 783 Eine trefflich disciplinierte Claqueur-Truppe (SANDERS 1871); Seyffarth 1855 Paris 177 dieser Oberclaqueur . . saß im Parterre .. Jetzt erhob er die Hände; sogleich erhoben sie die ihrigen; ebd. 178 Anm. Claqueurs . . Ihre Thätigkeit wird bei einem neuen Stücke vom Verfasser oder gemeinschaftlich mit einzelnen Schauspielern, bei älteren Stücken von Letzteren oder gemeinschaftlich mit der Direktion in Sold genommen; Rodenberg 1856 Bilderbuch 97 den Claqueurs stehen in Paris auch die geheimsten Eingänge offen!; 1869 Gartenlaube 111 die Claqueurs in den Pariser Theatern; Peterssen 1870 Genrebilder 182 Der Römer (vulgo claqueur, zu deutsch Klatscher, auch „Ritter vom Kronleuchter" genannt); Wohlmuth 1918 Schauspielerleben 130 der alte Bettler-Claqueur; Montag Morgen 9. 5.1932 Wenn er applaudierte, beugte er sich weit über die Loge hinaus, seine großen flatternden Hände waren für das ganze Parkett sichtbar. Er war ein idealer Claqueur, er war ein Applausdirigent, wie ihn jedes Theater sich nur wünschen konnte; Ritter 1958 Vergangenheit 282 den Histo-

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riker als blosser Claqueur der Weltgeschichte; ND 1. 4. 1959 Es ist kein Zufall, daß Nato-Norstad von seinen Bonner Claqueuren lauthals unterstützt — gerade jetzt seine entspannungsfeindlichen Reden hält; Süddtsch. Ztg. 14.1.1963 gemietete Söldlinge des Beifalls . . unterstanden einem „ChefClaqueur", der mit seiner Truppe den Generalproben beiwohnte und ihr entsprechende Anweisungen gab . . Da war etwa eine bestimmte Szene, bei der ein Claqueur vor Ergriffenheit ohnmächtig zu Boden zu stürzen hatte; FAZ 17. 8. 1971 Einer der Claqueure nannte Nixons Programm sogar voll Enthusiasmus das . . Gegenstück zur . . PekingReise des Präsidenten; Saarbr. Ztg. 6J7. 10. 1979 sind die Parteitagsdelegierten nur noch Statisten und Claqueure? (DUDEN 1993); Zeit 7. 6.1985 im

Gegensatz zu früher müssen die Organisatoren jetzt keine vorbereiteten Claqueure, sondern klagebereite Normalverbraucher präsentieren; ebd. 13. 2. 1987 die Eroberung des Burgtheaters — . . die Mordgesellen, die Intriganten, die Claqueure — keiner von ihnen trat ans Licht: Frankf. Rundsch. 8. 10. 1990 Daß dabei Claqueure nicht nur in solchen Wahlkampfveranstaltungen zu finden sind, beweist . . ein leibhaftiger stellvertretender ZDFChefredakteur, der volle zwei Stunden lang als anbiedernder Moderator verbale und reale Diener vor Helmut Kohl macht; Spiegel 20. 9. 1993 Wir und unsere Kinder werden zu bloßen Claqueuren gemacht: eine sprachlose Gesellschaft dressierter Affen, staunender Zuschauer, immer dabei bei der großen Welt-Show künstlicher Wirklichkeiten. HK

clever Adj., seit Anfang 20. Jh. selten, erst seit den 50er Jahren kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus engl.-amerikan. clever 'geschickt, handlich, hübsch, reinlich; einen ausgeruhten, klaren Kopf habend, klug', weitere Herkunft unsicher (wohl ursprünglich Ausdruck der Umgangssprache bzw. regionaler Herkunft, eventuell zurückführbar auf ostfries. düfer bzw. dän. klöver, klever '(geistig) geschickt, flink, behende, beweglich', und vielleicht verw. mit mittelengl. divers 'Klauen, Dornen, Absätze', also etwa im Sinne von 'geschickt bei der Hand, schnell ergreifend, zupackend'). Meist auf (Handlungen, Verhaltensweisen von) Personen bezogen in der Bed. '(geistig) wendig, beweglich, gewandt, von schnellem Reaktionsvermögen; geschickt, klug; einfallsreich, findig, pfiffig, gewitzt' (—* alert, —>· professionell, —* routiniert; s. Belege 1971, 1985), auch eher abwertend verwendet für '(mit unsauberen Mitteln) jede Gelegenheit zum eigenen (materiellen) Vorteil schlau nutzend, listig, durchtrieben, berechnend, gerissen, verschlagen' (s. Belege 1954, 1964, 1970, 1976, 1985, 1990; —* raffiniert, —* taktisch, —» strategisch), seit den 50er/60er Jahren (in der Zeit des sog. Wirtschaftswunders) zunehmend schlagwortartig verwendet, zunächst im wirtschaftlichen Bereich, speziell bezogen auf Praktiken in der Geschäfts- und Finanzwelt, dann auch in der Politik und im Sport, häufig in Wendungen wie cleverer Geschäftsmann, Händler, Journalist, Manager, Profi, Politiker, Verkäufer, cleveres Verhalten, auch adv. gebraucht, z. B. in clever gemacht!, clever sein!, clever spielen, reagieren. Dazu seit frühem 20. Jh. das aus gleichbed. engl. cleverness übernommene Subst. Cleverneß F. (-; ohne PL), auch in der engl. Schreibung, in der Bed. 'Geschick, geistige Wendigkeit, Einfallsreichtum, rasche Auffassungsgabe, Tüchtigkeit' (—* Routine, —* Professionalität; s. Beleg 1990), auch abwertend '(eiskalte) Schläue, Listigkeit, Durchtriebenheit; taktisches, strategisches Verhalten, Fähigkeit, unter Ausnutzung aller, auch unlauterer Mittel, sich (materielle) Vorteile zu verschaffen' (s. Belege 1957, 1985, 1986; —» Raffinesse), in Wendungen wie geschäftliche, eisige, professionelle Cleverneß. Daneben die regionalspr. subst. Diminutivbildung Cleverle N. (-s; -s), in den 80er Jahren aufgekommen als Spitzname für den ehemaligen Ministerpräsidenten Baden-

clever

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Württembergs (1978 — 1990), von daher gelegentlich auch auf andere Personen (-gruppen), vor allem (schwäbische) Politiker übertragen und allgemein verwendet für 'jmd., der (auf politischem, finanziellem Gebiet) besonders pfiffig, gewitzt und einfallsreich ist' (s. Belege 1987, 1988). clever: 1909-25 (A. Zweig 1931 Knaben 327) die Reichsbahn, treu und clever, schlief noch auf Biedermeier-Taxen; um 1910 (Kerr 1920 Welt II 89) Die Briten sind ein Volk, das sie selbst mit dem Wort clever bezeichnen würden . . was auf deutsch ein ausgeruhter Kopf heißt. Nett zu Freunden in hohem Grad. Sie haben ihre Tugenden; Kircher 1926 Engländer 72 Dieser Premier ist weit davon entfernt, ein Genie zu sein, und ist nicht einmal, was man „clever" nennt. . Er ist schlicht und politisch rein wie die Jungfrau; Edschmid 1928 Gagaly 14 obwohl kein einigermaßen cleverer Sportsman sich den furchtbaren stumpfen Verletzungen der Bob-Bahn aussetzt; Stratz 1929 Lill 127 ein cleverer Sohn Germaniens; Th. Mann 1936 Reden u. Aufs. (W. XI 457) ich meine, nach Haupt und Herz müßte sie etwas sein für euch Amerikaner. Eine Frau; und so schöne Augen; und so clever dazu — I think, she will be a success; Welt 1. 11. 1954 Auf den Witz kommt es ihnen an, den cleveren Herren . . um welchen Preis, auf wesssen Kosten - das ist ihnen gleichgültig (AWB); Süddtsch. Ztg. 17. 8. 1957 Zur Herstellung des Gleichgewichts tritt aber just im richtigen Moment ein cleverer Italoamerikaner auf, um der Interpol auf die Verbrecherspur zu helfen; Welt 19. 9. 1957 Ninon Sanzogno .. dirigierte Chor und Orchester des Teatro la Fenice mit cleverem Geschick über zahlreiche Unsichereiten hinweg (AWB); Revue 5.4. 1958 Ein cleverer Manager hatte ihr [Schauspielerin] geraten, bei Bewerbungen möglichst „leichte" Bilder einzuschikken; 1959 Münch. Abendpost Nov. schien es ihm doch sicherer als die freie Rede, die er sonst meisterhaft beherrscht. Die englischen Journalisten waren dem Gast wohl als zu clever geschildert worden; Süddtsch. Ztg. 19.1.1960 Modemaler Dali enthüllt einen Kolossalschinken (Überschr.) New Yorker Gesellschaftsprominenz darf das neueste Werk eines cleveren Künstlers bewundern; ebd. 11.2.1961 Vom Arbeitslohn kassierten die cleveren Chauffeure zehn und mehr Prozent als Provision; ebd. 11.1. 1962 Ein cleverer Journalist veranstaltet Pauschalflüge zum Gastspiel des Erfolgs-Musicals . . Ein cleverer Pressemann war auf die Idee gekommen, wie man mindestens drei Fliegen mit einer Klappe schlagen könne; ebd. 15. 1. 1964 Wie viele unserer Landsleute dem cleveren Polen aufsaßen, ist dem Vernehmen nach ungeklärt; 1965 Wochenpost XL lld auf den ersten Blick sieht das manchmal ganz clever aus; 1965 Stern Nr. 34 Antonin hatte es darauf angelegt,

mich zu verführen, und er war clever genug, es zu schaffen; Stuttgarter Ztg. 28. 3. 1967 Mit dem cleveren Eishockeyspiel des Ostberliner Riesen . . kam die junge DEB-Mannschaft überhaupt nicht zurecht; Bild 26. 4. 1967 Peter Meyer machte vom Recht der Aussageverweigerung Gebrauch. Ob clever oder nicht — das sei dahingestellt; Süddtsch. Ztg. 16. 9. 1967 bekommt die attraktive Dompteuse . . von den cleveren Delphinmännchen auch ein saftiges Bussi; Offenburger Tagebl. 28. 6. 1969 bringt einen cleveren Manager mit eingebautem Terminkalender . . durcheinander; Spiegel 3. 11. 1969 Doch Harold Wilson war vor allem clever, cleverer noch, als seine Widersacher ahnten (AWB); Bad. Ztg. 1.6. 1970 Der überaus clevere Generalmanager der IOS Deutschland . . geht als Senior-Vizepräsident und Direktor zum Agri Fund über; FAZ 25. 10. 1971 Clever sein, den Herbsttermin nutzen! Frühzeitig disponieren, um Geld zu sparen; 1971 Junge Wirtschaft VI 17 Lesen denn diese cleveren wirtschaftspolitischen Profis und die stupiden wirtschaftspolitischen Amateure in den Parteien keine demoskopischen Resultate?; Spiegel 21. 6. 1976 Als jedoch von cleveren Frauenärzten gegen saftige Honorare immer mehr Abtreibungen behandelt wurden — vom Staat nicht zu kontrollieren —, verboten Gesundheitsfunktionäre das einträgliche Geschäft (AWB); Zeit 8. 2. 1985 daß gerade diese überkomplizierten Gesetze vor allem den Cleveren nützen, weil nur sie sich in diesem Paragraphengestrüpp zurechtfinden? Und diese Cleveren gehören meist nicht zu den sozial schwächeren Gruppen; Spiegel 5. 8. 1985 Kein Wunder, daß immer mehr clevere Geschäftemacher von der schnellen Mark mit der Elektronik träumen (AWB); Zeit 13. 9. 1985 was passiert ist, das ist schließlich passiert; das können auch die cleversten PR-Profis nicht ändern; Sachs. Tagebl. 11.11. 1985 diese Szenen sind so clever in Szene gesetzt wie der ganze Film perfekt und professionell gemacht ist (AWB); Stern 1.2.1990 Solche Parteigänger brauchen die Republikaner. Um sie zu gewinnen, hat Schönhubers Truppe eine clevere Strategie entwickelt, eine Art Drei-Stufen-Plan; FAZ 19. 7. 1990 Clevere Händler haben in der Frankfurter Allee ihre Tische daneben gerückt und verkaufen Obst und Gemüse aus westlichem Anbau; MM 3. 7. 1990 Auch als der clevere Verkäufer noch eine Katenrauchwurst „extra" in den prallen Plastikbeutel packt, zückt niemand das Portemonnaie; Spiegel 16. 4. 1990 Clevere Wessis wollen so

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Clinch

lange auf den Start in ihre akademische Karriere nicht warten; ebd. 29. W. 1990 wer clever ist, macht hier mit Leichtigkeit 'ne schnelle Mark. Cleverle: Zeit 18. 1. 1985 Dem Vorstand der CDUeigenen Geldwaschanlage Eigentumsverband wurde eine noch größere Ehre zuteil. Ihn lud Ministerpräsident Späth sogar zu einem Glas Wein in seinen Amtssitz die Villa Reitzenstein. Das „Cleverle" wußte anscheinend genau, warum er die Fördergesellschaft hofierte; Bild 9. 2. 1987 Japaner sind wie die Schwaben, fleißig und gelehrig. Wenn's so weitergeht, dann bauen die Fernost-Cleverle bald auch noch Autos wie die Schwaben; FAZ 28. 3. 1987 Respekt vor dem zuversichtlichen Mut dieses Politikers [Bernhard Vogel], dessen Nachdenklichkeit manchem Gschaftelhuber, dessen Prinzipientreue manchem Cleverle als Ausdruck von Unsicherheit erscheint; Spiegel 5. W, 1987 Um den drängelnden Liberalen eins auszuwischen, ließ der Regierungschef, ganz das Cleverle, in Bonn ein Gerücht verbreiten, er könne zur Not auch ohne die FDP (alle drei AWB); MM 20. 1. 1988 Die Cleverle in den Finanzhochburgen arbeiten auf neue Rechnung und das bedeutet nach den herben Einbußen von 1987 zunächst nichts anderes, als jede sich bietende Möglichkeit zu ergreifen, Gewinne einzufahren; ebd. 27.6. 1995 Ministerpräsident Lothar Späth bewies Ende der 80er Weitblick: Der spätere Zeiss-Manager gebar die Cleverle-Idee, mit der Hilfe eines praxisorientierten Hauses der auf den Export angewiesenen Industrie Baden-Württembergs den Weg zu den Märkten Europas zu ebnen. Cleverneß: Kircher 1926 Engländer 35 Man erwartet keine . . geistige Akrobatik, keine Tricks — man hört stets einen anständigen Menschen . . dessen Mangel an „cleverness" den Hörer beruhigt; 1941 Grundformen 370 Cleverness; Kieler Nachr. 22. 9. 1956 „Mit Cleverness", sagte der elegante Herr, „bin ich ausreichend eingedeckt. Man lebt ja schließlich nicht auf dem Mond."; Welt 2. 9. 1957 daß diese eisige Cleverneß typisch für die deutsche Filmindustrie sei — gegen diesen möglichen Schluß müssen wir Verwahrung einlegen (beide AWB); Berl. Ztg. 7.11.1966 Die CSSR-Spieler . . waren ihrem Gegner durchweg in der Technik, Antritts-

schnelligkeit, Gewandtheit und Cleverneß deutlich überlegen; ebd. 23. 11. 1966 die Situation und die Umstände .. verlangen mehr von ihm als das, was man schlechthin „Cleverness" nennt; Stuttgarter Ztg. 20. 3. 1968 Erfahrung, Routine und Cleverneß sprechen . . für den zweifachen Deutschen Meister; Bott 1969 Volksfeind-Ideal. 105 die anerkannte Gesellschaft, in der geschäftliche Cleverness und wirtschaftlicher Erfolg . . Werte sind; FAZ 9. 8. 1969 verband . . geschickt den Patriotismus mit geschäftlicher Cleverness; Stuttgarter Ztg. 10.1.1970 Hatte der eine vielleicht mehr „Esprit", hat der andere bestimmt mehr „Cleverness". Der geistreiche Regierungssprecher Diehl samt prachtvoll entwickeltem Instinkt für die Macht .. war mit seinen Plänen . . gescheitert . . sein geschickter Nachfolger Ahlers, mit ausgeprägtem Sinne für das Machbare, schaffte es; ND 8. 5. 1974 Und auf siebzig Kilometer gegen die Uhr hilft keinerlei Taktik, keine Cleverness, sondern einzig und allein das Können und der eiserne Wille; Frankf. Kundsch. 19.3. 1985 daß dieser Erfolg nicht mit sauberen Mitteln, sondern durch Einfluß, Geld und Cleverness zustande kommt (AWB); Zeit 5. 7. 1985 Geduld, Spontaneität, auch Routine und Cleverness, vor allem Hoffnung und ein bißchen Glück vermitteln eine Empfindung, die allerdings wohl in die Nähe jenes Gefühls bei einem Wettfahrtgewinn reichen mag; ebd. 17.10. 1986 andere verfügen über die notwendige Cleverness und die moralische Robustheit, um notfalls am äußersten Rande der Legalität Schlupflöcher zu nutzen . . Dieses ganze Elend der Steuerpolitik, verursacht durch die Mißachtung des Grundsatzes der horizontalen Steuergerechtigkeit, beendete Präsident Reagan in den USA in bemerkenswerter Weise; Spiegel 14.8. 1989 Irritationen löst bei den Bundesbürgern weniger die Freigebigkeit der eigenen Sozialverwaltung als die manchmal allzu große Cleverneß der Landsleute aus Dresden und Leipzig aus; ebd. 16. 7. 1990 was wirklich einen Star ausmache, professionelle Cleverness etwa und taktische Disziplin, müsse der vorlaute Junge aus Ostdeutschland erst noch lernen; 1990 Petra XI 32 Sie erarbeitete für sich ein Konzept von einzigartiger Cleverneß; Spiegel 11.10.1993 Der finanzielle Wert [eines Kunstwerks] beruht allein auf willkürlichen Übereinkünften, auf Angebot und Nachfrage am Markt — und auf der Cleverneß der Händler. IN

Clinch M, (-(e)s; ohne Pl.), im frühen 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. clinch (zu clinch 'umklammern' < mittelengl. clenchen 'festhalten'). a Zunächst im Boxsport in der Bed. 'das (verbotene) Umklammern und Festhalten des Gegners im Boxkampf (—» boxen), z. B. in Wendungen wie sich aus dem Clinch lösen, mit seinem Gegner in den Clinch gehen; daneben vereinzelt auch erweitert

Clinch

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für '(zärtliche, erotische) Umarmung von Liebenden (vergleichbar der Umklammerung beim Boxen)' (s. Beleg 1951). Dazu etwa gleichzeitig das nur selten belegte Verb clinchen 'den Gegner im Nahkampf mit den Armen so umklammern, daß keine oder nur Schläge aus ganz kurzer Distanz ausgetauscht werden können'. b Seit etwa Mitte 20. Jh. häufig bildlich (s. Belege 1959, 1968, 1978, 1986) und übertragen verwendet in der (im Engl. nicht belegten) Bed. 'Auseinandersetzung, Streit mit dem (politischen o. ä.) Gegner', bes. in den Wendungen jmdn. bei einer Diskussion in den Clinch nehmen 'jmdn. in die Zange nehmen, bedrängen', mit jmdm. in den Clinch gehen und überaus häufig mit jmdm./miteinander im Clinch liegen. Clinch a: Fischer 1928 Körperschönheit 25 Der Kämpfer, der durch den Nahkampf in Nachteil kommt, wird . . versuchen, sich ganz nahe an den Gegner heranzudrängen, so daß Körper direkt am Körper liegt und der Gegner keinen Spielraum zum Ausholen mehr hat; diese Stellung — Clinch — wird vom [Ring-]Richter getrennt und damit wieder eine klare Distanz hergestellt; Berl. lllustr. Nachtausg. 28. 6. 1929 10. Runde: Das Blatt wendet sich. Schmeling übernimmt jetzt die Rolle des Angreifers und treibt Paolino, der in die Luft schwingen, an den Seilen entlang. Wieder gibt es Clinch, so daß Donovan trennen muß. Schmeling wird aggressiver; Der Berliner 20.10. 1929 Unter C werden Sie [in einem Konversationslexikon des Sports] kurze, harte, männlich-einsilbige, schon im Klang „sportliche" Worte wie Clinch, Crawl, Crouch usw. finden. Boxer (man schlage unter B nach und man wird dort die plumpe und schwerfällige Bezeichnung Faustkämpfer finden) . . also Faustkämpfer gehen in den Clinch, sie clinchen, d. h. sie halten den Gegner, sie gebrauchen ihre Arme — statt zum Schlagen — zum Halten. Clinch heißt soviel wie Umklammerung, Umarmung; 1930 Uhu Aprilb. 102 Bei der dritten Runde war es ebenso .. Endlos gingen sie in Clinch, duckten sich und sprangen umeinander herum, ihre Handschuhe waren Hämmer; Benn 1951 Ges. W. l 419 [die Helden des modernen Romans] beschließen für die nächsten vierzehn Tage, in den Clinch der Küsse zu gehen; 1964 Muttersprache 355 „Clinch", eigentlich die „Umklammerung des Gegners im Boxkampf"; MM 22. 2. 1995 der erotische Bodyclinch [in dem Erotikthriller „Color of Night"] hilft höchstens den Marketingstrategen. clinchen: Der Berliner 20. 10. 1929 Boxer .. gehen in den Clinch, sie clinchen, d. h. sie halten den Gegner [fest]. Clinch b: Süddtsch. Ztg. 28. 8. 1956 Die Heftigkeit, mit welcher der .. Verfechter pragmatischen Denkens, Ludwig Marcuse, mit dem katholischen

Philosophen Aloys Wenzl und dem mehr auf die praktischen Aspekte bedachten evangelischen Pfarrer Sommerauer die Klingen kreuzte (als Gesprächsleiter versuchte Karl Klüwer, nicht ohne Geschick, die Kämpen aus dem Clinch zu lösen), spiegelte .. das Dilemma wider, in dem sich der moderne Mensch zwischen Wissen und Glauben befindet; ebd. 19.1.1959 In den Clinch ging Schmeling am Mikrophon, als er auf dem Pressefest ein Auto versteigerte; Offenburger Tagebl. 27. 1. 1959 rettete sich der stellvertretende Ministerpräsident der Sowjetunion meist in den „Clinch", was aber nichts daran änderte, daß er den Wortkampf eindeutig nach Punkten verlor; Spiegel 17. l. 1962 Wir müssen uns in den Clinch mit der DDR begeben, was auf Dauer jedenfalls Atomwaffen ausschließt; Süddtsch. Ztg. 7. 3. 1962 Obwohl keiner seinen Kopf durchgesetzt hat, haben Strauß und Augstein ihren Vergleich geschlossen. Das wirkt bei so erbittert im Clinch befindlichen Männern erstaunlich; FAZ 23. 9. 1967 Berlins Sozialdemokraten im Clinch. Eine Ende der Flügelkämpfe ist noch nicht zu sehen (Überschr.); Spiegel 11. 3. 1968 Das Gericht, das die Angeklagten aufgrund seiner größeren Reichweite ausboxen könnte, geht in den Clinch mit ihnen und sieht dabei zum Fürchten aus (AWB); Waiser 1971 Wortschatz o. S. die Plackerei, der Clinch; 1971 Festg. a. Klett 315 Clinch der Geister; Zeit 18. 2. 1972 es war . . ein harter Clinch, der da in den hanseatischen Regierungshallen stattfand; ebd. 17. 2. 1978 Nicht zufällig paßt für das Verhältnis von SPD und Jungsozialisten am besten ein Bild aus der Boxweit: Sie befinden sich im Clinch; FAZ 19. 8. 1982 Reiseveranstalter .., die ihre Hotels und Clubs mit deutschen Surfboards ausstatten wollen, um Katalogversprechen zu erfüllen, liegen oft monatelang im Clinch mit lokalen Zollbehörden (alle drei AWB); Sloterdijk 1983 Kritik 145 Den Clinch der Klassen, Parteien und Blöcke „gern" zu erfahren, wäre wahrhaftig eine starke Zumutung; Zeit 29. 3.1985 Obwohl die Zeit knapp zu werden beginnt, sind Union und FDP in einen Clinch geraten; MM 30. 7. 1985 gingen einige Universitäts-

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Clique

Städte in den Clinch mit vielen Studenten, die ihren ersten Wohnsitz noch bei ihren Eltern hatten; ebd. 18. 3. 1986 Chirac hätte Mitterand mit einer klaren Mehrheit im Rücken nur zu gerne aus der eleganten Distanz herausgeboxt. Nun muß er in den kräftezehrenden Clinch; ebd. 9. 2. 1987 entstand im Auftrag der Scala seine fünfte Oper . . Seltsamerweise las er aus Shakespeares Königsdrama nicht den Clinch politischer Gewalt, als vielmehr eine Abfolge statuarischer Erscheinungen; Stern 2. 7. 1987 als die Japaner voll in den High-TechClinch mit den europäischen Motorenbauern gingen; MM 30. 1. 1988 dieses Stück [„Schwärmer"] von Robert Musil, ein wortgewaltiger Intellektuellen-Clinch um Liebe und Gefühl; Süddtscb. Ztg. 24. 1. 1989 Deutschlandfunk-Intendam Gruber

und Erwin K. Scheuch im Clinch (Überschr.) (AWB); Frankf. Rundsch. 5. 4. 1990 die . . bundesdeutschen Pressehäuser liegen gegenwärtig wegen der Verkaufspreise miteinander im Clinch; MM 14.8.1990 Rheinland-Pfalz und Hessen und ihr Clinch um ein 2000-Quadratmeter-Grundstück; Spiegel 30. 11. 1992 Da liegt der Populist mit dem Intellektuellen im Clinch; ebd. 20.12. 1993 Die Parteien sind in einen koalitions- und parteitaktischen Clinch geraten. Sie sind ineinander wie die Laokoon-Gruppe verschlungen; ebd. 23. 1. 1995 Briten Shelden, Verfasser einer großen Biographie über George Orwell, drohte Greene . . noch kurz vor seinem Tod mit einem Prozeß und die Erben gingen sofort in den Clinch mit dem ungeliebten Biographen. GS

Clique F. (-; -n), Mitte 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. clique (zu lautmalendem altfrz. cliquer 'klappern, (Beifall) klatschen', daher eigentlich 'eine Gruppe von Personen, die durch Klappern, Klatschen ihre Zustimmung ausdrücken'; —» Claque), bis ins 20. Jh. auch in der eindeutschenden Form Klique. Zunächst zumeist abwertend in der Bed. 'Gruppe Gleichgesinnter mit der Neigung, sich (in intoleranter Weise) gegen andere abzugrenzen bzw. sich untereinander in unkritischer Weise zu fördern; abgeschlossener Kreis von Personen mit gleichen Wertvorstellungen, Interessen und Normen' (s. Belege 1765, 1799, 1837, 1852, 1887, 1898, 1926), bes. auf Künstler bezogen, vgl. die Zss. Cliquenbildung, -claque (s. Beleg 1885), -Herrschaft, -wesen, -Wirtschaft; dann auch im Bereich des öffentlichen Lebens (bes. der Politik und Wirtschaft) für 'Gruppe von herrschenden bzw. einflußreichen Personen (, die ihre Macht zur Erreichung eigener Ziele mißbrauchen), Sippschaft, Klüngel' (—* Clan), vgl. die Wendung die herrschende Clique (s. Belege 1791, 1882, 1895, 1954, 1964, 1976, 1990, 1993), bes. im Nationalsozialismus schlagwortartig verwendet zur abwertenden Bezeichnung politischer Gegner (s. Belege 1933, 1934, 1938, 1944), in Zss. wie Verbrecherclique, dann auch in Verbindung mit Personennamen, Adenauer-Clique, stalinistische Clique. Seit etwa Mitte des 19. Jhs. auch ohne Wertung im Sinn von 'Freundeskreis, Gruppe befreundeter Personen' (s. Belege 1841, 1924, 1970), in einer Wendung wie wir haben eine nette Clique; seit früherem 20. Jh. bes. auf Jugendgruppen bezogen, zunächst abwertend für 'Bande' (s. Beleg 1930), vgl. die Wendung rechtsextremistische Clique, heute auch ohne Wertung (s. Belege 1985, 1986, 1987, 1992, 1993), als Grundwort in einer Zs. wie Jugendclique. Abbt 1765 Verm. W. III 335 Mit welcher Unverschämtheit die Clique der Bahrdte und dergleichen Leute sich loben; Smollet 1772 Klinkers Reisen (Übers.) I 215 Sie sind nicht von einer Clique; Wieland 1782 Sendschr. (S.W.XXXIll 284) ein Schriftsteller, der [Anerkennung fände], ohne von einer Clique zu seyn, wäre eine noch viel größere Seltenheit; Müller 1789 Emmerich VI198 Habt Ihr erst Einen am Halse, so ist es schon so gut, als wenn Ihr die ganze Clique aufgesackt hättet; Eh-

lers 1791 Staatswiss. Aufs. 77 wenn in Frankreich wahre Preßfreyheit Statt gefunden hätte, wahrscheinlich die Revolution nicht erfolgt seyn würde, weil sich alsdann schwerlich die Clique von aristokratischen Despoten hätte bilden oder erhalten können, die vor der Revolution die Vernunft jedes denkenden Bürgers empören mußte; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 187 f. Ich würde .. Rotte vorschlagen, um Clique zu verdeutschen; Heynatz 1795 Synonym. Wb. I 390 Bande, Gesellschaft,

Clique Truppe, Kompagnie, Komplott, Partei, Rotte, Rudel, Klicke; Laukhard 1797 Leben u. Schicksale l 4,440 Ich wünschte nur, daß die Herren . . Göchhausen, Reichard . . und andere dieser Clique, Zeugnisse von den . . zurückgekehrten Kriegsgefangenen . . sammeln mögten; Caroline 1799 Er. l 277 redlich haben Sie also dieser unredlichen clique, in diesem entscheidenden Moment beygestanden, sie muß Ihnen unendlich verbunden seyn; /. G. Müller 1802 Briefw. 290 er ist in der Clique der Mad. Bonaparte und Talleyrands und ein Tochtermann des la Croix; Goethe 1812 Dichtung u. Wahrh. (WA l 27,142) Die Urheber (man hatte bald erfahren, daß es aus unserer Clique hervorgegangen war) wurden höchlich geadelt; 1827 Briefw. ]. u. W. Grimm-Lachmann 510 ich scheue mich vor den vielen leuten und hasse das dortige Cliquenwesen; Wit v. Dörring 1830 Fragmente l Vorr. XXV11I von jener liberalen Clique; Goethe vor 1832 Gedichte. Fünfter Teil (WA I 5.1,300) Sag' mir, wo ist denn die Klicke? „Da drüben ist sie bei'm Nachbar!"/ Frag' ich den Nachbar, er sagt, hüben sei sie bei dir; 1837 Bert. Conversationsbl. 20 Das Wort „Clique" hat einen unangenehmen, fatalen Klang; unsre unschuldige und reine Sprache hat kein Wort, mit dem es übersetzt und in seinem vollständigen Umfange ausgedrückt werden könnte; ebd. Nirgends mehr als in Berlin selbst scheint sich die literarische Cliquenwirthschaft von jeher gross und breit gemacht zu haben; Burckhardt 1839 Br. l 128 Schweizerclique; ders. 1841 Br. I 162 war die ganze Clique auf Du und Du; Steinmann 1842 Mefistofeles l 111 Cliquengeist ist der böse Spuk; 1849 Hofdamen-Br. 230 die Küchen-Clique; 1852 Prutz' Museum II 255 was Geld nicht thut, das thut die Kameraderie, welche noch mehr unter den Schriftstellern gang und gäbe ist: die Clique, die Coterie in Freundschaft und Feindschaft; Freytag 1854 Journalisten 8 Überall ist uns der Professor und seine Clique im Wege; Cornelius 1854 Ausgew. Br. l 186 Ich hoffe mich noch beizeit aus dem Cliquen- und Claquenwesen zu retten; 1861 Hausblätter III 138 Kliquenund Vetterschaftswesen; Ebeling 1869 Gesch. d. kom. Lit. 113 Zunft- und Cliquenfahne; Bucher 1882 Kl. Sehr. 232 Anm. eine kleine Clique unbekannter und unverantwortlicher Politiker; 1885 Brockhaus XU 726 Eine Partei, die nicht das allgemeine Interesse, sondern das persönliche ihrer Mitglieder im Auge hat, nennt man eine Clique; 1885 Gesellschaft l 933b Die Welt toleriert mit rührender Blindheit jede Reklame und Cliquenclaque; 1887 Grenzboten III 302 Künstlercliquenwesen; Hopfen 1893 Elend III 12 In Berlin, wo so vieles Cliquenarbeit, ist es die Theaterkritik erst recht; Dahn 1895 Erinn. IV 2,152 Clique muß sein; 1895 Dtsch. Dichtung XVII 156 die Clique der reichen

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Kaufleute, seit Generationen durch Zwischenheiraten zu einem unentwirrbaren Knäuel von Verwandten . . zusammengewachsen; 1898 Neue Jahrhundert l 897 Die kämpfenden Gruppen auf dem Schlachtfelde des Geistes heissen — Cliquen. . . die Clique . . denkt vor allem an sich; sie will sich hochbringen und was zu ihr gehört: Personen und Tendenzen; 1900 Grenzboten IV 187 der preussischen Clique; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 526) Vielleicht würde er in einer großen Stadt freigesprochen weden; aber hier, wo alles auf Cliquenwesen und persönliche Motive hinausläuft; Huet 1906 Holzsäbel (Übers.) 27 unter dem entzückten Beifallklatschen einer raffinierten Clique verwittweter hoher Damen; Kluge 1909 Brunnen 12 München ist ein elendes . . Cliquen- und Claquennest; 1911 Grenzboten IV 144 Kliquenwirtschaft; 1916 Deutschland I 211 Ihr zünftiger Charakter führte jedoch im 17. und 18. Jahrhundert zur engherzigen, nepotistischen Cliquenwirtschaft; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 120) Die Inhaber des Guten Russentisches hatten sich in den anstoßenden kleineren Salon zurückgezogen . . und bildeten dort eine intime Clique; Kircher 1926 Engländer 191 engen Horizont einer Klique; Edschmid 1928 Gagaly 291 Er .. wurde . . von einer venetianischen Adel-Clique aufgehalten, die um den Herzog Bergamo stand; Kerl. Morgenpost 30. 6. 1930 Die Clique ist eine feste Vereinigung Jugendlicher, die aus unorganisierten Straßenbanden entstanden ist. Entstehungszeit: die letzten Kriegsjahre, die Inflationsjahre . . Zehn Jungens sind es meist . ., dazu etwa vier bis fünf Mädchen, „Cliquenkühe" genannt. Der Führer, das ist der „Cliquenbulle" . . Die Wanderclique geht jeden Sonnabend in die Umgebung Berlins. . . Eine Abart sind die Uebergangscliquen . . Von hier ist es kein weiter Weg zu den kriminellen Cliquen, die vom Diebstahl leben; Lokal-Anz. 7. 7. 1933 die Clique der jungen BVG.Mörder; 1934 Volk u. Reich 147 Cliquenstützung; Hartmann 1934 Staat 35 Cliquenherrschaft; Höpker 1936 Rumänien 41 Die Volks-, Land- und Staatsfremdheit dieser altrumänischen Herrschaftsclique erhellt wohl am eindeutigsten ihr Absentismus; Münch. N. N. 9. 11. 1938 einer internationalen Clique; ebd. 8.5.1941 die alten politischen Cliquen der Dritten Republik; M.-A. Abendztg. 22. 7. 1944 Der Versuch der kleinen Verschwörerclique; Süddtsch. Ztg. 21. 4. 1950 Von einer neuen Cliquenwirtschaft könne keine Rede sein; ND 10. 9. 1954 Von Tag zu Tag mehr fürchtet die Adenauer-Clique die Erfolge im Staat der Arbeiter und Bauern; Kenn 1955 Leben 47 Die Clique, die klatscht, ist das gleiche Kaliber wie die Clique, die pfeift (DUDEN 1993); 1956 Kluckhohn-Festg. Vorw. o. S. Methoden- und Kliquenkämpfe; Fraenkel u.a. 1957 Staat 253 Kritik an

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dem Parlament . ., dem mangelnde Volksverbundenheit und die Tendenz zur politischen Clique vorgeworfen wird (DUDEN 1993); König 1958 Grundformen 88 f. Führungsgruppen und Cliquen in der Gemeinde; Offenburger Tagebl. 14. 2. 1961 In den Augen der Welt sei die Lumumba-Regierung . . zur Verbrecherclique abgestempelt worden; ND 18. 9. 1964 sie verbündeten sich mit der erneut geschlagenen und schuldbeladenen monopolkapitalistischen Clique; Böll 1966 Vorlesungen 11 Natürlich gibt es Cliquen, Gruppen, Mannschaften, Kreise, Kränzchen — aber es ist so schwer, sich vorzustellen, dass man verbündet sein könnte, ohne Interessen zu vertreten; ND 21. 6. 1969 Der Innenminister der Saigoner Clique und stellvertretende Ministerpräsident; Stern 12. 4.1970 Bei Brandt wird hart gearbeitet und viel gelacht. Es ist sicher die fröhlichste Clique, die je am Rhein regiert hat; Aberle 1971 Stehkneipen 9 In einer Kneipe, in der eine Clique von Zuhältern verkehrt (DUDEN 1993); Hocke 1976 Tagebücher 461 in

den doktrinären Macht-Cliquen des Ostens; Zeit 19.4. 1985 in Olafs kleiner Clique (die sich, ironisch gegen die Etikettierung der diversen Cliquenstile, die „Namenlosen" nennt); ebd. 4. 4. 1986 Jugend besteht nicht nur aus Bewegungen oder Cliquen, sondern aus Jugendlichen, Einzelnen; MM 5. 12. 1987 immerhin aber hat er eine Clique, in der er sich ausheulen kann; Berl. Ztg. 29. 10. 1990 Wollte man nicht dem Volk schon damals zurückgeben, was von der stalinistischen Clique um Honecker dem Volke genommen worden war?; Spiegel 30.11. 1992 Und die Mädchen der Clique zogen mit den 5000 Möllnern durch die Straßen und riefen: „Nazis raus!"; ebd. 13. 9. 1993 das wird für eine kleine Clique vom Steuerzahler mit Unsummen finanziert; ebd. 13. 12. 1993 Was hip ist, entscheidet dann nämlich die Clique. Bestimmte Statussymbole sind nicht selten die Eintrittskarte in die geschlossenen Gesellschaften der Kids; ebd. 5. 6. 1995 Symbiose aus Größenwahn und Kleingeist, vorgelebt von Honeckers Greisenclique. HK

Clochard M. (-(s); -s), Anfang 20. Jh. vereinzelt gebucht, seit Mitte 20. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. clochard (zu clocher 'hinken', über vulgärlat. *cloppicare zurückgehend auf spätlat. cloppus 'lahm'). Häufig auf frz. Verhältnisse bezogen, aber auch allgemeiner verwendet in der Bed. 'aus freien Stücken ohne festen Wohnsitz und weitgehend nach der eigenen Fasson in einer Großstadt lebender Mensch; Stadtstreicher, Obdachloser, Bettler' (vgl. dtsch. Penner), oft in der festen Verbindung die Pariser Clochards, vgl. auch das Reich, die Welt der Clochards, ein Schwabinger Clochard; gelegentlich klischeehaft (z. B. in bezug auf Figuren in Theaterstücken, Filmen) assoziiert mit „romantisch, malerisch; unbürgerlich, anarchisch" (s. Belege 1959, 1962, 1963, 1985, 1993) und positiv konnotiert mit „eine Philosophie des einfachen Lebens vertretend, glücklich und zufrieden, anspruchslos, ohne Sorgen lebend" (s. Beleg 1959) oder auch eher negativ mit „ausgestoßen (von der Gesellschaft), einsam" (s. Beleg 1961). Dazu in neuerer Zeit die Gelegenheitsableitungen Neoclochard und clochardesk 'in der Art eines Clochards'. Clochard: VMatte 1912 Parisismen (8. Aufl.) 88 clochard . . armer Teufel ohne Wohnung; N. Z. Z. 7. 6. 1944 ein wenig an den Seine-Ufern verweilen und dabei einen Blick tun unter die Brücken, ins Reich der Clochards. Was ist mit ihnen geschehen . ., mit diesen Freizeitquartiergästen . .? . . Ein junger Pariser Maler, Roland Coudon . . hat unlängst .. die Clochards und ihre „Heimstätten" aufgesucht und sie gezeichnet. . 24 dieser Arbeiten Coudons sind . . im Verlag der Editions du Rhone .. erschienen unter dem Titel „Clochards" . . Den Begleittext hat Jean Rocher geschrieben, ebenso die mit dem Argot der Clochards-Republik durchsetzten knappen Legenden zu den Bildern; Stiddtsch.

Ztg. 20.10. 1950 Maler kaufen billige Rahmen. Ein Student blättert in Büchern beim Antiquar. Ein Schwabinger Clochard stochert in den Ruinenresten; ebd. 18. 3. 1955 Hauptsächlich will man jedoch die dicke Luft in diesen Pariser Katakomben [mit verschiedenen Parfümsorten] überdecken . . Vom jetzt eingeführten Nelkenduft scheinen vor allem die „Chlochards" zu profitieren . . „Vielleicht ersetzt ihnen das ihr allmonatliches Bad", meinte ein Beamter; 1958 ebd. Nr. 291 Auf den Bürgersteigen, in Zeitungen oder zerschlissene Decken gewickelt, und auf Gemüsekarren liegen reglose Gestalten, Clochards, die Bettler von Paris; 1959 Gong Nr. 39 Es ist kaum anzunehmen, daß

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der Film „Im Kittchen ist kein Zimmer frei" [Oriten die Formen einer Gesellschaft, der sie irgendginaltitel: „Archimede, le clochard"] die Mehrheit wann einmal angehört haben. Niemand wird als Clochard geboren — und doch sieht es aus, als wäder französischen Abgeordneten veranlaßt . . hat, das Gesetz gegen die Clochards abzulehnen. Aber ren sie Wesen eigener Art . . Die Clochards — ihr sowohl die Ablehnung wie der Film beweisen, daß Name kommt von der „argot"-Bezeichnung (Umdie Clochards im französischen Bewußtsein als gangssprache) des Himmels: la cloche; Offenbureine Art nationaler Einrichtung leben, daß diese ger Tagebl. 17. 8. 1971 Unter dem dringenden Verdacht, den 39jährigen „Clochard" . . in Straßburg besondere Art von Bettlern eine Seite des französierstochen zu haben, sind zwei Jugendliche festgeschen Wesens verkörpern: den Entschluß, nach eigener Fasson zu leben, auch zu respektieren; Ofnommen worden; Zeit 25. 1. 1985 Auf Geheimnistuerei ist die Handlung aufgebaut. Erst zum Schluß fenburger Tagebl. 23.4.1959 Paris künftig ohne Clochards? Schlechte Zeiten für Freudenmädchen erfahren wir, daß Lambert, diese zunächst schlicht und Vagabunden — Monsieur Dupont will sie verergreifende Tankwart-Clochardtype, ein kleinbürtreiben (Überschr.) Jeder .. kennt die Clochards. gerlich enger Polizist war, ausgestiegen, ins Nichts der Nacht entflohen, weil er versagt hat; ebd. Gekleidet in mehrere Schichten schmutziger und zerfetzter Gewänder, genährt mit Abfällen von den 15. 3. 1985 Hans Peter Duerr, mit seinem schulterMarkthallen .. Die Clochards sind keine Übeltälangen .. Kraushaar, die hagere Gestalt in einen Plüschmantel gekleidet, eine Plastiktüte in der ter; bei Gelegenheit klauen sie ein bißchen .. Die Polizisten schauen weg, wenn sie eine „cloche", Hand, wirkt inmitten der Manager mit ihren dunklen Anzügen wie ein Clochard, der sich in das wie der Pariser sagt, irgendwo dort schlafen sehen, wo sie es eigentlich nicht darf . . Alle Kategorien Foyer eines Vier-Sterne-Hotels verirrt hat; MM 5. 6. 1985 Mit dem zerlumpten Mantel einer Cloder menschlichen Gesellschaft sind unter den Clocharde, schwankenden Gangs auf schiefen Füßen chards zu finden. Heruntergekommene Intellektuelle, Arbeitsscheue, alte Zuchthäusler, Romantiker betritt Pierre Constant die Bühne [in Stück von Geder Landstraße, harmlose Geisteskranke, vernet]; Zeit 20. 12. 1985 eine kuriose Truppe in krachte Kaufleute. Sie gehören zum Stadtbild; ebd. Nachthemden [in Tanztheateraufführung] . .: halb Clochards, halb verirrte Psychiatrie-Patienten; 23.3.1961 „Clochard" wurde Opfer der Kälte (Überschr.); FAZ 30. 12. 1961 Man sieht es seinem MM 21. 12. 1985 Die Feiertage sind für viele ein [Schriftsteller] ausgemergelten Gesicht, das die Problem . . Clochard-Romantik ist nur Illusion; Züge eines Asketen und eines Clochards vereint, Zeit 14. 2. 1986 Grübners Helden sind die Auseran, daß er durch die Höllen der Zeit gegangen ist; wählten und die Ausgestoßenen. Die Könige und die Clochards, oder einer wie Lear, der beides zuer ist wie verwittert; Offenburger Tagebl. 15. 2. 1962 Unter den 150 Fotos . . sind sowohl Life- wie sammen ist; ebd. 3. 4. 1987 Die Trümmer in der auch romantische Aufnahmen. Nahezu 200 Bilder „waldigen Gegend" [in Nibelungenaufführung], der Clochard Alberich, die wie Penner herumhänvon Portraits über Clochard- und Fensterputzerstudien bis zu Blütenzweigen . . werden die Wände genden . . Rheintöchter; ebd. 17. 4. 1987 Culture des Ausstellungssaales schmücken; Süddtsch. Ztg. Club Berlin (Überschr.) Wir fragen nicht, was das 16. 2. 1963 „Weißt du was", ruft der Mann ins Bad Ereignis ist, sondern wie es gemacht ist. Wer würde hinaus, „ich gehe als Pariser Clochard [zum Fa- sich wundern, wenn der Senat die paar Clochards, sching]", und schon hat er die zerrissene Ganovendie wir haben, mit entsprechend knappen Mitteln hose an, klemmt sich in Großvaters mottenzerfresunterstützte? Um die Hülse Kulturmetropole Berlin sene Hochzeitsjacke; Stuttgarter Ztg. 23. 10. 1963 zu füllen, muß man offenbar Kunst mit Kultur verDie Pariser Clochards sind weltberühmt, denn sie wechseln und Künstler mit Gauklern; ebd. 24. 4. sind eben die echten, einzigen, wirklichen, konse1987 daß ein Pariser Clochard [in einem Theaterquenten — und Pariser Clochards. Höchstens noch stück] vor allem deshalb auftreten, saufen und auf die New Yorker Clochards, dort „Bums", „Hobos" den Boden kacken darf . ., damit . . reinliche oder „Tramps" genannt, . . können ihnen „das Ordnung und lustig-schmutzige Anarchie efWasser reichen"; Süddtsch. Ztg. 26. 10. 1963 Die fektvoll aufeinanderprallen; MM 23.5. 1987 Pariser „Clochards", die wohnungs- und berufsloGeorge Maran, ein leicht debiler Hamlet I, der als sen Gesellen, die von ausländischen Touristen mit alternder Clochard tänzelnd in die Rollen schlüpft; Vorliebe fotografiert werden . . gehören zu Paris, ebd. 23. 9. 1987 der Handel in den alten Hallen wie die Kathedrale von Notre Dame; MM von Paris konnte damit leben, der neue nicht. Als 22. 11. 1968 Niemand wird als Clochard geboren die „noveaux ciodos", die neue, junge, aggressive, (Überschr.) . . Zu kalt ist es den „Pariser Vagabunmehr dem Rauschgift als dem Rausch zugetane den" . . unter den Seine-Brücken geworden. HäufiClochard-Generation . . im „Forum" auftauchte, ger als sonst sieht man die Clochards jetzt in der suchten sie die Herren des Warentempels natürlich Innenstadt . . Sie schlafen, sie trinken und verachzu vertreiben: mit Wagner aus allen Lautsprechern;

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Clou

Spiegel 11. 1. 1993 Mit Strubbelhaaren und im zerbeulten Trainingsanzug, trinkend, tanzend und ausgelassen lachend inmitten einer wüsten Clochard-Welt, konnte sie wenigstens ein paar Szenen lang umhertollen wie ein Kobold; ebd. 25. 1. 1993 geht vielen der Lebensstil Jaggers [Beatle], von Richards nur „Jet-set-Shit" genannt, auf die Nerven, weil der so ganz im Gegensatz zum verwegenen Outlaw- und ewigen Revoluzzer-Image der Gruppe steht. Jagger, der den Guinesses schon immer näher war als irgendwelchen Clochards, picknickt gern auf seinen aristokratischen Ländereien; ebd. 6. 9. 1993 Die Arbeitslosigkeit liegt bei 13 Prozent. In London kommt auf 2500 Bewohner ein Clochard; ebd. 20. 6. 1994 „Wir wollen so unauffällig wie möglich leben", sagt der Gelegenheitsarbeiter und Clochard, „aber mindestens jeden zweiten Monat vertreibt uns die Polizei"; MM 2. 1.1997 Die Pariser Clochards haben die kalten Füße satt (Überschr.) Rund 30 Obdachlose haben am Silvesterabend die Lobby des Pariser Grand Hotel International vorübergehend besetzt und angesichts

der eisigen Kälte bessere Bedingungen für Menschen ohne Wohnung verlangt. Neoclochard: FAZ 15. 9. 1964 Unerwünschte Gäste sind in Paris die jungen „Stadtstreicher", auch „Neo-Clochards" genannt, die seit diesem Sommer in ständig zunehmendem Maße die Seine-Ufer bevölkern. Sie sind offenbar von dem Vorbild der richtigen „Clochards" inspiriert . . Die Clochards der neuen Welle . ., darunter zahlreiche Deutsche, teilen mit ihren Vorbildern zwar den Unabhängigkeitssinn . ., fallen den Parisern aber dadurch auf die Nerven, daß sie keinerlei Zurückhaltung üben, lärmend und bettelnd durch die Straßen ziehen. clochardesk: Süddtsch. Ztg. 2.13. W. 1993 An diesem Wochenende gedenkt das Filmmuseum Alfred Edel: heute . . kann man das . . Unikum in „Mix Wix" mit Herbert Achternbusch erleben, morgen massakriert . . er das Publikum in Schockern von Christoph Schlingensief; am Montag dann der letzte Autritt, philosophisch-clochardesk, in einer Folge aus Edgar Reitz' „Zweiten Heimat". GS

Clou M. (-s; -s), Ende 19. Jh. entlehnt aus frz. clou 'Nagel; Glanz-, Höhepunkt, Schlager', eigentlich 'der Nagel, der alles zusammenhält oder krönt' (< lat. clavus 'Nagel, Pflock', zu claudere 'schließen, zusperren; den Pflock einlegen'; —» Klausur). In der Bed. '(überraschender) Höhepunkt (im Ablauf) von etwas, Glanz-, Kernpunkt; zugkräftigster Teil einer Aufführung oder Stück einer Ausstellung, Zugnummer; Hauptattraktion, Hauptanziehungspunkt' (—»· Attraktion), meist von Sachen, gelegentlich auch von Personen (s. Belege 1902, 1923, 1930, 1974, 1988), z. B. in Wendungen wie der Clou des Abends, Tages, Programms, der Veranstaltung, Darbietung, Erfindung, Saison; das ist der Clou (des Ganzen), der (eigentliche) Clou des Ganzen kommt noch!, das war der Clou!; sich einen besonderen Clou ausdenken, einfallen lassen und häufig der (besondere) Clou (war): ... (s. Belege 1967, 1985,1987, 1993); selten auch eher ugs. verwendet im Sinne von 'Knüller, Sensation, Aufhänger, Schlager' (—» Coup; s. Belege 1956, 1971). 1898 (Trübner, Personalien 108) die höchsten Aufgaben der Baukunst mit den Scherzen, wie sie als Clou für Industrieausstellungen üblich sind, zu lösen; T/7. Mann 1900 Erz. (W. VIII 176) Mich dünkt, uns fehlt noch etwas, und zwar die Hauptnummer, die Glanznummer, der Clou, der Höhepunkt. Etwas ganz Besonderes; 1902 Grenzboten l 624 Den Clou der Hochzeit bildete Exzellenz Freifrau von Marschall, die die vornehmste Dame der Verwandtschaft war; Batka 1905 (in: Die Schaubühne l 381 b) Der Clou besteht in der klugen Art, wie sich Musjö Tepusch aus der ihm von seinem Rivalen . . geknüpften Schlinge zieht; Diederichs 1905 Br. 123 Der besondere „Clou" für die Jenenser Gesellschaft war ein Zyklus von Vorträgen;

Stilgebauer 1907 Börsenkönig 206 Nun kam der Clou des Programms; Schickele 1910 (in: Der Sturm l 89c) Den Clou seiner [Roosevelts] Anschauungen nennt er die Forderung, daß bei einem Konflikt zwischen Eigentumsrecht und Menschenrecht das Menschenrecht vorangehe; 1912 Pan II 917 der Clou der Veranstaltung; Werner 1913 Erlebn. 97 Von der rassig-schönen Gräfin Karoly hat Gustav Richter ein wundervolles Portrait gemalt, das der clou einer der Berliner Kunstausstellungen wurde; Lilienfein 1916 Spiel 45 mußte das Quadrillereiten mit den Damen seines Regiments herhalten, das den diesjährigen „Clou" in der Öde seiner Garnison bildete; Toller 1923 Ausgew. Sehr. 201 Auf morgen, Sie Clou der Saison! [Anrede ei-

Clown nes Schaubudenbesitzers an einen Angestellten]; Lettenbaur 1927 Morgen 87 „Der clou" der Kolonialmetropole ist das auf dominierender Höhe gelegene Hotel Mount Nelson; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. X 246; Aber die Säule des [Reclam-]Verlages, sein Clou, seine Standardleistung war eine Ausgabe von Shakespeare's Werken; Wilke 1930 Erinn. 211 Ein Sylvesterball .. gipfelte in einem Umzug . . Und der „Clou" des Umzuges — alles hatte damals in Berlin einen „Clou", einen Höhepunkt — war die preisgekrönte Schönheit Alexandrine Martens; Lokal-Anz. 16.1. 1933 Den „Clou des Abends" bedeutete das traditionelle Tanzturnier der aktiven Sportler; ebd. 5. 10. 1934 Auf die erste, stets an den Pariser Auto-Salon gestellte Frage: „Was gibt es Neues?" muß man, wenn man hierbei an den sogenannten „Clou" denkt, antworten: „Nichts Besonderes". Das Zeitalter der „Clous" scheint überhaupt vorüber zu sein, und so ist auch der Pariser Salon eine Ausstellung marktgängiger Ware [und nicht von neuen Modellen]; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 13 Der Clou des Ganzen aber war das „Eisenwalzwerk", Menzels damals berühmtestes Bild; Haushof er 1937 Weltmeere 36 Das ist der „clou" des ersten Seesieges der Römer [der in der Seeschlacht gegen die Punier erstmals eingesetzte Enterhaken] in ihrer See-Geschichte, die an Fehlschlägen . . gerade aus mangelnder Seetüchtigkeit reich ist; Süddtsch. Ztg. 8. 4. 1952 Der eigentliche Clou der diesjährigen Jahreshauptversammlung des Deutschen Journalistenverbandes . . versprach das Auftreten Dr. Lehrs zu werden; ND 31. 10. 1954 der Hypnotiseur machte sich für den Clou des Abends, für die hypnotische Seance, bereit; Süddtsch. Ztg. 18. 5. 1956 Der Gast findet ein Sträußchen Gebirgsblumen in dem hellen . . Balkonzimmer vor. Telephon am bequemen Bett. . — und als Clou ein großer Radioapparat; Münch. Stadtanz. 16.5. 1958 der clou dieser Revue; Süddtsch. Ztg. 21. 12. 1959 haben sie verfügt, die Bekanntgabe gleichsam als Clou für das Schlußcommunique zurückzuhalten; Offenburger Tagebl. 26.4. 1962 Der Clou des . . blau gestrichenen

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neuen „Rheingold" dürfte der nach amerikanischem Vorbild gestaltete Aussichtswagen sein; Bildztg. 19. 4. 1967 Der Clou bei der ganzen Sache: der Reingewinn nach Abzug aller Unkosten fällt dem Ausrichter zu; Stuttgarter Ztg. 4. 6. 1968 In Berlin waren die Vorführungen „Mutter und Kind" der Clou des Turnfestes; 1971 Praline-Reiseberatung IV o. S. Aber ein besonderer Clou ist das Angebot „Hochzeitsreise nach Oberstdorf"; Welt 1. 10. 1974 Womit wir beim vielbejubelten Clou des Abends wären: Walter Schmidinger in der Rolle des Malvolio; MM 2. 1.1985 Der [Fernseh-]Satellit ist der Clou für LU [Ludwigshafen]; Zeit 13. 9. 1985 wieder ist das Medium eine Plastikkarte im üblichen Format: Der Clou: In die Karte ist links ein goldfarbener Mikroprozessor eingebaut; ebd. 6. 6. 1986 das angerückte Fernsehen hatte sich einen besonders originellen Clou ausgedacht. Ob Lydon . . nicht etwas ausgewählt Obszönes zur Fußball-Weltmeisterschaft in Mexiko sagen könne?; ebd. 4. 7. 1986 neuartige Gehirnbilder. Der Clou der Methode sind die Fluoreszenzsignale; ebd. 5. 9. 1986 überrascht . . die Deutsche Bank mit einer Index-Anleihe sogar die professionellen Anleger. Der Clou dieser Neuheit besteht darin, daß die Rückzahlung der Anleihe an die Entwicklung der Aktienkurse gekoppelt ist; Stern 17. 9. 1987 Der Clou der Roboterbank aber ist der elf Tonnen schwere „Safeomat"; ebd. 19.11.1987 Parterre, drei dunkle Räume, der Clou: Ein Garten, so groß wie zwei Tischtennisplatten, umfriedet von 20stöckigen Wohntürmen; MM 29.2. 1988 der Clou des Abends sind zwei gitarrenbewaffnete Jungs; Spiegel 3. 5. 1993 Der Clou: Der Anhang des Pachtvertrages enthält einen kompletten Kaufvertrag; ebd. 21.6. 1993 Ein besonderer Clou ist Waigels Steuerexperten womöglich in der Kneipe eingefallen. Sie wollen die Gastwirte zu „möglichst totaler maschineller Erfassung der Umsätze" zwingen; ebd. 25. 10. 1993 auch bombensichere Ruheräume und eine Leichenkammer fehlten nicht. Als Clou verkehrte 40 Meter tief unter der Erde eine elektrische Schmalspurbahn. GS

Clown M. (-s; -s), im späteren 18. Jh. entlehnt aus engl. down 'Bauerntölpel (auf dem Theater)', ungeklärter Herkunft, eventuell zurückgehend auf lat. colonus 'Bauer'. Zunächst in der Bed. 'Tölpel, Bauerntolpatsch' auf die Charakterrolle der komischen Figur (bes. in den Stücken William Shakespeares) bezogen, gleichbed. Hanswurst ablösend (s. Belege 1772, 1804, 1809, 1821, 1825, 1864); seit dem 19. Jh. in der heutigen Bed. 'Spaßmacher in Zirkus, Variete u. ä.' (—> Bajazzo verdrängend), vgl. die Zss. Zirkusclown, Clownsspäße, -maske, auch übertragen für 'Person, die häufig Spaße macht, gern scherzt, sich albern benimmt' (s. Belege 1864, 1986, 1987), öfters in der Wendung den Clown machen/spielen, als Grundwort in einer Zs. wie

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Clown

Politclown 'jmd., der ein Amt unkonventionell, heiter, distanziert ausübt', auch 'jmd., der in seinen politischen Ansichten nicht ernst genommen wird bzw. nicht ernst genommen werden möchte'; dazu seit Ende 19. Jh. die wohl aus gleichbed. frz. downerie entlehnte subst. Ableitung Clownerie F. (-; -n) 'Unsinn, Spaß, Scherz', auch, zum Teil abwertend, für 'Clownsart, Benehmen wie ein Clown'; seit den 50er Jahren des 20. Jhs. die aus gleichbed. frz. clownesque entlehnte adj. Ableitung clownesk (ohne Steigerung) 'nach Art eines Clowns'. Clown: 1772 Frankf. gel. Anz. 187 An Shakespear können sie sehen, was man aus den Naren [!] und den Clowns machen könne, wenn man Kopf hat; Lessing 1774 Br. XVIII111 Wegen des Clown habe ich mich nur in den Namen geirrt; 1804 Journal d. Luxus u. d. Moden XIX 333 Auch der Clown Bajazo spielt eine große Rolle auf dem Theater (TRÜBNER); Bouterwek 1809 Gesch. VII 194 Rolle des Rüpels oder Tölpels (Clown); Goethe 1814 Dichtung u. Wahrh. (WA 128,78) Über solche Dinge ward sehr ernsthaft gestritten, ob sie des Clowns würdig oder nicht, und ob sie aus der wahrhaften reinen Naturquelle geflossen, oder ob etwa Sinn und Verstand sich auf eine ungehörige und unzulässige Weise mit eingemischt hätten; Tieck 1821 Altengl. Theater l Vorr. IX Der Engländer hat, wie der Spanier seinen nationalen Grazioso, den vaterländischen Clown; ders. 1825 Krit. Sehr. IV 76 Man kann Clown nicht übersetzen, Rüpel, wie ihn Voß neuerdings wieder genannt hat, ist völlig unpassend; Pückler-Muskau 1831 Br. e. Verstorbenen I 214 Noch ergötzlicher waren zwei unnachahmliche Clowns (Bajazzi), deren Glieder keinen Dienst einer Marionette versagten; Dingelstedt 1847 Jusqu ä la mer 225 Der Clown, ein Engländer mit einer sehr hübschen, feinen Physiognomie; Schlesinger 1852 London I 91 ein halb Dutzend alter und junger Clowns verrenkt sich die Gelenke, eine Dame tanzt marionettenhaft auf dem Seile; Holtet 1852 Vagabunden 196 Die jetzigen Kunstreiter geben es vornehmer, verachten den Bajazzo, titulieren ihre Spaßmacher „clown"; Fontäne 1854 Sommer (Ges. W. II 4,27) Sie sind nichts als die Kehrseite jener albinohaften Clowns: dort alles weiß, hier alles schwarz; 1855 Prutz' Museum II 936 Die pantomimischen Clownsbühnen mehren sich und gewinnen Terrain; Wallner 1864 Rückblicke 105 die englischen Clowns; Kossak 1864 Federzeichnungen V 184 den kleinen Craps, . . den Clown der Klasse (TRÜBNER); Schücking 1865 Frauen u. Rätsel I 294 einem Clown einer herumziehenden Kunstreitertruppe; Hillebrand 1875 Wälsches 277 und am Ende kommen zu der unparlamentarischen Vergleichung mit einem leidenschaftlichen Weibe, noch solche mit „Clown's", „Hofnarren" und „Thoren"; Wickede 1878 Leutnant 301 nur die Kraft und Gewandtheit des einen Clown, eines zwar gewöhnlich halbbetrunkenen,

aber äußerst geschickten Engländers . . rettete sie von einer Verletzung; Saltarino um 1880 A. 23 Otto Gabel . . war ein Genie als Clown, aber ein schon im Keime verkommenes; Lindenberg 1883 Berlin 24 Clowns-Spässe im Circus; Liliencron 1896 Poggfred (XI 25) einen Clown mit buntbemalten Wangen; Fontäne 1898 Zwanzig 452 Alles, was sich an der Peripherie der Kunst herumtummelt: Akrobaten, Clowns, Monsieur Herkules, Zauberer; Werthenau 1910 Interessante Wörter 30 Der Clown war zunächst der Rüpel des altenglischen Schauspiels und wurde dann allgemein zur komischen Person; 1910 Neue Rundsch. XXI 133 der handgreifliche dumme Spaß eines Pariser Zeitungsclowns (TRÜBNER); zur Megede 1911 Quitt 225 zur Clowngrimasse verkrampfter Schmerz; 1912-13 Fan III 21 Es war das Flehen des Unterlegenen um Gnade. Unter der Clownmaske wurde es vorgebracht, auf burleske Weise, komisch kaschiert; Werfel 1924 Verdi 397 Zwischen den einzelnen Kompagnien der Festarmee tummelten sich die kostümierten Spaßvögel, die Witz genug hatten, auf eigene Faust eine Rolle zu spielen: Clowns, zerlumpte Taugenichtse, auffällige Würdefiguren der Stadt, Karikaturen berühmter Politiker; Presber 1926 Kampf 95 Meinetwegen ist er Bankdirektor oder Zirkusclown (TRÜBNER); Dublin 1929 Alexanderplatz 19 Der andere lachte, er wieherte . .: „Ihr seid ne Marke. Sie könnten als Clown inn Zirkus gehn."; Berl. Morgenpost 19. 5. 1931 Töne, die jenseits von aller artistischen Mache stehen: ein Stück der echten großen Clown-Tragödie, des Lachens unter Tränen; Lokal-Anz. 2. 9. 1933 Und nun stolpert der Direktor, der Clown, in die Manege. Grell geschminkt, hat er einen zerrissenen, zerflickten, schlotternden Landstreicherkittel an, geht barfuß; Uexküll 1936 Welten 153 Im ganzen glich er der Maske eines Clowns; M.-A. Abendztg. 4. 10. 1944 Für kräftigen Humor sorgen die Vier Alfredos mit einem lustigen Potpourri bewährter Clownsscherze; Münch. Merkur 11.112. 2. 1950 Der Narrheit Würde ist . . in die Hand der Clowns gegeben; Süddtsch. Ztg. 26. 8. 1955 über herzigen Kinder-Kitsch und allerlei Klamauk trösten Heinz Rühmanns musikalische Clown-Szenen und die rührende Komik hinweg, mit welcher er zwischen Lachen und Weinen teils täppisch stolpert, teils elegant balanciert; 1956 Akzente 519 Neben den Göt-

Clown tern steht . . bei allen Völkern die komische Gestalt, der Clown; Niebelschütz 1961 Spiel 325 Zirkus-Clown mit Monokel und Melone; Grass 1962 Blechtrommel 244 Maria wollte an jener Messingstange über dem Ladentisch, an der Würste und Speck hingen, einige Papierschlangen, auch zwei Clownsmasken und Knollennasen befestigen; Böll 1963 Clown 13 Wenn ich betrunken bin, führe ich bei meinen Auftritten Bewegungen, die nur durch Genauigkeit gerechtfertigt sind, ungenau aus und verfalle in den peinlichsten Fehler, der einem Clown unterlaufen kann: Ich lache über meine eigenen Einfalle. Eine fürchterliche Erniedrigung; Welt 4. 1. 1964 in der farbige Musiker sich zum willigen Clown des weißen Mannes gemacht haben (DUDEN 1993); Welt 12.5.1969 Nachmittags trägt der Zirkusclown seine uralte Clownmaske, abends treten die Clown-Schauspieler in Masken auf, die in Zusammenarbeit von Grafikern und Pädagogen entstanden sind; Hocke 1976 Tagebücher 133 Doch kann auch Stendhal „enttäuschen", und das trägt er ebenso offen ein, auch wenn er, in einer Boccaccio-Bordellszene, den Clown machen muß; Zeit 11. 1. 1985 Einen Clown darf man nicht mit den Gaudi-Burschen des deutschen Fernsehens verwechseln. Hingegen waren die SchriftstellerClowns aus Irland stets von höchster Qualität; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 69 Er war mehr ein harmloser Clown als ein Lustmolch. Die anderen behandelten ihn mit Nachsicht, lachten höflich über seine zotigen Sprüche und Witze; Zeit 7. 2. 1986 Museveni hielt am Kampf gegen Amin auch fest, als der mörderische Clown vom vorgeblichen Freund des Westens zum Freund Libyens und des Ostblocks wurde; MM 5. 12. 1987 Chris, der Clown der Clique, verwandelt sich in eine Christine; ebd. 18. 3. 1988 Wendekanzler und Polit-Clown; Spiegel 8.11. 1993 Sie spielte die Rolle mit struppigem blondem Haar, ein weiblicher Clown im gestreiften Hemd, der die Trompete blies und der männlichen Gewalt zum Opfer fiel; Süddtsch. Ztg. 15./16. 1.1994 Bei dem Unfall dieses Zirkuszuges . . starben ein 39jähriger Elefantendompteur und eine 28jährige Clownin; Spiegel 27. 2. 1995 Seine Kollegen und Studenten amüsieren sich über ihn, für sie ist er ein Bajazzo, ein Clown. Clownerie: Th. Mann 1897 Erz. (W. V11I 113) Das alles ist Clownerie und Blague; Fontäne 1898 Zwanzig 242 Mir wurde nicht wohl dabei zu Mute, am wenigsten, als ich die Miene sah, mit der unser englisch steifleinener Führer diese Klownerie begleitete; Pranger 1925 Humor Vorw. X in den Clownerien des Burlesken; Friedell 1928 Kulturgesch. II 293 In den Theatern dominierte die roheste Clownerie; Hausenstein 1930 Bad. Reise 68

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Studenten, die sich die Schädel von hinten rasieren lassen . . bis zu dem Scheitelchen, das ihnen über der Stirn sitzt wie ein Schnurrbart, nein, wie eine angeschlackte Clownerie, wie ein unanständiger und schlechter Spass; Dtsch. AZ. 3. 8. 1935 Es ist immer derber Ulk, naive Hänselei, grobes Mitspielen und sich über den ändern Lustig-Machen: karnevalistische Clownerien und Hanswurst-Szenen, der Spaß daran, dem ändern einen harmlosen Streich zu spielen; Benjamin 1938 Br. II 803 Besonders „Amerika" [Roman von Kafka] ist eine große Klownerie; Münch. N. N. 8. 10. 1942 Für laute Fröhlichkeit sorgt auch diesmal die RastelliGruppe mit neuen Einfallen, von denen die Spiegelszene die Clownerie auf den Gipfel der Komik treibt; Münch. Merkur ll./12. 2. 1950 Dieses Programm ist für alle Liebhaber circensischer Kunst eine besondere Delikatesse, da hier die facettenreichen Möglichkeiten der Clownerie miteinander in Wettbewerb treten; 1956 Akzente 522 Schließlich räumt der Puritanismus mit aller Clownerie auf; Süddtsch. Ztg. 21.5.1957 mehr oder weniger ernsthafte Mimen vollführten altbekannte Clownerien; Sternberg 1958 Gefühl 169 die Komik des „Dummen August", aller Clownerie überhaupt; Süddtsch. Ztg. 22. 12. 1959 Einige Tage später fand eine interne Vorstellung im Staatszirkus statt, bei der vor der versammelten Kollegenschaft eine Reihe solcher politisch wertvoller Clownerien ausprobiert wurde; Offenburger Tagebl. 25. 3. 1961 Das „Endspiel" ist hier auf eine Clownerie zusammengeschrumpft, die das Antidrama mit seiner grauenhaften Monotonie auf eine makabre Weise endgültig ad absurdum führt; Böll 1963 Clown 44 Mir würde es gar nichts ausmachen, in muffigen Sälen vor katholischen Hausfrauen oder evangelischen Krankenschwestern gute Clownerie oder auch nur Faxen zu machen; Stuttgarter Ztg. 19. 3. 1965 Auch wenn man bei solcher Gelegenheit kein Konzil für Clownerien erwartet, fürchtet man doch für das Gleichgewicht des menschlichen Gemütes, wenn man nichts als die unbewältigte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geboten bekommt; MM 25. 2. 1969 Was sie an halsbrecherischer Clownerie produzieren, . . ist hellauf entzückend; Zeit 11. 10. 1985 diese Herrenpartie im Wüstensand inszeniert Flimm enthüllend komisch, als Clownerie und Spießersatire; ebd. Die vier komischen Herren liefern eine strapaziöse EndlosClownerie; MM 10. 3. 1988 Eher ruhig die Tempi, auch in den Clownerien der Außenakte, wenn die Musik über die Spaße der Bohemiens kichert; Spiegel 2. 8. 1993 PS warf dem Irrationalismus . . vor, sich selbst zu ernst genommen, sich mit seriösen Ansprüchen überschlagen zu haben, schwere Priestertöne angestimmt zu haben, wo eine große philosophische Clownerie gerade recht gewesen wäre;

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ebd. 10. 7. 1995 Zum „hoch gehandelten Markenartikel" für philosophische Clownerien sei er damals geworden. clownesk: 1956 Akzente 523 Die eigentliche komische Gestalt. . war . . der Zanni, der ursprünglich als clownesker Bauernlümmel durch die Lande vagabundierte; Botand 1970 Nachw. zu Laforgue 123 schrieb er 1885 eine Salome, ein Stück dichter, artifizieller clownesker Kunstprosa; MM 3. 2. 1971

bis in schwindelnde Höhen, aus welchen sie .. clownesk und höhnisch bühnenwärts und ins Geschehen äugen (DUDEN 1993); 1987 Brockhaus IV 609 Clowneske Elemente finden sich auch im Kabarett und im modernen Drama; Spiegel 2. 8. 1993 Seiner manchmal bis hin zum Clownesken verfremdeten Art zu reden steht von den Inhalten her ein sozialdemokratischer Realo gegenüber; MM 29. 3. 1996 diesem clownesken Kabinettstückchen. HK

Cocktail M. (-s; -s), im späteren 19. Jh. entlehnt aus engl.-amerikan. cocktail 'alkoholisches Mischgetränk' (eigentlich 'Hahnenschwanz', weitere Herkunft unsicher, eventuell verkürzt aus cocktail(ed) horse 'halbblütiges Pferd mit gestutztem Schweif, der wie ein (bunter) Hahnenschwanz nach oben steht', dann von der Buntheit des Hahnenschwanzes auf die vielfältige Zusammenstellung eines Mischgetränkes übertragen; nach anderer Version auch hergeleitet von der Nichtreinrassigkeit bzw. „Gemischtheit" von Bastardpferden, die im Unterschied zu reinrassigen Pferden gestutzt werden, vgl. PFEIFER). a Zunächst in der Bed. 'appetitanregendes, eisgekühltes Mixgetränk aus verschiedenen hochprozentigen Spirituosen, Likören, Früchten und Fruchtsäften', seltener auch für nichtalkoholische Mischgetränke (vgl. Longdrink), häufig in Wendungen wie ein süßer, trockener Cocktail, einen Cocktail mixen, bestellen, reichen, servieren, eine Cocktailparty geben, zum Cocktailempfang erscheinen, als Bestimmungswort in Zss. wie Cocktailkleid (nach gleichbed. engl.-amerikan. cocktail dress) 'elegantes, modisches, kurzes Kleid (mit meist tieferem Ausschnitt und Jäckchen)' (ugs. oft „das kleine Schwarze" genannt), -happen 'appetitanregende, kleine, belegte und garnierte Brotschnitten, die zum Cocktail gereicht werden', Cocktailglas 'weitgeschwungenes Glas auf nicht zu kurzem Stengel für Cocktails', gelegentlich auch konnotiert mit „bes. klein", z. B. in den Zss. Cocktailkissen, -schürze 'kleine Schürze, häufig ohne Oberteil, die bes. zum Servieren von Speisen und Getränken getragen wird', und (gelegentlich auch kurz dafür) Cocktailparty (nach gleichbed. engl.-amerikan. cocktail party) 'zwanglose Nachmittags- oder Abendgesellschaft, auf der u. a. Cocktails serviert werden, häufig mit Tanz- und Barbetrieb' (s. Beleg 1950; —» Bar) und Cocktailempfang (s. Beleg 1964). b Seit frühem 20. Jh. übertragen verwendet für 'Zusammenstellung, Mischung aus Verschiedenartigem, buntes Allerlei' (—»· Potpourri), bes. von Speisen, z. B. Krabben-, Früchtecocktail, von Wirkstoffen, z. B. Grippe-, Hormon-, Pillen-, Pharma-, Gift-, Drogencocktail, vgl. auch attributive Verbindungen wie akrobatischer, musikalischer, literarischer Cocktail und Zss. wie Film-, Modecocktail und MolotowCocktail 'eine mit Benzin und Phosphor gefüllte Flasche, die wie eine Handgranate benutzt wird'. Cocktail a: Rüssel 1864 Tagebuch (Übers.) l 113 dass es mir unmöglich wäre, vor dem Frühstück mit Cocktails . . anzubinden; Hesslein 1867 NegerBarone 349 „Brandy-Cocktails"; 1869 Magazin f. d. Lit. d. Ausld. XXXV111 977b Cocktail . . ist ein beliebtes amerikan. Getränk, welches . . aus einem

halben Dutzend verschiedener geistiger Stoffe besteht (SANDERS 1871); 1904 Jugend 326c Und dazu tranken sie Bier und Cocktails und die Musik spielte; Mamroth 1907 Leben 223 Schlummercocktail an der Bar; Hauptmann 1912 Ausgew. Prosa 209 Cocktails und andere gute Getränke hatten der

Code Gesichtshaut des Mannes einen päonienartigen, ins Bläuliche spielenden Anstrich gegeben; Legien 1914 Arbeiterbewegung 25 Hinter einem fast die ganze Längsseite des Raumes einnehmenden Schanktisch stehen ein halbes Dutzend Bartender, um Bier und Whisky einzuschenken oder den in hundert Variationen hergestellten Cocktail zu mischen; Dessauer 1922 Auslandsrätsel 59 einen selbstgemachten Coktail [!]; Barnes 1933 Lebensmittellex. 32 Cocktail (eigentl. Hahnenschwanz), Bezeichnung für ein kaltes Misch-Getränk mit Likörzusatz, Fruchtsaft, Milch, Honig, Eigelb, Kakao usw.; Dtsch. AZ. 4. 8. 1935 Tomaten-Cocktail: (Überschr.) Reife Tomaten werden durch die Fleischmaschine getrieben, durch ein Haarsieb gestrichen .. abgeschmeckt; Schenzinger 1937 Jahr 111 bestellte zwei Cocktails; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 545) Diesen Abend . . gab er sich recht bequem und gesprächig, woran ich Bullingers mit Angostura gewürztem Champagner-Cocktail . . einiges Verdienst zuschreibe; Sieburg 1950 Jahre 106 fand es ganz natürlich, nachmittags drei Cocktails zu besuchen; Süddtsch. Ztg. 13. 1. 1951 In der Tat ist .. schon eine diplomatische Cocktail-Party eine Börse von Nachrichten, ein Clearinghouse der Standpunkte; ebd. W. 10. 1953 Es gibt Cocktailkleider, Cocktailhüte, Cocktailschmuck — ja, alles was sich am Nachmittag und in den frühen Abendstunden begibt, steht unter der Devise Cocktail; Welt 25. U. 1954 Und weiße Handschuhe werden gern zum Cocktail- oder Abendkleid getragen (AWB); Offenburger Tagebl. 29. 10. 1959 Berliner wurde Europameister der Cocktailmixer (Überschr.); ebd. 5.3.1960 Wenn Sie Gäste erwarten und kein dienstbarer Geist Ihnen das Zubereiten und Servieren von Sandwiches und Cocktails abnimmt, so ist eben die Cocktail-Schürze genau das Gegebene!; Süddtsch. Ztg. 5. 4. 1960 Zur Cocktailstunde und zum Sommerfest werden wahre Wogen knisternder Seide rauschen; ND 30. 10. 1964 Der Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR . . gab am Mittwoch anläßlich des 15jährigen Bestehens diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und anderen Staaten einen Cocktail; Stuttgarter Ztg. 18. 4. 1969 Zwar wurden die sozialkri-

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tischen Sentenzen elegant ins Cocktailgeplauder gemischt; Zeit 20. 9. 1985 Großvaters Bratenrock und Mutters Cocktailkleid finden neue Liebhaber auf Flohmärkten und in Secondhandläden; Spiegel 8. 2. 1993 Die Hamburger Cocktailbar „Migeel" etwa offeriert nicht länger ihren beliebten nichtalkoholischen Flip „Pussyfoot", der mit rohen Eiern angerührt wurde. Cocktail b: 1928 Auslese U 320 Literarischer Cocktail; Ortega y Gasset 1931 Aufstand 89 ein Kinderspiel, all die widerstreitenden Elemente zusammenzubrauen und umzu schütteln, die zu dem Cocktail der physikochemischen Wissenschaft gehören; Munch. Abendztg. 30. 5. 1952 Mit dem Gummirüssel saugt sich der nächtliche Blutegel aus den Bäuchen der Ford- und Opelkühe voll. Allerdings muß er dabei jedesmal einen Mund voll EssoCocktail zu sich nehmen; Süddtsch. Ztg. 7. 9. 1955 die beliebte Sendung „Musikalischer Cocktail"; Offenburger Tagebl. 10. 10. 1960 Einen bezaubernden Cocktail, gemixt aus dem berauschenden Fluidum edler Weine und dem zart-beschwingenden Charme graziöser Mode; Saarbr. Ztg. 10. 10. 1979 Einen akrobatischen Cocktail mit vielen Tricks aus dem Zauberreich servierten den 600 Besuchern die Dänen Conny und Potthoff; 1980 Spiegel Nr. 30 Zwischen Bankburgen und Cafes an der Zürcher Bahnhofstraße werfen Jugendliche Molotowcocktails und plündern Luxusläden (beide DUDEN 1993); MM 22. 5. 1986 der Patient bekommt einen Cocktail mit radioaktivem Jod zu trinken, das wie normales Jod direkt in die Schilddrüse gelangt und mit seiner Strahlung die übermäßig produktiven Zellen zur Räson bringt; Stern 19.11.1987 Rhein, Weser, Elbe, Humber und Themse verwandeln das Seewasser in einen hochprozentigen Cocktail aus Schwermetallen und Kohlewasserstoffen; Frankf. Rundsch. 14.11. 1990 Die Beamten wurden mit Steinen, Molotow-Cocktails und selbstgefertigten Wurfgeschossen .. attakkiert; Spiegel 15.11. 1993 Streetball ist ein KultCocktail aus Sport, Musik, Sprache und spezieller Kleidung. OV

Code, auch Kode M. (-(s); -s), Mitte 19. Jh. entlehnt aus engl. code in seiner militär- und marinetechnischen Bed. 'Signal-, Zeichensystem zur Nachrichtenübermittlung', ursprünglich 'Sammlung von Gesetzen und Verordnungen, Gesetzbuch' (über gleichbed. frz. code zurückgehend auf lat. codex; —> Kodex), die C-Schreibung hat sich heute vor allem im Bereich der Technik gegenüber der eingedeutschten Schreibvariante mit X weiter durchgesetzt. a Zuerst nachgewiesen in dem in der Seefahrt gebräuchlichen engl. Syntagma Code of Signals 'Signalsystem bei Flaggschiffen', von daher allgemeiner verbreitet in der

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(militärischen, diplomatischen) Nachrichtenübermittlung und Fernmeldetechnik in der Bed. '(gegen Unbefugte geschütztes, verabredetes) Zeichensystem zur Nachrichtenverschlüsselung; (tabellarische) Vorschrift, Telegraphenschlüssel zum Entziffern chiffrierter Mitteilungen und Telegramme' (vgl. Morsezeichen, -alphabet, —> Chiffre), als Grund- und Bestimmungswort (konkurrierend mit -Schlüssel/Schlüssel-} in Zss. wie Geheim-, Telegraphen-, Nato-, Morse-, Alphabet-, Einsatz-, Atomcode; Code-Telegramm, -Schlüssel, -system, -Vorschrift, -text/-wort/-name 'verschlüsselter, verklausulierter Inhalt, geheime Mitteilung, Botschaft; Geheim-/Signal-/Schlüssel-/Paßwort, Kürzel zur Verschlüsselung/Auflösung einer Mitteilung/Botschaft'. Seit den 50er Jahren des 20. Jhs. im Zuge der technischen Weiterentwicklung und methodischen Modell- und Theoriebildung auf verschiedene Fach- und Wissenschaftsbereiche ausgedehnt, insbes. auf Verfahren der (elektronischen) Datenverarbeitung, Informations-, Kommunikations- und Medientechnik (Kybernetik, Logistik, Informatik) in der Bed. 'System von vereinbarten Regeln für die Darstellung und eindeutige Zuordnung der Zeichen(-folgen) eines Zeichenvorrats (größerer Redundanz) durch die eines anderen (geringerer Redundanz)' (s. Belege 1950, 1971), dann auch als Bezeichnung für die entsprechende (maschinenlesbare) Zahlen-, Ziffernfolge, d. h. die (nicht jedermann zugängliche) magnetgespeicherte Kenn-Nummer (s. Belege 1985, 1986, 1987, 1993), in Wendungen wie den Code knacken, numerischer Code 'Code zur Darstellung von Zahlen', alphanumerischer Code 'Code zur Darstellung von nicht numerischen Zeichen', und als Grund- und Bestimmungswort zahlreicher Zss. wie Binärcode 'Schlüssel, bei dem die Anzahl der Werte, die jedes der Signalelemente annehmen kann, zwei beträgt', Strich-, Balken-, Nummern-, Zahlen-, Maschinen-, Computer-, Eingabe-, Benutzer-, Pin-/Magnet-Code 'auf Warenverpackungen angebrachter maschinenlesbarer Codestreifen mit Angaben über Preis, Hersteller, Herstellungsdatum u. ä.'; Code-Element, -streifen, -Umsetzer, -zahl, -daten, -karte 'maschinenlesbarer Ausweis, verschlüsselte Einlaßkarte'. In neuester Zeit auch bildungsspr. als zeitgeschichtlicher, kunst- und literaturwissenschaftlicher Ausdruck im übertragenen Sinne von 'Kennzeichen, Kennung, Merkmal; Inbegriff, Losung' (s. Belege 1985, 1987; —»· Chiffre) und allgemeiner im Sinne von '(geheime, verabredete) Sonder-, Gruppensprache; Gesetz(-mäßigkeit), Regelkatalog' (vgl. c; s. Belege 1986, 1994; —· Kanon, -» Kodex). Dazu die seit den 60er Jahren nachgewiesene, aus gleichbed. engl. decoder entlehnte subst. Präfixbildung Decoder M. (-s; -), in der radio-, fernseh- und funktechnischen Bed. 'elektronische Vorrichtung zur Datenentschlüsselung kodierter Signale (Videotext, Bildschirmtext, Verkehrsfunk) als Teil verschiedener Geräte (Fernseher, Autoradio u. ä.)', in den 80er Jahren auch gebucht für 'Stereorundfunkgerät; Nachrichtenübertragungssystem', im Ggs. zu der in den 70er Jahren vereinzelt nachgewiesenen (aus engl. encoder entlehnten) subst. Ableitung Encoder, Intensivbildung zu Coder (s. u. codieren). b Von daher seit den 60er Jahren speziell in der Biogenetik für 'molekulares Strukturgesetz, System der auf die Chromosomen verteilten Erbinformationen, das in den Genen verschlüsselt vorliegt', vor allem in der Wendung genetischer Code und in Zss. wie Erb-, Gen-, Zellcode. c Seit den 70er Jahren unter amerikan. Einfluß in der Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung für 'konventionell festgelegtes Inventar von sprachlichen Zeichen, deren Verwendung als Kommunikationsmittel auf einem vereinbarten Regel-

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system zu ihrer Verknüpfung beruht' (vgl. a), speziell in der Soziolinguistik, bes. Sprachbarrierenforschung auch 'durch soziale Schichtzugehörigkeit definierte Sprachverwendungsspezifik' (s. Belege 1970, 1980), in den fachspr. Syntagmen schichtenspezifischer Code bzw. (bezogen auf die Sprechweise der Ober- und Mittelschicht) elaborierter und (bezogen auf die Sprechweise der Unterschicht) restringierter Code (vgl. von B. Bernstein geprägtes engl. elaborated, restricted code}. Dazu seit den 70er Jahren die unter Einwirkung von gleichbed. engl. code/irz. coder aufgekommene verbale Ableitung codieren V. trans., auch kodieren, meist als Partizipialadj. codiert, in der Nachrichtentechnik und elektronischen Datenverarbeitung für 'eine Mitteilung, Nachricht, Information mittels eines Zeichensystems verschlüsseln; Zeichen (-ketten) mithilfe eines Codes in andere umsetzen, durch andere darstellen' (vgl. morsen, chiffrieren, —* Chiffre), in jüngster Zeit auch übertragen verwendet, bes. in der bildenden Kunst im Sinne von 'eine (künstlerische) Aussage, einen Inhalt durch äußere Merkmale (verschlüsselt) ausdrücken' (s. Belege 1985, 1987) (zu a), etwa gleichzeitig in der Biogenetik 'Erbinformation im Erbgut verschlüsselt speichern' (zu b) und in der Sprachwissenschaft und Kommunikationstheorie 'eine Mitteilung mit Hilfe eines Sprachcodes in sprachliche Form bringen; einen Sprachtext mithilfe eines Zahlencodes darstellen' (zu c); gleichzeitig das Verbalsubst. Codierung F. (-; -en), auch Kodierung, in der nachrichten- und informationstechnischen Bed. 'Darstellung oder Verschlüsselung einer Nachricht mit Hilfe eines Codes in anderer Form; eindeutige Zuordnung von Zeichen (-folgen) zweier verschiedener Zeichenvorräte', auch allgemeiner und übertragen verwendet im Sinne von 'Herstellung eines Zusammenhangs über äußere Merkmale; verschlüsselte Darstellung/Erschließung der hinter einer Sache stehenden Bedeutung' (s. Beleg 1987), bes. in der metaphorisch verwendeten Zs. Mehrfachcodierung, Schlagwort der Postmoderne für 'Interpretation, Auslegbarkeit in verschiedenen Hinsichten, Richtungen; Mehrdeutigkeit, -bezüglichkeit, Vielschichtigkeit' (zu a), auch für 'Verschlüsselung der Erbinformation in den Genen, Zellen' (zu b) und 'sprachliche Formulierung, Umformung/Umsetzung der Inhalte einer Mitteilung durch den Sprecher in ein dem Hörer verständliches Signalsystem' (zu c); gleichzeitig die vereinzelt nachgewiesene subst. Ableitung Codierer M. (-s; -) (vgl. frz. codeur), 'jmd., der einen (sprachlichen) Inhalt mit Hilfe eines Codes verschlüsselt' (zu c), neben Coder M. (-s; -) (vgl. engl. coder} auch in der (bei Brockhaus 1987) gebuchten technischen Bed. '(integrierte) elektronische Schaltung, Vorrichtung zur Informations- oder Nachrichtencodierung (als Teil verschiedener Geräte)' (s. o. Encoder} (zu a). Die in jüngster Zeit unter Einfluß von gleichbed. engl. encode (vgl. frz. encoder} aufgekommene intensivierende, nur gebuchte Präfixbildung «Kodieren V. trans., auch enkodieren (zu a), mit dem in den 70er Jahren vereinzelt nachgewiesenenen Verbalsubst. Encodierung F. (-; -en) (zu c); seit den 80er Jahren die aus gleichbed. engl. decode (zu code, s. o. codieren} entlehnte antonyme Präfixbildung decodieren V. trans., auch dekodieren, für 'einen (verschlüsselten) Inhalt, eine Mitteilung, einen Text mit Hilfe eines Codes entschlüsseln' (vgl. dechiffrieren, —* Chiffre) (zu a), bes. bildungsspr. im übertragenen Sinne auch 'sprachlich umsetzen, aktualisieren' (zu c), mit dem seit den 70er Jahren nachgewiesenen Verbalsubst. Decodierung F. (-; -en) 'Tätigkeit des Sprachverwenders, bes. des Hörers beim Verstehen eines Textes' (zu c) und

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'Rückverwandlung eines Computer-Codes in eine lesbare Form' (zu a), und der in jüngster Zeit nachgewiesenenen Personenbezeichnung Decodierer M. (-s; -) 'Codewandler, -Umsetzer'. Code a: Görtz 1852 Reise l 29 Mit mehreren dieser Schiffe wechselten wir durch Flaggensignale einige Worte . . Die Ausbildung dieses Signalsystems verdankt die seefahrende Welt . . dem Capitain Marryat. Mittelst zehn Flaggen und einiger Wimpel, und seines Code of Signals lassen sich nicht nur die Namen aller Schiffe, sondern auch alle nur praktisch möglichen Wörter und Sätze ausdrücken, indem jede Flagge eine Ziffer bedeutet; Villers 1878 Br. e. Unbekannten I 252 Eine unglaubliche Menge positiven Wissens liegt den anmutigsten Schilderungen zugrunde . . man könnte den Code daraus lernen, jedenfalls die Art, wie seine Vorschriften zu brauchen und zu mißbrauchen sind; Stavenhagen 1905 Verkehrs-Mittel 305 Die Kryptographie . . besteht . . aus solchen Wörtern — Codewörtern —, die an und für sich . . einen offenkundigen, in Wirklichkeit aber und in ihrer Verknüpfung einen geheimen Sinn haben; Frenssen 1909 Hinrich Baas 301 übersetzten [die Börsennotierung] schleunigst im Code; Tucholsky 1925—28 Ges. W. 1 1110 ich schwatzte auch — aber mir fehlte irgend etwas, ein Code-Schlüssel, eine Auflösung; Hellmuth 1929 Reichspost 407 Über die Benutzung der sog. verabredeten Sprache unter Anwendung von Code-Wörterbüchern als Telegraphenschlüssel besteht eine reiche Literatur; Kronberg 1929 Jugend 148 Harald Snake hielt dieses Konsonantenpaket für ein Codewort, welches mindestens einen ganzen Satz bedeutete; Berl. Illustr. Nachtausg. 28. 3. 1933 Fabrikanten, Transporteure . . die sich in das ganze System gliedern, und die sich zu ihrer Verständigung sogar eigener Codes bedienen; Lokal-Anz. 5. 8. 1934 Die mit den neuen Codevorschriften . . verbundene Kabelspesenverteuerung kann vermieden werden, wenn man sich auf einen . . bereits angepaßten Code umstellt. Der einzige deutsche Code . . im Einheitscodewörterbuch; ebd. 12. 9. 1934 Benutzen Sie die Nachrichten, die Sie durch den Code bekommen, mit großer Vorsicht. . Wenn die Japaner durch Ihre Veröffentlichungen Verdacht schöpfen, daß ein Exemplar des Geheimcode sich in dritter Hand befindet, werden Sie ihn sofort ändern; Münch. N. N. 9.4.1940 konnte die englische Polizei einen schwedischen Spion auf frischer Tat ertappen, als er dabei war, mit einem Kurzwellensender im Codetext Nachrichten über die schwedischen Erztransporte via Narvik zu funken; Schiro 1950 Computer o. S. Die Zuordnung bzw. Gleichsetzung der einzelnen Zeichen mit einer bestimmten Bitkombination . . ist . . in der Praxis durch soge-

nannte Kodevereinbarungen geregelt. Aufgrund einer Kodevereinbarung ist einheitlich festgelegt, daß ein und dasselbe Zeichen immer durch ein und dieselbe Bitkombination in der Maschine dargestellt wird; Stuttgarter Ztg. 22. 5. 1960 Die beiden sowjetischen Spione . . wollten hinter die Geheimnisse des amerikanischen Code-Systems und der Kryptografie kommen; 1970 Buchbespr. Willi Heinrich (Berteismann Lesering IV 3) Agentennetze, Abwehr . . Codes und Chiffres, Untergrundbewegungen und Atomspionage; Ganzhorn 1971 Wandlungen (Zukunft d. Datenverarb. l l ff.) der Maschine Aufträge in einer ihm angepaßten Sprache mitzuteilen, wobei der Maschine überlassen wird, daraus mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen Instruktionen im Maschinencode herzustellen; Möller 1971 Wahrheit o. S. Nachrichten können auf den Morsecode übertragen werden. Sowohl die Kybernetik als auch die Logistik arbeiten mit Kunstsprachen; Welt 26. 8. 1974 Durch CodeWorte in den Mittagsnachrichten des nationalen Rundfunks . . Geburtswehen, Abschlußzeugnis, Sonnenaufgang . . wurden die Reservisten alarmiert; Zeit 19. 4. 1985 Um Freund und Feind in der Luft auseinanderhalten zu können, bedient sich die Nato eines Systems, bei dem Sender am Boden ein verschlüsseltes Signal ausstrahlen, auf das die eigenen Flugzeuge automatisch mit dem richtigen Code reagieren; MM 20. 7. 1985 jugendliche Computer-Fans — „Hacker" genannt .. sollen Datenbanken angezapft haben, in das Kommunikationssystem der Telefongesellschaft . . eingedrungen sein und selbst Codes des Verteidigungsministeriums geknackt haben; ebd. 6. 8. 1985 bei Beginn der Projekts „Manhattan", wie der Codename für die Entwicklung der -Bombe hieß; Zeit 18. 10. 1985 diese Aufsätze . . sind in unterschiedlichen Zusammenhängen entstanden und ergeben vom Kapitel „Visuelle Entdeckungen in der Kunst" .. bis zu „Bild und Kode" gewiß keine fortlaufende Lektüre; MM 21.1. 1986 Ein Balkencode auf dem in Kunststoff gerahmten Plättchen veranlaßt die Anwendung des jeweils erforderlichen Meßverfahrens . . Alles andere steuert ein auf der Rückseite angebrachter Magnetcode; Zeit 28. 3. 1986 sogenannte Scanner sind in der Lage, die Seiten der Bücher Buchstabe für Buchstabe abzutasten und in Computer-Code umzusetzen; 4. 4. 1986 am Beispiel der Teenager-Kultur den Wechsel „vom moralischen zum kommerziellen Code in der Jugendfrage"; ebd. 3.10. 1986 die Programmiersprachen .. die dem Computer mit einem einzelnen, auf der

Code Tastatur getippten Wort lange Ketten aus Codezahlen zuführen; ebd. Im Gegensatz zu anderen Programmen braucht man weder eine persönliche Kennummer noch einen Geheimcode, um die . . gespeicherten Informationen abzurufen; ebd. 20. 3. 1987 Erkennungszeichen, die der Legitimation einer Person dienen. Der Code für den Geldautomaten gehört dazu, das Paßwort, das den Zugang zu einem Computernetz gewährt, die Kombination, die den Panzerschrank öffnet; ebd. 27. 3. 1987 Er achtet auf kaum wahrnehmbare Signale — auf ein Zwinkern, ein unmerkliches Zurechtrücken der Krawatte . . Das sind die verschworenen Codes, mit denen Magnaten oder ihre Agenten Millionen bieten; ebd. 19.6.1987 Ein vierstelliger Zahlencode öffnet die Schleuse zum Hochsicherheitstrakt; Stern 12. 11. 1987 Kontakt hielten die Unkenntlichen im dunklen Wald untereinander durch Zuruf verabredeter Code-Wörter: „Stachelschwein, Kuba, Schweinebucht"; Zeit 24.4. 1987 Seit einem Jahr ist „Tschernobyl" für alle Welt zur Chiffre für Ängste und zum Codewort für die vielfältigen Folgen der radioaktiven Wolke geworden; Altner 1991 Naturvergessenheit 157 spiegelt sich die Einstellung der Ehrfurcht in Ausdrücken wie: Ganzheit, Einheit zwischen Natur und Kultur .. Sinfonie eines umfassenden Codes . . Hier handelt es sich um Gleichnisbegriffe, die sich wechselseitig vertreten können; MM 3. 1.1991 Der Eingabecode ist beliebig . . nach vorheriger Absprache . . werden die Codedaten zur Verfügung gestellt . . Der Text wird nur einmal erfaßt (optimal einschließlich der Befehlscode); Spiegel 12.7. 1993 Die Russen besitzen den Koffer mit dem Einsatzcode, den der letzte Sowjetchef Gorbatschow demonstrativ dem Russenpräsidenten Boris Jelzin übergeben hatte; ebd. 4. 10. 1993 Wir, die „stummen Zombies", waren, nachdem wir Ihren persönlichen FremdwörterCode entschlüsselt hatten, durchaus in der Lage — im Gegensatz zu Ihnen —, differenziert über dieses Sujet zu diskutieren (wir bleiben in Ihrem Code, damit Sie unseren Explikationen folgen können); ebd. 6. 12. 1993 „Geheime Tagebücher" des Philosophen . . Bemerkungen, die er inmitten seiner übrigen Notizen nach einem simplen Alphabet-Code verschlüsselt hatte; Süddtsch. Ztg. 2.2. 1994 An amerikanischen Universitäten gibt es bereits strikte Verhaltenscodes für den ersten Abend im Bett; Spiegel 20.6.1994 Wer sich eingekauft hat, bekommt einen Benutzercode und ein Paßwort, das ihm an jedem Uni-Terminal über das Computernetz „Internet" den Zugang zum Zentralrechner in Iowa erlaubt; MM 19.12. 1995 Pin-Code: Offenes Geheimnis (Überschr.) Nummer für Kreditkarten im Brief unter Licht lesbar.

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codieren: Bauer 1971 Informatik o. S. Ein Verarbeitungswerk mit einem Flipflop-Akkumulator und einer Einrichtung zur Addition einer direkt binär codierten, am Eingang anstehenden ganzen Zahl; MM 20. 7. 1985 codierte Telefonnummern . . mit denen die Teenager Zugang zu einem Kommunikations-System im US-Verteidigungsministerium hatten; Zeit 23. 8. 1985 Die auf diese Weise codierten Informationen lassen sich auch speichern und weiterverarbeiten; ebd. 1. 11. 1985 Diese Szenen sind farb-kodiert: durch die Farbe des Blutes. Der Studio-Himmel ist damit ausgepinselt. . in der Phantasiewelt eines Autors; Bad. N. N. 30. 12. 1985 Dabei wurden die Töne mit Hilfe eines Digitalwandlers als Zahlensystem kodiert, über Kabel nach Frankfurt/Main und München gesendet und von dort via Satellit nach Japan überspielt (DUDEN 1993); Zeit 28. 3. 1986 Auf einer der bierdekkelgroßen Platten finden nicht weniger als 550 Millionen Zeichen Platz, sofern sie im sogenannten Byte-Modus, also als Ziffer kodiert, gespeichert werden; MM 3. 11. 1987 nicht minder faszinierend und verblüffend das Werk „Band structures" . . das eine ganze, allerdings codierte Geschichte zu erzählen scheint; ebd. 16. 11. 1987 keine namentliche Meldepflicht [für Aids-Kranke] aber eine kodierte Erfassung in einer geschützten Kartei; FAZ 8. 9. 1990 ist der Geldverkehr in der DDR - der leistungsschwachen Computer wegen — ausschließlich über Nummern abgewickelt worden, selbst der „Zahlungsgrund" mußte kodiert werden; Spiegel 29. 3. 1993 Jede Kopie, ob Geldschein oder Dokument, erhält unsichtbar eine codierte Seriennummer. So läßt sich der Weg zum Herstellergerät zurückverfolgen, die Kripo kann den Täter leichter finden; ebd. 17.5. 1993 Das computergesteuerte Parksystem .. Der Fahrer . . tippt sein Geburtsdatum in ein Computerterminal und erhält seinen codierten Parkschein; ebd. 30. 8. 1993 Nach dem Fund im Wismarer Schließfach konnten die Fahnder erstmals wieder Teile der konspirativen Kommunikationsstränge zwischen den Illegalen und ihrem Umfeld offenlegen — auch wenn nahezu alle Namen und Ortsangaben in den Briefen codiert sind. Codierer: 1987 Brockhaus IV 622 Codierer . . Coder . . elektron. Schaltung (heute meist eine integrierte Schaltung, Abk. 1C) oder ein elektron. Gerät zur . . Codierung einer Information oder Nachricht, um sie in eine für die Übertragung oder Speicherung geeignete Form zu bringen oder eine Entzifferung durch Unbefugte zu verhindern (Ggs. Decodierer) . . Codewandler oder -Umsetzer. Codierung: Wettner 1971 Unterrichtstechnologie o. S. ein Verfahren, das Codierungsproblem bei der

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Code

Anlage von diaverwendenden, verzweigenden Lehrautomaten rationeller zu lösen . . DV-Anlagen als Hilfsmittel des Lehrens und Lernens . . finden zur Zeit Verwendung im Rahmen von Forschungsund Entwicklungsprojekten; Bauer 1971 Informatik o. S. bevor wir die Subtraktion besprechen können , ist zunächst die (Binär-)Codierung negativer ganzer Zahlen zu besprechen; MM 21. 12. 1985 können nicht nur Videofilme und Standbilder, sondern auch HiFi-Audiosignale jeder beliebigen Codierung und nicht zuletzt Computerdaten in die lichtempfindlichen Platten eingeschrieben werden; Zeit 28. 2. 1986 medizinische Bewertung von Einzelfallberichten unerwünschter Arzneimittelwirkungen, Übertragung der Informationen in datengerechte Form, Anwendung und Weiterentwicklung medizinischer Codierungssysteme, Aufbereitung von Meldungen für die Weitergabe an die WHO; ebd. 14.11. 1986 Die anderen wissen sich gut aufgehoben im Ausstattungsladen der Postmoderne, wo Polyvaleur und Heterogenität herrschen und dank der „Mehrfachkodierung", Zauberwort von Charles Jencks, alles nach Bedarf verfügbar ist; ebd. 10. 4. 1987 Rot ist die Farbe, die der Sohn fetischisiert. Rote Sonnenbrillen, Tennisschuhe, Plastikkissen, Serviettenhalter, Sägen oder Köfferchen, das ist die Farbkodierung, die der Junge als Signal trägt. Über die Dinge stellt dieses seltsame Gespann einen Zusammenhang her, den die Sprache ihm nicht bietet; FAZ 8. 9. 1990 Die Außenstellen der Bundesbank, die die Kodierung der Belege übernehmen sollten, weil solche Geräte bei den östlichen Instituten unbekannt sind, kommen mit der Arbeit nicht nach. decodieren: FAZ 31.1.1983 Die triviale Evergreen-Sprache der letzten fünfzig Jahre wird von der Chanteuse Hermine ebenfalls unerbittlich dekodiert (AWB); MM 7. 6. 1991 Schüsselbesitzer brauchen bereits im nächsten Jahre Dekodier-Geräte für neue Fernsehprogramme über Satellit und voraussichtlich ein Jahr später für die alten Programme; Spiegel 8. 2. 1993 Die verschlüsselte instrumentale Energie von Günter Lenz' Ensemble, die sich in traktathaften und paritätisch aufgeteilten Sologängen decodierte; ebd. 8. 8. 1994 die Firma Megasoft aus Solingen . . schrieb direkt an die Computer-Chaoten und wettete 100 Mark, daß es nicht gelingen würde, die Probedisc Win-Crashkurs „ohne unseren Decodierschlüssel freizuschalten"; ebd. 12. 9. 1994 Damit Abo-Fernsehen nur die Verbraucher sehen können, die dafür bezahlt haben, werden die Bilder verschlüsselt und von einem Zusatzgerät am Fernseher decodiert. Decodierer: 1987 Brockhaus IV 622 Codierer . . Coder . . elektron. Schaltung (heute meist eine in-

tegrierte Schaltung, Abk. 1C) oder ein elektron. Gerät zur . . Codierung einer Information oder Nachricht, um sie in eine für die Übertragung oder Speicherung geeignete Form zu bringen oder eine Entzifferung durch Unbefugte zu verhindern (Ggs. Decodierer). Decodierung: Spiegel 12.4.1993 Kernstück der neuen Übertragungstechnik bei DirecTv ist ein Superchip . . die Entwicklung eines einzigen hochintegrierten Schaltkreises . . der die Kompression des Fernsehsignals auf der Sender- und die Rückverwandlung (Dekodierung) in ein normales Fernsehbild auf der Empfängerseite bewerkstelligen soll; ebd. Das Drama spielt sich vorwiegend auf der Ebene der semiotischen Dekodierung ab. Die gönnerhafte Hilfsbereitschaft des Professors wird zum „sexistischen Machtspiel" und sein Angebot, Nachhilfe zu erteilen, zur „Diktatur des männlichen weißen Kulturkanons"; ebd. 14. 6. 1993 Vor den Augen einer Expertenkommission wurde sodann eine Liste mit Zahlenkolonnen besichtigt — Schlüssel für die Dekodierung von 72 Blutproben. Decoder: N. Z. Z. 31.8.1968 Es ist wichtig, zu wissen, daß ohne solche Decoder Stereoausstrahlungen wohl empfangen werden können (AWB); 1971 Elektronik XII 409 An den Speicherausgang sind 36 Zeichendecoder angeschlossen. Sie entschlüsseln die anliegenden 7-bit-Daten gemäß dem ASCII-Code. Die Ausgänge der Decoder bereiten die zugehörigen Zeichenencoder vor (DUDEN 1993); Flensb. Tagebl. 30. 4. 1977 Autobesitzer . . sollten unbedingt darauf achten, daß in dem Gerät . . ein sogenannter Verkehrsfunk-Decoder eingebaut ist (AWB); MM 9. 5. 19X5 Die neuen Geräte haben den Videotext-Decoder ohnehin integriert, aber man kann ihn auch als Vorsatzgerät erwerben; ebd. 15. 8. 1989 Zum Empfang sind nicht nur ein übliches Fernsehgerät nebst Antenne erforderlich, sondern auch ein Dekoder, weil die Sendungen technisch verschlüsselt ausgestrahlt werden; Spiegel 28. 2. 1994 Um die Vorteile nutzen zu können, benötigt der Fernseher einen speziellen Palplus-Decoder . . Nach den Plänen der Industrie werden frühestens im Herbst Nachrüst-Decoder angeboten. Encoder: 1971 Speicherausgang schlossen . . Die die zugehörigen 1993).

Elektronik XII 409 An den sind 36 Zeichendecoder angeAusgänge der Decoder bereiten Zeichenencoder vor (DUDEN

Code b: 1967 Bild d. Wiss. Ill 172 Die Zelle „übersetzt" den genetischen Code in einer Richtung:

Code nämlich von den Nukleotid-Triplets der chromosomalen DNS; Welt 17.10. 1969 jene epochale Enträtselung des genetischen Code, die erst die Weiterentwicklung der Genetik zu einer fest fundierten modernen Naturwissenschaft möglich machte; Walter 1970 Grundriß (Moderne Biologie o. S.) Beim Menschen sind nur 20 [Aminosäuren] bekannt, so daß . . mehrere Dreiergruppen gleiche Aminosäuren determinieren können (degenerierter Code) . . Wie wir weiter wissen, kann der genetische Code nur in einer Richtung und von bestimmten Standpunkten aus „gelesen" werden; Zeit 4. 10. 1985 Wir kennen die molekularen Bausteine der Gene und der Eiweißstoffe und deren „Sprachen" samt Code zur Übersetzung; ebd. 9. 5. 1986 Die detaillierte Kenntnis vom Aufbau eines Gens erlaubt.. die Struktur der .. Pigmente — genau zu bestimmen (die „genetische Sprache" wird nach den Regeln des genetischen Codes in die „Eiweißsprache" übersetzt); MM 9. 10. 1986 In der Folge zeigte sich, daß jeweils drei der vier Nucleotide zusammen das Code"wort" für eine Information bildeten. Die Fachwelt, die lange an eine hoch komplizierte Informationsverschlüsselung des Lebens geglaubt hatte, war verblüfft; ebd. 17. 10. 1986 Für einen solchen Fingerabdruck wird die DNA mittels Enzymen geschnitten . . Ein biologischer Code, aus dem die Genetiker die genaue Abfolge der vier DNA-"Buchstaben" (Nucleotide) entschlüsseln; Spiegel 22. 3. 1993 Eine einzige Änderung im Erbcode hatte bei diesen Fliegenzombies offenbar ausgereicht, um völlig falsche Entwicklungsprogramme zu aktivieren; ebd. 9. 5. 1994 freie Radikale . . verändern den Zellcode, das heißt unser Erbgut, und damit steigt auch das Krebsrisiko deutlich an; MM 11.11. 1995 Spätestens seit Steven Spielbergs „Jurassic Park" ist es ein beliebtes Filmmotiv, daß Wissenschaftler aus einem fremden Gen-Code ein Lebewesen züchten. codieren: Apel 1970 Synthese o. S. Im Proteinmuster der Transplantate sind nach 6 Wochen alle ursprünglichen, artspezifischen Proteine durch solche ersetzt worden, die vom eingepflanzten Kern kodiert werden; Zeit 29. 3. 1985 Klonierung und Sequenzierung der CDNAs und Gene von kernkodierten, impotierten mitochondrialen Proteinen; MM 28.11. 1985 eine codierte Sprache .. in der die Produktionsanweisungen für die verschiedenen Zellprodukte verschlüsselt sind, Anweisungen für den Zusammenbau von Enzymen, Hormonen, Proteinen vielfältiger Art. Jeweils kürzere oder längere Teilstücke der DNA bilden die chemischen Codeworte für einen solchen Stoff; ebd. 7.11. 1986 Die Zelle ist noch ein Buch mit sieben Siegeln (Überschr.) Immerhin ist die für ein Lebewesen wichtige Information im Erbgut gespeichert. Die

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Verschlüsselung der Erbinformation ist zudem universell; ob Einzeller oder Einstein, alle codieren den Bauplan des Lebens mit den gleichen vier „Buchstaben" (Nucleotide); Zeit 23. 1. 1987 ist die Resistenz gegen Unkrautvertilger in einer Pflanze genetisch meist wesentlich einfacher kodiert als die Widerstandsfähigkeit gegen natürliche Schadfaktoren. Codierung: Apel 1970 Synthese o. S. Indirekte Hinweise auf eine solche Kodierung einzelner Membranproteine durch das Erbmaterial der Chloroplasten lieferten Versuche mit Chloramphenicol und Cycloheximid. Code c: Engel 1970 Forschungsber. d. IDS V 16 der Mitteilungsinhalt.. durchläuft im Erzeugungsprozeß eine Reihe von Codes, meist sukzessive, so daß die Ausgabe eines Codes zugleich die Eingabe in den unmittelbar rechtsfolgenden Code bildet; Harnisch 1970 Sprache XX o. S. Stets . . handelt es sich beim restringierten Code um den Gemeinbesitz einer bestimmten Sprachgemeinschaft; Knobloch 1971 Sprachwiss. Wb, o. S. Malmberg . . sieht in der Anordnung sprachlicher Einheiten des Inhalts und Ausdrucks, die im Gehirn von Sprecher und Hörer gespeichert sind, einen Code. Er definiert Sprache als eine Klasse von Codes, die auf verschiedenen Ebenen menschlicher Kommunikation im Verkehr angewendet werden; 1971 Spiegel Nr. 20 viele Symbole [der Mayas] für Götter, Herrscher und Orte, Tiere, Farben und Himmelsrichtungen, Tage und Monate sind übersetzt worden. Aber die meisten Hieroglyphen wie der Code des Schriftsystems sind noch nicht entziffert; Möller 1971 Wahrheit o. S. Die Umsetzung jeder Umgangssprache in einen Code . . ist zweifellos einerseits menschliche Leistung, andererseits ein Umgang mit der Sprache, die nicht in jeder Hinsicht modelliert und verändert werden kann; Althaus/ Henne/Wiegand 1980 Lex. d. germ. Linguistik 269 Eine weiter verbreitete Auffassung ist die, daß zwar der nonverbalen Kommunikation ein Kode zugrundeliegt, dieser jedoch im Gegensatz zum sprachlichen Kode nicht durch konventionelle Setzung zustandegekommen . . ist; ebd. 369 Der Kodebegriff . . stellt den Versuch dar, auf das den schichtenspezifischen Sprechweisen zugrundeliegende „regulative Prinzip" zurückzugehen . . Regelsysteme, die die Art des kognitiven Verhaltens steueren und integrieren; Frankf. Rundsch. 17. 12. 1990 die völlige Befreiung von dem bis dahin [in der ehemaligen DDR] oktroyierten Sprachund Argumentationscode erfolgen. codieren: Engel 1970 Forschungsber. d. IDS V 2 die Erstellung codierter Paralleltexte zu ausgewählten

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Collage

Texten der deutschen Gegenwartssprache; ebd. V 167 ob ein Textelement, je nachdem ob es an Anfang, Mitte oder Ende des Satzes steht, mit diesem Code-Element korrekt codiert wird. Codierer: Engel 1970 Forschungsber. d. IDS V 162 Der vorliegende Code soll Corpusanalyse leisten in Hinsicht auf die Bestätigung einer vorgegebenen Theorie zur Wortstellung im deutschen Satz. Das bereitgestellte Corpus stellt somit für den Codierer das Anwendungsgebiet für die Codierung dar. Codierung: Engel 1970 Forschungsber. d. IDS V 2 mitverantwortlich für die korrekte Codierung der für die Wortstellung relevanten Merkmale; ebd. V 150 im folgenden sollen das Codierungsverfahren und die Ablochkonventionen kurz dargelegt werden; außerdem sind einige Ergänzungen und Erläuterungen zum Code nachzutragen. Wir unterscheiden drei Codierungsebenen . . Die eigentliche Codierungseinheit ist der einfache Satz; ebd. V 162 das bereitgestellte Corpus stellt somit für den Codierer das Anwendungsgebiet für die Codierung dar; Knobloch 1971 Sprachiviss. Wb. o. S. Die Blindenschrift oder das Morsealphabet sind ihrerseits Codierungen der Schrift, keine eigenständigen

Transkriptionen, wie es phonetische Alphabete oder Kurzschriftsysteme sein können. Die Signale des Alphabets sind die Grapheme; ebd. in Wirklichkeit ist jedoch die Transponierbarkeit sprachlicher Sinngestalten durch die Übersetzung ein qualitativ anderer Vorgang als die Codierung, bei der lediglich eine Umformung vorgenommen wird; Althaus/Henne/Wiegand 1980 Lex. d. germ. Linguistik 269 eine digitale Kodierung, bei der die Bedeutungszuordnungen kategorial und diskret sind, von einer analogen Kodierung, die in grundsätzlicher Ähnlichkeitsbeziehung zum ausgedrückten Sachverhalt steht. decodieren: Althaus/Henne/Wiegand 1980 Lex. d. germ. Linguistik 41 Das zentrale Anliegen der Informationstheorie besteht darin, eine möglichst effizient kodierte Menge von Informationseinheiten .. zu übermitteln, daß der Empfänger die Information möglichst unverzerrt dekodieren kann. Decodierung: Gülich 1977 Textmodelle 28 die Enkodierung sowie die Dekodierung des Texts. Encodierung: Gülich 1977 Textmodelle 28 die Enkodierung sowie die Dekodierung des Texts. IN

Collage F. (-; -n), wohl im früheren 20. Jh. (PFEIFER) entlehnt aus gleichbed. frz. collage M., eigentlich 'das Leimen, Aufkleben' (zu coller 'leimen, kleben', zu colle 'Leim' < gleichbed. vulgärlat. *colla < gleichbed. griech. ). Zunächst in bildender Kunst und Kunstkritik auf die um 1910 von Picasso und Braque geschaffenen, von diesen zuerst als papiers colles 'zusammengeklebte Papiere' bezeichneten Kunstwerke bezogen in der Bed. 'Bild(-komposition) aus aufgeklebten Elementen aus bedrucktem Papier, Stoff, Holz usw., Klebebild', auch für die Technik selbst (s. Belege 1961, 1964, 1965, 1967, 1985); seit den 60er Jahren auch für aus unterschiedlichen Versatzstücken (anderer Künstler, Stile und Zeiten) zusammengestellte literarische (s. Belege 1969, 1984, 1987, 1993), filmische (s. Belege 1969, 1986), musikalische (s. Belege 1977, 1985) und choreographische (s. Beleg 1987) Kunstwerke; als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Musik-, Architektur-, Geräusch-, Text-, Wortcollage; Collagetechnik, -material, -element, -kunst. Seit den 80er Jahren verallgemeinert für 'Zusammenfügung zu einem Ganzen, Gruppierung zu einer Gesamtheit, Ensemble' (s. Belege 1987, 1988, 1993, 1994); dazu in neuerer Zeit die Verbableitung collagieren V. (in)trans. 'zu einer Collage zusammenfügen, aus verschiedenen Materialien bzw. Elementen zusammensetzen', auch adj. im Part. Perf. collagiert verwendet. Collage: Stuttgarter Ztg. 11.9.1961 Gemälde, Collagen und Skulpturen; Süddtsch. Ztg. 14. 10. 1964 Seine Klebemalereien, Collagen und Montagen befreien sich allmählich aus der Vorstellung, so etwas wie ein Stück verbröckelnde Mauer sein

zu müssen; 1965 Aspekte 111 eine Erfindung des Kubismus — die „Collage"; Fischer 1966 Kunst 91 die Collage wird zur Decollage; Stuttgarter Ztg. 7. 11. 1967 Mit Serigraphien, Collagen und Reliefkompositionen dokumentiert .. Ruoff sein in den

Comeback letzten zehn Jahren immer stärker entwickeltes Talent zur kompositioneilen Konzentration; ebd. 21.4.1969 Filmcollage; Welt 12.11.1969 Diese Arbeit, szenische Collage von zumeist irdischer, bisweilen auch himmlischer Liebe, hatte jetzt Premiere im Theatre Antoine; Sonntag 1977 Untersuchungen zur Collage-Technik in der Musik des 20. Jahrhunderts (Titel); Wescher 1980 Die Geschichte der Collage (Titel); Hage 1984 Collage in der deutschen Literatur (Titel); Zeit 22. 2. 1985 da erklang, nach all den Vielton-Schreien und Strawinsky-Rhythmen in äußerst ruhigem Zeitmaß das „Dona nobis pacem" aus Bachs h-moll-Messe. Aber die versöhnliche Collage war trügerisch; MM 15. 3. 1985 die Collage, ebenso vielfältig wie unübersichtlich, manchmal auch ohne alles Gespür für bildnerische Proportionen auf die Blätter gruppiert; ebd. 14.6. 1985 [Getanzt wird zu] einer Musikcollage von Offenbach, Mozart, Edith Piaf und anderen. Das Wort Collage ist aber beschönigend, denn was im schrillen Sound aus den Lautsprechern tönte, war ein Potpourri, das die Ohren schwer beanspruchte; ebd. 17./19. 5. 1986 Rühmkorf ist . . einer, der sein Vokabular immer weiter zu vermehren weiß durch selbst erfundene WortCollagen und Neuzusammensetzungen — „wunderbunt" ist eine seiner schönsten Erfindungen; Köln. Stadtanz. 25. 6. 1986 Das Frankfurter Messegelände gerät immer mehr zu einer aufregenden Architektur-Collage; Zeit 31. 10. 1986 Alexander Kluges Film-Collage „Vermischte Nachrichten"; MM 13. 2. 1987 Unsere Wohnungen gleichen einer Kultur-Collage; wir leben von Reiseerinnerungen und -mitbringsein; ebd. 21.3. 1987 ein geradezu anarchischer Witz protestiert in diesen SchriftBild-Collagen gegen die Macht des Vorgeformten; ebd. 25. 3. 1987 Pina Bausch bleibt bei der Form der Collage; Zeit 19. 6. 1987 Er steckte das Feld ab .. Das Prinzip der Collage hat hauptsächlich er, parallel zu den Dadaisten, von der bildenden Kunst auf die Literatur übertragen; 1987 Brockhaus IV 631 Dadaisten und Surrealisten . . entwickelten die Photo-Collage; MM 12.3.1988 Aus der Sicht Bohrmanns scheint das Leben eine Collage, eine

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Abfolge Ungewisser Assoziationen; ebd. 30. 10. 1990 Da die Collage mit ihrem kritisch-subversiven Potential einem geschlossenen Menschenbild entgegensteht, fand sie in der offiziellen DDRKunst keinen Eingang; Spiegel 15. 2. 1993 Das Berliner Ensemble wird seinen schweren Gang weitergehen: mit einer nächsten Schleef-Collage, mit Horvaths Reichswehr-Stück „Sladek"; ebd. 15. 3. 1993 Über blauen Teppichböden .. passiert der Besucher etwa eine „Flüstergalerie" — eine akustische Collage aus getuschelten Gehässigkeiten, rassistischen Beschimpfungen, spießigen Vorurteilen; ebd. 23. 5. 1994 Der Weltstar des Sports, so suggerieren die PR-Berater, sollte Leistung, Liebesgeschichten, politische Überzeugungen und Wohltätigkeit zu einer göttergleichen Collage mixen; ebd. 1.8.1994 Womöglich gleicht das Gedächtnis vielfach einer Collage, zusammengesetzt aus Fetzen von Wirklichkeit und bereichert um Wünsche und Ängste. collagieren: Welt 28. 8. 1969 Handlungsabläufe zu fixieren und sie dramaturgisch zu collagieren; MM i5. 10. 1969 versuchte er, mehrere dieser Stilmittel und Methoden zu collagieren (DUDEN 1993); FAZ 16. 4. 1970 Das ist zwar verschieden rhythmisiert und collagiert, aber alles, auch die letzten Bilder, haben in der Intention keinen anderen Zweck, als „Report" zu sein; MM 24. 10. 1985 Was ihr mißfällt, überklebt, collagiert sie; Zeit 7.11. 1986 eine Ich-Erzählung, in der Gelesenes, Gelebtes und Geträumtes, geschickt collagiert, eine farbige Fülle von Erzähleinheiten bildet; ebd. 29. 10. 1993 Man kann sie nicht mehr lesen .., weil die Schriften kompliziert collagiert waren; Süddtsch. Ztg. 6. 12. 1993 Aus verstreuten Texten Charms hat Maria Knilli ein groteskes Spektakel collagiert. collagiert: Welt 23. 9. 1969 Er nudelt den Schein durch eine collagierte Ladenkasse; Zeit 14. 2. 1986 das collagierte Leben des „outcast"; MM 30. 10. 1990 gezeigt werden . . collagierte Objekte; Süddtsch. Ztg. 3. 2. 1993 Hubert Fichtes aus Tagebüchern und Funkfeatures collagiertes Buch. HK

Comeback N. (-(s); selten -s), in den 30er Jahren des 20. Jhs. übernommen aus dem gleichbed. engl.-amerikan. Slangausdruck come-back, auch comeback, come back (zu come back 'zurückkommen, wiederkehren'), zu Beginn und bis in die 60er Jahre auch in der Schreibung Come-back und häufig (als fremd empfunden) wohl in Anlehnung an die Schreibung des engl. Verbs in Getrenntschreibung Come back, come back, gelegentlich durch Anführungszeichen zitierend verwendet. Anfangs bes. auf Sportler bezogen in der Bed. 'das (unerwartete) Wiederanknüpfen an sportliche Leistungen und Erfolge nach einer Karrierepause', von daher seit den 50er Jahren schlagwortartig auf Künstler, Politiker u. a. Prominente des öffentlichen

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Comeback

Lebens ausgedehnt für 'Neubeginn einer Karriere durch erfolgreiches Wiederauftreten einer (ehemals) berühmten, populären, beliebten Persönlichkeit, eines Stars in der Öffentlichkeit, auf der Bühne, vor dem Publikum nach längerer Phase der Zurückgezogenheit oder des Vergessens; Wiedererlangung der früheren/einstigen gesellschaftlichen oder beruflichen Position und Popularität', seltener auf Sachen übertragen für 'Wiederentdeckung, -einführung, Wiederkehr (einer Modeerscheinung); das Wieder-in-Mode-Kommen von etwas' (s. Belege 1949, 1951, 1957, 1960, 1964, 1969, 1970, 1971, 1985, 1986), häufig in Wendungen wie sein/ein Comeback starten, geben, erleben, feiern, versuchen, vorbereiten; ein gelungenes, geglücktes, erfolgreiches, glanzvolles, glänzendes, triumphales, vielversprechendes, spätes Comeback, ein politisches/künstlerisches/sportliches/modisches Comeback, selten als Grundwort in Zss. wie Bühnen-, Theater-, Nachkriegs-, Entertainer-, Elvis-, ARD-Comeback. Berl. lllustr. Nachtausg. 6. 5.1932 Ernst Grimm feiert sein „come back" (Überschr.) Den Hauptkampf der heutigen Boxveranstaltung . . bestreitet der . . Schwergewichtler Horst Hinzmann, der lange nicht mehr in einem Berliner Ring gestanden hat; Lokal-Anz. 5. 3. 1933 Es scheint, daß der alte Rugbypionier . . wieder ein „come back" feiern wird; Neue Freie Presse (Wien) 13. 5. 1936 Auf der anderen Seite der Tabelle hatte sich Malecek emporgearbeitet und unter anderm seinen Landsmann Benda erledigt, der vorher den schon längere Zeit auf ein „come back" wartenlassenden Dr. Kinzel eliminiert hatte; M.-A. Abendztg. 6. 1. 1945 Montgomery's neues Kommando über die 1. und 9. nordamerikanische Armee . . In England ist man gewiß sehr befriedigt über dieses Come back; Spiegel 1. 3. 1947 Ein glanzvolles come-back vollzieht sich. Pola Negri spielt (AWB); Norden 1947 Lehren dtsch. Gesch. 64 Während diese Herrn sich 1919 auf die Verhütung des „Schlimmsten" beschränken mußten . . bereiteten sie gleichzeitig ein politisches Come back vor; N2. (Basel) 7. 3. 1949 dass das britische Pfund ein come back auf dem Weltmarkt erleben werde; ebd. 9. 1. 1950 „Come-back" der Deutsch-Nationalen (Überschr.) die alt-neue Partei, die in der Zeit der Weimarer Republik . . vor allem von der Industrie finanziert wurde; Süddtsch. Ztg. 9. 12. 1950 Im Stuttgarter Staatstheater feierte die Schauspielerin Eise Heims . . ein triumphales „come back". In der Emigration war die Künstlerin nicht aufgetreten; ebd. 2.5.1951 Das Come-back der großen deutschen Maschinen ist die Sensation der Technischen Messe 1951 in Hannover; Neue Ztg. 9. 9. 1953 Die Rückkehr der verlorenen Tochter . . ihr Edelmut steht dem bourgeoisen Come back im Wege, sie verzichtet auf den gutsituierten Familienvater; Süddtsch. Ztg. 21.3. 1955 Bei den internationalen amerikanischen Skirennen . . feierte die zweifache Olympiasiegrein . . mit zwei eindrucksvollen Siegen ihr come back.

Die . . Amerikanerin hatte nach den Olympischen Spielen 1952 keine großen Skirennen mehr gefahren; Constanze 4. 6. 1957 Come back der Seidenstoffe (Überschr.) Die Pariser Modeschöpfer haben die Schönheit der Seidenstoffe neu entdeckt; Münch. Abendztg. 14.5.1958 Der Berufsboxer Max Resch . . bat seinen Manager . . ihm ein Come-back im Juli gegen Alex Buxton zu vermitteln, der ihm eine K.o.-Niederlage beibrachte; Stuttgarter Ztg. 3.4. 1958 Regie führt der aus Amerika zurückgekehrte Frank Wisbar, der mit „Haie und kleine Fische" ein vielversprechendes Come back in der Bundesrepublik gab; Süddtsch. Ztg. 27.2.1959 Die Schweizer Olympiasiegerin von 1956 . . feierte nach einer längeren Wettkampfpause wieder ein Comeback; Offenburger Tagebl. 28.5. 1960 Marlene Dietrich feierte .. ihr come back nach Jahrzehnten grollender Abwesenheit; ebd. 15. 10. 1960 daß der totgesagte Herrenhut seit hundert Jahren regelmäßig Come-back feiert; ebd. 20. 7. 1961 Sie bejubelten das „Come back" des deutschen Europameisters . . der im 200m-Lauf die Amerikaner . . besiegte; ebd. 4. 8. 1964 Das Comeback des Fahrrades hat mehrere Gründe. Einmal sind inzwischen die geburtenstarken Jahrgänge ins Fahrradalter gekommen; Stuttgarter Ztg. 30. 3. 1965 Günther Eggerts Stuttgarter Comeback (Überschr.); ebd. 19. 4. 1969 Comeback des Versands (Überschr.) Mit Preissteigerungen muß gerechnet werden .. Erstmals seit Jahren hat sich das Blatt wieder zugunsten des Versands gewandt; ebd. 29. 12. 1969 Man kann nur hoffen, daß es nicht bei diesem einen Theater-Comeback der profilierten Künstlerin [Audrey Hepburn] bleibt; FAZ 2. 7. 1970 während der . . Geschäftsführer des deutschen IOS-Fonds „Investorfonds" auf ein Comeback der IOS setzt; Offenburger Tagebl. 25. 9. 1971 Blümchenmuster .. feiern .. ein Comeback; Welt 28. 1.1974 die von ihm und dem Österreicher Niki Lauda gesteuerten Ferraris haben in

Comic dieser Weltmeisterschaftssaison bereits ein furioses Comeback gefeiert; Zeit 7. 6. 1985 das Comeback des Klaviers . . ist ein Trend im stillen — ein Möbel wird entstaubt; ebd. 13. 9. 1985 im Kampf gegen die tödlichen Folgen der Infektion mit dem AidsVirus erlebt nun eine Substanz ein Comeback, die einst zu früh zu hoch gelobt worden war — Interferon; ebd. 31.1. 1986 Wird dem aufsässigen Chirurgen [Hackethal] eine neue Krebstherapie das publizistische Comeback bringen?; ebd. 31, 10. 1986 mit der neuen Tendenz, deutsche Geschichte . . ins marxistische Weltbild zu integrieren, ist in der DDR auch der Expressionismus wieder aus der Versenkung aufgetaucht.. Friedrich der Große erlebte . . sein spektakuläres Comeback, auch die Künstler des 20. Jahrhunderts . . werden einer nach dem anderen wieder ans Tageslicht gebracht; MM 22.6.1991 Bei den rheinland-pfälzischen Meisterschaften im Voltigieren feierte Silke Guter-

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muth . . nach zweijähriger Abstinenz ein überzeugendes Comeback; Spiegel 17. 10.1994 Zu seiner Rückkehr auf die Konzertbühne, zum EntertainerComeback, das ihn im November auch nach Deutschland führt; ebd. 12. 12. 1994 An diesem Abend 1968 gab es wenig Leute, die glaubten, daß das geplante Elvis-Comeback etwas anderes sein könnte als eine Katastrophe; MM 26. 5. 7995 Kleines Comeback (Überschr.) Nach zwei Jahren im politischen Abseits kann der Informatik-Professor und Unternehmer Günther Krause . . nun wieder in der Landespolitik mitmischen; ebd. 16. 7. 1995 Nach einem Unfall mußte der Artist Mike Ribble seine Karriere aufgeben. Nun versucht er ein Comeback; ebd. 26. 10. 1995 Nur gut ein Jahr währte das Schweigen des ehemaligen Wirtschaftsministers nach seinem Rücktritt .. In diesem Frühjahr startete er ein überraschendes Comeback und IN machte wieder von sich reden.

Comic M. (-s; meist -s), seit Beginn der 50er Jahre nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. engl.-amerikan. comics (gekürzt aus der seit den 20er Jahren eingeführten Bezeichnung comic strips 'fortgesetzte Folge kleiner Zeichnungen in einer Zeitung, die eine komische Geschichte erzählen; Bilder-, Karikaturstreifen', aus comic 'Heiterkeit erregend, komisch, drollig', —» komisch, und strip 'schmaler langer Streifen', also eigentlich 'die Komischen, Drolligen; Komisches, Drolliges', vgl. älteres gleichbed. funnies); die im späten 19. Jh. in den USA aufgekommene Form der Bildgeschichte findet sich (beeinflußt von der europäischen politisch-satirischen Karikatur des 18.719. Jhs. sowie anknüpfend an die in Deutschland erschienenen „Bilderbögen") zuerst in „Yellow Kid" von R. F. Outcault (1893), bald danach in den noch heute in der Sonntagsausgabe des „New York Herald" erscheinenden (durch „Max und Moritz" von W. Busch inspirierten) Fortsetzungsgeschichten „The Katzenjammer Kids" von R. Dirks (1897). Erst mit der Adaption des „american way of life" nach dem 2. Weltkrieg fanden die Lizenzproduktionen und damit die Bezeichnung massenhafte Verbreitung, obwohl „deutsche" Comics (der Sache nach also noch vor dem Namen) vereinzelt schon in den 30er Jahren auftauchten („Vater und Sohn" von O. E. Flauen, „Lurchis Abenteuer") und sogar die Nationalsozialisten die Zugkraft der Bild-Wort-Information für ihre Jugendpropaganda nutzten. Zunächst (und bis heute oft) auf amerikan. Verhältnisse bezogen in der Bed. 'in Streifen angeordnete Folge von Bildern mit integriertem Text, Bildstreifen; Bild- und Textserie (in Fortsetzungen)' (—» Cartoon, —» Karikatur; —> Satire), als Bezeichnung für eine volkstümliche, oft mit (amerikanischer) Unkultur identifizierte und als Schundliteratur zum Teil erbittert bekämpfte Gattung von seriell als Zeitungsbeilagen oder eigens herausgebrachten Bildgeschichten, die (im Unterschied zu den Bildunterschriften der Vorbilder) wörtliche Rede oder lautmalerische Sequenzen in Form von Sprechblasen in das Bild einfügen, stark durch die Montage-/Bildfolgemöglichkeiten des Films beeinflußt sind und daher oft auch filmisch umgesetzt werden (vgl. Zeichentrickfilm); häufig plur. verwendet, bes. als Bezeichnung für die solche Bildstreifen-Geschichten enthaltenden (Groschen-)Hefte oder Bücher (s. Belege 1959,

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Comic

1965, 1977, 1985, 1986, 1988, 1989); von Anfang an negativ konnotiert mit „trivial, billig, primitiv; kultur-, geschmacklos, volksverdummend" (s. Belege 1955, 1959, 1963, 1965, 1970, 1979, 1985), im Gefolge der mit dem 2. Weltkrieg (Soldatenlektüre) einhergegangenen Verlagerung der Inhalte vom (auf ein Familienpublikum orientierten) Witzig-Komischen oder Anrührendem (vgl. Soft comics] auf Abenteuer-, Erotik-, Horror- und Science-Fiction-Themen (vgl. Adventure-Strips) verstärkt pejorativ mit „unsauber, schmutzig; sexistisch, verrohend, vulgär, brutal, jugendgefährdend" (s. Belege 1957, 1971, 1986, 1996); seit den 70er Jahren des 20. Jhs. zunehmend pädagogisch aufgewertet, zum Teil zur Kunstform (vgl. Pop-Art) erhoben, als vitales Kommunikationsmedium in der Waren- und politischen Werbung verarbeitet, erleben Comics heute einen erneuten Aufschwung; in Wendungen wie Comics lesen, betrachten, in Comics, in einem Comic blättern, häufig als Grundwort (zum Teil konkurrierend mit -heft(e), -beftchen)) in Zss. wie Disney-, Asterix-, Micky-Maus-, Kriegs-, Sach-, Superman-, Kinder-, Jugend-, Horror-, Grusel-, Porno-, Sexcomic(s), und als Bestimmungswort (zum Teil konkurrierend mit Zeichentrick-) in Zss. wie Comicfigur, -serie, -heft, -Streifen, -spräche, -album, -band, -Erzählung, -autor, -Zeichner, -fan, -flut, -Welle, vereinzelt als erster Bestandteil in neoklassischen Kombinationen wie Comicothek F. (-; -en), (aus Comic, dem Fugenvokal -o- und -thek Ort zur Aufbewahrung ausleihbarer oder käuflicher Warenartikel'), in der Bed. 'Ausleih- oder Verkaufsstelle für Comichefte oder -filme'; dazu vereinzelt die adj. Ableitung comichaft. Daneben die gleichzeitig aus dem Engl.-Amerikan. übernommenen Bezeichnungen Comic-Book M. (-s; -s) und bes. meist plur. verwendetes Comic-Strip M. (-(s); -s), auch kurz Strip, in unterschiedlichen Schreibungen wie Comic-strip, Comic Strip, als Bestimmungswort in Zss. wie Comic-Strip-Held, -Verfasser, -Handlung, ComicStrips-Manier, Cornic-Stripfigur, Comicstripblase; dazu vereinzelt die adj. Ableitung comicstriphaft. Comic: I950 Neue Rundsch. 282 Die [amerikan.] Bildstreifen-Comics, funnies — sind die Biblia pauperum der amerikanischen Zivilisation, vor ihrer Reform; De Man 1951 Vermassung 109 [amerikan.] comics (die komischen Bilder); Maass 1955 Geheimwiss. 161 kulturschänderischen . . Comic Strips; Süddtsch. Ztg. 16.8.1955 Künftig werde der Zeitungshändler dafür verantwortlich gemacht, daß jugendgefährdende Comic-Bilderserien nicht an Jugendliche verkauft werden; 3955 Neue Ordnung 172 Erst kürzlich legte der Innenminister im Parlament [in England] einen Entwurf vor, nach dem kraft Gesetzes Herstellung, Vertrieb und Verkauf von Komics, den bunt eingeschlagenen periodisch erscheinenden Bildstreifen-Groschenheften . . geahndet werden sollen (AWB); Glietenberg 1956 Die Comics. Wesen und Wirkung (Titel); Zeit 11.4. 1957 Sind die Gangsterfilme und die Serien der „schwarzen Romane" und die Bildstreifen der Comics an der Verrohung der Jugend mitschuldig? (AWB); Middendorf 1959 Soziologie 238 die Bildstreifenhefte, die Comics, sind bezeichnet worden als „Esperanto der Analphabeten"; Spiegel 30.10.

1963 Dialoge, die er dem maulfaulen Primitividiom der amerikanischen Comics entlehnte (AWB); Bad. Ztg. 2. 12. 1965 Machen Comics Kinder zu Kriminellen? (Überschr.) Strahlende Helden, finstere Untermenschen, allerlei Mord und viel Rassenhetze. Um die „Comics" ist es in den letzten Jahren still geworden . . Haben sich jene Pädagogen, die so leidenschaftlich vor dem brutalen Inhalt, der primitiven Sprache und der hektischen Handlungsführung dieser Kombination aus Bilderreihe, Erzähltext und Dialog warnten, resignierend auf den Standpunkt des „Mit den Comics leben" zurückgezogen? Von der „Pest" und dem „Giftstrom" der Comic-Books war vor zehn Jahren die Rede, als die Auseinandersetzung ihren Höhepunkt erreicht hatte, von der „Verdummung durch Comics", vom „Bildidiotismus", vom „Esperanto der Analphabeten"; Spiegel 29. 4.1968 Die Comics und ihre knallige Lautmalerei gehören zum amerikanischen Alltag wie Kaugummi, Coca-Cola und Pop Corn (AWB); FAZ 7. 3.1970 Die Comics werden stubenreiner. Noch gestern waren sich Pädagogen, Kunsterzieher, Kritiker und andere Ge-

Comic schmacksberater des gebildeten Publikums einig in ihrem Urteil über Comic-Heftchen; die künstlerisch-ästhetische Bedeutungslosigkeit dieser Massendrucksachen stand felsenfest, ja man warnte vor solcherlei „billigem Schund". Doch schon heute scheint sich das volkstümliche Bilder-Blatt entschieden gewendet zu haben; Eibl-Eibesfeld 1971 Liebe o. S. Eine Untersuchung amerikanischer Kriegs-Comics ergab, daß selbst die Todesund Entsetzensschreie der Amerikaner anders dargestellt wurden als jene der Gegner; Stern 19. 6. 1975 Sogar in Comic-Streifen macht der seit 57 Jahren tote Rote Baron noch Geschichte; Spiegel 4. 4. 1977 Schätzungsweise 200 Millionen Comics werden jährlich in der Bundesrepublik abgesetzt; ebd. 8. 1. 1979 Ursprünglich war der Comic, neben Jazz und Hollywood der wichtigste Beitrag der USA zu einer neuen Trivial-Kultur, lustigen Episoden und Streichen vorbehalten gewesen (alle drei AWB); Zeit 7. 6. 1985 ein Drama aus dem Zeitalter der Comics und Klosprüche . . ein verstümmeltes Amerikanisch-Deutsch, lapidar wie die Comics, maschinenhaft wie vom Computer erfunden; ebd. 4. 10. 1985 in der Hierarchie der Zeichnungen, Comics und Cartoons . . Ideal als Running Gag einer Comic-Serie; ebd. 6. 6. 1986 Den politischen Diskurs [in Bayern] kann man im Moment mühelos einem Lexikon lautimitierender Wörter der Comicsprache entnehmen. Platsch! machen die Wasserwerfer in Wackersdorf, bum! die Molotowcocktails der Demonstranten; ebd. Ausstellung „Die Welt der Bilderfrauen" beim Internationalen Comic-Salon Erlangen . . Tausende von Bildergeschichten zwischen Sex und Crime; MM 5. 9. 1986 Comics erfüllen Sehnsüchte (Überschr.) gut sein wie Supermann, reich wie Dagobert Duck und stark wie Obelix . . auch die Horror- und Gruselcomics hält Fritzsche-Chessex nicht für schädlich; Zeit ebd. 5. 9. 1986 der phantastischen Heftchen, die wir zwischen . . Türmen von abgegriffenen Taschenbüchern und Micky-Maus-Comics hervorzogen; Stern 27. 5. 1987 der Maler und Plastiker Kenny Scharf, der Motive aus der Bilderwelt der Comics künstlerisch veredelt hat; MM 27. 8. 1987 Die quasi offizielle Geburtsstunde des Helden schlug . . 1938, als die ersten Superman-ComicHefte erschienen .. das Urbild des Comic-Übermenschen wahrte seine Popularität über alle Wechsel des Zeitgeschmacks hinweg; ebd. 9. 1. 1988 Wer das traditionelle Programmheft gründlich studiert, wird mehr von der Aufführung haben, als wenn er durch den Comic blättert; ebd. 17. 3. 1988 Nach 1957 tauchen die ersten Comicfiguren auf — mit denen er [Roy Lichtenstein] ursprünglich nur seinen Kindern eine Freude machen wollte; ebd. 26. 5. 1988 befürchtete Gefahren - wie einst auf . . Fernsehboom .. Comic-Welle oder Video-Zom-

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bies; ebd. 16.8.1989 Während Kinder- und Jugendcomics bereits seit den siebziger Jahren in Wühlkisten den jugendlichen Lesern angeboten werden, stellen die im Zuge der Pop-Art-Bewegung in den sechziger Jahren in der Bundesrepublik populär gewordenen Erwachsenencomics die Bibliotheken vor ganz neue Probleme . . angesichts der auch in der Bundesrepublik immer unübersichtlicher werdenden Comic-Flut; ebd. 4. 10. 1989 „Frech-frivole Geschichten" will das erste farbige Comic-Album von Ralf König bieten. Der junge Szene-Zeichner signiert es . . in Mannheims Comicothek; ebd. 17.4. 1991 jugendliche Rowdys, die kaugummikauend versuchen, sich mit flapsigen Comic-Sprechblasen-Sprüchen gegenseitig zu beeindrucken; Spiegel 10.5.1993 Comic-Strip, Comic-Kunst, Comic-Kiez — in den Monaten Mai und Juni bieten internationale Künstler in Hamburg ein Massenspektakel der Sprechblasen auf; ebd. 12. 9. 1994 Gegen bunte West-Comics, verteufelt als „Schmutz und Schund" . . zogen die Machthaber mit Strafgesetzen und sozialistischer Eigenproduktion zu Felde; MM 16. 10. 1996 Vor 100 Jahren tauchten in den amerikanischen Zeitungen die ersten Comics auf . . Comichefte und -bücher wurden erst im Zweiten Weltkrieg populär, als Zerstreuungslektüre für GIs . . roher, vulgärer, Gewalt und Erotik machten sich breit; ebd. 8. 11. 1996 Lurchi kommt auf leisen Sohlen (Überschr.) Der Schuhhersteller Salamander hat den ersten Werbecomic erfunden . . Der Feuersalamander, Deutschlands erste Comicfigur und eines der ältesten Warenzeichen Europas, ist. . auf dem Weg zur Kultfigur . . seitdem er 1937 im ersten ComicHeft der Schuhfirma das Laufen lernte. comichaft: MM J. 7. 1987 Die Franzosen-Schau bietet großformatige, farblich aggressive und comichafte Bilder, in denen sich die Stilabfolgen der letzten Jahrzehnte eindrucksvoll wiederspiegeln; ebd. 5. 6. 1991 Seine kleinformatigen Bilder sind comichafte Schauaufgaben. Oft zeichnet er seine Figuren ineinander und verleiht nur manchen durch hervorhebende Farbigkeit klare Konturen. Comic-Book: Williams 1953 Ges. 271 [amerikan.] „comic books"; 1954—55 Wiener Zschr. f. Philosophie V 271 „comic books" [Kommentierung schreiend greller Bilder]; Bad. Ztg. 2. 12. 1965 Machen Comics Kinder zu Kriminellen? (Überschr.) Von der „Pest" und dem „Giftstrom" der ComicBooks war vor zehn Jahren die Rede, als die Auseinandersetzung ihren Höhepunkt erreicht hatte . . alle Comics lesenden Amerikaner, die 1933 beim Erscheinen der ersten selbständigen Comic-Books sechs Jahre alt waren; Spiegel 13. 6. 1994 Barks: Walt Disney persönlich hatte mit meiner Comic-

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comtne il faut

Book-Arbeit wenig zu tun . . Ich bin nicht sicher, ob Disney meine Comics je gelesen hat. Comic-Strip: Welt 3.4. 1954 Richard und sein Kätzchen . . Comic Strip; Maass 1955 Geheimwiss. 161 kulturschänderischen . . Comic Strips; Süddtsch. Ztg. 16.8.1955 Nach einem am 15. Juli 1955 ergangenen Urteil des Bundesgerichtshofes müsse jeder Händler solcher Comic-Strips „nach eigenem gesunden Menschenverstand" prüfen, ob sie jugendgefährdend seien; Tagespost 26. 9. 1956 Fritz schmökerte in seinem Heftchen voller ComicStrips; Kieler Nachr. 22.123. 2. 1958 Zu den besten Vermittlern durchaus amerikanischen Humors zählen die „Cartoons", also die Witzzeichnungen, und die „Comic Strips", die lustigen Bilderfolgen, die allenthalben in den Vereinigten Staaten und seit Jahren auch in Europa in Zeitungen und Zeitschriften erscheinen; 1970 Melken 23 Auch die noch immer gültige Erscheinungsweise des Comic Strips bildete sich in jenen Pionierjahren aus . . Der schwarzweiße Streifen wurde an den sechs Werktagen der Woche veröffentlicht, meist in vier Feldern nebeneinander, manchmal auch zu einem Quadrat

zusammengefaßt (alle drei AWB); Welt 27. 1. 1970 Zwar besäßen Comic-Strips keinen Tiefgang . . Weil durch sie [aber] unsere Zeit umfassender und authentischer ausgesagt würde, sei diese Gattung rundum, ob Adventure-Strip oder komischer Comic, zur Kunst zu rechnen: „Wunsch- und Kollektivträume der Menschheit"; Bad. Ztg. 26. 9. 1970 Es gibt ihn wirklich, den Comic strip über den Frieden . . mit Comic-Willy und Comic-Walter und Comic-Egon . . Wir haben ihn also, endlich, den sauberen Comic strip für unsere Kinder . . ganz ohne Gewalt und Sex und Brutalität . . ganz ohne Wumm und Pengg und Schuß und Knall und Pipapo . . Helden mit Blasen vor der Nase; MM 9. 1. 1988 Es handelt sich dabei [Mozarts Zauberflöte] um die vollständigen, neu übersetzten Libretti, die in Form eines Comic Strip mit Sprechblasen aufgearbeitet werden .. Diese Comic Strips sind allerdings nicht für 50 Pfennig am Kiosk zu kaufen. comicstriphaft: Zeit 25. 4. 1986 So reduziert, comicstriphaft und belehrend wie die Geschichte klingt, ist sie auch. IN

comme il faut, attributiv u. adv. verwendetes Syntagma, im späten 18. Jh. übernommen aus gleichbed. frz. comme il faut, eigentlich 'wie es sein soll'. Bildungsspr. in der heute veraltenden bzw. nur noch scherzhaft-ironisch verwendeten Bed. 'wie es sich gehört, wie man es erwartet, den Regeln entsprechend, anständig; vorbildlich, mustergültig' (s. Belege 1789, 1825, 1891, 1901, 1953), auf Erziehung und Benehmen bezogen, in Wendungen wie ein Mann, eine Frau comme il faut, sie hat sich comme il faut verhalten, daneben auch von der äußeren Erscheinung und Kleidung (s. Belege 1790, 1793, 1795, 1821, 1893, 1947, 1961), vgl. die Wendung comme il faut gekleidet, und in Verbindung mit Berufsbezeichnungen, ein Redakteur, eine Ministerin comme il faut (s. Belege 1836, 1898, 1920, 1993); seit Anfang 19. Jh. auch allgemeiner für 'standesgemäß' (s. Belege 1805, 1848); gelegentlich scherzhaft auf Sachen bezogen (s. Belege 1807, 1832), z. B. ein Kuchen comme il faut, und subst. verwendet (s. Belege 1805, 1909). Bürger 1777 Br. H 151 Es sind Euch aber auch ein Paar Briefe comme il faut; Lavater 1778 Physiognom. Fragmente IV 429 Er hat sein Buch comme il faut in der Hand. Er schaut, comme il faut, in die Höhe, ohne zu wissen, wohin; ebd. Es ist ein Evangelist comme il faut — das heißt: Es kann keiner seyn; Riesbeck 1783 Br. l Einl. VIII Es fehlte wenig, daß sie nicht . . dem Schneider das Muster zu einem Kleid, comme il faut, zugeschnitten hätte; 1783 Göttinger Musenalmanach 14 Er depensirte, comme il faut,/ Und hielt sich sechs Mätressen,/ Versteht sichs, nur incognito,/ Zum Spass beim Abendessen; Hermes 1789 Für Eltern II 331 einen rechtschaffenen Mann (einen Mann comme il faut)

[zu] bekommen; Faber 1790 Beytr. l 374 Jede Dame comme il faut mochte doch in ihr Gesicht jährlich für 300 Gulden [Schminke] verstreichen; Hippel 1793 Kreuz- u. Querzüge H 318 so ist man gekleidet comme il faut; Gotter 1795 Schauspiele 201 ein feiner, ordentlicher, junger Mensch, der ein air comme il faut hat; Jean Paul 1805 Flegeljahre (W. IV 948) Ich miete für uns ein Paar kostbare garnierte Zimmer beim Cafetier Fraisse; pardieu wir wollen leben comme il faut; /. G. Müller 1805 Briefw. 384 das professorliche comme il faut; 1807 Anekdoten 42 ein Kuchen comme il faut; Rehfues 1809 Br. a. Italien I 41 den Schreken der feinen Herren [bei der Demaskierung], . ., welche mit

Common sense Einemmal ihre sämtlichen Schönheitswaffen zerstört, und sich gezwungen sahen, entweder nicht comme il faut erblickt zu werden, oder nach Hause zu gehen; Lady Morgan 1821 Reisen. Frankreich (Übers.) I 107 Abkömmlingen der gens comme il faut jener berühmten Tage; ebd. l 204 Die Frau comme il faut, die Dame nach der Mode; Borne 1823 Schilderungen a. Paris (Ges. Sehr. 118) in deutschen eleganten Blättern comme il faut; Schall 1825 Wahl (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele V 34) Sie sind ein Mann, comme il faut, das ist klar; Lady Morgan 1831 Frankreich (Übers.) l 271 keine Frau comme il faut; Lessmann 1832 Wanderbuch U 282 ein Briefchen comme il faut; 1835 Europa l 404 Ein Ladenbesitzer, der sich mehr comme il faut dünkt; Glassbrenner 1836 Bilder 158 Es ist ein Redacteur comme il faut; Gaudy 1837 Humoresken (VI 204) [der Esel] macht seinen Parademarsch comme il faut; Kohl 1841 Petersburg II 93 Ein junger Mann, der . . ein wenig von Dem, was man comme il faut nennt, mit seinen soliden deutschen Kenntnissen .. verbindet; ders. 1845 Paris H 48 jenen höchsten Standpunkt der Civilisation . . Die Franzosen nennen dieß „comme il faut"; Chownitz 1845 Lauf d. Welt I 302 des würdigen Schneiders und Sängers comme il faut; Burckhardt 1848 Br. III 98 sobald man comme il faut leben muss; Schlesinger 1852 London l 373 Jeder Zoll an ihnen ist patent, ist comme il faut; Grimm 1861 Essays l 436 was comme il faut oder fashionable heisst; Pichler 1867 Gesch. a. Tirol 43 Er kennt . . den Kurszettel comme il faut, sagt der Franzos; FOMtane 1869 Br. 1,266 ein Charakterbild comme il faut; Goltz 1869 Weltklugheit II 91 ein Social-Genie comme il faut; 1871 Br. v. u. an Lobeck u. Lehrs 841 Sie wollen in Strassburg eine ordentliche Philologie comme il faut etablieren; Dingelstedt 1877 Künstler-Gesch. II 85 eine Leserin comme il faut; man sah es auf den ersten Blick; Kretzer 1880 Genossen 31 Kommunismus comme il faut; Fontäne 1888 Br. II 2,163 Kavalier comme il faut; Reichenbach 1891 Ehre I 88 Sie sind durchaus comme il faut, wohlerzogene, liebenswürdige Menschen; Hopfen 1893 Elend I 218 „Mama, kannst Du Besuch empfangen?" — Mama schaut in den Spiegel, findet sich heute comme il faut aussehend und ant-

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wortet: „Warum denn nicht?"; Suttner 1896 Highlife 41 inszeniere nichts Auffallendes, nichts Lärmmachendes, das ist Alles so wenig comme il faut; Fontäne 1898 Zwanzig 142 Robert Blum war Volksredner comme il faut; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 94) „Tony, deine Haltung ist nicht comme il faut", bemerkte die Konsulin, worauf Tony, ohne die Augen von ihrem Buche zu heben, einen Ellbogen vom Tische nahm; Bieberstein 1903 Recamier 67 Natürlich durfte bei einer Dame, die so durchaus comme il faut war wie Juliette Recamier, die innere Empörung nicht allzu lebhaft auftreten; Heinroth 1906 Enttäuschungen I 124 so recht comme il faut ist er doch nicht?; Th. Mann 1909 Hoheit (W. // 54) Er war vornehm. Madame aus der Schweiz wies in Fragen des comme il faut ausdrücklich auf ihn als Minister hin; Werfel 1920 Mörder 184 dieser Berufssoldat comme il faut; Heilborn 1929 Revolutionen I 36 Wie die seigneurs sehen unsere Soldaten aus, höflich, comme il faut; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 646) Ein Zuhörer comme il faut; ders. 1947 Faustus (W. VI 435) Zu ihrer Hilfe bei der Betreuung der teuren und schönen Wohnung mit persischen Teppichen auf glänzenden Parketts harte sie zwei wohlerzogene und comme il faut gekleidete Dienstmädchen; Andres 1952 Reporter 2 das Haar . . in der Mitte gescheitelt, man kann nur sagen: comme il faut; Süddtsch. Ztg. 14. 2. 1953 der jungen Frau, die sich, obwohl sie nicht „comme il faut" ist, eine Position im Herzen der europäischen Gesellschaft .. erwirbt; ebd. 21. 5. 1955 ist es durchaus „comme il faut", dass Studenten und Studentinnen abends, vor dem Einschluss in ihre Schlafräume, . . ihre Zärtlichkeiten öffentlich austauschen; Stuttgarter Ztg. 11. 4. 1961 Die vier führten anmutig über den Steg, was man in jeder Lebenslage und in jedem Alter tragen sollte, wenn man — farblich und geschmacklich — als comme il faut gekleidet gelten möchte; Welt 2.3.1964 Wir durften den Walzer nur rechts herum tanzen — links herum wäre nicht „comme il faut", erklärte Madame; Spiegel 12. 4. 1993 Die Schröder vom Welt-Leitartikler Herbert Kremp zugeschriebene Eigenschaft, er sei „ein Machtpolitiker comme il faut", mußte sich der Dekorierte von Frau Hiltrud . . erst übersetzen lassen. HK

Common sense M. (-; ohne PL), Mitte 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. common sense (zurückgehend auf gleichbed. lat. sensus communis, aus sensus 'Sinn, Verstand', zu sensum, Part. Perf. von sentire 'fühlen, empfinden, wahrnehmen' und communis 'gemeinsam, gemeinschaftlich, allgemein'). In der Bed. 'gesunder Menschenverstand, unverfälschtes, realistisches Urteil(-svermögen)' (s. Belege 1773, 1810, 1913, 1985, 1993), häufig zur Bezeichnung englischer Mentalität. Daneben seltener bis ins frühere 20. Jh. auch für 'Gemeinsinn' (s. Belege 1784, 1810, 1913).

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Common sense

Herder 1766 Königsb. gel. Ztgn. I 120 nützliche Leute (von gutem commun sense) (GANZ); Lichtenberg 1768 Aphorismen 1109 ET besaß viel Philosophie, oder common sense, der so aussah; 1772 Frankf. gel. Anz. 222 denn nichts ist eigentlich aus dem orientalischen Geist der Zeit, des Volks, der Sitte erklärt, sondern nur überall Blumen eines halb orientalischen, gut Europäischen Common sense herüber gestreuet; Michaelis 1773 Raisonnement 111 313 wie guter, gewöhnlicher Menschenverstand, (Common Sense nennen ihn die Engländer); Lichtenberg 1776 Aphorismen Ul 98 Leute von schwachem Common sense; 1784 Berlin. Monatsschr. IV 148 des Gemeinsinnes (Common sense); Michaelis 1785 Mos. Recht l 158 (ich will nun lieber das mehr ausdrückende Englische Wort gebrauchen) Common sense, oder, Menschenverstand; Schleiermacher 1805—06 Brouillon (11 179) Jenes Gefühl ist nun das, was vorzüglich die Engländer als common sense, sympathy bearbeitet haben; Bouterwek 1810 Gesch. VIII 299 gesunder und gebildeter Menschenverstand (common sense); ebd. V11I 455 nach der Analogie des Gemeinsinnes (Common sense); Kohl 1844 Brit. Inseln I 403 Welcher Contrast zwischen dem „esprit", der in allen französischen Schriften sprudelt, und dem „humour" und „common sense", der in allen englischen Büchern fließt!; Lehrs 1852 Aufs. 467 Es ist sogar schon auffallend, wie des Engländers scharfes non-sense oft da erscheint, wo es für unsere Empfindung in einen übrigens nicht unhöflichen Ton noch gar nicht einzugehen scheint; und sein häufiger Ausdruck für gesunden Menschenverstand ist — common-sense (sensus communis); Hundt v. Hafften 1863 Recht I 115 die Grossmacht Vernunft mit ihrer Tochter, der Humanität, welche in England als common sense, in Frankreich als opinion publique und in Deutschland als öffentliche Meinung sich von Tag zu Tag mehr Anerkennung zu verschaffen weiss; Noe 1865 Baier. Seebuch 31 der common sense des Weibes; Hillebrand 1876 England 189 Aehnlich ging's ihm mit seiner Phantasie: sie streift bis an Mysticismus, Aberglauben, Spiritismus; aber nie übertritt sie die Linie, wo der common sense Wache hält; 1886 Dtsch. Rundsch. XLVH 213 der gesunde common-sense; 1887 Grenzboten l 196 Forderungen des common sense; 1895 Dtsch. Rundsch. LXXXII 475 common-sense, auf dem sich der englische Charakter und die englische Bildung aufbauen; Peters 1904 England 103 „common sense" oder gesunder Menschenverstand; Massow 1913 Politik 325 Es ist bezeichnend, dass das englische Wort „common sense" sowohl „gesunder Menschenverstand" als auch „Gemeinsinn" bedeutet, . . beides zugleich; Walther 1919 Wege dtsch. Geistes 16 So wird er nicht Sonder-

ling und verbissener Niederreißer. Jeder Reformgedanke wird elastisch aufgefangen von dem Common sense; Fehr 1929 England 125 Der englische Common Sense milderte das auf strenge Gesetzlichkeit gestellte literarische Urteil des Rationalismus; 1934 Berl. Monatsh. XU 317 Ohne diese Ansicht . . belegen zu können, sagt ihm sein „common sense", daß ein gewaltsam erzwungenes Geständnis keinen . . Wert hat; Weizsäcker 1950 Erinn. 163 Er war . . empfänglich für ein gutes Gespräch im kleinen Kreis, voll ernsten Willens für die Bewahrung des Friedens, mit viel common sense und Takt; Schock 1952 Soziologie 315 die pragmatisch auf common sense und Fortschrittsoptimismus gegründete amerikanische Soziologie; Münch. Merkur 28.5. 1955 Der vielgerühmte Common Sense des englischen Volkes hat sich bei der Wahl zum Unterhaus bewährt; Stuttgarter Ztg. 5. 9. 1962 Aber für kommende Entscheidungen in der Kulturpolitik sei es wichtig zu wissen, was „Evangelisch" sei. So müsse wieder ein „protestantischer common sense" zustande kommen, wie es ihn durch preußische Vermittlung dereinst gegeben habe; Stave 1964 Leute 146 In England hat der vielberufene Mann auf der Straße . ., dem man common sense (gesunden Menschenverstand) zuschreibt, schon immer eine erhebliche Rolle in der Meinungsbildung gespielt; Mühlmann 1966 Weber 36 Unser „nomologisches Wissen" ist zunächst einmal rational — im Sinne eines Common-sense-Ein Verständnisses; Habermas 1985 Unübersichtlichkeit 45 Die sozial unerwünschten Nebenfolgen eines politisch richtungslosen Wirtschaftswachstums . . bedürfen der Kompensation durch unverbildeten common sense; Zeit 10. 5. 1985 Die Geschichten vermitteln sich nur über den Inhalt, zielen ab auf einen Common Sense, den zu verletzen sie sich nicht trauen; ebd. 5. 7. 1985 Es siegte der literarische Common sense; ebd. 10. 4. 1987 An der Seite Washingtons, Lafayettes und Dantons kämpfte er für „Common sense", für die „Rechte des Menschen"; ebd. 23. 6. 1989 Jetzt blicken sie doch mehr auf die Gesellschaften als auf die Regierungen. Das ist auch leichter, seit die Ostpolitik eine CommonSense-Politik geworden ist; FAZ 24.8. 1990 Jedenfalls findet sich vielfach eine merkwürdige, mit Wertfreiheit kaschierte Form der „Ausgewogenheit". Der Common sense blieb auf der Strecke; Spiegel 27. 9. 1993 bei den ukrainischen Landsmannschaften, die für die Verteidigung Iwans des Schrecklichen Dollarmillionen gesammelt haben, sowie beim Obersten Gerichtshof des Staates Israel, der schließlich Common sense walten ließ. HK

Complaisance

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Complaisance F. (-; vereinzelt -s und -n), im späten 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. complaisance (subst. Bildung zu complaisant, Part. Präs, von complaire 'gefällig sein' < lat. complacere 'gefallen'). Bildungsspr. verwendet in der heute veraltenden Bed. 'Gefälligkeit, Entgegenkommen; (Dienst-)Beflissenheit, Höflichkeit, zuvorkommendes Wesen', auch im frz. Syntagma par complaisance 'aus Gefälligkeit'. Dazu etwa gleichzeitig das aus gleichbed. frz. complaisant (s. o.) übernommene, veraltete Adj. complaisant, selten auch in phonetischer Schreibung kompläsant, 'höflich, gefällig, entgegenkommend, bereitwillig, willfährig, nachgiebig'. Complaisance: Leibniz 1684 Br. IV 76 Denn ich in das [!] Schrifftwechsel nur par complaisance gewilliget; Thomasius 1692 Sittenlehre 103 ein solcher Mensch .. der keine indifferente complaisance für ändern Menschen haben will (beide BRUNT); Elis. Charl. 1698 Br. l 110 Die complaissance, so die princes von Ahnspach hatt, mitt ihrem her bruder auff die jagt [zu gehen], ist nicht schwer zu volziehen; Wernicke 1704 Epigramme 273 Ein Deutscher ungehobelter unbendiger Ehmann, der von der Frantzösischen und Englischen Complaisance keinen Buchstab verstehet; Menantes 1706 Satir. Roman 18 so zog er die Complaisance seinem eigenen Bedencken vor (BRUNT); l 710 Neue Bibliothek VI 471 wann der Pabst käme/ so wolte er demselben biß in die Strasse zu C. Jacob entgegen gehen/ und bey einem Buchführer so lang ein neues Buch ansehen/ und dieses habe sich der Pabst noch vor eine grosse Complaisance zu rechnen; Callenbach 1714 Quasi vero 76 pflegt man gar leicht per complaisance dem Frawenzimmer für gut zu nehmen (BRUNT); 1718 Abentheuerl. Welt IV 8 Aus Complaisance . . legt auff die Seit den Huth; 1721—22 Dicourse d. Mahlern 40 sie schickte es [Kind] den Verwandten, den Freunden und Nachbarn Visiten zu machen, und alle diese guten Leute hatten niemals Mangel an Complaisance für die Mutter, das Töchterchen zu admiriren; ebd. 105 Meine nachlässsige Complaisance hat nur allzulange deine ungereimte Spiele geduldet; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 101 für solche erwiesene Complaisance beim Hospiti zu dancken; Sperander 1727 A la mod Sprach 135 Complaisance, Willfährigkeit, DienstBeflissenheit, Gefälligkeit, Höffligkeit; 3 733 Gundlingiana XX 395 dass er die Complaisance als einen Ausfluss der Tugend ansehe; Schramm 1741 Kunst 71 Rede nicht, was einem in der Gesellschaft missfallen könnte. Die Franzosen heissen solches complaisance oder eine Gefälligkeit; Moritz 1793 Grammat. Wb. l 196 Complaisance: Willfährigkeit, Höflichkeit, zuvorkommendes Wesen; Kahldorf 1831 Adel 104 Sie selbst müssen gestehen, dass die Zeit vorbei sey, wo die „complaisances de courtoisie" über grosse wichtige Fragen entscheiden. Der Adel zu Ludwigs XIV. Zeiten hat diese

complaisances zu einer Höhe getrieben, die ihn stürzte; Gaudy vor 1839 S. W. XII 111 Ersteres wäre Heuchelei, das Zweite eine einfältige Complaisance . . Beides meiner unwürdig; Alexis 1852 Ruhe V 221 würden diese dreißigtausend abgematteten Krieger, aus Complaisance auf die Schlachtbank geführt, das Schicksal ändern?; ebd. V 268 Die ist wohl aus Versehen stehen geblieben, oder aus Complaisance gegen Müller; Fontäne 1898 Zwanzig 457 Die Partie wurde viel beredet, denn sie, die Dame, war der Typus der Vornehmheit, was man von ihm nicht sagen konnte. Trotzdem hatte sie richtig gewählt und war glücklich, an die Stelle der „Complaisance", die bis dahin ihr Lebensteil gewesen war, ein Kraftgenie treten zu sehen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 52) ein guter Mann, ein braver Mann, ein Mann von Complaisancen; er kocht die Supp' und wiegt das Kind und riecht nach Pomeranzen; Krauss 1949 Aufs. 360 Dem Gesellschaftsmenschen stellt er den „homme d'honneur" gegenüber, der „complaisance" die „sincerite" und „brigue" soll durch „rectitude" überwunden werden; ebd. 362 sieht Alceste die „medisance" als eine Unart an, die durch die „complaisance" der beifallspendenden Marquis entfesselt wird. complaisant: Riemer 1684 Polit. Passagier 8 wie sie .. die galanten und complaisanten Damen [in Paris] bedienen wolten; ebd. 206 Umb ihre angenehme Gegenwart und complaisante Conversation zugeniessen [!]; Weise 1685 Ulvilda 195 wie kan doch das Hofe Leben die Sitten verändern: Man solte es dem Manne nicht ansehen daß er so complisant [!] werden solte; 1706 Hazards Lebensgesch. 3 dann er wolte par force gegen seine wohlgekleidete Gäste sich complaisant aufführen; 7710 Antwort Schreiben Von. a welche Chicanen aber ihn so wenig von der Unfruchtbarkeit leerer Gedancken befreyen werden/ als die Wissenschafft zu säen/ und zu pflügen die ungeschliffene/ und viereckigte Köpffe der Bauren complaisant, und vernünfftig machen kan; Thomasius 1710 Entwurff 138 Also wird ein kluger Mann vor sehr verschwiegenen/ blonden/ complaisanten . . Personen zu hü-

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ten (BRUNT); 1718 Abentheuerl. Welt l 27 sie ist so complaisant, da er sie so ergötzt; Corvinus 1720 Reiffere Früchten 120 gegen einen Gast . . muß man wohl complaisant und billig höfflich seyn (BRUNT); Messerschmidt 1724 Sibirien III 231 Seine [Kapitän] conduite war wie bei allen und jeden Russen zum erstenmal complaisant etc.; Fleming 1726 Soldat 124 wollen sie sich anders bey Reputation erhalten, daß sie sich honet, nüchtern, massig, ehrerbietig, wachsam, complaisant und tapfer aufführen; Sperander 1727 A la mod Sprach 135 Complaisant, dienstwillig, willfährig, gefällig, höfflich, dienstfertig; Schnabel 1731 Felsenburg l 36 Doch er war so complaisant, sie aufzuheben und zu küssen; Ayrenhoff 1771 Postzug 57 Blum: Non Madame: ich habe mir die Ehre gegeben, Ihren Vortreter zu machen. Die Barfonin]: Gar zu

complaisant!; Lenz 1776 Soldaten (NL LXXX 118) Marie: Sie kann nicht glauben, wie complaisant der Graf gegen mich ist; Laukhard 1794 Feldzug l 39 f. ja sie waren noch so kompläsant, einem Neuangekommenen, der die Schliche noch nicht kannte, feile Waare von der Art zuzuweisen; 1812 Briefw. Goethe-Zelter II 8 Endlich muß bey uns, in solchen Stücken wie dieses, auch der Zuschauer seinen guten Tag haben, um sich manches gefallen lassen zu wollen; denn, wenn wir nicht auf Kosten der Kunst und Wahrheit complaisant seyn wollen, so haben wir weder eine Julia noch einen Romeo; Gutzkow 1851 Ritter IV 132 Indem hörte er schon die freundlichen und complaisanten Wendungen seiner Frau gegen den Herrn Oberkommissär; Castelli 1861 Mem. 57 Femmes complaisantes (gefällige Frauen). GS

Computer M. (-s; -), Mitte 20. Jh. übernommen aus engl.-amerikan. computer 'Rechenautomat, -maschine' (zu compute '(be-)rechnen, schätzen' < lat. computare '(zusammen-)rechnen, berechnen'; —»· Konto, —" Kontor), anfangs auch in der engl. Pl.-Form computers. In der Bed. 'programmgesteuerte, elektronisch arbeitende Datenverarbeitungsmaschine, Rechenanlage', ältere Übersetzungsversuche wie Elektronenrechner, (elektronische) Rechenmaschine, Elektronen(ge)hirn (< gleichbed. engl.-amerikan. electronic brain) außer heute noch üblichem Rechner bzw. Groß-, Taschenrechner rasch verdrängend; gelegentlich auch übertragen für 'Gehirn, Denkvermögen des Menschen; innere Stimme, Unterbewußtsein' (vgl. eine ugs. Redeweise wie dein Computer spinnt wohl; s. Belege 1962, 1986); häufig in Wendungen wie etwas auf Computer umstellen, Daten in den Computer eingeben, den Computer programmieren, am Computer arbeiten, eine Aufgabe mit Hilfe des Computers lösen, mit dem Computer (etwas) recherchieren, im Fachjargon oft auch vermenschlicht, z. B. den Computer (mit Daten) füttern, der Computer spuckt etwas aus, spielt verrückt, streikt; selten als Grundwort, überaus häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Büro-, Klein-, Lern-, Schach-, Übersetzungscomputer; Computeranlage, -ära, -ausdruck, -blitz 'Elektronenblitzgerät mit Lichtregelschaltung', -boom, -branche, -datei, -diagnostik 'Diagnostik, die mit Hilfe von Datenverarbeitungsanlagen zur Objektivierung und Automatisierung der diagnostischen Befunde beitragen will', -diskette, -design, -experte, -fachmann 'Computerspezialist', -freak 'begeisterter Anhänger der Computertechnik', -generation 'Zeitabschnitt in der Entwicklung der Datenverarbeitung, der durch eine völlig neue Konzeption in der Konstruktion einer Rechenanlage bestimmt ist; im Zeitalter des Computers lebende Generation von Menschen', -gesellschaft, meist abwertend für 'computergesteuerte, von Computern beherrschte Gesellschaft', -graphik (aus engl. computer graphics Pi.) 'mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms erstellte Graphik', -hersteller, -kids, -kriminalität 'Straftaten, die mit Hilfe von Computern begangen werden (z. B. Mißbrauch von Daten, Industriespionage)', -kunst, -linguistik 'Teilgebiet der modernen Linguistik, das elektronische Rechenanlagen für die Bearbeitung und Beschreibung sprachlicher Probleme verwendet', -muffel, -netzwerk, -programm, -simulation 'das Durchrechnen eines in

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der Zeit ablaufenden Prozesses durch einen Computer, um ausgewählte Eigenschaften des Prozeßablaufs sichtbar zu machen', -Speicher, -spiel, -spräche, -trottel, -tüftler, -virus 'Computerprogramm, das unbemerkt in einen Rechner eingeschleust wird in der Absicht, die vorhandene Software zu manipulieren oder zu verderben', -weit, -zeit(alter); sehr produktiv auch in (zum Teil aus dem Engl. lehnübersetzten) adj. Zss. wie computergestützt, -unterstützt (aus engl. computer-aided, computerassisted) 'unter Einschaltung eines Computers', computeranimiert, -begeistert, -gerecht 'für die Bearbeitung mit einer Rechenanlage geeignet', -gesteuert 'von einem Computer gesteuert, überwacht', -integriert, -kundig, -lesbar, -manipuliert, -süchtig, -tomographisch, -überwacht. Dazu etwa gleichzeitig die verbale Ableitung computerisieren, häufig in der Part. Perf.-Form computerisiert (vgl. gleichbed. engl.-amerikan. computerize und computerized) in der Bed. '(einen Arbeitsplatz) mit Computern ausstatten' (s. Belege 1974, 1994), auch 'Informationen, Daten für einen Computer lesbar, verwertbar machen, in ihm speichern' (s. Belege 1983, 1985), und 'durch zunehmenden Einsatz von Computern entpersönlichen, formalisieren, undurchschaubar, unkontrollierbar (und damit eventuell bedrohlich) werden lassen' (s. Beleg 1986), mit dem dazugehörigen Verbalsubst. Computerisierung F. (-; -en); die adj. Ableitung computerhaft, gleichbed. mit computermäßig 'in Art und Weise eines Computers, mit dessen Hilfe', die ugs. Ableitungen Computerei 'der Umgang mit Computern, deren Einsatz' und Computern 'am Computer arbeiten, spielen'. Computer: Arbeitgeber 20.4.1956 Die Elektronengehirne, amerikanisch computers genannt, beginnen ein internationales Phänomen zu werden; Spiegel 30. 5. 1962 Man spürt, daß der hinter der Gesichtsfassade tätige Computer in diesem Augenblick eine Menge Daten zu verarbeiten hat — dann kommt die Antwort (CARSTENSEN); PAZ 13. 5. 1964 Die Computer, die elektronischen Rechengehirne der New Yorker Luftverteidigungszentrale; Stuttgarter Ztg. 18. 6. 1969 Die elektronische Steuerung von Kraftfahrzeugen durch programmierte Fahrten, die im Jahre 2000 ausgereift und kommerziell verwendbar sein soll, werde zwar die Sicherheit im Straßenverkehr entscheidend verbessern, aber es sei unverantwortlich, darauf zu warten, bis der Computer die menschliche Unvernunft abgelöst habe; FAZ 25. 8.1971 Das Übergewicht der vier amerikanischen Hersteller auf dem deutschen Großcomputermarkt stört den CDU-Abgeordneten Lenzer; ebd. 9. 12. 1971 Kaum ein Unternehmen kann heute noch von sich behaupten, über genügend qualifiziertes Computer-Personal zu verfügen; Zeit 1.2.1985 Computeralphabetismus, der nicht einmal wirkliches Verstehen der Computertechnologie meint, sondern lediglich die schnell erlernbare Fähigkeit, mit einem Computer Umgang zu pflegen; MM 21. 5. 1985 so verfolgt eine Antenne computergesteuert den Satelliten; Zeit 25. 10. 1985 die computerbeherrschte Neuzeit; Pruttero 1986 Palio (Übers.) 40 Er stürzte hinaus,

ohne lange zu überlegen, was es sein könnte (der unbewußte Computer des erfahrenen Ehemannes verteilte 40% auf eine Ratte, 20% auf eine Fledermaus . .), aber keinesfalls hätte er voraussehen können, was er sah; Zeit 8. 8. 1986 Bunte computergraphische Darstellungen komplexer Zahlenfolgen enthüllen unerwartete Gesetzmäßigkeiten und chaotische Verhältnisse; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 59 die heute so beliebte Computer-Metaphorik (zum Beispiel das Sprachgedächtnis als „inneres Lexikon", in dem unser Wortschatz „gespeichert" und „abrufbar" ist); Spiegel 7. 12. 1992 So scheint ein Hubschrauber in einem Computerspiel von hinten über die Schulter des Computerspielers in dessen Gesichtsfeld (auf dem Bildschirm) einzufliegen; ebd. 15. 2. 1993 Seine Nächte verbrachte er am Rechner, fasziniert von der kalten Logik der Computerprogrammierung; ebd. 22. 8. 1994 der .. gerade an einem Standardwerk über „computerassistierte Chirurgie" schreibt; ebd. 2. 9. 1996 Daß wir schon immer von manipulierten Bildern umgeben waren, wird uns vielleicht erst durch die Holzhammer-Methode computermanipulierter Fotografie deutlich. Computerei: Frankf. Rundscb. 18. 7. 1981 Wir erwarten . . selbständiges Arbeiten sowie die Bereitschaft zur Teamarbeit und Interesse an der Computerei (Anzeige); Spiegel 19. 11. 1984 Er hat die Computerei an der Uni studiert, als der Kultusmi-

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Conditio sine qua non

nister an so was noch gar nicht dachte, und entwickelte selber erfolgreiche Programme für Schulcomputer; ebd. 23. 1. 1989 Das hochprozentige IQ-Ambiente, das die Computerei in das klassische Räuber-und-Gendarm-Metier bringt, fordert neue dramatische Lösungen, die Autor Purzer konsequent entwickelt (alle AWB).

computerhaft: Süddtsch. Ztg. 15.12.1992 Wie „Schlafwandler" bewegten sich die Abhängigen, mit „computerhafter, monotoner Stimme". computerisieren: Welt 18. 8. 1969 Vielmehr werden wissenschaftliche und vor allem organisatorische Gesichtspunkte bei der computerisierten Medizin im Vordergrund stehen; Spiegel 9. 3. 1970 nach computerisierten Methoden des Big Management organisiert (beide AWB); MM 11.5.1971 Das FBI verfügt über eine nationale Verbrecherregistratur mit 2,5 Millionen Dossiers, die . . computerisiert sind (DUDEN 1993); Welt 8. 5. 1974 Ein wenig deplaciert wirkte er hier mit seiner Knorrigkeit und Knarzigkeit in einer computerisierten Polizeiwelt; Spiegel 17.4. 1978 Die VerkehrssünderKartei im Flensburger Kraftfahrt-Bundesamt ist ebenso computerisiert wie die Münchner Stadtbibliotheken; ebd. 30. 5. 1983 Im einstmals gepriesenen Musterland Schweden wird persönlicher Datenschutz ganz klein geschrieben, stellen sich die computerisierten Personenregister aller Bevölkerungsgruppen als bequemer Selbstbedienungsladen dar — für private wie staatliche Schnüffler (alle drei AWB); Zeit 8. 2. 1985 die beiden ersten computerisierten Nachschlagewerke; ebd. 5.4. 1985 in der human computerisierten Gesellschaft; MM 13. 4. 1985 die bundesdeutschen Banken, die den Dienst am Kunden immer mehr computerisieren und perfektionieren; Spiegel 27. 1. 1986 Einer zweiten industriellen Revolution gleich, verändert die computerisierte Informationstechnik Wirt-

schaft und Technik tiefgreifend (AWB); Stern 21.5.1987 computerisierte Buchhaltung; Spiegel 5. 12. 1994 Die Einführung der Krankenversicherungskarte hat die Arztpraxen bereits weitgehend computerisiert. Computerisierung: Zeit 26. 7. 1985 [er] erhoffte sich . . von der Computerisierung der Landwirtschaft vor allem eins: bessere Geschäfte durch bessere Marktübersicht; Stern 16. 6. 1987 die Computerisierung der Fernsprech-Vermittlungen; Spiegel 22. 8. 1994 Keine Klinik kann sich der schleichenden Computerisierung entziehen; ebd. 23. 1. 1995 In der Anfangszeit der industriellen Computerisierung „wußten wir, was wir bauen wollten, aber wir konnten es nicht". computermäßig: FAZ 26. 1. 1970 Bei der auch computermäßigen Verarbeitung dieser dem Bundeskanzleramt zugehenden Unterlagen. Computern: FAZ 8. 9. 1983 Das Computern als Freizeitbeschäftigung stellt sich damit in Konkurrenz zu solchen Ferienhobbys wie Bauernmalerei und Armbrustschießen; ebd. 6.4.1984 In einer Zeit, da die fast papierlose Informationsgesellschaft angeblich vor der Tür steht, Kinder in den Schulen „Computern" lernen und von Mikrochips gesteuerte Textautomaten schon massenweise „persönliche" Briefe verfertigen, schlendert man neugierig an einem Schreibwarengeschäft vorüber (beide AWB); Zeit 27. 9. 1985 Wie soll man auch Leuten, die noch nie am Computer gesessen haben, erklären, daß Computern nicht dasselbe ist wie fernsehen; Spiegel 13. 4. 1987 „Computern", meint die Soziologin Sigrid Curth, 39 . . „gehört heute zur Allgemeinbildung." (AWB); Stern 15. 10. 1987 in einer Zeit, in der matte Jungpoeten ihre farblosen Zeilen per „Textverarbeitungssystem" aufs Papier Computern. OV

Conditio sine qua non F. (-; ohne PL), im frühen 17. Jh. übernommen aus gleichbed. lat. conditio sine qua non, eigentlich 'Bedingung, ohne die (etwas) nicht (geschehen kann)' (zu conditio in seiner Bed. 'Bedingung, Voraussetzung'; —* Kondition), früher vereinzelt auch in flekt. Form. Zunächst als Terminus der Logik (als Bezeichnung einer notwendigen Bedingung) und des Rechtswesens (als Bezeichnung für einen äquivalenten Kausalzusammenhang), dann allgemeiner und bildungsspr. in der Bed. 'notwendige Bedingung, ohne die etwas anderes nicht eintreten kann, unerläßliche Voraussetzung für etwas', gelegentlich in der Wendung etwas ist eine conditio sine qua non. 1621 (Aretin 1839 Bayerns auswaert. Verb, l Urkd. Bd. 122) Aber yezt durch nit zuehaltung dessen so ds Fundament vnd Conditio sine qua non, gewest;

Rohr 1718 Staatsklugheit 277 [die Bewerber müssen] doch endlich aus Begierde zu der Pfarre diese conditionem sine qua non sich gefallen lassen und

Conferencier eine offt heßliche und lasterhaffte Quarre heyrathen; Schiller 1789 Br. II 269 unter der Bedingung (sine qua non); ders. 1798 Br. V 318 Fertigkeit des Blicks und der Feder, was zu solchen Arbeiten conditio sine qua non ist; Kortum 1799 Jobsiade 143 Um also seine Treue zu vergelten/ An der hochbetrübten Wittwe, so stellten/ Die Bürger die Heirath ihrer Person/ Als eine Conditio sine qua non; Jäger 1835 F. Schnabel 32 das ist die erste conditio sine qua non der Aufnahme der entferntesten Mitglieder; Glassbrenner 1836 Bilder a. Wien II 219 Suchen wir nun aber gar nach dem Gemüth, nach dieser Conditio sine qua non eines Volksdichters, so finden wir eine Leere; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 130 Eine alte artilleristische Tradition war dem jungen Manne wahrscheinlich zu Ohren gekommen, nach welcher es beim Schießen conditio sine qua non ist, die Ernährungsöffnung möglichst ausgedehnt zu öffnen, damit das theure, ja unbezahlbare Trommelfell nicht zu sehr angestrengt werde; Hartmann 1869 Philosophie 56 Dass ein gewisses Maass von körperlicher Organisation conditio sine qua non der Ausführung ist, versteht sich von selbst; Maries 1873 Br. 71 Es kommt auch darauf an, ob Sie an das, was ich sage, glauben können; das ist eine conditio sine qua non; Gutzkow 1875 Säkularbilder (VIII 372) in Conflict mit jenen Regierungssystemen kommen, die sich's im neunzehnten Jahrhundert zur Aufgabe gemacht haben, die Bekenntnißschriften von 1530 zur Conditio sine qua non des Christenthums zu machen und damit enden werden, das Christenthum mehr zu untergraben, als jene Indifferentisten; Lanin 1893 RUSS. Zustände II 187 die Fabrikindustrie [bedeutet] nicht sowohl eine wertvolle Hilfstruppe für das wirtschaftliche Wohl des Landes wie in Rußland, sondern sie muß geradezu als eine conditio sine qua non für sein weiteres Bestehen angese-

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hen werden; Dombrowski 1920 System II 198 Die Conditio sine qua non war preisgegeben; Wilke 1930 Erinn. 120 Adel ist nie eine „Conditio sine qua non" zur Aufnahme in die Kasino-Gesellschaft gewesen; Tb. Mann 1954 Nachtr. (W. XIII 810) doch grenzen auch andere Länder aneinander, ohne daß ihr gegenseitiges Vertrauen eine conditio sine qua non des Friedens in Europa darstellte; Offenburger Tagebl. 28.8.1959 Eisenhower ließ deutlich werden, daß er bei aller Freundschaft zu uns nicht unbedingt alle Herzensanliegen der Deutschen zur conditio sine qua non einer Verhandlung mit Chruschtschow zu machen gedenkt; FAZ 23. 9. 1961 an dieser Conditio sine qua non scheiterte die geplante deutsche Erstaufführung (DUDEN 1993); ebd. 9.5.1964 Akademiker .. wünscht sich die passende Lebensgefährtin . . Conditio sine qua non: sehr gutes Aussehen, schlank, gute Figur . . (Anzeige); Halb fas 1971 Aufklärung o. S. Kenntnisse .. und Maßstäbe .., die für jede verantwortliche Orientierung und Stellungnahme conditio sine qua non sind; Zeit 9. 1. 1987 es ist nicht nur Wahlspekulation, daß Genschers Verbleiben im Auswärtigen Amt gleichsam zur conditio sine qua non der nächsten Regierungsbildung erhoben wird; ebd. 23. 11. 1990 Ist man aber davon überzeugt, daß die ökonomische Autonomie der Universität eine Conditio sine qua non für die wissenschaftliche, organisatorische, didaktische und politische Autonomie dieser Institution ist; Altner 1991 Naturvergessenheit 52 zur Verdeutlichung dessen, was Schweitzer über sich hinaus als Grunderfahrung vermitteln will, ist der Begriff der Mystik keine conditio sine qua non; Spiegel 3. 1. 1994 Der in dem Artikel beschriebene Fall . . ist .. ein Beweis dafür, daß das „Höchstmaß an Sicherheit" für das Deutsche Rote Kreuz eine Conditio sine qua non all seines Handelns ist. OV

Conferencier M. (-s; -s), seit späterem 19. Jh. (1871 bei Sanders) gebuchte, seit Anfang 20. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus gleichbed. frz. Conferencier, eigentlich 'Vortragender, Redner' (zu conference 'Besprechung; Vortrag' < mlat. conferentia, —> Konferenz). a Zunächst selten in der dem Frz. entsprechenden, ursprünglichen Bed. 'öffentlich Vortragender'. b Seit Anfang 20. Jh. vor allem in der Unterhaltungsbranche als Berufsbezeichnung verwendet für '(witzig unterhaltender, moderierender) Ansager in Kabaretts, Varietes, Shows, bei öffentlichen und privaten Veranstaltungen (z. B. Modeschauen), Unterhaltungskünstler', auch für 'jmd., der das Publikum erläuternd, kommentierend durch ein Programm führt' (s. Belege 1910, 1925, 1929,1986); z. B. in Wendungen wie ein geistreicher, witziger Conferencier, ein Conferencier mit Esprit, durch die Veranstaltung führt als Conferencier....

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Conferencier

Dazu etwa gleichzeitig das aus frz. conference (s. o.) übernommene Subst. Conference F. (-; -n), zunächst für 'öffentlicher (erbaulicher) Vortrag (z. B. eines Predigers)' (zu a), seit frühem 20. Jh. in der dominanten Bed. 'Ansage eines Conferenciers', z. B. er übernahm, hatte die Conference dieses Abends (zu b); Mitte 20. Jh. die seltene (bes. österr. verwendete) verbale Ableitung conferieren V. intrans., auch eingedeutscht konferieren, '(bei etwas) als Conferencier fungieren, Darbietungen ansagen', z. B. eine Veranstaltung, Modenschau conferieren, (bei) eine(r) Sendung conferieren (vgl. aber älteres konferieren in seiner Bed. 'mit jmdm. im Rahmen einer Konferenz über etwas sprechen, beraten', —» Konferenz) (zu b). Conferencier a: Sanders 1871 Fremdwb. l 685 Conferencier . . der eine Conference . . Haltende, der Vortragende; Rose 1884 Revanche 126 Conferencier; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 199 Conferencier .. einer, der öffentlich Vorträge hält; 1914 Preuss. ]abrb. CLV/ 375 Französische Conferenciers überschwemmen das Land .. und werben in ihren formvollendeten Vorträgen um Sympathie für ihr Vaterland; Herzog 1929 Jugend 252 Der Bräutigam spielte [auf großer Hochzeitsfeier] von seinem Sitze aus den „Conferencier" [hielt die erste Rede]; Voss. Ztg. 13.11.2929 Wir begrüßen als Herold oder Conferencier großen Stiles am Anfang jedes dieser zehn Riesenakte [Vortragsreihe über Weltgeschichte] Walter Goetz, einen unserer modernsten Köpfe auf dem Katheder . . Seine Einleitung zu dem ersten vorliegenden Bande ist vorzüglich; 1949 Hortulus 79 Streifen wir sie [Fritz Ernsts wissenschaftliche Tätigkeit] mit flüchtigem Blick, so entdecken wir den Philologen, der den Geist der Sprachen und also der Völker an den Exempeln und Problemen des Übersetzers verfolgt, den Conferencier und Korrespondenten im persönlich ausgeübten geistigen Vermittleramt. Conference: Sanders 1871 Fremdwb. l 685 Conference . . in der frz. Form bes. = öffentlicher Vortrag, zumal der erbauliche eines Predigers; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 262) verlangte er, von Dr. Krokowski's Conference zu hören .. Joachim zeigte sich mundfaul und abgeneigt, über den Vortrag zu berichten; ders. 1924 Reden u. Aufs. ("W. X o. S.) Mein Auftrag geht nicht dahin . ., hier etwas zu bieten, was . . einem Vortrag, einer literarisch-kritischen Conference über Nietzsche ähnlich sehe; Voss. Ztg. 13.4.1930 Diese Sätze stehen zwar in „Männer und Mächte der Gegenwart" (Gustav Kiepenheuer-Verlag) da, wo Valeriu Marcu für eine seiner geistreichen geschichtsphilosophischen Conferenzen [!] das Bild George Clemenceaus auf die Leinwand projeziert . . diese Sätze könnten aber mit mehr Recht in einer Conference des Verfassers vorn „Großen Kommando Scharnhorst" über sich selbst stehen; Zeit 19. 4. 1985 eine Erfahrung, die ich auf Französisch ge-

macht habe: an der Eidgenössischen TH finden regelmäßig Vorträge französischer Schriftsteller statt. Keine Lesungen, sondern „Conferences". Conferencier b: Th. Mann 1910 Reden u. Aufs. (W. XI 724) Nachdem er als . . Lyriker, Dramatiker . . seine weichliche Unfähigkeit erwiesen, hat unser Held sich in Göttingen als theaterkritischer Volontär, in München als . . Conferencier für Damen versucht; Kellermann 1913 Tunnel 209 Plötzlich hörte er den Conferencier seinen Namen nennen; Voss. Ztg. 30. 9. 1925 Der Conferencier des Theaterprogramms; Tucholsky 1925 Panier 289 Und wenn ich durch diese Zeilen nur das Repertoire einiger Conferenciers bereichert habe, so fühle ich mich für meine gesamte Arbeit reichlich belohnt; 1929 Berl. lllustr. Ztg. Nr. 18 Der Conferencier: Jushni, der Leiter des russischen Kabaretts „Blauer Vogel" in Berlin (Bildunterschr.); Der Berliner 27. 10. 1929 Im übrigen haben in dem Programm [eines Kabaretts] der Conferencier Paul Nikolaus und Paul Graetz die stärksten Wirkungen; Voss. Ztg. 13. 11. 1929 Wiener Abend. (Überschr.) Der „Conferencier" des Abends war Dr. Wolfgang Herbert, der den unvergeßlichen Gesang . . mit feinfühlendem Verständnis am Klavier begleitete; Th. Mann 1930 Erz. (W. VIII 681) seine Darbietungen durch immerwährende sprachliche Begleitung und Unterstützung vor Trockenheit zu bewahren, wobei er .. ein zungengewandter und keinen Augenblick um einen plauderhaften Einfall verlegener Conferencier war. Daß er sogleich damit fortfuhr, die Kluft zwischen Podium und Zuschauerraum aufzuheben; 1930 Uhu Febr. 110 Energischen Schritts tritt der Konferenzier heran, monokelbewaffnet, Offizierstyp; knappe Verbeugung. Er arbeitet als Vortragskünstler mit stark expressionistischem Einschlag. Seine Musiken sind dementsprechend; Nora 1932 Am Färbergraben 42 sein talentvoller Schwiegersohn trat . . als Rezitator, Conferencier, Darsteller vor eine illustre Korona; LokalAnz. 24. 2. 1933 Werner Fink macht den Conferencier; mit bedeutsamer und trotzdem jungenhafter Fröhlichkeit; seine Witze „knallen" nicht, sie gehen angenehm auf Gummisohlen der Heiterkeit; Wer-

Conferencier fei 1939 Himmel 53 Unnachahmlich spielte er den eifrigen Conferencier eines Vorstadt-Varietes (WOG); N. Z. Z. 8. W. 1943 Conferenciere [eines Züricher Kabaretts]; Süddtsch. Ztg. 8. 9.1951 Er [amerikan. Captain] ist das Versuchsobjekt für die Kartentricks des Conferenciers. Dieser spricht abwechselnd deutsch und englisch; ND 26. 4. 1959 es war für manchen Arbeiter, der Heinz Quermann bisher nur als Conferencier von Funk und Fernsehen kannte, ein ungewohnter Anblick, den beliebten Künstler hinter einem Rednerpult wiederzufinden; MM 30. 10. 1959 „Das war das erste und letzte Mal, daß Sie hier konferiert haben". „Das will ich glauben", sagte der berühmte Conferencier (DUDEN 1993); Bildztg. 6.1.1967 eine Stunde lang stellt Conferencier Thomas Fritsch populäre Schlagerstars vor; Welt 17.10. 1969 Peter Ustinov, der englische Regisseur, Schauspieler und Theaterautor, wird beim Gala-Abend des UNO-Kinderhilfswerks Unicef . . im Pariser Odeon-Theater als Conferencier auftreten; Husch 1971 Enthauptungen o. S. die mörderische Mediokrität der Meinungen .. wird thematisch in nahezu jeder einzelnen Programmnummer des „patienten" [Kabarettsendung]. Versteht man den „patienten" ohne Anführungsstriche, will sagen als das, was der „Conferencier, Moderator, Zeremonienmeister oder auch Mediziner" von ihm hält: . .; FAZ 20. 7. 1971 wo in aller Welt so viele erstklassige Conferenciers hernehmen? Hier liegt der gepfefferte Hase. Wie war's mit Gastverulkern?; ND 24. 5. 1974 Bei diesem . . Interpretenwettbewerb, in dem . . nicht Ensembleleistungen . . gewertet werden, sondern die Einzeldarbietungen von Schlager- und Chansoninterpreten, Beatgruppen sowie von Conferenciers und Humoristen; Zeit 10. 5. 1985 Am Abend , . in der überfüllten Franken-Halle, beim „Programm für den Anfang" von Künstlern aus acht Ländern noch einmal der „gegen den Strom schwimmende" Willy Brandt, nicht als „Conferencier", wie er gleich richtigstellte, sondern als der „Alte", der den „Jungen" ins Gewissen reden wollte; ebd. 16. 8. 1985 Täglicher Höhepunkt des Flachsinns ist der . . Bunte Abend . . Bei der Wahl der „Miß Söhnlein" fragt Conferencier Bernd Müller eine Kandidatin nach dem Vornamen; ebd. 16. 5. 1986 Das Erzählen ist ihm nur ein Vorwand, ein Anlaß, bei erster Gelegenheit vor den Vorhang zu treten als Kommentator,. . als Conferencier. Weil er diese Rolle charmant und amüsant . . auszufüllen versteht, hört man ihm gern zu; ebd. 12. 12. 1986 Fast wäre der Conferencier (Michel Dussarat) in ein Loch im Bühnenboden gefallen; ebd. 13. 2. 1987 es [Programm] besteht allein aus guter Absicht und es wird zusammengehalten . . von einem routinierten Conferencier; ebd. 8. 5. 1987 Aus dem Renaissancemenschen Faust wurde so in München [Auffüh-

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rung des „Faust"] der überanstrengte Conferencier einer endlosen Märchen- und Ausstattungsrevue; MM 13. 7. 1987 Michael Gaeth, der blonde Riese und Frontmann des Schwaben-Terzetts, mimte während des Programms den wortgewandten Conferencier; 199? Esquire XI154 In dem glimmenden Palast im Stil der dreißiger Jahre — mit Tischtelefon und Zigarettenmädchen — feierte schon Andre Hellers Weihnachtsshow mit einem siebzigjährigen Zwerg als Conferencier rauschende Erfolge. Gründungsväter der neuen Bühne waren die Polit-Kabarettisten; Spiegel 17.5.1993 Ein Modefabrikant investierte 70 Millionen Mark, um Tennisstars in die Provinz zu holen. Jede Bewegung sitzt perfekt. Wie einer der Conferenciers, die der Kundin aus dem gehobenen Mittelstand die „Garry-WeberMode" präsentieren, führt der Unternehmer Gerhard Weber den Gutachtern des Deutschen Tennisbundes seine teuerste Kreation vor; ebd. 8.11.1993 Neben „Viva" soll nun „Com-TV" im neuen Jahr in Betrieb gehen. Das Unternehmen, an dem der ZDF-Conferencier i. R. Wim Thoelke beteiligt ist, will mit Jazz und Soul die Herzen der 35- bis 55jährigen erobern. Conference: Der Berliner 27. 10. 1929 Wenn sich . . der Conferencier Werner Fink (von dem sich einmal die heutigen Granden der Conference eine Scheibe werden abschneiden können) vor Freude über den Erfolg einer Nummer auf die Schenkel schlägt; Bert, lllustr. Nachtausg. 5. 1. 1933 Humor in verschiedenen Qualitäten (Überschr.) Maria Ney erklärt in ihrer Conference, daß sie wenig Wert auf Kultur legte; ebd. 1.2. 1933 Willi Schaeffers Kabarett für Alle . . Die Conference hat William Berner; Dtsch. AZ. 12. 2. 1935 Das „Kabarett auf dem Teller" war ein sehr begrüßenswerter Versuch . . Nur die Conference war . . nicht überlegen genug; Münch. N. N. 16. 6. 1942 man dankte am Schluß für die „wörtlichen" Leistungen des bekannten . . Ansagers vom Reichssender München, der seine Dauer-Conference mit heiteren Versen . . durchsetzte; Süddtsch. Ztg. 17. 1. 1951 Für wienerisch heitere Conference sorgte Hansl Baldauf; Welt 4. 8. 1969 Kulenkampff ist zu loben. Er hörte auf, als er noch vernehmliche Sätze zu artikulieren vermochte, als er das sprühende Leder seiner Conference noch mit liebenswertem Charme wettmachen konnte; ND 24. 5. 1974 weniger befriedigend fällt die Einschätzung auf dem Gebiet der Wortdarbietungen aus. Vor allem die Ansprüche an den Humor und die Conference . . werden bei weitem noch nicht erfüllt; Zeit 27. 9. 1985 da mochten die Kollegen vom ZDF aus den Negativ-Erfahrungen der ARD mit deren Bach-Marathon gelernt haben. Sie holten sich für die Conference in Helmuth Rilling ohne Zweifel einen der sachlich Kompetente-

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sten, beschränkten sich auf 95 Minuten . . Aber auch sie konnten . . nicht vermeiden, daß diese Sendung immer wieder ein Frikassee verabreichte aus unvollständigen Stücken; ebd. 7.11. 1986 Dieter Hildebrandts Domäne ist die Conference, die bei ihm den Namen Solo trägt. Er tritt hiermit die Nachfolge von Werner Finck an; MM 11. 5. 1988 Die perfekte Show und manchmal ein bißchen mehr (Überschr.) Da wirft sie denn einmal zu oft den Kopf in den Nacken, reckt das Mikrofon zum Himmel und posiert dramatisch mit geschlossenen Augen. Da schäkert sie einmal zu oft . ., zeigt zu

ostentativ ihre schönen Beine, während sie ihre vorgefertigte Conference herunterspult; Spiegel 18.1.1993 Juhnke: In der Anfangs-Conference sage ich immer: „Ich freue mich, daß Sie gekommen sind und fest mit meiner Anwesenheit gerechnet haben." conferieren: MM 30. 10. 1959 „Es war das erste und letzte Mal, daß Sie hier konferiert haben." „Das will ich glauben", sagte der berühmte Conferencier (DUDEN 1993). GS

Container M. (-s; -, selten auch -s), seit den 30er Jahren des 20. Jhs. nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. engl. container (zu contain 'enthalten; umfassen', über frz. contenir zurückgehend auf lat. continere 'zusammenhalten'; —»· Kontinent). la Vereinzelt bereits in den 30er Jahren in der Bed. 'zur Aufbewahrung oder zum Transport einsetzbarer Behälter', seit Mitte der 60er Jahre zunehmend im internationalen Handel, Transport- und Verkehrswesen für 'genormter, wiederverwendbarer quaderförmiger Großbehälter aus widerstandsfähigem Material als Transportmittel zur rationelleren Beförderung von Fracht-, Stückgut in größeren Einheiten (auf Schiffen, Eisenbahnen, Lkws oder Flugzeugen) über große Entfernungen und ohne Umpackung der Ladung', in zahlreichen Zss. wie Container-Terminal M. (-s; -) 'mit Be- und Entladeeinrichtungen versehene Verladestation', Containerverkehr, -geschäft, -hafen, -produktion, -dienst, -umschlagplatz, -bahnhof, -reederei, -schiff, -zug, -kran, -Zeitalter, -Riese, -Revolution; Standard-, Kühl-, Schiffs-, Tank-, Vollcontainer; in jüngster Zeit auch als Fachwort des Buchhandels gebucht für 'Karton, Schachtel für den Bücherversand'. Dazu die vereinzelt in den 70er Jahren gebuchte, aus gleichbed. engl. containerize übernommene verbale Ableitung containerisieren V. trans., bezogen auf Frachtgut, Fluggepäck o. ä. 'in Containern verschicken', mit dem dazugehörigen Subst. Containerisation F. (-; PL ungebr. ), dem Verbalsubst. Containerisierung F. (-; PL ungebr.) und in den 80er Jahren der adv. gebrauchten adj. Ableitung containerweise, auch bildlich im Sinne von 'eimer-, kübelweise, massenhaft'. b Seit den 40er Jahren selten auf andere Bereiche übertragen für 'größeres (tragbares) Behältnis, Kiste, Kübel (z. B. zum Auffangen von Flüssigkeiten, zur Warenpräsentation)' (—»· Box 2a), in Zss. wie Blumen-, Pflanz(en)-, Disketten-Container; Containerpflanze, auch bildlich verwendet (s. Belege 1956, 1988). c Seit den 70er/80er Jahren im Bereich des Umweltschutzes und der Abfallbeseitigung für '(auffällig eingefärbter) Stahl- oder Kunststoffbehälter, der zur Aufnahme und Sammlung von wiederverwertbaren (Roh-)Stoffen (Altglas, -papier, -plastik o. ä.), Materialien oder der Entsorgung von Abfall dient, und an Ort und Stelle geleert oder zu einer entsprechenden Anlage transportiert wird' (—* Box 2a), häufig in Zss. wie (nach dem verwendeten Material unterschieden) Plastik-, Blech-, (nach dem Verwendungszweck) Sammel-, Recycling-Container, (nach dem aufgenommenen Inhalt) (Alt-)Glas-, (Alt-)Papier-, Abfall- und vor allem Müllcontainer, auch bildlich z. B. in der Wendung Müllcontainer der Nation im Sinne von 'der letzte Dreck, der Abfalleimer der Nation'.

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2 Gleichzeitig auch für 'vorübergehend aufgestellter Großbehälter in Fertigbauweise als (Behelfs-, Not-)Unterkunft, -Behausung für die vorübergehende Unterbringung von Menschen (z. B. in Katastrophengebieten, Flüchtlingslagern, an Baustellen) oder zu verschiedenen gewerblichen oder Dienstleistungszwecken (z. B. hygienische Bedürfnisse, Information u. a.)' (—> Baracke), als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Toiletten-, Informations-, Wohn-, Sanitär-, WC-, Umkleide-Container; Container-Bau(-weise), -Siedlung, -camp, -bauschen. Container la: Aussiger Tagbl. 21. 7. 1937 der sogenannte Containerverkehr; Prager Zeit 13. 8. 1937 Transportfracht (Container); Zeit 11.4. 1957 Den Anfang machten die USA; wo die drückend hohen Umschlagskosten besonderen Anlaß geben, auch in der Linienfahrt neue Wege zu beschreiten. Dort wurden die ersten „Containerschiffe" (sie verladen genormte Behälter) in Fahrt genommen; Stuttgarter Ztg. 11. 8. 1966 Die Container-Idee kommt aus den Vereinigten Staaten. Zunächst wurden mit den europäischen Bahnverwaltungen und einigen Seehäfen Verhandlungen geführt, ob es nicht möglich sei, bestimmte Güter beim Absender in Behälter zu verpacken und beim Empfänger erst wieder auspacken zu können; ebd. 12. 5. 1967 will die Bundesbahn . . einen sogenannten Container-Terminal einrichten, der dem Umschlag von Großbehältern für die verschiedenen Arten von Stückgütern auf dem Weg zu den europäischen Seehäfen dienen soll; Spiegel 13. 2. 1967 Warentransport in sogenannten Containern . . diese Behälter in international genormten Größen, die vom Schiff direkt auf Bahn oder LKW umgeschlagen werden (AWB); Welt 25. 2. 1969 Neue Container-Liegeplätze in Bremerhaven (Überschr.) Sie sind für die Container-Reedereien mit ihren kostspieligen Containerschiffen deshalb von großer Bedeutung, weil sich durch die Einsparung der Schleusenzeit die Umlaufgeschwindigkeit der Schiffe noch erhöhen läßt; FAZ 18. 7. 1969 Container-Riesen für die Ostasienfahrt (Überschr.); Welt 25. 7. 1969 Der heute in den Brennpunkt der Verkehrsfragen gestellte Container ist nichts Neues. Als „Behälter" hat er eine 40jährige Vergangenheit . . Von der „Container-Revolution" konnte man jedoch erst sprechen, als es darum ging, auch im Überseeverkehr den direkten Haus-zu-Haus-Verkehr einzuführen . . Praktisch sind die Container kleine, transportable Lagerhäuser, die mit allem ausgestattet werden können, was ein Lagerhaus braucht, bis hin zur Kühlanlage . . neben den Standard-Containern . . Open Top Container, Kühl-Container, Tank-Container; ND 4. 11. 1969 Der letzte Deutrans-Container wird an Bord genommen .. „Kisten", die bisher unseren Seeleuten nicht bekannt oder anempfohlen waren . . Die Transportzeit eines Containerzuges ist kürzer als die eines konventionellen Waggons; 1971 Junge Wirtschaft VI 7 Als es 1966 mit

dem Container-Verkehr losging, war Markus Krauss sofort auf dem Plan. Er ahnte, daß diesem Transportmittel die Zukunft gehören würde; 1971 Maschinenmarkt Nr. 28 Containerbrücken be- und entladen größte Containerfrachter . . Mit einem Containerkran . . können zwei gekoppelte, voll abgeladene 20-Container von Schiff zum Kai umgesetzt werden; Welt 23. 10. 1974 Mit Hilfe eines neuen Container-Systems auf dem Weg zur Transport-Industrie; ebd. beginnt sich . . im Ein- oder Verkauf die Bestellung in containergerechten Einheiten durchzusetzen. Hier sind es insbesondere die chemische Industrie, die Nahrungs-/Genußmittelbranche und verwandte Zweige, die sich den Container zur Senkung von Transport- und Umschlagskosten zunutze machen; Zeit 5. 9. 1986 [Ein belgischer Tanklastzug] war den Beamten aufgefallen, weil er auf dem Hinweg die Chemikalie 1,2Butandiol und auf dem Rückweg 12000 Liter Speiseöl im selben Container geladen hatte; MM 2. 10. 1987 angesichts des erweiterten und mittlerweile schon wieder voll ausgelasteten ContainerUmschlagplatzes am Mühlauhafen; Frankf. Rundsch. 27.11. 1990 Außer den Hauptbahnhöfen der Containerbahnhof in Stralsund, der Seehafen Rostock und die Grenzbahnhöfe im Osten. Containerisierung: N. Z. Z. 21.8.1983 Mit der Einführung der revolutionierenden Containerisierung zu Beginn der 70er Jahre sind die verfügbaren Transportkapazitäten sprunghaft in die Höhe geschnellt (DUDEN 1993). Containerisation: Süddtsch. Ztg. 3. 1. 1970 Ein weiteres Novum ist die „Containerization", die den Huckepackverkehr von morgen verdeutlicht. . Wechselladesysteme, Behälter und Umschlaggeräte der Zukunft; Welt 23. 10. 1974 In einer staatlich gelenkten Planwirtschaft ist es relativ leicht, die Erfordernisse von Industrie und Handel an die durch die Containerisation gegebenen Möglichkeiten anzupassen. Die Industrieneuplanung einer Reihe von osteuropäischen Staaten steht unter der Auflage, von vornherein den Einsatz des Containers zu berücksichtigen; ebd. Superfrachter machen das Rennen: non-stop und fahrplanpünktlich. Containerization .. bevorzugte Relaisstation zwi-

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sehen Land und See ist Bremerhaven — Europas größter und modernster Container-Terminal. containerweise: Zeit 5. 4. 1985 eine fünfköpfige internationale Kommission wählte aus, großzügig und containerweise . . Das alte Musee d'Art Moderne im Westen faßte diese Werkfolgen von 118 Künstlern nicht mehr; ebd. 20. 9.1985 Wir verkaufen an unsere privaten Exklusivagenten . . die nehmen uns das Material containerweise ab. Container Ib: N. Z. Z. 26. 10. 1944 die umfangreichen Saft- und Konzentratsverschiebungen erfordern die Mobilisation aller verfügbaren Fässer, Kesselwagen, Faßwagen und Container; Anders 1956 Antiquiertheit 105 Das wirkliche Heim ist nun zum „Container" degradiert; Rehork 1971 Funde o. S. Wenn die Regenwasserzisternen austrocknen, muß ein Logger Wasser in einem Kunststoffcontainer herbeischleppen; Presse 22. 6. 1974 Container-Pflanzen können Sie ganzjährig im Garten aussetzen; 1977 Katalog d. Fa. GartenQuelle 34 Qualitätsstauden — alle vollbewurzelt im Container; 1985 Katalog d. Fa. INMAC 14 Abschließbarer Disketten-Container sorgt für mehr Sicherheit (beide AWB); Zeit 6. 6. 1986 Speyer . . mit seinem unverwechselbaren Kaiserdom . . und seiner verwechselbaren Fußgängerzone aus der Blumencontainer-Epoche der 60er Jahre; MM 22.4.1988 Phytotherapeutika, das ist heute ein Container, in den die unterschiedlichsten Dinge hineingeworfen werden. Container Ic: Spiegel 25. 7. 1977 im Müllcontainer einer Mädchenschule; 1981 Bravo L 15 einem ziegelroten Altglascontainer; Westfäl. Volksbl. 3. 10. 1984 Altstoffcontainer [für Altpapier und Altglas] . . Nicht weiter als 100 Meter von der Haustür stehen die 100 grünen Sammelcontainer (alle drei AWB); MM 35. 1. 1985 Altglas in einen der über 100 grünen Sammel-Iglus oder in einen der vier Großcontainer; Zeit 25. 1.1985 sollen . . Abfallcontainer für die neuen Wegwerfpackungen aufgestellt werden; MM 16.3.1985 über funktionierende Verfahren der getrennten Abfallbeseitigung zu informieren . . außer den Glasbehältern — weitere Container für Wertabfälle aufzustellen; Zeit 31.1. 1986 das Guggenheim-Museum . . ist wahrhaftig nicht ein alter Kunstcontainer; MM 5. 3. 1986 Glas-, Altpapier-, Kunstoff- und Sondermüllcontainer könnte man nach Auffassung der FDP in sogenannten Recycling-Höfen zusammenfassen; ebd. 17. 7. 1986 Standort-Vorschriften für die Container . . daß Glas- und Papier-Container nicht weiter als 500 Meter von dem Ort entfernt aufgestellt werden dürfen; Stern 13.8. 1987 was nach Einschätzung der Beamten brauchbar war,

wanderte in einen Container. Der Rest zerdepperte auf der Straße: Möbel, Blumentöpfe, Pflanzen; MM 31.3. 1988 müssen Plastic-Iglus, so beißend grün, die Blech-Container so rostig-braun und die Recycling-Müllbehälter so schmutzig und unsympathisch sein?; Frankf. Rundsch. 5. 7. 1990 Der Staabü-Lehrer in der Händelschule wehrt sich: Als „Müll-Container der Nation" wolle er sich nun auch nicht sehen. Und er drückt damit den Seelenzustand aus, in dem sich derzeit viele seiner Kollegen befinden. Container 2: FAZ 13. 3. 1971 Englische Architekten stellen ihre „Container-Bauweise" vor. Fertig installierte Bauteile mit eingebauten Küchen, Schränken, Betten und sanitären Einrichtungen in der Größe eines verkehrsüblichen Containers können auf Bahn, Lastwagen oder auch mit Hubschrauber leicht transportiert und am Bestimmungsort montiert werden; Welt 26. 1. 1974 Die sinnvolle Weiterentwicklung der Vorfertigung führte zur Herstellung vollständiger, eingerichteter Raumgebilde im Container-Format. Diese Körper sind wie Container transportierbar, sie können wenige Stunden nach der Aufstellung ihre Funktion als Kindertagesstätten, Unterkünfte, Sanitärräume, Büros, Motels oder Verkaufsräume übernehmen; Stern 22. 11. 1979 Die Stadtreinigungsbetriebe versprachen, das Problem des „In-die-Büsche-Gehens" durch einen Toiletten-Container zu beheben; Hersf. Ztg. 4. 7. 1984 können Besucher den Rotor . . auf Knopfdruck in Aktion sehen, aber nur auf Video im „Informationscontainer" am Fuße der 100 Meter hohen Konstruktion (beide AWB); MM 17.1. 1985 In Stuttgart hat das Sozialamt für auswärtige Obdachlose Container aufgestellt . . Inzwischen gibt es auch zwei sogenannte Sanitärcontainer mit Dusche und Toilette; ebd. 23. 4. 1985 Informationsstände und die Verteilung von Flugblättern zu nichtgewerblichen Zwecken . . Container, die auf öffentlichen Straßen abgestellt sind; Sachs. Tagebl. 3. 9. 1985 „OP-Saal" im Container . . Der komplett ausgestattete Spezialcontainer .. ermöglicht ärztliche Behandlungen und allgemeine Operationen (AWB); MM 6. 12. 1985 soll bereits im nächsten Jahr sozusagen als Pilotprojekt eine komplette Versuchsaufbereitungsanlage im Containerbau installiert werden; ebd. 21. 6. 1986 An der Bergstraße ist der Mief meist nur halb so groß wie in Mannheim. Erste Ergebnisse der drei Meßcontainer . . lassen diesen Schluß zu; ebd. 14. 7. 1986 Nach unseren Normen hätten dann auch Strahlenmeß-, Ganzkörperzähler-Container, Kontroll- und Umkleide-Container und Dekontaminations-Container des Kerntechnischen Hilfsdienstes nach Tschernobyl gebracht werden müssen; Zeit 3. 4. 1987 Ein Kran dreht einen langsamen Kreis,

Contenance Lastwagen rütteln vorbei, Baucontainer stehen da in stumpfem Blech; Spiegel 14.8.1989 „Zusammenrücken, ja, wo denn?" (Überschr.) Bis zur letzten Kammer sind bundesweit die Unterkünfte für Fremde ausgebucht. Die Deutschen drängen sich — auch nicht anders als Asylbewerber — schon in Turnhallen, Containerdörfern und umgewidmeten

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Eros-Centern; ebd. die Containercamps, wie sie weitab vom schönen Berlin nahe der Mauer im Berliner Süden versteckt sind . . in einem 77-Behälter-Lager; ebd. 8. 1. 1990 Anwohner im Hamburger Villen-Vorort Poppenbüttel demonstrierten lautstark gegen eine Containersiedlung für Übersiedler in ihrer Nachbarschaft. IN

Contenance F. (-; ohne PL), schon Anfang 13. Jh. (in Gottfried v. Straßburgs „Tristan") vereinzelt in der Form contenanze bezeugt (LEXER), erst seit Ende 16. Jh. häufiger nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. frz. contenance (über altfrz. contenance 'Haltung, Betragen, Benehmen', mlat. continentia 'Aussehen; angemessene Haltung' zurückgehend auf lat. continentia 'das Ansichhalten, Mäßigung, Keuschheit; Enthaltsamkeit; Selbstbeherrschung, Uneigennützigkeit', zu continere 'zusammenhalten; aufrechterhalten; sich enthalten, im Zaume halten, bezähmen, zügeln, mäßigen'), anfangs selten in der eindeutschenden Form Contenantz, seit dem 17./ 18. Jh. zunehmend in der heutigen Form. Bildungsspr. verwendet in der Bed. 'Mäßigung, Zurückhaltung; Fassung, (Gemüts-)Ruhe, (ruhige, gelassene, besonnene) Haltung, Gleichmut, Besonnenheit, Geistesgegenwart, Selbstbeherrschung (bes. in einer schwierigen Lage)', vor allem in den (zum Teil wohl aus dem Frz. lehnübersetzten) Wendungen (die) Contenance halten (veraltet), jmdn. aus der Contenance bringen, aus der Contenance kommen, die nötige Contenance vermissen lassen und bes. die/seine Contenance verlieren, (be-)wahren; früher selten auch für 'das Aussehen, Gesichtsausdruck, Gebärde(n)' (s. Belege 1681, 1727). Vgl. daneben das aus gleichbed. frz. decontenancer übernommene, von Anfang 18. bis ins frühe 20. Jh. selten bezeugte Verb decontenancieren 'jmdn. außer/ aus der Fassung bringen, verwirren', auch 'die Fassung verlieren', meist adj. in der Part. Perf.-Form decontenanciert verwendet. Contenance: Eyzinger 1593 Relationen IV 21 zu denen, welchen es scheint, durch Ewr. Contenantz oder gelassenheit, das jhr jnen vbel vnnd böses günnet; Nicolai 1632 an Reinhard (Irmer l 255) er wolle nur gehen, des feinds contenance zu recognosciren; ders. 1632? an Reinhard (Sonden 9) zweiffeie nicht, man wirdt auff dergleichen laut contenance acht geben; ders. 1633 an Hempel (Sonden 368) auff Merode seine contenance acht zu haben (alle drei JONES); Lauremberg 1652 Scherzgedichte 11 Mit Wyßheit, gentilesse und braver contenantz; ders. 1654 Scherzgedichte Hochdtsch. Anm. a7r Continanz [!] gutes verhalten; Stieler 1681 Sekretariat-Kunst o. S. Contenance Stellung/ Geberde (beide JONES); Sperander 1727 A l mod Sprach 153 Contenance, das Ansehen, die Gestalt des Gesichts, Geberden; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. X 7) Der Schauspieler kann ohnstreitig unter der Maske mehr Contenance halten; Weisse 1769 Beytrag (IV 424) die wenige Contenance [Haltung vor der Öffentlichkeit]; Nicolai 1774 Nothanker / 202 wollte noch eine Minute

Contenance halten; 1775 ebd. H 176 nahm eine Prise zur Contenanz [,um sich zu beruhigen]; Michaelis 1776 Räsonnement IV 60 so glaubt sich der Respondente doch nun sicherer und antwortet mit mehr Contenance und Gegenwart des Geistes; Leisewitz 1779 Tagebucher I 26 ein lächerliches quid pro quo . ., das mich aber bald aus aller Contenance gebracht hätte; Wieland 1784 Merkur l 161 die Unternehmer ließen den Muth nicht sinken; und die gute Contenance, die sie hielten, richtete auch bald wieder das Publikum auf; Schiller 1789 Er. II 291 Mit den zehn ersten Worten war ich im ganzen Besitz meiner Contenance; Moritz 1793 Grammat. Wb. I 295 Contenance: das An sich halten, sehr standhaft bezwingen. Aus der Contenance kommen, nicht gehörig an sich zu halten wissen. Der fremde Ausdruck ist im gemeinen Leben noch sehr gebräuchlich, könnte aber füglich entbehrt werden; Cogniaczo 1794 Geständn. II 47 die wunderbare Contenance und Ordnung des preusischen [!] Fussvolks bey Mollwitz; Iffland 1796 Wirrwarr (Theatral. W. XV 249) Halten Sie

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Contenance; Goethe 1798 Br. (WA IV 13,124) Das Stück ging .. nicht fließend genug . . daher . . er [Iffland] statt eines freyen Spiels hie und da Contenance brauchte wobey er sich . . meisterlich zeigte; Rochlitz 1799 Landmädchen (LD. LXV1 149) Den Muth nicht sinken lassen! Kopf behalten! Contenance! Alles wohl maskirt; Schopenhauer 1803 — 04 Reisetagebücher 28 mich fast aus der Contenance gebracht; Hauff 1827 Mann im Mond (XU 98) wie sie von Anfang durch seine doch etwas gar zu indiskrete Aeußerung sehr außer Contenance gekommen; Pückler-Muskau 1831 Br. e. Verstorbenen 120 sonst hätte ich schwerlich gute contenance erhalten; Burckhardt 1860 Br. IV 69 Ein paar heldenmüthige Frauenzimmer übergaben sich beständig [auf Seefahrt] ohne doch irgend die contenance zu verlieren; Heyse 1873 Kinder d. Welt U 109 [das Rauchen] ist manchmal sehr nützlich um Contenance zu bewahren; Fontäne 1886 Br. H 140 Ich bewundre . . immer ihre Beherrschungskraft, ihre vollkommene Contenance; West 1891 Vogelhändler 35 Nur Contenance, nur Patience; Fontäne 1898 Zwanzig 237 Contenance zu bewahren; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 264 f.) einerseits ist er nicht imstande, taktlosen Naivitäten anderer Leute gegenüber die Fassung zu bewahren. Er ist dem nicht gewachsen, . . er verliert ganz und gar die Contenance. Aber andererseits kann er auch in der Weise die Contenance verlieren, daß er selbst in das unangenehmste Ausplaudern gerät; ders. 1904 Reden u. Aufs. (W. X 405) packt mich der Haltungstremor — ich kenne mich, ich verliere die Contenance dort, wo ich liebe und an der Erwiderung solchen Gefühles verzweifeln muß; Auffahrt 1910 Offizier 18 Zur feineren Lebensart gehört ferner das, was die Franzosen contenance nennen, d. i. die Haltung oder besser Zurückhaltung und Harmonie im äusseren Betragen, Gleichmütigkeit; f. Wahlendorf 1936 Erinn. 142 Vergessen habe ich mich nie im Leben! Diese seltene Contenance hatte ich im Corps prächtig gelernt; FAZ 29. 7. 1970

Wenn aber schon ein so erfahrener politischer Kämpfer die Contenance verliert; Welt 18. 1. 1974 Auch einige FDP-Politiker ließen nach Ansicht des Kanzlers die nötige Contenance vermissen; Zeit 3.5.1985 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sonst eher den Aufgeregtheiten abhold, verliert fast die Contenance; ebd. 11. 10. 1985 es blieb in Paris auch nur bei kleinen Fauxpas, es gab keine Pannen. Wie in London fiel Gorbatschow nie aus der Rolle, verlor nicht die Contenance, ließ es bei kurzen Attacken bewenden; Spiegel 22. 3. 1993 Neue Küche — Krise in Hongkong (Überschr.) China will vier Jahre vor der Machtübernahme in der britischen Kronkolonie ein Schattenkabinett bilden. Einen Moment verlor der Adelige die Contenance; Süddtsch. Ztg. 18./19. 9. 1993 beim Schimpfen auf die „sozialfaschistischen" Sozialdemokraten, verliert er [Becher] die Contenance . . und rettet sich . . in höfliche Glätte; Spiegel 7.2.1994 Die Trennung von Hobbyflieger Lesche hat Thoma mit den nicht abgestimmten Personalaktionen selbst provoziert: Über dem Kompetenzstreit verlor Lesche die Contenance; Zeit 20. 5. 1994 Auf der Flucht vor der Gestapo hat der jüdische Philosoph nur noch zwei Dinge zu verlieren: sein Manuskript und seine Contenance. decontenancieren/decontenanciert: Elis. Charl 1700 Br. I 195 ich habe mein leben niemandts so descontenancirt [!] gesehen, alß baron Willich war; Bretzner 1787 Leben II 185 dekontenancirte junge Herrin; Nicolai 1790 Anekdoten IV 43 Er war zwar in solchem Falle nichts weniger als dekontenancirt, sondern [!] nahm das Pferd gut zusammen; Sanders 1871 Fremdwb. 242 Decontenancieren, . . aus der Kontenance od. Fassung bringen, verblüffen; Heilborn 1929 Revolutionen I 19 der sich . . beim Kaiser .. Gehör verschaffte, zu weinen anfing, .. in immer gesteigertem Weinen den Kaiser anflehte, bis der, einigermaßen dekontenanciert, dem Bittenden willfahrte. GS

cool Adj., in den 50er Jahren des 20. Jhs. wohl im Zusammenhang mit der Jazzbewegung aufgekommene Entlehnung aus gleichbed. engl. cool, eigentlich 'mäßig kalt, kühl', anfangs noch in engl. Syntagmen wie Cool Jazz, Cool Sex, Cool Look. Ausgehend von der amerikan. beeinflußten Jazzmusikszene der 50er Jahre zunächst ausschließlich und bis heute noch häufig bezogen auf Musik in der Bed. 'kühl, zurückhaltend, ausgewogen (im Stil des Cool-Jazz, s. u.)'; seit den 60er Jahren, vor allem in der Mode, Kunst, der Medien- und Werbesprache, schlagwortartig verbreitet bes. als Ausdruck für Stimmungen und Gemütslagen, speziell den Zeitgeist und das Lebensgefühl der jüngeren Generation, in der Bed. 'zurückhaltend, ruhig, gelassen, beherrscht, leidenschaftslos, sachlich; über der Sache stehend, unbeteiligt, überlegen, abgeklärt, nüchtern' (-+ lakonisch, —> smart, —+ professionell, —» routiniert,

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—»· distanziert), auch eher abwertend für 'gleichgültig, teilnahms-/gefühllos, überheblich; kaltschnäuzig' (—» zynisch, —> steril; s. Belege 1979, 1984, 1985), und positiv wertend in der Jugendsprache der 70er/80er Jahre im Sinne von 'außergewöhnlich, auffallend, beeindruckend; toll, scharf (s. Belege 1967, 1979, 1987), z. B. in cooler Typ, Macker, coole Clique, gelegentlich werbespr. verwendet und assoziiert mit der (im Engl. ursprünglich) auf die Temperatur bezogenen Bed. 'kalt, kühl (von Getränken, Kleidung o. ä.)' (s. Belege 1984, 1990); häufig in Wendungen wie cool bleiben (nach engl. keep/stay cool), sich cool geben, (ziemlich/echt/besonders/völlig) cool wirken, agieren, rechnen, kalkulieren, cooler Trend, coole Sprüche, Geste, und bes. cooler Look (nach gleichbed. engl. cool look), im Bereich der Mode bezogen auf Kleidung und äußere Erscheinung 'lässiges Aussehen, Auftreten', vereinzelt übertragen 'gelassene (Zurück-)Haltung, Verhaltensweise' (—* Understatement; s. Beleg 1971), in intensivierenden Ableitungen wie ultracool, in Zss. wie skeptisch-cool, lässig-cool, und vor allem in (aus engl. cool jazz übernommenem) Cool-Jazz, auch in der Kurzform Cool, als Bezeichnung für den Jazzstil der späten 40er und frühen 50er Jahre, der sich durch eine ruhige, kühle Zurückhaltung und Ausgewogenheit auszeichnete. Dazu seit den 60er Jahren das aus gleichbed. engl. coolness übernommene Subst. Coolness F. (-; ohne PL), für 'kühle Beherrschtheit, Gelassenheit, Zurückhaltung, Sachlichkeit, Nüchternheit; Übersicht, Überblick (im Handeln, in der Reaktion)' (vgl. Routiniertheit, —> Routine, —»· Professionalität), gleichzeitig auch abwertend für 'Langeweile, Gleichgültigkeit, Leere' (s. Belege 1984, 1986), auch 'Überheblichkeit' (s. Beleg 1983). cool: Berendt 1953 Jazzbuch 22 Gegen Ende der vierziger Jahre war auch der Bebop „klassisch" geworden . . Das Neue, was danach entstand, nennt man Cool-Jazz: kühlen Jazz. Die „Kühle" im Spiel eines Jazzmusikers ist ein absoluter Wert geworden — wie es früher das „Hot"-Spiel war (AWB); Süddtsch. Zig. 3. 5. 1955 Die Zuhörer . . fühlten sich im zweiten Teil des Programms, das aus Blue-Musik bestand, sichtlich wohler als im ersten, die dem modernen „Cool Jazz" gewidmet war; Stave 1958 )azz 134 Die Jazzmusiker . . verwandten die Ausdrücke für die jeweilige stilistische Entwicklung, in der sich die Jazzmusik befand, z. B. Swing, Bebop, Cool; Spiegel 4. 12. 1967 Hippies loben sie [die Schrift Mahatma Ghandis] als cool; ebd. 9. 10. 1967 kommen unter dem Titel „A Simple Matter of Conviction" Cool-Versionen amerikanischer Evergreens heraus; ebd. 11. 12. 1967 Lemke, selbst cool und karg wie ein Action-Man, erhofft von seinem Erstling nur, „daß er drei Millionen Kasse macht" (AWB); Frankf. Rundsch. 16.2. 1971 hat der Außenminister Walter Scheel die Freuden einer lärmfreien Diplomatie entdeckt: Von seiner Reise nach Washington und New York wird so wenig Aufhebens gemacht wie zuvor von seinem Besuch in London . . Der neue „Cool Look" des Auswärtigen Amtes hebt sich erfreulich von der Nervosität

ab, die andernorts in Bonn gelegentlich zu spüren ist; Musik 1973 Express VI 23 Drinnen gab's heiße und coole Musik von der Platte!; Westfäl. Volksbl. 26. 1. 1977 Der vibratoarme Cool-Jazz seines Altosax und seine Sidemen . . prägten den Stil der 50er Jahre mit; Bunte 31. 5. 1979 Bei der Geburtstagsparty einer Freundin tauchte plötztlich ein Neuer auf, ein ganz cooler Typ, der mir sehr gut gefiel; ebd. 25. 10.1979 Das geht so weit, daß er Angst, Schmerz oder Liebe bald nicht mehr empfinden kann. Er wird gefühllos, „cool"; Bild 6.5. 1984 Sommerliches Vergnügen: gepflegtes Essen und ein cooler Drink; ebd. 10. 6. 1984 Ich mag die coolen Typen nicht! Die nur angeben, wie viele Freundinnen sie haben (alle sechs AWB); MM 4. 1.1985 eine starke Dämpfung der Gefühle und Abnahme der vitalen Antriebe . . entspricht durchaus dem Streben von Jugendlichen, besonders „cool" zu wirken. Auch entspricht die distanzierte Verrichtung am Bildschirm durchaus der heutigen Kriegstechnik; Zeit 4. 1. 1985 In einem Milieu .. aus karrieresüchtigen, exhibitionistischen Show-Figuren und cool kalkulierenden Managern; ebd. 26. 4. 1985 jeder gibt sich völlig cool, während Kirschbaum sechsstellige Summen in Aussicht stellt; ebd. 1.11.1985 Die sich täglich ausbreitende Stimmung von Wurschtigkeit bei den Kandidaten, dieses verdammt coole, als ob es um nichts

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Corpus delicti

ginge; ebd. 25. 4. 1986 rücksichtslos sachlich und cool; ebd. 5. 9. 1986 lange Haare und verbeulte Jeans. „Ultracool" und „bullenproof"; ebd. 20. 3. 1987 Überall wo es schön, teuer und — noch nicht — überlaufen ist, schaffen sie sich ihr Schöner-Wohnen-Ambiente, hip, trendy und cool; ebd. 10. 4. 1987 Et liefert nämlich paßgenau die Theorie, auf deren Formulierung der postmoderne, skeptisch-coole, von Theorien unverführbare Zeitgenosse gewartet hat; MM 29. 5. 1987 den lässigcoolen, aber noch nicht ausgereiften Saxophonisten; ebd. 30. 5. 1987 Heiß und cool (Überseht.) In einigen Passagen boten diese beiden . . richtigen, echten Cool-Jazz, wie er in den fünfziger Jahren gespielt wurde; ebd. 20. 5. 1988 Er . . versteckt seine innere Verletzlichkeit hinter flotten coolen Sprüchen; ebd. 16. 6. 1988 Die Frauen scharf wie Rasiermesser, teils willig und billig, teils cool wie Eiszapfen, mit soviel Charakter wie'n Pappbecher; 990 Petra XI 305 Und für alle, die es in diesem Winter durchaus ein paar Grad cooler lieben, bitte sehr: Unser Alles-Inklusive-Angebot in einem unserer 22 Schneedörfer wird sie ganz locker von den Brettern hauen (Anzeige); ND 8. 2. 1990 Ähnlich „cool" und förmlich hörbar mit dem Gebot britischen Pragmatismus, der Aufforderung „Don't panic!" verbunden; 1990 Chance U 10 Bissig befragt und häufig angefeindet, ließ er sich selten aus der Reserve locken. Er reagierte professionell verschlossen und cool; 99 Esquire XI 30 Hinter der Bar steht Hamburgs beliebteste Barfrau Melitta, davor cooles Jeans-Publikum ab Mitte Zwanzig; Sanders 1992 Sprachkritikastereien 106 Man trägt sein Herz nicht mehr auf der Zunge . . sondern gibt sich — in modischer Entlehnung aus dem Angelsächsischen — „cool". Kurz, wir neigen heute eher zu sachlicher Untertreibung, die sich wiederum vornehm-englisch „Understatement" nennt; Spiegel 13. 12. 1993 Die Mattel-Puppe zieht kleine Druckstempel aus den Schuhen, der Nesquik-Hase jubelt für Kakaopulver . . Ja, „das ist cool, das ist Spaß, das ist superstark".

Coolness: FAZ 3. 8. 1963 Ebenso weit von Beschwichtigung wie von Zynismus, von der zeitüblichern Talmiromantik wie von der zeitüblichen 'Coolness' entfernt; Quick 9. 2. 1978 eine Revolution auf der Tanzfläche. Die Jahrelang gepflegte Coolness, das einsame Vor-sich-Hin-schütteln, Hüpfen und Stampfen des sich selbst bewundernden Narziß war plötzlich passe; Stern 16. 8. 1979 Die Anonymität unter Gleichgesinnten, Coolness als Schild gegen Verletzbarkeit; FAZ 31.1.1983 Ihr industriell gestanztes Star-Image ließ sie als hochartifizielles Medienprodukt erstrahlen, als eine Inkarnation von unverzichtbarer Coolness und vorgefertigter Glamour-Pose; ebd. 15. 6. 1984 New-Wave, die düstere theatralisch-unbeteiligte Coolness-Welle; 1985 Sonntag XL/V 7 Rockgruppen, deren Musik und Bühnenhabitus sich auf gelangweilte coolness zurückzieht, auf technische Perfektion . . oder schlaffe Routine (alle AWB); Zeit 4. 4. 1986 Die angestrebte Adaption britischer Pop-Coolness hat nur dazu geführt, daß man bei jedem Darsteller denkt: so schön das Punk-Outfit auch ist, lieber würde dieser Herr im Bistro sitzen, Rotwein trinken, Käse essen und wild gestikulierend sabbeln; ebd. 25. 4. 1986 Der englische Philosoph [Wollheim] charakterisierte die Teenager als „neue Aristokratie mit den Eigenschaften der alten": kaufkräftig, narzißtisch, unpolitisch, moralisch gleichgültig, voll antisozialer Arroganz und elitärer Verachtung . . nirgendwo . . zeigt sich die aristokratische Abstammung des Teenagers deutlicher als in seiner 'air froid', seinem Kult um 'coolness'; MM 24.8.1987 Madonnas Erotik strahlt vor Unnahbarkeit und Coolness; Stern 19. 11. 1987 Beim Lesen ihrer Geschichten hatte ich oft das Gefühl, daß die Autorin eine Sonnenbrille trägt und aus sicherer Entfernung zuschaut . . Diese Coolness liegt über all ihren Geschichten. Es ist der desillusionierte Firnis der achtziger Jahre. IN

Corpus delicti N. (-; Corpora delicti), im späteren 17. Jh. aufgekommen (gebildet aus lat. corpus 'Körper, Leib', —>· Korpus, und delictum 'Fehler, Vergehen, Übertretung', subst. Part. Perf. von delinquere 'zurücklassen; sich vergehen'; —>· Delikt, —> Delinquent). In der Fachsprache des Rechts zunächst und daneben bis ins 19. Jh. in der Bed. 'die (Wahrheit der) Tat, Summe der Tatsachen, die ein Verbrechen darstellen, der kriminelle Tatbestand' (s. Belege 1707, 1727, 1733, 1756, 1789, 1847). Schon seit dem 17. Jh. (s. Beleg 1673) in der heutigen Bed. 'der sichtbare Gegenstand eines Verbrechens, gegenständlicher Schuldbeweis; Gegenstand, mit dem eine strafbare Handlung ausgeführt wurde und der vom Gericht als Beweisstück gewertet wird'; auch allgemeiner und scherzhaft verwendet (s. Belege 1790, 1852, 1949).

Corpus delicti Weise 1673 Erznarren 203 eine Frau . . brachte klagend vor, ihr Mann wäre von dem Nachbar schelmischer und hinterlistiger Weise erschossen worden; der Richter solte ex officio das Corpus delicti in Augenschein nehmen; Ettner 1697 Chymicus 503 Der Rath schicket hin, last den Butler holen und gefangen setzen, hernach allen seinen Haußrath untersuchen, ob sie ein corpus delicti finden könten; Ludovicus 1707 Peinl. Prozeß Einl. 5 Wenn es nun mit der Denunciation oder auch mit dem gemeinen Ruff seine Richtigkeit hat, so muß der Richter bey der General-Inquisition, sonderlich um die Gewißheit des corporis delicti wie man es nennet, bekümmert seyn; Sperander 1727 A mod Sprach 163 Corpus delicti, ist im Rechten nichts anders als die Wahrheit der That, derer jemand beschuldiget wird; Zedler 1733 Universallex. VI i 355 Corpus delicti, heißt in denen Rechten nichts anders, als die Wahrheit der That, deren jemand beschuldiget wird. Wie aber die That nicht allemahl auf einerley Weise erwiesen werden mag, so ist zuweilen anfänglich schon genug, wenn das corpus delicti nur aus redlichen Muthmaßungen erscheinen kan; Richter 1738 Kriminalprozeß 47 Es ist aber das Corpus Delicti ein solcher nöthiger Beweiß, ohne welchen mit der sonst auf jedes Verbrechen gesetzten Straff, nicht verfahren werden kan; Nicolai 1755 Zustand d. schönen Wiss. 109 Was soll ich Ihnen von dem unglükklichen Buche sagen, welches eigentlich das Corpus delicti; Griesbach 1756 Abhdlg. v. d. Fingern 291 wenn zur Zeit der Begräbniss der Mörder entflohen, damit ein Andenken oder das corpus delicti vorhanden sey, so hieb man vor der Beerdigung, dem todten Körper eine Hand . . ab; Amavero 1775 Untersuchung 89 so lange ich nicht in einem Winckel der Welt das Corpus delicti, das ist die Unterschrift des Teufels . . [finde]; Wagner 1776 Kindermörderin 68 Jetzt aber gehört sie [die Dose] zum corpus delicti; Müller 1789 Emmerich VIII 300 von dem Gericht die Mittheilung der Relation fodern, aus welcher allein das Korpus Delikti hervorgehen konte; Nicolai 1790 Anekdoten l 40 In der Hand hielt er das corpus delicti, die Kasserolle mit den Ueberbleibseln des Ragouts; Pfister 1814 Criminalfälle I 209 Anm. Wie kann die möglichst genaue Erörterung des Factums synonym mit Berichtigung des Corporis Delicti seyn? Wie kann bey jeder gerichtlichen Section die möglichst genaue Erörterung des Factums der Centralpunkt für den Arzt seyn?; Feuerbach 1828 Merkw. Verbrechen l 76 An der Gründlichkeit fehlt es, nach der Bestimmung . . „wenn es mit der vorher oder nachgehends eingeholten Erfahrung und dem corpore delicti nicht übereinstimmt . ."; Jäger 1835 F. Schnabel 71 Einige Knoten thaten wirklich den Vorschlag die entseelt Daliegenden in Brunnen, oder eine benachbarte Pfütze zu

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werfen, um die corpora delicti zu entfernen; 1842 DVjS l 282 Corpus delicti; Kohl 1844 Brit. Inseln Hl 229 In welchem Falle man den Verwalter vor sich kommen lassen dürfe, um ihn über diese und jene Pastete zur Rechenschaft zu ziehen, und wenn seine Erklärung nicht genügend sein sollte . ., wie man dann weiter mit einer schriftlichen Klage über das Corpus delicti (über die Pastete nämlich) weiter an das Club-Committee gehen könne; 1847 Brockhaus XIV 191 Thatbestand (corpus delicti) nennt man im Criminalrechte diejenigen äußern factischen Merkmale, welche zum Begriff eines Verbrechens gehören, z. B. der Tod eines Menschen, welcher durch die Einwirkung eines Ändern erfolgt ist, die Entwendung einer Sache aus dem Besitz, ohne Gewalt oder mit Gewalt, u.s.w.; Hackländer 1852 Stillfried I 219 Die Übeltäterinnen mit den betreffenden Korpus-delikti's; Bechstein 1854 Hexen 246 schade, war' ein herrlich corpus delicti gewesen; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 223 Im ersten Augenblicke überlegte ich, ob es nicht gut sei, das Corpus delicti zu vernichten; Holtet 1863 Letzte Komödiant III 253 er . . reichte ihm das corpus delicti eiligst hin, voll Erwartung, ob der Anblick der Handschrift sich in des jungen Mannes Gesichtszügen freudig wiederspiegeln werde; Brunnenmeister 1879 Quellen d. Bambergensis 219 Die Gewißheit, daß ein Verbrechen begangen worden sei, nennt Albertus Gandinus die veritas delicti . . Was Albertus Gandinus mit „veritas delicti", Augustinus mit „liquidatio delicti" oder „liquide constare de delicto" bezeichnet, dem geben spätere Italiener (Farinacius wohl zuerst) und nach ihnen die deutschen Praktiker den Kunstausdruck corpus delicti; Wasservogel 1888 Klinghart 238 corpus delicti; Woldeck um 1900 Nachts 21 trotz der schlagendsten Beweise, ungeachtet ich das Corpus delicti in Händen halte; Werfel 1928 Abituriententag 253 Wenige Stunden später findet unter des Direktors Vorsitz das Verhör statt. Kein Leugnen hilft, denn das corpus delicti, der blaue Klecks im Klassenkatalog, ist weithin sichtbar vorhanden; Hall 1933 Die Lehre vom Corpus delicti (Titel); M.-A. Abendztg. 23.10. 1943 Der Bursche . . machte einen Schritt gegen den Richtertisch, auf dem das Corpus delicti lag; Süddtsch. Ztg. 25. 1.1949 Einen zusätzlichen Beweis seiner Unfähigkeit erbrachte aber Herr Bauer noch dadurch, daß er das „corpus delicti" . ., nämlich die fraglichen Punkttabellen, bei seiner Kurierfahrt nach Hannover mitzunehmen vergaß; MM 2. 5. 1986 So dumm sei Fischer nun auch nicht, daß er dieses schwer belastende Corpus delicti, wenn er denn der Täter gewesen sei, nicht spurlos beseitigt habe. HK

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Couch

Couch F., Schweiz, auch M. (-; -es, auch -en), Anfang 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. couch (< frz./altfrz. couche 'Bett, Lager', zu frz. (se) coucher/altfrz. (soi) couchier '(sich) (nieder-)legen' < lat. collocare 'hinstellen, -setzen, niederlegen'; —> kuschen), gelegentlich auch in der eingedeutschten Schreibung Kautsch. In der Bed. '(Ruhe-)Bett, Liege, Sofa mit Seitenlehnen (und niedriger Rückenlehne)' (im Unterschied zu —*· Chaiselongue, —» Diwan, —* Kanapee, —» Sofa), öfters mit dem Nebensinn des Provisorischen bzw. Behelfsmäßigen (s. Belege 1930, 1950), in Wendungen und Zss. wie auf der Couch ruhen/liegen, Leder-, Schlaf-, Eckcouch, Couchtisch 'kleinerer, niedriger Beistelltisch', -bett 'als Bett verwendbare Couch', -garnitur 'aus einer Couch und zwei Sesseln bestehende Polstergarnitur'; zum Teil scherzhaft bzw. ironisch verwendet mit Bezug auf die zuerst von dem Psychoanalytiker Sigmund Freud angewandte (umstrittene) Behandlungsmethode, bei der der Patient auf der Couch liegend dem hinter ihm sitzenden Therapeuten Fragen beantwortet bzw. aus seinem Leben erzählt (s. Belege 1961, 1985, 1990), in Wendungen wie sich auf die Couch legen, daher auch übertragen sich (nicht) auf die Couch legen 'sein Innenleben (nicht) durchleuchten lassen', die Freudsche Couch, Lehrjahre auf der Couch 'zur Ausbildung zum Psychoanalytiker gehörende Selbstanalyse', vgl. den Titel des 1974 erschienenen Buches „Lehrjahre auf der Couch. Bruchstücke meiner Psychoanalyse" von Tilman Moser; gelegentlich auch auf Sachen bezogen (s. Belege 1985, 1993). Duimchen 1902 Mittel 41 war gepolstert und ebenso wie die Stühle und couches mit braunem Leder überzogen; Kellermann 1913 Tunnel 80 Vollkommen ermüdet, zog er es zuweilen vor, auf der Ledercouch seines Arbeitszimmers zu übernachten; Grüne Post (Berlin) 8. 12.1929 Zwei Couches das „zweischläfrige" Liegesofa ohne Lehne wird allmählich das Möbel aller abgehetzten Europäer; B. Z. am Mittag 19.4.1930 Die Couch-CoachKautsch! In jeder Schreibweise ist sie doch die gleiche. . . Sie ist das Bett des Junggesellen und der Junggesellin; Berl. Illustr. Nachtausg. 8. 1. 1932 Sie hockte in ihrer Lieblingsstellung mit gekreuzten Beinen auf der breiten, üppigen Couch; Dtsch. Ztg. (Berlin) 10.11.1933 das Ruhebett . . hat oft seine Form und — seinen Namen gewechselt. Augenblicklich ist die furchtbare Bezeichnung „Couch" im Schwange; 1934 „Duden"-Sammlung o. S. Couchtisch; Wege 1936 Baldachin 83 Sie lag auf einer Couch, die Knie angezogen; Schuster 1936 Nachbar im Westen 167 nehme Platz auf der grossen Couch; Neue freie Volksztg. (München) 11. 12. 1937 Modern ist nur noch, . ./ Daß einer in der Wohnung hat/ Jetzt eine teure Kautsch/ 's ging eigentlich aufs selbe naus,/ Wie man zum Möbel sagt,/ Die Hauptsach' dabei macht ja aus,/ Wenn man bequem drauf flackt; N. Z. Z. 6. 4. 1943 Couch-Bett; ebd. 15.6.1943 Ein schöner SchlafCouch; Münch. N. N. 7. 3. 1945 Es gibt kaum eine deutsche Bezeichnung für bequeme Sitz- und Liegegelegenheiten (wie Diwan, Ottomane, Sofa, Couch); ND 31. 7. 1949 Ein zerschundenes Tep-

pichfragment, ein schmuddliges Bett, eine schmierige Couch und ein nach Mottenpulver duftender Schrank bilden die ganze kümmerliche Einrichtung; Süddtsch. Ztg. 4. 5. 1950 Muß man, um das Wohnzimmer zu haben, Schlafzimmer opfern, so schläft man notfalls auf einer Couch. Wieviele Familien haben sich schon ganz daran gewöhnt, im Wohnzimmer abends auf der Couch ein Bett zu richten; ebd. 24. 8. 1951 . . die gute Couch mit losen Federkernkissen . ., auch Doppelcouch, Kleincouch, Eckcouch u. Stil-Couch, in den versch. Holzarten u. Tönungen (Anzeige); Hörn 1951 Gäste 26 Sofas oder Couches, die sich besser zum Liegen als zum Sitzen eignen (DUDEN 1993); ND 9. 11. 1954 Sie wickelte die Leiche in Decken und verbarg sie unter der Couch in ihrem Mädchenzimmer; Kaschnitz 1956 Haus 55 Statt einer Couch stand ein richtiges breites Bett aus dunklem Holz darin; Münch. Stadtanz. 27.11. 1959 Das Wort Liege verdrängt den Ausdruck Couch mehr und mehr; ebd. 15.7. 1960 Vorne am Fenster stand ein Tisch, hochbeinig und behäbig, mit mächtigen Schubladen — aus einer Zeit, in der man noch keine Couchtisch-Magengeschwüre kannte; Zuckmayer 1961 Uhr 19 eine Sprungfedermatratze, mit einem schäbigen Teppich als „Couch" drapiert; Süddtsch. Ztg. 15.5. 1961 Knochentrocken . . dehnt sich eine Wüste von Banalitäten über die Breitwand. Ehekrach und Rivalinnenstreit, die Freudsche Couch, die scheinbare Weltfremdheit des Inders; Böll 1963 Clown 123 Jetzt war das verletzte Knie eine gute Entschuldigung, auf der

Couleur Couch zu liegen, Zigaretten zu rauchen und Selbstmitleid zu inhalieren; Welt 12. 8. 1969 Dann legte ich mich, ohne mich abzutrocknen, auf die Couch und blieb so lange liegen, bis die Haut zu kribbeln anfing; 'Wiesbad. Kurier 24. 5. 1972 Er hat sich oft auch tagsüber auf die Couch gelegt (AWB); MM 2. 5. 1985 Gerhardt sieht die Kunst nicht als Instrument, sondern legt sie selbst auf die Couch; Zeit 14.6.1985 statt selbst Lehrjahre auf der Couch zu verbringen, beginnen sie gleich mit den Meisterjahren hinter der Couch; ebd. 6. 9. 1985 das Standard-Arrangement der psychoanalytischen Therapie - der Patient liegt auf der Couch, der Therapeut sitzt hinter ihm; ebd. 26. 12. 1986 Auf der großen Spielfläche hat Bühnenbildner Karl Kneidl die Möbel weit auseinander gestellt. Von der Couch zum Christbaum, vom Küchentisch bis zur Wohnungstür laufen sich die kleinen Leute die

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Absätze krumm; MM 28.1.1988 Möbel muß heute variabel sein, die Couch nicht einfach Couch, sondern vielseitiges Sitz-, Liege- oder Schlafgerät; Stern 3. 5. 1990 Andreas Thom sitzt seltsam brav wie ein Musterschüler auf der Kante der Couch; ebd. 2. 9. 1990 die berühmten Rheumadecken, gefälschte Rolex-Uhren, Billigradios, Teppiche aus Ramschbeständen oder Couch-Garnituren; Spiegel 12. 11. 1990 Sigmund Freud . ., ein Altmeister des Geschäfts mit der Krankheit, der grundsätzlich nur Privatpatienten auf die Couch legte; ebd. 1. 3. 1993 In anderen Familien .. toleriert die Hausfrau bereitwillig das Hämmern und „Wurschteln" des Gatten im Hobbykeller — Hauptsache, der hockt nicht „in Jogginghosen auf der Couch" herum; ebd. 17. 5. 1993 In dem kleinen Büro der Bundestagsabgeordneten liegt einmal im Monat der Osten auf der Couch. HK

Couleur F. (-(s); -s, früher auch -en), im 15.716. Jh. vereinzelt (im Mittelniederdtsch.), seit dem 17. Jh. häufiger belegte Entlehnung aus gleichbed. frz. couleur (< altfrz. colour < lat. color 'Farbe, Gesichtsfarbe, Teint; äußerer Anstrich, Aspekt, das Äußere, äußere Beschaffenheit; Kolorit, allgemeiner Charakter, Zuschnitt'), anfangs auch in Schreibformen wie (mittelniederdtsch.) Coleure und Color, Color, Ko(u)lör, Kouleur. la Zunächst bis ins frühe 20. Jh. in der Bed. 'Farbe, Farbton', bes. bezogen auf Kleidung, Aussehen (Gesicht) u. ä.; früher häufiger (auch attributiv gebraucht, s. Belege 1695, 1729, 1775) in frz. Syntagmen wie couleur de feu 'Feuerfarbe; feuerfarben', couleur de ponceau 'hochrote Farbe; hochrot', couleur de rose 'Rosenfarbe; rosenrot', couleur du jour 'modefarben' und bes. couleur locale, in der Malerei für 'Lokalkolorit, besondere Atmosphäre, Gepräge (einer Stadt oder Landschaft), örtliche Färbung' (vgl. auch 3; s. Belege 1889, 1928, 1929; -» Kolorit); in bildlich gebrauchten Wendungen wie geistliche Couleur (s. Beleg 1843); vgl. die wortspielerische Redensart (das ist) dieselbe Couleur in Grün '(das ist) genau dasselbe' (s. Belege 1892, 1894). Daneben seit Anfang 19. Jh. (CAMPE) auch gebucht als Bezeichnung für die Farbe der Trumpfkarten im Kartenspiel. Dazu im 17.718. Jh. das zu frz. couleur (s. o.) gebildete Adj. couleurt 'bunt gefärbt, farbig', im 18. Jh. dafür vereinzelt auch couleuren und im 19.720. Jh. (1879 bei Petri und 1933 bei Genius gebuchtes) couleuriert (vgl. auf das Lat. zurückgehendes coloriert/koloriert, zu kolorieren, —> Kolorit). b Daneben im 17. Jh. selten nachgewiesen, dann vom früheren 19. (1838 bei Heyse) bis ins frühere 20. Jh. (1933 bei Genius) nur gebucht in der wohl von der frz. Fügung sous couleur de ... 'unter dem Vorwand zu ...' beeinflußten übertragenen Bed. '(bloßer) Anstrich, Scheinfarbe, Schein, Vorwand'. 2 Seit früherem 19. Jh. in Anknüpfung an la in der studentenspr. Bed. 'symbolhaft getragene, als Erkennungsmerkmal dienende Farbe bzw. Farbenkombination einer Verbindung', insbes. 'Band und Mütze in bestimmten Farben als Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einer studentischen Verbindung', z. B. in den Wendungen Couleur tragen, in Couleur kommen, in Couleur an einer Feier teilnehmen; etwa gleichzeitig

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Couleur

(s. Belege 1834, 1835, 1881, 1914, 1929) im Sinne einer Kollektivbezeichnung auch für 'Studentenverbindung, Burschenschaft' (—»· Korps), bes. als Bestimmungswort in Zss. wie Couleurstudent(entum), -diener, -etikette und Couleurbruder 'Verbindungsbruder, Angehöriger derselben Verbindung'; daneben selten in der Soldatensprache für "Fahne (mit bestimmten Farben)', bes. bei Fußtruppen, auch als Grußoder Losungswort (s. Belege 1899, 1904, 1929). 3 Seit Mitte 19. Jh. auch im Sinne von 'Gruppe von Personen, die eine bestimmte Richtung vertreten oder ihr angehören, die durch etwas Gemeinsames geprägt oder miteinander verbunden sind' (vgl. 2; s. Belege 1845, 1855, 1881), dann vor allem im öffentlich-politischen Bereich in der dominanten Bed. 'bestimmte geistig-weltanschauliche Prägung von Personen (innerhalb einer gewissen Vielfalt), (politische) Färbung, Schattierung, Provenienz; (Eigen-)Art; (ideologische oder Fach-)Richtung', bes. in Wendungen wie Parteien/Politikerjournalisten/Wissenschaftler aller/jeder/ jedweder/verschiedener Couleur(s), selten auch von Sachen bzw. Abstrakta (s. Belege 1926, 1964). Couleur la: 1493 (1900 Hanseat. Geschichtsbl. 133) blau van coleure; 1547 Hamb, Wandbereiter l tho koloergelde [Farbengeld] (beide KATARA 1966); Dilich 1601 Beschr. U 48 Voran ritt ein Zwerch in leibfarbem vnd rotem habit/ nach jhm kamen die trommeter/ . . nach denen trommetern drey Adventurirer mit rot vnd weissen decken vber die pferde/ wie auch gleicher color feddern; Rist 1642 Rettung E2v in seiner . . aller edelsten couleur (JONES); Mandelslo 1645 (1639?) Schreiben 5 Die Einwohner . . gar schwartzbrauner Coleur (JONES); 1683 Ars tinctoria 61 Es wird das Frantzösische Scharlach-Rot/ und die Gelbe Farbe/ weder zur Bereitung der Goldgelben/ noch der . . couleur de feu gebrauchet (BRUNT); Pickelhäring 1685 Kleideraffe 94 Trägt man in Franckreich neue Moden/ Sind andre Spitzen im Gebrauch/ So hat mans auf dem teutschen Boden/ in wenig Wochen eben auch/ Changiret die Coleur im Bande/ Man höhlt es bald in unsre Lande; Beer 1685 Kleider-Affe 14 In der Halskrause kein Band/ weder couleur de Ponceau, noch couleur de Bourgogne (BRUNT); Thomasius 1688 Monats-Gespräche I 531 ein Band von gleicher Couleur . . auf dem Kopffe sehen liesse; ders. 1691 EM. z. Vernunftlehre 145 Also ist zwischen zweyen Farben von einerley Hauptcouleur . . weder Übereinstimmung noch Unterschied; E/IS. Charl. 1695 Br. (Ranke V 361) mitt couleur de rose atlaß gefüttert (BRUNT); Thomasius 1696 Ausübung d. Sittenlehre 386 Ein Ehrgeiziger wird . . andere Couleuren lieben/ und an andren Dingen seine Augen weiden als ein Wollüstiger; Ettner 1697 Doktor 215 denn seine [Urin] Coleur oder Farbe gleichet sich einem braunen Gersten-Bier; Schelhammer 1700 Konfekttisch 174 damit aber diese [Flüssigkeit] weisse Color und Schmack nach Zitronen habe/ so nim 1. Loth zerstossen Curguma und 1. Loth von einer frischen

Zitronen; Wächtler 1703 Manual o. S. Couleur de feu, Feuer-Farb; Couleur de ponceau, hoch-rothe Farbe; Couleur de rose, Rosen Farbe (BRUNT); Marperger 1711 Beschr. d. Messen l 394 seidene Stoffen, Bänder, Strümpfe . ., solche gleich . . den [!] Käuffer in die Augen stehen, und ihre Breite, Couleur, Muster und Qualität . . daraus könne judiciret werden; Decker 1711 Baumeister I Vorr. Ba Gemälde auf grünem Grund von Gold gemacht und mit denn [!] Couleurs (Farben) auf unterschiedliche Art variirt; Ettner 1715 Hebamme 591 und sie an statt der lebhafften Farbe/ gelblicht fahle Coleur bekommt; Musig 1718 Licht d. Weisheit 140 changement der couleuren [in der Kleidung]; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 20 Er [Tabak] . . zeigt eine Melange von grüner Schwartzer/ brauner und gelber Couleur; Sperander 1727 A la mod Sprach 166 Couleur, eine Färb. Z. E. dieses Kleid hat eine unvergleichliche schöne Couleur; Rohr 1729 Zeremoniellwiss. 315 eine Blut-Fahne von dunckel rothen oder couleur des feu Taffet (BRUNT); Baldober 1737 Acta Crimin. 495 60. Stücke Cöllnischen Band von unterschiedenen couleuren; Döbel 1746 Jäger-Practica la Rothe Hirsche werden sie deswegen genennet, weil ihre ordentliche Couleur im rothen bestehet; Möser 1775 Phantasien 219 Ein Kleid couleur du jour (SANDERS 1871); Lessing 1776 Br. (S. Sehr. XVHI 212) Couleur de Rose; Ramdohr 1787 Malerei II 172 Von dem Colorit der Alten wissen wir nur so viel, sie brauchten gute dauerhafte Farben. Aber dies gilt nur von den reinen ungemischten Hauptfarben (couleurs vierges); 7793 Journal d. Moden VIII163 Die beliebtesten Modezeuge für Damen sind noch immer die so genannten Irländischen Poplins, .. die man in allen Couleuren, einfach und muschirt trägt; Moritz 1793 Grammat. Wb. I 299 Couleur: Farbe; das fremde Wort ist ganz entbehrlich; Kör-

Couleur ner 1812 Gouv. (IV 78) 's war meine Leibcouleur, und Jeder von Geschmack/ Trug meiner Vorschrift nach den apfelgrünen Rock; Lady Morgan 1821 Reisen. Frankreich (Übers.) l 31 ein Säckchen couleur de rose; Detmold 1834 Kunst 19 lieber Blau oder eine sonstige Couleur, aber seine Selbstverleugnung geht so weit, daß er das braune Bild gut nennt; Wetzet 1841 Dresd. Parnass 2 Die Couleur desselben [Gesichts] ist . . aschfarbig; ebd. 21 Hosen von zweifelhafter Couleur; Bettina v. Arnim 1843 S. W. VI 166 so ein Maikäfer . . hat nichts Unähnliches mit einem geistlichen Herrn, erst sein schwarz Käppchen, seine klugen Augen . ., dann sein gefältelter Kragen und sein brauner Rock, das ist eine geistliche Couleur, er hatte mir immer eine Ähnlichkeit mit einem kleinen Pfarrer; Freiligrath 1846 Ca ira (III 128) Wattirte Jacken, frisch genäht — dazu von zweierlei Couleur!; Holtei 1854 Schneider 111 144 dem Schönfärber des Ortes, der sich unter den Zuschauern befand, die Aeußerung entlockte, diese Couleur [der Stoffe] sei höchst empfehlenswerth für alle Kunden; Hornberger 1889 Selbstgespr. 218 Naturalistisch, naiv und nativistisch sind derselben Herkunft. Zum Naturalismus gehört Naivetät und die couleur locale des eigenen Landes; Genthe 1892 Slang 10 das ist dieselbe Couleur in Grün, das ist genau dasselbe mit geringer Abweichung; Fontäne 1894 Br. U 305 Dies Buch, das anscheinend etwas ganz andres ist wie die rein persönlich gehaltene Beichte eines Toren, ist schließlich genau dasselbe, dieselbe Couleur in Grün; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 69) wenigstens von außen sind manche ganz malerisch. Aber Sie sollten sich etwas mehr Couleur anschaffen, . . sonst fallen Sie ab bei den Damen! Grün ist ja wohl des Lebens goldner Baum, aber als Gesichtsfarbe ist grün doch nicht ganz das richtige; 1928 Handb. d. Frankreichkunde l 137 Ihre Erfüllung findet die Forderung nach dem mot propre eigentlich erst bei den realistischen und naturalistischen Romanciers. Flaubert, der ja um der couleur locale willen, unzählige Bücher studierte; 1929 Festschr. a. Wechssler 41 „couleur locale" [der argentin. Dichtung und Literatur]. couleuren: Baldober 1737 Acta crimin. 495 Allerhand couleuren Neh-Seide. couleurt: Aldenburgk 1627 Reise 52 von . . dreycölörten armusin (Jones); Marperger 1708 Kauffmann 132 das in gantz Teutschland bearbeitete couleurte Handschu- [!] und Semisch-Leder; ders. 1711 Beschr. d. Messen l 394 einige couleurte Leinwanden; Nemeitz 1718 Sejour 290 Die Anatomie ist in couleurtem Wachs (beide BRUNT); Boltz 1752 Amts-Actuarius 783 einen rothen Rock, coulerten Tabbert; 1786 Journal d. Moden l 177 Der

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untere Theil [von Modeschuhen] ist allezeit schwarz, und bey feuchten [!] Wetter auch wohl von Leder, das andere couleurt; jean Paul 1795 Fixlein (W. VII 65) Er schritt langsam fort durch die mit kouleurten Tau-Glaskügelchen vollgehangenen . . Kohlbeete. Couleur Ib: Wallhausen 1616 Manuale (Gl.) Couleur. Vnter dem Schein; Böckler 1665 Schola militaris o. S. couleur (beide JONES). Couleur 2: Bauschke 1834 Bilder 27 wir kamen in den Saal, so empfing uns sogleich der freudige Ruf unserer schon versammelten „Couleur"; Gutzkow 1835 (in: Lewaids Theaterrevue WO) [Posten,] die du am Schuldenbrette unserer Couleur noch stehen hast; Jäger 1835 F. Schnabel 254 es fanden sich hier [in Kneipe] Landsmannschafter von allen Couleuren, auch Burschenschafter . . ein; Scheidler 1859 Jen. El. II 168 Es wird darauf gehalten, daß alle „Couleuren" in diesem Comite vertreten sind und so keine Störungen durch den studentischen Parteieifer veranlaßt werden; Werther 1861 Kl. Deutschland I 220 sammle alle verdächtigen Papiere unserer Kouleur ein und bring' sie mir zu unserer Zusammenkunft auf den Saukopf mit; Rutenberg 1877 Zinne 191 Couleurbrüderschaften unter der academischen Jugend; Braun 1881 Bilder V 214 Ein solcher Corpssimpel hält die Hochschule, die er frequentirt, für den Mittelpunkt der Welt, seine „Couleur", d. h. diejenige Verbindung, welcher er selbst angehört, für das Centrum der Hochschule, sich selbst aber für den Centralpunkt der „Couleur"; 1886 Dtsch. Dichtung I 262 „Der letzte Hieb" ist eine Studenten (genauer gesagt: Couleur-)Geschichte; 1887 Salon II 590 Eine neue „Couleur" und zwar eine recht eigenartige, hat den bereits bestehenden farbentragenden Studentenverbindungen Wiens mit Beginn des Sommersemesters ihre Konstituirung angezeigt. Sie heißt „Freya" und ist im Gegensatz zu den althergebrachten Burschenschaften eine „Mädchenschaft"; Hauptmann 1889 Ausgew. Dramen I 90 das Couleurwesen auf den Universitäten, das Saufen, das Pauken; Sünde 1895 Farn. Buchholz II 118 Couleurstudent; Hörn 1899 Soldatenspr. 42 Eine besondere Kategorie von Neckworten sind Zurufe wie Heurich, Ohlmeyer, Lehmup, die sich bei einzelnen Truppenteilen entwickelten . . Mit „Guten Morgen, Couleur" begrüßten sich Ulanen und Franzer 1866; die 118er (wegen ihrer gelben Achselklappen . . Kanarienvögel genannt . .) werden im Manöver . . zum Gruße angepfiffen; Rideamus 1902 Willis Werdegang o. S. Mir [!] fixierte so ein aktiver Kouleurstudent,/ So'n Kouleurstudent mit 'ner knallroten Mütze; Küster 1904 Ernstes 1870/71 105 Hier lagen wir mit den dritten Jägern zusammen, also mit „Couleur". Im

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Couleur

Heere bestehen zwischen einzelnen Regimentern besondere Zuneigungen, so zwischen Husaren und Jägern. Begegnet man sich auf dem Marsche, so jubelt man sich gegenseitig zu: Couleur! Couleur!; Grabein 1911 Hans 4 er sah sich . . erstaunt im Kreise der Couleurbrüder um; ebd. 9 Couleurbruder . ., den er . . im Couleurhause oder auf dem Paukboden zu Gesicht bekommen hatte; Brinkmann 1914 Doktor-Ehe 36 Zieht einer eine [Flasche] . .,/ Gefüllt mit Mampe, dem Likör,/ Der sehr beliebt in der Couleur,/ Ein „Alter Herr", Balthasar Peker,/ Er spricht als Freund und Apotheker; Sudermann 1922 Bilderbuch 219 Für diesen Zweig des Empfindungslebens waren die „Couleurschwestern" da, die als Vertraute unserer Seelennöte und als Pflegerinnen unseres Katzenjammers eine heilsame Rolle spielten; Richter 1925 Jugenderinn. 77 während des „Couleurbummels" auf der Grimmaischen Strasse; Schtnitz 1926 Dämon 23 Lebte ich denn nicht. . wie ein Couleurstudent in stetem Bier- und Tabaksdunst; Eitzen 1929 Irrgarten 206 Kouleur . . die Mz. colours bedeutet auch 'Fahne' (von Fußtruppen . .); 1929 Fazit 123 Das Couleurstudententum verachtete er aus tiefster Seele; er war als junger Mensch aus einer Verbindung ausgeschlossen worden; Erman 1929 Werden 101 Aber die Kehrseite zeigte sich bald, und die „Couleur" entpuppte sich mir als ein zwar erzieherisches, aber keineswegs ideales Institut; Bahr 1933 Volk 35 Heute umschließen die deutschen Farbenverbindungen ungefähr 75 v. H. der in Dorpat studierenden Stammesgenossen. Was man sonst mit der Vorstellung vom Couleurstudententum zu verbinden gewohnt ist, spielt in ihnen kaum noch eine Rolle; Lokal-Anz. 26. 2. 1933 da betraten 30 Studenten von anderer Couleur das Versammlungslokal; Diesel 1934 Verhängnis 118 Die deutschen Waffenstudenten . . haben in altösterreichischer Zeit durch sogenannte Couleurbummel in Prag die Tschechen „provoziert"; Münch. N. N. 7.2. 1945 Karl Schlenz, 42 Jahre lang Couleurdiener der Burschenschaft „Lützow"; V. Mann 1949 Wir waren fünf 328 waren die Begriffe eines couleurfähigen Umgangs um so wirrer, wenn auch nicht verworrener, als die eines Leutnants der damaligen Zeit; ebd. 329 wer an couleurfreien Tagen . . nicht . . verhindert war, hielt sich . . meist an Korpsbrüder; Süddtsch. Ztg. 8. 5. 1950 daß man . . die Unzeitgemäßheit des „Couleur-Studenten" begriffen hatte; Bergengrün 1954 Rittmeisterin 330 das aus dem Schlaf geklingelte Aufnahmefräulein im Telegraphenamt machte aus den couleurstudentischen und pferdesportlichen „couleurstudentische und pfarrdespotische" Grüße; Süddtsch. Ztg. 23. 7. 1958 „Komilitonin - Couleurdame - Freundin: Bedeutet Universität nur Wissenschaft?" nennt sich ein .. Problemkreis, in

dessen Rahmen auch die Stellung der katholischen Studentin im studentischen Gemeinschaftsleben, vor allem in den Verbindungen angeschnitten werden soll; Stuttgarter Ztg. 8. 11. 1958 Das Farbentragen aber, das der „alte Herr" nicht einmal grundsätzlich abzulehnen scheint, hat doch auch eine . . positive Seite: es verpflichtet den „Couleurstudenten" . . zur Selbstzucht; Heuss 1963 Erinn. 302 wurde ich zu dieser Feierstunde eingeladen. Ich hatte derlei nie mitgemacht, und das Auftreten der „Chargierten" in Couleur . . hinterließ bei mir einen . . komischen Eindruck; Roi^ 1966 Prophet 45 Couleurochsen [Studenten], die sich prügeln; Zeit 5. 4. 1985 dem Protokoll Arthur Schnitzlers nach, der Herzl noch mit seinen Couleurbrüdern in Reih und Glied hat herumspazieren sehen; ebd. einen jüdischen Couleurstudenten, der nach 30 Mensuren chassiert wird; ebd. 8. 11. 1985 Couleurnadeln und -krawatten sollen [in Zukunft] dem Campus wieder den rechten Schwung geben, Aufkleber das Bekenntnis auf die Straße tragen: „Wir sind Korporierte Couleur 3: Marx/Engels 1845 Heil. Familie U 157 die . . blinde Ungläubigkeit der Masse hat einen ziemlich entschiedenen Repräsentanten. Dieser Repräsentant spricht von der nur „hegelsphilosophischen Ausbildung der Berliner Couleur" (Berliner Couleur nennt der Korrespondent der „Allgemeinen Literatur-Zeitung" diejenigen Berliner Junghegelianer, die nicht zum Kreis von Bruno Bauer gehörten . . einer dieser Berliner Junghegelianer war Max Stirner); Keller 1855 Leben, Br. u. Tagebücher 379 Es scheint wieder gerade eine so tiefsinnige und edle Couleur von Flüchtlingen da zu sein, wie vor anno Tabak und an anderen Orten; Palm 1881 Br. 289 Einige Fächer [Rollen am Theater] sind mehrfach, andere gar nicht, oder nicht die richtigen „Couleuren" besetzt. Unser Damenpersonal besteht aus einer Summe tüchtiger Kräfte. Aber sind in ihm etwa die nothwendigen Schattirungen vertreten?; Nordau 1881 Paris 151 indem er . . die katholischen Universitäten in Frankreich gründen half und seit vier Jahren im Senate stets mit der Rechten von Broglie'scher Couleur stimmt; 1926 Gemeinde III 286b Er wollte zum amtlichen Kreisblatt ein unter dem Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinendes Winkelblättchen völkischer Couleur machen; Scheidemann 1928 Memoiren I 117 das Niveau des Reichstages, das unter den Antisemiten aller Couleuren freilich schon gelitten hatte; Süddtsch. Ztg. 19.120. 8.1950 Anton Maier, Dingolfing, einem Niederbayern hundhammerscher Couleur; ebd. 15. 4. 1959 Aber der Staatssekretär . . und sein Pressereferent .. werden sicher durch Persönlichkeiten von der politischen Couleur seines Nachfolgers ersetzt werden;

Countdown Augstein 1964 Spiegelungen 8 Der Kanzler ist in den letzten Wochen derart mit rechtsstaatlichen Grundsätzen umgesprungen, daß man sich weitere Geniestreiche dieser Couleur nicht mehr leisten kann (DUDEN 1993); Welt 30.1.1969 den Amerikanern wird das manchmal zu viel, sagte ein Diplomat beim Anblick einer schnatternden Gruppe Vietnamesen jeder politischen Couleur; 1970 Dtsch. Nationalztg. Nr. 16 sie müssen verhaftet und bestraft werden. Derlei klare Forderungen bezogen sich . . auf Sozialistenführer nationaler Couleur - Hitlers Garde; FAZ 24.2. 1970 Nun haben sie zusammen mit ein paar älteren Genossen zumeist gleicher Couleur die politische Führung; ebd. 3. 12. 1970 daß zwischen Deutschen und Spaniern, gleich welcher Couleur, doch immer . . sentimentale Bande bestanden haben; Norddtsch. Tagesztg. 8. 9. 1973 Unabhängig von Formulierung, Rhetorik oder Couleur der Sprecher wurde eines deutlich: jeder einzelne wollte für Vegesack und seine Bürger aus seiner Sicht nur das beste; Welt 5. 2. 1974 wenn man den Anzeigenteil des Börsenblattes durchsieht, so kann man — je nach Couleur und Weltanschauung — verschiedene Kurse feststellen; Zeit 18.1. 1985 die Sozialdemokraten, die sich gern wiederum einen Mann ihrer Couleur an diesem Platz gewünscht hätten; ebd. 5. 4. 1985 Historiker konservativer Couleur; ebd. 19. 7. 1985 ansässige Künstler verschiedener „Couleurs"; ebd. 25. 10. 1985 Bundestagsabgeordnete aller Couleur; ebd. l. 8.1986 auch in der Arena der Literatur trug Krämer-Badoni . . niemandes Couleur; ebd. 26. 9. 1986 sie [Ausstellung] beweist

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. . eine bemerkenswert interdisziplinäre Solidarität von Künstlern und Kunstvermittlern von vielerlei Couleur; MM 14. 1. 1987 eine Einsicht, die sich auch bei den findigen Strategen anderer politischer Couleur . . durchgesetzt hat; ebd. 1.4. 1987 die Kulturpolitiker aller Couleurs; Frankf. Rundsch. 9. 2. 1990 Tages- und Wochenzeitungen alter und neuer Couleur verzeichnen . . einen enormen Publikumszuspruch; Zeit 13. 4. 1990 Länder und Kommunen . . rüsten zur Gegenwehr, gleich welcher Couleur sie sind; Spiegel 14. 5. 1990 westdeutsche Lehrerverbände jeder Couleur; Frankf. Rundsch. 30. 7. 1990 Länger als drei Stunden schon hatten .. Linke jeglicher Couleur und Ideologie aus der Bundesrepublik über den Sieg des Kapitalismus geklagt; Wochenpost 31. 8. 1990 DDR-Autoren, welcher Couleurs und welchen Rangs auch immer; Altner 1991 Naturvergessenheit 245 Der Streit . . über Tierversuche in der Medizin ist so leidenschaftlich wie eh und je. Tierschützer, Wissenschaftler, Juristen, Industrievertreter und Ethiker der verschiedensten Couleur sind in ihn verwickelt; Spiegel 15. 2. 1993 Mit einem . . Dekret hat König Hussein von Jordanien die Wiederzulassung von politischen Parteien aller Couleur ermöglicht; ebd. 27. 9. 1993 ob sie drei andere [Kandidaten] gleicher Couleur vorschlagen; Zeit 20. 5. 1994 daß dieses Jahrhundert das totalitäre Syndrom hervorgebracht hat in zwei Couleurs, Braun und Rot, und daß die Unterschiede . . gering sind; Spiegel 16. 1. 1995 wollen sich nun Rudolf Scharping und Oskar Lafontaine mit den Finanzministern ihrer Couleur treffen. GS

Countdown M., früher selten N. (-(s); -s), in den 60er Jahren des 20. Jhs. im Zuammenhang mit der amerikan. Weltraumforschung entlehnt aus gleichbed. engl. countdown (zu count down 'rückwärts zählen', zu count 'zählen', über altfrz. counter zurückgehend auf lat. computare 'zusammenzählen, rechnen'; vgl. Comptoir, —*· Kontor, —>· Computer), bes. anfangs noch kommentierend, oft auch in (engl. beeinflußten) Getrennt- oder Bindestrichschreibungen. a Im Bereich der Raumfahrttechnik für 'Ansage der verbleibenden Zeit vor dem Abschießen einer Rakete durch Rückwärtszählung bis zum Startzeitpunkt Null (als Einleitung des Startkommandos)' (s. Belege 1966, 1970, 1985), vereinzelt auch allgemeiner gebraucht (mit Übergängen zu b; s. Beleg 1965), gleichzeitig bereits in der erweiterten Bed. '(letzte) Test- und Überprüfungsprozedur, Gesamtheit von Kontrollmaßnahmen (nach einem vorgegebenen Zeitplan) vor einem Raketenstart' (s. Belege 1962, 1965, 1969). b Von Anfang an häufig übertragen auf die Bereiche Kultur, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Technik und bildlich verwendet (mit Übergängen zu a; s. Belege 1965, 1967, 1971, 1983, 1985, 1989, 1993) in der im Engl. nicht bezeugten Bed. 'letzte organisatorische, technische (Vorbereitungs-)Phase; (schrittweise) Abnahme, (fortschreitende) Verringerung des verbliebenen Abstandes, der restlichen, abgezähl-

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Countdown

ten Zeitspanne bis zum Beginn/Eintritt oder dem Ende/Untergang eines Unternehmens, Vorhabens, Ereignisses, Vorgangs o. ä.' (vgl. Endspurt, —>· Spurt), oft schlagwortartig und leicht abwertend verwendet in bezug auf den Zeitgeist und das Lebensgefühl der Hektik und Schnellebigkeit (s. Belege 1977, 1985, 1987, 1990); sehr häufig in den auch bildlich gebrauchten Wendungen den Countdouwn stoppen, ab-, unterbrechen, der Countdown beginnt, läuft, verläuft reibungslos, planmäßig, glatt; organisatorischer, dramatischer Countdown, Countdown bis/zu/für . . ., nur vereinzelt in Zss. wie Countdown-Unterbrechung, -Uhr; Zwei-Minuten-Countdown. Countdown a: Spiegel 28. 2. 1962 Er blieb genau fünf Stunden und 13 Minuten drin, dann . . wurde das Count-down (die mühselige, auf Sekunden abgestimmte Prüfprozedur, die jedem Raketenstart voraufgeht) wiederum abgebrochen (AWB); Stuttgarter Ztg. 26. 5. 1965 [Das] Rendezvous der beiden amerikanischen Raumschiffe Gemini 6 und 7 . . ist ein Unternehmen, das mit größter Präzision ablaufen muß . . Schon das „count down" muß genau nach Zeitplan ablaufen; Spiegel 10. 11. 1965 ein halbes Tausend Jugendlicher . . veranstaltete im Sprechchor sozialistische Countdowns: Die Jugendlichen zählten im Chor laut von zehn bis eins und schrien dann „Scheiße!" (AWB); 1966 Dtsch. Panorama IV 36 Weltraum-Raketen erheben sich nach dramatisch untermaltem Count-down gemächlich gen Himmel (AWB); Offenburger Tagebt. 24. 2. 1969 Mit dem Countdown für das bemannte Raumschiff Apollo 9 . . hat am Wochenende auf dem Raumflughafen Kap Kennedy eine der ereignisreichsten Wochen der amerikanischen Raumfahrt begonnen. Der am Samstagabend eingeleitete Countdown . . erstreckt sich über insgesamt 130 Stunden. Einige Unterbrechungen von jeweils mehrstündiger Dauer sind eingeplant, um den Testmannschaften Gelegenheit zu geben, etwa entdeckte Mängel zu beheben; ebd. 16. 4. 1969 Die Saturnrakete wird „Apollo 10" zunächst in eine Erdumlaufbahn heben, bevor nach einem weiteren Countdown im Weltall nach zwei Stunden und 34 Minuten die letzte Saturnstufe das Raumschiff in Richtung Mond feuert; Basl. Nachr. 16.4.1970 Nach einem Zwei-Minuten-Count down, der in Houston mit atemloser Spannung verfolgt wurde, löste Lovell manuell die Zündung aus; FAZ 28. 1. 1971 Der Countdown für den Start des amerikanischen Raumschiffes Apollo 14 auf Kap Kennedy verlief auch am Mittwoch planmäßig; MM 9.5.1985 „Ariane" brachte Satelliten ins All (Überschr.) Nach Countdown-Unterbrechungen erfolgreicher Start zur 13. Mission; ebd. 22.5. 1985 Die Zeiger der Countdown-Uhr bewegten sich gegen Null. Vier Sekunden vor dem geplanten Abheben zündeten die Triebwerke; ebd. 30. 1. 1986 Fünf Minuten vor dem geplanten Start

übernehmen die Computer allein die Überwachung der Raumfähre. Sollten Unregelmäßigkeiten auftreten, wird der Countdown sofort automatisch gestoppt; ebd. 6.2.1986 sitzen die Astronauten während des Countdowns auf einer „tickenden Zeitbombe"; Spiegel 15.3. 1993 Die letzten Tage vor dem Countdown verbringen sie [Astronauten] in Quarantäne, eingeschlossen in einen fensterlosen Container. Countdown b: Spiegel 1. 4. 1964 Noch tickt im Hauptquartier der Ausstellungsleitung die elektronische Startuhr, die . . Minuten und Sekunden des organisatorischen Countdwon zählt (AWB); 1965 Durch d. schöne Welt Sept./Okt. o. S. Noch steht die IVA . . zwar nicht mehr in ihrer ersten Blüte, aber doch im besten Alter . . und das Count-down, das so manche der Beteiligten betreiben, hat noch eine stattliche Zahlenreihe vor sich; Spiegel 18. 9. 1967 Den Aktionären tickt seit 1964 der Countdown der Dividenden in den Ohren: zehn, acht, vier Prozent (AWB); Zeit 8.11.1968 Wie in einem dramatischen Count-Down hatten die großen Meinungsforschungsinstitute die Chancen der beiden Präsidentschaftskandidaten bis zwei Tage vor der Wahl ausgezählt (AWB); 1969 Durch d. schöne Welt Sept. o. S. Countdown für den Schienenhai (Überschr.) Die ersten Fahrgäste der neuen Turbozüge werden als Ouvertüre zu ihrer Blitzfahrt . . Geräusche vernehmen, die deutlich an Countdowns in Cap Kennedy erinnern; Offenburger Tagebl. 23. 5. 1969 Der „Count down" für das Goggomobil, inzwischen das letzte Fahrzeug aus der ehemaligen Glas-Serie . . hat offensichtlich begonnen; Mittelbayer. Ztg. 8. 8. 1969 In Nürnberg ist der „Countdown" für das Unternehmen „Großflughafen auf Zeit" in die letzte Phase getreten (AWB); Offenburger Tagebl. 29.8. 1970 Der Count-Down hat begonnen: Die Vorbereitungen für die Oberrhein-Messe 1970 laufen auf Hochtouren; Welt 8. 7. 1971 Der Countdown, vor fast zwanzig Monaten begonnen, schleicht unhörbar leise dahin. Der Würfel des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele, der ihn anzeigt . . ist auf die Kantenlänge von 8,9 Zentimetern ge-

Coup schrumpft; Freib. Wochenbl. 26. 8. 1971 Countdown für Erdgasumstellung läuft (Überschr.); ß. N. 5. 11. 1971 Countdown für Europa-Rakete hat begonnen; Flensb. Tagebl. 12. 1. 1977 Gary Gilmores dritter und wahrscheinlich letzter 'Countdown' zum Tod hat begonnen; Westfalenpost 9. 4. 1983 Countdown läuft: In acht Tagen beginnt Volkszählung — 172 Stadt- und Kreisbedienstete stehen im Einsatz (beide AWB); Zeit 28. 6. 1985 Der moderne Mensch ist ständig alarmiert .. ständig zwischen den Hauptstädten der Welt unterwegs, von einem Countdown in den nächsten stürzend, alles zählend, was sich zählen läßt; ebd. 11.4. 1986 Seine aus dem Kreml überbrachte Zustimmung zu Vorbereitungsgesprächen der Außenminister setzt nach dem Knöpfezählen nun den countdown für den Gipfel in Gang; MM 15. 9. 1987 Natur und Übernatur werden mit Emphase beschworen, während der Countdown technischer Selbstzerstörung in unserer Welt weiterläuft; Spiegel 27. 2. 1989 In dieser Woche fällt Europas skurrilstes Alkoholverbot: Es gibt wieder

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Bier auf der Insel Island. Der Countdown läuft. „Zehn Tage", „neun Tage", „acht Tage" (AWB); 1990 Marie Ciaire XI o. S. Der Countdown läuft. Hongkong baut, lebt, handelt, feiert noch schneller, hektischer, hysterischer als je zuvor; Spiegel 4. 1. 1993 Der jahrelange Countdown zur Exekution, der sich am Ende zum Tages-, Stunden- und Minutenrhythmus beschleunigt, bedeutet für die Häftlinge in den Todeszellen eine Psychofolter; ebd. 27. 12. 1993 das Jahr . . in dem der Countdown für den endgültigen Niedergang der bemannten Raumfahrt begann; ebd. 21. 2. 1994 Wenige Tage nach dem Schock sah sich der serbische Oberbefehlshaber in Bosnien mit dem Countdown des Nato-Ultimatums konfrontiert; ebd. 5. 12. 1994 Helmut Kohl . . hat schon immer dazu geneigt, seinen Blick auf ein Datum von symbolischer Bedeutung in der Zukunft zu richten und die Zeit bis dahin als Stufen eines historischen Countdowns zu betrachten. Als wäre das Leben ein Haus, dessen Plan er genau kennt und das er zur Stunde Null beziehen wird. IN

Coup M. (-(s); -s), im früheren 17. Jh. entlehnt aus frz. coup in seiner Bed. 'kühne Handlung, rasche Tat, Streich', eigentlich 'Schlag, Hieb, Stoß, Schuß, Wurf (auch in bildlichem Gebrauch) (< altfrz. coup, colp 'Schlag, Stich' < gleichbed. vulgärlat. *colpus < lat. colaphus 'Faustschlag, Ohrfeige' < gleichbed. griech. ; —> Coupe, —> Coupon), früher selten in eindeutschender Schreibung Koup. In der Bed. 'Schlag, geschickter, erfolgreicher Streich, Handstreich; Kunstgriff, Kniff; (gelungene) riskante Tat, Handlung; auf Überraschung angelegte (Blitz-)Aktion' und bis heute ganz allgemein für 'kühn, geschickt angelegtes, meist überraschend ausgeführtes, erfolgreiches Unternehmen', häufig in frz. Syntagmen vorkommend und in unterschiedlichsten Bereichen verwendet, zunächst in der Politik in der aus gleichbed. frz. coup d'etat übernommenen, heute veraltenden Verbindung Coup d'etat 'Staatsstreich, gewaltsamer Umsturz, Putsch' (s. Belege 1667, 1698, 1720, 1849, 1923, 1937, 1971); dann auch militärspr. in der Bed. 'überraschendes Vorgehen, spontane Attacke', z. B. Coup de force 'Gewaltstreich' und Coup de main 'Handstreich, Überrumpelungsmanöver' (s. Belege 1632, 1792, 1808, 1813, 1846, 1854, 1943), vereinzelt auch bildlich (s. Beleg 1839); etwa seit Ende 17. Jh. (s. Belege 1690, 1728) auch als Ausdruck des Glücksspiels für 'geschickter (Schach-)Zug'; seit späterem 18. Jh. (s. Belege 1767, 1774) im Bereich des Theaters (bes. Dramaturgie) in der aus frz. coup de theatre lehnübersetzten Zs. Theatercoup (eigentlich 'Theaterstreich') in der Bed. '(für den Zuschauer) unerwartete, effektvolle Wendung im Laufe eines Theaterstücks, Gag auf der Bühne, Bühneneffekt', gelegentlich auch übertragen (s. Belege 1797, 1870, 1930, 1946); oft auch, mit eher negativer Wertung, im kaufmännischen Bereich, vor allem in bezug auf gewagte, riskante geschäftliche Unternehmungen wie (Börsen-)Spekulationen (s. Belege 1779, 1784, 1790, 1843, 1863, 1898, 1925, 1935, 1985, 1993), seit den 30er Jahren des 20. Jhs. bes. bezogen auf reißerisch, blitzschnell, verwegen durchgeführte kriminelle Handlungen und betrügerische Machenschaften (s. Belege 1934, 1936, 1955, 1966, 1970, 1986) und in

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Coup

neuerer Zeit im öffentlich-politischen Bereich auch eher abwertend im Sinne von 'aus Taktik, Berechnung, Kalkül begangene Handlung, mit der sich jmd. Vorteile verschafft bzw. durch die jmd. unangenehm überrascht, getäuscht, bloßgestellt, hinters Licht geführt, geschädigt oder jmdm. übel mitgespielt wird; Trick, List, wohlüberlegter, berechneter, strategischer (Schach-)Zug, Winkelzug; spektakuläre Aktion', dabei öfter konnotiert mit „raffiniert, ausgeklügelt; ungesetzlich, am Rande der Legalität, betrügerisch", z. B. jmdn. durch einen Coup in eine gehobene Position hieven, der raffinierte Coup der Parlamentarier (s. Belege 1967, 1985, 1990, 1993, 1995); seltener auch mit eher positiver Wertung für '(Glücks-)Treffer, Volltreffer, von großem, durchschlagendem Erfolg gekrönte Unternehmung, erfolgreiche, eindrucksvolle/beeindruckende Leistung; Schlager, Knüller (bes. von Filmen, Büchern, künstlerischen Darbietungen)' (—* Clou), z. B. Beethoven-Coup 'bes. geglückte, glanzvolle Aufführung eines Beethoven-Musikstücks' (s. Beleg 1987), speziell vom künstlerischen Schaffen für 'geglückter Wurf, Meisterstück, originelle, geniale Idee, (wissenschaftliche) Leistung' (s. Belege 1863, 1882, 1902, 1993); häufig in (zum Teil ugs. gebrauchten) Wendungen wie einen Coup (gegen jmdn./etwas) landen, starten, planen, ausführen; zum großen Coup ausholen, einen Coup ('Gewinn') an der Börse machen; ein unverhoffter, überraschender, lange vorbereiteter, gelungener, sensationeller, kapitaler, genialer, lohnender, einträglicher, trickreicher, raffinierter Coup; das war sein erster, jüngster, letzter großer Coup, der Coup seines Lebens und als Grundwort in Zss. wie Überraschungs-, Haupt-, General-, Gewalt-, Gauner-, Propaganda-, Milliarden-, Werbe-, Börsencoup. Nicolai 1632 an Wechel (Irmer I 260) alles auf ein coup hazardiren (JONES); 1667 Frantzmann u. Hollaender (Zwiedineck-Südenhorst 18) daß ihr Frantzmann viel tausend Cronen an den Tartarischen Cham solltet uebermacht haben. Aus diesen sieht man die Fruechte und dieses a la coup d'Estat [!] nach der hoellischen Staatsraison (BRUNT); 1690 Opium Gallicum 15 so gedacht ich ein Coup de maitre zu spielen; Scheibner 1695 At/isen-Curier o. S. coup d'Etat, hurtiger Staats-Streich; Sinold 1698 Passagier H B7r-v kan man des jetzigen Czaars Beginnen nicht anders als einen subtilen Coup d'Etat ansehen; Fassmann 1720 Gespr. XIX 180 haben sich andere Leute genug gefunden, welche die Massacre vor einen erlaubten Coup d'Etat ausgegeben (alle drei BRUNT); Rohr 1728 Zeremoniellwiss. l 415 andere schreyen bey einem ungluecklichen Coup [beim Spiel], den sie thun, ueber laut; ebd. l 417 Hat man einen gluecklichen Coup oder eine besondere Tour gemacht, so muß man keine Freude darueber bezeigen; Winkelmann 1753 Br. / 130 Ich werde mit ein paar Worten [dem Brief] in Dresden hinzufügen, wie ich mich herausgewickelt, und wie ich den coup evitiret; Sturz 1767 Sehr. H 232 Deine Tochter rebellirt; die alte Dalton und alles conspirirt gegen dich, hier muß ein Coup gemacht werden, beym Kopf muß man Sie [!] nehmen; Lessing 1767 Dramaturgie (S. Sehr. IX 347) er [Voltaire] sagt, daß Aristoteles in seiner

. . Dichtkunst nicht anstehe, zu behaupten, daß die Erkennung der Merope und ihres Sohnes [in Euripides' Stück] der interessanteste Augenblick der ganzen griechischen Bühne sey. Auch er sagt, daß Aristoteles diesem Coup de Theatre den Vorzug vor allen ändern ertheile; Herder 1772 (Briefw. Herder-Caroline Flachsland II 189) Das Äußere ist nur immer Lumperei, die sich durch einen coup ändern läßt; 1772 Frankf. gel. Anz. 259 daß es nützlich sey, auf Universitäten zu gehen; Betrachtungen über die coups d'etats von Naude; Sulzer 1774 Theorie U 6'34a Dem gemeinen Mann muß er nicht von Ankündigung, von Knoten, von Charakteren, Monologen, von Coup de Theatre und dergleichen Dingen sprechen, davon er nichts versteht; Merck 1775 Br. 124 Theatercoup; Wezel 1778 Erz. II 99 Das wäre ein coup de maitre; Hase 1779 Aldermann 185 Moses [jüdischer Finanzier] machte den Koup [listiger Streich, Betrug]; Klinger 1780 Spieler (I 154) Wir dachten da noch einen hübschen Coup zu machen, und springen in eine Verwandtschaft voll bürgerlicher, honetter Leute hinein; Riesbeck 1784 Br. II 291 In richtigen Beurtheilungen, Kalkulationen, Spekulationen, und glücklichen Koups übertreffen die Hamburger weit die Holländer; Schöckh 1786 Friedrich . in Eylsium 89 Es wurde mancher Coup unterdessen, als die feindlichen Generals Verhaltungsbefehle erwarteten, ausgeführt, der den neuangekommenen

Coup Plan des Kriegsraths wiederum vereitelte; Bretzner 1788 Leben 100 durch einen schnellen coup de main die Patrioten überfallen; ebd. Ill 197 mit diesem Gelde noch irgend einen Koup, der ihn wieder über Wasser aufs Trockne bringen sollte, zu wagen; Schiller 1789 Er. U 208 Theatercoup; 2790 Patriot. Fragmente 39 Kurz vor der Bataille bey Kesselsdorf i. J. 1745 machte er einen glücklichen Coup über ein Paar Preussische Cavallerieregimenter; Nicolai 1790 Anekdoten l 318 der König . . habe einen Buchhändler aus Potsdam kommen lassen, und ihm das Manuskript selbst gegeben, mit dem Befehl es zu drucken, weil ein guter Coup damit zu machen sey; 1791 Journal d. Moden VI 154 daß seine Geschicklichkeit, und das Spiel der ändern Steine [im Schach], ihm dazu behülflich wäre, was aber ein sehr großer Coup seyn würde. Das Ende der Parthie wäre . . der Triumph . . der Bauern über die Narren, ein möglicher Coup; oder der Sieg des Königs, mittelst der Narren über die Bauern, . . der größte Coup; ebd. VI 365 Das Publicum . . liebt noch eben so sehr Schauspiel voll Abentheuer, Gefechte und Ohnmächten, Sturm und Drang, Verwirrung und Theatercoups; Voigt 1792 (Diezmann, Weimars Glanzzeit 65) einen Feldzug, wo [!] man nicht mit einem coup de main angehen darf und wo man 6 Wochen gutes Wetter statt 6 Wochen Regen dazu bestellen muss; Cogniaczo 1794 Geständn. Ill 13 daß die Generals Laudon und Siskovics, denen die Aufhebung des großen Transports aufgetragen war, diesen wichtigen Coup de Main [bei einer Belagerung] verfehlt hätten; Goethe 1797 Br. (WA IV 12,100 Die Frankfurter haben doch also für ihr Geld und ihre Leiden einen Theater Coup erlebt, dergleichen wohl nicht viel in der Geschichte vorkommen; Schütze 1800 Handwb. f. Schauspieler (Nachdr. 1984) 153 Theatercoup, coup de theatre [!], eine außerordentliche und unvermuthete Situation, oder Begebenheit, oder ein Streich, welcher bei der Vorstellung eines Stückes frappirt oder frappiren soll. Da die Sinne und Köpfe der Zuschauer verschieden sind, denen zu Liebe Dichter oder Spieler dergleichen Coups werfen und wagen, so läßt sich darüber nichts Bestimmtes beschreiben; Küttner 1801 Reise III 110 Eroberung durch Überrumpelung (coup de main); Massenbach 1808 Sendschreiben 109 einen [militärischen] coup de force zu wagen; Dreyer 1810 Leben 23 In dem Frey-Bataillon Le Noble fand ich aber Gelegenheit kleine Coups zu machen, und eine grosse Freyheit zu erlangen. Jene Coups bestanden darinn, dass ich hin und wieder dem Feinde Proviant abgenommen hatte; Campe 1813 Fremdwb. 233 Wenn von einem Feldherrn oder Spieler gesagt wird, er habe einen glücklichen Coup gemacht, so wird im ersten Falle ein glückliches Unternehmen, im ändern ein glücklicher Zug

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gemeint; Mutius 1813 Br. 211 woselbst auch 5 Kanonen zu sehen sind, welche der Major . . durch einen Coup de main den Bayern abgenommen hat; Goethe 1822 Belagerung v. Mainz (WA l 33,281) Ausfall der Franzosen . . auf Marienborn .. sie hatten die Absicht, wenn der Coup gelänge, zuletzt das Dorf anzuzünden; Lebrün 1824 Fledermäuse (Jahrb. Dtsch. Bühenspiele IV 72) Als einer glaubt zu machen ganz sicher ä [!] Generalcoup [Hauptstreich); Wit v. Dörring 1827 Lucubrationen 143 Halbe Massregeln oder eigentliche Coups d'etat; 1834 Jahrb. d. Gesch. l 487 durch einen leichtfertigen Coup de main den Adel zertrümmerten; Gutzkow 1835 Charaktere (IX 29) Die Quadrupelallianz soll durch einen coup de main in Madrid entstanden sein; Heine 1835 Romant. Schule 184 f. sie [Poeten] verständen nichts von den Anforderungen der Bretterwelt, verständen nichts von drastischen Effekten und Theatercoups; Lewald 1837 Aquarelle III 275 Sie fühlte, daß sie einen Coup ausführen müsse, wenn sie sich zu ihrem früheren Glänze emporraffen wollte; Gutzkow 1838 Blasedow II 347 einige Hauptcoups, mit denen er [Oberst] das Schicksal der künstlichen Schlachten zu entscheiden sich kluglächelnd schmeichelte; 1839 DV/S I 229 Eine deutsche Ansicht ist ihnen [frz. Wissenschaftlern] selten ganz bequem und kleidsam; ihrem Bilde der Natur übergeworfen, ist das Gewand meist zu weit und ungeschlacht; sie schneidern daher daran herum, ihr Coup de main erscheint ihnen flugs als die Hauptsache, und die Entdeckung oder Erfindung wird ins große Buch der Nation geschrieben; Lewald 1843 Mappe 208 Nach dem letzten Coup, der mich abermals eine ungeheure Summe gewinnen Hess; Man 1846 ]. Deutschld. 23 wenn Massini jenen verwegenen coup de main gegen Savoyen wagen konnte; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris II 133 Wird die Presse . . nicht . . in Zucht und Ordnung gehalten, . . so ist auf dem Festlande Europas keine ruhige, geordnete Regierung möglich. Man wird zwischen erneutes und coups d'etat immer hin und her schwanken; 1852 Prutz' Museum l 543 der Donnerschlag des Coup d'etat; Szarvady 1852 Paris I 83 Der Busen steigt dem reizenden Geschöpfe bloß höher, weil der Cours der Rothschild'schen Papiere [Aktien] höher gestiegen ist; das Auge der Holden sprüht Leidenschaft, weil ihre Renten um einige tausend Franken mehr werth geworden; das . . Gesicht. . strahlt vor Freude, weil irgend ein kühner Coup gelungen ist; Holtet 1852 Vagabunden 328 Kein Coup wollte mehr gelingen, nirgend eine Aussicht; 1853 Prutz' Museum II 514 Die hiesige Polizei hat in den letzten Tagen wieder einen grossen Coup ausgeführt; Wickede 1854 Soldatenleben Hl 67 Ein wahrer coup d'Houssard, vom Glück begünstigt, war dem Prinzen [im Krieg] ohne mißliche Folgen gelungen;

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Holtet 1854 Schneider U 246 Sie beabsichtigte auszuführen, was man einen grossen coup nennt, einer jener Wagnisse, welche unter zehnmal kaum gelingen; Bismarck 1856 Br. an Gerlach 301 einen eclatanten kleinen coup zu machen; Rodenberg 1863 Strassensängerin III 224 Pointen und Hauptcoups [von Witzen]; 1863 Bilder a. Paris U 39 In der Februar-Revolution machte Vater Marteau einen coup de maitre, wie man hier an der Börse eine gewagte und glückliche Speculation heißt: er kaufte vierprocentige Renten; Bennigsen 1865 Reden I 149 Von Österreich sei damals . . ein außerordentlich geschickter Schachzug erfolgt, . . durch [einen] Coup; Holtet 1866 Br. an Köpke 55 er würde irgend einen coup [Gewaltstreich] ausführen, einen Durchbruch wagen, Schlesien und Breslau verwüsten; Freytag 1870 Aufs. I 345 Es ist sehr wohlfeil, diese Abstimmung einen leeren theatralischen Coup zu nennen; ebd. l 357 Es ist plump von Krieg zu sprechen, wenn man ihn herbeiführen will, .. es ist ein schlechter Theatercoup, der die Rolle verdirbt; Kretschman 1870-71 Kriegsbr. 313 Die Schwadron . . von Leib-Husaren machte einen ganz netten Coup. Sie verjagte die Franzosen .. aus dem Dorfe; Fontäne 1882 Br. II 75 Ich glaube, der Schluß des 12. Kapitels ist ein guter Coup; 1884 Grenzboten II 38 Bis in die kleinsten Winkelstädtchen des musikalischen Deutschlands waren die Prospekte des neuen Etablissements [Klavierfabrik] verbreitet worden, am Orte selbst führte Herr Levysohn . . einen Hauptkoup dadurch aus, daß er einen eignen . . Konzertsaal einrichten ließ, der den Klaviervirtuosen gratis zur Verfügung gestellt wurde; Reichenbach 1891 Ehre II 127 Der Coup [Bankspekulation] ist glänzend gelungen . . im Augenblick, wo Alles verloren gehen sollte, wurde Alles gewonnen; Fontäne 1898 Zwanzig 74 Heymann . . sah auch für sich persönlich endlich die Zeit gekommen, durch einen großen Coup die City-Welt in Erstaunen zu setzen und übernahm die geschäftliche Seite des Unternehmens; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 473) Es war ja wohl das, was man einen Coup nennt? Eine Gelegenheit, ein Kapital von . . vierzigtausend Kurantmark ganz einfach . . zu verdoppeln?; Zobeltitz 1902 Papierene Macht U 19 Ein weiterer glücklicher Coup [Schlag, Treffer eines Zeitungsverlages]; 3908 Zukunft LXIV 105 der Börsenspieler, der den großen Coup im richtigen Moment macht; Bierbaum 1910 Reife Früchte 24 Nur mit alten Büttenpapieren ist ihm [Antiquar] hier und da ein Coup gelungen; Sternheim 1915 Scharmante 71 Coup, schlauer, etwas bedenklicher Streich, Unternehmen; 1923 Polit. Handwb. l 335 Coup d'etat, im französischen Sprachgebrauch für jeden Versuch gebraucht, sich durch einen Handstreich der Staatsgewalt zu bemächtigen; Meinecke 1924 Idee

250 seit dem coup d'etat, den Karl VII. mit der Jungfrau von Orleans verübt habe; Klein 1925 Generaldirektor o. S. Die Kurse tanzten von neuem in die Höhe. Der Coup war zwar im Gelingen, aber nicht so restlos wie Heidenberg es gewohnt war; zur Mühlen 1929 Ende 162 Er hatte einen schönen Kniff, unsympathische Mitreisende aus dem Abteil zu verscheuchen. Gelang ihm der Coup . ., so konnte der Vater lachen wie ein Schuljunge; Voss. Ztg. 16. 2. 1930 Die Erzählung, großartig auf diesen coup de theatre hin aufgebaut, ist meisterhaft in der Charakteristik der Personen; Friedeil 1931 Kulturgesch. Ill 307 Napoleon . . hatte bloss eine Menge „Ideen", nach der Art eines Aventuriers, dem jeden Tag ein anderer Coup einfällt; Berl. Illustr. Nachtausg. 18.3.1933 fliegen ihm .. die Frauen zu, und er macht seine . . „Coups" morgens in Paris, mittags, nach einem Flugzeug-Trip, bereits in Brüssel; Lokal-Anz. 6.11.1934 Die Teilnehmer an diesem sensationellen „Coup" [Wohnungseinbruch] wurden . . festgenommen; Dtsch. AZ. 4. 9. 1935 daß die englische Regierung dem Wirtschaftscoup Ricketts in Abessinien fernsteht; v. 'Wahlendorf1936 Erinn. 215 der ewige Gedanke, daß eines Tages irgendein Gewaltcoup mich zu einer Entscheidung drängen müßte, die nur in Mord bestehen könnte; Füller 1937 Völkerbundkriege (Übers.) 201 Der Krieg muss . . die Form eines coup d'etat annehmen; N. Z. Z. 15. 8. 1943 die Chronik des römischen coup d'etat vom 25. Juli; B. N. 14. 9. 1943 Der coup de force, durch den der italienische Exduce von deutschen Truppenverbänden . . befreit worden ist; Th. Mann 1946 Reden u. Aufs. (W. XII 723) die larmoyante Verlogenheit der Rundfunkrede. Der ganze Coup de theatre [war] vor allem ein innenpolitisches Manöver: Die Volksbefragung, . . die seelische Mobilisierung sind die Hauptsache; Weizsäcker 1950 Erinn. 188 Nur Ribbentrop und Himmler wechselten Blicke der Enttäuschung. Beide sahen ihren Gewalt-Coup [Einnahme der Tschecheslowakei], Ribbentrop die politische Demütigung entschwinden, die er den Engländern zugedacht hatte; Süddtsch. Ztg. 18. 3. 1955 Die Unterschlagungen . . sind nicht der erste große Coup, den Knörchen in seinem Leben gemacht hat; Stuttgarter Ztg. 5. 3. 1959 Sie kehrten . . nach Europa zurück, um hier einen „großen Coup" zu landen und endgültig die Mittel für die Gründung einer gesicherten Existenz zu erlangen; Grass 1962 Blechtrommel 312 wir waren mit den Vorbereitungen für unseren großen Coup fertig . . Nachdem ich . . mehrere Sonntage hintereinander die Zehn-Uhr-Messe besucht . . hatte, brachen wir . . während der Nacht in die Herz-Jesu-Kirche ein; Offenburger Tagebl. 17.5.1966 Die Zahl der „Coups" dieser Banden . . wächst ständig. Bevorzugte Unternehmungen sind Überfälle auf Banken;

Coupe Görlitz 1967 Gesch. Generalstab 301 aussenpolitische Coups; FAZ 5. 6. 1967 Die Russen haben sich durch einen diplomatischen Coup als eine Macht etabliert, die aus künftigen Kalkulationen über den Nahen Osten nicht ausgelassen werden kann; Offenburger Tagebl. 21. 2. 1970 Der Coup verlief in Wild-West-Manier innerhalb weniger Sekunden vor den Augen einiger Angestellter des . . Großmarktes; Süddtsch. Ztg. 11.3.1970 Seifert und Döbereiner — letzterer ist bereits wegen Raubes vorbestraft — wollten zusammen . . einen großen Coup landen; FAZ 24. 3. 1970 Sihanouk könne in einem Überraschungscoup wieder in Kambodscha landen; ebd. 16. 2. 1971 als in dem hochintelligenten Elektroniker . . die Bereitschaft für einen eleganten Gauner-Coup erwachte; ebd. 16. 3. 1971 von einer Revolution oder einem Coup d'etat; ebd. 26.8.1971 Coup in Argentinien geplant (Überschr.) Oberst Banzer hat offenbar den Putsch gegen General Torres im Exil .. vorbereitet; Zeit 15. 2. 1985 das paßte den Seemächten England und Holland gut in die Strategie. Doch der militärische Coup gegen das . . Haus von Kastilien ging daneben; MM 15. 5. 1985 BASF landet größten Coup in ihrer Geschichte. Für gut 3 Milliarden DM wurde in den USA ein führender Lack- und Farbenhersteller übernommen; ebd. 2. 11. 1985 Der große Reibach (Überschr.) . . Als er merkte, daß die Barschaft seiner Unternehmensgruppe zusehends knapper wurde, holte er zum vermeintlich großen Coup aus. Durch eine Kapitalerhöhung sollten ihm willige Aktionäre runde 24 Millionen DM in die Kasse bringen; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 178 Also haben sie den König der Jockeys mit dem Versprechen eines lukrativen Komplotts geködert, haben .. ihm eingeredet, er könne den Coup seines Lebens landen, den Verrat der Verrate begehen; Zeit 27. 3. 1987 Der Biennale-Coup war

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keine ausgekochte Intrige, sondern das Ergebnis geschickten Timings; MM 13. 7. 1987 Mit den „Geschöpfen des Prometheus" . . landen die 25 Musiker ohne Dirigenten einen Beethoven-Coup der prickelnden Art: Mit solch klanglicher Erotik . . geht die Truppe an die kurzweiligen Ballettszenen heran, daß man sich kaum satthören kann. Ein absoluter Renner!; Rhein. Merkur 19.1. 1990 Den spektakulärsten Coup landete . . der Deutsche SkiVerband . . Er verpflichtete für die Nordischen Kombinierer anstelle des bisherigen . . Bundestrainers . . den früheren DDR-Weltmeister Konrad Winkler; Frankf. Rundsch. 22.5. 1990 Klose, vor drei Jahren von Lafontaine in einem Coup auf den Schatzmeister-Posten gehievt; Spiegel 4. 1. 1993 Der Regierung in Havanna gelang . . ein unerwarteter Coup: Sie schloß ein Handelsabkommen mit den abtrünnigen einstigen Schutzherren in Moskau; ebd. 18. 1. 1993 hat Fürst zu Fürstenberg den größten Antiquitäten-Coup aller Zeiten gelandet: Nie zuvor wurde soviel Geld für eine private Sammlung bezahlt; ebd. 5. 7. 1993 Der Fälscher [von Gemälden] kann erst in . . dem .. Medienecho so recht triumphieren. Dann genießt er seinen Coup, das Publikum eine Zeitlang hinters Licht geführt zu haben; ebd. 16. 8. 1993 Die in den letzten Jahren erzielten Wissensdurchbrüche der Paläoanthropologie wurden allesamt in Genlabors erzielt. Den bislang größten Coup landete 1987 der USForscher Allan Wilson . . Seiner Erbgut-Analyse nach sind alle heute lebenden Menschen . . Enkel einer Urmutter; ebd. 11. 10. 1993 Nach seinem bisher größten Coup mit „Glengarry Glen Ross" ist es dem Dramatiker . . gelungen, einen Skandal zu provozieren; ebd. 27. 3. 1995 Bisweilen liebt er den Coup; so am Ende seiner Geschäftsführer-Zeit [in der Jungen Union], als er mit dazu beitrug, der Grünen Antje Vollmer im Bundestag zum Job der Vizepräsidentin zu verhelfen. GS

Coupe N. (-s; -s), im frühen 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. coupe (subst. Part. Perf. von couper 'schneiden; abteilen', zu coup 'Schlag' < lat. colaphus, griech. 'Faustschlag'; —* Coup, —» Coupon), seit Ende 19. Jh. gelegentlich auch in der eingedeutschen Schreibvariante Kupee (vgl. 2). la Zunächst und bis ins 20. Jh. in der heute nur noch historisierend verwendeten Bed. 'geschlossene zweisitzige Kutsche, Halbkutsche' (—» Chaise). b Seit Mitte 20. Jh. übertragen für 'zweisitziger sportlicher Personenkraftwagen' (—» Kabriolett), bes. in der Zs. Sportcoupe. 2 Seit Mitte 19. Jh. in der Bed. 'Abteil in einem Eisenbahnwaggon, Eisenbahnabteil', seit späterem 19. Jh. mit Abteil konkurrierend und heute (außer im Österr.) weitgehend durch dieses ersetzt; in Wendungen wie ein Coupe verlassen, ein Coupe zweiter Klasse, in ein Coupe steigen, in einem Coupe reisen, als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Eisenbahn-, Damen-, Schlaf-, (Nicht-)Rauch(-er)coupe; Coupetür, -fenster.

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Couplet

Coupe la: 1727 (Belli, Leben in Frankf. am M. / 80) Eine Carosse Coupe, oder Kutsche zu Brüssel gemacht.. ist zu verkauffen; Reichard 1814 Passagier l 139 Englische Wagen oder Coupes; PücklerMuskau 1831 Br. e. Verstorbenen II 322 die Berline in der Mitte, eine Kutsche nebst Gepäckkorb hinten, ein Coupe vorn; Hailbronner 1837 Cartons 421 in den zweisitzigen Wiener Coupes; Hehn 1840 Reisebilder 286 Gestern verliess ich Nizza, im Coupe einer ungeheuren Diligence sitzend; Ziegler 1852 Spanien I 14 Der spanische Postwagen hat gewöhnlich drei Abtheilungen, wovon die vorderste Berlina, die mittlere Interiore, die hinnerste Coupe, während der Platz oben auf dem Wagen Imperiale genannt wird; Gutzkotv 1858 Zauberer H 133 kam ein geschmackvolles Reisecoupe herangesprengt; Stahr 1866 Herbstmonate l 4 die breiten Coupefenster des Wagens zeigten uns von den gepriesenen Schönheiten des Viamalapasses nichts als qualmende Nebelmassen; Dingelstedt 1868 Amazone VI 37 ein Coupe, eine Kalesche und eine Americaine; Rutenberg 1877 Zinne 68 ein grünes Coupe; Rose 1884 Revanche die Pferdehändler mit Rossen, die dazu dressirt sind, vor dem Coupe der aus der Kirche heimkehrenden Gatten mit besonderem Stolze zu traben; Tovote 1895 Liebesrausch 2 Kutscher eines herrschaftlichen Coupes; Th. Mann 1909 Hoheit (W. // 128) Ein Kutscher und ein paar Knechte in roten Westen versahen Remise und Stall, deren Bestand sich auf eine Chaise, ein Coupe, einen Dogcart, zwei Reit- und zwei Wagenpferde belief; Werfet 1924 Verdi 137 Die Gondel. . wartete unten. Der Uralte ließ heute das schwarze Coupe entfernen. Dann stieg er in diesen . . Wassersarg; Berndt 19391 PS 12 die reinen Luxusgeschirre, als da waren Gigs, Buggies, Landauer, Coupes, Halbchaisen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 346) Um diese, nämlich die Privat-Coupes und Karossen, zur Stelle zu schaffen, hatte ich mir . . die Namen der . . Besitzer erbeten. Coupe Ib: Welt 23.9.1959 Vierzylindermotor, 34 PS, Höchstgeschwindigkeit ca. 135 km/st, als Coupe oder Cabriolet; Bild 21. 3. 1967 ein Coupe Simca 1200 mit Hochleistungsmotor; MM 6. 9. 1986 Bei 160 km/h ist Schluß, nur das Coupe rennt noch vier Kilometer pro Stunde mehr; ebd. 10. 7. 1993 Dabei fallen die einheimischen Lieferwagen und Familienkutschen weniger auf als die Sportcoupes, mit denen Juppies und Söhnchen röhrend an ihren Vorzugstreffs aufkreuzen. Coupe 2: 'Weber 1850 Winternacht 91 Der Schnellzug stand vor dem breiten, stattlichen Perron, die

Türen der wenigen eleganten Wagen erster und zweiter Klasse, aus denen der Zug bestand, waren geöffnet und ließen in dem matt beleuchteten Innern der Coupes die wunderlichen Pelz- und Faltenmassen halb erkennen, welche die Sitze der Nachtschnellzüge im Winter erfüllen; Niendorf 1855 London 2 ein Staatscoupe, allein, ganz für mich allein .. Wir rasseln durch das Tal der Vesdre . . durch 19 Tunnels; Rodenberg 1860 Insel d. Heiligen l 6 Eisenbahncoupee; Grabowski 1863 Off. 131 Coupe zweiter Klasse; 1869 Gartenlaube 72 Nichtrauchcoupe; Ranke 1869 Briefwerk 497 hatte ein Coupe für mich, was mir denn vollen Raum liess, die Aussicht zu geniessen; Fontäne 1871 Kriegsgef. 133 Der „Brigadier" und ich sonderten uns aus und bezogen ein Nachbar-Coupe .. man .. konnte . . rechts und links die Stationen mustern; Wallner 1874 Land 85 im Coupe für Nichtraucher; Blumenthal 1880 A. heiterm Himmel 24 Der Thespis-Karren ward zum Rauch-Coupe; Kretzer 1880 Genossen 127 Coupethür; Nordau 1881 Kreml I 96 Bahncoupe; Rolef 1887 Reisebr. 182 Bei der nächsten Station verließen die Herren das Coupe; Reichenbach 1891 Ehre I 7 Die beiden Kupees erster Klasse, welche der Zug führte, wurden geöffnet; Zapp 1896 Offizierstöchter II 51 Edith bestieg ein Damen-Coupe dritter Klasse; um 1908 Die Woche o. S. Seine Antwort verschlang der einfahrende Zug. In aller Eile suchte das Mädchen sich ein Coupe; Wassermann 1910 Masken 17 Vor seiner großen Reise mußte Manfred noch zu der alten Dame fahren, um ihr Lebwohl zu sagen. Er wählte einen Nachtzug, und im Schlafkupee schrieb er . . an Virginia; Presber 1912 Von Ihr 157 wir fahren jetzt seit acht Tagen mit demselben Zug. Und jeden Tag im selben Coupe; Baum 1927 Hell 5 Als Hell den Zug verließ, hörte es gerade auf zu regnen. Bis dahin war alles vor den verweinten Kupeefenstern in gestreifter Nässe ertrunken; Berl. lllustr. Nachtausg. 14. 1. 1933 Der Professor . . wollte eben verschlafen das Fenster klarwischen, um einen Blick auf den vereinsamten Bahnhof zu werfen, als die Tür zu seinem Coupe brüsk aufgerissen wurde; Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 566) in dem Abteil, das wir besetzt hielten .. (wenn es auch kein Coupe, sondern die offene Sektion eines durchgehenden Waggons zweiter Klasse war); Heuss 1963 Erinn. 305 In Ljubljana . . und Zagreb . . stiegen zwei Herren ins Coupe, die sich deutsch unterhielten; MM 23. 10. 1987 Max Ernst fühlt seine Phantasie angeregt durch die (wenigen) Verbrechen, die in Eisenbahn-Coupes verübt wurden. HK

Couplet N. (-s; -s), im früheren 18. Jh. entlehnt aus frz. couplet 'Strophe, Liedchen' (Diminutiv zu couple 'Paar' < altfrz. cople 'Band, Paar, Strophe' < lat. co-

Couplet

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pula 'Strick, Band, Leine; das Verbindende, Verknüpfende'), selten auch in der eingedeutschten Schreibvariante Kauplet. Zunächst in der Bed. 'Strophe aus Versen mit Kehrreim; Absatz, Refrain eines Liedes' (s. Belege 1733, 1805, 1863, 1985), daneben auch abwertend für 'kleines (frivoles) Lied, Gassenhauer (mit zweideutigem Inhalt)' (s. Belege vor 1803, 1845, 1880, 1963, 1993), seit späterem 19. Jh. im heute dominanten Sinn von 'witziges Lied aktuellen politischen, satirischen Inhalts, dessen Strophen meist mit einem Kehrreim enden (bes. als Einlage z. B. in komischen Opern, Possen oder als Kabarettnummer)' (weitgehend gleichbed. mit —» Chanson; s. Belege 1870, 1936, 1987), als Bestimmungs- und Grundwort in Zss. wie Coupletsänger(-in), -dichter, -kunst; Bänkelsängercouplet. Dazu das seit früherem 19. Jh. (1838 bei Heyse) gebuchte V. trans. coupletieren 'jmdn./etwas in einem Couplet verspotten'. Zedler 1733 Vnwersallex. VI 1478 Couplet . . bedeutet einen Vers oder Absatz von einem Liede; 1795 Journal d, Moden X 133 Man warf zwischen dem Hauptstücke und dem Nachspiele allerley poetische Halb- und Früh-Geburten, Impromptus genannt, patriotische Vaudevilles und Couplets aufs Theater; 1799 ebd. XIL 479 nur ein Couplet aus dem neuesten Stück der so beliebten Dinners du Vaudeville, die man als Pendant zu den 'Witzergießungen des Theaters du Vaudeville ansehn kann; Herder vor 1803 S. W. XXVIII 8 Eines ungerogenen Couplets wegen; Schiller vor 1805 Br. (Briefw. Goethe-Schiller V 188) Aus zwei Alexandrinern ein Couplet zu machen (beide KEHREIN); Goethe 1814 Actenstücke zu Epimenides (WA l 16,505) Vielleicht erzeigt man den Sängern auch die Artigkeit, daß man einen jeden ein Couplet singen und das Chor einfallen läßt; Holtet 1826 (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele V Vorr. o. S.) das Hauptverdienst solcher Liederpossen, den beliebten Weisen neue Kouplets mit pikanten Wendungen unterzulegen; Lewald 1836 Aquarelle II30 jene Couplets, die damals oft zu Ehren der Verbündeten eingelegt wurden; ders. 1837 Aquarelle IV 2 die Couplets gegen die Minister waren verstummt; 1843 Didaskalia I 66 wenn sie in einem Couplet einen 3. Reim zu „Madl'n und Wadl'n" usw. brauchen; Gutzkow 1845 Reiseeindrücke (XI 159) Die schamlosen gesungenen Couplets; Szarvady 1852 Paris I 222 Es gab auch Leute, die in diesen tragischen Ereignissen bloß einen Anlaß für Couplets, Lieder und Chargen sahen; Holtet 1854 Schneider 216 Beranger'sche Couplets; Rodenberg 1863 Strassensängerin 111 Eine Pariserin war es, die . . das Couplet aus einem französischen Chanson vor sich hinträllerte; 1868 Berlins Nachtlokale 11 der scharfe Berliner Witz, der in beißenden Couplets seine Hauptablagerungsstätte gefunden; Springer 1870 Berl. Prospecte 117 Auf dem Wallner-Theater erschien bald wieder die Posse „des höheren Blödsinns", deren Hauptreiz in der Beimischung witzi-

ger Couplets, politischer Anspielungen und lokaler Bezüge besteht; Wallner 1874 Land 198 Coupletsängerinnen; Lindau 1877 Br. 299 Couplets, die von der Bühne auf die Gasse getragen werden; Kretzer 1880 Genossen 45 Couplets der zweideutigsten Art; Nordau 1881 Paris l 10 Bänkelsängercouplets; Harnstein 1890 Mem. 85 einen Pariser Koupletsänger, der einem Cafe chantant entsprungen war; Hansson 1897 Jugend 31 Coupletdichter; Sohle 1900 Musikanten 11 Kouplet-Sängerin; Th. Mann 1912 Erz. (W. VIII 508) wenn er den Refrain wieder einsetzte, unternahm der Sänger . . einen grotesken Rundmarsch .. Nach geendigtem Couplet begann er, Geld einzuziehen; Rundt 1929 Revue-Girl 152 sie werfen rosa Licht auf mich, der Ansager nimmt mich bei der Hand, führt mich aufs Podium und ich singe das Couplet aus der Szene in der „Kleinen Wohnung", das Jimmy für mich geschrieben hat; Berl. Illustr. Nachtausg. 8.3.1933 In revueartig aufgezogenen Bildern .. gibt Lotte Werkmeister . . Proben ihrer Berliner Coupletkunst; Münch. N. N. 25.5. 1936 als Verfasser des Ganzen, in dem die geschickten CoupletTexte besonders auffallen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 505) Es macht mich auch etwas nervös, daß sie so wenig anhat bei ihren Couplets; Strittmatter 1963 Öle Bienkopp 130 Erdbeerwein, Wodka und Flaschenbier. Verstaubte Couplets von Jan Bullert; Zeit 11.1.1985 Wenn sie hereingeführt wird als Olympia und die ersten Picchiettatos des Couplets der singenden Puppe ansetzt; MM 10. 4. 1987 Um einzelne Figuren blitzten zuweilen ein paar Funken offenbachischen Witzes; die entzündeten sich vor allem, als der . . im Dialog wie Couplet brillant pointierende und präzise Peter Nüesch seinen Antonio auf die Bühne brachte; Spiegel 4. 1. 1993 debütierte er auf der Bühne einer Kreuzberger Klitsche mit dem Couplet: „Alles neu macht der Mai, alles neuer macht der Maier". Dann startete er seine Filmkarriere; MM 15. 2. 1995 die allgemein bekannten Songs und Couplets. HK

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Coupon

Coupon, eingedeutscht auch Kupon M. (-s; -s), im späten 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. coupon (zu couper '(ab-)schneiden'; vgl. kupieren 'kürzen, stutzen'). In der Bed. 'als Beleg dienender, abtrennbarer Teil einer Karte, eines Zettels, Abschnitt', zunächst speziell auf Bankpapiere bezogen für 'Zinsschein bei festverzinslichen Wertpapieren oder Aktien, der zum Bezug der Zinsen oder Dividenden berechtigt' (s. Beleg 1782), z. B. in der Wendung Coupons besteuern, als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Dividenden-, Zinscoupon und bes. Coupon(ab)schneider, pejorativ für 'jmd., der von den Zinsen oder Dividenden seines Kapitals lebt (und nicht arbeitet), Rentier', Couponsteuer 'besondere Besteuerung der Staatsgläubiger durch Abzüge an Zinsen', gelegentlich in Wendungen wie die Coupons sind halbjährlich fällig, die Coupons (ab-)schneiden; seit Mitte 20. Jh. (s. Beleg 1944) allgemeiner in der Bed. 'abtrennbarer Zettel, Abschnitt, der als Gutschein, Beleg o. ä. dient' (—* Bonus), bes. für 'Gutschein einer Werbeanzeige, der herausgeschnitten und an die entsprechende Firma gesandt werden kann, um eine (kostenlose) Warensendung, Informationen o. ä. zu erhalten', öfters in der Wendung einen Coupon einlösen und als Grundwort in Zss. wie Getränke-, Lebensmittelcoupon. Möser 1776 Phantasien 11 142 Halb- und Viertelerbe sind Coupons oder Theile des Looses, Erbes; 1782 Leipz. Intelligenzbl. 307b nebst zu beyden gehörigen Zinsleisten und Coupons; Cogniaczo 1794 Gestaendn. III 6 Anm. aber das Papiergeld bestand in sogenannten Coupons, welche den vollen Werth des Geldes hatten; 1794 Patriot. Gedanken z. Reichsarmee 184 kleinere Theile oder Abschnitte dieser Haupt-Obligazion, unter dem Namen, der Reichs-Kriegs-Koupons; Lüeder 1800 Nationalindustrie I 248 Papiergeld, Coupons und Staatsschuldscheine; Hoffmann v. Fallersieben 1840 Unpolit. Lieder l 202 Die Couponschneider/ Und Hungerleider,/ Die, wo andre vor Freude weinen, / Gleich mit dem Regenschirm erscheinen; 1862 Hausblätter IV 19 eine kleine Häckselmaschine zum Couponschneiden; 1864 Illustr. Welt 474 Das leichteste und dabei doch das rentabelste Geschäft ist unstreitig das Couponschneiden; Goltz 1869 Weltklugheit II 145 ein auf seinen Lorbeeren ruhender Couponschneider; Michelis 1872 Reiseschule 163 sei es auch nur ein leichtes Handwerk oder sonstige Hantierung (etwas ausgiebiger als Couponschneiden muß es sein); Bismarck 1879 (Klemm 1191) Wer als Kaufmann, als Industrieller, als Handwerker sich ein Einkommen durch tägliche Arbeit verdient, welches sich nicht auf seine Kinder übertragen läßt, ist ungerecht besteuert, wenn gerade so viel von ihm bezahlt werden soll, wie von dem, der bloß der Scheere [!] zu nehmen und die Coupons abzuschneiden . . braucht; 1902

Grenzboten U 333 Couponschneider; Rehm 1914 Bilanzen 420 Was Wechsel, Zinskoupons, Schatzanweisung gemeinsam haben, ist ihre Fälligkeit in verhältnismäßig kurzer Frist; Gothe 1934 Arbeiter 32 vom Proletariat als der großen einheitlichen Gruppe derer zu sprechen, die sich nicht von Zinsen und Kuponschneiden ernähren, sondern durch Arbeit; Lokal-Anz. 30. 10. 1934 Die Couponschneider müßten ihre Coupons ruhig einmal zwei, drei Jahre in der Schublade liegen lassen und auf ihre Regierungen dahin zu wirken versuchen, daß das internationale Geschäft wieder in Gang kommt; N. Z. Z. 29. 9. 1944 die Erfindung des Mahlzeitencoupons; Welt 2. 1. 1959 senden Sie uns bitte den nachstehenden Coupon als Drucksache (Anzeige); Stuttgarter Ztg. 27.11. 1969 Das im Frühjahr neueingeführte System, wonach tschechoslowakische Jugendliche mit Hilfe eines staatlich organisierten Coupon-Systems als „Anhalter" reisen können; Welt 16. 11. 1974 Sie können das Freizeitmagazin „motor-boote und yachten" auch direkt beim Verlag mit dem Coupon bestellen (Anzeige); Zeit 18. 1. 1985 anstelle einer industriellen Holding . . schwebte Paefgen offenbar vor, die Beteiligungen so umzugruppieren, daß die Flick-Holding irgendwann zu einer Vermögensverwaltung geworden wäre, mit anderen Worten: zu jener Coupon-Schneideanstalt, die Brauchitsch gerne verhindert hätte; MM 31.7. 1986 der Klerus wird noch weiter verwöhnt: Neben dem Gehalt gibt es Lebensmittel-Coupons; Spiegel 31.5.1993 Couponschnippler in Luxemburg. OV

Cour F. (-; ohne PL), im späten 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. cour (< gleichbed. altfrz. court, cort, über mlat. curtis, cortis 'Hof, Hofstaat' zurückgehend auf

Cour

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lat. cobors, Gen. cohortis, 'eingezäunter Ort, Hofraum; Gefolge, Stab'; —+ Kohorte). a Zunächst in der heute veralteten Bed. 'fürstlicher Hof, Hofgesellschaft' verwendet, als Bestimmungswort in den Zss. Courtage, -robe und seit Anfang 19. Jh. in den Ableitungen courfähig 'hoffähig' und Courfähigkeit 'Hoffähigkeit'; vgl. das aus dem Frz. übernommene Syntagma Cour d'amour 'mittelalterliche provencalische Gesellschaft, die sich auf dem Land zusammenfand, um über Galanterie, Liebe u. ä. zu diskutieren; der Poesie und Lebenslust gewidmete Zusammenkunft von Damen, Rittern und Sängern, bei der man sich über Dichtung, Liebe u. a. unterhielt' (s. Belege 1682, 1801, 1802, 1904, 1915). b Seit späterem 17. Jh. in der Bed. 'Ehrenbezeugung des versammelten Hofstaats', zumeist in der aus frz. faire la (sä) cour lehnübersetzten festen Verbindung (die) Cour machen 'einer hochgestellten Persönlichkeit die Aufwartung machen' (s. Belege 1675, 1688, 1714, 1716, 1739, 1771, 1813), gelegentlich auch allgemeiner für 'einer geschätzten Person die Ehre erweisen' (s. Belege 1881, 1908); seit Anfang 18. Jh. auch speziell in der Bed. 'um die Gunst einer (vornehmen) Dame werben' (s. Belege 1709, 1722, 1752, 1800, 1863), dafür im 19./frühen 20. Jh. auch die Cour schneiden; vgl. dazu die vom späten 18. bis ins 20. Jh. belegten veralteten Zss. courmachen/-schneiden, Courmacher/-schneider 'Galan, Verehrer', gelegentlich auch abwertend, und Courmacherei 'Werbung um die Gunst einer Dame', auch abwertend 'Zuneigungsbekundung ohne ernstgemeinte Absichten' (—» Flirt); dazu seit Anfang 19. Jh. die selten belegte Verbableitung couren 'jmdm. Ehre bezeugen' mit der Präfixbildung umcouren 'jmdn. umwerben'. Dazu bereits seit Anfang 13. Jh. das aus gleichbed. altfrz. courtotsie (zu cour, s. o.) entlehnte Subst. Courtoisie F. (-; -n), zunächst auch in den (zum Teil ital. beeinflußten) Varianten Curtesia, Cortesia, Cortosie, Cortesy, Cordesy, Courtisie, Curtesin; bis heute bildungsspr. in der Bed. 'höfliches, zuvorkommendes, ritterliches Benehmen, Höflichkeit, Galanterie (gegenüber hochgestellten Personen und Damen)', auch 'feine Bildung', in Wendungen wie jmdm. eine Courtoisie erweisen, die Dame bedankte sich für seine Courtoisie; daneben speziell vom 15. bis ins 17. Jh. für 'Trinkgeld' (s. Belege nach 1440, nach 1483, um 1600, 1633); im 18./19. Jh. auch im Sinn von 'angemessene bzw. vorgeschriebene Anredeform höhergestellter Personen (in Briefen)' (s. Belege 1760, 1790, 1800, 1802, 1829, 1834), in einer Wendung wie dem Brief mangelte jegliche Courtoisie. Dazu ebenfalls seit Anfang 13. Jh. die aus gleichbed. frz. courtois entlehnte, heute veraltete adj. Ableitung courtois (ohne Steigerung) 'höflich, freundlich, gutes Benehmen habend' und seit Mitte 16. Jh. die aus frz. courtiser übernommene Verbableitung courtoisieren V. intrans., früher auch kurtisieren, '(durch höfliches, zuvorkommendes Verhalten) um die Gunst einer Dame werben' (vgl. flirten, —» Flirt), öfters auch subst. verwendet. Cour a: Ernstinger 1579-1610 Kaisbuch 247 Alda haben wir auch gesehen la court de l'empereur oder kayserliche hoff; Wallhausen 1616 Manuale (Gl.) a Court. Zu Hoff; Nicolai 1633 an Spiring (Irmer II 48) die ganze court haben alle zugesehen (JONES); Morhofl682 Unterricht 160 zusammenkünffte/ ../ worinnen man die Verse hergesagt/ und um den Sieg gestritten. Der Ohrt ist genannt worden Cour d'amour; Wächtler 1709 Manual 89 cour .. Hoff; Sperander 1727 A la mod Sprach 167

Cour, der Hoff eines Fürsten, der Königliche Pallast; it. die gantze Königliche Hoffstatt; Möser 1775 Phantasien l 158 die unnütze Zeit zwischen dem Nachtische bis zur Cour; Nicolai 1775 Nothanker II 143 zu Cour-Tagen, wo man sich tief neiget, um seinen Stolz zu zeigen; Goethe 1777 Tagebücher (WA 111 1,53) erste Cour u[nd] Conzert bey Hofe; Wall 1787 Bagatellen II 114 [wenn er] sich deswegen morgen früh bey der Cour beurlaubte; 17S7 Journal d. Moden II 209 an Cour-Tagen bey

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Cour

Hofe; Nicolai 1790 Anekdoten H. IV 35 Eines Tages war zahlreiche Cour, und in dem Zimmer, worin der König sich befand, war . . die eine Thüre halb offen, so daß er verschiedene Personen, welche in dem Gedränge jenseit standen, nicht sehen konnte; Goethe 1801 Gespr. (He 1,815 f.) unser Verein müsse nach der wohlbekannten Minnesänger-Sitte eine cour d'amour bilden (GWB); Gotter 1802 Nachlass 214 O das wäre himmlisch! Eine Cour d'amour, ä la Provencale!; Goethe 1821 Tagebücher (WA 111 8,3) die Großherzogin hielt zum erstenmal Cour; ders. 1824 Tagebücher (WA 111 9,168) Nach Tische Unterhaltung mit Ulriken . . über die Courtage und Abende; Hesse 1904 Camenzind 129 Ich wohnte einer cour d'amour bei; Nordegg 1907 Berl. Gesellschaft 139 Cour-Robe; Chledowski 1915 Italien (Übers.) 59 als Ausdruck höchster Ritterlichkeit der Frau gegenüber, die sich nur mit den mittelalterlichen „Cours d'amour" vergleichen liesse; Schlözer 1926 Menschen 108 Das alles war viel größer, schöner und kostbarer als die Berliner Cour; Friedeil 1928 Kulturgesch. 11 175 Seit Franz dem Ersten hatte Paris als Residenz der Könige eine immer zentralere Stellung erlangt: schließlich waren „la cour et la ville" identisch mit ganz Frankreich; 1957 Aus d. Welt d. Barock 202 das Kulturideal war das des Hof- und Weltmannes, wie es sich vom Cortegiano des Jahres 1528 zum homme honnete, zum homme de court entwickelt hatte. courfähig: 1803 Hugo's Magazin l2 28 courfähig; E. T. A. Hoffmann 1819 S.W.X 39 deren Adel zweifelhaft und die der Fürst dennoch ein für allemal als courfähig angenommen; Borne 1823 Ges. Sehr, l 866 Glücklich nur ist in unsern Tagen, wer courfähig oder spitalfähig ist; Kurz 1843 Schillers Heimatjahre I 67 Mustapha mußte in einer anderen Abteilung mit der nicht courfähigen Gesellschaft einiger übrigens sehr schönen Kühe vorlieb nehmen; 1848 Grenzboten l 2,188 abgesehen von seiner ganz und gar nicht courfähigen Herkunft; 1852 Prutz' Museum l 456 fand Frl. Nathalie eine routinirte Darstellerin, welche die Fahne der Legitimität mit Energie aufsteckte und die Intriguen mit courfähiger Meisterschaft leitete; 1854 ebd. // 153 Selbst Harzburg . . zählt nicht so viele Gäste wie einst. Dagegen scheinen diesen Sommer einige andere kleinere Orte, die bisher noch nicht dazu gehörten, in die Reihe der saisonfähigen - beinahe hätte ich gesagt, der courfähigen Gegenden eintreten zu wollen; Heyse 1874 Ges. W. I 2,422 Mein Freund hat einen viel zu vorurteilsfreien Geschmack, um erst im Adelslexikon nachzuschlagen, ob er sich amüsieren darf oder nicht, und ob die feurigen Augen einer flotten Tänzerin allenfalls courfähig wären; Rose 1884 Revanche 127 mit

dem blauen Bande des Heilig-Geist-Ordens durfte sich nur schmücken, wer hochadlich oder courfähig war; Ebner-Eschenbach 1887 Gemeindekind 173 wenn die Baronin die Glückwünsche ihrer in corpore mit Gemahlinnen und courfähigen Nachkommen ausgerückten Beamten empfing (DUDEN 1993); Hammerstein 1916 Februar 119 rings um die Schlösser brachten sie der Natur höfliche Manieren bei, stutzten die Bäume und Hecken schön courfähig steif. Courfähigkeit: E. T. A. Hoffmann 1819 S.W.X 38 erteilte seinen Hausorden, gab Cour, Hofbälle, die meistenteils aus zwölf bis fünfzehn Personen bestanden, da auf die eigentliche Courfähigkeit strenger geachtet wurde, als an den größten Höfen; 1852 Prutz' Museum l 781 der sogenannten Spiegelhexe, einer nervös überreizten Dame, die wirklich nur eines Besens und des einfachen Hexencostüms bedurfte, um ihre Courfähigkeit bei der Walpurgisnacht zu legitimieren. Cour b: Elis. Charl. 1675 Br. V 284 alle hoff-leutte führen mir von Ein tag zum ändern von vnßerm hertzogen gefangenen her, vmb wie sie sagen Leur Cour bey mir zu machen (BRUNT); Thomasius 1688 Monats-Gespräche U 388 Es habe sich .. ein Mensch . . täglich in des Cardinais antichambre antreffen lassen und seinen [!] cour gemacht; ders. 1691 EM. z. Vernunftlehre 67 wie mir es leyd ist/ daß er bey denen/ so er .. cour machen wollen/ seinen Zweck nicht nach Willen erreicht; Menantes 1709 Satir. Roman 121 die Ankunft einiger . . Cavalliers, welche den . . ändern Dames alsobald die Cour machten, und so frey und artig mit ihnen thaten; Elis. Charl. 1714 Br. 435 die minister . . meinen, dadurch .. ihren cour zu machen; 1716 Berl. geschr. Ztg. o. S. Die gefangene Schwedische Officier machen bey Sr. Durchlaucht fleißig ihre Cour (BRUNT); Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 52 einem muntern und hitzigen Fräulein die geheime Cour zu machen; Sperander 1727 A la mod Sprach 167 Cour machen, heist so viel als jemand eine solenne und sonderbare Höfflichkeit und Respect erweisen, oder einem grossen Herrn seine Aufwartung machen; Mattheson 1739 Kapellmeister Vorr. 17 in solchen Schrifften die auf Beurtheilungen der Wissenschaften gerichtet sind, mit den Ausdrükken, und absonderlich mit den Einschaltungen unrichtiger Gedanken eines ändern, dem man die Cour machen will, etwas behutsamer zu verfahren; 1752 (Buchner, Liebe 23) keiner unter den vielen Liebhabern, welche ihnen die Cour machen, hat sich noch über diesen anständigen Punct herausgelassen; Sturz 1768 Br. (l 28) Ecoutes, mon eher Monsieur, ick mack der Cour ä une femme fort riche; Lessing 1771 Br. (S. Sehr. XVII 384) um bey-

Cour her der Herzogin von Braunschweig meine Cour zu machen. Nicht war, Sie müssen lachen, wenn Sie mich und Cour machen zugleich denken; Wezel 1781 Sprache 130 f. faire la cour. Im Teutschen, „die Aufwartung machen." Der teutsche Ausdruck hat etwas Erniedrigendes, etwas Knechtisches: gleichwohl sollten wir ihn lieber brauchen, als „einer Dame die Cour" oder gar, „den Hof machen."; Goethe 1783 Br. (WA IV 6,210) Unter der Courzeit werd ich .. Herdern besuchen; Zimmermann 1785 Einsamkeit III 182 Eine junge, sehr muntere, und sehr lebhafte Dame . ., die sich gut zu kleiden verstand, gerne tändelte . ., sich immer die Cour machen ließ, und die man darum . . für eine Frau vom guten Tone . . hielt; Moritz 1786 Reiser 281 [da er] ordentlich seine Cour bei dem Prinzen machte; Iffland 1800 Mann von Wort (111 72) Ich mache nun Julien unausgesetzt die Cour; Goethe 1813 Tagebücher (WA III 5,83) Cour bey der Erbprinzess; Wallis 1813 Ausdrücke u. Redensarten d. Studenten (Henne/Objartel, Bibliothek 111 66) Ihr Anzug ist schwarz, dergl. seidene Strümpfe, ein Stürmer unter dem Arm, und ein Cour-Degen an der Seite; Mutius 1818 Br. 387 Heute haben wir das Hofleben mit der Abschiedscour bei der Herzogin von Dessau geschlossen; Spaun 1822 Zilia (l 130) einen Schwiegersohn, der nicht jeder Schürze die Cour mache; Prey tag 1854 Journalisten 33 die Cour machen; Grabowski 1863 Off. 183 überdies hatte ich mich auch schon wieder mit meiner Kleinen, der der Major die Cour gemacht, versöhnt; Glaser 1867 Niederl. Novellen 197 die Cour schneiden; Faucher 1877 Culturbilder 34 ein hübsches Ladenmädchen . ., welche sich von jungen Offizieren und anderen jungen Leuten die Cour schneiden ließ; Fontäne 1881 Br. 11 45 mit meinem Freunde Rodenberg, trotzdem ich ihm — sehr gegen meine Natur und Neigung - die Cour gemacht habe, weil ich sein Journal für sehr g u t . . halte; Proelss 1891 Modelle 53 Er machte ihr nicht mehr die Cour, sondern ließ sich von ihr die Cour machen; Eckstein 1897 Roland 9 [er] machte . . gründlich die Cour und fühlte sich bei diesem Alltagsgeschäft frei und behaglich; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 120) aber immer galant mit den Damen. Paß auf, er wird dir die Cour machen; Hermann 1908 Henriette 271 Hannchen saß dort ganze Nachmittage und nahm Cour ab, jeden grüßend, den sie auch nur kannte von irgendwoher; Huret 1909 Berlin 102 Nach dem Ordensfest ist es die Defiliercour, wie die Berliner, oder die Schleppencour, wie die Diplomaten sie nennen, weil die Damen in Schleppkleidern erscheinen; zur Megede 1911 Quitt 73 mit einem halben Courknicks; Zobeltitz 1914 Frau 160 Courschleppe; Junggeselle 8.3. 1929 er macht sich lächerlich, wenn er dieser Gans die Cour schneidet; Lokal-Anz. 1.1. 1933 An den

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Gottesdienst schloß sich die Cour im Großen Weißen Saale an. Würdig und ernst nahmen die Majestäten den Vorbeimarsch der einzelnen ab. courmachen: Schummel 1779 Spitzbart 257 Courmachen; Bretzner 1788 Leben III 20 von den Dichtern, Liebhabern und kourmachenden Männern; Mutius 1812 Br. 165 Nichts ist dem Ruf eines Mädchens schädlicher . ., als das sog. Courmachen; Nestroy 1848 S. W. V 39 Weißt du, meine Gute, das zu viele Schmeicheln, Courmachen, Weihrauchstreuen und Himmelerheben hat schon erfahreneren Mädchen den Kopf verdreht; Fontäne 1873 Ges. W. l 3,307 Das Sentimentale liebte sie schon damals, aber doch immer unter Bevorzugung von Courmachen und Schlagsahne; Eckstein 1897 Roland 24 Ich denke jetzt nur an das landläufige Courmachen. Das reicht unter Umständen gerade schon aus, einem nicht ganz wohlerzogenen Eheherrn die Gemütsruhe zu rauben; Edschmid 1928 Gagaly 95 Die Madosdy nahm das Courmachen gelassen auf. Courmacher: Mutius 1806-19 Br. 284 Teegesellschaft. Zwei sehr hübsche Mädchen, zwei plumpe Courmacher; Goethe 1809 Gespr. (He 2,494) Sie schätzen die Courmacher nach der Zahl, nicht nach dem Gewichte (GWB); Stifter 1829 S. W. XVII 11 dadurch unterscheide den Mann von Ehre von den Stutzer und dem Heere der Cour-Macher; Glassbrenner 1836 Bilder I 105 die Courmacher meiner Gemahlin; Raumer 1849 Br. Frankf.-Paris II 309 den großen Unterschied zwischen dem vernachlässigten, edeln Manne und dem frivolen Courmacher; Werther 1861 Kl. Deutschland I 111 Courmacherscenen; Schweichel 1873 Bildschnitzer I 24 während seine Frau bei dem Namen ihres alten Courmachers die Stirn runzelte; Fontäne 1894—95 Effi Briest 6 Drei Viertel ist er Onkel und nur ein Viertel Courmacher (DUDEN 1993); Eckstein 1895 Hartwig 295 was man Herrn Klingelhöfer nachsagte — daß er ein lustiger Fant sei und ein Allerwelts-Courmacher — das konnte ja auch stark übertrieben sein; Zobeltitz 1914 Frau 176 der unverbesserliche Courmacher; Lokal-Anz. 10. 11. 1934 Er wußte, daß Kara eine Kammerfrau brauchte und keinen Courmacher; Kapeller 1964 Schimpfbuch 37 Courmacher. Auch Courschneider: Mann, der einer Frau „den Hof macht". Courmacherei: Zimmermann 1784 Einsamkeit 155 ohne daß schaler Zwangsumgang und gedankenlose Courmacherey das Triebwerk ihres Geistes hemmet und lahmet; 1785 ebd. III 197 im Menschengewühle, wo . . Pflichtswahn, Courmacherey und Menschenfurcht alle Energie ersäufen; Ad. Schopenhauer 1823—26 Tagebuch 65 Künstler-

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Courmacherei; Nestroy 1837 S. W. X 178 Diese Galanterien und Courmachereien, das schickt sich nicht für einen Bräutigam; Grabowski 1863 Off. 17 Diesmal war es aber keine Courmacherei, wenn er das junge Mädchen mit seiner ganzen Liebenswürdigkeit zu fesseln versuchte, sondern es war ihm mit seiner Liebe ernst; Schweichel 1873 Bildschnitzer l 47 dass sie sich als Mädchen die Courmacherei des Schreibers hatte gefallen lassen; 1885 Salon U 538 nicht. . eine gewöhnliche Courmacherei, sondern . . eine ernste, wirkliche Leidenschaft; Proelss 1891 Modelle 73 ging Carmi jetzt auf die Courmachereien der jüngeren Künstler ein, die als Gäste an ihrem Tisch erschienen; Polenz 1900 Liebe 141 etwas Ernsteres hatte sich aus solcher Courmacherei nicht entsponnen; Zobeltitz 1914 Frau 158 Courmacherei. courschneiden: Wasservogel 1888 Klinghart 196 „Courschneidens". Courschneider: Glassbrenner 1836 Berlin X 26 Kurschneider. (um-)couren: Schütze 1800 Handwb. f. Schauspieler 54 sie kommen nur deshalb, um, während man nicht spielt, zu Couren, Courtesiren, zu hofiren und zu liebäugeln; Kloss 1808 Idiotikon d. Burschenspr. 45 Kuren Sonntags Morgens zu den Profeßoren gegehn; Hebbel 1836 S. W. // 1,94 Merkwürdig genug, die Herren von Adel stehlen sich alle einen bürgerlichen Namen, wenn sie bei Apoll couren wollen; Fontäne 1885 Ges. W. / l,547 ein . . Eskadronchef, der sie mit . . Ritterlichkeit umcourte; ders. 1898 Zwanzig 9 und knixen doch nur vor dem goldenen Kalb, entweder indem sie tatsächlich alles, was Geld und Besitz heißt, umcouren oder sich doch innerlich in Sehnsucht danach verzehren. courtois: Wolfram v. Eschenbach um 1210 Parzival o. S. kurtois (LEXER); Konrad v. Würzburg vor 1287 Engelh. 2860 kurtois (LEXER); nach 1250 Mai u. Beaflor 230 min tohter ist so kurtois und weit ir zabelen mit ir, daz kan si wol (SUOLAHTI); 1507 Geschichten Wilwolts v. Schaumburg 46 curtosen; 1626 Theatrum amoris 429 Wie nun diese Nation die allercortest/ hoefflichst/ vnd fuerwitzigst der Welt ist; Nicolai 1632 an Schwallenberg (Irmer 1146) mehr courtois; Rist 1642 Rettung E5r Ich bin ja gegen euch ueberauß courtois (beide JONES); Hüppert 1648 Wurm 21 die Dame die von Naturen sehr Courtoise war; Gryphius 1663 Horr. 9 Die Printzen in Europa, die etwas mehr courtese halten Freundschaft mit mir, mehr aus Furcht, als wahrer affection; Grimmeishausen

1669 Simpl. 300 Er bitt mich/ euch zuzusprechen/ daß ihr ihm diesen Gang nit abschlagen wollet/ mit sehr cortoisem Versprechen/ euch diese Mühe mit freundlicher Danckbarkeit zu belohnen; ders. 1670 Springinsfeld 62 acceptirte beydes Ketten und Geld .. mit courtoisen promessen; Wächtler 1709 Manual 90 Courtois .. höfflich/ freundlich/ z.E. der Mensch ist überaus courtois; 1857 G. FreytagHerzog Ernst v. Gotha Briefw. 74 courtoise Vergnügen; 1952 Saeculum 111 681 wer courtois ist, verhält sich immer richtig, er verhält sich nämlich so, wie es bei Hofe Sitte ist oder sein sollte. Courtoisie: Heinrich v. d. Türlin um 1210 Krone 24986 kurtoisie (LEXER); Wolfram v. Eschenbach um 1210 Parzival o. S. kurtoisie (LEXER); Vintler 1411 Pluemen d. Tugent 223 wer da hie entrinnen well der sorgsamen weit, der gesell sich zu der curtesia (WIS); Volkslied 1414-18 (Liliencron l 236) kom gen Constenz, tet curtesi,/ was dem conzili dienstlich fri; nach 1440 Dtsch. Pilgerreisen 98 [Trinkgelder, die man bei der Überfahrt ins Heilige Land zahlen muß] Item I grossin, als mir geyn Rama komen, von den esel zu kortesy; nach 1483 Dtsch. Pilgerreisen 130 mit esengelt und kortazyenn; Fassbender 1492 Pilgerreisen 256 Curtesiain . . dat is drynckgelt; Emser 1505 Satyra 31 Pluto, aller schalckheit abfeim,/ So bald ein cortesey erdacht; Herzog Friedrich II. 1507 Pilgerfahrt 114 die kleine corthesen, das ist dass tranckgelt; 1507 Geschichten Wilwolts v. Schaumburg 46 wie bald hat er sein brief und sigl, treu und eer, auch ait in der bierkanten vergeßen, hat der ehr sie geschworn, als man an seiner curtosen merkt, nit willens gehabt zu halten; 1563 Türck. Hist. II 5 sehr grosse Cortesey und Königliche Verehrung (beide WIS); Fischart 1577 Trostbüchlein (W. III 35) da sieht man . . in summa alle höflichkait, Also das gänzlich zu glauben alle lehr der Cortosie, dauon die Welschen vil schreiben, sei daher entsprungen; Kiechel um 1600 Reisen 331 ich gebe dann ein curtesia; 1614 (Aretin 1839 Bayerns auswärt. Verb, l Urkd.-Bd. 33) mit Fürstlichen Courtoisien, Ehrerbietungen vnndt freundschafft; Rinckhart 1618 Jubel-Comödie (Ndr.) 104 Man jhn . . alle Cordisey bewiess; Opitz 1624 Poeterey 162 Nemt an die courtoisie, vnd die deuotion; Perez 1627 Landstörzerin 26 solche Cortesy oder Höflichkeit; Zeiller 1628 Theatrum 5 vnd erbeut sich deßwegen sie nach Hauß zubeglaiten/ .. Die Dame bedanckt sich dieser curtoisie vnd Höflichkeit halber; Nicolai 1633 an Wechel (Sonden 4SI) all der genommene butin undt dass Leipzigische courtoisiegeld (JONES); Moscherosch 1642 Visiones 31 Daß beste an jhnen ist/ daß sie vns nimmermehr vmb ichtwas ansprechen/: auch haben sie schlechte Curtoisie, als verdächtige Personen/ von

Cour vns zugewarten/ insonderheit die alte heßliche Vetteln/ deren es sechsmahl mehr in der Hölle hat als der schönen; 1643 Sprachverderber 15 cordesi; Klaj-Birken 1645 Fortsetzung 92 Nehmt an die courtoisie, Die euch Don Hylas jetzt zeigt senza flatterie (JONES); Lauremberg 1652 Scherzgedichte 67 Derwegen wy juw ock de curtosi erlögen,/ Vnd unse Höfflicheit na juwer Groffheit bögen; Schupp 1657 Freund in d. Not 42 ich wolle ihm oder seinen Kindern wiederum eine courtoisi erweisen; Weise 1673 Erznarren 154 Inzwischen thut er den guten Wohlthätern die courtoisie, und fördert ihre Sachen, daß sie zuträgliche dienten bekommen; ebd. 169 da hatte ich mir vorgenommen, mit dem Frauengezieffer recht bekand zu werden, und wolle so lange auf die Courtoisie gehen, biß ich ein wichtig Weiber Stipendium zusammen bringen könte; Pickelhäring 1685 Kleideraffe 53 ich wil Monsieur wieder einmahl eine Courtoisie erweisen; Weise 1693 Näscher 151 ich halle mich bey einem schönen Mägdgen in Couriesie eingelassen; ders. 1702 Gedancken l 397 Drum tadle niemand meine Freude,/ Dass ich die courtoisie vermeide; Menantes 1709 Satir. Roman 11 125 Allein! wo muss er itzo stecken? . . vielleicht bey seiner Courtesie?; Beccau um 1710 Holofernes 156 courtoisie; Philo 1722 Ruhm d. Tobacks 98 Die Courtoisien und Complimente so man etwa bey Einführung oder Bewillkommnung der Gäsie zu observiren hat; Sperander 1727 A la mod Sprach 168 Courtoisie, Höfflichkeit, Freundlichkeit, Leutseeligkeit; auch heimliche Buhlschafft; Fassmann 1729 Narr 180 Courtesie-Schwestern; Gottsched 1742 Versuch 228 was die Franzosen Maitressen, und die Halbdeutschen Courtesie nennen; Lessing 1760 Literaturbr. (S. Sehr. VIII 215) Gnug mit dem Herrn Dusch gesprochen! Was unsere galanten Briefsteller die courtoisie nennen, das ist nunmehr wieder an Sie gerichtet; Heynatz 1774 Er. V 90 Courtoisien sind überhaupt Höflichkeiten des Ceremoniells; Eschenburg 1783 Theorie 238 Es giebt gewisse Formalitäten, bey der Anrede oder sogenannten Courtoisie; Sonnenfels 1785 Geschäftsstil 69 die Wissenschaft der Titel und Kurtesien; 1790 Journal d. Moden V 361 Mein Vorschlag betrift die sogenannten Brief-Courtoisien und Aufschriften; ebd. V 367 Ich komme zu den Courtoisien im, und am Schlüsse des Briefes. — Bey Kayser, Königen, Fürsien sind diese Ausdrücke beynahe durchgehende gleich angenommen, z. B. Ihre Majestät, Ihre Durchlaucht; Herder 1796-97 Br. (S. W. XVIII 164) noch jetzt rühmen sich alle Deutsche Canzleien . ., daß sie, der wahren Courtoisie getreu, außerordentlich einnehmend, kurz und flüßig schreiben. . . Unsere Canzlei-Courtoisie, meynen wir, ist echt Französisch; Goethe 1800 Br. (WA IV 15,40) Der Schauspieler Cordemann hat. . ein Pro-

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memoria eingereicht, welches weder dem Inhalt, noch der Form, noch dem Styl nach zulässig ist . . Zweytens ist jede schuldige Courtoisie weggelassen; Fülleborn 1802 Rhetorik 78 f. Eine Eigenthümlichkeit des Canzleystyls ist noch diese, dass er an die Beobachtung der Courtoisie gebunden ist. Courtoisie ist der Inbegriff der Ausdrücke, die dem Herkommen zu folge die Verhältnisse der Personen und ihres Standes bezeichnen. Dahin gehören 1} alle Tiiulaturen, 2) die Ausdrücke der Höflichkeit, Achtung und Ehrerbietung; kurz, alle für besondere Personen besonders bestimmte Ausdrücke und Wendungen. Z. B. eine hochlöbliche Oberamtsregierung, eine hochpreissliche Kriegs- und Domainenkammer, der vortreffliche Gesandte; Goethe 1829 Br. (WA IV 46,9) eine französische Grammatik, oder sonstiges Werck, worin die Abstufung der Titulaturen in Briefen, Courtoisien pp enthalten wären; Heine 1830 Italien 220 Kourtoisie; Haller 1834 Restauration V 186 die übliche Courtoisie in mündlichen und schriftlichen Anreden; Immermann 1838 Oberhof 179 Die Weiber, zugleich mit einer artigen Redensart, welche ihnen unverständlich blieb, angesprochen, guckten verlegen, rot und stumm auf die Teller, ohne die Gaben der Courtoisie anzurühren; Lenau 1842 Albigenser 117 Er springt von der Kanzel und sinkt aufs Knie/ Vor einer Dirne mit Courtoisie; Schlözer 1850 Jugendbr. 160 Form der diplomatischen „Courtoisie"; Burckhardt 1870 Br. an Preen 20 es ist eine alte vergangene Welt der Courtoisie, und doch kein Mittelalter mehr, sondern für uns verständlich; Ihering 1884 Zweck i. Recht 32 Als Vorbild der richtigen Art gilt der Sprache diejenige, welche sich bei Hofe ausgebildet hat: die Art des Hofes, daher die Höflichkeit, .. franz. courtoisie; Riehl 1888 Lebensrätsel 23 Veit . . belehrte den Bruder mit zornigem Ungestüm, daß der Ritler sich keineswegs über seine Gäste lustig mache, sondern sie vielmehr mit feinster Courtoisie auszeichne; 1896 Cosmopolis l 318 Mag man immerhin mit gutgläubiger Courtoisie dem humanen Empfinden einen Anteil an der Stellungnahme der englischen Politik zuweisen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 602) Sein Gehaben war frei, sorglos, behaglich und weltmännisch, was seinen Eindruck auf Frau Permaneder nicht verfehlte, besonders da er aus Courtoisie sich mit seinen Worten fast immer an sie wandle; Chamberlain 1914 Br. I 239 der Courtoisie der Zivil- und Militärbehörden; 1923 Polit. Handwb. U 902 Völkercourtoisie. Zahlreiche Vorgänge des zwischenstaatlichen amtlichen Verkehrs entziehen sich dauernd der rechtlichen Normierung; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. Ill 409) Aber es ist nicht aus humanistischer Courtoisie, daß man Lateinisch redet zu seinen Ehren; Voss. Ztg. 15. 10. 1926 Die bundesstaatliche Courtoisie

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hätte doch gefordert, daß man mindestens der österreichischen Maria Theresia . . auch einen Platz auf einer Briefmarke einräumt; Sosnosky 1929 Franz Ferdinand 145 ein blosser Akt der Courtoisie; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 758) aller poetischen Erneuerung und Verjüngung ungeachtet ist dein Stehen und Treten ja von einer Steifigkeit geworden, daß Gott erbarm', und deine gravitätische Courtoisie scheint mir ebenso des Opodeldoks bedürftig; 1944 Berl. Monatsh. 29 eine Courtoisie-Botschaft; 1952 Saeculum III 681 gibt kein Wort im Deutschen . . den Sinngehalt von Courtoisie adäquat wieder. .. In der Tat dürfte es kein Wort geben, das alle Nuancen von Courtoisie einfangen kann; Süddtsch. Ztg. 21. 12. 1959 als Eisenhower gewahr wird, daß de Gaulle auch ihm gegenüber nicht die zu erwartende Courtoisie einer Begrüßung unter freiem Himmel aufbringt; Heuss 1963 Erinn. 123 er hat aus kollegialer, fast freundschaftlicher Courtoisie Schmoller verteidigt; Deschner 1964 Talente 155 Max Frisch ist .. ein Mann der Sobrietät und Courtoisie (DUDEN 1993); Stuttgarter Ztg. 11.6.1969 Die von den Franzosen als Gastgebern gestellten Schiedsrichter kamen — französische diplomatische Courtoisie? — zu dem Ergebnis 1:1, unentschieden; FAZ 30. 7. 1970 Mittlerweile bezeigt der .. Gastgeber . . dem kleineren [Verhandlungspartner] jederlei protokollarische Aufmerksamkeit. . Das bedarf .. wohl keiner anderen Erklärung als derjenigen der Courtoisie; Zeit 4. 7. 1986 Beginnt die Oper nicht mit einem rauschenden Fest, mit Tanz, Courtoisien und Kokettieren? courtoisieren: Mitte 16. Jh. Zimmer. Chronik III 544 das si daselbst curtisirt, id est grosz huren gewesen; Wallhausen 1616 Ritterkunst 63 dantzirende/ springende/ galanisirende/ Cortoisirende; um 1638 Teutscher Michel 205 Was ist campieren, was chortesieren; 1640 (Dtsch. Spr. Ehrenkr. 44) Er allamodisiert, kann complementen machen Vnd courtisiret wol; Borne 1641 Consultatio C3b wie viel mehr sol man/ solche wercke meiden . ./ als da seind tantzen . ./ . . courtoisiren; Schorer

1644 Sprachverderber CSa stehen vnter die Thür .. oder Courdesiren; R/'si 1647 Friedewünschende Teutschland (Dichtungen 58) zu huren und courtesiren (JONES); Schottet 1648 Friedens Sieg 84 eine .. Dame zu courtisiren (JONES); Weise 1673 Erznarren 79 Weil ich nun des courtoisirens schon lange gewohnt war; ders. 1678 Grünenden Jugend 137 Ey, wie wuerd ich da bestehn,/ Daß ich armer Deibel solte/ So bezahlt nach Hause gehn,/ Wann ich courtoisiren wolte?; 1683 Klatschmaul 96 schliche sich die vermeynte Zoffe in die Speise-Cammer, welcher der Verwalter strackes Fusses nachfolgete und . . mit ihr Courtesiren wolte; um 1700 Schock Phantasten 19 Wer will mit Damen courtoisiren,/ Der muß auch solche regaliren; Wächtler 1709 Manual 90 Courtisiren/ lieben/ löfflen; Philo 1722 Ruhm d. Tohacks 57 Unterweilen könte man wohl eine Debauche machen/ so im Trincken als Courtoisiren; Sperander 1727 A la mod Sprach 168 Courtisiren, Courtoisiren, höfflich bedienen, einem hofieren, aufwarten, um sich beliebt zu machen; heimlich buhlen; Schnabel 1731 Felsenburg 34 wie ich allem Ansehen nach mit eyner Heydin courtoisirte; Möser 1761 S. W. IX 113 die Hand eines ehrlichen Mannes ausschlagen, um allzeit . . adorirt, courtisirt, caressirt. . zu werden; Carl August 1781 Br. 39 Behalten Sie mich lieb und wünschen mir Glück zur Jagd und zum Courtoisiren meiner hohen Herrschaften; Kortum 1799 Jobsiade 149 Dieses, so wie sein Tanzen und Courtesiren/ Muste die Schönen der Zeit sehr charmiren; Goethe 1817 Italien. Reise (WA I 31,89) Gegen Abend schenkten wir unsere Aufmerksamkeit der Kutschenreihe der bekannten Fahrt vornehmerer Personen, welche sich . . auf die Rhede begaben, um frische Luft zu schöpfen, sich zu unterhalten und allenfalls zu courtoisiren; Immermann 1836 W. VI 5 Wenn das Turnier regelrecht sein soll, so muss nicht blos courtoisirt, sondern auch mit scharfen Waffen gekämpft werden; 1842 Hofdamen-Br. 62 drei Soireen, wo .. getanzt und courtisirt wird; Keller 1862 Ges. W. V 218 daß da . . unter ihrer Führung immer gelinde courtoisiert wurde. HK

Courage F., früher selten auch N. (-; ohne PL), im späten 16. Jh., eventuell unter Einwirkung von niederl. coragie, entlehnt aus gleichbed. frz. courage M. (< altfrz. corage 'Gemütsart, Beherztheit', zu euer 'Herz' < lat. cor 'Herz; Seele, Gemüt, Stimmung, Gefühl, mutige Stimmung, Mut'), früher auch in Schreibformen wie Coragie, Couraige, C(o)urasche, Coraß und (eventuell unter Einfluß von ital. coraggio bes. im Oberdtsch. und Schweiz.) C(o)uraschi, Corasi, Kuraschi, Guraschi, im 18./ 20. Jh. gelegentlich auch K(o)urage. Zunächst in der Soldatensprache (und daneben bis ins 19.720. Jh. vor allem in den Mundarten) verbreiteter als Mut für 'Festigkeit des Herzens, Kraft, Stärke, Sicher-

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heit, Entschlossenheit' und bes. 'Mut, Kühnheit; Beherztheit, Schneid; Unerschrokkenheit, Zuversicht in Gefahr', früher häufiger in Doppelformeln wie Herz/Mut/ beherztes Gemüt und Gourage und (zunächst beim Militär, dann auch allgemeiner) als Appell und aufmunternder Zuspruch (nur) Courage! '(nur) Mut! Kopf hoch! Laß' den Mut nicht sinken!' (s. Belege 1575, 1627, vor 1661, 1712, 1796, 1835, 1901), schon seit späterem 17. Jh. (s. Belege 1668—76, 1670) zunehmend auf nichtmilitärische Bereiche ausgedehnt und allgemeiner verwendet für 'Fähigkeit, in gefährlichen, riskanten Situationen seine Angst zu überwinden; Furchtlosigkeit' und '(grundsätzliche) Bereitschaft, auch in anbetracht zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält' (s. u. Zivilcourage), in oft mundartlichen/sprichwörtlichen Wendungen wie politische, bürgerliche Courage, viel/keine (rechte) Courage (im Leib) haben, Courage aufbringen, zeigen, beweisen, etwas gibt/macht jmdm. Courage, sich Courage antrinken, jmdm. fehlt die (richtige) Courage zu etwas, dazu gehört Courage! und bes. Angst vor der eigenen Courage haben/bekommen 'schwankend, unsicher sein/werden in einem gewagten/gewagt erscheinenden Vorhaben, vor einem solchen Vorhaben zurückschrecken', als Grundwort vor allem in der (1864 von Bismarck geprägten) Zs. Zivilcourage, als geflügeltes Wort gebraucht für 'Unerschrockenheit im bürgerlichen/zivilen (im Ggs. zum militärischen) Leben, bes. gegenüber der herrschenden Meinung; Mut, den jmd. dadurch beweist, daß er seine Meinung offen äußert und sie ohne Rücksicht auf mögliche Folgen in der Öffentlichkeit, z. B. gegenüber Vorgesetzten o. ä. vertritt'; daneben im 17./ 18. Jh. und vereinzelt im 20. Jh. auch personifiziert (s. Belege 1670, 1700; vgl. Brechts Drama „Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Kriege", 1941). Vor allem im 17. Jh. selten auch als adv. gebrauchtes Adj. courage, auch in Schreibformen wie corasi, kuraschy, gleichbed. mit couragiert (s. u.). Dazu seit frühem 17. Jh. die aus frz. (en)courager übernommene, bis ins 19. Jh. (1871 bei Sanders) gebuchte verbale Ableitung (en)couragieren 'mit Mut erfüllen'; gleichzeitig die aus frz. courageux übernommene, vereinzelt bis heute gebuchte adj. Ableitung couragiös, früher auch in der frz. Form und in Schreibformen wie couragieux, courag(i)eus, gleichbed. mit dem seit Ende 18. Jh. nachgewiesenen part. Adj. couragiert, eindeutschend auch kuraschiert, 'mutig, beherzt', z. B. ein couragiertes Mädchen, couragierte Burschen, eine couragierte Tat, häufiger auch adv. gebraucht, z. B. couragiert handeln, zupacken, auftreten, couragiert auf etwas zugehen, etwas couragiert angehen, jmdm. couragiert die Stirn bieten, mit der im 20. Jh. vereinzelt nachgewiesenen subst. Ableitung Couragiertheit F. (-; ohne PL). Courage: Fischart 1575 Garg. 153 Mein Zung schelt sich, meine Enten schnaderet, meine steltzet, Landsmann trinck, trinck mein Compan, Curasche, Boneschere. Allegremente; Eyzinger 1590 Relationen l 64 durch eingeben etwo einicher, die khain hertz oder couraige haben; um 1608 ]ud v. Venedig 164 Bonjour, Bonjour, mein Herr, mein Kranck Jungfro, seid du Malade, Courage, ick soll helffe Zu [!] Besser sein?; Messerschmidt 1615 Narrheit l 25 lassen die Fröhlichkeiten vnd das Courage nicht also mehr sehen; Wallhausen 1615 Kriegskunst zu FUSS 26 den Soldaten ein Forcht

vnd Coragie mache zum streiten; ders. 1616 Ritterkunst 70 ein Coragie vnd beherzteres Gemüth; ders. 1617 Corpus militare 67 Das Courage der aller gehertzten wirt in wenig stunden geändert vnd verkleinert; Koppe 1619 Fechtkunst Gib Dieses erfordert aber auch eine geschwinde Faust vnd ein Hertzhafftigen Mannes muth oder courage; 1619 Volkslied (Hartmann l 122) Der hat kein Coraß in seinem Leib (JONES); um 1619 (Hartmann, Volksschausp. 390) Geh nur hin! brauch dich nicht mehr./ Hast kein Curaschi, wie vorher; Grammann 1621 Wildschützen-Latein 38 wurde der

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stärckst vnd der die besten Faust, vnd das beste courage hette der Reichest . . sein; Aldenburgk 1627 Reise 11 denen ruffet ein Matroos corraschi ein; Allert 1627 Tagebuch 109 und auch ein „Coreschy" oder Muth haben sollte; 1630 Tragicomoedia (Creizenach 225) Du wirst auch wol eine Curase haben, so wir außgehen (beide JONES); Furttenbach 1630 Architect, mart. 66 vnd die Feind zu boden werffen könne. Zu diesem Ende/ waist ein rechtschaffner Zeugwartt schon die jhme hierzu am aller angenemeste Stuck herauß zuklauben. So wird jhme freilich am Coraggio nicht manglen: den Feind . . zu boden zu schiessen; ebd. 93 Hartes Eysen vnnd ein brennendes couragio [!] stehet inn Kriegssachen wol/ wann die mit guter Trew gebraucht werden/ so ist gute Hoffnung Ehr vnd Ruhm darvon zutragen; 3632 Victorien 4 mit solcher Furi vnd Couragi (JONES); Rist 1634 Perseus (W. 1162) keine courage oder Lust jtzundt zu fechten; Mengering 1638 Soldatenteufel 444 ewer Curaschi vnd Heldenmuth; ebd. 469 daß man die Soldaten bei Coraschi vnd guten Willen erhalte; Schorer 1644 Sittenverderber ]3v Courage, gemueth/ hertzhafft/ kuenheit/ frecheit (JONES); Rose 1648 Holofern 51 Möchten es die Götter zugeben wollen, dass ich, wieder [!] E. K. M. Feinde und Verbrecher, einige Order empfinge, so wolte ich meine Courage erweisen; Hilarius Lustig v. Freudenthal 2. Hälfte 17. Jh. Lieder-Buechlein 199 [Er] hat kein Guraschi in seinem Leib; Schock 1658 Comödia 9 Was ist es, wenn nicht auch ein junger Kerl ein wenig einen Muth und Courage hat; Wurffbain vor 1661 Reise l 62 umb dadurch desto mehr erhitzet und verbittert zu werden, zu welchem Ende sie einander mit dem Wort . . Courage, Courage zuruffend, einen Muth einsprechen; Leibniz 1668—76 Briefw. l o. S. Denn sonsten meinen Hochgeehrten Herrn ich versichern, derselbe auch seinem Verstand nach leicht ermeßen kan, als der die Francfurter Buchführer und ihren iezigen schlechten Verlag und courage kennet; Grimmeishausen 1669 Simpl. 360 daß ich keine solche Courage hätte wie er; ders. 1670 Springingsfeld (III172) Die Courage (dann also nennet sich diese allervornemste Zigeunerin selbst in ihrem Trutz Simplex); um 1670 Gepflückte Finken 127 hast du die Courage einem ehrlichen Cavallier eine Ohrfeige zu geben; Abele 1673 Unordnung IV 235 in den Hosen ligt [!] die Couraschi samt der Blumaschi; Weise 1673 Erznarren 100 Ja wohl, es ist eine brave Sache umb den Krieg, wenn einer courage hat, und weiß sie recht zu gebrauchen; Abr. a S. Clara 1683 Auf, auf ihr Christen 82 zu einen [!] Soldaten gehört ein Courage; Thomasius 1688 Monats-Gespräche 97 daß man eine Armee wider den Tiircken auffbringen solte/ die aus lauter auserlesenen Soldaten bestünde/ so insgesamt starcke und vermögende Bau-

ren wären/ darneben aber gute Courage hätten; Abr. a. S. Clara 1695 ]udas IV 408 f. (Wunderkur 203) sie würden sagen/ ich het kein Hertz mehr/ ich het die Schwindsucht bekommen an meiner Couraschy; Gansler 1698 Lugenschmid I 41 Courage-Handle [Händel]; Elis. Charl. 1699 Br. I 153 Courage ist nur eine gewohnheit; wen man bey leütten ist, so nicht furchtsam sein, lernt mans auch; Reuter 1700 Ehrenfried 2 Courage, ein lustiger Diener [im Personen Verzeichnis]; ebd. 283 dass ich nicht Courage hiesse, wenn ich dich nicht .. lieber habe, als mich selbsten; Wening 1701 Bayern l cb eine considerable [Kriegs-]Mannschaft (von deren Courage vnd Standfestigkeit jene Völcker, so in denen vorgangenen [!] Kriegen als Feinde, jhre Faust vnd Waffen [haben] empfinden müssen, zu sagen wissen); Thomasius 1701 Kl. Sehr. 575 er [Student] hat mehrentheils nüchtern wenig Curage; 1702 Monatl. Auszug Dez. 14 In seinen Kriegeszügen wäre er fast allezeit unglücklich [!] gewesen/ wiewol es ihm weder an conduite noch courage gefehlet; Wächtler 1703 Manual 89 courage, . . Hertzhafftigkeit/ Muth; 7707 Auserles. Anm. IV 133 Daß die Gerechtigkeit einer guten Sache . . eines Soldaten beste Courage sey. Es ist zweyerley Courage: 1. Eine Tollkühnheit welche bestehet in Pralen/ Trotzen/ Fluchen/ Teuffei holen . . 2. Eine Christliche Hertzhafftigkeit; 1711 Neue Bibliothek XVI 478 Ein Cholericus hoffet allezeit/ und hat wegen seines Verstandes und Courage neue Anschläge im Sinn; Prambhofer 1712 Traum-Ges. 185 Courage ihr verzagte Gemüther! seyd beherzt/ und unverzagt. Ein guter Soldat muß in seiner Karten nichts mehrers haben als Hertz; Fassmann 1719 Kriegs- u. Soldätenstand 88 die Courage und Tapfferkeit; Fleming 1726 Soldat 204 daß sie sich bey denen gefährlichsten Actionen, wo ein andrer nicht gerne hin will, mit gebrauchen lassen, bloß damit sie ihre Courage erweisen; Schnabel 1731 Felsenburg H 37 Meine Courage kriegte hierbey die Sporen, wir zohen fast zu gleicher Zeit vom Leder; ebd. II 477 [es] scheinet, dass du Courage im Leibe hast; 1737 Geheimnüsse 155 Wenn einer an einem wilden wüsten Ort zu schaffen hat, wo ihm natürlicher Weise ein Grausen ankommen mag, der nehme Nesselkraut . ., davon bekömmt er Courage; Schwabe 1745 Tintenfäßl 15 so ist ihnen für Angst das Guraschi in dFueß kumen; Schummel 1773 Duell 7 Nu, nu, nur Kurage!; Lenz 1774 Hofmeister (NL LXXX 55) ein Musikus muß keine Courage haben, und ein Musikus, der Herz hat, ist ein Hundsfutt; Schertet v. Burtenbach 1778 Beytr. 34 f. daß ihnen der Unterschied zwischen Courage und Bravour unbekannt ist. Die Herzhaftigkeit soll die Eigenschaft des Officiers, die Bravheit . . die von dem gemeinen Soldaten seyn; Blumauer 1784-94 Virgils Aeneis (I 42) Kourage, rief ich,

Courage faßt Euch!; ebd. 1282 „Ha, sprach sie, Turnus sieh' mich an,/ Hab' zwar nur Mädelsknochen,/ Courage aber wie ein Mann"; 1785 Journal v, u. f. Deutschland II 79 Couragewasser [Schnaps, den ein Breslauer Destillateur anbietet]; Goethe 1788 Egmont (WA l 8,249) andere, denen es besser wäre, sie hätten statt ihres Heldenmuths eine Schneiderader im Leibe .. Dem wollt' ich eure Courage .. in die Glieder wünschen, daß sie . . ihn so lange neckte . . bis er aus der Stadt müßte; Matthison 1794 Seereise (111 228) Vor den Schildwachen hat er eine seltsame Furcht. So oft er bey einer vorbey muß, schaudert er zusammen, klatscht sich aber nach überstandener Gefahr jedesmal mit den Worten Beyfall zu: „Ich habe doch Courage!"; Foote 1796 Kunstgeschmack (Übers.) (I 10) Kurage! Lieber! Kurage!; Fischer 1804 Bergreisen l 203 Wenn nun der Jäger rechte Courage hat und das Ungeheuer . . empfangen will; 1814 Prinzenbr. 140 Deine Confirmation wird jezt wohl bald auch vor sich gehn, wie steht es mit der Courage wenn Du darann {!] denkst?; Meist 1820 Quodlibet (111 214) Es muss seyn — die Ehre gebietet's — Courage! — Sie werden sich erinnern . . dass Sie mir schon lange Jahre die Cour machen; Wolff 1823 Preciosa (l 122) Jetzt, ihr Bauern, galt's Courage!; Holtet 1825 Berliner (Jahrb. Dtsch. Bühnenspiele V 173) Komm herein, wenn Du Kourag' hast; Goethe 1828 Gespr. Eckermann o. S. die Engländer . . daß sie . . die Courage haben, das zu sein, wozu sie die Natur gemacht hat (GWB); Marianus 1832 Köm. Scenen 170 Drum fasst' er, sich räuspernd, Kourage und sprach; Bauernfeld 1835 Fortunat (111 54) Vorwärts! Courage! [Zuruf im Würfelspiel]; Aurbacher 1835 Volksbüchlein 179 Courasche, sagte der Blitzschwab [einer der sieben Schwaben], habe ich genug im Leib, das könnt ihr mir glauben, aber ich hab nicht genug Leib für die Courasche und für die Bestie; Steffens 1843 Was ich erlebte VII 165 Es giebt aber auch .. so einen allgemeinen Muth. Man könnte ihn, wie wirklich die Sprache ihn im täglichen Gebrauch bezeichnet, Courage nennen; wer diese Art des Muths besitzt, will keineswegs sein Leben hingeben, er fühlt es vielmehr erst in seiner ganzen Energie bei einem Spiel zwischen Leben und Tod; 1847 Fontane-Lepel Briefw. l 53 Leute, die bei dem Aufwende einer Schlachtschilderung und der Courage eines alten Draufgehers ruhig bleiben und sagen bange machen gilt nicht; Dingelstedt 1847 Jusqu a la mer 108 den vor Eifersucht . . schnaubenden Gegner, den er oftmals wegen seiner „Schneider-Kurasche" verhöhnt. . hatte [schles. Dialekt]; Bismarck 1854 (Klemm l 191) Es muß uns Söhnen Teuts erst einmal sehr schlecht gehen, ehe wir Courage haben; so lange wir noch etwas zu verHeren haben, fürchten wir uns; sind wir ausgezogen und durchgeprü-

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gelt, so ist Jeder ein Löwe; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 162 Einige der Kleinen hatten Courage genug, dem oder jenem der Krieger, dessen Aussehen vertrauenerweckend war, die Hand zu reichen; Rodenberg 1863 Strassensängerin H 7 Sie [Schöngeister stehen] . . mit den übrigen Studiosis, von denen etwelche behaupteten, sie seien gottlose Gesellen, und etwelche, sie seien Renommisten ohne Courage, auf höchlich gespanntem Fuße; Bismarck 1864 (Keudell 1901 Fürst u. Fürstin Bismarck. Erinn. a. d. Jahren 1846—72, 82) Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, daß es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt (BÜCHMANN); Kürnberger 1877 Herzenssachen 197 ein reicher gutbehauster Mann . . bietet mit echt französischer Rage und Courage seinen ganzen Dorfheerbann auf, um die Burg des Kambyses zu stürmen; Dingelstedt 1879 Bilderbogen 96 bürgerliche Courage; Hansjakob 1891 Schneeballen (IV 107) ich muß noch einen weiten Weg machen über Berg und Wald, und keiner von Euch hat die Courage mitzugehen; Franke-Schievelbein 1894 Rotdorn 46 O Sie denken wohl, ich hätte nicht die Kourage [öffentlich Klavier zu spielen]?; 1898 Jahrb. f. dtsch. Armee C/X 316 wenn der erste Kanonenschuß fällt, haben wir einer wie der andere nicht für einen Kreuzer Kourage; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. l 552) „Kopf hoch, Tony, Courage!" sagte der Senator; Fendrich 1911 Schauinsland 123 Der Wein hält den Menschen zusammen und macht ihm Courage; Dombrowski 1920 System III39 Wir können heute die nicht mehr brauchen, die Angst vor der eigenen Courage haben; Th. Mann 1921 Reden u. Aufs. (W. IX 78) da ist der Sömmering gestorben, kaum elende fünfundsiebzig Jahre alt. Was doch die Menschen für Lumpe [!] sind, daß sie nicht die Courage haben, länger auszuhalten als das; Weidenbach 1923 Weltanschauung 58 gemäss dem Raabeschen Wort, daß die „Courage meist von hinten kommt", d. h. meist der Furcht vor dem völlig Unerträglichen entstammt; 1929 Preuss. Jahrb. CCXVIH 408 Berliner Bühnenleiter .. hatten sich verpflichtet, .. auch das preisgekrönte Stück zu spielen. Dann aber hatten sie keine Courage und kniffen; Berl. Illustr. Nachtausg. 19. 12. 1929 etwas erschrocken über seine eigene Courage; 1932 Deutschlands Erneuerung XVI 63 Einer von denen, die nicht zerrieben wurden, ist Volkmann. Zu diesem Buche gehörte aber noch mehr, denn es ist eine Tat, die — hier sei das Fremdwort gestattet — „Zivilikurage" [!] erfordert; Berl. Illustr. Nachtausg. 27.4.1933 der liberalen Auffassung von Volk und Staat, der immer ein gewisser Mangel an Courage zu nationalpolitischem Denken .. eigen war; Wöhrle 1940 Ausfahrt 54 „Mensch, hab doch Kurage, hol dir eines der Mädchen zu Tage!"; 1942

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Soldatenbl. 442 Das Haus, in dem wir . . noch unterschlüpften, schwankte leicht im Föhn, und ich habe . . von gewissen Leuten sagen hören, die kein Auge voll geschlafen haben. Vermutlich aus übertriebener „Kuraschi" [bayr. Dialekt]; Welt 22. W. 1949 dessen [Fußballclub] Krise in dieser Saison offenbar die Angst vor der eigenen Courage ist; Süddtsch. Ztg. W.W. 1950 Da wir nun einmal die Courage hatten, auf der städtischen Bühne Münchens „Mutter Courage" . . aufzuführen; Bonn 1953 Gesch. 220 republikanische Führer, die keine Angst vor der eigenen Courage bewiesen; Heimpel 1956 Kapitulation 30 damit er nicht ende in der Angst vor der eigenen Courage; Niebelschütz 1961 Spiel 530 [König Wilhelm in Gastein] einem Anfall von Beklemmung vor der eigenen Courage nachgebend; FAZ 19. 9. 1964 Junger Lehrer . . wünscht hübsche junge Dame . . zw. Heirat kennenzulernen. Haben Sie Courage? (Anzeige); Stuttgarter Ztg. 6. 10. 1967 Persönlicher Mut und vorbildliche Zivilcourage seien . . [seine] imponierenden Eigenschaften; Hamm-Brücher 1970 Verwirklichung o. S. wir haben die Courage zur Aussage gehabt, nun darf uns auch der Mut zum Handeln nicht fehlen!; Bad. Ztg. 11.2.1971 Aus lauter Angst vor der eigenen Courage hat es die Bundesregierung . . verabsäumt, zu den . . Notgesetzen auch die dringend benötigten Bestimmungen zu erlassen; FAZ 24. 12. 1971 Courage für den Staat (Überschr.) . . als er seine Betrachtung über Zivilcourage ins Zentrum seiner Weihnachtsansprache stellte; Zeit 3. 5. 1985 Bei der mit dem Ruhm politischer Courage behafteten Studentenzeitschrift „Colloquium" hatte er zu karikieren begonnen; ebd. 23. 8. 1985 Hut ab vor Ihrer Courage; ebd. 4. 4. 1986 Genscher bewies Courage, als er mit seiner kühlen Bewertung der Bonner SDI-Vereinbarungen . . eine rhetorische Nebelwand zog; Rhein. Merkur 15. 6. 1990 In Ost-Berlin, so heißt es in Bonn, grassiere . . die Angst vor der eigenen Courage. Grassieren tut vor allem eines: die große Ungewißheit, hüben wie drüben; MM 18. 9. 1991 Günter Grass, der für seine Courage bekannt ist, bewies . . jetzt seine Solidarität; Spiegel 2. 8. 1993 Er hat Rabin „alles für alles" angeboten . . Rabin hätte das sicher gern angenommen, aber es fehlt ihm der Mut zur eigenen Courage; ebd. 6. 9. 1993 Eine Gesellschaft, deren Wohlergehen von der Courage ihrer Individuen abhängt, ist arm dran; ebd. 18. 4. 1994 hatten Mortiers Reformen nicht nur Courage und Intelligenz, sondern auch Erfolg; ebd. 23. 1. 1995 Ist Zivilcourage nicht auch bei uns eine Tugend, die sich mitunter gegen den Staat richtet? courage (Adj.): I620 Spieltexte 543 denn heute wollen wir corasi lustig seyn; Moscherosch 1642

Gesichte l 288 Es gung so Kuraschy her! (beide JONES); Schoch 1658 Comödia 71 Ich wehrte mich wol recht courage; Prätorius 1665 KatzenVeit J2b da waren aus allem Meyen junge Mägdelein geworden . . zuo diesen waren sie curasse hinein gesprungen; Weise 1673 Erznarren 220 Auff diese Zeitung ward der gute Mensch so courage, daß er denselben Tag einen Schmauß spendirte. (en)couragieren: Wallhausen 1617 Corpus 125 (Helbling 61) Ein weiser Soldat oder Capitein couragirt vnd behertzt die Soldaten; Mieth 1683 Geschütz-Beschr. Vorher. IV am 20. da last Gott abermahl sein Volck durch Moysen zum Krieg encouragiren, und gibt ihnen/ so gar seine Priester/ zur Avantgarde; Abr. a S. Clara vor 1709 Kramer-Laden III 304 wie ein Adler die Jungen von der Erden sich zu erheben encouragirend/ . . vorfliegend. couragiert: Laukhard 1792 Leben I 137 eine kuraschirte derbe Burschen-[Studenten-]Aufwärterin; W. Grimm 1819 (1886 Private u. amtl. Beziehungen d. Brüder Grimm zu Hessen I 48) Die Redactoren werben die Recensenten wie Falstaff die Recruten, der ganz richtig meinte, wenn einer todtgeschossen wäre, so wärs einerlei ob er ein ordentlicher und couragirter Mensch gewesen oder nicht; Bettina v. Arnim 1834 S. W. III 273 Die Mutter warf mir einige couragierte Blicke zu, da man sie einander [Frau Rat Goethe der Frau v. Stael] präsentierte; Gotthelf 1854 Schuldenbauer 254 Seine Frau wäre etwas couraschirter gewesen, war aber überkindet, hatte alle Jahre ein Kind; Holtei 1863 Letzte Komödiant II 127 Nun hatte die couragirte [Demoiselle] Herz sich so aufrichtig in die Seele der liebenden . . Königin hineingeredet, daß ihr ernstlich die Hand ausrutschte; Raabe 1864 Hungerpastor 375 kuraschierte Perschon [!]; Colerus 1929 Kaufherr 324 Schließlich war schon mein bisheriges Zaudern eine Blamage vor mir selbst. Bei der ersten Begegnung in Kärnten war ich viel couragierter gewesen; Baum 1929 Menschen 296 jetzt erkannte sie . . den kleinen Herrn wieder, der gestern beim Tanzen so schüchtern und heute in der Unterredung mit Preysing so couragiert gewesen war; Süddtsch. Ztg. 18. 11. 1950 den Ministerpräsidenten, der sich den Kopf von der couragierten und historisch durchaus im Recht befindlichen Bäuerin schmunzelnd waschen ließ; Welt 21. 12. 1967 Es war nicht Heuchelei, sondern es war Mangel an couragiertem Einfallsreichtum; FAZ 23.11. 1971 Mit diesem „couragierten Schritt der Währungspolitik" habe die Bundesregierung der Nortenbank wieder einen kreditpolitischen Handlungsspielraum geschaffen; Welt 3. 9. 1974 in der Schlußrunde [beim Radrennen] übernahm Manfred Kuschmann . . couragiert die Führung und

Cousin gab sie nicht mehr ab; Hocke 1976 Tagebücher 160 Doch gebührt . . Gide das Verdienst, in seinen Tagebüchern das Problem der Homoerotik .. vor sich selbst couragiert dargestellt zu haben; Zeit 20. 9. 1985 die deutsche Südafrika-Politik sei besonders couragiert und eindeutig; ebd. 18. 10. 1985 Der couragierte Kunsthistoriker . ., der diese Barbarei anprangerte, wurde gemaßregelt; MM 8. 7. 1987 Für das neue Hollein-Museum mußte ein Leiter gefunden werden, der das Problem couragiert angeht; ebd. 17. 3. 1990 Katzenjammer hat sich . . breitgemacht .. Angst vor der Zukunft . . hat sich eingeschlichen und die couragierten Menschen vom vergangenen Herbst zaghaft gemacht; Spiegel 30.11. 1992 Weil der Passat im Anschluß an die waghalsigen Fahrmanöver von wütenden Randalierern beschädigt wurde, will Bönnemann sich nun an dem couragierten Polizeiobermeister schadlos halten; ebd. 1. 2. 1993 der als Drago im Film „Rocky IV" dem Helden Sylvester Stallone couragiert die Stirn bot; ebd. 19. 7. 1993 Nach Hills couragiertem Rennen in Silverstone ist es für Mansell „nur eine Frage der Zeit, wann Dämon gewinnt". Couragiertheit: Reger 1931 Union 192 Niemand hatte sie je so sprechen hören. Immer hatte ihre

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Entschiedenheit und Couragiertheit etwas spaßhaft geklungen . ., doch jetzt klang sie auch finster und ernst. couragiös: Wallhausen 1616 Manuale (Gl.) Courageus. Welcher behertzt ist; Friederich 1638 Clytie II 298 den aller Couragesten vnd tapffersten Hertzen; Rist 1642 Rettung A4r couragieüse Helden; ebd. A8r die couragieuse Soldaten; (alle JONES); Rist 1643 Friedewünschende Teutschland 75 das von ihm couragieuxer Weise verwundete .. Teutschland; Sperander 1727 A la mod Sprach 167 Courageusement, courageux, behertzt, tapffer, muthig, unerschrocken; Lenz 1774 (Stürmer u. Dränger II 41) das macht, weil sie [Offiziere] alle couragöse [!] Leute sein, und sich müssen totschlagen lassen; Immermann 1820 W. XVI 158 Sind das Zeiten, einem courageusen Menschen Muth zu machen, wenn die Gefahren die Herzbänder abfressen; Eichendorff 1826 W. Ill 86 Die Liebe . . ist eine der couragiösesten Eigenschaften des menschlichen Herzens; 1865 Stadtfraubas 7 [mir] war zwar lange nicht so couragös zu Muthe; Kretschman 1870—71 Kriegsbr. 153 Graf Arnim machte einen sehr courageusen Ritt; Fontäne 1874 Ges. W. // 4,371 Alles Aparte, Courageuse, die Tradition lachend beiseite Schiebende reizt mich. GS

Cousin M. (-s; -s), Anfang 17. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. cousin (< lat. consobrinus 'zur Schwester gehörig, Geschwisterkind', aus *consuesrinos 'Geschwisterkind von mütterlicher Seite', zu soror, aus ''suesor 'Schwester'), anfangs auch in den Nebenformen Kottsin, Kuseng und (bis heute) eindeutschend Kusin. Als Verwandtschaftsbezeichnung in der Bed. 'Sohn von Bruder oder Schwester eines Elternteils', älteres dtsch. Vetter zeitweilig verdrängend bzw. bis heute damit konkurrierend, oft mit Possessivpron. gebraucht, z. B. sein/mein Cousin 'Sohn seines/ meines Onkels, seiner/meiner Tante'; in jüngster Zeit auch übertragen verwendet (s. Belege 1987, 1993). Dazu seit späterem 17. Jh. die aus frz. cousine (< lat. consobrina) entlehnte fern. Form Cousine (-; -n), anfangs auch Kousine und (bis heute) eindeutschendes Kusine, älteres dtsch. Muhme und Base ersetzend. Im 19. Jh. die subst. Gelegenheitsableitung Cousinenschaft F. 'Verwandtschaft zwischen Cousinen' und aus frz. cousinage übernommenes, nur gebuchtes Cousinage F. 'die Vetterschaft'. Cousin: Kirchhof 1602 Wendunmuth // 251 Mich wundert deiner, cousin (das ist, vätter oder angewandter), denn also hieß er den könig; Schupp 1663 Sehr. I 274 mit neuer Lieb und neuer Freundschafft gegen euren Cousin und Anverwandten den edlen Schäfer Philander; Mahrenholtz 1678 Unterredungen Fxiv sol man junge Leute/ sie seyn Cousins & Cousines .. nimmer lange allein Lassen

(BRUNT); 1682 Der teutscbe Franzos 16A besähe mit unverwandten Augen ihren cousin und dessen Frantzösische Kleidung; 1683 Traur. Ztg. a. Cadix 6 diesen seinen Sohn, nebst seinem Cousin an ein ander Schiff zu setzen; 3699 Staatsspiegel I 60 ob wol Cousin bey Franckreich solcher gestalt weniger ist/ als Frere, . . geben doch die Chur-Fürsten dem Könige nebst der Majeste in Briefen Monseig-

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neur Mon tres honore Cousin; Wächtler 1709 Manual 90 Cousin (Kuseng) .. diejenige Person/ so einem in dem vierdten Grad verwandt ist; Sper-ander 1727 A la mod Sprach 168 Cousin, ein Vetter; Wezel 1790 H. u. U. 359 In ihrer und aller Ändern Gegenwart sind wir Cousin und Cousine; Kortum 1799 Jobsiade 210 Sobald nun die gedachte liebe Tante/ Diese Nachricht ihrem lieben Cousin sandte; Mundt 1857 Kaiser-Skizzen 76 ein Cousin, der sich in der letzten Zeit mit Absichten auf Camillas Hand herzugefunden; Holtet 1860 Eselsfresser II 42 Gräfin Schlossing wird sich freuen, ihren „cousin" zu empfangen; Bleibtreu 1889 Nap. L 97 als er wie ein zärtlicher Familienvater alle diese Freunde und „Vettern" („mon Cousin" lautete seine offizielle Anrede an die Glieder der Marschallsfamilie); Haarhaus um 1900 Blattschüsse I 115 Der Hof, nach dem Fischer als „Vetter", oder wie man dortzulande lieber sagt, als „Cousin" seine Schritte richtete; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 530) Jürgen Kroger, sein Cousin; ders. 1924 Zauberberg (W. Hl 152) sie sprach des langen und breiten von ihrem Papa, welcher Jurist, und ihrem Cousin, der Arzt sei; ders. 1954 Krull (W. VII 616) in Gesellschaft zweier ebenfalls weiß gekleideter junger Leute, Männlein und Fräulein, . . welche aber nicht Geschwister, sondern Cousin und Cousine waren; Grass 1962 Blechtrommel 31 Jan Bronski, der damals etwa zwanzigjährige Cousin meiner Mama; Zeit 15. 2. 1985 Tunin, ihr Schäfer und schüchterner Liebhaber, den sie unter Kolleginnen als Cousin ausgibt; ebd. 13.2.1987 Ivan Mestrovic [Bildhauer], der erst 1962 starb, und doch, Michelangelo fest im Blick, wie ein Cousin von Rodin und ein Vetter von Barlach erscheint; Spiegel 26.4.1993 Parzival vor allem und sein brüderlicher Cousin und Kontrapunkt Gawan. Cousinenschaft: Holtet 1843 Vierzig Jahre l 239 eine bis in's tausendste Glied reichende Kousinenoder Tantenschaft zwischen meiner Pflegemutter und einer, von ihrem Gemahl getrennten Rittmeisterin (SANDERS 1871). Cousine: Karl Ludwig 1663 Br. (BLVS 167,127) Wir haben das Portzen fraw auffgezettlet gehabt (meine cousine par alliance); Mahrenholtz 1678 Unterredungen Fxiv sol man junge Leute/ sie seyn Cousins &c Cousines .. nimmer lange allein Lassen (beide BRUNT); Wächtler 1709 Manual 90 Cousine, (Kusine) diejenige Person/ so einem in dem vierdten Grad verwandt ist; Sperander 1727 A la mod Sprach 168 Cousine, eine Baase, Muhme; Gleim 1750 Br. l 248 Was machen meine Cousine, und meine Schwester?; Zachariä 1754 Phaeton (l 295) Morgen will ich meine Cousine besuchen;

Hamann 1763 Brieftv. Ill 27 mit einer Cousine unsers Cammer-Präsidenten; Carve 1767 Vertraute Br. 62 Meine Mutter, meine Cousine, und mein Lehrer und Bruder, die um mich herum sind; Möser 1776 Patriot. Phantasien U 78 Nachdem die letzte Cousine verheyrathet war; Wezel 1790 H. u. U. II359 In ihrer und aller Ändern Gegenwart sind wir Cousin und Cousine; Benzel-Sternau 1805 Gespr. l 126 Glücklicher Mann, reich in einer liebenswürdigen Gattinn, einer holden Schwester, einer himmlischen Kusine; Goethe 1808 Br. (WA IV 20,129) das hübsche Mütterchen beglückwünschen Sie . . wenn Sie die eine Cousine tragen und die andre leiten; Brentano 1813 Valeria 40 sind meine Kousinen auf dem Balkon, meiner Abreise die Pflicht kindlichen Beileids zu entrichten?; Freytag 1846 Valentine (1164) daß die Vermählung unseres Fürsten mit seiner Cousine, der liebenswürdigen Prinzeß Marie, eine politische Nothwendigkeit ist; Mahler 1860 Milit. Bilderbuch 157 eine Cousine von mir . . ist mit dem hundertundersten Kinde niedergekommen; 1887 Salon I 244 ein Versprechen, seine Cousine nicht darüber zu examiniren, hatte er .. abgeben müssen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 61) der Vater aber und die Großmama sie oft genug mahnten, den Staub zu wischen und ihr die ergebene, fromme und fleißige Cousine Thilda als Muster vorhielten; ders. 1909 Hoheit (W. II 50) Ein paar Minuten lang hielt ihn eine Cousine, ein elf- oder zwölfjähriges Kind mit blonder Lockenfrisur; ders. 1929 Reden u. Aufs. (W. X 719) die seraphische Liebe zu Emanuelle, der Cousine, die er, trotz endgültigster Einsichten in seine Natur, zu heiraten trachtet; Lokal-Anz. 14. 7. 1934 Aber in dieser Woche kommen sie nun alle, die „wirklichen" und die „anderen" „Cousinen"; v. Wahlendorf 1936 Erinn. 143 gelegentlich der Verlobung ihrer Cousine Spinola mit dem berühmten Bakteriologen; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 387) küß mir im voraus die liebe Tante und freunde dich unterdessen schon mit den Cousinen an; Bergengruen 1950 Tempelchen 40 immer, wenn wir im Ausland reisten, bildeten wir uns ein, wir müßten jemanden von zu Hause treffen, einen Gutsnachbarn oder einen Kameraden von der Junkerschule, eine Gefährtin aus dem Fräulein-Institut, eine entfernte Cousine; Welt 10. 3. 1964 Heidi, meine Cousine, hat sich am meisten von allen verändert; Zeit 18. 4. 1986 Büchners Mutter hatte einen Cousin in Straßburg . . der sich auch um den jungen Medizinstudenten Georg Büchner in Straßburg kümmerte, der Darmstädter Cousine zuliebe; Spiegel 27. 9. 1993 ich hatte gewaltigen Respekt vor den Frauen in unserer Großfamilie, vor meinen Tanten und Schwestern und Cousinen. OV

Crash

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Crash M. (-s; -s), in den 50er Jahren des 20. Jhs. entlehnt aus gleichbed. engl.amerikan. crash (zu crash 'in Stücke brechen, zerbrechen; zusammenstoßen, -stürzen; zerbrechen'), vereinzelt in engl. Kleinschreibung und engl. Syntagmen. la Im Bereich der Wirtschaft, anfangs noch auf amerikan. Verhältnisse bezogen im engl. Syntagma The (Great) Crash als historische Bezeichnung für den Börsenkrach von 1929 in den USA, in der Bed. 'plötzlicher Sturz der Aktienkurse', von daher allgemeiner für 'wirtschaftlicher/finanzieller Zusammenbruch, Totalverlust, Ruin (von Unternehmen, Branchen, Finanzsystemen); konjunktureller Umsturz der Wirtschaft eines Landes oder der Weltwirtschaft' (—» Bankrott, —> Konkurs), vereinzelt in Wendungen wie der weltweite Crash und (nach engl. Vorbild) Der große Crash, auch als Grundwort in Zss. wie Dollar-, Finanz-, Immobilien-, Bilanz-, 20-Millionen-, Wall-Street-Crash, und vor allem Börsencrash (vgl. eventuell lautlich assoziiertes Börsenkrach, —> Börse1; s. Beleg 1987), seltener als Bestimmungswort in CrashProphet, -Schäden, -Folgen, -Verluste. b In jüngster Zeit speziell in der elektronischen Datenverarbeitung im Sinne von 'Zusammenbruch eines Datensystems, Absturz eines Computerprogramms mit Datenverlust', z. B. in Zss. wie Daten-, Computer-Crash; Crash-Wörter, -Computer. 2 Seit den 60er Jahren auch in der Bed. 'Zusammenstoß, Aufeinanderprallen von Verkehrsfahrzeugen; (Auffahr-)Unfall (bes. bei Autorennen)' (—> Kollision), im Flugwesen auch 'Absturz eines Flugzeugs durch einen technischen Defekt oder Pilotenfehler oder nach einem Zusammenstoß', bes. als Bestimmungswort in Zss. wie Crash-Test/-Versuch 'Versuch zur Ermittlung von Unfallursachen und -folgen (mit Puppen, sog. Dummies)', -Sender 'Notfunksender bei Flugzeugen, der sich bei Gefahr automatisch in Gang setzt' und (konkurrierend mit Unfall-, Kollisions-, Aufprall-) Crash-Pilot, -Fahrer, -Fahrzeug, -Statistik, -verhalten; crashtauglich, -geeignet, sowie als Grundwort (konkurrierend mit -Zusammenstoß, -aufprall, -unfall) in Zss. wie Flugzeug-, Hubschrauber-, ADAC-, Lkw-, Auto-, Seiten-, Frontal-Crash; seit den 80er Jahren ausgedehnt auf die Bereiche Geologie, Astronomie und Physik für 'Aufeinander-, Zusammenprallen (z. B. von Atomen, Planeten im Weltall)' (s. Belege 1984, 1986, 1994), z. B. in Zss. wie Planeten-, Kometen-, Ur-, Supercrash; gelegentlich allgemeiner verwendet für 'Zusammenstoß, -bruch' (s. Belege 1994, 1995), z. B. Crash-Truppe, -Eis. Dazu die seit den 60er Jahren selten belegte verbale Ableitung crashen V. intrans. in der Bed. 'zusammenstoßen (von Verkehrsfahrzeugen)', auch bildlich für '(physisch, psychisch) zusammenbrechen' von Personen unter Streßbedingungen (s. Beleg 1994). 3 Daneben gleichzeitig in der Politik, Wissenschaft/Forschung und Pädagogik als Bestimmungswort in der übertragenen Bed. 'Schnell-, Blitz-; Intensiv-; Not-', aufgekommen in den beiden, neben den zugrundeliegenden engl. Syntagmen crash program und crash course nachgewiesenen Zss. Crash-Programm 'schnelles Handeln, rasches Ergreifen von Notmaßnahmen, Intensivprogramm zur Lösung eines (politischen, wissenschaftlichen o. ä.) Problems' und Crash-Kurs(us) 'rasche Vermittlung, Auffrischung oder Erweiterung von Kenntnissen über ein bestimmtes Wissensgebiet; Schnell-, Intensivkurs', im Anschluß daran auch Zss. wie Crash-Therapie, Crashverfahren. Crash la: Silberschmidt 1958 Entwicklung 213 1929 .. Amerika erlebte den great crash, der eine Wirtschaftskrise auslöste; Arbeitgeber 5.3.1959

Prof. Galbraith in seinem Buche: „The Great Crash"; Stave 1964 Leute 115 Die zwanziger Jahre, das waren für die Vereinigten Staaten die Jahre des

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Crash

boom's, der prosperity, die erst mit dem Jahre 29, dem gewaltigen crash und der Depression, die folgten, ein Ende nahmen; Spiegel 16. 8. 1967 Beim 20Millionen-Crash des Ulmer Bordellbettenbauers; ebd. 20. 10. 1975 Ähnlich gedachte die Deutsche Bau- und Bodenbank 3,1 Millionen Mark aus dem Crash des Pfälzischen Bauträgers Hermann Luppert zu retten (beide AWB); MM 27. 10. 1987 Der „Schwarze Montag" signalisiert Vertrauenskrise (Überschr.) Der als „Crash of 87" in die Geschichte der New Yorker Wallstreet eingegangene Sturz der Aktienkurse; ebd. 29. 10. 1987 Der 58. Jahrestag des Wall-Street-Crash am 28. Oktober 1929 hatte an der Aktienbörse in Tokio zunächst mit höheren Kursen begonnen; Stern 5. 11. 1987 Nach Ansicht des Frankfurter Wirtschafts-Professors Wolfram Engels ist es noch nicht zu spät, um die mit dem Börsen-Crash ausgelöste Zeitbombe zu entschärfen; ebd. Der große Crash sei unausweichlich . . Johann Phillip Freiherr von Bethmann, Ex-Bankier und Crash-Prophet: es „kracht" weiter, heute an der Aktienbörse, morgen im Grundstücksmarkt . . „The Crash" und „Le Krach" und „Schwarzer Montag"; Bundestagsprotokolle 5. 9. 1989 dieses Horrorgemälde vom Zusammenbruch etwa nach dem Dollarcrash; MM 31. 10. 1989 Beim letzten Montags-Crash hatten neben den deutschen Börsen vor allem die in Singapur und Malaysia mit Verlusten von 10 Prozent einen schwarzen Tag; ebd. 2. 12. 1989 Der neue Monatsanfang brachte die Korrektur der Crash-Verluste vom 16. Oktober des Jahres; Bert. Ztg. 26. 10. 1990 Der eigentliche Crash, so Grehn, komme erst im Januar mit den in Aussicht stehenden höheren Mieten und Tarifen; ebd. 1. 12. 1990 Dann freilich auch hat es ein Ende mit der Alt-Bundesrepublik als Paradies der Seligen. Dann kommt es zum Crash, der sich nicht mehr nur als Börsen-Crash entpuppt; Spiegel 7. 2. 1994 Besonders der Deutsche Aktienindex reagiert auf jedes Beben an der Wall Street — jedem Crash in New York folgte bisher ein Kursverfall in Frankfurt; ebd. 4. 7. 1994 Nach einem Jahr stiegen der Süddeutsche Verlag und die Westdeutsche Landesbank aus dem Crash-Sender aus. Vox ging in die Liquidation — mehrere hundert Millionen Mark sind verloren; MM 12. 10. 1994 Zwischen den Investitionsruinen wird man skeptisch: War der Schneider-Crash nur der Beginn einer Pleiten-Serie?; ebd. 4. 12. 1995 Der berühmteste Spekulant der Welt muß für seinen Finanzcrash in Singapur bitter büßen. Crash Ib: MM 25. II. 1989 Nachdem der ihm für 7000 DM Monatsmiete bereitgestellte Rechner im EDV-Methusalem-Alter von 9 Jahren allein „8 Abstürze des Laufwerks" und etliche Totalausfälle produziert hatte, stellte der Arzt die Versuche ein,

dem Crash-Computer die Laborbefunde einspeichern zu lassen; Spiegel 22. 8. 1994 Word-Kunden . . sollten doch, so die Aufforderung, zum Beispiel Crash-Wörter mit dem Beginn „Realitäts" selbst in die Lexikondatei eintippen; MM 24. 10. 1994 Zum Datencrash mit dem Programm, das zu den Topsellern zählt und rund 700 Mark kostet, kommt es immer dann, wenn das geprüfte Skript den Wortbeginn „Realitäts" enthält — bei Begriffen wie „Realitätsverlust" oder „Realitätsbezug" droht sofortiger Textschwund. Crash 2: Hamb. Abendbl. 13./14. 5. 1967 Zum erstenmal in Hamburg veranstaltet der AvD einen Crash-Test. Bei künstlich herbeigeführten Auffahrund Überschlagungsunfällen, Kollision von 3 Fahrzeugen mit schwerem Unfall . . wollen Testfahrer demonstrieren, wie die Sicherheit des Fahrers geschützt werden kann (AWB); Stuttgarter Ztg. 2.11.1967 Crash-Test für die Sicherheit. Der beabsichtigte Zusammenstoß zweier Autos, die sich ineinander verkeilen, überschlagen oder in Brand geraten, ist in den USA schon lange ein Volksvergnügen voller Nervenkitzel; Offenburger Tagebl. 23. 12. 1970 Auf dieser Karte werden alle „Crashs" festgehalten, die sich in Offenburg ereignen; FAZ 24.11. 1971 Fast alle Crash-Versuche, ohne die seit 1968 keine exportierende Automobilfabrik mehr auskommt, sind simulierte Frontal-Aufpralle, um verformbare Front- und Heckpartie bei steifem Fahrgastraum zum Schutz der Wageninsassen zu erproben; Zeit 20. 1. 1978 Ihm hat nur ein einziger Filmtag zugesetzt: der Crash, ein tödlicher Autounfall mit einer jungen Frau am Steuer; FAZ 1.8. 1979 Auf keinen Fall darf man vor dem Crash noch nach hinten schauen, denn durch die Drehbewegungen des Halses könnten sich noch kompliziertere Verletzungen einstellen; Spiegel 19. 5. 1980 Beide Crashs wurden nicht durch technische Fehler des Flugzeugs, sondern durch Mißgriffe des Piloten verursacht; ebd. 2. 8. 1984 Geologen . . haben eine Berührungszone jener gewaltigen Ur-Kollision aufgespürt, bei der Nordamerika und Nordafrika vor etwa 300 Millionen Jahren aufeinanderprallten . . eine Narbe des Ur-Crashs; ebd. 9.6.1986 Der Mond ist beim Zusammenstoß der Erde mit einem fremden Gestirn entstanden: Das behaupten USForscher, die den Planeten-Crash im Computer rekonstruiert haben (alle fünf AWB); Stern 20. 9. 1990 Die Mischung der Verkehrsteilnehmer macht die Strecke [Autobahn Braunschweig-Berlin] vollends zum Crash-Kurs: Trabbis, schwere Lkws, Wohnmobile — und Raser aus West und Ost; MM 30. 04. 1991 Schlamperei bei der Wartung oder verantwortungsloses Fahrverhalten der Brummifahrer sind . . oft die Ursache für den schlimmen Lkw-Crash auf der Autobahn; Spiegel 15. 3.1993

Creme Den größten Sprung haben die Crash-Statistiken im Osten nicht am Jahresbeginn gemacht, sondern gleich nach der Wende; ebd. 31.1.1994 Nach neuen Berechnungen . . wird die Einschlagstelle nur sechs Grad hinter dem Jupiterrand liegen; damit durften auch noch die ersten Turbulenzen nach dem Supercrash in der Gashülle zu sehen sein; ebd. 7. 2. 1994 In der Formel l führten breite Auslaufzonen und crashtaugliche Kohlenfaser-Cockpits zu mehr Aggressivität und deutlich höheren Unfallraten; ebd. 11.7.1994 die Europäische Südsternwarte . . wird den Kometen-Crash und seine Folgen 40 Nächte lang beobachten; ebd. 25. 7. 1994 In Wahrheit hat der große Volvo kein . . besseres Crashverhalten als ein vergleichbares Konkurrenzmodell bei einem vergleichbaren Unfall; ebd. 22. 8. 1994 Die Ordnungshüter .. sollen . . jugendliche Skinheads erst auf der Straße und dann im Mannschaftswagen verprügelt . . haben. Auch an einem Rumänen, den die Crash-Truppe verhaften sollte, tobten sich die Beamten nach Aussage des Opfers erst einmal aus; MM 15. 9. 1994 Crash-Pilot stand unter Drogen (Überschr.) Der Pilot des vor dem Weißen Haus abgestürzten Kleinflugzeuges vom Typ Cessna stand vermutlich unter Drogen- und Alkoholeinfluß; Spiegel 19. 12. 1994 Die Verschmelzung von so schweren Atomkernen klappt nur äußerst selten: Prallen die Teilchen mit zu geringer Geschwindigkeit aufeinander, durchdringen sie einander erst gar nicht; ist das CrashTempo zu groß, fliegt der Kunstkern gleich wieder auseinander; MM 26. 6. 1995 Der Crash-Fahrer setzte seine Fahrt fort . . Bei seiner Rambofahrt streifte der 47jährige . . zwei am rechten Fahrbahnrand abgestellte Autos; ebd. 30. 6. 1995 Vorgestellt wird ein Crash-Fahrzeug mit eingebautem SeitenAirbag; ebd. 23.11. 1995 Frische Ware, die nicht oder nur unzureichend mit Crash-Eis gekühlt wird, sollten sie meiden. crashen: FAZ 8.2. 1968 Manchen Zuschauern wird freilich zuviel „gecrasht" im „7. Sinn"; Westf. Volksbl. 8. 10. 1984 Ich [Niki Lauda] griff an, wollte mitten durch die Gasse. Plötzlich war sie

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dicht, da blieb nur die Wahl: drehen oder crashen (beide AWB); Spiegel 14. 2. 1994 Bei Seminaren am Linzer Konservatorium habe ich erfahren, daß die wirklich hoch begabten Künstler unter Streß ebenso crashen wie der haushohe Olympiafavorit . . Diesen Druck halten die Robusteren besser aus als das totale Genie — sie sind allerdings auch ein bißchen weniger begabt. Druck kreiert Mittelmaß. Crash 3: Spiegel 21.2. 1966 das wäre schon so etwas wie ein nationales Not- oder Crash-Programm; ebd. 3. 11. 1975 als VW-Cef Toni Schmükker . . im April sein Crash-Programm für die Sanierung des V W-Konzerns verkündete; ebd. 14. 8. 1987 In vierwöchigen Crash-Kursen .. können die Manager ihre Allgemeinbildung aufpolieren (alle drei AWB); Zeit 1. 2. 1985 In den USA .. offerieren betuchte Universitäten ihren Fakultätsmitgliedern crash courses, Schnellkurse, im Umgang mit Computern, um in Gerangel um zahlungsfähige Studenteneltern nicht hinter die Konkurrenz zurückzufallen; ebd. 12.4. 1985 während Politiker Lippenbekenntnisse über die Förderung der Grundlagenforschung abliefern und .. wissenschaftliche Originalität per crash program erzwingen wollen; MM 14.11.1989 Der Crash-Kursus in sozialer Marktwirtschaft an der Mannheimer Universität will noch verdaut werden; Spiegel 17. 12. 1990 In Crash-Kursen will die Leipziger Universität jetzt Pädagogen zu Sozialarbeitern umschulen; MM 27. 6. 199i einem Alternativ-Urlaub, bei dem eindeutig der Zweck im Vordergrund steht, z. B. der Erwerb eines Diploms, gewissermaßen als „CrashKurs"/"Intensiv-Kurs"; Spiegel 18. 10. 1993 Beeindruckt sieht sie in ihm einen „beinharten, zu seinen Überzeugungen stehenden Politiker", dessen angekündigter Crash-Haushalt '94 ihren Beifall findet; ebd. 31. 1.1994 Ob die Crash-Therapie Alkoholiker auf Dauer vor weiteren Rückfällen bewahrt, ist umstritten; ebd. 17. 10. 1994 Was sein Vorgänger im Präsidentenamt, Leonid Krawtschuk, mit wohlfeilen Reden angekündigt, aber nie verwirklicht hatte, will Kutschma jetzt im Crashverfahren durchziehen. IN

Creme F. (-; -s, früher auch -n), vor allem früher auch M. (vgl. bes. la), Anfang 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. creme (aus einer Verbindung von altfrz. craime < vulgärlat. *crama 'Sahne', kelt. Herkunft, und älterem frz. chreme, chresme < mittel-/altfrz. cresme 'geweihtes Salböl; Sahne' < kirchenlat. chrisma, griech. 'Salböl, Salbung' (vgl. nhd. Chrisatn 'sakramentalen Zwecken dienendes Salböl')), anfangs auch in der Variante Craim(e), gelegentlich im 19. Jh., bes. in den 30er und 40er Jahren des 20. Jhs. in der eingedeutschten Form Krem, bis Mitte 20. Jh. häufig auch in der im Frz. veralteten Form Creme bzw. in der frz. Form Creme.

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Creme

la In der Bed. 'kalte, geschmeidige Süß-, Schaumspeise aus Sahne, Ei u. ä. (als Nachtisch, zum Füllen von Kuchen und Torten)', häufig als Grund- und Bestimmungswort in Zss. wie Butter-, Eis-, Schokoladencreme; Cremeschnitte, -torte. b Seit Anfang 20. Jh. auch im Sinn von 'salbenartige Masse zu Heil- und kosmetischen Zwecken, Paste', als Grundwort in Zss. wie Haut-, Nacht-, Baby-, Sonnen-, Zahncreme, und bes. in der Zs. Schuhcreme 'pastenartige Masse zum Reinigen und Pflegen (von Leder)'. Dazu in jüngster Zeit die adj. Ableitung cremig 'sahnig, geschmeidig', auch übertragen verwendet; im früheren 20. Jh. die Verbableitung cremen V. trans. 'Creme auf der Haut verteilen, die Haut mit Creme versehen, einreihen', zumeist in der Präfixbildung eincremen (beide zu l a und Ib). 2 Seit Anfang 19. Jh. übertragen für 'das Beste, Schönste' (s. Belege 1813, 1844, 1866, 1909), bes. schlagwortartig als zum Teil ironisierend bzw. scherzhaft verwendete Bezeichnung für eine Personengruppe im Sinn von 'die obere Gesellschaftsschicht, gesellschaftliche Elite, die oberen Zehntausend', häufig in der aus frz. creme de la societe lehnübersetzten festen Verbindung Creme der Gesellschaft und bes. in der ebenfalls aus dem frz. Syntagma (la) creme de la creme übernommenen Wendung (La) Creme de la Creme, auch die Creme der Creme (der Gesellschaft, der Aristokratie) 'die höchsten Spitzen der Gesellschaft'; gelegentlich auch von Sachen (s. Belege 1866, 1909) und Abstrakta (s. Beleg 1898). 3 Seit spätem 19. Jh. gelegentlich als Farbbezeichnung verwendet, häufig als Bestimmungswort in Zss. wie Cremespitze, cremefarben, -farbig. Creme la: Glorez 1701 Hauß-Bibliothec 204 mache darzu eine Craime von 8. Eyern das Gelbe/ ein Loeffel von Mehl (BRUNT); Amaranthes 1715 Frauenzimmerlex. 388 Creme, Ist ein Essen, so aus Wein, vielen Eydottern, Zucker und ändern Dingen gekochet, und als ein dicker Milch-Rahm oder Gallerte vorgestellet wird . . Die Teutschen Köche heisssen es eine gesulzte Milch; Wezel 1776 Tob. Knaut IV 128 So bilde dir doch ein, daß Eicheln nichts schlechter als Geleen und Creme sind; Loofft 1781 Niedersächs. Kochb. 461 Chocoladecraim; ebd. 462 Theecraim — Weincraim; Knigge 1788 Umgang 160 die Capaunen braten, Cremen machen; Schaller 1808 Stuziade III119 Crem; Goethe 1809-29 Maximen u. Reflex. (WA I 42.2, 115) Sie peitschen den Quark, ob nicht etwa Creme daraus werden soll; Steinmann 1843 Mefistofeles IV 37 Eierschaum und Creme; Meixner 1852 Linzer Kochb. 488 Krem; Neudecker 1853 Köchin 338 Cremes; Belli-Gontard 1872 Lebenserinn. 154 ein Braten mit Salat und ein vortrefflicher Creme (TRÜBNER); Gutzkow 1874 Charaktere (IX 433) Damals unter den .. Torten a la creme herrschte Frohsinn und . . behagliche Berliner Lust am Geschehenen oder Werdenden; Werfet 1928 Abituriententag 147 Dabei befiel ihn, wenn er vor dem Ladentisch der Confiserie stand und ihm der Geruch von Schokolade, Creme, Fruchtgelee, Butterteig entgegenschlug, eine krankhafte Gier; Voss.

Ztg. 9. 9. 1929 „creme de Normandie!" Sie ist nicht süß und nicht sauer, nicht dünn und nicht dick, sie ist nur köstlich, und man gießt sie über das Obst; Colerus 1929 Kaufherr 417 Eiscreme; Barnes 1933 Lebensmittelle . 32 Cremes, werden hergestellt aus Eiweiß, Zucker und Fruchtsäften mit oder ohne Rahm; Lokal-Anz. 7. 10. 1934 Die selbstgebackene Torte wird fachmännisch mit Creme- und Sahnekringeln verziert; Munch. Stadtanz. 1. 6. 1951 Genießerisch saß sie . . bei Kaffee und einem großen Stück „Buttercremtorte"; Süddtsch. Ztg. 29. 5. 1954 der französische Volkswagen, der Renault 4 C, hierzulande aus unerfindlichen Gründen „Kremschnittchen" genannt; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 310) Die Bonbons waren prima Ware, in farbiges Stanniol verpackt, mit süßem Likör und fein parfümierter Creme gefüllt; Generalanz. (Beil.) 19. 5. 1971 die Herren der Feinbackstuben stellen Köstlichkeiten her, die jedem das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen: Torten, Kuchen, Creme-Auflagen, Glasuren und kunstvolle Gebilde aus Schlagsahne; Zeit 20. 9. 1985 der Pomp aus Sahne und Creme ist hier ein Monument der Selbstbehauptung und Vorwärtsverteidigung gegen den Vormarsch der türkischen Imbißbuden; MM 3. 6. 1989 Mit ihren Cremehütchen und den Marzipankäfern war die Torte zum Kindergeburtstag wirklich wunderschön anzuschauen.

Creme cremig: MM 9. 10. 1989 Die Stimme, in den langsamen Titeln eher cremig weich und sanft; ebd. 3. 12. 1989 Aus Weißweinessig, Salz, weißem Pfeffer und dem Öl mit dem Schneebesen eine cremige Marinade rühren; ebd. 26. 6. 1991 Zum Nachtisch kredenzen die Amerikaner ihr cremiges Eis; 1996 lllustr. Wochenztg. Nr. 33 Wenn .. ein Großteil der Flüssigkeit eingekocht ist, kann man erkennen, daß sich langsam eine cremige Soße bildet.

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aristokratischen Nuance der Gesellschaft; Hammer-Purgstall 1835 an Menzel (Br. 97) die sogenannte creme das ist der sich selbst . . constituirende Ausschuß der Eleganz des hohen Adels (TRÜBNER); Hailbronner 1837 Cartons II 360 Die bei weitem zahlreichere Coterie des hohen Adels ist die sogenannte Creme. Ebenfalls aus Familien von höchster Geburt zusammengesetzt; ebd. 362 in dem aristokratischen Creme-Chaos feudalistischen Schwindels; 1842 Br. Schücking - Gall 98 die sogenannte Creme der Gesellschaft; 1842 Creme Ib: Th. Mann 1912 Erz. (W. Vlll 519) sah . . die Furchen der Wangen, des Mundes, die Run- Grenzboten l 338 Creme de la Creme unserer Aristokratie (LADENDORF); Hahn-Hahn 1844 zeln der Augen unter Creme und Jugendhauch verOriental. Br. I 59 die Creme von Allem [was Baron schwinden; Lokal-Anz. 10. 6. 1934 Sehr ratsam ist von Hügel auf seinen Reisen gesammelt hat]; 1847 es, Gesichtswässer, Krems oder Oele einzuklopfen; Mola 139 die creme der Pariser Gesellschaft; Marebd. 18.11.1934 als ich neulich .. vor einem Schaufenster stand, in dem Gesichtswasser, Cre- bach 1848 Wiedergeburt 65 jenen Reunionen, die medosen und Puderschachteln aufgebaut waren; sich die Creme der Societät nennen — dieser Tod Gurt 1942 Rosen 41 Der Wind strich ihr das helle alles Familienlebens; 1852 Prutz' Museum II 336 Haar aus der Stirn und wehte einen Duft nach Ski- die communistische Creme der revolutionären wachs und Sonnenkrem zu ihm herüber; Köln. Arbeiter; Scheffel 1854 Br. 12 Hier am Bodensee . . eine rührende creme von Gesellschaft; 1864 Ztg. 2. 6. 1944 Nach der Anordnung des ReichsbeHausblätter II 463 hielt kostbare Bankette für die auftragten für Chemie darf Schuhcreme künftig an creme-de-la-creme der italienischen Gesellschaft; Verbraucher nur gegen die hierfür vorgesehenen 1866 Gartenlaube 679 Die Cigaretten von La HonAbschnitte der Seifenkarte abgegeben werden; Böll radez sind wirklich die Creme der Creme, gewis1963 Clown 98 während das Telefon . . klingelte, stellte ich mir vor, wie sie irgendwo mit Babyfla- sermassen der Champagnerschaum der Cigarren; 1871 Preuss. Jahrb. XXVII 21 der Creme einer solschen, Puderdosen, Windeln und Cremes herumhantierte; Partner 1964 Erben 306 niemand [in Aa- chen Nation; Kürnberger 1877 Herzenssachen 274 Schlechtweg „Gesindel" und Bagage .. ist das vorchen] findet es ungewöhnlich, wenn ein tüchtiger städtische Publicum dem Menschenfeind . ., welHandelsmann sein Creme- und Seifenmagazin als Carolus-Magnus-Drogerie bezeichnet; Zeit 25. 1. cher im journalistischen Lohn die „Creme" scho1985 Der zermürbende Familienstreit über einge- nen, wohl gar lobhudeln muß und nun seine Galle trocknete Creme - passe? MM 22. 1.1987 Um ei- an der „Hefe" ausläßt; Hansjakob 1879-1909 Junem Austrocknen vorzubeugen reicht es nicht, die gendzeit I 220 Wenn ein Haslacher sich entschließt, Barbier zu werden, so darf man sicher darauf rechHaut mit einer fett- und feuchtigkeitshaltigen Creme zu schützen; Spiegel 26.7. 1993 Eine nen, daß er unter die Creme seines Metiers ranCreme, die tatsächlich die in der Werbung verhei- giert; Roland 1888 D. 99 Er zierte im Theater die feinste Loge, verkehrte nur mit der Creme der Geßene „Tiefenwirkung" hätte, wäre illegal. sellschaft; Suttner 1896 High-life 232 im Herbst waren es die großen Jagden von Herrenberg, welcremen: Münch. N. N. 1. 12. 1938 Lass' die Füße che die „Creme" des österreichischen Adels vernicht verludern,/ Tu' sie baden, cremen, pudern. sammelten; Schneider 1898 Paris U 34 creme de la creme der Tugend; Th. Mann 1901 Buddenbrooks cremig: MM 28.6. 1991 den weißen cremigen (W. l 700) Eines Tages erlitt sie einen heftigen AnSchaum, denn diese Seife ist zu einem Viertel zu- fall von Magenkrampf, infolge davon, daß Friedegleich Feuchtigkeitscreme. rike, Henriette und Pfiffi Buddenbrook einstimmig behauptet hatten, Hageströms seien die Creme der Gesellschaft; Diercks 1908 Spanien 314 „Creme Creme 2: Campe 1813 Fremdwb. 238 Man versteht aber auch unter Creme das Schönste, Beste, Vor- des Volkes"; Bötticher 1909 Heitere Stunden 111 Was sich an Creme von Dichtkunst fand (TRÜBzüglichste; Varnhagen v. Ense 1815 Buch d. AnNER); Fendrich 1911 Schauinsland 95 die geistige denkens II 309 Ich erließ ihnen noch die Demonstration, warum diese Klasse nicht national sein Creme der Studentenschaft . ., aber sie fand die könnte: wie sie nur den Druck, die Last, die Arbeit Creme doch sehr fad; Wohlmuth 1918 Schauspiefür das bischen Creme Menschen hat, die in Ambi- lerleben 121 der — um mich einmal ganz gewählt tion - nicht Ehrgeiz - und Genuß wählen; Piickauszudrücken — Creme der Wiener Gesellschaft; ler-Muskau 1835 Semilasso I I 1 2 nur die creme der Sperl 1922 Ahnenbilder 91 Man parlierte mit Vor-

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liebe französisch und dokumentierte dadurch einwandfrei, dass man zur creme der Gesellschaft gehöre; Leipz. N. Nachr. 19. 12. 1930 Beim Polterabend war die ganze „Creme" der Chicagoer Unterwelt versammelt; Lokal-Arn. 23. 6.1934 Teure Weine, hohe Preise, und obwohl der Ertrag des Festes für die französischen Studierenden bestimmt war, schalt sogar die „Creme", wenn es ans Bezahlen ging; 1940 Geopolitik 289 „Creme de la creme" der Kolonialwelt; Hesse 1946 Glasperlenspiel (Ges. Sehr. VI 280) bei den Glasperlenspielern, die sich gern für die eigentliche Elite und Creme der Provinz hielten (WDG); Th. Mann 1947 Faustus (W. VI 531) Wie brachte dieser kleine Judenjunge aus der polnischen Provinz es fertig, sich in diesen wählerischen Zirkeln, unter der creme de la creme zu bewegen?; Süddtsch. Ztg. 12. 9. 1950 In . . Kattowitz konnte man in den letzten beiden guten Privatrestaurants allabendlich die ganze Creme von Partei und Staat treffen; Süddtsch. Zig. 29. 4. 1958 Die Insignien des Weltkommunismus . . prangten sogar .. auf der Brust eines für Bonns politische Creme de la creme angerichteten Brathuhns; Wachtel 1963 ä la mode 28 „Creme der Gesellschaft"; Offenburger Tagebl. 21. 3. 1967 Valentino kleidet die „creme de la creme"; Zeit 6. 9. 1985 Inzwischen hat sich Nippons Begeiste-

rung für die Zusammenarbeit mit der Creme amerikanischer Wagnisfirmen abgekühlt; MM 9. 10. 1986 Wesentlich avantgardistischer klingt dagegen die grandiose „Dense Band"-LP . ., auf der die Creme de la Creme der New Yorker Avantgarde vertreten ist; ebd. 17. 2. 1989 die moralische Verkommenheit und Bigotterie speziell der gesellschaftlichen Creme in Österreich; Tagesztg. 9. 10. 1989 wenn er Ceausescu vor der ordensbehängten Creme der DDR-Gesellschaft den Handschlag verweigert; Spiegel 4. 1. 1993 dokumentierte die 1941 geborene Linda Eastman die musikalische Creme der sechziger Jahre. Creme 3: Stinde 1884 Farn. Buchholz l 82 cremefarbiges Kleid; Perfall 1887 Verhältnis 12 einen rosafarbenen Schlafrock, reich mit Cremespitzen . . ausgeziert; ebd. 58 Cremegardinen mit hellblauer Untergardine schmückten das einzige Fenster; Polenz 1900 Liebe 113 Der Hals war frei, die Büste durch zarte Cremespize verhüllt; Schnitzler 1905 Kate 138 unsere feinen Creme-Gardinen; Zeit 22.2. 1985 in der festlichen Helligkeit von Gold und Creme und Grün und Rot; ebd. 12. 12. 1986 die lichte, breit gewölbte Halle .. ist nach Art römischer Thermen mit Rosetten in Creme und Seegrün kassettiert. HK

crescendo Adv., im späten 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. ital. crescendo, eigentlich 'wachsend' (Gerundium von crescere 'wachsen, zunehmen, ansteigen' < gleichbed. lat. crescere}. In der Musik als Vortragsbezeichnung verwendet in der Bed. 'an Tonstärke zunehmend, allmählich lauter werdend, anschwellend', Abk.: cresc. (Ggs. decrescendo, s. u.), in Wendungen wie diese Passage ist crescendo zu spielen; seit Anfang 19. Jh. häufiger auch übertragen verwendet im Sinne von 'zunehmend, (an-)wachsend' (s. Belege 1802, 1814, 1843, 1852, 1951). Dazu etwa gleichzeitig das ebenfalls auf das Ital. zurückgehende, häufiger nachgewiesene Subst. Crescendo N. (-(s); -s und Crescendi) als musikalische Bezeichnung für die anschwellende Tonfolge, das allmähliche Anwachsen der Tonstärke (Ggs. Decrescendo, s. u.), z. B. in den Wendungen ein gewaltiges, tosendes Crescendo, sich zum Crescendo steigern (von der Musik) und in Zss. wie Crescendobögen, -form, -wellen, -kurve, -stürme; Trommel-, Schlußcrescendo; seit frühem 19. Jh. (s. Belege 1823, 1877, 1915) oft auch übertragen gebraucht, z. B. im Sinne von 'Zunahme, Anwachsen' (s. Belege 1920, 1930, 1940) und '(absoluter) Höhepunkt, höchste Steigerung' (s. Beleg 1968), in Wendungen wie ein/das Crescendo der Handlung, Liebe, Gefühle, Gewalt, vgl. auch Zss. wie Schreckenscrescendo. Im frühen 20. Jh. vereinzelt die verbale Ableitung crescendieren 'an Tonstärke zunehmen, anschwellen' (Ggs. decrescendieren, s. u.). Dazu etwa gleichzeitig das aus gleichbed. ital. decrescendo (Gerundium von decrescere 'abnehmen, kleiner werden' < gleichbed. lat. decrescere) übernommene, als musikalische Vortragsbezeichnung verwendete Adv. decrescendo 'an Tonstärke ge-

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ringer werdend, im Ton zurückgehend, leiser werdend', Abk.: decresc., mit dem dazugehörigen Subst. Decrescendo N. (-(s); -s und Decrescendi) 'das Abnehmen, Schwächerwerden der Tonstärke', häufiger auch übertragen gebraucht (s. Belege 1909, 1923, 1930, 1991), im frühen 20. Jh. die verbale Ableitung decrescendieren (Ggs. crescendieren, s. o.). crescendo: Bode 1776 Tristram Schandi (Über$.) Ill 47 hier haschte mein Oncle Toby eine weisse Note im Zweyten Takte seines Marsches, und hielt solche crescendo aus, bis ans Ende der ganzen Periode; Schubart 1793 Leben U 94 Kapellmeister Reichard in Berlin hat mit dem Crescendo und Decrescendo durch die ganz einfachen [symbolischen] Zeichen . . einen schönen Anfang gemacht; Varnhagen v. Ense 1802 Buch d. Andenkens l 258 Mit meiner Eßlust und Kunde geht's crescendo; Jean Paul 1805 S.W.I 10,439 diminuendo und crescendo; Campe 1813 Fremdwb. 238 Crescendo . ., in der Tonkunst. Reichardt setzt anwachsend dafür an; E. T. A. Hoffmann 1814 S. W. l 153 [es zuckte] auf Bickerts Gesicht, erst leise, dann aber crescendo durch alle Muskeln; 1843 Brockhaus III 709 Crescendo, d. h. wachsend oder steigend; Marx 1843 Publizist. Arbeiten (MEGA IV 2,416) wenn die accumulirten Capitalien in wenige Hände concentrirt sind, hört die Concurrenz auf und trotz der Accumulation gehn die Gewinne — als Monopolgewinne — crescendo; Kohl 1852 Südöstl. Deutschland I 374 Schwierigkeiten, die bis zum Gipfel hinauf immer crescendo gehen; Peterssen 1870 Genrebilder 165 ein leises, crescendo anschwellendes Surren; Engel 1884 Tonkunst 128 Wie schon bemerkt wurde, ist das Aufsteigende in der Regel crescendo, das Absteigende decrescendo; ebd. 145 eine aufsteigende Melodie wird meistens crescendo gesungen; De Man 1951 Vermassung 178 braucht er [Krieg] eine längere Vorbereitungsphase, während welcher die Propaganda crescendo arbeitet; ebd. 182 Angst - Haß - Angst - Haß — Angst und so weiter. Das geht jedesmal crescendo, bis sich als vorläufig letztes Glied das Wort Krieg einschaltet; 1977 Herderlex. Musik 47 crescendo .. wachsend, lauter werdend; MM 6. 2. 1988 Klavierabend . . „poco a poco crescendo" hätte als Motto über dem Abend . . stehen können; ebd. 16. 5. 1989 In diesem . . lautmalerischen Spiel mit musikalischen Anweisungen aller Art (piano, forte, crescendo, Rezitativo, Koloratur . .) bewies der gemischte Chor eine Präzision, die auch vorbildhaft für manch einen Profi-Chor stehen könnte; Spiegel 8. 3. 1993 Ganz allmählich mischen sich Celli, Bratschen und Geigen dazu. Crescendo. Der Streicherchor schwillt und schwelgt los. Crescendo: L. Mozart 1780 Br. U 171 Wie war es, wenn nach dem wenig unterirdischen [!] Lermen

die Instrumente piano aushielten. . . anfiengen dann ein Crescendo bis ins schreckliche machten, und beym Decrescendo die Stimme zu Singen anfieng?; Schubart 1785 Ästhetik d. Tonkunst 47 Das Staccato der Bässe, wodurch sie fast den Nachdruck des Orgelpedals erhielten; die genauere Bestimmung des musikalischen Colorits; und sonderlich das allwirkende Crescendo und Decrescendo sind sein!; 1813 Briefw. Goethe-Zelter III 22 Die Musik hat Crescendos, die ans Grosse reichen; 1823 Eidora 396 dem wachsenden Verein ihrer Herzen, dem crescendo der Liebe; 1843 Brockhaus III 709 Crescendo, . . nennt man in der Tonkunst die allmälige Verstärkung der Töne beim Vortrage, oder in der Kunstsprache den allmäligen Übergang vom piano zum forte oder fortissimo. Man bezeichnet es . . durch die Abbreviatur cresc.; Wagner-Liszt 1852 Briefw. II 144 Die piano und crescendo sind ungenügend und daher fehlt es auch an der Ausgiebigkeit im Forte; Burckhardt 1877 Br. an Alioth 38 [Besuch in Münchner Residenz] ein Crescendo, von den Vorsälen bis zum Schlafzimmer und verrückt prächtigen Toilettenkabinett; Meerheimb 1888 Psychodramen I 16 wobei im Crescendo . . die Violinen . . ganz exklusiv zur Geltung zu kommen haben; Th. Mann 1897 Erz. (W. VIII 109) und die Musik spielte fort, bis bei einem machtvollen Crescendo der Vorhang emporrollte; Joel 1915 Weltkultur 69 So braust heute das ganze deutsche Leben ein ewiges crescendo, einen Fortschrittsdrang, einen Frühlingssturm; Landauer 1920 Shakespeare I 20 Welch ein Crescendo der Handlung ! [in einem Theaterstück] Ihm aber entspricht das Crescendo der Gefühle; Kisch 1930 Ges. W. I 421 Bei unserem Decrescendo konnte ich ein Crescendo der allgemeinen Sorglosigkeit konstatieren; Th. Mann 1940 Reden u. Aufs. (W. XII o. S.) die Katastrophe, die das nationalsozialistische Regime .. in sich trug .., entfaltet sich im langsamen crescendo ihrer Schrecken; De Man 1951 Vermassung 38 Neu ist . ., daß sich . . [bei der Tendenz zu wachsender Verwandtschaft der abendländischen Völker] seit dreitausend Jahren ein fortlaufendes crescendo bemerkbar macht; Koch 1956 Lex. 883 Als Dirigent führte er [Stamitz] das . . Crescendo und Decrescendo (Anwachsen und Schwächerwerden des Tones) ein; Welt 10. 3. 1964 Die Möglichkeiten seiner Stimme wirkten geradezu unbegrenzt — das Pianissimo, der Registerwechsel, das Crescendo und besonders das

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Decrescendo; 1968 Durch d. schöne Welt Märzh. o. S. die Residenz mit dem .. Schloß-Entree, . . der Weiße Saal, der Kaisersaal, die Hofkapelle — Würzburg, ein Crescendo des Maintales! Stuttgarter Ztg. 21. 5.1968 Der Sinn dieser . . zwanzigtägigen [militärischen] Übung [dtsch. und frz. Soldaten] mit dem klangvollen Namen „Crescendo" bestand darin, eine Verladung ohne Hafen .. bilateral zu exzerzieren; 1970 Melos III o. S. spielt der Jugoslawe seine stark entwickelte Klangphantasie aus .. In einem Kommentar erwähnt er als Baustein ein „Thema", im wesentlichen eine Crescendo-Form; Zeit 22. 2. 1985 das Haus „klingt", wie Wolf-Dieter Hauschild an den letzten Akkord der Nationalhymne das große Crescendo auf C setzt; ebd. 7. 3. 1986 Musiker, der die Töne mit großer Ökonomie einsetzt, in langem Crescendo auf den fulminanten Schluß .. zusteuert; ebd. 20. 6. 1986 wie Benny Goodman einen hohen Ton oder eine Crescendokurve hoher Töne in den Raum stellt; ebd. 28. 11. 1986 die Musik steigert sich zum Crescendo; MM 28. 1. 1987 Dynamisch verhalten, einem lang wachsenden Crescendo Raum gebend, eröffnete das Saarbrücker Klaviertrio die zweite Kammermusik-Matinee; ebd. 25. 3. 1987 der enorme Klangapparat, den Chefdirigent . . Fedossejew .. hinführte zu CrescendoWellen; ebd. 1. 4. 1987 wie die „Madonna am Trapez", die zum bebenden Trommel-Crescendo durch die Luft kullert; ebd. 7. 4. 1987 Tradition der Stadt Mannheim: [wo] Stamitz, Wagenseil .. für die Mannheimer Schule das Crescendo und die Terrassendynamik „erfunden" haben; ebd. 9.9. 1989 Sie [Sinfonie] kommt stechend, .. bisweilen ätzend im Groteskklang, . . grell sich überschreiend im Schreckens-Crescendo der Kriegsbeschwörung von 1943; ebd. 24. 12. 1989 mit den .. gewaltigen Crescendo-Bögen und erregt abgefeuerten Akkorden [des Präludiums]; ebd. 18. 1. 1991 Trotz des blutigen Crescendo der ETA im vergangenen Jahr mit 44 Mordopfern in ganz Spanien gelang es den Terroristen nicht, die Regierung . . zu Zugeständnissen . . zu zwingen; ebd. 6. 6. 1991 das spielte dieser .. so kultiviert, mit solch atemberaubendem Pianissimo und solch schmetternder Klangpracht im Schluß-Crescendo; ebd. 7. 6. 1991 den überwältigenden Crescendo-Stürmen in den Ecksätzen [der Sinfonie]; Spiegel 15.2.1993 Man sagt, er könne schreien, daß die Logen Setzrisse bekämen. Jedenfalls beherrscht er das Crescendo seiner in sprudelndem Deutsch vorgetragenen Verlautbarungen bravourös; ebd. 17.5.1993 Unvermittelt stimmen sie [Menschen] in austariertem Crescendo ein französisches Loblied auf die Berge an; ebd. 24. 5. 1993 Seit Mitte der Achtziger Jahre registrierte er „ein beeindruckendes Crescendo der Drohungen und Erpressungen"; ebd. 23. 8. 1993

mit rund 140 Partien hat der gebürtige Hannoveraner [Sänger] seine Laufbahn in einem soliden Crescendo entwickelt; ebd. 30. 8. 1993 Es muß das tosende Crescendo der begeisterten 200000 Zuschauer gewesen sein, die uns damals weit in Führung liegend sahen. crescendieren: Scherchen 1929 Lehrb. d. Dirigierens 31 Das Schlagzeug aber lasse man doppelt so langsam crescendieren, so daß es bei dem allgemeinen Fortissimo erst Mezzoforte erreicht. decrescendo: Wagner 1778 Voltaire 16 decrescendo; Schubart 1785 Ästhetik d. Tonkunst 364 Decrescendo, hat heutigen Tags folgendes Zeichen . .; ders. 1793 Leben II 94 Kapellmeister Reichard . . hat mit dem Crescendo und Decrescendo . . einen schönen Anfang gemacht; 1977 Herderlex. Musik 48 decrescendo . . leiser werdend, abnehmen [d] an Lautstärke. Decrescendo: L. Mozart 1780 Er. II 171 und beym decrescendo die Stimme zu singen anfieng; Schubart 1785 Ästhetik d. Tonkunst 47 das allwirkende Crescendo und Decrescendo; Hermes 1789 Für Eltern V 504 so dass ich [in meinem Spiel] auch mit einem decrescendo aufhörte; i 799 Journal d. Moden XIV 152 Das allmählige feste Anwachsen des Windes verursachte das schönste oft minutenlang schwellende Crescendo. Das Decrescendo folgte meist schneller; Rumohr 1832 Reisen 290 Poussin, Lairesse und Van der Werft eröffnen und zieren diese Richtung zugleich, welche das zarteste Decrescendo [in der Malerei] beobachtet hat; 1843 Brockhaus III 709 Das Gegentheil davon [vom Crescendo] ist das Decrescendo; Werther 1861 Kl. Deutschland I 29 wenn er seine selbstkomponirten Variationen auf die Melodie .. blies und auf der .. Höhe eines kecken Läufers drei Doppeltriller erst im stärksten Fortissimo anstimmte, sodann im immer leiser und leiser werdenden Dekreszendo verschwimmen ließ; 1883 Brockhaus IV 671 Das Gegenteil davon [vom Crescendo] ist das Decrescendo. Dieses Zu- und Abnehmen des Tons ist ein sehr wirksames Effektmittel in der Musik; Engel 1884 Tonkunst 48 Der natürliche Sitz des Crescendo ist also von der Tiefe nach der Mitte und von der Höhe nach der Mitte, der des Decrescendo umgekehrt zu suchen; Meerheimb 1888 Psychodramen I 16 wobei im . . Decrescendo die Violinen, Bratschen und Harfen ganz exklusiv zur Geltung zu kommen haben; Wedekind 1909 Ges. Br. II 213 Von dem Augenblick an, wo es meinem Helden schlecht geht, muß er sich als ein durchaus liebenswürdiger korrekter Mensch zeigen, dadurch sind die beiden letzten Akte schwächer geworden. Ich hielt dies Decrescendo für dichterisch geboten; Ti-

Crew burtius 1923 En««. 176 Ich schied aus einer blühenden Praxis [weil zu alt], die noch kein Decrescendo zeigte; Kisch 1930 Ges. W. I 421 Bei unserem Decrescendo konnte ich ein Crescendo der allgemeinen Sorglosigkeit konstatieren, man spürte den Etappenraum, den Weg in das Hinterland; Koch 1956 Lex. 883 Als Dirigent führte er [Stamitz] das . . Crescendo und Decrescendo (Anwachsen und Schwächerwerden des Tones) ein; Welt 10. 3. 1964 Die Möglichkeiten seiner Stimme wirkten geradezu unbegrenzt. . das Crescendo und besonders das Decrescendo; MM 1.4. 1991 Weiter-

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hin findet man [bei Herzuntersuchung] ein protodiastolisches Decrescendo- (E) und ein präsystolisches Crescendogeräusch (D); ebd. Das laute Crescendo-Decrescendo-Geräusch des Inspiriums ist deutlich länger zu hören als das . . leisere Exspirium. decrescendieren: Scherchen 1929 Lehrb. d. Dirigierens 52 Natürliche Tendenzen des Bogenwechsels sind die decrescendierenwollende Aufstrichbewegung und der betont anfangende decrescendierende Herabstrich. GS

Crew F. (-; -s), Mitte 19. Jh. vereinzelt, seit spätem 19. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. engl. crew (< altfrz. creue 'Wachstum, Vermehrung', zurückgehend auf lat. crescere 'wachsen'; —* crescendo). Zunächst seemannsspr. in der Bed. 'Schiffsbesatzung' (s. Belege 1888, 1916, 1939), auch speziell für '(Gesamtheit der Angehörigen desselben) Kadettenjahrgang(s) bei der Marine' (s. Belege 1905, 1947), in Zss. wie Crewältester, -kameraden, -geist, seit Mitte 20. Jh. auch sportspr. im Sinn von 'Besatzung von Sport-, bes. Segelbooten' und erweitert für 'Sportmannschaft' (s. Belege 1969, 1974), vgl. die Zss. DFB-, Tennis-, Weltmeisterschaftscrew, dann auch für 'Besatzung eines Flugzeugs oder Raumschiffs' (s. Belege 1953, 1970, 1985, 1989), in Wendungen wie die neunköpfige Crew, der Kapitän und seine/mit seiner Crew. Seit Mitte 20. Jh. auch allgemeiner verwendet im Sinn von 'Gruppe von Personen (mit unterschiedlichen Arbeitsbereichen), die (gemeinsam) eine Aufgabe zu lösen haben, Arbeitsgruppe' (s. Belege 1959, 1964, 1970, 1987, 1993; gleichbed. mit -» Team), z. B. in Redaktionen, Hotelküchen, beim Film, Theater, auch auf die Mitarbeiter/innen eines Politikers, Ministers usw. bezogen, in Wendungen wie eine internationale Crew von Wissenschaftlern, eine neue Crew zusammenstellen, in Zss. mit vorangestelltem Namen des Gruppenleiters (vgl. Brandt-, Clinton-Crew) bzw. Bezeichnungen des Arbeitsbereichs, z. B. Film-, Küchen-, Führungs-, Kanzler-, Krisen-, Regierungs-, Verhandlungscrew. Kohl 1844 Reisen in England u. Wales III 267 Die Form mancher dieser Bücher ist durch Parliaments-Acte festgesetzt, z. B. die Form der Musterrollen für die Mannschaft (Muster-Rolls for the Crew); ders. 1844 Brit. Inseln 111 426 Heute rudert die Mannschaft des Crusador (Crusador-crew) gegen die Mannschaft der Thetis (Thetis-crew); 1888 ZDSprachver. Ill 134 So lief jüngst eine aus einer englischen Zeitschrift übersetzte Schilderung der schottischen Häringsfischerei durch mehrere Zeitungen, in welcher das häufig vorkommende Wort „Crew" durchgehende unübersetzt blieb (AWB); Holleben 1905 Dtsch. Flottenbuch 61 Als wir in unsere wackligen Räume umgezogen, wurden wir daselbst von einer zweiten Altersklasse, Crew nannte man das, begrüßt, es war der Jahrgang der Kadetten, die bereits die zweite Einschiffung hinter

sich hatten; Höcker 1910 Sonne 105 Biddle meinte überlegen, Kamerlander und Genzmer seien beide „very good fellows", und wer sich nicht füge, den könne er in der crew nicht brauchen; Goedel 1916 Klar Deck 60 Crew . . bedeutet die Gemeinschaft von Seeleuten, die sich an Bord eines Schiffes befinden, die die Bemannung eines Bootes ausmachen, besonders aber die Gesamtheit der Seeoffiziere, die in einem Jahr in die Marine eingetreten sind; Dotnbrowski 1919 System l 337 Hintze, als CrewÄltester, protestierte gegen so „mittelalterliche" Ansichten, und das Geschenk ward gemacht; Persius 1925 Menschen u. Schiffe 91 Ich muß gestehen, daß ich an die Kameradschaft innerhalb meiner Crew dadurch erinnert wurde, daß mich die Crewkameraden mit Vorliebe anpumpten; Lettenbaur 1927 Morgen 15 Dieser „Jahrgang" („crew"

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Cup

nennt man es bei der Marine); 1936 Mov. 309 Crew; Busch 1939 Segel 34 Die Crew kommt an Bord; Schmidt 1941 Bräuche d. Seeleute 30 war die „mixed crew" die Regel; Siemens 1947 Leben 341 Alle Seekadetten eines Jahrganges wurden zu einem Ausbildungsgang, einer „Crew", zusammengefasst, die sich untereinander persönlich kannte und sich später noch als zugehörig fühlte; Weizsäkker 1950 Erinn. 13 Wir Offiziers-Anwärter wuchsen bald zusammen zu einer einheitlichen „Crew". Bessere Kameradschaft als dort habe ich nirgends mehr gefunden; Süddtsch. Ztg. 14. 8. 1953 Als es sich bei einem Startversuch zum Weiterflug ergab, daß der eine Motor . . einer . . Überprüfung bedurfte, kam unser Chefpilot auf die Idee, einen Bus zu einer Fahrt nach Reykjawik zu chartern . . Leider war nur ein kleinerer Wagen zu haben, so daß die Plätze unter der Crew verlost werden mußten; FAZ 16. 5. 1959 Es ist eine dreifach gesiebte Crew, durchweg langbefahrene und ungewöhnlich kräftige Leute . . „Meerkatze" ist eine schwimmende Wetter- und Havariestation; Aktuell 26.5.1962 Tatsächlich könnte eine solche Crew, die man im State Department in Washington längst an die Arbeit gesetzt hat, dazu beitragen, die leidigen „Überraschungen" .. wenigstens abzumildern (AWB); Welt 29. 12. 1964 In der City, wo eine nach Herkunft und Überzeugung stockkonservative Crew von Bankiers, Stockbrokern, Jobbern und Versicherungskaufleuten an den Pumpstationen für den Staatskredit sitzt; ebd. 16.1. 1965 daß sich der deutsche Beamte im internationalen Dienst noch nicht mit der „Brüsseler Crew der Franzosen" messen könne; 1966 Spiegel Nr. 32 War früher der dritte Mann im Cockpit . . dazu da, die beiden anderen Piloten auf langen Flügen abzulösen, so ist er nun zu einem unerläßlichen Bestandteil der Crew geworden (beide DUDEN 1993); Hamb. Abendbl. 28.129. 1.1967 Edward H. White, Virgil Grissom und Roger Chaffee .. sollten die erste Apollo-Crew bilden (AWB); Stuttgarter Ztg. 8. 7. 1969 So sicher

war der Sieg der hellblauen Cambridge-Crew gegen Oxford bei der traditionellen Regatta am Ostersamstag; Welt 4. 8. 1969 Jack Brabhams auf Grund ihrer Akkuratesse gefürchtete Boxen-Crew konzentrierte ihren Eifer auf einen Brabham-Ford; ebd. 12.3. 1970 Die Crew freut sich auf den Künstlerflug; FAZ 1.8. 1970 Sie sollten Spass an harter Arbeit in einer jungen Crew haben (Anzeige); Süddtsch. Ztg. 5.4.1971 Die Crew des neuen Hotels von der Hausdame bis zum Koch wurden .. präsentiert; Welt 13. 7. 1974 Wie ein Fremdkörper empfand sich die neunköpfige westdeutsche Crew, die zu den Segelwettbewerben nach Rostock gekommen war; Spiegel 13. 12. 1976 Wie selbstverständlich schluckte die SPD-Crew eine seit langem vorgetragene SPD-Forderung (AWB); MM 5. 12. 1985 Ein Mitglied der siebenköpfigen Crew meinte . ., mit diesem Flug habe die Zukunft begonnen; Zeit 14. 11. 1986 Die Köche und ihre Crew . . bereiten schmackhafte Menüs; MM 4. 9.1987 Stolz präsentiert er .. das ganze Werk seiner Ausstellungs-Crew — durchweg Studenten des vierten Architektur-Semesters; ebd. 7. 11. 1987 Das Bundesgesundheitsministerium appelliert wieder einmal an alle, sich vor Aids zu schützen. Die Crew rund um Rita Süßmuth spart nicht an Geld und Ideen; ebd. 2. 5. 1988 Acht gelernte Bankkaufleute und Betriebswirte plus ein Lehrling bilden die Crew der Bank; ebd. 11.1.1989 Die Crew muß nach fünfzehneinhalb Stunden eintönigen Dahingleitens mit dem Problem fertig werden; 1990 Vogue XI 137 Die Film-Crew verfällt in die übliche Hektik; MM 3. 2. 1991 Gastwirt Paul Würz, dessen Bedienungs-Crew trotz eines krankheitsbedingten Personalausfalls den Ansturm von Hunderten von Gästen sicher bewältigte; Spiegel 31.5. 1993 Empört verbat sich auch Justizministerin Janet Reno die Eigenmächtigkeiten der Clinton-Crew; MM 15. 2. 1995 Daß die rüstige Rentnercrew ausgerechnet sie zur Chef-Perle erkoren hat, lag nahe. HK

Cup M. (-s; -s), Mitte 19. Jh. vereinzelt, seit Anfang 20. Jh. häufiger nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. engl. cup, eigentlich 'Tasse, Becher; Pokal' (< altengl. cuppe < spätlat. cup(p)a 'Trinkgefäß, Becher, Kufe'). Im Bereich des Sports zunächst in der Bed. 'meist in Form eines kelch- oder schalenartigen Gefäßes aus wertvollem Metall ausgesetzter Siegespreis, der bei sportlichen Wettkämpfen (bes. im Tennis und Fußball) an eine Mannschaft oder an einzelne Sportler verliehen wird; (Sieges-)Pokal bei Sportwettbewerben', z. B. in eher ugs. Wendungen wie sich den Cup holen, den Cup gewinnen, entführen und in Zss. wie Cupgewinner, -sieger, -Verteidiger, -system; Davis-, UEFA-Cup; seit früherem 20. Jh. dann auch als Bezeichnung für den nach dem Pokalsystem ausgetragenen sportlichen Wettbewerb selbst (oft gleichbed. mit — Turnier; s. Belege 1934, 1936, 1959, 1974,

Cup

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1987), z. B. in Zss. wie Gold-, Inter-, King's-, Landes-, Messe-, Pokalsieger-, Europa-, Welt-/World-, Supercup, Grand Challenge Cup; Cupauslosung, -endspiel, -finale, -gewinner, -runde, -sieger, -spiel. nes Fußbailebens werden; ebd. schied Deutschland Kohl 1844 Reisen in England u. Wales l 117 Aussicht auf Gewinn .. von dem „Doncaster-cup" aus dem Davis-Cup-Wettbewerb der Europazone [Pferderennen]; ders. 1844 Brit. Inseln 111 399 das aus; Offenburger Tagebl. 7. 5. 1962 Aus den HänRennen für den Becher (das Doncaster cup-race) den der englischen Königin empfingen Tottenhams und das Rennen der zweijährigen Pferde; ebd. 111 Spieler Pokal und Goldmedaillen. Interessante 433 [die] silbernen Geschirre, z. B. den „grand Zahlen um den Cup: Tottenham gewann zum vierChallenge cup" (großen Herausforderungsbecher), ten Mal; ebd. das hundertste Tor, das der grüne den „City-cup"; Heineken um 1900 Lawn-Tennis Rasen von Wembley in der . . Geschichte der Cup201 Challenge cup; 3909 Meyers Koversationslex. endspiele erlebte; Bildztg. 31. 5. 1967 Heute steigt Ergbd. o. S. Cup . . Pokal (als Siegespreis bei sportin Nürnberg das Cup-Finale; ebd. 2. 6. 1967 Sie lichen Wettkämpfen . .); Petri 1911 Handb. d. feierten ihre Europa-Cup-Helden vom FC Bayern; Fremdwörter 217 Cup, . . Ehrenbecher, Sieges- Stuttgarter Ztg. 20.9. 1967 Der Amerika-Cup preis; Lokal-Anz. 20.5.1934 Die großen Sportbleibt in den USA. Die Entscheidung fiel am Monereignisse gehen nun Schlag auf Schlag vor sich. tag, als die amerikanische Jacht „Intrepid" ihre Da sind zuerst die 2000-Guineas m Newmarket . . australische Herausforderin . . glatt abhängte; ebd. dann kommt das Derby, dieses größte aller interna20.5.1968 West Bromwich .. holt den „Cup" tionalen Rennen. Das unvergleichliche Ascott folgt (Überschr.); ebd. 19. 2. 1969 Den Cup Kurikkala, mit seinen 5 Meter hohen, glühenden Rhododender sich aus dem reinen Langlauf zusammensetzt, dronbüschen ringsum, mit seinem goldenen Cup, sicherte sich erneut Italien; FAZ 28. 7. 1971 Drei mit seiner Kleiderschau; ebd. 23. 10. 1934 Der beHochseejachten aus der Bundesrepublik starten bei rühmte schottische Klub Queens Park Rangers, der der bedeutendsten Regattaserie der Welt, den Reviermalige Sieger im schottischen „Cup"; Neue gatten um den Admirals Cup in England; ND freie Presse (Wien) 13. 5. 1936 Unter den vielen 19.3.1974 im Cup der Pokalgewinner; Welt Trophäen im Sport zählt zweifellos der English Cup, der dem Endsieger zufällt, zu den interessan- 27. 6. 1974 die Leichtathletinnen der Bundesrepublik gewannen . . den nordischen Frauen-Cup; ebd. testen . . Siegespreisen. In England träumt jeder 19. 9. 1974 Unsere Landsleute waren alle vom kleine Junge, der Fußballer werden will, davon, einmal in einem Entscheidungskampf um den eng- Cup-Fieber erfaßt; ebd. hatten die Amerikaner lischen Fußballpokal mitwirken zu können. Kein diesmal . . das unangenehme Gefühl, daß der Cup Wunder, daß in einem englischen Krankenhaus ein entführt werden könnte; Süddtsch. Ztg. 19. 1. schwerkranker Junge sich in seinen Fieberphanta1981 Das Gegenstück zum Davispokal ist . . der sien ununterbrochen mit dem „Cup" beschäftigte Hallenwettbewerb der Tennisspieler um den King's und immer wieder stürmisch verlangte, einmal dieCup; Spiegel 25.2.1985 erreichte Lendl .. das sen Pokal sehen zu dürfen; ebd. 26. 5. 1936 Da- Endspiel um den lukrativen Masters Cup; Zeit mals waren [die Wiener Fußballvereine] Vienna, 9. 8. 1985 daß mindestens vier Mannschaften .. Wacker, Sportklub und Liberias Teilnehmer an der wieder auf einen Uefa-Cup-Rang kommen; MM Ausscheidungskonkurrenz, die nach dem Cup- 8. 1.1986 Er belegte beim FIA-Auto-Cross-Natiosystem ausgetragen wurde und ein Wiederholungs- nen-Cup den zweiten Platz; Flensb. Tagebl. spiel zwischen dem Sportklub und der Vienna not5. 10. 1987 Die vier bisherigen Cups auf der Insel wendig machte. Die Vienna gewann dies, mußte Sylt dürften nicht nur dem Fremdenverkehr Imaber wenige Tage später gleich gegen den Gegner pulse verliehen haben (AWB); FAZ 5. 6. 1989 in in der ersten Runde des Mitropacups, die Prager Prag beim Davis-Cup-Spiel gegen die TschechosloSparta, antreten; Basler Nachr. 23.3. 1943 Tessiwakei; Frankf. Rundsch. 2.4.1990 die Achtelfiner Cuphalbfinal [spiel] nun doch in Lugano (Übernale-Partie im Landesmeister-Cup; ebd. 1. 10. 1990 schr.); ebd. 20. 10. 1943 Mit dem Cupfinalspiel . . vor dem Rückspiel im UEFA-Cup gegen Borussia in Zürich fand die . . Austragung um den AgfaDortmund; Spiegel 16. 8. 1993 „Mehr durch Zufall Wanderpreis ihr Ende; Süddtsch. Ztg. 2.5.1950 und glückliche Umstände", urteilt der ehemalige Ein verregnetes Cup-Final und doch ein nahezu Cup-Sieger . ., schoben sich die Außenseiter nach vollkommenes Spiel!; Welt 25.11. 1954 Verteidiger vorn; ebd. 29.11. 1993 Stich [Tennisspieler] will des „Cups" ist Bayern, das gegen Südwest antritt; ebd. 4. 5. 1959 der Tag, an dem er seine erste gol- den Cup .. mitnehmen und sich dann zurückzieGS dene Cup-Medaille gewann, kann zum letzten sei- hen.

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Curriculum

Curriculum N. (-(s); Curricula), Anfang 17. Jh. vereinzelt, seit Anfang 18. Jh. kontinuierlich belegte Entlehnung aus (m)lat. curriculum 'Lauf; Umlauf; Kreislauf (der Himmelskörper); Zeit(ab)lauf (zu lat. currere 'laufen'). 1 Zunächst vereinzelt in der Bed. 'Sternenlauf (s. Beleg 1612), seit frühem 18. Jh. bildungsspr. verwendet im Sinn von 'Darstellung der Geschichte des bisherigen Lebens, Lebenslauf', zumeist in der festen latinisierenden (lat. flekt.) Verbindung Curriculum vitae 'Lebenslauf, -beschreibung', als Abstraktum oder auf das Schriftstück bezogen, vgl. die Wendungen ein Curriculum (vitae) abfassen, aufsetzen, lesen. 2 Mitte des 20. Jhs. neuentlehnt aus gleichbed. engl. curriculum (< (m)lat. curriculum, s. o.), in der Didaktik verwendet im Sinn von 'nach wissenschaftlichen Grundsätzen abgefaßter Lehrplan für den schulischen (und universitären) Unterricht, Theorie einer zur Erreichung bestimmter Lernziele entworfenen Lehreinheit', vgl. die Zs. Curriculumforschung; gelegentlich auch allgemeiner (s. Belege 1959, 1989); dazu etwa gleichzeitig die aus gleichbed. engl. curricular entlehnte adj. Ableitung curricular (ohne Steigerung) 'das Curriculum betreffend, auf das Curriculum bezogen'. Curriculum 1: Böhme 1612 Theosophia 32 So man das gantze Curriculum oder den gantzen Umcirck der Sternen betrachtet; 1711 Gelehrte Fama 478 Es giebet darinne der Herr Decanus das Curriculum vitae des letztern Herrn Candidaten M.; Sperander 1727 A la mod Sprach 174 Curriculum vitae, der Lebens-Lauff; Musäus 1781 Physiognom. Reisen II 228 Der Beweiß hievon ist ganz in mein curriculum vitae verwebt; 1807 Briefw. Schleiermacher 7 ehe ich .. ein neues Curriculum industriae et diligentiae anfange; Laukhard 1792 Leben I 35 Ich habe mir nicht vorgesetzt, ein curriculum vitae aus meiner Lebensgeschichte zu machen, wie ihn die Studenten auf einigen Universtitäten einreichen müssen . .: denn in einem solchen Curriculum ist es hinlänglich, daß die .. Collegien .. angeführt werden; 1807 Br. v. d. Univ. 366 mein sehr zierlich abgefasstes Curriculum vitae eingeschickt; Mutius 1813 Br. 195 Mit dem Schluß der Kollegia . . überreiche [ich] . . das schriftliche Einkommen um die Anstellung als Referendarius und füge diesem mein Curriculum vitae lateinisch bei; Goethe 1817 Br. (WA IV 28,302) Da ich nicht aufgeben kann für Weller mitzuwirken; so wünsche ich daß er ein kurzes Curriculum vitae aufsetze damit man von seinen Zuständen einige Rechenschaft geben kann; ders. 1820 Br. (WA IV 33,169) so ersuche ich Sie, mir baldigst zu übersenden, was man gewöhnlich curriculum vitae nennt: eine kurz gefaßte Geschichte Ihres bisherigen Lebens und Bestrebens; Kohl 1846 Dänemark I 229 während auf dem Sarge . . sich ein kleines Schild befand, auf welchem ein kurzes Curriculum vitae der betreffenden Person . . geschrieben stand; Holtet 1860 Eselsfresser II 15 Ich will sie Euch als Lebensregel geben und mit ihr mein curriculum vitae beschließen; Zapp 1896 Offizierstöchter I 76 Drei Tage später

erhielt Margot vom Betriebsamt . . die schriftliche Aufforderung, sich behufs Ablegung eines Examens einzufinden. Sie mußte ein curriculum vitae anfertigen, dann richtete man einige Fragen an sie; Hensel 1903 Lehensbild 167 Das Unglück wollte, daß denselben Nachmittag der Wachtmeister mir sagte, ich müsse zum Examen mein „Cocclovitta", wie er das curriculum vitae nannte, schreiben. Ich ging nach Hause und schrieb ein fulminantes Aktenstück zusammen, in dem ich zuerst meine Abstammung von Moses Mendelssohn und dem Judentum sehr betonte; Wilhelm U. 1927 Leben Vorw. o. S. in meinem „Curriculum vitae", dem Lebenslauf, den ich gleich meinen Mitschülern . . einige Monate vor unserem Abiturientenexamen, einreichen mußte; Zeit 24. 5. 1985 Senden Sie ihm ihre Bewerbunsgunterlagen mit Handschreiben, Curriculum vitae und Zeugniskopien (Anzeige); ebd. 20. 3. 1987 Nüchterner liest sich das Curriculum des Atem- und Massage-Gurus Rüdiger von Roden. Curriculum 2: Süddtsch. Ztg. 22.12.1959 das älteste Mitglied der Clown-Gesellschaft schlug vor, ein Curriculum sozialkritischer Themen auszuarbeiten; Robinsohn 1967 Bildungsreform als Revision des Curriculum (Titel); FAZ 30. 12. 1971 ein Tübinger Forschungsteam, das sich mit der Anwendbarkeit neuer Verfahren der Lehrplangestaltung für den Sportunterricht, mit der „Curriculumforschung", befaßt; ebd. 20. 1.1972 eine größere Einheitlichkeit der Studiengänge (Curricula) und auch des Stoffkanons . . zu erreichen; Frey 1975 Curriculum-Handbuch (Titel); Zeit 19.7.1985 Eine Arbeitsgruppe . . bereitet derzeit das Curriculum für den Agrarbereich vor; FAZ 17. 4. 1987 Es

Cutter ist das Geheimnnis großer Universitäten . ., jene Identifikation zu ermöglichen, die den einzelnen formt, ohne daß dies ein definiertes Ziel oder ein Curriculum-Element wäre; ebd. 5. 6. 1987 Je weniger die Schüler durch ihre eigene Wahl ihr Curriculum zu verantworten haben, um so weniger werden sie auch imstande sein, ein Hochschulstudium in die Hand zu nehmen; 1988 Brockhaus V 59 wurde Curriculum der Begriff für die wissenschaftlich fundierte Strukturierung organisierten Lernens . . die .. Curriculum-Forschung . . suchte den Informationsgehalt und die Bedeutung der einzelnen Lehrstoffe unter Beachtung der individuellen und gesellschaftlichen Ziele zu erfassen, um damit Entscheidungen über die Bewertung und Auswahl einzelner Lehrinhalte und ganzer Lehrgefüge rational kontrollierbar zu machen; MM 5. 10. 1989 Wir haben Kontakte gehabt mit prominenten Vertretern aus der Unterhaltungsbranche .., um Material

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für das Curriculum dieser Abteilung zu erreichen; ebd. 26. 6. 1991 Zwar seien die GEWler grundsätzlich für die Fünf-Tage-Woche an den Schulen, doch müßte dazu das gesamte Curriculum überarbeitet werden; Spiegel 26. 7. 1993 Als am besten geeignet, positive Lernansätze zu fördern und den Wissenstransfer in die Praxis zu erleichtern, erwies sich das „problem- oder fallorientierte Curriculum". curricular: Dtsch. Bildungsrat 1970 Empfehlungen d. Bildungskomm. o. S. Zum Abbau der Minderbewertung von beruflicher Bildung trägt auch ihre wachsende theoretische Orientierung und Fundierung sowie die curriculare Annäherung von berufsbezogenen und studienbezogenen Bildungsgängen bei; Zeit 7. 3. 1986 Hans Magnus Enzensberger .., der . . seine eigenen Gedichte gegen die ihnen angedrohte Zerlegung in curriculare Lern- und Prüfungshürden hartnäckig verteidigte. HK

Cutter M. (-s; -), schon älter auch Cutterin F. (-; -nen), im früheren 20. Jh. entlehnt aus gleichbed. engl. cutter (zu cut 'schneiden', weitere Herkunft unsicher). Im Bereich von Film, Rundfunk und Fernsehen verwendet als Bezeichnung für einen bes. auch von Frauen ausgeübten Beruf in der Bed. 'jmd., der Filmszenen oder Tonbandaufnahmen (nach dem Drehbuch und den Anweisungen des Regisseurs) für die endgültige Fassung eines Films, einer Musikaufnahme o. ä. auswählt, zurechtschneidet und neu zusammenfügt; Schnittmeister, Bildmischer, Tonschneider'; dazu seit Mitte 20. Jh. das selten nachgewiesene, aus engl. cut übernommene Verb cutten V. (in)trans., daneben mit dtsch. Verbalendung und engl. Aussprache auch gebucht die Nebenform cuttern, 'Filmszenen, Tonbandaufnahmen usw. nach bestimmten Gesichtspunkten für die endgültige Fassung eines Films, einer Film- oder Rundfunkaufnahme auswählen, schneiden und neu zusammenkleben'. Cutter/in: Der Silberspiegel (Berlin) 7. 1.1936 Cutterin (Filmzerschneiderin); Dresd. N. N. 29. 9. 1937 Sind die Aufnahmen beendet, so wandert der Bildstreifen zur „Cutterin". Sie fügt Einzelszenen zusammen und schneidet Überflüssiges heraus. Ist sie eine Meisterin in ihrer Arbeit, wird ihr auch der Feinschnitt übertragen. Sie bestimmt dann den Rhythmus des Films, denn die Reihenfolge der Bilder und ihre Zeitdauer ist nicht beliebig, sondern dem Gesetz der Handlung unterworfen. Viele Regisseure schneiden daher ihre Filme selbst, denn die Montage ist eine Kunst, die neben dem rhythmischen Empfinden ein sicheres Stilgefühl erfordert; 1944 Jahrb. d. dtsch. Sprache II 208 der Tonschneider, der den Filmstreifen vorführfertig zurechtschneidet und dann der Szenenfolge entsprechend zusammenklebt (er wird oft noch mit dem Fremdwort Cutter bezeichnet und auch mit Schnittmeister, weil das deutsche Wort „Filmschneider" . . nicht schön klingt) (AWB); 1949-50

Film- u. Kino-Adressbuch 612 Cutter; Süddtsch. Ztg. 30. 10. 1952 die Techniker . . legten die Aluminiumrolle mit drei Meter Tonband auf den Schalttisch. Der Ingenieur schickte die Aufnahme zum Cuttermädchen; 1956 Stern Nr. 29 Sie begann als Cutterin, weil die Schauspielerei in den Augen der Familie nichts Feines war (AWB); Zeit 12. 9. 1957 sammelte sich . . ein Gruppe eifriger junger Funkleute um ihn. Es versteht sich, daß sie auch funkgerecht aufgeteilt wurde, in „Reporter", „Cutter", „Techniker" und „Aufnahmeleiter" (AWB); Offenburger Tagebl. 7. 8. 1959 ob an . . jener verpatzten Szene der Autor, der Schauspieler, der Regisseur oder der Cutter schuld haben?; Süddtsch. Ztg. 29. 10. 1964 Seine junge Frau . . war Cutterin beim Rundfunk; Bildztg. 5. 6. 1967 In dieser Zeit war ich auch Cutterin und Scriptgirl; Spiegel 1.1. 1968 während in den Studios . . das Bandmaterial schließlich am Cutter-Tisch noch genau abgehört und gesäubert wird; Fischer 1970 Spiele

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Cutter

o. S. Auf Anweisung des Regisseurs wählt die Bildmischerin (auch Cutterin genannt) ein Bild zur Aufnahme oder Sendung aus; Welt 31. 10. 1974 mit rundfunkverwandter Cutter-Technik, aber auch mit . . Effekten des inneren Mono- und Dialogs ist sein Buch von der ersten Seite an aufgeladen; Stern 29. 11. 1979 Kameraleute, Cutter, Beleuchter, Ausstatter, Maskenbildner . ., die sich als Synchron-Stöhner gern ein Zubrot verdienen; Freundin 18. 3. 1982 Ihr gefiel die Arbeit einer Cutterin: aus einer Fülle von Filmmaterial Unwichtiges herauszuschneiden und die Filmstreifen dann wieder so zusammenzukleben, daß alles zueinanderpaßt und mit den Vorstellungen des Regisseurs übereinstimmt; Spiegel 16.10. 1989 hielt Welles sich kaum an das Drehbuch . . und . . schwelgte . . in so kunstvoll-komplizierten Kamerabewegungen, daß kein Cutter sie in einen flüssigen Zusammenhang bringen konnte (alle drei AWB); ebd. 4. 12. 1989 Die „Schnittmeisterin", wie die Cutterin im deutscheren Teil Deutschlands heißt; MM 29.11. 1990 ist ein DEFA-Film ein originäres Produkt des Hauses: geschrieben von DEFA-Drehbuchautoren, umgesetzt von DEFA-Regisseuren,..

geschnitten von DEFA-Cuttern; ebd. 18. 4. 1991 Im Laufe der Jahre arbeitete er sich zum Cutter und Chefcutter hoch; Spiegel 28. 6. 1993 Kein Zufall also, daß „Ausgeschminkt!" aussieht, als hätten sich ein Hollywood-Produzent und ein Videoclip-Cutter in ein deutsches Filmstudio verirrt; ebd. 6. 9.1993 Eine Cutterin hatte die Geschäftsleitung . . über den „Schweinekram" am Schneidetisch informiert. cutten: Neue lllustr. 16. 7. 1955 Das will gelernt sein: Cutten (Überschr.) Sendungen werden heute meist auf Tonbändern aufgenommen, die jede Korrekturmöglichkeit bieten: Man schneidet heraus, was stört, und klebt das Band wieder zusammen; Spiegel 25. 12. 1967 sollte der Zwanzigjährige zaristische Filme auf Sowjet-Look cutten, nutzte die Gelegenheit aber auch zu eigenmächtigen Montage-Experimenten; 1973 Fans IX 38 so müssen wir alles nur noch einmal neu überarbeiten, cutten und ausfeilen; Welt 28.11.1977 Otto zeichnet, malt, tanzt, singt, filmt, musiziert, produziert, mischt, cuttet (alle drei AWB). GS